Staat und Kirche in der Gesellschaft: Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts 9783666357091, 9783647357096, 3525357095, 9783525357095

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Staat und Kirche in der Gesellschaft: Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts
 9783666357091, 9783647357096, 3525357095, 9783525357095

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler

Band 51 Werner K. Blessing Staat und Kirche in der Gesellschaft

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1982 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Staat und Kirche in der Gesellschaft Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts von

Werner K. Blessing

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1982 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Blessing, Werner Κ.: Maat und Kirche in der Gesellschaft: institutionelle Autorität u. mentaler Wandel in Bayern während d. 19. Jh. /von Werner K. Blessing. - Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1982. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 51) ISBN 3-525-35709-5 NE: GT

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Satz: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau Schrift: 10/11 ρ Garamond auf der VIP-Linotype Druck und Einband: Hubert & Co., Göttingen

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Meiner Mutter

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Inhalt Vorwort

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1. Gegenstand und Fragestellung

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1.1. Zu einer historischen Sozialisationsforschung: Umwelt und Mentalität der ›kleinen Leute‹ 1.2. Herrschaft und Religion in ihrer mentalen Wirkung 1.2.1. Der Staat 1.2.2. Die Kirchen 1.3. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 2. Reformrationalismus und Traditionsbeharrung im ›modernen‹ Staatsbayern 2.1. Entwicklungsdirigismus und Gesellschaftsverfassung in der Montgelaszeit 2.2. Der mentale Staatsanspruch 2.2. 1. Bürokratisches Ordnungshandeln: Rationalität und Homogenität 2.2.2. Die Volksschule als autoritäre Aufklärunesinstanz 2.3. Katholische Kirche und Religion unter dem aufgeklärten Bürokratismus 2.3. 1. Die Unterwerfung durch den Monopolstaat 2.3.2. Die begrenzte Reichweite aufgeklärter Pastoration 2.3.3. Gesellschaftlicher Widerstand gegen die religiöse Staatsnorm 2.4. Der aufgeklärte Protestantismus als Stütze des Reformstaats . . . 2.4.1. Der Aufbau einer staatskonformen Landeskirche 2.4.2. Pastoraler Rationalismus 2.4.3. Breitenerfolg und spätorthodoxe Beharrung 2.4.4. Die Abweichung: die reformiert orientierte Union in der Pfalz 2.5. Die prinzipielle Toleranz zwischen den Konfessionen 2.6. Zusammenfassung

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3. Die traditionalistische Wende im bayerischen Vormärz 3. 1. ›Romantischer‹ Autokratismus und gesellschaftliche Virulenz . 3.2. Die Restauration durch die ›Elementarschule‹ 3.2. 1. Das Bildungsziel: der fromme Patriot 3.2.2. Die einfachen Bildungsformen 3.2.3. Die Lehrer zwischen Unterordnung und pädagogischem Anspruch 3.2.4. Prägungskraft und gesellschaftliche Chancen 3.3. Die traditionale Legitimität der konstitutionellen Monarchie: der Staatskult 3.3.1. Dynastische Repräsentation als ›barocker‹ Loyalitätsappell

3.4.

3.5.

3.6. 3.7.

3 .3 .2. Bayerische Tradition als Integrationssymbolik Die katholische Erneuerung 3.4.1. Entfesselung der ›Volksfrömmigkeit‹ und pastorale Resakralisierung 3.4.2. Der gesellschaftliche und politische Wiederaufstieg 3.4.3. Der Übergang zum Ultramontanismus 3.4.4. Erhöhte Kirchenleistung und gesteigerte Religiosität . . . Der Aufklärungsprotestantismus in der Defensive 3.5.1. Säkularisierung und Entkirchlichung 3.5.2. Impulse lutherischer Erneuerung 3.5.3. Die Trendwende in der Religiosität und die politische Rolle ›evangelischer‹ Identität 3.5.4. Die Aufklärungskontinuität in der Pfalz Vom Irenismus zum Konfessionalismus Zusammenfassung

59 59 63 63 67 69 72 75 75

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4. Erfolge und Grenzen des nachrevolutionären Konservativismus . . . . 113 4.1. Reaktionspolitik, ›Thron und Altan‹ und bürgerlicher Liberalisierungsdruck 4.2. Die staatliche Schulerziehung: von der Disziplihnierung zur Volksbildung 4.2.1. Die Programmverschiebung: Restriktion und nationalliberale Ansätze 4.2.2. Die Lehrer zwischen staatlichem Anspruch und liberalem Selbstverständnis 4.2.3. Die steigende gesellschaftliche Wirkung 4.3. Der Staatskult: Bayern als ›heileWelt‹ 4.3.1. Monarchismus als antiliberale Prävention 4.3.2. Partikularismus als antinationale Prävention

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4.4. Die katholische Kirche im Zeichen des Ultramontanismus 4.4.1. Pastoration und Religiosität im Stil des ›Romanismus‹ . . 4.4.2. Die Loyalitätsbildung um den Papstkult 4.4.3. Der Aufbau einer kirchlichen Öffentlichkeit 4.4.4. Die Kirche in der Gesellschaft: Expansion, Kooperation, Konkurrenz 4.5. Der Sieg der Neuorthodoxie in der protestantischen Kirche . . . . 4.5.1. Pastoraler Restrationalismus und lutherischer Purismus . 4.5.2. Sozialisation im Umkreis der Kirche 4.5.3. Der Teilerfolg der Erneuerung 4.5.4. Politische Loyalität zwischen Patriotismus und Nationalismus 4.6. Zusammenfassung 5. Orientierungskonflikte im Kaiserreich 5.1. Bürgerlicher Nationalliberalismus, liberaler Gouvernementalismus und konservativer ›Aufbruch‹ 5.2. Mentale Mediatisierung in der Volksschule 5.2.1. Der patriotisch-nationale und konservativ-liberale Kompromiß 5.2.2. Der Durchbruch der nationalliberalen Lehrer 5.2.3. Die Wirkung in Stadt und Land 5.3. Das Ende des Loyalitätsmonopols im Staatskult 5.3.1. Repräsentationsverluste der bayerischen Dynastie 5.3.2. Die Anfänge des offiziellen Reichskults 5.4. Katholische Mobilisierung gegen staatlichen und bürgerlichen ›Kulturkampf‹ 5.4.1. Römischer Integralismus 5.4.2. Der Ausbau der Pastoration 5.4.3. Kirche und Staat: Konflikte in Bayern und im Reich . . . . 5.4.4. Stil und Erfolg des katholischen Aktivismus 5.5. Protestantische ›Reichsreligion‹ und Säkularisierung 5.5.1. Die nationale Wirkung der Kanzel 5.5.2. Die Pfarrer: Neuorthodoxie und Bildungsbürgertum . . . 5.5.3. Religiosität im sozialen Wandel 5.6. Zusammenfassung 6. Staatliche und kirchliche Prägung im Rückstand 6.1. Der Durchbruch der Gesellschaft: Urbanisierung, Industrialisierung, Demokratisierung

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6.2. Die nationale ›Sendung‹ der Volksschule 212 6.2.1. Bayern im Schatten Deutschlands: Idyll und Großmacht 212 6.2.2. Die Lehrer als Protagonisten des ›Reichsgeistes‹ 217 6.2.3. Effizienz und soziale und kulturelle Wirkungsgrenzen . . 225 6.3. Der Monarchismus zwischen Erstarrung und Scheinaktualität . 228 6.3.1. Der Anachronismus des bayerischen Königskults 228 6.3.2. Der Einbruch des ›Wilhelminismus‹ im Reichskult 233 6.3.3. Traditionskult zwischen bayerischer und deutscher Loyalität 236 6.4. Die katholische Kirche in der Defensive 238 6.4.1. Pastorale Kontinuität und Konzentration 238 6.4.2. Die Verdichtung zum ›katholischen Milieu‹ 240 6.4.3. Die sinkende mentale Wirkung 245 6.4.4. Die politische Anpassung an den Nationalstaat 248 6.5. Die protestantische Kirche im Sog des Indifferentismus 250 6.5.1. Eine pastorale Alternative ohne Mehrheit 250 6.5.2. Die Suche nach neuen Vermittlungsformen 254 6.5.3. Entkirchlichung als Breitenphänomen 256 6.5.4. Die politische Verkettung mit dem monarchischen Staat 261 6.6. Zusammenfassung 262 7. Resumee: ›Verweltlichung‹ als

›Modernisierung‹

265

Anmerkungen

270

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen 2. Gedruckte Quellen 3. Literatur

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Abkürzungsverzeichnis

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Sachregister

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Personenregister

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Vorwort Diese Studie entstand aus thematischen und methodischen Anregungen meines verehrten Lehrers, Herrn Prof. Dr. Karl Bosl, der die bayerische Landesgeschichte neuen Fragestellungen geöffnet und stets auf ihren allgemeinen historischen Erkenntniswert gedrungen hat. Hinzu kamen persönliches Interesse an der gegenwärtigen Bedeutung der Religion, das geschichtliche Erklärungen suchte, Anstöße durch die in den frühen 1970er Jahren wieder entdeckte Bildungsgeschichte und eine von Soziologie und Volkskunde geweckte Neugier nach dem zwar spektakulären, doch vielfältigen Leben der ›kleinen Leute‹. Herrn Professor Bosl danke ich sehr herzlich für sein ebenso kritisches wie liberales Interesse an meiner Arbeit, für verständnisvolle Geduld und für eine ungewöhnliche menschliche Anteilnahme. Rat und fördernde Kritik boten während der Entstehung der Studie oder für die Drucklegung die Herren Professor Ludwig Hammermayer, Professor Karl Möckl, Professor Richard van Dülmen, Professor Eberhard Weis, Professor Eberhard Pikart, Privatdozent Klaus Tenfelde und Professor Helmut Berding, wofür ich ihnen sehr danke. Entscheidende Anregungen zur Fragestellung verdanke ich mehreren Gesprächen mit dem Germanisten Professor Hugo Kuhn (†). Dank schulde ich auch den Damen und Herren der von mir benutzten Archive und Bibliotheken für freundlich-geduldiges Entgegenkommen; dabei fühle ich mich besonders auch den für den Benutzer meist anonymen Kräften hinter den Kulissen, in Magazinen und Aktendepots verpflichtet. Über diese Hilfe hinaus förderten meine Arbeit in besonderem Maß der ehemalige Leiter des Ordinariatsarchivs München, Herr Dr. Peter von Bomhard (†) und der ehemalige Leiter der Süddeutschen Lehrerbücherei München, Herr Richard Toepel. Den Herausgebern der »Kritischen Studien« danke ich für die Aufnahme des Manuskripts in diese Reihe und für wichtige Kritik. Die Studie wurde unter dem Titel »Der mentale Einfluß des Staates und der Kirchen auf die ›kleinen Leute‹ in Bayern zwischen alteuropäischer und moderner Struktur« im Wintersemester 1975/76 vom Fachbereich Geschichtsund Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Gegenüber dieser ursprünglichen Fassung ist die vorliegende stark gekürzt - vor allem im Anmerkungsteil - , in Einleitung und Schlußteil überarbeitet und um die wichtigere seither erschienene Literatur ergänzt. Bamberg, im Sommer 1981

Werner K. Blessing 11

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1. Gegenstand und Fragestellung 1.1. Zu einer historischen Sozialisationsforschung: Umwelt und Mentalität der ›kleinen Leute‹ Bevorzugter Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist das menschliche Handeln. Daneben rücken jedoch nun, nachdem die ›klassische‹ Geistesgeschichte zeitweise in den Hintergrund getreten war, die geistigen und seelischen Einstellungen wieder ins Blickfeld, die dem Handeln zugrunde liegen oder aus ihm folgen. Angeregt auch durch angelsächsische Psychohistorie, französische mentalité-Forschung und eine besonders deutscher Philosophie und Soziologie verpflichtete historische Anthropologie1, sucht man das Verhältnis von ›Außenwelt‹ und ›Innenwelt‹ historischer Personen und Gruppen zu verstehen. Vorherrschendes Erkenntnisziel ist es dabei, trotz unterschiedlicher theoretischer Zugänge und methodischer Mittel, diese Wechselwirkung zwischen realen Kräften und mentalen Formen in der individuellen oder kollektiven Lebenswirklichkeit zu fassen. Um solche ›Verortung‹ erklärend zu beschreiben, ist das Konzept der ›A11tagswelt‹ hilfreich2. Es frägt nach dem Denken und Fühlen von den Rollen her, wie sie die Institutionen in den einzelnen Lebensbereichen der untersuchten Personen oder Gruppen bedingen. Die durchschnittliche Erfüllung der Anforderungen und Ausschöpfung der Möglichkeiten der Rollen insgesamt prägt in einer jeweils umweltspezifischen Weise. Sowohl der ständige Daseinsvollzug in Arbeit und ›Freizeit‹, in Haus und Öffentlichkeit wie die spezielle - überlieferte oder geplante - Bildung durch Familie und Schule, Kirche oder Massenmedien vermitteln Einstellungs- und Verhaltensmuster; sie leisten je nach dem Verhältnis dieser Einflüsse zueinander3, also je nach der Rollengewichtung in einer bestimmten ›Textur‹ soziale Identität4 und Kohäsion5. D.h. sie konstituieren Gesellschaft mental6. Zur Untersuchung solch geistig-seelischer Prägung, ob sie nun an einem einzelnen oder einer Gruppe interessiert, bietet sich das sozial- und kulturwissenschaftlich inzwischen breit abgesicherte Sozialisationsmodell an7. Es erlaubt, die Vermittlung der zur Lebensbewältigung nötigen und möglichen Orientierung und Qualifizierung in rollenbezogene Einwirkungen gesellschaftlicher Kräfte aufzuschließen und damit Alltagsbedingungen und Mentalität aufeinander zu beziehen. U. a. schlüsselt es mit der Differenzierung in Instanzen, Medien und Publikum8 die geistig-seelische ›Vergesellschaftung‹ in ihren ›Zumutungen‹ und Wirkungen auf. Es hebt mit den Kategorien ›primäre‹ und ›sekundäre‹ Sozialisation die grundlegende Einübung sozialer

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Verhaltensfähigkeit und -Sicherheit ab von der lebenslangen Werte- und Normenaneignung, die der soziale Wandel mit neuen Anforderungen und Angeboten oft konfliktreich verändert9. Die Unterscheidung zwischen der unwillkürlichen Wirkung typischer Alltagsvorgänge und der intentionalen formalisierter Bildungsprozesse schließlich erhellt die je nach Gesellschaftsstruktur zwischen beiden sehr verschiedenartig gewichtete Weise, wie das notwendige und zulässige Repertoire von Glaubens- und Moralbrauch, Wissen und sozialen Verfahrensregeln, also ›soziokulturelle Kompetenz‹10 vermittelt wird. Historisch ist die Übernahme der gesellschaftlichen Erwartungen selbst, die für Sozialisationsvorgänge in der Gegenwart vor allem lerntheoretisch als kognitive und emotionale Verinnerlichung analysiert wird 11 , zwar kaum zu rekonstruieren, da Quellen meist fehlen. Aber neben den Einwirkungen, die - bei aller Abstufung der Quellendichte nach Epochen, Schichten und Lebensbereichen - durchwegs am besten belegt sind, scheinen auch ihre Ergebnisse zumindest exemplarisch immer wieder auf. Für einen bestimmten Lebensraum typische, erlernte oder erfahrene und durch Gewohnheit und Sanktionen gesicherte Einstellungen fügen sich zu einer spezifischen, umweltgebundenen Ausrichtung des Denkens und Fühlens, zur Mentalität12. Sie umfaßt Arbeitshaltung und Familienleitbilder ebenso wie die ›Weltanschauung‹ und das politische Selbstverständnis einer (Groß-)Gruppe. Virtuelle geistig-seelische Disposition, wird sie dann durch ›Umweltappelle‹13 zur situationsbezogenen Reaktionsbereitschaft, zu Attitüden konkretisiert und verwirklicht sich im Handeln. In diese allgemein menschliche Erscheinung schob sich seit dem 18. Jahrhundert zunächst in Europa durch die Säkularisierung und Politisierung eine zeit- und kulturspezifische Sonderform des Welt- und Umweltbildes, die Ideologie14. Aus der Uberschichtung säkularisierter christlicher Überlieferungen mit Popularwissenschaft und voluntaristischem Aktivismus im Raum der ›modernen‹ Öffentlichkeit15 entstanden, verschränkt sie vorrationale (›progressive‹ oder traditionsgebundene) Weltentwürfe mit rationaler Welterklärung und systematisiert beide holistisch zu seinsumfassender ›Weltanschauung‹. Als solche konkurrierten Ideologien zuerst mit der Religion, griffen dann aufs politische Feld und sickerten in die Breitenmentalität. Sozialisation vollzieht sich allerdings nicht als einsinnige und zwangsläufige Anpassung an die Umwelt. Deren Erwartungen treffen auf die Bedürfnisse und auf die Bereitschaft der Menschen. Und sie können auch selbst, indem ihre ›Zumutungen‹ Diskrepanzen zwischen Leitbild und Realität enthüllen, Rollendistanz und damit abweichendes Verhalten auslösen16. Auf dem Boden der Einsicht, daß soziales Lernen aktive Aneignung ist und mentale ›Vergesellschaftung‹ aus äußerem Anspruch und innerer Erfüllung resultiert, also das Beziehungsdreieck Person - Gesellschaft - Kultur verwirklicht17, wird sich nun freilich die Untersuchung geistig-seelischer Alltagsformen vornehmlich der typischen Prägung zuwenden. Damit huldigt sie weder Kollektivismus noch Determinismus; sie konzentriert sich lediglich 14 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

auf eine soziokulturelle Hauptkomponente der Lebensformen, die auch das individuelle Denken und Handeln ›großer Männer‹ mit ermöglichen und bedingen. Dieser Ansatz richtet das Interesse vor allem auf die Mentalität derer, die selten als Individuen in die Zone geschichtsprägenden Handelns ragen, sondern in der Regel anonym als Gruppen historisches Gewicht haben. Schwierigkeiten bereitet allerdings ihre möglichst allgemeine Umgrenzung. Der vorherrschende Begriff ›Unterschichten‹ genügt in seiner üblichen semantischen Breite für unsere Fragestellung nicht; denn er umgreift die soziale Basis vorindustrieller Gesellschaften nicht. Das alteuropäische Sozialgefüge teilte sich zunächst in politisch, wirtschaftlich und kulturell privilegierte, relativ geschlossene und in einer traditionsfixierten Ordnung relativ stabile Minderheiten und in die Bevölkerungsmehrheit, die grundlegende Lebensbedingungen und damit auch mentale Formen gegenüber jenen Gruppen zusammengeschlossen18. Erst in zweiter Linie differenzierten diesen ›untern Teil‹ der ständischen Gesellschaft dann Umwelttypen (städtisch-ländlich, katholisch-protestantisch u. dgl.) und soziale Positionen (z. B. Besitzende - Arme, Bauern - Dienstboten). Hingegen liegt die durch die Begriffe ›Unterschichten‹ und ›untere Mittelschicht‹ bezeichnete Stratifikationsgrenze tiefer, die die Ausweitung des Bürgertums durch den Aufstieg nichtprivilegierter Gruppen und die Entstehung der Arbeiterschaft als neuer Kerngruppe im unteren Bereich der alten Nichtprivilegierten-Zone bei der Entwicklung der Klassengesellschaft schuf. Jene unteren Gruppen der ständischen Gesellschaft, die als soziale und kulturelle Einheiten zum Teil weit ins 19., ja besonders auf dem Land bis ins 20. Jahrhundert weiterbestanden, erlebten sich allerdings im Alltag meist nur in ihrem berufsständischen Horizont (was auch auf ihren partikular beschränkten, nicht privilegierten Status weist). Deshalb findet sich kein wissenschaftlich befriedigender zeitgenössischer Sammelbegriff. Als Behelf (und darum in Anführungszeichen) sind wohl die Arbeitsbegriffe ›kleine Leute‹ und ›breite Bevölkerung‹ brauchbar, deren sich vor allem die Volkskunde da bedient, wo ›vormoderne‹ gesellschaftliche Zusammenhänge darzustellen sind, aus denen sich die ›modernen‹ Unterschichten erst ausdifferenzieren19. Dabei muß freilich die erste Bezeichnung gegen ideologische Zumutungen romantischer Volkstümelei abgegrenzt und die zweite, damit sie nicht bloße Formalkategorie bleibt, in ihrer Zusammensetzung jeweils beschrieben werden. Die ›kleinen Leute‹ besaßen weder durch Geburt, Besitz, Bildung oder Leistung besondere Qualifikationen und damit herausragende Güter, Rechte und Prestige noch übten sie besondere gesellschaftliche Funktionen mit Normierungs- und Entscheidungskompetenz aus. Sie setzten sich, Unterschichten und Mittelstand umfassend, im deutschen 19. Jahrhundert hauptsächlich aus folgenden Teilen zusammen: die ländliche, also agrarische bzw. agrarisch-kleingewerbliche Bevölkerung ohne die Oberschicht der Groß(grund)besitzer, die Stadt- und Marktbevölkerung in Kleingewerbe, 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Kleinhandel und Dienstleistungsberufen, die unteren Ränge der Staats-, Adels-, Gemeindediener und als neue, vorwiegend städtische Gruppen die Angestellten und vor allem die Industriearbeiter. Letztere traten nach Lage und Status zunächst neben die alten Nichtprivilegierten, begannen sich in Eigenbild und Fremdbild jedoch dann als Klasse von diesen zu lösen, wodurch sich die Kategorie ›kleine Leute‹ auf zunehmend rückständige Gruppen beschränkte. Bis dahin waren wirtschaftlich Selbständige und Abhängige, sozial Geachtete und ›Arme‹, kulturell Traditionsgebundene und dem Orientierungswandel Ausgesetzte trotz recht unterschiedlicher Lebensbedingungen doch von einem Grundbestand gleicher Erfahrungen und (eigener wie fremder) Erwartungen betroffen.

1.2. Herrschaft und Religion in ihrer mentalen Wirkung Eine zentrale Stellung bei der Prägung dieser gemeinsamen Erfahrungen und Erwartungen nahmen zwei Institutionen ein, die den Alltag der ›kleinen Leute‹, wie er sich in Familie, Arbeit, Gemeinde vollzog, überwölbten und auf allgemeinste Ordnungen bezogen: Herrschaft und Religion erfüllen als elementare Bindungen gesellschaftliche Grundbedürfnisse. Die Rolle des Gläubigen und die des ›Beherrschten‹, d. h. für Europa die des Christen und die des Untertanen bzw. Bürgers bestimmen Mentalität besonders weitreichend. Die Herrschaft bildet durch Unterordnung und Verordnung Autorität und Recht20. Gebot und Verbot, Schutz und Strafe, Dienstleistungs- und Abgabenzwang beziehen das Leben des einzelnen auf die öffentliche Macht21. Wie weit deren Durchgriff nun je nach Gesellschafts- und Herrschaftstyp auch reicht, so formt doch die politische Ordnung die Mentalität jeder Bevölkerung entscheidend und integriert sie. Umgekehrt beruht die Stabilität dieser Ordnung auf einem Minimalkonsens über Legitimität, Grundwerte und Handlungsmaximen der Herrschaft22. Er ergibt sich aus der lebensraumtypischen politischen Sozialisation23. Nachdem zunächst soziale Institutionen, vor allem die Familie, auf dem Weg des ›Modell-Lernens‹24 Unterordnung, Normentreue, ›Gemeinsinn‹ allgemein eingeübt haben, werden dann diese Muster durch die öffentliche Rolle des Erwachsenen als Untertan oder Bürger zu legaler und loyaler Haltung politisch spezialisiert. Jede Herrschaft sucht deshalb im Rahmen ihrer Mittel sowohl die Vorprägung in Kindheit und Jugend zu beeinflussen wie die öffentliche Kommunikation zu steuern. In Europa galt das in besonderem Maß, seit sich die feudale Herrschaft zum Staat zu organisieren begann. Die Religion gibt dem Alltag durch kulturelle »Welterrichtung« und »Welterhaltung« Orientierung und Normierung als Sinn und Moral. Mit ihrer transzendent verankerten »Daseinsinterpretation« vermittelt sie dem einzelnen eine ›letzte‹ Plausibilität seines Lebensraumes und rechtfertigt dessen 16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Grundordnung25. Das führt sie meist zu einer Verbindung mit der Herrschaft, die sich ihrer für die eigenen ›Zumutungen‹ bedient oder von der Religion als weltlicher Arm beansprucht wird. Ihre in jedem Fall tiefe mentale Wirkung entfaltet sie in der Regel durch Riten, die den Alltag brauchmäßig durchdringen, festlich verstärkt um die Höhepunkte des Jahres- wie des Lebenslaufes, und Werte und Normen von Kindheit an suggestiv einüben. Die christliche Religion gewann in der alteuropäischen Gesellschaft dadurch ein besonderes Gewicht, daß sie in einer durchorganisierten Kirche mit theologisch formulierter Lehre und spezialisierten Priestern institutionalisiert war 26 . Diese besaß das Kultmonopol und das der Sinndeutung und Wertsetzung. Sie konnte dadurch Heilsstreben und Adoration auf ihren ›Himmel‹ konzentrieren und Leitbilder christlicher Lebensführung durch sittliche Appelle, diesseitige Sanktionen und die Hoffnung auf jenseitige Kompensation durchsetzen. 1. 2. 1. Der Staat Die alteuropäische Herrschaft wurde von den ›kleinen Leuten‹ einmal durch mündlich vermittelte und persönliche Erfahrungen von Ordnungsdruck, Leistungszwang und Fürsorge erlebt, die zu sozial verbindlichen Verhaltensregeln verfestigt waren. Dazu trat die Wirkung einer institutionalisierten Vergegenwärtigung des ›Herrn‹: die ideal stilisierende adelige Repräsentation27. Sie war nicht nur gegenseitige Prätention, sondern ebenso Herrschaftsdemonstration. Vor allem um die ›Oberherrn‹, die Monarchen stellte dieser Kult, wenn sie Prunk auszeichnete, Gefolge dienend umringte und die Bevölkerung huldigend zu ihnen aufstaunte, die gestufte irdische Ordnung als Spiegel der göttlichen symbolisch vor. Er rechtfertigte den Herrscher, weil er sein Gottesgnadentum und ›Heil‹ auswies. Der christliche Herrscherkult zielte, indem er die politische Macht durch traditions- und religionsfixierte Omnipotenz- und Devotionsrollen harmonisch und festlich veranschaulichte, auf eine Loyalität, die politischen Quietismus schaffen und damit die Stabilität sichern konnte. Denn die Einstellungserwartung der Herrschaft wurde mit dem Bindungsbedürfnis der Gesellschaft verbunden, solange nur dieser die Balance ihrer Sonderinteressen gewährleistet blieb 28 . Als die Rationalisierung der Herrschaft im frühmodernen Staat das für alteuropäische Ordnungen konstitutive Symboldenken zurückdrängte, verdünnte sich das sakral-magische Gottesgnadentum zur ›Divinität‹ des Herrschers29. Seine religiöse Symbolqualität nahm ab mit der Verdichtung seiner Macht, da diese vornehmlich auf Herrschaftswissen und Herrschaftstechnik vor allem bei seinen Beamten beruhte30. In Konsequenz dieser Entwicklung funktionalisierte schließlich um 1800 der rational-bürokratische Anstaltsstaat den Monarchen zum Staatsorgan und minderte seine ›Divinität‹ zum ›monarchischen Prinzip‹ 31 . Obgleich solche durch Bürokratismus und bald 17 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

auch durch Konstitutionalismus begrenzte Herrschaft von Gottes Gnaden noch volle Souveränität bedeutete, schrumpfte der von exekutiven und legislativen Aufgaben erheblich entlastete Monarch zunehmend auf eine Repräsentationsrolle. Mit ihr wurde der Herrscherkult zur politischen Breitenprägung auch im 19. Jahrhundert weitergeführt; traditionale Institution, rechtfertigte er nun allerdings eine in Grundzügen rationale, ›moderne‹ Herrschaft32. Diese Spannung zwischen Staatspraxis und offiziellem Staatsbild, die mit der Verfassungsentwicklung bis zum Ende der Monarchie noch wuchs, weist auf das grundsätzliche Problem der konstitutionellen Monarchie im deutschen 19. Jahrhundert, Fürstentum, Bürokratismus und bürgerliche Emanzipation stabil miteinander auszugleichen. Die Frage nach Kontinuität und Wandel der Formen, Akteure und Erfolge des monarchischen Kults trägt deshalb zur Einsicht in die politische Mentalität zwischen Staatsanspruch und gesellschaftlicher Bereitschaft wesentlich bei. Seit dem späten 18. Jahrhundert erzwangen der Abbau der traditional-patrimonialen Verfassung und der Aufstieg des Bürgertums, d. h. herrschaftliche und gesellschaftliche ›Modernisierung‹ neue Wege der politischen Breitenprägung. Der Staat konnte auf den traditionalen Kult als Loyalitätsmittel allein nicht mehr bauen. Außerdem forderte er von der Bevölkerung, aus deren Partikularinteressen er sich möglichst löste, eine erhöhte und stärker vereinheitlichte Verfügbarkeit und Leistung, wozu patriarchalische Gewalt und Fürsorge nicht mehr genügten. Gleichzeitig stellten ›progressive‹ Gesellschaftsgruppen neue Entwicklungsansprüche zur Steigerung materieller und geistiger ›Wohlfahrt‹ an den Staat, die ebenfalls seine alten Mittel überforderten33. Als so eine veränderte Staatsidee und Staatsordnung der Bevölkerung vermittelt und unerhört neue Staatsaufgaben im Konsens erfüllt werden mußten, bot sich für die mentale Komponente die Volksschule als Instrument mit größtmöglicher Breitenwirkung an. Das niedere Schulwesen, so heterogen es als kirchliche, kommunale oder private Anstalt gewachsen war, wies doch Ansätze zu einer öffentlichen Sozialisation auf, die in neuer Weise zu Loyalität und ›Wohlfahrt‹ beitragen konnte34. Potentiell modernisierungswirksam waren bereits im 18. Jahrhundert zumindest die verstreuten Vorbildschulen. Denn als formale, geplante und geregelte Instanz beanspruchten sie die ›kleinen Leute‹ in einem besonders bildungsfähigen Alter neben deren Alltag, der sich in berufsständischer Spezialisierung, enger Umwelt und wechselndem Rhythmus vollzog, grundsätzlich sozial, räumlich und zeitlich übergreifend und allgemein. Ihre Mittel waren mehr verbal als rituell, ihre Sanktionen eher systematisch als brauchüblich, ihre Wirkung mindestens ebenso kognitiv wie emotional. Mehr als jede andere Einrichtung kam die Volksschule den Einstellungserwartungen des aufgeklärten Staates an die ›breite Bevölkerung‹ entgegen; und wie keine außer der Kirche, über die jedoch nicht annähernd so verfügt werden konnte, erlaubte sie einen direkten Zugriff auf deren Mentalität. Eine auf Moralisierung und Qualifizierung der ›kleinen Leute‹ ausgerichtete engagierte Schul-

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politik begann in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts das niedere Schulwesen zu vereinheitlichen und flächendeckend auszuweiten35, flankiert von einem lebhaften Volksbildungsdiskurs und praktischen Initiativen im aufgeklärten Adel, Bürgertum, Klerus36. Im epochalen Wandel der Leitwerte und -bedürfnisse, wie ihn in Mitteleuropa zunächst primär eine kulturelle Revolution auslöste37, wurde die Pflichtvolksschule vom Staat zur gezielten und kontrollierten Prägung der Breitenmentalität aufgebaut. Deshalb erlaubt die Untersuchung ihres organisatorischen und materiellen Zustandes, der Lehrinhalte, Lehrpersonen38 und Lehrmittel, ihres Echos bei den ›Miterziehern‹ in Familie und Gemeinde, ihrer sozialen Wirkungsbedingungen und ihrer kulturellen und politischen Folgen39 einen wichtigen Zugang zum ›Geist‹ der ›kleinen Leute‹. Ihnen wurden also Orientierung und Identität politisch durch kultische Repräsentation und organisierte Volksbildung, altes Herrschaftszeremoniell und neue Staatsinstanz zusammen vermittelt. Beider Wirkungsverhältnis, das trotz desselben Leitziels unter der Spannung des historischen Gefälles zwischen ihnen stand, weist exemplarisch auf die sich im 19. Jahrhundert verändernde Konstellation von Symbolismus und Rationalismus als Grundformen der ›Weltaneignung‹ hin. Das Massenkommunikationsmittel Presse gewann in der Hand des Staates wie der Parteien und Verbände für die ›breite Bevölkerung‹ erst gegen Ende des Jahrhunderts Gewicht und erfolgte außerdem nach den spezifischen Grundsätzen der bürgerlichen Öffentlichkeit, so daß es im Folgenden außer Acht bleibt. Ebenso werden die mentale Wirkung des alltagsprägenden Verwaltungshandelns, die anderen Bedingungen als die durch Kult und Schule unterlag, und die Indoktrination im exzeptionellen Lebensraum Armee hier nicht behandelt. 1.2.2. Die Kirchen Die Kirchen vermittelten der ›breiten Bevölkerung‹ Alteuropas Weltinterpretation und Daseinsorientierung durch Kult und Predigt straff organisiert, dogmatisch systematisiert, rituell suggestiv. Flächendeckend und dicht wie keine andere Instanz waren sie im Lebensraum der ›kleinen Leute‹ mit effizienten Vermittlern in attraktiven Räumen und mit eindrucksvollen Zeremonien gegenwärtig. Sie erfaßten die Bevölkerung aller Altersstufen fast ausnahmslos, da durch gesellschaftliche und herrschaftliche Zwänge gestützt, regelmäßig mindestens wöchentlich durch die Intensiveinwirkung des Gottesdienstes. Zugleich wirkten sie vielfältig in den Alltag, indem sie Arbeit und Feierabend, Familie und Korporation mit religiösen Riten durchdrangen und so an ihre Sinndeutung und Normsetzung banden. Sie boten Trost und ›Heil‹, verkündeten das Jenseits und versammelten zur Adoration. Sie übten Grundwerte und Moral ein, rechtfertigten die herrschende Umwelt, verlie19 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

hen dem Leben in dieser Ordnung eine Bedeutung über die Alltagserfordernisse hinaus und gaben ihm im Kreis des Kirchenjahrs und durch das Monopol auf die ›Übergangsriten‹ die festlichen Höhepunkte40. Bußpredigt und liturgischer Glanz, Beichte und Kommunion, Fastenaskese und Kirchweihlust, Hochzeitsprunk und Leichenbegängnis, Hausandacht und Bruderschaftskult, Kirchenbilder und Wegkreuze, die kulturelle und soziale Autorität der Geistlichen und die religiösen ›Vermahnungen‹ in obrigkeitlichen Mandaten, Zunftstuben oder Bauernkalendern prägten das Denken und Fühlen umfassend. Da sich katholische und protestantische Kirche im Stil und in der Gewichtung der einzelnen Mittel, vor allem zwischen den verbalen und kultischen unterschieden, erfolgte diese Prägung in konfessionell verschiedener Weise, die das Alltagsverhalten jeweils spezifisch formte. Dennoch vereinte die Bevölkerung über die Konfessionsgrenzen hinweg eine Basis gemeinsamer christlicher Mentalität. Sie richtete den Lebensraum der ›breiten Bevölkerung‹ in allen seinen Bereichen auf das vom Priester verwaltete und vermittelte Ordnungsbild aus; es war, als zeitlos und universal gültige Grundorientierung eingeübt, die Achse der ›Weltanschauung‹ und die Richtschnur gesellschaftlichen Handelns. Seit dem 18. Jahrhundert geriet jedoch die Kirchenreligion in eine ganz neue Wirkungslage. Denn nun erreichte die im Spätmittelalter eingeleitete funktionale Differenzierung der Gesellschaft durch politische, ökonomische, kulturelle Rationalität mit den Auswirkungen von Absolutismus, Merkantilismus bzw. Kapitalismus und Aufklärung einen solchen Grad, daß die gesamtgesellschaftliche Verbindlichkeit der Religion erstmals entscheidend betroffen wurde 41 . Säkularisierung begann mit dem Funktionsschwund kirchlich organisierter Religion zum Epochenthema zu werden42. Als sich profane Bereiche in ihren Zielen und Mitteln verselbständigten, lösten sich tendenziell auch Sinndeutung, Wertsetzung, Konsensherstellung, also Plausibilität und Legitimation, soweit sie das Leben in jenen Bereichen betrafen, von der überkommenen Religion. Gesellschaftliches Handeln vollzog sich zunehmend nach jeweils endogenem, bereichsspezifischen Gesetz43. Diese langfristige strukturelle Wirkungsbeschränkung wurde durch zwei aktuelle Entwicklungen noch verstärkt. Von der Aufklärung geleitete, d. h. an einem optimistischen Zukunftsentwurf orientierte und folglich engagierte Meinungsführer verschoben in ihren Einflußkreisen die Autorität der Kirchen in besonderer Weise: sie drängten das Bewußtsein von der Heilsfunktion der Kirche zurück zugunsten einer in erster Linie an staatlichen und gesellschaftlichen, d. h. säkularen Interessen ausgerichteten Rolle als Moralanstalt. Außerdem nahm der religiöse Pluralismus, den aufgeklärte Staaten mit dem Toleranzprinzip einführten, der Konfession ihre seit dem 16. Jahrhundert zentrale Bedeutung für die Integration und Identität der jeweiligen Gesellschaft. Der Staat löste sich demonstrativ aus der Bindung an eine Kirche; damit schwächte er deren Stellenwert und förderte zumindest mittelbar die Säkula20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

risierung44. Daß die meisten Territorien sich weiterhin der Religion innenpolitisch bedienten, verzögerte das lediglich. Auch wo sich Weltbild und Verhalten von der Kirche ablockerten, wurden sie von den populären Religiositätsformen beeinflußt, die, eng mit Interpretations- und Reaktionsmustern aufgrund von Alltagserfahrungen verflochten, neben der Kirchenreligion bestehen, zwischen dieser und magischen Vorstellungen sich vielfältig mischen45 und an Gewicht gewinnen, wenn die Kirchenautorität sinkt. Obwohl sie auch vom jeweils herrschenden Kirchenglauben abhängen, können sie ihm nicht subsummiert werden: Religiosität erschöpft sich nicht in Kirchlichkeit46. Allerdings entziehen sich solche diffusen Formen, die schon in der demoskopisch transparenten Gegenwartsgesellschaft schwer zu fassen sind47, weitgehend historischer Untersuchung. Das muß jedoch keinen wesentlichen Erkenntnisverzicht bedeuten, da diese Einstellungen vorwiegend in Krisensituationen wie Not, Krieg, Legitimitätsverfall kollektiv erregt und zu einer gesellschaftlichen Kraft werden, sich dann aber auch in Quellen niederschlagen. Der ›Aberglaube‹ tritt in seiner Alltagsbedeutung in aller Regel hinter der kirchlichen Religiosität zurück. Greifbar und immer wichtig für die Darstellung der Religiosität im Rahmen der Breitenmentalität ist hingegen die ›Volksfrömmigkeit‹; sie wird von der Kirche stark beeinflußt, aber nicht beherrscht48. Dieses zwischen Verschränkung und Abgrenzung changierende Verhältnis, die Spannung zwischen kirchlichem Verfügungsanspruch und kirchlichem Interesse an einer möglichst breiten religiösen Aktivität kann Kirchenglauben und ›Volksfrömmigkeit‹ in ihren Entwicklungstendenzen auseinanderführen. Das gilt vor allem bei einem Kurswechsel der Institution Kirche, dem - wie besonders deutlich in der Phase der Aufklärungsrezeption - die ›Volksfrömmigkeit‹ zunächst nicht folgt. Es ist also zu fragen, wie weit, mit welchen Mitteln und in welchem Verhältnis zur politischen Ordnung die Kirchen unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts ihre traditionell zentrale, doch nun bedrängte mentale Bedeutung für die ›kleinen Leute‹ erhalten konnten. Die unterschiedliche, auch in konfessionsspezifischen ›Subkulturen‹49 greifbare Reaktion von Katholizismus und Protestantismus auf jene Bedingungen legt eine getrennte Behandlung nahe.

1.3. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Leitproblem des Einflusses von Staat und Kirchen auf die Mentalität der ›kleinen Leute‹ waren die ›Verweltlichung‹ - vom Aufklärungsrationalismus über den Nationalismus bis zum wirtschaftlichen und sozialen Pragmatismus - und ihre Gegenströmungen. Diese Auseinandersetzung um ihren ›Geist‹ setzte die ›breite Bevölkerung‹ Faktoren und Konflikten der ›Modernisie21 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

rung‹ bereits vor dem Einbruch der ›industriellen Welt‹ aus. Staat und Kirchen dominierten weit ins 19. Jahrhundert hinein bei der Prägung dieser Bevölkerung - in Innovation wie Restauration - , und sie behielten auch in der Phase industriell-urbaner Umformung eine herausragende mentale Bedeutung. Das rechtfertigt ihre gesonderte Betrachtung vor dem angedeuteten Hintergrund der sozioökonomischen Mentalitätsbedingungen, wie sie sich in den wichtigsten Lebensraumtypen - Dorf, Markt, Verwaltungsstadt, Industriestadt - zusammenfügen. Die Frage nach dem Einfluß von Staat und Kirchen empfiehlt als Untersuchungsraum für das deutsche 19. Jahrhundert einen Einzelstaat - zunächst für sich betrachtet und dann im Reich - mit seinen ›Landeskirchen‹. Für das am Anfang des 19. Jahrhunderts entstandene Staatsbayern50 spricht, daß es gegenüber Preußen in der Forschung, gerade auch wo diese neuen Fragestellungen folgt, deutlich vernachläßigt ist, jedoch als der zweitgrößte, von anderen äußeren und inneren Bedingungen geprägte Staat das Bild Deutschlands im 19. Jahrhundert erweitert und differenziert. Außerdem erlaubt die Größe Bayerns einerseits eher als die wesentlich größerer Staaten noch flächendeckende Untersuchungen, die die Aussagenzufälligkeit kleinräumiger Studien vermeiden, und andererseits doch den Vergleich zwischen historisch unterschiedlichen, für mitteleuropäische Strukturtypen repräsentativen Regionen51. Aufgrund solch exemplarischer Qualität regionaler Lebensformen kann die Beschreibung bayerischer Phänomene auch auf allgemeinere Entwicklungen verweisen52. Der Blickwinkel vom Staat und von den Kirchen her umgrenzt und unterteilt auch die Zeitspanne der Untersuchung. Den Beginn bestimmt der gerade Bayern nachhaltig betreffende ›napoleonische‹ Umbruch Mitteleuropas, durch welchen der im 18. Jahrhundert eingeleitete Wandel für die politische wie die religiöse Orientierung erst aus dem Stadium der Programme und Detailreformen zur Breitenwirksamkeit durchbrechen konnte. Das Thema gliedern die Einschnitte in der öffentlichen Entwicklung Bayerns, wie sie lange primär Staat und kulturelle Eliten, dann aber zunehmend breite gesellschaftliche Kräfte zwischen ›modernisierenden‹, traditionshegenden und Kompromißphasen setzten. Den Abschluß gibt das Ende der Monarchie vor; es veränderte nicht nur mit einer neuen Konstellation zwischen Gesellschaft und Staat dessen mentalen Einfluß auf jene tiefgreifend, sondern betraf auch den Einfluß der in ihrer Stellung und in ihrem Selbstverständnis verschobenen Kirchen. Jedoch wird bereits die Zeit des Ersten Weltkriegs nicht mehr behandelt, da sie mit ihrer ideologischen und psychologischen Massenmobilisierung die staatliche wie die kirchliche Breitenprägung schon in eine Ausnahmesituation gebracht hatte.

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2. Reformrationalismus und Traditionsbeharrung im ›modernen‹ Staatsbayern

2. 1. Entwicklungsdirigismus und Gesellschaftsverfassung in der Montgelaszeit Am Beginn des 19. Jahrhunderts entstand im Umbruch Mitteleuropas unter der Regie des Grafen Montgelas Staatsbayern als neue politische Einheit mit neuen inneren Ordnungen1. In diesen »eigentlich revolutionären Jahren der deutschen Geschichte«2 erlaubten und erzwangen exogene und endogene Faktoren zusammen eine Politik von außerordentlichem Gestaltungswillen und -erfolg: der Untergang des Alten Reiches und seiner Verfassung, enorme Staatsaufgaben aufgrund der raschen Gebiets- und Bevölkerungsexpansion und der ständigen Kriegslasten und dazu erhöhte Leistungsansprüche der Gesellschaft. Der bürokratisierte aufgeklärte Absolutismus erhielt die Chance, seinen Entwicklungszielen schnell nahe zu kommen. Von starken traditionalen Fesseln durch den Zusammenbruch der Feudalverfassung befreit, von einer reformfreudigen Öffentlichkeit bestärkt und von einem großen Staatsmann mit ungewöhnlicher Machtfülle und Kontinuität geführt, konnte er im 18. Jahrhundert oft mühsam eingeleitete Reformen nun durchschlagend bündeln. Damit legte er in wenigen Jahren die Grundlagen Bayerns für ein Jahrhundert. Die staatliche und gesellschaftliche Ordnung wurde aus utilitaristischen wie philanthropischen Motiven nach rationalen Plänen und mit autoritären Mitteln effizienzorientiert umgeformt. So entstand in einem breiten Innovationsschub eines der ›modernsten‹ Gemeinwesen Mitteleuropas. In doppelter Weise prägten hier Leitziele des 18. Grundformen des 19. Jahrhunderts. Denn in die Staatsräson waren Werte der bürgerlichen Aufklärung eingeflossen, da sie immer mehr von bürgerlichen Juristen exekutiert wurde. Indem der Bürokratismus die bürgerliche Aufklärung eng an den Spätabsolutismus band, entschärfte er sie zunächst als potentielle Opposition und stärkte die Staatsautorität. Die Montgelas-Bürokratie war durch eine außerordentliche innere und äußere Konstellation begünstigt. Sie wirkte in einer Verfassungssituation zwischen dem Ende der Feudalordnung und der Entfaltung bürgerlicher Emanzipation und Partizipation3. Und sie verfügte über eine relative Souveränität; wo diese beschränkt war, stand das Land unter französischem Modernisierungseinfluß. So gelang trotz des Widerstands der traditional legitimierten und privilegierten Opfer eine ein- und durchgreifende Staatsaktivität. Das geschah nun allerdings in einer Phase wachsen23 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

der Emanzipationsbestrebungen auf dem Boden der bürgerlichen Aufklärung. Teilweise wirkten sie innerhalb der Bürokratie auf eine Selbstbeschränkung von Krone und Regierung hin und führten - über ein Zweckbündnis mit altständischen Interessen - 1818 zu einer Verfassung und einer gewissen Gemeindeselbstverwaltung. Das war die letztendliche Konsequenz des aufgeklärten Absolutismus. Daneben formierte sich, unabhängig von Staatsräson und Beamtendisziplin, als gesellschaftliche Oppositionsbewegung in Vereinen und Presse der Frühliberalismus; die Verfassung bot ihm im Landtag ein offizielles Forum4. Er lud sich zum Teil gegen den französischen Druck nationalromantisch auf und paktierte auch mit traditionalen Opponenten gegen den Machtanspruch des bürokratischen Monarchismus. Zunächst jedoch erfolgte die Globalsteuerung fast nur als Resultante der Kräfte innerhalb der Staatsorganisation. Diese war von der Gesellschaft mit ihren Partikularinteressen weitgehend gelöst, in Staatsorgane systematisiert, von einer privilegierten, disziplinierten und leistungsorientierten Beamtenschaft getragen und dem Hoheitsmonopol nahe gekommen5. Damit bot sie auch für ›Progressive‹ die stärksten Wirkungsmittel, denn der soziokulturelle Entwicklungsdruck aus der Gesellschaft verdichtete sich erst und der sozioökonomische war noch schwach. Der erste, vorindustrielle Reformschub war in Bayern, auch wo er bürgerlichen Ideen folgte, weit geringer gesellschaftlich bedingt als staatlich verordnet. Dadurch führte er zwar weniger in soziale Konflikte. Aber er wirkte zum Teil so dirigistisch, daß nicht nur Widerstände der Betroffenen, sondern strukturelle Mißerfolge zu erheblichen Kurskorrekturen zwangen, die für den Staat und sein Programm nicht eben warben. Denn im entstehenden Staatsbayern dominierten noch alteuropäische Gruppen, Institutionen, Verhaltensweisen. Drei Viertel der Bevölkerung lebten auf dem Land in einer überwiegend traditionsgeleiteten agrarischen oder agrarisch-kleingewerblichen Umwelt6, Ökonomisch herrschten überkommene mittel- und kleinbäuerliche Formen von Arbeitsverfassung, Produktion, Verteilung und Konsum. Die sozialen Rollen und kulturellen Bräuche in Haus und Familie, Nachbarschaft und Gemeinde galten wie seit Generationen, soweit nicht von außen der Staat Wandel erzwang. Deformiert, ja zerrüttet wurde das Wirtschafts- und Sozialgefüge und damit das Alltagsverhalten allerdings seit dem späten 18. Jahrhundert in fränkischen und schwäbischen Gebieten, vor allem in solchen mit Realerbteilung, durch regionale oder lokale Übervölkerung. Altbayern hingegen blieb davon größtenteils unberührt. Hier wie dort griff jedoch in die katholischen Gebiete die Säkularisation tief ein7. Da der geistliche Grundbesitz vom Staat teilweise verkauft wurde, bewirkte sie im bäuerlichen, von der grundherrschaftlichen Bindung bestimmten Bereich erstmals eine nennenswerte Bodenmobilität, schuf einen freien Grundstücksmarkt. Sie drückte viele Klosterhandwerker und -diener in eine Kleinstbauernexistenz oder zwang sie in die Unterschichten der Städte und machte nicht wenige Immobilienspekulanten reich, löste also eine ge24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

wisse Reagrarisierung und vertikale wie horizontale Mobilität aus 8 . Mit den Klöstern und Stiften löschte sie Versorgungs- und Orientierungszentren, die materielle, physische und psychische Daseinssicherung geboten und Sitte und Brauch mitbestimmt hatten. Obwohl so die Arbeits- und Besitzstrukturen, die Statusverteilung, das Netz der Bezugskräfte in Bewegung gerieten, veränderte sich der ländliche Lebensraum nirgends zu einer neuen Qualität. Wesentlich dafür war auch, daß der Adel trotz politischer Entmachtung durch den souveränen Staat kraft Tradition und mit seinen herrschaftlichen Restrechten bei seinen ›Leutenï seine Autorität als wirtschaftliche, soziale und politische Bezugsperson behielt. Das galt insbesondere im klassischen Adelsland Franken9. Ähnlich der ländlichen lebte ein großer Teil der Stadt- und Marktbevölkerung noch unter überkommenen Arbeitsbedingungen10. Es waren die eines technologisch eher rückständigen Kleingewerbes, das im Ackerbürgertum altbayerischer Märkte und neubayerischer Kümmerstädte in den agrarischen Bereich überging, eines Kleinhandels mit wenig beweglichen Geschäftsformen, eines eng umgrenzten Subalterndienstes für Gemeinde, Kirche, Stiftungen, eines Dienstes im Haus jener Gewerbs- und Kanzleileute. Aus der ökonomischen Position folgte ein brauchnormierter Lebensstil. Er band unter dem Leitwert ›Zunftehre‹ den Tages- und den Lebenslauf mit Symbolen und Riten an sakral verankerte und durch rigide Sanktionen gesicherte Traditionen, die Status und Lebensstandard zuschrieben. Als diese Menschen nun allmählich mit neuen Produktionstechniken und ungewohnten Formen der Betriebsführung konfrontiert und zugleich von der Überbesetzung zahlreicher Gewerbe (in die vor allem ländlicher Bevölkerungsüberschuß floß) bedrängt wurden, verhärteten sie sich in der Defensive noch. Die Alltagswelt vieler Kleinbürger erstarrte und wurde vom wirtschaftlichen Fortschritt, der Bevölkerungsentwicklung und dem kulturellen Stilwandel überholt. Trotz verbreiteter Scheinsicherheit bot sie dem einzelnen weniger Lebenschancen und fiel in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung zurück. Solche Verengung kennzeichnete auch einen nicht geringen Teil des größeren Wirtschaftsbürgertums. Fernhandel und Luxusgewerbe der ehemaligen Reichsstädte und Bischofssitze waren schon im 18. Jahrhundert von wirtschaftlichem Niedergang erfaßt worden, was wie z. Β. beim Nürnberger Patriziat zu einer besonders prätentiösen und zeremoniösen Lebenshaltung führte11. Oder sie sanken durch die Säkularisation aus einer Spätblüte in ökonomische Abseitigkeit, soziale Beschränkung, kulturelle Resignation. In der Wirtschaft Münchens, die der nun königliche Hof und die Zentralfunktion in einem Mittelstaat belebten, begann erst der Aufschwung. Die Gruppe dynamischer Unternehmer, unter ihnen eine Reihe Juden, war noch klein, die Zahl großer Betriebe in Staatsregie oder Privathand noch kleiner12. Fortschrittsorientiert und dementsprechend am ehesten überterritonal, gesamtbayerisch eingestellt war in erster Linie ein aufgeklärtes Bildungsbürgertum, zu dem Minderheiten aus Adel und Geistlichkeit traten13. Es wirkte 25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

allerdings trotz seiner ausgreifenden Öffentlichkeit weniger als soziale Gruppe denn durch den Staat, in dessen Dienst es großenteils stand. ›Geist‹ und Amt dieser aufgeklärten Reformbürger machten ihr Handeln deterministisch und autoritär. Denn sie waren in Fragen der Wirtschafts- und Sozialordnung mehr ideenfixiert als praxiserfahren und in der Verfolgung ihrer Ziele mit der Staatsmacht ausgestattet wie durch sie zugleich gebunden. Diese überwiegend traditionale Gesellschaft handelte noch mehrheitlich in ständischen Kategorien und stellte sich auch so dar. Tiefer als die Selbstentwicklung griff von außen ein krisenhafter Umbruch ein: eine Reihe von Kriegen mit schwersten Folgen, eine einschneidende politische Umwälzung durch Säkularisation, Mediatisierung und napoleonische ›Raumordnung‹, ein breiter wirtschaftlicher Niedergang14. Er störte, ja zerstörte nicht selten den Lebensraum vor allem der unteren Schichten psychisch, materiell und sozial. Deren institutionalisierte Lebensordnung und damit das gewohnte Orientierungsfeld wurden so getroffen, daß das erlernte Verhaltensrepertoire oft versagte. Jene Belastungen häuften sich zu einer ›Verstörung‹, unter der das Umweltvertrauen langfristig erschüttert wurde. Die ›kleinen Leute‹ begannen zum Teil vor allem von der überlieferten Moral im Sexual-, im Arbeits-, im Gemeinschaftsleben abzuweichen; und sie wurden durch politischen und sozialen Autoritätsverfall für kollektiven Protest mitdisponiert. Der überlieferte, doch erschütterte Alltag wurde nun in verschiedener Hinsicht vom Staat überformt. Dem ländlichen Bereich verordnete man mit der Errichtung politischer Gemeinden, der Einleitung der Bauernbefreiung, einer gewissen Besitzindividualisierung (Allmendenaufteilung) und dem Drängen auf wirtschaftliche Reformen einen mehrdimensionalen Ordnungswandel15. Man überforderte dabei allerdings oft Leistungsfähigkeit und Umstellungsbereitschaft der bäuerlichen Bevölkerung, wenn man ihr u. a. die Hauptsteuerlast in jenen an Abgaben so drückenden Jahren auflud, zugleich auf rasche Innovationserfolge drängte und dabei mentalitätswidrig, intellektuell statt sensuell, ›augenfällig‹ zu überzeugen suchte. Neben diesem zwar überzogenen, aber in den Grundzügen relativ kontinuierlichen Entwicklungsdruck griff eine einschneidende Gewerbe- und Handelspolitik in den Alltag vor allem in Stadt und Markt, aber über das verbreitete Landhandwerk auch in den des Dorfes. Von Produktionswandel, Arbeitsmarkt und außenwirtschaftlichen Einflüssen stärker betroffen, war sie in ihrer Tendenz weniger eindeutig16. Zunächst ging sie die Rückständigkeit und Überfüllung im Handwerk, den sinkenden Binnen- wie Außenabsatz und die beginnende industrielle Konkurrenz mit einer weitgehenden Liberalisierung der Gewerbezulassung und der Produktions-, Distributions- und Konsumbedingungen an. Jahrhundertealte Wirtschaftsformen und damit auch korporativ privilegierte Lebensformen wurden abgebaut. Mit solchen Eingriffen und aufgrund der ökonomischen Erschöpfung der Zeit überforderten die neuen Chancen und Zwänge auch hier häufig Qualifikation, Motivation und 26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

das soziale Selbstverständnis, wie sie die Zunft geprägt hatten. Als sich zudem die Oberbesetzung verschärfte und der Konkurrenz druck aus dem Ausland wuchs, griff man wieder zu Schutz- und Lenkungsmaßnahmen, aus denen später im Vormärz eine Restriktionspolitik wurde. Die Entfesselung des Gewerbes hatte zwar die Arbeitsplätze vermehrt und den Konsum begünstigt; sie nützte vorerst jedoch in erster Linie einem kleinen Kreis bürgerlicher Unternehmer und besonders beweglicher Handwerker. Als ›Flächenmaßnahme‹ erzielte auch sie nur Teilerfolge. Aber dieses weitreichende Konzept wirkte weiter, da sich jede Wirtschaftspolitik im 19. Jahrhunden mit ihm auseinandersetzen mußte. Die Entwicklungspolitik lief sich nicht nur am relativ niedrigen Ausgangsniveau, an der enormen Kriegsbelastung und an überkommenen Lebensformen fest. Sie provozierte auch aktiven Widerstand oder passive Resistenz ›alter‹ Gruppen und Institutionen, die sie hemmten und teilweise wieder zum Rückzug zwangen17. In einer noch vorwiegend traditionsgebundenen Gesellschaft konnte eine umwälzende staatliche Planung, der kein starkes modernes Bürgertum zuarbeitete, einen raschen Wandel nicht leisten. Aber sie konnte einen Ordnungsentwurf in der Wirklichkeit und im öffentlichen Bewußtsein so fundieren, daß er bis zum Ende der Monarchie und in manchen Bereichen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts jeder Politik in Bayern den Rahmen setzte. Die Leitziele der Innenpolitik Montgelas' waren, funktional miteinander verbunden, Integration und Effizienz. Um ihnen nicht von vorneherein jede Wirkung in der Gesellschaft zu verbauen, mußte die rationale Staatsverwaltung18 auch an überkommene Werte und Bräuche anknüpfen. Und sie mußte sich der Mitwirkung breitenwirksamer alter Instanzen versichern, vor allem der Kirchen. Erschwert wurde die Integration durch die Sonderstellung der linksrheinischen Exklave Staatsbayerns, der Rheinpfalz19. Zugleich förderte diese jedoch die ›Modernisierungspolitik‹, da sie ihr in vielem ein Modell bot. Denn infolge der zwanzigjährigen Formung durch und in Frankreich bestand in Verfassung, Recht, Wirtschafts- und Sozialgefüge ein so erhebliches Gefälle zum rechtsrheinischen Bayern, daß Montgelas der Pfalz ihre ›Rheinischen Institutionen‹20 weitgehend beließ und diese Modernität dem Hauptteil Bayerns als langfristiges Ziel vorsetzte. Beide Landesteile glichen sich dann auch in den beiden ersten Dritteln des 19. Jahrhundert schrittweise an, und zwar überwiegend durch eine ›Palatinisierung‹21 des rechtsrheinischen Teils. Lange prägte das französische Erbe eine spezifisch pfälzische Umwelt, die vielfach zu anderen Einstellungen und Verhaltensformen als im rechtsrheinischen Bayern führte. Sie waren vor allem merklich bürgerlicher und damit stärker säkular, liberal, national. Dieser Unterschied der Institutionen und Mentalitäten beeinflußte auch Erscheinung und Erfolg der Kirchen, besonders der protestantischen, und schlug selbst in der Volksschule, so sehr diese vor anderen Instanzen Bayern integrieren sollte, durch. 27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

2.2. Der mentale Staatsanspruch 2.2.1. Bürokratisches Ordnungshandeln: Rationalität und Homogenität Der administrativen Alltagssteuerung nach den Leitzielen Integration und Effizienz leisteten zwar traditional-ständische wie auch bereits bürgerlichnationale Gewohnheiten und Interessen Widerstand, boten regionale Prädispositionen unterschiedliche Chancen, nahmen Not und Irritation Wirkung22. Doch gleichzeitig arbeitete ihr die Eigendynamik vieler wirtschaftlicher, sozialer, kultureller Kommunikationsvorgänge und Leistungszwänge vor, denen die Bevölkerung im Lebensrahmen Staatsbayerns von Anfang an unterlag. Weder im ehemaligen Kurbayern noch in den neubayerischen Gebieten konnte man sich, von einer dünnen Oberschicht abgesehen, diesem Integrations- und Innovationssog entziehen. Unterstützt durch diese ›normative Kraft des Faktischen‹, griff eine reformierte Monopolverwaltung mit einem Bündel von Ordnungsmaßnahmen in die Lebenswelt der ›kleinen Leute‹. Sie zielte auf möglichst rationale, d. h. gleichförmige und leistungsfähige Formen der Herrschaftsausübung und der Rechtswahrung, der Besteuerung und der öffentlichen Wohlfahrt, des Infrastrukturausbaus und der Wirtschaftsförderung, der Siedlungs- und Baunormierung, der Vorgaben für die agrarische und gewerbliche Produktion, für Handel und Konsum, der Reglementierung von Ehe und Familie, Gemeinschaft und Geselligkeit, Moral und Glauben23. Eine heterogene, überwiegend traditionsgeleitete Bevölkerung wurde durch ein ausgebreitetes Verwaltungshandeln, in welchem sie den neuen Staat vor allem erlebte, allmählich auf einen Bezugsrahmen und dessen ›vernünftige‹ Maßstäbe umorientiert. Die Beamten begannen, ihr eine neue kollektive Identität zu vermitteln sie zur Gesellschaft zu integrieren und ihr Umweltverhalten zu ›modernisieren‹. Daß der soziale und kulturelle Zustand der ›breiten Bevölkerung‹ dabei in der Regel keinen raschen und durchgehenden Einstellungswandel erlaubte, zumal die Bürokratie oft mit Ungeduld drängte statt geschmeidig lenkte, ist offensichtlich. Außerdem entzogen sich bestimmte Bereiche dem Reformzugriff. Landesweit bestanden integrations- und modernisierungsresistente Traditionselemente des Rechts, der Grundherrschaft, der Wirtschaft weiter. Adelsherrschaften durchbrachen als Sonderbezirke, als partiell eigene Lebenswelten auf der unteren, besonders alltagsrelevanten Ebene die Decke des Monopolstaates. Unter dieser Decke übten die Gemeinden lokalspezifische Formen öffentlicher Gewalt, d. h. eine sozioökonomisch und soziokulturell meist stark an überlieferten Werten und Bräuchen ausgerichtete Alltagsbeeinflussung. Dennoch reichte die Kompetenz der Bürokratie auch faktisch so weit, daß sie wie in kaum einem anderen deutschen Staat die Grundlinien einer homogenen Ordnung in die Gesellschaft prägen konnte, die das 19. Jahrhundert dann zunehmend ausfüllte. Hand in Hand mit solch unmittelbarer, alltagsumspannender Beanspru28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

chung ging die spezielle Vermittlung von Einstellungen, wie sie Staatsidee und Entwicklungsprogramm forderten, durch eine eigene öffentliche Einrichtung: die Pflichtvolksschule. 2.2.2. Die Volksschule als autoritäre Aufklärungsinstanz Um die schulische Breitenbildung hatten sich seit dem 16. Jahrhundert in erster Linie die Kirchen bemüht24. Im späteren 18. Jahrhundert war dann auch von den territorialen Obrigkeiten lebhaft versucht worden, die Volksschule organisatorisch und pädagogisch zu verbessern und die Schulpflichtigkeit aller Kinder durchzusetzen25. Doch die Realisierung stieß auf starke Hindernisse: eine schwerfällige und auf unterer Ebene oft wenig effiziente Verwaltung, Kompetenzstreit zwischen Beamten und Geistlichen, Bildungszielkonflikte zwischen Traditionalisten und Anhängern der Aufklärung und unter diesen wieder zwischen der philanthropisch-militaristischen und der neuhumanistischen Richtung, Mangel an qualifizierten Lehrern. Die Bedeutung der vielen Schulreformentwürfe dieser reformbesessenen Zeit lag weniger in der unmittelbaren Wirkung als in der Vorbereitung der umfassenden Neugestaltung am Beginn des 19. Jahrhunderts26. Erst die energische Montgelas-Bürokratie konnte die Pläne des 18. Jahrhunderts gegen Gruppeninteressen und individuelle Lethargie in ihren wesentlichen Elementen verwirklichen. Kernstück dieser bedeutendsten Schulreform in der neueren Geschichte Bayerns war, daß 1802 die allgemeine Schulpflicht vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr verbindlich wurde 27 . 1803 dehnte man sie mit der Sonn- und Feiertagsschule auch auf die ältere Jugend bis zum 18. Lebensjahr aus, die bereits in Haus und Hof oder in einem Gewerbe arbeitete28. Damit war eine allgemeine und gleiche Prägung institutionalisiert, die jeden im lernfähigsten Alter ergriff. Der ›moderne‹, vom Prinzip der Rationalität geleitete bürokratische Staat zog so entschieden Bildungsfunktionen aus der hausväterlich-ständischen Umwelt an sich. Bisher hatten die ›kleinen Leute‹ ihre ›soziokulturelle Kompetenz‹ überwiegend in einer »Erziehung durch Umgang und Umwelt« 29 erworben, die im vorbildhaften Handeln von Hauseltern, Meister, Gesinde, Nachbarschaft und Jugendgruppenführer nach Sitte und Brauch und durch den gesamten Lebensvollzug in Haus, Hof und Gemeinde, in Arbeit und freier Zeit erfolgte. In sie schob sich nun ein reflektierter, spezialisierter, systematisierter Bildungsvorgang. Seine Ziele, Inhalte und Formen waren aufgrund einer programmatischen Anthropologie formuliert. Und er wurde von einem eigens qualifizierten Pädagogen in einem eigenen, aus der Alltagsszene ausgegrenzten Raum, in einer eigenen, aus dem gewöhnlichen Tagesablauf ausgesparten Zeit regelmäßig durchgeführt30. Zwar wurde dieses Modell in der Regel erst allmählich im Lauf von Jahrzehnten gegen Widerstände der Bevölkerung und innere Funktionsschwächen verwirklicht, wie weiter unten 29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

ausgeführt werden wird. Aber prinzipiell richtete der Staat am Beginn des 19. Jahrhunderts im Erziehungs- und Bildungsfeld der ›kleinen Leute‹ einen gewichtigen Sektor in eigener Regie ein. Er trug damit direkt und durch die sozioökonomischen Folgen mittelbar zur Auflösung des ›ganzen Hauses‹ in funktionsbestimmte Sozialgebilde erheblich bei. Sein Motiv, das ja einen beträchtlichen organisatorischen und finanziellen Aufwand auslöste, ergab sich aus dem politischen Programm der aufgeklärten Staatsführung. Als diese die im 15. Jahrhundert eingeleitete Entwicklung zum Monopolstaat zugleich als Gesellschaftsreform entschlossen zu Ende führte, mußte sie auch auf eine möglichst einheitliche Mentalität der Bevölkerung dringen. Im Schulmonopol des säkularisierten, souveränen Staates erreichte die geistig-seelische Verfügungsgewalt über die ›breite Bevölkerung‹, die einst mit dem ius visitandi et reformandi des katholischen31 und dem Summepiskopat des evangelischen Landesfürsten eingesetzt hatte, ihren vortotalitären Höhepunkt. Die Volksschule hatte, indem sie die sanktionierten Werte, Normen und Leitbilder allgemein einübte und die nötigen, förderlichen und zulässigen Kenntnisse vermittelte, eine staatsbayerische Gesellschaft mit zu integrieren. Oder, wie es die Lehrer-Instruktion von 1806 ausdrückte: »Bildung der Nation und Aufklärung des Volkes über seine heiligsten und wichtigsten Angelegenheiten«32. Deshalb war auch der Besuch ausländischer Schulen anstelle der ›vaterländischen‹ verboten33. Nach den machtpolitischen, leistungswirtschaftlichen und sozialphilosophischen Staatsgrundsätzen durften die ›kleinen Leute‹ nicht mehr auf ihren durch Geburt und Stand zugewiesenen Bildungskreis beschränkt bleiben. So sehr der ständische Lebensraum auch im Gesellschaftsbild der deutschen Aufklärung und des Frühliberalismus konstitutiv blieb - er mußte dem allgemeinen des ›Bürgers‹ ein- und untergeordnet werden. Die überkommenen Horizonte in den unteren Schichten sollten aufgebrochen und von einer gesamtgesellschaftlichen Orientierung überwölbt werden. In dieses Grundmotiv, das die allgemeinste Aufgabe der Volksschule festlegte, flossen nun die verschiedenen pädagogischen Konzepte des 18. Jahrhunderts ein. Der Philanthropismus forderte Volksaufklärung, von der kulturellen Elite vernünftig dosiert, als Bedingung des jedem Menschen naturrechtlich zustehenden Glücks. Dieses setzte über das tradierte Verhalten im Geburts- und Berufsstand hinaus bewußte individuelle Selbstverwirklichung im zukommenden politischen und sozialen Rahmen voraus 34 . Die potentielle Emanzipationswirkung solch autoritären Eudaimonismus blieb dabei in der Regel undiskutiert, weil offenbar kaum vorausgesehen35. Der Utilitarismus sah die Aufklärung der breiten Bevölkerung in erster Linie als ökonomische Qualifizierung, als Voraussetzung einer erhöhten Prosperität des Landes36. Da aufgeklärte Beamte, Hofmarksherren oder Landpfarrer häufig weder mit Überredung noch Zwang sich gegen das magische Weltbild und die zählebigen Produktions- und Konsumtraditionen der Bauern und Handwerker hatten durchsetzen können37, mußte durch syste30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

matische Information und Verhaltensprägung die überkommene Mentalität für Innovationen aufnahmebereit gemacht werden. Fortschritt, Planung, Gewinnmaximierung sollten für die kommenden Generationen wie über die Kinder und ihre Schulbücher auch schon für die gegenwärtige Brauch und ›Nahrungssicherung‹ als Leitwerte der Arbeit ablösen38. Der Neuhumanismus forderte ebenfalls die Pflichtvolksschule als wirksamste Institution zur ideenorientierten Umprägung der ›breiten Bevölkerung‹. Allerdings folgte sein Hauptvertreter in Bayern 39 weniger dem Humboldt'schen Ziel der »einen Nationalschule mit fließenden Übergängen zwischen ihren Stufen«40, sondern dem einer privilegierten bürgerlichen Bildung. Früher und klarer als in Preußen schob der Neuhumanismus hier die Volksbildung in Richtung einer sozial und kulturell restriktiven Untertanen-Erziehung, während pädagogischer Philanthropismus und Utilitarismus mehr die allgemeine Volksbildung im Blick hatten. Auch im Bereich der katholischen Kirche bemühte man sich auf der Grundlage jahrhundertealter Erfahrung nun zeitbedingt besonders lebhaft um die Volksbildung41. Zwar sollte die Schule der geistigen und moralischen Institution Kirche untergeordnet, die Pädagogik ancilla theologiae bleiben. Aber diese Theologie veränderte sich im aufgeklärten ›Zeitgeist‹ teilweise so, daß Volksbildung nicht nur unter dem Blickwinkel der Heilsvermittlung, sondern auch als ökonomische, soziale, kulturelle Kompetenzvermittlung bewertet wurde 42 . Im fränkischen und schwäbischen Protestantismus, wo die Aufklärungstheologie herrschte, rückten philanthropische und utilitaristische Motive noch viel stärker vor, ohne sich freilich von der pastoralen Legitimation zu lösen43. Eine solche pädagogische Verselbständigung erfolgte offenbar nur, vor allem aufgrund der Sonderentwicklung in der französischen Zeit, in der reformierten und zum Teil auch in der lutherischen, ja selbst in der katholischen Geistlichkeit der Rheinpfalz. Die Auseinandersetzung über Stellung und Aufgabe der Volksschule war bis weit in den Vormärz hinein in Konflikt und Kompromiß ein erregendes Dauerthema im öffentlichen Diskurs und zwischen den großen Ordnungsinstitutionen. Für die Sozialisationsgeschichte bedeutsam wurden allerdings nur die Positionen und Programme, welche die entscheidungsbestimmende Bürokratie gewinnen oder doch beeinflussen konnten und sich in Verordnungen, Lehrplänen und Schulbüchern niederschlugen. Wie die Konstellation der Kräfte durch die wechselnde Besetzung von Schlüsselstellungen variierte44, ist lediglich von ideengeschichtlichem Detailinteresse. Hier genügt der Hinweis, daß der Bildungsvorgang in einem mehrpoligen pädagogischen Feld mit wechselnden Schwerpunkten und heterogenen Verdichtungszonen jeweils aus den Normen der Bürokratie und teilweise der Kirchen, aus der Haltung von Lehrer und Pfarrer und aus dem soziokulturellen Lokalrahmen resultierte. Daß die Volksschule, ebenso wie die aus verschiedenen Strömungen des 18. Jahrhunderts gespeiste, vom Rationalismus nur dominierte Gestalt 31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Montgelas-Bayerns allgemein, keineswegs monoform war, zeigt die Einrichtung der geistlichen Schulaufsicht45. Zwar war der Charakter der Volksschule als monopolstaatliche »Polizey-Anstalt« festgelegt46. Doch da sie um ihrer Einheitlichkeit und Effizienz willen eine dichte und regelmäßige Durchführungskontrolle erforderte, konnten die Kirchen durch die Säkularisation verlorenes Volksbildungsterrain teilweise wieder gewinnen: sie besetzten mit Pfarrern als Distrikts- und Lokal-Schulinspektoren die Schaltstellen zwischen der Verwaltung und den einzelnen Schulen47. Diese für die Volksschule außerordentlich folgenreiche geistliche ›Mediatisierung‹ der Lehrer hatte zunächst vor allem pragmatische Gründe. Aus der Beamtenschaft konnte man aus personellen und finanziellen Gründen keine flächendeckende hauptberufliche Schulaufsicht aufstellen; eine zusätzliche Belastung zahlreicher Beamter - selbst wenn sie geeignet gewesen wären - kam in einer Zeit des arbeitsintensiven Staatsumbaus und -ausbaus auch nicht in Frage. Die Geistlichkeit hingegen betrieb schulische Volksbildung seit Jahrhunderten und engagierte sich sehr im pädagogischen Diskurs der Zeit, lebte und amtierte anders als die Beamten dicht gestreut auch auf dem Land und verfügte, vorerst in der Regel nur mit den tradierten Pastoralformen befaßt, über hinreichend Zeit48. Sie bot sich für den Aufbau und die Überwachung der Pflichtvolksschule ›vor Ort‹ einfach an, was einige Geistliche in administrativen Schlüsselpositionen nachdrücklich zu betonen wußten 49. Zunächst Übergangslösung, hielt sich die geistliche Schulaufsicht als ein zentrales Element der öffentlichen Volksbildung gegen alle politischen und pädagogischen Angriffe über ein Jahrhundert. Gerade an ihr sollten sich die weltanschaulichen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts auch in Schule und Gemeinde zumal auf dem Land entzünden. Die Bildungsaufgabe der Volksschule, in einem Landeslehrplan einheitlich festgelegt50, war ein Kompromiß zwischen den Leitzielen umweltbezogene Qualifizierung (Realienschule) und formalisierte Orientierung (Moralschule), die in den folgenden Jahrzehnten je nach ›Zeitgeist‹ und Schlüsselfiguren abwechselnd dominierten. Die Bildungsinhalte waren so umfangreich und anspruchsvoll, waren so sehr Maximalprogramm, daß sie Lehrer und Schüler überfordert und die ›kleinen Leute‹ zur Freistellung der Jugend von der Arbeit in Haus, Feld und Werkstatt in einem unzumutbaren Maß gezwungen hätten51. So erreichte die Schüler in der Regel das Bildungsprogramm nur zum Teil, je nach den Fähigkeiten und Interessen des Lehrers, Direktiven des Pfarrers, vorhandenen Lehrmitteln, nach den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen und kulturellen Vorgaben in der Gemeinde. In einer für die Aufbauphase einer Instanz typischen Weise wurde der Auftrag zunächst nur teilweise und oft in unterschiedlicher Auswahl und Reichweite erfüllt. Angesichts dieser nur allmählichen Vereinheitlichung generalisieren die Aussagen über die Prägung in der Volksschule des frühen 19. Jahrhunderts die regionale und lokale Realität. Das Bildungsziel ergab sich aus der Anthropologie der politisch und kultu32 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

rell führenden Gruppen. »Die allgemeine Bestimmung jedes Menschen ist reine Sittlichkeit: die besondere ist Brauchbarkeit, d. h. als ein Glied der bürgerlichen Gesellschaft muß er in den Stand gesetzt werden, zu seinem und zu dem allgemeinen Wohl der Gesellschaft . . . das Möglichste beizutragen«52. Rationalismus und Utilitarismus forderten vor allem soziale Kompetenz und als Voraussetzung dazu eine gesellschaftsbezogene Moral. Doch auch für diese erheblich säkularisierten Leitwerte war die ›breite Bevölkerung‹ noch immer durch die religiöse Motivation am zugänglichsten. Auch eine Politik aus Ideen der Aufklärung sah sich auf die Frömmigkeit verwiesen, wenn sie ihre Ordnung vor den ›kleinen Leuten‹ legitimieren und ihnen vermitteln wollte. Noch wurden die Popularphilosophien erst in den höheren Schichten rezipiert, noch hatten die Konfessionen in der ›breiten Bevölkerung‹ in Stadt und Land nahezu ein Weltanschauungsmonopol. Gegen die kirchlich verfaßte Religion oder auch nur ohne Bezug zu ihr konnten neue Einstellungen und Verhaltensformen gesellschaftlich kaum verankert werden. Allerdings bestimmte das säkulare Staatsprogramm Art und Stellenwert der Religion in der Volksbildung, funktionalisierte sie zur sozial harmonisierenden Morallehre53. Die transzendente Bindung wurde vornehmlich um des alltäglichen Wohlverhaltens willen eingeübt, für »Arbeitsamkeit und Fleiß, Sparsamkeit und Genügsamkeit, . . . Demuth und Bescheidenheit«54. Hinter der ethischen Dimension blieb die dogmatische blaß und damit das jeweilige konfessionsspezifische Profil, so daß die Toleranz im vermittelten Religiositätsstil wichtig war. Neben der Religion in der Form der christlichen Moral wurde für die Verhaltensprägung auch die Tradition in der Form bewährter, vernünftiger Muster eingesetzt, aktuell präsent im modernisierungsverträglich stilisierten Verhaltensvorbild der älteren Generation55. Die Volksschule hatte also in erster Linie die ›breite Bevölkerung‹ für die autoritäre, durch partielle Traditionswahrung entschärfte Reformpolitik der Montgelas-Bürokratie möglichst gleichförmig mental verfügbar zu machen. Deshalb spielte in ihr trotz der prinzipiell aufgeklärten Position dieser Bürokratie, die sich am Gemeinwohl, nicht an den Interessen der privilegierten Schichten orientierte, die konsequente, von Pestalozzi repräsentierte Aufklärungspädagogik mit ihrem emanzipatorischen Bildungsziel keine wesentliche Rolle 56 . Bildung als Selbstbestimmung und Bildung als ›Volksbeglükkung‹ deckten sich so wenig, daß nur von den anthropologischen Grundlagen und politischen Implikationen isolierte didaktische Formen der Pädagogik Pestalozzis in die öffentliche Volksbildung gelangten57. Die zeitlos-allgemeinen Werte ›fromme Tugend‹ und ›nützliche Unterordnung‹ begründeten auch die aktuelle politische Haltung, die die Volksschule einübte, den bayerischen Reichspatriotismus. Besonders durch das vermittelte Geschichtsbild und durch den monarchischen Kult in Schulgesang und Schulfeier sollte in allen Regionen statt der alten territorialen Herrschaftstraditionen als Integrationsklammer und Ordnungsgarant die Loyalität zur bayerischen Dynastie und ihrem Staat aufgebaut werden. 33 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Zur religiös-ethischen und patriotischen Erziehung traten als kognitive Inhalte Kenntnisse und Fertigkeiten zur besseren Umweltorientierung und qualifizierten Lebensbewältigung: Schreiben, Lesen, Rechnen und die sog. gemeinnützlichen Gegenstände, d. h. der Mensch und seine Geschichte, die Erde und ihre Natur, die Arbeitswelt und ihre Produkte. Innerhalb der Grenzen ihres Führungsanspruchs, im Rahmen der der politischen und sozialen Ordnung zuträglichen Information der ›kleinen Leute‹ förderte die Bürokratie diese intellektuelle Elementarbildung lebhaft. Das geschah auch, weil sie von deren Effekt für eine vernünftige Moral, für die Beförderung der Tugend‹ überzeugt war. Da besonders das weite Feld der ›gemeinnützlichen Gegenstände‹ die Lehrer je nach ihrem Wissen und Interesse und den regional oder lokal vorherrschenden Bedürfnissen zu einseitiger Auswahl verführen konnte, insistierte man auf dem allgemeinbildenden Charakter, auf dem grundsätzlichen Unterschied zur (Aus)Bildung in Haus und Stand58. Maßgebend dafür waren außer philanthropischen vor allem die erwähnten pragmatischen Motive der Integration und der Wirtschaftsförderung. Wenn auch die tradierten Berufstypen und Produktionsformen in der bayerischen Wirtschaft noch lange vorherrschten, suchte die Staatsführung aus politischem Kalkül, wie sie es vom Spätabsolutismus übernahm, und aufgrund der ökonomischen Erfahrungen, wie sie das Beispiel der Produktionsrevolution in Westeuropa lehrte, alte Verhaltensformen gerade über die Schulbildung zunächst effizienter zu machen, dann aber auch schon abzubauen. Die Pflichtvolksschule sollte eine nach Staatsmaßgabe aufgeklärte Zukunftsgesellschaft wesentlich vorbestimmen und dazu Brauch und Vernunft möglichst spannungslos verbinden. Allerdings blieb sie in Organisation und materieller Ausstattung, Qualifikation der Lehrer und sozialer Resonanz zunächst trotz erheblichen administrativen, finanziellen und personellen Aufwands noch mannigfach gehemmt. Innere Schwächen und äußere Widerstände wuchsen dabei auf dem Weg von der Stadt zum Land sprunghaft. Entschieden stärker als diese Staatsinstanz prägten im frühen 19. Jahrhundert noch die Kirchen Weltbild und Verhalten der ›breiten Bevölkerung‹, obwohl sie gerade in dieser Zeit geschwächt und vom Staat besonders in Pflicht genommen waren. Sie müssen deshalb ausführlicher behandelt werden.

2.3 Katholische Kirche und Religion unter dem aufgeklärten Bürokratismus 2.3.1 Die Unterwerfung durch den Monopolstaat Für die katholische Kirche begann das 19. Jahrhundert in Deutschland in unerhörter äußerer Ohnmacht59. Bereits das 18. Jahrhundert hatte sie geschwächt: durch die territoriale Staatskirchenpolitik, durch innerkirchliche Kämpfe um Febronianismus und Episkopalismus, denen die lockere Interes34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

sengemeinschaft zwischen Rom und den Fürstbischöfen nahezu erlegen war, durch den politischen Machtverfall des Papstes, der ihn für die Reichskirche weiter entwertete, durch den Herrschafts- und Lebensstil des hohen Klerus, den der doppelte Angriff von Absolutismus und aufgeklärter Adelskritik traf, durch das bei den ›modernen‹ Eliten verbreitete Gegenbild einer Moralanstalt ohne Macht und Besitz. Derart unterhöhlt, war das tausendjährige Gebäude der Reichskirche im napoleonischen Umbruch eingestürzt; die Ruine wurde den bald souveränen Staaten überlassen. Mit dem Untergang der Herrschaftsverfassung der Hochstifte verkümmerte auch die Kirchenverfassung in den Diözesen, in denen der verbliebene Klerus60, oft ohne Verbindung mit Rom, Seelsorge vielfach improvisieren mußte. Bischofsstühle verwaisten, die Vikariate standen unter Staatsdruck, die Domkapitel lösten sich auf. Die Metropolitanverbände zerrissen, Diözesangrenzen wurden mit einem Federstrich geändert und manche Diözesen gingen unter61. Die Priesterausbildung wurde stark beschränkt62. Da so ihr Autoritäts- und Kommunikationsgefüge und ihr Normengerüst (das Kanonische Recht) durchlöchert, die Führungsschicht entmachtet, der Nachwuchs gedrosselt waren, verminderten sich die Wirkungschancen der katholischen Kirche. Allenthalben fielen die Bischöfe als personale Leitsymbole aus und in den Bischofsstädten wurde der Zerfall besonders eklatant, als viele Domherren sich in ein adeliges Landleben zurückzogen. Das Ende des fürstbischöflichen Hofstaates in Stadt und Sommerschloß, die Besetzung der Symbolgebäude der geistlichen Herrschaft durch Beamte und Soldaten des mediatisierenden Staates, das Abtreten der geistlichen Dienstherren und Auftraggeber verminderten, so groß zunächst die Erbitterung war, langfristig auch die Präsenz der Kirche im Lebensraum der ›breiten Bevölkerung‹. Schließlich zerfiel das Bild von der seit Menschengedenken unerschütterten Kirche weiter, wenn die Staatsbürokratie Orte und Gebiete rigoros kirchlich neuverteilte. Auch die Pastoration selbst nahm ab. Oft fanden jahrelang keine Firmungen statt, weil Bischöfe und Weihbischöfe fehlten oder zu alt waren. Kirchen und Kapellen wurden kaum mehr renoviert oder gar neu gebaut, sondern oft geschlossen, zweckentfremdet, abgerissen. Man hob Meßstiftungen auf und entzog Kirchenstiftungsmittel der Seelsorge und kirchlichen Repräsentation ζ. Β. für die Schule. Der Ausbildungsstop, die Verarmung der Rekrutierungsschichten des niederen Klerus, die aufgrund einer starken Verminderung der Sinekuren und eines kirchenfeindlichen Zeitgeistes schwindende Attraktivität des Berufes und die Abwanderung aufgeklärter Geistlicher in profane Positionen führten nach einiger Zeit zu akutem Priestermangel. Er traf vor allem die Streusiedlungsgebiete Altbayerns mit ihrem Filialkirchensystem63. Besonders schädigte die Aufhebung der Klöster die Seelsorge64. In den Städten schlossen sich die Pforten der gerade von den ›kleinen Leuten‹ viel besuchten Mendikantenkirchen, die Armen- und Krankenfürsorge mit ihrer zugleich pastoralen Bedeutung erlosch, in Stadt und Land als wundertätige Helfer in Not und Krankheit bekannte Franziskaner und Ka35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

puziner65 verschwanden in ›Aussterbeklöstern‹. Die Prälatenorden hatten vor allem auf dem Land mit dem Glanz ihrer barocken Repräsentation die Macht der Kirche eindringlich zelebriert, Wallfahrtskirchen und Bruderschaftsfeste betreut und viele inkorporierte Pfarreien versehen66. Über diese konkreten Pastoraldefizite hinaus schwächte ganz allgemein das Ausscheiden der Mönche aus den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen die Präsenz der Kirchenreligion. Nicht nur in ihren Hofmarken entfielen die Klöster nun als Zentren einer Subgesellschaft, was auch sichtbar wurde, wenn ihre Symbole auf Häusern und Mauern verschwanden, die Klosterbrauerei einging oder die Gebäude abgebrochen wurden. Die mentalen Konturen, die sie in ihr Umland geprägt hatten, verwischten sich, als allmählich die letzten Exkonventualen in den Pfarreien, als die einstigen Klosterdiener und -handwerker, als diejenigen, die dem Kloster Schulbildung67, Förderung oder Hilfe verdankten, starben. Wie vielseitig die Kirche an Einfluß verlor, zeigte sich auch daran, daß ihre jahrhundertealte lokale Informationsrolle schwand. U. a. wurden die staatlichen Bekanntmachungen zunehmend der Kanzel entzogen und den politischen Gemeinden übertragen68. Die in Struktur und Funktion erschütterte Kirche konnte nun vom Monopolstaat als Staatskirche neu organisiert werden, womit eine im 16. Jahrhundert eingeleitete Entwicklung ihr Ziel fand. Religionsedikt, Konkordat und die Organisations- und Zirkumskriptionsbulle für die bayerischen Bistümer69 schufen, von der Staatsführung nach ihren Interessen und mit ihren Machtmitteln exekutiert, eine Landeskirche, deren Verbindung mit Rom massiv kontrolliert wurde 70 . Ihre Grenzen fielen mit denen Staatsbayerns zusammen, die Bischöfe und Domkapitel wurden Figuren in der Personalpolitik der Regierung und Kostgänger des Staates, der Niederklerus war vom Staat präsentiert bzw. bestätigt71. Die Geistlichen aller Stufen sahen sich in hohem Maß den staatlichen Gesetzen unterworfen72. Außerdem nahm die Bürokratie den Pfarrklerus mit der Schulaufsicht als staatlichem Auftrag direkt in Pflicht; der Entzug, der Prestige und Einfluß minderte, war ein wirksames Sanktionsmittel gegen mißliebige Priester. Die Institution Kirche, räumlich, personell und pastoral in den Staatsrahmen eingegliedert, wurde in ihrer um 1820 für ein Jahrhundert geschaffenen Form von der Staatsführung nach dem Vorbild Montgelas' gezielt für die Integration und innere Ordnung Bayerns eingesetzt73. Dazu genügte freilich der staatskonforme äußere Wiederaufbau nicht. Denn dessen Wirkung wurde teilweise unterlaufen von der Erbitterung der Bevölkerung über die Schläge gegen die alte Kirche vor allem im ehedem geistlichen Neubayern74 und von einem Verhaltenswandel im hohen Klerus, wo gerade durch die provozierende Härte der Bürokratie weltfreudige Episkopalisten zu kirchenengagierten Priestern wurden, die dem Staatsanspruch nicht mehr bedingungslos folgten75. Erst eine Milderung der Kirchenpolitik und später die politische Aufwertung der Religion und die Förderung der katholischen Kirche durch Ludwig I. bauten jene Widerstände in Kirchenfüh36 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

rung und Kirchenvolk ab. Um die Religion in ihren verschiedenen Dimensionen dem entstehenden Gefüge Bayerns einzuordnen, mußten die Organisation Kirche und das kirchliche und außerkirchliche Ritualverhalten umgeformt werden. Deshalb wurde die katholische ›Volksfrömmigkeit‹ schonungslos reglementiert. Dabei hatten die Regierungen des späten 18. Jahrhunderts in Kurbaiern wie in den geistlichen Territorien vorgearbeitet76, da die herrschende Theologie der Zeit darin keine Schwächung der Kirche, sondern eine Erziehung des ›gewöhnlichen Volkes‹ auch zu einer ›ernsteren‹ Religiosität sah77. Der entscheidende Eingriff in das religiöse Brauchtum gelang allerdings erst der schlagkräftigen und von der Umbruchsituation begünstigten bayerischen Bürokratie. Vor allem Bräuche am Rande oder außerhalb des liturgisch fixierten kirchlichen Rituals, die sich der bürokratischen Normierung stärker entzogen, wurden als religiös kaschierter Müßiggang und exzessiver Symbolismus, als Wurzel wirtschaftlicher und moralischer Schäden unterdrückt78. Die sinnenhafte barocke Frömmigkeit79 mit ihrem ›ergötzlichen‹ Zeremoniell, das als ›spectaculum‹ oft zugleich weltliche Attraktion war, verfiel unter einem intellektuell-ethischen Maßstab dem Verdikt ›würdelos‹, ›nutzlos‹, ›abgeschmackt‹. Wie der höfisch-adelige Religiositätsstil vom 16. bis zum 18. Jahrhundert jene barocke ›Volksfrömmigkeit‹ vorbildhaft mitgeformt hatte, so suchte die nun kulturell führende aufgeklärte Elite die Religiosität der ›kleinen Leute‹ nach ihrem Stil umzuprägen. Der übliche vertikale soziokulturelle Transfer, die Orientierung der ›breiten Bevölkerung« an attraktiven Mustern der Oberschichten80 wurde hier von einer planungs- und schulungseuphorischen Funktionselite forciert. Hinzu kamen hygienische und Sicherheitsforderungen, die magischen Riten naturwissenschaftlich ihre Heilskraft absprachen und sie sogar als schädlich, also als doppelt ›unvernünftig‹ verurteilten. Zunächst wurde die schon im 18. Jahrundert verordnete Einschränkung der allgemeinen, regionalen und lokalen Feiertage nun energisch durchgeführt, wozu man bei den Pfarrern selbst Kirchenkalender mit abgeschafften Feiertagen einzog81. Man verbot öffentliche, oft vom Getriebe einer Schranne begleitete Andachten vor Mariensäulen und Andachten, die von der Arbeit abhielten, man verlegte die Christmette in die Morgenstunden, um nächtlichen ›Unfug‹ zu verhindern und beschränkte Bittgänge, Wallfahrten, Prozessionen drastisch82. Die Vorstellung des Heiligen Grabes in der Karwoche wurde als blasphemischer Kitsch und Kerzenverschwendung samt dem ›unappetitlichen Heilandküssen‹ untersagt, ebenso der Palmesel, an Himmelfahrt das Aufziehen einer Christusfigur in der Kirche und an Pfingsten das »andachtsstörende«Herablassen einer Taube. Das Advents- und Weihnachtssingen auf den Straßen, bei dem sich religiöses Ritual und Belohnung der Sänger selbstverständlich verbanden, galten als »Deckmantel des Müßiggangs und niedriger Bettelei«; in der Pfingstzeit durfte kein Flurumritt mit dem Allerheiligsten mehr stattfinden, weil dieses dabei oft entweiht wur37 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

de 83 . Natürlich verbot man »die aberglaubischen und kindischen Wahrsagereien und Spiele« in der Walpurgis-, der Thomas-, der Christnacht, das Hexenaustreiben, das Schießen in der Neujahrsnacht, das Wetterläuten und die Feuerweihe am Karsamstag84. Gegen Geistliche, die die Mirakelsucht durch Wunderberichte nährten oder Mensch und Vieh durch Exorzismus und Segen heilten, schritt man streng ein85. Votivtafeln und andere Zeichen »abgeschmackten Wunderglaubens«, die trotz mancher Verbote auch im späten 18. Jahrhundert fleißig gestiftet worden waren, wurden aus den Kirchen entfernt. In der Flur, an Weg und Steg brach man Feldkapellen und Bildstöcke ab, führte die Steine dem Schulbau zu und gab das Holz den Armen86. Die Staatsführung suchte die rituelle Verehrung des Numinosen dauerhaft zurückzudrängen durch eine christliche Moral. Die Einübung sittlich-vernünftiger Religiosität, die ebenso aus den Geboten des Dekalogs wie aus den Erfordernissen von Ordnung und Wohlfahrt floß, hatte hauptsächlich durch Ermahnung und Belehrung, durch kognitiven Appell zu erfolgen. Religionsvermittlung und -ausübung sollten deshalb auf den Gottesdienst konzentriert werden, vor allem auf die Predigt und auf die intensiv geförderte Christenlehre87. Außerdem wurde die Autorität des Klerus für den medizinischen, ökonomischen, technologischen Fortschritt und für soziale Reformen eingesetzt und politisch in den Dienst der Regierung gestellt88. Unverkennbar zwang der Monopolstaat die katholische Kirche in die Säkularisierung89. 2.3.2 Die begrenzte Reichweite aufgeklärter Pastoration Dem Staatsanspruch kam eine innerkirchliche Prädisposition entgegen: die Haltung der Geistlichen, die das Priesterleitbild der katholischen Aufklärung verinnerlicht hatten. Dieses Leitbild verurteilte die außerkirchlichen religiösen Bräuche und rückte moralische Besserung und vernünftige Belehrung im Dienst von Humanität und Wohlfahrt neben, ja vor die Heilsvermittlung. Der Priester, der nicht nur »Verkünder der heiligen Lehre Wahrheit und Tugend«, sondern »Volks-Lehrer« war 90 , sollte Weltgewandtheit und Zeitbildung besitzen, die öffentlichen Dinge kennen und zugleich im Wirtschaftsalltag praktisches Vorbild sein - in einer überwiegend agrarischen Gesellschaft vor allem als Landwirt91. Karitatives Engagement, beispielhafte Moral und vernünftig-moderater Lebensstil zeichneten ihn aus 92 . Der Klerus hatte möglichst aus Weltpriestern zu bestehen; vor allem der Bettelmönch war auch für den gemäßigt-aufgeklärten Zeitgeist geistig und moralisch zu stark diskreditiert93. Ausgebildet werden sollten die Priester in der geistigen und persönlichen Freiheit der Universitäten statt in der Enge der Seminare94. Die Wirkung dieses Leitbilds in der bayerischen Geistlichkeit kann nicht exakt ermittelt werden, zeichnet sich aber doch in regionalen Schwerpunkten ab 95 . In der Erzdiözese München und Freising war der, zudem überproportional vertretene96, Klerus des ehedem salzburgischen Südostens nachhaltig 38 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

von der katholischen Aufklärung geformt97, im alten Freisinger Gebiet hatte das Münchner Lyzeum um die Jahrhundertwende als »Hochburg der Aufklärung« 98 gewirkt und auch in die Diözesen Regensburg und Passau gestreut. Verstärkt und durch die Zentralisierung der Priesterausbildung auf ganz Altbayern ausgedehnt setzte diesen Einfluß das zunächst entschieden rationalistische Georgianum fort99. Passauer Kleriker hatte der Rationalismus auch beim Studium in Wien oder Salzburg geprägt. In Neubayern war die katholische Aufklärung vor allem in den Würzburger Klerus eingedrungen, der nach der kirchlichen Neuorganisation 1818/21 auch einen Teil des Bamberger Klerus stellte, hatte aber auch im Bamberger Gebiet selbst gewirkt 100 . In die Augsburger Diözese strahlte das benachbarte Konstanz, die süddeutsche Hochburg der katholischen Aufklärung nach 1800101. In Speyer schließlich garantierte das Erbe der französischen Zeit dem Rationalismus auch in der Kirche einen langfristigen Einfluß, zumal der erste Bischof in seiner Amtsführung dem ›Geist‹ des 18. Jahrhunderts verhaftet blieb 102 . In nicht wenigen Stadt- und Landpfarreien erreichte infolgedessen die Predigt ein noch nicht erlebtes pastorales Gewicht und intellektuelles Niveau. Dabei drängte der pädagogische Moral- und Humanitätsappell die barocke Tradition der Bußpredigt stark zurück. Der rächende Gott des Alten Testaments, Fegefeuer, Hölle und Jüngstes Gericht tauchten nur mehr selten zwischen den milden Szenen der Nächstenliebe Christi und dem leuchtenden Bild von Wohlstand und Frieden als Früchten edler Menschlichkeit auf, und christlicher Irenismus verdrängte konfessionelle Polemik und Apologetik. Dazu blühte die Katechese, während die Liturgie im allgemeinen und Kirchenmusik und Kirchenschmuck im besonderen nur mehr lässig gepflegt wurden. Als die Gemeinden unter der milderen Religionspolitik der 1820er Jahre wieder zu Wallfahrten und Bruderschaften drängten, Wetterläuten und Leonhardifahrten wünschten und ihre alten Heiligen aufwendig verehren wollten, fanden sie bei diesen Pfarrern Widerstand oder zumindest kühle Distanz 103 . Die aufgeklärten Priester engagierten sich für die Volksschule, deren herausragender Zustand das Zeichen ihres Wirkens war 104 . Geistige Interessen und gewandtes Verhalten bestimmten ihren Lebensstil. Wo ihre Vorgänger häufig einer anspruchslosen Pastoralroutine gefolgt waren, im Wirtshaus mit den großen Bauern Karten gespielt, den Patronatsherrn auf die Jagd begleitet und sich allenfalls für eine à la mode-Ausstattung ihrer Kirche engagiert hatten105, lasen sie philosophische und literarische Novitäten, hielten Zeitschriften, darunter auch protestantische106, und korrespondierten mit Gelehrten und hohen Beamten, aber scheuten die Vergnügungen des Volkes. Studierstube107 und Schule waren fast mehr als die Kirche ihr Symbolraum. Manche befolgten die Kultnormen, etwa das Breviergebet nicht mehr exakt, traten in weltlicher Kleidung auf und waren gegen das Zölibat weniger im Verhalten wie viele Priester der Vergangenheit, die die Norm als standestypisch hingenommen und sich je nach Temperament und Gelegenheit mit ihr arrangiert hatten, sondern, bei oft strenger persönlicher Askese, 39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

aus Prinzip. Da sie sich weniger als Seelenhirten denn als Sozialtherapeuten verstanden, schien ihnen ein Haus- und Familienvater funktionsgerechter als der sozial atypische Zölibatär. Außerdem hatte dessen Lebensform, da sie nur der persönlichen Heiligung, nicht der Gesellschaft diente, in ihren Augen auch an christlichem Wen verloren. Bei allen individuellen Einstellungsunterschieden, die sie gerade aufgrund ihrer rationaleren Haltung stärker als sonst ihren Stand differenzierten, entsprachen diese Priester insgesamt in hohem Maß den Ansprüchen des Staates und der herrschenden Gesellschaftsgruppen108. Sie boten sich mit ihrem gesellschaftlichen Engagement, das aus identischen anthropologischen Grundprinzipien heraus in wichtigen Elementen mit dem Staatshandeln parallel lief, als breitenwirksame Helfer an. Trotz mancher Konflikte mit der Bürokratie leisteten sie als Multiplikatoren von hoher Dichte und Autorität weit in den Vormärz über die (volkskirchenspezifische) Herrschaftslegitimation hinaus eine vorwiegend staatskonforme Beeinflussung der ›kleinen Leute‹ durch Kanzel und Schule, Gespräch, Lektüreverbreitung und Vorbildhandeln. Der Effekt freilich ist nicht meßbar und war zweifellos regional und lokal unterschiedlich. Doch eine gewisse Förderung der Sexual- und der Arbeitsmoral, einen überdurchschnittlichen Fortschritt der Elementarkenntnisse, der Produktionsfertigkeiten, der Bereitschaft zur Verhaltensumstellung deuten die Quellen an 109 . In allen Diözesen hatte sich jedoch neben dem aufgeklärten Priester der barocke gehalten. Offenbar folgte ein erheblicher Teil nicht nur des älteren Klerus weiter dem überkommenen Leitbild und übte eine vorwiegend rituelle Seelsorge, mißtrauisch gegen die ›Verdünnung‹ der Religion zur Moral und, soweit es seine halb öffentliche Position erlaubte, in Abwehr gegen den rationalistischen und utilitaristischen Zeitgeist. Die einen hatten Erziehung und Ausbildung in der Tradition gehalten, andere waren durch den Druck von geistlichen Vorgesetzten oder Patronatsherrn oder durch den Widerstand ihrer Gemeinde vom neuen Pastoralstil in jene Bahnen zurückgezwungen worden. Die für einen pastoralen Erfolg nötige Umweltanpassung, die retardierende Kraft überkommener Verhaltenserwartungen gerade in den unteren Schichten wird ganz allgemein die Seelsorgepraxis oft von der Aufklärungstheologie abgedrängt und den Elan junger Reformer gedämpft haben. So erfolgte die kirchliche Beeinflussung im frühen 19. Jahrhundert auf einer breiten Skala der Pastoralstile vom radikalen Neuerer über vorsichtige Detailreformer bis zum herkömmlichen Dorfpfarrer110. Die Wirkungschancen der katholischen Aufklärung waren also bereits dadurch begrenzt, daß der Sozialisator ihrem Leitbild nur zum Teil entsprach. Dazu beschränkte sie das Sozialisationsobjekt, die Haltung der Gemeinden erheblich. Denn die barocke Volksfrömmigkeit widerstand, gestützt auf ihre außerkirchliche Seite, die dicht ins Alltagsverhalten gewoben und deshalb relativ resistent war, staatlichen Verboten wie kirchlicher Entwertung. Davon zeugen spektakuläre Auflehnungsakte einzelner Gemeinden wie die allgemeine Erregung und 40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

ein passiver Widerstand gegen die Repression111. Vor allem aber bewies das kräftige Aufleben der alten Formen, sobald Staat und Kirche wieder kultfreundlicher wurden, wie wenig der Rationalismus die Religiosität der ›kleinen Leute‹ besonders auf dem Land verändert hatte 112 . In den Städten, den größeren vor allem, hatte allerdings die Vorbildhaltung der ›gebildeten Stände‹ den tradierten Religiositätsstil auch in den unteren Schichten zum Teil aufgeweicht113. Offenbar in konzentrischen Kreisen abnehmender Intensität um Adelige, Offiziere, Beamte, Ärzte betraf das in erster Linie deren Dienstpersonal, Schreiber und sonstige Abhängige, Wirte und Handwerker, die an jenen verdienten, größere Gewerbsleute, die voll Reputationsstreben den Moden des ›Zeitgeistes‹ zufielen. 2.33 Gesellschaftlicher Widerstand gegen die religiöse Staatsnorm Insgesamt blieb die Breitenwirkung der Aufklärung durch die katholische Kirche hinter Anspruch und Aufwand zurück. Weder Reglementierung noch Reform konnten, obwohl von der herrschenden Öffentlichkeit propagiert, vom hohen Klerus zunächst autorisiert und von der Staatsmacht gestützt, die überlieferte Religiosität der ›kleinen Leute‹ rasch tiefgreifend ändern. Eine von weltlichen und geistlichen Intellektuellen im Horizont der bürgerlichen Kulturrevolution114 rational entworfene Haltung konnte kurzfristig gerade in der sinnvermittelnden, der religiösen Ebene auf einen vorwiegend traditionalen Lebensraum nur oberflächlich wirken. Allein eine konstante und geschlossene Beeinflussung mit allen kirchlichen Mitteln hätte einen nachhaltigen Wandel herbeigeführt. Die Entwicklung auf diese Konstellation hin wurde jedoch schon in den 1820er Jahren abgebrochen, als sich in der allgemeinen Tendenzwende ein neuer Religiositätsstil und ein neuer Priestertyp in der Kirche ausbreiteten und der Kurs der staatlichen Gesellschaftspolitik wechselte. So blieb die katholische Breitenreligiosität stark von Mustern bestimmt, die in der Barockkultur der feudalständischen Gesellschaft wurzelten. Die im späten 18. Jahrhundert vorbereitete und von der Montgelas-Bürokratie energisch betriebene Säkularisierung der Religion war nur in Ansätzen gelungen. Diese wurde auch im 19. Jahrhundert nicht in erster Linie als Gesellschaftsmoral und Staatskult, sondern als Gottesdienst und sozialer Brauch vollzogen. Damit spielte sich das religiöse Leben der ›kleinen Leute‹, außer im Mischbereich des monarchischen Kults, im Grunde neben dem Staat ab; das politische System und ein Hauptsektor des kulturellen Systems waren, da in unterschiedlichen historischen Grundstrukturen gegründet, offenkundig wenig kongruent. An keiner anderen Institution wurden die Grenzen des frühen Monopolstaats so deutlich: die Organisation Kirche konnte zwar weitgehend mediatisiert werden; die analoge Umprägung des Kirchenvolks gelang höchstens partiell. Auch hier blieb die in der Montgelas-Ära errichtete formale Ordnung Handlungsrahmen für ein Jahr41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

hundert. Das Handeln selbst aber vollzog sich als Syndrom barocker Tradition, entschärfter Aufklärungspostulate und neuer Elemente des 19. Jahrhunderts. Auf der unteren, der besonders alltagsrelevanten Ebene band selbst die Kirchenorganisation die ländliche Bevölkerung in die Tradition. Denn die Pfarrei konstituierte neben dem wirtschaftlichen und sozialen Gemeinwesen Dorf, aber deutlich vor der eben erst errichteten politischen Gemeinde ihren Horizont. Nicht nur äußerlich blieb der Kirchturm ein hervorragender Mittelpunkt ihrer ›Welt‹. Der ausgeprägte Lokalismus einer noch überwiegend vormodernen Gesellschaft stützte die Kirche, die ihn mitgeformt hatte, in besonderer Weise. Auch in den Städten spielte, wenngleich schwächer, die Pfarrei diese Rolle für die ›kleinen Leute‹; zumal, da ein anderes altes ›WirGefühl‹, die Solidarität im Stadtviertel verblaßte, seit dessen korporative Schutz- und Hilfsfunktion vom Staat übernommen worden war.

2.4 Der aufgeklärte Protestantismus als Stütze des Reformstaats 2.4.1 Der Aufbau einer staatskonformen Landeskirche Der Zusammenbruch der Territorienweit des Alten Reiches betraf die protestantischen Kirchen115 weniger und in anderer Weise als die katholische Kirche. Ohne weltliche Herrschaft, ohne bedeutendes staatsfreies Eigentum, ohne eine autonome Hierarchie und supraterritoriale Organisation mit universaler Theologie und Pastoralform und ohne Mönchtum provozierten sie den ›Zeitgeist‹ um 1800 weit weniger als die Reichskirche. Während diese als mittelalterliche Institution durch frühmodernen Staat und Aufklärung zum strukturellen Fremdkörper geworden war, hatten die organisatorischen und religiösen Folgen der Reformation die Kirche bereits ›modernisiert‹. Durch Abfall von Rom, durch Territorialisierung, landesherrliches Kirchenregiment und Säkularisation, durch religiösen Individualismus und Abbau des Ritualismus waren die protestantischen Kirchen in Verfassung und Lehre so vorgeformt, daß ihr Religiositätsstil den nun herrschenden politischen und kulturellen Grundsätzen am ehesten entsprach. Gerade dem Programm des aufgeklärten Bürokratismus kamen sie entgegen116. Für ihre Mitglieder fielen herrschaftlicher und kirchlicher Horizont zusammen, und ihre ›Weltfrömmigkeit‹ und asketische Verantwortungsreligion prädisponierten zur vernünftig-nützlichen Moral mehr als die kultische Religiosität der Katholiken. Ihr Zustand und ihre Wirkung erschienen der Staatsführung geradezu als Modell für das Verhältnis der Kirchen zu Staat und Gesellschaft, dem die katholische Kirche im Konflikt mit Rom und der ›Volksfrömmigkeit‹ angenähert werden sollte, um auch für die Katholiken ›Einstaatung‹, ›Utilitarisierung‹ und ›Moralisierung‹ nachzuholen. Bei den protestantischen Kirchen in 42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Bayern ging es also nicht um Entmachtung und Enteignung einer historischen Immunität und Autorität, um Desintegration einer Universalmacht. Hier mußten die territorialen Kirchenwesen zu einer Organisation mit einheitlicher Verfassung, Lehre und Kult für die Ansprüche des souveränen Monopolstaates vereinigt werden. Mit dem Anfall der neubayenschen Gebiete kamen rund neunzig selbständige lutherische Kirchenwesen mit historischen Inkongruenzen in allen Bereichen des kirchlichen Lebens zusammen117. Zunächst war ihre Autoritätsstruktur, d. h. das Kirchenregiment je nach Verfassungstyp und Größe des Territoriums unterschiedlich gewesen. In den Markgrafschaften118 und anderen Territorien119 hatten eigene (meist mehrstufige) Instanzen den herrschaftlichen Summepiskopat durchgeführt, in den Reichsstädten in der Regel der Rat unmittelbar und in den Kleinstterritorien die Reichsritter im direkten Verkehr mit ihren Pfarrern120. In ihrer staatsrechtlichen Stellung, die die Wirkungsmöglichkeit in der Gesellschaft mitbestimmte, war die Mehrzahl der Kirchenwesen als Staatskirche Privilegien gewesen, wenn auch meist nicht mehr in der Extremform konfessioneller Ausschließlichkeit; in einigen Reichsstädten war sie jedoch durch die Parität, in Sulzbach durch das Simultaneum beschränkt121. In jenen Gebieten hatte sie das soziokulturelle, aber auch das politische Traditionsprofil des Landes durch ihre Omnipräsenz markant geprägt; in diesen war ihre mentale Kompetenz auf das ›Haus‹ beschränkt, der öffentliche Bereich hingegen vom interkonfessionellen Kompromiß bestimmt gewesen. Die Bekenntnisform war zwar meist generell durch die Konkordienformel jenseits des protestantischen Lehrpluralismus einheitlich fixiert122, freilich im Detail durch viele Katechismen differenziert 123 . Der Kult jedoch zeigte um 1800 zwischen den Territorien und häufig auch innerhalb dieser durch regionales und lokales Herkommen wie durch die unterschiedliche Rezeption der kirchlichen Aufklärung eine weitgespannte Formenvielfalt in Schmuck und Liturgie 124 , so daß sich ein Bürger einer schwäbischen Reichsstadt in einem Nürnberger Gottesdienst kaum mehr als Mitglied derselben Konfession fühlen konnte125. Ebenso unterschieden sich der Umfang des Pastoralangebots, der für den Lebensrhythmus der ›kleinen Leute‹ so bedeutsame Rhythmus des kirchlichen Jahreslaufs und die kirchliche Normenkontrolle mit ihren Sanktionen (Kirchenzucht) von Territorium zu Territorium, ja oft von Ort zu Ort 126 . Nicht nur das kirchliche Repertoire war in verschiedener Hinsicht differenziert. Auch der Religionsvollzug (Gottesdienstbesuch, Sakramentsempfang, Hausandacht) erstreckte sich über eine breite Häufigkeits- und Intensitätsskala127. Außergewöhnlich erschien die Verfassung der protestantischen Einzelgemeinden in den Hochstiften Würzburg und Bamberg, die - ein Beispiel für die kompromißreiche Verfassung des Alten Reiches - in die katholischen Territorialkirchen eingegliedert waren 128. Als ›evangelische Irredenta‹ galten sie als Symbole für den konfessionellen Kampf gegen die Reichskirche als Herrschaftskirche und zugleich, da nicht ›vernünftig‹, als griffiges Argument 43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

der Staatsrationalisten gegen die ›monströse‹ Reichsverfassung. Das regionale Randproblem dieser Gemeinden zeigt exemplarisch die partielle Interessengemeinschaft zwischen aufgeklärtem Bürokratismus und Protestantismus am Ende des Alten Reiches, die bei der Neuordnung nach 1800 beide vorübergehend eng zusammenführte. Alle diese Kirchenwesen und Einzelgemeinden faßte Staatsbayern zu einer Organisation zusammen129, die durch die Verfassung des paritätischen Staates als »öffentliche Corporation« gesichert wurde 130 . Unter der Aufsicht des Innenministeriums, das den königlichen Summepiskopat ausführte, amtierte das Oberkonsistorium in München, darunter die Regional-Konsistorien in Ansbach, Bayreuth und Speyer, die wiederum Dekanate untergliederten131. Dabei wurden im rechtsrheinischen Bayern die wenigen reformierten Gemeinden kurzerhand der lutherischen Organisation eingefügt132: der Staat verordnete einfach die Union, die ihm die Kirche am leichtesten verfügbar machte133. Schon äußerlich war diese Organisation dem Staat stärker als die katholische Kirche untergeordnet. Die Hierarchie hatte nur eine Spitze in der Hauptstadt, die Mittelinstanzen waren an die Regierungssitze der drei überwiegend protestantischen Kreise gebunden134, die Dekanate deckten sich weithin mit den Landgerichten135. Oberkonsistorium und Konsistorium waren, obwohl nominell selbständige Kirchenbehörden, de facto staatliche Unterbehörden136. Die Form spiegelte die Kompetenzen. Ohne den Rückhalt einer suprastaatlichen Autoritäts- und Lehrinstanz mußte sich die Kirchenleitung noch mehr als die katholischen Bischöfe auf die »innern Kirchen-Angelegenheiten«, d. h. auf Kirchenordnung, Kult, Personalwesen, Kirchendisziplin beschränken und auch dabei weitgehende Staatsaufsicht hinnehmen137. Ein Teil der bayerischen Kirche gewann zwar damit an Selbstbestimmung etwa gegenüber dem straffen Kirchenregiment der Reichsstädte oder der Willkür in kleinen Adelsterritorien. Aber zugleich drängte der paritätische Monopolstaat, indem er Polizei und Kirchenzucht trennte, die Kirche endgültig aus der öffentlichen Ordnungswahrung in die Gemeinde zurück. Er löste hier wie in anderen Bereichen die Staatsgesellschaft von vorstaatlichen Autoritäten und mediatisierte diese, um sie jeweils in ihrem Geltungssektor desto effektiver einsetzen zu können. Im Interesse dieser Aufgabe und entsprechend der lutherischen Tradition war die Kirchenverfassung »rein obrigkeitlich aufgebaut«; das korporative Prinzip der reformierten Kirchen hatte keine Chance gehabt138. Auch das gesamtkirchliche Repräsentativorgan, die Generalsynode setzte sich als ständisch gewählte geistliche Versammlung mit einer aus kirchlichen Vorschlägen vom König bestimmten Laien-Minderheit aus abhängigen Amtsträgern und Favoriten der Kirchenleitung und der Staatsführung zusammen, was Opposition unterband. Außerdem stand jede Synode unter der Aufsicht eines königlichen Kommissärs und der Konsistorien139. Kommunale Sonderrechte aufgrund alter städtischer Patronatsrechte fielen wenig ins Gewicht140. 44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Wirkungsvoller durchlöcherten die einheitliche Organisation, wie im Bereich der Staatsverfassung, besonders im klassischen Adelsland Franken adelige Teilimmunitäten: die Patronatsrechte der Standes- und Gutsherren141. Obwohl im wesentlichen auf das Recht der Pfarrstellenbesetzung und loyalitätseffektive Repräsentationsrechte beschnitten142, genügte doch die weitgehende Verfügung über den Geistlichen und, aufgrund der Kirchenbaulast, der bestimmende Einfluß auf den äußeren Zustand von Kirche, Pfarrhof und Pfarrökonomie143, um dem Adel einen regional teilweise dicht gestreuten maßgeblichen Einfluß auf die Kirche zu erhalten. In Mittel- und in Oberfranken, aber auch an den Rändern Unterfrankens und im nördlichen Schwaben vollzog sich in vielen Gemeinden kirchliches Leben mit all seinen soziokulturellen Auswirkungen bis ins 20. Jahrhundert unter seiner prägenden Autorität. Noch lange nach dem Erlöschen der politischen Herrschaftsrechte 1848 stützte das Patronat zusammen mit der wirtschaftlichen Stellung eine partielle Machtposition des Adels bis an die Schwelle der Industriegesellschaft. Erst als diese auch das Dorf umformte und die Kirche als mentale Instanz aus dem Zentrum rückte, wurde das Patronat, parallel zum sinkenden wirtschaftlichen Gewicht der Güter, zum archaischen Relikt. Unter der Oberfläche einer ›modernen‹, von einer Reformelite dekretierten Verfassung kristallisierte sich kleinräumig um feudale Herrschaftsreste und das Spätprestige der alten Elite eine in wichtigen Elementen noch alteuropäische Umwelt so lange, bis der soziale Wandel die politische Entwicklung einholte. Zur Vereinheitlichung des kirchlichen Lebens, die die organisatorische Integration zur Landeskirche erst gesellschaftlich umsetzte, wirkten staatliche Verordnungen und innerkirchliche Tendenzen zusammen. Man führte ein einheitliches Gesangbuch ein144, unterdrückte Feiertage lokaler und regionaler Tradition und ersetzte sie durch allgemeine protestantische Symbolfeiertage (Buß- und Bettag, Reformationsfest, Erntedankfest)145. Das Pastoralangebot, also Gottesdienste, Betstunden, Abendmahl, Christenlehre und deren kultische Formen146 sollten möglichst einheitlich werden, ebenso die nach Vorbereitung, Zeitpunkt und Ritual unterschiedliche Initiation, die Konfirmation147. Trotz der Vorarbeit früherer Kirchenregimente, vor allem des preußischen in den Markgrafschaften148, wie des nivellierenden pastoralen Rationalismus stießen Staatsführung und Kirchenleitung in den Gemeinden auf Widerstände, die die Verfügungsgrenzen auch über das protestantische Kirchenvolk zeigten. Die aufgeklärten Reformeliten machten diese Erfahrung hier vor allem aufgrund des geringer entwickelten und stärker kirchengebundenen Ritualismus zwar nicht so drastisch, aber doch grundsätzlich ähnlich wie in den katholischen Gebieten. Schon die innerkirchlichen Formen, der Reglementierung am meisten zugänglich, blieben oft zäh in der Tradition. Weder konnten Einheitsgesangbuch, Normkatechismus, Einheitskirchenjahr und ein einheitliches Pastoralangebot überall rasch durchgesetzt werden, noch führten sich das liturgische Einheitsgewand, der Talar, und ein einheitliches 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Zeremoniell zunächst ein 149 . Die Liturgie wurde sowieso bis in die Jahrhundertmitte nach verschiedenen Agenden gefeiert. Der Integrationsschub der Gründungsphase hatte die territorialen Kirchenwesen weitgehend in eine homogene Landeskirche übergeführt. Im kirchlichen Alltag konnten ihm jedoch bedeutsame territoriale Traditionselemente widerstehen, die sich erst in jahrzehntelanger pastoraler Praxis assimilierten oder abstarben.

2.4.2 Pastoraler Rationalismus Entscheidend für die Durchführung der verordneten Kirchenreform war eine möglichst einheitliche und dem von Staats- und Kirchenführung formulierten Auftrag möglichst entsprechende Geistlichkeit. Die Bürokratie schöpfte für dieses Ziel die Kompetenz, die ihr der königliche Summepiskopat gab, voll aus. Sie favorisierte ein Ausbildungsmonopol für die Universität Erlangen, unterstellte deren Lehre der Kontrolle des Oberkonsistoriums, das auch bei Berufungen mitwirkte, zentralisierte und normierte das Prüfungswesen 151 . Installation, Gehalt, Beförderung, Altersversorgung, Amtsführung, öffentliche Aufgaben und Leitlinien für das Privatleben der Pfarrer wurden landeseinheitlich festgelegt152. Inhaltlich zielte das verordnete Pfarrerleitbild auf den aufgeklärten Morallehrer. Der Vorrang der gesellschaftlichen Ordnungsrolle vor der konfessionsspezifischen Seelsorge zeigte die Prüfungsordnung für Pfarramtskandidaten, die in erster Linie »Tauglichkeit der anzustellenden Religionslehrer« und »gewissenhaften Eifer, durch Lehre und Wandel Gutes zu stiften«, forderte153. Pädagogik und Didaktik wurden im Qualifikationsprofil eingehend, »Seelsorge« kaum und Heilsvermittlung überhaupt nicht aufgeführt. Die vorbildliche Einstellung war, in bezeichnender Reihenfolge, der »Sinn für Wahrheit, Tugend und Religiosität«, wobei »Religiosität« sich stets mit »Moralität« verband. Die Predigt sollte vor allem »das practische Moment der vorgetragenen Wahrheiten« betonen, die Katechese »Nachdenken« und »sittliches Gefühl« wecken. Formales Vermittlungsgeschick und ein rationaler Stil galten viel, die Verkündigung als Offenbarung, Glaubensübung oder gar pietistische Erweckung wenig 154 . Das in der Ausbildung eingeübte Leitbild155 eines Sozialtherapeuten festigten dann die Regeln für Amtsführung und Lebenswandel der Geistlichen156. Diesem Anspruch kam die protestantische Kirche weit mehr als die katholische entgegen, da die Aufklärung den deutschen Protestantismus im 18. Jahrhunden tiefer als die Reichskirche erfaßt hatte. Theologische und Kirchenverfassung prädisponierten ihn für die Bewegung, die zumal seit dem Wolffianismus den ›Zeitgeist‹ beherrschte. Ohne zentrale Lehrautorität und geschlossene, philosophisch abgesicherte Dogmatik und durch religiösen Individualismus, traditionsskeptisches Wahrheitspathos und Affinität zu säkularer Bildung geprägt, waren die protestantischen Kirchen generell dem kul46 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

turellen Wandel und speziell dem Rationalismus viel stärker als die Römische Kirche geöffnet. Galt das zunächst besonders für die Reformierten, so hatten doch Pietismus und Leibniz'sche Philosophie diese Tendenzen auch im Luthertum kräftig entbunden. Die enge politische Bindung der protestantischen Kirchen an die Ordnung im jeweiligen Territorium hatte sie auch deren zeitspezifischem kulturellen Wandel besonders ausgeliefert. Schließlich waren sie, da ihre Geistlichen - anders als der katholische Klerus in seiner sozialen Sonderstellung - durch Familie, Bildungstradition und Ethos mitten im Bürgertum standen, unmittelbar abhängig von der Entwicklung der bürgerlichen Ideen und Leitbilder. Sie wurden deshalb gerade von der Aufklärung, von der bürgerlichen Kulturbewegung erfaßt157. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich diese, zum Teil mit pietistischen und empfindsamen Elementen, in den theologischen Fakultäten, den Kirchenleitungen und auf vielen Kanzeln durch158. Das bedeutete eine Harmonisierung von Vernunft und Offenbarung und eine Aufwertung der Naturoffenbarung, die anthropologische Wendung vom sündigen zum tugendhaften Menschen und die moraltheologische vom Gebotsgehorsam zur Eudaimonie sowie einen allgemeinen ›Klimawechsel‹ von Dogmatismus und Konfessionalismus zu Toleranz und Philanthropie. Eine trotz unterschiedlicher Positionen zwischen den Polen Spätorthodoxie und radikalem Rationalismus in den Grundtendenzen einheitliche Theologie veränderte Lehre, Seelsorge und Kult tiefgreifend und wandelte die soziale und kulturelle Wirkung der Kirche. Das skizzierte theologische Programm und pastorale Leitbild beherrschte seit dem späten 18. Jahrhundert auch die Gemeinden in den fränkischen und schwäbischen Gebieten159. Aufgrund der - im Vergleich mit der katholischen - recht freizügigen Ausbildung schlug sich zwar die Richtungsvielfalt der Fakultäten und territorial-kirchlichen Qualifikationsbestimmungen in der Geistlichkeit der jungen bayerischen Landeskirche nieder160. Doch dominierte die Aufklärung gemäßigter Richtung, wie sie die vorwiegend besuchten Fakultäten in Erlangen und Altdorf lehrten, in denen die Bibel- und Offenbarungstheologie nicht so weit wie ζ. Β. in Halle zurücktrat161. Diese Grundeinstellung bestimmte die Geistlichkeit etwa bis zur Jahrhundertmitte, wobei sich durch die Ausbildungskonzentration in Erlangen die Pastoralhaltung gesamtbayerisch vereinheitlichte. Am typischen Lebensstil der Pfarrer162 zeigte sich der Erfolg des neuen Leitbilds. Wissenschaftliche, literarische, pädagogische Interessen, im protestantischen Pfarrhaus seit jeher gepflegt, nahmen zu und traten im Selbstbild wie im Fremdbild legitim neben, ja vor die Pastoralrolle. Familienleben und Geselligkeit, Kleidung, Wohnung und Ernährung waren durch Herkunft, Ausbildung und das historische Stilvorbild der Pfarrer in den Fürsten- und Reichsstädten in hohem Maß ›bürgerlich‹; sie wurden offenbar über die allgemeine Verbürgerlichung der Lebensformen hinaus in einem forcierten Urbanitätsstreben bis in die letzte Dorfpfarre weiter verbürgerlicht. Im Pfarrhaus wichen rigorose Hauszucht, emotionsarme Patriarchalität und herbe Religiosität altlutherischer Prägung, 47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

die bereits der Pietismus gefühlvoll gelockert hatte, einer heiteren, geselligkeits- und naturfrohen, oft empfindsamen Tugend- und Vernunfthaltung163. 2.4.3 Breitenerfolg und spätorthodoxe Beharrung Sonntag für Sonntag vermittelten diese Pfarrer ein optimistisches und harmonisches Welt- und Menschenbild. Aus ihm war der strafende alttestamentarische Gott von einem »Vater des Lichts«164 und einem milden Christus, von Agape und Empathie verdrängt. Der Tod war nicht mehr ›der Sünde Sold‹ wie in der orthodoxen und pietistischen Predigt, sondern ein schmerzliches Naturgesetz, nach dem nicht das Jüngste Gericht drohte, sondern himmlische Freude winkte; als rechte Vorbereitung wurden nicht mehr Gehorsam und Reue eingeübt, sondern eine gefaßte Haltung. An die Stelle eines religiösen Willensakts trat empfindsame Autosuggestion. Ebenso wurde Moral vor allem als Bedingung individuellen Glücks und sozialer Harmonie vermittelt. Dogmatik und Ethik verloren ihre rigorose Bindung an die Bibelnormen und spielten, in populäre Symbole gefaßt, in säkulare Ordnungsmuster. Daß die psychologische Vermittlung die theologische verdrängte, folgte aus der säkularisierten Anthropologie. Die Spannung des Menschen zwischen Schuld und Glauben mit ihrem Appell zur Demut verblaßte vor einem hochgestimmten Selbstbewußtsein der Gottähnlichkeit, die Vollkommenheit in Tugend und Humanität ermögliche; diese könne und müsse primär die Kirche ›entbinden‹. Mit der dogmatischen und ethischen Tradition schwand auch die alte Konfessionspolemik von den Kanzeln, auf denen Toleranz einzog. Entsprechend wandelte sich die Form der Predigt. Statt Bibelgleichnis und bibelernstem Pathos wurde eine heitere, popularphilosophisch-ästhetisch-vernunftreligiöse Szene des Wahren, Schönen und Guten entfaltet. Lichtmethaphorik und Zukunftseuphorie, spezifische Mittel der Aufklärung165, nahmen einen breiten Raum ein. Symptomatisch war, daß den traditionellen Bibelspruch als Predigtmotto und -resümee ein Gedicht oder eine philosophische Sentenz ablöste. Pädagogische Absicht und psychologische Vermittlung veränderten ebenso den Kult166. Neue Agenden beschränkten die Liturgie von der Kommunikation zwischen Gott und Gemeinde durch Verkündigung und Anbetung auf die Einstimmung zur Predigt, die mehr denn je im Mittelpunkt stand167. Das zeigte besonders deutlich die pastorale Gewichtsverlagerung vom Gottes-Dienst zur Menschen-Bildung. Formal wurden die Agenden schmucklos, lehrhaft und verschoben die kultische Symbolik vom christologischen und eschatologischen zum Tugendzeichen. Sie lösten sich auch darin von der Autorität lutherischer Tradition, daß sie, um psychologisch zu stimulieren, die Abwechslung der Formeln zum Prinzip erhoben168. Mit dem zeittypischen Eifer zum Experiment entwarfen Theologen, Kirchenbehörden und Pfarrer Agenden, die zunächst fakultativ neben die alten traten, sich 48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

dann gegen diese durchsetzten, aber ihrerseits untereinander konkurrierten, bis um 1800 in den Territorialkirchen zumindest Vorzugs-Agenden herrschten 169 . Auch im Kirchengesang gab man inhaltlich und formal Traditionen, die seit der Reformation banden, auf. Choräle des 16. und 17. Jahrhunderts, dogmatisch und ethisch rigoros, eschatologisch und mit psalmennahem Stil, aber auch pietistische Lieder mit ihrer affektiven Christusmystik wichen Liedern, die ›faßlich und erbaulich‹, lehrhaft und fast konfessionsneutral gottgewollte Lebensregeln für irdische Eudaimonie einübten. Oder sie wurden nach diesem Muster umgedichtet170. Ein Zeichen der Säkularisierung war, daß das geistliche Volkslied in die Gesangbücher eindrang und den Rührungston der Empfindsamkeit in die Kirchen trug171. Nachdem sich die neuen Texte auch hier territorial unterschiedlich durchgesetzt hatten, vereinheitlichte ein gesamtbayerisches Gesangbuch 1814 dann schrittweise den Kirchengesang unter aufgeklärtem Akzent172. Der populären Intellektualisierung des Gottesdienstes fiel vor allem die Musik, die in der protestantischen Kirche die sensuelle Dimension der Religiosität vorwiegend vermittelte, zum Opfer. Der liturgische Gesang verschwand zum großen Teil und das Kirchenlied wurde immer einförmiger173. Hinzu kam, da sich mit der Entfaltung der bürgerlichen Kultur die Künste aus dem Sakralbereich emanzipierten, der Prestigeverfall der Kirchenmusik, der ihr Komponisten, Musiker, Sänger in die Profankunst entzog und sie merklich schwächte. Ja, der weltliche Konzertbetrieb drang seinerseits in die als Aufführungsräume attraktiven Kirchen und schob die geistliche Musik in ihrem eigenen Bereich auf die Seite174. Optisch wandelt sich der Gottesdienst gleichfalls nach den Grundsätzen Vernunft und schlichte Würde, mit denen die in Franken noch häufigen Relikte altkirchlicher Sinnenhaftigkeit beseitigt wurden. Meßgewänder und Chorröcke fielen, effektvolle Zeremonien traf das Verdikt ›würdelose Schauspielereis vorreformatorische Bilder, Skulpturen und Geräte, die die strengste Orthodoxie geduldet hatte, wurden entfernt. Der Purismus der Aufklärung holte in lutherischen Kirchen nach, was die reformierten Bilderstürmer bereits im 16. Jahrhunden vollzogen hatten. Schließlich warfen sich die Theologen auf die ›vernünftige‹ Umformung der Katechese durch Moralisierung und Pädagogisierung175. Die Sakramente waren mehr symbolische Tugendriten als altlutherischer Heilsvollzug, bei der Taufe verschwand der Exorzismus176, soweit er die Reformation überlebt hatte, die Einzelbeichte mit ihrer Unmittelbarkeit zum gnädigen Gott wich der schematisierten Gemeinschaftsbeichte177. Taufen, Trauungen und Abendmahl wurden häufig aus der Kirche in profane Räume - Privathäuser oder öffentliche Festsäle - und Gruppen - Familie, Nachbarschaft - verlegt und bereits dadurch im allgemeinen Bewußtsein teilsäkularisiert178. Damit begann sich die Kirchengemeinde als festumgrenzter Kult- und Lehrbereich mit einem Monopol an spezifischen Interaktionsformen aufzulösen, verlor 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

sie ihre kulturelle und soziale Kohäsion. Diese Tendenz zur religiösen Individualisierung durchzog die gesamte Pastoration. Der Abbau der alten Sakramentsformen signalisierte zugleich den Schwund des ethischen Rigorismus im Vertrauen auf die Moralität des aufgeklärten Menschen. Vor allem die ›Kirchenzucht‹ ging rapide zurück. Durch innerkirchlichen Wandel, durch die Auflösung der für ›Zucht und Sitte‹ engagierten patriarchalischen Feudalherrschaft und ihrer Sanktionskoalition mit der Kirche (Kirchenstrafen ziehen weltliche Strafen nach sich) und durch den Druck des modernen Staates, der abweichendes Verhalten selbst definieren und verfolgen wollte, deklassierten Moralverstöße den Täter in der Kirchengemeinde immer weniger179. Auch bei der Abschaffung vieler Feiertage, die nicht nur in katholischer Umgebung noch im späten 18. Jahrhundert teilweise die altkirchlichen waren 180 , arbeiteten aufgeklärte Pfarrer mit ihrem Kampf gegen ›Müßiggang und Aberglauben‹ der Bürokratie in die Hand. Die zunehmend anthropozentrische kirchliche Prägung tendierte in den protestantischen Gebieten Bayerns im frühen 19. Jahrhundert zu einer Teilsäkularisierung, die Religiosität wesentlich stärker als früher auf Bedürfnisse des sozialen Alltags bezog. Das galt natürlich auch für den Einfluß des Pfarrers im Umfeld der Kirche - in kirchennahen Korporationen, in der Schule, in der lokalen Honoratiorengeselligkeit. Damit entsprach die protestantische Kirche dem staatlichen Anspruch, zur mentalen Integration, rationalen Soziabilität und Effizienzsteigerung der bayerischen Gesellschaft beizutragen. Hierin liegt die besondere politische Bedeutung des aufgeklärten Protestantismus. Sein Erfolg war im bürgerlichen Bereich unzweifelhaft, also dort, wo er sich genau in den kulturellen Trend fügte. Kirche und bürgerliche Kultur wirkten um 1800 bei der Verbreitung von Einstellungs- und Verhaltensmustern vorwiegend parallel, zum Teil eng zusammen. Dem Bildungsbürgertum wuchs in einer Zeit des Traditionsabbaus gerade auch kraft seiner überdurchschnittlich reflektierten und artikulierten Interessen und Ziele, seiner Orientierungssicherheit eine Meinungsführerrolle zu, welche die der alten Elite bedrängte. Von ihm aus ergriff die Wirkung der kirchlichen Aufklärung in der Regel auch das wirtschaftende Bürgertum der größeren Städte und, mit Verzögerung, nicht wenige Gewerbsleute und Subalternbeamte in Kleinstädten und Märkten. Ein Indikator dafür war der merkliche Rückgang der Sakramentsfrequenz181 beim gehobenen Bürgertum und ein gewisser beim Kleinbürgertum, dem häufig ein konstanter, ja teilweise steigender Gottesdienstbesuch gegenüberstand182. Die Kirche als moralische Lehranstalt trat vor die kultische Heilsanstalt! Daß eine Zunahme des Gottesdienstbesuchs meist auf einen attraktiven Prediger zurückging und bei einem Pfarrerwechsel oft wieder verschwand, ja, daß die Besucherzahl in Gemeinden mit mehreren Pfarrstellen von Sonntag zu Sonntag schwanken oder in größeren Städten zwischen den Pfarreien fluktuieren konnte, zeigte, wie sich die urbane Religiosität intellektualisierte und individualisierte. Die freie Entscheidung je 50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

nach dem kirchlichen Angebot begann die regelmäßige Religionsausübung aufzuweichen, wie sie von der Tradition geboten, um des Heils willen gesucht und sozial kontrolliert war. Ebenso nahm die formalisierte Hausfrömmigkeit an Regelmäßigkeit und Häufigkeit ab: die Morgen- und Abendandacht, der sonntägliche Choralgesang und die Lektüre von Bibel- und Erbauungsliteratur, die Ritualisierung des Tages-, Wochen- und Jahreslaufs durch Situationsgebete183. Die gesellschaftliche Ambivalenz der pastoralen Aufklärung ist offensichtlich. So sehr das Motiv ein religiöses war 184 und so sehr die Religiosität durch erhöhte Selbstverantwortung und Sozialverpflichtung geistig und ethisch vertieft wurde, so konnte jener Wandel doch auch von der Kirche ablockern. Das Wagnis der reformatorischen Kirchen, Religiosität vom kollektiven Kultvollzug zur individuellen Überzeugung, ohne massive psychologische Hilfen ritueller, sensueller, thaumatischer Art, zu führen, erreichte durch Neologie und Rationalismus des 18. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Die Teilkontinuität vorreformatorischer Kultbindungen, eine hohe Autorität der Kanzel, rege häusliche Andachtsfrömmigkeit und Bibellektüre und starke Gemeindedisziplin hatten im Zeitalter des Konfessionalismus jenen latenten Desintegrationseffekt noch ziemlich abgefangen. Als die Aufklärung die ›Verpersönlichung‹ der Religiosität zur Emanzipation weitertrieb, löste sie im Zusammenhang des allgemeinen Abbaus überkommener Bindungen diesen Effekt auf breiter Front aus. Sie entband die religiöse Privatisierung zu voller Wirkung. Zunächst im Bürgertum steigerte sich, je nach den lokalen Bedingungen unterschiedlich rasch und intensiv185, das reformatorische Pathos von der »Freiheit eines Christenmenschen« immer häufiger zum »Pathos der Unkirchlichkeit« 186 . Die reformatorischen Wortkirchen mit ihrem hohen Wahrheitsethos, das in einer Zeit emphatischer Traditionskritik besonders zur Auflösung theologischer ›Zwänge‹ neigte, verloren einen Teil ihrer Mitglieder an eine popularphilosophische oder frühideologische Profanität mit diffuser kirchlicher Restreligiosität. Weit mehr als die katholische Kirche, deren Klerus überwiegend das Weltanschauungsmonopol der Kirchenreligion vertrat und vermittelte, wichen die protestantischen Kirchen vor dem säkularen ›Zeitgeist‹ zurück oder nahmen ihn auf. Das zeigte sich nicht nur ideell, wenn kirchliche Überlieferung an rationalistischen oder utilitaristischen Prinzipien gemessen wurde, sondern ganz praktisch, wenn das Pastoralangebot schrumpfte187. Der Einfluß, den Predigt und Sakrament, Bibel und Erbauungsliteratur noch immer in den protestantischen Städten des frühen 19. Jahrhunderts übten, war doch mit jenem im alteuropäischen Bürgertum nicht mehr zu vergleichen. Der Weg zum › Kulturprotestantismus‹ schien beschritten188. Im ländlichen Bereich und im Ackerbürgertum der Märkte und Kleinstädte hingegen fand die kirchliche Aufklärung im allgemeinen strukturellen Widerstand vor. In einem noch überwiegend traditionsbestimmten agrarisch-kleingewerblichen Lebensraum konnte der Appell an eine vernünf51 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

tig-moralische Religiosität wenig Echo finden. Auch die pastorale Funktionsverlagerung zu Volksbildung und Sozialeudaimonismus überforderte die ›kleinen Leute‹, soweit sie nicht als ›Pöbel‹ ein pragmatisches Interesse an Fürsorge hatten, das sie aber keineswegs zugleich für den neuen Religiositätsstil öffnete. Die jungen Geistlichen, die von den Reformfakultäten in fränkische Dörfer kamen und nach dem neuen Leitbild agierten, stießen überwiegend auf Mißtrauen189. Nicht selten befremdeten sie bei ihrem ersten Auftreten schon durch ihren Habitus, der durch blauäugigen Tugendoptimismus wie durch modisch ›gelehrten‹ Anstrich in Kleidung und Haartracht von dem des altlutherischen Seelsorgers abstach190. Nicht nur religiöse, sondern allgemeine mentale Muster verschiedener historischer Grundstrukturen stießen hier aufeinander. Wie die aufgeklärten katholischen Priester mußten auch die protestantischen Landgeistlichen weitgehende Kompromisse mit den seit dem 16. Jahrhundert gewachsenen Erwartungen der Gemeinden schließen, die diese für überzeitlich gültig, für die evangelische Religiosität schlechthin hielten. Aber quantitativ und qualitativ bestand doch ein wesentlicher Unterschied zur katholischen Situation. Der aufgeklärte Pastoralstil wurde, da er in der protestantischen Geistlichkeit dominierte, viel entschiedener in der Gesellschaft vertreten. Diese konnte ihrerseits den überkommenen Religiositätsstil nicht so zäh verteidigen, weil die Religion rituell vorwiegend in dem vom Pfarrer beherrschten Kultraum und in der stark kirchenkonformen Hausandacht vollzogen wurde und weniger in einer alltagsgebundenen ›Volksfrömmigkeit‹ verankert war 191 . Während die barocke Religiosität der katholischen Landbevölkerung da, wo sie aus der Kirche gedrängt wurde, durch viele fromme Korporationen und Zeremonien in einem breiten sakral-profanen Mischbereich überleben konnte, mußte sich die alte protestantische Religiosität innerhalb der Amtskirche verteidigen. Sie war damit, zumal in den autoritär verfaßten lutherischen Kirchenwesen, von vorneherein in einer schwachen Stellung. Zwar war die ›breite Bevölkerung‹ dadurch, daß sich die überbordende spätmittelalterliche ›Volksfrömmigkeit‹ durch die und seit der Reformation entschieden vermindert hatte, enger an die Organisation Kirche gebunden worden. Damit wurde jedoch zugleich auch ihre Religiosität, die sich in einer vorwiegend illiteraten, relativ geschlossenen, hoch ritualisierten Umwelt der Tendenz zur Individualisierung wenig öffnete, stärker als die der Katholiken vom theologischen und pastoralen Wandel abhängig. Und dieser Wandel vollzog sich im Protestantismus zudem rascher. Die einzige im 18. Jahrhundert bedeutsame Form religiöser Selbstorganisierung in der Gesellschaft, die pietistischen Zirkel, waren in Franken zu schwach und allgemein zu sehr eine Kommunikationsform der ›gebildeten Stände‹ um eine breitenwirksame Alternative zur Religionsausübung unter der Kanzel zu werden192. Deshalb blieb die kirchliche Aufklärung, so sehr die Gemeinden ihre Pfarrer zu Kompromissen mit der ›seit Menschengedenken‹ gültigen Orthodoxie zwangen, in den ländlichen Gebieten nicht ohne Wirkung. In regional und lokal unter52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

schiedlichen Formen und Graden durchdrangen sich Tradition und Neuerung. So wurde auch auf dem Land die Religiosität ambivalent. Zwar nahm die Kirchlichkeit, wie sie Gottesdienstbesuch und Sakramentsfrequenz anzeigen, nicht auffallend ab 193 und galten die mit ihr traditionell verbundenen Werte und Normen offenbar weitgehend194. Aber zugleich sickerten über die Pfarrer Elemente aufgeklärter Umweltorientierung ein und äußerten sich in ökonomischen, sozialen, kulturellen Attitüden. Wirtschaftsfleiß, Ordnungsstreben, Nüchternheit hatten zwar die ›kleinen Leute‹ der protestantischen Gebiete seit dem 16. Jahrhundert in steigendem Maß gezeigt. Erst die vor allem kirchlich vermittelte Aufklärung hat jedoch offenbar diese Einstellungen so verstärkt und erweitert, daß sich im 19. Jahrhundert auch auf dem Land die protestantische Bevölkerung durch höhere Bildungs-, Leistungsund Fortschrittsmotivation von der katholischen abhob195. Eine gemeinsame ökonomisch-soziale Struktur wurde so von konfessionsspezifischen Kulturfaktoren partiell überlagert. Auf die politische Haltung der ›kleinen Leute‹ wirkte die Kirchenrehgion zunächst durch die überkommene lutherische ›Obrigkeitsfrömmigkeit‹196, die Staatsbayern und seine Herrschaft der Bevölkerung intensiv vermittelte. Vom Tag der Eingliederung an wurde in den neubayerischen Territorien am Altar, auf der Kanzel, im Kirchengesang und in der Katechese der Gehorsam gegen den König und die von ihm repräsentierte Ordnung als Gebot Gottes und als Bedingung sozialer Harmonie und individueller Wohlfahrt eingeübt197. Auch sonst fungierten die Pfarrer als wichtige Multiplikatoren politischer Loyalität bei patriotischen Feiern, durch die Schulaufsicht und generell als lokale Meinungsführer. Dabei wurde diese Loyalität im Rahmen des feudal-ständischen Gesellschaftsbilds legitimiert198, das den Gehorsam gegen den König und seine Vertreter als höchste Form des jede Ordnung konstituierenden Gehorsams gegen die ›Hausväter‹ aller Stufen forderte. Zwar durch Utilitarismus und Eudaimonismus modifiziert, galten die Verhaltensmuster des ›ganzen Hauses‹ - Unterordnung und Tugend - nach wie vor auch für die gott-, natur- und vernunftgegebene politische Ordnung199. Interessenkonflikte waren moralisch diskreditiert, Anpassung wurde belohnt im Leben und im Jenseits durch Frieden und ›Heil‹ 200 . Wie die Volksschule übte die protestantische Kirche der Bevölkerung einen im wesentlichen vormodernen bayerischen Patriotismus auf der Grundlage des Heimat-Idyllismus ein 201 . Die kirchlichen Vertreter der Aufklärung dosierten wie die in der Staatsbürokratie die Aufklärung der ›kleinen Leute‹ sorgfältig und suchten sie dort zu begrenzen, wo sie sich zur Emanzipation zu verselbständigen drohte. Herrschaft ruhte, wie ›modern‹ sie auch handeln mochte, als Autorität autonomer Eliten auf traditionalen Loyalitäten. Auch die neuen Katechismen etwa gliederten die Gesellschaft in »Obrigkeit« und »Unterthanen«, in »Hausherren« und »Knechte, Mägde, Taglöhner und Arbeiter«202 und schrieben ihnen jeweils standestypische Leitbilder vor. Andererseits kristallisierte sich gerade um die protestantische Geistlichkeit 53 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

eine politisch dysfunktionale Attitüde. Ein von vorbayerischen Territorialtraditionen, von den Ressentiments Mediatisierungs- und Integrationsgeschädigter und vom Widerstand gegen den Münchner Zentralismus genährter fränkischer Regionalismus mit preußisch-deutscher Orientierung203 stützte sich besonders auf protestantisches Selbstbewußtsein204. Obgleich im 18. Jahrhundert zumal in der Gemengelage Frankens Teiltoleranz und interterritoriale Kooperation den Konfessionalismus zurückgedrängt hatten205, disponierte die fränkischen Protestanten ihre Minderheitssituation in Staatsbayern sogleich zu erhöhter konfessioneller Solidarität. Diese ergriff offenbar zunächst die höheren Schichten und besonders mobile Gruppen der ›kleinen Leute‹, die durch ihren größeren Kommunikationsradius das katholisch dominierte Bayern als neuen Lebensrahmen unmittelbar erfuhren, und sie wurde von ihnen auch in die ›breite Bevölkerung‹ vermittelt. Gerechtfertigt wurde diese Haltung durch ein populäres Negativbild des katholischen Bayern: nicht zuletzt Repräsentanten der kirchlichen Aufklärung stilisierten es mit dem Sendungspathos geistiger ›Erleuchtung‹ zum Hort von Intoleranz, Aberglauben, Armut206 und stellten ihm das protestantische Franken als Land der Bildung und Toleranz, der Wohlfahrt und des Fortschritts entgegen. Dieser Regionalismus verband heterogene Anti-München-Affekte durch einen säkularisierten Konfessionalismus zu einer weltanschaulichen Oppositionshaltung. Er bereitet für den Fall, daß die Staatsführung die Grundsätze der Aufklärung verlassen und ihre Gesellschaftspolitik wieder stärker konfessionalisieren sollte, einen harten Konflikt zwischen dem ›evangelischen Frankenland‹ und München vor. Dieser Fall trat dann in den 1830er Jahren ein. Der Insel-Protestantismus in den schwäbischen Reichsstädten war zu schwach und zu sehr in den paritätischen Kompromiß mit den Katholiken eingewöhnt, als daß er zum Kern eines schwäbischen Regionalismus hätte werden können. Immerhin aber gab die Mediatisierung, die die Protestanten vom territorialen Mitregiment zur kleinen Minderheit deklassierte, der schwäbischen Opposition gegen München eine antikatholische Note 207 . 2.4.4. Die Abweichung: die reformiert orientierte Union in der Pfalz Eine Sonderstellung nahm auch kirchlich die Rheinpfalz ein. Die enge, in territorialer Zersplitterung, wechselvoller konfessioneller Entwicklung und frühzeitiger Toleranz begründete Nachbarschaft von Lutheranern und Reformierten, die Wirkung des Rationalismus zunächst aus dem nahen Frankreich des Ancien Régime und ab 1795 der tiefe Wandel von Institutionen und Sozialisationen bedingten eine andere religiöse Entwicklung als im rechtsrheinischen Bayern 208 . Da es das Zahlenverhältnis verbot, wie dort die Reformierten der lutherischen Kirche einzufügen, blieben zunächst die Gemeinden beider Konfessionen in ihrer jeweiligen dogmatischen und liturgi54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

schen Verfassung nebeneinander bestehen209. Sie wurden jedoch bereits durch ein gemeinsames, paritätisch besetztes Konsistorium organisatorisch überwölbt 210 . Zudem hatten sie sich durch gegenseitige Hilfe unter den französischen Belastungen, die gemeinsame Benützung von Kirchen und Friedhöfen und die konfessionelle Durchmischung in der Bevölkerungsfluktuation dieser Umbruchzeit einander angenähert. Diese Vorbedingungen trafen zusammen mit einer Aufklärungsrezeption, die jene im fränkischen und schwäbischen Luthertum weit übertraf und das konfessionelle Profil fast einebnete211. Lokale Zusammenschlüsse zu unierten Gemeinden signalisierten eine verbreitete Fusionsstimmung, die sich schließlich, zusätzlich angeregt durch die Vorbilder in Preußen und Nassau 1817, beim Reformationsjubiläum 1817 allenthalben sehr entschlossen äußerte 212 . Mit dem Wahrheits- und Freiheitspathos eines radikal aufgeklärten Protestantismus, der theologisch nur den gemeinsamen reformatorischen Kernbestand akzeptierte und die überlieferten Konfessionsspezifica beiseiteschob, forderten viele Geistliche und Laien die Union als Vollendung der Reformation. Da der rationalistische Integrationsstaat diese Strömung ermutigte, wurde im folgenden Jahr nach einer Abstimmung in den Gemeinden mit überwältigender Mehrheit die »Wiedervereinigung beider bisher getrennter Confessionen« zur »Protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche« der Rheinpfalz vollzogen213. Diese blieb zwar bis 1848 der lutherisch geprägten Hierarchie der Landeskirche eingegliedert. Auf der für ihre gesellschaftliche Wirkung entscheidenden Gemeindeebene wurde sie jedoch vom reformierten Prinzip der Laien-Mitbestimmung, vom wirtschaftlichen, repräsentativsymbolischen, religiösen und moralischen Einfluß der Presbyterien geprägt. Auch auf Dekanats- und Konsistoriumsebene wog die Mitbestimmung der Laien schwerer als rechts des Rheins 214 . Wie die Verfassung war die Lehre der pfälzischen Kirche, die sich nur auf Bibel, Gewissen, Vernunft berief215, waren Sakramente, Ritus, Katechese, ethisches Gebot stärker säkularisiert und individualisiert als die der übrigen bayerischen Kirche216. Das Selbstverständnis dieser Kirche ging davon aus, daß »es zum innersten und heiligsten Wesen des Protestantismus gehört, immerfort auf der Bahn wohlgeprüfter Wahrheit und ächt religiöser Aufklärung, mit ungestörter Glaubensfreiheit muthig voranzuschreiten«217. Insgesamt überwog in dieser Kompromißkirche218 der reformierte Pastoralstil; ihn favorisierte der gerade in der Pfalz herrschende ›Zeitgeist‹ durch die hohe Sinnadäquanz zwischen Calvinismus und bürgerlichem Weltbild219. Der kirchliche Protestantismus war, indem er Leittendenzen einer mobilisierten Gesellschaft spiegelte und stärkte, ein entscheidender Faktor in dem vom rechtsrheinischen Bayern abweichenden, ›moderneren‹ Profil der Rheinpfalz.

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2.5. Die prinzipielle Toleranz zwischen den Konfessionen Das Verhältnis der Konfessionen zueinander bestimmten im frühen paritätischen Bayern drei Kräfte. Zunächst im Protestantismus die Herrschaft des Rationalismus und die Minderheitsposition im katholisch dominierten Staat, die zum Wohlverhalten drängte. Dann die Wirkung der Aufklärung auch in der katholischen Kirche und die schwere Erschütterung der Macht und des Selbstbewußtseins dieser Kirche. Schließlich der Koexistenzzwang durch die Bürokratie, deren Integrations- und Harmonieprogramm jede konfessionelle Konfrontation stören mußte. Unter solchen ideellen und pragmatischen Bedingungen wirkte das Toleranzprinzip bis weit in den Vormärz in beiden Kirchen stärker als je zuvor in den Territorien und zwar nicht nur zwischen den Kirchenleitungen, sondern über die Geistlichkeit221 und durch die Konvergenzattitüde der Außenbeamten222 auch in die Gemeinden. Es leistete so in einer noch stark von der Kirche geprägten Bevölkerung einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaftsintegration. Den in einen politischen Rahmen zusammengezwungenen, historisch profilierten Konfessionsgruppen wurde so eine grundsätzliche Zuordnung und ihren Mitgliedern ein Zusammenleben im Alltag sehr erleichtert223. Neben und hinter dieser Toleranz standen freilich Spannungen und Konflikte. Sie reichten vom spektakulären Zusammenstoß führender Geistlicher oder kirchlich engagierter Laien224 über Streitigkeiten in Pfarreien um die Bestattung Andersgläubiger225 bis zur Kontinuität gegenseitiger magischer Vorurteile in der Landbevölkerung226. Denn gerade in konfessionell homogenen Gebieten waren Toleranz und bewußte Koexistenz als Idee wie als soziale Erfahrung vorwiegend eine Einstellung des aufgeklärten Bürgertums. Die ›breite Bevölkerung‹ folgte in ihrem traditionsgeleiteten und damit stark konfessionsspezifischen Lebensraum nach wie vor konfessionellen Autound Heterostereotypen und stand den ›Lutherischen‹ bzw. den ›Papisten‹ mißtrauisch gegenüber. Der aufgeklärte Religiositätsstil wird diese Attitüde abgeschwächt haben - beseitigt hat er sie nicht. Besonders aktualisiert wurde sie auf beiden Seiten an den Nahtstellen der Konfessionsflächen und durch eine krasse Mehrheit-Minderheit-Situation bei alten Enklaven und neuer Diaspora227. Die Mehrheit beargwöhnte den Konfessionssplitter und setzte ihm oft auch mit Repressionen zu; die isolierte Minderheit kompensierte ihre Schwäche durch Superioritätsgefühl und exzessiven Konfessionalismus. Als im Lauf des 19. Jahrhunderts die alten Herrschaftsgrenzen und -traditionen allmählich verblaßten228, die scharfen Konfessionsgrenzen durch Binnenwanderung verschwammen229 und die überlokale und überregionale Kommunikation zunahm, überwand die Gewöhnung an Kompromiß und Kooperation langfristig auch solche Aggressivitäten. Modellhaft lebte Bayern seine Zukunft auch in dieser Hinsicht die Pfalz vor, wo eine extreme konfessionelle Gemengelage230 und die Umwelterschütterung religiöse Alltagsdistanz sehr verringert, ja zum Teil in einer allgemein christlichen, kaum mehr 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

bekenntnisspezifischen Religiosität aufgehoben hatte 231 . Der unmittelbare Dauerkontakt zwischen den Angehörigen der Konfessionen wirkte sich also je nach dem Diffusionsgrad unterschiedlich aus: an scharfen Grenzen und um geschlossene Inseln führte sie in der Regel zur Abgrenzung, in Mischgebieten zur Öffnung. Das Verhalten der Konfessionsgruppen zueinander schwankte so im frühen 19. Jahrhundert, in dem sich die Kirchen, vom Sonderfall Pfalz abgesehen, erst in die Paritätssituation hineintasten mußten, zwischen Toleranz und Konflikt. Dabei begünstigten und förderten der vorherrschende ›Zeitgeist‹ und das Staatsinteresse die Toleranz und ihre Integrationsleistung vom ländlichen zum städtischen, vom relativ geschlossenen, traditionalen zum relativ offenen, ›modernen‹ Lebensraum offensichtlich mit steigendem Erfolg.

2.6. Zusammenfassung Der aufgeklärte Reformstaat, der nach dem Untergang der feudalen und vor dem Aufstieg der bürgerlich-industriellen Gesellschaft stärkste Gestaltungskraft war, konnte die Bevölkerung hauptsächlich auf zwei Wegen im Sinne der Staatsidee prägen. Direkten Zugriff auf die kollektive Orientierung und Qualifizierung erlaubte die allgemeine Pflichtvolksschule. Als prinzipiell ›moderne‹ Sozialisationsinstanz adaptierte sie sich inhaltliche und formale Elemente der alteuropäischen Mentalität, die in der agrarisch-kleingewerblichen Bevölkerungsmehrheit vorherrschte, um dieser Bevölkerung die neuen Einstellungen überhaupt vermitteln zu können und um die ständische Sozialordnung und politische Untertänigkeit so weit zu bewahren, wie es der Staatsführung nötig und möglich schien. Die Revolution der Volksbildung aus dem philanthropischen und utilitaristischen ›Geist‹ der Aufklärung konnte und sollte nur mit religiösen und patriotischen Traditionen verbunden wirken. Sie durfte nicht zur sozialen oder gar zur politischen Revolution führen. Indirekt suchte die Montgelas-Bürokratie ihre Reformen mental zu verankern, indem sie sich die Kirchen mit ihrer umfassenden Autorität in der ›breiten Bevölkerung‹ dienstbar machte. Die protestantische Kirche, staatsabhängig verfaßt und theologisch aufklärungsbestimmt, kam solchem Anspruch weit entgegen. Sie mußte nur aus territorialer Heterogenität in Organisation, Lehre und Kult gesamtbayerisch vereinheitlicht werden, um eine vernünftige Moralreligion als ethische Grunddisposition des beschränkt aufgeklärten Untertanen wirkungsvoll zu verbreiten. Erfolgreich war dieser Einfluß, in dem sich Kirchenkurs und Staatsinteresse trafen, vor allem im Bürgertum und dessen sozialem Umkreis; im traditionsgeleiteten ländlichen Lebensraum setzten ihm freilich spätorthodox-pietistische Religiosität und bäuerli57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

cher Alltagsritualismus deutlich Grenzen. Kirchlicher Rationalismus und staatliche Funktionalisierung der Religion erreichten in einer mehrheitlich noch vorbürgerlichen Gesellschaft eine zwar starke, aber keine durchgehende Wirkung. Viel enger blieb die Wirkung der nützlich-sittlichen Prägung durch die Kanzel bei der katholischen Kirche, obwohl sie vom rationalistischen Monopolstaat hart unter dessen Interessen und Normen gezwungen wurde. Auch Säkularisation, Unterdrückung der ›Volksfrömmigkeit‹ und staatsbestimmte Reorganisation konnten nicht den spätbarocken Religiositätsstil binnen kurzem durch einen aufgeklärten verdrängen. Denn diesen vertrat nur eine Minderheit der Geistlichen so entschieden, daß er über das Bürgertum hinaus greifen und durch humanes Engagement die Verbitterung der ›kleinen Leute‹ über den kirchenstürmenden Beamtenrigorismus aufwiegen konnte. Die katholische Kirche beugte sich, solange es um der Pastoration willen nötig war, mehr dem Staatsanspruch als daß sie dessen Ziele selbst verfolgte. Der Reformbürokratismus, der das institutionelle Gefüge in Staat und Gesellschaft tiefgreifend veränderte, drang auch bei den kollektiven Einstellungen, die jene erst dauerhaft tragen konnten, durch den Einsatz neuer und den Einfluß auf alte Instanzen so weit, daß er die Breitenmentalität in Weltbild und Umweltorientierung nachhaltig ›anprägen‹ konnte. Durch Zwang und Leistung, durch die Gunst der Umbruchsituation und die Tätigkeit eines reformfreudigen Bildungsbürgertums baute er die Minimalintegration, -loyalität und -rationalität auf, die Staatsbayern bald eine tragfähige innere Legitimität gab. Dennoch blieb diese mentale Umformung offensichtlich hinter der realen, hinter der Vereinheitlichung und Rationalisierung der politischen, aber auch der ökonomischen und sozialen Verfassung zurück. Sie blieb zunächst meist Uberformung von tradierten Einstellungs- und Verhaltensmustern. Diese Muster waren durch viele vom Reformstoß kaum berührte Alltagselemente gestützt, überlebten oft auch bereits beseitigte Lebensbedingungen als Gewohnheit oder wurden gerade durch den scharfen Umlerndruck in ihrer Vitalität gereizt. Sie waren erschüttert, aber nicht ersetzt. Als die forcierte Gesellschaftspolitik des Reformbürokratismus die ›kleinen Leute‹ in ihrem Fühlen und Denken Staatsbayern als einer neuen, säkular und rational ausgerichteten Ordnung verfügbar machen wollte, fand sie ihre Wirkungsgrenzen am stärksten an Sitte und Brauch der agrarisch-kleingewerblichen Bevölkerung, wo diese in der katholischen Religion gründeten. Da also ihre Erfolge konfessionell, territorial und nach sozioökonomischen Bedingungen recht unterschiedlich waren, verfestigte sich rasch eine aus historischen Prädispositionen wachsende mentale Regionalisierung. Sie sollte das Profil Bayerns bis ins 20. Jahrhundert charakteristisch differenzieren.

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3. Die traditionalistische Wende im bayerischen Vormärz 3.1. ›Romantischer‹ Autokratismus und gesellschaftliche Virulenz Der Übergang von der staatsdirigistischen Gründungsphase zum Vormärz konzentrierte sich in Bayern um die Regierungsübernahme durch Ludwig I. 1 . Auch nach dem Sturz Montgelas' 1817 hatte grundsätzlich noch der aufgeklärte Bürokratismus die entstehende bayerische Gesellschaft geprägt; allerdings geschah das schon ohne die bisherige Dynamik und Konsequenz, eingeschränkt durch eine Verfassung, die bürgerlich-frühliberales wie altständisch-adeliges Mitbestimmungsdrängen entband, mit einer Lockerung des Zentralismus, wie sie Montgelas zuletzt selbst schon angestrebt hatte, und allmählich mit manchen romantisch-konservativen Zügen. Erst der neue König aber, ein Hauptopponent gegen Montgelas von Jugend an und von außergewöhnlichem Herrscherbewußtsein und Herrschaftswillen erfüllt, veränderte den politischen Kurs und damit die gesellschaftliche Wirkung des Staates so tiefgreifend, wie es in der allgemeinen konservativen Wende wohl sonst nirgends im Deutschen Bund geschah. Die objektive Notwendigkeit, den gewaltigen Reformschub zu bremsen und zu korrigieren, wo er die Bereitschaft der Bevölkerung überspannt hatte, und die subjektive Entschlossenheit des Monarchen ergänzten sich: dem Führungsprogramm kam eine strukturelle Disposition entgegen2. Den bayerischen Staat leitete nun ein romantischer, religiös-patrimonialer Autokratismus, der zwangsläufig anfängliche halbliberale Motive bald verwarf, als sie die liberale Opposition als ›Aufbruchschance‹ mißverstand. Er brachte die in der Gesellschaft virulenten Strömungen gegen den rationalistischen Bürokratismus zu politischer Geltung3, indem er zahlreiche Repräsentanten in Schlüsselstellungen hob. Die Machtübernahme einer neuen Generation mit einem neuen Programm, das in einem alternativen Welt- und Ordnungsbild gründete, veränderte das Verhältnis von Staat und Gesellschaft so, daß jener seine dominierende Entwicklungsrolle in zweifacher Hinsicht verlor. Zum einen verschob sich die politische Leitlinie von rationaler Reformplanung zur Bewahrung oder Wiederbelebung lebensfähiger Traditionen. Zwar übte die Staatsführung aufgrund des autokratischen Monarchismus in einer dem MontgelasRegime formal nicht nachstehenden Weise weiterhin die Globalsteuerung. Aber indem diese statt einem Zukunftsentwurf gegenwärtigen oder wieder vergegenwärtigten Werten und Institutionen folgte, band sie sich eng an be59 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

stimmte Gruppen. Gerade diese Politik des christlich-traditionalen Monarchismus zog, da sie sozial und kulturell Partei ergriff, den Staat weit mehr als der aufgeklärte Bürokratismus in gesellschaftliche Interessen und Konflikte. Alte partikulare Lebensformen, sofern sie nicht dem königlichen Autokratismus widerstrebten, gelangten zu neuer Geltung. So sehr sie nach politischen Maßgaben favorisiert wurden, die feudal-barocke Muster nur mehr ausgewählt und ›romantisch‹ umgeformt zuließen, so gingen doch Initiative und Kursbestimmung der Restauration vielfach an gesellschaftliche Kräfte über. Als der Staat sich vom Reformprinzip auf das Traditionsprinzip umorientierte, provozierte er, da er sich cum ira et studio mit bestimmten Positionen verband, deren Gegner, die vorher eher staatsbegünstigt gewesen waren, zu erhöhter Selbstbehauptung und Vitalität. Damit verstärkte oder entfachte er innergesellschaftliche Konflikte neben den bisher vorherrschenden Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und den alten Gesellschaftseliten. Regierung und Verwaltung, in ihrer Option weltanschaulich gebunden, reagierten dann nicht selten eher als daß sie konfliktmindernd agierten4. Der ›romantische‹ Autokratismus wirkte, vor allem als er in den 1840er Jahren reaktionär wurde, politisch polarisierend. Daß der vormärzliche Staat trotz seines hohen Führungsanspruchs Macht verlor, die Gesellschaft weniger verfügbar wurde, hatte nun allerdings auch gesellschaftliche Gründe. Dem Staat erwuchs doppelte Konkurrenz, als ›Tradition‹ und ›Fortschritt‹ mit umfassendem Geltungsanspruch energisch auftraten. Zum einen erstarkten die alten Gruppen, Institutionen und Lebensformen wieder und brachen aus der Defensive zu selbstbewußtem Leitbildanspruch durch5: der Adel und das Kleinbürgertum, die Kirchen und die Korporationen, statische Wirtschaftsmentalität und religiöses Brauchtum. Der Druck des Montgelas-Staates hatte sie, soweit sie ihm nicht erlegen waren, gestärkt; sie sahen sich dadurch aufgewertet, daß die ›Modernisierung‹, weil überzogen, in nicht geringem Maß diskreditiert war; sie wurden von der ›romantischen‹ Wende des ›Zeitgeistes‹ belebt. Allerdings griff dieser vormärzliche Traditionalismus nicht einfach auf alteuropäische Strukturen zurück, imitierte sie nicht, sondern transformierte sie konservativ6. Damit betraf er nicht nur rückwärtsgewandte Lebenswelten in Adel, Bauerntum, Handwerk. Er reichte auch ins Bürgertum, wo sich nicht wenige von aufgeklärtem Weltbild und Lebensstil wieder abwandten. ›Romantischer‹ Geist in Universität und Literatur, antirationalistische Verhaltensnormen im Staatsdienst, ein erhöhter Einfluß der Kirchen bewirkten vor allem unter katholischen Bildungsbürgern einen Wandel zwischen den Generationen, aber auch innerhalb derselben Generation. Er wurde für die politische Kultur Bayerns bis ins 20. Jahrhundert bedeutsam, weil er dem Konservativismus früh auch bürgerliche Gruppen zuführte. Wichtige Teile des Bürgertums blieben jedoch bei ihren seit dem 18. Jahrhundert entwickelten Einstellungen und Lebensformen, obgleich diese zur Außenseiterhaltung wurden. Diese innerbayerische Bedrängung und äußere Anstöße erregten im bildungsbürgerli60 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

chen Milieu einen frühliberalen Aufbruch gegen Neoabsolutismus und Traditionalismus, der bis ins gewerbliche Kleinbürgertum und in die Unterschichten wirkte, vor allem auf gefährdete oder neue, also instabile Gruppen7. Die restaurativen wie die ›progressiven‹ Kräfte suchten sich in den Formen bürgerlicher Öffentlichkeit zu entfalten. Unter der Decke der staatlichen Instanzen entfaltete sich, soweit deren Druck das zuließ, in kontroverser Kooperation durch Versammlungen, Vereine und Presseorgane beider Richtungen eine Politisierung, die zur ideologischen Breitenmobilisierung tendierte 8 . Der mit der Zerschlagung ständischer Mitregierung vom MontgelasStaat erhobene und vom ludovizianischen Neoabsolutismus modifiziert übernommene politische Monopolanspruch verlor Chancen. Immer stärker drängten Interessen und Ideen, die nicht staatlich institutionalisiert waren, gegen oder in das Normen- und Kompetenzengefüge des Staates und stauten sich schließlich brisant auf. Auch diese gesellschaftliche Dynamisierung wuchs entsprechend dem regionalen Strukturgefälle von Altbayern über Schwaben und Franken zur Rheinpfalz, wobei sich in derselben Richtung das Schwergewicht von den restaurativen auf die progressiven Kräfte verlagerte. Die Bewegung in der bayerischen Gesellschaft ging auch auf ökonomische und soziale Verschiebungen, Spannungen, Frustrationen zurück9. Im agrarischen Bereich griffen die im 18. Jahrhundert eingeleiteten Produktions-, Organisations- und Agrarverfassungsreformen nun erstmals mit breiter Wirkung, nachdem sich aus der anfänglichen Innovationshektik die erfolgssicheren Neuerungen herausgeschält hatten und sich ein erster naturwissenschaftlich-technologischer Reformschub entfaltete. Die Folgen der allmählich verwirklichten Bauernbefreiung und die Auswirkungen einer langfristig instabilen, zwischen Überproduktion und Mißernten wechselnden Agrarkonjunktur kamen hinzu. Die Entwicklungen bauten gewohnte Alltagskonstanten im bäuerlichen Selbstverständnis ab. Damit verunsicherten sie materiell und mental und erzwangen, aber ermöglichten auch neue Orientierungen und Qualifikationen. Schließlich betraf seit den 1840er Jahren die ländliche Gesellschaft als Industrialisierungsfolge eine tiefe Krise im - vor allem textilen - Kleingewerbe10. Sie bewirkte eine weitere Reagrarisierung oder löste teils saisonale, teils dauerhafte Abwanderung in die Stadt aus. Auch sie führte zu wirtschaftlichen und sozialen Umschichtungen und veränderte Lebensformen. Besonders wurden von der frühen Industrialisierung das überbesetzte Handwerk der Märkte und kleineren Städte betroffen. Es verhärtete dadurch seine restaurative Zunftmentalität, sein korporativ-statisches Wirtschaftsund Sozialdenken, dem seit 1834 eine staatliche Restriktionspolitik - Ansässigmachung, Verehelichung, Gewerbezulassung - weit entgegenkam11. Dem trat in derselben Lebenswelt eine Protestbereitschaft unter den Gesellen entgegen, von denen sich immer mehr lebenslang in einer Minderstellung festgelegt sahen12. In den wenigen großen Städten und in einigen Landbezirken be61 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

gannen sich Unterschichten heterogener Herkunft und meist wenig traditionsstabiler Lebensformen in Gewerbe und Dienstleistungsfunktionen zu ballen. Zunächst durch die korporativ-patriarchalisch orientierte Gesellschaftspolitik halbwegs gesichert und ›gebändigt‹, widerlegten ihre Lage und ihr Verhalten, vor allem wo sich die Lebensbedingungen ›moderner‹ Arbeiter abzeichneten, langfristig diese Politik und ihr Menschenbild13. Ebenso standen die dynamischen Unternehmer wirtschaftsbürgerlicher oder handwerklicher Herkunft zumindest potentiell gegen die Leitwerte jener Politik, die ihre Initiativen lähmten. Allerdings gewann diese Gruppe, die sich aus einer Summe recht unterschiedlich situierter Personen erst langsam abzeichnete, kein entscheidendes Gewicht. Sie blieben noch weit hinter dem bisherigen Bürgertum zurück, das entweder nach älteren Grundsätzen wirtschaftete oder aufgrund der Beamtendisziplin nicht nur beruflich dem Restaurationsund Restriktionskurs folgte. Gerade im Beamtenbürgertum, das von der Wirtschaftsentwicklung nicht so abhängig und primär ideengeleitet war, hatte die ›romantische‹ Kulturoffensive Erfolg und drängte, verstärkt durch einen Generationenwechsel, aufgeklärte Verhaltensformen zurück 14 . Zwar war dieser Umschwung kein endgültiger Leitbildwechsel und konnte sich, wie das spätere 19. Jahrhundert zeigen sollte, gegen Montgelas-Tradition und professionsspezifische Rationalität langfristig nicht durchsetzen. Aber er schwächte doch zunächst die Energien erheblich, die die Anfanesphase Staatsbayern geprägt hatten. Auch im Vormärz dominierten also in Bayern gesellschaftlich noch ländlich-kleinstädtischer Traditionalismus und bürgerlicher Quietismus. Ihre im deutschen Vergleich relative Stärke kam der ludovizianischen Restauration vielfach entgegen; das erklärt deren angesichts des scharfen Kurswechsels doch erstaunliche Erfolge. Diese Politik gab dem in kürzester Zeit hochgezogenen Staatsbau eine Ruhe- und Konsolidierungsphase15. Sie brach die Reformwellen ab oder dämpfte sie stark, korrigierte kardinale Mängel des Bürokratismus durch Dezentralisierung, Verwaltungsvereinfachung und manchen Normierungsverzicht zugunsten von Brauch und Sitte, sanierte mit Konsequenz den Staatshaushalt und bot Religion, Kunst und überkommener Geselligkeit neue Entfaltung. Durch sie konnte sich das Ordnungsgefüge stabilisieren und zugleich an verbreitete bzw. wieder belebte Erwartungen der Bevölkerung angenähert werden: es gewann eine erhöhte politische Konsistenz und gesellschaftliche Legitimität. Diese hohe Leistung, die dem großzügigen Gründungsentwurf Staatsbayerns erst seine dauerhafte Verwirklichung garantierte, forderte freilich so, wie sie durchgeführt wurde, einen hohen Preis. Denn die Annäherung des Staates an die alten Gruppen und Lebensformen versöhnte zwar diese so ziemlich mit ihm, begründete jedoch auch eine strukturelle Rückständigkeit Bayerns. Als sich eine neoabsolutistische Politik nach einem romantisch-liberalen Übergang, der sich als Mißverständnis erwies, des Konservativismus bediente und ihn schließlich reaktionär verhärtete, stellte sie die Weichen von 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

einem hervorstechenden Entwicklungsdrang zu einer besonders intensiven Traditionshege. Damit konnte Bayern die erhöhten Innovationschancen kaum mehr nutzen, als in Mitteleuropa allenthalben ökonomische und soziale Modernisierungsvorgänge staatlichem Modernisierungsdruck zu korrespondieren begannen16. Dieses in der ›Entwicklungsskala‹ eklatante Zurückfallen, das von Teilentwicklungen (etwa dem Verkehrsausbau) nur gemildert wurde, führte zu den eigentümlichen Verwerfungen im Gefüge Bayerns, als in der zweiten Jahrhunderthälfte eine wieder liberal-gouvernementale Staatsführung einer konservativen Gesellschaftsmehrheit gegenüberstand. Die Konstellation war also gerade umgekehrt wie in Preußen. So folgenreich die ludovizianische Ära für Bayern wurde - ihre Politik enthüllte bereits im Scheitern 1847/48, wie ihre Motive und Mittel zwischen die gesellschaftlichen Fronten geraten waren17. Nicht nur, daß sich der Autokratismus nach zwanzig Jahren erschöpft hatte, was zuletzt die taktische Rückkehr zu einem liberalen Kurs nicht mehr auszugleichen vermochte, und daß er die liberalen Gruppen trotz schmaler sozialer Basis zu heftiger Opposition provozierte. Er konnte auch über die traditionalen Kräfte, die von ihm so gefördert worden waren, nicht dauerhaft verfügen. Vor allem entzog sich seinem Zugriff die als Institution regenerierte und als gesellschaftliche Kraft außerordentlich aktivierte katholische Kirche. Andererseits konnte er die Interessen seiner Hauptklienten, der traditionsfixierten Kleinbürger und Bauern gegen den wirtschaftlichen Fortschritt wie gegen den Restfeudalismus nicht hinreichend befriedigen; der breite, meist vorpolitische Widerstand dieser Gruppen 1848 zeigt das an. Um den Staatsanspruch in einer zunehmend eigenwilligen Gesellschaft zu verwirklichen, wurde die Volksschule auf die veränderten Leitwerte umdirigiert und der monarchische Kult lebhaft eingesetzt.

3.2. Die Restauration durch die ›Elementarschule‹ 3.2.1. Das Bildungsziel: der fromme Patriot Die von der Montgelas-Bürokratie geformte Volksschule wirkte seit den späten 1820er Jahren nach einem gemäß der ludovizianischen Restauration veränderten Bildungsziel. Im Aufwind eines breiten gesellschaftlichen Widerstandes gegen die »schädlichen Auswüchse. . . der Zeit der Aufklärerei« in der Volksbildung18 wurde sie am ›positiven‹, d.h. dezidiert kirchlich und konfessionell geprägten Christentum ausgerichtet. Sie sollte, da sie zu kognitiv und zu emanzipatorisch sei und Religion zur Moral reduziere, vom Geist einer utilitaristischen und philanthropischen Pädagogik gelöst werden19. Die Religion schob die ›Realien‹ in den Hintergrund; das Leitbild des christlichen Tugendbürgers wich dem des tugendhaften Katholiken oder Protestanten. 63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Stärker religiös begründete sich nun auch die verordnete politische Einstellung, der Patriotismus. Eingeübt wurde er in erster Linie durch eine selektierte Geschichte20 und Geographie: »Bei der Geographie werden die Elemente der vaterländischen besonders behandelt, und bei der vaterländischen Geschichte die wichtigsten Momente hervorgehoben, welche besonders geeignet sind, Vaterlandsliebe, Unterthanentreue und andere Bürgertugenden zu erwecken« 21 . Denn »die Kinder sollen mehr zu Staatsbürgern (Patrioten), als zu Weltbürgern (Kosmopoliten) gebildet werden« 22 . Bayern dominierte historisch und aktuell durch die Qualität und Quantität der vermittelten Informationen23. Das Geschichtsbild beherrschte der dynastische Aspekt, so daß sich die baierische Geschichte von Anfang an seit Garibald in die Geschichte der Fürsten gliederte (1180 kann so zum wichtigsten Epochenjahr, zum Beginn der »Neueren Geschichte« werden 24 ), die in standardisierten Mustern25 - der ruhmbekränzte Kriegsheld, das Tugendidol, der leutselige Wohltäter - auftraten und anderen Akteuren kaum Raum ließen. Auch die didaktisch bedingte Darstellungsform, die unmittelbar nacherlebbare Anekdote förderte Dynastengeschichte26. Erst als über Mischformen - Max I. ist »sowohl ein Vater, als auch ein Vertheidiger seines Landes« - in der jüngsten Vergangenheit der heroische Aspekt hinter dem altruistischen, dem Fürsorgeaspekt fast verschwand27, konnten Helfer des Fürsten und ›Land und Leute‹ als, freilich abhängige, Kräfte erscheinen28. Mit dem 1705-Kult traten die Untertanen im Spanischen Erbfolgekrieg auf, deren Widerstand für den handlungsgehemmten Fürsten vorübergehend das Land erhielt und ›bedeutete‹ 29 , und dann in den napoleonischen Kriegen, in denen die Baiern ihren Nationalcharakter glänzend bewährten: höchste Tapferkeit (»Krieg war Nationalneigung«) und höchste Treue30. Zu Tapferkeit und Treue traten Frömmigkeit und Traditionalismus als baierische Standardeigenschaften. Der ethnomentale Aspekt trat so als Integrationsfaktor neben den dynastischen, die Solidarität neben die Loyalität. Diese war jedoch zugleich selbst ein wesentliches Kohäsionselement wie ein Hauptziel jener Gruppensolidarität und band sie in Form, Inhalt und Funktion eng an sich. Gesellschaft und Herrschaft erschienen deckungsgleich, so daß eine ›hausväterliche‹ Gesamtordnung vertikales und horizontales Wir-Gefühl koordinierte. Die Bevölkerung wurde in ihrem Selbstverständnis umfassend auf das Königshaus bezogen. Der zeitgenössische soziale und politische Wandel blieb ausgeblendet. Über ihn wurde höchstens durch Hinweise auf die Verfassung von 1818 informiert, durch die »sein treues, biederes Volk . . . der Vater des Vaterlandes mit der köstlichsten Gabe belohnend überraschen« wollte, um »das Glück der Unterthanen zu begründen« 31 . Auch die Konstitution diente der Loyalitätseinübung. Dem dynastischen Aspekt entsprach so das monarchische Prinzip. Revolutionen oder Reformbewegungen wurden mit der für normative Texte typischen Methode der Informationsversagung übergangen oder als exempla für 64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

das zwangsläufige Scheitern jedes Abfalls von der gottgegebenen Herrschaftsordnung warnend demonstriert. Die Weltgeschichte war stets das Weltgericht; pauschal galten die Wege der Geschichte als Gottes Wege32. Das Problem jedes theologisch begründeten Geschichtsbildes, wie der transzendente Wille in der konkreten Situation zu erkennen, wie ein möglicher Loyalitätskonflikt zu vermeiden sei, klang nirgends an. Die Mahnung »Christliche Unterthanen . . . gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!« 33 barg kein Dilemma. Unter dem Aspekt des »christlichen Traditionalismus«34, dem Fluchtpunkt des gesamten vormärzlichen Unterrichts, wurde durch die Geschichte der Bund von Thron und Altar eingeübt. Konflikte zwischen Staat und Kirche, die ja auch das zeitgenössische Bayern erregten, waren tabu. Ein harmonisiertes Mittelalter nahm als Vorbildepoche der Religiosität und geistlichweltlicher Herrschaftsgemeinschaft breiten Raum ein. Gottesfürchtige Fürsten garantierten zugleich »das Wohl ihrer Völker« 35 , wodurch die verschiedenen Ordnungslegitimationen verknüpft werden: die Wohlfahrtstradition des deutschen Fürstenstaates, der Utilitarismus der Aufklärung, alte Frömmigkeit und religiöse Erneuerung36. Dieser Zusammenhang verlieh auch der Aneignung von Einsichten, Kenntnissen und Fertigkeiten eine religiöse Funktion, da der Einzelne mit ihnen seinen gottgegebenen Stand besser ausfüllen konnte. Eine Gesellschaft der sozialen Stände, trotz ihrer Veränderungen durch die staatlichen Teilreformen grundsätzliche Norm, wurde der ›breiten Bevölkerung‹ in der Schule als gottverordnet und effizient, als doppelt gerechtfertigt eingeübt37. Bayern war die beste aller möglichen Welten. Gefahr drohte diesem Idyll bei der äußeren Ruhe in Mitteleuropa in erster Linie durch »die unchristlichen Elemente in unserer Mitte, welche sich frech erheben gegen alle göttliche und menschliche Ordnung« 38 und mit dem Lockruf einer pervertierten Freiheit in das Chaos einer neuen Französischen Revolution trieben. »Jeden Aufwiegler und Revolutionär im Lande betrachte als deinen Feind, der die gemeine Wohlfahrt, von der auch die deinige ein Theil ist, umstürzen will« 39 . Christliche Freiheit war kollektive und individuelle Selbstdisziplinierung: »die schönste Freyheit in einem Staate ist diejenige, wenn die Bürger sich selbst von dem Joche ihrer Vorurtheile und Leidenschaften frey machen« 40 . Diesem Appell stand nun freilich kein starkerwenn auch autoritärer - Reformwille der Elite in Staat und Gesellschaft mehr gegenüber, so daß die bestehende Ordnung immer weniger zur Disposition stand. In der Bewahrung einer traditionsgeleiteten christlich-monarchischen ›Welt‹ wurde Bayern eine wesentliche Ordnungsaufgabe in Europa zugeschrieben. Ein Element des idyllischen Harmonismus war auch das bemühte Bild konfessionellen Friedens. Die in der Montgelaszeit aus ideellen und integrationspolitischen Motiven der Volksschule oktroyierte Toleranz wirkte auch noch weiter, als sich die Innenpolitik zunehmend konfessionalisierte. So wurde die Reformation in den Texten für die katholischen Schulen, wenn 65 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

überhaupt angeführt, kaum polemisch behandelt, aber teilweise der Verfall der Kirche im 15. Jahrhundert erwähnt, und die Schuld am Dreißigjährigen Krieg beiden Konfessionen zugeteilt41. Diese bemühte Koexistenz durchbrach ein protestantisches Buch42 mit einem deutlichen Anti-Rom-Affekt. Es repräsentierte eine antipapistische, christlich-germanische Sendungsidee, die sich in der Öffentlichkeit des protestantischen Deutschland im frühen 19. Jahrhundert aus aufgeklärtem Kulturpathos, säkularisiertem Reformationskult, popularisiertem Idealismus und Nationalismus verbreitete43 und den christlich-romantischen Traditionalismus katholischer Provenienz attackierte. Alte Verachtung des katholischen Baiern und neue Ressentiments gegen die Annexionsherrschaft Münchens, Hohenzollern-Nostalgie und wiederauflebender lutherischer Konfessionalismus boten ihr auch in Franken einen günstigen Boden. Der durch die Geschichte offiziell vermittelte Loyalitätshorizont war also Bayern. Dabei ging die altbaierische Tradition bruchlos in die staatsbayerische Gegenwart über und Neubayern meist noch ohne besondere Erwähnung in dieser auf. Die Lockerung des Zentralismus schlug sich nur langsam im Bayernbild der Volksschulen nieder. Als ›weiteres Vaterland‹ wurde auch Deutschland in seiner Geschichte präsentiert. Diese erschien, indem Deutsche und Germanen identisch waren, seit dem Cimbern und Teutonen in geschlossener Kontinuität44 - allerdings noch ohne die Mythisierung der Frühzeit wie im späten 19. Jahrhundert. Das deutsche Volk, als lockere Abstammungs- und Kulturgemeinschaft historisch latent vorhanden, trat in erster Linie durch gemeinsames Handeln gegen Fremde auf: gegen Römer, Ungarn, Slaven, seit dem 17. Jahrhundert vornehmlich gegen Frankreich. Kriege, in denen Bayern mit Frankreich koaliert hatte, wurden deshalb rasch abgetan, vor allem die Unterstützung Napoleons verschleiert oder als Zwangslage durch die Feindschaft Österreichs erklärt45. An Österreich, das durchwegs als Hauptgegner Baierns seit Jahrhunderten erschien, zeigte sich, wie die deutsche Solidarität selbstverständlich hinter dem Interesse Bayerns rangierte46. Folglich erschien Preußen als Freund und Beschützer; Friedrich II. war der überragende Fürst des 18. Jahrhunderts47 und bei den Befreiungskriegen dominierte Preußen fast wie im borussischen Geschichtsbild. Das Feindbild prägte jedoch, wie z. B. die positive Darstellung österreichischer Herrscher zeigt48, noch nicht die pauschale Aggressivität des ›Erbfeind‹Schemas, bei dem als spezifisch bezeichnete Einstellungs- und Verhaltensformen isoliert, zu Heterostereotypen verschärft, mit analog entstandenen Autostereotypen konfrontiert und beide zu einer vorteilsbestimmten Typologie der Nationalcharaktere systematisiert werden49. Noch erschien Außenpolitik so als pragmatisch wechselnde Kabinettspolitik, traten die ethnischen Großgruppen so wenig selbständig auf, daß einer Stilisierung zum Dauerkonflikt zwischen Kollektivmentalitäten die Grundlage fehlte. Einen ›Feind‹ traf eine noch unspezifische, eine vorideologische Aggressivität, wie sie der Zusammenstoß zwischen Angehörigen verschiedener Traditions- und 66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Herrschaftsverbände zu allen Zeiten erzeugt50. Deshalb konnte auch Österreich in den 1840er Jahren im Zeichen der Zusammenarbeit zwischen München und Wien und dezidiert katholischer Politik aufgewertet werden51. Die deutsche und besonders die bayerische Großgruppe zwar spielten ihre historische Rolle. Doch jene blieb, noch nicht vom Nationalismus typisiert, in ihrem Umfang und Profil vage52; diese erschien zwar mit klaren Merkmalen Tapferkeit, Treue usw. - , die aber zum Kohäsionsmuster jedes Landespatriotismus' gehören. Die Großgruppe gewann nur in bezug zu Land und Dynastie Gestalt, ja existierte als solche nur durch diese, die allein als spezifisch, als ›bayerisch‹ erschienen. Das den ›kleinen Leuten‹ vermittelte Eigenbild und Wir-Gefühl war im wesentlichen das der alteuropäischen Territorien, übertragen auf den souveränen Staat. Der humanitäre Kosmopolitismus, die politische Hauptidee des 18. Jahrhunderts vor dem Nationalismus, schlug sich in den vormärzlichen Schulbüchern nirgends nieder. Die Menschheit teilte sich in klarer Wertabstufung in Christen, Juden und Pagane wie im alteuropäischen Weltbild53. Auch formal war dieses Geschichtsbild noch überwiegend ›vormodern‹: es vermittelte unter den Leitwerten der Religion eine Mentalität, keine Ideologie. Dieser näherte es sich durch rationale Detailelemente wie die Versuche, Lebensqualität und Prestige Bayerns historisch oder ökonomisch zu ›beweisen‹, und durch erste Ansätze zu einem umfassenden, rigid formulierten Einstellungs- und Verhaltensmodell. Doch noch war der qualitative Sprung nicht erfolgt, noch gründeten die›existentiellen‹,die Weltanschauungsfragen und -antworten nicht in sozialen und politischen Erfahrungen und Interessen, sondern in der christlichen Überlieferung. Weltinterpretation und Daseinsorientierung waren, nachdem die religiöse Restauration das Bestreben gebrochen hatte, die ›breite Bevölkerung‹ via Schule stärker an profanen Leitwerten zu orientieren, wieder transzendent gebunden. Sie waren ausgerichtet an der Kernfrage alteuropäischer Existenz: der Beziehung des Menschen zu Gott, aus der sich dann die Ordnung des profanen Lebens ergab54. Dementsprechend schlug sich auch die seit dem späten 18. Jahrhundert in der bürgerlichen Öffentlichkeit geführte Diskussion um eine deutsche »Nationalerziehung als der der deutschen Nation und einem künftigen bürgerlichen deutschen Nationalstaat adäquaten . . . Erziehung« 55 nicht bildungsrelevant nieder. Der Struktur entsprach ein moderater Stil. Von noch relativ sicherer Allgemeinverbindlichkeit, wurde das skizzierte Weltbild nicht zum Angriff gegen konkurrierende Systeme und zu forcierter Selbstlegitimation provoziert. Es konnte noch durch bloße Selbstdarstellung wirken. 3.2.2. Die einfachen Bildungsformen Man vermittelte die politisch prägenden Bildungsinhalte nicht nur durch die Fächer Geschichte und Geographie mit ihrem geringen Stundenanteil56, 67 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

sondern auch durch den umfangreichen Lese- und Schreibunterricht der mittleren und oberen Klassen und über die Prädisposition durch den stundenreichen Religionsunterricht und dessen Ausstrahlung in alle Fächer57. Auch die antike Geschichte etwa, die durch Klassizismus und Philhellenismus in die Volksschule gelangte58, schmälerte nicht so sehr die bayerische Geschichte, sondern demonstrierte zeitlos, also auch aktuell gültig Fürstentugend, Untertanentreue, Vaterlandsliebe. Das patriotische Bild, in einer an profanen Bildern noch armen Umwelt ein wirksames Medium, drang allmählich in den Unterricht ein59. Das Schulgebet präsentierte den König täglich als »besten und gerechtesten Regenten«60. Der Schulgesang übte gleichfalls täglich ein gottgegebenes, für den Frommen und Guten konfliktfreies Idyll ein, in dem christliche Tugend ein zufriedenes Leben garantiere. Der fleißige Arbeiter war der beste Christ. In diesem Rahmen wurde der Patriotismus intensiv ›eingesungen‹, das hymnische Bekenntnis zu Bayern und zur Monarchie. Durch das gattungsspezifische Vorherrschen des Symbols, des personalen zumal, in das Ideen und Ereignisse umgesetzt werden, inszenierte das Lied in der Schule vor allem Königskult61. Besonders wirkungsvoll waren Schulfeiern, voran die jährlichen Preisverteilungen62. In festlicher Kleidung in festlich geschmücktem Saal wurden die Schüler im Kreis der Eltern, Nachbarn und Honoratioren unter Dankhymnen an den König vom Schulinspektor in ihrem Verhalten und ihren Leistungen öffentlich an den Werten Tugend, Fleiß und Gehorsam gemessen, klassifiziert63 und durch attraktiv verzierte Preisdiplome und Preisbücher ausgezeichnet64. Der leitbildkonforme Schüler sah sich damit einprägsam von der Gesellschaft belohnt und von der Herrschaft akzeptiert. Die Preisbücher mit ihren Legenden, Morallehren und vaterländischen Rührszenen selbst verlängerten diesen Einfluß und trugen ihn gerade im bücherarmen Dorf auch unter die Erwachsenen. Direkt politisch fungierte die jährliche Erinnerungsfeier an die königliche »Wohltat der . . . Konstitution«65. Bei der Verfassungslinde, mit Königshoch und patriotischen Liedern wurde den Schülern die Konstitutions-Medaille der Gemeinde zeremoniell vorgezeigt; Ansprachen und Deklamationen vergegenwärtigten die Verfassung, wie in den Lesebüchern, als Loyalitätsappell: »die Königliche Regierung will . . . , daß die Wohlthaten der vaterländischen Gesetze eingesehen, und bey dieser Gelegenheit besonders schon die zarten Gemüther der Jugend in der Ehrfurcht gegen den Thron, in der Liebe zum erlauchten Königshause Bayern, und in den Gefühlen ächt bayerischer Treue befestigt werden sollen . . . Darum wollen wir auch recht gute, folgsame Unterthanen werden« 66 . Auch der Kommunalbereich, der den ›kleinen Leuten‹ am ehesten eine erlebbare politische Partizipation ermöglichte, war so harmonisch dargestellt, daß er als Spannungsfeld gesellschaftlicher Interessen kaum deutlich werden konnte. Nachdrücklich wurde der Konstitutionalismus auch dadurch für den politischen Quietismus eingesetzt, daß Bayern vor der Kontrastfolie konfliktzerrissener Länder als Musterland erschien67. Kollektive Wohlfahrt stand über individueller Freiheit 68 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

und Gleichheit: Ideen der politischen Aufklärung umspielten allenfalls als Arabeske die Grundlinie der monarchisch-traditionalen Staats- und Gesellschaftsidee. Weitere Schulfeste, zu historischen Gedenktagen, an Kirchenfesten oder beim Jahreszeitenwechsel meist nach lokalem Herkommen abgehalten, förderten in der Regel zugleich den christlichen Patriotismus. Die Anwesenheit des Königs oder eines Mitglieds seines Hauses steigerte diesen Effekt manchmal zusätzlich68. Insgesamt muß die Wirkung der Schulfeiern in einer durch staatliche Reglementierung um viele Feste gebrachten Bevölkerung erheblich gewesen sein69. 3.2.3. Die Lehrer zwischen Unterordnung und pädagogischem Anspruch Die staatlich verordnete Bildung wurde den Schülern durch Lehrer vermittelt70. Ihr Durchschnittstyp, wie er sich zwischen Ausbildungsnorm, gesellschaftlichen Erwartungen und beruflichen Alltagsbedingungen entwickelte, war deshalb für die Prägung der ›breiten Bevölkerung‹ von wesentlicher Bedeutung71. Als der ›moderne‹ Staat die allgemeine Volksbildung in eigene Regie nahm, mußte er das Lehrpersonal einheitlich ausrichten und qualifizieren. Die vorhandenen Lehrer unterschieden sich nicht nur durch kulturelle Tradition, sondern vor allem in ihrer intellektuellen und pädagogischen Kompetenz. In größeren Städten unterrichteten ›gelehrte‹, d. h. klassisch gebildete Schulmeister oder Theologen auch in den oberen Klassen der niederen Bürgerschulen. Viele Lehrer in Stadt und Markt hatten wenigstens einige Monate bei einem erfahrenen Lehrer gelernt. Auf dem Land wurde hingegen die Winterschule in der Regel von ehemaligen Kutschern, invaliden Soldaten oder Handwerkern, die ihr Gewerbe nicht ernährte, gehalten. Sie beherrschten ein mechanisches Lesen, Schreiben und Rechnen, einige Dutzend Bibelsprüche und ein notdürftiges Orgelspiel und Choralsingen; eine pädagogische Ausbildung fehlte völlig. Dieser Spannweite der Qualifikation entsprach die des Einkommens, des Lebensstils und des Sozialprestiges. Um für den neuen, zahlenmäßig stark erweiterten Nachwuchs einen Grundtyp durchzusetzen, wurde die Lehrerbildung in besonderen, über die Kreise Bayerns verteilten Seminaren institutionalisiert72, die zwei Jahre lang den Zögling - in dem besonders bildungsfähigen Alter zwischen sechzehn und neunzehn Jahren - nach dem politisch gesetzten Leitbild formten. Intellektuelle und religiös-ethische Bildung standen dabei zunächst gleichberechtigt nebeneinander73, bis nach 1830 letztere vorherrschend wurde. Ebenso verschärfte sich in dieser Zeit die anfangs milde Disziplin und konfessionalisierte sich die Ausbildung74, nachdem in den ersten paritätischen Seminaren am Anfang des Jahrhunderts noch Katholiken und Protestanten gemeinsam die Bibel gelesen hatten75. Die für Schule und Kirchendienst nötigen Kenntnisse wurden nun verstärkt praxisbezogen gelehrt, um jede »verwirrende und 69 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

aufblähende Vielwisserei« zu unterbinden, die das Selbstbewußtsein übersteigere und vor allem den karg gestellten Landlehrer in Unzufriedenheit und Opposition führe76. Nicht rationale Einsicht war das Bildungsziel, sondern die Einübung bewährter, nur vorsichtig aktualisierter kognitiver und emotionaler Inhalte auf der Grundlage einer traditionalen Anthropologie77. Eine besondere Rolle spielte neben der Religion auch hier die Geschichte; sie zeigte die Verbindung von Religiosität, politischer Loyalität und optimaler Sozialordnung im bayerischen Horizont an historischen exempla78. Diesem Aufbau einer homogenen Berufsgruppe, der mit dem Aussterben der noch nicht seminaristisch gebildeten Lehrer in der zweiten Hälfte des Vormärz rasch fortschritt, arbeitete jedoch bereits eine neue informelle Gruppenbildung im Rahmen der bürgerlichen Öffentlichkeit wieder entgegen. Denn auch unter den Lehrern wurde nun - gerade aufgrund der besseren Ausbildung - die Presse ein wichtiges Mittel der Kommunikation Gleichgesinnter79. Vor allem dem Landlehrer, dem meist nur das Gespräch mit dem Pfarrer geistige Anregung bot, erschloß sie ein unerhört weites Feld. Von Beamten und Pfarrern gefördert, verbreitete sie zunächst einmal das offizielle, staatlich verordnete und kirchlich bekräftigte Leitbild des genügsamen, frommen, loyalen Lehrers. Hauptorgan waren die »Bayerischen Nachrichten über das deutsche Schul- und Erziehungswesen«80. Besonders die idealisierten Nekrologe verdichteten die Leitwerte in plastischen Verhaltensmustern: reinlich, schlicht und mäßig in jedem Lebensbedürfnis, häuslich und mildtätig, pünktlich und fleißig in Schule und Kirche, sittlich und bescheiden. Geistige Ansprüche über das vom Seminar fixierte Niveau hinaus galten wenig, ja waren als »Halbwisserey« verpönt81. Von den Lehrerinnen, die zunehmend in die Mädchenbildung drangen, wurde zusätzlich die Verwirklichung und Vermittlung des patriarchalischen Frauenleitbilds erwartet82. De facto verkörperte jedoch die Lehrerin, aus Haus und Familie gelöst und Träger einer schon halb professionalisierten Berufsrolle83, prinzipiell bereits den modernen Frauentyp. Zwar wurde ihr dieser Widerspruch zwischen Situation und Leitbild aufgrund ihres ›gebundenen‹ Selbstbildes, wie es Seminar, Kirche und Gesellschaft formten, in der Regel noch kaum bewußt, blieb also latent. Aber er bereitete sie doch langfristig in besonderem Maß für die allgemeine Emanzipation der Frau vor. Gegen das offizielle Lehrerleitbild wurde seit den frühen 1830er Jahren von Neubayern aus - vor allem durch Stephanis »Neuer Schulfreund« und »Der Schulbote aus Franken« - ein neues als Konsequenz eines veränderten Bildungsziels verbreitet84. Aus Ideen der Spätaufklärung, u.a. einem ›vernünftig-natürlichen‹ Deismus85, wuchs auch in der Pädagogik allmählich ein Frühliberalismus, den wie in anderen sozialen und kulturellen Bereichen die Herausforderung durch die herrschende Restauration nährte. Die Volksschule, in ihrem Welt- und Menschenbild an Pestalozzi orientiert und etwa von Diesterweg 86 repräsentiert, »huldigt dem Prinzip der Naturgemäßheit; sie folgt den der menschlichen Natur immanenten Gesetzen«87. Statt Hand70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

langer der Kirchen zu sein, müsse der Lehrer durch eine säkulare Mäeutik vor allem selbständig urteilende und handelnde Individuen und Bürger bilden. D. h., er müsse eine eigenwertige soziale und politische Kultur entscheidend mitschaffen, in der die Natur in Hegelschem Sinn ›aufgehoben‹ sei. Damit verlor die geistliche Schulaufsicht ihre Rechtfertigung, ja wurde zum Hemmschuh der Volksbildung. Die Trennung von Schule und Kirche sowie die Fachaufsicht begannen eine standespolitische Zentralforderung zu werden. Da dieser Lehrertyp nicht mehr nur gesetzte Muster einüben, sondern ›Anlagen‹ entbinden sollte, wurde er vom Schulmeister, der seinen Beruf wie ein Handwerk trieb, zum Pädagogen, dem das Bewußtsein seiner kulturellen Mission sein Berufsethos gab. Der Lehrer, der »mit den Bauern ein Bauer sei«, wurde mit dem »gebildeten Mann« und »Culturträger« konfrontiert, durch den »aus dem deutschen Volke das gebildetste unter allen Völkern der Erde werden können«88. Ein elitäres Sendungsbewußtsein ergriff eine wachsende Zahl von Lehrern, mit dem sie ihre materielle Dürftigkeit kompensierten und das ein Hauptmotiv ihres Emanzipationsstrebens bis ins 20. Jahrhundert blieb. Der Horizont für diese Volksbildung, in der sich Aufklärung, Idealismus und Romantik populär verbanden, war nicht mehr der des historisch zufälligen dynastischen Staates, sondern der durch die Sprache geeinte Kulturraum, das wichtigste Bindungsmittel nicht mehr die Loyalität zu König und Land, sondern die Solidarität in der Kulturnation. Bayern trat hinter Deutschland zurück. Da dieses Konzept auf den deutschen Nationalstaat in der freien »Form der altgermanischen Staats-, Volks- und Rechtsverfassung« 89 zielte, besaß das neue Lehrerleitbild auch politische Brisanz. Nicht nur die pädagogische Presse wirkte vor allem unter den protestantischen Neubayern in dieser Richtung. Mehrfach versuchten auch pfälzische und fränkische Lehrer, auf der Grundlage der ›freien Pädagogik‹ eigenständig in Vereinen berufliche Fortbildung zu leisten und sich ideell wie materiell gegenseitig zu stützen90. Auch die organisierte mündliche Kommunikation arbeitete jedoch noch stärker für das offizielle Leitbild. Seit den 1820er Jahren hatten es die geistlichen Distrikts-Schulinspektoren bei den jüngeren Lehrern durch Hausaufgaben, Lektüreempfehlungen und Zusammenkünfte zu festigen91. Die zunehmende Disziplinierung dehnte dann diese Kontrolle verschärft auf den »religiös-sittlichen Wandel« aus und erfaßte alle Lehrer unter sechzig Jahren92. Dazu wurden Lehrerbibliotheken eingerichtet, die auch unkontrollierten privaten Bücherkauf unterlaufen sollten, was bei dem meist geringen Einkommen der Lehrer wohl häufig gelang. Sie enthielten vorwiegend ministeriell empfohlene und kirchlich geförderte pädagogische Literatur. Auf dem Land blieben sie freilich oft so klein93, daß ihr Effekt nur bescheiden gewesen sein kann; er war hier allerdings auch nicht so dringlich, wo die Presse und Literatur erst in Ansätzen wirkte. Die Auseinandersetzung um Ziel und Gestalt der Volksbildung vollzog sich hauptsächlich in den großen Städten. Don waren auch die offiziellen Lehrerbibliotheken oft so großzügig ausge71 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

stattet, daß sie weit über die Aufgabe fachpädagogischer Ausrichtung hinaus zu allgemeinbildenden Einrichtungen wurden 94 ; fleißig benutzt, steigerten sie Wissen, kritisches Denken und Selbstvertrauen der Lehrer so, daß sie langfristig gegen ihren Auftrag wirkten. Gerade sie trugen ihren Teil zu dem Qualifikations- und Bewußtseinsvorsprung städtischer Lehrer bei, nährten ein Emanzipationsstreben, das dann im Lauf des Jahrhunderts auch auf Dorfschulen übergriff. Die Mehrzahl der Volksschullehrer des Vormärz übte jedoch den Kindern noch loyal die herrschende Ordnung ein. Fiel einer seinen Vorgesetzten unangenehm auf, dann eher durch Trunksucht als durch Opposition95. Geringe Kommunikationsmöglichkeiten96 - vor allem in Altbayern mit seinen weitgestreuten Unterzentren - und die psychische Entlastung durch gewohntes Denken und Handeln werden viele in den vorgeschriebenen Bahnen festgehalten haben. Wenn der Regierung die »Umwälzungs-Partei« vornehmlich über die Lehrer der Jugend »das Gift antiverfassungsmäßiger und antireligiöser Doktrinen gleichsam ex officio« einzuflößen schien, war diese Furcht für Altbayern zweifellos übertrieben97. Auch wenn Pfarrer über die mangelnde Kirchlichkeit der Lehrer klagten98, verzerrten oft persönliche Konflikte die Tatsache, daß »der verpestende Hauch revolutionärer Luft in unsere Fluren und Wohnungen noch nicht eingedrungen ist« 99 . In der Pfalz hingegen und zum Teil auch in Franken und Schwaben tendierten seit den 1830er Jahren nicht wenige Lehrer, gerade junge, die durch Bildung, Leistung und kulturellen Einfluß hervorstachen, zur »Umsturzparthei« 100 . Ihr neues berufliches Selbstverständnis mündete in ein politisches Bekenntnis: sie traten in einen doppelten Widerstand gegen die ihnen zugewiesene Rolle, die die reaktionäre Wendung der bayerischen Schulpolitik um 1830 besonders eingeengt hatte. Die Abhängigkeit der Lehrer war freilich so groß, daß sie diese Einstellung vorerst nur zaghaft oder gar nicht äußern konnten. Ihr oppositioneller Einfluß auf die ›kleinen Leute‹ ist deshalb kaum direkt greifbar. Fest steht jedoch, daß sie in Neubayern teilweise Deutschland als historischen und aktuellen Horizont mehr vergegenwärtigten und ethnische Solidarität stärker vermittelten, als es dem verordneten Patriotismus entsprach. Ganz allgemein kann die dauerhafte Distanz, ja der Widerstand der pädagogisch und politisch ›aufgeklärten‹ Lehrer gegen ihren Bildungsauftrag kaum ohne Niederschlag bei dessen Vollzug gewesen sein. Auf jeden Fall wuchs mit diesen Lehrern ein kritisches Potential inmitten der ›breiten Bevölkerung‹ heran, das in einer Krise der herrschenden Ordnung Opposition artikulieren konnte101. 3.2.4. Prägungskraft und gesellschaftliche Chancen Viele alte Lehrer, die kein Seminar besucht hatten102, befanden sich allerdings noch nicht einmal auf der Höhe des vorgeschriebenen Wissens und 72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Bewußtseins, waren auch nicht weiterbildungsfähig103 und schon gar nicht vorbereitet, »um die neuen verderblichen Lehren aufzufassen«104. Sie trieben oft noch ein Gewerbe oder boten Dienstleistungen als Leichenbitter, Hochzeitslader, Wirtshausmusikanten an 105 , weil dies für die ländliche Gesellschaft selbstverständlich und für sie oft existenznotwendig war 106 . Solch geringe Qualifikation für die Schule und Leistung in der Schule, zudem noch von anderen sozialen Funktionen überdeckt, trug ihren Teil dazu bei, daß Person und Arbeit des Lehrers auch nach der Einführung der öffentlichen Pflichtvolksschule im Dorf ohne Prestige blieben und in der Erziehung im Haus wenig unterstützt wurden. Wo man einen Menschen in erster Linie nach seinem Besitz taxierte und sein Leben überwiegend mit den in Familie, Arbeitsbereich und Gemeinde erworbenen Fertigkeiten und Kenntnissen bewältigen konnte, galt ›Schulwissen‹ wenig, wenn es nicht - wie bei Geistlichen oder Beamten - einen Grad erreichte, der seinen Statusnutzen deutlich erwies. Aber auch der seminaristisch gebildete Lehrer konnte die Schule durch Leistung nur beschränkt aufwerten. Da er auf dem Land meist den niederen Kirchendienst versah107, galt er in erster Linie als Gehilfe des Pfarrers. Ebenso stand er als Gemeindeschreiber108 sichtbar in einem schulfremden, niederen Dienst. Er konnte so die ihm aufgetragene Bildungsrolle in den Augen seiner Umwelt und teilweise auch in seinem Selbstverständnis noch wenig entfalten109. Zu diesen in Qualifikation, Position und Prestige der Lehrer begründeten Hemmnissen der Schule kamen die der personellen, räumlichen und technischen Ausstattung. Eine große Schülerzahl - in Landschulen nicht selten über hundert, aber auch in Stadtschulen oft über siebzig - überforderte die teilweise alten und kränklichen oder noch sehr jungen Lehrer häufig110. Vor allem in den ungeteilten Landschulen, die Schüler aller Altersstufen in einem Raum vereinigten, konnte der verordnete Stoff nur rudimentär vermittelt werden. Zustand und Lage des Schulzimmers erschwerten den Unterricht111; selbst in Städten waren die Klassen oft in Privathäusern verstreut. In manchem Dorf zog der Lehrer mit seinen Schülern noch Jahrzehnte lang im Wochenrhythmus von Hof zu Hof, wo häusliche Arbeit und Kleinvieh, selbst Viehhandel und Bierausschank den Unterricht störten112. Die vorgeschriebenen Lehrbücher konnten, trotz eines Monopolverlages, nur mühsam durchgesetzt werden113. In zahlreichen Landschulen wurde bis weit in den Vormärz hinein nur mit Katechismus und Bibel bzw. Biblischer Geschichte unterrichtet114, zu denen bei einem Teil der Kinder irgendeine Fibel kam, die Eltern oder Paten vom Jahrmarkt oder einer Wallfahrt wie Rosenkränze und Heiligenbilder als Belohnung für Viehhüten und Erntearbeit mitbrachten115. Die geringe Bereitschaft der ›kleinen Leute‹ für die neue, aus Haus und Kirche ausgegliederte Bildungsinstanz zeigte sich besonders deutlich, wenn ein Lehrer auf eine vergleichsweise breite kognitive Bildung über den lokal und schichttypischen Erfahrungsbestand hinaus zielte und die ›Realien‹ besonders betrieb. Auch in Städten rief er damit den Widerstand vieler Eltern 73 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

gegen »unnütze Vielwisserei« hervor, die um die religiöse Erziehung ihrer Kinder fürchteten116. Die vom Staat oktroyierte allgemeine Volksbildung war im Lebensraum der ›breiten Bevölkerung‹ zunächst vorwiegend ein Fremdkörper117. Sie trat in ein noch stark korporatives soziales und kulturelles Gefüge mit einer relativ intakten patriarchalischen Prägung, das die Befriedigung der überkommenen Bedürfnisse und die Erfüllung der überkommenen Aufgaben in der Regel gewährleistete. Beamte, Pfarrer und Lehrer mußten deshalb oft zäh gegen Vorurteile für die Volksschule kämpfen - vor allem deshalb, weil ja durch das Gewicht der Familie die Haltung der Hausväter und Hausmütter gegenüber anderen Sozialisationsinstanzen deren Erfolg in hohem Maße mitbestimmte. Die Schule konnte dauerhaft nur mit einer elterlichen Mindestunterstützung wirken. Diese fand sich dort am ehesten, wo, wie in Städten und Märkten, der Schulbesuch auch für die ›kleinen Leute‹ zum Teil seit Generationen gewohnt und in seinem Nutzen für Gewerbe und Handel offensichtlich war oder dort, wo ein sozioökonomischer Wandel die tradierten engen Qualifikationen und Orientierungen entwertete. Wenn die gewohnte Ordnung allerdings sehr rasch zerfiel, konnte die Desorientierung die Eltern ganz besonders gegen die Schule ›sperren‹: sie waren reizbar gegen jeden Zwang, apathisch, ohne Verständnis für langfristige Investitionen an Zeit und Arbeit, oft angesichts einer Existenznot, die den Mitverdienst der Kinder forderte. Am wenigsten unterstützten folglich die Eltern die Volksschule - und das galt bis ins 20. Jahrhundert - in besonders traditionsstabilen Agrargebieten und in krisengeprägten Armutsorten und Elendsvierteln. Auch der Schulbesuch118 verdeutlicht diese beiden sozialen Hauptgründe für die regional oder sektoral zum Teil langdauernden Schwierigkeiten der Volksschule. Die allgemeine Schulpflicht wurde vor allem auf dem flachen Land und in den städtischen Unterschichten nur mangelhaft erfüllt. Feldarbeit und Viehhüten, Hilfe im Haus, Fabrikarbeit oder Betteln hielten die Kinder ab; andere schliefen, durch Arbeit übermüdet, in der Schule ein oder fehlten oft, krank durch Vernachlässigung und Nahrungsmangel119. Noch schlechter als der Besuch der Werktagsschule war der der Sonn- und Feiertagsschule. Nicht nur, daß die Landwirtschaft viele nun als Arbeitskräfte unentbehrliche Jugendliche saisonal fernhielt. Die Schulpflicht (bis zum achtzehnten Lebensjahr) reichte in ein Alter, in dem Dienst oder vollwertige Arbeit in Haus und Hof den Jugendlichen ein Selbstbewußtsein und - außerhalb der Arbeit - ein Selbstbestimmungsstreben gaben, das der Disziplinierung in der Schule entgegenstand. Besonders Burschen eilten sonntags auf die Märkte der Umgebung oder frequentierten die Wirtshäuser120. Außerdem waren in Stadt und Land die Dienst- und Lehrherren der Feiertagsschule »größtenteils abhold« 121 , da sie die Verfügung über die Arbeitskraft der Jugendlichen beschränkte. Schließlich engagierten sich Lehrer und Pfarrer nur mäßig für diesen Unterricht, der ihnen nicht zusätzlich honoriert wurde und dem die Gesellschaft so offenkundig widerstrebte122. Auch die 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Behörden überwachten die Durchführung oft nur lässig. So manche Feiertagsschule verschwand deshalb bald wieder 123 . Ganz allgemein beeinträchtigte die Werktags- wie die Feiertagsschule in der Frühphase, bevor die Organisation stabil und die verordnete Leistung selbstverständlicher wurde, individuelle Trägheit der Beteiligten: der tägliche Unterricht wie festliche Höhepunkte des Schuljahres fielen nicht selten aus 124 und manche Gemeinde beharrte lange mit Erfolg auf der bloßen Winterschule125. Die Wirkung der Volksschule litt also durch sozialstrukturelle Widerstände und organisationsspezifische Mängel. Sie erfüllte ihre Aufgabe nur zum Teil. Die Mentalität, mit der sie die Jugendlichen entließ, entsprach wohl in der Regel nur in Grundzügen ihrem Programm, das angesichts der durchschnittlichen Perzeptionsfähigkeit der ›breiten Bevölkerung‹ ein Idealprogramm war. Da ihm jedoch noch kaum breitenwirksame Gegeneinflüsse widerstanden, wurden offenbar die ›kleinen Leute‹ - so wenig der von Lehrer zu Lehrer, von Schüler zu Schüler verschiedene Vermittlungs- und Verinnerlichungsvorgang zu rekonstruieren ist - doch merklich in Richtung der offiziellen Mentalitätserwartung geprägt. Gerade eine derart rudimentäre Prägung aktualisiert sich in wenigen einfachen, tief eingeschliffenen Attitüden, die, wenn sich der Lebensraum nicht grundlegend verändert, nur unter einer massiveren Gegenprägung zerfallen. Von der partiellen schulinternen Schwächung durch die latente Opposition pfälzischer und fränkischer Lehrer abgesehen, formte die Volksschule, als systematische Sozialisationsinstanz mit Unterstützung der Kirchen ohne Konkurrenz, die ›kleinen Leute‹ noch überwiegend mit lebenslanger Wirkung.

3.3. Die traditionale Legitimität der konstitutionellen Monarchie: der Staatskult 3.3.1. Dynastische Repräsentation als ›barocker‹ Loyalitätsappell Der christliche Herrscherkult hatte im Abendland seit Konstantin öffentliche Ordnung als Spiegel der göttlichen legitimiert126. In der politischen Symbolik des barocken Absolutismus erreichte dieser inszenierte Kosmos, der nun eher monarchozentrisch als theozentrisch geworden war, seinen formalen Höhepunkt. Doch auch die utilitaristische Kritik aufgeklärter Beamter und die Selbstbeschränkung wohlfahrtsbewußter und nicht mehr so selbstgewisser Fürsten minderte zwar im ausgehenden 18. Jahrhundert den Aufwand der Freudenfeste, trionfi und Funeralien, beließ aber ihre Herrschaftselemente. Am Anfang des 19. Jahrhunderts entrollte sich dann vor dem staunenden Mitteleuropa erstmals ein nahezu säkularisierter Herrscherkult. Die Symbole und Riten um Napoleon mit dem imperialen Pathos ihrer oft ungewöhn75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

lichen Formen schufen vorübergehend einen dynamischen, die Staatsgrenzen übergreifenden ›Siegerkult‹. Er klang zwar, vor allem linksrheinisch, noch lange in bestimmten sozialen Gruppen sentimental nach. Als offizieller Kult ging er jedoch mit Napoleon unter, so daß die fürstliche Repräsentation der deutschen Staaten wieder in ihre Publikumsrechte gesetzt wurde; ja, sie erlangte, nachdem Kaiser und Reich verschwunden waren, jeweils das Kultmonopol. In Fortführung der im 18. Jahrhundert vereinfachten Formen, doch mit der seit 1806 erhöhten Machtprätention der Königsherrschaft zelebrierten im 19. Jahrhundert ›Herrscher und Beherrschte‹ den Staatskult Bayerns konzentriert auf einen Königskult, dessen Stil und Anspruch im Grunde seit der Spätantike unverändert war. Die dynastischen Familienfeiern - die jährlichen und besonders die ›Ubergangsriten‹ - wurden im ganzen Land als festliche Jahres- bzw. Lebenshöhepunkte begangen: die ›Landeskinder‹ feierten oder trauerten mit dem ›Landesvater‹ und seinem Haus. Jahr für Jahr traten der König und die Königin an ihren Geburtstagen und Namensfesten der Bevölkerung in Altbayern mit seiner über sechshundertjährigen wittelsbachischen Tradition wie in den eben erst der Dynastie unterstellten Gebieten Neubayerns durch Kirchenfeiern attraktiv ins Bewußtsein127. Katholisches Hochamt mit Tedeum und protestantischer Festgottesdienst übten das Königshaus als Richtpunkt für jede Gruppe, für jeden Lebensraum ein. Im Bund von Thron und Altar legitimierte das Gottesgnadentum auch noch den Staat des 19. Jahrhunderts, der doch in seiner Verfassungswirklichkeit Ergebnis eines jahrhundertelangen Säkularisierungsprozesses war 128 . Gerade die Gefahren, die von der radikalen Aufklärung und ihren ideologischen Erben den Kirchen und dem Staat drohten, trieben beide über den Graben, den die Säkularisation gerissen hatte, zueinander, sie nützten der Dynastie, welche die sakrale Repräsentation feudaler Herrschaft im souveränen Königtum weiterzuführen suchte. So liehen ihr die Kirchen mit ihrem festlichsten Kult nach wie vor ihre hohe Autorität bei den ›kleinen Leuten‹ 129 . Neben der Kirche agierte in der alteuropäischen Tradition das Militär für die Loyalität zum König130, wenn es die alte Herrschergewalt über Leben und Tod und den alten kriegerischen Herrschermythos spektakulär vorführte. Beim Anbruch des Festtages wurden fünfundzwanzig Kanonenschüsse gelöst und die Militärmusik oder die Landwehrkapelle schlugen durch die Straßen den Tagreveil131. Am Vormittag rückten Militär oder Landwehr glänzend zur Kirchenparade oder zu einer Feldmesse aus 132 , während des Tedeums donnerten einundfünfzig Kanonenschüsse, und dann defilierten die Truppen wieder. Bei Sonnenuntergang wurden noch einmal fünfundzwanzig Kanonenschüsse gelöst und die Retraite gespielt. Schließlich repräsentierten die Monarchie bei dieser »Nationalfeierlichkeit« 133 die Beamten, jedoch deutlich hinter Kirche und Militär. Die Vertreter der eigentlichen Macht rangierten beim Königskult im alten Fürstendienerstil personell und zeremoniell an letzter Stelle. Da sich das vom bürgerli76 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

chen Leistungsdenken bestimmte, adäquat nur im Diensthandeln präsente Berufsbeamtentum durchgesetzt hatte, war die symbolische Repräsentation, war die Höflingsrolle, in die jeder Beamte trat, wenn er die Galauniform anlegte, sowieso positionswidrig geworden134. Die feudale Attitüde, die die altständische Adelsgruppe in der hohen Bürokratie und adelige Landrichter noch teilweise übten135, wurde zum strukturfremden Relikt. Außerdem konnten die Beamten schon aus praktischen Gründen - geringere Zahl, keine spezifischen Kultformen und Kulträume - nicht mit Geistlichkeit und Militär zeremoniell konkurrieren. Die »politisch-kirchlichen Feste« 136 gingen in der Regel in ländliche oder bürgerliche Vergnügungen, in Volksfeste über. Auf die offiziellen Spectacula, an denen die ›kleinen Leute‹ nur passiv beteiligt waren, folgten Attraktionen, die von ihnen selbst veranstaltet oder aktiv mitvollzogen wurden 137 . In den Dorfschenken hielt der Festtag die Bauern oft bis in die Nacht am Biertisch, die Jugend drängte auf den Tanzboden. In Märkten und Städten hängten sich an die Gruppen müßiger Bürger fahrende Schausteller und Musikanten, die größeren Gewerbsleute in der Uniform der Landwehroffiziere toasteten mit Beamten und Geistlichen beim Festmahl auf den König, die Landwehrmänner trugen in den Wirtshäusern ihre patriotische Bedeutung zur Schau. Auf einer Wiese boten sich die zeittypischen Kinderbelustigungen 138 , man veranstaltete Scheibenschießen und Preiskegeln. Abends erstrahlte die Stadt in Festbeleuchtung und die ›kleinen Leute‹ promenierten noch lange nach dem Gebetläuten heiter-erregt durch die Straßen, wo sie die Honoratioren zu einem vaterländischen Schauspiel in die ›Harmonie‹ eilen sahen139. Vor allem größere Städte nahmen die günstigen Termine der Geburtstage Ludwigs I. und der Königin Therese140 zum Anlaß, demonstrativen Patriotismus, wirtschaftliche Interessen und Vergnügen in mehrtägigen Sommerfesten zu verbinden141. Ein Schützenzug eröffnete ein dreitägiges Festschießen, Pferderennen und Ritterspiele, Glückshäfen und Kramläden, die Prämierung gewerblicher und landwirtschaftlicher Produkte und die Auszeichnung von Musterdienstboten zogen die Besucher an. Liederkränze trugen vaterländische Weisen vor, eine Schauspielertruppe »giebt in drei Akten ein Bild bayerischer Treue und Tapferkeit«142. Der Radius dieser Volksfeste reichte über die umliegenden Dörfer, die mit geschmückten Wagen kamen, weit hinaus, da sie stets von zahlreichen Fremden besucht wurden 143 . Ihre Geselligkeit und Lustbarkeit streute vor allem bei den ›kleinen Leuten‹ vom Festplatz über das nahe Umland je nach Siedlungsdichte und Verkehrsverhältnissen in die Region hinaus. Der Glanz der Staatsfeier und solche Vergnügungen zusammen gaben den dynastischen Familienfesten ihre allgemeine Attraktivität. Das Königshaus war nicht nur im offiziellen Ritual, sondern auch in Theaterstücken und Liedern, Trinksprüchen und Emblemen so präsent, es wurde in den vielen Gesprächen, die auf das Fest vorauswiesen oder an es erinnerten, oft genug genannt, um die Hochstimmung eines solchen Tages mit ihm zu identifizieren und dem Patriotismus zuzuführen. 77 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Auch in andere dynastische Ereignisse bezog man die Bevölkerung im feudalen Stil mit ein. War die Königin schwanger, flehte man in den Kirchen um den göttlichen Segen für eine glückliche Entbindung und feierte diese dann durch Dankgottesdienste, denen alle Beamten in Gala beizuwohnen hatten 144 . Bitt- und Dankgebete wurden auch bei schweren Erkrankungen im Königshaus angeordnet145. Tief griff der Tod des Königs oder der Königin in den Alltag der Bevölkerung ein. Die Nachricht, von Eilboten verbreitet, versetzte Beamte, Offiziere, Gemeindevorsteher und Geistliche in hektische Aktivität, noch während die Gemeindeboten sie unter den Einwohnern ausriefen. In allen Kirchen wurden solenne Seelenämter und Trauergottesdienste gehalten, sechs Wochen lang blieben Kanzeln und Altäre schwarz verhüllt, täglich klang mittags eine Stunde Trauergeläut über jeden Ort, alle Tänze, Schauspiele und öffentliche Lustbarkeiten waren untersagt146. Gerade dieser Entzug wichtiger Vergnügungen und die Einkommensverluste der Wirte, Zuckerbäcker, Musikanten, Schausteller zeigten der Gesellschaft drastisch ihre Abhängigkeit von Freud und Leid im Königshaus147. Die in Staatsbehörden und Kommunalverwaltung Beschäftigten empfingen und versandten mehrere Monate lang schwarzgesiegelte Schreiben auf schwarzgerändertem Papier148, die zum Teil auch in die Häuser der Bauern und Handwerker gelangten. Bilder des neuen Königs wurden in Amtsstuben und Schulen aufgehängt, Militär und Landwehr auf ihn vereidigt, öffentliche Bauten oder markante Landschaftspunkte von nun an nach ihm benannt. Am stärksten zog der Trauerfall die Haupt- und Residenzstadt München in seinen Bann149. Nach der feierlichen Überführung in die Residenz geleitete man den Monarchen mit funebralem Pomp unter dem Geläute aller Glocken und Kanonensalven zu Einsegnung und Beisetzung und präsentierte ihn dabei einer alteuropäisch korporativ gegliederten Gesellschaft150. Ständische Gruppen, durch Kleidung und Zeremoniell in ihrer Funktion bezeichnet, umgaben dienend den Herrscher: Hof und Hausorden, also der adelige ›Umstand‹, der Macht prätendierte und Ordnung, Tugend und Schönheit zelebrierte151, die Kirche und die religiösen Laiengruppen, die den Statthalter der göttlichen Majestät feierten, Militär und Beamte als Werkzeug der Herrschergewalt, Professoren und Studenten als Gelehrtenstand, der den Nimbus des Geistes und der Künste neben die Glorie der Macht und den Prunk der Religion in die Areole des Königs reihte, und zuletzt, unmittelbar vor der militärischen Schlußbedeckung, der Stadtmagistrat, der ein privilegiertes Bürgertum - bescheiden genug - vertrat. Der Hauptakt der Landestrauer war so kultischer Vollzug monarchischer Herrschaft in barocken Formen; die Staatsbürger gleichen Rechts, das Staatsvolk der konstitutionellen Monarchie152 blieb hinter dem Spalier aus Soldaten und Schulkindern bloße Randkulisse. Auch nach den Funeralien zelebrierte der Hof, die Bühne der Majestät, in erster Linie die Trauer153. Wenn auch nüchterner Sparsinn die alte exzessive Trauerordnung beschränkt hatte, blieb die Hoftrauer doch 78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

durch die Kleidung der Kronbeamten und der Hofbedienten, die ihren Kutschen entstiegen oder Botengänge machten, in den Straßen allgegenwärtig154. Durch die Trauerkleidung der Beamten und Offiziere war sie auch in allen Verwaltungsstädten und Garnisonen präsent155. Schließlich wurde das Herz des Toten spektakulär in den altbayerischen Wallfahrtsort, nach Altötting überführt. Unter Geläut aller Glocken verließen die Wagen, von Kürassieren mit blinkendem Panzer bedeckt, die Residenzstadt und Geläute begleitete den Zug durch alle Ortschaften, die schwarz von Trauerschmuck und von Menschen waren 156 . Andere Todesfälle im Königshaus wurden der Bevölkerung gleichfalls in den Kirchen feierlich verkündet, in Trauerreden zum Loyalitätsappell geprägt und durch tägliches Trauergeläute wochenlang in Erinnerung gehalten157. Höhepunkt in der Vermittlung von Monarchismus und Patriotismus waren auch die Jubiläumsfeiern der Dynastie, besonders das fünfundzwanzigjährige Regierungsjubiläum des ersten Königs (Max I.) 1824 als aufwendigster Akt des bayerischen Königskults im frühen 19. Jahrhundert. Nach dem im 17. und 18. Jahrhundert entwickelten Festmuster entfaltete der Tag ein suggestives Ritual: Glocken, Böller und Militärmusik, Fahnen und Girlanden, Triumpfbögen und Festtempel158, Feuerwerk und Illumination, feierliche Gottesdienste159, Umzüge, Festreden, Preisschießen160. Schulkinder pflanzten Erinnerungsbäume und führten allegorische Spiele auf, die Armen wurden »ausgespeisset und beschenkt« 161 . Viele Städte feierten mehrere Tage - an erster Stelle München mit Teilnehmern aus ganz Bayern. Scharen strömten aus Stadt und Umgebung vor allem zur Grundsteinlegung eines Denkmals des Königs und zum Schützeneinzug beim großen Freischießen 162 . Abends war die Stadt illuminiert, der Name des Königs und monarchische Symbole glänzten in der Nacht, und unter den Klängen von sechzehn Kapellen fuhr das Königspaar im Krönungswagen durch die Straßen163. Die mentale Wirkung wurde in die ›breite Bevölkerung‹ Bayerns hinein vermittelt durch die Festbesucher und -teilnehmer, etwa die des Münchner Freischießens, die in ihren Heimatorten lebhaft empfangen wurden und jahrelang in den Wirtshäusern von jenen glanzvollen Tagen erzählten164. In einigen Städten wiederholte sich das dynastische Fest nach Jahren, wenn die nun errichteten Denkmäler enthüllt wurden 165 . Alle Attraktionen waren auf den König bezogen und dienten seiner Präsenz 166 : ob er in seiner Haupt- und Residenzstadt an den Höhepunkten selbst auftrat, in den Kirchen das Objekt der Gebete und Predigten war, in Rathaussälen und Schulhäusern von Landrichtern und Bürgermeistern idealisiert wurde, ob man seine Büste aufstellte, Fahnen mit seinem Bild mitführte, überall sein Monogramm anbrachte, Schützenscheiben und Preismünzen sein Bild trugen167. Ein weiteres Fest, das der Dynastie im Zeichen des Philhellenismus, der politischen Mode der 1820er und 1830er Jahre, exotische Bedeutung verlieh, löste die Berufung des Prinzen Otto auf den griechischen Thron aus. Der Zug 79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

des künftigen Königs der Hellenen bis zur Tiroler Grenze wurde zum umlagerten Festzug, man sammelte in ganz Bayern Geld für zwei Denkmäler »zur Verherrlichung dieses in der Geschichte ewig denkwürdigen Ereignisses«168, aus allen Regionen gingen Glückwunschadressen ein169 und in München fand ein Landesfestschießen statt170. Ottos Ankunft in Griechenland wurde mit Dankgottesdiensten begangen171. Bald darauf feierte man die Grundsteinlegung, später die Einweihung der Denkmäler in weiß-blauer Kulisse den Farben Bayerns und Griechenlands172. Der Anstoß ging zwar von ehrgeizigen Beamten und berechnenden Besitzbürgern aus 173 ; aber da die Sammlungen wie die Feiern erhebliche Teile der ›breiten Bevölkerung‹ erfaßten, drang der Philhellenismus wie wohl nirgends sonst in Mitteleuropa bis in die unteren Schichten174. Den größten Loyalitätseffekt erzielte die unmittelbare Selbstdarstellung des Königs und seines Hauses. Da sie, bevor Massenkommunikationsmittel Prominente ständig optisch zu präsentieren begannen, den Wert des Außerordentlichen in einer heute kaum vorstellbaren Weise besaß, kam den Reisen der Majestäten in die Regionen große Bedeutung zu 175 . Die Städte - z.B. Regensburg, als Ludwig I. 1830 zur Grundsteinlegung der Walhalla kam - entfalteten ein glanzvolles Zeremoniell, das um die monarchische Repräsentation die Selbstdarstellung der ständischen Gesellschaft inszenierte. Nachdem das Königspaar durch eine Deputation bereits eine halbe Tagesreise entfernt eingeholt und dann die letzte Strecke von Bürgerkavallerie gedeckt worden war, fuhr man durch eine Ehrenpforte, an der »Bildnisse der ältesten bayerischen Könige und Herzoge« 176 das offizielle Geschichtsbild vorführten, zur Begrüßung durch Magistrat, Klerus und Honoratioren. Jungfrauen überreichten die Stadtschlüssel, Militär und Bürgerwehr paradierten, die »Gewerbe-Vereine jubeln freudig dem Herrscherpaar entgegen« und eine Straße erhielt feierlich den Namen Ludwigsstraße. Die Armen wurden auf Rechnung der Kabinettskasse gespeist, die Pfründner der Wohltätigkeitsstiftungen besser verköstigt, verarmte, aber fleißige Handwerker erhielten Investitionsbeihilfen, Waisen wurden beschenkt. Historischer Festzug177, Fackelzug, Feuerwerk umrahmten das Königspaar. Auch in Märkten und Dörfern, durch die der König fuhr, bildete die Landwehr Spalier, Kanonenschüsse wurden gelöst, die Amtsinhaber machten ihre Aufwartung, die Schuljugend sang ein Huldigungslied und die ›kleinen Leute‹ drängten sich auf den Straßen178. Selbst wenn die Majestät »nicht als König« und »nicht als Königin«, also nicht zur Repräsentation reisten, sondern sich etwa in ein Bad begaben179, griffen sie entlang ihrer Route in den Alltag der Bevölkerung ein. Wochenlang wurden die Straßen instandgesetzt, man konkurrierte von Ort zu Ort, von Haus zu Haus im Festschmuck; die Beamten mußten sich in Galauniform vorstellen, was stets Zuschauer anzog, und in den Städten nützte man auch diese Gelegenheit für einen Bürgerball oder ein Schauspiel180. Auch solche nichtoffiziellen Reisen zogen ihre Loyalitätskreise. Der König war so in die feudale Repäsentationstradition gebunden, 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

daß er dieser öffentlichen Rolle nur inkognito entrinnen konnte. Auch der viel kolportierte formlose Verkehr Max' I. mit den ›kleinen Leuten‹ in Münchner Wirtshäusern und am Tegernsee war nicht private Geselligkeit, sondern besondere ›Leutseligkeit‹, die seit je zur monarchischen Selbstdarstellung gehörte. Die öffentliche Bedeutung zeigte auch, daß sich die Anekdote und die Maler dieser populären Auftritte rasch bemächtigten181. In gleicher Weise hinterließen Jahrzehnte später die Wanderungen Max IL bleibende Spuren: Erinnerungslinden, Tafeln, Symbole vergegenwärtigten die flüchtige Anwesenheit des Königs dauerhaft182. Prinzen und Prinzessinnen leisteten gleichfalls Loyalitätsvermittlung nach dem Repräsentations-Huldigungs-Schema. Besonders bei Vermählungen warteten dem Paar überall Beamte und Klerus auf, Militär und Landwehr paradierten, Häuser und Straßen waren geschmückt. Bauern wurden in alten Gewohnheiten betroffen, als man Dunghaufen vom Weg verbannte, und die Haupt-Schützen-Gesellschaft richtete ein Festschießen aus 183 . Der König trat ganz allgemein, wo immer er unterwegs war, in seinem außerordentlichen Rang auf und heischte zeremonielle Huldigung: seine Equipagen, durch Vorreiter, Rangsymbole und Posthorn ausgewiesen, hatten grundsätzlich Vorfahrt, durften von niemand überholt werden und jeder Entgegenkommende mußte am Straßenrand verharren184. In das alltägliche Straßenleben fiel für einige Augenblicke der Glanz der Majestät. Eine weitere Szene feudaler Selbstdarstellung boten die Hofjagden mit ihrem oft »übergroßen Zulauf von Zuschauern«185. Diese zog zwar nicht nur der König, sondern auch das nach dem Niedergang von Adelsherrschaft und Adelsleben seltener gewordene Schauspiel einer großen Jagd an, das sich aber doch um den König entfaltete und ihn attraktiv präsentierte. Ein Leitwert des christlichen Herrscherbilds war die humilitas. Sie übte der bayerische König öffentlich bei der jährlichen Fußwaschung von zwölf Männern am Gründonnerstag186. Diese Männer und ihre Begleiter vergegenwärtigten durch die Auszeichnung, die auch materielle Vorteile (Geld, Bekleidung, Kost) bot, in ihren Kommunikationskreisen in allen Landesteilen den König intensiv. Ebenso brachte die Übernahme von Patenstellen durch König und Königin das Herrscherhaus in eine besonders enge Beziehung zu Familien, die - über das Land verstreut - als Multiplikatoren wirkten 187 . Denselben Effekt erzielten Orden und Ehrenzeichen. Vor allem der Ludwigs-Orden, der jedem »Diener, welcher fünfzig Jahre in Unserem Hof-, Staats-, Kriegs- und kirchenlichen Dienst gestanden hat« 188 , feierlich verliehen wurde, stilisierte für die Ausgezeichneten wie für deren soziale Umwelt ein Arbeitsleben in Ämtern und Kasernen, in Schulstuben und Pfarrhäusern zum unmittelbaren Königsdienst. Neben der Breitenwirkung dieser dicht gestreuten Auszeichnung trat die des Zivil-Verdienst-Ordens der Bayerischen Krone189, der besondere Verdienste voraussetzte, zurück. Einer Dauerpräsenz der Dynastie dienten besonders Denkmäler historischer ›Heroen‹ und gegenwärtiger ›Landesväter‹190, patriotische Historien81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

fresken (die Wandmalerei blühte im ludovizianischen München)191, alte ›Ahnengalerien‹ an zentralen Gebäuden192. Wenn auch wohl in der Regel der ›breiten Bevölkerung‹ ihre patriotische Signalfunktion nicht bewußt wurde, stellten sie, die unter den gewohnten Marienstatuen, Pestsäulen und allegorischen Brunnen auf Straßen und Plätzen auffielen, doch das Königshaus markant vor. Der monarchische Kult wirkte, indem er mit seinem Zeremoniell samt den daran anschließenden Vergnügungen den Alltag der ›kleinen Leute‹ festlich überhöhte: er verband Glanz und Lust mit der sonst vorwiegend durch Gebot und Verbot erfahrenen Obrigkeit. Durch demonstrative Öffentlichkeit wurde der die Lebensbereiche übergreifende Herrschaftsanspruch unter Einsatz aller lokalen Autoritäten eindringlich erhoben und zugleich heiterer Geselligkeit ein sozial umfassender Rahmen geschaffen. Die Inszenierung eines glänzenden Symbolraumes mit seinen ›anmutenden‹ Requisiten von der Parade bis zum Feuerwerk führte der Bevölkerung eine sonst nicht erlebte festliche Szenerie als Bühne, gewissermaßen als Alltag der Majestät vor; er erhob sich weit über den der Untertanen und ließ schon dadurch die Macht über diese als selbstverständlich erscheinen. Dann suggerierte die gezielt um den König arrangierte Harmonie einer ›heilen Welt‹, die Stilisierung des Kultschauplatzes und seines Personals eine Ordnungskraft, die Herrschaft nicht nur rechtfertigte, sondern immer wieder Hoffnung auf unmittelbare Verbesserungen in der eigenen Lebenswelt an sie heftete. Jenseits der täglichen Zwecke und Zwänge, unter erregenden Sinnenreizen, im gesteigerten Lebensgefühl der festlichen Gemeinschaft, ergriffen vom feierlichen Pathos kollektiver Ideale, erfuhr der einzelne in den Attraktionen eines solchen Tages den König als Anlaß und Ziel einer hochgespannten Stimmung. Sie vereinte ›hehren‹ Ernst und derbe Fülle zu einer Lebensintensität, stimulierte ein Gefühl des Einklanges mit der Welt und den Menschen, das dem massiven Loyalitätsappell emotional den Boden bereitete. Diese ›Aufladung‹ von König und Dynastie mit Festglanz und Lebensfreude wirkte im Herrschaftsbild wohl auch noch nach, wenn die Euphorie des Festtages verflogen war 193 . 33.2. Bayerische Tradition als Integrationssymbolik Neben dem monarchischen Kult hatten Symbole und Riten lokaler, regionaler, bayerischer oder deutscher Tradition ihren Einfluß. Überwiegend vergegenwärtigten personale Symbole, in der Regel Denkmäler exemplarisch diese jeweilige Tradition. Sie diente im Zusammenspiel der sensuellen Attraktion mit der vor allem durch die Schule vermittelten Interpretation der politischen Selbstidentifikation durch präsentierte Geschichte. Das künstliche Bayern, intensiv um Breitenzustimmung bemüht, pflegte im kriegsbestimmten ›Geist‹ der napoleonischen Zeit nachdrücklich sein militärisches Prestige. Das seit 1801 projektierte Münchner Armeedenkmal194 82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

wurde schließlich getrennt als Triumphmonument (Siegestor) und als Gefallenengedenkstätte (Obelisk) errichtet. In der Feldherrnhalle als eindrucksvoller Kriegskultbühne repräsentierte den Ruhm der bayerischen Armee das Standbild Wredes, ihres erfolgreichsten Generals dieser Zeit, den die Staatsführung mit allen Mitteln zum Held des jungen Königreiches stilisierte195 und, indem sie ihn neben Tilly stellte, in eine Kontinuität von europäischem Rang reihte. Auch außerhalb Münchens wurde die napoleonische Zeit als der heroische Auftakt Staatsbayerns verschiedentlich dauerhaft vergegenwärtigt 196 . Die zunehmende Denkmalmode steigerte allerdings zugleich regionalen und lokalen Traditionskult. Vor allem in Neubayern kam zu den wenigen alten Fürstenmonumenten eine Reihe von Denkmälern, die als politische, religiöse oder kulturelle Leistungssymbole einer Region oder Stadt deren Eigenbewußtsein steigern mußten197. Es überrascht jedoch, daß sie kaum von diesen Regionen und Städten selbst errichtet, sondern ihnen meist von Ludwig I., also ihrem Mediator geschenkt und seinem Kult dienstbar gemacht wurden. Ein Gegner des rationalistischen Zentralismus, versuchte er die Bevölkerung Neubayerns durch eine kontrollierte autochthone Traditionspflege nach einer Phase der Unterdrückung mit München zu befrieden198. Denkmäler erinnerten an die Markgrafschaften, das geistliche Franken, die Reichsstädte in ihrer Blüte. Auf sie konnten sich allerdings antibayerische und antimonarchische Partikularsolidaritäten stützen; sie trugen ihren - gewiß bescheidenen - Teil dazu bei, daß Staatsbayern im Vormärz Subgesellschaften zwar zu überwölben, aber nicht zu beseitigen vermochte. Deutschland als Horizont war nach dem Übergang Bayerns zu den Alliierten 1813 und der zweimaligen Überwindung Napoleons, durch Aufrufe und von den Kanzeln herab, durch Dankgottesdienste, triumphale Truppenheimkehr und Friedensfeiern den ›kleinen Leuten‹ offiziell vorgeführt worden. Nach 1815 wurde es von der Staatsführung wieder deutlich zurückgedrängt und allenfalls den ›gebildeten Ständen‹ als romantische Vision zugebilligt. Auch das ›teutsche‹ Pathos des Kronprinzen Ludwig konnte darüber nicht hinwegtäuschen. Zumal in Neubayern feierte man zwar zunächst noch unbehelligt die Erinnerung an die Leipziger Schlacht199. Aber trotz der Toaste auf den König und patriotischer Epiloge zu nationalen Theaterstücken200 beobachtete die Bürokratie diesen Kult mit wachsendem Mißtrauen, witterte radikale Agitation201 und unterband ihn schließlich. Je stärker sie sich, durch Unruhen im Ausland und ›Demagogen‹ im Inland erschreckt, der Metternichschen Disziplinierungspolitik fügte, um so weniger konnte sie eine Tradition billigen, die auf den bürgerlichen Nationalstaat zielte. Deren Aufwertung beim Regierungsantritt Ludwig I. währte nur kurz, weil die bürgerliche Öffentlichkeit in Landtag, Presse und politischen Feiern (Hambach!) 202 das Nationalgefühl so politisierte und in dieser Form popularisierte, daß es für den Neoabsolutismus diskreditiert war. Zwar wurde im ludovizianischen Bayern auch die deutsche Tradition offi-

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ziell vorgestellt durch die Walhalla, das augenfälligste Dokument eines aktuell-politisch unverbindlichen, des romantischen Bekenntnisses des Königs zur Kulturnation203. Aber ihre Breitenwirkung blieb begrenzt, da sie verkehrsmäßig abseits lag und der architektonische Dialekt des Ruhmestempels vorwiegend die ›gebildeten Stände‹ in ihrem Griechenenthusiasmus ansprach204. Wenn sie einmal zahlreiche Menschen anzog wie bei Grundsteinlegung und Eröffnung, überlagerte der bayerische Königskult den Kult um die deutsche Nation; der wurde ihre ›Weihestätte‹ von einem Fürsten beschert, welcher sich damit selbst ein Denkmal setzte205. Kommunikative Randlage, semantische Exklusivität und Patriotismusfunktion minderten den Effekt auch dieses hervorragendsten Nationalsymbols des bayerischen Vormärz erheblich. Anders als der offizielle bzw. offiziell gebilligte bayerische, lokale und selbst regionale Traditionskult konnte sich ein deutscher von Wirkung vor 1848 nicht entfalten. Um so bedeutender wurde deshalb der zunehmende Nationalismus des liberalen Bürgertums.

3.4. Die katholische Erneuerung 3.4.1. Entfesselung der Volksfrömmigkeit und pastorale Resakralisierung Der in der Montgelaszeit nicht gebrochenen Vitalität der Volksfrömmigkeit kam die organisierte religiöse Erneuerung durch Kirche und Staat entgegen, seit besonders aktive Gruppen im Klerus für diese kämpften und die Regierung sie förderte. Die Tendenzwende im ›Zeitgeist‹ zur kirchlich verfaßten Offenbarungsreligion, die sich aus Strömungen des späten 18. Jahrhunderts am Beginn des 19. Jahrhunderts zur katholischen Romantik verdichtet und in Bayern vor allem an der Universität Landshut zur Weltanschauung kristallisiert hatte, wurde in den späten 1820er Jahren Staatsprogramm206. Sie erreichte in Bayern durch Ludwig I., dessen Haltung aufgrund seines Neoabsolutismus in erhöhtem Maß über öffentliche Leitwerte entschied, und durch profilierte Vertreter, die in Schlüsselstellungen kamen, eine außergewöhnliche politische Wirkung. Für die Religions- und Kirchenpolitik fiel dabei der Einfluß Johann Michael Sailers besonders ins Gewicht207. Die Aufwertung der Religion zeigte sich augenfällig in der gezielten Stärkung der Kirche, die sich ja eben erst hatte reorganisieren können. Mit seiner Initiative sicherte sich der Staat allerdings auch einen starken Einfluß auf Form und Inhalt der kirchlichen Restauration. Der grundsätzliche Ordnungsanspruch des Monopolstaats galt auch hier und schloß das Maß an Selbstbestimmung aus, das sich die Kirche trotz landesherrlichen Kirchenregiments bis zum Ende des Alten Reiches bewahrt hatte. Teilweise gegen den Widerstand noch aufgeklärter Beamter, aber vom Drängen der ›breiten Bevölkerung‹ gestützt, wurde eine monastische Organisation in expansionsfä84 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

higen Kerngruppen restauriert208, der Kirchenbau belebt209, die Priesterausbildung wieder aufgebaut210 und jeder frei werdende Bischofsstuhl, jede Domkapitelstelle mit Repräsentanten der kirchlichen Restauration besetzt211. Diese Maßnahmen strafften und verdichteten zugleich das Kommunikationsnetz innerhalb der Kirche und erweiterten deren Wirkungsradius. Wie die Kirche institutionell an Eigengewicht gewann, so wurde auch ihre Arbeit wieder in stärkerem Maß spezifisch kirchlich-religiös, also Seelsorge. Die Resakralisierung zeigte sich vor allem an der für die Beeinflussung der Jugend zentralen Katechetik, die über den ›vernünftigen‹ und ›nützlichen‹ Moralismus auf den alten tridentinischen Katechismus des Petrus Canisius zurückgriff und sich auf die Heilsvermittlung konzentrierte212. In den Gesang- und Gebetbüchern verblaßte der Stempel der Aufklärung213; und gegen die säkularisierte Erbauungsliteratur, besonders Zschokkes ›Stunden der Andacht‹, dieses Symbol deistischer, konfessionsneutraler Moralreligiosität214, wurde wieder das ,,geistliche Leben" des Thomas a Kempis verbreitet 215 . Sünderdemut verdrängte als anthropologisches Leitbild das Tugendpathos. Ebenso entfesselte die Staatsführung, unter dem lebhaften Beifall der ›kleinen Leute‹, die überkommene rituelle Religiosität, soweit sie dem Religiositätsstil der katholischen Romantik entsprach216. Denn der durchaus vorhandene Widerstand auch der Restaurationselite gegen magische Formen, sakralprofane Vermischung und ökonomische Hemmnisse in der ›Volksfrömmigkeit‹ zeigt die partielle Kontinuität der Gesellschaftspolitik im frühen 19. Jahrhundert, die unter dem Antagonismus rationalistischer Bürokratismus - romantischer Neoabsolutismus leicht übersehen wird. Die Aufklärung hatte zumindest den führenden Schichten ein Mindestmaß an Rationalismus, Utilitarismus und Moralismus so verbindlich gesetzt, daß diese durch alle Weltanschauungen als eine Konstante des 19. Jahrhunderts liefen. Auch der hohe Klerus, der zunehmend pointiert antirationalistisch auftrat, setzte sich nicht mehr für die barocke, sondern für eine ›gereinigte‹ Religiosität ein. Die sinnenhafte Vergegenwärtigung wichtiger Glaubenssätze im Kreis des Kirchenjahres wie die Darstellung des heiligen Grabes, der Himmelfahrt Christi, des Pfingstwunders usw. wurde in ›maßvollen‹ Formen erlaubt217. Wallfahrten und Bittgänge konnten erneut stattfinden, aber um der Moral, des religiösen Ernstes und der Arbeitsamkeit willen von den staatlichen und kirchlichen Behörden reglementiert218. Kirchenjubiläen durften wieder mehrtägig gefeien werden, aber ohne profanen Beigeschmack. Auch die außerordentlich verbreiteten Bruderschaften, die Gebet, Hausandacht, Sakramentenempfang und Gottesdienstbesuch förderten, Ablaß, also ›Heil‹ boten und das gesamte Leben ihrer Mitglieder durchritualisierten, fanden wieder staatliches Wohlwollen, doch nur für schlichte Erbauung und keine ›Spektakel‹ 219 . Anknüpfend an aufgeklärte Kritik verpflichtete man die Priester, gegen das populäre Heilsvertrauen auf den Ablaß, gegen die »falsche Zuversicht Vieler« auf die bloß rituelle Erfüllung der Bruderschaftsnormen, gegen die 85 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

wuchernde Heiligenverehrung vorzugehen. Derart von ›barocken Exaltationen‹ befreit, wurden die Bruderschaften auch von den unteren, in erster Linie sozialrelevanten Staatsbehörden zunehmend positiv bewertet. Das geschah nicht zuletzt in der Hoffnung, daß ein guter Christ ein guter Staatsbürger sei 220 . Besondere Bedeutung für die erneute Anbindung der ›Volksfrömmigkeit‹ an die kirchliche verfaßte Religion gewann die Volksmission. Seit 1843 unterwarfen Redemptoristen in der Missionstradition des 18. Jahrhunderts zahlreiche Landgemeinden und deren weites Umland für jeweils eine Woche einer psychologisch intensiven Seelsorge221. Durch Predigt, Katechese, Marienfeiern, Beichte und Sakrament übten sie religiöse Muster ein, die sich auf eine rigorose Moralkasuistik, auf Marienverehrung und Eucharistiekult gründeten. Wirkung und Nachwirkung der katholischen Aufklärung in der ›breiten Bevölkerung‹ wurden damit über den allgemeinen kulturellen Wandel hinaus lokal und regional konzentriert geschwächt, da der Andrang zu diesen Missionen und den häufig nach einem Jahr folgenden Renovationen222 ungewöhnlich war 223 . Viele hat freilich auch nur der Reiz einer neuen Attraktion angezogen224; andere, besonders Frauen und »schwermüthige und gewissensängstliche Personen«, wurden von den Bußpredigten so exaltiert, daß ihre Religiosität ins Schwärmertum glitt oder in Melancholie umschlug225. Der Pfarrklerus sah deshalb, vom Konkurrenzmotiv ganz abgesehen, die Redemptoristen nicht immer gerne; der Gegensatz ›vernünftiger‹ und adorierender Religiositätsmuster wird hier zum Teil noch seine Rolle gespielt haben. Aber im allgemeinen wirkten die Missionen merklich: erhöhte Kirchenbesuchs- und Beichtzahlen, Belebung der Bruderschaftsriten und des Hausgebets, Beilegung alter Feindschaften, Entspannung von Ehekrisen, eine freundlichere Atmosphäre des gesamten Sozialverhaltens, selbst ein Nachlassen der unehelichen Geburten226. Nach einiger Zeit schwand freilich diese Selbstdisziplinierung wieder227. Aber die pastorale Arbeit der Redemptoristen wirkte insoweit dauerhaft, als ihr ritualistischer, an romanischen Mustern orientierter Stil auch dann, wenn sich Religiositätsfrequenz und Sozialverhalten wieder auf das gewohnte gruppentypische Niveau eingependelt hatten, die Breitenreligiosität färbte. Dieser Effekt wurde meist noch durch die Gründung von Jünglings- und Jungfrauenvereinen als Gebets-, Ritual- und Moralkontrollinstanzen institutionalisiert228. Die Pfarrpastoration wurde vertieft und veränderte sich im Vormärz durch einen neuen Priestertyp. Zunächst besaß der Priesternachwuchs, der wieder zunahm229 und die Betreuung der Filialen sicherte, ein hohes Leistungsniveau. Da die Kirche seit der Säkularisation weniger Sinekuren bot, war der Priesternachwuchs nun überwiegend pastoral motiviert. Zum anderen stieg die Qualität der Priesterausbildung erheblich und realisierte teilweise erst Forderungen des Tridentinums, da die politisch und wirtschaftlich entmachtete und zunehmend der Konkurrenz anderer Weltanschauungen ausgesetzte Kirche mehr denn je pastoral wirken mußte. 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Außerdem setzte sich in den 1820er Jahren ein neues Leitbild durch230. Sein hervorragender Anreger und Repräsentant war durch eine große Schülerzahl, ein umfangreiches literarisches Werk, einen ausgebreiteten Briefwechsel, eine starke Kanzelwirkung und vor allem den Einfluß auf Ludwig I. und damit auf Schlüsselbesetzungen Johann Michael Sailer231. Intellektueller und ethischer Anspruch, pädagogischer und karitativer Eros der katholischen Aufklärung blieben durchaus gültig 232 , aber mehr als Dienst Gottes denn als eigenwertige soziale Leistung. Diesem Leitbild folgten zunehmend die Priesterausbildung in den bayerischen Diözesen, vor allem auf der letzten, praxisbezogenen, durch Verlängerung besonders gewichtigen Seminarstufe, die theologische und disziplinäre Führung des Klerus, das Schema der Stellenbesetzung und Beförderung. Das galt auch für die Pfarreien, die der Staat besetzte, der auf diesem Gebiet die Kirche voll unterstützte. Die Konzentration auf die engere Priesterfunktion vergrößerte wieder die Distanz des geistlichen Standes zur ›Welt‹. Bereits im Lyzeum und Seminar wurde ihm durch Abschließung seine gesonderte Stellung in der Gesellschaft eingeübt, der Verzicht auf die Volksvergnügungen, vor allem den Wirtshausbesuch, der geistliche Habitus, ›würdiges‹ Auftreten ohne ›weltliche‹ Unsitten wie Tabakrauchen, politische Abstinenz233. Zur »Erneuerung des Geistes in dem Klerus« verschrieb man Bibel- und Väterlektüre, Gebet, häufiger Sakramentsempfang und Exerzitien wieder eindringlich234. Trotz üblicher Verhaltensabweichungen235 setzte sich der spezifisch priesterliche Lebensstil gegenüber dem weltzugewandten Pfarrertyp im Lauf des Vormärz offenbar weitgehend durch. Mit jenem Stil begann freilich der Rückzug der katholischen Kirche aus der Gesellschaft, wo diese ihrem strengen Maßstab nicht entsprach. Der Erfolg des vom hohen Klerus mehrheitlich verordneten und vom Staat unterstützten Leitbildes, der den des aufgeklärten offenbar erheblich übertraf, beruhte zuerst auf innerkirchlichen Veränderungen. Die gefestigte und teilweise rationalisierte Organisation hatte die hierarchische Autorität wieder - und mehr als früher - gestärkt. Seit dem Ende der Reichskirche mit ihrer sakral-profanen Funktionenvermischung und ihren inneren Konflikten war dem Klerus ein zwar beschränktes, aber schärfer umgrenztes Aktionsfeld und damit eine homogenere Rolle gegeben. Die Radikalisierung der Spätaufklärung und ihre Expansion zur liberalen Öffentlichkeit wie ihre Legitimationsrolle für den rigorosen Etatismus der Montgelas-Bürokratie hatten auch die katholische Aufklärung für eine neue, vom ›Erleuchtungs‹-Pathos des 18. Jahrhunderts nicht mehr berührte Generation diskreditiert. Da der barocke Religiositäts- und Pastoralstil nach der Aufklärung keine Alternative mehr sein konnte, war man für einen Kompromiß bereit. Diese innerkirchliche Prädisposition für ein neues Priesterleitbild entwikkelte sich in der allgemeinen Wendung zur ›Innerlichkeit‹, zur Romantik236. Der Resakralisierung des Priesters arbeitete eine Aufwertung der kirchlich verfaßten Religion in den Gesellschaftsgruppen vor, die sich im 18. Jahrhundert dem Rationalismus, dem Deismus oder zumindest einer individuellen 87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Religiosität zugewandt hatten. Im Aufwind von Irrationalismus, organischer Gemeinschaftsidee und der Sehnsucht nach einer Synthese der Lebensbereiche durch übergeordnete Institutionen - kurz, im Rahmen des im Begriff Romantik zusammengefaßten Welt- und Menschenbilds kehrte ein Teil des Adels und des Bildungsbürgertums zu Religion und Kirche zurück. Da diese Schichten noch Vorbild für die ›kleinen Leute‹ waren, wurden Religion und Kirche auch bei diesen erneut verankert und, wo bereits gefährdet, wieder aufgewertet. Parallel wirkte das veränderte Verhalten der Staatsrepräsentanten. Auch die Montgelas-Beamten, die in den Unterbehörden großenteils weiter amtierten237, mußten unter der restaurativen Regierungspolitik Kirchlichkeit zumindest mimen: sie saßen sonntags wieder in der Kirche, nahmen an der Fronleichnamsprozession teil238 und verkehrten öffentlich mit der Geistlichkeit, was in Stadt und Land die Kirche demonstrativ aufwertete 239 . 3.4.2. Der gesellschaftliche und politische Wiederaufstieg Nach dem Säkularisierungseinbruch um 1800 erreichte die katholische Kirche nun noch einmal mentalen Einfluß in einem am Beginn des 19. Jahrhunderts kaum vorstellbaren Ausmaß. Kirchenferne Gruppen wurden zurückgewonnen; die bewahrte Religiosität wurde durch soziale Aufwertung belebt und durch eine verstärkte pastorale Kontrolle enger als in der feudal-barokken Kultur an Dogma und Ritus der Kirche gebunden. Und doch blieb dieser Erfolg begrenzt. Das Bürgertum kehrte nur zum Teil soweit zur Kirche zurück, daß deren Werte und Normen seine Haltung bestimmten. Eine häufig interessenbedingte Anpassung an den herrschenden ›Zeitgeist‹ kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das frühliberale Weltbild gerade im historisch aufsteigenden Bürgertum um sich griff; die Ausdehnung der bürgerlichen Öffentlichkeit, die vor allem dieses Weltbild artikulierte, zeigte im späten Vormärz die Einbußen der Kirche zunehmend an. Auch in der ›breiten Bevölkerung‹ minderten Spannungen zwischen teilweise krisenhaften demographischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen und alten Normen die Autorität der Kirche240. Die Diskrepanz von sozialer Disproportionierung, ›Verstörung‹ durch die Umbruchskrise am Jahrhundertanfang und neuen, aus den höheren Schichten abgesunkenen Verhaltensmustern einerseits und der von der Kirche vertretenen Ordnungstradition andererseits brachte Kleinbauern, Handwerker und Dienstboten in eine Desorientierung, die der Kirche viel an Verbindlichkeit raubte. Zwar gingen diese Gruppen noch nicht wie das liberale Bürgertum zu einer anderen Weltanschauung über, sondern folgten noch einem rudimentären Christentum. Kein Massenprotest wandte sich gegen die katholische Kirche. Aber dem Pfarrklerus entglitt doch eine wachsende Minderheit, welche die kirchlichen Normen über die herkömmliche Toleranzgrenze hinaus durchbrach241. 88 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Eine hohe Illegitimitätsrate242, Konkubinate, Mißachtung überkommenen Arbeits- und Festverhaltens, auf dem die Ehre des christlichen Hausvaters ebenso wie die des christlichen Arbeiters beruhte, Ansprüche an arbeitsfreie Zeit, Lohn, Kost, Vergnügungen und Kleidung über dem standestypischen Maß, Landflucht markierten eine Auflösung des gewohnten christlichen Lebensstils. Das Verhalten triftete hier von einer zunächst noch weiter praktizierten äußerlichen Katholizität ab; formelle Daseinsinterpretation und Daseinsform waren kaum mehr kongruent. Vor allem bei einem abrupten Umweltwechsel, z. Β. in eine große Stadt, verblaßte dann oft auch diese äußerliche Religiosität. Sie wich, wo das Bedürfnis nach einem geschlossenen Lebenssinn mit ihr zerfiel, einem Syndrom aus generalisierten Alltagserfahrungen, individuellen Hoffnungen und Elementen populären ›Aberglaubens‹, d. h. einer pragmatischen Minimalorientierung mit magischen Absicherungen. Oder sie wurde durch die einfachste Form einer der Ideologien ersetzt, die das fortschreitende Jahrhundert allmählich als funktionale Äquivalente anbot und die den Alltag mit einer neuen, nun säkularen Daseinsinterpretation überwölbten. Für die Kirche waren die einen wie die anderen verloren. Begründet war dieser kirchliche Einflußverlust auch in der Reaktion der Kirche auf diesen Wandel selbst. Wieder auf die Seelsorge konzentriert, beachtete sie die gesellschaftlichen Bedingungen der Moral der ›kleinen Leute‹ weniger als unter dem Einfluß der katholischen Aufklärung, die die Zeitbedingtheit und Schichtsspezifität jeder Ethik zumindest in Ansätzen anerkannt hatte. Nun begann der Klerus erneut die überkommene, durch die tridentinische Kirche abgesicherte Moral zur überzeitlichen Norm zu verallgemeinern und in ihrer Auflösung in erster Linie individuelles Versagen zu sehen. Außerehelicher Sexualverkehr, Alkoholismus, Bettel, Diebstahl, Landflucht wurden wieder pauschal zur ›Sünde‹ ohne Rücksicht auf die Lage der Delinquenten, auf Spannungen und Krisen in ihrem Lebensraum. Zunehmend sah man auch da eine subjektive Schuld, wo objektive soziale Bedingungen überwogen243. In den Sammlungen von Musterpredigten, den Katechismen, den Gebetbüchern war der individuelle sittliche Wille der fast ausschließliche Bestimmungsfaktor der gesellschaftlichen Moral und Wohlfahrt244. Aus solcher Diagnose folgte in der Regel eine Therapie mit kirchlichen und staatlichen Sanktionen: die Priester rügten die laxe Kirchenzucht aufgeklärter Amtsbrüder, forderten die Hilfe der Polizei und klagten, daß die Bürokratie zu lässig sei. Mehr noch als die nachtridentinische Kirche beim absolutistischen Territorialstaat suchte die kompetenzbeschränkte Kirche des 19. Jahrhunderts beim Monopolstaat Unterstützung, die ihr allerdings nur gewährt wurde, soweit es der Staatsführung opportun schien. Gerade in Bayern zeigte der quantitative und qualitative Wandel der Staatshilfe vom aufgeklärten Bürokratismus zur romantischen Reaktion, wie stark die katholische Kirche in ihrer Wirkung nun von den Staatsinteressen abhängig war. Jene rigide Ethik, bei der sich die Restauration mit barocken Nachzüglern traf, verbaute die 89 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

von der Aufklärung angebahnte Chance wieder, mit dem sozialen Wandel pastoral Schritt zu halten und kollektiven Normenverstoß als einen Appell zur Normendiskussion und -revision zu verstehen. Man verkannte meist die Symptome einer Auflösung alter Verhaltensmuster als herkömmliche Abweichung und setzte deshalb traditionelle Gegenmittel ein, die versagen mußten. Die eindrucksvolle katholische Erneuerung im frühen 19. Jahrhundert trug so auch den Keim der Selbstisolierung in sich. Für die herrschende politische Ordnung wirkte die Regeneration der katholischen Kirche grundsätzlich funktional. Sie verschärfte zwar manche Detailkonflikte zwischen der Staatsführung, vor allem König Ludwig selbst, der erst machtbewußter Dynast, dann Sailerschüler war, und dem wieder selbstbewußten hohen Klerus im Prestige-, Organisations- und Personalbereich, die Wellen bis in Landpfarreien schlugen245. Entscheidend für den mentalen Einfluß war jedoch die nachdrückliche staatliche Aufwertung von Kirche und Religion, die den Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt in der Entstehungsphase Bayerns offenbar aus dem Bewußtsein der ›kleinen Leute‹ zusehends verdrängte. Nicht nur legitimierte und autorisierte die Kirche die politische Herrschaft im Zeichen von Thron und Altar wieder intensiver. Die im Montgelas-Bayern häufige, für die Bevölkerung zum Teil unverhüllte Spannung zwischen der niederen Bürokratie und der Geistlichkeit, soweit diese nicht engagiert aufgeklärt war, löste sich durch den Verhaltenswandel der Beamten durchwegs. Das zeigten z. Β. Pfarrer-Lehrer-Konflikte, wo die Landrichter mehr als früher für den Pfarrer Partei ergriffen246. Solche offenkundige Kooperation der beiden Hauptautoritäten mobilisierte die Religiosität für den Staat ebenso wie die Entfesselung der ›Volksfrömmigkeit‹ und die sichtbare materielle und personelle Förderung der Kirche247. Auch die ›breite Bevölkerung‹ der ehedem geistlichen Territorien, die der Säkularisationsschock in Distanz zu Bayern und seiner Dynastie gehalten hatte, konnte sich nun leichter mit diesen identifizieren. Allerdings barg die neue Konstellation bereits eine latente Spannung. Denn die Priester, die in erster Linie als ›Seelenhirten‹ wirkten 248 , vermittelten die kollektive Loyalität zur herrschenden Ordnung und die individuelle Motivation zur moralischen und ökonomischen Leistung für diese Ordnung nicht mehr wie die Protagonisten der Aufklärung unmittelbar. Die sozialen Tugenden wurden wieder viel stärker Sekundärwerte der Religiosität249. Dieser Verhaltensappell konnte, wenn einmal Staat und Kirche in ihren gesellschaftlichen Zielen wesentlich divergieren sollten, relativ leicht abgebaut, die Pastoration auf sakrale Inhalte beschränkt werden. Vorerst aber wirkte der Klerus nachdrücklich dem Liberalismus und damit auch dem Nationalismus entgegen, immunisierte er die ›breite Bevölkerung‹ gegen den integrations- und verfassungspolitischen Doppelangriff auf den neoabsolutistischen Partikularstaat250. Das romantische Nationalgefühl, das vor allem von der Universität Landshut ins katholische Bayern gewirkt und auch in der neuen Priestergeneration für ein christliches Deutschland nach dem Vorbild eines 90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

verklärten Mittelalters begeistert hatte, minderte den patriotischen Einfluß des Klerus nicht. Denn als unpolitisches Kulturpathos widersprach es der (Teil-)Souveränität, der Verfassung und der Staatsidee Bayerns nicht; ja, es festigte sie dadurch, daß es dem einst reichischen Katholizismus Neubayerns mit seinem ausgeprägt deutschen Horizont die Eingliederung erleichterte. 3.43. Der Übergang zum Ultramontanismus In den 1830er Jahren formierte sich im Klerus eine Gruppe, die weit über die Aufklärungskritik der Erneuerungsgeneration hinaus einen religiösen Rigorismus in scharf konfessionsspezifischer Form und strikter Abhängigkeit von der päpstlichen Autorität vertrat: der Ultramontanismus begann in Deutschland den kirchlichen Einfluß auf die Bevölkerung zu verändern251. In Bayern gelang ihm, obwohl der König durch persönlichen Religiositätsstil und Staatsinteresse im Grunde Gegner der ›Ultras‹ war, in den 1840er Jahren die Übernahme von theologischen und pastoralen Schlüsselstellungen, von denen aus er sich personell und ideell in die Diözesen ausbreitete252. Während noch Pfarrer aus den aufgeklärten Seminaren der Jahrhundertwende amtierten253 und der Großteil des Klerus dem Leitbild der frühen Restauration folgte, trat nun ein weiterer Priestertyp auf, der in der zweiten Jahrhunderthälfte dann dominieren sollte254. Am reinsten verkörperten ihn die im Collegium Germanicum in Rom von Jesuiten Ausgebildeten; daß sie auffallend häufig auf erledigte Bischofsstühle kamen, signalisierte am deutlichsten den Wandel. Auf der Grundlage der wiederbelebten Scholastik steigerte der Ultramontanismus Tendenzen der katholischen Restauration so, daß er sie zugleich fortsetzte und ablöste 254a . Ein Religiositätsstil, der Ritus und individuelle Verinnerlichung, Bibelglauben und Kulttradition verband, wich einem streng normierten Ritualismus255. Die ›gebändigte‹ Erneuerung von Wallfahrten, Bruderschaften, Marienkult, Heiligenverehrung weitete sich zu einem geradezu barocken ›Heilsbetrieb‹. Die partielle Kontinuität von Aufklärungselementen, die eine religiöse Eigenverantwortung forderten, schwand. Diese Seelsorge trat so entschieden gegen den anthropologischen und religiösen Individualismus an, daß sie die Isolierung vom bürgerlich-liberalen Milieu verschärfte, für welches jener Individualismus konstitutiv war. Sie kehrte inhaltlich und formal in wesentlichen Zügen zum Pastoralstil des 17. und 18. Jahrhunderts zurück - allerdings ungleich straffer institutionalisiert. Denn der ultramontane Priester, dem kurialen Integralismus voll ergeben, war in einem in Deutschland bisher unerhörten Maß an Rom gebunden. Mit scharfen Angriffen gegen die Reste des Episkopalismus, gegen die Fakultäten, die aus der deutschen Philosophie und Theologie der vergangenen hundert Jahre heraus dem Monopolanspruch der Neuscholastik widerstanden, gegen den Sailer'schen Pastoralstil256, mit einer verschärften Disziplinargewalt der Bischöfe im päpstlichen Autoritätsinteresse, mit stren91 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

gen Exerzitien suchten die Ultramontanen den bayerischen Klerus für die Kurie zu vereinheitlichen. Da diese Richtung257 den universalen Anspruch Roms in der katholischen Welt nach seinem politischen Scheitern nun mental erhob, stand sie nicht nur gegen den weltanschaulichen Liberalismus, gegen den sie der Vormärz-Staat gefördert hatte. Sie widersprach auch dem Monopolstaat selbst. Eine stärkere Orientierung an dem Außenzentrum Rom mußte gerade in Bayern, dessen Bevölkerungsmehrheit katholisch und noch vorwiegend kirchenverbunden war, die Integration der Gesellschaft hemmen und diese dem Staat weniger verfügbar machen. Die heftigen Konflikte der Staatsführung mit führenden Ultramontanen258 und ihr Echo in einer rasch formierten katholischen Öffentlichkeit259 offenbarten, wie sich die Kirche mit wachsendem Eigenwillen der Führung durch die Regierung entzog. Auf die ›breite Bevölkerung‹ wirkte dieser Gegensatz zwar vorerst nicht tiefgreifend: noch stießen ultramontane Priester nur vereinzelt mit Landrichtern offen zusammen, noch wurde an Altar und Kanzel der Patriotismus meist in gewohnter Weise vermittelt. Die Revolution von 1848 drängte dann sogar Staat und Kirche wieder verstärkt in eine gemeinsame Front. Aber langfristig sollte der Ultramontanismus den Einfluß des Staates auf die katholische Bevölkerung schwächen. 3.4.4. Erhöhte Kirchenleistung und gesteigerte Religiosität Das Pastoralangebot war nach der Überwindung des personellen und strukturellen Defizits in den späten 1820er Jahren überall wieder reichlich260. Die ländliche Gesellschaft nahm es, nachdem die Aufklärungsphase keinen stärkeren Einbruch gebracht hatte, meist lebhaft an 261 . Nach wie vor wurden die Gottesdienste fleißig besucht - auch in den Streusiedlungsgebieten mit ihren weiten Wegen262, auch im Gebirge und in Teilen der Mittelgebirge, wo Gelände und Witterung den Kirchgang zusätzlich erschwerten263. Allenthalben blieben jedoch die Dorfkirchen halbleer, wenn in der weiteren Umgebung ein Jahrmarkt mit seiner für die Unterregion zentralen Versorgungs-, Verkaufs- und Vergnügungsfunktion stattfand264. Seit die aufgeklärte Bürokratie die Jahrmärkte auf Sonn- und Feiertage verlegt hatte, um den Arbeitsausfall zu unterbinden, hielt mancher Pfarrer an Markttagen schon gar keine Predigt mehr, weil die ›kleinen Leute‹ höchstens eine kurze Messe besuchten 265 . Deshalb leisteten die Pfarrer der Erteilung neuer Marktprivilegien meist Widerstand. Noch eine andere Art des ›Auslaufens‹ aus den Pfarreien leerte zu bestimmten Zeiten die Dorfkirchen, allerdings zugunsten einer intensiven Sonderseelsorge: halbe Gemeinden unternahmen, sobald das nur wieder erlaubt war, Jahr für Jahr eine Wallfahrt oder besuchten eine große Kirchweih, die zugleich Beicht- und Einkaufstag war 266 . Anders als auf dem flachen Land wirkte in Märkten und kleineren Städten die Aufklärung mit der für diesen kleinbürgerlichen Lebensraum typischen 92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Phasenverschiebung partiell nach267. Beamte, von Pfarrern als die Vertreter des »verkehrten Zeitgeistes«268 angeklagt, Ärzte, aber auch Gewerbsleute und Wirte mieden die Kirche, ja zeigten offen Indifferenz. Dieser Vulgärrationalismus trennte die ›Aufgeklärten‹ im Kleinstadt- und Marktbürgertum von den Dorfbewohnern der Umgebung, ihren Mitbürgern in der Vorstadt und ihrem Haus- und Arbeitspersonal, die trotz vielfacher Attitüdenimitation der ›Herrschaft‹ oder der Prestigebürger oft bis ins 20. Jahrhundert am tradierten Weltbild festhielten269. Bereits lange vor der ökonomisch bedingten Auflösung wurde so in vielen Fällen das bürgerliche ›Haus‹ de facto desintegriert. Wo früher der ›Hausvater‹ mit Familie und Gesinde zur Kirche gegangen war, täglich eine Morgenandacht gehalten, bei jederMahlzeit Tischgebete gesprochen und bei einem Gewitter alle zum Gebet um die Wetterkerze versammelt hatte, ging der ›Herr‹ nun am Sonntagvormittag zum Honoratioren-Frühschoppen, las morgens seine Zeitung und hängte an die Stelle des Kruzifixes ein profanes Bild, während er zugleich sein Gesinde gerne in der Kirche sah, wo es Demut und Fleiß lerne. Wenn auch ein Teil der ›Aufgeklärten‹ wieder zur Kirche zurückkehrte, blieben Kerngruppen, die sich dann dem Liberalismus zuwandten und ein wichtiges Element im weltanschaulichen Dualismus der bayerischen Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts wurden. Mit der Größe der Stadt wuchs das soziale Gewicht der ›Gebildeten‹ und damit der Entkirchlichung. Das Vorbild von skeptischen Adeligen, Beamten und Intellektuellen verbreitete auch im Besitzbürgertum, ja teilweise im gewerblichen Kleinbürgertum und bis hinab zu Gesellen und Dienstboten eine Haltung, die sich den kirchlich verordneten Mustern nicht mehr fraglos fügte: »Anstatt daß man demüthig glauben und gehorchen sollte, klügelt man über alles« 270 . Auch Kirchenspott und Blasphemie wirkten nirgens so öffentlich wie im Klima urbaner Frivolität271. Viele praktizierten noch halbherzig ihren Katholizismus und besuchten am Sonntagmittag die letzte und kürzeste Messe272; andere betraten die Kirche nur mehr an hohen Feiertagen oder gar nicht mehr. Zum Sog der Umwelt kam für zahlreiche Arbeitnehmer, für Handwerksgesellen, Bauarbeiter, Dienstboten wirtschaftlicher Zwang, der sie von der Kirche fernhielt. Durch den Lebensstil der höheren Schichten, der ständige Dienstleistungen erforderte, die Konkurrenz nach der Liberalisierung der Gewerbeverfassung, den Termindruck bei öffentlichen Bauten wurde in Werkstätten, Baustellen und Herrschaftshäusern auch sonntags gearbeitet. Das Wort »Herrendienst geht vor Gottesdienst« besaß verbreitete Geltung273. Außerdem hielt schon im Vormärz die pastorale Betreuung mit dem Wachstum der Städte nicht immer Schritt274. Die ›modische‹ Einstellung drang aus der Stadt ins Umland hinaus. Dorfhandwerker und Bauern brachten ihre Produkte, Arbeiter und Taglöhner der Vorstädte kamen zur Arbeit in die Stadt, umgekehrt besuchten Dienstboten ihre Heimatgemeinden, Stadtbürger kehrten bei Landpartien in die Wirtshäuser der Umgebung ein, hohe Beamte, Offiziere und reiche Handelsleute 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

zogen im Sommer in Landhäuser. In diesem breiten Einflußgürtel städtischer Mentalität sickerte seit dem späten 18. Jahrhundert die Entkirchlichung in das Land hinaus 275 . Gefördert wurde diese Entwicklung dadurch, daß sich erheblich über das seit Jahrhunderten übliche Maß hinaus um die großen Städte Pauperismus und Dekorporation, ethnische, soziale und mentale Durchmischung und damit Traditionsentwertung und Devianz verdichteten. Ein Bevölkerungskonglomerat, das immer schon nur bedingt dem Einfluß der Kirche zugänglich gewesen war, entglitt ihr nun beschleunigt, die seiner Lage nicht mehr gerecht wurde 276 . Beispielhaft für diese Situation war etwa das östliche und nördliche Vorfeld Münchens, wo sich alte unterständische Renitenz gegen die Normen geistlicher und weltlicher Obrigkeit und die Desorientierung neuer Unterschichten kumulierten277. Diese Herde streuten auch in die noch vorwiegend traditionsstabile agrarisch-kleingewerbliche Bevölkerung der Gegend und steckten Dienstboten, Gesellen, Taglöhner und die Jugend an. Ganz allgemein litten Kirchenbesuch und Kommunion im Umkreis der großen Städte in allen sozialen Gruppen durch den ständigen Anreiz, an Sonn- und Feiertagen schon am Vormittag zu Einkauf und Vergnügungen in die Stadt zu eilen. Außerdem boten die stadtnahen Ortschaften als städtische ›Freizeitzone‹ selbst überdurchschnittlich viele Wirtshäuser, Bierkeller, Tanzböden und Kegelbahnen, die auch die Ansässigen rege frequentierten. Schließlich wirkte der ›Geist‹ der großen Städte in entfernte Gebiete durch Hausierhändler und Aufkäufer, die aus den unruhigen Vorstädten in die Dörfer und Weiler zogen und dort nicht selten vulgärrationalistisch in der Pose fortschrittlicher Urbanität über Kirchenkult und ›Volksfrömmigkeit‹ spotteten278. Er wirkte durch die jungen Männer, die aus ihrer Militärzeit Pfaffenspott und eine lässige Moral in ihre Heimatdörfer brachten und mit ihrem Prestige als ›Welterfahrene‹ unter der Jugend ein Echo fanden, das den Klerus erschreckte279. Wo freilich der Lebensraum sich noch wenig wandelte, gingen solche spezifische Attitüden einer sozialen Ausnahmesituation in der kirchenverbundenen Dorfmentalität meist wieder unter. Im anderen Fall, wenn die überkommene Mentalität ihre Integrationskraft verlor, konnten solche Attitüden sich zu einer Dauerhaltung festigen und ihrerseits den Traditionsabbau beschleunigen. In einzelnen ländlichen Gebieten begann ein weiterer urbaner Einfluß zu wirken. Der Fremdenverkehr280 brachte Bürger von Besitz und Bildung und mit ihnen großstädtische Einstellungen nicht nur wie bei den entlassenen Rekruten in isolierten Attitüden, sondern als eine eigene Lebensform, also mit ganz anderem Gewicht. Deren Attraktivität, ungetrübt von den in der Sommerfrische ja unsichtbaren Schattenseiten des Stadtlebens, reizte besonders die Dienstboten und die erwachsene Jugend zur Nachahmung. In den engen Grenzen, welche die ländliche Gesellschaft individueller Abweichung zog, äußerte sie sich in steigendem Vergnügungsdrang, sinkender Arbeitsmoral, nachlassendem Kirchenbesuch. Die mentale Auflösung des ›ganzen Hauses‹ und der Autoritätsverfall der Kirche gingen wie meist Hand in Hand. Nicht 94 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

wenige reizte das in den Fremden gegenwärtige Trugbild eines leichten Lebens zum Ausbruch in den nächsten größeren Markt oder in die Stadt; es war oft zugleich ein Ausbruch aus alten Verhaltensformen und aus der kirchlichen Bindung281. In den von der »neuen Mode« 282 des Fremdenverkehrs vor allem betroffenen Gebirgs- und Vorgebirgsgegenden bot überdies der Charakter der Bevölkerung, ihre alte Wendigkeit und Autoritätsflucht eine günstige Prädisposition, der die vorwiegend intellektuelle Kirchenkritik rasch in seine symbolischen Kommunikationsformen umsetzte, z.B. in obszöne Gottesdienstpersiflagen283. Verglichen mit dem auffälligen Prestige- und Wirkungsverlust der Kirche in den großen Städten und deren Umland zog allerdings die Säkularisierung in diesen mittelbaren Einflußgebieten nur seichtere Spuren. Der Großteil der ›kleinen Leute‹ hielt an der schichttypischen Tradition und damit an der Kirche fest. Ein - freilich schwer meßbarer284 - Indikator dieser nach Umwelttypen abgestuften Kirchlichkeit war die jährliche Sakramentsfrequenz (die allerdings nicht an den nach romanischem Muster gezielt erhöhten Leitzahlen seit dem späten 19. Jahrhundert gemessen werden kann). Der durchschnittliche Katholik auf dem Land erfüllte mit einer mehrmaligen Kommunion im Jahr in der Regel den Anspruch der Kirche. In Märkten und Kleinstädten war es ähnlich, abgesehen von manchen Bildungs- und Besitzbürgern, die vor allem in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts nur der österlichen Beichtpflicht nachkamen. Sie demonstrierten damit in ihrer Zeit und ihrer lokalen Umwelt, die um der wirtschaftlichen und sozialen Existenz willen noch keinen Bruch mit der Kirche zuließ, ein Höchstmaß an Kirchendistanz. In den großen Städten und ihrem Umland schließlich war offenbar eine beachtliche Minderheit bloßer Osterkommunikanten entstanden. Sie setzte sich aus zwei Gruppen zusammen. Die eine scharte sich vor allem aus den mittleren und höheren Schichten um einen Kern aus Prestigeträgern und war primär weltanschaulich motiviert; die andere beschränkte sich auf die unteren Schichten, wo deren überkommener Lebensraum zerfallen war. In den 1830er und 1840er Jahren stieg offensichtlich auch die Kommunionsfreudigkeit in bisher indifferenten Gruppen wieder merklich, soweit die Indifferenz weltanschauliche Opposition ausgedrückt oder nachgeahmt hatte. Da solch neuer Kircheneifer freilich oft für Karriere oder Geschäft gemimt war, während in der Familie die aufgeklärte Skepsis an die nächste Generation weitergegeben wurde, kann aus ihm nicht immer auf eine verstärkte Wirkung der Kirche geschlossen werden. Wo die Entkirchlichung einem Alltags-Umbruch folgte, konnte die Restauration als kulturelle Umwertung, die sich nicht aus einem sozialen Wandel ergab, ohnehin wenig ausrichten. Insgesamt erreichte die katholische Kirche trotz unübersehbarer, aber teilweise wieder abgefangener Einbrüche noch die große Mehrheit der ›breiten Bevölkerung‹ Sonntag für Sonntag und formte ihre Religiosität als ein Syndrom aus populärer Tradition, theologischen Normen und persönlichem Pastoralstil. 95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Die kirchliche Beeinflussung beschränkte sich nicht auf Kanzel, Beichtstuhl und Altar. Auch auf Straße und Flur, in Haus und Hof wirkte der Pfarrer auf seine Gemeinde mit Rat und Entscheidung, mit Lob und Tadel. Vor allem in der ländlichen Gesellschaft gaben ihm Ausbildung, Amt und Lebensstil ein einzigartiges Prestige. Er, dem man schon im Priesterseminar Distanz eingeübt hatte285, trat in einer gemessenen Herrenhaltung auf, tat in der Regel keine manuelle Arbeit, hatte Zeit und Interesse für zweckfrei ›schöne‹ Dinge. Sein Haus zeichnete sich durch bürgerlichen Wohnkomfort aus 286 . Als ›Studierter‹ beherrschte er einen den ›kleinen Leuten‹ verschlossenen, geradezu magisch-attraktiven Bereich, den das unverständliche Latein der Liturgie, Bücher und ein Zeitungsabonnement anzeigten. Dieses Bildungsprestige teilte er zwar mit Beamten und Ärzten, konnte es aber durch seine ständige Präsenz im Dorf weit mehr zur Geltung bringen. Außerdem war der Pfarrer nicht nur ›gelehrt‹. Er bot zugleich die tradierte Weltinterpretation und rituelle Daseinssicherung, was ihn allen anderen Gebildeten überlegen machte, solange die durch Brauch und Sitte normierte Ordnung Bestand hatte. Er war auf dem Land, soweit kein Adelssitz in der Nähe lag, der ›Herr‹ schlechthin. Mit dem Respekt verband sich das Zutrauen zu dem Sohn ›kleiner Leute‹, der die Lebensbedingungen der ›breiten Bevölkerung‹ aus eigener Erfahrung kannte und deshalb wie kein Sohn der höheren Schichten akzeptiert wurde. Die Breitenwirkung des katholischen Klerus beruhte entscheidend darauf, daß er zum großen Teil aus dem Kleingewerbe, von Bauern und Häuslern, Wirten, Lehrern, Mesnern und kleinen Staats- und Adelsdienern stammte 287 . Wie seine soziale Herkunft integrierte den Landpfarrer in seine Gemeinde, daß er - auf einer Pfründe mit einer Ökonomie - häufig zugleich Landwirt unter Landwirten war 288 . Manchem gelang durch Vorbild und Ratschlag gegen zähen Gewohnheitssinn die erfolgreiche Einführung agrarischer Innovationen, was als Kompetenzbeweis seine Stellung zusätzlich festigte 289 . Da er ledig war, konnte er durch Wohltätigkeit und besondere Aufwendungen für Ausstattung und Schmuck der Kirche sein Prestige und das seines Standes stärken290. Die ›kleinen Leute‹ traten ihrem Pfarrer überwiegend mit einer Haltung entgegen, in der sich Bildungs- und Amtsrespekt, Loyalität aufgrund mentaler Affinität und die Scheu vor dem Heilsvermittler, vor dem Medium des Numinosen verbanden. Für die psychologische Wirkung der kirchlichen Prägung, wie sie im Kirchenjahr ablief, war es mit entscheidend, daß sich an dessen Höhepunkte ein vielfältiges Brauchtum anschloß und sakrales und profanes Leben eng verschränkte291. Fronleichnam als die glänzendste Repräsentation der Kirche292 und Kirchweih als der Inbegriff von Festlichkeit und Vergnügen hoben sich dabei besonders heraus. Sie griffen durch ihre tagelange Vorbereitung schon vorher tief in den Alltag ein, stellten höchsten Aufwand und prächtige Selbstdarstellung der Gesellschaft in den Dienst des religiösen Kults, umgaben das Kirchenfest mit weltlichen Genüssen293. Sie übten also die soziale 96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Identität von Lokalgesellschaft und Kirchengemeinde intensiv ein. Nichts symbolisierte diese weltlich-religiöse Einheit besser als der Fronleichnamszug, der, in der sozialen Rangordnung und durch religiöse wie Standeskorporationen gegliedert, die weltlichen Honoratioren hinter dem Allerheiligsten zeigte. Am Leonhardstag etwa vereinten sich in zahlreichen Orten der Gottesdienst mit Pferdesegen und das Renommieren mit Rössern und Wägen, Pferderennen, Tanzmusik und Wirtshaussitzen; rituelle Daseinssicherung, Arbeit, Vergnügen, Sozialprestige (›Hausehre‹) wurden sichtbar aufeinander bezogen294. Zu dieser regelmäßigen Beeinflussung kamen Taufen und Hochzeiten, Beerdigungen und Seelenmessen, die als ›Ubergangsriten‹ die Höhepunkte des persönlichen Lebens mit den Lebensmustern und der Autorität der Kirche aufs engste verbanden. Kirchliches Familienfest und Gemeindefest fielen jeweils bei der Erstkommunion zusammen, deren feierliche Form, wie sie sich im frühen 19. Jahrhundert durchsetzte295, die ganze Gemeinde anzog. Noch größer war durch die Anwesenheit des Bischofs die Attraktivität der Firmungen296, die den Spitzen der Hierarchie die wichtigste Gelegenheit zur Selbstdarstellung in den Diözesen boten. Dieselbe doppelte Wirkung wie bei den im Jahreslauf oder im christlichen Lebenslauf gewohnten Festen übte die Kirche in gesteigertem Maß bei einem außerordentlichen Kirchenfest: bei der Weihe einer neuen Kirche oder eines Hochaltars, beim Jubiläum einer Kirche oder eines Gnadenbildes. Wochen vorher von den Kanzeln und an den Kirchentüren der Diözese angekündigt297, zog das Ereignis weit über den Kreis der Nachbarpfarreien hinaus die Gläubigen an, weil es mit dem Jubiläumsablaß konzentrierte Heilsvermittlung bot. Zugleich beeindruckten der Aufwand an Kirchen- und Straßenschmuck, eine Kette von Gottesdiensten und Prozessionen, Massenandrang vor den Beichtstühlen, der Einsatz vieler Priester - kurz, ein spektakulärer religiöser ›Betrieb‹, in dessen Mittelpunkt oft glanzvoll der Bischof stand298. Ein blühender Devotionalienhandel, Krämer aller Art und Schausteller hängten sich an, so daß Kirchenfest und Volksfest ineinander übergingen299. Das galt auch bei einem Priesterjubiläum oder bei einer ländlichen Primiz, welche die Heimatgemeinde und ihre weite Umgebung durch kirchlichen Glanz und Sinnenfreuden aller An unmittelbar beteiligte, ihr Ansehen hob und ihr die zentrale Stellung des Klerus in der Gesellschaft nachhaltig demonstrierte300. In Bischofsstädten präsentierte sich die Kirche besonders eindrucksvoll, wenn ein Bischof mit Trauerpomp zu Grabe getragen und sein Nachfolger feierlich konsekriert und eingeführt wurde 301 . Die Bevölkerung einiger Städte und Regionen erlebte anläßlich großer Bistumsjubiläen eine Selbstdarstellung der Kirche, die der monarchischen Repräsentation nahekam. 1841 z.B. feierten in Unterfranken die Bischöfe von Würzburg, Eichstätt und Fulda in Anwesenheit des Königs das tausendeinhundertjährige Jubiläum der Stiftung ihrer Bistümer durch Bonifatius als einen Höhepunkt religiöser und politischer Romantik302. Wie in solchen Feiern eine ecclesia thriumphans ihren Autoritätsanspruch 97 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

demonstrierte, so erweiterte und verstärkte sich auch im Alltag der Pfarreien wieder das Gewicht der kirchlichen Religiosität durch eine neue Blüte des Bruderschafts- und Wallfahrtswesens303. Das kontinuierliche Ritual, dem eine Bruderschaft ihre Mitglieder unterwarf, unterstützte Kanzel, Altar und Beichtstuhl304. Dasselbe galt für das - oft jährlich wiederholte - konzentrierte religiöse Erlebnis einer Wallfahrt mit ihrer besonderen Heilserwartung, ihrer Mirakelluft und suggestiven Szenerie, welche alle Sinne zu frommer Erregung reizte 305 . Es wirkte durch eines der massenhaft gedruckten Andachtsbilder, eine Mirakelbroschüre und Devotionalien weiter 306 . Die katholische Kirche war für die ›kleinen Leute‹ wieder in einer nahezu barokken Fülle präsent.

3.5. Der Aufklärungsprotestantismus in der Defensive 3.5.1. Säkularisierung und Entkirchlichung Profil und Wirkung der protestantischen Landeskirche307, wie sie sich in deren Gründungsphase ausgebildet hatten, bestanden kontinuierlich bis in den späten Vormärz. Entsprechend schritt im gehobenen Bürgertum der größeren Städte die Entkirchlichung fort. Die Pfarrer vermochten einem ›Geist‹, den das »Subjective und wechselnde Moderne« prägte und der die Interessen der Gebildeten immer mehr zu Popularphilosophie und Popularwissenschaft zog 308, wenig entgegensetzen. Denn die pastoralen Hauptfunktionen, auf die sich die aufgeklärte Theologie zurückgezogen hatte, Erbauung und Tugendappell, konnten auch die bürgerlichen Medien ethischer und ästhetischer Bildung weitgehend erfüllen: ›vernünftige‹ Literatur, ›empfindsame‹ Tugendromane, das Theater als ›moralische Anstalt‹, die ›sittlich-nützlichen‹ Vereine, der schwärmerische Naturkult. Wo kein geistreicher Prediger, kein ›Mann vonWelt9die Honoratioren in die Kirche zog309, blieb diese halbleer. Da sich gerade die bürgerlichen Meinungsführer in der Montgelas-Zeit aus Karriere- und Geschäftsinteressen besonders von einer Institution entfernt hatten, die sie in erster Linie als Moralanstalt für die ›kleinen Leute‹ sahen, besuchten nun viele Beamte, Kaufleute, größere Gewerbsleute nur mehr an hohen Festtagen den Gottesdienst und nahmen nur alle paar Jahre das Abendmahl310. Hausbibeln und Erbauungsbücher verstaubten in den Schubladen; Morgen-, Abend- und Tischgebet verschwanden in einem Klima, in dem religiöses Bekenntnis und Ritual als peinlich und rückständig galten; man verlernte die Choräle und entfernte die Kreuze aus den Häusern. Allenfalls wurde noch rationalistische, konfessionsneutrale Erbauungsliteratur gelesen311. Ebenso erreichte die Kirche wie bei den katholischen Parallelgruppen immer weniger die von der Auflösung alter sozialer und kultureller Bindungen 98 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

und steigendem Arbeitszwang besonders betroffenen städtischen Unterschichten312. Angesichts des protestantischen ›Anstands‹-Denkens spielte auch die Angst, sich durch fehlende Festtagskleider und geringere Spenden zu diskreditieren, eine zusätzliche Rolle 313 . Vor allem aber büßte die Kirche hier dadurch, daß die gesellschaftlichen Leitgruppen stärker und länger als im katholischen Fall beispielsgebende Distanz zu ihr hielten, in den Unterschichten über die gemeinsamen sozioökonomischen Faktoren hinaus mehr an Prestige ein. Auch das Kleinbürgertum, das doch zunächst der kirchlichen Aufklärung Widerstand geleistet hatte, ergriff diese Entwicklung nun 314 . Zwar wirkte sich gerade in dieser Schicht eine Generation nach der Durchsetzung der Schulpflicht die Verbesserung der Volksbildung und damit auch des Religionswissens besonders aus. Aber dieses Wissen drängte zugleich in der Religiosität die Gebete und rituellen Formeln zurück, minderte das Gewicht des kultischen Heilsvollzugs. Der Schwerpunkt der religiösen Kompetenz verschob sich in den kognitiven Bereich, sie näherte sich profanem Wissen315. Neben solch mittelbarer Säkularisierung griff seit den 1820er Jahren auch die Entkirchlichung selbst in Stadt und Markt deutlicher um sich. Bis hin zu Handwerkern und Krämern sanken Kirchendisziplin und Kirchenbesuch besonders der Männer316. Geschäfte, schlechtes Wetter, häusliche Arbeiten, auch - nach der Verarmung in nicht wenigen Gewerben - die Scheu vor dem Repräsentations- und Prestigeritual des Kirchgangs oder die Verbitterung über die Kirche, die eine Ordnung rechtfertigte, unter der man litt, hielten öfter vom Gottesdienst ab als früher. Man ging statt zwei- oder dreimal nur einmal im Jahr oder noch seltener zum Abendmahl, die Hausandacht schlief ein317, die strengen Normen christlicher ›Ehrbarkeit‹ sprengte der Drang nach Ungebundenheit und Lebensgenuß. In ihrer rituellen Regelmäßigkeit einmal durchbrochen, verfielen jahrhundertealte Gewohnheiten bald, wenn ihr kultureller Bedingungsrahmen schwand. Die Rolle des Pfarrers verschob sich nun auch für viele unter den ›kleinen Leuten‹ vom Kirchenmann zum geselligen Bürger, von dem man außerhalb seines engsten Amtsbereiches das übliche Honoratiorenverhalten erwartete318. Gerade dieser Leitbildwandel, der den Sonderstatus der Sakralfigur aufbrach, zeigte die Säkularisierung an. Obgleich sich diese Tendenz erst selten zu offenem Atheismus steigerte319 und überhaupt in der ›breiten Bevölkerung‹ anders als in den ›gebildeten Ständen‹ mit ihrem höheren Reflexions- und Informationsvermögen und ihrer überdurchschnittlichen Traditionsdistanz kaum bewußte weltanschauliche Opposition war, bedeutete sie einen entscheidenden Einbruch in die überkommene Mentalität320. Die mit der typischen Phasenverschiebung aus den großen Städten übernommene Einstellung wurde von den Kleinstädten und Märkten an ihr Umland weitervermittelt. So ließen nun auch in der ländlichen Gesellschaft Kirchlichkeit und kirchenorientierte Moral erkennbar nach. Räumlich lag dabei der Schwerpunkt in der Umgebung der Städte321 und in Gebieten mit 99 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

hoher Mobilität322, sozial bei ländlichen Unterschichten mit starker Umweltveränderung323. Aber über diese auch in katholischen Gegenden nicht mehr voll kirchensicheren Verdichtungszonen hinaus drangen Indifferenz und ›aufgeklärte‹ Attitüden allein durch den Stadt-Land-Transfer kultureller Muster in das Verhalten von Bauern, Handwerkern, Wirten, deren Lebensraum ökonomisch und sozial weder besonders gefährdet war noch sich im Umbruch befand. 3.5.2. Impulse lutherischer Erneuerung Seit der Mitte des Vormärz begann sich jedoch der bayerische Protestantismus tiefgreifend zu wandeln: das konfessionelle Luthertum verdrängte die Aufklärung324. Dabei wirkten ein gesellschaftlicher und ein institutioneller Faktor, eine Bewegung im Kirchenvolk und ein neuer Kurs an der theologischen und organisatorischen Kirchenspitze zusammen. Zum Teil an spätorthodoxe Resttraditionen oder pietistische Zirkel anknüpfend325 und nicht selten in Osmose mit der frühen katholischen Erneuerung326, waren bereits seit der Jahrhundertwende in fränkischen und schwäbischen Gemeinden um Pfarrer oder Laien mit abweichendem Frömmigkeitsstil Gruppen entstanden, die wieder eine bibelbezogene, christozentrische, entschieden transzendente und stärker kultische Religiosität praktizierten327. Da sie in reger persönlicher und brieflicher Verbindung standen, entwickelte sich, um Programmschriften und programmatische Predigten kristallisiert328, in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein dichtes religiöses Kommunikationsfeld. Es war zwar in Personen und Medien teilweise mit dem der Amtskirche identisch oder wurde von ihm alimentiert, streute aber insgesamt eine neue oppositionelle Frömmigkeit. Ob sich nun der Wandel individual- und gruppenpsychologisch als allmähliche Einstellungsverschiebung oder als spontane, oft durch eine Persönlichkeitskrise ausgelöste ›Erweckung‹ vollzog - entscheidend war, daß von der Basis her eine zwar schwach organisierte, aber durch Glaubenseifer und Sendungsbewußtsein stark motivierte Minderheit Theologie und Pastoralstil der Amtskirche angriff. Dieser Bewegung korrespondierte eine Veränderung der Hochschultheologie. Noch in der Blütezeit des Rationalismus hatten junge Theologen an deutschen Universitäten im Rückgriff auf Luther und die Orthodoxie und auf einen um das »göttliche Institut« zentrierten Kirchenbegriff Offenbarungs- und Rechtfertigungstheologie wieder in den Mittelpunkt gestellt329. Bereits um 1820 kamen Vertreter dieser Generation, die sich aus der Aufklärung heraustastete, in die Erlanger Fakultät330. Ihr führender Mann 331 übte zugleich als Prediger, als Beispiel eines neuen Pastoralstils einen außergewöhnlichen Einfluß auf die Studenten aus. Ergänzend und stützend wirkte es, daß sich auch die anderen Fakultäten vom Rationalismus abwandten. Denn diese, vor allem die philosophische, prägten die Theologiestudenten 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

mit, und sie bildeten vor allem die Meinungsführer des protestantischen Bayern in Staat, Kultur, Wirtschaft aus, die als Nebenhörer auch in die zentrale theologische Fakultät strömten332. In dieser Konstellation wurde nun entscheidend, daß die Staatsführung Ludwig I. - in der Kirchenleitung die Herrschaft der Aufklärung brach333 und daß diese ihrerseits in der obersten Lehrinstanz, in der Erlanger Fakultät Adolf Harleß durchsetzte. Er sollte als Begründer der ›Erlanger Theologie‹ der Motor des konfessionellen Luthertums in Bayern werden 334 . Die hohe Staatsabhängigkeit der protestantischen Kirche, die in der Montgelaszeit zum Monopol des Rationalismus geführt hatte, bewirkte nun, daß diese Kirche in ihren höchsten Autoritäten umgepolt und von da aus durchgehend umgewandelt wurde. Noch stärker als für die katholische Kirche bedeutete der politische Wechsel vom rationalistischen Bürokratismus zum romantisch-restaurativen Neoabsolutismus für die protestantische einen Einschnitt. Die Staatsmacht hat in Bayern der lutherischen Erneuerung einen vollständigen, für nahezu hundert Jahre bestimmenden Sieg ermöglicht; in anderen deutschen Staaten konnten gleich starke kircheninterne Restaurationskräfte sich meist nur bis zu Kompromissen mit den Erben der Aufklärung durchsetzen. Weltbild und Programm eines Mannes in politischer Schlüsselstellung haben so die Mentalität der ›breiten Bevölkerung‹ in einem in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts seltenen Maß geprägt. Die neue Richtung errang in der Erlanger Fakultät das Monopol335, erhielt den Haupteinfluß auf die Schulungs- und Studienkontrollinstanz336, bestimmte das als Eliteanstalt gegründete Münchner Prediger-Seminar337. Auch die Neugestaltung der korporativen Geselligkeit der Erlanger Theologiestudenten mit ihrem lebenslang wirksamen Stil, der Interessen, Vergnügungen und Standesverkehr nachhaltig prägte, vollzog sich ganz in ihrem ›Geist‹338. Seit 1838 kämpfte ein eigenes Organ, die »Zeitschrift für Protestantismus und Kirche« gegen konfessionsindifferenten Spätrationalismus, Zirkel-Separatismus und ultramontanen Katholizismus für einen entschieden kirchlichen Bekenntnisprotestantismus339. So gewann die lutherische Restauration im späten Vormärz zunehmend Einfluß auf die in reichlicher Zahl und mit erhöhter Qualifikation340 nachrückenden Geistlichen und wirkte auch auf Pfarrer der mittleren und älteren Generation. Ebenso ergriff sie an der Universität, durch die Zeitschrift und persönliche Kontakte als Multiplikatoren oder Entscheidungsträger einflußreiche Laien. Damit konnten das Bildungsbürgertum in den Stadtgemeinden und adelige Patronatsherren auf dem Lande junge Pfarrer der neuen Richtung stützen und Vertreter des alten Pastoralstils teilweise in jene Richtung drängen341. Die Personalpolitik der Kirchenleitung favorisierte zumal bei der Besetzung der Dekanstellen, also auf der unteren, für die gesellschaftliche Wirkung besonders relevanten Vorgesetztenebene, Anhänger der Restauration und ging mehrmals gegen scharfe Rationalisten vor; spektakulär geschah das mit der Enthebung ihres Wortführers als Dekan342. Schon früher hatte auch die von unten in 101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Pfarrhäusern und Gemeinden um sich greifende Erweckungsbewegung im »Korrespondenzblatt« ein schlagkräftiges Medium gefunden343, während eine Gegenaktion der radikalen Aufklärer bereits keinen Erfolg mehr fand344. Obwohl die Restauration in den 1830er Jahren ihre Gegner in die Defensive drängte, gelang ihr noch keine kirchenoffizielle Umgestaltung von Lehre und Kult345. Ihre Vertreter, die überwiegend der jüngeren Pfarrer- und Laiengeneration angehörten, waren auf den dafür zuständigen Generalsynoden den älteren Dekanen noch unterlegen. Deren Einfluß auf den pastoralen Alltag blieb noch überproportional, da sie weitgehend über die Vermittlungsinstanzen zwischen Oberkonsistorium und Fakultät und den Pfarrern verfügten und so dem Münchner Kurs gegensteuern und die Impulse aus Erlangen schwächen konnten. Das Organisationsziel der Landeskirche wandelte sich durch das Zusammenwirken einer Binnenveränderung und einer Verschiebung der Leitwerte im politischen und kulturellen Umfeld. Die jüngeren Funktionäre, die überwiegend dem neuen Kurs folgten, wurden durch einzelne ältere Anhänger, die aufgrund der Umfeldkonstellation an die Spitze gelangt waren, gefördert; dagegen suchte die Mehrzahl der älteren Funktionäre mit ihrer unmittelbaren Weisungs- und Sanktionskompetenz über die jüngeren diese von der Spitze zu isolieren und die Umsetzung des neuen Ziels in Organisationshandeln zu unterbinden346. Sie konnte den Prozeß verzögern, durch innerorganisatorische Kompromisse auch inhaltlich beeinflussen, aber nicht verhindern. Das bedeutet, daß trotz des ›Erweckungs‹-Elans in den Gemeinden, der Nachwuchsprägung durch die sich formierende Erlanger Schule347 und der immer ausgeprägter neuorthodoxen Kirchenführung die protestantische Aufklärung noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auf die kirchenverbundene Bevölkerung mitwirkte. Das Pfarrerleitbild, vermittelt in den Hörsälen, Kirchen und Verbindungshäusern des spätvormärzlichen Erlangen, durch die typische Lektüre dieser neuen Generation und durch die von der Kirchenleitung nun gesetzten Normen348, richtete die Geistlichen an ethischem Rigorismus und einem ›Hirten-Ethos‹ aus, mit dem sie ihren Gemeinden »durch Beispiel. . . auf dem Weg zum Heile vorleuchten« sollten349. Der Pfarrer war wieder in erster Linie Seelsorger, der sich auch dem Kult stärker widmete350. Er sollte, nachdem er seit dem späten 18. Jahrhundert entschlossen in die Welt getreten war, wieder in die Kirche zurückkehren. Allerdings konnte diese Rückwendung nie wie beim ultramontanen Klerus zum Rückzug aus der bürgerlichen Gesellschaft werden, an die ihn sein Stand als Familienvater und die Verankerung der reformatorischen Kirchen in der bürgerlichen Kultur banden. Daß dieses Leitbild gegen die Mitte des Jahrhunderts zunehmend Geltung gewann, deuten bereits äußere Zeichen an: der Stilwandel in Briefen und Schriften Geistlicher zum Bibeldeutsch, die veränderten Titel ihrer literarischen Produktion351, Kleidung und Haartracht nach dem Vorbild Luthers, dessen Bild sich in dieser Zeit in Pfarrhäusern und Sakristeien verbreitete352. 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Wenn ein Pfarrer dieses Typs eine Gemeinde, auch durch seine Autorität über nachgeordnete Geistliche und das niedere Kirchenpersonal353, umzuprägen begann, änderte sich vor allem der Predigtstil. Die ästhetische Glätte wich einer biblischen Sprache und Metaphorik, die den dogmatischen und ethischen Ernst und die Adorationssuggestion der Orthodoxie wieder auf die Kanzeln brachte. Tugendoptimismus und Weltfreudigkeit verdrängte die Sündenpredigt mit ihrer pessimistischen Anthropologie und ihrer Weltflucht, mit einem alttestamentarisch strafenden Gott, mit Todesschrecken, Reueappell und Gnadenverheißung354. Statt auf Selbstvervollkommnung zielte sie auf eine demütige Nachfolge Christi 355 . Sie war nicht mehr christliche Popularphilosophie, sondern wieder lutherische Bibelexegese, die mit Bibelsprüchen, Choralversen und Gebeten begann und schloß. Das Gebet wurde allgemein wieder stark aufgewertet, ebenso der Gemeindegesang, der von den lehrhaft-erbaulichen Liedern zu den Chorälen Luthers und Paul Gerhardts zurückkehrte, zunächst zu den Texten und seit den 1840er Jahren durch die Choralrestauration auch zu den Melodien356. Das ermöglichte ein wieder aufstrebender Kirchenmusikbetrieb, den vor allem die neuen, seminaristisch gebildeten Volksschullehrer als Leiter von Kirchenchören trugen 357 ; er übte die Gemeinden in den alten Stil ein. Wie die Liturgie als Adoration rückten die Sakramente als Heilsvollzug so in den Vordergrund, daß insgesamt der Kult erneut starkes Gewicht gewann. Die Kirche bot wieder mehr Gottesdienst als Lebenshilfe. Mit der Aufwertung des Rituals stieg bei Pfarrern und Gemeinden auch die Bereitschaft zu kirchlichen Festen, die lange oft nur mehr als Verschwendung und abgeschmackte Äußerlichkeit gegolten hatten. Eindrucksvoller Auftakt war das Reformationsjubiläum 1817, das schon zehn Jahre zuvor allgemein bewußt war 358 ; die Traditionalisten setzten es gegen den Widerstand der Bürokratie und die ablehnende Haltung rationalistischer Kirchenkreise als sakrales wie historisches Symbolfest durch 359 . 1819 wurde dann die jährliche Reformationsfeier angeordnet360. Ebenso dienten protestantischer Selbstidentifikation die Jubiläumsfeier der Confessio Augustana 1830 und die Luthergedenkfeier 1846361. Daneben beging man auch lokale Kirchenfeiern wieder aufwendig: man zelebrierte Einweihungen, Renovierungen, Jubiläen mit geistlicher und weltlicher Prominenz, mit einer Massenkommunion, mit Festzug und Festschmuck362. Neuernannte Pfarrer wurden von den Gemeinden wieder stundenweit festlich eingeholt und mit allem Prunk empfangen363. Die Restauration drang auch aus dem engeren Wirkungsraum der Amtskirche hinaus und schuf sich Hilfsorganisationen, die ihre Wirkung verstärkten. Bibelvereine verbreiteten preiswerte Bibeln, hielten oft regelmäßige Bibelstunden und prägten so in besonderem Maß die neu belebte Religiosität als eine bibelbezogene. Pfarrer und Laien ergänzten diesen Einfluß, indem sie Erweckungstraktate verteilten, Zeitschriften zirkulieren ließen und Andachten hielten - argwöhnisch beobachtet oder gestört von aufgeklärten Beamten 103 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

und Dekanen364. Solcher Widerstand und der leidenschaftliche Einsatz der Betroffenen zeigten einmal die überwache Konspirationsangst der Staatsführung und eines Teils der kirchlichen Autoritätsträger; und sie legten offen, in welchem Maß sich die neue religiöse Strömung zunächst neben der Amtskirche ausbreitete. Kirchliche und gesellschaftliche Kräfte verbanden sich fortschreitend zu einer Umformung des bayerischen Protestantismus, die sich gerade dadurch als ungewöhnlich dauerhaft erwies. Außer der unmittelbaren Religiositätsprägung versuchten Pfarrer und engagierte Laien im Vorfeld der Kirche auch eine mittelbare durch karitative Vereine und Institute. Diese boten im Sinn einer ›totalen‹ Seelsorge sozialen Randgruppen und -personen wirtschaftliche Hilfe, emotionalen Anschluß und besseren Status zusammen mit einem kräftigen religiösen Anspruch365. Nach katholischem Vorbild entwickelte sich eine kirchennahe Sozialarbeit, wo die herkömmliche Selbsthilfe der Gesellschaft mit deren Dekorporation, mit dem Funktionsverlust des ›Hauses‹ versagte, die soziale Not real stieg und zugleich stärker empfunden wurde, nachdem Philanthropismus und Empfindsamkeit die Gewissen geschärft hatten. Angesichts der restriktiven Wende der staatlichen Sozialpolitik und der Unzulänglichkeit kommunaler Armenpflege füllte die konfessionale Sozialhilfe ein Vakuum und war deshalb für die unteren Schichten weit über die eng Kirchenverbundenen hinaus attraktiv. Von der kurzfristigen Vereinswelle 1848/49 abgesehen, bekam sie erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die Selbstorganisierung der sozial Schwachen (Arbeiterbewegung) und durch eine offensive staatliche Sozialpolitik ernsthafte Konkurrenz, die sich schließlich im 20. Jahrhundert zur subsidiären Koordination im Rahmen des Sozialstaats harmonisierte. 3.5.3. Die Trendwende in der Religiosität und die politische Rolle ›evangelischer‹ Identität Die Breitenwirkung der pastoralen Restauration war abhängig von der jeweiligen sozialen Autorität ihrer Pfarrer. Auf dem Land, aber auch bei den Akkerbürgern und Gewerbsleuten der Märkte und Kleinstädte war sie offensichtlich noch immer hoch: legitimiert durch den herkömmlichen Stellenwert der Kirche in diesen noch überwiegend traditionalen Lebensräumen, die Amtswürde, wie sie Titel, Tracht, Ritualhandeln demonstrierten, die überlegene Bildung, das Renommee der Freundschaften mit Beamten, Gelehrten, adeligen Herren, die karitative Leistung366. In dieselbe Richtung wirkte auch ihr gehobener Lebensstil, den ihnen ihr Einkommen erlaubte. Es betrug bereits bei einem ledigen Vikar das Dreifache eines Landschullehrers mit Familie und glich bei Pfarrern etwa dem der Außenbeamten. Zudem gab ihnen das in der Regel großzügige Pfarrhaus einen repräsentativen Rahmen 367 . Zugleich waren die meisten Dorf- und Marktpfarrer durch ihre Ökonomie368 Landwirte unter Landwirten, nicht selten als die wichtigsten lokalen Innova104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

toren. Das hatte für die im allgemeinen bürgerlich distanzierten protestantischen Landpfarrer eine noch größere Bedeutung als für die katholischen Priester. Denn jene stammten überwiegend aus dem Bildungsbürgertum369, waren in staatlichen Gymnasien und an Universitäten ausgebildet, also in der Stadt und im Kraftfeld humanistischer Bildung relativ frei aufgewachsen, standen in ihrem Amt in bürgerlichen Bildungstraditionen. Ihre Sprache war dialektfreier, ihre formale Bildung gewandter370, ihre Interessen und Vergnügungen anspruchsvoller. Derart durch ›Geist‹ und Habitus von den kleinen Leuten‹ abgehoben, waren sie einseitiger als der katholische Klerus auf die Autorität ihres Amtes verwiesen. Überall dort, wo der soziale und kulturelle Wandel bereits die Kirche bedrängte, waren die Wirkungschancen eines neuorthodoxen Pfarrers empfindlich reduziert. Der ›gelehrte‹ Typ des Geistlichen, einst nach dem spätmittelalterlichen Prestigeverfall des Pfarrklerus für die Kirche förderlich, erwies sich nun, da die Anerkennung des Pfarrers als alltagsnahe Bezugsperson zunehmend über den kirchlichen Einfluß entschied, eher als hinderlich. Der katholische Priester fand das Ohr der ›kleinen Leute‹ auch in einem für die Kirche ungünstigen Klima leichter. Erschwerend war zudem die geringere Verteilungsdichte der protestantischen Geistlichen, auf die im Durchschnitt doppelt so viele Einwohner trafen wie auf die katholischen371. In der urbanen Gesellschaft besaß der Pfarrer traditionell hohes Prestige. Er besaß es in den höheren Schichten, die ihn zu sich rechneten und als Legitimator und ›Zeremonienmeister‹ ihres privilegierten Lebensraumes betrachteten. Er hatte es ebenso im Kleinbürgertum, in dem das zwar verminderte, aber nicht entfallene Gewicht der Kirche, der Respekt vor Bildung und das noch prägende Vorbild des gehobenen Bürgertums zusammenwirkten. Das gab der lutherischen Restauration auch in den größeren Städten eine Chance, wenngleich nur in Grenzen. Denn durch die hier lange wirksame Säkularisierung war das Rollenbild des Pfarrers so weit ›entgeistlicht‹ und in den bürgerlichen Honoratiorenraum geschoben, daß dessen jeweilige ›Stimmung‹ gegenüber Kirche und Religion über die pastorale Wirkung jedes Pfarrers entscheidend bestimmte. Die Kirche erschien immer mehr als ein Faktor der Lebensorientierung neben anderen Institutionen. Der so stark in die bürgerliche Kultur gebundene Pfarrer war, als sich das Bürgertum vom christlichen Weltbild emanzipierte, ihr Gefangener geworden. Er konnte den Rückgriff hinter die Aufklärung - und das war die Hauptkomponente der lutherischen Restauration - oft nur mehr als ›Mode‹ im Aufwind einer allgemeinen Restauration populär machen, die keine Dauer versprach. Trotz seines Sozialprestiges hatte er in der Stadt an priesterlichem Einfluß entscheidend verloren. Das neuorthodoxe Pfarrerleitbild war hier im Grunde anachronistisch; seine Mission ging von Umfeldbedingungen aus, die für wachsende Bevölkerungsteile unwiederbringlich schwanden. In den städtischen Unterschichten hingen die Wirkungschancen der Restaurationspfarrer, deren Glaubens- und Sittenpathos besonders auf jene 105 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

zielte, stark ab von der jeweiligen Bindung der einzelnen Gruppen, ja Familien an kirchennahe oder kirchenferne Leitfiguren, Nachbarschaften, Arbeitsmilieus oder vom Grad ihrer Autoritätsverweigerung. Es spannte sich ein weiter Bogen von den Gesellen in einem streng kirchlichen Handwerkshaus alter ›Ehrbarkeit‹ mit täglicher Morgenandacht und einem Netz frommer Riten und Symbole bis zu den Bauarbeitern, Taglöhnern und Gelegenheitsprostituierten in den Herbergen der Vorstädte, die Pfarrer und Kirche ignorierten. Die religiöse Situation war an der Basis der urbanen Gesellschaft besonders differenziert. Insgesamt errang die Restauration bis zur Jahrhundertmitte nur einen Teilerfolg. Trotz der erwähnten innerkirchlichen und äußeren Widerstände erreichte sie so viel, daß verschiedene Zeichen für eine religiöse Tendenzwende sprachen. Gottesdienst- und Abendmahlsbesuch gingen in ländlichen, kleinstädtischen und Großstadtgemeinden häufig nicht nur nicht weiter zurück, sondern stiegen leicht372. In Bibelstunden, Missionskränzchen373, karitativen Bünden formierten sich Kerngruppen insbesondere der Erbauungslektüre, des Gebets, der Hausandacht. Alte Riten, in denen der Ablauf des Kirchenjahres präsent gewesen war, wurden wieder belebt. Das Kreuz als Blickfang im Haus symbolisierte den erneuerten Heilsglauben, Lutherbilder und Lutherworte die Bekenntnisreligiosität. Bibelsprüche, als Lebensregeln und Glaubensappell in Zierdeckchen gestickt, auf Wandkalender gedruckt, dokumentierten das erhöhte Bibelbewußtsein. Vor allem an der jüngeren Generation fielen gesteigerte Kultfreudigkeit und eine bessere religiöse Formalbildung auf374. Der letzte Punkt weist auf die Bedeutung hin, die die Hilfestellung des ludovizianischen Staates auch für die protestantische Erneuerung hatte. Denn der Erfolg einer ausgeprägt konfessionellen Glaubenslehre und mnemotechnischen Katechese war auch dem Polizeidruck zuzuschreiben, der den Besuch der Christenlehre verbesserte375. Das Drängen auf eine öffentlich praktizierte Kirchlichkeit der Beamtenschaft steigerte die Chancen der Restaurationspfarrer nicht allein bei diesen selbst, sondern mittelbar in all den Gesellschaftsgruppen, die auf jene Beamten als Herrschaftsrepräsentanten, Honoratioren, Dienstherrn oder Kunden blickten 376 . Der Staat unterstützte auch die ethischen Normen der Kirche z.B. durch eine verschärfte Scheidungsjustiz stärker als in der Zeit vorwiegend utilitaristischer ›Sittenpolizei‹377. Die politischen Folgen der lutherischen Erneuerung waren ambivalent. Auf der einen Seite stützte sie das offizielle politische Leitbild des ›frommen Untertanen‹. Auch im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert hatte die Kirche den ›kleinen Leuten‹ vorwiegend Wohlverhalten in Staat und Gesellschaft eingeübt. Die Restauration veränderte die politischen Implikationen von Gottesdienst und Katechese nicht grundsätzlich, drängte die Gläubigen jedoch, indem sie das Heil, die Transzendenz ganz in den Vordergrund stellte, die vorgefundene Umwelt noch fragloser zu akzeptieren. Der neubelebte lutherische Quietismus entzog ihnen die latente Möglichkeit, die Ordnung 106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

der ›WeIt‹ im Namen von Tugend und Naturrecht zu kritisieren. Auftakt einer besonders engen Kooperation zwischen Staatsführung, konservativer Gesellschaftselite und Landeskirche gegen den Liberalismus war die beschwörende kirchliche Warnung vor jeder Illoyalität in der politischen Krise Anfang der 1830er Jahre. Mit allen Mitteln und bei jeder Gelegenheit hatten die Pfarrer bei ihren Gemeinden auf »die Beförderung der geheiligten Sache des Thrones« und »des Gehorsams gegen Obrigkeit und Gesetze« als wichtigem Element« »wahre(r) Frömmigkeit und kirchliche(n) Leben(s)« zu drängen 378 . Das christliche »Volk soll dienen, soll Demuth üben« um seiner irdischen Wohlfahrt und himmlischen Gnade willen 379 . Das galt für jedes Herrschaftshandeln, denn »es i s t . . . tausendmal besser: Unrecht leiden als Unrecht thun« 380 . Solch ungerechte Obrigkeit wurde allerdings für die eigene Situation in Bayern ausgeschlossen durch das Bild eines idealen Königs und der Harmonie zwischen Herrscher und Beherrschten nach den Werten des Christentums, das die Qualität der Geschichte verändert hatte 381 . Die pastorale Vermittlung politischer Loyalität und sozialer Disziplin als Heilserwerb verstärkte sich im späten Vormärz, als der neuorthodoxe Stil vordrang und zugleich die Staatsbehörden ihn lebhaft förderten. Die Seelsorger fühlten sich nun nicht mehr als ›Moralfunktionäre‹ mißbraucht und spielten deshalb ihre politische Rolle bereitwilliger, weil selbstbewußter. Mit steigendem religiösen Engagement wurde der Bund von Thron und Altar in den Kirchen des Landes eingeübt bis zum Höhepunkt im Jahr 1848382. Allerdings zeigte gerade dieses Jahr, als sich Opposition und Revolution in den protestantischen Gebieten Bayerns konzentrierten, daß jene lutherischquietistische Loyalitätsvermittlung nur begrenzt gewirkt hatte. Nicht nur im Bürgertum, sondern in der ›breiten Bevölkerung‹ war die öffentliche Ordnung teilweise religiös nur mehr so schwach verankert, daß sie für nicht wenige zur Disposition stand. Die Restauration konnte auch für die politische Aufgabe der Kirche das Terrain, welches dieser seit dem späten 18. Jahrhundert entglitten war, nicht mehr voll zurückgewinnen. Die protestantische Erneuerung wirkte jedoch für das politische System nicht nur beschränkt funktional, sondern partiell sogar dysfunktional. Denn das entschieden konfessionelle Luthertum eroberte die Kirche, als gleichzeitig die bayerische Innenpolitik von konfessioneller Neutralität zur Bevorzugung des romantischen Katholizismus und schließlich zu einem prononciert katholischen Kurs überging. Staat und protestantische Kirche trifteten von der Konsenszone des paritätischen Staatsbayern ab zu den weltanschauungsbestimmten Randzonen. Beider Trend, Folge desselben restaurativen Zeitgeists, schuf eine Polarisierung, die sich in mehreren spektakulären Konflikten und vielen kleineren Reibereien zeigte und weiter auflud. Obwohl das Oberkonsistorium zurückhaltend agierte und das lutherische Selbstbewußtsein in Geistlichkeit und Gemeinden dämpfte, verschlechterte sich das Klima deutlich383. Diese Auseinandersetzung zwischen weltlicher und religiöser Autorität, die Anfang der 1840er Jahre gipfelte und zu einer eigenen lutheri107 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

schen Öffentlichkeit führte, erregte über Pfarrer, Presse, Landtags agitation auch die ›breite Bevölkerung‹384. Sie trieb diese in irritierende Loyalitätskonflikte oder provozierte die protestantische Solidarisierung gegen das katholische Altbayern, stärkte das Eigen- und Sonderbewußtsein des ›evangelischen Frankenlandes‹ und regte dessen preußische Orientierung wieder mächtig auf. In jedem Fall wirkte diese Krise auf die Integration Bayerns, die dreißig Jahre lang in der Haupttendenz fortgeschritten war, regional retardierend. Die Aggressivität gegen München, der Anti-Bayern-Affekt, wie sie 1848/49 im protestantischen Franken aufbrachen, nährten sich auch aus jenen Konflikten. 3.5.4. Die Aufklärungskontinuität in der Pfalz In der Pfalz verlief die Entwicklung des Protestantismus in einer grundsätzlich anderen Richtung385. Erweckungsbewegung und Restauration blieben sowohl durch das innerkirchliche Übergewicht des stärker säkularisierungsbereiten Calvinismus wie durch die Außenbedingungen, die ein frühliberaler ›Zeitgeist‹ setzte, auf Minderheiten beschränkt. Da der theologische und pastorale Rationalismus auch im späten Vormärz klar herrschte, kam es zu steigenden Spannungen mit der Kirchenleitung in München, die die Pfalz durch Druck und gezielte Personalpolitik386 der rechtsrheinischen Entwicklung anzugleichen suchte. Es war deshalb nur konsequent, daß der pfälzische Protestantismus im Fahrtwind der politischen Bewegung 1848 seine Trennung von der Landeskirche als eigenständige Unionskirche anstrebte und angesichts der brisanten Lage in der Pfalz bei der Staatsführung erreichte387. Die dogmatische Trennung, die den allgemeinen Strukturunterschied zwischen ›Hauptstaat‹ und ›Nebenstaat‹ auch im kirchlich-religiösen Bereich fixiert hatte, aber um der Einheit Bayerns willen organisatorisch überbrückt worden war, erweiterte sich nun zur völligen Trennung. Die Integrationsklammer brach, nachdem der restaurative Wandel beide Teile unterschiedlich ergriffen und geformt hatte. Als die weltanschaulich relativ homogene Gründungselite Staatsbayerns von rivalisierenden Gruppen abgelöst wurde, die sich regional unterschiedlich durchsetzten, traf das besonders den Protestantismus. Der pfälzische Protestantismus ging in der Nachfolge der Aufklärung von der Jahrhundertmitte ab mehrheitlich seinen eigenen Weg, getrennt von der neuorthodoxen Landeskirche, die durch die Trennung ihrerseits den lutherischen Konfessionalismus noch verstärken konnte 388 . Eine restaurative Minderheit, die vor allem durch junge, in Erlangen ausgebildete Pfarrer Nachschub bekam, hielt allerdings auch im pastoralen Alltag wirksame Verbindungen über den Rhein aufrecht. Die Mehrheitshaltung der pfälzischen Kirche389, weniger von Bibel und Bekenntnis als vom religiösen Freiheitspathos bestimmt, vertrat als eine Zone des west- und norddeutschen theologischen Liberalismus die Gegenposition 108 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

zur ›Erlanger‹ Landeskirche im deutschen Protestantismus des 19. Jahrhunderts 390 . Durch ein eigenes Unionsbekenntnis, die Kontinuität aufgeklärter Kultmuster und einen vornehmlich von liberalen Fakultäten bestimmten Pfarrertyp wurde ein Religiositätsstil geprägt, der fließend in kulturelle und politische Einstellungen national-liberaler Art überging391. Diesen Stil und seine soziale Geltung festigte der 1858 auf dem Höhepunkt des Konflikts um das Profil der pfälzischen Kirche als Kampforganisation gegen die Restauration im Vorfeld der Kirche gegründete Protestantenverein. Daß er sich nach wenigen Jahren wie selbstverständlich dem deutschen Protestantenverein anschloß392, dokumentierte die pfälzische Einbindung in den liberalen ›Kulturprotestantismus‹ West- und Norddeutschlands, der andererseits nirgends so wenig Echo wie in der bayerischen Landeskirche fand. In einer Zeit fortschreitender staatlicher Angleichung der beiden Teile Bayerns vergrößerte sich zugleich religiös der Abstand. Weit mehr säkularisiert und politisiert als das quietistische Luthertum, stützte der pfälzische Mehrheitsprotestantismus in allen Schichten traditionelle Lebensformen weniger, band lockerer an kirchliche Werte, Normen und Leitbilder. Er setzte auch die ›kleinen Leute‹ viel leichter dem Einfluß profaner Weltbilder (Ideologien) und Alltagsmuster aus. Er förderte also insgesamt die breite Emanzipation einer ›bürgerlichen Gesellschaft‹, wo das rechtsrheinische Luthertum diese hemmte. Damit verfestigte er für die protestantische Hälfte der Bevölkerung393 die mentale Sonderstellung der Pfalz in Bayern.

3.6. Vom Irenismus zum Konfessionalismus Der pastorale Wandel in der katholischen und in der protestantischen Kirche beeinträchtigte anfangs das entspannte Verhältnis der Konfessionen nicht. Die gemeinsame Frontstellung gegen den Rationalismus, die gemeinsame Aufwertung der Heilsvermittlung und religiösen ›Erweckung‹ führte teilweise sogar zu einer engen Zusammenarbeit, ja zur Gebetsgemeinschaft394. Sie vollzog sich vor allem am Rand der Amtskirchen im Zirkelmilieu mit seiner religiösen Spontaneität, knüpfte sich aber auch an einzelne hohe Kirchenmänner395. Aber diese irenische und ökumenische Haltung diskreditierte sich bei den Kirchenleitungen in zunehmendem Maß nicht nur dadurch, daß einzelne aus diesen Kreisen schließlich in die andere Konfession wechselten396 oder in ›Schwärmer-Gruppen‹ abwanderten, was zur scharfen konfessionellen Abgrenzung in den verfließenden Randzonen provozierte. Indem sich der pastorale Schwerpunkt von der ethischen auf die sakrale Aufgabe verschob, trat zuerst in der katholischen und dann auch in der protestantischen Kirche die Dogmatik in Predigt und Katechese wieder so in den Vordergrund, daß Kontroverstheologie, Apologetik und Polemik erneut auflebten. In der katholi109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

schen Kirche wurde das noch erheblich gesteigert durch die ultramontane Rom-Präsenz, in der protestantischen durch ihr dezidiertes Luthertum397. Die oft widersprüchliche, zwischen Aggression und Kooperation schwankende Haltung der Landeskirche zur katholischen Kirche in der liberalen Ära seit den 1860er Jahren zeigt das deutlich. Der Staat schürte diesen Kirchenkonflikt im späten Vormärz durch eine prokatholische Politik398. So erlebte die ›breite Bevölkerung‹ viele Zusammenstöße auf allen Ebenen unmittelbar: Streitigkeiten über Mischehen, die Erziehung ihrer Kinder399, die Bestattung Andersgläubiger400, über Fahnenweihen bei Armee, Landwehr, Vereinen401, über provokante Predigten402, konfessionsspezifische Feiertage403, Gründung und Rechte von Diasporagemeinden, ›Proselytenmacherei‹ und die Aktivitäten kirchlicher Vereine404. Die Integration Bayerns wurde dadurch allgemein und besonders in den konfessionellen Grenzzonen stark gehemmt405. Daß diese dysfunktionale Wirkung sie dennoch langfristig nicht akut gefährdete, war abgesehen vom Rahmendruck durch die politische und gesellschaftliche Verschmelzung wesentlich der Tatsache zuzuschreiben, daß die protestantische Kirche als Machtfaktor im späteren 19. Jahrhundert Gewicht verlor. Die allgemeine Unruhe und Irritation in der ›breiten Bevölkerung‹ der 1840er Jahre konkretisierte sich im religiösen Bereich in ›mystischen‹ Sondergruppen. Sie lösten sich, wie früher pietistische und Erweckungs-Zirkel, vor allem von der offeneren protestantischen Amtskirche406. Im mächtigen Säkularisierungsschub der Revolution von 1848 kam die Deutschkatholische Bewegung407 hinzu, die vorübergehend auffallend erfolgreich schien. Eine dauerhafte Breitenorganisation neben den beiden Volkskirchen, eine gravierende Veränderung des religiösen Gefüges der bayerischen Bevölkerung erreichten beide Separationstypen nicht.

3.7. Zusammenfassung Die mentale Entwicklung im Vormärz-Bayern wurde am stärksten dadurch geprägt, daß Staatsidee und Regierungsstil vom aufgeklärten Reformbürokratismus zum romantisch-restaurativen Patrimonialismus übergingen, der die Leitlinien der öffentlichen Sozialisationsinstanzen und ihr gegenseitiges Verhältnis erheblich verschob. Das Gesetz des Handelns blieb noch vorwiegend beim Staat; doch seine Führung konnte nun ihre Gesellschaftspolitik auf einen breiteren gesellschaftlichen Konsens stützen. Die Wendung von säkularer Entwicklungsidee und rationalem Reformprinzip hin zu religiös geleiteter Traditionshege fand lebhaften Widerhall bei einer ›breiten Bevölkerung‹, die vorwiegend in Landwirtschaft und Handwerk arbeitete, in enger, informations- und innovationsarmer Umwelt lebte und zudem in ihrer Mehrheit katholisch, d.h. relativ stark rituell und sensuell eingestellt war. 110 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Besonders im soziokulturellen Milieu des Dorfes und der kleinen Stadt war daher dem bayerischen Königskult, der seit dem Untergang der Oberherrschaft Napoleons konkurrenzlos mit politischem Symbolmonopol in feudal-christlicher Tradition barock zelebriert wurde, ein starker Loyalitätseffekt sicher. Noch einmal näherte sich, als ein Autokrat auf dem Thron die Bürokratie wieder entmachtete und den Landtag zu schwächen suchte und diese Kräfteverschiebung auch den ›kleinen Leuten‹ nicht verborgen blieb, die Wirklichkeit dem offiziellen Bild der Staatsverfassung. König und Hof, in der Montgelaszeit mehr glänzende Fassade als Machtzentrum, schienen nun, wenn sie ›auftraten‹, wieder Macht und Ordnung, ›Land und Leute‹ unmittelbar zu repräsentieren. Der Niedergang des Reformbürokratismus traf auch die von diesem besonders geförderte Instanz, die Volksschule. Ihre Aufgabe wurde von der bei der Gründung intendierten partiellen Aufklärung auf die Religiositäts- und Patriotismuseinübung konzentriert. Sie diente mit wachsender Leistungsfähigkeit jetzt vorwiegend der Sicherung tradierter, kirchlich sanktionierter Werte und Normen, die zum Teil der soziale Wandel zu gefährden begann. Daß der Staat die Schule der Kirche über deren anfängliche Kompetenzen hinaus zur Verfügung stellte - ohne sie allerdings aus seinem Ordnungsmonopol zu entlassen - , war ein Schritt zu der ungewöhnlichen Stärkung des Kircheneinflusses in der bayerischen Gesellschaft. Denn die romantische Erneuerungsidee des Königs und seiner Helfer realisierte sich am wirkungsvollsten in einer institutionellen und geistigen Förderung der Religion, die vor allem der katholischen Kirche und ihrem Kirchenvolk zugute kam. Eine von extremen Formen >gereinigte< und ethisch vertiefte Ritualreligiosität konnte wieder geübt und zum Teil neu verbreitet werden. Organisatorische Regeneration und theologische Abkehr von der Aufklärung sowie staatliche Entfesselung und Förderung steigerten den Identifikations- und Sozialisationseffekt der Kirche und ihrer sozialen Korporationen außerordentlich. Bayern, zwei Jahrzehnte als Hochburg des Rationalismus angesehen, gewann noch einmal ein dezidiert katholisches Profil, was der tatsächlichen Breitenmentalität mehr als jenes Bild entsprach. Damit entstanden jedoch neue Spannungen. Die gestärkte Kirche, die sich ultramontan zu verhärten begann, rieb sich am Staat, der sie zwar aktuell favorisierte, aber auch dauerhaft band. Und der um diese Kirche kristallisierte kulturelle Katholizismus, der viele Gesellschaftsbereiche lebensstilprägend durchdrang, kollidierte mit einem nun ebenfalls aktivierten Protestantismus. Die evangelische Landeskirche, von den Säkularisierungswirkungen der Aufklärungspastoration zunehmend betroffen, von der katholischen Erneuerung angeregt und provoziert sowie vom romantischen >Zeitgeist< und der Staatsführung gedrängt, trat im späten Vormärz ihrerseits in eine neuorthodoxe Restauration. Abgesehen von der Pfalz mit ihrer Aufklärungskontinuität, zerfiel mit der Ausbreitung einer in Deutschland einzigartigen lutherischen Religiosität der in der ›breiten Bevölkerung‹ Bayerns wichtigste Einfluß der Spätaufklärung. Die alltagsprägende Wirkung, die freilich mehr als 111 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

in der katholischen Parallelentwicklung Widerstände überwinden und soziale Grenzen hinnehmen mußte, verstärkte das religions- und traditionsorientierte Profil Bayerns. Zugleich löste die Restauration allerdings konfessionelle Konflikte aus und damit auch politische zwischen einem protestantischen Regionalismus und der nun pointiert katholischen Staatsführung. Die mental entscheidende Polarisierung jedoch entstand zwischen dem >Lager< der Ordnungsmächte Staat und Kirchen und einer liberalen bürgerlichen Opposition, in der die Aufklärung emanzipatorisch verschärft, weil aus der Staatsmacht verdrängt weiterwirkte. Sie schränkte die religiöse Erneuerung vor allem im urbanen, zumal protestantischen Milieu ein, minderte den politischen Effekt des monarchischen Kults und wirkte über Lehrer latent auch in die Volksschule. Gestützt auf die vorherrschenden Bedürfnisse und Orientierungen der von der Montgelas-Politik oft überforderten Bevölkerung, prägten im Aufwind des offensiven Traditionalismus ein konservativer Staat und restaurative Kirchen die Breitenmentalität mit hohem Wirkungsgrad. Dagegen politisierten die nun aus der öffentlichen Sozialisation zurückgedrängten Reformgruppen, als der Staat reaktionär und die Kirchen ultramontan bzw. orthodox wurden, ihre Ideen. Die kollektive Mentalität der bayerischen Gesellschaft begann ein tiefer weltanschaulicher Riß zwischen traditional-konservativer Mehrheit und liberaler Minderheit zu durchziehen.

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4. Erfolge und Grenzen des nachrevolutionären Konservativismus 4.1. Reaktionspolitik, ›Thron und Altar‹ und bürgerlicher Liberalisierungsdruck Durch die Revolution von 1848 drängten gesellschaftliche Kräfte den Staat erstmals offen in die Defensive. Es waren die Gruppen, die sich im Vormärz zur Opposition politisiert hatten oder die in ihren ökonomischen und sozialen Interessen nicht zufriedengestellt waren. Beide erzwangen mit dem Zusammenspiel von prinzipiellen Verfassungsforderungen und Alltagsprotest, das trotz unterschiedlicher Motive gerade durch die Breite der Offensivformen vorübergehend sehr wirksam war, einen umfassenden innenpolitischen Kurswechsel. Er vollzog sich in Bayern besonders spektakulär, da der König, Motor und Symbol des restaurativen Regierungssystems, zurücktrat. Der erste, durchschlagende Revolutionsdruck löste einen Reformschub nach liberalen Grundsätzen aus, der eine höchst aktive bürgerliche Öffentlichkeit ermöglichte, den Rechtsstaat entscheidend weitertrieb und die bürgerliche Gesellschaft gegenüber spätständischen Gruppen und Rechte erweiterte1. Er veränderte allerdings nicht die Grundlinien der inneren Ordnung. Diese waren durch die Kraft des Gründungskonzepts, die vormärzliche Stabilisierung und die Alltagsgewöhnung der Bevölkerung so gefestigt, daß sie nicht ernsthaft gefährdet wurden: die Kohäsion zwischen den (historischen oder neu entstandenen) Regionen, die monarchisch-bürokratisch-konstitutionelle Staatsverfassung, die bürgerliche Rechtsverfassung der Gesellschaft, die sozioökonomisch im Übergang von der Stände- und zur Klassenschichtung stand. Daß weiterdrängende Gruppen keine Chance hatten, lag neben der Widerstandsfähigkeit dieser Strukturen auch an der Gegenwehr traditional-konservativer Kräfte. Sie reagierten rasch auf die liberale Bewegung, organisierten sich gegen die wirtschaftliche, soziale, kulturelle ›Modernisierung‹ und stießen teilweise zur politischen Reformabwehr vor. Aus zahlreichen Gruppen, deren Ziele und Mittel gleichfalls recht verschiedenartig waren, entstand, besonders massiert im katholischen Altbayern, eine Bewegung, die sich nach kurzer Zeit mit der vom Reformkurs wieder abschwenkenden Regierung traf2. Erst sie ermöglichte gesellschaftlich die Gegenoffensive des monarchischbürokratischen Staates, obwohl sich dessen Ziele mit ihren in vielem nicht deckten, ja zum Teil widersprachen. Das galt vor allem für den Normie-

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rungs- und Verfügungsanspruch jeder bayerischen Regierung, den nun die antirevolutionäre Zielsetzung besonders steigerte. Dennoch verband der Widerstand gegen die Emanzipationswelle mehrere mächtige Kräfte: einen wieder erstarkenden Staatsautoritarismus, die Kirchen, eine lebhafte konservative Öffentlichkeit und traditionsgeleitete Gruppen, die wie das gewerbliche Kleinbürgertum sich von liberalen Grundsätzen gefährdet glaubten oder wie die Bauern über ihre begrenzten, früh erfüllten Forderungen hinaus keine Umwälzung wollten. Aus der gemeinsamen Situation der als Institution, in ihrer Weltanschauung oder in ihren wirtschaftlichen und sozialen Interessen Bedrängten formierte sich ein antiliberales Zweckbündnis. Heterogen und informell aus straffer Organisation, lockeren politischen Strömungen und bloßer Volksstimmung um eine gemeinsame Grundtendenz gefügt, war es dennoch sehr erfolgreich. Denn hinter ihm standen zweifellos noch die Mehrheit der Menschen und die Lebensformen mit dem größeren gesellschaftlichen Gewicht in Bayern3. Es konnte zunächst den Reformschub begrenzen und bremsen, schließlich in vielen Bereichen umkehren. Die Reaktion wurde nicht einfach von einer königlichen Regierung erzwungen, die, über die Konsequenzen ihres Eingehens auf die Märzforderungen erschreckt und in ihrem autoritären Selbstverständnis verletzt, ihre liberal-gouvernementale Komponente wieder verdrängte. Ihr kam eine bereits 1848 ausgreifende und bald bei großen Bevölkerungsteilen verbreitete Disposition entgegen - wenn auch einzelne Regierungsmaßnahmen nicht immer gebilligt, aber in der Regel hingenommen wurden. Solche Detaildifferenzen enthüllten nun allerdings, wie wenig konsistent die Abwehrfront war und wie stark in ihr die Staatsorgane über die gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen dominierten, sie benutzten. Jene besaßen nicht nur Gewalt, sondern handelten gezielt, während diese sich weder einheitlich noch konsequent verhielten. Das galt selbst für den schlagkräftigsten Partner, die Kirchen. Der Preis der traditional-konservativen Gesellschaftskräfte für die Begünstigung ihrer Prinzipien und Interessen gegen liberale Tendenzen war, daß sie selbst bis in die späten 1850er Jahre verstärkt dem Zugriff des Staates unterlagen4. Nach dem liberalen Einbruch 1847 bis 1850 schien die Konstellation des späten Vormärz modifiziert wieder hergestellt und das Montgelas-Prinzip staatsgeleiteter ›Modernisierung‹ in Zusammenarbeit mit dem Bürgertum erneut abgeschnitten. In Staat und Gesellschaft dominierten reaktionäre Grundsätze. Doch hinter der geschlossenen Ordnung des nachrevolutionären Jahrzehnts bestanden und wuchsen eben die Spannungen, die schon die ludovizianische Herrschaft gestört hatten. Die Kirchen, vor allem die wieder mächtige und machtbewußte katholische, begannen der Regierung nur da aktiv zu folgen, wo ihnen diese die besten Bedingungen für ihre Aufgaben bot5. Der in der konservativen Staatsideologie zentrale Bund von ›Thron und Altar‹ hing letztlich von der weltanschaulichen Haltung der Regierung ab, er war eine aktuelle, keine dauerhaft notwendige Option der Kirchen. Ähnlich 114 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

blieb die Regierung für die traditional-konservativen Gruppen vom Adel bis zu den Bauern nur als konservative wertvoll und mit ihrem Ordnungs- und Kontrolldruck akzeptabel. Für die Gesellschaft war der Staat nicht selten eher nützliche als fraglose Autorität geworden, die man mit einer stillen Distanz unterstützte. De facto wurde das Machtgefüge labil und barg Konfliktlatenzen. Das ergab sich nicht nur aus den Struktur- und Verhaltensunterschieden zwischen Monopolbürokratie und spätständischen Lebenswelten, sondern wesentlich durch die dritte Kraft, das liberale Bürgertum. Zwar vorerst diskreditiert, stand es doch langfristig als Alternativpartner für einen Staat zur Verfügung, der in seinem Grundriß zu ›modern‹ war, um auf die Dauer nur auf die >alte< Gesellschaft setzen zu können. Diese wußte oder ahnte das und beargwöhnte die Regierung zunehmend, als der politische Wert des Bürgertums zu steigen begann. Aufgrund eigener Leistung und äußerer Gunst, durch die Wirtschaftsentwicklung und die deutsche und europäische Politik konnte dieses Bürgertum sich als Wirtschaftsklasse und kulturelle Schicht seit den späten 1850er Jahren wieder Gehör verschaffen. Denn nach der Revolution begann auch in Bayern eine erste industrielle Gründerzeit6, in der nun vor allem in neubayerischen Zentren - Augsburg, Nürnberg-Fürth, Hof - und in München ein ›modernes‹ Wirtschaftsbürgertum auftrat. Verschiedene Faktoren wirkten dabei zusammen. Die Regierung suchte durch eine relativ liberale Großgewerbe-Konzessionierung das rückständige Land zu entwickeln und das politisch enttäuschte Bürgertum abzulenken. Der in seine Hauptphase tretende Eisenbahnbau, eine intensive Kapitalorganisierung und eine rasch wachsende Produktionserfahrung gaben einen starken Innovations- und Investitionsimpuls. Schließlich bewirkten Eisenbahn, liberale Zollpolitik, gesamtdeutsche Wirtschaftsgesetze, kapitalistisch-industrielle Marktdynamik und der nationale Horizont des neubayerischen Bürgertums eine überregionale wirtschaftliche Verflechtung und als Folge auch eine soziale und kulturelle7. Der zweite Grund für das wachsende Gruppen- und Selbstbewußtsein des bayerischen Bürgertums, vor allem des noch dominierenden Bildungsbürgertums war diese seine nationale Einstellung8. Sie blieb zwar unter der staatsbayerisch-monarchisch-patriotischen Repression lange verhalten und nach der Erfahrung von 1848 in ihren politischen Zielen gemäßigt. Aber sie war nicht aufgegeben worden. Vornehmlich wieder in Neubayern wirkte die nationale Bewegung aus ihren mittel- und westdeutschen Kerngebieten etwa aus der Hochburg Coburg-Gotha - zunächst trotz Zensur unterschwellig so, daß binnen weniger Jahre die bayerische Präventivpolitik in die Defensive geriet. Der an Rhein und Elbe zelebrierte Nationalismus mit seinen Organisationen und Symbolen, mit seinen Vereinen, Festen, Liedern, Fahnen und Gebärden sickerte auf vielen Kanälen ein und weckte Ideen und Riten von 1848. Multiplikatoren wie Professoren, Studenten, Kaufleute, Lehrer vermittelten das Pathos eines neuen, realpolitisch entschärften deutschen 115 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Aufbruchs dem gebildeten und besitzenden Bürgertum in den Verwaltungsund Handelsstädten, aber auch ins gewerbliche Kleinbürgertum der Landstädte und Märkte hinein. Das galt nicht nur für protestantische Gebiete; zunehmend wurden katholische erfaßt und zwar neben dem einst reichischen Neubayern selbst in Altbayern mit seiner jahrhundertealten territorialen ›Autonomie‹9. Daß sich auch im katholischen Bürgertum wachsende Gruppen mit dieser Bewegung aus protestantischem Geist identifizierten und eine deutsche Identität verinnerlichten, war für die politische Kultur Bayerns höchst folgenreich. Zum Durchbruch kam die nationale Ideologie auch in Bayern mit der Erregung um den italienischen Krieg 1859 und dann mit dem Engagement für Schleswig-Holstein, bei dem die gesellschaftliche Bewegung und die Regierungspolitik unter dem ›Trias-König‹ Max II. erstmals konvergierten. Der rasche Aufstieg des nationalen Bürgertums, der ein ökonomischer und noch mehr ein soziokultureller, eine ›Veralltäglichung‹ einer attraktiven Ideologie war, beendete die vom Reaktionsstaat erzwungene politische Ruhe und soziale Disziplin. Er polarisierte in den 1860er Jahren die bayerische Gesellschaft in traditional-konservativ-patriotische und liberal-nationale Gruppen, Institutionen, Lebensformen. Jene überwogen zwar in dem nur langsam und punktuell urbanisierten und industrialisierten Land quantitativ. Aber diese hatten dynamische Ideen, Druck und Chancen der wirtschaftlichen Entwicklung und schlagkräftige Medien für sich. In zunehmendem Maß artikulierten sie Interessen und Bedürfnisse der Gesellschaft und beeinflußten deren ›Geist‹. Für das Echo dieser bürgerlichen Kultur spielte in Bayern mit seinem starken Kleingewerbe auch die Dauerkrise eine Rolle, der das Kleinbürgertum nicht zuletzt durch eine überlange restriktive Gewerbepolitik ausgesetzt war 10 . Sie entwertete nun bei einem Teil der Betroffenen spätzünftische ›Nahrungsstand‹-Mentalität, machte sie bereit für Liberalisierung und Marktwirtschaft und öffnete sie damit auch nichtwirtschaftlichen Zielen des liberalen Bildungs- und Besitzbürgertums. Da zugleich die bürgerliche deutsche Öffentlichkeit und das expansive Bismarck-Preußen von außen einen ideologischen und machtpolitischen Nationalisierungsdruck ausübten, wurde die Staatsführung auf einen liberal-gouvernementalen Kurs gedrängt. Mit einer tiefgreifenden Wendung, die für fast ein halbes Jahrhundert bestimmend blieb, knüpfte sie wieder an Grundsätze des aufgeklärten Bürokratismus und der kurzen Reformphase während der Revolution an 11 . Zwar in einer innen- und außenpolitisch gewandelten, vor allem durch den Nationalismus anders gelagerten Situation und mit teilweise veränderten Konzepten und Mitteln, aber in den Leitzielen doch unverändert kehrte die Regierung zu dem Prinzip säkularer Reformpolitik zurück. Das wirtschaftliche und soziale Leben in Stadt und Land wurde belebt. Die sog. ›Sozialgesetze‹ brachten weitgehende Freiheit der Eheschließung, Ansässigmachung und Gewerbeausübung. Zahlreiche Verordnungen liberalisierten einzelne Produktions- und Handelszweige und spezielle Situationen 116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

in Arbeit, Familie, Freizeit. Staatliches Unternehmerengagement, vor allem im Eisenbahnbau, übte einen starken Investitions- und Innovationssog aus. Die Emanzipation der Juden, die vor allem in der Pfalz, in Franken und in München der kapitalistischen Wirtschaft wie der bürgerlichen Kultur wichtige Impulse gaben, wurde nun abgeschlossen. Die Trennung von Justiz und Verwaltung und eine Zivilprozeßreform bauten den liberalen Rechtsstaat, Gemeindeordnungen, die die Staatsaufsicht lockerten, das Selbstverwaltungsprinzip aus. Das war die späte, für den politischen Wandel symptomatische Erfüllung eines Programms von 1848. Die Kulturpolitik förderte mit dominant säkularen Prinzipien nun besonders das Schulwesen, das seit der Revolution vor allem als Disziplinierungsmittel gedient hatte 12 . Mit ihrem liberal-gouvernementalen, national orientierten Kurs entfernte sich die Staatsführung freilich so weit von den gesellschaftlichen Kräften, auf die sich die Reaktionspolitik gestützt hatte, daß sie diese ihrerseits zum Widerstand provozierte. Die Partner der Regierung wechselten, was angesichts der Verschärfung weltanschaulicher Konflikte, wirtschaftlicher Interessengegensätze und sozialer Diskrepanzen besonders gravierend war. Der Adel, insbesondere der altbayerisch-katholische, zog sich zurück, zumal die Justizreform seine Restprivilegien weiter reduzierte; die Kirchen, vor allem die katholische, sahen in der Regierung nun zunehmend Konkurrenz; die Bauern befremdete der neue politische Stil. Dafür adaptierte sich die Staatsführung Ideen und Mittel der bürgerlichen Öffentlichkeit und bediente sich dieser. Zwischen Bürokratie und der bürgerlichen Führungsschicht knüpfte sich, vermittelt durch die mehrheitlich bürgerlichen Beamten in hohen Ämtern, ein folgenreiches Bündnis13. Zunächst vorwiegend Zweckbündnis, begann es bald zu einer politischen und sozialen Gemeinschaft zweier Parteien zu werden; sie glichen sich, auch durch Connubium, einander an, indem das Bürgertum seinen Emanzipationsdrang weiter minderte und die Bürokratie zunehmend liberal und national handelte. Dieses Bündnis mit seiner antitraditionalistischen, antiklerikalen, antipartikularistischen Spitze rief eine traditional-katholisch-patriotische Gegenbewegung hervor, deren Kraft Bürgertum und Staatsführung überraschte. Altbayerischer Adel, katholischer Klerus, antiliberale Bürger konnten in den späten 1860er Jahren große Teile der ländlichen Bevölkerung, die mit der Eingewöhnung in die Lage nach der vollen Bauernbefreiung ein erstes politisches Interesse entwickelte, und liberalisierungsfeindliche Kleinbürger so mobilisieren, daß sie spektakulär die Landtagsmehrheit errangen und bis zum Ende der Monarchie hielten14. Damit war der politische Dualismus verfassungsformal verfestigt, der das modern begründete Staatsbayern mit seiner ländlich-katholischen Bevölkerungsmehrheit im 19. Jahrhundert bestimmte. Die 1860er Jahre brachten so eine zweite Weichenstellung in der inneren Entwicklung Staatsbayerns: das liberale und nationale Bürgertum drängte im Aufwind der Kräfte, die eine deutsche Einigung betrieben, die Staatsführung 117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

gegen breiten konservativen Widerstand auf einen liberalen und nationalen Kurs. Offenkundig war die traditionalistische Überformung des modernen Staates, in sich erschöpft und sozioökonomisch wie soziokulturell überholt, ausgelaufen. Im Gegensatz zum politischen Kurswechsel im Vormärz war dieser allerdings weniger durch monarchisch-bürokratische Entscheidung verfügt als von gesellschaftlichen Kräften erzwungen. Die Gesellschaft im Wandel begann das Gesetz des Handelns an sich zu ziehen. 4.2. Die staatliche Schulerziehung: von der Disziplinierung zur Volksbildung15 4.2.1. Die Programmverscbiebung: Restriktion und nationalliberale Ansätze Der Volksschule kam bei der verstärkten Einübung politischer Loyalität und sozialer Disziplin, wie sie die alten Eliten nach der Revolution der breiten Bevölkerung verordneten, eine Hauptrolle zu. Sie vor allem hatte in die »Gemüther die Liebe zum gemeinsamen engern Vaterlande zu pflanzen«16, mit einer zeitlosen Ordnung auf der Grundlage von Religiosität, Unterordnung und Patriotismus zu identifizieren. Inhalt und Form der schulischen Sozialisation änderten sich deshalb prinzipiell wenig; im Zentrum blieb ein politisch, sozial, kulturell harmonistisches Bild der ›Welt‹, vor allem des glücklichen Bayern 17 . Märzrevolution, Paulskirche und badisch-pfälzischer Aufstand wurden nicht erwähnt oder wie ein häßlicher Spuk abgetan, da der »ansteckende Hauch schlimmer Grundsätze und falscher Freiheitsgelüste« in seiner Anmaßung gegen Gott und Obrigkeit zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sei. Wohlfahrt und Glück der Bevölkerung erschienen an ihre politische Abstinenz gebunden18. Die Geschichte erhielt nach der Revolution als Legitimationsmittel verstärktes Gewicht. In erster Linie die bayerische Geschichte diente mehr denn je als »eine wahre Tugendlehre« für Haus, Gemeinde und Staat19. Der christliche Traditionalismus wurde nun noch deutlicher utilitaristisch (mit)begründet: die Geschichte diente als Beweisarsenal für den materiellen und ideellen Erfolg der Frommen und den Untergang der Gottlosen20. Auf dieser anthropologischen und geschichtstheologischen Grundlage sollte die bayerische Geschichte politisch in eine antirevolutionäre Tradition einüben21, die noch nie »mit Empörung oder Fürstenmord oder Hochverrath befleckt« worden sei22. Solches Eigen- und Selbstbewußtsein wurde zu einem christlich-konservativen Sendungsbewußtsein aktualisiert. Bayern hatte eine monarchistische Ordnungsmission in und für Deutschland, die den souveränen Mittelstaat historisch notwendig mache und eine Würde gebe, die seinen nach Gebiet und Bevölkerung geringeren Rang mehr als kompensiere23. Damit und mit der These, »daß dem eigenthümlich naturwüchsigen Charakter der deutschen Völkerschaften eine unitarische Staatsverfassung im Inner118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

sten widersteht«24, wurden Nationalismus und Liberalismus als geschichtswidrig und schädlich verdammt. Mit dieser deutschen Aufgabe Bayerns verstärkte sich allerdings im Traditions- und Gegenwartsbild gerade auch die Präsenz Deutschlands selbst. Kriege zwischen deutschen Territorien wie die im 18. Jahrhunden und Koalitionen oder Separatfrieden mit außerdeutschen Mächten wie die der napoleonischen Zeit wurden nun häufiger verurteilt25; Napoleons Sturz wurde nicht mehr nur als Exempel der Macht Gottes über die Geschichte vorgeführt, sondern mit der zur Selbstbefreiung stilisierten Befreiung Deutschlands verbunden26. Auch die prononciert bayerische Sicht des Mittelalters wich allmählich einer deutschen27. Der historische Gegensatz zu Österreich verblaßte. Dafür geriet Frankreich immer mehr in die Rolle des traditionellen Hauptfeindes, auch in Kriegen, in denen Bayern an seiner Seite gekämpft hatte, was übergangen oder durch die politische Konstellation entschuldigt wurde. Schon erschienen Elsaß und Lothringen als Irrendenta28, wurde die Milde des Wiener Kongresses gegen Frankreich gerügt. Allerdings war dieses noch nicht Erbfeind im Sinne des Germanismus, also in einem Dauerkonflikt-Schema konträrer Nationalcharaktere, als Kampf >deutscher Tugenden< gegen ›welsche Lasten‹. Noch wurden Kriege nicht als Kreuzzüge im Namen eines überlegenen Weltbilds und einer höheren Moral suggeriert. Insgesamt rückte also Bayern in den Volksschulbüchern allmählich aus einem europäischen Staatenbild in die Kategorie deutsch-nichtdeutsch. Der nach dem nationalen Bewußtseinsschub von 1848 taktisch bedingte Tribut an den Horizont Deutschland gab diesem bald ein eigenes ideelles Gewicht und bereitete so der ideologischen Mediatisierung Bayerns den Weg. Selbst die nationale Ideologie wurde schon vorsichtig ins Bild der jüngsten Vergangenheit übernommen, wo sie nicht gegen die Bundesverfassung und damit die Stellung Bayerns stand, sondern gegen nichtdeutsche Mächte. Das betraf vor allem den Fall »der deutschen Holsteiner, die mit Gewalt entnationalisiert werden sollten«29. Weit vor dieser deutschen Einstellung und als eine Grundlage des bayerischen Patriotismus wurde als erster und eindringlichster Horizont unverändert die Heimat eingeübt mit ihrer elementaren Bindung an Haus und Familie, Nachbarschaft und Gemeinde, Kirche und Herrschaftssitz; in ihr fand die erste ›Welt‹-Erfahrung statt30. Noch wurden die ›kleinen Leute‹ mental besonders intensiv in diesem zeitlosen, vorpolitischen Raum ›verortet‹, der sich über die Region in Bayern einfügte, aber ohne Bezug zu Deutschland blieb. Die politische Gegenwart war, vom Loyalitätskult um den König abgesehen, in den Schulbüchern kaum präsent. Wo sie anklang, blieb ihr Hauptproblem, die deutsche Frage31 außer der Absage an den Unitarismus undeutlich. Sie wurde entsprechend der Regierungspolitik in den 1850er und frühen 1860er Jahren dilatorisch behandelt: es galt, die für Bayern günstigste Konstellation, den status quo weitgehender Selbständigkeit auch mental gegen den Einfluß der nationalliberalen Öffentlichkeit zu wahren32. 119 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Die Erfahrung der Revolution nötigte zu Zugeständnissen an das Selbstbewußtsein der Neubayern. Die Verdrängung ihrer Traditionen hatte diese nicht getilgt, sondern regionalen, tendenziell oppositionellen Kräften überlassen. Sie wurden deshalb nun durch Auswahl und Interpretation so adaptiert, daß sie sich in den bayerischen Reichspatriotismus fügten. Belebt und gezähmt zugleich, konnten sie als Präfiguration staatsbayerischer Loyalität wirken. Vor allem die Mediatisierung erschien, nach einem halb melancholischen Rückblick auf eine einst glänzende, zuletzt aber erstarrte Vergangenheit, durch das attraktive Bild eines politisch und sozial überlegenen Kurbaiern als historischer Fortschritt33. Damit trat die Schule dem neubayerischprotestantischen Verdikt über das barocke Kurbaiern, das in der Revolution besonders virulent gewesen war 34 , offensiv entgegen. Das Übergewicht Altbayerns im Traditionsbild blieb sowieso unbestritten35. Eine weitere Gefahr war der Integration Bayerns durch die Verhärtung der konfessionellen Fronten entstanden. Sie schlug sich nun zunehmend in Schulbüchern nieder, die Papsttum, Reformation und Dreißigjährigen Krieg kraß einseitig darstellten36, und sie wurde, da die irenische Generation der Spätaufklärung allmählich ausschied, von konfessionell engagierten Lehrern und ultramontanen bzw. neuorthodoxen Inspektoren in die Vermittlung eingeführt. Der neue König Max II., besonders konfliktsensibel, mahnte deshalb voll Sorge, »daß im schroffen und feindseligen Verhalten der religiösen Gegensätze das Grab des staatlichen Bestehen Bayerns« drohe, zu »friedfertiger Duldung«37. Insgesamt stand die Volksschule zwischen Revolution und Reichsgründung in der Kontinuität des bayerischen Reichspatriotismus38. Doch Veränderungen sind unverkennbar. Die Texte rechtfertigten auffallend Existenz und Verfassung Bayerns durch den Nachweis ökonomischer und politischer Effektivität, >bewiesen< historisch die Loyalität der Bayern, suchten ganz allgemein ihre Aussagen immer stärker zu belegen, provoziert durch die zunehmende Konkurrenz anderer Weltbilder und Ordnungsentwürfe. Dadurch verstärkte sich inhaltlich die Tendenz zur Systematisierung und Normierung und formal zu einem härteren, ja rigorosen Stil. Die politische Dimension begann die religiöse zurückzudrängen und für sich einzusetzen. Der religiös-patriotische Traditionalismus näherte sich dem politischen Konservativismus. In einer komplexen Übergangsform, die den weltanschaulichen und politischen Übergangscharakter der Zeit nach der Jahrhundertmitte spiegelte, wurden die ›kleinen Leute‹ durch traditionale Werte, Normen und Leitbilder in einem zunehmend ›modernen‹ Struktur- und Funktionszusammenhang geprägt. Um sie gegen progressive Ideologien abzuschirmen, mußten sich auch überkommene Bildungsmuster teilideologisieren. Die staatliche Volksbildung konnte wie die gesamte Innenpolitik nach der Revolution trotz fundamentaler Kontinuitäten nicht nur Rückgriff auf den Vormärz sein. Welch zentraler Stellenwert der bayerischen Geschichte als ›integraler‹ Prävention zugewiesen wurde 39 , zeigt eine ungewöhnliche Initative: 120 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

der König selbst, der zu vielen Problemen der Innenpolitik Anstöße von außerhalb der Bürokratie suchte, regte eine Reihe von Schulbüchern zur bayerischen Geschichte an, die in erster Linie Volksschullehrer, aber auch Geistliche und Beamte40 verfaßten und die dann freilich didaktisch überwiegend nicht genügten41. 4. 2. 2. Die Lehrer zwischen staatlichem Anspruch und liberalem Selbstverständnis42 Die in der Geschichtsbuch-Aktion symptomatisch aufscheinende Konformität mit dem staatlichen Funktionsanspruch folgte bei zahlreichen Lehrern zweifellos aus einer unverändert passiven Unterordnung, in der die ministeriell verordnete Bildungsaufgabe fraglos vollzogen wurde. Vor allem durch die Gewährung des Heimatrechts in der Gemeinde 1849, das in Not das Existenzminimum sicherte43, waren auch viele, welche 1848 materielle Unzufriedenheit gezeigt hatten, rasch beruhigt und für die Regierung gewonnen worden. Zum Teil war jene Konformität allerdings lediglich erzwungen, Ausdruck der hilflosen Resignation der Lehrer-Minderheit, die das liberale Leitziel ›eine freie Schule mit einem freien Lehrer in einem freien Volk‹ im Vormärz verinnerlicht und 1848 schon fast verwirklicht geglaubt hatte. Denn im allgemeinen politischen Aufbruch waren auch emanzipationswillige Volksschullehrer mit einem für diesen subalternen Berufsstand ›unerhörten‹ Selbstbewußtsein zu Versammlungen zusammengetreten, hatten Petitionen an König, Landtag und Frankfurter Nationalversammlung gerichtet und Vereine gegründet44. Es waren vor allem Lehrer in den Städten und Märkten der Pfalz und Frankens erfaßt worden, aber auch in Schwaben, von Nürnberg aus in der westlichen Oberpfalz und von München aus in Oberund Niederbayern45. Ihre Standesforderungen - Beamtenstatus, wissenschaftliche Ausbildung, Fachaufsicht46 und bessere Besoldung - zielten auf eine Volksbildung, die »Intelligenz und Humanität« mit »Religion und Sittlichkeit« gleichstellt47. Die Volksschule sollte vor allem »ächt deutsche Nationalerziehung« zum selbstverantwortlichen Bürger leisten, »diejenige Bildung. . ., die unserer Jugend . . . jetzt nötig ist, um eine Nation zu werden« 48 . Bayern blieb dabei als engerer Horizont durchaus präsent: das Hoch auf den König erklang bei Lehrerversammlungen ebenso wie das auf das ›deutsche Vaterlands‹, die Säle waren mit deutschen und bayerischen Fahnen geschmückt, man trug schwarz-rot-goldene Kokarden neben weiß-blauen49. Bayerische Loyalität und deutsche Solidarität verbanden sich problemlos in der Vision einer neuen Zeit, der Harmonie von Autorität und Selbstbestimmung in Staat und Gesellschaft. Vermutlich eine starke Minderheit vor allem der neubayerischen Lehrer hing einem liberalen Nationalismus an, der mit den Grundwerten der offiziellen patriotisch-religiösen Volksbildung zusammen nicht mehr verwirk-

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licht werden konnte. Nationale Haltung und pädagogischer Autonomismus waren auf dem gemeinsamen Boden liberaler Anthropologie weltanschaulich so eng aufeinander bezogen, daß der Vorstand des Nürnberger Lehrervereins die Teilnehmer der zweiten deutschen Lehrerversammlung in Nürnberg 1849 »im Namen der heiligen Sache der Volkserziehung und Bildung, im Namen des gesammten deutschen Vaterlandes«50 begrüßen konnte. Diese Überzeugung von der nationalen Mission der Volksschule steigerte sich teilweise schon zur globalen Sendungsidee, die auf der popularisierten Lehrmeistertheorie des philosophischen Idealismus fußte51. Man sprach der deutschen Nation, vom deutschen Lehrer gebildet, die historische Aufgabe zu, »das Leben der übrigen Völker der Erde zu erfrischen und neu zu gestalten« 52 . Gerade die jüngeren, besser qualifizierten und stärker engagierten Lehrer, die an dem Kontrast zwischen geistigem und pädagogischem Anspruch und der Enge ihrer Situation besonders litten, ergriff dieser nationale Enthusiasmus. Er kompensierte ihren dürftigen Alltag berauschend, wenn er ihr berufsständisches Ziel auf das umfassende einer neuen Gesellschaft, der deutschen Nation bezog53. Diese Haltung bereitete zur Opposition vor. Besonders in Neubayern fiel nicht wenigen, vorher kaum beachteten Lehrern im allgemeinen Aufbruch plötzlich eine lokal führende Rolle zu. Sie, die in der Regel besser als die >kleinen Leute< reden und schreiben konnten sowie als Gemeindeschreiber eine gewisse Gesetzeskenntnis besaßen, wurden häufig zum Sprachrohr der allgemeinen Unzufriedenheit und Hoffnung. Lehrer traten in Märzvereinen auf und gingen als Turner gekleidet, schrieben in Demokratenblättern von Freiheit und Völkerfrühling, geißelten in Dorfwirtshäusern hohe Steuern, Adelsprivilegien und Beamtenwillkür, benutzten demonstrativ Pfeifenköpfe mit den Porträts der Revolutionshelden und lasen politische Gedichte von Heine und Freiligrath. Die Meinungsführer einer nationalen Lehreremanzipation - Diesterweg, Wander54, Kapp55 - , die die Verantwortung der Lehrer für den kulturellen und sozialen Fortschritt zur Nation beschworen56, wirkten bis in entlegene Dörfer. Selbst auf Lehrerbildungsanstalten griff die Erregung über und führte bis zum Widerstand gegen ihre Disziplin57; in anderen, wo eine sorgfältige Informationsfilterung gelang, blieb es hingegen ruhig58. Eine lebhafte Kommunikation durch Versammlungen, Presse und Vereine, die besonders in Nordbayern und in der Pfalz Kontakte zu den nationalliberalen Lehrern Mittel- und Westdeutschlands knüpfte, verbreitete jene Haltung unter den bayerischen Volksschullehrern. Dabei reichten die Attitüden vom radikalen Demokraten, ja Barrikadenkämpfer bis zum vorsichtigen Reformer; ihre Häufigkeit war, wie es scheint, regional in etwa wie die gesamte Oppositionsintensität von Nordwesten nach Südosten (mit dem Sonderfall München) gestaffelt. Daneben wucherten natürlich wie in jeder Umbruchkrise enthemmte Affekte und lärmendes Aufbegehren Mißvergnügter und dekorierten sich mit den gerade populären Oppositionsideen59. Auch die Lehrerbewegung von 1848/49, zu der sich im Vormärz verdeckt 122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

entwickelte Einstellungen rasch und offen festigten, war freilich keine Massenbewegung. Selbst in Neubayern gingen die standespolitischen Interessen der Mehrzahl kaum über höheres Einkommen und bessere Dienststellung hinaus. Wenn auch die Wirkung der Lehrerversammlungen durch deren Teilnehmer vervielfacht wurde 60 , blieben die Emanzipationsengagierten eine Minderheit, die seit dem Herbst 1848 weiter zusammenschmolz, als der Aufbruchimpuls verebbt, manche Hoffnung enttäuscht und die Macht der Regierung wieder fühlbar war 67 . Der mentale Effekt der liberalen und nationalen Lehreropposition für das durchschnittliche Verhalten in der Schule, also ihr Breiteneinfluß darf nicht überschätzt werden. Ihre Hauptbedeutung liegt darin, daß ihr ›Geist‹ von einer aktiven Minderheit durch die Reaktionszeit hindurch wach gehalten und in den 1860er Jahren im Aufwind liberaler Öffentlichkeit von dieser Minderheit erneut und diesmal mit großem Erfolg verbreitet wurde. Im Sinn eines pragmatischen Reformismus modifiziert und gegenüber einer Volksbildungspolitik des Staates, die sich ihrerseits liberalisierte, nun kompromißbereit, sollte er für die Mehrheit der bayerischen Volksschullehrer zur Grundlage ihres Selbstverständnisses werden. Soweit Lehrer 1848/49 versucht hatten, abweichend vom verordneten Programm liberale und nationale Bildung zu vermitteln, wurden sie darin 1850 abrupt unterbrochen. Die Lehreropposition erschien Staatsführung und Kirchen nach dem politischen Flächenbrand als so gefährlich, daß sie nun gegen das emanzipatorische Leitbild rigoros den religions- und traditionsgebundenen Schulmeister zu konservieren bzw. wiederherzustellen suchten62. Wer sich in der Revolutionszeit exponiert hatte, wurde aus der Volksbildung ausgeschaltet oder zur Anpassung gezwungen63. Vor der Anstellung mußte man ein Zeugnis politischen Wohlverhaltens vorlegen, und die Beförderung hing besonders von makelloser Unterordnung ab 64 . »Da gerade über die Lehrer . . . das strengste Gericht gehalten wurde« 65 , fügten sich die, die von einer Entlassung verschont geblieben waren, fast ausnahmslos den Verhaltenserwartungen der Landrichter und Pfarrer. Nicht wenige hofften in ihrer Existenzangst, durch Überkonformität die Gunst der Behörden wieder zu gewinnen wie ζ. Β. ein Lehrer, der seine Schüler revolutionsenthusiastisch an den Namensfesten des Königspaares nicht mehr zur Kirche geführt hatte, aber dann »einer der demüthigsten und unterwürfigsten Leute« wurde 66 . Die gesamtdeutsche Zusammenarbeit der Lehrer wurde unterbunden67. Aus den Distriktsbibliotheken und Lesevereinen entfernte man alle »in christlicher und politischer Beziehung destruirenden Schriften«, man kontrollierte die Privatbücher der Lehrer und stellte Lektürelisten nach »christlich und politisch conservativen Grundsätzen« zusammen. Diesterwegs Schriften etwa wurden gezielt durch die fromme Bauernethik Jeremias Gotthelfs, durch Heiligenlegenden und Andachtsbücher ersetzt68. In der Lehrerbildung trat die »Gemüths- und Charakterbildung« noch mehr ins Zentrum, besonders »das . . . positiv christliche und kirchliche Princip«, um »das heranwachsende Geschlecht von den Einflüssen der herrschenden La123 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

ster der Zeit. . . sicher zu stellen«69. Damit wurde einem Hauptziel der Lehrerbewegung, der vollständigen Trennung von Kirche und Schule vehement gesteuert70. Auch die liberalen Lehrer hatten zwar immer den christlichen Charakter jeder Volksbildung betont, ihre Versammlungen mit Chorälen eröffnet und den Vorwurf der Kirchenfeindlichkeit zurückgewiesen71. Aber es war offensichtlich, daß in ihrem Schulbild die Religion neben, ja hinter säkulare Werte trat. Gerade unter Lehrern, vor allem protestantischen, verbreitete sich ein aufgeklärt-empfindsam-romantischer überkonfessioneller Religiositätsstil, der Offenbarung, Heil und Sitte, wie sie die Kirche bot und forderte, durch Naturanbetung zurückdrängte72. In jenem Sinn wirkte auch der katholische Lehrerverein73, der 1849 in enger Verbindung mit dem »Verein für konstitutionelle Monarchie und religiöse Freiheit« (Piusverein) gegründet worden war. Mit Versammlungen und Exerzitien, durch eine eigene Zeitung74 und Lektürelisten suchte er die staatliche und kirchliche Beeinflussung der Lehrer subsidiär zu stärken. Da er auch materielle Verbesserungen forderte, empfahl er sich als Standesvertreter, nicht als Autoritätsinstrument. Über die »Demuth« als »Grundtugend des christlichen Lehrers« sollte die breite Bevölkerung zu den Leitwerten »Wahrheit, Glaube und Keuschheit«75 geführt und damit wieder fester in die traditionale politische und gesellschaftliche Ordnung gebunden werden. Dem Verein war jedoch nur geringer Erfolg beschieden. Er erreichte weitgehend nur Lehrer, für die an sich jenes Leitbild noch gültig war, bestätigte also lediglich eine Haltung. Wer aber an ihm bereits zweifelte, war nur durch den Appell, »heilig und gerecht« zu werden76, nicht mehr zurückzuholen. Weil aber gerade dieser traditionsgeleitete Lehrertyp dem ›modernen‹ Vereinswesen, dem Prinzip der interessengeleiteten Selbstorganisation fern stand, blieb die Mitgliederzahl noch geringer als der Kreis der Sympathisanten77. Ein knappes Jahrzehnt lang mußten sich die Lehrer einem Volksbildungskonzept anpassen, das eine Breitenwirkung der liberalen Pädagogik als aussichtslos erscheinen ließ. Doch mit dem Wiederaufleben liberaler Öffentlichkeit ab 1859 konnte sich das Gruppenbewußtsein der emanzipationswilligen Lehrer, das vor allem die Pflichtfortbildungskonferenzen, obwohl von Geistlichen geleitet, durch eine regelmäßige Kontaktgelegenheit wachgehalten hatten78, wieder äußern und in Vereinen auf Landes-, Kreis- und lokaler Ebene institutionalisieren79. Die Aktivität des Bayerischen Volksschullehrer-Vereins verband geschickt den ideellen und materiellen Maximalismus einer selbstbewußten Minderheit, den Antiradikalismus der Mehrheit und die Rücksicht auf die politische Konstellation zwischen Regierung, Kirchen und Parteien80. Wie gut sie den Bedürfnissen eines Großteils der Lehrer entsprach, zeigte sich, als dem Verein bereits nach zehn Jahren über die Hälfte der bayerischen Volksschullehrer angehörte81. Da er für die weltlichen Lehrer zunehmend repräsentativ handelte82, werden die Zeugnisse seiner Aktivität auch indirekte Quellen für das typische Bildungsverhalten der Lehrer. Leitbild war es, Schule und Lehrer materiell, sozial und pädagogisch so 124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

auszustatten, daß sie die individuelle Selbstverwirklichung in einer nationalen Gesellschaft ermögliche83, was eine Aufwertung der Bildungsinhalte voraussetze, »welche das bürgerliche Leben fordert«84. Die Säkularisierung der schulischen Sozialisation zur soziokulturellen Qualifizierung setzte sich im Selbstverständnis der Lehrer durch. Auch ihr politischer Horizont verschob sich allmählich. Noch um 1860 standen, auf der Grundlage eines Heimatidyllismus 85 , bayerischer Reichspatriotismus und politischer Konservatismus im Vordergrund86. Bereits in den späten 1850er Jahren wurde jedoch vornehmlich in Franken der Nationalismus wieder virulent; der liberale Lehrertyp mit seinem deutschen Missionsdrang war nicht langfristig in den Schranken eines staatsbayerischen Bewußtseins zu halten, sobald nur der Zwang zu diesem gelockert wurde 87 . Allerdings suchte man nach der Erfahrung von 1848 einen Ausgleich mit dem offiziellen Patriotismus, der sich seinerseits ja Deutschland allmählich öffnete. Infolgedessen verlagerten sich die Angriffe aus nationaler Haltung zunehmend vom ›Partikularismus‹ der dynastischen Einzelstaaten auf den Kosmopolitismus, diese ›vaterlandslose‹, Menschheitsschwärmereis und auf andere Nationen88. Damit wurde das Bild der deutschen Nation durch standartisierte Kontrastbilder spezifischer und eindringlicher, besonders im Kult um die »an Werth alle anderen übertreffende« deutsche Sprache und Dichtung89. Schiller erschien 1859 zu seinem hundertsten Geburtstag als Nationalheros und ›Künder‹ des deutschen Nationalcharakters 90 ; er und andere Klassiker des nationalen Literaturkanons sollten der breiten Bevölkerung griffige Lebensregeln bieten; deutsche Volkslieder und nationale Hymnen wurden für den Schulgesang propagiert91. Bayerischer Patriotismus und deutscher Nationalismus, Rhein- und Burgenromantik, Treue und Tapferkeit, Biedersinn und sittiges Familienglück- es entstand das Repertoire der Themen, Motive und Requisiten, das den ›Geist‹ der Lehrermehrheit bis ins 20. Jahrhundert bestimmte. »Die edlen Eigenschaften, in denen vorzugsweise die kernhafte germanische Natur wurzelt« 92 , waren den künftigen Bürgern vor allem einzuüben. Die Mädchen sollten vor >welschem Tand< bewahrt werden, vor sentimentalen Romanen und »seichtem Klaviergeklimper«, worüber sie »die Kraft verlieren, uns tüchtige frische Knaben zu gebären«93. Undeutscher Sinnlichkeit und undeutschem Materialismus sollte obligatorisches Turnen vorbeugen, das über die Leibesübung hinaus nationales Symbolhandeln war und die deutschen Tugenden einübte. Gerade die Lehrer, vorzüglich wieder die neubayerischen, beteiligten sich führend an der Turnbewegung, einem Kern der nationalen und liberalen Bewegung94. Seit es der allgemeine politische Wandel der ideologischen Avantgarde erlaubte, ihre taktische Zurückhaltung95 zu lockern, verbreitete besonders die Allgemeine deutsche Lehrerzeitung96 einen massiven Nationalismus. Deutscher Messianismus und Heroenkult, durch Geschichtsbild und Literaturkanon des protestantischen Deutschlands vermittelt, drängten als Leitlinien einer säkularisierten Welt »der Freiheit, Schönheit und Wahrheit«, die sich 125 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

nach außen aggressiv abgrenzte97, christlichen Traditionalismus und Monarchismus in den Hintergrund. Die Solidarität überrundete die Loyalität als politischen Leitwert98, die Nation emanzipierte sich und wurde souverän. So weit konnte freilich zunächst kein bayerischer Lehrer in der Schule vom staatlich verordneten und kirchlich überwachten Volksbildungskonzept abweichen. Selbst die pfälzischen Lehrerversammlungen, diese innerbayerische Avantgarde, wurden nach wie vor mit einem gemeinsam gesungenen Psalm eröffnet, neben den Bildern Pestalozzis und Diesterwegs hing das des Königs 99 . Aber der rasch wachsende Einfluß der liberalen und nationalen Pädagogik auf das Selbstverständnis der Lehrer konnte nicht ohne Wirkung in den Spielräumen sein, die jedem Pädagogen bleiben. Die Abonnenten der Lehrerpresse waren Multiplikatoren, zumal im 19. Jahrhundert bei Periodica, Broschüren, Flugblättern die Leserzahl in der Regel ein Mehrfaches der Auflage betrug. Ebenso wirkten die sprunghaft zunehmenden Teilnehmer der bayerischen Lehrerversammlungen100, deren ›Geist‹ z. Β. 1864 eine Fahrt vom Tagungsort Regensburg zu den nationalen Kultstätten Walhalla und Befreiungshalle im dichten Stimmungsraum deutscher Geschichte und deutscher Landschaft mit romantischem Pathos ausdrückte101. Auch die deutschen Lehrerversammlungen trugen über Teilnehmer, und, wenn weiter entfernt, besonders über die Presseberichte die Schlagworte des kleindeutschprotestantischen Nationalismus und der Mission Preußens, Anti-Rom-Affekt und Aggressivität gegen Frankreich bis zu den Dorflehrern102. Die politische Kräfteverschiebung zugunsten der Liberalen führte, da sich die Fortschrittspartei und ihr Presseorgan lebhaft für die Ziele des Bayerischen Lehrervereins einsetzten, trotz starken kirchlichen Widerstands 1866 zu einer Reform der Lehrerbildung103. Der Abstand zwischen verordnetem Leitbild und Mehrheitsinteressen verringerte sich deutlich: stark kirchlich orientierte Werte und Normen wurden reduziert104, der Schwerpunkt der Ausbildung verlagerte sich vom Kirchendiener zur Fachausbildung, die Rolle der Geistlichkeit in der Lehrerbildung wurde eingeschränkt. Dieser Erfolg der Volksschullehrer war möglich, weil sich mit der liberal-gouvernementalen Umorientierung der bayerischen Innenpolitik auch die bildungspolitischen Positionen des Staates und der Kirchen, die sich in der Reaktionszeit nahezu gedeckt hatten, rasch auseinanderbewegten. Ein neues Spannungsfeld entstand, das bereits auf die Konflikte des ›Kulturkampfs‹ voraus wies. Höhepunkt war der Kampf um ein neues umfassendes Schulgesetz als konsequenter Fortsetzung der mit der Reform der Lehrerbildung eingeleiteten Bildungspolitik. Es scheiterte an der parlamentarischen Vertretung der konservativen Führungsgruppen (Erste Kammer)105; damit war vor allem der Widerstand der Kirchen gegen ihre Ausschaltung aus der öffentlichen Volksbildung, »diesen ›liberalent‹ Götzen«, der »dem Volk seinen biederen christlichen Charakter zu nehmen« strebe106, erfolgreich107. Da noch im selben Jahr die katholisch-konservative Patriotenpartei Mehrheitspartei wurde und für Jahrzehnte blieb, war an eine liberale Volksschulreform lange nicht 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

mehr zu denken. Weil den kirchennahen politischen Kräften die pädagogische Grundlage der vom Lehrerverein repräsentierten Haltung, weil ihnen Pestalozzi zwar als »nicht widerchristlich, aber außerchristlich« galt108, blieben Zentralforderungen wie die Fachaufsicht bis zum Ende der Monarchie unerfüllt. Durch Teilreformen auf dem Verordnungsweg109 führte jedoch die Regierung in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts (Ära Lutz und Nachwirkungsphase) die soziale Aufwertung der Lehrer und die pädagogische Liberalisierung der Schule fort. Sie gab damit dem liberalen und nationalen Einfluß auf die ›kleinen Leute‹ zunehmend Raum. 4.23. Die steigende gesellschaftliche Wirkung Ihre Disziplinierung durch die Ordnungsmächte Staat und Kirche hatte die Lehrer noch einmal auf einen Tiefpunkt ihres pädagogischen Prestiges geführt. Erst der weltanschauliche, politische und sozioökonomische Wandel leitete in den 1860er Jahren eine neue Aufwertung für die Bedeutung der öffentlichen Volksbildung bei der ›breiten Bevölkerung‹ ein. Der Lehrer rückte allmählich aus dem Schatten des Kirchendieners und Gemeindeschreibers und gewann als Bildungsfunktionär Kontur und Gewicht. Dazu trug auch die lebhafte öffentliche Diskussion um Bildungsziele, -inhalte und -formen der Schule bei, die die liberale Offensive ausgelöst hatte und die bis in den agrarisch-kleingewerblichen Lebensraum Wellen schlug. Als der Staat von den Kirchen abrückte, standen die Beamten in lokalen Konflikten zwischen Lehrer und Pfarrer nicht mehr von vorneherein auf dessen Seite und diskreditierten den Lehrer. Auch der nur scheinbar nebensächliche Vorgang, daß ab 1862 das Schulgeld durch die Gemeinde erhoben statt vom Lehrer selbst eingesammelt wurde, wertete diesen, der nicht mehr als unmittelbarer Kostgänger der Väter erschien110, mindestens ebenso auf wie die staatlich verordnete Gehaltsaufbesserung111. Insgesamt ließ das Verhalten der ›breiten Bevölkerung‹ bei Schulfeierlichkeiten, bei Wahlen zu Gemeindeämtern112, bei der öffentlichen Auszeichnung für fünfzigjährigen Schuldienst113 auf ein wachsendes Prestige der Lehrer schließen. Ihre Wirkung auf die kommende Generation stieg damit ganz offensichtlich. Auch ihre höhere Durchschnittsbildung steigerte Selbst- wie Fremdbewertung und damit den Einfluß. Einmal schied die noch nicht seminaristisch gebildete Generation seit der Jahrhundertmitte rasch aus. Außerdem weckte das erhöhte pädagogische und standespolitische Interesse ein Fortbildungsbedürfnis, das vielen Lehrern Beweis ihrer Befreiung vom verordneten Bildungsweg schien und sich folglich stark auf den liberalen und nationalen Bildungskanon richtete114. Die geistlich geleitete Pflichtfortbildung verlor hingegen offenbar an Effekt; immer mehr Lehrer suchten sich ihr zu entziehen, zumal die Inspektoren oft wenig Befähigung und Eifer zeigten115. Viele Lehrer erschienen nur noch, um Gleichgesinnte zu treffen, so daß sie selbst unter den Augen der Pfarrer dem Einfluß 127 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

der Kirchen entglitten116. Man erließ deshalb schließlich Lehrern mit abgeschlossener Ausbildung diese Pflichtfortbildung117. Wie in den 1860er Jahren der Lehrer an Eigengewicht gewann, so besserten sich auch die organisatorischen und technischen Bedingungen für den Einfluß der Volksschule. Das Netz der Schulen verdichtete sich in zehn Jahren um über sechzehn Prozent118, ihr baulicher Zustand hob sich. Das Zahlenverhältnis Lehrer-Schüler wurde etwas günstiger, wenn es von 1852 bis 1870 von 64,4 auf 62,3 im Landesdurchschnitt sank 119 . Die vorgeschriebenen Lehrmittel setzten sich nun auch auf dem Land durch und die Organisation hatte sich in der Regel eingespielt. Die Aufbauphase war beendet. Der Schulbesuch war zwar teilweise noch immer mangelhaft120, wobei sich nach wie vor eine niedrige sozioökonomische Position der Eltern in einer geringeren Bildungschance niederschlug121. Das galt besonders in Zeiten schwieriger Lebenshaltung, wenn hohe Lebensmittelpreise, stockender Produktenabsatz, Mißernte oder niedrige Löhne den Mitverdienst der Kinder oder wenigstens die Einsparung von Schulgeld, Schuhen und Kleidung in erhöhtem Maß erzwangen122. Auch die Intensität der Schulbildung hing bei den unteren Schichten zum Teil direkt von der Konjunktur ab. Dennoch wurde insgesamt die Schulpflicht nach der Jahrhundertmitte deutlich besser erfüllt. Diese Voraussetzung, die höhere Effizienz der Schule und ein Umwelt- und Mentalitätswandel, der zunehmend auch die >kleinen Leute< für die staatliche Sozialisation neben dem häuslichen Erziehungsfeld und der berufsständischen Qualifizierung aufschloß, verstärkten die Bildungswirkung der Volksschule.

4.3. Der Staatskult: Bayern als ›heile Welt‹ 4. 3. 1. Monarchismus als antiliberale Prävention Auch der monarchische Kult wurde nach der Revolution verstärkt eingesetzt, um die breite Bevölkerung in traditional-konservativem Sinn zu beeinflussen. Zur Steigerung der Loyalitätswirkung erzwang die Regierung eine vollständige Durchführung durch Unterbehörden, Gemeinden, Militär, Geistlichkeit. Denn nicht selten hatten Magistrate die Feierlichkeiten wenig attraktiv vollzogen, Landwehrabteilungen nicht die Kirchenparade mitgemacht, weil die Männer keine Zeit für Arbeit und Geschäft verlieren wollten, Amtsinhaber und Honoratioren nicht am Festgottesdienst teilgenommen, Pfarrer wegen Vereinsaktivität den Gottesdienst einfach gestrichen. Manchmal hatte ein ganzes Landgericht »eine auffallende Lauheit« gezeigt 123 . Quantität und Intensität der Feste erhöhten sich nun. Der neue König Max IL, der, in der Revolution angetreten, besonders für sich werben mußte, unternahm von seiner großen Goodwill-Tour im August 1849124 an zahlreiche 128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Reisen offizieller und halboffizieller Natur 125 ; ihre Wirkung sollte durch Erinnerungssäulen und -tafeln oder am Reiseweg gepflanzte Königslinden auch dauerhaft gemacht werden126. Gleichzeitig begann man, wie überall im Europa der Jahrhundertmitte, eifrig Herrschermonumente - meist an Verkehrszentren, also an Punkten hoher Kommunikationsfrequenz - als ständigen Blickfang aufzustellen127. Der König war nun wie z. Β. in Bayreuth und Landshut im Alltag stets präsent. In Lindau errichtete man, nachdem der Hafen bereits Maximilianshafen hieß, mit glänzenden Festen ein Standbild des Königs anläßlich der für die Stadt sehr förderlichen Vollendung einer der großen bayerischen Eisenbahnlinien128. Durch Geldsammlungen auch in den anderen an dieser Bahn gelegenen Städten vom Nordosten zum Südwesten Bayerns wirkte es vorübergehend quer durchs Land 129 . Technischer und wirtschaftlicher Fortschritt wurden so direkt und mit einem eindringlichen Dankbarkeitsappell an die Dynastie gebunden. Nach dem Tod Maximilians sammelte ein Komitee in ganz Bayern für ein ›Nationaldenkmal‹ des Königs in der Haupt- und Residenzstadt München. Dafür spendeten nicht nur Beamte, Geistlichkeit und das Besitzbürgertum, denen schon Stellung und Prestige demonstrative Loyalität nahelegten, sondern auch viele ›kleine Leute‹ 130 ; ihnen konnte kaum etwas den König besser präsent halten als dieses finanzielle Opfer. Das Bild des Königs in Amtsstuben und Schulhäusern stach durchwegs in einer attraktiveren Reproduktionsqualität und Ausstattung - etwa in »Gold-Baroque-Rahmen«131 - ins Auge. Der Thronwechsel löste eine Hochkonjunktur der monarchischen Porträts und Symbole aus, die von der Konkurrenz unter Ämtern und Gemeinden noch angeheizt wurde. Das wiederholte und steigerte sich weiter beim Regierungsantritt Ludwigs II., als man die lithographierten Porträts vor allem in größeren Behörden und Schulen durch Gipsbüsten ersetzte132. Durch Massenproduktion preiswert, wurden Gipsbüsten ganz allgemein in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zum politischen und kulturellen Symbol in öffentlichen Gebäuden - wie die Denkmäler im öffentlichen Raum der Straßen und Plätze. Beide verkörperten mit deklamatorischem Pathos die herrschenden Ideen, die der ideologische Pluralismus zunehmend relativierte und folglich zwang, sich immer attraktiver zu präsentieren. Diese Entwicklung betraf zunächst und in erster Linie die Städte; in den ländlichen Bereich drang sie bis zur Jahrhundertwende nur zögernd vor. Den geringeren Möglichkeiten entsprach dort eine geringere Notwendigkeit. Auch die Prinzen und Prinzessinnen wurden verstärkt in den Dienst des Loyalitätskults gestellt133. Sie reisten öfter und verlegten häufiger ihre Hofhaltung in ehemalige Residenzen Neubayerns. Für das Renommee des Hauses Witteisbach und zur Integration Staatsbayerns sollten sie deren Rangverlust und wirtschaftlicher Stagnation entgegenwirken134. Die Trauerfeierlichkeiten für den König und die Mitglieder der Dynastie führten mit unverändert barockem Pomp der Bevölkerung ein allmächtiges 129 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Königshaus vor 135 . Besonders die Funeralien für Max II. wurden zum eindringlichen Loyalitätsakt für einen Witteisbacher stilisiert, der das Chaos der Revolution besiegt und die Landeswohlfahrt besonders gefördert habe136. Auch dieser Modellpatriotismus ging, wenn er sich als Ordnungsgarant häufiger und schärfer gegen liberale und demokratische Ideen legitimierte, in den monarchischen Konservatismus über. Die Strukturverschiebung war zwar nicht so deutlich wie in der Instanz Schule mit ihrer differenzierteren Vermittlung durch Texte. Er zeichnete sich aber doch vor allem in den verbalen Kultelementen (Reden, Predigten, Lieder, Gedichte) ab. Auch in diesem extrem traditionsstabilen Ritual hinterließ der soziale und kulturelle Wandel, der in der Revolution eklatant die Bedingungen des Staatshandelns verändert hatte, seine Spuren. Die von der Gesellschaft mittelbar erzwungenen politischen Veränderungen konnten auch das dieser Gesellschaft präsentierte Herrschaftsbild bei all seinem Kontinuitätszwang nicht unbeeinflußt lassen. Daß allerdings der Kult in seiner Grundtextur zu statisch war, um jenem Wandel auf die Dauer folgen zu können, und immer mehr hinter die Realität zurückfiel, wurde dann im späten 19. Jahrhundert unübersehbar. Wie in die Schule drang auch in den Staatskult als präventive Reaktion auf die Revolution der nationale Horizont ein. Als Bayern gegen den liberalen Nationalismus zur Ordnungszelle in Deutschland stilisiert wurde 137 , trat auch sein König verstärkt als deutscher Fürst auf. Vor allem die Trauerfeiern für Max IL, der über seinem Engagement für Schleswig-Holstein gestorben war, suggerierten der Bevölkerung eine hohe, von keinem Großmachtegoismus verzerrte nationale Friedens- und Wohlfahrtssendung ihrer Dynastie 138 . Damit begab sich nun freilich der bayerische Loyalitätskult auf den Weg zur mentalen Mediatisierung Bayerns. In Ansätzen deutete sich bereits die Konstellation im Kaiserreich an, die dem konservativ-patriotischen Königs- und Staatskult sein Monopol nahm. Wieder wurde der in Inhalt und Form so traditionsfixierte Kult in einen dynamischen Trend gezogen, dem er im Prinzip widerstehen mußte. Zumindest am Rande glitt er in das vom Nationalismus bestimmte >Klima< der 1860er Jahre. Daß damit aktuell zugleich eine gegen Preußen gerichtete Haltung vermittelt wurde, leitete über zu dem heftigen Anti-Preußen-Affekt in der bayerischen Bevölkerung von 1866. 4. 3 . 2. Partikularismus als antinationale Prävention Schließlich wurde nach der Revolution, welche die Staatsführung vorübergehend zu deutschen Traditionsfeiern, deutschen Fahnen u. dgl. gezwungen hatte, auch der bayerische Traditionskult im Dienst der patriotisch-konservativen Beeinflussung verstärkt. Gedenktage an einen hervorragenden Einsatz des Volkes für das Haus Witteisbach sollten, festlich begangen, die Treue zur Dynastie vorbildhaft einüben. Heroischen, oft legendären Figuren kam dabei eine besondere Rolle bei der emotionalen Identifikation zu. Zum Bei130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

spiel wurde der jährliche Trauergottesdienst für die 1313 für Ludwig den Bayern gefallenen Bürger bayerischer Städte (Gammelsdorf) aus der Pfarrkirche auf das Schlachtfeld um ein Denkmal verlegt und in großem Rahmen mit zahlreichen Landwehr-Deputationen aus Ober- und Niederbayern vor einem großen Publikum mit weitem Wirkungsradius gefeiert139. Oder an einem Schauplatz des Aufstandes gegen die österreichische Besatzung 1705/06 (Aidenbach) weihte man mit einer »pietätisch-patriotischen Feier« ein Gefallenen-Denkmal mit einem eindringlichen aktuellen Loyalitätsappell ein140. Auch das kulturelle Prestige Bayerns wurde für den Patriotismus sinnenhaft demonstriert.Die Münchner Ruhmeshalle stellte, indem sie die Tradition aller Landesteile durch Symbolpersonen141 verkörperte, die Integration Staatsbayerns vor. Vor ihr erhob sich die Bavaria als ›integrale‹ Personifikation des Landes 142 , das bisher nur die Wappentiere seiner historischen Territorien repräsentiert hatten. Das für die Zeit eindrucksvolle Ensemble Ruhmeshalle - Bavaria wirkte als Integrationszeichen nicht nur auf die Einwohner des Zentrums München, sondern durch das jährliche Oktoberfest auf Bewohner aller Regionen. Es wurde zudem durch die Schule in der gesamten Bevölkerung als ein zentrales Identifikationssymbol verbreitet. In Neubayern entfalteten gesellschaftliche Traditionsriten ihre Loyalitätswirkung, mit denen vor allem das Bürgertum antibayerische Strömungen von 1848/49 in München vergessen zu machen und für sich selbst zu verdrängen suchte. Magistrate veranstalteten, von den Staatsbehörden zum Teil gedrängt, anläßlich der fünfzigjährigen Zugehörigkeit zu Bayern aufwendige Feiern143, man hängte in Schulen und Amtsräumen besonders prächtige Bilder des Königspaares auf und verteilte an die Schuljugend Denkmünzen144. An die Traditionsfeste aller Art schloß sich meist, nicht anders als am Königsgeburtstag, das bürgerliche oder ländliche gesellige Vergnügen, das den Kult unmittelbar in den Lebensraum der ›kleinen Leute‹ einbezog145. Erschreckt durch die politische Dynamik der nationalen Ideologie, brach die Regierung nach der Revolution die von gesellschaftlichen Kräften erzwungenen Ansätze zu einem deutschen Traditionskult rasch wieder ab. Der abgedankte König Ludwig I. ließ zwar die »Den teutschen Befreiungskämpfern« von 1813 gewidmete Befreiungshalle146 weiterbauen. Aber für sie gilt wie für die nahe Walhalla, daß der abseitige Standort und die antike architektonische Form147 ihr eine breite Wirkung versagten. Außerdem war sie nicht nur als nationales, sondern zugleich als monarchisches Symbol errichtet, war nicht nur deutscher Solidaritätsappell, sondern ebenso bayerischer Loyalitätsappell. Wie der Kultraum der deutschen Geschichte war auch der Kultraum der deutschen Freiheit nicht ein Werk der Nation, sondern wurde ihr von einem ihrer Fürsten gestiftet. Die Feiern zur Grundsteinlegung und zur Einweihung, in deren Mittelpunkt der (Ex)König stand, demonstrierten das eindringlich und die Portalinschrift »Den teutschen Befreiungskämpfern Ludwig I. König von Bayern 1863« zeigte es fortan jedem Besucher an. Die Befreiungshalle >bedeutete< nicht die Einheit einer politischen Nation, son131 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

dem eine monarchische Aktionseinheit gegen einen gemeinsamen Feind148. Die im Vormärz unterdrückte Erinnerung an das Jahr 1813 durfte auch in der Reaktionszeit nur domestiziert in unmittelbarer Regie der Dynastie gepflegt werden. Noch den bürgerlichen 1813-Kult, der in den 1860ern vor allem Neubayern ergriff, suchte die Regierung zu bremsen. Während am fünfzigsten Jahrestag der Leipziger Schlacht Ludwig I. sein Befreiungsmonument mit Pomp eröffnete, schränkte die Regierung, da sie »politische Aufregungen« fürchtete, die Mitwirkung von Kirche, Militär und Landwehr bei den bürgerlichen Erinnerungsfeiern im Land ein 149 . Dennoch stärkten diese Feiern den Nationalismus so, daß die Staatsführung einer offiziellen Beteiligung am deutschen Traditionskult wohl nicht mehr lange hätte widerstehen könne. Aber da diskreditierte das Verhalten Preußens und Österreichs in der Schleswig-Holstein-Krise beide deutschen Großmächte, machte die liberale Nationalbewegung nahezu richtungslos150 und minderte deren Druck auf die Regierung wieder erheblich. So konnte das offizielle Ritual beim Ausbruch des deutschen Krieges 1866 - Bekanntmachungen, Auszug der Truppen, Gottesdienste151 - diesen noch einmal ganz in die patriotische Tradition ›bayerischer Tapferkeit und Treue‹ stellen. Die deutsche Dimension blieb auf die Verteidigung des Bundesrechts begrenzt, was die ›breite Bevölkerung‹, da ohne wahrnehmbaren Bezug zu ihrem Lebensraum, wenig berührte. Der Schock der Niederlage, die Not der unterfränkischen Kampfgebiete, die deprimierende Rückkehr der ruhmlosen Truppen, die durch die Besetzung nachdrücklich erlebte preußische Macht ließen dann allerdings den Pegel des Patriotismus in Neubayern wieder rasch fallen152. Zumindest hier fand die ›deutsche‹ Politik, zu der die (neue) Regierung überging, von Anfang an eine breite Basis. Das erleichterte es der Staatsführung, den von außen erzwungenen Schritt zum nächsten Krieg 1870 der Bevölkerung als ›deutschen‹ Krieg darzustellen. Sie ordnete nun den patriotischen Appell mit seiner hohen ›Identifikationspotenz‹ dem an die deutsche Solidarität ein; die nationale Tradition, zusammengefaßt unter dem Aspekt der ›Erbfeindschaft‹ zwischen Deutschland und Frankreich, überwölbte im offiziellen Mobilisierungsritual die bayerische. Damit begann im nationalen ›Aufbruch‹ die mentale Mediatisierung Bayerns emotional höchst wirksam noch vor seiner staatsrechtlichen, vor der Reichsgründung. 4.4. Die katholische Kirche im Zeichen des Ultramontanismus 4.4.1. Pastoration und Religiosität im Stil des ›Romanismus‹ Die katholische Kirche war im Zeitalter Pius IX. 153 von Kurialismus und Antiliberalismus geprägt und erhielt ihr Symbol im Syllabus 154 . Auch in Bayern entwickelte sie sich in ihrer Organisation, in ›Geist‹ und sozialer Wirkung 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

konsequent in der ultramontanen Richtung weiter. Theologisch setzte sich die Neuscholastik immer mehr durch155, personell lagen zahlreiche Schlüsselstellungen in der Hand der Ultramontanen156. Im Pfarrklerus war die aufgeklärte Generation abgetreten und auch die Vertreter der frühen Erneuerung, die ›Sailer-Schüler‹ starben weg; der ultramontane Priester war die Regel geworden. Dieser »klassische Typus des katholischen Seelsorgers« der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts orientierte sich stark am monastischen Leitbild, was den erstaunlichen Prestigezuwachs der Orden zeigte 157 . Er war »plus discipline, plus pieux, plus zélé« 158 im römischen Sinn, asketisch und ethisch rigoros, oft von einem gebändigten Mystizismus erfüllt, gewissenhaft im Breviergebet, in Exerzitien159 und allen priesterlichen Ritualen. Er beherrschte scholastische Dogmatik und Moralkasuistik, war aber ohne die theologische Aufgeschlossenheit der aufgeklärten Priester. Papst und Bischof unbedingt ergeben, trat er kompromißlos gegen die liberale Weltanschauung wie gegen die protestantische Religion auf160. Durch die nun in allen Diözesen errichteten Knabenseminare wurde der Priesternachwuchs vom Kindesalter an nach diesem Leitbild geformt und noch weit mehr als die Erneuerungsgeneration in Habitus und Verhalten von seiner sozialen Umwelt abgehoben. Der lange schwarze Talar mit dem Stehkragen drückte das zeichenhaft aus, der erst jetzt als spezifische Priesterkleidung den dunklen bürgerlichen Rock verdrängte 161 . Mehr als jede frühere Priestergeneration war diese durch den römischen Zentralismus homogen, sahen diese Männer die Welt aus dem Blickwinkel der Kirche und ihrer Interessen. Als eifrige >Seelsorger< suchten sie die mentale Macht der Kirche unter allen Umständen zu stärken und bemühten sich, da ihr Pastoralstil weniger kerygmatisch als rituell, weniger kognitiv als affektiv war, lebhaft um sinnenhafte Attraktivität. Das Kirchenbauwesen erlebte in der zweiten Jahrhunderthälfte einen neuen Höhepunkt, der nicht allein aus der Bevölkerungszunahme folgte. Viele Kirchen erhielten Neuausstattungen nach dem neugotischen Stilmuster162. Es erfüllte besonders die kommunikative Darstellungsund Appellfunktion von Architektur163, indem es das Mittelalter als Bezugsepoche der Ultramontanen vergegenwärtigte, in der diese ihr Religiositätsund Kirchenideal verwirklicht sahen. In romantischem Mißverständnis wurden Dorfkirchen zu Miniaturkathedralen gestaltet. Die Neugotik, die von den 1840er Jahren an die architektonische Selbstdarstellung der katholischen Kirche in Deutschland beherrschte164, war ständig präsentes Zeichen eines streng päpstlichen, neuscholastischen, asketisch-kämpferischen Katholizismus. Die düstere Strenge und Weltfluchtmystik, die mit der Beseitigung der spätbarocken Ausstattung in viele Kirchen einzog, milderten häufig die Bilder von Nazarener-Epigonen, die die sentimentale Komponente des herrschenden Religiositätsstils vertraten. Die Pfarrer drängten, teilweise durch die Gründung von Kirchenbauvereinen165, die Bevölkerung immer wieder zu Spenden. 133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Ebenso trieben sie für den Kirchenschmuck einen seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gewohnten Aufwand. Sie füllten ihre Kirche an hohen Festen mit einem Blumenmeer, die Fronleichnamsprozession zog mehr denn je zwischen Birkenspalieren, Blumengirlanden und teppichgeschmückten Häusern166, Altäre und Gnadenbilder schimmerten ständig im Schein der Kerzen, die die ›kleinen Leute‹ reichlich stifteten, Ornate und Paramente, jahrzehntelang kaum erneuert, wurden in Paramentenvereinen von den Frauen wieder rege bestickt und gaben dem Gottesdienst lang entwöhnten Glanz. Die Kirchenmusik blühte durch eine Reform auf, die gerade in Bayern in der Regensburger Domschule ein Hauptzentrum hatte, durch Cäcilienvereine verbreitet wurde und für Jahrzehnte akustisches Symbol des ultramontanen Religiositätsstils blieb 167 . An der Schule hingegen nahm der typische Priester weniger Anteil als seine Vorgänger, da ihm ihre Volksbildung nicht so viel wie die traditionale häusliche Erziehung galt168. Da sich Klerus und Lehrerschaft in Welt- und Gesellschaftsbild und Rollenverständnis auseinanderbewegten, was vermehrt zu örtlichen Spannungen führte, drangen die Pfarrer verstärkt auf einen religiös geprägten Unterricht, um einer anthropozentrischen Pädagogik gegenzusteuern. Näher interessierte sie an der Schule meist die Katechese und der Schulgesang, dessen Qualität für die Liturgie wichtig war. Dagegen wurde noch lebhafter als von der Erneuerungsgeneration der Ritualismus169 in Kirche und Volksfrömmigkeit, soweit diese vom Klerus kontrolliert werden konnte, gefördert. Man warb nach italienischem und französischem Beispiel für den häufigeren Empfang der Kommunion170. Kreuzwege und Kalvarienberge mit ihrem Ablaß, im 18. Jahrhundert erstmals weit verbreitet, erlebten einen erneuten Höhepunkt171. Bruderschaften, Heiligenverehrung, Wallfahrten, Marienkult und Reliquienwesen wurden nicht nur gebilligt, sondern forciert. Ablässe, von Rom selbst begünstigt und vermehrt172, banden durch die vermittelte Heilsgewißheit die ›kleinen Leute‹ an die Kirche und - als Jubelablässe - an den Papst. Den alten Ritualbestand erweiterten neue Formen173: Herz-Jesu-Kult, Anbetung des Altarsakraments, Maiandacht, häuslicher Maialtar und schließlich die Rosenkranzandacht174 als Formen marianischer Erneuerung. Der Zulauf zu den Mariengnadenorten175 war groß wie seit einem Jahrhundert nicht mehr. Im späten 19. Jahrhundert steigerte dann die erhöhte Mobilität der ›breiten Bevölkerung‹ durch die Eisenbahn noch einmal das Wallfahrtswesen, erweiterte vor allem den Radius bis Maria Einsiedeln, Lourdes und zum Haus der heiligen Familie in Loreto. Der wiederaufblühende Kult um die Weihnachtskrippe176 brachte bis in die letzten Dorfkirchen modische Krippen mit ihrer bunten, idyllischen Szenerie, in der die Pfarrgemeinde ihr Weihnachtsbild fand. In die ländlichen Wohnstuben drangen neue Herrgottswinkel-Bilder177, wobei der Übergang von der alten Hinterglasmalerei zur preiswerten Massenware schablonenkolorierter Lithographien die Verbreitung sehr beschleunigte. Lithographien und Öldrucke verdrängten auch in den Häusern des Kleinbür134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

gertums überlieferte religiöse Motive durch neue Kultsymbole oder die Zeugnisse der Sentimentalreligiosität178. Sie wurden dank neuer Drucktechniken durch eine Flut von Andachts-, Sterbe- und Fleißbildchen zusätzlich verbreitet. Die Volksmission erreichte in Altbayern in den 1850er Jahren einen ersten Höhepunkt und drang auch in andere Diözesen ein 179 . Mit Repräsentation, die das Kirchenjahr wieder zu einer Kette von Attraktionen machte, und Ritualismus kam der ultramontane Klerus dem alten, noch vielfach lebendigen Frömmigkeitsstil der ›breiten Bevölkerung‹ besonders entgegen. Kirchlich verfaßte und sozial tradierte Religiosität, Anspruch der Organisation und Disposition ihrer Mitglieder fielen wieder in einem Maß zusammen, wie es seit dem Einbruch der Aufklärung vor einem Jahrhundert nicht mehr der Fall gewesen war. Das erklärt, zusammen mit der Homogenität, Disziplin und Selbstsicherheit des Klerus, die wieder gefestigte Bedeutung der katholischen Kirche unter den >kleinen Leutenrömischen Frage< besonders eindringlich den Zirkel der alten Ordnung um sich und die überkommene weltliche Herrschaft schlug, setzte sie die Autorität der Monarchie für den Papst ein und aktualisierte, ihre Konflikte mit dem Staat und seinem Monopolanspruch überspielend, vor der Gesellschaft das offizielle Bild des antirevolutionären Bundes von >Thron und Altan zur Attitüde erregter Papstloyalität. Das war freilich nur möglich, solange dieser >Thron< eine patriotisch-konservative Politik repräsentierte. Als die Staatsführung sich nationalliberalen Positionen näherte, geriet der Staat für die Ultramontanen immer mehr auf die Gegenseite. Vorerst freilich richtete sich der Vorwurf der Komplizenschaft mit der Revolution nur gegen den italienischen König und seine laizistische Regierung. Jedoch war der Weg zu einer Konstellation, in der auch die bayerische Monarchie von der Kirche öffentlich kritisiert werden konnte, also zum Loyalitätskonflikt der Katholiken im Schnittfeld von omnipotentem Nationalstaat und universaler Papstkirche betreten: es war durch die Anprangerung einer Monarchie als Diener der Revolution die Monarchie an sich nicht mehr sakrosankt 185 . 4.4.2. Die Loyalitätsbildung um den Papstkult Die Loyalität zum bedrängten Papst wurde den Gemeinden eingeübt durch Hirtenbriefe oder päpstliche Allokutionen, durch »innigste Gebete für den schwergeprüften heiligen Vater«, durch Jubelfeiern, wenn einmal päpstliche Truppen siegten, und durch einen erhöhten rituellen Aufwand an ›Papstsonntagen‹187. Besonders eng band der sog. Peterspfennig188 zur finanziellen Unterstützung des Papstes an Rom. Gerade in der mit Spenden mißtrauisch zurückhaltenden agrarischen Bevölkerung mußte dieser konkreteste Appell des von den Regierungen im Stich gelassenen Papsttums an die Gläubigen dieses eindringlich vergegenwärtigen. Schon 1848/49 waren im gesellschaftlichen Vorfeld der Kirche die »Piusvereine für religiöse Freiheit« als ultramontane Loyalitätsorganisationen mit ihrem symbolischen Namen entstanden189. Darüber hinaus machte das gesamte Vereinswesen den Papst durch mündliche Kommunikation, Broschüren, Bilder auch außerhalb der Kirche präsent und die Expansion der katholischen Presse in den 1860er Jahren 190 verstärkte die Romorientierung in der ›breiten Bevölkerung‹ weiter. Der Einfluß dieser Instanzen und Medien bündelte sich besonders wirkungsvoll an den römischen Jubiläumsfeierlichkeiten, die seit Pius IX. weit über das herkömmliche Maß 191 hinaus zu großen universalkirchlichen Feiern wurden192. Festgottesdienste, Geldsammlungen, Vereinsfeiern, Zeitungsartikel und die Berichte der in großer Zahl nach Rom strömenden Pilger in ihrem heimischen Kommunikationskreis vergegenwärtigten den Papst193. Die Romfahrt und vor allem ihr Höhepunkt, die Audienz, begannen auch sonst im Eisenbahnzeitalter zunehmend eine Rolle 136 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

zu spielen: Bischöfe gaben das Beispiel194, der Pfarrklerus folgte und warb seinerseits in den Gemeinden für eine Pilgerfahrt, auf die man oft jahrelang sparte und die als religiöses und touristisches Schlüsselerlebnis zugleich in ihrer lebenslangen Nachwirkung kaum überschätzt werden kann. In einer besonders intensiven Form gewann das Romerlebnis Bedeutung in der Kirche durch die steigende Zahl der in Rom ausgebildeten ›Germaniker‹ im Klerus. Sie stellten mit ihrer weltanschaulichen, theologischen und pastoralen Haltung ein hoch effizientes päpstliches Autoritätspotential und Sozialisationskader dar. Anhand der ›römischen Frage‹ wurde um den Papst mit einer bisher nicht erreichten Eindringlichkeit die universale katholische civitas mental integriert und, da die Solidarität der Monarchen mit dem Papst unverbindlich wurde, zur Loyalität für diesen mobilisiert. Rom suchte seine Stellung nun zunehmend durch gesellschaftliche statt durch politische Macht zu fundieren. Das bedeutete jedoch keine Entwicklung zur christlichen Demokratie im Sinne des katholischen Liberalismus Lamennais'. Rom setzte die ›breite Bevölkerung‹ für den kurialen Absolutismus und seine politischen Ansprüche in einer Zeit ein, in der die alte Machtbasis des Papsttums schwand. Zwar stärkte diese Mobilisierung der ›kleinen Leute‹, indem sie die Fähigkeit zu und das Streben nach Kommunikation und Engagement ganz allgemein steigerte, deren eigenes politisches Gewicht und wirkte damit indirekt für eine Demokratisierung. Aber dieser Prozeß war nicht das Ziel der Papstkirche, sondern eine Folge, die sich schließlich zum Teil gegen den Auslöser kehrte: im ökonomischen und sozialen Wandel konnte sich die formale Prägung von ihrem Inhalt lösen und säkularen Ideologien dienen. 4.4.3. Der Aufbau einer kirchlichen Öffentlichkeit Den Zusammenhalt der kirchenverbundenen katholischen Bevölkerung verdichteten auch mehrere kirchliche Nebenorganisationen. Sie folgten noch dem alten Typ der religiösen Korporation, bezweckten aber neben der Devotion die materielle Förderung aufwendiger kirchlicher Aufgaben. Das waren der schon 1838 gegründete Ludwig-Missions-Verein195, der zu Schutz und Pflege der ›Heiligen Stätten‹ und zur Unterstützung der Jerusalempilger errichtete Verein vom heiligen Grab 196 , der Kindheit Jesu-Verein197 und der jeweilige Diözesanverein zum Unterhalt der Priesterseminare198, durch den vom Prestige des Klerus auch ein Schimmer auf Bauers- und Handwerkersfrauen fiel und ihnen das Bewußtsein eines besonderen religiösen Verdienstes gab. Missionsvereine machten den universalen Horizont der Kirche bewußt, Vinzenz- und Elisabethen-Vereine pflegten die Tradition der Laien-Caritas zugleich mit erheblichem Kirchlichkeitseffekt199. Zu diesem konstanten Einfluß im lokalen und regionalen Bereich kam in regelmäßigen Abständen einer, der von einem Ort aus in konzentrischen 137 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Kreisen in die katholische Bevölkerung Deutschlands wirkte: die des seit 1848 (meist) jährlich abgehaltenen Katholikentages200. Er diente zwar in erster Linie der Selbstdarstellung der ultramontanen Bewegung, die vor allem eine Kleriker- und Honoratiorenbewegung war. Auf den Versammlungen institutionalisierte die Elite des deutschen Katholizismus neben der Amtskirche eine Öffentlichkeit, die ›moderne‹ Formen mit der überkommenen kirchlich verfaßten Religiosität höchst effizient verband, wenn parlamentarischer Stil perfekt praktiziert wurde und zugleich die Tagungen mit Gebeten begannen, Redner mit einem ›Gelobt sei Jesus Christus‹ einleiteten und Tausende mit ihrem ›Amen‹ antworteten. Die Katholikentage bestimmten und koordinierten die Grundlinien des katholischen Vereinswesens, der Publizistik, der karitativen und der Bildungsarbeit201, suchten Volksfrömmigkeit und Sakralkunst einheitlich zu fördern und nahmen Stellung zu politischen, sozialen, kulturellen Problemen, wo sich die Kirche aufgrund ihrer Rechtsstellung zurückhalten mußte. Diese regelmäßige Standortbestimmung der katholischen Bewegung wurde auch den ›kleinen Leuten‹ vermittelt durch die ultramontane Presse, die im Wirtshaus, in der Eisenbahn und auch in den Häusern selbst kursierte202, und durch die Teilnehmer, vor allem die Pfarrgeistlichen203. Da die Priester und Laien, die die Breitenumsetzung hauptsächlich leisteten, überproportional aus der jeweiligen Region um den Tagungsort kamen204, entfalteten die in oder nahe Bayern abgehaltenen Katholikentage205 eine besondere Wirkung. Vor allem aus der jeweiligen Diözese beteiligten sich ein großer Teil des Klerus und viele Laien aus allen Schichten206. In der Tagungsstadt und ihrer Umgebung selbst erlebte die gesamte Bevölkerung die attraktive Repräsentation der organisierten katholischen Öffentlichkeit, die die Tagung umrahmte: Empfangs- und Abschiedsfeste in den größten Sälen und Biergärten mit Festillumination und Chören207, feierliche Pontifikalämter, Missionspredigten mit Massenkommunionen, Festzüge und Wallfahrten208. Lang wirkende Loyalitätsimpulse für die Papstkirche und ihren Religiositätsstil gaben auch die katholischen Bezirksversammlungen, deren Einzugsbereich eine Region oder Gesamtbayern war und die deshalb spezifischer, d.h. auf die jeweiligen sozialen und mentalen Bedingungen eines begrenzten Raumes bezogen beeinflussen konnten. Insgesamt repräsentierten und orientierten die Katholikenversammlungen - neben der statischen Kirche, die auf den sozialen Wandel nur schwerfällig reagierte - eine flexible, durch Laien vielfältig in die Gesellschaft eingebundene Organisation und vollzogen eine streitbare katholische Öffentlichkeit. U. a. ermöglichte diese Adaption liberaler Kommunikationsmuster an den in der Kirche überlieferten Typ schichtenübergreifender Massenveranstaltungen den Ultramontanen seit 1848, der liberalen Öffentlichkeit Widerpart zu bieten. Sie konnten deren Siegeszug im Bildungs- und Besitzbürgertum bremsen und ihr Vordringen in die gewerbliche und agrarische Bevölkerung unterlaufen. Auf den Katholikentagen traten die Kräfte des Katholizismus ins Rampenlicht, mit denen die Kirche ihre tradierten Beeinflussungsformen 138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

- Kult, Predigt, Katechese- zeitgemäß zu ergänzen und gegen den säkularen ›Zeitgeist‹ abzuschirmen suchte. 4.4.4. Die Kirche in der Gesellschaft: Expansion, Kooperation, Konkurrenz Beim Ausbruch der Revolution hatte die Kirchenführung dem Klerus jede Teilnahme an der »öffentlichen Aufregung« verboten209, sich auf die Seite der alten Ordnung gestellt und die Priester verpflichtet, entschieden für »die für das Wohl des Vaterlandes so folgenreiche Festhaltung conservativer Grundsätze« einzutreten210. Sie setzte dem Streben nach gesellschaftlicher und politischer Freiheit als »wahre Freiheit« die ›innere‹, die ethische Befreiung von der Sünde durch Gehorsam gegen Gott und durch die kirchlichen Gnadenmittel entgegen, legitimierte Herrschaftsform und Menschenbild der christlichen Monarchie211. Die Kirche forderte dafür allerdings eine Abkehr vom ›modernen‹ Etatismus zugunsten der alten Freiheit der Kirche212. Die Pfarrer agierten in ihren Gemeinden gegen ›Freiheitsschwindel‹ und ›Volksverführungs‹, gegen radikale Blätter, Märzvereine und Arbeitervereine213. Sie trieben häufig die politische Mobilisierung traditionsorientierter Gruppen durch den Verein für konstitutionelle Monarchie und religiöse Freiheit an, in dem sich nach liberalem Organisationsmodell der entstehende katholische Konservativismus formierte: ». . . die katholische Kirche, welche die treueste Anhänglichkeit und den gewissenhaftesten Gehorsam der Unterthanen gegen die weltliche Obrigkeit lehrt, und daher die festeste Stütze aller Ordnung auf Erden ist« 214 . Dieser pastorale Einfluß blieb nach der Revolution ein konstituierendes Element der Vorbeugung gegen den ›Umsturz‹. Von der Kanzel wurde der Bevölkerung nach wie vor das ständische Leit-»Bild eines guten Hausvaters« eingeübt: Genügsamkeit und Pflichterfüllung im gottverordneten Stand und Gehorsam gegen den Landesvater als Gehorsam gegen den göttlichen Vater 215 . Arbeitsfleiß und Verzicht auf Reichtum und äußere Ehren, als religiöses Verdienst im Jenseits kompensiert, bestimmten den Alltag 216 . Mit bewegten Klagen über ihre Trägheit, Genußsucht und Anmaßung wurden vor allem Gesellen, Dienstboten und Arbeiter zu Gehorsam, Fleiß und schlichtem Lebenswandel verpflichtet217. Die Pfarrer warnten vor der liberalen Presse218, vor ›zersetzenden‹ Büchern, Personen und Organisationen, die das moralische und soziale Chaos schürten. Sie stellten die »hl. Lehre« der Kirche als »die beste und höchste Aufklärung« dagegen und ermahnten zum fleißigen Gebet219. Dieses Leitbild von den »Dienstboten Gottes«220 führte direkt zum Leitbild des Untertanen. Die anthropologische Grundlage gab das Bild vom nichtswürdigen Sünder, das mit dem Reue- und Demutsappell den Gemeinden so drastisch wie seit dem Barock nicht mehr eingeübt wurde. Die versöhnliche Stimmung um 139 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

einen milden Christus, die aus der katholischen Aufklärung noch in die frühe Restauration gewirkt hatte, wich seit der Jahrhundertmitte der Sündenpredigt 221 mit ihrem alttestamentarisch strafenden Gott und der steten Beschwörung der ›letzten Dinge‹ - Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Der romanische Religiositätsstil, den Redemptoristen, Kapuziner, Jesuiten in ihren Missionen einsetzten und der mit seiner düsteren Zeitkritik und seinen glühenden Bildern von Fegefeuer und ewiger Verdammnis nun die Kanzel eroberte222, trug seinen Teil zur Vermittlung patriarchalischer und quietistischer Verhaltensmuster bei. Für die Jugend speziell wirkte noch die Katechese in Schule und Christenlehre. Die weltliche Obrigkeit trat »als Dienerin Gottes« mit einem rigorosen Gehorsamsanspruch auf, der in der Forderung gipfelte, »eher alles zu ertragen als Aufruhr zu stiften«, diesen direkten Weg »in das schrecklichste Verderben«. Als Exempel dafür diente vor allem die Französische Revolution223. Auch die Gebet- und Erbauungsbücher, die zumal auf dem Land in der Familie noch immer das wichtigste religiöse Medium neben dem durch Mitahmung tradierten Ritual des christlichen Hauses waren, prägte der skizzierte Religiositätsstil, samt seinen politischen Implikationen, um 224 . Neben der allgemeinen pastoralen Beeinflussung225 übten die Pfarrer eine spezielle auf bestimmte Gruppen, bei bestimmten Devianzen und bestimmten politischen Ereignissen aus. Sie betreuten z.B. intensiv die nach der Erfahrung von 1848 für Unruhe und Normabweichung besonders anfälligen beurlaubten Soldaten226. Sie sollten im Dorf gegen die Übernahme städtischer Kleidermoden, d.h. gegen die Zeichen eines »hochmüthigen Emancipationsdünkels« und für die einer traditionsorientierten, standesgemäßen und patriotischen Lebensform eintreten227. Bei Landtagswahlen hatten sie konservative Kandidaten auf der Kanzel, im Gespräch mit der Bevölkerung und durch ihr Gebet zu unterstützen228, in außen- oder innenpolitischen Krisenzeiten - wie z.B. 1859 - Erregung und Autoritätsverfall zu dämpfen und ihre »Gemeinden auf ihre Pflichten gegen König, das angestammte Regentenhaus und Vaterland aufmerksam zu machen und dieselben zum willigen Gehorsam gegen die bestehende gesetzliche Ordnung und Obrigkeit zu ermahnen«229. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts griff der Einfluß des Klerus über die konventionellen kirchlichen Mittel hinaus. Die Kirche erkannte rasch die Chancen der gesellschaftlichen Selbstorganisationsform Verein. Neben den erwähnten religiösen Vereinen, die die Tradition der Bruderschaften fortsetzten, entstanden vor allem im Arbeitsbereich Vereine, die nach liberalem und demokratischem Vorbild zumal die junge Generation über eine berufsspezifische Solidarisierung prägen und leiten sollten. Die Aushöhlung der ständischen Ordnung durch neue Gruppen und Lebensformen provozierte die Kirche, offensiv gegen die Mobilisierung der Gesellschaft durch ihre ideologischen Gegner aufzutreten: sie mobilisierte und organisierte ihrerseits für ihr Weltbild und ihre Werte und Normen. Damit begann - ähnlich wie 140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

durch die Piusvereine und die Katholikentage - eine tiefgreifende Veränderung der Tätigkeit der Kirche. Nachdem wachsende Teile der Gesellschaft nicht mehr gewohnheitsmäßig in die Kirche kamen, errichtete diese nach gesellschaftlichen Kategorien Hilfsorganisationen in den Gruppen, die ihr zu entgleiten drohten. Da sie auch in dem ihr vom Staat gelassenen Wirkungsfeld, im Bereich allgemeinster Weltinterpretation zusehends ihr Monopol bei den ›kleinen Leuten‹ verlor, mußte sie sich dem weltanschaulichen Pluralismus stellen und dazu neue Kommunikationswege beschreiten und Sozialisationsmittel einsetzen. Diese gab nicht mehr sie der Gesellschaft vor, sondern die Gesellschaft der Kirche. Damit erweiterte sich das Tätigkeitsfeld des Pfarrklerus rasch über den gewohnten Bereich hinaus zu einer neuartigen sozialen Führungsrolle im immer schärferen Kampf um das Denken, Fühlen und Handeln der ›kleinen Leute‹ 230 . Langfristig freilich begann sich diese mobilisierte Gesellschaft auch der Leitung durch die Kirche als einer ›Bevormundung‹ zu entziehen, gelangte zu einem Selbstbewußtsein, das zur Selbstbestimmung drängte. Da die Kirche aufgrund ihrer über tausendjährigen hierarchischen und dogmatischen Struktur diesem Trend lange widerstrebte, sollte damit ihre Verfügungsgewalt über die Gesellschaft schrumpfen. Die Ansätze zu dieser erst im 20. Jahrhunden voll entfalteten Entwicklung liegen bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Vereinsarbeit standen die zunächst 1849 vom Kölner Domvikar Kolping231 angeregten katholischen Gesellenvereine232. Da sie der politischen und sozialen Ordnung der Reaktion im Grundsatz nicht widersprachen, überstanden sie die Verfolgungswelle der frühen 1850er Jahre 233 , der das von der Revolution entbundene Vereinswesen zum großen Teil erlegen war. Ihre Autoritätsstruktur - ein Priester leitete sie als Präses über einem Vorstand aus Gesellen234 - wies die Vereine eindeutig als Hilfsorganisation der Kirche aus. Auch ihr Symbol ließ daran keinen Zweifel: der hl. Josef, Schutzherr der Arbeitswelt, war als Patron in jedem Mitgliedsbuch abgebildet, hing in den Vereinslokalen, wurde bei öffentlichem Auftreten auf der Vereinsfahne vorausgetragen. Das Organisationsziel bestand darin, »die sittliche und religiöse Fortbildung der Gesellen zu fördern und mit geselliger Unterhaltung die Verbreitung nützlicher, für den Gewerbsmann nötiger Kenntnisse zu verbinden«235. So boten die Vereine, in größeren Orten im eigenen Haus, Unterhaltungsabende, Gesang und Ausflüge, allgemein- und berufsbildenden Unterricht, nützliche Lektüre und eine katholische Zeitung; sie unterstützten kranke Gesellen, gaben Durchreisenden preiswerte und saubere Unterkunft und vermittelten Arbeit bei Meistern, die dem christlichen Hausvaterleitbild entsprachen236. Dieses mehrschichtige, von geistlichen Liedern und Gebeten, von Kruzifix, Heiligenbildern und gemeinsamem Kirchenbesuch rituell umrahmte Angebot, das den Gesellen durch Existenzsicherung, berufsfördernde Qualifizierung und soziale, vor allem emotionale Kontakte betreute 237 und diese Leistungen zugleich mit einer lebhaften Erwartung sittlichen 141 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

Lebenswandels und »gewissenhafter Erfüllung der religiösen Pflichten« verband238, gab den Vereinen ihre Wirkung. Denn niemand bot nach dem Abbau bzw. der Auflösung des Zunftwesens und dem Verbot der frühen Arbeitervereine etwas Ähnliches. Die Verbindung religiöser und politischer Attitüden dokumentierte besonders eindringlich etwa die Teilnahme am monarchischen Kult239. Als funktionales Äquivalent der Korporationen des alten Handwerks wirkten die Gesellenvereine mit ihrem Einfluß auch unter nichtkatholischen Gesellen, die, wenn sie in katholischen Gebieten wanderten oder arbeiteten, als Gäste und außerordentliche Mitglieder am Vereinsleben teilnahmen240. Die Vereine erfaßten allerdings nur einen Teil der Gesellen. Viele, die die derbe Wirtshausgeselligkeit aus der Zunft weiterführten und mit einer neuen Ungebundenheit verbanden, verspotteten die Vereine als ›Betbruderschaften‹ 241 und witterten mit dem scharfen Blick sozialer Außenseiter die religiöse Absicht hinter dem Unterhaltungs- und Bildungsangebot. Zahlreiche ältere Gesellen waren 1848-50 Mitglieder der Märzvereine, der demokratischen oder kommunistischen Arbeitervereine, der deutschkatholischen Gemeinden gewesen und hatten einen weltanschaulichen Radikalliberalismus und Vulgärmaterialismus verinnerlicht, der sie von den Kolpingvereinen fernhielt. Andere benützten zwar die Vereine, ließen sich jedoch von ihnen nicht dauerhaft prägen, sondern schlugen bald ihren eigenen Weg ein, wozu sie jedoch gerade die im Kolpingverein vermittelte kognitive Schulung und emotionale Disziplin befähigten. Trotz solcher Einschränkungen war offenbar die Bedeutung der Gesellenvereine für die katholische Kirche in einer von der Desorientierung besonders betroffenen sozialen Gruppe erheblich. Rasch breiteten sich nun auch dieJünglings-undJungfrauenbünde aus, die viel intensiver als die überkommenen Bruderschaften das Leben ihrer Mitglieder über Kultübungen und Devotionshaltungen hinaus umfassend zu prägen suchten (weshalb sie mehr in das ›moderne‹ kirchennahe Vereinswesen als in das alte Korporationswesen gehören). Ihre Zielgruppen, im weltanschaulich empfänglichsten Alter und durch den allmählichen Funktionenverlust des ›Hauses‹ und tradierter lokaler Bünde242 zunehmend sozial und mental freigesetzt, wurden integriert und geprägt durch »Spiele, erheiternde Gesänge, Lektyren, Spaziergänge usw. Erholungen«243, die »Einübung anständiger und erbaulicher Gesänge und Andachtsübungen«, attraktive Feste, z.B. Fahnenweihen, welche mit dem kollektiven Vereinsprestige zugleich das individuelle Selbstgefühl hoben und mit den Vereinszielen besonders identifizierten. Der Bevölkerung demonstrierte die Kirche ihre gesellschaftliche Macht, wenn die Priester diese Vereine unter Gesang und Kirchenfahnen über die Landstraßen zu den Festen benachbarter Vereine, zu Wallfahrten oder Volksmissionen244 führten. Diese eifrige Jugendpflege, dieser Einsatz um den ›Geist‹ der kommenden Generation belebte auch die Jugendfürsorge. Karitative Vereine, die seit jeher soziale Wohlfahrt mit einem mentalen Anspruch gekoppelt hatten, entstanden im Rahmen der kirchlichen Offen142 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

sive in die Gesellschaft in großer Zahl. Vom Klerus geleitet und teilweise von kirchlichem Personal praktiziert und von Bürgern, Behörden, Dynastie finanziert, also im Schnittfeld von Kirche, Staat und Gesellschaft hatten sie die Aufgabe, »verwahrloste . . . Kinder mittels einer christlichen Erziehung zu retten und zu brauchbaren und guten Menschen zu erziehen«245. Mit ihrer präventiven Mobilisierung der ›breiten Bevölkerung‹ erfüllte die katholische Kirche in Bayern eine wichtige patriotische Funktion. Sie übte mit ihrer Autorität Werte, Normen und Leitbilder ein, die den Verhaltenserwartungen der Staatsführung nach der Revolution entsprachen oder eine Grundlage schufen. Zumal im ländlichen Bereich, der mit dem Ende der Kommunikationshektik der Jahre 1848/49 vielfach wieder zur lokal begrenzten Kommunikation mit ihren Alltagsthemen zurückkehrte und von der politischen Presse erst lückenhaft erreicht wurde, war die Kirche der wichtigste Helfer des offiziellen Konservativismus. Doch dieses Zusammenspiel von Staat und Kirche blieb nicht ungetrübt. Sogleich nach der gemeinsamen Überwindung der Revolution forderte der bayerische Episkopat, sich seines politischen Stellenwertes voll bewußt, mit einem Paukenschlag mehr Selbstbestimmung und Kompetenz246. Mit der »Freisinger Denkschrift« von 1850247erreichte das seit den 1820er Jahren außerordentlich gestiegene Selbstbewußtsein der katholischen Kirche in Bayern einen ersten Höhepunkt. Da nur eine freie über »alle ihr von Gott gegebenen Heilmittel«248 verfügenden Kirche dem Umsturz vorbeugen könne, verlangten die Bischöfe eine Revision ihrer Wirkungslage durch gravierende Schritte: Rücknahme der vom Montgelasstaat oktroyierten staatsrechtlichen Beengung und Entfesselung der pastoralen Arbeit durch volle Missionsfreiheit; das gesetzliche Verbot religionsschädlicher profaner Veranstaltungen wie etwa der Kirchweihtänze; eine freie Entwicklung aller kirchlichen Vereine und der Klöster249und eine umfassende Kontrolle über das öffentliche Bildungswesen, vor allem die Volksschule als den »einen Arm der christlichen Kirche«, den ihr der Staat entwunden habe 250 . Die Regierung konnte diesen Angriff auf das Prinzip des Monopolstaats zwar mit einigen Zugeständnissen abschlagen251. Aber der Konflikt schwelte weiter und sollte durch das 1. Vaticanum neu entfacht werden. Die bayerische Staatsführung verbündete sich nach dem außenpolitischmilitärischen Fiasko des großdeutsch-partikularistischen Traditionskurses 1866 mit dem Nationalliberalismus. Sie privilegierte damit auch eine primär von protestantischem Geist geprägte Öffentlichkeit, die sich in jenen Jahren gerade neue Kreise stürmisch erschloß. Da sie zugleich ihren gouvernemental-monopolistischen Kurs verschärfte, spitzte sich das Verhältnis zur katholischen Kirche, deren Klerus nun ziemlich homogen romorientiert, antiliberal und konfessionalistisch war, wieder empfindlich zu; das galt zumal in den Diözesen schroffer Kurialisten (Regensburg, Eichstätt, Würzburg). Zunächst war der Konflikt für die breite Bevölkerung durch die Legitimation der weltlichen Herrschaft in Gottesdienst und Religionsunterricht, in Verei143 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

nen und Erbauungsbüchern noch verdeckt. In einer >Doppelstrategie< suchte die Kirche die Monarchie gesellschaftlich zu stabilisieren, weil diese ihre Tradition und Position am besten zu sichern schien, und zugleich innerhalb dieses Staates mit der Berufung auf ihre Universalität eine Sonderstellung zu erreichen. Das zeigte z.B. das nach Adressaten verschiedene Verhalten der deutschen Bischofsversammlung in Würzburg 1848: in einem Hirtenwort stellte sie sich ganz im ›Thron- und Altar‹-Stil vor den Staat, in einer Denkschrift an die Regierung forderte sie dem Staat eine Reihe von Kompetenzen ab 252 . Der militärisch-politisch und gesellschaftlich erfolgreiche Nationalismus, der vor allem in den größeren Städten die Öffentlichkeit beherrschte, bedrängte auch engagierte Katholiken so, daß nicht wenige in den späten 1860er Jahren in ihrem Widerstand resignierten. Sie arrangierten sich mit einem politischen Bekenntnis, für das die historische Stunde zu sprechen schien253. Diese Bürger und Kleinbürger in Städten und Märkten blieben zwar praktizierende Katholiken254und damit im Einfluß der Kirche. Aber er verengte sich auf die Religiosität, neben der andere, selbständige Einstellungs- und Verhaltensbereiche entstanden. Gerade die nationalliberale Ideologie konstituierte in den 1860er Jahren - aufbauend auf den wiederbelebten Ansätzen von 1848 - i m breiten Bürgertum politisches Bewußtsein als eine eigene, von Religion und Kirche gelöste Dimension. Eine kleine Minderheit wurde durch diese Politisierung sogar der Kirche völlig entfremdet; sie trat neben die alten aufgeklärten Indifferenten, die »Kirchenscheuen« aus sozialer Entwurzelung und die Lohnabhängigen, die erzwungene oder gesuchte Sonntagsarbeit der Kirche entwöhnte255. Ein nicht geringer Teil des Bürgertums blieb allerdings gegen die nationalliberale Ideologie immun und politisierte sich im Umkreis der Kirche. Bei weltanschaulich konsequent katholischen Groß- und Mittelbürgern erweiterte sich die Kirchlichkeit oft rasch in politische Attitüden, im Kleinbürgertum erst allmählich seit dem späten 19. Jahrhundert. Noch zögernder verlief die Politisierung des Katholizismus im Ackerbürgertum der Märkte, das in Lebensformen und Mentalität bereits zur Landbevölkerung überleitete, die vollends von diesem Prozeß nur oberflächlich berührt wurde. Für sie blieb der tradierte Katholizismus, der vom kirchlichen Kult aus über die Volksfrömmigkeit die noch immer dominant hausväterliche Gesellschaft rituell durchdrang, auch nach der Jahrhundertmitte bestimmend. Die Erschütterung der Autoritäten, die erhöhte Anfälligkeit für abweichendes Verhalten, die Virulenz neuer Ideen fernab der Kommunikationszentren seit der Revolution von 1848 lockerte zwar religiöse und moralische Bindungen und steigerte die Sorgen der Pfarrer, deren gewohnte Pastoralmittel häufiger als früher versagten256. Doch blieben das noch Erscheinungen begrenzter sozialer Reichweite und Tiefenwirkung. In den Dorfpfarrkirchen war der sonntägliche Gottesdienstbesuch nach wie vor rege; auch die Werktags messen waren gut besucht257. Die Osterbeichte erfaßte praktisch die gesamte Gemeinde258; 144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

wenn man außerhalb von wirtschaftlichen und sozialen Umbruchzonen fernblieb, war das meist durch ein subjektives Minderwertigkeitsgefühl etwa wegen fehlender Festkleidung - motiviert, also kein Zeichen des Protests, sondern gerade der Anerkennung der Gruppennormen. Auch während des Jahres gingen die meisten mehrfach zur Beichte und Kommunion. Vor allem die Mitglieder religiöser Vereine, zumal der Jünglings- und Jungfrauenbünde, also der Kerngemeinde der Zukunft, kommunizierten bereits nach päpstlicher Empfehlung jeden Sonntag259. Die Landtagswahl von 1869260 war ein deutliches Symptom der umfassenden ›Kirchentreue‹ der katholischen Landbevölkerung gegen Liberalismus und Nationalismus, ein vorweggenommenes Loyalitätsvotum für den Papst gegen den deutschen Kaiser. Das gilt vor allem für die ländliche Bevölkerung Altbayerns und großenteils Schwabens, während in Franken die traditionelle deutsche Orientierung auch des katholischen Bürgertums von den enger verteilten städtischen Kommunikationszentren in die Dörfer strahlte und das von der Konfession bestimmte bäuerliche Weltbild teilweise überlagerte261. Noch mehr traf das für die Pfalz zu, in der die Nation als Horizont des Bürgertums durch dessen soziokulturelle Herrschaft auch im Denken und Fühlen der katholischen Landbevölkerung besonders präsent war. Im rechtsrheinischen Bayern schwächte die insgesamt starke römische Loyalität der ›breiten Bevölkerung‹ die Position des Staates, als dieser sich Ende der 1860er Jahre auf einen national-liberalen Kurs festlegte. Die katholische Integration seit dem späten Vormärz wirkte so für ihn zwiespältig. Einerseits war die gefestigte kirchliche Bindung der ›kleinen Leute‹ eine entscheidende Voraussetzung der politischen Ruhe; andererseits entfremdete diese Kirchlichkeit, als ihr Stil in weltanschaulichen Gegensatz zur Staatsführung geriet, einen großen Teil der Bevölkerung dem Staat. Langfristig gesehen begann bereits vor der Reichsgründung eine Entwicklung, die unter der Oberfläche der öffentlich zelebrierten ›Thron und Altar‹-Loyalität auch im ›katholischsten‹ Staat des Reiches die kirchenverbundene Bevölkerung in Distanz zu Staat und Dynastie brachte - trotz deren ausgeprägt katholischem Traditionsprofil. Diese Spannung blieb latent, solange die politische und soziale Ordnung relativ stabil war. Als sie in eine äußere und innere Krise geriet, sollte sich die Entfremdung rasch zur Gleichgültigkeit steigern.

4.5. Der Sieg der Neuorthodoxie in der protestantischen Kirche 4.5.1. Pastoraler Restrationalismus und lutherischer Purismus Die Restauration des bayerischen Protestantismus im Geist des konfessionellen Luthertums setzte sich nach der Jahrhundertmitte voll durch. Denn sie eroberte die organisatorische wie die theologische Spitze der Landeskirche 145 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35709-6

für Jahrzehnte. 1852 wurde Adolf Harleß 262 - als erster Theologe 263 - zum Präsidenten des Oberkonsistoriums berufen und prägte ein Vierteljahrhundert lang die Landeskirche in einem so ungewöhnlichen Maß, daß man von einer >Ära Harleß< sprechen muß. Die Erlanger Fakultät formte die künftigen Pfarrer264 in diesen Jahrzehnten im Geist der imposant geschlossenen sog. Erlanger Theologie265, die im deutschen Protestantismus der zweiten Jahrhunderthälfte die lutherische Neuorthodoxie am wirkungsvollsten vertrat und ihr in Bayern bis weit ins 20. Jahrhundert die Herrschaft sicherte266. Schon kurz nach dem Amtsantritt Harleß' gab eine Generalsynode dem von Oberkonsistorium und Fakultät gesetzten Programm entscheidende pastorale Realisierungsmittel267; weitere Maßnahmen folgten in den nächsten Jahren. Das konfessionelle Luthertum wurde durch formal und inhaltlich spezifische Muster durchgreifend zur Norm von Lehre, Kult und Gemeindeleben. Besonders wirksam, weil Vehikel des sensuell und emotional attraktivsten Teils der Liturgie und durch häufige Wiederholung stets präsenter religiöser >Besitzgefallenen< Mädchen LkAN Kons. Bayr. 4214 III. - Ebd. betr. Pfarrbibliothek. Erste Versuche von Pfarrern, durch eine kleine Volksbücherei »das Haschen nach Leetüre schlechter Bücher zu verdrängen« (OKons. 29.3.1844, LkAN OKM 1712), gab es bereits im Vormärz. - Den Wandel des pastoralen Selbstverständnisses und der Religiositätserwartung zeigt ein Vergleich der Pfarrbeschreibungen von 1833 und 1864 (d. h. der Akten LkAN Kons. Ansb. und Kons. Bayr.). 285 Z. B. A. H. Ullmann, Christlicher Haussegen. Eine Sammlung christlicher Morgen-und Abendgebete, Nürnberg 1843; J . S. Sondermann, Christlicher Haussegen in ausgewählten Morgen- und Abendgebeten, Nürnberg 18441, 18554. Neben Hausbibel und Gebetbuch stand die populäre Predigtsammlung, z.B. Ch.Ph. Brandt, Predigtbuch über die Sonn- und Festtags-Evangelien zur Beförderung der häuslichen Andacht, Nürnberg 18617 (»für den schlichten Bürger und Landmann berechnet«, bis zur 6. Aufl. bereits in 180 000 Exemplaren verbreitet (S.

VII)).

286 Höhepunkte waren vor allem die Reformationspredigten (Dittmar, S. 915ff.; Brandt, S. 742). WeiterDittmar, S. 821 f., 937f., 978ff.; Brandt, S. 725ff.; vgl. auch LkAN Kons. Bayr. 4214 III. 287 Pfarrbeschr. 1864, passim. 288 Zu einem der wenigen Fälle gescheiterter Integration nach der Jahrhundertmitte, dem des biblizistischen Chiliasten G.Ch. Cloeter, vgl. F.W. Kantzenbach, Zwei kirchliche Fälle im 19. lahrhundert, in: ZbKG, Bd. 36, 1967, S. 66-79. 289 Die Kirchengeschichtsschreibung übertreibt jedoch, wenn sie die 2. Hälfte des 19. Jhs. zur ›Löhe-Epoche‹ personalisiert. 290 W. Löhe 1808-1872, Kaufmannssohn aus Fürth, Studium Theologie Erlangen (dort wie viele seiner Generation von Krafft geprägt) und Berlin, 1831 Vikar Kirchenlamitz, 1837 Pfarrer Neuendettelsau, dort ab 1841 Ausbildung von Missionspredigern und -lehrern, 1854 Gründung einer Diakonissenanstalt, an die sich Anstalten für Geisteskranke, Asoziale, Mädchenbildung anschlossen (J. Deinzer, Wilhelm Löhes Leben aus seinem schriftlichen Nachlaß zusammengestellt, 3 Bde., Nürnberg 1873-1880; Kantzenbach, Evangelischer Geist, S. 158 ff.). 291 W. Löhe, Drei Bücher von der Kirche, 1845, Neudr. Berlin 1947 S. 93, 160. In dieser grundlegenden Schrift behauptet Löhe kompromißlos die prinzipielle Überlegenheit des Luthertums. 292 Ein Anhänger ging bis zu der Forderung, luth. Soldaten, die während ihrer Dienstzeit in der Pfalz an einer unierten Abendmahlsfeier teilgenommen hatten, vom Abendmahl auszuschließen (Simon, Kirchengeschichte, S. 638). 293 Löhe, Bücher, S. 178. Der Beichtstuhl war ihm »das Zentrum der Seelsorge« (ebd., S. 175). 294 Wenngleich Harleß vor seiner Berufung an die Spitze der Landeskirche für Löhe vermittelt hatte, war er als Präsident weder theologisch bereit noch in seinem Amt in der Lage, dem Maximalprogramm Löhes zu folgen, für den die Organisation Kirche ganz hinter der ›wahren‹ Verkündigungs- und Sakramentsinstitution zurücktrat (ebd., S. 71 ff.). - Eine gewisse Entlastung brachte die schrittweise Verselbständigung der reformierten Gemeinden im rechtsrhein. Bayern, was die de-facto-Union auf die Oberaufsicht beschränkte (Haas, S. 54ff.). 295 Konflikte gab es jedoch weiterhin, z. B. OKE 4.5. 1861 betr. Verein für Innere Mission, in: Amts-Handbuch 1883, Bd. 4, S. 438. 296 Zu Arbeit und Lebensform der Diakonissen z. B. G. Schlichting, Neuendettelsauer Diakonissen in Reeensbure, in: ZbKG, Bd. 32, 1963, S. 348-364. 297 Sein Leitbild der christlichen Frau gibt Löhe mit dem idealisierten Bild seiner eigenen früh verstorbenen Frau (W. Löhe, Lebenslauf einer heiligen Magd Gottes aus dem Pfarrstande, Neuendettelsau 1928).

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Anmerkungen von Seite 150-153 298 Zum Moralismus des jungen Löhe LkAN Kons. Bayr. 1199 I; zu seiner neuorthodoxen Norm für Predigt, Liturgie und Kirchengesang Löhe, Bücher, S. 169, 179ff. 299 50. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München 1897/1898, S. 8, LkAN OKM 2700.Allg. zur Haltung des Protestantismus zur sozialen Frage W. O. Sbanaban, Der deutsche Protestantismus vor der sozialen Frage 1815-1871, München 1962 (amerik. Orig. o.J.); G. Brakelmann, Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, T. 2: Die evangelisch-soziale und die katholischsoziale Bewegung, Witten 1962; ders., Kirche und Sozialismus im 19. Jahrhundert, Witten 1966. 300 Aufruf und Bitte um Liebesgaben zur Errichtung einer evang. Handwerkerherberge in München 1869, ebd. 301 Nach wie vor galten die Maximen, wie sie z. B. J . G. Kelber, Biblischer Rathgeber für Dienstboten, Nürnberg 1839 verbreitet hatte. 302 Der älteste bayer. Verein war der 1847/1849 in München gegründete. Im späten 19. Jh. bestanden 63 Vereine (50. JBer., LkAN OKM 2700). 303 Bericht d. Evang. Handwerkervereins München über seine Herberge zur Heimat 1884, ebd. 304 Bericht . . . Herberge 1884, S. 3; 50. JBer., S. 6, 12; Aufruf und Bitte 1869; 35. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München 1882/1883, alle ebd. 305 Bericht. . . Herberge 1884, S. 4. 306 Ebd., S. 2; 35. JBer. 307 Bericht. . . Herberge 1884, S. 3f.; 50. JBer., S. 10. 308 Anfangs wurde der Münchner Verein von Theologie-Kandidaten betreut, dann war meist der Stadtvikar Vorstand (50. JBer.)· Zum Herbergsvater Bericht . . . Herberge 1884, S. 5; zum Ausschuß Aufruf und Bitte 1869 und 50. JBer., S. 7. 309 Z.B. 2. JBer. d. Vereins für Erwerbung einer Gehilfen- und Fabrikarbeiterherberge Nürnberg 1872/1873, S. 3 ff. und Aufruf und Bitte um Liebesgaben zur Errichtung einer Gehilfen- und Fabrikarbeiter-Herberge Nürnberg 1872, beide LkAN OKM 2206. 310 Der Münchner Verein kämpfte von Anfang an gegen die »kommunistischen Vereinigungen . . ., deren Endziel die Verbreitung des politischen und religiösen Radikalismus war« (50. JBer., S. 8), in dem »für das ganze künftige Leben entscheidenden Lebensalter« (Aufruf und Bitte 1872). 311 Statuten, zit. nach 50. JBer., S. 10; Bericht. . . Herberge 1884, S. 3f. 312 Hinweise in LkAN Pfarrbeschr. 1910. 313 Die festen Vereinsmitglieder (in München in den 1860ern ca. 200 [50. JBer., S. 10]) waren nur zum Teil Arbeitnehmer, sonst Meister und Förderer; die Teilnehmerzahl der Veranstaltungen ist nicht greifbar. Ständig in der Herberge wohnten z. B. inNürnberg 1873/18748, Kostgänger kamen täglich 8-30 (2. JBer., S. 5), 1510 durchwandernde Gesellen übernachteten durchschnittlich 1,4 Nächte, in München 1882/1883 5112, 1883/1884 5123 mit durchschnittlich 3,3 Nächten (2. JBer.; 35. JBer.; Bericht. . . Herberge 1884). 314 Der Nürnberger Herbergsvorstand 1874; 2 Geistliche, 2 Fabrikanten, 3 Kaufleute, 1 Advokat, 1 Lehrer, 1 liberaler Abgeordneter, 1 Museumsvorstand, 1 Baurat, 2 Adelige (2. JBer.). 315 Z.B. 50. JBer., S. 11; 35. JBer. 316 Z.B. LkAN Kons. Ansb. 4611 IIa, 4720 II; Kons. Bayr. 1199 IL 317 Z.B. Brandt, Predigtbuch, S. 545. 318 Ebd. S. 513ff., 544, 666; A. Burger, Zwei Predigten . . . in der protestantischen Stadtpfarrkirche zu München, München 1854 (anl. einer Epidemie Aufruf zu Buße, »besserer Zucht, besserer Ordnung«) (vgl. H. Burger. August von Burger, in: Lebensläufe aus Franken, Bd. 6, München I960, S. 54ff.);C. Pren, Predigt nach der Überschwemmung Immenstadts, Kempten 1873;Dittmar, S. 561f., 664; Gesangbuch 1854, Nr. 449. 319 Z.B. ebd., Abt. 5, passim. 320 Bezeichnend z.B. die Norm, daß Ehegatten das Abendmahl gemeinsam empfangen

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Anmerkungen von Seite 153-155 mußten (OKE 6.2.1847, in: Amts-Handbuch 1862/1863, Bd. 2, S. 497);Brandt, Predigtbuch, S. 696. 321 Löhe, Lebenslauf 322 Z.B. PfA Kempten - Diözesansynode Kempten 8.10.1850 und Oberkons. - Kons. Ansb. 30.5.1851, LkAN OKM 1802. 323 1864 arbeiteten in Bayern ζ. Β. 24 Ziegelmeister mit 404 Arbeitern aus Lippe (Fürstlich Lippesches Kons. - Oberkons. München Juni 1864, LkAN OKM 2162 e). 324 BA Kitzingen - Reg. UFr. 17.2.1863, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 1749. 325 Z. B. LkAN Kons. Bayr. 4214 II (Ende des Rationalismus durch Pfarrerwechsel schon 1825). 326 Z. B. LkAN Kons. Β\?\.ητ. 4214 III, 2651 II. 327 Ebd. Kons. Bayr. 4214 III, 1939 II, 2651 II; Kons. Ansb. 4475 II. Der sonntägliche Hauptgottesdienst wurde - wenn nicht Markt war - von der Mehrzahl auch bei schlechtem Wetter und weiten Wegen besucht; in einer Frankenwaldgemeinde ruhte während des Hauptgottesdienstes die gesamte Flößerei, von der die meisten lebten. - Zum Abendmahl ging die Mehrzahl wenigstens einmal, viele zweimal im Jahr. Die Frequenz schwankte - abhängig von mehreren Variablen (Lokalbrauch, Wirtschafts- und Arbeitsformen, Verhalten des Pfarrers, evt. Vorbildverhalten des adeligen Patrons) zwischen 50 und 170%, jeweils meist mit Konstanz oder steigender Tendenz, z. B. Jahresdurchschnitt in einem Diasporamarkt NBy. 1823-32 1855-64

Weinbauerndorf UFr. 115% 133%

1827-36 1853-62

97% 132%

Agrardorf MFr. 1836-40 1851-55 1861-65

Markt MFr. 136% 120% 133%

1861-66

168%

(LkAN Kons. Bayr. 4214 I, III, 2651 I, II; Kons. Ansb. 4475 II; Pfarrbeschr. Münchsteinach). 328 Kons. Bayr. 4214 II, III. 329 Ebd., Kons. Ansb. 4475 II, 4617 II; Kons. Bayr. 1939 II. 330 Kons. Bayr. 2651 II, 4214 III, 1939 II; Kons. Ansb. 4475 II, 4479 IL Verbreitet waren besonders die Missionsblätter aus Nürnberg und aus Calw (Württemberg). 331 Z.B. LkAN Kons. Bayr. 2651 II. 332 Ζ. Β. geriet der Markt Langenzenn in den Sog des Nürnberg-Fürther Raumes (Symptom u.a. relativ niedrige Abendmahlszahl: 1855-1864 79% (Kons. Ansb. 4617 II)). 333 Z.B. Kons. Bayr. 2097 II. 334 Kons. Bayr. 1199 II zur Entsittlichung bei Steinbrucharbeitern durch hohen Schnapskonsum (vor allem im Winter). 335 LkAN Dek. Fürth 24 I; auch Pfarrbeschr. Fürth-Poppenreuth. 336 Z. B. das bis ins späte 19. Jh. abseits liegende, in reichsstädtischer Würde erstarrte, in konfessioneller Insellage isolierte Memmingen. Die nie stark gesunkene Kirchlichkeit aller Schichten (Abendmahlsfrequenz 1833-1844 durchschnittlich 133%) erreichte einen neuen Höhepunkt (143%), die tradierte Moral galt noch durchwegs (LkAN Kons. Ansb. 4930 II, 4931 II). - Ähnlich, allerdings mit einem durch die rationalistische Ausstrahlung der Universität im späten 18. Jh. niedrigeren Ausgangsniveau, Altdorf: 1821-1830 90%, 1831-1840 86%, 1861-1870 91% (LkAN Pfarrbeschr. Altdorf). 337 Kons. Ansb. 4930 II, 4931 IL 338 Markant in Ansbach, der Regierungshauptstadt von Mittelfranken (Kons. Ansb. 4471 II).

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Anmerkungen von Seite 155-158 339 Abendmahlsfrequenz 1834-1843 44%, 1854-1864 68% (ebd. I, II) 340 Kons. Ansb. 4471 II. 341 Kons. Ansb. 4714 II, 4720 II, 4887 II, 4888 II. 342 Man engagierte sich für Kinderbewahranstalten, Krankenfürsorge, Gesellenunterstützung, Heidenmission (z. B. Kons. Ansb. 4720 II). 343 In Nürnberg änderte sich die Lage besonders dadurch, daß ein starker kath. Zuzug aus OPf. und OFr. die prot. Stadt zu einer konfessionell gemischten machte: Protestanten sahen ungewohnte Verhaltensformen, die ihre Religosität relativierten, Katholiken fanden in einer fremden Umgebung nur ungenügende pastorale Betreuung. - Abendmahls zahlen sind in Großstadtgemeinden wegen der ständigen Kommunionsfluktuation zwischen den Gemeinden nur von begrenztem Aussagewert, deuten aber doch die Tendenz an: Nürnberg/St. Sebald 1843 3420, 1853 2406, 1863 2654 Kommunikanten trotz Bevölkerungszunahme; ein Großteil ging nur mehr alle 2-3 Jahre (Kons. Ansb. 4720 II); Augsburg/St. Anna (traditionell hoch) 1833 138, 1854-1863 128% (Kons. Ansb. 4887 II). 345 Ebd. 344 Kons. Ansb. 4720 II. 346 Kons. Ansb. 4611a. - Z. B. wurde das agrarisch-kleingewerbliche Poppenreuth in den Fürther Wirtschaftsraum gezogen, was die Bevölkerung rasch wachsen ließ (prot. Gemeinde 1805 1483, 1855 1662, 1875 2716 Mitgl.); der relative Abendmahlsbesuch sank deutlich, da zwar die eingesessene Bevölkerung kirchenverbunden blieb, die neue Arbeiterbevölkerung aber kirchenfern war oder wurde: 1826-1830 183% 1836-1840 169% 1846-1850 164% 1856-1860 139% 1866-1870 127% 1871-1875 95% (Pfarrbeschr. Fürth-Poppenreuth). 347 Z.B. LkAN Kons. Bayr. 2651 II, 1939 II; Kons. Ansb. 4471 II, 4475 II. 348 Z.B. 1865-1884 Zunahme der prot. Bevölkerung r. d. Rh. um 13%, Abnahme der Kommunikanten um 2% (Kirchenstatistik 1865-1867 und 1881-1884, LkAN OKM 375, 377). 349 Der Frauenanteil war um 1830 in der gesamten Landeskirche (einschließlich Pfalz) um 13-14% höher als der der Männer (Kirchenstatistik 1827-1831, ebd. 373); im einzelnen warder Abstand in Gemeinden mit traditionaler Struktur und hoher Kirchlichkeit geringer (ζ. Β. Kons. Ansb. 4931 I,Kons.Bayr. 1939 1,2651 I:8%,4%,6%), in solchen mit Traditionsschwund und schwacher Kirchlichkeit größer (z.B. Kons. Bayr. 2097 I, Kons. Ansb. 4471 I, 4887 I 16%, 18%, 22%). 1865-1867 lag die Abendmahlsfrequenz der Männer im Landesdurchschnitt (nun ohne Pfalz) 16% unter der der Frauen (OKM 375); in Gemeinden, die in den 1820ern im Landesdurchschnitt gelegen und ihre sozioökonomische Struktur seitdem kaum verändert hatten, war der Abstand nun geringer (z. B. Kons. Bayr. 4214 I, III 14%); traditions geprägte Gemeinden, in denen der Abstand früher unter dem Landesdurchschnitt gelegen hatte, hielten diesen Stand (ζ. Β. Kons. Ansb. 4931 II, 4617 III, 4475 II, Kons. Bayr. 1939 II, 2651 II, 1199 II 14%, 8%, 6%, 14%, 8%, 10%). In Gemeinden mit insgesamt niedrigem Abendmahlsbesuch vergrößerte sich der Abstand zwischen Männern und Frauen (Kons. Bayr. 2097 II, Kons. 4471 II, 4720 II, 4887 II 24%, 24%, 30%, 22%). 350 Z.B. LkAN Kons. Ansb. 1087. Z. B. A. Burger, Reformationspredigt 1848, in: Dtttmar, S. 915ff. 351 Einen auch in der Presse ausgetragenen Konflikt löste z. B. H. W. Huscher mit seiner Reformationspredigt 1848 in Neustadt/Aisch aus (LkAN Kons. Ansb. 1729; Neustädter Wochenblatt 1848, Nr. 37, Beil.). 352 J . C h . Edelmann, Predigt am Reformationsfeste 1850, in: Dittmar, S. 929ff. verwahrte sich dagegen, »die evangelische Freiheit... zu mißbrauchen als Deckmantel der Bosheit«. 353 Z.B. LkAN OKM 1240. 354 »Es ist Pflicht der Religion, . . . zu erhalten, zu vertheidigen wahrhaft, was Gott uns gnädig wiedergab, des Vaterlandes Freiheit« (V. K. Veillodter, Auszüge aus der am 19. Oktober . . . gehaltenen Predigt, in: K. Hoffmann (Hg.), Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel oder Beschreibung wie das . . . Teutsche Volk die . . . Völker- und Rettungsschlacht bei

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Anmerkungen von Seite 158-166 Leipzig . . . 1814 zum erstenmale gefeiert hat, Offenbach 1815, S. 183ff.). Ähnlich Th. F. Lehmus, Predigt nach dem siegreichen Einzug der verbündeten Heere in Paris, Ansbach 1814. Vgl. U. Thürauf, Die öffentliche Meinung im Fürstentum Ansbach-Bayreuth zur Zeit der französischen Revolution und der Freiheitskriege, München 1918, S. 136f. - Zum Zusammenhang von Protestantismus und Nationalismus im antinapoleonischen Krieg O. Dann, Vernunftfrieden und nationaler Krieg. Der Umbruch des Friedensverhaltens des deutschen Bürgertums zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Huber u. Schwerdtfeger, S. 169-224, 198ff. 355 Der theologische und politische Einfluß Schleiermachers etwa war über Erlangen in der frühen bayer. Landeskirche erheblich (Kantzenbach, Theologie, S. 89ff.). 356 Zu dieser Wendung aus »Realismus« und in »christlicher Nüchternheit« P. Schattenmann, P.F. Schattenmann (1826-1896), in: ZbKG, Bd. 35, 1966, S. 78-95. 357 A. Burger z. B. schrieb in seiner Reformationspredigt 1848 das Elend Deutschlands den Gegnern der Reformation zu (Dittmar, S. 922 f.). 358 Simon, Kirchengeschichte, S. 657ff. 359 Vgl. H. A. Winkler, Vom linken zum rechten Nationalismus. Der deutsche Liberalismus in der Krise von 1878/79, in: GG, Bd. 4, 1978, S. 5-28. 360 Prominentester war J . Hofmann, der sich - als Mitgl. des Landtags und publizistisch der Kirchenleitung politisch entfremdete (vgl. Kantzenbach, Theologie, S. 189f.;ders., Johann v. Hofmann und der politische Liberalismus, in: Luth. Monatshefte, Jg. 1965, S. 587-593). 5. Onentierungskonflikte im Kaiserreich 2 Ebd., S. 321 ff. 1 D. Albrecht, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/1, S. 283ff. 3 Überblick bei Zorn, imSpindler, Handbuch, Bd. 4/2, S. 808 ff.; z.B.Fischer, Industrialisierung, sozialer Konflikt und politische Willensbildung in der Stadtgemeinde. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte Augsburgs 1840-1914, Augsburg 1977, S. 25ff.; H. Eckert, Liberal- oder Sozialdemokratie. Frühgeschichte der Nürnberger Arbeiterbewegung, Stuttgart 1968, S. 24 ff.; Blessing, Umwelt, S. 21 ff. 4 Z. B. StAM LRA Pfaffenhofen 2083; StAAmbg Reg. Kdl 13689; StANeubg Reg. 5446. 5 Allaire; z.B. HStAM MInn 54087. 6 Z. B. StAM RA 57791; StAN Reg. Kdl. Abg. 1952, Tit. II, 1702; StANeubg Reg. 5464. 7 Albrecht, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/1, S. 283ff.; Möckl, Prinz regen ten zeit, S. 41 ff.; Grasser, S. 112 ff. 8 Möckl, S. 292ff. - Die Ende der 1880er Jahre noch einmal aufflammenden kirchenpolitischen Auseinandersetzungen unterbrachen den Haupttrend lediglich vorübergehend. 9 Reble, imSpindler, Handbuch, Bd. 4/2, S. 966 ff.;Schmid u. Schmid, Bd. 5'3, S. 208-255. 10 Z.B. Lehrplan für die Volksschulen Niederbayerns, München 1872, S. 109. 11 Deutsches Lesebuch für Mittel- und Oberklassen der Volksschulen, Nürnberg 18905, S. 390. Zu den Lesebüchern Bürger, S. 438ff., 566. 12 Z.B. Lese- und Sprachbuch für die Oberklassen der ungeteilten Schulen, München 18714, S. 23. 13 Z. B. ebd.; L. Solereder, Vaterländisches Lesebuch für die oberen Klassen gehobener Volksschulen, 2 Abtn., München o. J.14 und o. J.9, 2. Abt., S. 40. 14 KM-Regn. 28. 6. 1871, HStAM MK 22821. -Vgl. auch S. Uüwer, Der Geschichtsunterricht in der Volksschule nach den Vorstellungen der bayerischen Regierung und der bayerischen Lehrervereine von der Gründung des Bayerischen Lehrervereins 1861 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Diss. Regensburg 1973. 15 Lehrplan Niederbayern, S. 109. - Die Kreislehrpläne (OBy. 1862, NBy. 1872, OPf. 1869/1878, OFr. 1877, MFr. 1877, UFr. 1870, Schw. 1876, Pf. 1870) ordneten erstmals die Vielfalt lokaler Lehrpläne.

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Anmerkungen von Seite 166-169 16 Z. B. Deutsches Lesebuch 1879 1 82, 5 % ; Lese- und Sprachbuch 85,2%; G. Fischer, Lesebuch für die Mittel- und Oberklassen, München 1880 9 und 1879 8 , 2. T., 83,3%;Solereder, 1. und 2. Abt. 67,5%. 17 Lese- und Sprachbuch, S. 8. 18 Z.B. ebd., S. 18. 19 A. Haesters u. Ph. Röhm, Lehr- und Lesebuch . . . für die Oberklassen der Volksschule, Essen 1877 7 , S. 257; Deutsches Lesebuch 1890 5 , S. 398 (E. Geibel). 20 Z. B. Haesters u. Röhm, S. 198, 259; Lese- und Sprachbuch, S. 199. 21 Ebd., S. 191, 198; Haesters u. Röhm, S. 260. 22 Ebd., S. 280. 23 Z. B. Deutsches Lesebuch 1879 1 (zur regionalen Verbreitung: Ausgabe für evang. Schulen 1896 11., für kath. erst 1910 10. Aufl.); Haesters u. Röhm. 24 Z . B . E.M. Arndt, in: Deutsches Lesebuch 1879 1 . - Vgl. Bosl, Geschichtsauffassung; ders., Slawen. 25 Haesters u. Röhm, S. 285; auch Solereder, 2. Abt., S. 176f. 26 Lese- und Sprachbuch, S. 93. 27 Deutsches Lesebuch 1890 5 , S. 268f.; Solereder, 2. Abt. S. 108. 28 J . G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (Herders Sämtliche Werke, hg. von B. Suphan, Berlin 1877-1913, Bde. 13, 14). Vgl. W. Grawe, Herders Kulturanthropologie. Die Philosophie zur Geschichte der Menschheit im Lichte der modernen Kulturanthropologie, Bonn 1967. 29 Z. B. Fischer, Lesebuch, 2. T . , S. 113. 30 Besonders die Verwüstung der Pfalz »mit hunnischer Grausamkeit« wurde suggestiv beschrieben (Deutsches Lesebuch 1890 5 , S. 333; Lese- und Sprachbuch, S. 134f.). 31 Fischer, Lesebuch, S. 43 f. 32 Haesters u. Röhm, S. 268; Deutsches Lesebuch 1890 5 , S. 392, 400; Lese- und Sprachbuch, S. 197. 33 Z. B. Haesters u. Röhm, S. 259. 34 Z. B. Deutsches Lesebuch 1890 5 , S. 398. 35 E. Ch. Helmreich, Religionsunterricht in Deutschland. Von den Klosterschulen bis heute, Hamburg 1966 (amerik. Orig. 1959) bleibt oberflächlich. 36 Besonders Arndt »Was ist des Deutschen Vaterland?«, Becker »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein«, Maßmann »Ich hab mich ergeben mit Herz und Hand/Dir, Land voll Lieb' und Leben, mein deutsches Vaterland!«, Schneckenburger »Die Wacht am Rhein«, Hofmann v. Fallersleben »Deutschland, Deutschland über Alles.« - Zur Kontinuität dieses Kanons siehe Singkamerad. Schulliederbuch der deutschen Jugend, hg. von der Reichsamtleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, München 1935 4 (»Sachgruppen« 2, 3, 4). 37 Daß diese in der Klassik um 1800 erneuerte alte Bedeutung ›Fremde‹ (H. Paul u. W. Betz, Deutsches Wörterbuch, Tübingen 1968 6 , S. 161) im 19. Jahrhundert nachwirkt, zeigt Oertel, Gemeinnütziges Fremdwörterbuch, Ansbach 1833 4 , S. 274. 38 Z.B. Haesters u. Röhm, S. 285. 39 ME 16. 5. 1877 (KMBl. 25. 4. 1877). Z. B. Deutsches Lesebuch 1879 1 : Max IL und Ludwig II. in Zivil, Kaiser Wilhelm I. in Uniform. 1890 5 trägt auch Ludwig II. Uniform! 40 Englmann 1879, S. 343; z . B . Lokalschulkomm. Schweinfurt - Reg. UFr. 19. 5. 1881, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 5695. Durch Verteilung von Th. Heigels Wittelsbacher-Buch als »Familienbuch« an ›würdige‹ Schüler (StANeubg BA Kempten 6336) wirkte die Schulfeier auch in den Familien weiter. 41 InnM - Ludwig II. 15. 5. 1871, HStAM MInn 54087. 42 Fischer, Geschichte. Bd. 2, Kap. 10; Bungardt, S. 74ff.; Meyer, Schule, Kap. 2 und 3; Meyer, Selbstverständnis; Pretzel, S. 94ff.; R. Böiling, Zur Entwicklung und Typologie der Lehrerorganisation in Deutschland, in: Heinemann, Lehrer, S. 2 3 - 3 7 ; M. Heinemann, Der

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Anmerkungen von Seite 169-172 Lehrerverein als Sozialisationsagentur, in: ebd., S. 39-58; E. Cloer, Sozialgeschichtliche Aspekte derSolidarisierung der preußischen Volksschullehrerschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: ebd., S. 59-79; Weinlein ;Guthmann, Standes- und Vereinsgeschichte; ders.t Unterfränkische Volksschullehrerschaft. 43 Vgl. Grasser, S. 99 ff. 44 E. Leipold, Erinnerungen aus meinem Leben, Regensburg 1912. 45 Allgemeine Lehrerzeitung 16. 10. 1870; Bayer. Lehrer-Zeitung 5. 8. 1870. 46 Ebd. 7.3.1873. 47 Dazu allg. (am stärker konfliktbestimmten preußischen Beispiel)Heinemann, Lehrerverein, S. 45 ff. 48 Die Mitgl. des Bayer. Lehrervereins: 1881 10084, davon 8326 Lehrer (OBy. 1087, NBy. 914, OPf. 885, OFr. 1483, MFr. 1453, UFr. 1683, Schw. 1214, Pf. 1366 [Bericht über die 8. Hauptversammlung des bayerischen Volkschullehrer-Vereins 1881]). Teilnehmer der Hauptversammlungen: 1869 Würzburg fast 2000, 1872 München 222, 1875 Kaiserslautern 1336, schließlich München 1896 5466 (Bericht 4., 5., 6., 13. Hauptversammlung 1869ff.). Die Kreisvereine hielten ebenfalls in 2- oder 3-jährigem Abstand Versammlungen ab, dazwischen Delegiertenversammlungen (z. B. Schule und Lehrer 1864-1964 BLLV Bezirksverein Oberpfalz, Regensburg 1964, S. 85ff.), die Bezirksvereine mehrere Fortbildungskonferenzen im Jahr (ebd., S. 65ff.). Die Bayer. Lehrer-Zeitung war 1880 abonniert in MFr. vom größeren Teil der BLV-Mitgl., in OBy. von ca. 50%, in NBy. von 28%; sie wurde allerdings häufig an 2 oder 3 Kollegen weitergegeben (Bericht 8. Hauptversammlung 1881). Ebd. Aufstellung der in den Bezirksvereinen gelesenen pädagogischen Zeitschriften. Vgl. auch die Rechnung der Schulbibliotheken-Kasse in Schweinfun pro 1881, StAWzbg Reg. Abg. 1843/45, 3655. Überblick über die pädagogische Presse Bayerns und Deutschlands im Taschen-Kalender für Lehrer, Jg. 1876, S. 36 ff. 49 Pf., UFr., Schw. an der Spitze, MFr., OFr., OPf. guter Durchschnitt, OBy.-abgesehen vom sehr aktiven Bezirkslehrerverein München - geringere Regsamkeit, NBy. die schwächste (Bericht 6. Hauptversammlung 1875). 50 Z.B. Bericht 8. Hauptversammlung 1881, ähnlich 13. 1896. 51 Eine anthropologische Untersuchung mit dem Ergebnis, »daß wir Bayern echt germanischen Ursprungs sind«, wurde besonders herausgestellt (Bericht 6, Hauptversammlung 1875, S. 65). 52 Bayer. Lehrer-Zeitune 23. 5. 1884. 53 Ebd. 17.3.1871. 54 Bayer. Schulfreund 20.4.1871. 55 Bayer. Lehrer-Zeitung 9. 5. 1873. 56 Bericht 5. Hauptversammlung 1872, S. 111. 57 Allgemeine Lehrerzeitung 2.4.1871. 58 Z.B. 23. 10. 1870 und l2. 4. 1871;ferner 16. 10. 1870, 12. 2., 26. 3., 2. 4., 14. 5., 8. 10. 1871. 59 M. G. Conrad, Zur Volksbildungsfrage im deutschen Reich, Nürnberg 1871; Stanger, Über nationale Erziehung, München 1871; C. Wesing, Diesterweg und die nationale Erziehung, Schweinfun 1873; F. Kneger, Der Geschichtsunterricht in Volks-, Bürger- und Fortbildungsschulen, Nürnberg 1876. 60 B. Kaißer, Die nationale Aufgabe der Volksschule, Schwäbisch-Gmünd 1874, S. 5. 61 Bayer. Lehrer-Zeitung 2. 11. 1877. 62 Ebd. 10. 11. 1876; auch ebd. 22. 12. 1871, 18. 7. 1879, 16.11. 1883, 11. 4. 1884, 25. 3. 1887. 63 Über den »Gesang aus 700 fühlenden Lehrerherzen« ζ. Β. Bericht über die 20. allgemeine deutsche Lehrer-Versammlung, in: Bayer. Lehrer-Zeitung 15.9. 1872. - Vgl. allg. O. Eiben, Der volkstümliche deutsche Männergesang. Geschichte und Stellung im Leben der Nation; der deutsche Sängerbund und seine Glieder, Tübingen 18872.

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Anmerkungen von Seite 172-174 64 Zu Symptomen dieser rezeptiven Haltung Reg. OBy. - Distr.schulinsp. 22. 1. 1869, StAM RA 53845, 65 Bayer. Schulzeitung 30. 6. 1866. 66 Bericht 8. Hauptversammlung 1881. 67 Die regionale Aufsicht wurde Fachpädagogen übertragen (KMBl. 1873, S. 226); nach MEn 17. 5. 1871 und 19. 2. 1872 (KMB1.,S. 125, S. 74) führten bis 1905 17 unmittelbare Städte r.d. Rh. die Fachaufsicht ein. Die dem (fachpädagogischen) Schulrat untergebenen (Bezirks-, Lokalschul-)Inspektoren blieben vorwiegend Geistliche (Taschen-Kalender, Jg. 1906, S.48ff.). In konfessionell gemischten Orten wurden Simultanschulen ermöglicht (SchulsprengelVO 29.8.1873 [RB1., S.1401ff.]), 1883 jedoch wieder erschwert (SchulsprengelVO 26.8.1883 [GVBL, S. 409]). Zu den Angriffen der Kirchen gegen die Lutz'sche Volksschulpolitik (z.B. Hirtenbrief der bayer. Bischöfe über die Simultanschulen 1873) OAM Gen. vorl. Nr. 258. 68 LehrerbildungsVO 29. 9. 1866 (RBL, S. 1461). 69 Der 1. Seminarlehrer blieb in der Regel ein Geistlicher; zu Seminarvorständen ernannte man zunehmend gemäßigt liberale Lehrer. 70 V 0 29. 9. 1866, §§ 1-46. Von den 35 Präparandenanstalten, deren Leiter »aus dem Kreis der tüchtigsten Schullehrer« kamen, waren 24 kath. und 11 prot. Der Separatvorbereitungsunterricht durch Geistliche und Lehrer wurde - außer für Israeliten - verboten. - Zur Lehrerfortbildung allg. E. Cloer, Sozi algeschichte, Schulpolitik und Lehrerfortbildung der katholischen Lehrerverbände im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Ratingen 1975, S. 26ff.; für Bayern Sachet, S.90ff.; den., Lehrerfortbildung, in: Heinemann, Lehrer. 71 Lehrplan Kreis-Lehrerinnenanstalt Straubing (KMBl. 16.2.1877). Z.B. Schlußprüfung Freising 1875, StAM RA 54067; Anstellungsprüfungen für Schuldienstexspektanten, in: Bayer. Lehrer-Zeitung 19.3. 1880, Beil., 19.9. 1880, Beil., 25.3. 1887, Beil. 72 Z. B. Stengel, S. 81 sowie die Jahresberichte der Präparandenanstalten und Seminare. - Zu den Bibliotheken der prot. Seminare vgl. z. B. Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des . . . Seminars Schwabach, Schwabach 1893, S. 18 ff. 73 JBer. Seminar Schwabach 1872/1873, S. 14. 74 JBer. Seminar Freising 1885/1886, S. 27. 75 Ebd. 1886/1887, S. 25. 76 Ebd. S. 26. 77 Z.B. JBer. Seminar Straubing 1887/1888. 78 JBer. Seminar Freising 1886/1887, S. 25 f. 79 JBer. Präparandenanstalten Deggendorf, Landshut, Pfarrkirchen und Seminar Straubing 1887/1888. 80 So daß sie zwar »mäßig u. eingezogen, . . . doch anständig leben« konnten (Lokalschulkomm. Schweinfurt-Reg. UFr. 25. 9. 1867, StAWzbgReg. Abg. 1943/45, 5695). Zahlen für die einzelnen Städte im Taschen-Kalender, Jg. 1878, S.69ff. Allg. J.Böhm, Das Bayerische Volksschulwesen. Ein statistisches Hand- und Nachschlagebuch, Nördlingen 1874, S. 162ff.; L.W. Seyffarth, Allgemeine Chronik des Volksschulwesens, Jg. 14, 1878, S. 77ff.;Guthmann, Standes- und Vereinsgeschichte, S. 170 ff. 81 Z.B. J . M . Strauß 1818-1883, prot., seit 1848 publizistisch und standespolitisch aktiv, 1872 2. Vorstand des Bayer. Lehrervereins, ab 1869 Mitgl. des Landtags (Fortschrittspartei, dann lib. Fraktion) erwarb durch 2 Ehen mit Altdorfer Bürgerstöchtern ansehnlichen Besitz (J. Böhm, Erinnerungsblätter zum 60jährigen Bestehen des Schullehrer-Seminars Altdorf, Nürnberg 1884). 82 VO 29. 8. 1873 (RBL, S. 1401): Schulsprengel = Gemeindemarkung. 83 Z. B. J . B. Kraillinger, Geschichte des Landsberger Schulwesens, Landsberg 1883, S. 176. 84 Das zeigen die Bemerkungen über Schule und Lehrer in den kath. und den prot. Seelsorgeberichten (z. B. OAR Pfarrbeschr. 1860; LkAN Pfarrbeschr. 1864 [= Kons. Bayr. und Kons. Ansb.]).

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Anmerkungen von Seite 174-177 85 Roessler, S. 48 ff. 86 Zuerst in den Lehrplänen der größeren Städte, z. Β. München 1870, dann nach deren Vorbild auch in den Kreislehrplänen (erstmals im Lehrplan Niederbayern 1872, S. 46). 87 Z.B. Lokalschulkomm. Schweinfurt - Reg. UFr. 16. 6. 1884, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 5695. 88 Distr.schulkomm. Würzburg-Land r.d. Mains - Reg. UFr. 13.6. 1896, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 3406; ähnlich ebd. 5695; BA Miesbach 1877, StAM AR F. 2788, 682; StAAmbg Reg. Kdl. 11742. P. Wucher, Schul- und Volkszustände im Allgäu, Kempten 18772, dessen herbe Kritik die Kreisregierung weitgehend bestätigte (Reg. Schw. - BA Kempten 9.4. 1873, StANeubg BA Kempten 5341). 89 Im Oberland wurden der 7. und 30. Seelengottesdienst an einem Tag kumuliert »in Anbetracht der. . . weiten beschwerlichen Wege« (Kapitelkongreß-Protokoll Ruralkapitel Miesbach, Auszug 3. 11. 1875, OAM Gen. vorl. Nr. 240). - Bei den Sakralfunktionen im Winter mitwirkende Kinder erkrankten häufig, die Schulversäumnisse stiegen weiter (Wucher, S. 10). Distr.schulkomm. Würzbure - Reg. UFr. 24.6. 1875, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 3472. 90 Katholische Schulzeitung 5. 5. 1880. 91 Zur Lage von Spessart-Lehrern z. B. RE 31. 5. 1880, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 5829. 92 Reg. NBy. - Ord. München-Fr. 29. 1. 1876, OAM Gen. vorl. Nr. 286. 93 Nicht wenige Lehrer zeigten deshalb religiöse und kirchendienerische Überkonformität (ein Beispiel aus der Pfalz bei N. Osterroth, Vom Beter zum Kämpfer, Berlin 1920, S.25f.). 94 Z. B. Klagen des Kreisschulreferenten OBy. - Reg. OBy. 16. 7.1871, StAM RA 53674. 95 Z.B. StANeube BA Mindelheim 3173. 96 Z. B. Lokalschulkomm. Weidenbach - Distr.schulinsp. Ansbach 12. 11. I860, StAN LRA Feuchtwangen 1492. 97 1870 bis 1890 erlebte Bayern außer dem Tod Ludwigs II. 7 Trauerfälle und 14 Geburten im Königshaus. - Abgebrochen wurde 1867 die Vorbereitung für die Vermählung Ludwigs II. mit Sophie in Bayern (u. a. StadtMMZ 1762/1 - 6 ; StALht BA Eggenfelden F. 56, 913), als der König die Verlobung löste. 98 Ein ideeller Präsenzakt von lokaler Wirkung blieb die Verleihung von Ehrenzeichen an Pfarrer, Lehrer, Staatsdiener bis herab zu Straßenwärtern und Forstgehilfen für 50jährige Dienste (z.B. StAN Reg. Kdl. Abg. 1952, 41). 99 HStAM MK 19027; OAM Gen. vorl. Nr. 30; z.B. StALht BA Eggenfelden F. 56, 919. 100 Oberkons. -Kons. Ansb. und Bayr. sowie Dek. München 16.6. 1886, OAM Gen. vorl. Nr.30; Trauerrede . . . gehalten im Dom zu Bamberg den 21. Juni 1886 von Domkapitular Dr.Lingg, Bamberg 18862, ebd. 101 Z.B. Kons. Speyer - KM 29. 7. 1886, ebd. 102 Zu den politischen Zusammenhängen der Absetzung Ludwigs und der Einsetzung der Regentschaft Möckl, Prinzregentenzeit, S. 133ff.; ein neues Detail bringt J . Heider, Der König und sein getreuer Wachtmeister, in: ZBLG, Bd. 31, 1968, S.298-307. 103 Programm in OAM Gen. vorl. Nr. 30, ebenso HStAM MK 19027. Symbolik und Zeremoniell des Leichenzuges glichen denen bei Max I. 1825 und Max II. 1864. Bildliche Darstellungen bieten StadtMM Ζ 1778, 1782, 1783; ebd. 43/807/2. 104 Dies blieb die offizielle und offiziöse Interpretation; so ζ. Β. beim Hofbiographen Luitpolds H. Reidelbach, 90 Jahre ›In Treue fest‹, München 1911, S. 27. Vgl. auch das Gedenkblatt StadtMM Ζ (D 1) 1777 mit Gedichten über Ludwig IL und Luitpold. 105 Z.B. Das deutsche Vaterland 20.6. 1886; Augsburger Postzeitung 11.6. 1886 und ff.; Das Bayerische Vaterland 12., 13., 16., 18., 26.6. 1886. 106 Wochenbericht Reg. Schw. (Auszug) 23. 6. 1886, HStAM MInn 46135. Möckl, Prinzregentenzeit, S. 131 f. 107 BA Füssen - Reg. Schw. 17.6.1887, HStAM MInn 46135.

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Anmerkungen von Seite 177-179 108 Die Augsburger Postzeitung 2. 7. 1886 z.B. plädierte lebhaft für Neuschwanstein als Touristenattraktion. 109 U. a. wurde es im altbayer. Kleinbürgertum Mode, mit dem Bild Ludwigs II. die Fahnen von Spar-, Turn-, Geselligkeitsvereinen zu zieren (StAM RA 57970); Name und Bild warben bald auch für Konsumartikel (z.B. »König-Ludwig-Kaffee«, Anzeige in Münchner Post 2. 7. 1899). - Stimulierend auch Sensationsbroschüren wie Mußte es so kommen? oder: Von Hohenschwangau nach Schloß Berg, Annaberg (Sachsen) 1886. 110 Z. B. die griechischen und germanischen Heldenlieder, die serbischen Volkslieder über die Helden der Türkenkämpfe des 14. Jhs, die Anekdoten und Lieder um Napoleon. 111 In den Wirtshäusern um Füssen sang z. B. ein Schneidergeselle ›aufreizende‹ Lieder über ein Mordkomplott unter preußischer Führung, durch das Bayern dem preußischen Militarismus nun ganz unterworfen sei (BA Füssen - Reg. Schw. 20. 5. 1887, HStAM MInn 46135). 112 L. J . Bredvold, The Natural History of Sensibility, Detroit 1962. 113 Zum Mißtrauen gegen die offizielle Begründung der Absetzung, zur Faszination durch Ludwig II. vgl. auch R. Lemp (Hg.), Der Glasl und der Schaufimomichl schreiben für Ludwig Thoma. Die Geschichte vom bayerischen Soldaten anno 1870/71, München 1971, S. 8. 114 Möckl, Prinzregentenzeit, S. 132f. 115 Die Regentschaft erschien der Bevölkerung auch durch den offiziellen Kult als Herrschaftsprovisorium: das Kirchengebet galt zuerst dem nominellen Herrscher Otto (1886-1913) und dann dem Prinzregenten (Erzbischof München-Fr. - KM 7. 8. 1886, HStAM MK 19033; Oberkons. - KM 12. 7, 1886, ebd.); Geburtstag und Namensfest Ottos wurden mit feierlichen Gottesdiensten begangen; der Stammbaum des Königshauses in Kalendern und an den Wänden der Schulstuben führte an 1. Stelle den König an (Bayerisches Jahrbuch, Jg. 1899, München 1899, S. 56); Gesetze und Verordnungen erfolgten »Im Namen Seiner Majestät des Königs«. 116 Abgesehen von der Büste vor der Villa Wahnfried in Bayreuth wurden erst 1910 bescheidene Denkmäler in München und Bamberg, 1913 in Nürnberg errichtet, die Gedächtniskapelle am Starnbergersee erst 1900 eingeweiht. 117 Noch im Herbst 1886 ging der Prinzregent auf Goodwill-Tour durch Franken und Schwaben (StAWzbg Reg. KdL Abg. 1943/45, 13608). Reisen in andere Landesteile folgten 1887 und 1888. - Zu den Bildern InnMBl. 2. 11. 1886; KrMBl. 16.4. 1887. - Zur Feier des 100. Geburtstages Ludwigs I. 1888 (1886 wegen des Todes Ludwigs II. verschoben) HStAM MInn 54088; Augsburger Abenzeitung 30. 7., 31. 7., 1. 8. 1888; Münchner Bote, Fest-Nr. 30. 7. 1888; O. Zieher (Hg.), Festzug. Zur Erinnerung an die Centenarfeier König Ludwigs I. 1888, München 1888; Festschrift zur Centenarfeier Ludwigs L, von Bayer. Schriftstellern und Künstlern, München 1888. - Zur politischen Semantik des Gala-Feuerwerks Programm in HStAM MInn 54088. - Die Zahl der auswärtigen Besucher der ›Centenarfeier< schätzte die Augsburger Abendzeitung 30. 7. 1888 auf über 300000, d. h. fast die Einwohnerzahl Münchens (Bayerns Entwicklung, S. 2). 118 KM - Ord., Oberkons., Kons. Speyer 11.7. 1888, HStAM MInn 54088; KM - Regn. 11. 7. 1888, ebd.; Lokalschulinsp. Huldsassen - ΒA Eggenfelden 30. 7. 1888, StALhtBA Eggenfelden F. 56, 920; BA Bogen - Reg. Nby. 3. 8. 1888 und BA Kötzting- Reg. NBy. 10. 8. 1888, StALht Reg. KdL F. 2, 24. 119 Z. B. StALht Reg. KdL F. 1, 20; StadtMM 30/603 A 51/39. - Der Münchner Magistrat veranstaltete für ca. 4000 Volksschüler im Glaspalast eine patriotische Feier mit Festzug; jeder Schüler erhielt eine Festschrift (Mag. München - Reg. NBy. 11. 6. 1880, StALht Reg. KdL F. 1, 20). 120 Z.B. HStAM MK 19027. 121 Zum Hintergrund E. Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871-1918, München 1969; dies., Über die Bedeutung der politischen Symbole im Nationalstaat, in: HZ, Bd.213, 1971, S.296-357; F. Schnabel, Die Denkmalskunst und der Geist des

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Anmerkungen von Seite 179-181 19. Jahrhunderts, in: den., Abhandlungen und Vorträge 1914-1965, Freiburg/Br. 1970, S. 134-150; Mosse. 122 KM - AM 30. 4. 1871, HStAM MA 76042. 123 Die Generalsynoden r.d.Rh. und der Pfalz 1873 und 1877 (KM - Prinzreg. 6.3. 1887, HStAM MK 19033). 124 Signat Ludwigs II. 8. 5. 1879 (Neujahr, Ostersonntag, Pfingstsonntag, Reformationsfest, Buß- und Bettae, Weihnachtstag). 125 Oberkons. - KM 15. 1. 1887, HStAM MK 19033; KM - Prinzreg. 6. 3. und 16. 3. 1887, ebd. 126 Dem Dekanat München wurde die Fürbitte für den schwerkranken Kronprinzen des Reiches erlaubt (Oberkons. -Dek. München 10. 12. 1887, ebd.). In der Pfalz bürgerte sich auch am Geburtstag des Kaisers Kirchengeläute ein (Wochenbericht Reg. Pf. 20. 3. 1888 [Abschrift], HStAM MK 19005). 127 Das bereits 1884 vom Ministerium vorgeschlagene, gegenüber Württemberg und Sachsen einfachere Zeremoniell für die offizielle Trauer beim Tod Wilhelms I. (29. 7. 1884, HStAM MK 19005) wurde von Ludwig II. weiter reduziert (Kabinettsekr. - AM 28.7. 1885 [Abschrift], ebd.). 128 Prinzreg. - InnM 12.3.1888, ebd.; Amtsbl. Erzdiözese München-Fr. 13.3.1888; Amtsbl. Erzdiözese Bamberg 15.3.1888; Ord. München-Fr. 17.6.1888, OAM Gen. vorl. Nr. 30. - Zum Trauerkult im Straßenbild z. B. StadtMM 58/260/9. 129 InnM - Regn. 9.3. 1888, HStAM MK 19005; StALht LRA Eggenfelden F. 56, 921. 130 Prot. StadtPfA München - Oberkons. 16. 3. 1888, HStAM MK 19005; Wochenbericht Reg. Pf. 20.3. 1888 (Abschrift), ebd. 131 Ebd. 132 Z. B. Prot. Geistlichkeit u. Kirchenvorsteher Erlangen - KM 22.4. 1888, ebd. 133 Wochenbericht Reg. Pf. 20. 3. 1888 (Abschrift), ebd. 134 KM - Prinzreg. 9. 5. 1888; Prinzreg. - KM 12. 5. 1888; AM - KM 14. 6. 1888, alle ebd.; StALht LRA Eggenfelden F. 56, 922. 135 Z. B. Haesters u. Röhm, S. 264 f.; in populären Darstellungen verbreiteten sich vor allem Bilder über die Erstürmung des Landauer Tores in Weißenburg durch bayer. Infanterie und Jäger, z. B. von A. Hoffmann oder C. Röchling; vgl. StadtMM Greis II/19 C 60/56.-Friedrich besichtigte z. B. im Herbst 1876, 1877, 1878, 1880, 1881 Übungen bayer. Truppen (KrAM MKr 2605). Der Kaiser reiste, wenn er jährlich durch Bayern nach Gastein fuhr, inkognito (ebd.). 136 In München z.B. veranstalteten seit 1871 Unternehmer, Professoren, Advokaten, Künstler jährlich an Kaisers Geburtstag ein Festessen (Comité - KM 14. 1. 1889, HStAM MK 19016). 137 HStAM MInn 54077; StAM RA 40947; StAmbg Kdl. 11698 qu; StAM PolDir. München 24a I, F. 69, 24a und 24b; StALht BA Mainburg F. 23, 411; StAN LRA Gunzenhausen Abg. 1961, 1565; StANeubg BA Dillingen Alte Serie 1979. Vgl. Möckl, Prinzregentenzeit, S.349ff.; Rall, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/1, S.270ff.; zur Vorgeschichte Schieder, Partei. Einer Adresse der Münchner Gemeindekollegien an den König 19. 9. 1870, dieser möge die Initiative für die »endliche verfassungsmäßige Einigung Süd- und Norddeutschlands« ergreifen, schlossen sich auch das Kleinbürgertum selbst niederbayerischer Märkte und eine zahlreiche Landbevölkerung Neubayerns an (StadtAM BuR 321). 138 InnM - Reg. UFr. 4. 3. 1871; Prot. StadtPfA Würzburg - Reg. UFr. 3. 3. 1871; Kapitularvikariat Würzburg - Reg. UFr. 4. 3. 1871, alle StAWzbg RegPräs. 285. 139 Z. B. Friedensfeier für die Schuljugend Münchens, HStAM MInn 54087. 140 Zum Durchzug durch die Pfalz O. IIling, Das . . . Infanterie-Leib-Regiment 1814 bis 1914, München 1914, S. 139f.; Kurier für Niederbayern 7. 5. 1871. Höhepunkt war das Defilée in München am 16. 7. 1871 vor Ludwig II. und dem preußischen Kronprinzen (Bancker, S. 229ff.; P. Baunedel, Meine Erlebnisse während des Feldzugs im Jahre 1870/71, Nürnberg

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Anmerkungen von Seite 181-183 1895, S. 160f.; Neueste Nachrichten Extrabl. 13. 7. 1871; StadtAM PolDir. 186; StadtMM Μ III 294, 295, 296, 297, IV 2333). - Zu Topoi des Anti-Frankreich-Affekts ζ. Β. »Erinnerungsblätter an das Jahr 1870« (Verlag Braun u. Schneider), StadtMM 30/429-442. 141 InnM - Ludwig II. 8. 5. und 9. 5. 1872, Ludwig II. 8. 5. 1872, HStAM MInn 54077. 142 Z. B. ebd.; StAM RA 40947; StAAmbg Reg. KdL 11698 qu; StALht Reg. KdL F. 628, 3258/2; Sulzbacher Wochenblatt 1. 9. 1875; Amberger Tagblatt 6. 9. 1875. - Der vom ›SedanGeist‹ repräsentierte Nationalismus drang auch in die kath. Landbevölkerung vor allem durch die Kriegervereine (ζ. Β. HStAM AR F. 2800, 934; ebd. RA 34907; StAN Reg. KdL Abg. 1952, Tit. II, 1698; StadtMM Μ III 306) und die von ihnen errichteten Kriegerdenkmale (ζ. Β. StALht BA Mainburg F. 23, 411; ebd. BA Vilshofen F . 75, 11; StAN LRA Gunzenhausen Abg. 1961, 1565; StANeubg BA Kempten 4715; ebd. BA Dillingen Alte Serie 1979; Denkmale in bzw. bei den Kirchen von Bayrischzeil, Dietramszell, Griesbach, Haimhausen, Hohenlinden, Ismaning, Wolfratshausen). 143 Jedin, Bd. 6/1, S.774ff., Bd. 6/2, S.28ff., 58ff., 195ff., 227ff., 265ff., Aubert; Bihlmeyer u. Tücble, Bd.3, S. 403ff.; Huber u. Huber, Bd. 2, S.430f., 691ff., 889ff. 144 M. Weber, Das I. Vatikanische Konzil im Spiegel der bayerischen Politik, München 1970; J.Gnsar, Die Cirkulardepesche des Fürsten Hohenlohe vom 9. April 1869 über das bevorstehende Vatikanische Konzil, in: Bayern. Staat und Kirche, Land und Reich. Gedächtnisschrift W. Winkler, München 1960, S. 216-240. 145 Döllinger, der auch hinter Hohenlohes Depesche stand, hatte in einer international Aufsehen erregenden Artikelserie in der Augsburger Allgemeinen Zeitung einen Artikel der offiziösen Jesuitenzeitschrift Civiltà cattolica, der einen Beschluß des Dogmas per Akklamation forderte, scharf attackiert (10.-15. 3. 1869). Als erweiterte Buchausgabe: Janus (= Döllinger, unter Mitarbeit von J . N. Huber und J . Friedrich), Der Papst und das Concil, 1869). Vgl. D.Albrecbt, Döllinger, die bayerische Regierung und das erste Vatikanische Konzil, in: Spiegel der Geschichte. Festschrift M. Braubach, Münster 1964, S. 795-815. 146 Als am Tag nach Annahme und Verkündigung des Dogmas der Krieg begann, vertagte sich das Konzil vorübergehend, nach der Besetzung des Kirchenstaates durch italienische Truppen auf unbestimmte Zeit (20. 10. 1870); es wurde nie formell geschlossen. 147 Von den 6 am Konzil beteiligten bayer. Bischöfen waren die Germaniker Senestrey von Regensburg (J.Staber, Bischof Senestrey von Regensburg auf dem ersten Vatikanum, in: Mai, Senestrey, S. 44-51), Stahl von Würzburg und Leonrod von Eichstätt unbedingte Anhänger des Dogmas; Scherr von München war ein überzeugter Gegner, Deinlein von Bamberg und Dinkel von Augsburg hielten den Beschluß zumindest für verfrüht. Obwohl diese 3 mit zahlreichen deutschen und französischen Bischöfen durch Abreise dem Dogma ihre Zustimmung verweigerten, unterwarfen sie sich schließlich, verkündeten es und führten es in ihren Diözesen durch. Die Regierung verweigerte durch ME 22. 3. 1871 das Plazet und kündigte durch ME 27. 8.1871 Maßnahmen gegen die Mißachtung an, ohne wirksam einschreiten zu können. Vgl. W. Brandmüller, Die Publikation des 1. Vatikanischen Konzils in Bayern. Aus den Anfängen des bayerischen Kulturkampfes, in: ZBLG, Bd.31, 1968, S. 197-258 und 575-634. 148 Programm war die sog. Museums-Adresse 10.4. 1871, OAM Gen. alte Ordnung 6. 149 In München neben Döllinger die Professoren J . Friedrich und J . A. Meßmer. - Zu den wenigen Priestern, die das Dogma nicht anerkannten, gehörten Renftle in Mering, Bernard in Kiefersfelden, Hosemann in Tuntenhausen (GenSlg. München-Fr., Bd. 3, S. 1271 ff.; Der Wendelstein. Katholisches Volksblatt für das bayerische Oberland 7. 10. 1871). 150 Der Klerus des Dekanats Tegernsee z. B. über Döllinger (17.4. 1871, OAM Gen. alte Ordnung 4): »Die Strafe der Verblendung hat den alten Mann getroffen, nachdem er sich stolz als Priester der Wissenschaft erklärte und den Priester der Gnade beseite setzte«. 151 Hirtenbrief des Erzbischofs München-Fr. 14. 4. 1871, OAM Gen. alte Ordnung 5. 152 PfA Laufen - Ord. München-Fr. 3. 5. 1871, OAM alte Ordnung 6. 153 Zur Abhängigkeit von Beamten z. B. Hofkuratie Schleißheim - Ord. München-Fr.

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Anmerkungen von Seite 183-184 3. 5. 1871, ebd. - Das Begleitschreiben, als die Museums-Adresse mit 12000 Unterschriften dem König überreicht wurde, forderte diesen auf, »sich an die Spitze des geistigen Kampfes gegen wälschen Uebermuth und wälsche Unwissenheit zu stellen« (Kurier für Niederbayern 7.5.1871). 154 Der Wendelstein 1. 10. 1871. Zur Affinität zwischen religiösem Protest und politischem Nationalliberalismus im Zeichen des Anti-Ultramontanismus z. B. Bericht über die am 21. Mai 1871 in München abgehaltene Katholiken-Versammlung, München 1871. 155 Z.B. Anonym, Das Büchlein von der Unfehlbarkeit. Für den Bürger und Landmann, München 1872, das, formal und inhaltlich bildungsbürgerlich und national orientiert, die ländliche Mentalität verfehlte. 156 Zur Umgebung Münchens PfÄr-Ord. München-Fr. 3. und 7. 5. 1871, ΟAM Gen. alte Ordnung 6; zu einem Fremdenverkehrsgebiet PfA Tegernsee - Ord. München-Fr. 6. 5. 1871, ebd. 157 Z.B. PfA Trostberg - Ord. München-Fr. 8. 5. 1871, ebd. 158 Beim Bericht des PfA Oberaudorf 5. 5. 1871, ebd. Protokoll über den Widerruf von Bauern und Handwerkern bereits am 27. 4.; den Widerruf verweigerten vorwiegend Männer in der Abhängigkeit des Staatsdienstes oder in der relativen Unabhängigkeit vom Pfarrer durch großen Besitz. 159 Z. B. PfA Grafing - Ord. München-Fr. 18. 12. 1871, OAM Gen. alte Ordnung 5. 160 Mit dem Breslauer Bischof Reinkens als Bischof (1873, Sitz Bonn), in den 1870er Jahren Höhepunkt mit ca. 60 000 Mitgl. (Jedin, Bd. 6/1, S.793ff.). Im Gegensatz zu Preußen, Baden und Hessen-Darmstadt erkannte die bayer. Regierung die Altkatholiken nicht als eigene Kirche an, sondern als - in ihrer Besonderheit zu schützende - Katholiken (Weber, Konzil, Kap. VII) und trennte sie erst 1890/1891 als private Kirchengesellschaft von der Römischen Kirche (Möckl, Prinzregentenzeit, S. 323 ff.); sie liquidierte damit endgültig den Versuch, die kath. Bevölkerung von Rom zu trennen. 161 Jedin, Bd. 6/1, S. 793. 162 OAM Gen. alte Ordnung 7. 1887/1888 kamen selbst in München, ihrem bayer. Zentrum, bei 8690 Geburten in den kath. Pfarreien nur mehr 21 altkath. Taufen und bei 7648 Sterbefällen 16 Beerdigungen vor, dazu 2 Trauungen (Paschalbericht 1887/88, OAM Gen. vorl. Nr. 155). 163 Z.B. Hirtenbrief Erzbischof München-Fr. 18. 10. 1859, in: GenSlg., Bd. 3, S. 743. 164 Stärkste Impulse gingen von Senestrey aus (z. B. VOB1. d. Bistums Regensburg 1870, S.7lff., 83ff., 166ff.). - Zur Bonifatius-Wallfahrt 1870 Vhdlgn. 21. Generalversammlung Mainz 1871, S. 51; Kißling, Bd. 2, S.14f. 165 K.Buchbeim, Verbandskatholizismus, in: Hanssler, S. 66. 166 Kißling, Bd. 2, S. 14f. 167 GenSlg., Bd. 3, S. 1228 f. und 1424 (1869 Goldenes Priesterjubiläum, 1871 25jährige Regierung, 1875 30 Jahre Wahl Pius IX.), Bd.4, S.446ff. und 562f. (1887 Goldenes Priesterjubiläum Leo XIII.). 168 Sie brachte in der Regensburger Diözese jährlich fast 10000 fl./Jahr auf (VOB1. d. Bistums Regensburg, Jge. 1870-1872); in den Münchner Pfarreien 1200-1500 fl. (OAM Gen. vorl. Nr. 152). 169 Brückner, Bilderfabrik, S.69 und 72. 170 Z.B. Bericht über Konsekration Erzbischof Steichele von München-Fr. 13. 10. 1878, in: Augsburger Postzeitung 14. 10. 1878; Programm feierliche Einführung desselben 14. 10. 1878, in: Bayerischer Kurier 11. 10. 1878. -Zu einer festlichen Altarweihe in der Straubinger Gegend durch Senestrey Schlicht, S. 355ff.

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Anmerkungen von Seite 184-185 171 Zahl der Klöster und Niederlassungen und ihrer Mitglieder um 1900: Männe Männerorden Frauenorden, -kongregationen Erzbistum München-Fr. Bistum Augsburg Bistum Regensburg Bistum Passau Erzbistum Bamberg Bistum Eichstätt Bistum Würzburg Bistum Speyer

21 17 23 6 6 7 19 1

498 382 361 154 66 102 281 6

218 195 196 71 78 42 209 80

2798 2340 1946

964 545 456 1470

668

(Schlecht, 51 f.). In der Erzdiözese München-Fr. z. B. traf auf 282 Katholiken 1 Ordensangehöriger (Schematismus München-Fr. 1900, S. 228). 172 Die Benediktiner bildeten z. B. in ihren Gymnasien Metten und St. Stephan/Augsburg Meinungsführer nahezu aller Gesellschaftsbereiche aus; in Andechs übten sie durch Resozialisierung ›verwahrloster Knaben‹ Sozialtherapie. Barmherzige Brüder pflegten in Attel, Kaisheim, Gremsdorf geistig und körperlich Kranke, also prestigeträchtige Caritas. 173 Niederlassung der wichtigeren Frauenorden um 1900:

Erzbistum München-Fr. Bistum Augsburg Bistum Regensburg Bistum Passau Erzbistum Bamberg Bistum Eichstätt Bistum Würzburg Bistum Speyer

Barmherzige Schwestern

Franziskanerin-

55 51 19 13

73 91 91 19

nen

22 51 31

Dominikanerin-

nen

Arme Schulschwestern

45 20 69 13 10 20

Engl. TöchSchweFräu- ter vom stern vom allerlein hl. Erlöser heiligsten Heiland

30 16

24

18

126 21

(Schlecht, S. 52). 174 1900 übten im Bistum Regensburg 104 Ordensangehörige Seelsorge, 1004 Erziehung, 810 karitative Aufgaben, 420 Beschaulichkeit (Schematismus Regensburg 1911). 175 2 . B. OAM o. Nr. (Bruderschaften); OAR PfAkten Waldsassen o. Nr. (Bruderschaften und kirchliche Vereine), PfAkten Sulzbach-Rosenberg o.Nr. (dass.), PfAkten Cham o.Nr. (dass.); StAM AR F.2746, 93; PfArchiv Anger A IV 10; PfArchiv Oberhaching, Seelsorger. 1886/87; St. Kiliansbruderschaft 1888 (Mitgl., außer Geistlichen, 100 Männer überwiegend aus dem Kleinbürgertum, 239 Frauen und Jungfrauen); StAN Reg. Kdl. Abg. 1932, Tit. II, 674. 176 Ζ. Β. die 1860 eingeführte Herz-Jesu-Bruderschaft Cham mit 3000-4000 Mitgl. (Gebete und Ablässe der Erzbruderschaft des allerheiligsten Herzens Jesu in Cham 1886, OAR PfAkten Cham o.Nr. [Bruderschaften und kirchliche Vereine]; PfΑ Cham - Ord. Regensburg 11.9. 1888, ebd.); Statuten der Bruderschaft des heiligsten und unbefleckten Herzens Mariä in der Stadtpfarrei Cham 1. 1. 1844 (ebd.). - Statuten des Katholischen Männervereins Iphofen, gegr. 1872 (BA Scheinfeld - Reg. MFr. 6.3. 1872, StAN Reg. Kdl. Abg. 1932, Tit. II, 813). 177 Der Münchner Verein z. B. hatte 647 Mitgl., darunter 77 Protestanten als außerordentli-

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Anmerkungen von Seite 185-186 che. In seinem Haus übernachteten 1880 1725 Gesellen durchschnittlich 3 Nächte mit 3 Mahlzeiten und wurden 700-800 unentgeltlich in verschiedenen Fächern und Fertigkeiten unterrichtet(Schematismus München-Fr. 1881, S.244f.). 178 Allg. A. Erdmann, Die christliche Arbeiterbewegung in Deutschland, Stuttgart 1908; E. Ritter, Die katholisch-soziale Bewegung Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert und der Volksverein, Köln 1954; M. Berger, Arbeiterbewegung und Demokratisierung. Die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung des Arbeiters im Verständnis der katholischen Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Deutschland zwischen 1890 und 1914, Diss. Freiburg/Br. 1971. Für Bayern vgl. jetzt die umfassende und detaillierte Darstellung von H. D. Denk, Die christliche Arbeiterbewegung in Bayern bis zum Ersten Weltkrieg, Mainz 1980. Zur ideellen Grundlage, der kath. Soziallehre: Texte zur katholischen Soziallehre (hg. vom Bundesverband d. Kath. Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands), Bd. 1, o. O. 19774; F. J . Stegmann, Der soziale Katholizismus und die Mitbestimmung in Deutschland, München 1974, Kap. 1 und 2; ders., Geschichte der sozialen Ideen im deutschen Katholizismus, in: H. Grebing (Hg.), Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, München 1969, S. 325-560. - Grundlegend für die kath. Arbeiterbewegung in Deutschland war ein Beschluß des Katholikentages 1884 in Amberg (Vhdlgn. 31. Generalversammlung Amberg 1881). 179 U.a. in Augsburg (Bericht 1878, in: Texte . . . Soziallehre, Bd.2/1, o.O. 1976, S. 351-355; C. Riedmüller, Chronik des Kathol. Arbeitervereins Augsburg 1874-1899, Augsburg 1900 [1878 130 Mitgl.]), Regensburg, Amberg. Nahe standen ihnen Knappenvereine in der Pfalz (M.Gasteiger, Die christliche Arbeiterbewegung in Süddeutschland, München 1908, S.37ff.). 180 Ebd., S.64; L. Huber, Verzeichnisse der katholischen Arbeitervereine Deutschlands, Österreichs und der Schweiz 1897, in: Texte . . . Soziallehre, Bd. 2/1, S.441-470, 455ff.; vgl. auch JBer. des Verbandes katholischer Arbeitervereine Süddeutschlands 1895, in: Der Arbeiter. Organ des Verbandes katholischer Arbeitervereine Süddeutschlands, Jg. 10, 1899, Nr. 19; Denk, Tab. 2-5, 13-16 und Berger, S.268f., 271 ff. (Statistiken über Mitgliederzahlen, soziale Zusammensetzung, Vermögen, Bildungswesen, Unterstützungskassen). Eine detaillierte zeitgenössische Darstellung gibt J . Ruppert, Die Katholischen Arbeitervereine Süddeutschlands 1900, in: Texte . . . Soziallehre, Bd.2/1, S.473-551. 181 Z.B. Statuten d. Kath. Arbeitervereins Landshut 1896, StALht Reg. Kdl. F. 800, 2914 und Statuten d. Kath. Arbeitervereine Fürstenstein und Tittling/NBy. 1897, ebd. F. 799, 2864. 182 Vor allem in Schulungsthemen und Geselligkeitsformen (Gasteiger, Arbeiterbewegung, passim; Riedmüller, passim; Der Arbeiter, passim [Vereinsnachrichten!]). 183 Z.B. Statuten Kath. Arbeitervereine Fürstenstein und Tittling/NBy. 1897, StALht Reg. Kdl. F. 799, 2864; Gasteiger, Arbeiterbewegung, passim; Der Arbeiter, Je. 10, 1899, Nr. 52. 184 Statuten Kath. Arbeitervereine Fürstenstein und Tittling/NBy.; Gasteiger, Arbeiterbewegung, S. 120f.; Riedmüller, S.8ff. 185 Der Arbeiter. Zeitung für das arbeitende Volk, ab 1898 Organ des Verbandes katholischer Arbeitervereine Süddeutschlands. Auflage 1895 9000-13 000, 1901 30000, 1913 85000 (in dieser Zeitung ging 1895 das Gesellenvereinsblatt Arbeiterfreund [seit 1873] auf) (Gasteiger, S.97fi.;Denk, S.72ff., 411; Berger, S.237ff.). Programm 19.4.1890. 186 1895 waren in ganz Süddeutschland von den 22285 Verbandsmitgl. 13319 Mitgl. von Sterbekassen, die 10-100 Mk Sterbegeld zahlten, 8473 von Krankenkassen, die 0,40-2,40 Tagegeld zahlten, 1387 von Sparkassen mit durchschnittlich 102,63 Mk Einlagen (JBer. 1895; vgl. Berger, S. 274f.). 187 Gasteiger, Arbeiterbewegung, S.404; Riedmüller, S. 15f., 86. 188 Z. B. Der Arbeiter, Jg. 9, 1898, Nr. 2, 4, 5; Statuten Kath. Arbeiterverein Landshut 1896, StALht Reg. Kdl. F. 800, 2914. 189 Auf den hohen Anteil nichtindustrieller Arbeiter in Kleinstädten, Märkten, Dörfern weisen die Liste der Vereinssitze (JBer. 1895; Huber, Verzeichnisse, in: Texte . . . Soziallehre, Bd.

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Anmerkungen von Seite 186-187 2/1, S. 441-470; Der Arbeiter, Jg. 10, 1899, Nr. 19) und die soziale Zusammensetzung der Vereinsvorstände in kleineren Orten (z. B. Ord. Passau - Reg. NBy. 19. 5. 1897 betr. Kath. Arbeiterverein Tittling, StALht Reg. Kdl. F. 799, 2864). Vgl. Denk, S. 129ff. 190 Die prot. Arbeitervereine in Bayern (einschl. Pfalz) hatten 1908 ca. 17 600 Mitgl., d. h. ca. 20% der kath. (Gasteiger). Angesichts des prot. Bevölkerungsanteils (1895 28,2% [Bayerisches Jahrbuch 1899, S. 339]), der überdurchschnittlichen Gewerbebevölkerung in den prot. Gebieten und der Tatsache, daß die Mitgl. der nach 1900 ausgreifenden Christlichen Gewerkschaften, die nicht zugleich in den kath. Arbeitervereinen waren, zu deren Mitgl.zahl noch gezählt werden müssen, ist der größere Erfolg der kath. Arbeiterbewegung deutlich. 191 Die Prädisposition des kath. Klerus für die Sozialarbeit durch Herkunft, Bildungsweg, Zölibat betont auch A. Bebel, Die Tätigkeit des deutschen Reichstages von 1887 bis 1889, Berlin 1909, S.71. 192 Jedin, Bd.6/2, S.235ff.; Maier, Revolution, S.250ff. 193 Höhepunkt: Enzyklika Rerum Novarum 1891 (Texte . . . Soziallehre, Bd.1, S.31ff.), die das Koalitionsrecht der Arbeiter und Staatsintervention im Arbeitsbereich billigte, den Streik aber ablehnte. 194 Vgl. den Programmentwurf der Präsides Münchens für die kath. Arbeitervereine Deutschlands 1892 (Text bei Gasteiger, Arbeiterbewegung, S.82ff.). 195 Ebd., S.77; Der Arbeiter, Jg. 9, 1898, Nr.1, Jg. 10, 1899, Nr.52. 196 Über Konflikte mit dem Unternehmerbürgertum z.B. Der Arbeiter, Jg. 10, 1899, Nr. 52. 197 Z.B. PfArchiv Anger A I 6. 198 Satirisch dazu L. Thoma, Josef Filsers gesammelter Briefwexel, sowie das Gedicht »Hochwürden«, in: Gesammelte Werke in 8 Bdn., München 1956, Bd. 5, S.337ff., Bd. 8, S.170f. 199 Allg.Jedin, Bd.6/2, Freiburg 1974, S.28ff., 59ff;Aubert, S.384ff.; Buchheim, Ultramontanismus, S.215ff.; E. Schmidt-Volkmar, Der Kulturkampf in Deutschland 1871-1890, Göttingen 1962. Zu Bayern Albrecht, in :Spindler, Handbuch, Bd.4/1, S.321 if.;Möckl, Prinzregentenzeit, bes. S.228ff.; Grasser, S.65ff.; F.v.Rummel, Das Ministerium Lutz und seine Gegner 1871 -1882, München 1935; M.Weber, Zum Kulturkampf in Bayern, in: ZBLG, Bd. 37, 1974, S. 93-120. 200 Hirtenbrief der bayer. Bischöfe, Sept. 1873, OAM Gen. vorl. Nr. 258. 201 ledin, Bd. 6/2, S. 220ff. 202 Freisinger Denkschrift der bayer. Bischöfe 14.6./8.11.1888, in: GenSlg., Bd.4, S.603; ME 28.3.1889, in: ebd., S.613; vgl. Albrecht, in: Spindler, Handbuch, Bd.4/1, S.326, 352; Möckl, Prinzregentenzeit, S.266ff.; M. Körner, Staat und Kirche in Bayern 1886-1918, Mainz 1977, S. 23 ff. 203 Die SchulsprengelVO 29. 8. 1873 (RBI., S. 1401) favorisierte, indem sie die Volksschulsprengel vom Pfarrsprengel löste und mit dem politischen Gemeindesprengel deckte, vor allem in den konfessionell zunehmend gemischten Städten die Simultanschule; die Konfessionsschule blieb jedoch Regelschule (Englmann 1879, S. 204ff.). 204 Hirtenbrief der bayer. Bischöfe, Sept. 1873, OAM Gen. vorl. Nr.258; ähnlich Distr.schulinsp. Erding I - Ord. München-Fr. 19. 2. 1892, OAM Gen. vorl. Nr.249. 205 Z. B. zur Simultanschule Reg. OBy. - Ord. München-Fr. 19. 9. 1882 und PfA St. Ludwig/München-Ord. München-Fr. 26. 9. 1882, ebd.; betr. Lehrer Beispiele in OAM Gen. vorl. Nr. 249, 285, 286. 206 Das Reichspersonenstandsgesetz 6. 2. 1875 (RGBI., S. 23), das die obligatorische Zivilehe einführte, war von Bayern initiiert. 207 Durch ME 10. 6. 1873; seit Mitte der 1880er wurde ihre Tätigkeit in beschränktem Umfang wieder geduldet, 1894 wurden sie auf Initiative der bayer. Regierung (1889) im Reich wieder zugelassen (Grasser, S.95ff.; OAM Gen. vorl. Nr.240).

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Anmerkungen von Seite 187-191 208 Klagen über die Vernachlässigung der Volksbildung durch Pfarrer in StAM RA 53674. 209 Z. B. PfArchiv Anger A 16; zu schließen z. B. aus OAM Gen. vorl. Nr. 285, 286. 210 Staatsloyal oder zumindest kooperationsbereit waren in den 1880ern die Erzbischöfe Steichele von München und Schreiber von Bamberg, die Bischöfe Dinkel von Augsburg, Wekkert von Passau, Stein von Würzburg, Ehrler von Speyer (Scbärl; Schematismus Bamberg 1892; Schematismus Augsbure 1891). 211 Ansprache Erzbischof München-Fr. an Klerus und Gläubige 25. 8. 1880, in: GenSlg., Bd. 4, S. 102 anl. des 700jährigen Herrschaftsjubiläums des Hauses Witteisbach. 212 Zu Voraussetzungen, Widerständen, Hauptprotagonisten Möckl, Prinzregentenzeit, S. 276 ff. 213 Der erste Bayerische Katholikentag zu München am 23. September 1889, hg. im Auftrag des Central-Comités, München 1889. 214 An der Begrüßungsfeier 22.9. (u. a. heftige Attacken gegen die liberale Presse) nahmen ca. 5000 Männer teil, an den beiden Versammlungen 23.9. zusammen ca. 15000 (ebd.). - Die Wallfahrt hatte ca. 3000 Teilnehmer, die Feier in Altötting ca. 5000. Die Messe las Senestrey, der Hauptgegenspieler der Regierung im bayer. Episkopat, der so als einziger Bischof wenigstens am Rande des Katholikentages auftrat (ebd.). 215 Möckly Prinzregentenzeit, S. 278f.; Der erste Bayerische Katholikentag. 216 Vgl. R. Morsey, Die deutschen Katholiken und der Nationalstaat zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, in: HJ, Bd. 90, 1970, S. 31-64; R. Lill, Die deutschen Katholiken und Bismarcks Reichsgründung, in: Th. Schieder u. E. Deuerlein (Hg.), Reichsgründung 1870/71, Stuttgart 1970, S. 345-365. 217 HStAM MInn 54077; StAM RA 40947; StAAmbg Reg. Kdl. 11698 qu. 218 Z. B. BA Passau - Reg. NBy. 5. 9. 1875, HStAM MInn 54077; InnM - AM 3. 9. 1874 und Programm Feier 10 Jahre Sedan in München 5.9.1880, ebd. 219 Z. B. BA Griesbach - Reg. NBy 6.9.1875, ebd. Ähnlich ebd. betr. Markt Altötting und Stadt Friedberg. 220 Z.B. BA Kelheim - Reg. NBy. 5.9.1875 und Reg. OBy. - InnM 4.9.1875, ebd. 221 Reg. UFr. - InnM. 16.9.1875, Reg. OFr. - InnM 12.9.1875, Reg. OBy. - InnM. 4.9.1875, alle ebd. 222 Amberger Volkszeitung 4.9.1875; KM - InnM 23.3.1877, BA Cham - Reg. OPf. 4.9.1875, InnM - AM 13.9.1875, Reg. UFr. - InnM. 16.9.1875, alle ebd. 223 Z. B. zu Rothenburg Fränkischer Anzeiger 3.9.1875. Deutlich war das besonders in den konfessionell gemischten Regierungskreisen: zu OFr. Reg. OFr. - InnM 12.9.1875, zu Schw. Reg. Schw. - InnM 6.9. 1875, zu UFr. Reg. UFr. - InnM 16.9.1875, alle HStAM MInn 54077. 224 Zum Sedantag als ›Kulturkampftag‹ InnM - AM 13.9.1875, ebd. 225 Bischof Ketteier von Mainz 1871, in: Vhdlgn. 21. Generalversammlung Mainz 1871, S. 306 ff. (»Wir sind treue Unterthanen . . . wegen Gott und Gottes Gebot. . . treu der Obrigkeit, selbst wenn wir nicht immer . . . mit ihren Maßregeln einverstanden sind«); ähnlich Landrichter Horn aus Homburg (Pf.), ebd., S. 20ff. Auch Vhdlgn. 24. Generalversammlung München 1876, S. 66 f. 226 Vhdlgn. 21. Generalversammlung, S. 70; Vhdlgn. 24. Generalversammlung, S. 67. 227 Vgl. W. Conze u. D. Groh, Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung, Stuttgart 1966; D. Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt 1973, bes. S. 36ff. 228 Vhdlgn. 21. Generalversammlung, S. 308 f. Selbst in eine abgelegene, als Tagungsort wenig attraktive Stadt wie Amberg kamen 1884 942 Mitgl., 16 Berichterstatter, 130 Deputierte kath. Männervereine, 380 Teilnehmer und 755 Zuhörer- insges. 2223 Personen- als Multiplikatoren (Vhdlgn. 31. Generalversammlung Amberg 1884, S. 292ff.). 229 Vhdlgn. 24. Generalversammlung, passim.

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Anmerkungen von Seite 191-193 230 Ebd., S. 321f.; Vhdlgn. 21. Generalversammlung, S. 74ff.; Vhdlgn. 23. Generalver­ sammlung F reiburg 1875, S. 105. 231 Noch 1895 ζ. Β. wurde die ›Römische Frage‹ an 1. Stelle behandelt (Vhdlgn. 42. Generalversammlung München 1895); auch Vhdlgn. 24. Generalversammlung, S. 71. Vgl. A. Langner, Katholizismus und nationaler Gedanke in Deutschland, in: H. Zilleßen (Hg.), Volk - Nation Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus, Gütersloh 1970, S. 238 ff. 232 Z.B. 1871 nach Maria Einsiedeln (Vhdlgn. 21. Generalversammlung, S. 153). 233 Zu den Trauerfeiern für Wilhelm I. und Friedrich III. 1888 Ord. München-Fr. 17.6.1888, in: GenSlg., Bd. 4, S. 513; zum 100. Geburtstag Wilhelms I. 1897 ebd., Bd. 5, S. 450 f. 234 Typische Predigttitel: »Was der Tod 1) nimmt, 2) gibt«; »Tod und Untergang«; »Die Zufluchtsorte vor dem Zorn des kommenden Richters« (Gemminger, z. B. Bd. 6, 1872, S. 148ff., Anh., S. 16f.; J . E . Zollner u. J . Ziegler (Hg.), Gelegenheitsreden, Bd. 1, 1881, S. 71ff.; S. Knoll, Wozu Priester? Predigt, Erding 1882, S. 11; G. Busl, Predigten für verschiedene Gelegenheiten, Regensburg 18872, S. 814ff., 893; L. R. Schaufert, Was ist und was soll ein Veteranen- und Krieger-Verein sein? Ansprache, Neuburg/Donau 1874; Großer katholischer Katechismus mit einem Abrisse der Religionsgeschichte für sämtliche Bistümer Bayerns, Regensburg ο. J . (Besitzvermerk 1889), betr. 4. Gebot; Katechismus der katholischen Religion für die Volksschulen im Bisthume Augsburg, Augsburg 18778 betr. 4. Gebot; Hosanna. Gebet- und Gesangbüchlein für die katholische Schuljugend, München 189620. - Eine ständisch gegliederte Gesellschaft präsentierte jährlich sinnfällig die Fronleichnamsprozession, z. B. StadtMM Μ II, 383. 235 G. BUSI, Predigten auf die Feste unseres Herrn Jesu Christi, Regensburg 18923 S. 317ff. 236 »Wenn die Leute sich bessern, so bessert sich auch die Zeit« (Gemmminger, Bd. 8, 1874, S. 164 ff.). 237 Sautner, Bd. 9, 1870, S. 891 ff.; Busl, Gelegenheiten, S. 877ff., 893 ff.; Zollnger u. Ziegler, S. 57 ff. 238 Busl, Gelegenheiten, 1877ff. (die bayer. Infanterie trug blaue Uniformen); Katechis­ mus . . . Augsburg, S. 182. 239 Busl, Feste, S. 318 f.; Gemminger, Bd. 7, 1973, Anh. 5. Die Jugend solle besser Bücher über »die Schicksale der heiligen Braut Christi und ihrer Glaubenshelden . . . als romanenhafte, Kopf und Herz schwächende Schriften«, die »zu ihrem zeitlichen und ewigen Verderben« führen, lesen (Großer Katechismus, S. X). 240 Busi, Feste, S. 323. 241 Großer Katechismus, S. XII. Auch Ehrler, S. 489ff. und Gemminger, Bd. 6, 1871, S. 149. 242 Hosanna; M. Vogel u. A. Auer, Katholisches Christenbuch für häusliche Andacht, Köln 1912 (reich illustriertes Prachtwerk), Anh.; Sautner, Bd. 9, 1870, S. 224; St. Kilians-Β ruder­ schaft 1888. 243 Z. B. ebd.; Vogel; Handbüchlein für den am 14. Februar 1875 beginnenden Jubel-Ablaß, ausgeschrieben von Papst Pius IX. am 24. Dezember 1874, München 1875. Auch die kath. Predigtsammlungen sind stärker formalisiert als die prot. 244 Die Seelsorgeberichte und Pfarrbeschreibungen in den Ordinariatsarchiven sind für das späte 19. und frühe 20. Jh. entweder durch Kriegseinwirkung bis auf Reste vernichtet oder ihre Benutzung wurde verweigert. Die zeitraubende Rekonstruktion aus den Entwürfen in den Pfarrarchiven ist nur beschränkt möglich, da diese Akten oft nicht mehr erhalten oder nicht einzusehen sind. Um so mehr habe ich Herrn Diözesanarchivar Dr. Peter v. Bomhard +/ München zu danken, der mir großzügig die Benutzung der Restakten des OAM gestattete, sowie Herrn Pfarrer K. Hobmair/Oberhaching und Herrn frr. Pfarrer G. Hunklinger/Ainring und Anger für ihre freundliche Unterstützung. 245 Jedin, Bd. 6/2, S. 265 ff. 246 In Anger (BA Berchtesgaden) z. B. blühte der 3. Orden der Franziskaner auf, der Verein

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Anmerkungen von Seite 193-196 der heil. Familie stieg 1896-1899 von 177 auf 251 Familien (= ca. 1500 Seelen), die Vereinigung zur Anbetung des Altarsakraments hatte ca. 500 Mitgl., ein 1903 gegründeter Burschenverein rasch 62 (Seelsorgeber. 1896, 1897, 1899, 1903/1904, PfArchiv Anger A IV 10). 247 Vor allem die Jungfrauenvereine waren Ziel derber Anspielungen auf die verbreitete Diskrepanz zwischen Virginitatskult und vorehelicher Sexualität (z. B. Haberfeldtreiben Irschenberg 10.11.1850, vgl. F. W. Zipperer, Das Haberfeldtreiben. Seine Geschichte und seine Deutung, Weimar 1938, S. 41). 248 Seelsorgeber. Oberhaching und Filialen Unterhaching-Taufkirchen und Grünwald 1880, 1882, 1884, 1886, 1887, 1892, 1893, PfArchiv Oberhaching, Paschal-Elaborate. Eine Minderheit eine 4-5mal/Tahr zur Kommunion, die Mehrheit 2-3mal. 249 Die Bauern verkauften den gesamten Milchertrag ins nahe München; außerdem lehnten die Dienstboten bei schwerer Arbeit (Ernte u. dgl.) die überkommene Mehl- und Schmalzkost immer häufiger ab (Seelsorgeber. Oberhaching 1884, ebd.). - Der Pfarrer hielt 1886 5 Vorträge über das Fasteneebot ohne merkliche Wirkung (Seelsorgeber. Grünwald 1886, ebd.). 250 Seelsorgeber. Taufkirchen-Unterhaching 1892, ebd. 251 Zur Auflösung des regelmäßigen Kirchenbesuchs: attraktive Gottesdienste waren überfüllt, die an ›normalen‹ Sonntagen - vor allem nachmittags - immer schlechter und die Werktagsgottesdienste oft nur mehr von den Schulkindern, die der Lehrer in die Kirche führte, und von einigen alten Frauen besucht (Seelsorgeber. Taufkirchen-Unterhaching 1884, 1885, 1887, Grünwald 1886, 1893, ebd.). 252 Seelsorgeber. Oberhaching 1884, 1886, Grünwald 1887, ebd. 253 Seelsorgeber. Grünwald 1887, Oberhaching 1886, ebd. 254 Z.B. Seelsorgeber. Mariahilf/München 1889, 1894, St. Ursula/München 1894, OAM Gen. vorl. Nr. 107. Die Gemeinde Mariahilf spendete in 1 Jahr - trotz vorwiegend unbemittelter Bevölkerung - für Kindheit-Jesu-Verein 500, Missionsverein 305, Korbiniansverein 50, die Väter vom heil. Grab 21, den Peterspfennig 175, den Kirchenbau 180 Mk (Seelsorgeber. 1889, ebd.). 255 In der Piarrei St. Margareth/Munchen ζ. Β. ca. 10% alte agransche Bevölkerung, ca. 90% neue industrielle (Seelsorgeber. 1894, ebd.). 256 In der Unterschichtenpfarrei Mariahilf 11 %, in ganz München 5% Mischehen (Seelsorgeber. Mariahilf 1894, ebd. und Pfarrstatistik München 1887/1888, OAM Gen. vorl. Nr. 155). 257 In München ging 1887/1888 jeder Katholik durchschnittlich 2½ mal zur Kommunion, d. h. angesichts der oft mehrfachen Häufigkeit in den Kerngemeinden, daß viele nur lmal, viele gar nicht gingen. Die Osterkommunion empfingen nur mehr 46% (Pfarrstatistik München 1887/1888, ebd.). 258 Z. B. Seelsorgeber. St. Ursula/München 1894, OAM Gen. vorl. Nr. 107 (betr. Metallarbeiter, Bauarbeiter, Hilfsarbeiter). 259 Seelsorgeber. St. Peter/München 1889, ebd. 260 Den Zuwanderern fehlte häufig das Geld für die Ansässigmachungs- und Ehetaxen (Seelsorgeber. Mariahilf/München 1889 und Maria Himmelfahrt/München 1894, ebd.). 261 In St. Margareth/München gab es für ca. 20000 Gemeindemitgl. 2 Beichtstühle, die trotzdem wenig frequentiert wurden (Seelsorgeber. 1894, ebd.). 262 Seelsorgeber. Dompfarrei/München 1889, ebd. 263 Ord. München-Fr. 28.1.1887, ebd. 264 Hirschmann, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/2, S. 894ff.; Huber u. Huber, Bd. 2, S. 1002 ff. 265 Lembergy Nationalismus, Bd. 2, S. 56ff.; auch Deutsch, passim. 266 Z. B. Fränkischer Kurier 3. 8., 1. 7. 1859,4. 7., 21. 8., 23. 8. 1866; vgl. Schieder, Partei, passim; Tkränbardt, S. 63ff. 267 Ecke, passim.

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Anmerkungen von Seite 197-201 268 Amts-Handbuch 1883, Bd. 4, S. 49ff.; LkAN OKM 943, 1716; z. B. KM - Prinzreg. 6.3.1887, HStAM MK 19033. 269 Wiesinger. Allg. P. Piechowski, Die Kriegspredigt von 1870/71, Diss. Königsberg 1917 (materialreich, mit zeitbedingter Wertung); K. Hammer, Deutsche Kriegstheologie 1870-1918, München 1974 (schlachtet vom entgegengesetzten Standpunkt populär-aktueller Militär- und Kirchenkritik her Piechowskis Arbeit aus). 270 OKE 23.5.1879, in: Amts-Handbuch 1883, Bd. 4, S. 56. 271 StALht BA Mainburg F. 23, 411; ebd. BA Vilshofen F. 75, 11; StANeubg BA Dillingen Alte Serie 1979. Kons. Bayr. - Oberkons. 27.8. 1872, LkAN OKM 2239. - Die Aufstellung von Kriegergedenktafeln in den Kirchen wurde von Bürokratie und Geistlichkeit forciert (VOn 3.6., 11.6., 18.6.1871, in: Amts-Handbuch 1883, Bd. 3, S. 733f.). 272 Wilhelm I. zugeschrieben, öffentlich erstmals verbreitet durch ein Spruchband bei der 1. Sedanfeier in Berlin (H. Lehmann, Friedrich von Bodelschwingh und das Sedanfest, in: HZ, Bd. 202, 1966, S. 542-573, 553). 273 Diese Einstellung spiegelt z. B. die Schrift des späteren Präsidenten des Oberkonsistoriums A. Stählin, Das landesherrliche Kirchen regiment und sein Zusammenhang mit Volkskirchentum, Leipzig 1871. 274 Z. B. Wiesinger, S. 14. - Allg. G. Brakelmann, Der Krieg 1870/71 und die Reichsgründung im Urteil des Protestantismus, in: Huber u. Schwerdtfeger, S. 293-320 (vorwiegend anhand preuß. Quellen); E. Bammel, Die Reichsgründung und der deutsche Protestantismus, Erlangen 1973 (apologetisch und mager). 275 Mehrmann, Predigt, S. 7ff. 276 Allg. zur »nationalprotestantischen Geschichtstheologie« und ihrem Säkularisierungseffekt W. Tilgner, Volk, Nation und Vaterland im protestantischen Denken zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: Zilleßen, S. 135ff. 277 C. Mehrmann, Rede bei der Pflanzung eines Eichbaumes vor dem Schulhaus zu Ortenburg,Ortenburgl871. Z. B. K. A. v.Zezscbwitz, Der Hirt und seine Herde, Predigten, gehalten in der Universitätskirche zu Erlangen 1868-1884, S. 444ff. und 450ff., zit. nach Hammer, S. 177ff. (Auszug). 278 Z. B. HStAM MInn 54077; StAM RA 40977. Allg. Th. Schieder, Das deutsche Kaiserreich als Nationalstaat, Köln 1961, bes. S. 76ff. und 125ff. 279 LkAN OKM 2239. Auf die Prädisposition des Protestantismus für den Sedan-Kult deutet bereits dessen Entstehung aus einer Initiative des Berliner Protestantenvereins für ein »allgemeines deutsches Volks- und Kirchenfest als Stiftungsfest des Reiches« (Schieder, Kaiserreich, S. 125ff.; Lehmann). 280 Ebd. 556ff. 281 LkAN OKM 2239. 282 Zum Zusammenhang von prot. Geschichtstheologie und politischem Konservativismus im Kaiserreich Brakelmann, in: Huber u. Schwerdtfeger, S. 317ff. 283 Z. B. V. K. Veillodter, Predigten auf alle Sonn- und Festtage des Jahres, 2 Bde., Nürnberg 1820, Bd. 2, S. 371 ff. 284 Lt. mündlicher Nachricht über die Pfarrhäuser in Ortenburg (NBy.), Ohrenbach (MFr.), St. Johannis/Ansbach, Unterrodach (OFr.) von Herrn Hans Diem (Ortenburg), Herrn Pfarrer Schnorr (München), Fräulein Anna Buhler (München). 285 Beispiele aus den 1870er Jahren in LkAN OKM 2272. 286 Kons. Ansb. - Dek. Wassertrüdingen 19.4.1877, ebd. 287 Auf den Interimspräsidenten J . M. Meyer (1879-1881) folgte die »zarte Melanchthonnatur« (Simon, Kirchengeschichte, S. 659) A. Stählin (1883-1897) (Schärl, S. 300f.), der das Erbe Harleß' verwaltete, aber weder der Kirche noch nach außen Impulse gab. 288 Vgl. W. Boehlich (Hg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfun 1965, bes. S. 255 f. Die Petition, von Professor F. Zöllner und Gymnasiallehrer B. Förster (Schwager F. Nietz-

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Anmerkungen von Seite 201-203 sches) veranstaltet, forderte u. a. für Juden Beschränkung oder Verbot der Einwanderung, Ausschluß von Hoheitsfunktionen u. del. 289 Im konfessionell gemischten BA Scheinfeld (MFr.) z. Β. fand die Adresse unter der agra­ risch-kleingewerblichen Bevölkerung in prot. Gemeinden Unterzeichner, in kath. nicht (KM Oberkons. 9.1.1881, LkAN OKM 2308). 290 Das parteipolitisch liberale Engagement J . Hofmanns beeinflußte offenbar den Erlanger Lehrbetrieb nicht spürbar (Kantzenbach, Theologie, S. 179 ff.). 291 Vgl. S. 329, Anm. 264 und S. 369, Anm. 305; Kneule, Bd. 2, S. 26ff., 51 ff., 71 ff. 292 Die Fakultät bestimmten nach dem Tod J . Hofmanns 1877 R. Frank, »der letzte Vertreter der eigentlichen Erlanger Theologie« (Simon, Kirchengeschichte, S. 672), der streng konservative Th. Zahn und der flexiblere Th. Kolde (Kantzenbach, Theologie, S. 221 ff., RGG, Bd.6 3 , Sp. 1865, Bd. 33 Sp. 1720). 293 Vor allem der von A. Ritschi (Göttingen) begründete, auf Luther und Kant fundierte Versuch, spekulative Theologie und Orthodoxie durch die Interpretation des Gott-Welt-Verhältnisses als ethische Aufgabe zu überwinden (Stephan u. Schmidt, S. 202ff.), und die von Ritschl-Schülern gebildete religionsgeschichtliche Relativierung der Theologie (A. Harnack, E. Troeltsch)(ebd.,S. 226 ff.; positiver Rendtorff,S. 13 ff.). Zu dem-nicht zeitgenössischen, sondern erst in den Konflikten der 1920er Jahre verbreiteten - Sammelbegriff liberale Theologie‹ vgl. H.-J. Birkner, ›Liberale Theologie‹ in: Schmidt u. Schwaiger, S. 33-42. 294 Auch sie mußte allerdings der allgemeinen theologischen Schwerpunktverschiebung folgen: seit Franks Tod dominierten auch in Erlangen die exegetischen und historischen Perspektiven (Kantzenbach, Theologie, S. 229). 295 VO 5.5.1870, in: Amts-Handbuch 1883, Bd. 4, S. 429. 296 Diese begrenzte Pastoralhaltung spricht aus den Pfarrberichten noch wie aus denen der Erweckungspfarrer im Vormärz (LkAN Dek. Ansb. 199 VII: Dek. Reeensbure 171, 172). 297 Z. B. LkAN Dek. Ansb. 199 VII. 298 In der Abendmahlsfrequenz übertrafen um 1860 nur Kurhessen (82,45%), Lippe (80,85%) und Waldeck (80,29%) Bayern r.d.Rh.; es folgten Sachsen-Altenburg (76,03%), Sachsen (72,41%), Württemberg (70,44%); zum Vergleich: Hannover (63,43%), Preußen (52,36%), Holstein (29,89%), Frankfurt/M. (18,29%) (Oettingen, Bd. 1, S. 142). 299 Neben den Hauptgottesdiensten fanden Wochengottesdienste vor allem bei der weiblichen Bevölkerung noch ein gewisses Echo. (LkAN Dek. Ansb. 199 VII; Dek. Regensburg 171, 172; Dek. Thurnau 56). - »Abendmahlsverächter« waren selten (ebd.); die Frequenz betrug ζ. Β. 1883-1886 durchschnittlich 156%(Dek. Ansb. 199 VII)oder 1871-1875 109, 1891-1895111% (LkAN Pfarrbeschr. Münchsteinach). 300 In einer Landpfarrei mit gut 100 Seelen war z. B. das Bayerische Sonntagsblatt in 76, Scheitbergers Sendbrief in 67 Exemplaren abonniert. Die populären Erbauungsbücher von Starck (Christlicher Hausschatz, Tägliches Handbuch, Predigten) wurden in vielen Häusern benützt'(Dek. Ansb. 199 VII). 301 In einem Markt sank die Abendmahlsfrequenz von 133% 1855-1864 auf 93% in den 1880ern (LkAN Kons. Bayr. 4214 III; Dek. Reeensburg 172). Vgl. auch Dek. Thurnau 56. 302 In Bayreuth ging 1879-1882 ca. 1/3 der prot. Einwohner zum Abendmahl (Kneule, Bd. 2, S. 23), d. h. eine Frequenz von ca. 45%. In Ansbach zeigten weiterhin die Pfarreien St. Gumbert und St. Johannis das Kirchlichkeitsgefälle Land-Stadt deutlich (Dek. Ansb. 199 VII). 303 K.D.Schmidt, Grundriß der Kirchengeschichte, Göttingen I9603, S. 470ff.;Rendtorff. 304 LkAN Dek. Ansb. 199 VII; Kneule, Bd. 2. 305 Die Pfarrei St. Leonhard/Nürnberg, die auch das stürmisch wachsende Arbeitergebiet Gostenhof einschloß, hatte 1884 für 24 000 Gemeindemitglieder 1 Pfarrer und 1 Vikar (LkAN OKM 2332). 306 Statistische Abendmahlsfrequenz in Fürth um 1880 ca. 25%; tatsächlich lag sie, da ein Teil der Kirchenverbundenen mehrmals im Jahr ging, noch niedriger (LkAN Dek. Fürth 24I). -

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Anmerkungen von Seite 204-212 Die Kerngemeinde pflegte allerdings noch Hausgebet, Hausandacht, Erbauungslektüre (LkAN Kons. Ansb. 4611a). In einer aus agrarisch-kleinhandwerklicher Tradition in den Fürther Bereich gezogenen Gemeinde sank die Frequenz von 127% 1866-1870 auf 59% 1876-1880. (LkAN Pfarrbeschr. Fürth-Poppenreuth). 307 Die Steigerung (1881 89,5%, 1893 91,6% [LkAN OKM 377]) ging stärker auf das Konto der Frauen; der Abstand zur Abendmahlsfrequenz der Männer vergrößerte sich weiter: 1881 1884 1893 1896 weiblich männlich

98,4% 80,5%

99,1% 81,3%

101,3% 82,5%

100,9% 82,3%

(ebd.).

6, Staatliche und kirchliche Prägung im Rückstand 1 Albrecht, in:Spindler, Handbuch, Bd. 4/1, S. 347ff.;Möckl, Prinzregentenzeit, S. 349ff.; K. Bosl, Gesellschaft und Politik in Bayern vor dem Ende der Monarchie. Beiträge zu einer sozialen und politischen Strukturanalyse, in: ZBLG, Bd. 28, 1965, S. 1-31. 2 Überblick bei Zorn, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/2, S. 808ff. 3 Zu Begriff, Konzept und Erklärungswert H. A. Winkler (Hg.), Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974. 4 A. Hundhammer, Geschichte des Bayerischen Bauernbundes, München 1924; H. Haushofer, Der Bayerische Bauernbund (1893-1933), in: H. Gollwitzer (Hg.), Europäische Bauernparteien im 20. Jahrhunden, Stuttgart 1977, S. 562-586. 5 Vgl. H. Hirschfelder, Die bayerische Sozialdemokratie 1864-1914, 2 Bde., Erlangen 1979; D. Rossmeissl, Arbeiterschaft und Sozialdemokratie in Nürnberg 1890-1914, Nürnberg 1977; W. K. Blessing, Der monarchische Kult, politische Loyalität und die Arbeiterbewegung im deutschen Kaiserreich, in: G.A. Ritter (Hg.), Arbeiterkultur, Königstein/T. 1979, S. 185-208, 195 ff. 6 Vgl. J . Reimann, Ernst Müller-Meiningen senior und der Linksliberalismus in seiner Zeit, München 1968, bes. S. 83 ff. 7 Albrecht, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/1, S. 297f.; Thränhardt, S. 85ff. 8 Möckl, Prinzregentenzeit, S. 535ff.; W. Albrecht, Landtag und Regierung inBAYERAO Vorabend der Revolution von 1918. Studien zur gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung Deutschlands von 1912-1918, Berlin 1968, Abschn. I. 9 Vgl. Möckl, Prinzregentenzeit, S. 479ff.; Albrecht, in: Spindler, Handbuch, S. 347ff. 10 Satirisch pointiert das Bild bei L. Thoma, Joseph Filsers gesammelter Briefwexel. 11 Albrecht, imSpindler, Handbuch, Bd. 4/1, S. 357ff;Möckl, Prinzregentenzeit, S. 479ff.; Thränhardt, S. 102ff.; Bosl, Gesellschaft; ders. u. Kraus, Dokumente, Bd. 2, S. 141 ff. 12 Wie die Krise des 1. Weltkriegs diese Bedrohung zum Zerfall verschärfte, hat K.-L. Ay, Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des Ersten Weltkriegs, Berlin 1968 gezeigt. 13 Kultusminister waren L. A. Müller 1890-1895, R. A. Landmann 1895-1902, K. v. Podewils 1902/1903, A. Wehner 1903-1912, E. Knilling 1912-1917 (Schärl, S. 103, 98, 108, 116, 97f.). 14 Grundlegend Möckl, Prinzregentenzeit. 15 Die Konflikte zwischen Kirchenhierarchie und demokratischer kath. Arbeiterbewegung beeinflußten die kath. Schulpolitik kaum; beide Seiten folgten hier denselben Maximen. 16 Lesebuch für die Mittelklassen der Volksschulen des Regierungsbezirkes Oberbayern, München o.J. 3 0 , S. 127; Lesebuch für die Oberklassen der Volksschulen . . . für den Regierungsbezirk Unterfranken, München o.J. 1 2 , S. 78, 99, 109, 94. 17 Ebd., passim.

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Anmerkungen von Seite 212-215 18 Die »alten Deutschen«, Hermann, Karl d. Gr., Barbarossa, Rudolf v. Habsburg, Friedrich d. Gr., Maria Theresia, Herrscher und Helden der Befreiungskriege und der Reichseinigung. - Otto v. Witteisbach, Ludwig d. Bayer, Maximilian I., Max Emanuel, die Könige des 19. Jhs. -München, Sendling, Freising, Scheyarn, Witteisbach, Landsberg, Augsburg, Rain a. Lech, Mühldorf, Regensburg, Nürnberg, Speyer (Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen . . . Oberbayern, München 1890, S. 52, 82). 19 Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen der Pfalz, o.O. 1908, S. 94. 20 Schul- und Lehrordnung Oberbayern, passim. 21 Schul- und Lehrordnung für die Volksschulen . . . Würzburg, Würzburg 1898; Lehrplan für die deutschen Schulen der Stadt Schweinfurt, Schweinfurt 1899. 22 Schul-und Lehrordnung für die Volksschulen . . . Unterfranken, Würzburg 1913, S. 68f.; Schul- und Lehrordnung Oberbayern 1913, S. 62f.; Lehrplan Schweinfun, S. 20f. Die Stoffwiederholung sollte in thematischen Längsschnitten erfolgen, durch die einfache Wirtschafts-, Gesellschafts- und Verfassungstypen abstrahiert werden konnten. 23 Schul- und Lehrordnung für Mittelfranken, Entwurf 24.3.1909, HStAM MK 22854. 24 Die zunächst noch verwendeten Bücher der 1870er Jahre (ζ. Β. Solereder 1895 in OBy. lt. Beratungsprotokoll der durch ME 21. 10. 1893 eingerichteten Kommission zur ständigen Ergänzung des Verzeichnisses der zugelassenen Schulbücher 9.5. 1895, HStAM MK 22886) wurden ersetzt durch je ein - für kath., prot., simultane Schulen einheitliches - Lesebuch für die Unter-, die Mittel-, die Oberklassen. Zur jeweiligen Zulassung KMB1. (z.B. 30.8.1896) und Bekanntmachungen der Kreisregierungen (z.B. Reg. OFr. 2.1., 12.7.1901, 30.7.1903, 29.10.1904, HStAM MK 22887). 25 Z.B. Eingabe des Landesverbandes der kath. geistlichen Schulvorstände Bayerns, des Christlichen Bauernvereins, des Katholischen Lehrervereins, des Evangelischen Schulvereins an Landtag und Regierung (Bayerischer Kurier 18.11.1913; OAM Gen. vorl. Nr. 226). 26 Eigene Realienbücher wurden kaum mehr verwendet, da die Kreis-Lesebücher gemäß der nun herrschenden pädagogischen Ganzheitsmethode Übungsstoff für alle Fächer außer Religion und Rechnen boten (Reg. OFr. 1.2.1901, HStAM MK 22887). 27 Z. B. Lesebuch für die Mittelklassen Oberbayern, S. 180. Das einseitig auf München und das Oberland fixierte Fremdenverkehrs-Oberbayernbild prägte auch schon die Schulbücher. 28 Lesebuch für die Oberklassen Unterfranken, S. 335 sowie die Bilder »Rheingegend bei Bingen, Der Dom zu Köln, Die Weinlese am Rhein, Berlin Unter den Linden, Hafen von Hamburg, Helgoland«; Lesebuch für die Oberklassen Unterfranken, S. 141. 29 Ebd., S. 340. 30 Er hatte »die Kinder mit einer Anzahl von Liedern fürs Leben auszustatten« (Lehrplan für die Werktagsvolksschulen . . . Münchens, München 1912, S. 118). Z. B. Schul- und Lehrordnung Würzburg, S. 42f.; Lehrplan Schweinfun; Lehrplan München, S. 118ff.; Schul- und Lehrordnung Mittelfranken, HStAM MK 22854. 31 Distr.schulinspektion Würzburg l.d. Mains - Reg. UFr. 2.6.1893, 4.6.1906, StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 3407. 32 Die partikularistische Zeitung Vaterland klagte nicht unzutreffend: »Von der Geschichte seines Landes kennt der bayerische Bauernbursch meist mehr als der bayerische Student« (20.7.1904). 33 Z. B. J . Schiffeb, Handbuch für den Unterricht in der deutschen Geschichte, Paderborn (Beratungsprotokoll d. Komm. z. Ergänzung des Schulbücher-Verzeichnisses 22.4.1897, HStAM MK 22886). - Der liberale Fränkische Kurier warf der Kommission vor, Bücher, die in Norddeutschland Preise erhielten, abzulehnen, und forderte eine bessere Vertretung Neubayerns bei der Auswahl der Mitgl. (27.12.1899). 34 KM - Prinzreg. 8.12.1906, HStAM MK 14920. 35 J . Langl, Bilder zur bayerischen Geschichte und F. Engleder, Vaterländische Geschichtsbilder wurden in 5000 bzw. 10000 Exemplaren verteilt (KMB1. 17.7.1899), weitere patriotische

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Anmerkungen von Seite 215-218 Bildersammlungen für den Massenunterricht empfohlen (Gutachten einer Komm, des Obersten Schulrats 11.2,1904, HStAM MK 14920; KM - Schulleitungen 5.12.1906, ebd. 22901). 36 O. Kronsedet, Lesebuch zur Geschichte Bayerns, München 1906, Lehrerhandbuch für Volks- und Fortbildungsschulen. Wissenschaftlich legitimiert wurde diese Sicht durch S. Riezler, Das glücklichste Jahrhundert bayerischer Geschichte 1806 bis 1906, München 1906 (19113). 37 Vom »teutschen König« Ludwig I. über den »begeisterten Held des deutschen Reiches« Ludwig II. bis zum »innig« an Kaiser und Reich gebundenen Prinzregenten (Kronseder, S. 627, 646, 653; auch Schul- und Lehrordnung Unterfranken, S. 13). 38 Huldigung der Jugend zum 70. Geburtstage . . . des Prinz-Regenten, Separatdruck aus den Jugendblättern, Jg. 1891, S. 9. 39 K. Dietmann, Festspiel für die Jugend zur Feier des 90. Geburtstages . . . des Prinzregenten Luitpold, Diessen 1911; J . Böshenz, Heil, Luitpold, Dir! Schülerfestspiel. . . der bayerischen Jugend dargereicht, Grünstadt 1911. 40 Z. B. Mag. Geisenfeld- BA Pfaffenhofen 16.3.1914, StAM LRA Pfaffenhofen F. 14, 473. 41 Münchner Neueste Nachrichten 10.5.1896. 42 Reg. OBy. - BÄr u. Lokalschulkomm. 14.4.1904, StAM LRA Pfaffenhofen F. 14, 473. 43 Reg. OBy. - B Ä r , Distr.- und Lokalschulkomm. 11.3.1913, ebd. 44 Lesebuch für die Oberklassen Unterfranken, S. 181. 45 Z.B. noch ebd., S. 185f. (F. Freilierath). 46 Z. B. Mag. Landhut-prot. Schulinsp. Landshut 27. 12. 1899, StALht BA Landshut 1611. 47 Sie waren außerdem für professionelle Vortragsreisende, Kinemathographen u. dgl. finanziell nicht attraktiv. 48 Schwäbischer Schulanzeiger 29.5.1895; Donauzeitung 4.9.1903; HStAM MK 22821. 49 Lesebuch für die Mittelklassen Oberbayern, S. 196 ff.; Lesebuch für die Oberklassen Unterfranken, S. 148, 152ff. 156f. 50 Z. B. Lesebuch für die Mittelklassen Oberbayern, u. a. S. 62f. (J. H. Voß, »Das Landleben«); Lesebuch für die 4. Klasse der Volksschulen in München, München o. J . , S. 29ff. 51 Fischer, Geschichte, Bd. 2, S. 445tf.;Bungardt, S. 74ff.;Meyer, Schule, Kap. 5; F. Wenzely Sicherung von Massenloyalität und Qualifikation der Arbeitskraft als Aufgabe der Volksschule, in:Hartmann, Schule, S. 323-386;Bölling, Heinemann, Cloer, in:Heinemann, Lehrer, S. 23-37, 121-134, 39-58, 59-79; Weinlein; Guthmann, Standes- und Vereinsgeschichte; ders., Unterfränkische Volksschullehrerschaft, bes. S. 120ff. 52 Für die Katholiken an Sonn- und Feiertagen Hochamt und Vesper, möglichst täglich Messe, mindestens 4./Jahr Kommunion; für die Protestanten sonntäglicher Hauptgottesdienst, tägliche Morgenandacht, mindestens 2'/Jahr Abendmahl; dazu Gebete vor dem Unterricht, bei Tisch und am Abend. - Zu Jubiläumsfeiern - 25jähriger Pontifikat Leos XIII. 1903, 50jähriges Priesterjubliäum Senestreys 1892-JBer. Seminar Freising 1902/1903; JBer. Lehrerbildungsanstalten NBy. 1902/1903; JBer. Seminar Straubing 1891/1892. 53 Z. B. KM - Reg. Schw. 1.11.1909, HStAM MK 22230. 54 Z.B. JBer. Seminar Speyer 1890/1891; JBer. Lehrerbildungsanstalten NBy. 1913/1914, S. 25; JBer. Seminar Altdorf 1911/1912, S. 29. 55 JBer. Kreislehrerinnenbildungsanstalt OBy. 1890/1891, S. 13. 56 JBer. Lehrerbildungsanstalten UFr. 1890/1891, S. 1. 57 JBer. Lehrerbildungsanstalten NBy. 1910/1911, S. 68. 58 Ebd. 1912/1913, S. 33. 59 Er wirkte durch die Verteilung des Schiller-Heftes der Zeitschrift Bayerland über den Tag hinaus. 60 Z. B. für die National-Flugspende nach der Zerstörung von Zeppelin IV (1908) (JBer. Seminar Altdorf 1911/1912). 61 1898 erging eine neue Lehrordnung (KMBl. 12.8.1898). Angaben über Lehrbücher, Prüfungsthemen und den Stoff der Probelektionen in den JBer.; die Aufgaben der Seminarschluß-

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Anmerkungen von Seite 218-221 Prüfungen in HStAM MK 22304, die der Anstellungsprüfungen in der Bayer. Lehrer-Zeitung. 62 A. Bock, erfolgreicher Schulbuchautor, 1905 auf dem Seminarlehrertag in Bayreuth (zit. nach M. Dömling, 150 Jahre Lehrerbildungsanstalt Freising, Freising 1954). 63 Z. B. JBer. Lehrerbildungsanstalten NBy. 1897/1898. 64 Z.B. StAAmbg. Kdl. Abg. 1949, 12624. 65 Dazu Sacher, S. 91 ff.; Cloer, S. 26ff. 66 Grundlegend war - neben pragmatischen Umweltanforderungen - die realistische Pädagogik J . F. Herbarts (1776-1841, 1808 Professor Königsberg, 1833 Göttingen, dazu Funktionen im preuß. Unterrichtswesen [NDB, Bd. 8, Sp. 572ff.; Rach, S. 219ff.]). 67 Bayer. Lehrer-Zeitung 9.5.1905, 12.11.1909. 68 H. Lorenzen, Die Kunsterziehungsbewegung, Bad Heilbrunn 1966. 69 Initiatoren: A. Lichtwark 1852-1914, Lehrer Hamburg, Studium Kunstgeschichte, Direktor der Hamburger Kunsthalle, in Verbindung mit dem »Rembrandtdeutschen« Langbehn, suchte akademische und museale Kunstpflege zur Volkskunsterziehung auszuweiten (Rach, S. 286f.); H. Wolgast 1860-1920, Lehrer Hamburg, warb durch Vorträge, Jugendschriftenaustellungen und preiswerte Dichterausgaben für literarisch wertvolle Schullektüre und Jugendliteratur, 1896-1912 Schriftleiter der Jugendschriftenwarte, durch die der Allgemeine Deutsche Lehrerverein über die Lehrer die Jugendlektüre zu prägen suchte und die auch der Bayer. LehrerZeitung beilag (ebd.., S. 298 f.). - Im Bezirks-Lehrerverein München ζ. Β. referierte Wolgast am 15.12.1899 über »Das Religiöse und Patriotische in der Jugendschrift« (Sitzungsberichte Bezirkslehrerverein München 1897-1901, Süddeutsche Lehrerbücherei) und forderte künstlerisch gestaltete Wahrheit statt normativer Moral; der Vortrag wurde von der Freien Bayer. Schulzeitung (1.3., 15.3., 29.3.1900) und als Broschüre verbreitet. 70 Bericht 14. Hauptversammlung Bayer. Lehrerverein 1899, S. 53 ff. Die Bayer. Lehrer-Zeitung warf der Jugendschriftenbewegung »puritanischen Übereifer« vor (19.5.1899, ähnlich 1. 3. 1901). Auf den Kunsterziehungstagungen, die eine Kooperation von Kulturschaffenden und Kulturvermittlern versuchten, standen die Vertreter Bayerns überwiegend im gemäßigten Flügel, der die Kunsterziehung als einen Erziehungsfaktor sah. 71 Freie Bayer. Schulzeitung 29.3.1900, 1.1.1914. 72 R. Hamann u. J . Hermand, Stilkunst um 1900, München 19732, S. 26ff. 73 G. v. Vollmar, Reden und Schriften zur Reformpolitik, hg. von W. Albrecht, Berlin 1977; R.Jansen, Georg von Vollmar. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1958; H. G. Steinberg, Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie. Zur Ideologie der Partei vor dem 1. Weltkrieg, Bonn 19723 S. 109ff. 74 Z. B. Bayer. Lehrer-Zeitung 18.8.1893; allg. Meyer, Schule, S. 166ff.; Wenzel, in:Hartmann, Schule, S. 335 ff. 75 Z.B. Bayer. Lehrer-Zeitung 31.7.1908. 76 Z. B. vor und nach der Landtagswahl 1907, als die sozialdemokratische Münchner Post dem Bayer. Lehrerverein blanken Opportunismus vorwarf (28. 6. 1908), dieser die SPD des prinzipienlosen Taktierens mit dem Zentrum und damit der Mitschuld an der Schulmisere bezichtigte (Bayer. Lehrer-Zeitung 31.7.1908). 77 Besonders deutlich an J . Beyhl 1862-1927, Lehrersohn, Lehrer Würzburg. Er kämpfte als Redner, mit Büchern, als Herausgeber der Freien Bayer. Schulzeitung 1908 ff. und als Mitglied des Landtags 1905 ff. gegen geistliche Schulaufsicht, wirtschaftliche und rechtliche Benachteiligung der Lehrer und eine religions- und traditionsorientierte Volksbildung. Das brachte ihn in heftige Konflikte mit dem Zentrum (z. B. Dr. Pichler, in:Stenogr. Ber. Vhdlgn. Bayer. Landtag, Kammer d. Abg., 1907/1908 Bd. 5, S. 267ff.) und trug ihm ein Disziplinarverfahren ein (HStAM MK 11936; vgl. auch Bayer. Lehrer-Zeitung 17.7.1908; Süddeutsche Monatshefte, Jg. 5, 1908, S. 229ff.; Reimann, S. 118f.). Beyhl suchte Unterstützung bei Vollmar (Briefe 8.5.1903, 28.6.1903, 18.1.1905, 27.1.1907, Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam, Vollmar-Nachlaß 233).

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Anmerkungen von Seite 221-222 78 Z.B.Freie Bayer. Schulzeitung 1.1.1914; 20.8.1908 (Bismarck-Nr.). 79 Bayer. Lehrer-Zeitung 17.5.1912. 80 Ebd. 21.12.1906. 81 Ebd. 25.4.1913; 17.5.1912. 82 Z. B. anläßlich des Balkankrieges ebd. 27.12.1912. 83 Die Sitzungsberichte des Bezirkslehrervereins München 1897-1901 (durchschnittlicher Besuch der jährlich 9-11 Versammlungen: 1897 89,3, 1898 115,8, 1899 138,4, 1900 136,3, 1901 [bis Mai] 156 Pers.) geben Aufschluß über weltanschauliche und politische Positionen, Lektüre, Weiterbildung, außerschulisches Bildungs- und Sozialengagement, Freizeitverhalten. 84 Bericht 12. Hauptversammlung Bayer. Lehrerverein 1893, S. 242; 14. 1899; 18. 1911, S. 156, 283. 85 Beschlossen auf der 15. Hauptversammlung 1902, nachdem das bayer. VereinsGes. 15.6.1898 (GVB1., S. 289) und das ReichsvereinsGes. 11.12.1899 (RGBl. 1899, S. 699) die Verbindung politischer Vereine auf Rechsebene zuließen. Vgl. Guthmann, Standes- und Vereinsgeschichte. 86 Bericht 16. Hauptversammlung 1905; Festschrift zur Deutschen Lehrerversammlung München 1906. 87 Als Trend zu erschließen aus der ab ca. 1890 rasch wachsenden Zahl, der manchmal angegebenen Auflagenhöhe und den Besitzvermerken der Exemplare der Süddeutschen Lehrerbücherei (aus Vereinsbibliotheken und Lehrernachlässen). - Z. B. C. Carstensen, Erziehung zur Vaterlandsliebe in der deutschen Schule, Bielefeld o. J . ; J . Ziehen, Über Volkserziehung im nationalen Sinn, München 1904; K. Keimann, Die Pflege der Heimat- und Vaterlandsliebe durch die Schule, Minden 1912; Th. Franke, Der deutsche Staatsgedanke in der Volksschule, Leipzig 1912. 88 24.6./15.7.1893. Anlaß waren Kontroversen im BLV zwischen Vorstand und Redaktion der Bayer. Lehrer-Zeitung einerseits und einigen Untergliederungen mit konservativer Mehrheit andererseits gewesen (Tymister, S. 68ff., 232ff. Allg. Cloer, S. 61 ff.). Führender Repräsentant war A. Wörle 1860-1920, Lehrer Pfersee b. Augsburg, 1911 Gemeindebevollmächtigter, 1893-1918 Mitgl. des Landtags, 1898-1903 und 1912-1918 des Reichstags (Zentrum), 1906 Mitgl. der Landesschulkommission, Ritter des päpst. St. Gregorius-Ordens (Handbuch des Bayerischen Landtages, Kammer der Abgeordneten, München 1912, S. 142f.). 89 Anonym, der Katholische Lehrerverein in Bayern, seine Ursachen, seine Gründung und sein Programm, München 1894, S.73, 117. 90 Katholische Schulzeitung 28. 10. 1870. 91 Beitrittsaufruf August 1893, HStAM MK 11891; R. Protzen, Was kann die Schule thun, um den sozialistischen und communistischen Ideen der Umsturzparteien entgegen zu arbeiten?, Bielefeld 1891. 92 Aufruf zur 6. Hauptversammlung 1910, HStAM MK 11891. 93 Der Verein fand viele Geistliche, aber wenig Lehrer als Mitgl. (1896 260 ordentl. Mitgl. = Lehrer, 4016 Ehrenmitgl., meist Priester [Rechenschaftsbericht 1896, zit. nach Münchner Neueste Nachrichten 26.8.1896]). Ordentl. Mitgl. im Vergleich mit dem BLV: 1893 1901/1902 1905/1906 1914 Kath. Lehrerverein Bayer. Lehrerverein

117 11 372

279 12863

316 12814

341 16241

(Tymister, S. 280; Guthmann, Standes- und Vereinsgeschichte, S. 28). 94 Am 11. 12. 1910 forderte die Freisinger Bischofskonferenz alle kath. Lehrer zum Protest gegen die kirchenfeindliche Haltung der Bayer. Lehrer-Zeitung auf; von den ca. 9500 kath. BLV-Mitgl. folgten nur 180 (J.Nissl, Die Schulpolitik in Bayern 1850-1914, Diss. Würzburg 1919, S.292ff.).

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Anmerkungen von Seite 222-225 95 Er hatte selbst im prot. MFr. und in Schw. zusammen nur 40 Mitgl., davon 26 Lehrer. Auch das Evangelische Schulblatt war wenig verbreitet (Kons. Ansb. - Oberkons. 22. 12. 1896, LkAN Kons. Ansb. 3544a I). 96 Mitgl. 1893 417, 1901 420, 1914 513 (Tymister, S.280). 97 Geistliche Lieder etwa fehlten auf keiner Lehrerversammlung (z. B. Gesänge zur 14. Hauptversammlung 1899; Bericht 12. . . . 18. Hauptversammlung 1890 . . . 1911). 98 Man nahm in Anspruch, das wahre Christentum zu vertreten: »Das religiöse Empfinden, das mit dem politischen Ultramontanismus in Widerstreit steht. . ., ist ein Heiligtum des deutschen Volkes . . . und deutsche Lehrer werden es mit beschützen« (Bericht 18. Hauptversammlung 1911, S. 147). 99 Neben Nachlässigkeit im Kirchendienst, Trunksucht, sexuellen Verfehlungen wurden Lehrern nun zunehmend »freisinnige Tendenzen« und »religiöser Indifferentimsus« vorgeworfen (Distr.schulinsp. Tölz - Ord. München-Fr. 1. 12. 1893, OAM Gen. vorl. Nr. 249). 100 Beilner, S. 26ff. 101 SchuldotationsGes. 10. 11. 1861 (GBI., S.300). 102 Englmann 1905, S. 460. 103 Die Zahl der mit Erziehung und Unterricht befaßten Niederlassungen der Frauenorden größtenteils für die Volksschule - betrug 1896 378, 1898 500, 1908 605 (Statistisches Jahrbuch des Königreiches Bayern, München 1899, S. 215 und 1909, S. 264). Von den ca. 20% weiblichen Lehrkräften waren insgesamt ca. 20% Ordensfrauen, in kath. Gebieten wesentlich mehr (OPf. 52%, NBy. 35%) (Beilner, S. 110f.). 104 Vereinzelte Widerstände gründeten in der Sorge behäbiger Pfarrer vor dem religiösen Eifer der Ordensfrauen (Distr.schulinsp. Bruck II - Ord. München-Fr. 15. 8. 1893, OAM Gen. vorl. Nr. 249). 105 ME7.1.1876(KMBL, S.9). 106 Das weibliche Lehrpersonal war zur Ehelosigkeit verpflichtet (ME 29. 10. 1875 [KMBL, S.424]). 107 Mündliche Mitteilung von Fräulein Anna Buhler (München). 108 Der Aufenthalt im Wirtshaus war anstößig, in kath. Gegenden auch ein Verkehr im Pfarrhaus nicht unbedenklich (ebd.). 109 Einzelne Normabweichungen wurden begierig als Bestätigung des Vorurteils aufgegriffen (Distr.schulinsp. München I-Ord. München-Fr. 23. 11. 1893, Distr.schulinsp. Landshut I - Ord. München-Fr. 29. 11. 1893, beide OAM Gen. vorl. Nr.249). 110 Beüner, S.43. 111 Dementsprechend war das Verhältnis zwischen Bayer. Lehrerverein und dem 1898 gegründeten Bayer. Lehrerinnenverein oft gespannt (ebd., S.43, 74. Allg. zur Solidaritätsminderung durch die ›Feminisierung‹ des Lehrerberufs Cloer, in: Heinemann, Lehrer, S.73f.). 112 SchulbedarfsGes. 1902: Mindestgehalt fest angestellter Lehrer in Gemeinden unter 10 000 Einw. 1200 MK/Jahr, Lehrerin 1000 MK. In Gemeinden über 10000 Einw. reichten die Anfangsgehälter von 1590 (Günzburg) über 2190 (Nürnberg) bis 2400 (München; Lehrerin 1800; Endgehalt 4320 bzw. 3000) (Taschen-Kalender 1906, S.92ff.; G. Kerscbensteiner, Das Volksschulwesen der Stadt München, München 1906). - Qualität und Ausstattung der Wohnungen waren nun durchwegs ausreichend; mancher leistete sich ein Fahrrad; Stadtlehrer, die kein Kirchendienst band, fuhren in eine Sommerfrische, unternahmen Bildungsreisen, besuchten Theater und Konzerte. 113 Z.B. Reg. OBy. - KM 24. 11. 1898, HStAM MK 23027. 114 Ebd. Ähnlich Osterroth. S.25. 115 Postpersonal: 1852 620, 1870 1388, 1890 9838, 1910 25605; Eisenbahnpersonal 1900 bereits 58825 (Bayerns Entwicklung, S.42, 52).

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Anmerkungen von Seite 225 -226 116 Einwohnerzahl der Herkunftsorte bis 2000 2000-5000 über 5000

1872-1875 %

1886-1890 %

1896-1900 %

1906-1910 %

69 18 13

56 17 27

58 17 25

49 14 37

31 18 41 10

23 15 43 19

27 16 42 15

20 14 47 19

Väter Lehrer Bauern Gewerbe Öff. Dienst

(J. Dolch, Die örtliche und soziale Herkunft des bayerischen Lehrernachwuchses, in: Bayerisches Bilduneswesen, Bd. 2, 1928, S. 118-129, 122 und 127). Das ländliche Gewerbe stellte konstant den Hauptteil; auch die Lehrersöhne kamen überwiegend vom Land. Die Söhne städtischer Lehrer - auf sie trifft in erster Linie die Bezeichnung »Übergangsberuf« zu (Heinemann, in: ders., Lehrer, S. 53) - stiegen zunehmend in Beamtentum, Offizierskorps, Geistlichkeit, gehobene freie Berufe auf (H. Brand, Geschichtliche Mitteilungen über das . . . Schullehrerseminar Schwabach, Schwabach 1893). 117 Präparandenanstalt Schwabach - KM 12.2.1904, HStAM MK 22826. 118 Z. B. StAM LRA München F. 12, 264 (Verehelichungsbewilligungen). 119 Brand, Mitteilungen. 120 J . E. Fischer, Das Leben eines oberpfälzischen Landlehrers auf einer Schulstelle mit Kirchendienst um die Jahrhundertwende, in: Die Oberpfalz, Bd. 48, I960, S. 152-155; HStAM MK 23027; StAN Kdl. Abg. 1952, Tit. XIII, 693. 121 Nicht umsonst beklagte die Geistlichkeit den Einfluß der Bayer. Lehrer-Zeitung (Distr.schulinsp. München I - Ord. München-Fr. 14.3. 1892, OAM Gen. vorl. Nr.249). 122 Z.B. Oiterrotb, S. 25 f.; BA Pfarrkirchen -Reg. NBy. 14.6. 1897, HStAM MK 23012; Kons. Ansb. - Oberkons. 22. 12. 1896, LkAN Kons. Ansb. 3544a I. 123 BA Bogen - Reg. NBy. 16. 6. 1896, HStAM MK 23012. Die Verhärtung konnte bis zur Verweigerung der Grabrede für ein Mitgl. des BLV gehen (Bayer. Lehrer-Zeitung 19. 1. 1900). 124 Der gedrückte Dorfschullehrer wurde zu einer wichtigen literarischen Figur im Kampf der liberalen Öffentlichkeit gegen die kath. Kirche, z. Β. in J. Ruederers Roman »Ein Verrückter. Kampf und Ende eines Lehrers« (1894). Allg. zur literarischen Schulkritik um 1900 Th. Bertschinger, Das Bild der Schule in der deutschen Literatur zwischen 1890 und 1914, Zürich 1969. 125 Vgl. Schmidt, Volksschule, T. 4 und 5. 126 Im Schuljahr 1901/1902 Versäumnisse durchschnittlich 10,9 Halbtage/Schüler (errechnet nach Taschen-Kalender 1905, S.58f.). OAM Gen. vorl. Nr.249 (z.B. Distr.schulinsp. Moosburg II - Ord. München-Fr. 20. 8. 1891). 127 Zum Schulausfall z.B. StANeubg BA Kempten 6341, 6374; Zusammenstellung der durch ME 1.3. 1887 (KMBl., S.208) und REn der Kreisregierungen festgesetzten Vakanztage bei Englmann 1905, S.542ff. 128 Z. B. Reg. OBy. - BA München 15.6. 1906, StAM LRA München F. 12, 257. 129 Die Vorschriften über die tägliche Schulzeit bei Englmann 1905, S. 548 ff. Zur Praxis z.B. Wengen (StANeubg BA Kempten 6374):

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Anmerkungen von Seite 226-229 8.45-11.00, 13.00-16.00 Winter (1.11.-31.5.) Sommer 7.45-12.00 Sonntagsschule: Schulunterricht 10.30-12.00 Christenlehre 14.00-14.30. 130 2. B. in München 1894 fakultativ für Knaben und Mädchen, 1906 Pflicht für Knaben, einige Jahre später auch für Mädchen (Kerschensteiner). 131 Durchschnittlich trafen auf 1 ordentl. Lehrer 1884/1885 69, 1911/1912 56 Schüler (Bayerns Entwicklung, S. 102). 132 Die durchschnittliche Klassenzahl betrug 1884/1885 1,71, 1911/1912 2,45/Schule (ebd., S. 101). 133 Lokalschulkomm. Landshut-Reg. NBy. 21. 8. 1902, StALht Reg. Kdl. F.333, 896; Lokalschulinsp. Metten - BA Deggendorf 13.2. 1902, ebd. BA Deggendorf 1921; Benefiziat Hl. Geist/München - Ord. München-Fr. 25. 7. 1891, OAM Gen. vorl. Nr. 249. - 1913 wurde die Sonn- und Feiertagsschule von 2 Typen der Fortbildungsschule abgelöst: die allgemeine Fortbildungsschule und die spezielle Berufsfortbildungsschule, deren Einführung den Gemeinden überlassen war (VO 22. 12. 1913 [KMB1., S. 351 ff.]). 134 Distr.schulinsp. Würzburg l.d. Mains - Reg. UFr. 28.5. 1894, StAWzbg. Reg. Abg. 1943/45, 3794; Benefiziat Hl. Geist/München - Ord. München-Fr. 25.7.1891, OAM Gen. vorl. Nr. 249. 135 Z.B. V.Lößl u.a., Lehrbuch für gewerbliche Fortbildungsschulen, München 1896. 136 Zum üblichen Ritual am Regentengeburtstag ζ. Β. Viechtacher Tagblatt 14. 3. 1907. Allg. MBek. 18.9. 1886, in: Weber, Gesetz- und Verordnungensammlung, Bd. 18, S.217. 137 HStAM MK 19019-19023; KrA MKr 2585; StAM LRA Pfaffenhofen 1; StALht LRA Eggenfelden F . 56, 926 und 938; StAWzbg Reg. Kdl. Abg. 1943/45, 13619-13621; StANeubg Reg. Kdl. 8405-8408; StadtAM BuR 651 b, 651 c; Allgemeine Zeitung 11.3.1891, Beil.; Münchner Neueste Nachrichten Nr. 114-117 11. und 12.3.1891; Fränkisches Volksblatt 26.1.1901; StadtMM Ζ 3493 (C 19), 38/414 und 415, 40/534/1-5. 138 F estprogramm 11./12.3.1891; BA Ingolstadt - BA Pfaffenhofen 28.1.1891 und BA Pfaffenhofen - Reg. OBy. 6. 2. 1891, StAM LRA Pfaffenhofen 1. 139 Ein kenntnisreicher Beobachter sah unter seinen niederbayerischen Landsleuten »man­ che Bekannten, die weder Bauern waren noch je daheim die Tracht trugen, die sie jetzt zeigten« (E.Stemplinger, Jugend in Altbayern, München 1932, S. 106). Zur Zusammensetzung der Abteilung NBy. Kreis-Comité NBy.-BÄr und Städte 25. 2. 1891, StALht LRA Eggenfelden F. 56, 926. 140 Festprogramm; das Stimmungsbild in den Münchner Neuesten Nachrichten 15. 3. 1901 entspricht einem zeitlosen Topos politischen Personenkults. 141 Im ΒΑ Eggenfelden z. B. bestellten von 41 Lokalschulinspektionen 21 zusammen 1807 Gedenkmünzen (StA Lht LRA Eggenfelden F. 56, 931). - 1901 wurde vor allem H.Reidelbach, Unser Prinz-Regent Luitpold, Festgabe für die Bayerische Jugend verbreitet (KM - Regn. 28. 1. 1901, HStAM MK 19020; Bayer. Kurier und Fremdenblatt 28. 2. 1901); 1911 erhielt jeder Volksschüler K.Mayr, Unser Prinzregent. Zur Erinnerung an den 90. Geburtstag, Augsburg 1911 (Text-Bilder-Relation 2:1) (KM - Prinzreg. 26. 1.1911, HStAM MK 19021). Daneben brachten mehrere Verlage weitere ministeriell genehmigte Festschriften unter die Schuljugend (ebd.) oder konnten sie an Schulbibliotheken verkaufen (z. B. Du Moulin-Eckart, Unser Prinzregent [KMBl. 10.2. 1911]). 142 Mayr, Prinzregent, S. 7, 15, 17f. 143 Ebd., S. 19. In ähnlicher Weise wurde Kaiser Franz Joseph der österreichischen Gesellschaft als schlichter Jäger vergegenwärtigt. Das heroische Fürstenbild lebte ›entmilitarisiert‹ am Rande des idyllischen weiter. 144 OAM Gen. vorl. Nr. 30; HStAM MK 19029; StALht Reg. Kdl. F. 2, 27; StadtMM Ζ 1778; Münchner Neueste Nachrichten 15.-20. 12. 1912.

Werktagsschule:

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Anmerkungen von Seite 229-230 145 »Er ist der älteste aller lebenden Herrscher« (Mayr, Prinzregent, S.3). 146 Die meisten deutschen Fürsten mit Wilhelm II. an der Spitze, eine Reihe ausländischer (König Belgien, Großfürst Rußland, Thronfolger Österreich-Ungarn, Infant Spanien usw.) (Münchner Neueste Nachrichten 20. 12. 1912). 147 Kons. Speyer - KM 15. 1. 1913, HStAM MK 19029. 148 Z. B. StALht Reg. Kdl. F. 2, 28; zur Münchner Krönungsfeier StadtMM 42/327 A 84/52. 149 Im Detail V. v.Arnswaldt, Die Beendigung der Regentschaft in Bayern 1912/13, in: ZBLG, Bd. 30, 1967, S. 859-893; Albrecht, Landtag zeigt, wie die Kritik an Ludwig III. im Krieg auch auf die Vorgänge vom Herbst 1913 zurückgriff. 150 1899 wurde zum 100jährigen Regierungsjubiläum der Linie Zweibrücken-Birkenfeld verbreitet H. Reidelbach, Die Regenten der Zweibrücken-Birkenfelder Linie des Hauses Wittelsbach auf Bayerns Throne, München 1899 (Zit. S. 3). Zu Schulfeiern z. B. StALht LRA EggenfeldenF.56, 926. 151 1906 Säkularfeier der Erhebung Bayerns zum Königreich (Münchner Neueste Nachrichten 1. 1. 1906; StAM PolDir. München 24a I F. 71, 10). In München bezog der Prinzregent die Säkularfeiern demonstrativ auf seine Person (Oberstkämmererstab - PolDir. München 28. 12. 1905, ebd.). Wieder wurden Festschriften vor allem unter die Schuljugend gebracht, ζ. Β. G.Baer, Heil Witteisbach - Heil Bayern (StALht LRA Eggenfelden F . 56, 934). - Zu den An­ schlußfeiern 1906 in Fürth, Erlangen, Ansbach, Augsburg, 1910 in Bayreuth, Wunsiedel, Berneck, Alexandersbad, Hof vgl. Reidelbach, 90 Jahre, S. 58, 64; ähnlich ζ. Β. der Bamberger Kle­ rus beim 80. Geburtstag Luitpolds: ». . . danken die Völker Frankens es der göttlichen Vorsehung, daß sie Franken dem Bayernlande eingefügt hat« (zit. nach Bayerischer Kurier 22.2.1901). 152 Reiterstatuen in München, Regensburg, Nürnberg, Bamberg, Landau/Pf.; kleinere Denkmäler u. a. in Würzburg, Berchtesgaden, Füssen, Heilbronn; Brunnen u. a. in Würzburg, Ansbach, Kulmbach, Ludwigshafen, Augsburg, Traunstein (Reidelbach, 90 Jahre). - Der Dynastie waren Brunnen in München, Passau, Reichenhall, Eichstätt gewidmet, dazu entstanden das Kaiser-Ludwig-Denkmal in München, das Standbild Ludwigs I. in Brückenau, ein Ludwiesbrunnen in Aschaffenburg (ebd.). 153 HStAM MK 19039. 154 Zum Titel- und Ordenskalkül z. B. eines Münchner Bankdirektors Reg. MFr. - AM 24.2. 1912, HStAM MA 76065. 155 Vor allem die Teilnahme des Hofes am Oktoberfest, seit 1874 unterblieben, hatte über München hinaus einen landesweiten Effekt. - Zu den Ausstellungen Reidelbach, 90 Jahre, S.33ff. 156 Die Hauptstrecken, die München mit den Regionalzentren und diese untereinander verbanden, bestanden bereits in den 1870er Jahren; sie waren noch vor 1900 weitgehend verknüpft (Streckenlänge 1880 4880, 1912 8414 km [Bayerns Entwicklung, S. 42]). Vgl. Zorn, imSpindler, Handbuch, Bd.4/2, S. 796ff.; M.Spindler u. G.Diepolder, Bayerischer Geschichtsatlas, München 1969, S. 39, 110f, 113 f. Z. B. G. Witt, Die Entstehung des nordostbayerischen Eisenbahnnetzes, Diss. Erlangen-Nürnberg 1968; H.-P.Schäfer, Die Entstehung des mainfränkischen Eisenbahn-Netzes. T. 1: Planung und Bau der Hauptstrecken bis 1879, Würzburg 1979. 157 Prinz Ludwig repräsentierte ζ. Β. 1905 bei den Erinnerungsfeiern an die Aufstände von 1705 (InnM - Reg. NBy. 6. 6. 1905, StALht Reg. Kdl. F. 1, 9). 158 Höfisches Gefolge, Repräsentanten der Regierung und der Armee (StALht LRA Eggenfelden F. 56, 942). 159 Reg. NBy. - Mage., BÄr 20. 5. 1914, ebd. 160 Z.B. Rottaler Anzeiger 18.6. 1914, ebd. 161 Augsburger Postzeitung 9. 6. 1914; Rottaler Anzeiger 18.6. 1914. 162 BA Eggenfelden - Gemeindeverwaltungen 28.5.1914, StALht LRA Eggenfelden F. 56, 942.

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Anmerkungen von Seite 231-233 163 9. 6. 1914 Augsburg, dazu StANeubg Reg. Kdl. 8428; Reg. NBy. - Mage., BÄr 28.4. und 4. 6. 1914, StALht LRA Eggenfelden F. 56, 942. 164 Z.B. Reise Ludwigs III. durch Niederbayern 16.-18.6.1914 (Programm in: StALht Reg. Kdl. F. 1, 9). 165 In Augsburg etwa im Palasthotel »Drei Mohren« (StANeubg Reg. Kdl., 8428), lt. K. Baedeker, Süddeutschland. Handbuch für Reisende, Leipzig 191331, S. 306 das erste Haus am Platz. 166 StALht Reg. Kdl. F. 1, 9; Schwab. Gewerberat- Reg. Schw. 7. 2. 1914, StANeubg Reg. Kdl. 8428. 167 Aus ihnen wurden Festpostkarten u. dgl. geworfen (ebd.). 168 Z. B. Vorschlagsliste für die Hoftafel in Augsburg 9.6. 1914, ebd. 169 Möckl, Prinzregentenzeit, passim. 170 1910 Ortslohn für männliche Arbeiter in 51 Orten unter 1,50 Mk/Tag, in 3312 Orten 1,50-2,00 Mk, in 3905 Orten 2,04-2,50 Mk, in 716 Orten über 2,52 Mk (Bayerns Entwicklung, S. 65). 171 Z. B. Schwäbische Volkszeitung 9. 6. 1914 zum Besuch Ludwigs III. in Augsburg.-Vgl. Blessing, Kult. 172 StAWzbgReg. Abe. 1943/45, 13602. 173 Mayr, Prinzregent, S. 5f., 14. 174 Ebd., S. 34. 175 Reidelbach, 90 Jahre, S. 86, 96. 176 Z. B. Lieder der Städtischen Singschule Augsburg vor Ludwig III. (StANeubg Reg. Kdl. 8428). 177 Beim 80. Geburtstag Bismarcks etwa wurden in Sachsen alle Staatsgebäude beflaggt, in Bayern nur die Hofgebäude (Prinzreg. - AM 31. 3. 1895, HStAM MA 76100); in Württemberg wurde er mit Schulfeiern begangen (AM Wttbg. - bayer. Gesandter Stuttgart 25. 3. 1895, ebd.), in Bayern hatten die Lehrkräfte lediglich »auf die Bedeutung des Tages . . . hinzuweisen« (KM Regn. 22. 3. 1895, ebd.). Hingegen verlieh die liberale Münchner Stadtleitung Bismarck die Ehrenbüreerschaft (StadtMM 30/2 A 184/31). 178 Oberkons. 14.12.1900, KM - Prinzreg. 19.1., KM - Oberkons. 21. 1. 1901, HStAM MK 19033; ebd. MA 76042. 179 Z. B. lehnte das Kultusministerium den Antrag des Berliner Auswärtigen Amtes, nach dem Vorbild der preußischen Regierung die Verbreitung der offiziösen Darstellung von H. Oncken, Unser Heldenkaiser, deren Erlös dem Ausbau der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche dienen sollte, durch die Anschaffung für Schulbibliotheken zu fördern, ab (AA Berlin - A M 17. 10. 1897, KM - AM 12. 11. 1897, beide HStAM GA 76063). 180 Auch die Vorbereitung dieses Besuches zeigt die kühle Haltung Münchens (20. 1. und 29. 1. 1897, HStAM MA 76058). 181 Prinzreg. - GesamtstaatsM 22. 2. 1897, ebd.; StALht LRA Eggenfelden F. 56, 927. 182 Auf hoher Ebene ζ. Β. Bischof Senestrey und Kultusminister v. Landmann 17. 4. und 26. 4. 1897, HStAM Μ Α 76058, auf unterster Ebene ein Pfarrer bei Sonthofen mit einem scharfen Artikel in der Augsburger Postzeitung 17. 4. 1897, dazu KM - AM 7. 7. 1897 und Reg. Schw. InnM 23. 7. 1897, HStAM MA 76059. 183 In UFr. z. B. 9200 Veteranen (StAWzbg Reg. Abg. 1943/45, 13951), d. h. 1,5% der Be­ völkerung (Kolb, Tab. X). 184 Z. B. in Nürnberg, Erlangen, Heilsbronn, Dürkheim (Pf.) (HStAM MA 76054-76057, 76061). 185 Nipperdey, Nationalidee, S. 543 schätzt die Gesamtzahl im Reich auf 300-400. In Bayern standen 1914 keine 10 Monumentalstatuen; vor allem München erhielt, anders als die beiden anderen süddeutschen Hauptstädte Stuttgart und Karlsruhe, kein Denkmal (Baedeker, S. 21, 140).

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Anmerkungen von Seite 233-236 - Erinnerungstafeln z.B. im Rosenheimer Rathaus neben einer Gedenktafel für Ludwig II. (HStAM MA 76062) oder bei Kelheim (ebd. 76066). 186 HStAM MA 76064. 187 HStAM MA 76096, 76100-76102, 76104, 76105, 76112-76125; ebd. MK 14607; StAN LRA Gunzenhausen Abg. 1961, 1561; Baedeker;Nipperdey, Nationalidee, S. 577. Ich zähle für OBy. 4, OPf. 2, OFr. 3, MFr. 6, UFr. 4 und Pf. 7 Bismarckdenkmäler, wozu noch zahlreiche Bismarcklinden, -höhen, -wege, -bänke u. dgl. kamen. 188 Nipperdey, Nationalidee, S. 581. Z. B. HStAM MK 14607. - Besonders förderten den Kult um Bismarck auch dessen Besuch in München 24725. 6. 1892 (Münchner Neueste Nachrichten 24., 25.6. 1892), die Feier des 80. Geburtstages 1./2. 4. 1895 mit der Verleihung der Münchner Ehrenbürgerschaft (StadtMM 30/2 A 184/31; HStAM MA 76100; StadtAM PolDir. 1896), die Trauerfeier 12. 8. 1898 (ebd.). - Allg. H.-W. Hedinger, Der Bismarck-Kult. Ein Umriß, in: G. Stephenson (Hg.), Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der Religionswissenschaft, Darmstadt 1976, S. 201 -215; V. Plagemann, Bismarck-Denkmäler, in: Mittig u. Plagemann, S. 217-252. 189 StAM PolDir. 24 a F. 70, 30. 190 Neue freie Volkszeitung 29.6. 1890 (»Lobhudeleien und Speichelleckereien«), 5./6.2.1895; Das Bayerische Vaterland 19.2.1895 (»hirnlose deutsche Knechtsseligkeit«), 9. 7. 1899 (Einweihungsfeier als »schamlose Orgie . . . für den preußischen Diktator«); Münchner Ratsch-Kathl 2. 2., 13.2. 1895 (Bismarck »Totengräber der süddeutschen Volksfreiheit und des süddeutschen Bürgerglücks«); Der Oberländer Bote 6.2. 1895. 191 Neue freie Volkszeitung 29.6. 1890; ähnlich Augsburger Postzeitung 27.4. 1897. 192 Möcki, Prinzregentenzeit, S. 431 ff. 193 Münchner Neueste Nachrichten 29. 9. 1888; StadtMM 36/2233-2239. 194 Besonders aufwendig anl. der Manöver 1891, der 50-Jahr-Feier des Germanischen Museums 1902, der Enthüllung des Denkmals Wilhelms I. in Nürnberg 1905, der Grundsteinlegung für das Deutsche Museum 1906, der Beisetzung des Prinzregenten 1912, des 1. Staatsbesuches bei Ludwig III. 1913 (KrA MKr2605; Münchner Neueste Nachrichten 8.9., 9. 9. 1891; Reidelbach, 90 Jahre, passim; Bilder inL·.Schrott, Der Prinzregent. Ein Lebensbild aus Stimmen seiner Zeit, München 1962; StadtMM Greis II/20. 195 1888 bis 1910 empfing der Prinzregent 34 deutsche und ausländische Fürsten; dreimal versammelten sich außerdem zahlreiche Reichsfürsten mit dem Kaiser bzw. Kronprinzen an der Spitze in München bzw. Nürnberg und Würzburg (1897, 1901, 1902) (Reidelbach, 90 Jahre). 196 Brillant W. Rathenau, Der Kaiser, in: Schriften und Reden, Frankfun 1964, S. 235-272; vgl. auch L. Thomas satirischen Essay über die Reden Wilhelms II. (Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 303 - 319) und R. Vierhaus (Hg.), Am Hof der Hohenzollern. Aus dem Tagebuch der Baronin Spitzemberg 1865-1914, München 1965, S. 196. 197 Wilhelm II. beim Festmahl des Brandenburgischen Provinziallandtages 24.2. 1892 (E. Johann (Hg.), Reden des Kaisers, München 1966, S. 58). 198 Zu Gedenktafeln in Kirchen z.B. Dietramszell 1910; Neukirchen (BA Miesbach), StAM AR F. 2801, 944. Zum Beitrag der Gebirgsschützenvereine z.B. StAM LRA Miesbach F. 31, 1421. - Eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum 1905/06, die den Aufstand mit der 100Jahr-Feier der Erhebung Bayerns zum Königreich verband, zahlte schon in den ersten 6 Monaten 13000 Besucher (Münchner Neueste Nachrichten 1. 1. 1906). 199 In Waakirchen 19.- 21. 8. 1905 (StAM AR F. 2800, 926). Seit 1900 stand auch in Kochel ein Denkmal. 200 1911 wurde gegenüber dem 1705-Fresko an der Sendlinger Kirche (von 1831) ein Schmied von Kochel-Denkmalbrunnen errichtet, wo mehrere Straßen zusammentrafen und eine Straßenbahnlinie, die den Südwesten der äußeren Stadt erschloß. 201 U.a. für P. Henlein in Nürnberg 1905, für M. Klotz in Mittenwald 1890, Pfarrer S. Kneipp in Wörishofen 1903, einen Metzger, der 1705 Kelheim gerettet hatte, dort 1905, G. v.

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Anmerkungen von Seite 236-239 Frundsberg in Mindelheim 1903, F. Rückert in Schweinfun 1890, Fraunhofer in Straubing 1910. 202 InnM August 1895, KM 19. 12. 1910, HStAM MK 19004; Fränkischer Kurier 23.12.1910. 203 HStAM MK 19004: StAM RA 40947. 204 Z.B. KM 11.2. 1911, HStAM MK 19004. 205 StAM PolDir. 24a I F. 69, 24a, u.a. KM - Lokalschulkomm. München 29.4.1896; Münchner Neueste Nachrichten 10. 5. 1896. 206 Nipperdey, Nationalidee, S. 542, der auch auf das Kriegerdenkmal im pfälzischen Edenkoben hinweist, das dieselbe Aufgabe hatte. Programm in StAM PolDir. 24a F. 69, 24a. Schrott, S. 168. 207 Münchner Neueste Nachrichten 12. 5., 19. 5. 1896 (»partikularistisch-engherziger Charakter« durch den am Hof steigenden Byzantinismus). 208 StAM PolDir. 24a F. 69, 24b. 209 AM 17. 2. 1913, HStAM MA 76041. - Anfang des 20. Jhs. kamen über 20000 Besucher im Jahr (Rieger, S. 152). 210 Z. B. AM - Prinzreg. Ludwig 15. 5. 1913, HStAM MA 76041; Bayerische Staatszeitung 10.3., 3. 5. 1913 gegen Münchner Neueste Nachrichten 9.4. 1913. 211 Münchner Zeitung 26. 8. 1913. 212 Münchener Post 16.6., 14.8., 27.8.1913; Fränkische Tagespost 25.8. 1913. - Gegen diese Artikel der »Umsturzpresse« Bayerische Staatszeitung 27. 8. 1913. 213 Jedin, Bd. 6/2, S. 391 ff.; Witetschek, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/2, S. 229ff. 214 Vgl. Jedin, S. 437ff. und die dort angegebene Lit. zu den Hauptvertretern F. X. Kraus (1840-1901, Professor Freiburg), H. Schell (1850-1906, Professor Würzburg) und A. Ehrhard (1862-1940, Professor Würzbure, Wien, Straßbure, Bonn). 215 Renaissance 1901-1907, Zwanzigstes Jahrhundert 1902-1909, vor allem aber das von C. Muth hg. Hochland 1903 ff. 216 Dazu Th. Μ. Loome, ›Die Trümmer des liberalen Katholizismus‹ in Großbritannien und Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts (1893-1903): Die kirchenpolitische Grundlage der Modernismuskontroverse (1903-1914), in: Schmidt u. Schwaiger, S. 197-214. 217 Jedin, Bd. 6/2, bes. S. 475ff. - Ein Symptom des Integralismus in der Pastoralpraxis war die vereinheitlichende Angleichung der Diözesanritualien an das Rituale Romanum (H. Reifenberg, Altwürzburger Liturgie und erneuertes Liturgieverständnis, in: Festschrift L. Petry [Geschichtliche Landeskunde Bd. 51, T. 1, Wiesbaden 1968, S. 280-293). 218 Die Bewegung, seit 1897 erfolgreich vor allem in Wien, Böhmen und Mähren, propagierte einen »protestantischen Katholizismus« (»An die Stelle des römischen Ideals der Beugung der Gewissen . . . das protestantische Ideal der Erziehung selbständiger, durch den beständigen Verkehr mit Gottes Wort in sich gefestigter Persönlichkeiten« [P. Bräunlich. Die neueste katholische Bewegung zur Befreiung vom Papsttum, München 18993, S. 12]). Eng mit dem Altdeutschen Verband G. v. Schönerers verflochten, trat die Bewegung auch für den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich ein. Vgl. L. Alhertin, Nationalismus und Protestantismus in der österreichischen ›Los von Rom-Bewegung‹, Diss. Köln 1953 (MS). 219 Zur ernsten Beachtung. Vertraulicher Aufruf des Erzbischofs von München und Freising, München 1902 (S. 3 f. hochgradige Beunruhigung »vor der nahegerückten Gefahr«). 220 Die Wartburg, München ab 1.4.1902. 221 Zur ernsten Beachtung, S. 5. 222 Ebd., S. 6ff. 223 Z. B. Seelsorgeber. Anger 1903/1904, PfArchiv Anger A IV 10. 224 Z.B. Dankgottesdienst für die Wahl Pius X. 8. 8. 1903 im Münchner Dom unter Teilnahme von Hof, Ministerium, Magistrat (Programm in StadtAM PolDir. 52). 225 Z. B. Erzbischof München-Fr. 11. 9. 1895, in: GenSlg., Bd. 4, S. 337; Vhdlgn. 42. Generalversammlung München 1895, S. 440.

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Anmerkungen von Seite 240-241 226 Z. B. Hosanna; Vogel u. Auer. 227 Z. B. Rede bei der 6. Münchner Männerwallfahrt nach Altötting 1908, in: Wochenblatt für die katholischen Pfarrgemeinden Münchens, Jg. 1,1908, Nr. 34. Vgl. auch die Erinnerungstafeln an oberpfälzische Veteranenwallfahrten 1901 und 1911 auf den Mariahilf-Bergb. Amberg. 228 VO 1. 10. 1896 anl. der Romreise des Münchner Erzbischofs Thoma, in: GenSlg., Bd. 5, S. 399. - Z. B. 1900 große Pilgerfahrt besonders aus der Diözese Augsburg anl. einer Seligsprechung (Schlecht, S. 80). 229 Ζ. Β. die Porträts Leos XIII. aus der Münchner Glasmalerei Zettler (Katalog der Ausstellung anl. des Deutschen Katholikentages München 1895); Wochenblatt, Jg. 1, 1908, passim; z. B. Katalog der Devotionalienfabrik C. Pöllath, Schrobenhausen o. J . (ca. 1895). Vgl. Brückner', Bilderfabrik, S. 69; ders., Elfenreigen - Hochzeitstraum. Die Öldruckfabrikation 1880-1940, Köln 1974, S. 26 f. 230 Zum Pastoralangebot in der Stadt z. B. Münchner Kirchenanzeiger 5.-11.1.1908 (Beil. zum Wochenblatt. Jg. 1, 1908, Nr. 1). -Für die ländlichen Verhältnisse z. B. PfArchiv Anger A IV 10; PfArchiv Oberhaching, Paschalelaborate. 231 Verhältnis z. B. im Bistum Regensburg 1840 1:532, 1915 1:681 (Schematismus Regensburg 1841; Matrikel Regensburg 1916, S. 726), in ganz Bayern 1900 1:682 (Schlecht, S. 45). Der vorübergehende Priestermangel im späten 19. Jh. war um 1900 wieder behoben (ζ. Β. Matrikel Regensburg 1916, S. 693 f.). 232 Schlecht, passim. 233 Z. B. Schematismus München-Fr. 1900. 234 An einer 8-tägigen Reliquienerhebungs-Feier in Kaufbeuren nahmen alle bayer. Bischöfe, der Nuntius und Mitgl. des Königshauses teil; an der Prozession zur 700-Jahr-Feier der hl. Kunigunde in Bamberg mit 3 Bischöfen 15000 Gläubige (Schlecht, S. 80, 106). 235 Im Bistum Regensburg z. B. hielten die Redemptoristen 1894-1914 152 Missionen, die Kapuziner und die Franziskaner 1890-1914 224 bzw. 26 Missionen und 76 bzw. 4 Erneuerungen, dazu vor allem die Kapuziner zahlreiche »Konferenzen« für Zielgruppen (Männer und Jünglinge, Frauen und Jungfrauen, Dienstboten usw.) (Matrikel Regensburg 1916, S. 714 ff.). Im Erzbistum München-Fr. fanden ζ. Β. 1899 29 Volksmissionen, 1912 schon 37 statt (Schema­ tismus München-Fr. 1900, S. 258f., 1913, S. 397f.). 236 1890-1914 wurden von den 31 Spitälern, Alters- und Invalidenheimen, die Orden im Bistum Regensburg betreuten, 11 gegründet bzw. übernommen, von den 6 Armenhäusern 2, von den 65 Krankenhäusern 20, von den 50 Einrichtungen der ambulanten Krankenpflege 44, von den 45 Waisenhäusern 13, von den 90 Kinderbewahranstalten 51 (Matrikel Regensburg 1916, S. 722ff.). 237 Z. B. Vogel u.Auer. - Eine reichhaltige Sammlung aus dem Nachlaß von Prälat M. Hartig befindet sich in der Ordinariatsbibliothek München. 238 Z.B. Wallfahrt der Münchner Wallfahrer-Bruderschaft mit Extrazug nach Altötting 4. 7. 1886 (Das Bayerische Vaterland 24. 6. 1886). Nach Altötting kamen jährlich durchschnittlich 200000, vordem 1. Weltkrieg 300000 Wallfahrer (Schlecht, S. 86;Fehn, Der Wallfahrtsort Altötting. Ein Beitrag zur Religionsgeographie Altbayerns, in: Mitteilungen d. geogr. Gesellsch. München, Bd. 35, 1949/1950, S. 96-104), nach Vierzehnheiligen 70000 (Schlecht, S. 111). 239 Z. B. Schlecht, S. 89; Brückner, Bilderfabrik, S. 69. 240 OAMGen. o. Nr. (Leonhardifahrten); z. B. Bayerischer Kurier 11., 13.11.1891. Vgl. G. Schierghofer, Altbayerns Umritte und Leonhardifahrten, München 1913. 241 Im Bistum Regensburg z.B. bestanden 12 Dreifaltigkeits-, 134 Corpus Christi-, 65 Herz-Jesu-, 133 Rosenkranz-, 48 Skapulier-, 100 Herz Mariae-, 74 Allerseelen-Bruderschaften, 203 Herz-Jesu-Gebetsvereine, 226 Marianische Kongregationen, 70 Gruppen des Vereins christlicher Mütter, 258 des 3 Franziskanerordens, 30 des Ludwigs-Missionsvereins, in fast allen Pfarreien der Verein der heil. Familie und zahlreiche kleinere Bruderschaften (Matrikel Regens-

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Anmerkungen von Seite 241-242 burg 1916, S. 695ff.). - Zu dem in den 1890ern besonders populären Verein der heil. Familie z.B. PfA Sulzbach-Rosenberg - Ord. Regensburg 15.5.1893, 26.1.1895, 26.5.1903, OAR PfAkten Sulzbach-Rosenberg o. Nr. (Bruderschaften und kirchliche Vereine); PfA Waldsassen - Ord. Regensburg 31.5.1893, 5.5.1894, 16.5.1895, 9.5.1903, ebd. PfAkten Waldsassen o. Nr. (dass.); PfA Cham - Ord. Regensburg 30. 5. 1893, ebd. PfAkten Cham o. Nr. (dass.). Zur unveränderten kultischen Prägung z. B. St. Kilians-Bruderschaft 1907; Bericht des liebreichen Seelenbundes zu Hilf und Trost der armen Seelen im Fegfeuer bei St. Jacob zu München für 1896. - Zu den alten Vereinen kamen nach 1900 zahlreiche Burschenvereine (Erzbistum München-Fr. 1912 135 mit 4638 ordentl. und 2669 außerordentl. Mitgl. [Schematismus München-Fr. 1913, S. 421 f.]), die mit Andachten, Generalkommunionen, Teilnahme an Rekrutenexerzitien, Fahnenweihen, Stiftungsfesten, Bildungskursen, Laientheater und Sport eine dichte religiösprofane Beeinflussung boten (z. B. Statuten 1904, StALht Reg. Kdl, F. 628, 3258/2). - Mit Sonntagsversammlungen und der Zeitschrift Der gute Kamerad stemmten sich Jugendvereine (im Erzbistum München-Fr. 1912 53 mit 2836 Mitgl. [Schematismus München-Fr. 1913, S. 422 f.]) gegen die national-liberale und die sozialistische Jugendarbeit. - Zum Aufschwung des Vereinswesens in einer Landpfarrei Seelsorgeber. Anger 1896 ff., PfArchiv Anger AIV 10. - Der Münchner Vinzenzverein betreute 1901-1905 u. a. durchschnittlich 5086 Arme, weit über 1000 Kinder, kleidete 353 Erstkommunikanten ein, unterhielt 1908 7 Stationen für ambulante Krankenpflege und ein Heim für 127 Alte mit Gesamtkosten 1896-1905 von 856802 Mk (Küble, 142ff., 157). - Zu den Spenden z. B. Vhdlgn. 42. Generalversammlung München 1895, S. 468ff. 242 In Bayern 1911 232 Vereine mit 11258 aktiven Mitgl., 24524 Meistern u. dgl. als Ehrenmitgl., in München z. B. 1912 43 Vereine mit 2468 bzw. 3230 Mitgl., die meist 1 x/Woche Versammlung hielten (Denk, S. 11 ff., 399; Schematismus München-Fr. 1913, S. 419).- Neben den Arbeitervereinen blühten nach der Jahrhundertwende in der Tradition älterer Lehrlings(schutz)vereine durch gesteigerte Jugendfürsorge im industriellen Bereich Katholische Männliche Jugendvereine (1912 221 mit 3662 ordentl. Mitgl.) mit der Zeitschrift Der treue Kamerad 1907ff., 14tägig (Aufl. 1913 21800) (Denk, S. 208ff., 409, 411; z. B. Matrikel Regensbure 1916, S. 695ff.). 243 In Der Arbeiter, Jg. 10, 1899, Nr. 19 eine Organisations- und Aktivitätsstatistik nach Diözesen. Denk, S. 400ff. Z. B. StALht Reg. Kdl. F. 800, 2914 und F. 799, 2864; StAN Reg. Kdl. Abg. 1932, Tit. II. 971; Riedmüller. Zur ›Schulung‹ in den Vereinen C. Walterback, Welchen Vortrag soll ich halten. Ein praktisches Handbüchlein zur Auswahl von Vorträgen in den katholischen Arbeitervereinen, München 1905. 244 1911 in den 8 bayer. Diözesen 57022 aktive Mitgl. (Berger, S. 268f.; Denk, S. 402). Auch die sozialdemokratische Münchener Post mußte zugestehen: »Der ›Arbeiten ist ganz sicher ein Agitationsfaktor von großem Wert« (Je. 1907, Nr. 117). 245 Zahlen bei Berger, S. 274f. und Gasteiger, Arbeiterbewegung, S. 125ff. 246 Das Münchner Büro erteilte 1900 13489 mündliche, 1484 schriftliche Auskünfte; es beschäftigte 1908 bereits 3 Sekretäre (ebd., 128ff.). 247 Zur wirtschaftlichen und sozialen Ausbeutung programmatisch ζ. Β. Der Arbeiter, Jg. 9, 1898, Nr. 2 und 3, speziell zur Kinderarbeit Jg. 13, 1902, Nr. 7, 16, 33. 248 Exemplarisch C. Bentenrieder, Therese Studer. Das Leben einer Arbeiterin, München 1932; Die Arbeiterin, Jg. 6, 1911, Nr. 40. 249 Den Durchbruch für eigene Arbeiterinnenvereine brachte der 15. Verbandstag der süddeutschen kath. Arbeitervereine Aschaffenburg 1905 (C. Walterbacb, Die Organisation der katholischen Frauen, München 1913, S. 7;Gasteiger, Arbeiterbewegung, S. 149;Denk, S. 166ff., 406ff.;Bentenneder, S. 68).-Die Aufgabe der Vereine bestand nach ihrem Präsens C. Walterbach darin, »das gesamte konfessionelle Interesse an den Lohnarbeiterinnen, Fabrikarbeiterinnen wie Gehilfinnen zu vertreten, . . . vor allem ihre religiöse und sittliche Festigung und Weiterbildung; soziale Hilfe und Schulung, hauswirtschaftliche und berufliche Ausbildung, Pflege der Unterhaltung und edler Geselligkeit... um uns trotz aller Gefahren der modernen Kultur

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Anmerkungen von Seite 242-243 brave, warm katholische, sittenreine, berufs- und haustüchtige, lebensfrohe und zufriedene Arbeiterinnen . . . zu erziehen« (Walterback, S. 27). Vgl. auch Der Arbeiter, Jg. 13, 1902, Nr. 1. 250 Über die Konflikte und allmählichen Kompetenzabgrenzungen mit Jungfrauen-, Mütter- und anderen weiblichen Standesvereinen Walterbach, S. 14ff. 251 Z. B. Stiftungsfest des Münchner Arbeiterinnenvereins 28. 6. 1908 (Wochenblatt, Jg. 1, 1908, Nr. 28). - Eine besonders auf die Frauen ›gestimmte‹ Attraktion waren Laientheateraufführungen, z. B. »Unsere liebe Frau von Lourdes. Großes religiöses Schauspiel« im Arbeiterverein Göggingen (Der Arbeiter, Jg. 9, 1898, Nr. 12).-Ab 1. 1. 1906 erschien in München die Zeitschrift Die Arbeiterin (Aufl. 1914 37000). 252 In Bamberg ζ. Β. hatte Th. Studer 1912 400 Hörerinnen, von denen 125 sofort dem neugegründeten Verein beitraten (Die Arbeiterin, Jg. 7, 1912, Nr. 9). - Neben den Arbeiterinnenvereinen entwickelten sich vor dem 1. Weltkrieg noch Katholische Dienstmädchenvereine (1913 37 mit 4800 ordentl. Mitgl.) mit der Zeitschrift Haus und Herd 1907ff., 14tägig (Aufl. 1914 19500), Vereine katholischer kaufmännischer Gehilfinnen mit der Zeitschrift Treu wie Gold 1914ff., monatl., und Jugendvereine für die im Erwerbsleben stehenden Mädchen (1914 147 mit 10250 ordentl. Mitgl., z.B. in München 12 mit 857) mit der Zeitschrift Die gute Freundin 1906 ff., 14tägig(1914 18500) (Denk, S. 197 ff., 206 ff., 222 ff., 409 ff.;z.B. Schematismus München-Fr. 1913, S. 423f.). 253 Das Frauenleitbild verkörperte Th. Studer, ab 1908 als Sekretärin des Verbands kath. Arbeiterinnenvereine Süddeutschlands breitenwirksame Vorbildfigur (Bentenneder, passim; Die Arbeiterin, Jg. 6, 1911, Nr. 40). 254 Gasteiger, Arbeiterbewegung, S. 138ff. Wenn z.B. im Bistum Regensburg 1915 138 ländliche Dienstbotenvereine bestanden, bedeutet das keine Massenorganisation, da die durchschnittliche Mitgl.zahl unter der der Gesellen- und Arbeitervereine lag (Matrikel Regensburg 1916). 255 StAN Reg. Kdl. Abg. 1932, Tit. II, 947; StALht BA Deggendorf 3450; StAM LRA Pfaffenhofen 2086. 256 Möckl, Prinzregentenzeit, passim. 257 Vhdlgn. 42. Generalversammlung München 1895. In Bayern hatte er 1895 über 20000 Mitgl. (ebd., S. 476). Allg. jetzt die umfassende Darstellung von H. Heitzer, Der Volksverein für das katholische Deutschland im Kaiserreich 1890-1918, Mainz 1979. 258 Kißling, Bd. 2, S. 215ff. In Vhdlgn. 42. Generalversammlung, S. 477 wird bezüglich der Einzelversammlungen Regensbure, die Diözese Senestreys, als besonders aktiv hervorgehoben. 259 Die kath. Regionen Bayerns wurden um 1900 gleichmäßig erfaßt: 1893 Würzburg, 1895 München, 1897 Landshut, 1904 Regensburg, 1907 Würzburg, 1910 Augsburg. 260 1895 z.B. Wallfahrt nach Altötting (Vhdlgn. 42. Generalversammlung). 261 Augsburger Postzeitung, Bayerischer Kurier, Neues Münchner Tagblatt, Landshuter Zeitung, Straubinger Tagblatt, Landauer Zeitung usw. Vgl. die Liste der beim Katholikentag 1895 vertretenen »Preßorgane« (ebd., S. 592ff.). 262 Politische Zeitungen in Bayern, Neugründungen 1881-1912: gegründet 1881-1890 1891-1900 1901-1912

insge- zentrumssamt freundlich 68 50 67

21 13 12

davon in OBy. NBy. OPf. OFr. MFr. UFr. Schw. Pf. 5 4 2

2 3 2

5 1 1

1 2

1

1

(Allaire, Tab. XXII; vgl. auch Reiber). Gesamtbestand 1912: 98 zentrumsfreundliche = 26% der politischen Zeitungen.

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3 3 3

4 1 2

Anmerkungen von Seite 243-247 Davon erschienen: OBy. 33

NBy. 18

OPf. 14

in Orten mit bis zu 2000 19

4000 30

10000 20

50000 18

100 000 über 100 000 3 8

900 10

3000 33

7000 16

15000 9

35000 3

in den Kreisen

mit einer Aufl. bis

OFr. 3

MFr. 3

UFr. 2

Schw. 17

70000 1

Pf. 8 Einw. o. Angabe 26

(Allaire, Tab. XIV, XVII; XIX). Zum politischen Katholizismus Möckl, Prinzregentenzeit, S. 121 ff. 263 Vor allem das Hochland 1903 ff. 264 Meist im Auer-Verlag (Donauwörth). 265 Z. B. St. Antonius und die Liebe der Jungfräulichkeit; Das Prager Jesukindlein. 266 Z. B. Anstandsbüchlein für das Volk, »welches das anständige Benehmen als die nothwendige Folge echt christlicher Gesinnung darstellt« (Anzeige, in: Festblatt zur 42. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, München 1895). 267 Typisch eine Kurzgeschichte im Wochenblatt, Jg. 3, 1910, Nr. 27. - Die Bedeutung des Rigorismus im herrschenden Religiositätsstil zeigt auch das wieder hohe Prestige des Mönchtums (z.B. Vhdlgn. 44. Generalversammlung Landshut 1897, S. 212). 268 Kaulog Devotionalienfabrik. 269 Das Festblatt zur 42. Generalversammlung spiegelt in seinen Anzeigen die kath. Kirchenund Popularkunst und -literatur. Vgl. auch Jedin, Bd. 6/2, S. 297ff.; W. Wiora u.a., Triviale Zonen in der religiösen Kunst des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1971, bes. S. 36-49. 270 Hinweise im Wochenblatt; auch Pfarrber. München 1894, OAM Gen. vorl. Nr. 107. 271 Jedin, Bd. 6/2, S. 515ff.; Schmidt-Volkmar, S. 219ff.; Möckl, Prinzregentenzeit, S. 228ff., 431 ff.; Körner, zusammenfassend 197ff. 272 Besonders deutlich an den Gebet- und Erbauungsbüchern mit ihrer Paraphrasierung weniger Grundmuster (z. B. Hosanna; Vogel u. Auer), aber auch am Predigtrepertoire (z Β. Busl, Feste; J . I. Klaus, Volkstümliche Predigten für alle Sonn- und Festtage des Kirchenjahres, 3 Bde., Freiburg 19042). 273 Busl, Feste, S. 323; Die Arbeiterin, Jg. 5, 1910, Nr. 15. 274 Hosanna. 275 GenSlg., Bd. 5, S. 317ff. 276 OAM Gen. o.Nr. (Religiosität). 277 Z. B. Wochenblatt, Jg. 1, 1908, Nr. 28. 278 Gasteiger, Arbeiterbewegung, S. 195ff.; Berger, S. 25ff., 44ff., 67ff., 100ff., 105ff., 141 ff., 163ff., 206ff., 217ff„ 282ff. 279 Walterbach, Organisation; E. Deuerlein, Der Gewerkschaftsstreit, in: Theologische Quartalschrift, Bd. 134, 1959, S. 40-81; R. Brack, Deutscher Episkopat und Gewerkschaftsstreit 1900-1914, Köln 1976; Horstmann, S. 54ff.; Körner, S. 186ff.; bes. Denk, S. 248ff. 280 Seelsorgeber. Anger 1896, 1897, 1903/1904, 1904/1905, 1913/1914, PfArchiv Anger A IV 10: sonntags gingen fast alle, werktags viele zur Kirche; die meisten, vor allem die Jugend, kommunizierten mehrmals im Jahr (Steigerung des Hostienverbrauchs bei fast konstanter Bevölkerung 1896-1905 von 8400 auf 11400/Jahr); Bruderschaften und Vereine blühten. 281 Seelsorgeber. Unterhachine 1892, PfArchiv Oberhachine, Paschalelaborate. 282 Seelsorgeber. Oberhaching, Unterhaching, Taufkirchen, Grünwald 1892-1914, ebd. Schon in den frühen 1890ern waren Kirchenbesuch und Sakramentsfrequenz der Männer zum Teil »sehr mangelhaft«. - Die ausgeprägt konfessionsspezifische kirchenverbundene Mentalität

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Anmerkungen von Seite 247-251 lockerte sich auch mit der überproportionalen Zunahme der Nichtkatholiken (1870-1909 von 0,7 auf 2,7% [Status animarum, ebd.]). 283 Seelsorgeber. Oberhaching 1892ff., ebd. U.a. sank der Männeranteil in den religiösen Korporationen vom traditionalen Dorf (z. B. Seelsorgeber. Anger 1896 ff., PfArchiv Anger AIV 10) über ländliche Auflösungsgebiete (Seelsorgeber. Oberhaching) bis zu den Städten (St. Kilians-Bruderschaft 1907; Bericht des liebreichen Seelenbundes). 284 Seelsorgeber. St. Bonifaz, Mariahilf, St. Margareth, Maria Himmelfahrt, St. Ursula, alle München, OAM Gen. vorl. Nr. 107. 285 Zu den Landtagswahlen 1912Albrecht, Landtag, S. 438ff. und Thränhardt, S. 94ff.; allg. Hirschfelder, 286 Z.B. Seelsorgeber. St. Ursula/München 1894, OAM Gen. vorl. Nr. 107. 287 Ebd. Vgl. E. Conrad, Lebensführung von 22 Arbeiterfamilien Münchens, München 1909, S. 14ff., 16f.; zur Kirchlichkeit im prot. Arbeitermilieu Nürnberg z. B. K. Bröger, Der Held im Schatten, Jena 1919, S. 132. 288 Busl, Feste (Zit. S. 323); Klaus, passim. -Dauerthema war dieser Konflikt in Der Arbeiter, z. B. Jg. 9, 1898, Nr. 52 (»Christenthum oder Affenthum, Idealismus oder Bestialismus Katechismus oder Atheismus«), Jg. 20, 1909, Nr. 48. - Den Kampf gegen die »umstürzlerischen Bestrebungen . . . für die Erhaltung unserer höchsten Güter, Religion, Familie, Eigenthum« trug vor allem der Volksverein für das katholische Deutschland mit Massenversammlungen, Massenflugblättern (z.B. »Der rothe Doktor Quacksalber« in 270000, »Die neuen Bauernfreunde mit der rothen Crawatte« in 100 000 Exemplaren) und der Aktivierung des Vereinswesens (Vhdlgn. 42. Generalversammlung München 1895, S. 476ff.). 289 Möckl, Prinzreeentenzeit, S. 479ff.; Albrecht, Landtag, Kap. I-, Körner, Kap. II—VII. 290 Festblatt zur 42 Generalversammlung, Nr. 1. 291 Albrecht, in: Spindler, Handbuch, Bd. 4/1, S. 315ff.; Möckl, Prinzregentenzeit, bes. 465ff.; L.Anderl, Die roten Kapläne, Vorkämpfer der Katholischen Arbeiterbewegung in Bayern und Süddeutschland, München 19632; allg. Ritter, bes. Kap. 11-14. 292 Wallfahrt von 6000 oberpfälzischen Veteranen mit 172 Fahnen am 24. 6. 1901 auf den Mariahilf-Berg b. Amberg (Tafel in der Kirche). Ähnlich 6. Münchner Männerwallfahrt nach Altötting 1908 (Wochenblatt, Jg. 1, 1908, Nr. 34).-Auch die Katechese übte lange nur Loyalitätsgebete für Papst, Landesherrn und Bischof ein (z. B. Hosanna). 293 Wallfahrt von 6000 Veteranen (Teilnehmer insgesamt 10000) Juni 1911 (Tafel an Kapelle vor der Kirche). 294 Kißlinz, Bd. 2, S. 31; Vhdlen. 51. Generalversammlung Reeensbure 1904, S. 353. 295 GenSlg., Bd. 5, S. 450f. 296 StAM LRA Miesbach F. 31, 1417; StAAmbg Reg. Kdl. Abg. 1949, 12782; StALht BA Deggendorf 3449. - Busl, Predigten, S. 893 ff. 297 Amtsbl. Erzdiözese München-Fr. 1914, Nr. 21. 298 B. Duhr S. J . , Mit Gott für König und Vaterland. Ein Kriegsgebetbüchlein, München 1914. Vgl. auch Η. Missalla, ›Gott mit uns‹. Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918, München 1968, S. 67ff. Ein temperamentvoller Appell zur nationalen Integration durch konfessionelle Toleranz: S. Merkle, Konfessionelle Vorurteile im alten Deutschland, in: Süddeutsche Monatshefte, Kriegshefte, Dezember 1914, S. 390-406. Allg. R.vanDülmen, Der deutsche Katholizismus und der erste Weltkrieg, in: Francia, Bd. 2, 1974, S. 347-376, bes. 348f. 299 Zitate ebd., S. 352ff. - Die kath. Tagespresse griff den nationalheroischen Stil auf, ζ. Β. Fränkisches Volksblatt und Kiliansblatt (Würzbure) 4.-6.8.1914 (Zit. S. 8). 300 Widersprüchlich war auch das politische Verhältnis zur kath. Kirche, an die man sich gegen liberal-laizistische Kräfte anlehnte und die man aus konfessionellen Gründen bekämpfte (z.B.Stenogr. Berichte d. Vhdlgn. d. Bayer. Landtags, Kammer d. Reichsräte, 30. Per. Bd.2,S. 947ff., 31. Per. Bd. 3, S. 365 ff. und 458 ff.; Weiß, Redemptoristen, S. 643 ff). -Der Präsident des Oberkonsistoriums A. Stählin (1883-1897, 1866 Konsistorialrat und Hauptprediger Ans-

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Anmerkungen von Seite 251-251 bach, 1879 Oberkonsistorialrat [Scbärl, S. 300f.; Th. Kolde, D. Adolf v. Stählin. Ein Gedenkblatt 1897, Separatabdr. aus Beitr. z. bayer. Kirchengesch. Bd. 4,1], typischer Repräsentant des ›Erlanger Geistes‹ und der Fakultät eng verbunden [z. B. Rede beim 150jährigen Universitätsjubiläum, in: Allgemeine Zeitung 9. 8. 1893]), war so regierungsfromm, daß es in der Geistlichkeit Unwillen erregte (Kolde, S. 12). Vgl. auch Stählin, Kirchenregiment. 301 A. Schneider 1897-1909,1876 Hilfsarbeiter im Kabinett Ludwigs II., 1883 Kabinettssekretär, 1886 Min.rat im Finanzministerium (Schürt, S. 300; Simon, Kirchengeschichte, S. 660). Es förderte diesen Amtsstil, daß von Synoden ausgehende Versuche, das Oberkonsistorium vom Innenministerium unabhängiger zu machen, gescheitert waren (F.W. Kantzenhach, Um die Selbständigkeit der Protestantischen Kirche in Bayern gegenüber dem Staat. Ein Versuch zur Kirchenverfassungsreform [1869-1881], in: ZBLG, Bd. 40, 1977, S. 163-189;den., Evangelischer Geist, S. 315ff.). 302 H.Bezzel 1909-1917,1891 Rektor Diakonissenanstalt Neuendettelsau (Schärl, S. 298 f.; G. Sperl, Hermann von Bezzel, in: Lebensläufe aus Franken, Bd. 2, 1922, S. 29-40). Die autoritäre Organisation der Landeskirche, die Initiativen aus Geistlichkeit und Gemeinden weitgehend unterband, erleichterte die ›Durchgriffe‹ Bezzels. 303 Historische Bibelkritik, Ritschlianismus, Harnacks theologischer Historismus, Religionspsychologie und die von E. Troeltsch repräsentierte neue Religionsphilosophie (Stephan u.Schmidt, bes. S. 276ff.). 304 Vor allem die von der spekulativ geprägten Vermittlungstheologie R. Rothes (ebd., S. 194ff.) beeinflußte Position des Kirchenhistorikers Th. Kolde (RGG, Bd 33 Sp. 1720). 305 Dazu trug auch ein wieder breiteres Spektrum der Studienorte bei. Die Kandidaten der rechtsrhein. Landeskirche hatten studiert: Aufnahmejahre

an den Universitäten Erlangen Leipzig 56,2 50,6

1867-1882 1887-1896

30,8 24,1

Halle Tübingen 3,0

7,7 4,7

Berlin

Greifswald

Sonst.

0,6 7,1

— 4,3

4,6% 5,9%

(errechnet nach Personalstand 1882 und 1896). Auffallend ist die Anziehungskraft Tübingens mit seinem »Nebeneinander von kritischer und biblizistischer Theologie« (RGG, Bd. 63, Sp. 1066ff.) und Berlins, wo die historisch-kritische ›Tübinger Schule‹ durch Harnack führend wurde (ebd., Bd. 13, Sp. 1056ff.); die Erlangen nahestehende Leipziger Fakultät verlor Hörer; Greifswald, überlange Hon des Rationalismus, blühte seit den 1870ern als ein Zentrum von Bibüzismus und positiver Theologie auf (ebd., Bd. 23, Sp. 1850). Kein künftiger bayer. Pfarrer studierte in den ›Hochburgen‹ der ›liberalen Theologie‹ Jena oder Heidelberg! Berlin reizte zunehmend als nationale und urbane Großstadtuniversität (Schattenmann). Zum Altersaufbau und damit zur Generationenmentalität (am Beispiel des Bayreuther Kirchenkreises 1896): 1830-1839 1840-1849 1850-1859 1860-1869 Geburtsjahr vor 1830 4,2

12,9

18,5

23,8

40,8%

(Personalstand 1896). 2 Drittel waren von der vom weltanschaulichen und politischen Liberalismus mitbestimmten ›Bismarckzeit‹ geprägt, die den konservativen Erlanger Quietismus teilweise erschwerte. 306 Ch. Geyer 1862-1919, 1887 Pfarrer Altdorf, 1889 3. Pfarrer Nördlingen, 1895 Präfekt Lehrerseminar Bayreuth, 1902 Hauptprediger St. Sebald/Nürnberg; F. Rittelmeyer 1872-1938, 1902 3. Pfarrer Heiliggeist/Nürnberg (Simon, Kirchengeschichte, S. 673ff.; RGG, Bde. 2 3 , Sp.

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Anmerkungen von Seite 251-254 1119f.; W . v . Loewenich, Christian Geyer. Zur Geschichte des freien Protestantismus‹ in Bayern, in: J b . f. fränk. Landesforschung, Bd. 24, 1964, S. 2 8 3 - 3 1 8 ; A. Pauli, Friedrich Rittelmeyer, in: Lebensläufe aus Franken, Bd. 6, 1960, S. 4 5 7 - 4 6 9 ) . 307 Zum theologischen Hintergrund vgl. Rendtorff. - LkAN Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald; z. B. zuaiKneule, Bd. 2, S. 46; W. v. Loewenichy Konfessionen im Zeitalter des Liberalismus, in: G. Pfeiffer (Hg.), Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, S. 418-424, 422f.; W. Tnilhaas, Der freie Protestantismus im 19. Jahrhundert und die ›Nürnberger Richtung‹, in: Humanitas - Christianitas. Festschrift W. v. Loewenich, Witten 1968, S. 193-204. 308 Ch. Geyer u. F. Rittelmeyer', Gott und die Seele. Ein Jahrgang Predigten, Ulm 1906. 309 Simon, Kirchengeschichte, S. 674 schätzt die Zahl der festen Anhänger auf ca. 100, d. h. 10% der Geistlichen der rechtsrhein. Landeskirche (Bayerns Entwicklung, S. 100). 310 Führend im orthodox-konfessionalistischen ›Ansbacher Ausschuß› war zunächst Bezzel, als Rektor der mit dem Löhe-Nimbus umgebenen Neuendettelsauer Anstalten von besonderem Prestige. Als Präsident des Oberkonsistoriums bezog er mit einer öffentlichen Kampfansage an die Opposition durch einen »Hirtenbrief« ( März 1910) klar Partei - was in der Landeskirche unüblich war (Jb. für die evangelisch-lutherische Landeskirche Bayerns 1911, S. 133 f.); er konnte 1912 die Besetzung der 1. Pfarrstelle an St. Lorenz/Nürnberg mit Rittelmeyer verhindern (Simon, Kirchengeschichte, S. 674f.). 311 Christentum und Gegenwart. Evangelisches Monatsblatt, unter ständiger Mitarbeit von Hauptprediger Dr. Geyer und Pfarrer Lie. Dr. Rittelmeyer hg. von Pfarrer J . Kern, Nürnberg 1910ff. 312 Die Namen der Verbände waren programmatisch: Protestantischer Laienbund, Bund der Bekenntnisfreunde, in der Mitte die Evangelisch-kirchliche Vereinigung. 313 Stephan u. Schmidt, S. 202ff., bes. 261 ff. 314 Es war kennzeichnend, daß Rittelmeyer, nachdem seine Laufbahn in Bayern blockiert war, als Pfarrer nach Berlin ging; es wandte sich schließlich der Anthroposophie zu als Mitbegründer der »Christengemeinschaft«. 315 Simon, Kirchengeschichte, S. 674f.; Kneule, Bd. 2, S. 45f.. 316 Im Besitz des Verfassers. 317 Die Pfarrberichte maßen in der Regel Einstellung und Verhalten der Arbeiter an der Norm des agrarisch-kleinbürgerlichen Lebensraumes (LkAN Pfarrbeschreibung Fürth-Poppenreuth, Erlangen/Altsstadt). 318 Ebd., Pfarrbeschr. Fürth-Poppenreuth. 319 Typisch die Festpredigt eines Oberkonsistorialrats zur Eröffnung eines Arbeitervereinshauses über die sozialen Probleme der Industriegesellschaft (V. Bozzel, Festpredigt. . . aus Anlaß der Eröffnungsfeier des neuen Vereinshauses . . . des Evangel. Arbeitervereins Würzburg, Würzburg 1911). 320 Nicht ohne Einfluß waren hierbei die Erfahrungen Ch. Geyers als Leiter des Evangelischen Arbeitervereins Bayreuth (Kneule, Bd. 2, S. 33). 321 Geyer u. Rittelmeyer, S. 423ff. 322 Ebd. 323 Ein überdurchschnittliches Gottesdienstangebot gab es ζ. Β. in Bayreuth: sonntags in 3 Kirchen Hauptgottesdienst, in 1 Nachmittagsgottesdienst, werktags 1 Betstunde und 2 Predig­ ten/Woche, samstags öffentliche Beichte (Kneule, Bd. 2, S. 46); den Durchschnitt zeigt Altdorf: sonntags 1 Haupt- und 1 Nachmittagsgottesdienst, werktags 1 Betstunde, Wochengottesdienst nur in der Passionszeit (LkAN Pfarrbeschr. Altdorf, ähnlich ebd. Langenzenn, Münchsteinach, Katzwang, Sugenheim, Emetsheim, Langenfeld). Vgl. Amts-Handbuch 1883, Bd. 4, S. 61 ff. 324 1879 kam die Entwicklung der Agende seit 1854 zum Abschluß (ME 21. 5. 1879, in: ebd., S. 81 f.); 1882 wurde eine Einheitsform des »Vaterunser« verbindlich (OKE 15. 3. 1882, in: ebd., S. 82f.).

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Anmerkungen von Seite 254-256 325 ME 19.11.1875 und OKE 3.12.1873, in: ebd., S. 97f.; Simon, Kirchengeschichte, S. 666. 326 Z.B. LkAN Pfarrbeschr. Erlangen/Altstadt. 327 Hinderlich war nach wie vor, daß jede Einrichtung einer Bibelstunde vom Oberkonsistorium genehmigt werden mußte. (Simon, Kirchengeschichte, S. 669). 328 Impulszentrum und Missionarsausbildungsstätte war Neuendettelsau (F. Eppelein, Das Neuendettelsauer Missionswerk und seine 4 Arbeitsgebiete, Neuendettelsau 1933). 329 Mündlicher Bericht von Herrn Pfarrer Schnorr (München); Photographien und zu Werbezwecken für Missionsspenden verbreitete Bildpostkarten im Besitz des Verfassers. 330 Simon, Kirchengeschichte, S. 667ff.; Kantzenbach, Evangelischer Geist, S. 353ff. 331 Z. B. LkAN Pfarrbeschr. Langenzenn. Eine besondere Rolle spielten die Diakonissen aus dem 1909 gegründeten Mutterhaus Hensoltshöhe bei Gunzenhausen (MFr.) (z. B. LkAN Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald). 332 In Bayreuth z. B. hielt der Dekan alle 14 Tage vor 20-40 Menschen Bibelstunde (Kneule, Bd. 2, S. 48), in Nürnberg/St. Sebald war man reserviert, da die »Gemeinschaftsbewegung« den Pfarrern Boden entzog (LkAN Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald), in Altdorf verurteilte man sie entschieden (ebd., Pfarrbeschr. Altdorf). 333 Ebd. 334 Z.B. ebd., Pfarrbeschr. Langenzenn, Nürnberg/St. Sebald. 335 Ebd. Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald, Fürth-Poppenreuth, Schwabach, Langenzenn, Altdorf, Katzwang, Erlangen/Altstadt, Münchsteinach, Emetsheim, Langenfeld, Thalmnnsfeld, Sugenheim. - Zum Vergleich Marbacb. 336 Abendmahlsfrequenz-Spitzenwerte z.B. in den Dekanaten Wassertrüdingen (MFr.) 171 %; Thalmässing (MFr.) 164%; Gräfenberg (OFr.) 159%. Zur Diaspora- oder konfessionellen Grenzlage z. B. Dekanate Kreuzwertheim (UFr.) 154%; Rüdenhausen (UFr.) 160%; Pyrbaum (OPf.) 145%. Die Regierungsbezirke UFr., OPf. und NBy., wo die ländliche Diaspora sich vorwiegend befand, lagen mit 119 bzw. 120% weit über dem Landesdurchschnitt von 92%. Die Gebiete geschlossen prot. Bevölkerung differenzierte eine unterschiedliche Tradition: die Abendmahlsfrequenz war in der ehemal. Markgrafschaft Bayreuth niedriger als in der Markgrafschaft Ansbach und in den Reichsstädten gewesen; das war ein Grund dafür, daß OFr. mit 73% wesentlich unter, MFr. mit 96% etwas über Landesdurchschnitt lag. Auch in MFr. lagen ehemals bayreuth. Gebiete niedriger als vergleichbare ansbach. (Kirchlich-statist. Tabelle 1896, LkAN OKM 377). 337 Z. B. Pfarrbeschr. Langenzenn, Münchsteinach, Emetsheim, Katzwang. In Münchsteinach (MFr.) stieg die Frequenz sogar 1900-1910 von 118 auf 131% (daß davon 46,6% Männer waren, zeigt die stabile Religiosität). - In den meisten Häusern waren noch die Erbauungs- und Predigtbücher von Starck vorhanden (Pfarrbeschr. Langenzenn, Erlangen/Altstadt). 338 Z.B. Dekanate Dinkelsbühl (MFr.) 141%; Rothenburg (MFr.) 127%; Memmingen (Schw.) 128%; Öttingen (Schw.) 151% (Kirchlich-statist. Tabelle 1896, LkAN OKM 377). 339 In Altdorf Jahresdurchschnitt 1901-1910 106% mit sinkender Tendenz, in Langenzenn 1910 86% (Pfarrbeschr. Altdorf, Langenzenn). 340 Z. B. Dekanate Kitzingen (UFr.) 111%; Sulzbach (OPf.) 142%; Weiden (OPf.) 124% (Kirchlich-statist. Tabelle 1896, LkAN OKM 377). 341 Pfarrbeschr. Fürth-Poopenreuth. 342 Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald. - Spendendurchschnitt pro Gemeindemitgl. z. B. in Altdorf 1902 1,38 Mk/Jahr. Da der durchschnittliche Gottesdienstbesuch gut 10% betrug, spendete der regelmäßige Kirchenbesucher über 10 Mk/Jahr (Pfarrbeschr. Altdorf). 343 Für ländliche und kleinstädtische Gewerbegebiete z. B. Dekanate Naila 54%; Wunsiedel 54%; Kirchenlamitz 38%; Münchberg (alle OFr.) 59%; als Zwischentyp Schwabach (MFr. 99%) (Kirchlich-statist. Tabelle 1896, LkAN OKM 377). 344 Als die Restaurationsimpulse der Jahrhundertmitte abklangen, wurde die nur überdeckte

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Anmerkungen von Seite 256-258 Entkirchlichung des Bildungsbürgertums offenkundig - bis hin zu einem verbreiteten Deismus (Pfarrbeschr. Erlangen/Altstadt). Das häusliche Gebet erlosch (Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald). 345 Am geringsten war die statistisch feststellbare Kirchlichkeit in Mittel- und Großstädten, in denen bürgerlicher Rationalismus oder die Industrie oder beide Faktoren zusammen den Lebensraum bestimmten, ζ. Β. Dekanat Nürnberg 30% (die Dekanate kleinerer Städte hatten höhere Zahlen, da ihr oft noch relativ traditionales Umland mitgerechnet war, z. Β. Erlangen 74%, Augsburg 70%, Bayreuth 59%, Hof 54%). - Eine Diasporalage hielt allerdings auch hier den Index noch höher, z. B. in den Dekanaten Bamberg 118%, Würzburg 102%, Schweinfun 91 % (Kirchlich-statist. Tabelle 1896, LkAN OKM 377). Zum Gottesdienstbesuch: in Altdorf z.B. gingen um 1860 durchschnittlich 800-1000 zum Hauptgottesdienst, um 1915 400-700, zum Sonntagsnachmittagsgottesdienst 50-80, zur Wochenbetstunde 15-25, zur Bibelstunde 20-60; die Kenntnis der Gesangbuchlieder nahm ständig ab (Pfarrbeschr. Altdorf). 346 In der Bürgergemeinde Nürnberg/St. Sebald war trotz überfüllter Hauptgottesdienste die Sakramtensfrequenz so niedrig wie in den Arbeitervorstädten (1901-1910 durchschnittlich 20%; zum Vergleich 1785 127%, 1815 71%, 1828 46%, 1845 59%, 1870 29% (Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald)). 347 Abendmahlszahl in der Landeskirche (Prozentsatz der Konfirmierten): 1893 91,9%, 1901-1904 90,4%, 1912 81,6% (LkAN OKM 377, 378, 379). 348 ›Gefallene‹ Paare wurden seit dem späten 19. Jh. kaum mehr in diskriminierenden Formen getraut, Selbstmörder fanden kirchliche Bestattung, die Zurückweisung vom Abendmahl wurde selten (Pfarrbeschr. Erlangen/Altstadt, Langenzenn). 349 Z. B. zu Lindau, München und Nürnberg LkAN OKM 2420, 2700, 2206. 350 Z.B. 50. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München 1897/1898, S. 24f., 30 (LkAN OKM 2700); 19. JBer. d. Vereins f. Erwerbung einer Gehilfen- und Fabrikarbeiterherberge in Nürnberg 1891 (LkAN OKM 2206). - In München verbrachten 1898/1899 8606 »Wandergäste* 22960 Nächte (51. JBer. 1898/1899, S. 14), in den beiden Herbergen in Nürnberg 14209 37776 Nächte (19. JBer.); in Nürnberg hatten seit der Gründung 1873 bis 1891 145702 Gäste übernachtet (ebd.). 351 Zu München 50. JBer., S. 28ff.; 51. JBer., S. 13; 54. JBer. 1901/1902 (LkAM OKM 2700). 352 Z. B. in München 12. 8. 1898 Teilnahme an der Bismarck-Totenfeier auf dem Königsplatz (51. JBer.,S. 11). 353 In München wurde 1898 die Tagesleistung der Krankenkasse auf 70 Pf. erhöht (50. JBer., S. 11). 354 Festgedicht zum 50jährigen Stiftungsfest des Evang. Handwerkervereins München (gesungen nach der Melodie »Deutschland, Deutschland über alles«) (54. JBer., S. 27). 355 51. JBer., S. 12. 356 50. JBer., S. 25f. 357 19. JBer. Nürnberg. 358 ». . . die ganze Temperatur in dieser Bevölkerungsklasse eine erhöhte, erregtere ist als in früheren Jahren« (ebd.). 359 »Vereine dieser An können in unseren Tagen, wo die revolutionären Bestrebungen alles zu unterwühlen drohen, nicht hoch genug angeschlagen werden. Hier wird der junge Handwerker bewahrt und zu allem Guten angehalten« (50. JBer., S. 20f.). - Die Bewertung durch die Kirchenleitung zeigte sich ζ. Β. daran, daß der Präsident des Oberkonsistoriums die Einweihungsrede für das neue Münchner Vereinshaus hielt, die Bewertung durch Staat, Stadt und Wirtschaftsbürgertum durch die Liste der prominenten Teilnehmer der Grundsteinlegung (ebd., S. 24f.). 360 19. JBer. Nürnberg.

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Anmerkungen von Seite 258-260 361 Arbeiterkolonie Simonshof (UFr.) 1888 mit einer Kapazität von 100 Plätzen eröffnet, Arbeiterkolonie Herzogsägmühle (OBy.) 1894 (Simon, Kirchengeschichte, S. 665; Bericht d. Vereins f. Arbeiter-Kolonien in Bayern 31.7. 1888, StAN LRA Gunzenhausen Abg. 1961, 1366). - Die Arbeiterkolonie war »Innere Mission« im Sinn des Hamburg-Berliner Sozialreformers J . H. Wichern (1808-1881), die weniger orthodox als die Caritas Löhescher Prägung war. 362 ». . . einer Übergangszeit bedürfen, in der sie sich durch fleißige Arbeit bewähren« (Spendenaufruf d. Vereins f. Arbeiter-Kolonien 21. 9. 1887, ebd.). 363 Bericht über die I. Bayerische Arbeiter-Kolonie . . . 1890, S. V, ebd. Bis 1912 wurden in beiden Kolonien 12 125 Personen aufgenommen, davon - da die Kolonien paritätisch waren 6794 Katholiken (27. Rechenschaftsbericht d. Vereins f. Arbeiter-Kolonien, ebd.). Verhaltensnormen in der Kolonie ebd. 364 Vorlage zur IV. Generalversammlung d. Vereins f. Arbeiter-Kolonien 18. 8. 1889 (ebd.) (in 5 Jahren bereits 4060 Mitgl.). 365 Allg. B. Feyerabend, Die evangelischen Arbeitervereine. Eine Untersuchung über ihre religiösen, geistigen, gesellschaftlichen und politischen Grundlagen und über ihre Entwicklung bis zum ersten Weltkrieg, Diss. Frankfurt 1955 (MS); Lorenz, Handbuch für evangelische Arbeitervereine, Leipzig 1892; M. Reichmann, Die evangelischen und vaterländischen Arbeitervereine, Stuttgart 1909;Fricke, Bd. 2, S. 150ff. Zu Bayern Denk, S. 23 ff. -Wirtschaftsreformerische Tendenzen, die die enge Kirchenbindung, vor allem die geistliche Leitung abgebaut hätten, fanden in den bayer. Vereinen kein Echo (z. B. Quartalmitteilungen d. Bundes d. evang. Arbeiter-Vereine in Bayern Nr. 44/45 [19041, S. 9, LkAN OKM 2229; Lorenz, S. 57f.). 366 Quartalmitteilungen, passim. 367 Z.B. Quartalmitteilungen Nr. 44/45, S. 11. 368 Z. B. die »volkstümlich-wissenschaftlichen Abhandlungen« Lehr und Wehr fürs deutsche Volk, Hamburg (ebd.). 369 Im Münchner Handwerkerverein war das Jubiläum der »Höhepunkt eines Jahrzehnts (50. JBer., S. 19). In Kempten wurde u. a. ein historisches Festspiel »Luther in Coburg« aufgeführt (Quartalmitteilungen Nr. 44/45, S. 11). 370 Ebd. 371 Vortrag 1904 in Schwabach (ebd., S. 10). 372 Ebd. 373 1907 hatte der Bund Evang. Arbeitervereine in Bayern ca. 14000 Mitgl., davon aber nur 26% Arbeiter (Reichmann, S. 9). 374 Seit den späten 1880er Jahren entstanden, gab es 1903 in Bayern 25, davon 6 in Nürnberg mit Vorstädten (Übersicht über den Stand der . . . evang. Jünglings-Vereine, LkAN OKM 2229). Der Bayer, evang.-luth. Jünglingsbund gehörte über die deutsche Nationalvereinigung dem Weltbund des CVJM (Sitz Genf) an. 375 Berufs-, Alters-, Herkunftsstatistik des CVJM Nürnberg in: Der Christliche Verein junger Männer, sein Werk und seine Aufgaben, hg. vom CVJM Nürnberg, 1905, S. 31, ebd. 376 Weigle, Die Missionsarbeit an der männlichen Jugend - das dringendste Bedürfnis unserer Zeit, Vortrag . . . 1908, ebd. 377 Sozialisationsziele und -mittel eines großen Vereins (Nürnberg) zeigt Der Christliche Verein, S. 29 ff. Aufschlußreich für das Traditionsbild ein Geschichtlicher Kalender für November 1910, in: Rundschau. Illustrierte Zeitschrift für Jünglingspflege und Jungmännermission, Jg. 2, Oktober 1910, S. 28, ebd. - Im Zusammenhang mit dem CVJM stand die Posaunenchorbewegung, die eine ›typisch prot.‹ Kirchenmusikform zu verbreiten und zugleich die beteiligten jungen Männer durch eine attraktive Rolle an die Kirche zu binden suchte. 378 Vgl. den Sammelband von W. Rüegg (Hg.), Jugendkritik und Jugendkult, Frankfurt 1974. 379 Bayer. Vereine 1903 insgesamt 1806 Mitgl., davon in Nürnberg und Vorstädten 891, in München 295 (Übersicht, LkAN OKM 2229).

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Anmerkungen von Seite 260-267 380 In Nürnberg/St. Sebald (Gemeindemitgl. ca. 9000) waren um 1914 verbreitet: Nürnberger Evang. Gemeindeblatt ca. 3000, Bayer. Sonntagsblatt 700, Stuttgarter Sonntagsblatt 80, »Stöcker-Predigten« 350, Feierabend 450 Exemplare/Woche. Das Organ der liberalen Pfarreropposition Christentum und Gegenwart kam auf 800 Exemplare/Monat (LkAN Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald). - In Langenzenn (MFr.) (Gemeindemitgl. ca. 2900) waren abonniert Bayer. Sonntagsblatt in 100, Stuttgarter Sonntagsblatt in 24 Exemplaren/Woche (ebd. Langenzenn). 381 LkAN Pfarrbeschr. Nürnberg/St. Sebald. 382 Ebd. Altdorf. 383 50. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München, S. 22, LkAN OKM 2700. 384 Zu dieser Schwäche im Vergleich mit der kath. Kirche selbst im mehrheitlich prot. Preußen vgl. Pollmann, S. 300. 385 Zur Jahrhundertfeier der Erhebung Bayerns zum Königreich 1. 1. 1906 ordnete das Oberkonsistorium ein Gebet an, in dem nicht nur dem Haus Witteisbach gehuldigt, sondern auch besonders um »Schutz« und »Gnade« für Kaiser und Reich gebetet wurde (Oberkons. Deke. 12. 12. 1905, L k A N OKM 2526). 386 Diese Einstellung steigerte sich noch durch die nationale Aufbruchstimmung 1914, die zugleich eine lebhafte religiöse >Ergriffenheit< verbreitete, so daß Nation und Kirche sich in neuer Stärke zu verbinden schienen (allg. Pressel, S. 11 ff., 75 ff.; Hammer, S. 50 ff.; z. B. Rittelmeyer, Christ und Krieg. Predigten aus der Kriegszeit, München o. J . , S. 1 ff.). 387 Oberkons. - Deke., PfÄr 8. 8. 1895, L k A N OKM 943. 388 Z.B. »Bilder aus der Reichshauptstadt Berlin und der Lutherstadt Wittenberg« (51. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München, S. 12); »Luther und Bismarck« (Quartalmitteilungen d. Bundes d. evang. Arbeiter-Vereine in Bayern Nr. 44/45, S. 10); Theaterstück »Der alte Fritz« (ebd., S. 11); »Tagebuchaufzeichnungen von 1870/71; Bismarck als Christ; Moltke; Ziethen« (Der Christliche Verein junger Männer . . . 1905, S. 30). Auch 50. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München, S. 25; Neukirchner Kalender 1910 (Fürbitte zuerst für den Kaiser, dann für den König). 389 »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert« (Geyer u. Rittelmeyer, S. 132 ff.); bei der Einweihung des Kriegerdenkmals in Ansbach hielt der Stadtpfarrer eine von Nationalismus »durchglühte«, scharf antifranzösische Rede (Fränkischer Kurier 23. 8. 1898); z . B . auch 54. JBer. d. Evang. Handwerkervereins München; Der Christliche Verein junger Männer. . . 1905, S. 30; ferner die häufigen Missionsvorträge in allen Vereinen. 390 Simon, Kirche, S. 80 ff. 391 Dazu K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1 (Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1935), Frankfurt 1977, S. 26 ff. 392 Den Beitrag des Protestantismus zu einer ethisch geleiteten pluralistischen Demokratie westlichen Typs in der Bundesrepublik betont - freilich überspitzt - F. Spotts, Kirchen und Politik in Deutschland. Der Einfluß auf Politik und Wähler in der BRD seit 1945, Stuttgart 1976 (amerik. Orig. 1973), bes. S. 130 ff.

Resümee: >Verweltlichung< als >Modernisierung< 1 Zu diesem Begriff als »komplexem heuristischen Konzept« für die Elemente des Wahrnehmungsfelds, wie es das Erfahrungspotential und Erwartungsrepertoire des einzelnen oder einer Gruppe bedingen, vgl. J . Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel 1974, Sp. 1187-1206. 2 Wie sich spirituelle Bewegungen, die in der Erosion der bürgerlichen Identität durch religiöse >Erweckung< eine neue Plausibilität erhoffen, gegenwärtig nicht nur außerhalb der Kirchen, sondern gegen sie entfalten, beschreiben für das »klassische« Feld der >GegenkulturVerstörungnapoleonische< Erschütterung und ihre sozialpsychologische Bedeutung, in: ZBLG, Bd. 42, 1979, S. 75-106. Blessing W. K., Umwelt und Mentalität im ländlichen Bayern. Eine Skizze zum Alltagswandel im 19. Jahrhundert, in: AfS, Bd. 19, 1979, S. 1-42. Bloth H. G., Adolph Diesterweg. Sein Leben und Wirken für Pädagogik und Schule, Heidelberg 1966. Blume F., Geschichte der evangelischen Kirchenmusik, Kassel 1965. Böck R., Volksfrömmigkeit und Wallfahrtswesen im Gebiet des heutigen Landkreises Friedberg (Schwaben), T. 1, in: Bayer. J b . f. Volkskunde, Jg. 1969, S. 2 2 - 7 9 . Böckenförde E.-W., Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: W. Conze (Hg.), Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte (= Beih. G W U ) , Stuttgart 1967, S. 7 0 - 9 2 . Böckenförde E.-W., Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Festschrift E. Forsthoff, Stuttgart 1967, S. 7 5 - 9 4 . Böckenförde E.-W., Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt, in: R. Koselleck (Hg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Stuttgart 1977, S. 154-177.

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