Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570-1650: Entwürfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik 9783484970748, 9783484366244

This volume introduces the concept of late Renaissance philosophy to cover those intellectual currents in pre-mid 17th c

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Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570-1650: Entwürfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik
 9783484970748, 9783484366244

Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Antisozinianismus und spekulative Philosophie
Bisterfelds ›Cabala‹
The Prisca Theologia and Lutheran Confessional Identity c. 1600: Johannes Jessen and his Zoroaster
Bisterfeld and immeatio
Platonismus im Spannungsfeld von Philologie und Theodizee
Einheit und Gegensatz
Kritische Metamorphosen
Heterodoxie und Religionsphilosophie
Religionsphilosophie im 16. Jahrhundert?
Henricus Nollius (ca. 1583–1626)
Frühneuzeitliche »Anthropologie«
Otho Casmanns Anthropologie (1594/96)
Das Verhältnis von Leib und Seele als theologisch-philosophisches Grenzproblem vor Descartes
Praktiken der Schulphilosophie
Wie treibt man Cardano mit Scaliger aus?
Zwischen Ontologie und Ästhetik
Die Kunst der ›Barockscholastik‹
Necessity, Contingency, Impossibility, Possibility, and Modal Enunciations within the Writings of Clemens Timpler (1563/4–1624)
Verlaufsformen der Ethik
Von Melanchthon zu Pufendorf
Backmatter

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Frhe Neuzeit Band 124 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Khlmann, Jan-Dirk Mller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Sptrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570–1650 Entwrfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik Herausgegeben von Martin Mulsow

Max Niemeyer Verlag Tbingen 2009

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-36624-4

ISSN 0934-5531

 Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2009 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier. Satz: Dr. Udo Roth, Mnchen Gesamtherstellung: Hubert und Co., Gçttingen

Inhaltsverzeichnis

Martin Mulsow Einleitung... ... ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ...

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ANTISOZINIANISMUS UND SPEKULATIVE PHILOSOPHIE Martin Mulsow Bisterfelds ›Cabala‹. Die Bedeutung des Antisozinianismus für die Spätrenaissancephilosophie... ... ... ... ... ... ... ... ... .. ... ... ... 13 Robin Barnes The Prisca Theologia and Lutheran Confessional Identity c. 1600: Johannes Jessen and his Zoroaster ………… ……… …… ……… 43 Maria Rosa Antognazza Bisterfeld and immeatio. Origins of a key concept in the early modern doctrine of universal harmony.. ... .…. ... ... ... ... ... .. 57

PLATONISMUS IM SPANNUNGSFELD VON PHILOLOGIE UND THEODIZEE Thomas Leinkauf Einheit und Gegensatz. Der Traktat Phosphorus sive de prima causa et natura mali des Eilhard Lubin als Dokument der Gegensatz-Ontologie der Spätrenaissance. .... ... ... ... ... ... .. ... ... .. 87 Ralph Häfner Kritische Metamorphosen. Beobachtungen zum Problem der Editionsformen in einigen Apuleius-Ausgaben von Filippo Beroaldo (1500) bis Johannes Pricaeus (1650).. ... ... .. ... ... ... 123

VI HETERODOXIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE Winfried Schröder Religionsphilosophie im 16. Jahrhundert? Martin Seidel und seine Schrift Origo et fundamenta religionis Christianae.. ... ... ... ... ... ... 161 Stephan Meier-Oeser Henricus Nollius (ca. 1583–1626): Aristotelische Metaphysik und hermetische Naturphilosophie im frühen 17. Jahrhundert .... ... ... ... 173

FRÜHNEUZEITLICHE »ANTHROPOLOGIE« Uwe Kordes Otho Casmanns Anthropologie (1594/96): Frömmigkeit, Empirie und der Ramismus. . ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ... . 195 Markus Friedrich Das Verhältnis von Leib und Seele als theologisch-philosophisches Grenzproblem vor Descartes. Lutherische Einwände gegen eine dualistische Anthropologie... ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ... . 211

PRAKTIKEN DER SCHULPHILOSOPHIE Ulrich G. Leinsle Wie treibt man Cardano mit Scaliger aus? Die (Nicht-)Rezeption Cardanos an der Jesuitenuniversität Dillingen... ... ... ... ... .. ... ... ... 253

ZWISCHEN ONTOLOGIE UND ÄSTHETIK Sven K. Knebel Die Kunst der ›Barockscholastik‹. Zur Ontologie der forma artificialis bei Rodrigo de Arriaga SJ. (1592–1667).... ... ... ... 281 Joseph S. Freedman Necessity, Contingency, Impossibility, Possibility, and Modal Enunciations within the Writings of Clemens Timpler (1563/4–1624). ... ... ... .... ... ... ... ... ... .. ... ... ... . 293

VII VERLAUFSFORMEN DER ETHIK Horst Dreitzel Von Melanchthon zu Pufendorf. Versuch über Typen und Entwicklung der philosophischen Ethik im protestantischen Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung.. ... ... ... ... ... .. 321

Namensregister... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... . 399

Martin Mulsow

Einleitung

Renaissance im 17. Jahrhundert? Ist der Titel nicht paradox? Bei näherem Hinsehen nicht: Ähnlich wie sich der europäische Späthumanismus bis weit in das 17. Jahrhundert hinein erstreckt, so kann man auch das Fortleben der spekulativen Renaissancephilosophie beobachten, wie sie von Cusanus, Ficino und Pico entwickelt und von Bruno, Patrizi und Campanella weitergeführt worden ist. In Deutschland erlebt die Rezeption dieser Philosophien erst mit der ›Wiederkehr der Metaphysik‹ (Walter Sparn) Ende des 16. Jahrhunderts ihre späte Blüte. Von Lubin bis Bisterfeld, von Jessen bis Nolle, von Casmann bis Ritschel, von Alsted bis Comenius und Erhard Weigel gab es an den deutschen Universitäten ein Amalgamieren spekulativen (vor allem italienischen) Renaissancedenkens mit Paracelsismus, Ramismus, Böhmianismus, reformierter Metaphysik und neuer Naturwissenschaft, das in seiner ganzen Breite und Komplexität bisher niemals erforscht worden ist. Die bisherige Forschung hat solches Amalgamieren nicht honoriert oder aus institutionellen Gründen nicht in den Blick bekommen. Denn zunächst war die traditionelle Erforschung der Renaissancephilosophie, wie sie etwa am Münchener ›Seminar für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance‹ praktiziert wurde, auf italienische Autoren fixiert. Während die Humanismusforschung sich inzwischen von dieser Fixierung gelöst hat, scheint dies für die Philosophie im engeren Sinne schwieriger. Denn es haben sich seit längerer Zeit für die Situation in Deutschland nur zwei große Diskursbereiche zur Forschung angeboten: die scholastisch-aristotelische Philosophie (für die es immerhin Studien von Peter Petersen, Ernst Lewalter, Walter Sparn u.a. gibt) und auf der anderen Seite die ›okkultistischen‹ philosophisch-theologischen Strömungen der Paracelsisten, Rosenkreuzer, Böhmeaner und Theosophen (zu nennen ist hier zunächst die ältere Erforschung durch Will-Erich Peukert, Ernst Benz u.a.). Grauzonen und Zwischentöne fielen aus dieser Zweiteilung heraus. Schlimmer noch. Beide Richtungen galten sogar für sich lange Zeit für philosophisch nicht sehr salonfähig. Das zumindest hat sich inzwischen geändert. Der Renaissance- und Barockaristotelismus hat eine späte Anerkennung als noch lange maßgebliches Paradigma in den meisten wissenschaftlichen Disziplinen erfahren (Charles B. Schmitt, Charles Lohr, Horst Dreitzel), und die okkultistischen Strömungen werden aus einer rein weltanschaulichen Erforschung herausgelöst und in ihren sozialen und politischen Kontexten rekonstruiert (etwa Carlos Gilly, das Heidelberger Projekt einer ›Sozialgeschichte des Para-

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Martin Mulsow

celsismus‹ um Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle, in Frankreich etwa Didier Kahn usw.). Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, ein unbefangeneres und adäquateres Bild von der Pluralität der philosophischen Bemühungen im Alten Reich in der Zeit vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Westfälischen Frieden zu bekommen. Die einzige monographische Gesamtdarstellung dieser Epoche aus der Feder von Siegfried Wollgast1 leidet noch an den Erblasten der älteren Vorurteile und einer mangelnden Koordination mit Fragestellungen der neueren Renaissanceforschung. Immerhin ist sie nun, was die spätere Phase der Epoche angeht, von der umfassenden Aufarbeitung im Neuen Überweg 17. Jahrhundert – Deutschland abgelöst worden.2 Diese Aufarbeitung hat nicht nur viele Konturen in schärferem Licht erscheinen lassen, sondern zugleich auch eine Fülle von neuen Aufgabenstellungen aufgezeigt. Denn nun sind wir in der Lage, differenzierte Fragen nach Zwischenpositionen, interessanten, aber isolierten Einzelspekulationen, Umbrüchen und Amalgamierungen innerhalb der pluralisierten Philosophielandschaft in Deutschland zu stellen. Zugänge zu solchen Fragen haben bereits die Studien über Reformbemühungen innerhalb der scholastisch-rationalistischen Philosophien (Ulrich Leinsle) oder über die Wissensorganisation (Wilhelm Schmidt-Biggemann) erbracht; hier ließ sich weiterfragen nach der Weise, in der spekulative Denkformen in die universitär ausgebildeten und ›ramistisch‹ oder ›philippistisch‹ geprägte Schulphilosophie integriert worden sind. Auch die Weise, in der Philosophie und Politik, Naturwissenschaft und Theologie jeweils in ihren Querbeziehungen von den Autoren gesehen worden sind, versprach zu aufschlußreichen Ergebnissen zu führen. Weiterhin waren solche Fragestellungen zu verbinden mit konkreten Nachforschungen über Rezeptionswege (etwa von Italien nach Deutschland) und den Strategien der Quellenverarbeitung. Diese Überlegungen markierten den Ausgangspunkt für die Tagung, die diesem Band zugrundeliegt. Die Tagung fand vom 14. bis 16. November 2000 als 48. Wolfenbütteler Symposion an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel statt. Sie war das erste Treffen, das Forscher zur Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland in einem Raum vereinigte. In der skizzierten konkreten Form – was der Überweg nicht leisten konnte – sollte anhand von Fallstudien so detailliert wie möglich, gleichsam mit dem Vergrößerungsglas gearbeitet werden, um unbeeinflußt von makrogeschichtlichen Vorurteilen über den Verlauf der Philosophiegeschichte zu historisch ›dichten‹ Beschreibungen zu kommen. Außenseiter der Philosophiegeschichte waren als Objekte des ›außergewöhnlichen Normalen‹ (Grendi/Ginzburg/Poni) willkommen. Mit der Analyse von internationalen Konstellationen wie den in der deutschen Spätrenaissance-Philosophie zu beobachtenden ließe sich, so die Aus-

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Siegfried Wollgast: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650. Berlin 1983; 2. Aufl. 1993. Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Teil 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa. Hg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann. 2 Tlbde. Basel 2001.

Einleitung

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gangsüberlegung, auch zwanglos der Anschluß an neuere Groß-Themen der Frühneuzeitforschung finden: Themen wie der Erforschung des euopäischen Kulturtransfers mit seinen kulturellen ›Übersetzungs‹-Leistungen; der Pluralisierung eines Wissens, das immer neu in Ordnungen zurückgebunden werden muß; der Sozialgeschichte des Wissens, das die Kommunikationsstrukturen von Intellektuellen mit Patronen, Konkurrenten und Kollegen verfolgt. Freilich stellte sich im Verlauf der Tagungsplanung heraus, daß der inhaltliche Rahmen des Programms gegenüber den ursprünglichen Vorüberlegungen etwas auszuweiten war. Es erwies sich als sinnvoll, an der Fokussierung auf den spekulativen Strang in der deutschen Spätrenaissancephilosophie nicht streng festzuhalten. Denn sonst wäre die Pluralität der philosophischen Bemühungen von 1570 bis 1650 nicht adäquat berücksichtigt worden. So wurden auch Referate zum Aristotelismus und zu Bereichen der Logik und Ethik, der Ästhetik, Poetik und Religionsphilosophie aufgenommen. Sie runden das Bild, das zu zeichnen war, in vielen Hinsichten ab. Den Beginn des Bandes macht eine Sektion zum Komplex von reformierter Schulphilosophie und lullistisch-kabbalistischen Traditionen. Dieser Komplex führt gleich in das Zentrum der anvisierten Fragen. Denn vor allem im reformierten Milieu hat es eine Kontinuierung der Renaissance bei zugleich verstärktem theologischem und logischem Interesse gegeben. Martin Mulsow (damals München, jetzt Gotha / Erfurt) schlägt in einem einleitenden grundsätzsätzlichen Versuch vor, das Problem der deutschen Rezeption von Renaissancespekulationen mit ihren theologischen Wurzeln so anzugehen, daß man sie als Kulturtransfer begreift: Der ostmitteleuropäische Sozinianismus habe eine Art kulturelle Konfliktline gebildet, diesseits derer man auf die antitrinitarische Herausforderung mit einer Verstärkung trinitarischer Argumentationen reagiert habe. An den Beispielen von Annibale Rosselli, Johannes Jessen und vor allem Johann Heinrich Bisterfeld zeigt er, daß wie durch einen ›Rezeptionsfilter‹ Ternare in neuplatonischen, hermetischen oder kabbalistischen Texten aufgenommen und als ›trinitarische‹ Momente verstärkt worden sind. Bei Bisterfeld etwa läßt sich ein starker Einfluß der christlichen Kabbala in diesem Sinne nachweisen. Robin Barnes (Davidson College, North Carolina) bestätigt diese Sicht mit einer Fallstudie über Johannes Jessen, einen lutherischen Naturphilosophen und Mediziner aus Schlesien, der später am Aufstand der Böhmischen Stände gegen die Habsburger maßgeblichen Anteil hatte. Jessen hat 1593 Francesco Patrizis Philosophie und seine Edition der Zoroaster zugeschriebenen Chaldäischen Orakel mitten in die Debatten der Wittenberger Theologie hineingestellt – nicht so sehr wie Alsted als Mittel einer »Zweiten Reformation«, sondern, wie Barnes betont, im Sinne einer »Übung in spekulativer Freiheit, die dem wahren evangelischen Glauben diene«. Howard Hotson (damals Aberdeen, jetzt Oxford), der Johann Heinrich Alsted in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte und dessen Referat leider

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Martin Mulsow

nicht zu einem Beitrag für diesen Band ausgearbeitet werden konnte, 3 versuchte die Frage zu beantworten, warum es vor allem das reformierte Milieu war, das die Synthese aus Lullismus und Schulphilosophie leistete. Hotson benannte eine Reihe von Umständen, die dabei offensichtlich eine Rolle gespielt haben: theologische Spezifitäten des calvinistischen Umfeldes etwa, oder das Faktum, daß es die Hohen Schulen wie Herborn und Steinfurt, nicht aber die Universitäten wie Heidelberg waren, die die Synthese toleriert haben. Maria Rosa Antognazza (damals Aberdeen, jetzt London) vertieft diesen Befund von einer begriffsgeschichtlichen Seite her. Indem sie danach fragt, welche Herkunft der spekulative Begiff der ›immeatio‹ (ein unmittelbarer Vorläufer von Leibniz‘ Harmoniekonzeption) bei Bisterfeld habe, legt sie die theologischen Wurzeln dieser Spätrenaissancephilosophie frei: sie reichen von Jacques Lefèvre d’Étaples, der die Trinitätstheologie von Johannes Damascenus herausgegeben und kommentiert hat, bis zu Rudolph Goclenius und seinem Lexikon griechischer Terminologie. Der nächste Abschnitt dieses Bandes ist »Platonismus im Spannungsfeld von Philologie und Theodizee« betitelt. Gemeint ist damit die vielfältige Motivationslage, die die Rezeption mittelplatonischer, neuplatonischer oder renaissanceplatonischer Theoreme im Alten Reich um 1600 prägen konnte. Thomas Leinkauf (Münster) prüft in diesem Sinne die Philosophie im Phosphorus des lutherischen Rostocker Professors Eilhard Lubin. Hier nun gibt es die in der deutschen Spätrenaissancephilosophie wohl singuläre Thematisierung von der augustinischen Problematik der Herkunft des Bösen zusammen mit hochspekulativen Überlegungen, Argumenten, die – wie Leinkauf nachweisen konnte – zum Teil aus Proklos stammen. Es wurde in der Diskussion gerätselt, wie diese Überlegungen mit zeitgenössischen Rostocker Debatten zur Erbsünde zusammenhängen mögen, und ob es Valentin Weigel mit seinem Dualismus gewesen sein kann, auf den Lubin unausgesprochen gezielt hat. Einen ganz anderen Kontext macht Ralph Häfner (damals Berlin, jetzt Tübingen) sichtbar. Er setzt sehr früh, um 1500 beim italienischen Philologen Filippo Beroaldo an, um die Aufmerksamkeit auf die Spannung zwischen Fiktion und Magie, zwischen Literatur und Idolatrie zu lenken, wie sie in der frühneuzeitlichen Rezeption von Apuleius offenbar wurde. Die Geschichte der Apuleius-Editionen, die Häfner in die deutschen Territorien zur Zeit des Späthumanismus hineinverfolgt, zeigt, so die These, die Veränderung im Umgang mit dem prekären Status von solch uneindeutiger Literatur. Mittelplatonische Mentalitäten werfen ihre langen Schatten auf das deutsche und holländische Spätrenaissance-Milieu. Denn »der Neuplatonismus war im protestantischreformierten Bereich ganz entwertet, weil die Inhalte ihrer spekulativen Theologik, soweit sie für die christliche Dogmatik überhaupt noch von Bedeutung waren, vollständig durch Dialektik und Hermeneutik in der Nachfolge des Matthias Flacius Illyricus abgedeckt wurden.« So blieb nur der Umbau der platoni-

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Vgl. aber seine Monographie Johann Heinrich Alsted 1588–1638. Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform. Oxford 2000.

Einleitung

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schen Philosophie in eine lehrhafte Systematik übrig, bei der der Mittelplatonismus mit seiner ›Zweiten Sophistik‹ das Modell stellte. Die folgende Sektion, »Heterodoxie und Religionsphilosophie«, verfolgt die schon angeschlagenen Themen von Sozinianismus und Hermetismus weiter. Der Sozinianismus, gegen den sich Theoretiker wie Bisterfeld wendeten, hat nicht nur radikalprotestantische Theorien hervorgebracht. In seinem Umfeld (wenn auch unter Dissens mit Fausto Sozzini) ist auch – so Winfried Schröder (damals Berlin, jetzt Marburg) – der erste deistische Traktat entstanden. Der heute fast gänzlich vergessene Martin Seidel nimmt in seiner Schrift Origo et fundamenta religionis Christianae (wohl aus den späten 1570er Jahren) zahlreiche Argumente vorweg, die erst im 18. Jahrhundert größere Verbreitung erlangt haben. Das zeigt uns, wie lückenhaft unsere Kenntnis des philosophischen Spektrums im späten 16. Jahrhundert noch ist. Seidel ist ein gutes Beispiel für das oben angesprochene »außergewöhnliche Normale«, dessen Aufdeckung der weiteren Forschung zu denken geben sollte. Heinrich Nolle, Timplers Kollege in Steinfurt, ist ein anders gelagerter Fall dafür, wie die »Übung in spekulativer Freiheit« (Barnes) in eine heterodoxe Richtung driften konnte. Das lag nicht nur am Autor selbst, sondern eher in der Veränderung der Umstände und des Umfeldes. Nolles intellektuelle Biographie zeigt, so Stephan Meier-Oeser (damals Berlin, jetzt Bretten), eine der Möglichkeiten, wie man in der Zeit nach etwa 1615/20, als hermetisch-kabbalistische Spekulationen zunehmend von den inzwischen gefestigten konfessionellen Orthodoxien abgelehnt wurden, mit solchen Spekulationen umgehen konnte. Hier ist es nicht der Rückzug ins Private wie bei Alsted nach 1616, auch nicht die an den Fürstenhof gebundene rastlose Existenz wie bei Bisterfeld, sondern das Festhalten an der okkultistischen Überzeugung auf Kosten der akademischen Karriere. Nolle hatte in Steinfurt seine Professur zu quittieren, veröffentlichte aber weiter hermetisch-paracelsistische Traktate. In Gießen fand er keine Anstellung. Wenn man nicht so radikal agieren wollte, blieb die moderat konkordistische Lösung. Zentral scheint für solche konkordistische Bestrebungen die Universität Marburg (nach 1604 von lutherischer zu calvinistischer Konfession gewechselt) und ihr Philosoph Rudolph Goclenius gewesen zu sein. Goclenius, ursprünglich lutherisch, hatte sich mit dem neuen calvinistischen Milieu arrangiert und eine weit ausstrahlende Schule geschaffen, in der ein aus Italien rezipierter Aristotelismus, vereint mit platonisierenden Strömungen, gelehrt wurde. Im Anschluß an die Melanchthon-Tradition Marburgs unterrichteten er und seine Schüler ›Anthropologie‹, eine stark von der medizinischen Körperlehre her konzipierte Psychologie. Einige seiner Schüler wie Ludwig Crocius standen später dem Synkretismus Calixts nahe. Diese ›Marburger Schule‹ mit ihren komplexen Verbindungen harrt noch der Aufarbeitung.

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Ein Referat zu Goclenius selbst konnte nicht realisiert werden.4 Der Band beschäftigt sich aber mit einem von Goclenius‘ Schülern, dem späteren Stader Rektor Otto Casmann. Sein Werk wurde auf der Tagung gleich von zwei Beiträgen beleuchet. Uwe Kordes (Bielefeld) untersuchte die Anthropologie von Casmann; er zeigte sich dabei allerdings enttäuscht von der mangelnden Originalität des Werkes. Eigene spekulative Synthese scheint nicht das Merkmal dieses Konkordismus gewesen zu sein. Casmanns Werk stellt in einem christlichen Rahmen und unter Verwendung ramistischer Dialektik die ›hypostatische Union‹ von Körper und Seele dar, indem es zahlreiche Argumente rezipiert und anführt – auch solche neuerer antiaristotelischer Naturforschung –, aber nebeneinander beläßt. Dem Leser bleibt die Aufgabe, daraus Urteile abzuleiten. Auch Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin), der Casmanns Cosmopoeia betrachtete und dessen Referat nicht zur Ausarbeitung kam, mußte Casmanns untergeordnete Stellung gegenüber viel originelleren kosmopoietischen Werken wie denen von Agostino Steuco oder Robert Fludd einräumen. Schmidt-Biggemann konnte aber minutiös in Casmanns Werk die Textstrategien verfolgen. Zwar borgt sich Casmann auf moderate Weise Argumente aus dem Neuplatonismus, um gegen die Tendenzen des averroistischen Aristotelismus von der doppelten Wahrheit oder der Ewigkeit der Welt anzugehen, doch er hält diese Argumente bewußt unspekulativ. Jede Radikalität – so auch der Millenarismus – wird vermieden. Immerhin: Casmanns Anthropologia markiert mit ihrem Titel eine zumindest begriffsgeschichtlich neue Etappe des Nachdenkens über die menschliche Seele und ihren Zusammenhang mit dem Körper. Kordes’ Beitrag ist deshalb hier unter der Sektion »Frühneuzeitliche ›Anthropologie‹« aufgeführt, und mit dem Referat von Markus Friedrich (damals München, jetzt Frankfurt a.M.) ergänzt worden. Friedrich untersucht die Leib-Seele-Debatte vor Descartes anhand einiger wenig bekannter Schriften von Wencel Schilling in seiner Debatte mit Jakob Martini. Als Fortsetzer der Gedanken des streitbaren Daniel Hofmann und im Gegenzug gegen die Aufwertung der Vernunft bei der »Wiederkehr der Metaphysik« versuchte Schilling in fideistischer Weise, in Themen wie dem Traduzianismus, der Auferstehung und der Lokalisierung der Sünde die Rolle Gottes und der Offenbarung zu verstärken und den Leib mit der Sünde, den Geist aber mit dem Göttlichen zu identifizieren. Dagegen stellte die lutherische Orthodoxie, so Friedrich, den Konsens einer »allgemeinen Überzeugung von der leibseelischen Einheit des Menschen.« Wie aber sah diese Orthodoxie aus? Welche Praktiken des Argumentierens übte sie aus? Und welche Praktiken setzte die katholische Orthodoxie im Süden

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Vgl. aber die Arbeiten von Gideon Stiening: »Deus vult aliquas esse certas noticias«. Philipp Melanchthon, Rudolph Goclenius und das Theorem der notitiae naturales in der Psychologie des 16. Jahrhunderts, in: Barbara Bauer (Hg.): Philipp Melanchthon und die Marburger Professoren. 2 Bde. Marburg 2000, Bd. 2, S. 757–787; ders.: Verweltlichung der Anthropologie im 17. Jahrhundert? Von Casmann und Magirus zu Descartes und Hobbes, in: Lutz Danneberg, Sandra Pott, Jörg Schönert und Friedrich Vollhardt (Hg.): Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit, Bd. 2: Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem Atheismus. Berlin 2002, S. 174–218.

Einleitung

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Deutschlands dagegen, nicht nur in den Religionsgesprächen, sondern auch in der Purgierung und Beschränkung der Rezeption renaissancephilosophischer Texte? Diesen Fragen war die Sektion »Praktiken der Schulphilosophie« gewidmet. Barbara Mahlmann-Bauer (damals Marburg, jetzt Bern) untersuchte in ihrem Beitrag, der an anderer Stelle gedruckt wird,5 wie die Schullogik (als Propädeutik für die Theologen) in die Praxis umgesetzt wurde. Anhand des Protokolls des Religionsgespräches von 1614 zwischen dem jungen Calixt und dem Hildesheimer Jesuiten Augustinus Turrianus um das Seelenheil des jungen Ludolph von Klencke auf der Hämelschenburg kann sie zeigen, wie protestantische und katholische Praktiken aufeinanderstießen, und wie die Produktion von Logiklehrbüchern mit den konfessionellen Anliegen der Kontroverstheologie zusammenhing. Während Calixt bei einer konsequenten Konstruktion und Auflösung von Syllogismen beobachtet werden kann, geht der Jesuit das Gespräch weit weniger streng an – wobei er in argumentative Schwierigkeiten gerät. Die Logiklehrbücher von Cornelius Martini und anderen reflektieren solche Auseinandersetzungen. Konfessionelle Fragen stehen auch bei einem Blick auf die Jesuitenuniversität Dillingen im Mittelpunkt. Ulrich G. Leinsle (Regensburg) stellt die Frage: »Wie treibt man Cardano mit Scaliger aus?« Er zeigt die Präsenz von Julius Caesar Scaliger in zahlreichen Dillinger Dissertationen, in denen die Exercitationes des Aristotelikers gegen die neoterischen Theorien Girolamo Cardanos eingesetzt wurden; oftmals ersetzten Schwärzungen oder Schnitte in den Büchern Cardanos, was Argumente nicht ausrichten konnten. So wurde eine Rezeption der Renaissancespekulation blockiert. Daß die Jesuiten aber auch eigenständig innovatorische Thesen ersinnen konnten, stellt hingegen Sven K. Knebel (Berlin) für den Fall des Prager Professors Rodrigo de Arriaga heraus und eröffnet damit die Sektion »Zwischen Ontologie und Ästhetik«. Arriaga vertrat eine nominalistische Theorie des Kunstwerks und seiner ›forma artificialis‹. Schon das Ereignis einer Ortsveränderung des Kunstwerks wirft für solche extremistischen Positionen große Probleme hinsichtlich der Identität des Werks auf. Diese Positionen haben dafür aber auch extreme Lösungen erdacht, die später etwa im Kontext des frühneuzeitlichen Atomismus relevant werden konnten. Auf der anderen, protestantischen Seite konnte man nicht weniger subtil argumentieren. Das zeigt Joseph S. Freedman (Montgomery) in seinem Beitrag über Clemens Timplers Modaltheorie. Timpler war einer jener Calvinisten an der Hohen Schule in Steinfurt, die einen noch immer unterschätzten Einfluß auf die deutsche Philosophie des 17. Jahrhunderts ausgeübt haben. Den Band abschließend – und eine eigene Sektion bildend – steht der große und grundlegende Aufsatz von Horst Dreitzel (Bielefeld) über die Entwicklung der philosophischen Ethik in Deutschland zwischen Melanchthon und Pufen-

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Barbara Mahlmann-Bauer: Theologische Disputationen in der Theorie und Praxis. In: dies. (Hg.): Der Wettstreit konfessioneller Kulturen um 1600. Fulda, Paderborn, Hildesheim und Mainz. Erscheinen in Planung.

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dorf. Dieses bisher stark vernachlässigte Gebiet stellt sich für ihn so dar, daß ganz unterschiedliche Strömungen nebeneinander koexistieren konnten; nicht nur philosophische Ethik neben Moraltheologie, sondern auch innerhalb der Ethik eine säkularisierte, aristotelische Richtung neben einer platonisierenden Lehre von der Einheit der menschlichen Seele mit Gott und einem universalen Theismus. In der Schlußdiskussion der Tagung wurde die von mir vorgeschlagene Bezeichnung »Spätrenaissance« für die philosophische Epoche vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Ausgang des Dreißigjährigen Krieges sehr kontrovers erörtert. In der Tat: Es wäre genau zu bestimmen, was der Begriff ›Spätrenaissancephilosophie‹ im Verhältnis zum inzwischen etablierten ›Späthumanismus‹6 heißen kann oder wie die platonischen oder hermetischen Spekulationen zur historisch-philologischen Kritik des Humanismus seit Casaubon stehen. Sicherlich ist der Titel treffender für das ursprüngliche Projekt der Tagung, die Zwischenformen zwischen hermetisch-platonischer Spekulation und Schulphilosophie zu erkunden – das Thema der ersten drei oder vier Sektionen. Man kann sogar die Ansicht vertreten, der Mystik komme im vorliegenden Band zu wenig Bedeutung zu, obwohl sie doch am ehesten Renaissance- (oder gar Spätmittelalter-) Themen bis weit in den Barock hineingeführt habe. Die mehr der Schulphilosophie selbst gewidmeten späteren Sektionen sind vom Begriff der Renaissance deutlicher getrennt. Aber auch für sie wurden in der Diskussion weitergehende Fragen formuliert: Wie ist ›Schulphilosophie‹ in dem hier thematisierten Zusammenhang zu verstehen, der die Nachwirkungen von Impulsen aus Italien und aus dem Humanismus herausstellt? Hat sie sich durch aktive Begrenzungen des Diskurses (ganz im Sinne von Foucault) konstituiert? Welche Rolle hat die Konfession dabei gespielt? Das einleitende Referat hat ja vorgeführt, daß konfessionelle Themen die Rolle von »Filtern« spielen konnten – sei es abwehrend, sei es verstärkend. Ist ein ›anthropologisches‹ Moment konstitutiv für die Entwicklungen im 17. Jahrhundert gewesen? Horst Dreitzel zeigte sich gegenüber der Titulierung ›Spätrenaissance‹ sehr reserviert und favorisierte eine Titulierung als ›Philosophie im konfessionellen Zeitalter‹ mit dem Zusatz, daß es sich um Denkformen zwischen Schulphilosophie und okkultistischen Lehren handele. Andere Teilnehmer stellten die Frage, ob nicht mit dem Titel ›Frühbarock‹ mehr die innovative Aufbruchsstimmung des frühen 17. Jahrhunderts eingefangen wäre. Allerdings kann ich für meine Titelgebung zumindest einen Autor ins Feld führen, der die Debatten bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auch als Nachwirkung der Renaissance begreift. William J. Bouwsma hat sein Buch aus dem Jahr 2000 – dem Jahr des Symposions – The Waning of the Renaissance genannt, spricht also vom Verblassen, vom nachlassenden, aber immer noch spürbaren Nachwirken der Renaissance.7 Es ist der

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Vgl. Erich Trunz: Der Späthumanismus um 1600 als Standeskultur, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 21 (1931), S. 17–43; Notker Hammerstein (Hg.): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche. Göttingen 2000. William J. Bouwsma: The Waning of the Renaissance 1550–1640. New Haven 2000.

Einleitung

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gleiche Begriff, den die englische Übersetzung von Johan Huizingas Buch vom »Herbst« des Mittelalters benutzt hatte. Bouwsma möchte mit seiner Wortwahl deutlich machen, daß die Zeit der Spätrenaissance voller innerer Spannungen und Widersprüche gewesen sei, Spannungen zwischen dem Renaissance-Sinn für Innovationen (und, so fügen wir hinzu, für Spekulationen) einerseits und dem Zweifel, der Kritik, der Begrenzung und Angst vor einem Zuviel an Innovation andererseits. Wenn das »Spät« im Ausdruck »SpätrenaissancePhilosophie« in diesem differenzierten Sinn und nicht etwa als Verfall oder Niedergang gelesen wird, dann ist vielleicht ein Konsens über den Begriff möglich. Es bleibt mir, allen am Projekt Beteiligten meinen Dank abzustatten. Ardalan Ibrahim und Andreas Fichtner haben die druckfertige Vorlage hergestellt. Ich möchte der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel aufrichtig für ihre Großzügigkeit danken, mit der sie es ermöglicht hat, das in diesem Band dokumentierte Symposion zu veranstalten. Insbesondere war es das Engagement von Friedrich Niewöhner, welcher das Projekt gefördert und mit hohem Interesse begleitet hat. Es ist mir ein großer Schmerz, daß ich Friedrich Niewöhner diesen Band nicht mehr überreichen kann.

Gotha, im Herbst 2008

ANTISOZINIANISMUS UND SPEKULATIVE PHILOSOPHIE

Martin Mulsow

Bisterfelds ›Cabala‹ Zur Bedeutung des Antisozinianismus für die Spätrenaissancephilosophie

1. Gegen die Sozinianer Es gibt eine Art osteuropäische Konfliktlinie der Theologie, die von Siebenbürgen, Mähren und Polen aus für die spekulative Spätrenaissancephilosophie Mitteleuropas konstitutiv geworden ist. Es ist die Konfliktlinie des Sozinianismus. Sozinianer – antitrinitarische Radikalprotestanten – waren im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert nur in den erwähnten ostmitteleuropäischen Gebieten geduldet. Sowohl der Sozinianismus selbst als auch die gegen ihn in Anschlag gebrachten Antidota sind Produkte eines komplexen Kulturtransfers von und nach Osteuropa.1 Was die Sozinianer angeht, so sind viele von ihnen ursprünglich italienische Humanisten gewesen, die sich der Reformation angeschlossen haben, aber nicht deren dogmatische Fixierungen mitmachen wollten. Indem sie ins Exil gehen mußten und auch in der Schweiz keine dauerhafte Heimat fanden, wurde per Migration viel Kulturgut der italienischen Renaissance zwangshalber nach Osteuropa transportiert.2 Und auch die Gegenmittel wurden teilweise aus dem intellektuell führenden Land, dem Italien der Renaissance, bezogen: hermetische, neuplatonische, kabbalistische Spekulationen. Exemplarisch möchte ich für diesen Transferprozeß der Häresie und die Reaktionen, die er provoziert hat, drei Beispiele nennen. Als erstes mag der Fall des Franziskaners Annibale Rosselli aus Kalabrien stehen. Rosselli (1525– 1592) wurde von seinen Ordensoberen Anfang der 1580er Jahre nach Krakau versetzt.3 Dort publizierte er einen umfangreichen, enzyklopädisch auf neun

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Dazu jetzt der Sammelband von Martin Mulsow und Jan Rohls (Hg.): Socinianism and Arminianism. Antitriniatarians, Calvinists and Cultural Exchange in Seventeenth Century Europe. Leiden 2005. Natürlich verläuft die Konfliktlinie im Laufe des 17. Jahrhunderts mit der Verbreitung der Sozinianer und ihrer Schriften immer weniger nur geographisch, sondern zunehmend intellektuell durch die Debatten und Konzeptionen der Intellektuellen. Vgl. etwa Earl Mose Wilbur: A History of Unitarianism: Socinianism and its Antecedents. Boston 1945; Delio Cantimori: Italienische Häretiker der Spätrenaissance. Basel 1949; Domenico Caccamo: Eretici italiani in Moravia, Polonia, Transilvania. Firenze 1970; Massimo Firpo: Antitrinitari nell’ Europa orientale del ’500. Firenze 1977; Geroge H. Williams: The Radical Reformation. 3. Aufl. Kirksville 1992. Zu Rosselli vgl. Maria Mucillo: Plotino nel tardo rinascimento: Annibale Rosselli nel quadro della filosofia neoplatozizzante del XVI secolo, in: Archivio storico per la Calabria e la Lucania 61 (1994), S. 37–137; dies.: Der ›scholastische‹ Hermetismus des Annibale

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Bände angelegten Kommentar zum hermetischen Pimander, in dem der – wie man annahm – von Hermes Trismegistos stammende Text gleichsam die Stelle der Bibel eingeräumt bekommt.4 War die Bibel ein in ihren Aussagen von den Konfessionen umstrittener und unklarer Text, so schien der Pimander an dogmatischer Klarheit nichts zu wünschen übrigzulassen. Stärker als Agostino Steuco es vor ihm mit den Zeugnissen der prisca theologia getan hatte, entwickelt Rosselli die ganze christliche Theologie mit all ihren scholastischen Details aus der ›Offenbarung‹ des weisen Hermes; in erster Linie aber die Trinität: die mens wird als Vater, das Wort als der Sohn und der spiritus als Heiliger Geist gelesen. In Krakau, auf seinem apologetischen Außenposten inmitten italienischer radikalprotestantischer Emigranten konnte Rosselli – so wohl der Gedanke seiner Ordensoberen – trotz seiner wohl nicht ganz orthodoxen Strategie das Christentum qua Trinität verteidigen.5 Nehmen wir das zweite Beispiel, das ganz ähnliches auf protestantischer Seite zeigt: Der siebenundzwanzigjährige schlesische Medizinabsolvent Johannes Jessen (1566–1621) hat bei seinen Studien in Padua Patrizis 1591 erschienene Nova de universis philosophia mit der Edition der Chaldäischen Orakel kennengelernt, die Zoroaster zugeschrieben wurden. Ins deutsche Reich zurückgekommen, präsentiert er 1593 selbst einen Zoroaster, eine eng an Patrizis Ausgabe angelehnte Kommentierung der Orakel mit einer Art Kurzfassung der Nova de universis philosophia.6 Bei aller Patrizi-Imitation ist doch – das hat Robin Barnes bemerkt – eine besondere Betonung der Ternarstrukturen als Ausdrucksformen der Trinität zu bemerken. Man kann in Jessens Buch den Versuch sehen, den Wittenberger Lutheranern (denn an den kursächsischen Herzog Friedrich Wilhelm ist die Widmung adressiert) eine anticalvinistische, nämlich antirationalistische Philosophie an die Hand zu geben, die aus ältesten Quellen stammt und in sich bereits die trinitarische Weisheit enthält. In einer Zeit, in der es noch nicht so etwas wie eine fixierte lutherische ›Orthodoxie‹ gab, schien das möglich, und mit dem trinitarischen Antirationalismus konnte man auch daran denken, dem antitrinitarischen Rationalismus die Stirn zu bieten, mit dem man in Jessens Schlesien bereits zunehmend zu tun hatte. Das Thema der Trinität war in Ostmitteleuropa zunehmend eine Frage der konfessionellen Identität geworden.7 Bei Rosselli wurde die hermetische Versi-

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Rosselli und die Trinitätslehre, in: Martin Mulsow (Hg.): Das Ende des Hermetismus. Historische Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance. Dokumentation und Analyse zur Datierung des Corpus hermeticum von Genebrard bis Casaubon. Tübingen 2001, S. 61–101. Annibale Rosselli: Pymander Mercurii Trismegisti cum commento […]. Krakow 1585. Vgl. Muccillo: Der ›scholastische‹ Hermetismus (s. Anm. 3), S. 78f. Johannes Jessen: Zoroaster. Nova, brevis, veraque de universo philosophia. Wittenberg 1593. Vgl. Robin Barnes: The Prisca Theologia and Confessional Identity c. 1600: Johannes Jessen and his Zoroaster, in diesem Band; vgl. auch Michael Stausberg: Faszination Zarathustra. Zoroaster und die Europäische Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit. Berlin 1998, S. 382–384. Vgl. etwa L. Chmaj: Bracia Polscy. Ludzie, idee, wplywy. Warzawa 1957. Für ausführliche Literaturangaben vgl. Zbigniew Ogonowski: Der Sozinianismus, in: Grundriss der Ge-

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on der Trinität als apologetische Ressourcen gegen antitrinitarische Tendenzen aufgeboten, bei Jessen die chaldäisch-zoroastrische. Es ging zu dieser Zeit wohlgemerkt noch gegen diverse Tendenzen, nicht so sehr schon gegen den Sozinianismus als solchen, der erst nach der Wende zum 17. Jahrhundert eine stabile und nach außen wirkende Gestalt annahm. Um so mehr aber sind jene Entwürfe als antisozinianisch zu bezeichnen, die sich zahlreich in den Jahren etwa zwischen 1610 und 1650 finden lassen, aus denen ich mein drittes Beispiel wählen will. Den bekannten Fall von Johann Amos Comenius8 – und auch Otto Casmanns Antisocinus von 16129 – beiseite lassend wende ich mich nach Weißenburg in Siebenbürgen. Johann Heinrich Alsted, der 1629 aus Kriegsgründen dorthin gegangen war, wandte sich in seinen letzten Lebensjahren der dort unabweisbaren sozinianischen Herausforderung zu. Gegen Johann Völkels 1630 erschienenes Werk De vera religione schrieb er in den Jahren bis 1635, wohl teilweise im Auftrag des Fürsten György I. Rákóczi, seine Widerlegung Prodromus religionis thriumphantis.10 Alsteds Schwiegersohn Johann Heinrich Bisterfeld (1605–1655) setzte dann nach Alsteds Tod 1638 die aufwendigen staatstragenden Bemühungen in dieser Richtung fort. Hatte Alsteds Buch einen Umfang von 1135 Seiten, folgte ihm Bisterfeld mit einem 641-Seiten-Werk gegen den Sozinianer Johann Crell, das 1639 als De uno deo patre, filio, ac spirito sancto erschien.11 Bisterfeld konterte Crells Antitrinitarismus nicht nur

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schichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Teil 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa. Hg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Basel 2001, Teilbd. 2, S. 1265–1287 und 1333–1336. Vgl. Johann Amos Comenius: Ausgewählte Werke, 4: Antisozinianische Schriften. Hg. von Erwin Schadel. Hildesheim 1983. Zu Comenius vgl. Mileda Blekastad: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komenský. Oslo 1969; Erwin Schadel: Die Sozinianismuskritik des J. A. Comenius und die Genese des neuzeitlichen Selbst- und Wissenschaftsverständnisses, in: Klaus Schaller (Hg.): Comenius: Erkennen – Glauben – Handeln. St. Augustin 1985, S. 164–185. Otto Casmann: Antisocinus. Amberg 1612. Eine umfassende Aufstellung dezidiert trinitarischer Literatur: Bibliotheca Trinitariorum. Hg. von Erwin Schadel. 2 Bde. München 1984/1988. Johann Heinrich Alsted: Prodromus religionis triumphantis. Gyulaferhérvar (Alba Julia) 1635. Trotz der Jahreszahl auf dem Titelblatt erschien das Buch wegen äußerlicher Verzögerungen erst postum 1641. Vgl. dazu Howard Hotson: Johann Heinrich Alsted. 1588– 1636. Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform. Oxford 2000, S. 131– 134. Johann Heinrich Bisterfeld: De uno deo patre, filio, ac spirito sancto. Leiden 1639. Zu Bisterfeld vgl. Johannes Kvačala: Johann Heinrich Bisterfeld, in: Ungarische Revue 13 (1893), S. 40–59 und 174–197; ders.: Die pädagogische Reform des Comenius in Deutschland bis zum Ausgange des XVII. Jahrhunderts. 2 Bde. Berlin 1903/1904, passim; Ulrich G. Leinsle: Reformversuche protestantischer Metaphysik im Zeitalter des Rationalismus. Augsburg 1988, S. 27–40; vgl. auch die in späteren Fußnoten aufgeführte Literatur; für eine konzise Darstellung samt Schriftenverzeichnis Bisterfelds vgl. Thomas Leinkauf: Bisterfeld, in: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts (s. Anm. 7), Bd. 1, S. 263–266 und 241 (Primärliteratur) sowie 288 (Sekundärliteratur); ausführlich Noémi Viskolcz: Johann Heinrich Bisterfeld (1605–1655) Bibliográfia. A Bisterfeld-Könyvtár. Budapest und Szeged 2003, S. 30–60 (mit Korrespondenz-Verzeichnis).

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mit Schriftargumenten, sondern auch mit einer komplexen, sich aus patristischen und renaissanceplatonischen Quellen speisenden Trinitätslehre. Ich werde mich im folgenden Beitrag auf das dritte, expliziteste Beispiel von antisozinianischem ›Filter‹ des Kulturtransfers und der Transformation vorgegebener Traditionen konzentrieren: den Fall Bisterfelds. Natürlich ist der Antisozinianismus nur eine – in ihrer Reichweite sicherlich begrenzte – Möglichkeit, die deutsche Spätrenaissancephilosophie als Transferprodukt zu beschreiben. Andere, jeweils auch begrenzte, Beschreibungsweisen wären:12 die Anpassung der pansensualistischen Philosophie einer ›perceptio‹ in allen Dingen (etwa bei Telesio und Campanella) an Timplers Konzeption der Ontologie als Wissenschaft vom Intelligiblen;13 die Forcierung eines platonisierenden Aristotelismus in der Art Piccolominis oder Cesalpinos (in Altdorf oder Marburg) als Gegenzug gegen die ›Verflachung‹ der Studien durch den Ramismus;14 oder die Sensiblisierung durch den Paracelsismus für neue spekulative Konzepte in der Metaphysik.15 Den Begriff ›Kulturtransfer‹ auf solche Verschiebungen anzuwenden bedeutet, darauf acht zu geben, wie eine Theorie, die aus einem kulturellen Kontext in einen anderen verpflanzt wird, dort sich ganz neu und verändert konstituiert und ungewohnte Funktionen übernimmt.16 Allein schon einen der genannten Transferfilter genauer zu verstehen, mag helfen, die spezifische Situation im Deutschland des frühen 17. Jahrhunderts

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Zu den Problemen der Beschreibung des ›Denkraums‹ vgl. Martin Mulsow: Metaphysikentwürfe im Comenius-Kreis 1640–1650. Eine Konstellationsskizze, in: ders. und Marcelo Stamm (Hg.): Konstellationsforschung. Frankfurt a.M. 2005, S. 221–257. Vgl. Mulsow: Sociabilitas. Zu einem Kontext der Campanella-Rezeption im 17. Jahrhundert, in: Bruniana & Campanelliana 1 (1995), S. 205–232. Dazu Martin Mulsow: ›Die wahre peripatetische Philosophie in Deutschland‹. Melchior Goldast, Philipp Scherb und die akroamatische Tradition der Alten. In: Helwig SchmidtGlintzer (Hg.): Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Findel. Wiesbaden 1996, S. 49–77. Entscheidend für die platonisierende Deutung von Aristoteles im Sinne eine »Aristoteles esotericus« war die Rezeption der sogenannten Theologia Aristotelis (in Wahrheit einer Kompilation aus Plotin) durch Charpentier und dann durch Francesco Patrizi, als der eigentlichen Lehre des Stagiriten, der sich sogar Platon in seinem Spätwerk angeschlossen habe. Vgl. dazu Udo Reinhold Jeck: Platonica orientalia. Aufdeckung einer philosophischen Tradition. Frankfurt a.M. 2004, S. 345–366. Vgl. etwa Massimo Bianchi: Signatura rerum: Signatura rerum. Segni, Magia e conoscenza da Paracelso a Leibniz. Roma 1987. Für die seit Adam von Bodenstein spürbare Kontextualisierung von Paracelsus mit der prisca-theologia-Tradition und dem Reniassanceplatonismus vgl. Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle (Hg.): Corpus Paracelsisticum. Tübingen 2001ff. Zur Theorie des Kulturtransfers vgl. Michel Espagne und Michael Werner (Hg.): Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siècle). Paris 1988; Hans-Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt (Hg.): Kulturtransfer im Epochenumbruch Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815. Leipzig 1997; Matthias Middell (Hg.): Kulturtransfer und Vergleich. Leipzig 2000; Peter Burke: Kultureller Austausch. Frankfurt a.M. 2000; Wolfgang Schmale (Hg.): Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jahrhundert. Innsbruck 2003. Vgl. jetzt auch die Weiterentwicklung als ›histoire croisée‹ in: Michael Werner und Bénedicte Zimmermann (Hg.): De la comparaison à l’histoire croisée. Paris 2004.

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besser zu überblicken. Bei Bisterfeld kommt das Motiv dazu, daß bisher kaum etwas über seine intellektuelle Entwicklung bekannt war. Seine Schriften sind – bis auf das Buch gegen Crell – fast alle postum aus seinem Nachlaß publiziert worden, ohne jeden Hinweis auf ihre Entstehungszeit.17 Wir können also nicht nachvollziehen, wie das Konglomerat aus Lullismus, reformierter Schulphilosophie und platonisierenden Elementen in Schriften wie dem Prima philosophiae seminarium, den Elementa logica oder dem Phosphorus catholicus zustandegekommen ist und in welcher Abfolge diese Schriften zu sehen sind. Aus diesem Grund werde ich von einigen Briefzeugnissen ausgehen, die Bisterfeld sozusagen bei der Arbeit zeigen: in seiner Auseinandersetzung mit der jüdischen und der christlichen Kabbala einerseits und mit der politischen Philosophie seiner Heimatuniversität Herborn andererseits. Die Kabbala ist deshalb von Bedeutung, weil sie mit dem theologischen Antisozinianismus eines gemeinsam hat: Sie stellt wie der Hermetismus bei Rosselli und der Zoroastrismus und Neuplatonismus bei Jessen eine Ressource für Trinität und für trinitarische Argumentation dar. Das wird nur den verwundern, der nicht die Vorstellung der christlichen Kabbalisten seit Reuchlin und Pico kennt, die allein schon im Tetragrammaton Trinitarisches entdeckte.18 Pico jedenfalls empfiehlt die Kabbala explizit als Instrument gegen Trinitätsleugner und die arianische Häresie.19 Zur Zeit Bisterfelds war die christliche Kabbalistik Picos und Reuchlins längst ein fruchtbares und in bestimmten intellektuellen Kreisen etabliertes Forschungsfeld geworden. Es gab seit 1587 die Sammlung von Pistorius, in der man die wesentlichen Texte dieses Feldes nachlesen konnte.20 Dabei war das Verständnis von Kabbala in dieser Strömung nicht nur von pythagoreischen und neuplatonischen Denkweisen geprägt, sondern auch vom Lullismus mit seiner prinzipientheoretischen Kombinatorik. Zur Annäherung von christlicher Kabba-

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Bisterfeldus redivivus seu operum Joh. Henrici Bisterfeldii […] posthumorum, 2 Bde. Den Haag 1661; Philosophiae primae seminarium ita traditum, ut omnium disciplinarum fontes aperiat, earumque clavem porrigit. Hg. von Adriaan Heereboord. Leiden 1657. Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt a.M. 1998, S. 148ff. Zur Christlichen Kabbalistik vgl. François Secret: Les kabbalistes chrétiens de la Renaissance. Paris 1964; Antoine Faivre und Frédérick Tristan (Hg.): Kabbalistes chrétiens. Paris 1979; Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.): Christliche Kabbala. Siegmaringen 2003. Von Wilhelm Schmidt-Biggemann ist auch eine große Monographie zum Thema in Arbeit. Pico della Mirandola: Conclusiones sive Theses DCCCC Romae anno 1486 publice disputandae, sed non admissae. Hg. von Bohdan Kieszkowski. Genf 1973, S. 83 (Concl. cabalisticae 5): »Quilibet hebreus Cabalista secundum principia et dicta sciencie Cabale, cogitur ineuitabiliter concedere de trinitate et qualibet persona diuina, patre, filio, et spiritu sancto, illud precise sine addicione uel diminucione, aut uariacione, quod ponit fides catholica cristianorum. – Correlarium. Non solum qui negat trinitatem, sed qui alio modo eam ponunt, quam ponat catholica ecclesia, sicut Arriani, sicut Sabelliani, et similes, redargui possunt manifeste, si admittantur principia cabale.« Johannes Pistorius (Hg.): Artis Cabbalisticae: Hoc est reconditae theologiae et philosophiae, scriptorum, Tom. I. Basel 1587, Ndr. Frankfurt a.M. 1970.

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la und Lullismus hat nicht zuletzt die Schrift De auditu kabbalistico aus dem Jahr 1518 beigetragen. Sie identifiziert Lullismus und Kabbala miteinander und wurde für ein Werk von Raimundus Lullus selbst gehalten. Erst heute wissen wir, daß sie ein Produkt des 16. Jahrhunderts ist und von Pietro Mainardi stammt.21 Wenn wir Bisterfeld später immer wieder von seiner ›Cabala‹ sprechen hören, so ist dies daher der Kabbalabegriff des Pico-Anhängers sowie des Lullisten und Lesers von De auditu kabbalistico, das auch 1598 noch als angeblich originärer Lull-Text in der einflußreichen Lull-Ausgabe von Lazarus Zetzner nachgedruckt worden war.22 Daß Bisterfeld ein lullistischer Experimentator war, ist bekannt. Interessant ist aber zu sehen, daß er seine lullistisch-kabbalistischen Versuche mit den Lehrern der ›echten‹ Kabbalisten verglichen und aus diesen Vergleichen offenbar in erheblichem Maß Anregungen für die Ausarbeitung seiner Philosophie gewonnen hat. Und genau an dieser Stelle sind wir wieder am Punkt des AntiAntitrinitarismus als Transferfilter. Denn an der osteuropäischen Konfliktlinie waren auch christliche Kabbalisten tätig, die gegen die per se antitrinitarischen Juden die Kabbala als Abwehr- und Missionsinstrument eingesetzt haben. Das galt verschärft für den Fall, in dem sich der jüdische Monotheismus offensiv antichristlich artikulierte, etwa in antichristlichen Clandestina.23 Der Polemiker gegen den Sozinianismus Bisterfeld konnte dann manche Übereinstimmung mit den Polemikern gegen das Judentum in der gleichen Region feststellen. Ich möchte deshalb Bisterfeld in seinem Gespräch mit einem Kabbalisten belauschen.

2. Gekaperte Schiffe, zerrissene Manuskripte: Bisterfeld und Rittangel In den Jahren kurz vor und kurz nach 1640 kommen zwei Männer aus dem östlichen Europa in Amsterdam an, um ihre gegen die Antitrinitarier gerichteten Schriften drucken zu lassen. Der eine – er kommt 1641 – hat das Pech gehabt, daß das Schiff, mit dem er gereist ist, gekapert wurde und er all seine Habseligkeiten verloren hat. Die Manuskripte wurden ihm vor seinen Augen zerrissen, er

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Grundlegend dazu Paola Zambelli: Il De auditu kabbalistico e la tradizione lulliana nel Rinascimento, in: dies.: L’apprendista stregone. Astrologia, cabala e arte lulliana in Pico della Mirandola e seguaci. Venezia 1995, S. 55–172; zum Kontext auch Andreas B. Kilcher: Ars memorativa und ars cabalistica. Die Kabbala in der Mnemonik der Frühen Neuzeit, in: Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber (Hg.): Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Wien 2000, S. 199–248. Opusculum de auditu kabbalistico, in: Raimundus Lullus: Opera. Straßburg 1651 (zuerst 1598), Ndr. Stuttgart 1996 (Clavis pansophiae 2,1 und 2,2), S. 43–111. Zu solchen jüdischen antichristlichen Polemiken gegen die Trinität vgl. Samuel Krauss: The Jewish-Christian Controversy from the earliest times to 1789. Edited and revised by William Horbury. Bd. I: History. Tübingen 1995.

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geht in Amsterdam als verzweifelter und bedürftiger Passagier an Land. Sein Name ist Johann Stephan Rittangel (1606–1652), Professor extraordinarius in Königsberg.24 Es gibt Gerüchte, er sei Jude – oder vormals Jude gewesen –, er hat jedenfalls lange unter Juden gelebt und wird von einigen ›Rabbi‹ genannt.25 Der andere Mann, von dem hier die Rede sein soll, ist schon 1638 nach Holland aufgebrochen, und er hatte mehr Glück. Es ist Bisterfeld. Er hatte zusammen mit Alsted in Herborn gelehrt und war, als die Kriegswirren die kleine Stadt im Siegerland erreichten, zusammen mit ihm in das siebenbürgische Weißenburg (Alba Julia), gleichsam ein Exil-Herborn, geflohen. In Siebenbürgen – wie auch im polnischen Hinterland Rittangels – hatten seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts auch die Sozinianer und Antitrinitarier ihr Exil gefunden, und die durch den Dreißgjährigen Krieg vertriebenen Calvinisten wie Alsted und Bisterfeld trafen, als sie 1629 in Weißenburg anlangten, auf ein dichtes Milieu von Kontroversen um die Rechtmäßigkeit der Trinität. Der führende Sozinianer Johann Crell hat kurze Zeit später, 1631, in Rakow sein als unwiderleglich gepriesenes Werk De uno Deo Patre veröffentlicht.26 Alsted faßte den Plan, das Buch zu widerlegen, so wie er auch Völkels De vera religione widerlegte, doch er mußte Bisterfeld die Arbeit überlassen.27 Dieser nahm eine wissenschaftliche Korrespondenz mit Crell auf und schrieb 1636/37 eine Punkt-für-Punkt-Widerlegung von Crells Buch. Als er fertig war, ging er – auch zu diplomatischen Zwecken – nach Holland, um sein Werk drucken zu lassen. Rittangel und Bisterfeld haben sich gekannt. Am 19. April 1639 schreibt Johann Morian in einem Brief an Hartlib: »Von dem Rabino Rittungal hatt Mr Bisterfeld unß viel erzehlt, möchte wunschen das er Ianuam Heb. übersetzen thete.«28 Es steht außer Zweifel, daß Bisterfeld hier Rittangel gemeint hatte,

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Vgl. P. T. van Rooden und J. W. Wesselius: J. S. Rittangel in Amsterdam, in: Nederlandisg Archief voor Kerkgeschiedenis 65 (1985), S. 131–152; E. G. E. van der Wall: Johann Stephan Rittangel’s Stay in the Dutch Republic (1641–1642), in: J. van den Berg und dies. (Hg.): Jewish-Christian Relations in the Seventeenth Century. Dordrecht 1988, S. 119– 134. Vgl. Pierre Bayle: Dictionnaire historique et critique. Basel 1741, Bd. 4, S. 60f. s. v. »Rittangelius«. Dazu paßt, daß Morian in seinem Brief an Hartlib (vgl. unten, Anm. 28) von »Rabino Rittangul« [=Rittangel] spricht. Johann Crell: De uno deo patre. Rakow 1631. Vgl. dazu Friedrich Bock: Historia Antitrinitariorum. Königsberg und Leipzig 1774 und 1784, Bd. I, S. 116–158; Otto Fock: Der Socinianismus nach seiner Stellung in der Gesamtentwicklung des christlichen Geistes, nach seinem historischen Verlauf und nach seinem Lehrbegriff dargestellt. 2 Bde. Kiel 1847, Ndr. Aalen 1970; Fiorella Pintacuda de Michelis: Socinianesimo e tolleranza nell’ età del razionalismo. Firenze 1975, S. 68–94. Bisterfeld hatte schon 1638 Alsteds Prodromus religionis triumphantis fertigstellen müssen, der in Kapitel 28 vom Millenium handelt. Vgl. Kvacala: Johann Heinrich Bisterfeld (s. Anm. 11), S. 640ff. Morian an Hartlib, 19. April 1639, Hartlib Papers, University Library of Sheffield (HP), 37/21B. Für den folgenden Teil bin ich John Young zu großem Dank verpflichtet. Er hat mir 1995 in einem Brief die meisten der hier verwendeten Materialien aus den Hartlib Papers geschickt und die Frage gestellt, was es denn sei, was Bisterfeld seine ›Cabala‹ nenne. Der vorliegende Aufsatz versucht, auf diese Frage die Antwort zu geben. Vgl. jetzt John

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denn in der Tat wissen wir von Rittangel, daß er 1644 eine Janua Linguarum Hebraica geplant hat, also eine Übersetzung der Comenius-Schrift Janua linguarum ins Hebräische.29 Der Grund war klar: Die Juden sollten die Möglichkeit haben, die mit Ternaren operierende, metaphysisch fundierte Sprachlehre zu lesen und, von ihren impliziten Aussagen überzeugt, zum trinitarischen Christentum zu konvertieren. Millenaristische Hoffnungen auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkehr Christi spielten dabei eine große Rolle. Der Übersetzungsauftrag stand ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem geradezu missionarischen Plan der Comenianer, die Janua linguarum von 1631 in so viele Sprachen wie irgend möglich zu übersetzen. So hat Johann Georg Gezelius – wie Rittangel auch aus dem Baltikum – das Buch ins Altgriechische des neuen Testaments übertragen30, Pieter Golius 1642 ins Arabische31 und Ali Bej Bobowski ins Türkische.32 Doch woher kannten sich Rittangel und Bisterfeld? Bisterfeld hatte Rittangel getroffen, längst bevor dieser durch seinen Holland- und Englandaufenthalt 1641/42 eine entscheidende Größe im Umkreis von Comenius und Dury wurde, der von Richard Popkin so genannten ›Third Force‹, der auch Bisterfeld zuzurechnen ist.33 Bisterfeld könnte Rittangel 1638 kennengelernt haben, als er vom Siebenbürgen nach Holland aufbrach und, um das Kriegsgebiet zu umgehen, wohl über Danzig gereist ist, bevor er sich eingeschifft hat. Dort in Danzig oder Elbing wäre ein Zusammentreffen gut möglich gewesen, vielleicht im Umkreis von Bartholomäus Nigrin. Auch wenn Gerüchte, Nigrin hätte Rittangel vom Judentum zum Christentum bekehrt, übertrieben sein mögen, kann doch eine gewisse Unklarheit über Rittangels eigentliche Herkunft nicht ausgeräumt werden. Rittangel war selbst nicht nur ein intimer Kenner kabbalistischer Traditionen – er kam nach Amsterdam, um seine kommentierte Ausgabe des Sefer Jezirah drucken zu lassen34 –, sondern er war auch in seiner eigenen Ausrichtung von bestimmten Richtungen der Kabbala geprägt. Dazu gehörte die Kabbala von Sheftel Horovitz, der 1612 sein Shefa Tal geschrieben hatte, hinter der die Lehre von Moses Cordovero (1522–1570) stand.35 Rittangels Vorstellung

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Young: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy: Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle. Aldershot 1998. Vgl. Morian an Van Assche, November 1644, abgedruckt in van der Wall: Rittangel’s Stay (s. Anm. 24), S. 131. Daß es sich um eine Comenius-Übersetzung handeln sollte, ist in der Forschung bisher noch nicht klar gesehen worden, teilweise aufgrund falscher Transkriptionen, teilweise weil man nur den Titel, nicht den Kontext kannte. Blekastad: Comenius (s. Anm. 8), S. 405. Ebd., S. 337. Ebd., S. 507. Zum Begriff der ›Third Force‹ vgl. Richard H. Popkin: The Third Force in SeventeenthCentury Thought. Scepticism, Science and Millenarism, in ders.: The Third Force in Seventeenth-Century Thought. Leiden 1992, S. 90–119; vgl. auch Mulsow: Metaphysikentwürfe im Comenius-Kreis (s. Anm. 12). Sefer Jezirah. Hg. von Johann Stephan Rittangel. Amsterdam 1642. Vgl. van der Wall: Rittangel’s Stay (s. Anm. 24). Sheftel Horovitz: Sefer Shefa Tal. Hanau 1612, Ndr. Jerusalem 1971; Edition: Netanya 2003/4. Zu Moses Cordovero vgl. Joseph Dan: Jewish Mysticism, Bd. II: The Middle

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von der Kabbala war also eine systematisch-philosophische, und damit kam er Bisterfeld sehr entgegen. Rittangel hatte vor allem lange bei den karäischen (karaitischen) Juden gelebt,36 die als eine Art ›Protestanten‹ unter den Juden galten, denn sie hatten nie die mündliche talmudische Überlieferung der Rabbinen als Autorität anerkannt und standen auch der Kabbala fremd gegenüber.37 Diese Puristen waren besonders dezidiert monotheistisch. Der Litauische Karäer Isaak Troki hat in Polen vor 1605, im Kontakt mit Sozinianern, seine Polemik Chizzuk Emunah geschrieben, eine gewichtige Kampfschrift gegen das Christentum.38 Rittangel hatte also Grund, gegen diese jüdisch-sozinianische Koalition die Kabbala als Trinitätsressource zu bemühen. 1642 – als Rittangel auch mit einem Juden in Amsterdam debattiert39 – heißt es über das Erscheinen der Sefer Jezirah-Ausgabe: »man ist nun damit im druckh, bin woll versichert das der gleichen secreta Rabinorum sonderlich doctrinam de Trinitate belangend zue vorn niemaln ans licht kommen sind, und trage gleichfals keinen Zweijfel man wird seiner arbeit so woll gegen die Anti-Trinitarios als Judaeos nutzlich gebrauchen können.«40 Als Bisterfeld 1638 seine Reise nach Amsterdam antritt, reist er nicht nur, um das Buch gegen Crell drucken zu lassen, er ist zugleich in diplomatischer Mission unterwegs, und er hat vor, sich über seine philosophischen Gedanken

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Ages. Northvale, NJ 1998; Moshe Idel: Messianic Mystics. New Haven 1998, passim; Bracha Sack: The Kabbalah of Rabbi Moshe Cordovero. Ber Sheva 1995 (in Hebräisch). Vgl. Abraham von Franckenberg an Johann Permeier, Ende Nov. 1642: »Eine wunderzeitung Von Aufbruch der Verschlossenen Völcker beim Polo Meridiano, umb Ihre brüder zu versammeln, wird H[err] W[ilhelm] S[chwartz] in latein u[nd] deutsch dem H[errn] communiciren. Es müssen etwa Esauiter und Ismaeliter, nicht aber Israeliter sein, weil die 9 1/2 Stämme gegen mitterNacht u[nd] nicht gegen mittag gefihret; wie dann H[err] RittAngel in den Hordis Daniter[um] und Rubeniter[um] etc[etera] gewesen u[nd] schöne M[anu]-s[crip]ta mit sich gebracht.« Abraham von Franckenberg: Briefwechsel. Hg. von Joachim Telle. Stuttgart 1995, S. 160. Zu den Karaiten vgl. Richard H. Popkin: The Lost Tribes, the Caraites, and the English Millenarians’, in: Journal of Jewish Studies 37 (1986), S. 213–227; J. van den Berg: ProtoProtestants? The Image of the Karaites as a Mirror of the Catholic-Protestant Controversy in the Seventeenth Century, in: ders. und E. G. E. van der Wall (Hg.): Jewish-Christian Relations (s. Anm. 24), S. 33–50; Silvia Berti: Erudition and Religion in the JudeoChristian Encounter: The Significance of the Karaite Myth in Seventeenth-Century Europe, in: Hebraic Political Studies 1 (2005), S. 110–120. Gedruckt in Johann Christoph Wagenseil: Tela ignea satanae. Altdorf 1681; vgl. Krauss (s. Anm. 23). Vgl. O. S. Rankin: Jewish Religious Polemic of early and later centuries, a study of documents here rendered in English. Edinburgh 1956. Der Disput wurde gedruckt bei Johann Christoph Wagenseil (s. Anm. 38). Morian an Hartlib, 27. März 1642, gedruckt in van der Wall: Rittangel’s Stay (s. Anm. 24), S. 129. Diese Funktion von Rittangels Schriften wurde noch im Disput gegen den inzwischen stark veränderten ›frühaufklärerischen‹ Sozianismus um 1700 genutzt. Der Theologe Johann van der Wayen gab damals Rittangels Libra Veritatis neu heraus, im Streit gegen die antitrinitarischen Tendenzen bei Jean LeClerc; von der Gegenseite erschien damals die von Wilhelm Heinrich Vorstius 1648 gegen Rittangel geschriebene Bilibra veritatis, ebenso Jacques Souverains Platonisme devoilé. Vgl. van Rooden und Wesselius: Rittangel in Amsterdam (s. Anm. 24), S. 146–150.

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mit anderen auszutauschen. So unterhält er sich auch mit dem Hartlib-Freund Johann Morian (Moriaen), und dieser erfährt, wie Bisterfeld in das Studium der hebräischen Sprache vertieft ist, um diese »von allen Ambiguitatib[us] und synonimijs« zu befreien, also zu einer eindeutigen Begriffssprache zu machen.41 Dabei redet Bisterfeld von seiner persönlichen ›Cabala‹ und scheint die Methode und das System zu meinen, das er philosophisch entworfen hat. »Seine Cabalam belangend sagt Er das Er sie durch aigene speculation erfund[en] und derhalben Ihme selbst[en] nicht getrawet od[er] etwas darauff gehalt[en] habe, biß Er mit andern Cabalist[en] daraus discurrirt welche sich zwar daruber verwundert[en] und sagt[en] das diese sachen in vulgata cabala transcendentia und allein summis in arte magistris a secretis weren. zeithero hab Er seine speculationibus etwas mehr tribuirt und trefflich[en] verstandt dadurch gefund[en].«42 Man sollte, um sich über die zahlreichen miteinander verzahnten Projekte Bisterfelds klarzuwerden, an Leibniz’ späteren, aber vergleichbaren Bemühungen orientieren. Leibniz hat bei seiner Suche nach einer »lingua characteristica universalis« zwischen der Ersetzung der Begriffe durch eindeutige Charaktere einerseits und dem »Calculus« andererseits unterschieden, diese Charaktere zu kombinieren und mit ihnen zu ›rechnen‹.43 Überhaupt hat ja die lullistische Tradition zunächst einmal die Grundbegriffe finden müssen, bevor sie mit ihnen kombinatorisch umgehen konnte. Verfolgt man nun Bisterfelds Beschreibungen seiner Projekte von 1638 an bis in die späten 1640er Jahre, so kann man diese Zweiteilung immer wieder ausmachen. 1639 ist es das Werk über die homonymitätsfreie hebräische Sprache einerseits (auf der Seite der Begriffsfindung), die ›Cabala‹ andererseits (auf der Seite der Kombinatorik);44 1643 ist es ein Nomenclator catholicus auf der einen, eine Algebra rerum auf der anderen Seite.45

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Johann Morian an Samuel Hartlib, 17. Jan. 1639, HP 37/3A-4B: »verspricht nicht allein die Hebr. Sprach von allen Ambiguitatib[us] und synonimijs zue befreyen sondern auch seinen methodum zue zaigen dardurch wir selber ihme wo ers laßen möchte nachfolg[en] und darzue kommen können […].« Ebd. Vgl. Leibniz: Die Grundlagen des logischen Kalküls. Hg., übers. und mit einem Kommentar versehen von Franz Schupp. Hamburg 2000; Heinrich Schepers: Scientia generalis, in: Leibniz. Tradition und Aktualität. Akten des V. Internationalen Leibniz-Kongresses. Hannover 1988, Bd. 2, S. 350–359; Louis Couturat: La logique de Leibniz. Paris 1901. Vgl. den Brief von Morian an Hartlib (s. Anm. 41). Bisterfeld an Comenius, 9. Jan.1643, HP 7/63/1A–2B: »In caeteris molior Nomenclatorem Catholicum, methodo rigidissima adornandum; ubi duo imprimis observo. Aeque accuratum debere esse terminorum scibilium ordinem ac numerorum: unde mihi Catholicam quandam rerum Algebram imaginor.« Vgl. aber auch schon den Brief Bisterfelds an Hartlib vom September 1638, in: Kvacala: Die pädagogische Reform (s. Anm. 11), Bd. 1, S. 113: »Nomenclator meus sit porta linguarum reformata. Displicet illa vaga et amethodos vocum conferruminatio; substituatur solida ac vere Didactica. Haec obtinebitur, si omnes omnium disciplinarum voces (barbarae vel purae sint; nihil attinet, modo notis discernantur) colligantur, collectae ita ordinentur, ut prima secundae, secunda tertiae, et sic deinceps catenatim clavis ac mnemosynon sit; utque solo dispositionis aspectu puer sexennis axiomata illinc omni exeptione majora gradatim componere queat. Quin nova vocabula, quorum, ut in omnibus scientiis experior, magna adhuc est necessitas et inopia, vel fingantur, vel saltem, quomodo fingi debeant et possint, accurate ostendatur.« Bisterfelds ›Nomenc-

Bisterfelds ›Cabala‹

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1647 spricht er von den »Encyclopaediae principia« für die Begriffe und von der »combinandi methodus« bezüglich deren Zusammenstellung – eines der Produkte dieser Methode ist offenbar der Phosphorus catholicus.46 Bisterfeld scheint dabei ähnlich wie Leibniz gearbeitet zu haben, nämlich in rastlosen, sich ständig ändernden Entwürfen, eingespannt zwischen diplomatischen Missionen und wissenschaftlichen Experimenten. Schauen wir also, wie Bisterfeld im Jahr 1638, nachdem er mit Rittangel (und vielleicht anderen Kabbala-Experten) in Austausch getreten ist, über die ›Cabala‹ denkt. An Hartlib schreibt er im September dieses Jahres: Die Lullsche Kunst macht kaum den hundertsten Teil der Orientalischen Kunst aus, vor allem wie sie heute verstanden wird. Und wenn ich in England bin, werde ich kaum den hundertsten Teil der Lullschen Tiefe erreicht haben. Ich gestehe ganz offen, daß ich teils aus natürlichem Antrieb, teils durch Anleitung von Raimundus auf sie gekommen bin, vor allem aber bin ich durch Pico della Mirandola in den neunhundert Conclusiones zur alphabetarischen Umdrehung angeregt worden.47

Teils Lullus, teils Pico sind also die Quellen, aus denen Bisterfeld schöpft. In der Tat findet sich bei Pico sowohl der Ausdruck der »revolutio alphabetaria« als auch der Begriff »catholica«, den Bisterfeld im Buchtitel Phosphorus catholicus benutzt. So sagt Pico in der zweiten und dritten seiner Conclusiones cabalisticae: Was auch immer andere Kabbalisten sagen, so würde ich den spekulativen Teil der Kabbala in vier Teile einteilen, entsprechend der vierfachen Einteilung der Philosophie, die ich gewöhnlich anbringe. Der erste Teil die Wissenschaft, die ich die der alphabetischen Umdrehung (alphabetarie revolucionis) nenne, entsprechend dem Teil der Philosophie, den ich die umfassende (catholicam) Philosophie nenne. Der zweite, dritte und vierte Teil ist die dreifache Merchiava, 48 entsprechend der dreifältigen speziellen Philosophie der göttlichen, der mittleren und der sinnlichen Naturen. Diejenige Wissenschaft hingegen, die der

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lator‹ sollte offenbar in der Art von Comenius’ Janua linguarum ein Begriffsverzeichnis sein. Phosphorus catholicus seu Artis meditandi epitome. Breda 1649. Diese Schrift scheint schon 1638 im wesentlichen vollendet gewesen zu sein, denn im Brief an Hartlib vom September dieses Jahres spricht Bisterfeld von ihr; Kvacala: Die pädagogische Reform (s. Anm. 11), Bd. 1, S. 114: »Quae quia fieri posse desperantur, ac quomodo fieri queant ignorantur, phosphorum Catholicum praemittam, qui sine proemio exequetur, 1. Naturam animae rationalis, 2. Ejusdem vires et usum. Atque ne haec otiose a nobis disputentur vel subtiliter ficta putentur. 3. Addam regulas meditandi; in easque omnes Theologorum, Ictorum, Medicorum, Philosophorum et Mechanicorum cogitationes, saltem quoad summa capita resolvam; paucisque ostendam, quomodo et plures et haud raro meliores inveniri queant.« Bisterfeld an Hartlib, September 1638, British Library, Ms. Sloane 427 fol. 90–95; gedruckt bei Kvacala: Die pädagogische Reform (s. Anm. 11), Bd. I, S. 116: »Ars Lulliana vix 100simam artis Orientalis partem exequitur. Praesertim prout hodie intelligitur: egoque dum in Anglia versarer vix 100simam Lullianae profunditatis partem fueram assecutus. Fateor ingenue, me partim naturae impulsu, partim Raimundi ductu in eam incidisse, imprimis a Pico Mirandula in 900 conclusionibus Alphabetariae revolutionis admonitus.« Es handelt sich um die sogenannte Merkaba-Mystik, die sich an der Thronwagenvision bei Ezechiel orientiert. Vgl. Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Frankfurt a.M. 1980, S. 43–86.

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Martin Mulsow praktische Teil der Kabbala ist, praktiziert die ganze formale Metaphysik und niedere Theologie.49

Die Grundlagenphilosophie entspricht also nach Pico der kombinatorischen Technik der Permutation der Gottesnamen und Gottesprädikate, sei es als Lullsche Kreiskombinatorik, sei es als jüdisch-kabbalistische Gematria, Temura und Notarikon, wie sie etwa bei Abraham Abulafia begegnen.50 Bisterfeld erblickt darin die Perspektive eines philosophischen »Rechnens« mit Begriffen: Sie ist aber, soweit man eine so große Sache überhaupt mit einem Wort berühren kann, nichts anderes als die Art und Weise, alle Wörter aus einem, alle Axiomata aus einem, alle Syllogismen aus einem, schließlich alle Methoden aus einer so abzuleiten und die ganze Vielheit zur Einheit so zurückzuführen. So wie ich nämlich durch eine sichere, fortgesetzte und ununterbrochene Kombination der Wahrheit unendliche Zahlen finden, und durch zusammenhängende Teilung alle sehr großen Zahlen zur Einheit zurückführen kann, so bin ich auch in der Lage, ins Unendliche menschliche Gedanken auszudenken, das Ausgedachte aber, wenn es zu den absolut richtigen Prinzipien der Natur zurückgerufen ist, zu beurteilen. Diese Praxis in der Heiligen Sprache ist zweifach, real und verbal. Das Verbale geht dem Realen zuweilen voran, zuweilen folgt es ihm nach. Aufgrund der höchsten Harmonie der hebräischen Sprache mit den Dingen selbst kann man durch die Kombination der Buchstaben Jagd auf die Kombination der Dinge selbst machen: Von daher entsteht die Cabala verbalis aus ganz wenigen Erkenntnissen. Wenn sie hinsichtlich ihres Gebrauchs göttlich ist, so ist sie hinsichtlich ihrer Einfachheit kindlich, wenn nicht unsere Lehrer die Geister, die ihr spontan folgen, verderben.51

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Giovanni Pico della Mirandola: Conclusiones (s. Anm. 19), S. 83: »Quicquid dicant alii cabaliste, ego partem speculatiuam Cabale quadruplicem diuideram, correspondenter quadruplici particioni philosophiae, quam ego solitus sum affere. Prima est scientia, quam ego uoco alphabetarie reuolucionis, correspondentem parti philosophie, quam ego philosophiam catholicam voco. Secunda, tercia et quarta pars est triplex merchiaua, correspondentes triplici philosophiae particularis, de diuinis, de mediis, et sensibilibus naturis. – Sciencia, que est pars practica Cabale, practicat totam metaphysicam formalem et theologiam inferiorem.« Picos Conclusiones sind in Bisterfelds Bibliothek nachweisbar, in der Ausgabe: Conclusiones Nongentae, In omni genere scientiarum, quas olim Io. Picus Mirandola Romae disputandas proposuit: quarum quingentae sunt in Philosophia veterum Mathematica, Cabala, Magia […]. Adiectum est Panepistemon Angeli Politiani, hoc est omnium scientiarum […]. Nürnberg 1532. Vgl. Viskolcz (s. Anm. 11), S. 85. Siehe dazu Gershom Scholem: Die jüdische Mystik (s. Anm. 48), S. 109f.; Moshe Idel: Abraham Abulafia und die mystische Erfahrung. Frankfurt a.M. 1994. Bisterfeld an Hartlib, September 1638 (s. Anm. 47): »Est autem, ut uno verbo rem tantam attingam, nihil aliud quam modus omnes voces ex una, omnia axiomata ex uno, omnes syllogismos ex uno, omnes denique methodos ex una ita deducendi, omnemque multitudinem ad unitatem ita revocandi, ut non [= nam?] secus ac continua minimeque incorrupta Veritatis combinatione infinitos numeros invenire, congruaque divisione maximos quosque ad unitatem reducere possim, sic in infinitum cogitationes humanas excogitare, excogitatas vero ad naturae rectissima principia revocata dijudicare queam. Quae quidem praxis in lingua sacra est duplex, realis et verbalis. Haec illius tum anteambulo, tum pedissequa est. Ob summam enim linguae Hebraicae cum rebus ipsis Harmoniam ex combinatione literarum rerum ipsarum combinationem venari quis potest: Unde Cabala verbalis a paucissimis cognata oritur. Quemadmodum ratione usus est divinissima, sic ratione facilitatis est puerilis, nisi Praeceptores nostri ingenia sponte eam sequentia corrumperent.«

Bisterfelds ›Cabala‹

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3. Die Hebräische Ursprache Für die Begriffsfindung Bisterfelds, das macht der Brief an Hartlib deutlich, spielt die Orientierung an der hebräischen Sprache eine große Rolle, weit mehr, als aus den später veröffentlichten Schriften sichtbar wird. 1643 sagt Bisterfeld, das Hebräische stelle ein Asyl, eine Zufluchtsstätte dar, wenn es um metaphysische Termini gehe.52 Daher das Interesse an einem Austausch mit Rabbinen (von denen es in Amsterdam so viele gab53) oder mit Quasi-Rabbinen wie Rittangel. Was mögen die beiden sich gegenseitig gesagt haben? Bisterfeld war offenbar neugierig, seine Spekulationen und sein eigenes Studium der hebräischen ›Ursprache‹ mit den Traditionen der Rabbis zu vergleichen.54 In den Hartlib-Papers ist ein Brief vom 24. Juli 1647 an Hartlib enthalten, in dem Bisterfeld nochmals erläutert hat, was er als seine ›Cabala‹ bezeichnet – nach mittlerweile neun Jahren der Reflexion: »Ich möchte jetzt den Ursprung meiner Cabala darstellen.« Und er setzt gleich an, eine Skizze seines Denkens zu formulieren: »Beachtet man die gänzliche Panharmonie aller Dinge, gibt es keinen Zweifel, daß Gott, die Engel und die Menschen die Proportion der Dinge in der Proportion der Zeichen auszudrücken versuchen.«55 Bisterfeld war zu diesem Zeitpunkt längst zu der Überzeugung gekommen, alle Dinge und Zeichen verbinde eine ›panharmonia‹, eine ›immeatio‹, auf die ich noch kommen werde; die Gedanken von 1638 über die »Harmonie« zwischen res und hebräischen verba war dadurch wesentlich präzisiert worden. Bisterfeld fährt fort: Sprachen aber sind Zeichensysteme; damit sie nicht sinnlos sind, gibt es zwischen der ersten Sprache, die von Gott allein stammt oder auch von Adam erfunden ist, und den Naturen der Dinge eine eindeutige Sympathiebeziehung. Daß dies so ist, zeigt die Hebräische Schrift und die Sache selbst. Jene Übereinstimmung aber ist nicht nur grammatisch (in den

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Bisterfeld an Comenius, 9.1.1643, HP 7/63/1A–2B: »In disciplinis hucusque inventis necessario immanes dari hiatus ob res innominatas. Itaque Onomatopoeja opus: qua in re nonnihil succurrunt conjugata Lulliana. Magnum omnino negotium Metaphysicorum terminorum intricata ambiguitas ac immeatio mihi facessit: unicum ibi asylum lingua Hebraeca; cujus Cabbala procedit lente: non quod mea principia, sed quod tempus me destituat.« – »In den bis jetzt gefundenen Disziplinen gibt es notwendigerweise einen ungeheuren Hiatus bezüglich der benannten Dinge. Daher mein Werk Onomatopoeia; bei dieser Sache helfen etwas die lullistischen Konjugata. Sehr große Mühen bereitet mir die intrikate Zweideutigkeit und das ineinander Verschlungensein der metaphysischen Termini; das einzige Asyl ist dort die Hebräische Sprache; deren Kabbala geht mir langsam voran: nicht wegen meiner Prinzipien, sondern weil es mir an Zeit fehlt.« Zur aktuellen Rolle der hebräischen Sprache vgl. aber auch Nigel Smith: The Uses of Hebrew in the English Revolution, in: Peter Burke und Roy Porter (Hg.): Language, Self, and Society. A Social History of Language. Cambridge 1991, S. 51–71. Vgl. einführend Aaron L. Katchen: Christian Hebraistis and Dutch Rabbis. Seventeenth Century Apologetics and the Study of Maimonides’ Misheh Torah. Cambridge, Mass. 1984, bes. Kap. II: The Portuguese Nation on the Amstel and its Rabbis; Yosef Kaplan: From Christianity to Judaism. The Story of Isaac Orobio de Castro. Oxford 1989. Zur Ursprache vgl. Allison Coudert (Hg.): The Language of Adam. Wiesbaden 1999. Bisterfeld an Hartlib, 24. Juli 1647, HP 7/107/1A: »Iam Cabalae meae expediam originem, omnium omnino verum panharmonia observata, nullus dubitavi quin Deus, Angeli homines proportionem rerum signorum proportione queant exprimere.«

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Martin Mulsow Adsignifikationen), sondern auch lexikalisch (in den Signifikationen), sonst wären die Namen von Gott oder Adam den Dingen ohne Urteil gegeben worden. Also habe ich mich gefragt, warum das Majem des Wassers nicht Or [das Licht], nicht Choshek [die Dunkelheit], nicht Shamajim [die Himmel] usw. genannt wird.56

Wir sehen hier Bisterfeld mitten in einer kabbalistischen Betrachtung von der Art, wie sie seiner Zeit nicht fremd war. Guillaume Postel und Claude Doret etwa hatten darüber spekuliert, daß die hebräische Sprache als Ursprache, mit der alles anfänglich und richtig bezeichnet worden war, in ihrer Struktur darüber Aufschluß geben müßte, warum die Dinge so und nicht anders bezeichnet worden waren.57 Was konnte Rittangel dazu sagen? Konnte er die Spekulationen von der jüdischen Kabbala her bestätigen? Zweifellos. Rittangel war als Übersetzer des Sefer Jezirah mit dem Gedanken vertraut, aus hebräischen Buchstaben und Grundwörtern kombinatorisch den ganzen Kosmos zu erklären. Die zweiundzwanzig hebräischen Buchstaben dienen »als Grundlage der Welt und des Gesetzes«, heißt es dort. Und: »Alles Geschriebene und Geschaffene ist aus ihnen hervorgegangen.«58 Rittangel hat solche Aussagen ausführlich kommentiert. »Wenn alles in allem ist«, fährt Bisterfeld fort, »dann auch die Teile in den proportionalen Teilen; deshalb ist nicht nur der Flexion, sondern auch dem Laut der Silben Rechnung zu tragen. Diesen meinen Verdacht bestärkt auch, daß so viele und so große kabbalistische Lehren bei den Juden nicht die Dinge, aber den Schatten der Dinge so weit verstümmeln, wie Du anführst.«59 Hartlib, der mit ähnlichen Problemen beschäftigt war,60 hatte sich offenbar skeptisch gegen-

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Ebd: »Linguas autem signorum esse systemata: quare ni ineptae sint, inter primam vel autem signorum esse systemata: quare ni ineptae sint, inter primam vel a solo Deo traditam vel partim ab Adamo inventam, & rerum naturas singularem esse sympathiam. Illam autem Concordantiam non solum esse Grammaticam (in adsignificationibus) sed & Lexicam (in significationibus) secus sine judicio nomina rebus a Deo vel Adamo fuissent imposita. Ergo inquisivi cur aquae Majim non Or, non Koshen, non Shamajim &c sic dictae sunt.« Vgl. Umberto Eco: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. München 1994, S. 86ff. Zu diesem Thema vgl. auch Wolf Peter Klein: Am Anfang war das Wort. Theorie- und wissenschaftsgeschichtliche Elemente frühneuzeitlichen Sprachbewußtseins. Berlin 1992; Andreas B. Kilcher: Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma. Die Konstruktion einer ästhetischen Kabbala seit der Frühen Neuzeit. Stuttgart 1998, S. 131ff.; Paolo Rossi: Clavis universalis. Arti della memoria e logica combinatoria da Lullo a Leibniz. Bologna 1960. Zit. nach Johannes Reuchlin: De arte cabalistica. Hagenau 1517, Ndr. Stuttgart 1964, fol. 72b/73a; vgl. Kilcher: (s. Anm. 57), S. 134; Sefer Jezirah (s. Anm. 34); Das Buch Jezirah, die älteste kabbalistische Urkunde der Hebräer, nebst den zweyunddreißig Wegen der Weisheit. Heb. u. Dt. Leipzig 1830, Ndr. Berlin 1993. Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 55): »Si tota totis, partes quoque erunt proportionales partibus itaque non solum flexionem sed et vocum [medio?] syllabarum ac literarum reddendam esse rationem. Quam meam suspicionem auxere tot & tantae Cabalae apud Iudaeos non res sed umbram rerum hucusque sectantes Laudes. In ipsorum libris nil nisi nugas invenio.« Vgl. Stephen Clucas: In search of ›The True Logick‹: methodological eclecticism among the ›Baconian reformers‹, in: Mark Greengrass, Michael Leslie und Timothy Raylor (Hg.): Samuel Hartlib & Universal Reformation. Studies in Intellectual Communication. Cambridge 1994, S. 51–74. Ansonsten immer noch die Standardwerke: G. H. Turnbull: Hartlib,

Bisterfelds ›Cabala‹

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über kabbalistischen Texten geäußert.61 »In ihren Büchern finde ich nichts als Spinnereien«, sagt Bisterfeld sogar, und hier wird Rittangel kaum zugestimmt haben. Über zehn Jahre lang war er in Konstantinopel und anderswo gewesen und hatte unter den Juden gelebt; so sehr er die Juden zu missionieren beabsichtigte, so überzeugt war er doch vom Wert ihrer Schriften, gerade was die Kabbala anging. Bisterfeld hingegen bezieht das Selbstbewußtsein, mit dem er spricht, aus der Eigenständigkeit seiner Überlegungen. Mit den lullistisch-pansophischen Ideen im Hintergrund macht er sich an das Studium der hebräischen Sprache und der ersten Sätze der Genesis. Kein Wunder, daß er sich von Rittangel wünschte, daß dieser die Janua linguarum von Comenius ins Hebräische übersetze – denn dann mußten von umgekehrter Seite ähnliche Fragen auftreten wie sie sich Bisterfeld aufdrängten. Ob man zur pansophischen Metaphysik die passenden hebräischen Worte oder zu den hebräischen Worten die passenden pansophischen Ideen suchte, irgendwo in der Mitte mußte man sich doch treffen.

4. Alphabetum naturae: Von Bisterfeld zu van Helmont Trotz aller Skepsis gegenüber der jüdischen Kabbala ist Bisterfeld begrenzt optimistisch: »Aber ich erkenne immerhin die Basis der Sache; ich mache eine Aufstellung, ich bin ratlos; und das wegen unserer hochmütigen Unkenntnis sei es der Dinge sei es der Worte. Ich erforsche haor [das Licht] im Geist des Aristoteles, das paßt überhaupt nicht, weil seine Ansicht lächerlich ist.«62 Die aristotelische Lichtlehre galt im Comenius-Kreis seit Telesio und Patrizi als gründlich überholt.63 Aber Bisterfeld ist trotzdem nicht weitergekommen, aus dem Ungenügen, wie er meint, der hebräischen Wörterbücher. Noch passen andere, weil die Hebräischen Wörterbücher abgeschmackt sind und die wahren und allgemeinen Bedeutungen der Wörter nicht kennen, törichte Erfindungen der Rab-

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Dury, Comenius. Gleanings from Hartlib’s Papers. Liverpool 1947; Jan Kvacsala: Die pädagogische Reform (s. Anm. 11). Vgl. auch etwas später die Distanzierungen Henry Mores gegenüber der Lurianischen Kabbala. Dazu Allison P. Coudert: A Cambridge Platonist’s Cabbalist Nightmare, in: Journal of the History of Ideas 35 (1975), S. 633–653. Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 55): »basin tamen rei deprehendo: facio inductionem, haereo: idque ob superbam nostram qua rerum qua verborum ignorantiam. Exploro häor ad Aristotelis mentem, minime quadrat quia ejus opinio est ridicula.« Zu deren Aristoteleskritik vgl. Martin Mulsow: Frühneuzeitliche Selbsterhaltung. Telesio und die Naturphilosophie der Renaissance. Tübingen 1998; Cees Leijenhorst: The Mechanization of Aristotelianism. The late Aristotelian Setting of Thomas Hobbes’ Natural Philosophy. Leiden 2002. Zur Präsenz von Texten von Telesio, Patrizi, Bruno und Campanella in Bisterfelds Bibliothek vgl. Viscolcz (s. Anm. 11), S. 150f. und 166.

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Martin Mulsow binen, die ohne Urteil abgegeben sind.64 Und ich glaube nicht, daß irgendwer weniger kundig in der Hebräischen Sprache ist, und meine, daß die heutigen Rabbiner den der Schale innewohnenden Kern nicht berühren. Also untersuche ich die ersten Laute der Genesis, stelle ihre Buchstaben und Kombinationen für ein allgemeines Lexikon zusammen, leite ab, gewahre, daß die ersten und allgemeinen Begriffe durch bestimmte Buchstaben angezeigt werden, und durch bestimmte Buchstabenverbindungen. Daß Anfangsbuchstaben eine andere Kraft haben als die mittleren, und die wiederum eine andere als die Endbuchstaben. Mit dem Vorbehalt allerdings, daß es überall eine Übereinstimmung des Nichtübereinstimmenden gibt.65

Bisterfeld geht hier mit einer bestimmten jüdischen Tradition seit dem Sefer haBahir und dem Sefer ha-Temunah konform, in der die hebräischen Buchstabenformen spekulativ ausgedeutet wurden.66 Auch Christian Knorr von Rosenroth hat später in diesem Sinne ein Lexikon wie das, von dem Bisterfeld spricht, entworfen.67

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Welche Wörterbücher Bisterfeld meint, zeigt sein Brief vom September 1638 an Hartlib, in Kvacala: Pädagogische Reform (s. Anm. 11), S. 117: »Lexicon Hebraicum veras vocum Hebraicarum significationes exprimens mihi hactenus videre non licuit; licet Rabbinorum, Reuchlini [Johannes Reuchlin, Lexicon Hebraicum. Basel 1537], Pagnini [Sante Pagnini: Epitome thesauri linguae sanctae. Leiden 1616], Ariae Montani [Benito Arias Montanus: Communae et familiares linguae hebraicae idiotismi. Antwerpen 1572], Forsteri (Optimi) [Johann Forster: Dictionarium hebraicum novum. Basel 1557], Buxtorfii [Johann Buxtorf d.Ä.: Lexicon hebraicum et chaldaicum. Basel 1615] ac Schindleri [Valentin Schindler: Lexikon pentaglotton. Hanau 1612] diligenter, percurserim. Nam rerum Nomenclatura summum est solidi Philosophi specimen, Meisterstück: ut vel Platonis Cratylus docet. Verulamius idola fori ac theatri merito combusta vellet [....]: verum subito terminos omnes proscribere non est homines ad saniorem mentem revocare, sed ad insaniam redigere.« Zur Hebraistik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vgl. Katchen (s. Anm. 53); Martin Friedrich: Zwischen Abwehr und Bekehrung. Die Stellung der deutschen evangelischen Theologie zum Judentum im 17. Jahrhundert. Tübingen 1988; Peter T. van Rooden: Theology, Biblical Scholarship and Rabbinical Studies in the Seventeenth Century. Constantijn l’Empereur (1591–1648), Professor of Hebrew and Theology at Leiden. Leiden 1989; Stephen G. Burnett: From Christian Hebrewism to Jewish Studies: Johannes Buxtorf (1564–1629) and Hebrew Learning in the Seventeenth Century. Leiden 1996. Zur Bedeutung von Platons Kratylos vgl. Klein (s. Anm. 57); zu Bacons Idolenlehre vgl. Paolo Rossi: Francesco Bacone. Dalla magia alla scienza. Torino 1974. Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 45): »Nec quadrant alia quia dictionaria Hebraea sunt insulsa, veras communesque vocum significationes ignorant, stulta Rabbinorum figmenta sine judicio sequuta. Nec puto ullos minus gnavos esse Linguae Hebraeae ac hodiernos Rabbinos Cortici inhaerent nucleum non attingunt. Igitur primum voces Geneseos examino, illarum literas ac combinationes per universum Lexicon conferendo, deduco, animadverto primas communesque notiones certis indicari literis, literarumque nexibus. Aliam initialium, mediarum aliam, aliam denique finalium esse vim. Salva tamen ubique discordi concordia.« Zum Begriff der Kraft (vis) und den quasi-chemischen Kombinationen von Buchstaben vgl. auch die Schriften von Bisterfelds Kollegen Cyprian Kinner: Diatyposis. Elbing 1648; Consilium didacticum, gedruckt bei Kvacala: Pädagogische Reform (s. Anm. 11), Bd. 1, S. 224–239. Allg. vgl. Hans Kangro: Joachim Jungius’ Experimente und Gedanken zur Begründung der Chemie als Wissenschaft. Wiesbaden 1968; Clucas (s. Anm. 60). Vgl. Kilcher (s. Anm. 57), S. 134f. Christian Knorr von Rosenroth (Hg.): Kabbala denudata. Sulzbach 1677–1684, Teil I. Vgl. auch die lullistischen Überlegungen zu Endungen wie -ivum, -ivitas, -ile und -ibilitas etc. Dazu allg. Erhard W. Platzeck: Raimund Lull. Sein Leben, seine Werke, die Grundlagen

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Das Spannende in der nun folgenden Passage ist aber zu sehen, wie Bisterfeld in seinem kombinatorischen Experimentieren in eine Richtung geführt wird, die nicht nur manches von Leibniz und Knorr vorwegnimmt, sondern auch Ideen von Franz Mercurius van Helmonts Alpabetum naturae vorauseilt. »Ich habe die Additionen der Dinge mit Additionen, die Subtraktionen der Dinge mit Subtraktionen, die Vertauschungen mit Vertauschungen der Buchstaben regelgenau ausgedrückt, dort wo ich die wunderbare durch Vernetzung existierende Algebra der Dinge sehe. Gesetzt also das Axiom, die Proportion der Dinge korrespondiere der Proportion der Laute, suche ich so lange, bis ich durch ihre Bildung im Mund unterstützt sehe, daß bestimmte physische Prozesse bei den Tönen und Tonbildungen bestimmten metaphysischen Prozessen entsprechen.«68 Die grundlegende Idee van Helmonts im Alphabetum naturae von 1667 war ja, die Form der hebräischen Buchstaben in Proportion zur Bildung der entsprechenden Laute im Mund zu setzen.69 Die Stellung der Zunge im Rachen ist ähnlich geformt wie der jeweilige hebräische Buchstabe. Bisterfeld sagt, die Bildung der Laute sei in Proportion zu bestimmten metaphysischen Prozessen. 1643 nennt er dieses Projekt seine ›Onomatopoeia‹.70 »Ich probiere diese Sache zuerst bei den primären, dann bei den Zusammensetzungen. Und immerhin gelingt mir das insoweit, daß es nicht völlig abstrus zu sein scheint.«71 Das ist ein etwas anderer Akzent als bei van Helmont, aber bereits ein Teil seiner Grundidee. Man kann nun Vermutungen anstellen, ob van Helmont Bisterfelds Gedanken, die ja niemals veröffentlicht worden sind, gekannt haben kann. Das ist gar nicht einmal so unwahrscheinlich. Es gab jedenfalls genug Möglichkeiten für den jungen van Helmont, der 1644 nach Amsterdam kam, diese Gedanken kennenzulernen. Eine davon bestand im Weg über Johannes Morian selbst,

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seines Denkens. 2 Bde. Düsseldorf 1962/1964. Vgl. die entsprechende Tabelle in Bisterfelds Phosphorus (s. Anm 46), S. 8, bei der den Endungen aktive oder passive Kraft zugeordnet wird; dort findet man auch eine Multiplikationstheorie: »Multiplicatio mentalis est, qua congrua ac continua conceptuum seu cogitationum, in ente latentium, ac cum eo consentiendum, inter se vero dissentientium, combinatione, novi termini producuntur.« (S. 4.) Zu Denkformen wie dieser vgl. allg. Thomas Leinkauf: Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602–1680). Berlin 1993. Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 45): »Rerum additiones additionibus, subductiones subductionibus, permutationes permutationibus literarum ad amussim exprimi, ubi mirabilem per transennem video Algebram Rerum. Constitutum igitur axioma, Proportio rerum respondet proportioni vocum, tamdiu urgeo, donec ipsarummet in ore figuratione adjutus videam certos in sonis figurisve processus Physicos respondere certis processibus Metaphysicis.« Franciscus Mercuris van Helmont: Alphabeti vere naturalis Hebraici brevissima delineatio quae simul methodum suppediat, juxta quam qui surdi nati sunt sic informari possunt, ut non alios saltem loquentes intelligent, sed et ipsi ad sermonis usum perveniant. Sulzbach 1657 [aber 1667]. Zu Van Helmont vgl. Allison P. Coudert: The Impact of the Kabbalah in the Seventeenth Century. The Life and Thought of Francis Mercury van Helmont (1614– 1698). Leiden 1999, bes. S. 58–99. Vgl. oben, Anm. 52. Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 45): »Rem primum tento in primordijs: tum in Compositionibus. Et sane hactenus ita mihi succedit, ut non raro abstrusissima suggerat.«

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der Hartlib-Freund und alchemistischer Theologe war. Morian war Experte für die Alchemie Johann Baptists van Helmont, dem Vater.72 Insofern wird er auch zu dessen Sohn Beziehungen unterhalten haben. 1647 bekennt sich Morian, ganz im Sinne Bisterfelds, zu der Ansicht, es sollten sich mehr Christen mit der Kabbala beschäftigen.73 Eine weitere mögliche Verbindung bestand via Morian oder Hartlib zum jungen Henry More, dessen Conjecturae cabbalisticae mit ihrer naturphilosophischen Auslegung der hebräischen ersten Worte der Genesis 1553 erschienen.74 More wiederum wurde ein enger Freund van Helmonts. Genau in diese Richtung – in die Richtung einer naturphilosophischen Genesis-Auslegung anhand ihres Sprachmaterials – geht auch Bisterfelds Spekulation. »Vor allem bei den Namen Gottes ist es mir ein so großes Hilfsmittel gewesen, daß ich es bei jener ständigen Reduktion und Deduktion, besonders der der gesamten alten Schrift, als Schlüssel ausprobieren werde. Von hierher habe ich vieles Neue zur Heiligen Trinität, und das dadurch auch absolut feste Argumenten, und habe absolut einfache Auflösungen der dunkelsten Textstellen gefunden.«75 Man könnte Bisterfelds hermeneutische Schrift Scripturae sacrae divinae eminentia et efficientia mit diesen Aussagen vergleichen, um zu sagen, ob dort Teile dieser Spekulationen wieder auftauchen.76 Allerdings gehört die Schrift mehr in die Tradition der Entwicklung einer allgemeinen Hermeneutik als zur Gruppe der kabbalistischen Spekulationen.77 Schon jetzt läßt sich jedenfalls sagen, daß Bisterfeld auch 1647 nicht die Trinität aus den Augen gelassen hat. 1643 hatte er berichtet, er arbeite an einem Socinus enervatus, und mit solchen ›neuen Erkenntnissen zur Trinität‹ konnte man den Sozinianern sicherlich

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Vgl. John Young (s. Anm. 28). In der wichtigen Biographie van Helmonts von Allison Coudert (s. Anm. 69) sind keine Aufschlüsse über Wirkungen Bisterfelds enthalten. Morian an Hartlib, zitiert bei Ernestine van der Wall: Johann Stephan Rittangel’s Stay in the Dutch Republic (s. Anm. 24), S. 132: »Was der bekehr oder uberzeugung der Juden belangt, darzue sind sonderlich dienlich der Cabalisten bücher und solche leuthe die den Sprach nicht allein sondern auch alle terminorum artis woll erfahrn sind, den wie under den Christen so wenig haben […].« Henry More: Conjectura cabbalistica: Or, a Conjectural Essay of interpreting the minde of Moses according to a threefold Cabbala, viz. leteral, philosophical, mystical, or divinely moral. London 1653. Zu More vgl. Roberto Bondì: L’omnipresenza di Dio. Saggio su Henry More. Soveria Mannelli 2001, bes. S. 61–130. Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 45): »In primis in nominibus DEI tanto mihi fuit adjumento, ut continua illa reductione ac deductione, ea universae Scripturae Veteris praesertim, clavem experiar. Hinc plurima pro Sacrosancta Trinitate nova, eaque firmissima argumenta, facilimas obscurissimorum textuum solutiones inveni.« Zur »reductio« und »deductio« vgl. Phosphorus catholicus (s. Anm. 46), S. 21ff. Johann Heinrich Bisterfeld: Scripturae sacrae divinae eminentia et efficientia, publicae non credentium et credentium disquistione, spiritu sanctu duce, denuo in duabus disputationibus, a Johann Henrico Bisterfeld proposita. Accedit eiusdem Ars concionandi. Leiden 1654. Zur Hermeneutik-Tradition, bei deren Erforschung Bisterfeld meist nicht erwähnt wird, vgl. etwa Lutz Danneberg: Die Auslegungslehre des Christian Thomasius in der Tradition von Logik und Hermeneutik, in: Friedrich Vollhardt (Hg.): Christian Thomasius. Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. Tübingen 1997, S. 253–316.

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geschärfte Argumente entgegenhalten.78 Wie war das ›onomatopoietische‹ Modell naturphilosophisch zu denken? Das war eine weitere Frage, die sich dem Experimentator stellte. Es geht Bisterfeld ja bei den hebräischen Buchstaben um die Stellung des Mundes beim Bilden der Laute. Wenn nun ein ›O‹ gebildet wird, wird die Luft weniger dicht gepreßt als bei der Bildung eines ›U‹ in der gleichen Mundstellung: Ich habe die Sache zwar lediglich geplant, aber schon mit einer höchst gegenwärtigen Wirkung. So weiß ich etwa in Or und Ur, daß Licht und Feuer dieselbe Sache sind und sich lediglich in der Dichte unterscheiden. Schon habe ich nämlich Tafeln aufgestellt, die einesteils Anfangs- Mittel- und Endkraft, andernteils das sympathetisch und antipathetisch mit anderen Verbundene enthalten soll.79

Solche Tafeln basierten, wie es aussieht, auf der Annahme, daß die hebräischen Radikale aus drei Konsonanten bestehen. Damit geht Bisterfeld wieder van Helmont voraus, der den Sefer Jezirah dafür kritisiert hat, nur zwei Radikale oder Wurzelworte anzunehmen, die zu kombinieren wären. Bisterfelds »Anfangs-, Mittel- und Endkraft« sind die kombinatorische Grundlage für die Bildung von Grundworten, ganz wie bei van Helmonts ›Natur-Grammatik‹, dem kombinatorischen Teil des Naturalphabets. Nur denkt Bisterfeld auch hier wieder in Naturprozessen wie Sympathie und Antipathie – übrigens ganz nach dem Modell von Comenius.80 Auch Cyprian Kinner, mit Bisterfeld seit 1635 vertraut, hat in dieser Weise die Beziehungen und »Energien« der Dinge miteinander verglichen.81 All diese Dinge sind bisher über Bisterfeld nicht bekannt gewesen; in den Geschichten der Christlichen Kabbala taucht sein Name nicht auf, ebensowenig in der Literatur über van Helmont. Das mag daran liegen, daß für die Veröffentlichungen, die Heereboord und andere nach Bisterfelds Tod 1655 aus dessen Nachlaß vorgenommen haben, einseitig die metaphysisch-logischen Manuskripte ausgewählt wurden.82 Sie zeigen Bisterfeld in der Sprache der reformierten

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Bisterfeld an Comenius, 9. Jan. 1643, HP 7/63/1A–2B: »tum Socinum enervatum, iam affectum, serio aggrediar.« Bisterfeld an Hartlib (s. Anm. 45): »Rem quidem non nisi affectam habeo, sed cum praesentissimo effectu. Sic lucem et ignem rem eandem esse sola densitate diversam in Or et Ur. scio. Iam enim feci tabulas quam vim initiale, medium, finale, quam Sympathetica et antipathetica cum alijs junctam habeat.« Zur Verwandtschaft von Licht und Feuer in der italienischen Naturphilosophie vgl. Mulsow: Frühneuzeitliche Selbsterhaltung (s. Anm. 63). Zu Comenius vgl. Jaromir Cervenka: Die Naturphilosophie des Johann Amos Comenius. Prag 1970. Cyprian Kinner: Consilium didacticum (s. Anm. 65), S. 230: »Comparando Rerum cum Rebus Structuras: Monstrandoque, quae Res Principiis activis et passivis, quae Partibus organicis, quae structura integra, plus minus, nullatenusve concordent. Ut sic interior earum similitudo vel dissimilitudo patescat, Viaque ad indagnandas exinde Energias similes aut dissimiles recludatur.« Vgl. Mulsow: Metaphysikentwürfe im Comenius-Kreis (s. Anm. 12), S. 249f. Kinner hat auch 1648 ein Exemplar seiner Diatyposis Bisterfeld geschickt. Vgl. Turnbull (s. Anm. 60), S. 433. Nach Bisterfelds Tod im Frühjahr 1655 haben es einige der Leidener Freunde um Adrian Heereboord unternommen, die abgeschlossenen Manuskripte zum Druck zu befördern. Wieder kann man an Leibniz denken, um sich die Lage zu vergegenwärtigen. Bisterfeld

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Metaphysik, die er natürlich beherrschte, in der Nachfolge etwa Timplers und Burgersdijks. Aber die Überlegungen in dieser Sprache sind zum Teil bereits eine Übersetzung gewesen, eine Übersetzung ursprünglich ›kabbalistischer‹ Gedanken in die strenge Form der Logik und Metaphysik. ›Rabbinische‹ Spekulationen standen dem Diskurs des Calvinismus nicht gut an. Insofern ist in den veröffentlichten Schriften sowohl der antisozinianische Ausgangsimpuls als auch die Anregungen aus der – ebenfalls trinitarisch geprägten – christlichen Kabbalistik bereits unsichtbar geworden.

5. Antisozinianische Politik: von Althusius zu Bisterfeld Man kann dennoch die verborgene Kombinatorik der ›Cabala‹ in verschiedenen der gedruckten Nachlaßschriften Bisterfelds aufspüren. Am deutlichsten ist sie wohl im Phosphorus catholicus, einem kurzgefaßten kombinatorischen System, das dem entspricht, was Bisterfeld 1643 als seine ›algebra rerum‹ bezeichnet hatte. Er versucht nämlich hier, mit Begriffen zu ›rechnen‹. Die »multiplicatio mentalis«, wie er das nennt, ist die Herverbringung neuer Termini durch eine übereinstimmende und kontinuierliche (congrua et continua) Kombination von Begriffen oder Gedanken, die im Seienden verborgen sind und mit ihm übereinstimmen, auch wenn sie untereinander verschieden sind.83 In diesem Bereich der

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hatte zu Lebzeiten nur wenig veröffentlicht, aber offensichtlich kontinuierlich – soweit ihm die Politik Zeit ließ – an seinen diversen Projekten gearbeitet. Den Editoren muß schließlich eine große – und zerstreute – Manuskriptmenge vorgelegen haben, aus der sie die Werke extrahiert haben. Die kabbalistischen Versuche mit ihrem – wie wir gesehen haben – immer wieder neuem Ansetzen und den Bemühungen um die Analyse des Anfangs der Genesis waren wohl in diesen calvinistisch-schulphilosophischen Kreisen nicht salonfähig. Das Alphabetum philosophicum, das innerhalb der Ausgabe Bisterfeldus redivivus (s. Anm. 17) erschien, kann kaum als Ausdruck des Projekts angesehen werden. Insofern muß Bisterfelds ›Kabbala‹ als verloren gelten. Phosphorus catholicus (s. Anm. 46), S. 4f. (wie schon Anm. 67 zitiert; hier setze ich das Zitat fort): »Multiplicatio mentalis est, qua congrua et continua conceptuum seu cogitationum, in ente latentium, ac cum eo consentientium, inter se vero differentium, combinatione, novi termini producuntur. Hujus multiplicationis, quae potissimum mediationis secretum continet, videnda est norma et forma. Norma multiplicationis est, terminorum tum intrinseca, tum extrinseca congruentia. Intrinseca est, qua terminus non destruit se ipsum, sed cum se ipso congruit. Extrinseca est, qua terminus congruit cum aliis. Utraque est necessaria; Si conceptus sive terminus debeat esse possibilis. Neutra, si sit rei impossibilis seu incongruae, quorum terminorum usus etiam est frequentissimus. Ex congruentia terminorum extrinseca, oritur eorum ordo; quo alii sunt primi, alii ultimi, alii denique intermedii: unde oritur certus terminorum communium, seu non individuorum, numerus. Diligenter autem termini medii sunt investigandi ac observandi: atque ex his omnibus paratur scala mentis ac entis. De forma multiplicationis notentur sequentia. 1. Multiplicatio hac consistit in continua ac distributiva cogitationum, in themate latentium, complicatione. 2. Complicatio haec est vel primitiva […] vel derivativa […] 3. Complicatio haec est vel homogenea vel heterogenea […]. 4. Complicatio illa est, vel addens vel subducens […]. 5. Universae multiplicationis insigne compendium latet in congrua applicatione conjugatorum cujus-libet termini.«

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Begriffs-Logik ist die Kombinatorik klar und mehrfach beschrieben worden. Weniger mag man dieselbe kombinatorische (und hintergründig antisozinianisch-trinitarische) Ausrichtung im Feld der politischen Theorie erwarten. Doch auch aus diesem Bereich hat sich ein Manuskript erhalten, das veröffentlicht worden ist: die Sciagraphia symbiotica.84 Bisterfeld hat seine akademische Herkunft aus der Herborner Hohen Schule nie verleugnet. So orientiert sich auch seine politische Philosophie an Herborner Vorgaben. Schon Alsted hatte angeregt, Politik mit den Begriffen der Politica von Johannes Althusius zu beschreiben.85 Und Althusius’ Definition der Politik als ›Symbiotik‹ mithilfe der Begriffe der consociatio und communicatio, also der wechselseitigen Verbindungen im Zusammenleben der Menschen, war wie geschaffen als praktisches Seitenstück einer Metaphysik, die ebenfalls die Begrifflichkeit von sociabilitas, communicabilitas und concordia discors zum Herzstück hatte.86 Allerdings hat Bisterfeld, so sehr er sich mit der eigenen Sciagraphia symbiotica terminologisch an Althusius anlehnt, durchaus eigene Vorstellungen von der Politik. Bei Althusius war Symbiotik als die Kunst definiert worden, Menschen zum gemeinschaftlichen Leben untereinander zusammenzuführen, das zu konstituieren, zu pflegen und zu erhalten ist. Seine politische Theorie ist ein Stufenbau, der die Konsoziierung von den kleinsten Einheiten, den Personen, über Familien und Stände bis hin zum Staat verfolgt – in der Grundlage aristotelisch, aber mit einer besonderen Note auf der Konstitution aus dem Individuellen.87

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Sciagraphia symbiotica, in: Bisterfeldus redivivus (s. Anm 17). Vgl. zum folgenden Mulsow: Definitionskämpfe am Beginn der Moderne. Relationsontologie, Selbsterhaltung und appetitus societatis im 17. Jahrhundert, in: Philosophisches Jahrbuch 105 (1998), S. 283– 303. Vgl. Alsted: Encyclopaedia. Herborn 1630, Ndr. Stuttgart 1989/90. Vgl. Johannes Althusius: Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. Herborn 1603. Dt. Übersetzung: Politik. Übers. von Heinrich Janssen. In Auswahl herausgegeben, überarbeitet und eingeleitet von Dieter Wyduckel. Berlin 2003. Zu diesem Werk vgl. Karl-Wilhelm Dahm, Werner Krawietz und Dieter Wyduckel (Hg.): Politische Theorie des Johannes Althusius. Berlin 1988; Emilio Bonfatti, Giuseppe Duso und Merio Scattola (Hg.): Politische Begriffe und politisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius. Wiesbaden 2002. Wenig später findet sich der Begriff der »Symbiotik« auf beiläufige Weise auch in so verschiedenen Werken dem von Christoph Besold: Politicorum libri duo. Frankfurt a.M. 1608, S. 15: »Ad vitam insuper symbioticam amplectandam, ducitur et quasi impellitur homo«, und von Christian Liebenthal: Collegium politicum, in quo de societatibus, magistratibus, juribus majestatis […] tractatur. Gießen 1620, S. 24 (»ad hanc vitam symbioticam amplectandam«). Ich danke Markus Friedrich für die Hinweise. Johannes Althusius: Politik (s. Anm. 86), S. 24 (§§ 1f.): »Politik ist die Kunst, die Menschen zusammenzuschließen, damit sie untereinander ein gesellschaftliches Leben begründen, pflegen und erhalten. Deshalb wird sie die Lehre vom symbiotischen Leben genannt. Gegenstand der Politik ist die Lebensgemeinschaft (consociatio), in der die Symbioten sich in einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag (pactum) untereinander zur wechselseitigen Teilhabe all dessen verpflichten, was zum Zusammenleben notwendig und nützlich ist.«

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Das ist eine Art atomistische Gesellschaftsvorstellung, auf die die Begrifflichkeit eines Kombinatorikers wie Bisterfeld gut aufbauen konnte. Aber dieser setzt schon von Beginn an leicht veränderte Akzente. Bisterfeld benutzt schon in der Definition der Politik den Begriff der ›prudentia‹: Symbiotik sei Klugheit hinsichtlich der Gemeinschaft. Und er macht auch schon zu Beginn deutlich, daß die praktische Disziplin, um die es sich handle, eine Theorie voraussetze; sie drücke gleichsam die metaphysischen Axiome, die ihre Wurzeln sind, auf praktische Weise aus.88 Auf diesen Punkt allein will ich mich hier konzentrieren. Denn Bisterfeld widmet den zweiten Teil seiner Politik dem ›symbiotischen Archetypus‹: der Trinität. Auch die Trinität nämlich ist eine Vereinigung von Personen in einer idealen Einheit. Also kann die trinitarische Einheit als Urbild jeder politischen Vereinigung gelten. Bisterfeld hat sich hier möglicherweise von der platonisch orientierten Rechtsprinzipienlehre Joachim Hoppers anregen lassen, der seit den 1550er Jahren einen Entwurf ausarbeitete, in dem die Trinität Gottes, verstanden als aus einer oberen, einer unteren und einer vermittelnden Ebene zusammengesetzt, als Modell für die gesellschaftliche Welt des Menschen dient.89 Doch Bisterfeld geht noch entschieden weiter. Da er die societas als eine Ordnung versteht, die aus der harmonischen unio und der communio der Personen entspringt,90 verfolgt er in diesem zweiten Teil nun die Art der Harmonie der innergöttlichen Verschränkung. Es ist die theologische Lehre, aus der Bisterfeld auch seinen zentralen Leitbegriff, den der immeatio, entnommen hat. Immeatio ist die lateinische Version für emperichoresis, der trinitarischen Peri-

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Sciagraphia symbiotica (s. Anm. 84), S. 3f.: »I. Symbiotica est prudentia de societate. Quia est prudentia erit habitus activus, adeoque disciplina practica, ac praesupponet Theoreticas, in primis Metaphysicam cujus axiomata practice enunciat: Nam termini Metaphisici sunt primae symbioticorum radices. II. Societas est ordo ex congrua personarum unione et communione ortus. Cum sit ordo, erit congruentia plurium, adeoque in omni societate erit perpendenda sociatorum convenientia et differentia, id est, unitas varia et varietas una: seu concordia discors et discordia concors. Cum sit ordo erit relativum quid, et praesupponet absoluta. Hinc omnia in societate occurrentia erunt perpendenda absolute et respective, seu per se et inter se, ipsorum distinctio et mutua habitudo. Cum sit ordo personarum erit etiam eorum quae ad personas pertinent, et quo aliquid magis est persona, eo illustrius erit societatis membrum. Denique cum haec disciplina sit symbiotica, id est, personarum relate consideratarum, praesupponet generalem quandam Ethicam seu disciplinam quae de personis per se spectatis earumque perfectionibus agit. Hinc axiomata Ethica sunt applicanda universae symbioticae, hujusque tituli titulis illius diligenter explicandi, probandi et amplificandi.« Zum frühneuzeitlichen Personbegriff vgl. Theo Kobusch: Die Entdeckung der Person. 2. Aufl. Darmstadt 1997. – Zweihundert Jahre später wird Hegel seine Rechtsphilosophie nach einem ähnlichen Verständnis entwerfen. Joachim Hopper: Seduardus, sive de vera iurisprudentia ad regem, libri XII. Antwerpen 1590, lib. I, cap. 8–12. Zu Hopper vgl. Merio Scattola: Das Naturrecht vor dem Naturrecht. Zur Geschichte des ›ius naturae‹ im 16. Jahrhundert. Tübingen 1999, S. 137–146, bes. S. 143. Hoppers Werk In veram iurisprudentiam isagoges ad filium libri VIII, nempe Paratitlon juris civilis, sive de divinarum et humanarum rerum principiis, libri IV; elementorum juris, sive de principiis iusti et iniusti, libri IV. Köln 1580 läßt sich in Bisterfelds Bibliothek nachweisen, vgl. Viskolcz (s. Anm. 11), S. 85. Vgl. das Zitat in Anm. 88.

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ochorese oder Verschränkung der Personen untereinander. Schon 1624 im theologischen Studium bei Deodati hatte Bisterfeld De Deo disputiert und sich als Spezialist für trinitarische Probleme ausgewiesen.91 Er hat offenbar in Goclenius’ Lexicon philosophicum den Begriff in der Weise vorgefunden, in der er ihn dann aufgenommen hat. Denn Goclenius spricht von emperichoresis statt wie gewöhnlich von perichoresis, und so übersetzt er auch mit immeatio.92 Ich muß darauf hier nicht näher eingehen, weil Maria Rosa Antognazza dieses Thema im vorliegenden Band ausführlich behandelt. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß Goclenius mit seinen Beispielen gegenüber den rein theologischen Verwendungen auch den naturphilosophischen Ursprung der Metapher (die Durchdringung von glühendem Eisen und Feuer) wieder zur Geltung gebracht hat. Das mußte Bisterfeld recht sein, weil es auch ihm darum geht, wie sich die wechselseitige Durchdringung in allen Bereichen des Seins äußert. So erlaubt ihm die Annahme der Entsprechung der Ebenen, auch in der Politik mit naturphilosophischen Begriffen wie etwa dem der Antiperistasis zu argumentieren: einer Verstärkung des Eigenbezugs bei feindlicher Übermacht.93 Auf diese Weise entwickelt Bisterfeld eine Politik, die metaphysikgestützt ist und die Grundbegriffe von Althusius, consociatio und communicatio, in einer theologisch-kombinatorischen Weise begründet.94

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Johannes Deodatus (praes.) / Johann Heinrich Bisterfeld (resp. et auct.): Disputatio theologica de Deo, quam ipso adiuvante. Genf 1625. Vgl. Rudolph Goclenius: Lexicon philosophicum graecum. Marburg 1615, S. 177. Dazu ausführlich Peter Stemmer: Perichorese. Zur Geschichte eines Begriffs, in: Archiv für Begriffsgeschichte 27 (1983), S. 9–55, bes. S. 43ff. Zur immeatio bei Bisterfeld vgl. Maria Rosa Antognazza: Immeatio and Emperichoresis. The Theological Roots of Harmony in Bisterfeld and Leibniz, in: Stuart Brown (Hg.): The Young Leibniz and his Philosophy, 1646–1676. Dordrecht 1999, S. 41–64, sowie ihren Beitrag in diesem Band. Zu diesem Begriff vgl. Mulsow: Frühneuzeitliche Selbsterhaltung (s. Anm. 63), S. 47–103; zu seinem Einsatz bei Bisterfeld Mulsow: Definitionskämpfe (s. Anm. 84), S. 290. Schon zu Beginn der Sciagraphia symbiotica weist Bisterfeld der archetypischen trinitarischen Personenverbindung die Rolle einer »symbiotica specialis« zu: »Symbiotica generalis est quae agit de societate in genere; nisi symbiotica generalis praemittatur speciali, nec rerum ac disciplinarum harmonia bene cognosci, nec solida symbioticorum terminorum intelligentia haberi potest. Quamvis enim ea quae Deo et creaturis communia sunt, tantum analogicam, attamen veram habent inter se convenientiam, generalia itaque generaliter, specialia vero specialiter tradenda sunt.« (S. 4.) Die »symbiotica specialis« wird S. 80–144 behandelt: »III. Societas personarum est archetypa, vel Extypa. Societas archetypa est societas personarum quae ens primum dicitur, haec societas est omnium prima, ideoque infinitae perfectionis, caeterarumque omnium scopus, fons, norma. IV. Ens primum est ens infinitae perfectionis, seu est ens omni modo graduque perfectissimum, unde eo perfectius nec esse, nec cogitari potest, diciturque Deus. Cum sit infinitum, infinitae poterunt ejus descriptiones dari satius tamen est eam primo adhibere quam omnes sana mente praediti sine dubitatione admittunt.« (S. 145).

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6. Pansophie, Restitution und Millenarismus Steht Politik als Theorie für Bisterfeld im Horizont der Trinitätslehre, so steht Politik als Praxis in seinem Verständnis im Horizont des Millenarismus. Erst die Aussicht auf ein nahes Tausendjähriges Reich läßt Aktionen dringlich werden, vor allem Aktionen, die den Sieg über den »Antichrist« Rom oder die Konversion der Juden betreffen. Wie aber sind die Momente von Antisozinianismus, lullistischer Philosophie und Kabbala mit Bisterfelds Millenarismus verbunden? Erinnern wir uns daran, daß die Reise nach Amsterdam nicht nur drucktechnischen Zwecken diente. Bisterfeld war in einer politischen Mission unterwegs, die zum Ziel hatte, ein Schwedisch-Französisches Bündnis herbeizuführen, an dem auch der Fürst von Siebenbürgen teilnehmen sollte. Man befand sich im einundzwanzigsten Jahr des Dreißigjährigen Krieges. Zu Beginn des Krieges hatte Gábor Bethlen den Aufstand der Böhmischen Stände und dann Friedrich V. als protestantischen böhmischen König unterstützt.95 1620 wurde er zum König der Ungarn gewählt. Auch nach der für die Protestanten desaströsen Schlacht am Weißen Berg versuchte Bethlen immer wieder, von der südöstlichen Flanke des Habsburgerreiches her eine protestantische anti-HabsburgKoalition zu schmieden. Mehrfach war Bethlen – und waren die nachfolgenden Fürsten des Fürstentums Siebenbürgen Györgi I. Rákóczi und Györgi II. Rákóczi – gezwungen, zwischenzeitliche Kompromißfrieden mit den Habsburgern zu schließen, doch immer wieder machten sie sich aufs neue daran, protestantische Allianzen zu schmieden. Diese Politik beerbte auch Bisterfeld, als er der zentrale Berater und Diplomat der Rákóczi-Fürsten wurde.96 So dienten auch die Reisen Bisterfelds von 1638 und 1639 dem Zweck, die Sache der Evangelischen zu unterstützen. In der Tat gab es 1640 die ersten gemeinsamen Operationen schwedischer und französischer Truppen.97 Problematisch war nur, daß die Hohe Pforte, der Sultan von Konstantinopel, in der Siebenbürgischen Politik immer ein Wort mitzureden hatte – und Konstantinopel verhinderte die Pläne des Fürsten. Bisterfeld machte das unruhig, denn für ihn war die Einigung aller Kräfte, die gegen die Habsburger gerichtet waren, eine eilige Sache, die Vorbedingung für den endgültigen Sieg gegen das Lager des Papstes. Der Millenarismus gab den Aktivitäten eine bestimmte Dringlichkeit, denn die chronologisch-exegetischen Berechnungen des Millenniums wiesen auf Entscheidungen, die kurz bevor standen. In diesem Sinne ist es nicht

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Zum folgenden vgl. Graeme Murdock: Calvinism on the Frontier 1600–1660. International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Oxford 2000, bes. S. 270–290. Zu Bisterfelds diplomatischer Tätigkeit vgl. Alexander (Sandor) Szilágy S.: II. Rákócczy György és az európai diplomaczia. Budapest 1875, bes. S. 64–73. Vgl. auch ders.: Levelek és okiratok I. Rákóczy Gy. keleti összeköttései történetéhez. Budapest 1883; ders.: Felsövadászi Rákóczy Zsigmond élete. Budapest 1886; ders.: Okmánytár I. Rákóczy György svéd és franczia szövetkezéseinek történetéhez. Budapest 1873; ders.: Erdély és az északkeleti háborn. Budapest 1891. Volker Press: Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715. München 1991 (= Neue deutsche Geschichte, Bd. 5), S. 237; C. V. Wedgewood: Der 30jährige Krieg. München 1967.

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mehr völlig verwunderlich, das Bisterfeld in die Dedikation der antisozinianischen Schrift De uno Deo, die er 1639 drucken ließ, einige Sätze über das Ende der Zeiten eingeflochten hat: »Alle jene, die in die prophetischen Bücher der heiligen Schrift tiefer eindringen [...], wissen es, daß wir in einer Zeit leben, in der es Gott beschloß, die Bewohner der ganzen Welt auf eine ausgewählte Weise auf die Probe zu stellen […].«98 Dieser Satz verbindet Bisterfelds politische Mission mit seiner antisozinianischen: Einigung der protestantischen Christenheit und Einigung der Bündnispartner waren von gleicher Dringlichkeit. Bisterfeld begleitete seine politischen Aktivitäten mit bibelprophetischen Spekulationen.99 Und er verfolgte neben beidem, so gut es eben ging, seine wissenschaftlichen Arbeiten. Mit Hans Blumenberg zu sprechen: Lebenszeit und Weltzeit waren eng aneinander gerückt, Projekte gleich welcher Art waren zuende zu bringen.100 So gab es 1634 auf Betreiben John Durys eine Synode, bei der es wohl Bisterfeld war, der formulierte, die Einheit der protestantischen Kirchen sei nötig zur Beförderung des Falls Babylons und des Antichrists.101 Zugleich arbeitet er – 1635 – an seiner Logik.102 1643 schreibt Bisterfeld, er bereite eine Schrift über den Lauf des folgenden Jahrhunderts vor. Der Lauf der Natur, des Evangeliums und aller Dinge verspreche eine allgemeine Wiedergeburt der Welt.103 Lesen wir diese Aussage genau: der Lauf der Natur, des Evangeliums und aller Dinge. Es scheint wie bei Comenius das Buch der Natur und der Offenbarung, aber auch das der Geschichte gemeint zu sein, drei Bücher, die sich in notwendiger Übereinstimmung befinden. Den Rákóczi-Sohn Sigismund, dessen Erziehung er leitete, bildete er nicht nur vorbildlich aus, sondern er ließ ihn in eine geradezu millenaristische Rolle als Befreier des protestantischen Europa hineinwachsen; dazu trug auch bei, daß Sigismund 1651 mit der Tochter des Winterkönigs verheiratet wurde – und Comenius die Heiratspredigt hielt.104 Besonders in diesen Jahren nach dem Westfälischen Frieden, als in Schlesien, Ungarn und Siebenbürgen große Unzufriedenheit herrschte, da man

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Bisterfeld: De uno Deo patre (s. Anm. 11), Dedicatio, fol. *3: »Omnium enim illorum, qui propheticorum oraculorum abstrusas semitas paulo profundius scrutantur, consensu constat, nos ea tempestate jactari, in qua Deus universi orbis incolas exquisitissime probare decrevit, ut qui extrema quaeque pro Christo pati recusaverit, is rectius cautiusque statim sub initium bonae causae vadimonium deserat, quam innumeris tandem calamitatibus fractus, turpi desertione sibimet, piis commilitionibus, Summoque Imperatori illudat.« Zu den Bibelprophetien vgl. Popkin: The Third Force (s. Anm. 33); Howard Hotson: Paradise postponed. Johann Heinrich Alsted and the Birth of Calvinist Millenarianism. Dordrecht 2000; Sarah Hutton: The Appropriation of Joseph Mede: Millenarianism in the 1640s, in: James E. Force und Richard H. Popkin (Hg.): The Millenarian Turn: Millenarian Contexts of Science, Politics and Everyday Anglo-American Life in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Dordrecht 2001, S. 1–14. Vgl. Hans Blumenberg: Lebenszeit und Weltzeit. Frankfurt a.M. 1986. Zum folgenden vgl. Kvacala: Bisterfeld (s. Anm. 11). Johann Heinrich Bisterfeld: Elementa logica. Alba Julia 1635. Vgl. Kvacsala: Bisterfeld (s. Anm. 11), S.176. Vgl. J. Polisenský: Comenius, Hungary, and European Politics in the 17th Century, in: E. Földes und I. Mészáros (Hg.): Comenius and Hungary. Budapest 1972, S. 19–24.

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nicht die erhofften Ziele erreicht hatte, setzte man große Hoffnungen auf Sigismund. Die Prophetien Mikuláš Drabiks, denen Comenius glaubte, heizten die Dringlichkeit von militärischen Aktionen weiter an. Eine Clavis apocaplytica, die 1651 in England und 1653 auf Deutsch in Schlesien erschien und das Millenium mitsamt des endgültigen Sieges gegen Rom für das Jahr 1655 voraussagte, sorgte für weitere Furore.105 Bisterfeld hatte in diesen Jahren, so sehr er selbst Millenarist war, seinen Fürsten eher zu bremsen, um ihn nicht blindlings in politische Desaster hineinrennen zu lassen. Nicht alle Chiliasten waren allerdings mit Bisterfelds Deutungen einverstanden. Johann Permeier beispielsweise, der umtriebige Spiritualist, hatte Einwände zu machen. 1644 ließ er eine umfangreiche Unpartheyische Censur über Bisterfelds Bemerkungen in Kapitel 8 der ersten Sektion des ersten Buches von De uno Deo erscheinen.106 Permeier war in den frühen 1630er Jahren begeisterter Chiliast gewesen und hatte eine utopische Societas regalis Jesu Christi gegründet.107 Er orientierte sich an Alsteds Diatribe de mille annis und Medes Clavis apocalyptica und hatte auch Bisterfelds Daniel-Exegese gegen Crell hochgehalten. Doch Mitte der 1640er Jahre war er moderater geworden, nicht zuletzt aufgrund des Einflusses des Sozinianers Florian Crusius.108 Daher setzt

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Vgl. Martin Mulsow: Who was the author of the Clavis apocalyptica of 1651? Millenarianism and Prophecy between Silesian Mysticism and the Hartlib Circle, in: John C. Laursen und Richard H. Popkin (Hg.): Continental Millenarians: Protestants, Catholics, Heretics. Dordrecht 2001, S. 57–76. [Johann Permeier:] Unpartheyische Censur und ferner nachrichtliche Bedencken über Jo. Henr. Bisterfeldii explication der göttlichen Vision Dan. 7. o.O. 1644; es ging um die Auslegung von Daniel 7,9ff., wo es heißt, »Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt rein wie Woll. […] Und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich […].« Das konnte so ausgelegt werden, daß Jesus nur Mensch sei. Vgl. dagegen Bisterfeld: De uno Deo (s. Anm. 11), S. 88: »Prima igitur ratio quare non credamus Christum intelligi per eum qui sicut Filius hominis venit, est, quod illi, de quo hic agitur, regnum non tradatur nisi bestiis deletis, ipsarumque thronis ita destructis, ut semper postea imperturbate regnet populus sanctorum. At hoc non fiet nisi Romana Monarchia eversa.« Es folgen Ausführungen zu Bisterfelds Ansicht über die Danielsprophetie. Permeier gibt, nachdem er Bisterfelds Passage in Lateinisch und in deutscher Übersetzung zitiert hat, den »Extract« eines Schreibens eines »Politicus« von 1641 wieder, der Bisterfelds Deutung positiv gegenübersteht. Ob es sich um Michael Gühler handelt? Zu Gühler, »Politicus« in Brieg und Chiliast, vgl. Mulsow: Who was the author (s. Anm. 105). Zu Permeier vgl. Richard van Dülmen: Prophetie und Politik. Johann Permeier und die ›Societas regalis Jesu Christi‹ (1631–1643), in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 417–473; Balint Keserü: In den Fußstapfen der Rosenkreuzer. Johann Permeiers Tätigkeit und Vorhaben im Karpatenbecken, in: Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jahrhundert. Hg. von der Bibliotheca Philosophica Hermetica. Amsterdam 2002, S. 287–306 (dort weitere Literatur, insbesondere von Theodor Wotschke), sowie die auf Ungarisch verfaßte Dissertation von Noemi Viskolcz: Válság és publicisztika. Egy heterodox csoport olvasmányai a harmincéves háború idején. Szeged 2000. Crusius und Permeier zeigen, daß es zwischen Spiritualismus, Chiliasmus und Sozinianismus enge Verbindungen geben konnte. Vgl. Theodor Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel mit den märkischen Enthusiasten, in: Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift

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er sich nun kritisch mit Bisterfelds Thesen auseinander, teilweise auf der Grundlage von Heinrich Meerbotts Sententia definitiva von 1633.109 Auch Johann Stephan Rittangel – um auf ihn zurückzukommen – war involviert in millenaristische Unternehmungen. Für ihn stand die Konversion der Juden im Mittelpunkt, als Vorbedingung dafür, daß das Tausendjährige Reich beginnen könne. Doch das Ziel der Konversion ließ sich nur mit dem Studium der Kabbala erreichen. Wenn man nämlich die trinitarischen Elemente in der Kabbala deutlich genug herausarbeitete, so Rittangels Überlegung, mußte es möglich sein, die Juden mittels ihrer eigenen Lehre zum Christentum zu bekehren. Als er mit Comenius in England war, in jenem historischen Augenblick, als das Parlament die Macht übernommen hatte und alles auf die Anregungen der »Three Foreigners« Hartlib, Dury und Comenius wartete, da schien für kurze Zeit das Ziel der millenaristischen Hoffnungen in greifbare Nähe gerückt.110 Rittangel sollte Teil des geplanten »Collegium lucis« werden, einer Art Musterakademie, in der die besten verfügbaren Gelehrten die Schlüsselpositionen besetzen sollten.111 Wie eng in diesem Sinne Kabbala, Pansophie und Millenarismus verflochten waren, zeigt auch die wenige Jahre später entstandene Philosophie eines Comenius-Mitarbeiters, der um 1640 herum einige Zeit bei Bisterfeld in Siebenbürgen verbracht hat: Georg Ritschel. Ritschel war damals bei der Erziehung Sigismunds behilflich gewesen. 1648 veröffentlicht er, inzwischen in England ansässig, seine Metaphysik Contemplationes metaphysicae ex natura rerum.112 In diesem Buch, das mit Bisterfelds relationsontologischen Spekulationen eng verwandt ist, erkennt man ein metaphysisch fundiertes Programm der »restitutio in integrum«. Das Programm ist eingebettet in eine Art Modallogik innerhalb der Ontologie der aufeinander bezüglichen Dinge: es gibt die Repugnanz der Dinge (Inkompossibilität von A und B), die Nichtrepugnanz im dem Sinne, daß eines das andere nicht verhindert (Kompossibilität von A und B), die Unterstützung des einen durch das andere, und die Angewiesenheit des einen auf das

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für Polen 22 (1931), S. 1–66. Vgl. allg. Howard Hotson: Arianism and Millenarism: The Link Between Two Heresies from Servetus to Socinus, in: Laursen und Popkin (Hg.): Continental Millenarians (s. Anm. 105), S. 9–36. Heinrich Meerbott: Sententia Definitiva SS. Verbi Divini Ad Danielem, Esdram & Johannem Prophetas De Fatali Mutationi Romani Imperii […]. Frankfurt a.M. 1633. Vgl. bes den Aphorismus XXIV. Samuel Pufendorf hat behauptet, Bisterfeld sei unter Meerbotts Namen 1637 nach Schweden gereist. Vgl. Kvacala: Bisterfeld (s. Anm. 11), S. 171. Welche Beziehung zwischen Bisterfeld und ›Meerbott‹ besteht, ist noch unerforscht. Vgl. Hugh Trevor-Roper: Religion, the Reformation, and Social Change. 3rd. ed. London 1967, chapt. 5, S. 237–293: Three Foreigners. Vgl. Richard H. Popkin: The First College for Jewish Studies, in: Revue des études juives 143 (1984), S. 351–364. Georg Ritschel: Contemplationes metaphysicae ex natura rerum. Oxford 1648. Zu Ritschel vgl. Martin Mulsow: Handlungsmetaphysik und Kategorienproblem zwischen Campanella und Leibniz. Georg Ritschels ›Contemplationes metaphysicae ex natura rerum‹, in: Tamara Albertini (Hg.): Verum und Factum. Beiträge zur Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance. Frankfurt a.M. 1993, S. 151–171; ders.: Sociabilitas (s. Anm 13); ders.: Metaphysikentwürfe im Comenius-Kreis (s. Anm 12).

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andere (Notwendigkeit der Koexistenz von A und B).113 In gewisser Weise handelt es sich hier um eine ›Symbiotik‹ im Sinne Bisterfelds, eine Verbindung von Prudentia-Lehre und korrelationaler Ontologie. Und diese Symbiotik läßt sich auch als Programm einer Restitution lesen: »Die Weise des Wiederversöhnens ist es, das Auseinandergefaltete zu zerstören und es in eine Übereinstimmung zurückzuführen.«114 Das Restitutionsprogramm nach dem Plan der modallogischen Ontologie wäre dann, all jene Beziehungen, die gegeneinander gerichtet sind, aufzuheben und in ihre natürliche panharmonische Bezüglichkeit zurückzuführen. Das läßt sich politisch verstehen, als Beendigung der Kriege, religiös als Aufruf zu Bekehrung oder auch zur Toleranz,115 millenaristisch als Vorbereitung auf das Reich Christi. Das Programm enthält auch einen Beigeschmack von Restitution aller Dinge, wie er im Origenismus enthalten war und von den Juden in der Tikkun-Lehre der Lurianischen Kabbala tradiert wurde.116 Ritschel selbst läßt die Lesarten – wohl bewußt – offen und beschränkt sich darauf, die philosophische Begrifflichkeit der Restitution bereitzustellen. Entscheidend für ihn – und für Bisterfeld – ist aber, daß die Restitution kommunikationstheoretisch gedacht wird. ›Kommunikation‹ ist dabei im weiten Sinne von ›Austausch‹ gedacht, vom Sich-Mitteilen von Seiendem an anderes. »Communicabilitas« bei Bisterfeld und »sociabilitas« bei Ritschel sind die Schlüsselbegriffe, die den Theorien zugrundeliegen.117 Und sie sind letztlich am Archetyp der trinitarischen Interrelationen ausgebildet, jener trinitarischen Interrelationen, auf deren Präzisierung gegen die sozinianische Herausforderung man so großen Wert legte. *** Ich fasse zusammen. Man kann den Sozinianismus als eine Art negativen Transferfilter zwischen der italienischen Renaissancephilosophie des 15. und 16. Jahrhunderts und der mitteleuropäischen »Spätrenaissancephilosophie« des späten 16. und 17. Jahrhunderts bezeichnen. Er formt Neuplatonismus, Hermetismus, Lullismus und Kabbala zu anti-antitrinitarischen Instrumenten um und verstärkt und prägt sie damit in eine bestimmten Richtung. Diese Richtung hat vor dem Hintergrund der deutschen – vornehmlich calvinistischen – Schulphilosophie gewirkt und innerhalb deren methodischer Sprache eine Reihe von

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Vgl. Ritschel: Contemplationes (s. Anm. 112), die Abschnitte De indigentia rerum, de pugnacitate rerum, de impedimentis, de errore, de auxiliis, de permissione. Zur Vorgeschichte dieser modallogischen Ontologie in den Überlegungen zur Selbstrepugnanz der Dinge vgl. Leinsle: Reformversuche (s. Anm. 11); Ludger Honnefelder: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit. Hamburg 1990. Dieser Spur wäre freilich eigens nachzugehen. Contemplationes (s. Anm. 112), S. 309: »Modus reconciliandi est, tollere disciplita, reducere in consensum.« Vgl. Ritschel (s. Anm. 112), S. 328 zur Toleranz. Zur Apokatastasis-Lehre vgl. Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis (s. Anm. 18), S. 543ff. Vgl. Mulsow: Sociabilitas (s. Anm. 13).

Bisterfelds ›Cabala‹

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Entwürfen hervorgebracht, die den trinitarischen Impuls in kombinatorische Systeme umgesetzt haben, bei denen die relationale Verfaßtheit des Gegenstandes betont wird. Auch wenn zunächst kabbalistische Studien zum Alphabet der Natur und zu dessen ›Grammatik‹ dabei leitend waren, am Ende standen eine relationale Metaphysik, Physik, Politiklehre und Ethik. Da die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges auch so scheinbar abgehobene Konzeptionen in eine ungewohnte Dringlichkeit zerrten, wurden aus ihnen – zumindest in den hier betrachteten Fällen – sogar millenaristisch auslegbare Restitutionsmetaphysiken. Die Frontlinie zwischen Sozinianismus und Antisozinianismus hat freilich auch nach der Formierungsphase der Spätrenaissancephilosophie nicht aufgehört zu existieren. Bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein ist sie virulent geblieben. Das zeigt etwa der Zwicker-Comenius-Streit Ende der 1650er Jahre in Amsterdam, der allerdings auch eine neue Dimension offenbart: die Auseinandersetzung wird nun zunehmend auf dem Feld der historischen Gelehrsamkeit ausgetragen.118 Ihre späte Blüte erlebte die Spätrenaissancephilosophie aber in dieser Zeit auf systematischer Ebene: Der junge Leibniz übernimmt Bisterfelds Konzeption der Harmonie und Immeation, läßt sich von Kirchers Lullismus anregen und verbindet dies dann mit anderen Einflüssen zu seiner eigenen Konzeption einer Monadenlehre und prästabilierten Harmonie.119 Auf diese Weise hat Bisterfelds ›Cabala‹ noch eine große Zukunft vor sich gehabt.

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Vgl. Peter G. Bietenholz: Daniel Zwicker 1612–1678. Peace, Tolerance and God the One and Only. Firenze 1997; Comenius: Antisozinianische Schriften (s. Anm. 8). Vgl. Willi Kabitz: Die Philosophie des jungen Leibniz. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte seines Systems. Heidelberg 1909; Konrad Moll: Der junge Leibniz. 3 Bde. Stuttgart 1978, 1982 und 1996; Massimo Mugnai: Der Begriff der Harmonie als metaphysische Grundlage der Logik und Kombinatorik bei Johann Heinrich Bisterfeld und Leibniz, in: Studia leibnitiana (1973), S. 43–73; Antognazza: Immeatio and emperichoresis (s. Anm. 92).

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The Prisca Theologia and Lutheran Confessional Identity c. 1600: Johannes Jessen and his Zoroaster 1

Among the perennial themes of late Renaissance and Reformation history is the notion of a mounting conflict between irenic, nonsectarian humanism and dogmatic, intolerant, confessional commitment. To be sure, numerous scholars have emphasized the extent to which the humanist heritage was institutionalized and advanced by sixteenth and early-seventeenth century religious reformers; in this sense humanism and confessionalism were fundamentally intertwined.2 And no one doubts that the years around 1600 present an enormously complex cultural scene, in which escalating religio-political antagonisms were tangled up with profound idealism and daring quests for universal understanding; cries of war and songs of peace combined in an often dreamy, haunted air. The prevailing scholarly tendency, however, is to see the intellectual adventurousness and universalist strivings of that age as essentially the products of a self-consciously cosmopolitan, a-confessional humanism. Hence the common assumption that those thinkers who pursued the prisca theologia, which epitomized the longing for spiritual reconciliation, were incapable of full and sincere commitment to any particular doctrinal camp.3 We can show the need for adjustments to this picture by considering the case of one late-Renaissance humanist whose search for insight through the prisca theologia was inseparable from a strong sense of confessional identity. Few figures could appear at first glance more highly typical of humanism in central Europe during the era around 1600 than Johannes Jessen.4 Born at Breslau in 1566, Jessen was a notable but not untypical product of Silesian culture,

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I wish to thank Dr. Martin Mulsow for his invitation to the 48th Wolfenbüttel Symposium, »Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570-1650«, and for his encouragement of my work on Jessen. On the close relationships between humanism and confessionalism, see the fine collection of essays in Manfred P. Fleischer (ed.): The Harvest of Humanism in Central Europe: Essays in Honor of Lewis W. Spitz. St. Louis 1992. For a typical picture of the opposition between humanism and confessional orthodoxies, see R. J. W. Evans: Culture and Anarchy in the Empire, 1540–1680, in: Central European History 18 (1985), pp. 14–30; also idem: Rudolph II and His World. Oxford 1973. The main biographical study of Jessen is Friedel Pick: Joh. Jessenius de Magna Jessen. Arzt und Rektor in Wittenberg und Prag [...]. Ein Lebensbild [...]. Leipzig 1926. More recent, but very brief and sketchy, is Josef Polisensky: Jan Jesensky-Jessenius. Prague 1965.

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with its brew of evangelical fervor, mystical piety, and humanist learning.5 After studies at Wittenberg and Leipzig he went to Padua in 1588, where his early immersion in natural philosophy was confirmed and deepened. After returning to Breslau as a practicing physician, he was appointed to the medical faculty at Wittenberg in 1594. Despite initial opposition to his appointment from within the university he quickly gained respect, becoming dean of the medical faculty and then rector in 1597.6 Achieving renown as an anatomist and physician, he was lured away in the early years of the new century by the cosmopolitan brilliance of Rudolphine Prague; here he established a practice among the nobility of the court, and shortly later became Rector of the Caroline University as well as Imperial Physician.7 But even as his professional life blossomed he was increasingly drawn into the Bohemian political whirlpool; he openly defended the freedoms granted to Protestants in Rudolph II’s Letter of Majesty (1609), and became a supporter of the anti-Imperial rising after 1618. Such was his involve-ment that he was among the figures publicly executed by the Habsburgs in 1621, after the Battle of the White Mountain. On one level, Jessen’s life and thought appear to parallel a broad shift in attitudes, from enlightened tolerance toward narrow confessional antagonism, among the elites of that era. A Lutheran by background, in his early years, and especially during his time in Padua, he shared the general humanistic openness to friendships across confessional lines. It was only later, well after he had moved to Prague, as tensions built toward military confrontation, that he took a consistently and openly partisan stance in religio-political affairs. Thus in the handful of modern studies that have given him any notice, the prevailing view is that Jessen was typical of a general hardening of ideologies in the decades preceding the outbreak of the Thirty Years’ War. In this interpretation, one of his writings stands out as testimony to his early liberal efforts to transcend the narrow bounds of dogma. The Zoroaster of 1593, a Latin tract of just over a hundred pages, is indeed highly revealing of Jessen’s youthful pursuits. What the work actually reflects, however, is less a humanistic indifference or aversion to confessional boundaries than a distinctively Lutheran use of the prisca theologia, in which speculative freedom went hand-in-hand with firm adherence to

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For background on Silesian culture there are several excellent studies by Manfred Fleischer, including The Reception [of the Formula of Concord] in Silesia, in: Lewis Spitz and Wenzel Lohff (eds.): Discord, Dialogue, and Concord. Studies in the Lutheran Reformation’s Formula of Concord. Philadelphia 1977, pp. 119–149; also Humanism and Reformation in Silesia [...], in: Fleischer (ed.): The Harvest of Humanism, pp. 27–107. See Pick: Joh. Jessenius, p. 19. The Wittenberg officials were apparently dubious about the validity of his doctoral degree, and moreover had a candidate from within their own ranks in mind. Jessen, like numerous other German students, could not take a degree at Padua because of his Protestantism. Jessen’s degree was obtained from the Roman protonotary at Prague in 1591. As Evans points out (Rudolph II, p. 204n), Jessen’s precise relationship to the Imperial court is unclear. This is especially true with regard to his first years in Prague beginning in 1602.

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a proper understanding of the Word.8 Indeed it appears that Jessen maintained this outwardly paradoxical combination of philosophical libertarianism and confessional commitment right up to the end of his life. The Zoroaster, subtitled Nova, brevis, veraque de Vniverso Philosophia, took its most immediate inspiration from the work of the Paduan professor and natural philosopher Francesco Patrizi da Cherso, known as perhaps the most insistent anti-Aristotelian thinker of his century. Patrizi’s chief philosophical writing, the Nova de universis Philosophia, was first published at Ferrara in 1591, while Jessen was studying in Italy.9 As R. J. W. Evans tells us, this work was »imbued with Neoplatonic light metaphysic and astral correspondences, and had a great influence in the decades around 1600.«10 Patrizi saw Platonism as a form of »pious rationalism« standing in sharp contrast to the prevailing forms of Aristotelianism, which fettered speculation and blinded true wisdom. 11 The Platonic tradition, crowned with the Christian revelation, conveyed the glorious understanding of Hermes and the other ancient magi. The work reflected Patrizi’s conviction that the book of nature was the testimony of God himself, a view that could ultimately sanction a fervent pansophism. The goal was explicitly irenic; Patrizi hoped that through a radical realignment of its philosophical alliances, the Roman Catholic Church could establish the basis for Christian reconciliation and reunification. In his dedication to Pope Gregory XIV, he argued that religious divisions could be overcome far more effectively through his philosophy than by ecclesiastical censure or political force. This appeal was in vain, for the work was placed on the Index in 1595.12 Like Patrizi’s Nova, Jessen’s Zoroaster was essentially a Hermetic metaphysical treatise that dealt with the foundations of natural science, and it is clear that Jessen took over many of Patrizi’s basic conceptions. He freely borrowed from Patrizi’s stock of terms and constructs; indeed at several points he lifted directly from the earlier treatise. Above all, Jessen’s work drew on the Nova in its pervasive use of neoplatonic concepts, including light and heat imagery. Perhaps most basic in this regard was the notion of a universal flow of energy and light (fluor) as the principle of continuity underlying all matter. In this same

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Johannes Jessen: Zoroaster. Nova, brevis, veraque de Vniverso Philosophia. Wittenberg 1593. Evans (Rudolph II, pp. 136ff.) is at pains to see the early Jessen as a broad-minded eirencist, and »above all a polymath of the late 16th century kind with a firm faith in the unity of knowledge.« He cites the »enlightened atmosphere of Breslau« where Jessen grew up; one might equally stress the Silesian tradition of a prophetically-oriented Lutheranism. First published at Ferrara in 1591. I have consulted the Venice, 1593 edition, Nova de Vniversis Philosophia [...] Qvibvs Postrema svnt Adiecta Zoroastris oracula CCCXX. ex Platonicis collecta [...]. My approach has been heavily informed by Benjamin Brickman: An Introduction to Francesco Patrizi’s Nova de Universis Philosophia. New York 1941. Patrizi was professor of Platonic philosophy at Padua from 1578 to 1592, hence during the time that Jessen studied there. Evans: Rudolph II, p. 19. Brickman: Introduction, p. 15. The placement on the Index came despite praise and approval from Pope Clement VIII. See Brickman: Introduction, p. 17.

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vein, both authors placed a nearly obsessive emphasis on the theme of universal unity. Jessen’s rejection of the traditional understanding of creation ex nihilo was evidently drawn from the Nova as well. God made the world not literally from nothing but rather out of himself; one could maintain ex nihilo only in the sense that without the ultimate creative principle there was nothing.13 He was in accord with Patrizi on such basic ideas as the infinity of space and the finite nature of the material heavens. Jessen’s agreement with the Copernican postulate of the earth’s rotation manifestly owed a good deal to the Nova, as did his quarrel with the Copernican view of an immobile sphere of fixed stars. Although these and numerous other parallels have led most of those who have glanced through the Zoroaster to identify the work as a fairly crude and hasty borrowing from Patrizi’s Nova, such a judgment is misleading. Nor is it quite fair to dismiss the work as no more than »a farrago of animistic and mystical beliefs and Hermetic learning«, especially if closer study is thus discouraged.14 Jessen himself presented the volume mainly as a commentary on 320 Zoroastrian »oracles« that Patrizi had appended to his work. He departed entirely from the organizational structure of the Nova, and presented several ideas that clearly showed his independence. Still, it might be tempting to suppose that Jessen merely tried to offer an abbreviated, watered-down and somewhat jumbled version of Patrizi’s Hermetic philosophy for the sake of a Lutheran audience, and that he was therefore imitating the Italian’s program of humanist irenicism in order to lift readers above the confines of their divided orthodoxies. But a reexamination of the work and the setting in which it appeared moves us in a quite different direction. Jessen published his Zoroaster at the hub of Lutheran Germany, with a glowing dedication to Duke Frederick William, the regent of Electoral Saxony and a supporter of strict, »orthodox« Lutheranism. The Saxon electorate, and with it the University of Wittenberg, had been passing through a period of turmoil. Under the Elector Christian I (1587−1591), the university faculty had undergone a shakeup, and in 1587/88 such leading figures of conservative Lutheranism as Polykarp Leyser had lost their positions. It bears noting that also at this time, Giordano Bruno departed from Wittenberg after spending perhaps the happiest years of his career there.15 But Christian’s effort to introduce a Calvin-

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This is the point with which Jessen begins the main body of the work: »Vniversum quod est Principij aut Principium est: à nihilo nihil.« (p. 1) Of God as the creative principle, he writes: »Ante principium hoc nihil, post hoc omnia, ab hoc & in hoc Vno & Trino Entia consistunt universa.« (p. 18) Evans: Rudolph II, p. 137. Evans remarks that Jessen’s Zoroaster is »closely modelled, even to the title«, on the work of Patrizi. That the title is so modelled, and even much of the content, is easy to acknowledge; but Evans has greatly overstated the similarities. Frances Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition. Chicago 1964, pp. 306-307; see also my Prophecy and Gnosis: Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation. Stanford 1988, pp. 182ff. On the effort to introduce Calvinism under Christian I, see Karlheinz Blaschke: Religion und Politik in Kursachsen, 1586–1591, in: Heinz Schilling (ed.): Die Reformierte Konfessionalisierung in Deutschland: Das Problem der »Zweiten Reformation«. Gütersloh 1986, pp. 79–97.

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ist »Second Reformation« ended with his death in 1591, and under the regency of Frederick William, strict Lutheranism again held sway. The calling of Aegidius Hunnius to Wittenberg in 1592 was among the clearest signals of this reversal; Leyser returned in 1593. It was thus just as Wittenberg was becoming established as the main center of strict Lutheranism that Jessen published the Zoroaster there. Shortly afterward, Frederick William made Jessen his personal physician, and a few months later appointed him to the Wittenberg medical faculty.16 We need to understand the book’s appearance at least partly in the political context of the electorate and the university, a context of reaction against the earlier attempt to impose Calvinism. In maintaining what they believed to be the prophetic ideals of Luther himself, the strict Lutherans opposed in principle any tendency to subject the Word to rational or systematic principles. They saw themselves, in this respect as in others, as guardians of Christian liberty; their fears were focused on the threat of bondage to human reason. In their eyes both Catholics and Calvinists had succumbed to this danger, which in academic life was manifest mainly in an over-reliance on Aristotelian traditions. While the powerful influence of Philipp Melanchthon had insured a place for Aristotle within the curriculum of Lutheran universities, an attitude of distrust and unease lingered on, especially among those Lutherans who saw Melanchthon’s theology as a perversion of Luther’s teachings. Jessen certainly believed that the sort of anti-Aristotelian views he took from Patrizi would find sympathetic readers among the conservative Lutherans who were back in the saddle at Wittenberg after 1591, and his decision to publish his statement of »universal philosophy« there makes sense in this light.17 To be sure, Jessen was not so stridently opposed as Patrizi to Aristotelian concepts. Much of his medical education had depended on them, and even in the Zoroaster he made frequent use of well-worn scholastic terms and categories: substance and accident, actuality and potentiality, final and proximate causes, and so on. In many of his later writings Jessen was clearly responding to calls at Wittenberg, issued by the theologian Salomon Gesner among others, for a return to the true Aristotle, unpolluted by later commentators.18 Indeed his very next publication, dedicated to Polycarp Leyser, was an edition of Aristotle’s De Generatione et Corruptione.19 Nonetheless the Zoroaster, shot through with Platonic and Pythagorean mysticism and projecting a quasi-Copernican cosmology, was manifestly a celebration of regained freedom from the bondage of an

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Pick: Joh. Jessenius, p. 26; see also above, note 6. Pick: Joh. Jessenius, deals only briefly and indirectly with the confessional context. For background on Wittenberg in the late sixteenth century, the best treatment is probably still Walter Friedensburg: Geschichte der Universität Wittenberg. Halle 1917. Manfred Fleischer: Introduction to Fleischer (ed.): The Harvest of Humanism (above, note 4); see also Ernst Lewalter: Spanisch-jesuitische und deutsch-lutherische Metaphysik des 17. Jahrhunderts. Darmstadt 1967, pp. 29ff. Aristotelis [...] Duo de ortu et interitu libri [...] (De Generatione et Corruptione). Wittenberg 1593.

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impious and overly constraining philosophical doctrine. Jessen openly denounced the empty scepticism of the Aristotelian-Averroistic tradition, which only ignored or laughed at the truths embodied in the ancient wisdom of the East. The genuine magi had been those who anticipated the advent of Christ, and whose understanding had not been blinkered by human concepts. Indeed, perhaps even more than Patrizi, Jessen preached a mystic sense of wonder toward all of creation, and his message nicely complemented a variety of strict Lutheran theological and curricular emphases. We find him, for instance, repeatedly appealing to Pliny, the quintessential »encyclopedist« of the ancient world. Pliny seems, as one interpreter puts it, »to have lived in a permanent state of astonishment«,20 and his unsystematic reveling in the variety of nature stood in sharpest contrast to Aristotelian order. At the very opening of his preface, Jessen cited Pliny’s witness to Zoroaster as »the father of all human wisdom«, and he openly identified »the God of Pliny« with the ancient theology and the Christian God.21 Luther himself had called for the use of Pliny’s Naturalis Historia over Aristotle in the teaching of natural philosophy. In the early 1590s, as strict Lutherans regained control at Wittenberg, the atmosphere was again favorable to the sort of encyclopedic wonderment conveyed in Pliny’s work. In his dedication to Duke Frederick William, Jessen made clear several of his governing assumptions and conceptions. Citing the warnings of Paul against vain and empty philosophy, he lost no time in attacking the rigid Aristotelian and Averroistic dogmas that militated against pious contemplation of God. Such contemplation was by contrast the very essence of the most ancient philosophical wisdom of Zoroaster and Hermes, which had been passed down through such teachers as Orpheus, Pythagoras, Plato, and Plotinus. Augustine himself was certainly among its heirs. Now, wrote Jessen, it was to be hoped that this ancient wisdom might flourish anew in the lush gardens of the German universities. Here he had been trained to distinguish the true fruits of philosophy from the false. To those whose understanding had been thus properly cultivated, the flowers of true philosophy were evident in the Zoroastrian oracles to which Patrizi had so happily drawn attention. The heart of this wisdom lay in recognition of the triune structure of universal reality. Hence the present work would follow a tripartite pattern, expounding on the first principles of the Creator, then on the origins and elements of Creation, and finally on the universal sustaining power or anima.22

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Paul Turner: Introduction to Selections from the History of the World, Commonly Called The Natural History [...]. Carbondale, Il. 1962, p. 9. On Pliny and education at Wittenberg in general, see Charles Nauert: Humanism and the Culture of Renaissance Europe. Cambridge 1995, pp. 204-205; but compare Sachiko Kusukawa: The Transformation of Natural Philosophy: The Case of Philip Melanchthon. Cambridge 1995, pp. 51, 181 et passim. Jessen: Zoroaster, A4v, A2v. »Ad Lectorem Praefatio«: »Hisce paucis chartis Lector, totam de Deo & Trinitate, tribus Mentium ordinibus, ideis, mundi creatione ejusque animo, Principijs & Elementis jucunda perspicuaque brevitate [...] disseruimus.«

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With this central focus on philosophical exploration of the Trinity, Jessen’s work departed markedly from Patrizi’s Nova. While Patrizi did posit correspondences between the Trinity and parts of his universal hierarchy, especially the angelic orders,23 Jessen structured virtually his whole work around a Trinitarian conception; knowledge of the Trinity was the essence of the insight passed down from the Egyptian, Chaldean, Hebrew and Greek sages. God, the ultimate unity and the source of all being, was at once the Creator (Father), the principles and elements of nature (world-body or Son), and world soul or anima (Spirit). Jessen explained this basic scheme many times, using a variety of terms, positing for instance the aspects of God as active principle or subject (Father), passive principle or object (Son), and the binding principle of love (Spirit). His language often reflected efforts to emphasize theological correctness: he stressed for example that the Son was »co-essential« with the Father.24 Although the tendency to read the Trinity into nature was a common characteristic of neoplatonic thinking in our period, there is reason to believe that Jessen’s emphasis was spurred more directly by the threat of rationalist and spiritualist antitrinitarianism. These strains of thought had been spreading rapidly in much of east-central Europe, and especially in Poland and in Silesia, where Jessen was residing when the Zoroaster appeared in 1593.25 To Lutheran leaders in that region, as well as in Wittenberg, antitrinitarian errors seemed a far more immediate threat than Roman teachings. Since those who spread such falsehoods argued that the Trinity was impossible to defend on purely Scriptural grounds, it could only help to show that this doctrine embodied a natural revelation of the most ancient magi. Earlier, while still a student at Leipzig, Jessen had written against another tenet commonly espoused by the evangelical rationalists, that of the natural mortality of the soul.26 Lutheran theologians saw such errors of Socinianianism and other forms of antitrinitarianism as growing logically out of the same sort of shallow rationalism that had given birth to Calvinism. Here again, the prisca theologia could serve as an antidote to mistaken over-reliance on human reason: Jessen’s Hermetic work was a declaration of solidarity with the prophetic faith of the strict Lutherans against the rationalist antitrinitarians, as well as against the rationalizing Aristotelianism of Calvinist and Catholic theologians. Like Patrizi, Jessen was above all a natural philosopher; hence it is no surprise to find that within the Trinitarian scheme of his work, by far the largest portion was devoted to the principles and structures of nature. Here Jessen adopted the general scheme of his Italian predecessor, but departed on many particulars. Nature was essentially a series of emanations, a universal flow

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Brickman: Introduction, p. 37. Jessen: Zoroaster, p. 4 et passim. For background on evangelical rationalism and spiritualism see George H. Williams: The Radical Reformation. 3rd ed. Kirksville, Mo. 1992, Ch. 29 et passim. »De Animae Humanae Immortalitate Dissertatio«, composed in 1587 but not published until 1618 in Jessen’s De Resurrectione Mortuorum absolutissima Concio [...]. Prague 1618. I have not seen this work.

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(fluor) from the divine creative fire; light, heat, and all matter derived from this flame. The stars were the crucial medium between the superphysical and elemental forms of flame, governing all lower forms of matter, all motion. Jessen lauded the true astrological art of the Chaldeans, and made clear the centrality of stellar influence to all natural understanding. He rejected the sharp Aristotelian division between the celestial and the terrestrial realms, positing a basic continuity among emanations from the universal flame. Fire itself was not in fact a terrestrial element like air, water and earth, but the principle underlying each of these others. Most prominent in Jessen’s discussion of nature was the role of the sun; indeed Jessen was an extreme examplar of the Hermetic tendency to venerate the sun as a representation of divinity. Here the Zoroaster clearly went farther than Patrizi’s Nova. After enumerating the crucial functions of the solar fire in generating, moving, separating, multiplying, and altering all other material things, Jessen argued not only that the earth rotated, but also that it was not at the center of the cosmos. While he apparently stopped short of a fully explicit espousal of Copernicanism, he made clear his openness to a heliocentric model.27 Through its emphasis on nature itself as the material aspect of divinity, the Zoroaster again implicitly attacked what many Lutherans regarded as a rationalist perversion, in this case one associated above all with Calvinism. At the front line of the conflict between Lutherans and Calvinists was the interpretation of the Lord’s Supper, in particular the nature of Christ’s presence in the sacrament. Strict Lutheranism had come to be closely associated with the doctrine of the ubiquity of Christ’s body, a tenet denied by Reformed theologians and by Lutherans influenced by »crypto-Calvinism«. While this latter movement had been officially rooted out in electoral Saxony, it was still viewed as a serious threat, especially in nearby regions such as Jessen’s native Silesia.28 In strict Lutheran eyes, the crypto-Calvinists had fallen prey to a trivialized view of the sacrament through an all-too-human conception of the relationship between the natural and the divine. Jessen’s teaching that the entire creation embodied the second person of the Trinity was clearly intended as a philosophical elaboration of the doctrine of ubiquity. Such notions were in fact broadly evident among Lutheran thinkers of this era, heirs of Melanchthonian scientific interests and more generally of heightened Reformation-era attention to the »book of nature«. They

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Pick: Joh. Jessenius, p. 26; Evans (Rudolph II, p. 137) refers to Jessen’s cosmology as »partly Copernican, partly geocentric«. Jessen argues that the earth is not at the center of the universe, but revolves around a central point: »Terram vero ad universi medium ferri falsum. Supra hoc enim consistit, circaque hoc veluti polum, qualiter rotari Coelum putatum, vertitur.« (p. 42) Jessen makes many striking references to the role of the sun; he cites Pliny, for example, on the sun as »totius universi cor, mens, animus, naturaeque Numen principiale [...] sic Sol in mundo hoc omnis visionis, & quae per visum cognoscitur veritatis occasio.« (pp. 49–50) He concludes his treatment of the sun with the following: »Atque haec summariae summi Dei ministri actiones, ut scilicet motu suo sese mundo circumferat, secumque lumen, calorem & spiritum vehendo, mundo infundat, & quae à superis rerum acceperat semina, radiis suis disseminet, totumque universum foecundet.« (p. 52) See Fleischer: The Reception in Silesia (above, note 5), esp. pp. 132–134.

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surfaced in the writings of pastors like Philipp Nicolai and Johann Arndt, as well as in those of physicians and academics.29 The notion of Christ’s ubiquity could lead to a borderline form of nature-mysticism, in which the exploration of the sensible world could become virtually a form of worship. That which joined the incorporeal and the corporeal, the creator principle and incorporate matter, was soul or spirit (anima). This was the unifying, vivifying, and sustaining principle of all things.30 Jessen devoted only a few pages to this portion of his discussion; the key point was once again to emphasize the oneness of all things. But this repeated emphasis on universal unity had so far skirted several fundamental issues that could not be avoided in a work of this sort, issues such as the origins of evil, the nature of sin, and the human need for divine grace. Thus in a fourth section of the work, Jessen undertook to supply metaphysical answers to the sorts of questions that would inevitably arise among the theologically aware. Nature itself, in Jessen’s picture, is eternal, but in its mutable aspects it has fallen away from the divine light. Hence by divine necessity the material cosmos would at some future time be utterly transformed and purified. Here was a clear metaphysical application of the doctrine of the resurrection: just as Christ in his person had died and been raised anew, so the entire created world, as an embodiment of the living God, would be destroyed and raised to eternal life.31 Jessen referred explicitly to the doctrine, writing of a future day when fallen nature would be embodied anew; here again he differed from Patrizi by taking an eschatological vision more fully into account. Indeed in this final section he referred to several theological teachings that had not appeared earlier in the work, including not only the fall and the future resurrection, but also the vanity of trusting in human merit, and the human need for divine grace.32 In these ways Jessen sought to show the ways in which the natural wisdom of the most ancient magi spoke to the central issues of faith. The prisca theologia also had an apocalyptic aspect that provided common ground with Lutheranism. Jessen’s work conveyed a sense of excitement at the recovery of a lost wisdom, the unveiling of deep truths that had been largely hidden in the recent past and remained hidden to the unworthy in the present time of soaring hopes and fears. Many Hermetic thinkers, especially in Germany, believed that Luther had been instrumental in bringing this true wisdom to light; Giordano Bruno himself had made the point in an address he had deliv-

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See my Prophecy and Gnosis, esp. pp. 202–210. »Atque sic animus entia omnia est, superiora tanquam eorum imago, inferiora ut exemplar. Essentia sua tota universitas entium est, modo nimirum animario. Vnum igitur est ab unitate sua, essentia ab essentia Intelligibili, ab Intellectu conditore Intellectus, quae omnia a superis Causis, a quibus pendet, & sine quibus non consistit, obtinuit.« (pp. 79–80) »Ob materiam quam nactum instabilem & diffluam, mortale & dissolubile humanum genus: quarè continuo multo adiumento indignum, similibus in dies subeuntibus recorporascit elementis.« (pp. 93–94) A close parallel can be found in the work of the Lutheran theologian Philipp Nicolai; see my Prophecy and Gnosis, p. 207. »Patrem nequeunt liberi pro dignitate celebrare, id tamen quod possunt decenter reddunt eoque veniam impetrant.« (pp. 102–103)

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ered to the Wittenberg faculty before his departure in 1588. 33 In fact, Bruno had lauded Luther and the Germans as the main inheritors and guardians of the ancient wisdom, and Jessen made similar points in the opening pages of his Zoroaster. The deep insights into nature handed down from the ancient magi, though still hidden from the unworthy and the vulgar, might now flower in those most illustrious German gardens of learning, the Saxon universities.34 The organic imagery was typically Hermetic, yet such views could not but appeal, directly or indirectly, to the many Lutheran thinkers, including noted theologians, who were deeply preoccupied with the quest for a clearer understanding of apocalyptic mysteries in the last years of the sixteenth century. Their search, as we know, often led them well beyond the essential biblical texts, to questions of universal history and of the inner workings of nature. 35 Like other thinkers of his era who were dazzled by promises of Hermetic insight into the secrets of God and creation, Jessen presented what was an often highly inconsistent brew of Biblical and neoplatonic imagery, and in this work he opened himself to potential charges of pantheism, materialism, and other errors, including a dangerous indulgence in philosophical »curiosity«. From the perspective of most Lutheran theologians, Jessen’s efforts to escape such charges in the final section of his work could scarcely have seemed successful. Yet unlike such a contemporary as Johann Heinrich Alsted, a Calvinist whose use of the ancient wisdom was largely geared to an activist program of »further reform«, Jessen did not imagine that the recovery of Hermetic insights would contribute to a significant social or spiritual transformation.36 In this sense his use of supposed ancient wisdom posed far less of a contradiction to Protestant teachings about human helplessness and utter dependence upon God than they did for thinkers such as Alsted. For Jessen the prisca theologia was not a source of human power, but simply an exercise in speculative freedom serving the true evangelical faith. His goals were essentially contemplative and defensive rather than active; he sought to promote neither a newly reformed Christian order such as Alsted envisioned, nor a philosophical common ground, on Patrizi’s model, that would allow a return to formal ecclesiastical unity. His ancient wisdom was

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Die Abschiedsrede, welche Giordano Bruno vor den Professoren und Hörern auf der Akademie zu Wittenberg im Jahre 1588 am 8. März gehalten hat, in: Giordano Bruno: Gesammelte Werke. Ed. by Ludwig Kuhlenbeck. Leipzig 1909, vol. 6, pp. 72–93; see also my Prophecy and Gnosis, pp. 182–183. Jessen: Zoroaster, dedication, A4. See also the interpretation by Pick: Joh. Jessenius, p. 25. On the image of the Lutheran universities as gardens of learning, see Robert Rosin: Replanting Eden: The Elizabethanum as God’s Garden, in: Fleischer (ed.): The Harvest of Humanism, pp. 109–136. See my Prophecy and Gnosis, especially Chapter 5: Paths to a Hidden Wisdom. Jessen did have his share of conflicts with Lutheran theologians, as for example from 1600 on over his program of human dissection (see Pick: Joh. Jessenius, pp. 52–53). But this sort of dispute did not necessarily imply any doctrinal disagreement; moreover there is nothing to suggest that they shook Jessen’s own sense of confessional solidarity. On Alsted see the excellent study by Howard Hotson: Johann Heinrich Alsted 1588–1638: Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform. Oxford 2000.

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both a confirmation of truth and a corrective against theological error; in his mind the most inspired philosophy, purged as far as possible of corrupt human imaginings, stood in clear witness to the pure Word of God. But it also preserved a sense of awe and wonder in the face of infinite reality. In 1593, when the Zoroaster appeared, Jessen’s career as a natural philosopher was only beginning. There is no room here to consider his later writings. It bears noting, however, that while much of his work became less speculative, it continued to reflect an outlook reflecting the ideals of free inquiry and the search for philosophical truth. At Wittenberg he carried on an intensive program of anatomical studies, publication, and teaching. He began an extended campaign in favor of anatomical dissection, which was obviously inspired in part by his experience at Padua. Evans notes his »genuine capacity for inductive research«.37 The idea that he ever expounded an »official Aristotelian schoolphilosophy« is highly questionable; indeed he continued to be highly eclectic. His medical writings, for instance, show some evidence of Paracelsian influence.38 Yet what is most striking is his evident desire to hold at arm’s length all schools of medical thought; continuing to cultivate a Plinian sense of wonder, he remained sceptical toward all final theories about the workings of the body. Again, no human system could adequately grasp the mysteries of nature or of God. It appears that in Jessen’s eyes, anatomical and medical study were a way of searching after ever higher truths, an ongoing mode of contemplative piety, in effect a kind of pansophic quest. Just as no rational, humanly-conceived system could fully penetrate the mysteries of the body, so it was with the social organism. For Jessen, as for other Hermetic thinkers of his age, the state itself was »one aspect of a magical cosmology«, which required both the freedom and the order that were the fruits of faith.39 He moved to Prague in 1602 in order to be at the heart of Germany, to feel the pulse of the Empire. He obviously admired Rudolph II, and hoped to remain loyal to traditional Imperial structures and freedoms. He died for his part in defending those traditional liberties, as he understood them, against Habsburg power. It is true that his political activity was largely a matter of service to the Bohemian estates, which though Protestant were very far from uniformly Lutheran. Yet in acknowledging the need for a larger Protestant alliance, his stance remained fundamentally defensive; he sought to guard existing freedoms, which were the sine qua non of the health of the body politic. As early as 1591, thirty years before his execution, he had published a work titled Pro vindiciis contra tyrannos, in which he had not hesitated to justify the killing of a fullfledged tyrant.40 Hence there was nothing new in his attitude of resistance to

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Evans: Rudolph II, p. 244. Pick: Joh. Jessenius, p. 149, makes the claim about Jessen’s adoption of an »Aristotelian school-philosophy« in regard to a later work, De Anima et Corpore Universi. Prague 1605. This was certainly a more restrained writing than the Zoroaster, yet Pick points out that in this tract Jessen continued to draw very heavily on neoplatonic emanation theory. Evans: Rudolph II, p. 18. Evans is here not referring directly to Jessen. Johannes Jessenii a Jessen Pro Vindiciis, contra Tyrannos, Oratio. Frankfurt 1591.

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Habsburg policies. In this respect as in others, in his own mind he was protecting spiritual liberty against the threat of closed systems. Throughout his years in Prague, Jessen was a member of the city’s main German Lutheran congregation, the Salvatorkirche. At his execution in 1621 he looked for comfort to its pastor, David Lippach. 41 His opposition to Roman claims of authority appears to have been consistent, and he seems always to have distrusted the Jesuits. At the same time, however, his growing political involvements did not preclude the continuing quest for deeper insights that might serve to illuminate true Christian doctrine. In his last years he was still busy with philosophical studies, and his thinking had lost none of its earlier adventurousness; in 1618, for instance, he edited a work on hieroglyphics, manifesting the hope of unlocking universal secrets through an ancient code.42 In short, there is little or no evidence for a retreat from liberal irenicism to a narrow confessionalism. What had changed in the last phase of his life were merely the outward expressions of his commitment. As a contribution to either philosophy or theology, the Zoroaster probably deserves its dwelling place near oblivion. But the work offers an uncommonly clear reminder that those late Renaissance-Reformation thinkers who avidly pursued the prisca theologia were not necessarily trying to break the restraints of confessional dogma. In Jessen’s case, at least, we find a zealous seeker after ancient and universal philosophical truths working fully within a confessional context. Certainly before 1600 there was as yet no Lutheran »orthodoxy« of the sort that would later come to regard Hermetic writings such as the Zoroaster as scandalous heresy; in this regard the atmosphere in Wittenberg and other centers of Lutheran thought clearly did become straitened in later decades.43 But the evidence is strong that throughout his life Jessen identified mainly with the brand of »strict« Lutheranism that prevailed in Electoral Saxony in the 1590s, the teachings of which he viewed as a guarantee of Christian liberty. This identification had never precluded contacts or even friendships across confessional lines, for Jessen and those who shared his outlook believed that whatever human concord was achieved would be the work of the God himself, not of humanly constructed systems. More generally, this brief look at Jessen and his Hermetic treatise underlines the need to guard against any assumption of a simple polar relationship between

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Pick: Joh. Jessenius, pp. 235–236 Ibid., p. 303. Ample evidence to support the view that there was an extraordinary breadth of interest in astrology, prophecy, magic, and the occult among Lutherans around 1600 is supplied by John Warwick Montgomery: Cross and Crucible: Johann Valentin Andreae (1586–1684), Phoenix of the Theologians. The Hague 1973. Robert Evans has somewhat too easily dismissed Montgomery’s view: »To say that apocalyptic, mystical, and alchemical enthusiasms were widely shared among (nominal) Lutherans is not to say that such views were theologically ›orthodox‹« (Evans: Culture and Anarchy, p. 22n). But at least until the second decade of the seventeenth century, the bounds of Lutheran »orthodoxy« had not been clearly established on several key fronts.

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liberal, irenic humanism and strong confessional commitment in central Europe during the years around 1600. Jessen’s brand of Protestantism represented an inwardly searching though outwardly passive religious orientation, a contemplative yet fervent faith caught between the militant postures of more activist, organized, and authoritarian movements. The content and the context of Jessen’s thought in the 1590s point to the mystical and apocalyptic legacy of Lutheranism, very much alive among the »orthodox« figures with whom Jessen identified in Silesia, in Saxony, and in Bohemia. That legacy, combined with the tools of Melanchthonian humanism, provided a basis on which full and sincere confessional commitment could coexist with a pansophic, universalist striving. In light of what we have found in Jessen’s Zoroaster, we may be justified in asking whether the idealistic pursuit of the prisca theologia in lateRenaissance central Europe owed as much to the sort of committed but contemplative faith represented by strict German Lutheranism as it did to the traditions of humanist irenicism.

Maria Rosa Antognazza

Bisterfeld and immeatio Origins of a key concept in the early modern doctrine of universal harmony*

1. Introduction In recent years a number of studies have drawn attention to the interest and originality of the little-known German philosopher Johann Heinrich Bisterfeld. Born around 1605 in Siegen, the largest town in the German county of NassauDillenburg, Bisterfeld completed his studies at the Calvinist academy at Herborn under the guidance of the leading philosopher of the school, Johann Heinrich Alsted (1588–1638),1 who became for him a close mentor and virtually an adoptive father. After extensive academic travels which took him to Geneva, Oxford and Leiden, Bisterfeld returned to Herborn for a brief stint of teaching as an extraordinary professor of philosophy. When the disruption of the Thirty Years’ War prompted Alsted to accept the invitation to lead the newly founded Calvinist academy in Alba Julia (Gyulaferhérvár), Transylvania, in 1629, the young Bisterfeld went with him, subsequently marrying Alsted’s eldest daughter. For the rest of his career before his death in 1655, Bisterfeld would be engaged in philosophical and theological instruction at the academy, regularly interrupted by diplomatic missions on behalf of his prince.2

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Thanks are due to several sources for the support which made the research for this article possible, particularly to the British Academy for the postdoctoral fellowship during which this article was researched and written, to the William Andrews Clark Library in Los Angeles, California, for funding a period of work on the English sources, and to the Deutscher Akademischer Austauschdienst and the Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel for access to central European materials. On Alsted see the two monographs by Howard Hotson: Johann Heinrich Alsted (1588– 1638): Between Renaissance, Reformation and Universal Reform. Oxford 2000, and Paradise Postponed: Johann Heinrich Alsted and the Birth of Calvinist Millenarianism. Dordrecht 2000. The principal account of Bisterfeld’s life is Jan Kvacsala: Johann Heinrich Bisterfeld, in: Ungarische Revue 13 (1893), pp. 40–59 and 171–197, which reworks an earlier paper published in 1891 in the Hungarian journal Századok. Cf. also Johann Seivert: Nachrichten von Siebenbürgischen Gelehrten und ihren Schriften, Pressburg 1785, pp. 34–37; Joseph F. Trausch: Schriftsteller-Lexikon, oder biographisch-literärische Denk-Blätter der Siebenbürger Deutschen. Vol. 1. Kronstadt 1868–1870, pp. 152–154; Allgemeine Deutsche Biographie, vol. 2, pp. 682–683; Graeme Murdock: Calvinism on the Frontier 1600–1660: International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Oxford 2000, especially pp. 77–78, 80–81, 86–89, 92–97, 182–183, 187–188, 274–277.

Maria Rosa Antognazza

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Interest in Bisterfeld’s thought was first awakened by the pioneering studies of Willy Kabitz, Paolo Rossi, and Leroy E. Loemker.3 After the mile-stone article by Massimo Mugnai published in Studia Leibnitiana in 1973,4 many scholars have insisted in particular on the importance of Bisterfeld as a source of Leibniz’s concept of universal harmony conceived as diversitas identitate compensata.5 Moreover, following the interpretation not least of Leibniz himself,6 the centrality of the concept of immeatio in Bisterfeld’s doctrine of univer-

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Cf. Willy Kabitz: Die Philosophie des jungen Leibniz. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte seines Systems. Heidelberg 1909; Paolo Rossi: Clavis Universalis. Arti mnemoniche e logica combinatoria da Lullo a Leibniz. Milano – Napoli 1960; Leroy E. Loemker: Leibniz and the Herborn Encyclopedists, in: Journal of the History of Ideas 22 (1961), pp. 323–338; Leroy E. Loemker: Struggle for Synthesis. The Seventeenth Century Background of Leibniz’s Synthesis of Order and Freedom. Cambridge, MA 1972. Massimo Mugnai: Der Begriff der Harmonie als metaphysische Grundlage der Logik und Kombinatorik bei Johann Heinrich Bisterfeld und Leibniz, in: Studia Leibnitiana 5 (1973), pp. 43–73. Cf. in particular the insightful studies of Donald Rutherford: Leibniz and the Rational Order of Nature. Cambridge 1995 (especially pp. 36–40), and Thomas Leinkauf: »Diver-sitas identitate compensata«. Ein Grundtheorem in Leibniz’ Denken und seine Vorausset-zungen in der frühen Neuzeit, parts I and II, in: Studia Leibnitiana 28 (1996), pp. 58–83 and 29 (1997), pp. 81–102 (especially part II, pp. 88–93). Leibniz’s debt to several aspects of Bisterfeld’s conception has been stressed by Antonio Lamarra: Leibniz e la περιχvßρησις, in: Lexicon philosophicum. Quaderni di terminologia filosofica e storia delle idee 1 (1985), pp. 67–94. Further affirmations of Bisterfeld’s influence on Leibniz’s thought can be found for instance in the following studies: Dietrich Mahnke: Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik. Halle 1925 (especially pp. 68, 218, 266n., 231–232); Francesco Barone (ed.): G.W. Leibniz: Scritti di logica. Bologna 1969, p. 126; Hans Aarsleff: Bisterfeld, in: Dictionary of Scientific Biography. New York 1970; Werner Schneiders: Harmonia universalis, in: Studia Leibnitiana 16 (1984), pp. 27–44 (especially pp. 28–29); Francesco Piro: Varietas Identitate Compensata. Studio sulla formazione della metafisica di Leibniz. Napoli 1990 (especially pp. 24, 65n., 94, 95n., 99, 231); Giovanna Varani: I »Loci Topici« nel pensiero di G.W. Leibniz. »Nouvelles ouvertures« di un concetto consunto, in: Annuario filosofico 9 (1993), pp. 171–194; Konrad Moll: Der junge Leibniz. 3 vols. Stuttgart-Bad Cannstatt 1978–1996 (especially vol. 3, pp. 223– 224); Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum. Eine Harmonie im Zeitalter der Berechnung. Hamburg 1997 (especially pp. 18–26, 147–148, 448n.); Maria Rosa Antognazza: Immeatio and emperichoresis. The Theological Roots of Harmony in Bisterfeld and Leibniz, in: Stuart Brown (ed.): The Young Leibniz and his Philosophy, 1646–1676. Dordrecht 1999, pp. 41–64; Maria Rosa Antognazza: »Debilissimae Entitates?« Bisterfeld and Leibniz’s ontology of relations, in: The Leibniz Review 11 (2001), pp. 1–22. Attention to Bisterfeld’s thought in its own right has been paid in particular by the following studies: Massimo Luigi Bianchi: Signatura rerum. Segni, magia e conoscenza da Paracelso a Leibniz. Roma 1987 (especially pp. 144–154); Ulrich G. Leinsle: Reform-versuche protestantischer Metaphysik im Zeitalter des Rationalismus. Augsburg 1988 (especially pp. 27–40); Martin Mulsow: Sociabilitas. Zu einem Kontext der Campanella-Rezeption im 17. Jahrhundert, in: Bruniana & Campanelliana. Ricerche filosofiche e materiali storico-testuali 1 (1995), pp. 205–232 (especially pp. 218–232); Martin Mulsow: Definitionskämpfe am Beginn der Moderne. Relationsontologie, Selbsterhaltung und appetitus societatis im 17. Jahrhundert, in: Philosophisches Jahrbuch 105 (1998), pp. 283–303 (especially pp. 286–291). Cf. Dissertatio de Arte Combinatoria, in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Edited by the German Academy of Sciences. Series I–VII. Darmstadt – Leipzig – Berlin 1923, series VI, vol. 1, p. 199 (hereafter A VI, 1, 199).

Bisterfeld and immeatio

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sal harmony has been unanimously recognised. In this paper I propose to investigate the origin of this concept in more detail. Such an investigation will bring us, I believe, to a deeper understanding of the place and significance of the concept of immeatio in Bisterfeld’s thought.

2. Unanswered questions Regarding the origin of the concept of immeatio in a broad sense there can be little doubt. Bisterfeld himself could not be clearer on this question: immeatio is a Latin translation of the Greek word περιχvßρησις or eö περιχvßρησις, traditionally employed to express the mutual immanence and penetration of the three Divine Persons of the Trinity. In other words, with the concept of περιχvßρησις, the Church Fathers tried to explain the relation of »coinherence« of the persons of the Trinity in the divine essence and in each other. Bisterfeld explicitly refers to this theological origin and equally self-consciously proposes to extend this originally theological concept into the domain of logic and metaphysics in order to express not only the fundamental law of the divine Being but also the fundamental structure of the universe as viewed from both an epistemological and an ontological point of view. A few passages from Bisterfeld’s works are very illuminating in this respect. Immeatio [he writes in his Logica] is a certain most profound term, although used and explained, as far as I know, by few authors, Theologians almost alone have piously treated of the eö περιχvßρησις, [or] immeatio, of the Divine persons. Therefore we will attempt to disentangle [this] most useful but rather intricate word.7

In the Elementorum Logicorum Libri Tres he explains the term as follows: Immeatio is a concourse of relations [...]. Since this is the key, nucleus and colophon of the abundance of the whole of logic, and, due to the rarity of the word, seems very obscure to some, it is necessary that we discuss its origin and use a little more clearly. (1) Immeatio is the mutual union and communion of things. Theologians first observed this in the most holy Trinity, and this they called eö περιχvßρησις, that is to say, mutual in-existence [inexistentiam]. Provoked by their industry, certain sharp-witted philosophers discovered that immeatio is diffused throughout nature and also throughout the picture of nature, the encyclopaedia.8

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Johann Heinrich Bisterfeld: Logica, in: Bisterfeldius Redivivus. 2 vols. Hagae-Comitum 1661, vol. 1, p. 17: »est quidam profundissimus terminus, sed à paucis, quod sciam, authoribus usurpatus aut explicatus, soli fermè Theologi de personarum Divinarum eö περιχvßρησει, immeatione, piè disserunt. Nos igitur vocem utilissimam, sed satis intricatam aliquantulum extricare conabimur.« Johann Heinrich Bisterfeld: Elementorum Logicorum Libri Tres: ad praxin exercendam apprimè utiles. Atque ita instituti, ut Tyro, trimestri spatio, fundamenta Logices, cum fructu jacere possit. Accedit, Ejusdem Authoris, Phosphorus Catholicus, Seu Artis meditandi Epitome. Cui subjunctum est, Consilium de Studiis feliciter instituendis. Lugduni Batavorum 1657, pp. 6–7: »Immeatio est, relationum concursus […] Haec quoniam universae Logicae eöυ ποριας clavis, nucleus et colophon est, nonnullisque ob vocis raritatem videtur obscurior, necessum est, ut ejus originem et usum tradamus paulò explanatius I. Immeatio est mutua rerum unio et communio. Hanc primùm observarunt Theologi in SS.Trinitate, eamquè vocarunt

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Finally, in Philosophiae Primae Seminarium Bisterfeld writes: Both the variety and the connection of relations are truly astounding. [...] [T]he whole of Logic is nothing other than a mirror of relations. This variety takes on the wonderful connection of relations which the Greeks call eö περιχvßρησις, circumincession, [but] which we are accustomed to call immeatio, which is nothing other than the varied concourse, combination and complication of relations. This governs both throughout the entire encyclopaedia and especially in the deeper anatomy of things. 9

Two observations can be made at this point. The first is that Bisterfeld is pointing out not only the derivation of the concept of immeatio from Trinitarian theology, but also the fact that this particular translation of the well established concept of περιχvßρησις is very rare and obscure. Nevertheless, despite this rarity and obscurity, Bisterfeld regards immeatio as »a most useful word« (»vox utilissima«) and evidently as one to be preferred, for the broad use he intends to make of it, to other more common translations (one of which, he mentions, is inexistentia), or even to the Greek itself. Moreover, he seems to be consciously distancing himself and the tradition to which he belongs from the standard translation of περιχvßρησις with the Latin term circumincessio (»quam Graeci eö περιχvßρησιν, circumincessionem, nos, immeationem, vocare solemus«). The second observation is that Bisterfeld himself is recognizing that he is not the first philosopher to discover immeatio not only in the relations amongst the persons of the Trinity but also as a general ontological and epistemological principle. However, he leaves three tantalizing questions open. Who, first of all, are the »sharp-witted philosophers« who first applied the term in this general sense? Who, secondly, are the »nos« who prefer to translate eö περιχvßρησις with immeatio rather than with circumincessio? And why, thirdly, do they prefer this unusual translation? 10 This paper will therefore be devoted to tracing the theological origin of this specific translation and the philosophical origin of the employment of the concept of immeatio as a general ontological and epistemological principle.

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eömπεριχvßrhsin. q. d. inexistentiam, quorum industriâ acutiores quidam philosophi excitati, deprehenderunt immeationem diffundi per naturam, ejusque adeò picturam Encyclopaediam.« Johann Heinrich Bisterfeld: Philosophiae Primae Seminarium, ita traditum, ut omnium disciplinarum fontes aperiat, earumque clavem porrigat. Lugduni Batavorum 1657, pp. 185– 186: »Plané mirifica, est, relationum, tum varietas, tum societas. [...] universa Logica, nihil est aliud, quám relationum speculum. Hanc varietatem excipit mira relationum societas, quam Graeci eö περιχvßρησιν, circumincessionem, nos, immeationem, vocare solemus: quae nihil est aliud, quam varius relationum concursus, combinatio, et complicatio. Haec, in universâ Encyclopaediâ, praesertim in profundiori rerum anatome, utramque facit paginam.« Lamarra writes in Leibniz e la περιχvßρησις, pp. 82–83: »Con quali autori debbano essere identificati gli ›acutiores philosophi‹ che in questo lo avrebbero preceduto e ai quali egli allude così ellitticamente, è problema che, allo stato attuale delle ricerche, rimane sostanzialmente aperto.«

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3. Theological origin The word περιχvßρησις is first to be found in Anaxagoras where it means the rotation by which the νοuqς sets the primordial matter in motion.11 Accordingly, the verb περιχvρεiqν is an active verb indicating a circular movement. Probably adopting from Stoic physics the idea of a kind of mixture in which bodies are really mixed but in such a way that they nevertheless preserve their own properties, the verb περιχvρεiqν is introduced in a Christological context by Gregory of Nazianzus (forth century) to indicate the perfect compenetration of the divine nature and the human nature in Christ in a manner which simultaneously preserves their distinction. It is not until the seventh century, however, that περιχvρεiqν becomes a specifically theological term in the Christology of Maximus the Confessor. The first employment of the term περιχvßρησις in a Trinitarian context to express the mutual perfect penetration of the three Divine persons is due to Pseudo-Cyril, an unknown author of the seventh or eighth century. In both the Christological and the Trinitarian case, at the core of this term is the idea of perfect union and, at the same time, of distinction, or, even more pregnantly, the idea of identity in diversity. On the one hand we have the perfect union of two natures which remain distinct in the only one person of Christ; on the other, we have the identity in diversity of the three Divine persons in the only one God. Moreover, with the use of a term originally expressing the idea of rotatory movement, the dynamic character of this unity in difference or identity in diversity is emphasized. From Gregory of Nazianzus, Maximus the Confessor, and the Pseudo-Cyril, the concept of περιχvßρησις, both in a Christological and in a Trinitarian sense, is taken over in the eighth century by John Damascene, to become part of his theological summa, the De fide orthodoxa.12 It was through this work, translated into Latin during the twelfth century, that the doctrine of περιχvßρησις passed into Western theology. The standard translation of the word περιχvßρησις as circumincessio is due to Burgundio of Pisa, who in 1153–1254 translated De fide orthodoxa. With the new term circumincessio, derived from circumincidere (»to go«, »to move around«) Burgundio was able to capture the original idea of circular movement of the term περιχvßρησις, and with this the dynamic character of the Trinitarian identity in diversity.

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For this part, one of my main sources is the outstanding study by Peter Stemmer of the history of the concept of περιχvßρησις: Perichorese. Zur Geschichte eines Begriffs, in: Archiv für Begriffsgeschichte 27 (1983), pp. 9–55. See also Lamarra: Leibniz e la περιχvßρησις, especially pp. 76–82, and the entries ›perichoresis‹ and ›circumincession‹ in: Dictionnaire de Théologie Catholique; Lexikon für Theologie und Kirche; and New Catholic Encyclopedia. For the use of περιχvßρησις in a Trinitarian sense see in particular John Damascene: De fide orthodoxa, Lib. I, Cap. 8, in: Patrologiae cursus completus. Series graeca. Ed. J. P. Migne. Paris 1857–1891, vol. 94, col. 829 (hereafter PG 94: 829); Lib. I, Cap. 14 (PG 94: 860); Lib. III, Cap. 5 (PG 94: 1000); Lib. IV, Cap. 18 (PG 94: 1181). The Latin version printed by Migne is by Michael Lequien (first ed. 1712).

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From the thirteenth century onward, however, this dynamic character was soon lost when, under the influence of the French language, circumincessio was often substituted with circuminsessio. Instead of the original etymology of circum-incidere, the word circuminsessio was taken to mean circum-insidere: »to sit around«. The term circumincessio or circuminsessio came therefore to stress the passive aspect of the doctrine, taking increasingly the sense of a rather static immanence in one another of the three Divine persons.13 The same static idea is conveyed by another possible Latin correspondent of the Greek περιχvßρησις, explicitly mentioned by Bisterfeld: the word inexistentia, to be found for instance in Duns Scotus (c. 1266–1308),14 William of Ockham (c. 1285–1347),15 and Francisco Suarez (1548–1617).16 The terms περιχvßρησις and περιχvρεiqν were rendered for the first time as »immeatio« and »immeare« in the new translation of John Damascene’s De fide orthodoxa by the French humanist Jacques Lefèvre d’Étaples or Faber Stapulensis (c. 1455–1536).17 The verb »immeare«, from which the word »immeatio« derives, stems from the verb of movement »meare« and means »to go in«. The consequence of the translation which originated the term »immeatio« was therefore to restore the original dynamic character of the Greek term περιχvßρησις lacking from the Latin circumincessio / circuminsessio. The emergence of the term »immeatio« in the work of Jacques Lefèvre helps relate it closely to two important strands of early modern thought. As should be clear from the foregoing discussion, the concept of περιχvßρησις encapsulates

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On the history of the terms circumincessio and circuminsessio see in particular August Deneffe: Perichoresis, circumincessio, circuminsessio. Eine terminologische Untersuchung, in: Zeitschrift für katholische Theologie 47 (1923), pp. 497–532. Cf. John Duns Scotus: Ordinatio, I. dist. 19, q. 2, n. 54, in: Opera Omnia. Ed. C Balić and others. Vatican City 1950ff., vol. 5, p. 290. William of Ockham: Scriptum in Librum Primum Sententiarum. Ordinatio (Dist. XIX– XLVIII), dist. 19, q. 2, in: Opera Philosophica et Theologica. Opera Theologica. St. Bonaventure, NY 1979, vol. 4, pp. 22ff. See Francisco Suarez: De Deo uno et trino, 1606, Lib. 4, Cap. 16, in: Opera omnia. Paris 1856–1878, vol. 1, p. 649. See De orthodoxa fide, Iacobo Fabro Stapulense interprete, Lib. III, Cap. 5, p. 83, in: John Damascene: Opera quae orthodoxae fidei vim omnem ita tradunt. Basileae 1539 (cf. Bonifatius Kotter: Die Schriften des Johannes von Damaskos. Berlin 1973, vol. 2, p. 118 and PG: 94: 1000): »Differentiam autem hypostaseon, in solis tribus proprietatibus, in causali et paterna, causali et filiali, et processiva agnoscimus, et easdem insecessibiles et indistantes abinvicem, et unitas, et inconfuse se immeantes [περιχωρούσας] scimus, et sine confusione quidem unitas (nam tres sunt, etsi uniuntur) discretas autem, sed indistanter.« In a Christological context, in addition to immeatio / immeare, we find »commeare«, »permeare«, »immeantia et immansio«: see De orthodoxa fide, Iacobo Fabro Stapulense interprete, Lib. III, Cap. 5, pp. 83–84; Lib. III, Cap. 7, p. 88; Lib. III, Cap. 15, p. 104; Lib. IV, Cap. 19, p. 155. Cf. Stemmer: Perichorese, pp. 36–37. The first edition of Lefèvre’s translation of De fide orthodoxa appeared in Paris in 1507. For later editions see note 29 below. Useful introductions to Lefèvre include Peter G. Bietenholz (ed.): Contemporaries of Erasmus: a Biographical Register of the Renaissance and Reformation. 3 vols. Toronto 1985–1987, vol. 2, p. 318; Paul F. Grendler (ed.): Encyclopedia of the Renaissance. 6 vols. New York 1999, vol. 3, p. 397.

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the thousand-year-long struggle to express the idea of identity in diversity, unity in multiplicity, in the divine domain. As Thomas Leinkauf has argued, precisely this struggle, emblematically exemplified by Leibniz’s definition of harmony as diversitas identitate compensata, can be seen as a fundamental epistemological and ontological theme which strongly characterizes early modern philosophy from the Renaissance onward. Four of the five key examples discussed by Leinkauf are Nicholas of Cusa (1401–1464), Marsilio Ficino (1433–1499), Charles de Bovelles (1479–1553), and Johann Heinrich Bisterfeld.18 Lefèvre clearly belongs in this company: he was one of the most enthusiastic admirers of Nicholas of Cusa in France, whose works he published in a three-volume edition in 1514;19 he read and appreciated Marsilio Ficino and visited him in Florence;20 and he was very close to his most brilliant student Charles de Bovelles, who tried to synthesize Cusanus’s thought with his own philosophical system.21 Placing Cusanus, Lefèvre, Bovelles, Alsted, and Bisterfeld on the same list, moreover, reveals a second and no less significant bond: all five were fascinated by the philosophy of the medieval Catalan mystic and missionary, Ramón Lull. Cusanus was amongst the most important Renaissance philosophers to be influenced by Lullism.22 Deeply stirred by reading Lull, Lefèvre published eight of Lull’s works – seven of these for the first time in print – in three collections in 1499, 1505, and 1516 and has been described as »perhaps more responsible than any other man for the divulgation of Lullism outside Spain in the early sixteenth century«.23 His revival of Lullism in Paris around 1500 was continued by Bovelles and a third member of their circle, the Franciscan Bernhard de Lavinheta, who marked a further turning point: Lavinheta’s voluminous work on the exposition and application of Lull’s art – in which Lefèvre and Bovelles are the only

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Cf. Leinkauf: »Diversitas identitate compensata«. Jacques Lefèvre (ed.): Nicolai Cusae Opera Omnia. Paris 1514. Cf. Guy Bedouelle: Lefèvre d’Étaples et l’Intelligence des Ecritures. Genève 1976, especially pp. 60–70; Philip Edgcumbe Hughes: Lefèvre: Pioneer of Ecclesiastical Renewal in France, Grand Rapids. Michigan 1984, especially pp. 44–47. Cf. Bedouelle: Lefèvre d’Étaples, especially pp. 13–15. Cf. in particular Joseph M. Victor: Charles de Bovelles, 1479–1553. An intellectual biography. Genève 1978. On this influence, see Tomas and Joaquin Carreras y Artau: Influencias lulianas en Nicolas de Cusa, in their Historia de la filosofia española. Filosofia critiana de los siglos XIII al XIV. 2 vols. Madrid 1939–1943, vol. 2, pp. 178–196, citing earlier literature; J. N. Hillgarth: Ramon Lull and Lullism in Fourteenth-Century France. Oxford, 1971, especially pp. 270–274; and Rossi: Clavis universalis, pp. 71–73, citing more recent work. Full bibliographical details provided in Eugene F. Rice, Jr.: The Prefatory Epistles of Jacques Lefèvre d’Etaples and Related Texts. New York – London 1972, pp. 551–553, 560. On this revival generally, see Augustin Renaudet: Préréforme et humanisme à Paris pendant les guerres d’Italie. Paris 1953; Paola Zambelli: Il ›De auditu kabbalistico‹ e la tradizione lulliana nel rinascimento. Firenze 1965; and especially Hillgarth: Lull and Lullism, pp. 283–289 (p. 283 quoted here); Joseph M. Victor: The Revival of Lullism at Paris, 1499–1516, in: Renaissance Quarterly 28 (1975), pp. 504–534; and Mark D. Johnston: The Reception of the Lullian Art, 1450–1530, in: Sixteenth Century Journal 12 (1981), pp. 31– 48.

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contemporary authors cited – inaugurates the early modern tradition interested less in Lull’s mysticism and ethical teachings than in the encyclopaedic potential of his combinatorial methods.24 Alsted occupies a key point in this tradition: he not only wrote introductions to the Lullian art and applied quasi-Lullian combinatorial methods in his own encyclopaedic projects,25 he also reprinted a slightly emended edition of Lavinheta’s Lullist encyclopaedia in 1612,26 and it was probably through this edition that Leibniz encountered the work.27 These two strands – the ontological or metaphysical strand grounded in Trinitarian theology and the epistemological or methodological strand expressed in combinatorial logic – are in fact intimately related. On the one hand, Lull’s own combinatorial approach to logic and mystical contemplation was directed toward displaying a fundamental, ontological, Trinitarian unity within the multiplicity of creation.28 On the other, the original use of the verb περιχvρεiqν to describe a circular movement through which entities are really mixed while preserving their own properties is strikingly apposite for describing Lullian circles, the circular movement of which generates the infinite combinations of the divine attributes with one another. More generally, as Howard Hotson has recently observed, it is precisely the dynamic qualities of Lullian combinatorial logic which most clearly set it apart from the static place logics of Aristotle and Ramus and recommended them most strongly to experts in the art of memory, encyclopaedists, and universal language projectors such as Bruno, Alsted, Bisterfeld, and Leibniz.29 In both the Parisian circle around Lefèvre and the Herborn circle around Alsted, one encounters a very similar combination of Trinitarian ontology, Lullism, and combinatorial encyclopaedism, and this triple bond helps account for the strong links between these two circles, despite the confessional, geographical and chronological distance separating them. Let us return, however, to the history of our philosophico-theological term. Lefèvre’s translation in 1507 of John Damascene’s De fide orthodoxa proved very successful, as is attested by its numerous subsequent editions.30 Moreover,

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Bernhardus de Lavinheta: Explanatio compensiosaque applicatio artis Raymundi Lulli (1523). Reissued in facsimile with an introduction by Erhard-Wolfram Platzeck. Hildesheim 1977, here pp. 7, 39, 140, 224, 257. Hillgarth: Lull and Lullism, especially pp. 288– 294. Hotson: Alsted, pp. 44, 46, 87–89, 165–166. Bernhardi de Lavinheta Opera omnia, quibus tradidit artis Raymundi Lullii compendiosam explicationem, et eiusdam applicationem, Edente Johanne Henrico Alstedius. Coloniae 1612. Cf. Hotson, Alsted, especially pp. 44–47, 90–92, 163–172. See Platzeck’s introduction to Lavinheta: Explanatio, pp. 2, 31. Cf. for instance Erhard-Wolfram Platzeck: Raimund Lull. Sein Leben – Seine Werke. 2 vols. Rome 1962–1964, vol. 1, pp. 104–111; Robert D. F. Pring-Mill: The Trinitarian World-Picture of Ramón Lull, in: Romantisches Jahrbuch 7 (1955/56), pp. 229–256; Hillgarth: Lull and Lullism, pp. 20–21, 23, 134, 456–461 et ad indicem; and Mark D. Johnston: The Spiritual Logic of Ramon Lull. Oxford 1987, pp. 19, 104, 116, 203, 234, 237, 251, 294. Hotson: Alsted, pp. 170–171. After the first edition of Paris, 1507, Lefèvre’s translation was reprinted in Paris 1512/1513, Venezia 1514, Paris 1519/1520, Basel 1535, Basel 1539, Basel 1548, Basel

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despite the fact that it had been preceded by four other Latin versions, including the important one of Burgundio, none of these were ever printed;31 and Lefèvre’s new translation therefore represents the editio princeps of the De fide orthodoxa in Latin.32 During the following years, the translation of περιχvßρησις / περιχ vρεiqν with immeatio / immeare must have entered into circulation. It is employed, for instance, by the Benedictine Jacques de Billy (Billius). In his own translation of John Damascene’s De fide orthodoxa of 1577,33 de Billy abandons the translation of the passages on περιχvßρησις with the Latin circumincessio in favour of immeatio / immeare.34 Occasionally he uses other derivatives from the verb »meare« such as commeare / commeatio, or permeare – all already proposed, as we have seen, by Lefèvre.35 The translation of περιχvßρησις with immeatio is mentioned, although in a critical way, by the Jesuit Denys Petau in his Dogmata Theologica.36 On Lutheran side, immeare is used for instance by Martin Chemnitz.37 He employs it however only in a Christological sense, choosing instead the static word immanentia as a translation of περιχvßρησις in the Trinity. Immeatio appears again in a Christological context in support of the communicatio idiomatum in the work of the strict Lutheran Jonas Hoecker.38

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1559, Basel 1575, Paris 1577 and Paris 1603. For full references see the excellent bibliography included in Rice: Prefatory Epistles, pp. 535–568. The first partial Latin version, including only chapters 45–52 (or III 1–8), was done in Hungary before 1145, perhaps by Cerbanus. Burgundio’s version of 1153–1154 represents the first complete Latin translation, which was represented in a corrected form by Robert Grosseteste between 1235 and 1240. A fourth version is due to the Carmelite monk Johannes Baptista Panetius (d. 1497). Cf. Eligius M. Buytaert (ed.): De fide orthodoxa. Versions of Burgundio and Cerbanus. St. Bonaventure, N.Y. 1955, pp. vi–liv (especially pp. vii, xlviii–xlix). Cf. Rice: Prefatory Epistles, p. 163. Opera Ioannis Damasceni multo quam unquam antehac auctiora magnaque ex parte nunc de integro conversa per Iacobum Billium Prunaeum. Parisiis 1577. It was reprinted in 1603 and 1619. Between Lefèvre’s translation of 1507 and De Billy’s translation of 1577, there was another Latin version due to Henry Grave (1546). Cf. Buytaert (ed.): De fide orthodoxa, p. vii. See for instance D. Ioannis Damasceni de Orthodoxa Fide Accurata Expositio, Iacobo Billio [...] Interprete, Lib. IV, Cap. 19, in: S. Ioannis Damasceni Opera, multo quam unquam antehac auctiora, magnaque ex parte nunc de integro conversa. Per D. Iacobum Billium. Parisiis 1619, p. 484: »mutuam personarum inter se immeationem«. Cf. Deneffe: Perichoresis, circumincessio, circuminsessio, p. 510. See Stemmer: Perichorese, p. 37 and above, footnote 17. Cf. Denys Petau: Theologicorum dogmatum tomus Ius [– IVtus]. Lutetiae Parisiorum 1644– 1650, t. III, lib. 4, cap. 16: »De περιχvρhßσει, quam circuminsessionem vocant«. Petau critises both immeatio and circuminsessio as translations of περιχvßρησις. See Stemmer: Perichorese, p. 38 and Lamarra: Leibniz e la περιχvρησις, pp. 81–82. Cf. Martin Chemnitz: De Duabus Naturis In Christo. De Hypostatica Earum Unione. De Communicatione Idiomatum, Et De Aliis Quaestionibus Inde Dependentibus. Lipsiae 1578. See Stemmer: Perichorese, p. 42. See Jonas Hoecker: Pars Prior Speculi Logico-Theologici. Tubingae 1610, p. 52. It is interesting to note that the polemical target of this work are two authors of the Reformed community directly linked to Alsted and Bisterfeld: Bartholomäus Keckermann and

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The most direct sources from which Bisterfeld received the concept of immeatio, however, were presumably among the central European Reformed community within which he was educated. Three prominent members of that tradition are known to have used the term: Amandus Polanus of Polansdorf and Rudolph Goclenius – the teachers in Basle and Marburg respectively of his mentor and father-in-law, Johann Heinrich Alsted – and Alsted himself.39 In Polanus’s Syntagma Theologiae Christianae of 1610, the standard Greek term περιχvßρησις is used alongside the less common word eöμπεριχvßρησις, which (as can be seen in the passages from Bisterfeld’s works quoted above) Bisterfeld normally employs instead of περιχvßρησις.40 The prefix εμ- seems to stress the link between the concept of περιχvßρησις and the concept of immanentia.41 Polanus notes in fact that the Greek Fathers referred to the περιχvßρησις of the divine persons also as μονh?, mansio, that is to say, a staying, remaining; and likewise as eöμμονh?, immanentia, immanence. Moreover, Polanus lists among the Latin translations of the Greek concept of περιχvßρησις or eöμπεριχvßρησις, together with circumincessio and immanentia, the various derivatives of the verb meare already introduced by Jacques Lefèvre: immeatio, commeatio, and permeatio.42 He does not express any terminological preference however. More decisive in this respect is Rudolph Goclenius the Elder. In his Lexicon Philosophicum Graecum of 1615, Goclenius opens the article on περιχvßρησις by declaring that the idea of duorum vera penetratio, »true penetration of two things«, is still more accurately expressed by the variant term, eöμπεριχvßρησις.43 He also dismisses as a barbarism the Latin translation circu-

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Amandus Polanus of Polansdorf. The role played by this latter in the transmission of the concept of immeatio is expounded below. On Alsted’s teachers, see Ernst Staehelin: Amandus Polanus von Polansdorf. Basel 1955; Hotson: Alsted, pp. 11–12. Although less common than περιχvßρησις, eöμπεριχvßρησις is nevertheless attested, for instance, in one of the modern standard theological dictionaries, the Dictionnaire de Théologie Catholique, as one of the possible correspondents for the word circumincessio. See entry ›Circuminsession‹. Cf. Stemmer: Perichorese, p. 43. Amandus Polanus: Syntagma Theologiae Christianae. Hanoviae 1610, lib. III, cap. iix, ´ col. 1449: »περιχvßρησις, seu eöμπεριχvßρησις eöνaλληλος personarum divinarum, est illarum arctissima unio, quâ una persona est in alia, non ut accidens in subjecto, sed ita ut una persona aliam totam undique permeet et circumplectatur semper et inseparabiliter, propter unam et eandem numero essentiam, quam totam singulae personae possident [...] περιχvßρησις à Graecis vocatur perfectissimae unionis species, quâ res aliqua aliam totam complectitur et permeat: et non qualis est asserum quorum unus adjungitur alteri. Haec personarum divinarum περιχvßρησις appellatur etiam à Graecis Patribus iÄδρυσις, id est, sessio, sedes, constitutio; item μονh?, mansio; item eöμμονh? eöνaßλληλος, immanentia mutua, quâ personae divinae semper coëxistunt et manent una in alia. Patres Latini et Scholastici vocant circumincessionem, influentiam mutuam personarum, immanentiam mutuam, seu immeationem, seu commeationem, seu permeationem, item circumplexum.« Rudolph Goclenius: Lexicon Philosophicum Graecum. Marchioburgi 1615, p. 177: »περιχvßρησις dicitur signatius eöμπεριχvßρησις. Fitque vel cum duorum vera penetratione, ut in corporei in corpus.«

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mincessio.44 On the other hand, among the Latin words which correctly express the meaning of the Greek, he mentions the word immeatio, alongside the other derivatives of the verb meare.45 The student of both Polanus and Goclenius, Johann Heinrich Alsted mirrors his teachers in his presentation of the doctrine of περιχvßρησις but with one important philosophical addition, as we shall see shortly. A passage from his Theologia scholastica didactica of 1618, for instance, follows Polanus’s Syntagma Theologiae Christianae almost verbatim: Mutual in-exisistence is the most close union of those persons, through which one person is in the other, in such a manner that one person permeates [permeet] the entire other in every respect [...]. The Greeks call this περιχvßρησις, and eöμπεριχvßρησις eöνaßλληλος, that is mutual immanence or immeatio, circumincessio, mutual influence of the persons, commeatio, permeatio and circumplexus.46

In his Theologia Polemica of 1620, the same doctrine is summarized as follows: Therefore, finally, one person is in the other, [and] this is called περιχvßρησις and eöμπεριχvßρησις [...] that is to say, the mutual immeatio or immanentia or the most close union of all persons.47

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Ibidem: »Latini barbari vertunt circumincessionem.« Referring to the ancient, always recurring metaphor of incandescent iron used to indicate the idea of a perfect compenetration of two nature – iron and fire – which nevertheless remain distinct, Goclenius writes (ibidem, pp. 177–178): »περιχvßρησις primo est intima permeatio, pervasio, immeatio unius in alterum, ut ferrum vel carbo ignitur et candescit; per unionem et περιχvßρησιν. [...] Duorum περιχvßρησις est earum intra se immanentia. [...] περιχvßρησις interdum etiam accipitur pro mutua se reciproca commeatione, quae unionis hypostaticae effectum est.« In a specifically Trinitarian context, mentioning – as Polanus did – the concept of eöμμονh? and therefore stressing the idea of immanentia, he adds (ibidem): »Damascenus lib. I cap. II. vocat internam existentiam seu eöμμονh?ν unius personae divinae in altera, ratione cujus una persona habet quicquid perfectionis est in altera. [...] Sic Damascenus sed personarum ipsarum est perichoresis, seu immeatio, et immanentia, quia Filius seu Christus dicitur esse in patre, et Pater in Christo, et Spiritus Sancto in utroque«. Johann Heinrich Alsted: Theologia scholastica didactica. Hanoviae 1618, p. 113: »Mutua inexistentia est arctissima illarum personarum unio, qua una persona est in alia, ita ut una persona alteram totam undique permeet et circumplectatur semper et inseparabiliter propter unam numero essentiam [...] Graecis dicitur περιχvßρησις, et eöμπεριχvßρησις eöνaßλληλος, id est mutua immanentia vel immeatio, circumincessio, influentia mutua personarum, commeatio, permeatio et circumplexus.« See also ibidem, p. 119: »περιχvßρησις est perfectissima unionis species. Ex essentiae in tribus illis personis identitate ac singularissima seu maximè una unitate fluit περιχvßρησις, quae Patribus etiam dicitur iÄδρυσις, sessio, sedes and constitutio: item μονh?, mansio: item eöμμονh? eöνaßλληλος, immanentia mutua«; and Johann Heinrich Alsted: Compendium Theologicum, Exhibens Methodum SS. Theologiae. Hanoviae 1624, p. 208: »[…] quae unio arctissima Graecis Patribus dicitur περιχvßρησις, eöμπεριχvßρησις, et eöνaßλληλος περιχvßρησις, id est, mutua immanentia, immeatio, circuminsessio, influentia mutua personarum, commeatio, permeatio, et circumplexus.« Johann Heinrich Alsted: Theologia Polemica. Hanoviae 1620, p. 191: »Ideo denique; una persona est in alia, quae dicitur περιχvßρησις et eöμπεριχvßρησις [...] id est, mutua immeatio seu immanentia sive unio omnium arctissima.«

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The basic theological origins of the concept of immeatio employed by Bisterfeld can therefore be summarized as follows. The translation of περιχvßρησις as immeatio was first introduced, to the best of current knowledge, in the early sixteenth century by Jacques Lefèvre d’Etaples in order to restore the dynamic element of the doctrine of περιχvßρησις which had been progressively overshadowed by the translation circumincessio / circuminsessio. Although still rare, the word immeatio can be found as a possible alternative translation in the writings of Roman Catholic, Lutheran and Reformed authors. It stands to reason that three major, closely related representatives of this latter group – Polanus, Goclenius, and Alsted – would have been Bisterfeld’s immediate sources. And it therefore follows that the νους mentioned by Bisterfeld as preferring the translation immeatio over circumincessio refers, in the first instance, to these three authors and, more loosely, to the broad humanist circle interested in Ramón Lull, Nicholas of Cusa, scriptural philology and patristic theology to which Jacques Lefèvre belonged. However, although Bisterfeld seems to share with Goclenius a clear preference for the word eöμπεριχvßρησις over περιχvßρησις, and like Goclenius rejects the word circumincessio, he is the only one currently known to have singled out with such determination the word immeatio. As a matter of fact, in Goclenius the principal correspondent of the Greek περιχvßρησις or eöμπεριχvßρησις seems rather to be the concept of immanentia. Polanus, Alsted and even Lefèvre mention together with immeatio the other derivatives of the verb meare and stress alongside the dynamic element of the doctrine of περιχvßρησις the more static aspect expressed by the concept of immanentia. In the final main section of this paper I will therefore attempt to explain why Bisterfeld prefers the term immeatio to these other possibilities.

4. Philosophical origin So much then for the theological origin of the concept of immeatio. Let us now turn to the philosophical origin of the employment of the concept of immeatio in a broad ontological and epistemological sense. Who, to use Bisterfeld’s words, are the »sharp-witted philosophers« who first discovered »that immeatio is diffused throughout nature and also throughout the picture of nature, the encyclopaedia«? To the best of current knowledge, philosophers who employed the concept of immeatio in a philosophical sense are very few. Despite Loemker’s claim that »Bisterfeld’s broad use of [...] immeation seems to be borrowed from Bacon: De Augmentis Scientiarum [chapter] IV, 3« one looks in vain there to find even a mention of immeatio, let alone a broad use of the term.48 A more successful point of departure is to turn once again to Rudolph Goclenius. As befits a Lexicon Philosophicum, in his article περιχvßρησις, Goclenius outlines, alongside the theological meaning of the term, also its

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Loemker: Herborn Encyclopedists, p. 329, n. 21.

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significance as a philosophical concept. As a matter of fact, the first two kinds of περιχvßρησις which are discussed belong to the realm of the philosophy of nature: one is the περιχvßρησις between bodies, illustrated by the example of incandescent iron; the other is the περιχvßρησις of soul and body.49 The example of incandescent iron is a classical one, already found in Origen, Maximus the Confessor, and John Damascene as a metaphor pointing to the simultaneous union and distinction of the divine and human natures in Christ.50 Likewise, the idea of the perfect compenetration of soul and body to form a kind of union in which these remain nevertheless distinct is an ancient one, already present in Stoicism. It became a standard example constantly reiterated by Christian authors to claim the analogy between the mystery of the divine Being assuming human nature in the Incarnation and the existence de facto in nature of a union between two different natures, the spiritual and the corporeal. It is not surprising, therefore, that such an idea was seen as illustrating the concept of περιχvßρησις as well. But Goclenius also goes one crucial step further towards the use of περιχvßρησις as a general metaphysical concept. He clearly sees the case of περιχvßρησις of the soul in the body as a particular instance of the general περιχvßρησις of form and matter: The perichoresis of form is because manifestly it penetrates or pervades all the body’s parts […] likewise [perichoresis] of the Soul, which obviously is joined or rather united to the body so that it penetrates all its parts, and there is not even a small part of the body which does not have the soul or that is not animate.51

Moreover, Goclenius adds another kind of general ontological περιχvßρησις: the περιχvßρησις between substance and accidents: The perichoresis of the accident is because this latter penetrates all parts of substance, as the sweetness of honey [penetrates] all parts of honey, [or] the warmth of fire [penetrates] all parts of fire.52

A similar use of περιχvßρησις as a general ontological concept indicating the intimate way in which form permeates matter and, more particularly, the soul

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Cf. Goclenius: Lexicon Philosophicum Graecum, p. 177: »περιχvßρησις […] fit [...] vel cum duorum vera penetratione, ut incorporei in corpus. Talis […] est animae permeantis et circummeantis corpus suum, ut à se contentum, ita ut nulla pars sit corporis, in qua anima non sit per meatus spiritualis medium. Vel sine duorum propriè dicta penetratione, qualis est corporis in corpus: ea enim ferè impossibilis est: Talis est ferri igniti. [...] περιχvßρησις primo est intima permeatio, pervasio, immeatio unius in alterum, ut ferrum vel carbo ignitur et candescit; per unionem et περιχvßρησιν. Corpus humanu[m] totum animatur per περιχvßρησιν seu penetrationem.« See Origen: De principiis, Lib. II, Cap. 6, § 6 (PG 11: 213 f.) Goclenius: Lexicon Philosophicum Graecum, p. 178: »Formae perichoresis est quia videlicet omnes corporis partes penetrat, seu pervadit [...] etiam, Animae quae scilicet ita adjungitur, seu conjungitur potius corpori, et omnes illi[us] partes penetret, et nulla sit corporis particula, quae anima[m] non habeat seu non sit animata.« Ibidem: »Accidentis perichoresis est quia hoc penetrat omnes substantiae partes, ut mellis dulcedo omnes mellis partes, calor ignis omnes ignis partes.«

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permeates the body, is to be found in Alsted. For instance, in his Quaestiones theologicae published in 1627 he writes: What is the περιχvßρησις of the persons of the Holy Trinity? It is an incomprehensible mode, by which one [person] is in the other intimately, in a way greatly superior to that by which form περιχvρεiq matter.53

Even more interestingly, in his Theologia Scholastica Didactica of 1618, Alsted expresses the same idea by employing the Latin verb »immeare«: [T]he rational soul is called the form of the organic body and the first act by reason of [its] perfection, operation, and denomination. [I say] by reason of [its] perfection, because [the soul] immeates and permeates all the body as [its] internal form.54

At this point, a few remarks are in order. The first one is that in stressing the existence in nature of a kind of union in which difference is preserved, Goclenius is not, strictly speaking, adding a novel element to the concept of περιχvßρησις. Rather he is returning to the foreground something which had been implicit in the term from its very conception. As we have seen, the concept of περιχvßρησις ultimately originated in the philosophy of nature, in the idea of rotatory movement and in particular in the idea derived from Stoic physics of a kind of mixture in which bodies are really mixed in a way which preserved their own properties. The term was later adopted by the Church Fathers as a mean of expressing an analogy between something which de facto we are able of observing in nature and the mysteries of the Trinity and Incarnation, which are ultimately beyond our grasp. However, once it had been appropriated by theologians, the inverse process began. The embryonic intuition regarding a peculiar kind of physical unity in diversity reached new heights with the profound theological reflections which occupy the sharpest minds for over a millennium with the problem of thinking how the identity in diversity expressed by the concept of περιχvßρησις is possible in the divine sphere. So, in a process expressly described by Bisterfeld in the passages quoted at the outset of this paper, the concept of περιχvßρησις returns, greatly enriched, from theology to philosophy – this time to help explain central philosophical issues such as the relationship between form and matter or substance and accidents. It seems that precisely this kind of process underlies Goclenius’s transition from the presentation of some classic natural examples of this peculiar kind of unity in

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Johann Heinrich Alsted: Quaestiones theologicae. Francofurti 1627, p. 64: »Quid sit περιχvßρησις personarum SS. Trinitatis? Est modus incomprehensibilis, quo una est in alia intime, modo longe excellentiori, quam ille, quo forma περιχvρεiq materiam.« See also the following works by Alsted: Encyclopaedia Septem tomis distincta. Herbornae Nassoviorum 1630, p. 414; Prodromus Religionis Triumphantis. Albae Juliae 1635, p. 145: »Sic anima est tota in toto corpore, et tota est in corde, cerebro, et quâvis parte corporis, ut forma indivisibilis, per περιχvßρησιν indivisibilem. Haec enim est natura formae, praesentem esse toti formato, et singulis ejus partibus.« Johann Heinrich Alsted: Theologia Scholastica Didactica. Hanoviae 1618, p. 279: »anima rationalis dicitur forma corporis organici et primus actus ratione perfectionis, operationis, et denominationis. Ratione perfectionis; quia totum corpus immeat et permeat tanquam forma interna.«

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difference, such as the incandescent iron and the union of soul and body, to a general ontological concept such as the περιχvßρησις of form and matter or the περιχvßρησις of substance and accidents. Finally, it is worth noting that Goclenius too may have been working under Lullist influence: Alsted and a contemporary Catholic philosopher report that Goclenius »reread, re-examined, emended, corrected and restored« the Ars magna of Ramón Lull;55 he certainly composed a supplement to a work of Giordano Bruno;56 and it was evidently Goclenius’s colleagues in Marburg who introduced Alsted to the arts of Lull, memory, and Bruno, as well as the alchemical principles related to them.57 Goclenius remained, however, several steps removed from Bisterfeld’s specific use of the concept of immeatio as a general epistemological and ontological principle. As a matter of fact, one can describe Goclenius’s use of the term immeatio as a general philosophical concept only in a broad sense, that is to say, only in so far as the word immeatio is presented as one (although not the only or even the principal) correspondent of the Greek περιχvßρησις.58 That Goclenius, unlike Bisterfeld, did not perceived immeatio as a concept with a philosophical significance to some degree independent from its function as a translation of περιχvßρησις is attested by the fact that in Goclenius’s Lexicon Philosophicum of 1613, devoted to Latin terms, there is no entry for the word immeatio or for any of the derivatives from the verb meare. As far as I have been able to determine, the first specific use of the word immeatio as a terminus technicus expressing a genuinely philosophical concept is to be found in Alsted’s Trigae Canonicae.59 Published in 1612 (that is three years before Goclenius’s Lexicon Philosophicum Graecum), this is one of the young Alsted’s least studied but most important works. Leibniz, for instance, owed or cited a dozen works by Alsted, but it was the Trigae Canonicae which most interested him in his youth, although his imprecise allusions to it have only

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See the dedication of Lull: Ars magna, generalis et ultima. Francofurti 1596; the allusions to this in Alsted: Clavis artis lullianae. Strasbourg 1609, pp. 13–14; Hotson: Alsted, p. 56. Summa Terminorvm Metaphysicorum, Jordani Bruni Nolani: Accessit Eivsdem Praxis Descensus, seu applicatio Entis ex manuscripto, per Raphaelem Eglinum Iconium Tigurinum. Cum supplemento Rodolphi Goclenii. Marpvrgi Cattorvm 1609. For commentary, see the introduction and notes by Tullio Gregory and Eugenio Canone in the facsimile edition (Roma 1989); Hotson: Alsted, p. 63. Cf. Hotson: Alsted, pp. 50–65, 97–101, and, on the general alchemical background, Bruce T. Moran: The Alchemical World of the German Court: Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hessen (1572–1632). Stuttgart, 1991. Cf. for instance Goclenius: Lexicon Philosophicum Graecum, p. 177: »περιχvßρησις primo est intima permeatio, pervasio, immeatio unius in alterum, ut ferrum vel carbo ignitur et candescit; per unionem et περιχvßρησιν.« Johann Heinrich Alsted: Trigae canonicae, quarum prima est dilucida artis mnemologicae, vulgo memorativae [...] explicatio & applicatio. Secunda, est artis Lulliana [...] architectura & usus locupletissimus. Tertia, est artis oratoriae novum magisterium, quo continentur utilis introductio ad copiam rerum comparandam per tres rotas sive circulos generis demonstrativi, deliberativi, et indicialis: itemque ad comparandam copiam verborum per triangulum aliasque figuras. Francofurti 1612.

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recently been indentified.60 The three sections announced in the work’s title are dedicated to expounding the art of memory, the ars lulliana, and a combinatorial approach to the art of oratory. Within the second, Lullian section of the work, a full chapter – entitled De immeatione – discusses four kinds of immeatio or penetratio. Alsted’s basic definition of these two terms is as follows: Immeatio or penetratio is that by which the terms of one figure are predicated of one another. This is I. Of subjects. 2. 3. Of predicates, both absolute, and relative. 4. Of questions.61

Two things are immediately apparent from this introductory definition and division. The first is that the form of immeatio described here has shifted from the realm of metaphysics or ontology into that of epistemology, logic or rhetoric. The entities being mixed or combined are not theological or metaphysical – the persons of the Trinity, the divine and human natures, soul and body, form and matter, substance and accidents – but grammatical parts of speech, logical commonplaces, or the subject of a philosophical reflection or oratorical discourse. This becomes still clearer in the most interesting discussion which follows, which relates to the first kind of immeation, the immeatio subjectorum: The immeation of subjects is made through the seal of the whole and the seal of the encyclopaedia [per sigillum Universitatis et Encyclopaediae]. The sigillum universitatis is a mode, by which every thing [omnia] is said of every thing [de omnibus]. For instance, [if something is] to be said of God, one will consider the heavens, angel, man: [if something is] to be said of man, one could compare him to an amulet, a flower, a wolf, a sheep. The sigillum encyclopaediae is a mode, by which one subject is conducted through the various disciplines. So for instance man is considered theologically, physically, ethically. The thing considered is the same, but the way in which it is considered [modus considerandi] is varied.62

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Cf. A VI,1, 192, 203, 278; and Howard Hotson: Alsted and Leibniz: A Preliminary Survey of a Neglected Relationship, in: Leibniz und Europa. VI. Internationaler Leibniz-Kongress. 2 vols. Hannover 1994, vol. 1, pp. 358–359. Alsted: Trigae Canonicae, p. 104: »Immeatio seu penetratio est, qua unius figurae termini de se invicem praedicantur. Ea est I. Subjectorum. 2. 3. Praedicatorum, tàm absolutorum, quàm respectivorum. 4. Quaestionum.« Ibidem, pp. 104–105: »Immeatio subjectorum fit per sigillum Universitatis et Encyclopaediae. Sigillum universitatis est modus, quo omnia de omnibus dicuntur. e. g. dicturus de Deo, considerabit coelum, Angelum, hominem: dicturus de homine, eum potest comparare bullae, flori, lupo, ovi. Sigillum encyclopaediae est modus, quo unum subjectum deducitur per varias disciplinas. Sic v. g. homo consideratur Theologicè, Physicè, Ethicè. Res considerata est eadem, sed modus considerandi est alius atque alius.« See also pp. 119–121. In the late work Prodromus Religionis Triumphantis, Alsted uses the term immeatio also to refer to the intimate presence of God in the universe (pp. 145–147): »Nobilior autem longè et perfectior est περιχvßρησιν illa, quâ Deus περιχvρεiq totum universum, et singulas ejus partes. Magis enim pendent res à Deo, quàm formatum à formâ, et corpus nostrum ab animâ. […] Deus est […] totaliter totum: et proinde totus est in toto mundo, non per extensionem, et totus in quâlibet mundi parte, non per contractionem: sed ubi est, ibi totus est per

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Alsted writes several times in his early works of the sigillum universitatis and sigillum encyclopaediae mentioned in this passage, and these multiple descriptions help articulate more fully the logical and rhetorical function of immeatio as described in the Trigae Canonicae. As Howard Hotson has recently summarized these passages, the sigillum universitatis »prompts the orator’s memory by running down the great chain of being and considering the ways in which the things on it differ, agree, or contradict one another«; the sigillum encyclopaediae »advises, that, when one needs to speak on any topic whatever, one can run through the whole encyclopaedia and select from the individual disciplines that which relates to the theme«.63 The oratorical employment of these sigilla is fully explicit in most of Alsted’s other discussions of these two sigilla, all but one of which are found in works devoted to oratory, rhetoric, or the ars copiae verborum.64 Alsted is therefore using the term immeatio here to refer to the infinite mutual relations between words or concepts from which an infinite number of different possible combinations can be derived. I think that one is justified in speaking of infinite mutual relations and infinite combinations on the basis of Alsted’s very strong claim that the sigillum universitatis is a mode whereby everything (omnia) is predicated of everything (de omnibus).65 I will come back to this important point shortly. The second and no less important observation is that this shift from metaphysical to epistemological or rhetorical employments of the term immeatio takes place in the context of an exposition, not of Trinitarian theology or Christology, but of the art of Ramón Lull. Once again, the history of the term immeatio manifests its persistent association with Lullism. It emerged, as far as we know, in the theological translations of one Lullist, Jacques Lefèvre d’Etaples; it was applied to metaphysics by a second Lullist, Rudolph Goclenius the Elder; and it was applied to the epistemological domain and developed into a philosophical terminus technicus by a third Lullist, Johann Heinrich Alsted. This persistent association is not difficult to account for: as noted already above, the three strands of Trinitarian theology, the metaphysics of universal harmony, and the methods of combinatorial logic were already brought together by Ramón

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intimam immeationem, seu περιχvßρησιν. […] Deus non est aequalis rei, in quâ existit, nec illâ minor: quia non includitur in re, sed illam immeat seu circumscribit penitissimè.« Hotson: Alsted, p. 166. Cf. Alsted: Systema mnemonicum duplex. Francofurti 1609, vol. 1, p. 129 (in lib. iv: Idea de mnemonica speciali, pp. 127–136, which treats the application of the arts of memory to oratory); Alsted: Consiliarius academicus et scholasticus. Argentorati, 1610, pp. 151–152 (in Consilium […] de copiâ rerum et verborum, pp. 151–165); Alsted: Orator. Herbornae Nassoviorum 1612, p. 54; Cursus philosophici encyclopaedia. 2 vols. Herbornae Nassoviorum 1620, vol. 2, col. 639 (in lib. xxv: Oratoria); Encyclopaedia septem tomis distincta. 7 vols. in 2 tomes. Herbornae Nassoviorum 1630, pp. 478, 2339 (in books on Oratoria and the Ars copiae rerum et verborum, respectively). The only exception is Alsted’s Philosophia dignè restituta: libros quatuor praecognitorum philosophicorum complectens. Herbornae Nassoviorum 1612, pp. 419–420, where the »sigillum technologiae, sive encyclopaediae« is introduced to display the utility of »technologia«. It is interesting to note that both Bruno and Alsted use the term »infinite« combinatorially (cf. Hotson: Alsted, p. 171, n. 140).

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Lull himself and associated again in the Parisian circle of Lefèvre, Bovelles, and Lavinheta. What is particularly striking in this instance is the emergence of an apparently new, combinatorial usage of the term not merely by a Lullist but in the course of an exposition of the Lullian art itself, and one written by a young man at the very outset of his philosophical career. Given Alsted’s now well documented practice of reproducing his sources virtually verbatim,66 it is not unlikely that the substance of the chapter ›De immeatione‹ in the Trigae Canonicae will eventually be traced to an earlier work from the Lullist tradition rejuvenated by Lefèvre. In tracing this transfer, the parallel passages in Alsted’s other writings supply a tantalizing lead. In several of Alsted’s discussions of the sigillum universitatis and sigillum encyclopaediae, Alsted explicitly identifies the source of these two »seals« as Giordano Bruno, sometimes more precisely specifying Bruno’s treatise De triginta sigillis.67 This apparently straightforward reference, however, is in fact highly problematic. None of the thirty »seals« described in Bruno’s De triginta sigillis, in fact, is entitled sigillum universitatis nor sigillum encyclopaediae. Nor do any of them describe combinatorial procedures closely related to those which Alsted repeatedly rehearses under these two headings. Consultation of the electronic edition of Bruno’s complete published writings reveals, moreover, that he never used either of these two phrases. The word immeatio likewise does not occur in any of Bruno’s published works, and only one derivative of meare – »commeatio« – appears in a single instance in Bruno’s De imaginum compositione.68 Clearly, therefore, either Alsted’s repeated attribution of these two sigilla to Bruno is simply mistaken, or it refers to genuine but unpublished Bruniana. This intriguing latter possibility opens lines of inquiry too complex to be pursued here; and for the moment we must be content with the tantalizingly incomplete suggestion that another of the Lullian philosophers contributing to the origins of Bisterfeld’s use of immeatio may have been Giordano Bruno. Alsted’s first philosophical employment of the term immeatio was not his last, although a gap of almost two decades separated his first and second known philosophical usage. Immediately after the publication of the Trigae Canonicae and the edition of Lavinheta in 1612, Alsted withdrew his combinatorial

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Cf. for instance Alsted and Leibniz on God, the Magistrate and the Millennium. Ed. with introductions and commentary by Maria Rosa Antognazza and Howard Hotson. Wiesbaden 1998, especially the passages listed on p. 29, n. 25; Hotson: Alsted, pp. 8, 66, n. 1; and Hotson: Paradise Postponed, pp. 46–48, 55–57, 62–65, 89, 103–104, 121–122, 126–127, 141–142, 145–149, 175–202. See ibidem, pp. 142–143. Cf. Hotson: Alsted, p. 93, n. 125 and p. 166. Giordano Bruno: De imaginum compositione. Francofurti 1591, in: Opera latine conscripta. Ed. Francesco Fiorentino, Vittorio Imbriani, Carlo M. Tallarigo, Felice Tocco and Gerolamo Vitelli. 3 in 8 vols. Napoli – Firenze 1879–1891, vol. II.3, p. 132. I owe this reference to Professor Wolfgang Neuser who consulted for me the CD-ROM edition of Bruno’s complete published writings. (Giordano Bruno: Opera Omnia. Ed. Roberto Bombacigno and Sandro Mancini. 1 CD-ROM, Philosophica. Edizioni elettroniche per la filosofia).

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interests almost entirely from his published work.69 They do not resurface until the definitive edition of his complete Encyclopaedia in 1630, where the term immeatio reappears once again in a similar combinatorial setting.70 The concluding, miscellaneous section of the Encyclopaedia includes three related treatises on what Alsted calls ›Cyclognomonica‹ or the »art of ably discussing anything knowable with the aid of dialectical or didactic circles«. The first of these three treatises contains another brief exposition of the art of Ramón Lull. The other two treatises expound the ars copiae verborum (the »art of the abundance of words«) and the ars copiae rerum (the »art of the abundance of things«). Here the oratorical and rhetorical possibilities of combinatoria, already evident in his early works, are again in the foreground. Taking up a general humanistic aspiration epitomized in Erasmus’s De duplici copia rerum et verborum, Alsted presents in his ars copiae rerum and ars copiae verborum the rhetorical arts, respectively, of constructing a net of related topics to be discussed and of finding (or »inventing«) the words to discuss them, by mean of the infinite possible combinations of terms inscribed on combinatorial circles. In the course of this application of combinatorial methods to the ars copiae rerum, Alsted again introduces the term immeatio: Immeatio, by which one subject receives all predicates [omnia praedicata], particularly helps the abundance of things [copiam rerum]. Now this immeatio is most easily set up in this way. At first take two words, like God, peace: then three, like God, peace, promoter: thirdly [take] four, like God, peace, promoter, preserves, and so on. Then refer these first notions to Logic, and you will see easily the ground of their combination [rationem combinandi]: since God and peace are cause and effect. And so you say, God is the author of peace, peace is from God, God gives and preserves peace.71

It is clear that Alsted is describing here in particular what in the Trigae Canonicae he called immeatio subjectorum per sigillum universitatis and per sigillum encyclopaediae (the immeatio of subjects through the seal of the whole and through the seal of the encyclopaedia). The chief importance of the three treatises on ›Cyclognomonica‹ is not to be found in any of the individual combinatorial instruments described in them but in their general goal of recasting Alsted’s entire Encyclopaedia in fully combinatorial form. After relocating to Transylvania while his masterwork was in press, Alsted dedicated much of his effort during the final eight years of his life to the pursuit of this goal. His plan, intimated in several publications, was to publish the basic architecture of this combinatorial encyclopaedia in a work

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For the circumstances of this withdrawal, see Hotson: Alsted, ch. 3, especially pp. 95–96. On this late re-emergence of Alsted’s combinatorial interests, see Hotson: Alsted, pp. 163– 177, here especially pp. 163–164. Alsted: Encyclopaedia, p. 2340: »Immeatio, quâ unum subjectum recipit omnia praedicata, unicè juvat copiam rerum. Ista autem immeatio facilissimè instituitur hoc modo. Primò sume duo vocabula, ut, Deus, pax: deinde tria, ut Deus, pax, fautor: tertiò quatuor, ut Deus, pax, fautor, conservat, et ita deinceps. Tum notiones istas primas refer ad Logicam, et facilè videbis rationem combinandi: ut Deus et pax sunt causa et effectum. Dices itaque, Deus est author pacis, Pax est à Deo, Deus dat et conservat pacem.«

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entitled the Colophon de reformatione philosophiae ac reliquarum facultatum.72 The most complete extant description of the Colophon and the combinatorial encyclopaedia which was to be described within it is found in a pamphlet dated 1637 and entitled simply Veraedus, preserved in a single known copy in Prague.73 This pamphlet also contains Alsted’s last and most mature philosophical employment of the term immeatio. The basic proposal outlined in the Veraedus was to construct an encyclopaedic set of combinatorial circles which could be arranged concentrically to assist the contemplation or discussion of any particular question. The entire set was to consist of combinatorial circles operating at three different levels of generality: a single circulus generalissimus containing the most general terms (of logic, grammar, rhetoric, and metaphysics) which pertain to every possible topic of discussion or contemplation; a set of circuli generales containing the terms proper to each individual discipline; and a more specialised set of circuli specialissimi containing the terms of the main parts of the individual disciplines. In undertaking to think, write, or argue on any given subject, one would first select the special and general circles pertinent to the particular object of study and then place these circles concentrically within the circulus generalissimus. By rotating first one circle, then another, Alsted advised, the terms on the three circles could then »be affirmed or denied of the question at issue, either singly or in combination, and this in infinite ways«. In this way, »thoughts [sententiae] are first multiplied, then each one is explained, proved, or amplified, and this by benefit of immeation [beneficio immeationis], through which any term can be conjoined with any other in affirming, denying, comparing, [or] drawing through prepositions and conjunctions.«74 What Alsted is describing here is essentially a fully developed version of the sigillum encyclopaediae. This mature text, however, prompts the orator or philosopher not merely to glean material from a cursory perusal of the encyclopaedia. Rather, it promises to conduct him through it methodically, with the aid of a carefully constructed set of combinatorial circles containing the terms governing the encyclopaedia as a whole, its individual disciplines, and their relevant parts. Moreover, this process is intended not only to multiply thoughts, to explicate particulars, to amplify statements, or to generate varying rhetorical forms of expression by altering prepositions, conjunctions and other parts of speech, as in the case of the artes copiae rerum et verborum. Rather, this combinatorial procedure is also designed to test (probare) all the statements thus generated

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See Hotson: Alsted, pp. 168–170, 172–176. Johann Heinrich Alsted: Veraedus. 2nd ed. [the place and date of the 1st edition are unknown], Albae Juliae 1637. Alsted: Veraedus, p. 7: »Quare si meditatio, scriptio, vel dissertatio aliqua sit suscipienda, oportet ita statuere, rem propositam esse veluti centrum, et terminos disciplinarum constituere circumferentiam. Proinde illi termini vel singuli, vel combinati, idque infinitis modis, possunt de re proposita affirmari vel negari. [...] ita ut primò multiplicentur sententiae, deinde singulae explicentur, probentur, vel amplificentur, idque beneficio immeationis, quâ fit, ut quilibet terminus cum quolibet possit conjungi affirmando, negando, comparando, ducendo per praepositiones et conjunctiones.« Cf. the discussion in Hotson: Alsted, pp. 174–175.

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against the complete corpus of universal and particular principles which constitute the core of the encyclopaedia, and thereby to affirm or deny their truth. The oratorical and rhetorical functions emphasized in Alsted’s earlier treatments of these combinatorial methods have now been supplemented by a properly philosophical function; and this function depends precisely on Alsted’s decision to derive the terms on his combinatorial circles, not from the divine attributes (as Lull had) or from the links in the great chain of being (as in the sigillum universitatis) but from the general, special, and most special principles of the encyclopaedia itself. Once again, this Brunian or pseudo-Brunian sigillum encyclopaediae seems intimately related to Alsted’s use of the term immeatio. And this introduces the most significant point of all for present purposes: in the Veraedus, »immeatio« is used for the first time as a technical, philosophical term designating the intellectual procedures at the very core of a combinatorial encyclopaedia. Alsted, therefore, gradually developed the concept of immeatio into a technical philosophical tool employed first in oratory and rhetoric, then more properly in philosophy, and eventually imbedded it at the core of his planned combinatorial encyclopaedia; and this gradual development clearly paved the way for Bisterfeld’s use of immeatio. In particular Alsted’s discussion of the immeatio or penetratio by which terms are predicated of one another and from which infinite combinations originate seems to be developing the use of the term very much in the direction of what Bisterfeld will call immeatio mentalis. Bisterfeld writes in fact in his Logica: Immeatio mentalis is the unspeakable and inexplicable penetration of thoughts [cogitationum penetratio], by which one concept bears, nourishes, and grows another [...] Hence arises the inexhaustible immeatio and abundance of words [copia verborum].75

In Bisterfeld, however, the immeatio mentalis, that is the »mutual union and communion of human thoughts«,76 finds its »basis and norm«77 in the immeatio realis, that is in the »mutual union and communion of things occurring in nature«.78 In other words, the universal concourse, combination, and complication of relations between human thoughts are a mirror at the epistemological level of the universal concourse, combination, and complication of relations between things at the ontological level.79 Now, it seems to me plausible to think that with

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Bisterfeld: Logica, p. 18: »Immeatio mentalis ineffabilis est inexplicabilis cogitationum penetratio, quâ unus conceptus alterum parit, nutrit, ac auget [...] Hinc oritur inexhausta verborum immeatio ac copia.« Cf. also Bisterfeld: Elementorum Logicorum Libri Tres, p. 6: »Immeatio est, relationum concursus, quo unum argumentum admittit aliud.« Bisterfeld: Elementorum Logicorum Libri Tres, p. 7: »Immeatio mentalis est, mutua cogitationum humanarum unio ac communio«. Bisterfeld: Logica, p. 18. Bisterfeld: Elementorum Logicorum Libri Tres, p. 6: »[Immeatio] Realis, est mutua rerum in natura occurrentium unio et communio«. Cf. Bisterfeld: Philosophiae Primae Seminarium, pp. 185–186: »Plané mirifica, est, relationum, tum varietas, tum societas. [...] universa Logica, nihil est aliud, quám relationum speculum. Hanc varietatem excipit mira relationum societas, quam Graeci eöμπεριχvßρησιν, circumincessionem, nos, immeationem, vocare solemus: quae nihil est aliud, quam varius

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this doctrine of immeatio realis Bisterfeld is explicitly expressing the metaphysical conditio sine qua non implicit in Alsted’s strong claim that, due to the immeatio subjectorum per sigillum universitatis, everything (omnia) is predicated of everything (de omnibus). Bisterfeld points out in the most forceful way that everything can be predicated of everything at the epistemological level, because, and only because, at the ontological level there is an universal »mutual union and communion of things«. As he puts it in his Logica, the deepest metaphysical structure of the world reveals an »Immeatio generalis [...] by which all things [omnes res], even those most distant from one another, agree [conveniunt] at least in something« so that »nothing in all of nature is so absolute that it does not have an intrinsic relation to another [quin intrinsecum ad aliud habeat respectum]«.80 On the basis of the foregoing discussion, it is possible to discern three distinct roots of the concept of immeatio as employed by Bisterfeld: one theological, one metaphysical or ontological, and one logical or epistemological. The oldest and most profound was the theological strand, generated from a millennium of intense reflection on fundamental problems of Trinitarian theology and Christology, expressed by the Greek Fathers as περιχvßρησις, translated by the medieval schoolmen as circumincessio and circuminsessio, eventually restored to its original dynamic conception through Lefèvre’s rendering as immeatio. Its function in Bisterfeld’s philosophy is two-fold: it grounded his system theologically, and deepened the conceptions of relations at the heart of both metaphysics and epistemology. Of far more recent origin was a metaphysical strand, which we have found developed in the work of Alsted’s teacher, Rudolph Goclenius. In his Lexicon Philosophicum Graecum, a crowning achievement and standard reference work of the central European Reformed community in which Bisterfeld was educated, Goclenius returned to the foreground something which had always been implicit in the concept of περιχvßρησις: namely the idea that there exists in nature a kind of unity in which diversity is preserved. After centuries of sustained theological reflection on how this kind of unity is possible in the divine sphere, the concept of περιχvßρησις returned to philosophy. Goclenius and, probably following him, Alsted, used the concept of περιχvßρησις in a broad ontological sense to describe the περιχvßρησις between form and matter and the περιχvßρησις of substance and accidents. Once fully developed by Bisterfeld, this would become the immeatio realis. Finally, the strand developed most recently, most immediately in Bisterfeld’s context, and most directly in relation to his philosophical project was the logical or epistemological strand, initiated (as far as we know) in Alsted’s Trigae Canonicae of 1612 and reaching its most mature published formulation in

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relationum concursus, combinatio, et complicatio. Haec, in universâ Encyclopaediâ, praesertim in profundiori rerum anatome, utramque facit paginam.« Bisterfeld: Logica, p. 18: »Immeatio generalis est, quâ omnes res, etiam inter se maximè distantes, saltem in aliquibus conveniunt. Hujus radix est, primò, quòd nihil in universâ rerum naturâ sit tam absolutum, quin intrinsecum ad aliud habeat respectum«.

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his Veraedus of 1637. This would be developed by Bisterfeld’s immeatio mentalis. All three of these strands, it should be noted, were evident in the writings of Bisterfeld’s immediate predecessor: his father-in-law, Johann Heinrich Alsted. His theological works abound with applications of the term immeatio to Trinitarian theology and Christology; he appears to have followed Goclenius’s tentative metaphysical application of the term to describe the relationship between form and matter, substance and accidents; and his earliest and latest writings contain the only known applications of immeatio to the combinatorial methods underlying Bisterfeld’s encyclopaedic schemes. Moreover, the continuity between Alsted and Bisterfeld was almost certainly greater than that illustrated by the preserved texts.81 Alsted died late in 1638, only one year after the preserved edition of the Veraedus. The Colophon de reformatione philosophiae, announced in the Veraedus, with its detailed formulae for recasting the Encyclopaedia in fully combinatorial form, therefore remained in manuscript. But at Alsted’s death, his unpublished manuscripts – presumably including the Colophon – passed to his son-in-law, Johann Heinrich Bisterfeld. Some of these manuscripts were apparently released for publication: several of Alsted’s theological writings, at any rate, appeared from presses in Herborn and Transylvania after his death.82 But Bisterfeld resisted the injunctions of his friends to publish Alsted’s manuscript philosophical works. Indeed it was not until two years after his own death in 1655 that the bulk of Bisterfeld’s philosophical writings were published for the first time in Leiden. The brilliant philosophical vision which they contained – centred around the theological, metaphysical, and epistemological implications of universal harmony as immeatio – which so strongly appealed to the young Leibniz, was evidently the mature fruit of a long tradition, the various strands of which had been woven together by his teacher and father-in-law for a quarter century after 1612. Before concluding, one further cluster of texts employing the term immeatio and its cognates must be briefly examined: the usage of the term in the archive of papers assembled by the Anglo-German intelligencer, Samuel Hartlib. Hartlib’s archive and the activities it documents are of the first importance: Hartlib and his two close associates – the Scottish irenicist, John Dury, and the Moravian pedagogue and pansophist, Jan Amos Comenius – epitomized much of the international Reformed intellectual world in general in the mid-seventeenth century and that of the British Isles in particular, where their activities helped lay the foundations for the Royal Society of London.83 The usage of the term

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On the following, see Hotson: Alsted, pp. 176–177, 180–181. Alsted: Turris Babel destructa. Herbornae Nassoviorum 1639; idem: Trifolium propheticum. Herbornae Nassoviorum, 1640; and Prodromus religionis triumphantis. Albae-Iuliae 1635 (actually 1641). On this latter date, and Bisterfeld’s role in preparing it for publication, see Hotson: Alsted, pp. 162–163. On the Hartlib circle see the following studies: George Henry Turnbull: Hartlib, Dury and Comenius: Gleanings from Hartlib’s Papers. London 1947; Hugh R. Trevor-Roper: Three Foreigners: The Philosophers of the Puritan Revolution, in: idem: Religion, the Reforma-

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immeatio in a half dozen different documents within Hartlib’s papers has previously gone unremarked; and since the three of these documents which are dated all precede the posthumous publication of Bisterfeld’s writings, they also should be examined as possible sources of Bisterfeld’s use of the term. The relationship between the two Herborn professors in Transylvania and Hartlib’s circle centred around London has never been systematically explored; but it is evident that they were in frequent contact with one another throughout the late 1630s, despite the great geographical distance between them. The young Comenius had fallen profoundly under Alsted’s influence during his two years of study at the Herborn academy in 1611–1613,84 and a letter from the former student to his teacher is preserved from 1633.85 In 1634, when Hartlib drew up his first list of potential participants in a pan-European ›Societas Reformatorum et Correspondency‹, Bisterfeld and Alsted very nearly topped the list.86 In the same year, Dury, near the outset of his life-long irenical activities, established contact with Alsted and Bisterfeld;87 and in 1638 and 1639 Dury met and corresponded further with Bisterfeld.88 Of the three dated usages of immeatio in Hartlib’s papers, the earliest is found in a letter from Dury of 4 September 1639 – immediately after his most intensive contact with Bisterfeld. Of the over six hundred letters from Dury in Hartlib’s archive, moreover, this is the only one to employ the term immeatio; yet in this letter Dury uses it and its cognates a dozen times to signify the kind of unity which should reign among Christians in the image of the most profound harmony which unites the persons of the Trinity.89 Dury’s letter therefore documents a momentary fascination with the term, apparently deriving from intense discussions with Bisterfeld. The second earliest dated usage in the papers is in a letter from Bisterfeld himself to Comenius in 1643, which discusses the immeatio of metaphysical terms.90 The third dated

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tion and Social Change [1967]. 3rd edn., London 1984, pp. 237–293; Charles Webster: The Great Instauration: Science, Medicine and Reform, 1626–1660. London 1975; Mark Greengrass, Michael Leslie, and Timothy Raylor (eds.): Samuel Hartlib and Universal Reformation: Studies in Intellectual Communication. Cambridge 1994. On Comenius’s studies under Alsted, see most recently Franz Hofmann: Der enzyklopädische Impuls J. H. Alsteds und sein Gestaltwandel im Werke des J. A. Komenský, in: Hans Schaller (ed.): Comenius. Erkennen – Glauben – Handeln. Sankt Augustin 1985, pp. 22–29; Gerhard Menk: Johann Amos Comenius und die Hohe Schule Herborn, in: Acta Comeniana 8 (1989), pp. 41–59; Hotson: Paradise Postponed, pp. 15–17, 22–26 et passim. Adolf Patera (ed.): Jana Amoso Komenského Korrespondence. Prague 1892, p. 17. Johannes Kvacala (ed.): Die pädagogische Reform des Comenius in Deutschland bis zum Ausgange des XVII. Jahrhunderts. Berlin 1903/04 [Monumenta Germaniae Paedagogica, vols. 26 and 32], vol. 26, pp. 45–46. Kvacala: Bisterfeld, pp. 50–54; Hotson: Alsted, pp. 125–126; Murdoch: Calvinism on the Frontier, p. 132. See Milada Blekastad: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komenský. Oslo – Prague 1969, pp. 288–290. Cf. Samuel Hartlib: The Hartlib Papers. 2 CD-ROMs. Ann Arbor 1995, folio 1/21/1A–B and 6A–14B (hereafter HP 1/21/1A–B, 6A–14B). Cf. Johann Heinrich Bisterfeld to Johann Amos Comenius (9 January 1643), HP 7/63/1b– 2a: »Magnum omnino negotium Metaphysicorum terminorum intricata ambiguitas ac immeatio mihi fa cessit«.

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usage is found in a letter probably written a couple of years later by one of Hartlib’s most frequent English correspondents, Sir Cheney Culpeper, whose use of the term »immeations« represents the first known translation of immeatio in any vernacular. More precisely, Culpeper’s discussion of »the complications and immeations of euery thowght or thinge« betrays awareness of both the epistemological and the metaphysical dimensions of the doctrine – Bisterfeld’s immeatio mentalis and immeatio realis.91 Three other anonymous and undated documents preserved amongst Hartlib’s papers display the use of the term in a still wider range of contexts. In a brief treatise on the topics to be treated in metaphysics, immeatio is used in discussing the theory of relations.92 In a treatise on the method of teaching logic, immeatio returns to indicate kindred arguments.93 In a third treatise on logic, immeatio is used to indicate the close relationship between the faculties in the soul, in analogy with the general rerum harmonia to be found in the world.94 What is particularly striking in even the most cursory examination of these texts is the obvious relevance of the term immeatio to several of the intellectual ideals at the very core of Hartlib’s circle, including ecclesiastical reunification, pansophia, and pedagogy. A full exposition of the origin and significance of these documents and usages therefore promises to illuminate the close intellectual kinship between the Herborn school, the Hartlib circle, and several of the intellectual aspirations most characteristic of the young Leibniz. For the time being, however, it suffices to conclude that this usage appears to pass from Alsted and Bisterfeld to Hartlib, Dury, Comenius and their circle, and not in the other direction.

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Culpeper to Hartlib, n.d. [Autum 1645], HP 13/295a; published in Michael J. Braddick and Mark Greengrass (eds.): The Letters of Sir Cheney Culpeper, 1641–1657, in SeventeenthCentury Political and Financial Papers [Camden Miscellany XXXIII / Camden Fifth Series, vol. 7]. Cambridge,1996) pp. 105–402, here p. 244. Breuis Consignatio materiarum quae in Metaphysicis tractanda veniunt, HP 38/8/13B– 14A, especially 38/8/14A: »Relationes ad res simul productas sunt quibus res Naturales sese mutuò tangent et immeant ad constitutionem universitatis, suntque quasi radij quos in seinvicem projiciunt.« Cf. Methodum Tradendae Logices Ex Meo Judicio Sic Delineo, HP 24/17/2b: »Consanguinitas argumenti est vel in linea recta vel in linea collaterali […] In linea recta est cognatio immeationis et cognatio productionis. […] Per cognationem immeationis«. Cf. also HP 24/16/11b. Cf. Transformatio Specialis Doctrinae Logicae (part 2), HP 24/16/11a: »Certè quod in mundo est rerum Harmonia, quod in Corpore humano membrorum sympathia; quod in membris nervorum consensio: quod in anima facultatum reciproca immeatio; quod in concurrentibus facultatibus communis actio: hoc ipsum in Ecclesia Dei est mutua fidelium communio per Charitatem.«

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5. Conclusion Why finally did Bisterfeld single out with such determination precisely this term, immeatio, as the best way to express that idea of diversitas identitate compensata which – as Thomas Leinkauf has maintained – was expressed by Nicholas of Cusa’s concept of »contractio«, Ives de Paris’s complicative »alliance« of things, Georg Ritschels’s »sociabilitas«, Athanasius Kircher’s »catena similitudinum«, and Leibniz’s thought of compossibility?95 I would like to conclude my paper with a few tentative answers to this question. The first broad answer follows from the fact that Bisterfeld recognises in nature a true and proper analogia Trinitatis. So the concept of περιχvßρησις, translated as immeatio and traditionally used to refer to the identity in diversity of the three divine persons, is not just a stimulating theological concept which can be usefully applied to the realm of nature in order to describe the panharmony of all things. Rather, to quote Bisterfeld, this »panharmony of all things is founded in the most holy Trinity, and this itself is the source, norm and end of all order.«96 In other words, the identity in difference of the triune nature of God is reflected in the ontological constitution of creation, of which the Trinity is the source and the norm. In using a term directly derived from Trinitarian theology, Bisterfeld was expressing this ontological link. Why, however, did he chose precisely immeatio and not the Greek itself or another, more common translation? With the choice of the term immeatio, I believe, he intended to stress the dynamic aspect of his doctrine. The mutual union and communion of all things is not so much the function of a static immanence of things in one another. Rather it is the function of the dynamic »concourse, combination and complication of relations«. All things immeant, that is »go in« one another, because in the ontological constitution of every thing there is inscribed a structural esse ad aliud, so that if one thing is given, also this aliud (»other«) must be given. In Bisterfeld’s words, no being in nature is so absolute »quin intrinsecum ad aliud habeat respectum« [»that it does not have an intrinsic relation to another«].97 In order to stress this dynamic character of the »union and communion of things«, even the Greek eöμπεριχvßρησις – in

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Leinkauf: »Diversitas identitate compensata«, II, p. 93. Cf. Bisterfeld: Philosophiae Primae Seminarium, p. 132: »nisi veritati manifestam vim facere velimus, fatendum est, omnium rerum panharmoniam fundari in Sacro-sanctâ Trinitate, ipsamque esse omnis ordinis fontem, normam, et finem. Ipsâ cognitâ et agnitâ, universa natura et Scriptura, mera lux est: ipsâ, ignoratâ, vel negatâ, nil nisi tenebrae et horrendum chaos«; ibidem, p. 186: »Admirabilis veró haec, tum varietas, tum societas, relationum, primó et ultimó fundatur, in adorando S.S. Trinitatis mysterio.« On the Trinitarian foundation of Bisterfeld’s doctrine of universal harmony see Antognazza: Immeatio and emperichoresis, especially pp. 46–52. Cf. Bisterfeld: Logica, p. 18: »nihil in universâ rerum naturâ sit tam absolutum, quin intrinsecum ad aliud habeat respectum«; Bisterfeld: Philosophiae Primae Seminarium, p. 33: »Nullum Ens tám est absolutum, quin intimum eumque varium includat respectum«. Leibniz comments (Notae ad Joh. Henricum Bisterfeldium, A VI, 1, 153): »nullum Ens praeter Deum solum esse potest. Omne Ens etiam Deus cum alio est.«

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which, as we have seen, the prefix εμ- reinforces the aspect of immanence – seems less apt than the Latin immeatio. But there is yet another reason, I think, which explains Bisterfeld’s preference for this unusual Latin term over and above the original Greek περιχvßρησις. In choosing the term immeatio to express the key epistemological and ontological principle of his philosophy, Bisterfeld was pointing out the ontological link between Trinity and creation; but at the same time he was also doing something else: he was creating a proper, specific, philosophical concept, the philosophical meaning of which included but was not exhausted by the theological concept of περιχvßρησις.

PLATONISMUS IM SPANNUNGSFELD VON PHILOLOGIE UND THEODIZEE

Thomas Leinkauf

Einheit und Gegensatz Der Traktat Phosphorus sive de prima causa et natura mali des Eilhard von Lubin als Dokument der Gegensatz-Ontologie der Spätrenaissance

1. Vorbemerkung 1. Die Philosophie des 16. Jahrhunderts weist bekanntlich gegenüber der des 15. Jahrhunderts jene eigentümliche Form von Verflechtung auf, deren Mit- und Ineinander von Identität und Differenz nur scheinbar trivial ist und vielmehr sowohl aus der Weiterentwicklung und Transformation identischer Grundannahmen als auch der Entgegensetzung und Angleichung differenter Positionen besteht. Der Eklektizismus, den Giovanni Pico im zweiten Teil seiner berühmten Oratio gefordert und in seinen 900 Thesen selbst schon eingelöst hatte, der aber flankiert wurde durch die an sich schulneutralen Positionen, die der Methodendiskurs mit sich brachte, sowie die aufkommenden enzyklopädischlullistischen Ansätze, die Verlagerung eines nicht unerheblichen Teiles des Diskurses (schon im 15. Jahrhundert) aus der Universität an die Höfe, Akademien, Hohen Schulen, ermöglichten die Ko-Präsenz verschiedenster Strömungen auch und gerade unter der Prädominanz einer jeweils vertretenen Hauptorientierung, sei sie aristotelisch, platonisch, protestantisch etc. Der Traktat des Lubinus, den er Phosphorus sive de prima causa et natura mali betitelt, und der zuerst 1596 in Rostock, dann 1601, in einer erheblich erweiterten, auf Kritik reagierenden Form,1 ebendort ein zweites Mal zur Drucklegung kam,2 ist in

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Vgl. hierzu Wilhelm Schmidt-Biggemann: Eilhard Lubins Begriff des Nihil. Etwas zur Geschichte der neuzeitlichen Theodizee vor Leibniz, in: Archiv für Begriffsgeschichte 17 (1973), S. 177–205, bes. S. 181–183. Zur Problematik des Nichts und dem zeitgenössischen Kontext vgl. B. M. Bonansea O.F.M.: The concept of Being and Non-being in the Philosophy of Tommaso Campanella, in: The New Scholasticism 31 (1957) S. 34–67, bes. S. 58ff.; W. Hübener: Scientia de aliquo et nihilo. Die historischen Voraussetzungen von Leibniz’ Ontologiebegriff, in: ders.: Zum Geist der Prämoderne. Würzburg 1985, S. 84– 104, bes. S. 97–99; S. Meier-Oeser: [Art.] Eilhard Lubinus, in: Ueberweg. Grundriss der Geschichte der Philosophie. Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4/1. Basel 2001, 1. Kap., § 1, Nr. 3, S. 24–26. Eilhardi Lubini Phosphorus sive de prima causa et natura mali. Tractatus hypermetaphysicus, in quo multorum gravissimae & dubitationes tolluntur, & errores deteguntur. Rostochii, Typis Ferberianis, Anno 1596 (benutztes Exemplar: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: O 32. 12° Helmst.). 2. Auflage Rostochii 1601 (Exemplar: Staatsbibliothek Berlin, Signatur: 2 an Ni 7196). Vgl. auch Disputatio hypermetaphysica de materia prima, unde malum, ex sententia platonicorum [...] sub praesidio Eilhardi Lubni. Rostochii (Chr. Reusner) 1599 sowie Physica de divisione continui disputatio [...] sub praesidio [...]

Thomas Leinkauf

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jeder Hinsicht ein Repräsentant eines für das spätere 16. Jahrhundert bei vielen Autoren präsenten, vielleicht für die ganze Zeit sogar spezifischen philosophischen Ansatzes (ausführliche vergleichende Analysen fehlen hierzu), den ich als Gegensatz-Ontologie bezeichnen möchte.3 Die Signatur dieser Ontologie ist in einer intensiven, manchmal übersteigerten Betonung der ontologischen Bedeutung von Gegensatz, Vielheit und Verschiedenheit zu sehen, die als Ausdruck der Kraft, Mächtigkeit und absolut fruchtbaren Implikation eines dominierenden Einheitsgrundes gedacht werden. 2. Lubinus ist eindeutig beeinflußt durch Augustinus, aber indem er intensiv den Augustinus liest, bewegt er sich mit seinem Rezeptionsverhalten in einer Tradition des Plato Christianus, die automatisch verweist auf den mittel- und neuplatonischen Diskurs, der Augustinus selbst beeinflußt hatte, sowie dann direkt zurück auf Platon.4 Analysiert man allein die expliziten Bezugnahmen im

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Eilhardi Lubini. Rostochii (Reusner) 1601. Zitiert werden im folgenden vom Phosphorus die 1. Auflage als P1, die 2. als P2; die Disputatio de materia prima als DM, die Disputatio physica als DP. Hierher gehören Jean Bodin, vgl. Thomas Leinkauf: Absolute Einheit und unendliche Vermittlung im Denken Bodins. Philosophische Grundzüge seines Denkens, in: Ralf Häfner (Hg.): Bodinus Polymeres. Neue Studien zu Jean Bodins Spätwerk. Wiesbaden 1999 (Wolfenbütteler Forschungen 87), S. 23–55; Francesco Patrizi: Nova de universis philosophia. Ferrariae 1591, Panarchia I, fol. 2vc; ders.: Discussiones peripateticae. Ferrariae 1580, T. II/1, p. 201; Hieronymus Cardanus: Hyperchen, in: ders.: Opera omnia. Lugduni 1663, T. II, fol. 1095–1098, 1105f. setzt einen eleatischen Begriff von Einheit (Parmenides) als Basis einer durch Gegensätze bestimmten Vielheit des Seienden an; Giordano Bruno: De gli eroici furori, I dial. 2, in: ders.: Dialoghi italiani. Hg. von G. Aqulecchia u. G. Gentile. Firenze 1985, Vol. II, S. 974: »tutte le cose constano de contrarii«; Tommaso Campanella: Universalis philosophia seu metaphysicorum rerum iuxta propria dogmata partes tres, libri 18. Paris 1638, I, lib. 1, c. 9, def., 78a–79b; II, lib. 6, c. 3, art. 1–3, 11a–14a: alles ist zusammengesetzt aus Sein und Nicht-Sein. Für Lubinus vgl. neben den weiter unten angeführten Stellen P 2, c. 8, S. 74f. zum Gegensatz als ontologisch-kosmo-logischem Grundprinzip (er begründet die Funktion und Notwendigkeit der intermediären Position des Endlichen): »Ex natura Antithetorum (ex quibus universi mundi systema per Dei providentiam miraculose coagmentatum) requiratur ex opposito, aliquid inter utrumque infinitum interponi, quod utriusque extremi ex parte finita particeps esset, & finitum esset«; Michel de Montaigne: Essais III 13, S. 1060 Thibaudet: »nostre vie est composée, comme l’harmonie du monde de choses contraires, aussi de divers tons, douz et aspres, aigus et plats, mols et graves«; Hugo Friedrich: Montaigne, Tübingen-Basel (Francke), 3. Aufl. 1993, S. 290 f. verweist zurecht auf den spätantiken Gedanken der »concordia discors«. Platon: vgl. P 1, c. I, fol. 2v [= P 2, c. 1, S. 2] (mundus intelligibilis); 4r; 4v–5r (Deus = sol, radii = mundus intelligibilis); c. II, fol. 7v: »et ut Plato: nihil quod boni cognomen mereatur«; P 2, c. 6, S. 57 zu Politikos und Timaios, wo die Welt als »a Deo stabilitum & conditum esse« behauptet werde; P 1, c. VIII, fol. 45v verwendet Lubinus deutlich – wenn auch natürlich in christlich-humanistischem Kontext – das genuin platonische Diktum »oÄti xalepa? ta kala?«: »Nihil enim ille (sc Deus) voluit esse pulcrum, quin idem sit arduum« – so auch c. XI, fol. 56v; ib., c. XI, fol. 54v wird das platonische aöutoagajoßn für das »ipsissimum bonum« gesetzt; c. ultimum, fol. 64v wird, bezüglich des Abfalls der Menschenseele, von »amissis alis« gesprochen und P 2, c. 20, S. 253 ergänzt: »ut cum Platone loquar«. Neben der namentlichen Nennung Platons und einigen spezifischen Begriffen greift Lubinus auch auf den christlichen Platonismus zurück, der, wie vor allem Augustinus, die mittel- und neuplatonische Verbindung von Gott-Ideen als »mundus intelligibilis« konzipierte;

Einheit und Gegensatz

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Phosphorus, sei es durch Zitate oder bloße Erwähnung des Namens, so muß, blendet man den geradezu omnipräsenten Augustinus aus, auffallen, daß Lubinus sich, was die metaphysische Kontur seines Denkens betrifft, vornehmlich an der späteren Antike, an der Periode des mittleren, kaiserzeitlichen Platonismus, an der Zeit der Entstehung der Hermetica,5 an der Zeit der Gnosis sowie, belegt durch häufigere Erwähnungen von Plotin und Proklos, an der des Neuplatonismus orientiert. Zu beobachten ist auch, daß er, trotz seiner explizit christlichen, vor allem an Augustinus und Thomas orientierten Position, darauf Wert legt, daß sein Grundgedanke philosophisch ist und daher neutral gegenüber religiösen Bekenntnissen und gegenüber dem Unterschied pagan-christlich.6

2.

Lubins System

2.1.

Ontologie: Die Seinsmodi

2.1.1. Das implizite Sein 1. Dem Denken des Lubinus liegt, sieht man von theologischen Voraussetzungen einmal zum Zwecke der Analyse seiner philosophischen Position ab – und die ist berechtigt, da er seine Abhandlung durch das Adjektiv hypermetaphysicus,7 selbst wenn durch dieses eine Transzendierung indiziert ist, immer noch in

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vgl. P 1, c. II, fol. 10r: »mundus intelligibilis, id est Dei imago [sc. anima est]«; ib., fol. 11r, 16v; c. III, fol. 23r–v u. ö. Die durchgehende, sogar den Rekurs auf Augustinus noch übertreffende Präsenz des Hermes Trismegistos in beiden Auflagen des Phosphorus – vgl. etwa P 1, fol. 3v, 5r–v, 11v, 17r, 18r, 19v, 33v, 46v, 47r, 56v, 66v; P 2, S. 56f., 60, 66 – , rückt Lubinus, zusätzlich zu den anderen hier diskutierten Fakten, noch enger in den Kontext des Platonismus der Renaissance- und Spätrenaissance und läßt ihn deutlich als einen Vertreter des intellektuellphilosophischen Rückgriffs auf das Corpus Hermeticum, also als dem von mir als Typ A bezeichneten ›Hermetismus‹ der Frühen Neuzeit zugehörig, erscheinen. Vgl. Thomas Leinkauf: Interpretation und Analogie. Rationale Strukturen im Hermetismus der Frühen Neuzeit, in: A. Ch. Trepp und H. Lehmann (Hg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2001, S. 41–61. Vgl. z. B. P 1, c. III finis, fol. 27v: »quam si accuratius tecum consideres, Ethnicus es sive Christianus, teipsum rectius nosces, frivola huius mundi contemnes, ignorantiam tuam hic non ignorabis« (meine Hervorhebung). Zur Begründung des Titels vgl. P 2, Epistola dedicatoria, p. a2v –a3r: »Adpellare libuit Phosphorum, non eo solum, quod Luciferi illius [...] lapsus causam, qualitatem, naturam, originem primam penitius & profundius erutam oculis exponat: verum etiam quod multis furiosarum opinionum monstrosis tenebris, vel Deum esse Mali caussam, vel ipsum Malum aliud praeter Deum certarum rerum & naturarum, creaturarumque malarum principium esse insano furore perhibentium caliginem discutiat, & lucem adferat. Nec immerito tractatus hic Hypermetaphysicus inscriptus, cum de illis, quae sunt ante omnia, ante mundum & quae in mundo omnia, spiritualia & corporalia, motum & tempus sunt & non sunt, & quae illorum, quae in mundo, sunt & non sunt, hoc est, oriuntur & pereunt, caussa sunt & origo. De supremo nimirum ente summoque bono, deque imo nichilo, extremo maloque agat & pertractet«. Damit stellt sich Lubinus auch auf die Seite einer gerade erst beginnenden Tradition, die supertranszendente bzw. supertranszendentale Begriffe einführt, bei denen nicht

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den metaphysischen, also genuin philosophischen Kontext gestellt hat –, ein generelles ontologisches Schema zugrunde, dessen Muster für das Verständnis aller speziellen, sei es theologischen, kosmologischen oder anthropologischen Thesen, die er im Rahmen dieses Textes aufstellen oder anreißen wird, maßgeblich ist. Dieses Schema wird von ihm allerdings erst in seiner 1601 publizierten retractatio des ursprünglichen Textes in aller wünschenswerten Deutlichkeit herausgestellt, es kommt so in der ersten Auflage noch nicht vor.8 Trotzdem setzt der Text von 1596, das läßt sich an vielen Stellen sachlich, aber auch terminologisch zeigen, diese allgemeine Struktur der Seinseinteilung schon durchgehend für seine Argumente voraus. Lubinus sah sich anscheinend genötigt, die disjecta membra seiner Ontologie in das Gerüst zurückzustellen, aus dem er sie selbst herausgenommen hatte; damit verfolgte er offensichtlich eine zugleich klärend-didaktische wie auch präventiv-verteidigende Strategie. Das Schema, das Lubinus im Phosphorus zugrunde legt, hat nun folgenden Aufbau:9 er unterscheidet zunächst allgemein am Sein wie auch an dem zu diesem oppositen Nichtsein beziehungsweise Nichts die zwei Modi »eigentlich«, proprie, und »uneigentlich«, improprie, und erhält somit vier abgesetzte Stufen oder Formen des Seienden. Die (I) erste Stufe ist das »eigentliche Seiende« (ens [oder auch bonum] proprie dictum), die (II) zweite das »uneigentliche Seiende« (ens improrie), die (III) dritte das »uneigentliche Nichtseiende oder Nichts« (non ens oder nihil improprie) und die (IV) vierte das »eigentliche Nichtseiende oder eigentliche Nichts« (non ens oder nihil proprie). Lubinus versteht unter dem »eigentlich Seienden« oder, wie er auch sagt, dem »eigentlich Guten«, d.h. dem »summum bonum« (I), die erste Ursache allen Seins, das Prinzip, das alles erschafft, Gott.10 Schwieriger wird die exakte Bestimmung der zweiten und

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mehr, wie in der aristotelisch-scholastischen Tradition, Sein/Seiendheit und Begriff/Erkennen zusammengehören, sondern eben auch das non-ens zum genuinen Gegenstandsbereich des Erkennens geschlagen werden soll. Vgl. hierzu wichtig Hübener: Scientia de aliquo et nihilo (s. Anm. 1), S. 84f.; Meier-Oeser (s. Anm. 1) S. 25: hypermetaphysisch betrifft den dem Schöpfungsakt noch vorausliegenden Gegensatz von Sein und Nichts, Gut und Böse, der als solcher einen Dualismus im Sinne der Manichäer begründen könnte. Vgl. P 2, c. 7, S. 60–62; der Abschnitt findet sich in dem gegenüber P 1 neu hinzugekommenen Kapitel VII: »quid sit ens & nihil«. P 2, c. 7, S. 60–62. Vgl. P 2, c. 7, S. 60f.: Lubinus verwendet folgende Bezeichnungen des »eigentlich Seienden«: infinitum, aeternum, immobile, immutabile, omnipotens, principium, causa procreans & conservans, causa boni in natura. In P 1, c. II, fol. 9v hieß es entsprechend: »Nihil vere bonum & verum, nisi idem ab interitu immune, aeternum, & infinitum sit«. Vgl Augustinus: De natura boni, c. 1, 551 von Gott: omnipotens, incommutabile bonum. Dieses Seiende würde »von uns« in seiner adäquaten Bezeichnung als »summum bonum« beziehungsweise »Deus« benannt (proprio idiomate vocamus), von Hermes Trismegistos – zu den durchgehenden Bezugnahmen auf das Corpus Hermeticum s. Anm. 5 – hingegen als »Vater« (Pater), »Gutes« (Bonum), »Schöpfer« (creator), aber auch als »omni nomine praestantiorem« angesprochen (P 2, c. 7, S. 60), von Parmenides als »ingenitum, immortalem, unigenum etc.«, als der, »qui non fuit, nec erit, sed semper est«, von Pythagoras als »unus pater, mens, anima universi«, von Empedokles als »unum« und »to? paqn«, von Platon als »mens aeterna« und von Aristoteles als »ens entium« oder »forma sine materia« bezeichnet (S. 61). So auch der Rekurs auf Hermes in P 2, c. 2, S. 13 (= P 1, c. II, fol. 9v):

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dritten ontologischen Instanz, des »nicht eigentlich Seienden« (II) und des »nicht eigentlich Nichtseienden« (III). Vergleicht man nämlich die Charakterisierungen, die Lubinus gibt, so fällt sofort ins Auge, daß sie mehr oder weniger identisch sind: das ›uneigentlich Seiende‹ und das ›Nichtseiende‹ sind gleichermaßen als ein je endliches, zeitlich verfaßtes, bewegliches und veränderliches Seiendes zu denken, dessen Grundcharakter der eines Bewirkten und Geschaffenen ist.11 Nicht gleichermaßen jedoch, und hierin liegt die Legitimation der Unterscheidung beider Seinsweisen, sind ›nicht eigentlich Seiendes‹ und ›nicht eigentlich Nichtseiendes‹ zu denken hinsichtlich ihrer Position zu den Opposita oder Extrema Sein und Nichts: Das ›nicht eigentlich Seiende‹ ist ein Seiendes, das in einer grundsätzlichen Affinität und Orientiertheit zum Sein steht und das un-eigentlich oder ›nicht eigentlich‹ nur deswegen ist, weil es nicht das reine, vollkommene Seiende selbst ist; das ›nicht eigentlich Nichtseiende‹ hingegen ist, weil es nicht die Negation des Seins ist, also nicht ein oder das Nichts ist, ebenfalls ein Seiendes, es ist dies jedoch in grundsätzlicher Hinordnung zum Nichtsein. Von ihm gilt: »quod potius dici debet non esse, quam esse«.12 Wird das ›nicht eigentlich Seiende‹ im Grunde und unmittelbar mit dem Sein und dem Guten »zusammengebracht« (conferre)13 und dann erst durch die schwache Negation, durch das »improprie«, von diesem wieder unterschieden, so wird das ›nicht eigentlich Nichtseiende‹ zwar auch im Grunde, aber nur mittelbar, mit dem Sein in Verbindung gesetzt, aber eben dadurch, daß es im Grunde mit dem Nichts zusammengebracht wird und dann erst durch die

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»Inde optime & verissime ter maximus ille Philosophorum parens Hermes inmundo ›oude?n aölhjqe? [sic!] kai? aögajouq esse‹ dixit, & haec [sc. Wahrsein und Gutsein] de nullo alio quam uno & solo Deo recte & sine impietate posse dici«. Vgl. P 2, c. 7, S. 61: »Alterum [sc. improprie] Ens & bonum finitum, in tempore incipiens, mobile, mutabile, fluxum, imbecille, effectus & creatura Summi boni vel emtis, quod antequam esset, nihil fuit, & quod suo idiomate proprie Creaturam appellamus«. Zum »improprie non ens« heißt es ebenso etwas weiter unten: »Alterum non ens [...] est omne quod creatum est, generabile, sensibile, corruptibile, brevis temporis«. Zur Verschränkung der Stufen vgl. ebd., S. 62: »Ut ergo Ens [1., 2.] utrique non Enti opponi consideratur, medio & extremo, hoc est rebus creatis, sensibilibus & corruptibilibus [3.], & ipsi Nihilo [4.]: sic Nihil & Non ens extremum [3.] utrique opponitur Enti, infinito bono [1.], & finito [2.], hoc est creatori, & creaturae. Et proprie [sc. opponitur] quidem ex diametro ipsi Deo Summo ENti contrario suo, ab aeterno, a quo illud Nihil infinito intervallo remotum. Improprie vero ipsi creaturae, tanquam Enti quamvis finito, & bono quamvis mutabili, & in tempore«. Ebd., S. 62f.: [2. und 4.] ist deswegen finitum und mutabile, weil es nicht von Ewigkeit gewesen ist und in Zeit angefangen hat, »& ex nihilo creatum est, cuius nihili vestigia & semina in se retinet, & in quod, Nihil etiam sua natura [dürfte nur 4. betreffen !?], ut ante dictum, resolvitur, nisi Dei tanquam summi entis [...] virtute & omnipotentia fulciatur«. Heißt das: Alles, was nicht Gott [1.] ist, ist deswegen eben auch, nur an ihm selbst genommen, ein Nichts? Aber wie? Per participationem ist unmöglich, da am Nicht-Sein nicht partizipiert werden kann; per defectum also. P 2, c. 7, S. 61; vgl. auch c. 20, S. 246 (= P 1, c. XI, fol. 61 r): Die »improprie mala«, also das nicht eigentlich Nichtseiende, sei dasjenige, was durch »corruptio atque interitus rerum corporearum« charakterisiert sei (also durch das platonische gigni ohne esse). P 2, c. 7, S. 61: »ens vel bonum finitum [...] cum summo ente ac bono contuli«. Lubinus geht an dieser Stelle so weit, daß er die Instanzen II und III – also ens improprie und non ens improprie – gleichsetzt.

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schwache Negation des »improprie« von diesem wieder unterschieden und dem Bereich des Seienden zugeschlagen wird. Die Stufen II und III der Lubinschen Ontologie sind nicht ihrer Substanz nach unterschieden, sondern nur der Hinsicht oder dem Aspekt nach: Es handelt sich bei beiden um endliches, geschaffenes Seiendes, das einemal als Ausdruck der Negation eines Positiven (des absoluten Seins), das anderemal als Ausdruck der Position eines Negativen (des absoluten Nichtseins).14 Lubinus faßt beide Seinsformen explizit zu einem Bereich zusammen, den er – mit oder in Anlehnung an Augustinus (Confessiones, De malo) – als Zwischenbereich, als ein »intermedium« zwischen Sein und Nichtsein, bezeichnet (intermedio ente non ente),15 als den Bereich des Geschaffenen und Kreatürlichen, von dem, mit Blick auf spezifische Eigenschaften der ersten Seinsform (I) (dazu später, siehe unten S. 95) gelten müsse: In ihm ist jedes Seiende, wie weit es auch immer von dem Zustand der Vollkommenheit, Abgeschlossenheit oder Stabilität entfernt sei, der dem wahrhaft Seienden zukommt, ein Seiendes und – in klassisch platonisch-christlicher Tradition –, als (geschaffenes) Seiendes, auch ein Gutes.16 Diesem ganzen Bereich, der durch

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Hierauf verweist deutlich folgende Stelle aus P 2, c. 7, S. 62, wo es eindeutig heißt: »Hoc vero creatum ac finitum, alio respectu Ens & bonum, alio respectu non Ens & malum diximus, utpote quod inter utrumque Ens & Nihil positum ab utroque aliquid habet, quod est a Ente, quod non est, a non ente, quod creatur a bono, quod deperit & corrumpitur, a malo habet«. Vgl., wenn auch auf andere Weise, S. 66: Wenn die »finita bona« bzw. entia – also II und III – »supra se ad ad summum bonum referantur, summi quidem boni, & veri entis nomen sine impietate illis attribui non potest [d.h. sie sind non entia] [...] si autem infra se ad nihil referantur, bona in suo genere perfecta & absoluta sunt, & nihil vel hunc materiam primam sibi oppositam habent [d.h. sie sind entia]«; drehe ich diese Argumentation um, dann sind die selben entia finita, werden sie auf das reine Nichts bezogen, nicht nicht Seiende, non non entia [d.h. also entia] und mit Bezug auf das Seiende nicht seiende [non entia]. Es entscheidet also der Bezug und die Hinsicht, ob man von einem »uneigentlich Seienden«, also einem depotenzierten Sein, oder von einem »uneigentlich Nichtseienden«, also einem potenzierten Nichts, sprechen kann und muß. Auch Campanella unterscheidet in seiner Universalis philosophia (s. Anm. 3) verschiedene Stufen des Nichts oder NichtSeienden: nihilum simpliciter, nihilum secundum quid, nihilum i. S. von non ens, II, lib. 6, c. 3, art. 7, 16a–17b. Vgl. hierzu Bonansea (s. Anm. 1) S. 58–67. P 2, c. 7, S. 62: Plato habe diesem Bereich des Seienden das zugeordnet, »was zwar entsteht, niemals jedoch ist« (siehe Timaios 27 D–28 A), d.h. Bestand oder Selbstand hat (quod gignitur quidem, nunquam autem est), die Heilige Schrift hingegen habe hier den Horizont der »vanitas vanitatum«, der innerweltlichen Leere und Nichtigkeit, Augustinus schließlich habe ihn als das »prope nihil« gedacht, vgl. Confessiones XII 6,6 und 8,8. Weiter heißt es an der selben Stelle: »De hoc intermedio Ente non ente pulcherrime Augustinus loquitur: ›Inspexi caetera infra te, & vidi nec omnino esse, nec omnino non esse. Esse quidem, quoniam abs te sunt. Non esse autem, quoniam id, quod es, non sunt. Id enim verum est, quod incommutabiliter manet‹« (Confessiones VII 11, 17). Die entia/non-entia vergehen nicht vollständig, obgleich ihre natürliche inclinatio ad nihilum dies Resultat hätte, sondern durch die Allmacht und den Willen Gottes bleibt ihnen immer »alquid, & subjectum habent reliquum, quod ipsi (adversari) perperam materiam vocant, cum forma potius sit, quamvis imperfecta, respectu prioris formae perditae« (S. 114). Lubinus beruft sich hier auch wieder auf Augustinus, vgl. P 2, c. 16, S. 202: Dieser sage: »malum enim est non esse aliquid, bonum contra est esse aliquid. Unde duplici nomine omnem creaturam, in se bonam esse convincitur, tum quod aliquid est, tum quod perfecta est«. Augustinus sage: »malum enim est non esse aliquid, bonum contra est esse aliquid.

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die Instanzen I–III abgesteckt ist, wird jetzt, darauf ist zu achten, die vierte Seinsform (IV) entgegengestellt, die des »eigentlich Nichtseienden« oder des »Nichts« (non ens/nihil proprie). Dieses sei die Materie und somit das »ipsissimum nihil«,17 der »imus ille & extremus aut infimus, & infinitus omnis boni defectus, omnium rerum privatio, & illud quod prorsus non est, & nihil est«, 18 »das tiefste und äußerste Erleidende« (patiens imum, & extremum),19 das »vere malum«.20 Die sich im ersten Lesen nahelegende (und so auch dargestellte) formale Symmetrie der Ontologie des Lubinus, das wird schon aus dieser Skiz-

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Daß Kreatur-Sein und Nicht-Sein sich ausschließen, ist durchaus Einsicht der Tradition, vgl. etwa Cusanus: De possest, n. 5 (H XI/2, S. 6): »Quod enim esse non potest, non est. Unde non-esse non est creatura«. P 2, c. 11, S. 110: »materia [est] ipsissimum nihil« mit Rekurs auf Aristoteles, der doch nichts anderes gemeint habe, wenn er die Materie »non esse« nenne, von ihr sage »non habere formam, inscibilem, cognosci negatione, esse non ens, expetere formam etc«; ebd., S. 113: »materia prima illud nihil, illud non ens est quod Deo opponitur, qui cum sit merus actus omnia producit, ut contra materia prima, vel ipsum nihil omnia contra ad se rapit, & abusive loquendo destruit. Quod enim omnium defectuum & imperfectionum radix est & origo, ut passim Porphyrius, Plotinus, & reliqui interpretes materiam primam vocant« (vgl. Plotin II 4) falsch sei die Meinung, daß die natürlichen, endlichen Dinge, wenn sie vergehen, sich in der erste Materie auflösten, denn diese sei an sich, als »extrema causa defectuum«, zur Aufnahem jeder Bestimmung unfähig; auch sei es kein Erfahrungssatz, daß die Dinge sich, wenn sie vergehen (interitus), in Nichts auflösten (ad nihilum recidere); dies würde zur Entleerung, Auflösung der Welt führen. P 2, c. 7, S. 61. Hermes, so Lubinus jetzt in einer dem Modell der prisca sapientiaGenealogie folgenden Aufzählung, habe diesen unendlichen Mangel als »tristis umbra« beschrieben (vgl. auch später wieder P 2, c.17, S. 211f. mit Präzisierung: »[...] ipsum nimirum Nihil, vel ut Hermes primo dialogo Pimandro ait, Tristem illam Umbram, quae praecessit omnibus, utpote ex qua umbra, ut idem ait, natura humida per Dei omnipotentiam effluxit, ex qua omne corpus in mundo sensibili constitit. Ex hoc nihilo, hac umbra omne malum, omnis mors, & peccatum in rerum natura effluxit« [vgl. Marsilii Ficini argumentum in librum Mercurii Trismegisti , Opera omnia, Basileae 1576, fol. 1838: »quia processit proprio corpori tristis umbra, ex hac quidem natura humida, etc.«]), Parmenides habe ihn als »Nacht« (nox) bezeichnet, vgl. fr. 1, 10f. (Diels); fr. 9, 58f.; 10, 1; Theophrast (Metaphysica 7 a 9–10,8 a 23; 11 a 19–21, b 1–7) und Algazel als Nichts, Platon als »Nicht-Seiendes durch Abwesenheit jeglichen Guten« (non ens per absentiam omnis boni, dies entspricht eher einer durch Platon inspirierten Formulierung Plotins in I 8, 1, 11f.: ἀpousίᾳ pantὸς ἀgaϑoῦ) – Aristoteles, »quamvis hoc nolit, materiam sine forma«, vgl. Phys. 190 b 27 f, 191 a 7, Plotin schließlich als »das Übel/Böse, das noch unter jeglichem Zustand von Beraubung anzusetzen sei«, vgl. Enn. I 8, 5, 4f.; 2, 3–6. Vgl. auch P 2, c. 7, S. 63: »Est ergo hoc nihil absentia entis, hoc malum privatio boni, haec materia defectus ideae, vel ut Plotinus studiosius illam describit, deformitas omnium deformitatum, defectus summus omnium defectuum causa, qui in singulis rebus cernuntur, extremum malum omnium malorum origo«. P 2, c. 17, S. 209: »Non enim illud [sc. malum] ex se, & in se aliquid est, aut naturam aut essentiam quandam constituit, quemadmodum omnes essentiae contrariae, quae bonae sunt, sed Nihil & nullibi in se est, nusquam in se invenitur, sed semper in contrario bono fundatur & consistit«. Was der essentia entgegengesetzt ist, hat keine essentia, was keine essentia hat, hat kein Sein, und was kein Sein hat, ist Nichts! P 2, c. 17, S. 219: die Platoniker und Plotin sagen, daß die materia prima »causam atque fontem esse omnis mali«. P 2, c. 7, S. 63. P 1, c. III, fol. 21r.

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ze klar, ist der Sache nach nicht gegeben; die Gliederung in zwei Extreme mit zugeordneten Instanzen – eigentliches Sein, nicht eigentliches Sein, nicht eigentliches Nichtsein, eigentliches Nichtsein – läßt sich im Sein selbst nicht darstellen (daher habe ich auch in der Überschrift von nur implizitem Sein gesprochen, man könnte auch von hypotypotischem Sein sprechen). Der Grund hierfür liegt in der logischen und ontischen Natur des Gegensatzes, sofern dieser, als selbst absolut gesetzter (absolut kontradiktorisch), kein Substrat mehr besitzt, dem seine äußersten Momente zugeschrieben werden könnten. In diesem Fall wird die formale Struktur der Entgegensetzung inhaltlich durch eine materiale Struktur der Negation oder Beraubung ergänzt. Jenseits von Sein und Nichts ist nichts mehr anzusetzen, von dem sowohl Sein als auch Nichts prädiziert werden könnten; also, und dies ist die Dialektik, die Lubinus hier vor allem mit der platonischen Tradition ausspielt, wird alles, sowohl Sein also auch Nichtsein, ja auch das reine Nichts, als in bezug auf das Sein seiend gedacht, einmal, beim den »improprie«-Instanzen, als graduelle Beraubung, zum anderen, beim »ipsissimum nihil«, als (aktive) Negation.21 Dadurch wird allerdings auch – und das haben die Kritiker sogleich gesehen – der scharfe, kontradiktorische Gegensatz von Sein und Nichts (bei dem nach aristotelischer Lehre eben kein Substrat angesetzt werden kann und der daher keinen wechselseitigen Bezug seiner Glieder zuläßt) verwischt (confundat, so Grawer!) zugunsten einer bloß konträren, relativen Opposition.22 2. Schaut man sich die Seinseinteilung des Lubinus genauer an, so wird deutlich, daß ihr Ursprung platonisch ist, ja man wird, so weit ich es bis jetzt sehe, sogar präziser sagen dürfen: Er ist mittel- und neuplatonisch, d.h. im Denken vor allem des Seneca,23 des Plutarch24 und des Porphyrios sowie des den

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Diese Aktivität wird besonders deutlich, wenn Lubinus das Nichts als das Böse denkt, vgl. P 2, c. 4, S. 41: »Malum dico, quod nihil non solum producit, sed producta destruit, quod in se Nihil est, nihil habet, sed in alieno tantum radicatur. Atque adeo, quod non nisi spuria cognitione per omnis boni absentiam percipitur, & non est ens, sed absentia & defectus entis«. Vgl. Hübener: Scientia de aliquo et nihilo (s. Anm. 1), S. 98f. mit Hinweis auf Albert Garwer: Antilubinus. Hoc est, Elenchus Paradoxorum et emblematum Calvinisticorum doctoris Eilhardi Lubini in Phosphoro de prima causa et Natura Mali. Magdeburg 1607, S. 26, 45 u. 118f. Seneca: Epistulae ad Lucilium, ep. 58, 16-22. Vgl. den Kommentar von M. Baltes (Der Platonismus in der Antike, Bd. IV [Bausteine 101–124]. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996, S. 291–297), der folgende Einteilung festhält: 1. quod est (= to? oän) = cogitabile (= nohtoßn) = quod generaliter est (= to? genikvqw oän); 2. quod eminet et exsuperat omnia; hoc ait per execellentiam esse (= to? oün kat΄eöcoxnßn); 3. quae proprie sunt (= ta? kurißvw oänta); 4. idos (= eiWdow) = idos in opere = forma [...] operi inposita (= eiWdow to? eöpi? thq# uÄlh#); 5. quae communiter sunt (= ta? koinvqw oänta); 6. quae quasi sunt (= ta? vÖsanei?/oiWon oänta). Seneca ist im Tractatus durchaus präsent, vgl. P 1, c. II, fol. 12v, 14v; c. III, 21r = P 2, c. 3, S. 30: »et Seneca: ›non miscentur contraria‹«; P 2, c. 10, S. 101; c. 19, S. 244. Plutarch: Adversus Colotem 1115 D–E: »tvq# Plaßtvni de? jaumastvqw eödoßkei diafeßrein to? mh? eiQnai touq mh? oün eiWnai: tvq# meßn ga?r aönaißresin ousißaw paßshw, tvq# d΄eÖtero?thta dhlouqsjai touq mejektouq kai? touq meteßxontow [...]«. Vgl. F. W. J. Schelling: Initia philosophiae universae. Hg. von H. Fuhrmans. Bonn 1969, S. 144; ders.: System der Weltalter. Hg. von S. Peetz. Frankfurt a.M. 1990, S. 95. Auch Plutarch ist immer wieder im Text

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letzteren referierenden Proklos25 grundgelegt (möglicherweise ist sogar ein Einfluß des allerdings schlecht überlieferten Marius Victorinus anzusetzen26). Vergleicht man die Strukturen, die uns heute noch von den Seinseinteilungen vorliegen, so läßt sich Folgendes feststellen: Gegenüber der platonischen Tradition faßt Lubinus (I) in seinem ens proprie die dort noch einmal unterschiedenen Bestimmungen des Einen und der Ideen in einem christlich gedachten Gottesbegriff (in dem erstes Prinzip und Ideenwelt ineinsfallen) zusammen, es läßt sich am ehesten dem »quae proprie sunt« des Seneca,27 der damit wohl die Ideen Platons meinte, dem »quae vere sunt« des Marius Victorinus und dem »oäntvw oän«, das Proklos mit dem »nohto?w plaßtow« verbindet,28 vergleichen; das (II) ens improprie hingegen entspricht wohl dem, was Seneca unter »quae communiter sunt« verstand (die belebten und unbelebten Dinge der Erfahrung), Proklos mit »oὐk oäntvw oän«, das er dem Seelischen zuordnet,29 und Victorinus mit »quae sunt« meinen; das (III) nihil improprie läßt sich zu dem »quae quasi sunt« des Seneca in Beziehung setzen, der Leere und der Zeit (tamquam inane, tamquam tempus), zu Plutarchs »to? mh? oän eiQnai«, dem »nicht seiend sein«,30 das er allerdings – in striktem Gegensatz zum Nichtsein (IV) – mit Platon für den ganzen Bereich der Teilhabe am einen Sein des Guten zuständig sein läßt (dies würde bedeuten: für II und III bei Lubinus), dem »quae non vere non

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des Lubinus präsent, so etwa P 1, c. I, fol. 5v; c. II, fol. 18v; c. IV, fol. 23v = P 2, c. 4, S. 33; P 2, c. 7, S. 66 könnte der Hinweis auf »illud verissime scriptum prae foribus templi Delphici ‚EI; TU ES« durchaus auch nahelegen, daß Lubinus die Abhandlung De E apud Delphos gekannt hat. Proklos: In Plat. Tim. I, S. 233, 1–4 Diehl: »dio? kai? tvqn palaivqn tinew oäntvw me?n oün kalouqsi to? nohto?n plaßtow, oὐk oäntvw de? oÜn to? yuxiko?n, oὐk oüntvw de? oὐk oün to? aiösjqhto?n, oäntvw de? oὐk oün th?n uÄlhn«. Vgl. auch II, S. 128, 1ff. Lubinus kennt den Unterschied von to? oäntvw oän und to? oäntvw mh? oän in P 1, c. VI, fol. 34v. Wie P. Hadot wahrscheinlich gemacht hat, bezieht sich Proklos mit dem »einige von den alten (Erklärern)« auf Porphyrios, auf den er auch I, S. 257, 3ff rekurriert, vgl. P. Hadot: Porphyre et Victorinus. Paris 1968, Bd. I, S. 148 u. 163. Auch Proklos wird, neben Plotin, mehrfach genannt, vgl. P 2, c. 9, S. 81–84; c. 10, S. 99f., 103f.; c. 11, S. 107f. Marius Victorinus: Ad Candidum Arianum 6, Bd. I, S. 138 (Hadot): quae vere sunt (I), quae sunt (II), quae non vere non sunt (III), quae non sunt (IV). Dieser Text könnte im 16. Jahrhundert durchaus – obgleich in einem »ouvrage très rare« – zugänglich gewesen sein: Johannes Sichardus: Antidotum contra diversas [...] haereses. Basileae 1528, fol. 40v– 41r; vgl. P. Hadot: Introduction, in: Marius Victorinus: Traités théologiques sur la trinité. Paris 1960, Bd. I, S. 95. Es war mir allerdings bis jetzt nicht möglich, anhand eines Exemplares zu prüfen, ob unser Text in diese Sammlung aufgenommen war. Lubinus erwähnt Seneca des öfteren in unserem Text, vgl. P 2, c. 10, S. 101; c. 19, S. 244. In ep. 58 verbindet Seneca mit den Dingen, »quae proprie sunt« ganz eindeutig die platonischen Ideen, die eigentlich seienden Dinge, denen er Unzählbarkeit (innumerabilia), Unsterblichkeit (immortales), Unveränderlichkeit (inmutabiles), Unverletzlichkeit (inviolabiles) sowie Transzendenz zuschreibt (extra opus). Zu Seneca, vgl. W. Theiler: Die Vorbereitung des Neuplatonismus. Berlin 1930, S. 18ff. J. Dillon: The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B. C. to A. D. 220. London 1977, S. 135–139. Proklos: In Plat. Tim., I, S. 233, 2 (Diehl). Ebd., I, S. 233, 2f. (Diehl). Plutarch: Adversus Colotem 1115 D–E: »eÖteroßthta dhlouqsϑai touq meϑektou kai? touq meteßxontow«.

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sunt« des Victorinus oder dem proklischen »oὐk oäntvw oὐk oän« (nicht wahrhaft nicht seiend), dem Bereich des Sinnlichen, Wahrnehmbaren;31 die letzte Instanz, das (IV) non ens bzw. nihil proprie kann dem »to? mh? eiQnai« Plutarchs, das eine vollständige »Aufhebung des Seins (der Substanz)« bezeichnet,32 dem »quae non sunt« des Victorinus und dem »oäntvw oὐk oän«, dem »wahrhaft nicht seienden« des Proklos33 zugeordnet werden. In diesem Zusammenhang ist es mehr als aufschlußreich, daß Lubinus im 6. Kapitel der ersten Auflage zur Darstellung seines eigenen Gedankens sich der griechischen, aus dem angezeigten Kontext stammenden Terminologie bedient: »Duo ante omnia esse dixi, Aliquid & Nihil, Ens & Non Ens, to? oäntvw oän, kai? to? oäntvw mh? oän«.34 Wir können also eine deutliche Vorgabe der Lubinschen Ordnung in den sich auf Platon35 berufenden mittel- und neuplatonischen Texten finden, eine Vorgabe, die Lubinus nur unwesentlich modifiziert. Einen weiteren Einfluß könnte in dem Libellus de nichilo des Carolus Bovillus (Charles de Bovelles) gesehen werden, der Lubinus etwa in der 1510 in Paris erschienen Werkausgabe zugänglich gewesen sein konnte.36 Bovillus bestimmt hier das Nichts als nichts anderes denn Nichts: »nichil enim est nichil«, denn es ist »kein Seiendes« oder keines der Seienden (nullum ens) und »es ist nirgends, weder im Geist, noch in der Natur der Dinge, weder in der intelligiblen noch in der sinnlichen Welt, weder in Gott noch außer Gott in irgendwelchem Geschaffenen«.37 Allerdings findet sich bei Bovillus, so weit ich sehe, nicht die für Lubinus einschlägige vierfache Ausfaltung des Seienden mittels je zweier konträrer Gegensätze.38

2.1.2. Das explizite Sein oder: die Gegensatzstruktur der Welt 1. Für Lubinus ist der ganze Bereich des Seienden durch zwei maßgebliche Faktoren bestimmt: Erstens ist alles endliche Seiende an sich selbst betrachtet Nichts, d.h. es hat keine ihm aus seiner Endlichkeit, Eingeschränktheit oder

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Proklos: In Plat. Tim., I, S. 233, 3 (Diehl). Plutarch (s. Anm. 24). Proklos: In Plat. Tim., I, S. 233, 3f. (Diehl). P 1, c. IV, fol. 34v. Vgl. Platon: Sophistes 240 B, 254 D. Vgl. hierzu F. W. Kohnke: Plato’s conception of to? ouk oäntvw ouk oän, in: Phronesis 2 (1957), S. 32–40. Carolus Bovillus: Libellus de Nichilo, in: ders.: Opera. Paris 1510 (ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1970), fol. 63v–74r. Bovillus: Libellus de nichilo, n. 1, (s. Anm. 36) fol. 73v: »Nichil nusquam est, neque in mente, neque in rerum natura, neque in intelligibili, neque in sensibili mundo, neque in Deo, neque extra Deum in in ullis creaturis«. Hinsichtlich des Nichts gibt es, wie auch hinsichtlich des Begriffs des höchsten Einen, einen zweifachen Aussagemodus, negativ und positiv: die Aussage »nullum ens esse nichil« führt zu »nullum ens esse non ens« oder »nullum ens esse ens nullum«, die Aussage »quodvis ens esse ens« führt zu »quodlibet ens esse aliquid«. Allerdings deuten andere Passagen auf eine Lektüre des Bovillus, vgl. etwa P 1, c. VII, fol. 40r: »Deus ergo, vel aeternum illud Ens, ut causa efficiens, ex hoc Nihilo tanquam materia, immensa bonitate, infinita omnipotentia, infinitum illud Chaos, immensum illud spacium & intervallum quod inter Nihil & Aliquid interjacet, adimplevit, hoc est omnia ex Nihilo condidit, & tanquam punctum in immensa illa sui & aeterni infinitate constituit«.

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Begrenztheit rein als solcher zukommende Substantialität39 – diese kann ihm ausschließlich durch den Schaffensakt Gottes zugewiesen werden –, zweitens ist Seiendes unter den Index der, zuerst maßgeblich von Platon und Aristoteles reflektierten,40 kategorialen Struktur des Gegensatzes gestellt, ist ein aus Sein und Nichtsein Verbundenes. Als ein solches stellt es, um eine berühmte Wendung des Spinoza aufzugreifen, je einen index sui et non entis oder index sui et nihili dar.41 Man muß sich also zuerst klar machen, daß die Kategorie des Gegensatzes, die sonst auf Seiendes, dieses gliedernd, angewendet wird, hier am äußersten Rand ihrer sinnvollen prädikativen Verwendbarkeit, auf die Gliederung angewendet wird, die dazu führt, daß man allererst von ›Seiendem‹ selbst reden kann. Sind ansonst die Glieder eines konträren Gegensatzes selbst Seiende, die außer diesem Gegensatz auch noch andere Bezüge und Verhältnisse zu anderem Seienden aufweisen, so steht es hier anders: Das eine Glied des Gegensatzes entzieht sich im Grund selbst noch der kategorialen Gegensatz-Form, es ist, als das schlechthin und nicht relativ Nicht-Seiende, das reine transkategoriale Nichts. Lubinus ist sich dieser prekären Verwendung durchaus bewußt und so nimmt es kaum Wunder, daß sein Text immer wieder durchsetzt ist mit Reflexionen auf Gegensatz und Gegensätzlichkeit.42 So etwa im Zusammenhang mit einem Gedanken, in welchem Lubinus Gott, dem summum bonum, obgleich er von ihm sagt: »quod superessentialiter est«, dennoch das Nichts entgegensetzt:43 »opponimus illo ab aeterno imum non Ens, Nihil, extremum malum«.

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P 1, c. VII, fol. 43v »Iam vero demonstratum omnia creata ex nihilo constare. Ergo [sc. weil gelte: res illud sunt, ex quo constant] omnia creata nihil sunt«. Platon: Phaidon, 70 D–72 A, 103 BC; Aristoteles, Metaphysica V 10, 1018 a 25–38, bes. 36: »aökoloujqeiqn aönaßgkh kai? taQlla oÄsa kata? tauqta [sc. ta? eönantißa] leßgetai«. Vgl. die Interpretation Giordano Brunos: Libri Physicorum Aristotelis explanati, in: ders.: Opera Latina. Hg. von F. Fiorentino. Neapel u. Florenz 1879–1891, Bd. III, S. 291–300, der S. 292 in der Deutung des ersten Buches der Physik den auch hier bei Lubinus zu beobachtenden Aspekt der Vorausgesetztheit des Gegensatzes oder Gegensätzlichen festhält: »[...] sive eos qui unum sive eos qui plures posuerunt principia, nempe sive naturaliter sive innaturaliter loquentes, in eo conveniunt ut contrarietatem quandam principem rerum productioni proponant« (meine Hervorhebung). Den hiermit verbundenen Primat des Seienden vor dem Nichtseienden bzw. Nichts führt etwa auch Rudolph Goclenius gegen Clemens Timpler ins Feld, vgl. Scholia clarissimi et acutissimi Philosophi, Domini Rodolphi Goclenii, publice ab eo in Academia Marpurgensis dictata (an: C. Timpler: Metaphysicae systema methodicum. Hanau 1606), p. 5: »[...] affirmatio est mensura negationis [...] itaque aliquid prius est nihilo, et nihili intelligentia et explicatio dependet ab intelligentia et explicatione alicuius« (zitiert bei Hübener: Scientia de aliquo et nihilo [s. Anm. 1], S. 85f.). Vgl. vor allem P 1, c. IV, fol. 30r–v; c. IX, fol. 49v–50r; c. XI, fol. 55r–58v; P 2 c. 8, S. 74f.; c. 11, S. 111: Gott und Materie seien »duo extrema in latitudine entis maxime omnium disjuncta«; »quae enim aliqua essendi ratione inter se conveniunt, ita inter se non opponuntur«; c. 12, S. 118: »contraria e contrariis, in sua natura subsistentia & permanentia fieri posse« sei eine ontologisch absurde Forderung! P 2, c. 13, S. 153: »Contrarium ex contrario producere non potest« = P 2, c. 20, S. 246 (P 1, p. 60v ): »neque enim contraria ex contrariis oriuntur«. P 2, c. 17, S. 211: das Böse kann keine genuine Bestimmung der geschaffenen Dinge sein, die ohne Vernunft und Willen existieren. P 2, c. 7, S. 63; P 1, c. XI, fol. 54v wird es, sicher in Anlehnung an Platon, Plotin oder Proklos, das aὐtoaßgajon genannt.

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Damit scheint er das absolute Erste und Eine, die antike, platonische Tradition verlassend, in einen bestimmten Gegensatz hineinzuziehen, selbst wenn er diesen wiederum, durch die Qualifizierung als summum oder extremum, aus den endlichen Gegensätzen herausheben will. Um falschen Schlüssen vorzubeugen, fügt er folgende Reflexionen und Klärungen zum Begriff des opponi bzw. des Gegensatzes an: 1.) Cum enim hoc Nihil hoc Malum Enti opponimus vel Bono, & Bonum illud principium omnium substantiarum, & Accidentium supersubstantialem substantiam, vel substantiam plus quam substantiam dicimus, non intelligimus qualitatem quandam. Sic cum hoc non ens, hanc materiam, hoc malum dicimus, non illud bono opponimus tanquam substantiam. Sic enim bonum esset. Hoc autem longe est absurdissimum.44

Denn: Jede Substanz als Substanz, d.h. als ein Gutes, kann keiner anderen Substanz oder Gutem in diesem Sinne entgegen gesetzt werden.45 2.) Die hier gemeinte Entgegensetzung meine auch keine »contraria [...] quae sub uno genere sunt«, wie warm-kalt bezüglich der Temperatur oder blau-rot bezüglich der Farbqualität, von denen »beides ein etwas ist« (utrumque est aliquid),46 sondern »maxime contraria« oder kontradiktorische Glieder.47 3.) Gegensätze, die »sub nullo genere« fielen und vor allen gattungsbestimmten Gegensätzen lägen (prima omnium), seien anders, denn bei ihnen gelte: »si unum ponatur esse, alterum prorsus negetur esse«; hier gelte also gerade nicht: utrumque est aliquid! Einer geschaffenen Substanz sei kein etwas (aliquid) entgegen gesetzt, noch viel weniger ein Akzidens oder eine Qualität.48 Das Böse/Übel, auch wenn es im höchsten Sinne eine qualitas wäre, hätte doch vor der Schöpfung kein Substrat (subjectum), dessen Akzidens es sein könnte. Daher müsse das Nichts/Übel dem Sein/Guten »wie ein nicht Seiendes« (tanquam non ens), wie ein äußerster Mangel und Nichts, so entgegen gesetzt werden, daß ein Zugleich der Entgegengesetzten gegeben ist.

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P 2, c. 7, S. 64. P 1. c. IX, fol. 49v: »Nihil autem tam contrarium est, quam cum substantiae aliquid opponitur«. P 1, c. III, fol. 19r, 21r: Von nihil und ens, malum und bonum gelte: »haec miscere nefas [P 2, c. 3, S. 30 ergänzt:] »et Seneca: ›non miscentur contraria‹«; P 2, c. 7, S. 64; vgl. c. 17, S. 209f.: »Non enim bonum malo ita opponitur ut calidum frigido, humidum sicco, album nigro. Horum enim contrariorum utrumque aliquid est, utrumque qualitas est, utrumque vel tactu, vel visu dinoscitur, adeoque utrumque est accidens, ubi illud, quod aliquid est, alteri quod sub eodem genere aeque aliquid est, opponitur tamquam contrarium. Nam in praesenti materia malum non solum substantiis, verum etiam accedentibus opponimus [...]. Malum opponitur ipsi bono, hoc est substantiis & accidentibus tanquam non substantia, tanquam non accidens, tanquam prorsus substantiam & accidens non habens«. P 1, c. IV, fol. 30r–v: contraria müssen »sub uno genere« zusammengefaßt werden, gut und schlecht können jedoch nur in dem letzten sie übergreifenden Prinzip verbunden werden, das selbst wiederum jenseits jeden Gegensatzes stehe! P 1, c. VI, fol. 37r: »maxime inter se contraria sunt, utpote infinito, immenso, & aeterno spacio, & intervallo a se invicem remota« (Lubinus versucht hier die eigentlich geforderte kontradiktorische Struktur durch eine physikalisch-materiale Distanz zu erschleichen). P 1, c. VI, fol. 38v–39r.

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2. Sein/Seiendes und Nichts sind daher einerseits – als absolute Opposita in einem parmenideischen Sinn49 – grundsätzlich voneinander getrennt zu halten, andererseits – als konträre Aspekte – ebenso grundsätzlich und d.h. ewig (ab aeterno) aufeinander verwiesen,50 denn in der dem Menschen vorliegenden und in ihrer Struktur zugänglichen Welt zeigt sich folgendes unausweichliche Faktum: »[D]amit etwas sein kann, ist es auch erforderlich, [1)] daß [das] Nichts ist, damit das Gute sein kann, [2)] daß das Böse [Übel] ist«.51 Das im letzten Satz verwendete ›ist‹ allerdings darf nicht dem gleichgesetzt werden, das für die erste Alternative 1) eingesetzt wurde. Hier haben wir ein – wie ich es nennen möchte – steretisches Ist: ›Nichts ist‹ heißt dabei so viel wie ›Nichts ist der Mangel an Sein‹, d.h. es hat ein negative Realität, ist eine wirkliche Größe, und hat strukturierende Relevanz für das Seiende.52 Im anderen Fall, dem des absoluten Gegensatzes – das »ens proprie« gegen das »non ens« proprie –, haben wir nur ein uneingeschränktes Ist, das dem Nichts nicht attribuiert werden kann, weshalb hier auch folgt: ›Nichts ist nicht‹. Sofern, das ist der Gedanke des Lubinus, Welt als Geschaffene ist (›in hac vita‹ deutet auch auf ›in statu isto‹),53 ist sie in ihrer Grundstruktur aus Gegensätzen aufgebaut,54 die nicht nur epistemische Funktion besitzen, sondern die Struktur des Seins selbst betreffen: »Necesse ergo erat ab aeterno Nihil esse, ut Ens esset, summum defectum, ut summus effectus, summum Malum, ut summum Bonum, & esse, & cognosci possit«

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D.h. als kontradiktorischer Gegensatz von ›Sein ist‹ und ›Nichtsein ist nicht‹, dies wird in P 2, c. 6, S. 56 deutlich gemacht: »Parmenides teste Aristotele, omnia esse unum, hoc est unum omnium principium esse dixit, & magis quae dixit vidisse videtur. Quod enim ut praeter ipsum Ens ipsum non Ens, nihil esse judicans, necessario unum putat ipsum Ens esse, & Nihil aliud praeter illud«. Vgl. Parmenides fr. VIII 5f. Aristoteles: Metaphysica I 5, 986 b 29f.: »eÜn oiäetai eiQnai to? oän kai? aällo oudeßn«. Der jedem Manichäismus vorbeugen wollende Lubinus muß dennoch ein ewiges Entgegengesetztsein von ens-nihil resp. bonum-malum annehmen, vgl. P 1, c. IX, fol. 50r: »Dico ergo, & verissime quidem, & sine omni impietate, quia bonum ipsi malo ab aeterno opponitur, quod malum etiam simul cum bono ab aeterno fuerit: hoc est, cum Ens ab aeterno fuerit, propter illud Ens Nihil fuit«; ebd., c. XI, fol. 55r: »Qui enim fieri pote, ut contrarium contrarii, & contrario contrarium non sit; ut contrarium sine contrario vel esse, vel intelligi possit? [...] Ergo ut Aliquid sit, requirebatur etiam ut Nihil esset; ut Bonum sit, requirebatur ut Malum esset«. P 1, c. XI, fol. 55r: »Ergo ut aliquid sit, requirebatur etiam ut Nihil esset, ut Bonum sit, requirebatur ut Malum esset«; 55v. Vgl. unten den Abschnitt zum Übel/Bösen: Das Übel/Böse, als »aus dem Nichts« kommend, muß sich am Sein als Accidens zeigen, als »frustratio« und Beraubung, kann sich nicht substantiell zeigen, vgl. P 1, c. IX, fol. 50r. P 1, c. XI, fol. 55v–56r wird durch den Rekurs auf den Künstler und das Artefaktum deutlich, daß hier das Verhältnis Schöpfergott-Schöpfung gemeint ist: Das schöne, bedeutende Bauwerk, Gemälde oder Theaterstück kann nicht nur aus einer einfachen Form und Materievorgabe (ex una simplici materia & forma tantum) bestehen. P 1, c. XI, fol. 55r gibt Lubinus eine Anzahl klassischer Gegensätze, die zum Teil auf pythagoreische Syzygien zurückgehen, zum Teil, wie calor-frigus, Grundmodelle zeitgenössischer Naturtheorie (Telesio) darstellen, lux-tenebrae, calor-frigus, visus-caecitas, lumen-nox, pax-bellum, die alle dann unter den Grundgegensatz aliquid-nihil gestellt werden können, wenn eben dieses nihil kein »ipsissimum nihil« ist. Konsequenz ist, ebd., fol. 55v: »bonum sine malo in hac vita esse non potest«.

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(meine Hervorhebung).55 Im geschaffenen Sein, das zwischen die absoluten Opposita Sein (Gott) und Nichts gestellt ist56 und Ausdruck der »omnipotentia & majestas Dei« sein soll, mußte Verschiedenheit, Differenz und Negativität zugelassen werden,57 an denen sich die gute Intention konturieren konnte. Diese Gegensätze sind unaufhebbar ineinander verschränkt,58 sie machen die durchgehende Struktur des geschaffenen Seienden aus, denn das Sein eines ens finitum ist für Lubinus geradezu dadurch bestimmt, ein durch zweiseitige Teilhabe bestimmtes mixtum compositum aus Sein und Nichts, aus der Mächtigkeit des absoluten Seins und dem attrahierenden Mangel des Nichts zu sein: wenn aus diesem wechselseitig verspannten Zusammenhange ein Glied weggenommen werde, würde auch das andere aufgehoben.59 Aber: dennoch ist hier keine Symmetrie: »propter Ens nihil est, propter bonum malum, propter Deum diabolum«,60 alles Übel dieser Welt »dient« nur dazu, das – von Gott intendierte – Gute hervorzubringen.61 Die »intermediäre« Position des Menschen zwischen Sein = Gott und Nichts = Teufel markiert keinen Ort des ausgewogenen Ausgleichs; vielmehr gilt: »ut vere mala plurima in mundo, veri autem boni nulla omnino essentia, sed exigui tantum radii & scintillae«.62 Die ontologische ›Mittelposition‹, die dem Menschen im Seienden zukommt, ist, moralisch gesehen, eine ideale Konstruktion, der gegenüber die reale Asymmterie, der Überhang des Bösen, nüchtern zu konstatieren ist: »malitia hominum inferno tamen propior«. Der Text des Lubinus ist, aufs Ganze gesehen, alles andere als klar. Sein Argument oszilliert, so darf man wohl sagen, zwischen einem strikten Prinzi-

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P 1, c. XI, fol. 55v. P 1, epist. dedic., a5r–v: »Nimirum ratio & conditio naturae, eiusque conditoris requirebat, inter Ens & Nihil, quorum illud infinitum virtute & potentia, hoc infinitum defectu atque privatione, &, ut sic loquar, nullitate, aliquid finitum, inque tempore incipiens interponi, cuius scilicet oppositione & collatione illius infinita virtus & omnipotentia, & huius infinita impotentia & imbecillitas innotesceret & cognosceretur, & quod finitum (creaturam dico) utriusque infiniti & extremi oppositorum, particeps fieri posset, sed, ut dixi, finite tantum«. D.h. alles Kreatürliche, auch die Engel als höchst vollkommene, haben nur Anteil an einem endlichen Guten (finitum bonum) oder endlichen Anteil am unendlichen Guten; nur Abstufung im Endlichen; a6r: »omnia ergo creata inter summum bonum, & imum malum, inter ens & nihil intermedio loco quasi constituta sunt, ab uotroque aliqud habent«. P 1, c. XI, fol. 56v: »permisit diversa esse, cum quibus illa (sc. virtutes) confligerint«; vitia, pugna/bellum; fol. 57v: »ergo diversitas est, & contrarietas, cui omnis ratio veritatis, bonitatis, deitatis innititur«. P 1, c. XI, fol. 58r: »Invicem enim sibi alterutrum connexa sunt, ut sublato alterutro utrumque tolli necesse sit«; vgl. schon fol. 55v: »& utrumque licet contarium sit, tamen ita cohaeret, ut alterum si tollas, utrumque sustuleris«; ebenso 57v: »unum si tollis, alterum tollis«. Vgl. die vorletzte Anmerkung und die, den pythagoreischen Syzygien (Aristoteles: Metaphysica I 5, 986 a 22–26) ähnelnden Dyaden: lux-tenebrae, calor-frigus, visus-caecitas, lumen-nox, pax-bellum, valetudo-morbus, die unter dem Generalindex aliquid-nihil stehen. P 1, c. XI, fol. 5v; vgl. zuvor ebd., fol. 55r–v. Ebd., fol. 59r: »Illa omnia bono ancillari immensa, incomprehensibili, & admiranda Dei bonitate cogantur. Nullum enim malum quod providentia Dei non regatur, quod ad optimum finem non referatur; quod ad universi mundi conservationem non pertineat«; ebd., c. XII (ultimum), fol. 61v = P 2, c. 20, S. 247f. P 1, c. III, fol. 21r–v.

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pienmonismus, der jeden kontradiktorischen Gegensatz zu einem konträren entschärft, und einem ontologisch-moralischen Dualismus, der die Annahme eines Prinzips und die Vermittlung des absolut Entgegengesetzten ausschließen müßte.63 3. Wirkliches, geschaffenes Sein ist und kann nicht einförmig sein, um etwa dadurch eine größere abbildliche Nähe zum einen Prinzip zu haben, sondern es mußte, anstatt »ex una simplici materia & forma«, vielmehr aus differierenden, durch die Gegensatzpaare bestimmten Elementen und Formprinzipien strukturiert sein. Erst dadurch wird die sinnenfällige Welt (mundus sensibilis) zu einem würdigen »amphitheatrum« der Güte, Würde und Mächtigkeit Gottes.64 Anstelle von Gleichförmigkeit, Indifferenz und Unbeweglichkeit (einer Art schlechtem Frieden), sei von Vielförmigkeit, Differenz und Bewegung bzw. Widerspruch (einer Art gutem Krieg) auszugehen, nach dem Motto: »tolle certamen, ne virtus quidem quidquam«.65 Diese Gegensatzstruktur (des »unum si tollis, alterum tollis«) erfährt im Denken des Lubinus eine Prononcierung, wie sie für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, vor allem im Kreise humanistischplatonisch inspirierter Autoren durchaus signifikant ist. Man hat hier einerseits eine ontologische – die soeben geschilderte – und andererseits eine moralischtheologische Bedeutung dieses Gegensatzes zu konstatieren – zu letzterer im folgenden ausführlicher.

3. Theologie – Superessentialität und absoluter Wille 1. Die Gegensatzstruktur des expliziten, d.h. geschaffenen Seins verweist auf eine Intention derjenigen Instanz, die für den Schaffens- oder besser Schöpfungsakt zuständig ist: auf die Intention Gottes.66 Lubinus entwickelt seine

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Zum Dualismus, gegen den sich Lubinus allerdings wehrt, vgl. P 1, c. VI, fol. 39r–v: Gott ist das »summe ens« oder »superessentiale ens«, das Nichts das »summe non ens« oder das »nihili nihil«, Nichts des Nichts; mit solchen superlativischen, letzten Steigerungen will Lubinus den absoluten Gegensatz dennoch unter die – zumindest epistemische (nihil sine ente, & ens sine nihilo intelligi nequeat) – gegenseitige Verwiesenheit zwingen, die logisch als Kontrarietät zu bezeichnen wäre und damit noch auf ein gemeinsames Substrat und Genus der Opposita verwiese. Lubinus reflektiert hierauf P 2, c. 7, S. 66f.: Der Gegensatz des Nichts zum Geschaffenen (creata) hat zwei Aspekte, 1. einen beraubenden (tanquam privans), d.h. »cum subjectum adhuc superest, quod aliqua re bona privat«, und 2. einen negierenden (tanquam negans), »cum ne subjectum amplius superest«. Die letztere Instanz ist das »nihil in se consideratum« oder das »extremum non ens«. P 1, c. XI, fol. 56r–v. Ebd., fol. 56v, mit Berufung auf den Pimander des Hermes Trismegistos: »Hermes interrogatus a Tatio, cur Deus mentem vel beatitudinem non omnibus communicarit? Respondit: quia voluit eam, o fili, in medio tanquam certamen praemiumque animarum proponere«. Die Übersetzung entspricht wieder der des Ficino, vgl. Pimander (s. Anm. 18) fol. 1842. Zur Schöpfung als einem Hervorbringen von zuvor Nicht-Seiendem vgl. P 2, c. 12, S. 127 die Bestimmung von »produci«: »Cum vero addunt, produci praecise sumtum non significare aliud, quam habere esse ab alio, falsum est: Illud enim potius produci dicitur, quod antea non fuit«. Vgl. hierzu Nicolaus Cusanus: De possest, n. 5 (h XI/2, S. 6): »creare etiam cum sit ex non-esse ad esse producere«. Dionysius Areopagita: De divinis nominibus, I 3,

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Übernahme der platonisch-neuplatonischen Seinseinteilung innerhalb des Rahmens christlicher Theologie, dies wird allein schon durch seine intensiven Bezugnahmen auf die Autorität des Augustinus67 deutlich, der für Eilhard nicht nur allgemein ein Orientierungspunkt in philosophisch-theologischen (vor allem wohl: theologischen) Grundfragen war, sondern der für ihn auch das beste Antidot gegen jede Form eines drohenden Manichäismus darstellt, eines Manichäismus,68 der auch das homogene ontische Feld innerhalb dessen eine Seinseinteilung des erwähnten Typs angesetzt werden konnte, sprengen würde – hier begegneten sich schon in der späteren Antike der Prinzipienmonismus der klassischen Philosophie und der Monotheismus jüdisch-christlichen Typs. Gott ist für Lubinus der, »der IST, und zwar aus sich und von sich her ist« und der daher allein »wahrhaft Seiendes und höchstes Seiendes« genannt zu werden verdient.69 Als der, der allein Ist, ist Gott – mit der neuplatonisch-patristischen Tradition – das »quod superessentialiter aliquid est«,70 das »superessentiale ens«71 oder die »substantia super quam substantiam«72 und die »maxime unica unitas«.73 Er ist aber vor allem von seinem absoluten, Seins-gründenden Willen her gedacht.

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589 C. Vgl. weiter P 2, c. 18, S. 231: »Creatura enim, ut dixi, creatori, id quod finitum est infinito, atque illud adeo quod ex nihilo, & nihil esse demonstravi, illi, quod superessentialiter est, aequale esse non potest«. Vgl. etwa P 2, c. 16, S. 202. Man fragt sich natürlich, gegen welche Spielart des Manichäismus Lubinus so heftig ankämpft, direkte Gegener werden jedenfalls nicht genannt. Deutlich wird aber durch die Hinweise im Text, so etwa P 2, cap. 4, S. 43, daß für ihn nicht die manichäische Annahme zweier Prinzipien der Hauptirrtum ist (und die Hauptgefahr darstellt), sondern 1. die Kontrarietät, die schon in der ersten Auflage herausgestellt wurde, 2. aber vor allem auch die Gleichmächtigkeit, das »aequalis potentiae«, das er in der 2. Auflage mehrfach ergänzt, so P 2, S. 39 = P 1, p. 28v; P 2, S. 41 = P 1, p. 30r; P 2, S. 43 = P 1, p. 31r: »eiusdem & aequalis dignitatis, virtutis & potentiae«; P 2, S. 45 = P 1, p. 33r. P 2, epist. dedicat., fol. a5r: »qui EST, & ex & a se est [...] & ob id vere Ens, & summum bonum teste Hermete, solus appellari meretur«. Lubinus beruft sich an vielen Stellen auch auf Hermes als Muster ältester Weisheit; hier ist sicherlich die Vorstellung der prisca sapientia präsent, wie sie insbesondere von Marsilio Ficino für die Frühe Neuzeit verbindlich formuliert worden ist. P 2, c. 7, S. 59: Weder das reine Nichts noch das »quod superessentialiter aliquid est« (= 1596, 53r: superessentiale ens) können von uns ausgesagt werden oder von unserem Geist bewegt werden; Plotin: »quod nihil est, & cuius nullae sunt adfectiones, & quod ex se, teste Plotino, nec congnosci, nec cogitari potest: atque adeo quod ens nullo caret, nihil omnibus (oὐde?n tvqn paßntvn)«. Vgl. Plotin VI 9, 3, 39f.; VI 7, 32, 12; V 2, 1, 1; Nicolaus Cusanus: De possest, n. 25 (h XI/2, S. 31): »immo (intelligis omne quod esse ac fieri posse) supra ipsum esse et non-esse omni modo, quo illa intelligi possunt«, n. 66f., S. 78–80; Dionysius Areopagitas: De mystica theologia I 2, 1000 B: »super omnem ablationem et positionem«. P 1, c. X, fol. 53r. P 2, c. 7, S. 64. P 1, c. IV, fol. 32r.

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Er ist zwar reiner, absoluter Wille,74 aber er wird, trotz dieser bei Lubinus zu konstatierenden Überbetonung des Willens, doch wieder unter eine allgemeinontologische, Willens-transzendente Bedingung gestellt: Selbst er kann nicht, wie alles andere Seiende eben auch nicht, sich selbst gegenüber ein schlechthin (gegensätzlich) Anderer werden, er kann nicht nicht-Gott werden (non potest non Deus esse).75 Gott ist ebenso an seine Natur (sein Wesen) gebunden, wie an die Natur oder Struktur des Seienden, die in Folge des Schöpfungsgeschehens als Konsequenz aus seiner primordialen Natur resultierten: Gott kann also nicht, als Spätform des deus absconditus, wie etwa wenig später noch bei Descartes, kraft seines Willens die mathematischen Gesetze76 der natura rationalis oder die physikalischen Gesetze der natura non rationalis aufheben. Als an seine interne Rationalität gebundenes superessentielles Wesen ist Gott zugleich als »principium« zu denken, das heißt als ein Erstes (omnium primum), dem strikte Aseität, Autarkie, Ungewordenheit bzw. Ewigkeit und Unendlichkeit zukommt.77 Gott

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Vgl. hierzu cap. 5, p. 49–50 zum Primat der voluntas Dei: »voluntas dei est norma, & regula, qua omnis bonitas & justitia aestimatur« (50). Hierzu den signifikanten Einschub in 1596, 34r (51): »nimirum non Deus hoc vel illud jubet & vult tanquam id extra Deum per se bonum sit. Sic enim extra & supra Deum natura quaedam boni esset, cui Deus subjiceretur. Sed bonum hoc vel illud est, quatenus Deus jubet & vult. Est enim eius voluntas causa causarum & necessitas necessitatum«, Einschub 34v. Damit wird gegen den Platonismus die absolute Transzendenz eines Guten an sich verworfen. Vgl. c. 18, S. 228: »Id (d. h. das So-sein der Dinge) non alio quam ad Dei voluntatem referendum est, quae singula esse voluit quod sunt, & esse debent, cum alias nihil essent«. Dazu ebd.: »Hic ergo accurate observandum est, quod etiam superius notavi, tales operum Dei examinatores (cum dicunt, Deum injuste agere posse, vel omnino non bona fecisse) extra Deum, eiusque voluntatem justitiae & bonitatis originem & ideam sibi fingere, ad quam tanquam justiorem, meliorem, potiorem atque potentiorem Dei opera cogant, examinent, & emendent«. Es gibt kein Maß außerhalb Gottes – »voluntatis Dei nulla sit ratio, sed ipsa rationum ratio, & sibi ipsi sit ratio, sibique tanquam regula & norma boni constet« (229) – , es gibt keine Optimierungsmöglichkeit jenseits der Faktizität des So-und-so-Geschaffenseins, was so ist, wie es ist, ist schon allein dadurch im Optimum: »Optimum ergo est elementa elementa esse facta, & malum esset, si non essent talia facta«. P 1, c. V, fol. 35r: »Deus enim non potest non Deus esse. Si autem malum producere posset, ad malum & nihil labi, & malum & nihil ipse evadere posset [...] [P 2, S. 51: Quidquid autem evertitur, ab aliquo superiore & potentiore evertitur] Nihil autem seipsum potest evertere, nihil sibi ipsi potest esse contrarium«. Vgl. auch P 1, c. ultimum, fol. 60r: »nec Deus, quamvis omnipotens contra seipsum facere potest: nec cum de potentia Dei dicimus, eiusmodi potentiam intelligimus quae contra seipsam aliquid possit, quae seipsam de sua potentia dejicere, & deturbare possit, quae se a vero Ente, & Aliquo in Nihilum redigere possit«. Die Zahlnatur gehört für Lubinus zu den Wurzeln der menschlichen rationalen Existenzform, sie ist unmittelbarster Ausdruck seines Geistes (mens) im Bereich der Diskursivität (ratio), vgl. die Hinweise unten, Anm. 96. P 1, c, IV, fol. 28v–29r: 1. »a quo omnia, & quod a nullo«; 2. »a nullo alio, sed a seipso dependet«; 3. »nunquam natum«; 4. »non solum aeternum, sed etiam infinitum«. Die zweite Auflage erweitert den Text, unter Rückgriff auf klassische Prinzipiendiskurse (Aristoteles, Thomas von Aquin), deutlich, vgl. P 2, c. 4, S. 40f., (nur die eingefügten Passagen) S. 40: »(a se ipso dependet.) Et est ens, unum, aeternum, infinitum, omnipotens, immobile. Principium, & primum Summum ens dici non potest, nisi semper fuisset, nec omnia tanquam principium movere, & producere, nisi esset immobile. Et si immobile est, non sentit

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ist, in Aufnahme pythagoreisch-platonischer Vorgaben, als »monas« zu denken, die, wie die Eins (bzw. Einheit) in bezug auf die Zahlen, jeder Vielheit »vorläuft« (praecessio), und aus deren »Kraft« bzw. »Vermögen« (virtus) alles sein Sein hat.78 2. Die Intention eines höchsten Prinzips, das also, wie es zumindest für Augustinus und auch für Thomas von Aquin, den zweiten wichtigen Gewährsmann des Lubinus in theologicis, feststand, an die intrinsische Rationalität seiner Natur, seines Wesens oder seines absoluten Seins gebunden war, konnte Seiendes demzufolge nur in einer sogearteten homogenen Form konstituieren, daß der absolute Gegensatz des Seienden, das Nichtseiende oder Nichts, schlechterdings nur per privationem oder ex negativo, in keinem Falle jedoch irgendwie positiv, als Setzung, innerhalb des Seienden vorkommen kann. Wenn zusätzlich gilt, daß alles, was ist, allein schon dadurch, daß es ist – und in diesem faktischen quod steckt ja das Intendiertsein durch den göttlichen Schöpfungswillen – gut ist, so gilt also auch daß das, was – wenn man den äußersten Fall konstruieren wollte – außer diesem seinem Sein ansonsten nur negative, schlechte Eigenschaften aufwiese, durch sein aliquid esse immer noch in den Horizont des aus dem absoluten Prinzip entsprungenen Gutseins gestellt ist. Man darf durchaus vermuten, daß Lubinus, wenn er sagt: »Pessimum enim est, non esse & nihil esse, hoc est nihil boni obtinere, ut contra optimum est aliquid esse, & boni aliquid possidere«,79 hier etwa an eine markante Stelle aus der Schrift De potentia des Thomas von Aquin gedacht haben könnte,80 in der dieser davon ausgeht, daß das schlechteste Sein immer noch besser ist, als das reine Nichtsein. Denn dieses letztere, so Lubinus im Rückgriff auf Augustinus, sei »sui ipsius & sibi ipsi negatio ac privatio« (P 2, epist. dedic., a4v), somit Gott ewig entgegengesetzt (opponi) und gerade keine eigenständige, d.h. Subsistenz und damit Sein

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motum & ob id neque tempus. Unde sequitur nullam in principio esse considerationem prioris & posterioris, quod nos aeternum, vel perpetuum praesens dicimus. Quia ergo aeternum principium, motum & mutationem in se non patitur, & quia ante, & supra se extra & post se nihil agnoscit principio & fine caret, & ob id est infinitum. Si enim extra vel supra se aliquid haberet & ( si enim ab alio foret, principium non esset)«; S. 40f.: »(unde consequitur) principium hoc etiam omnia posse [!], hoc est omnipotens esse. Si enim non posset omnia impediretur a potentia quadam & necessitate superiori. Iam vero supra se nihil habet, quia ipsum est Summum & Infinitum. Quo etiam accedit, quod ad Deum & ad principium hoc omnis ratio potentiae, causae, & necessitatis omnium rerum quae sunt referatur, ut qui sit causa causarum & necessitas necessitatum. Iam quia principium infinitum est, extra illud Nihil est, & quia causa causarum est, erit & causa rerum creatarum omnium, alia aliquid esset sine causa. Quod autem sine causa est, est unicum hoc principium, & Ens Deus. (Iam age ad...)«. P 1, c. VII, fol. 40r: der menschliche Verstand (ratio) läßt nichts anderes zu, als daß omnipotentia, aeternitas, infinitas und unitas in Gott »unum & idem« sind; so auch fol. 41r. P 1, c. IV, fol. 29r–v. P 2, c. 17, S. 212f. an derselben Stelle heißt es im Anschluß an den zitierten Text: »Adeo ut etiam diabolorum esse, quantumcunque de illorum essentia depravata reliquum est, quamvis in paenam & justitiam Dei exercendam cum omnibus impiis sint & vivant, longe melius sit, quam prorsus non esse«. Thomas von Aquin: De potentia, q. 3, a. 1, ad 2.

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habende Gegeninstanz zum göttlichen Prinzip, kein ›zweites‹ Prinzip.81 Was auch irgendwie nur ›ist‹, d.h. ein aliquid, ens, eine res noch so bescheidener, ja korrupter Natur darstellt, ist deswegen doch ein in letzter Instanz Gutes:82 »malum nec factum esse, nec quidquam esse in natura rerum«.83 3. Jedoch hat andererseits alles Seiende eine ihm inhärierende, aus seiner kreatürlichen Endlichkeit resultierende Neigung oder Tendenz, ins Nichts überzugehen, der Grund dafür, daß die Dinge dies nicht toto coelo tun, ist, ebenso wie der für ihre Existenz,84 allein in dem Willen Gottes zu sehen, die Welt zu erhalten: res illae per illam inclinationem, quae in ipsis est, & per quam ex sua natura ad nihilum rebuntur, incipit perire, a sua perfectione deficere & corrumpi. Interim, si Deus & natura non prohiberet, ad nihilum prorsus, naturali sua defectione, & nullitate, reciderent, & non prius deficere cessarent, quam ad ipsum nihil suae defectionis & imperfectionis causam & fontem fuissent relapsae. Haec enim inclinatio ad nullitatem [...] & hoc nihil in omnibus creatis, huc omnia secum rapit [...]. Verum Deus & natura [...] ad nihilum res recidere non patitur, cum mundum aliquandiu velit durare, sed illam defectionem [...] impedit. 85

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Zur Zurückweisung zweier Prinzipien vgl. P 1, c. IV, fol. 28v–30r ( = P 2, c. 4, S. 40–43; daher habe zu gelten S. 45: »Utrumque Ens & Nihil infinitum est, sed hoc defectu, illud effectu, hoc impotentia, illud potentia, hoc, ut cum Scholasticis loquar, negando, illud ponendo, hoc denique infinitas negationes perfectionum est complexum, illud infinitas coercet rerum perfectiones«. Vgl. Augustinus: De natura boni contra Manichaeos (PL 42), cc. 1–10 col. 551–554; bes. c. 9, col. 554f: »Quae tamen etiam sic habens nonnullum modum et speciem et ordinem, in quacumque extremitate adhuc aliquod bonum est: quae si omnino detrahantur, ei penitus consumantur, ideo nullum bonum erit, quia nulla natura remanebit«. C. 10, ebd.: »Naturae corruptibiles, quia ex nihilo factae. Omnes igitur naturae corruptibiles, nec omnino naturae essent, nisi a Deo essent; nec corruptibiles essent, si de illo essent, quia hoc quod ipse est essent. Ideo ergo quocumque modo, quacumque specie, quocumque ordine sunt, quia Deus est a quo factae sunt: ideo autem non incommutabiles sunt, quia nihil est unde factae sunt«. P 2, c. 17, S. 214f.: omnia quae sunt, bona esse, quod a deo sunt etc., S. 217f.: »Egregie Augustini illud dictum: Nemo quaerat efficientem causam mali aut corruptionis. Non enim est efficiens, sed deficiens« etc. »quodammodo nesciendo sciuntur, ut sciendo nesciantur«. Zitat S. 218: »Hoc scio naturam dei nunquam, nusquam, nulla ex parte posse deficere, at ea posse deficere, quae ex nihilo facta sunt«. Zitat S. 221: »egregie ergo Augustinus, ›Beatitudinis‹, inquit, ›causa est adhaerere Deo‹. Quocirca miseriae causa ex contrario est intelligenda non haerere Deo«. c. 18, S. 233 Zitat: »Ille qui non alio, sed seipso bono beatus est, ideo miser non potest sse, quia non se potest amittere« etc. Daß Lubinus auch inexplizit schon 1598 sehr viel mehr als explizit aus Augustinus gezogen hatte, machen Textänderungen zwischen erster und zweiter Ausgabe wie etwa 1598, fol. 61v und 1601, S. 247 deutlich: Hatte es zuerst geheißen: »Id est, quia ex nihilo erant, poterant aeterno enti non esse similes, poterantque ad nihil relabi«, so später »Quia enim, ut ait Augustinus, ex nihilo erant, non poterant aeterno enti esse similes, sed poterant ad nihil relabi & corrumpi«. P 1, c. V, fol. 36r. P 1, c. IV, fol. 29r, 30r: den unendlichen Zwischenraum oder Abgrund (chasma) zwischen aliquid und nihil – »infinitum spacium & chaos [P 2, c. 4, S. 42: chasma] interjacet« – kann nur die »facultas immensa & infinita« Gottes ausfüllen. Vgl. unten, Anm. 92. P 2, S. 113f.; c. 8, S. 68: »quae omnia sua natura vel in momento ad Nihilum relapsura, suae bonitatis dextra sustentat [sc. Deus]« (= P 1, c. VII, fol. 39v); vgl. auch P 1, c. VII, fol. 43v.

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Man sieht also: Seiendes ist einerseits, als Seiendes, immer ein an sich Gutes und nie Nichts; andererseits ist es gerade als Seiendes zugleich auch in einer intrinsischen, ihm anhängenden Bewegung zum Nichtsein und d h. zum Nichts begriffen, einer Bewegung, aus die es nur Gott selbst heraushalten kann. Man fragt sich, woher diese sich selbst-aufhebende oder ›nichtende‹ Bewegung – »ab ente ad nihil« – ihren Ursprung haben kann. Aus der dem Seienden eigenen Qualität ›ein Seiendes sein‹ kann sie nicht kommen.86 Lubinus bleibt hier, wie später etwa auch Leibniz in seiner Theodizee, nichts anderes übrig, als den Ursprung dieser Bewegung in Gott selbst zu versetzen: Dieser hat im Seienden diese Neigung zum Nichtseienden »zurückgelassen« (reliquit)87 und die Präsenz der negativen Kraft »zugelassen« (permittit).88 Dennoch: Gott hat alles so geschaffen, wie es sein mußte (ut debuerunt), er hat alles so gewollt (voluit), wie es in seinem konkreten, hinfälligen Sein ist, denn, so Lubinus, andernfalls hätte Seiendes nicht als geschaffenes Seiendes sein können.89 Man muß das Zumutende denken: Gott »konnte das Übel/Böse nicht verhindern, weil er allmächtig ist, [und] er durfte das Übel/Böse nicht verhindern, weil er gut ist« (meine Hervorhebung).90 Weil Gott allmächtig ist, konnte er nichts ihm Ähnliches, d.h. ebenfalls Allmächtiges schaffen.91 4. Grundsätzlich jedoch gilt: Allein die unendliche Macht Gottes hat Seiendes »aus dem Nichts« (ex Nihilo) geschaffen, indem sie »den unermeßlichen Raum und Abstand, der zwischen dem Nichts und dem Etwas liegt, angefüllt hat« und in diesem »alles [sc. Seiende] [...] gleichsam als einen Punkt in seiner und des Ewigen unermeßlichen Unendlichkeit gegründet hat«.92 D.h. Raum –

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Vgl. P 1, c. V. fol. 33r sqq. So auch Augustinus: De natura boni, c. 1 (551): »omnis autem natura in quantum natura est, bonum est«, und zwar, weil sie ihr Sein (esse) von Gott, dem »summum bonum« selbst, hat; vgl. auch c. 2 (552) das »naturaliter bonum esse«. P 1, c. IX, fol. 49r–v (= in erweiterter Fassung: P 2, c. 17, S. 222): »Deus [...] in illis omnibus, omnibus, inquam, quae ex nihilo creavit, inclinationem quandam reliquit, qua ad malum & nihilum [sua naturae conditione vel] & vergunt, & [vel] vergere possunt. [...] Inclinationem, inquam, aliquam reliquit in omnibus [...] [ad motum a generatione ad corruptionem, ab ente ad nihil]« (meine Hervorhebungen). P 1, c. X, fol. 52r: »libero motu ferri permittat«; c. XI, fol. 56v: »permisit etiam diversa esse«, u. ö. Zum Problem vgl. P 1, c. X, fol. 51r–54r: »Cur Deus malum non impediat« bzw. c. XI, fol. 54v–60v: »Cur Deus malum impedire non debuit«; dort fol. 56r–v die starke Formulierung, daß Gott sich des Teufels – der deswegen eben keine eigenständige negative Größe sein könne – »bedient« habe: »nihil enim per se est, nihil etiam potest, nisi Deus per illum agat, illum jubeat, & ipso tanquam ultore, & carnifice utatur«. P 1, c. X, fol. 51v: »omnia a Deo creata esse ut debuerunt«, 52r: »libera suo libero motu ferri permittit [Einfügung P 2, c. 20, S. 228: Id non alio quam ad Dei voluntatem referendum est, quae singula esse voluit quod sunt, & esse debent, cum alias nihil essent]«. P 1, c. X, fol. 52v: »non potuit malum impedire, quia omnipotens est, non debuit malum impedire, quia bonus est«. P 1, c. X, fol. 54r: »Nego ergo Deum, quia omnipotens est, sibi simile aliquid facere vel potuisse vel debuisse. Si enim potuisset, omnipotens amplius non esset«. P 1, c. VII, fol. 40r: »immensum illud spacium & intervallum quod inter Nihil & Aliquid interjacet, adimplevit, hoc est omnia ex Nihilo condidit, & tanquam punctum in immensa illa sui & aeterni infinitate constituit«. Zur kosmologisch-theologischen Implikation von »punctum« vgl. Thomas Leinkauf: Die Centrosophia des Athanasius Kircher: Geometri-

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›Erfüllen‹ (adimplere) und ›Seinsetzen‹ (condere) sind hier identische Vorgänge, beide finden zusätzlich, wie an einer späteren, sachlich auf Spinoza voraus weisenden Wendung deutlich wird, »in creatore« statt, denn es sei ein Irrtum des Aristoteles gewesen, das »spacium infinitum, quod implendum erat«, in die endlichen Dinge zu setzen, anstatt in die Unendlichkeit des göttlichen Wesens. In allem Sein ist so das unendliche Sein Gottes in der Differenz gegenwärtig und alles Sein, das so aus dem über-seienden Sein gegründet wird, hat durch letzteres je an essentia, bonitas und unitas teil93 – denn Sein als endliches Seiendes, »ens«, kann dem Sein des unendlichen, über-seienden »ens« nicht gleich sein (aequale esse non potest).94 Aber in allem Sein ist zugleich auch das Nichts, als unendliches Nicht-Sein und Oppositum Gottes, gegenwärtig und alles Sein, das so auf dem Nicht-seienden gründet, hat durch letzteres an Endlichkeit, Mangel und Tod teil.

4. Anthropologie – Epitome-Mitte, Freiheit, Deificatio Lubinus’ Konzeption des Menschen innerhalb des Tractatus hypermetaphysicus ordnet sich in ihren wesentlichen Grundzügen dem klassischen Typ frühneuzeitlicher, aus dem Geist des Renaissance-Humanismus entstandener Anthropologie zu.95 Dies sei an drei zentralen Mustern seiner Konzeption kurz skizziert, die

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sches Paradigma und geozentrisches Interesse, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 14 (1991), S. 217–229. Zum »infinitum intervallum« vgl. auch P 1, c. VII, fol. 44r, wo sogar gesagt wird, daß das »corporum acumen nihilo proximum« immer noch »ab ipso nihilo infinito intervallo distare«! Größte Nähe (proximum) kann hier also den unendlichen Abstand als solchen nicht verringern. P 1, c. IX, fol. 47v. P 1, c. X, fol. 53r. Daß Lubinus klassische Autoren der Renaissance-Philosophie gekannt hat, dürfte unzweifelhaft sein und zwar nicht nur deswegen, weil er in der Epistula dedicatoria von P 1 Giovanni Pico erwähnt (fol. a4r) – der »cardo totius disputationis« sei, »neque malum esse quandam peculiarem substantiam, naturamque in mundo, qualis est boni, neque idem Malum a Deo esse, sed idem Malum nihilum esse & a Nihilo, cumque ipso Nihilo converti. Malum enim & Nihil, teste magno illo Pico Mirandulano, quem patres nostri sui saeculi Phaenicem appellarunt, si differre dicamus, reclamabunt omnes Philosophi pariter atque Theologi. Quare & facere malum nihil est facere, dicique solet mali non esse efficientem, sed deficientem caussam. Unde illorum insania confutatur, qui duo Principia posuerunt, alterum bonorum, malorum alterum, quasi efficiens aliquod principium mali esset« –, sondern auch, weil er deutliche Anleihen etwa beim Konzept der ›docta ignorantia‹ des Cusaners macht, so etwa P 2, c. 1, p. 6 (Einfügung von 1601!) hinsichtlich der Gotteserkenntnis: »ubi crassa ignorantiae caligo ne ad levissimarum quidem rerum creatarum & naturalium cognitionem pertingit, ubi omnium sapientissimorum sapientia exactissima, se nihil scire, hoc est ignorantiam suam discit«. Ebd., c. 3, S. 38 (= P 1, c. III, fol. 27 v): »ignorantiam tuam hic (id est, in mundo sensibili etc) non ignorabis«; vgl. auch P 2, c. 8, S. 80: »hoc censeo doctissime ignorari, & ut nescire in hoc mundo sensibili cogimur«; ebd., c. 20, S. 258 (= P 1, c. ult., fol. 68v): »arcana dei mysteria in hac vita doctissime ignoramus«. An Marsilio Ficino erinnert etwa die Auffassung von der Seele als einer »imago« des »mundus intelligibilis«: »quod Deus est in mundo, hoc anima esset in corpore«, P 1, c. II, fol. 10r, oder der Gedanke vom Körper als einem »Gefängnis« der Seele, ebd., fol. 11v, der am Ort

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sich alle wiederum als Implikationen des für Menschsein konstitutiven Begriffs des Geistes, der mens, darstellen:96

4.1. Der Mensch als »Auszug« (epitome) und »Mitte« der Welt 1. Zu diesem Gedanken, der sich auch etwa bei Cusanus, Ficino, Pico, Patrizi und Tommaso Campanella nachweisen läßt, gehört bei Lubinus nachweislich – und damit steht er ebenfalls mit beiden Füßen in einer Tradition, wie sie sich ungebrochen vom 15. bis ins frühe 17. Jahrhundert gezogen hat: der des dignitas hominis-Gedankens97 – zunächst die klassische Aufteilung in Mikrokosmos und Makrokosmos, die je als Ganze in einer strikten wechselseitigen, analogischen

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direkt aber auch mit Hermes Trismegistos in Verbindung gebracht wird; der Gedanke, der sicher auch von Augustinus mit inspiriert ist, daß der menschliche Geist bzw. die menschliche Seele »in hoc universo angustias patitur, & suis saepe cogitationibus, extra caeli superficiem excurrit«, ebd., c. III, fol. 26r, oder etwa der Gedanke des »dreifachen Lebens« (triplex quasi vita) in c. III, fol. 22v–23r: »Quia ergo in reliquis omnibus triplex quasi vita, qua vivunt, qua sentiunt, qua intelligunt, stirpes, bruta, angelos dico: in horum omnium epitome homine hi tres vitae gradus inter se coordinati sunt, ita ut ex imo in medium, per medium ad tertium, & supremum tendat«. De vita libri tres jedoch anders, eher De triplici vita et fine triplici (Hg. von P. O. Kristeller, Supplementum Ficinianum, Bd. I, S. 80–86). Zur Sache: Thomas Leinkauf: Selbstrealisierung. Anthropologische Konstanten in der Frühen Neuzeit, in: Bochumer philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 10 (2005), S. 129–161; ders.: Cusanus. Eine Einführung. Münster 2006, S. 182ff. Zu den Implikationen des mens-Begriffs, wie sie paradigmatisch durch die ungewöhnlich weit verbreiteten Schriften des Marsilio Ficino vorliegen, vgl. Thomas Leinkauf: Mens und intellectus. Überlegungen zum Status des menschlichen Geistes in der Philosophie des Marsilio Ficino, in: S. Toussaint (Hg): Marsile Ficin ou les mystères du Platonisme. Paris 2001, S. 179–208. Für Lubinus ist, wie schon weiter oben erwähnt, der Gedanke der Zahlnatur als unmittelbares Konstituens des menschlichen Geistes zentral, vgl. P 2, c. 13, S. 149: »mundi ille & naturae architectus deus numerorum notitiam & cognitionem singulari consilio & providentia hominum mentibus impressit, hoc est ipsam rationem & intellectum [d.h. ratio = numerorum notitia!], qui certa quadam ratione ex additione vel compositione & divisione constat [...]. adeoque numerorum ratio est divinae mentis radius in mentes hominum transfusus, estque quasi rationis humanae radix & basis, seque tam late porrigit, quam late sese extendit mundus, & quae in mundo continentur omnia supera, infera, maxima, minima«. Vgl. Augustinus: De trinitate XI 8, n. 12; Enarrationes in Psalmos 146, n. 11; In joh. XXXIX, n. 4: »ubi cogitare coeperis, incipis numerare«; De ordine II 18, n. 48: »nihil aliud quam numerum esse rationem«; 19, n 49. Nicolaus Cusanus: De docta ignorantia I 5, n. 13; II 3, n. 108; De coniecturis I 2 n. 9 (h III, p. 14): »numeri igitur essentia primum mentis exemplar« (Boethius, Inst. arithm. I 2). Giovanni Pico della Mirandola: Oratio (ed. Garin, Firenze 1942, S. 146): »inter omnes liberales artes et scientias contemplatrices praecipuam maxime divinam esse scientiam numerandi«. Grundsätzlich gilt, daß die Rationalität des Menschen »supra omne coelum emicat«, vgl. P 1, c. II, fol, 13 v; zur »mens« zentral ist P 1, c. III, fol. 26r–27v (= P 2, c. 3, S. 35–38). P 1, c. II, fol. 13r: »dignitas et gradus tuus«, ebd., fol. 14r: es gibt nichts, »quod statum suum & dignitatem suam, uno homine excepto, non exacte tueatur, & retineat?«; c. III, fol. 27r gibt auch »nobilitas« anstelle von »dignitas«. Zur dignitas des Menschen tritt jetzt die grundsätzlich dignitas jedes Seiende, die es dort hat, wo der Ort seiner Wesensvollkommenheit liegt.

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Relation zum anderen zu denken sind,98 sodann ein hierarchisches Stufungsmodell, dessen einzelne Instanzen den inhaltlichen Horizont der analogischen Entsprechung ausmachen99 und schließlich eine Struktur, d.h. eine interne Verknüpfung der zugrunde gelegten Stufen, die dem Muster sowohl des traditionellen catena rerum-Topos in seiner neuplatonischen Prägung100 als auch dem – ursprünglich stoischen, dann christlich adaptierten – mundus propter hominemGedanken entsprechend gedacht wird.101 Unter diesen Bedingungen kann der Mensch nicht in der Weise als höchste Ausprägung des Seins verstanden werden,102 daß er diese Vollkommenheit ausschließlich als er selbst zum Ausdruck bringt, als ein von allem anderen – gattungs- und artspezifisch – getrenntes Seiendes, sondern ausschließlich so, daß in ihm alles andere Sein eingeschlossen (inclusus) oder er selbst ein Auszug allen Seins (epitome) ist.103 Daß der Mensch ein solcher Inbegriff alles anderen Seienden ist, d.h. alles dessen, was ist – »illius quae vere est« (= proprie; Modus I) und »illorum quae vere non sunt« (= improprie; Modi II–III) –, bedeutet nicht nur, daß er die höchste Vollkommenheit und die tiefste Unvollkommenheit in sich einschließt, sondern vor allem auch, daß er am empfänglichsten für das Übel/Böse in der Welt ist, daß er

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Vgl. P 1, c. II, fol. 7v–8r: »sive extra te magnum, sive intra te parvum mundum intueare«; ebd., c. III, fol. 27v: »hic universi parvi, & magni ordo«. Lubinus bezieht sich hier auf eine klassische, seit Augustinus in der Latinität verbreitete Einteilung, vgl. P 1, c. II, fol. 8v–9r: »quatour summa rerum genera«, d.h. 1. »quae tantum sunt« = elementa; 2. »quae non solum sunt, sed etiam vivunt« = stirpes; 3. »quae non solum sunt, & vivunt: verum etiam sentiunt« = animalia, 4. »quae non solum sunt, vivunt, & sentiunt, verum etiam ratiocinantur« = homines; so auch ebd., c. II, fol. 13r; c. III, fol. 22v. P 1, c. II, fol. 8v: »quatuor summa genera occurrunt, quarum alterum aliud, superius inferius continet; alterum altero, inferiora superioribus continentur«. Vgl. hierzu Thomas Leinkauf: Mundus combinatus. Studien zur Struktur der baqrocken Universalwissenschaft. Berlin 1993, S. 110–123. P 1, c. II, fol. 8v–9r: »Ut semper animadverti potest, inferiora superioribus inservire, atque adeo superiorum gratia condita fuisse [...]. Ita ut propter unum hominem omnia a natura producta esse omni demonstratione notius sit«; vgl. auch ebd., fol. 10v: »Cum ergo omnia propter aliud, nihil propter seipsum, & mundus universus propter hominem, restat ut homo propter Deum conditus fuit«; ebd., fol. 13r; c. III, fol. 22v; c. VIII, fol. 46r–v: »propter te omnia in mundo bona«. Daß der Mensch an sich immer schon alles andere geschaffene Seiende übertrifft, stellt Lubinus überdeutlich auf der Basis der mundus propter hominem-Gedankens, heraus, vgl. P 1, c. II, fol. 13r: »Ita ut vel unius hominis animula rationalis vastissimo hoc naturae rerum a Deo condito theatro, quod constat e coelo, & terra, & naturis in hisce contentis, infinito intervallo antecellat« (meine Hervorhebung). P 1, c. II, fol. 9v (= P 2, c. 2, S. 14): »In hoc [sc. homine] omnium quae sunt, tam illius [P 2: sui ipsius] qui vere est, quam illorum quae vere non sunt, id est sui creatoris, & creaturarum Epitomen, singulare suae omnipotentiae & bonitatis specimen exhibiturus Deus includere voluit«. So auch c. III, fol. 22v: »Horum omnium Epitome in homine a se condito includere voluit«; ebd., fol. 23r; c. VIII, fol. 45r: »Horum omnium [sc. corporearum & incorporearum entium] in uno homine tanquam absolutissimo mikroßkosmv#‘ Epitome quaedam, & quasi Synopsis conclusa est«; ebd., fol. 45v zu den respektiven »loca« der drei vitalen Grundvermögen (vita, sensus, ratio) im Menschen.

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allein es ist, der »quanto brutis praestantior factus erat, tanto jam brutis deterior evasit«104 (vgl. 5.). 2. Dieser Gedanke ist systematisch begründet darin, daß Lubinus die »drei Stufungen des Lebens« (tres vitarum gradus) – vegetativ, sensitiv, intellektiv – im Menschen selbst noch einmal abgestuft verankert sieht: Die ersten beiden Stufen sind strikt Körper-gebunden und vergehen mit dem Tode des Menschen; die letzte hingegen, »ab omni concretione mortali separata« und den mentes intellectuales zugeordnet, macht den unvergänglichen Kern der unsterblichen Seele aus.105 Durch dieses höchste rationale, rein geistige Vermögen ist jeder einzelne Mensch zugleich auch über sein Epitome-Sein potentiell schon hinaus und verwiesen auf einen aus radikaler Freiheit (d.h. Ungebundenheit von rein körperlichen Bedingungen) zu vollziehenden »Aufstieg« zum höchsten Prinzip.

4.2. Freiheit als Grundzug menschlicher Existenz 1. Freiheit stellt für Lubinus einen Grundzug menschlicher Existenz dar, so wie die Rationalität, exemplifiziert am Vermögen zur Hervorbringung von Zahlenverhältnissen, einen Grundzug des unveränderlichen menschlichen Wesens darstellt: »[Das Vermögen zu] freie[r] Bewegung und Freiheit der Entscheidung in Verbindung mit Rationalität zu haben, das wirklich bedeutet ›MenschSein‹«.106 Engel und Menschen sind als freie und frei/willkürliche entscheidende (libera & arbitraria) Seiende in sich gut geschaffen (bona creata);107 dies hat für Lubinus auch eine ontologisch-metaphysische Konnotation, denn Frei-Sein bedeutet wesentlich Frei-Sein von Bedingungen der Körperlichkeit, und, auf Basis dieser Unabhängigkeit, einen Bezug auf den deificatio-Gedanken: durch Freiheit erreicht die menschliche Natur eine größtmögliche Nähe zur »majestas Dei«.108 Diese ist freilich – per impossibile – faktisch nur dann erreicht wenn gilt: »motum enim liberum, & arbitrii libertatem cum ratione habere, hoc vero est esse hominem, quemadmodum liberum arbitrium habere, quod nunquam mala possit eligere, & non nisi rationale esse, est Deum esse, vel Deo coaequari«109 (meine Hervorhebungen). Die Freiheit, die zur Wesensnatur (essentia) des Menschen gehört, ist grundsätzlich pervertibel.110 Alles, wie gut, gesund, voll-

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P 1, c. II, fol. 15r. P 1, c. VIII, fol. 45v. P 2, c. 19, S. 234: »motum enim liberum, & arbitrii libertatem cum ratione habere, hoc vero est esse hominem«. P 2, c. 20, S. 247; vgl. auch P 1, c. IX, fol. 49v: »spiritalia si sua voluntate, quae necessario illis libera, libere Aliquid & Ens vel Deum relinquant, & ad Nihil, id est Malum relabantur«. P 2, c. 20, S. 247v (= P 1, c. 11, fol. 61): »liberae, inquam, & separatae ab omni permixtione & concretione corporali, aut sublunari essentiae & intelligentiae, & quantum creaturae fas erat, proxime ad dei majestatem debebant accedere«. P 2, c. 19, S. 234. Vgl. P 2, c. 20, S. 249f.: Gott ist das »liberrimum agens«, in seinem unendlichen Wesen ist auch die Freiheit unendlich, kann nicht mißbraucht werden, »cum sit a se, & seipsum non possit relinquere«; die Engel und der Mensch hingegen sind endlich, ihre Freiheit also

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kommen es auch geschaffen sei, kann »in venenum, in exitum suum, & aliorum mali [...] converti«, so gerade auch der Mensch, der, so wie er geschaffen ist, »sein und leben« muß, der sich seiner ihn auszeichnenden, ihn zu dem, was er ist, machenden Eigenschaften »frei« bedienen kann und sie also auch gegen sich (und Gott) richten kann. Er könne nicht Gott anklagen, »si libertate abusus relinquendo deum malum fias, sine qua [sc. libertate] non possis esse homo«.111 Es sind die Eigenschaften, die zu den essentialia und propria gehören, die in Perversion ausschlagen können. Lubinus legt den Schwerpunkt auf die spontane, freie Entscheidung,112 der die Konstitution eines »bonum mutabile«113 und die ontologisch-kosmologische Dichotomie, die das »a nullo externo cogi« ermöglicht,114 zugrunde liegt. Die primären Defekte, an denen sich die Präsenz des malum zeigt, sind »superbia«, »ambitio« und »curiositas«, die in der Wurzel dadurch verbunden sind, daß sie alle eine Konsequenz der Konzentration des Menschen auf das »bonum mutabile«, also auf die endlich-geschaffene Welt als solche – und gerade nicht in ihrem Verweis-Charakter auf Gott – darstellen, eine Konsequenz des Selbstverweises des Endlichen auf sich selbst (d.h. im Sinne des Lubinus: auf das Nichts): »seipsum in seipso inspicere«. 115 2. Der einzige Ort für die spezifisch menschliche Seinsform des »bonum mutabile in extenso« – nur der, »in quo, & a quo omnia sunt, & qui a nulla alio, sed in & a seipso est«, also Gott, kann auch »allein von jener Veränderung frei sein«116 – ist im System Lubins das »intermedium inter nihil & ens, inter malum & bonum«, also die klassische Mittelposition.117 In diesem Zustand, Ort, »status«, habe der Mensch, wie jede andere Kreatur, »zufrieden« (contentus) auszuharren und einzusehen, daß er weder Gott werden könne und dürfe, noch zum Bösen absinken dürfe, obgleich er dies könne.118 Anschauung und Betrachtung (intueri) Gottes, Teilhabe an seiner Vollkommenheit sind möglich; Anlaß des Abfalls (lapsus) und der Sünde ist jedoch »quod creatura illud voluerit esse

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auch, sie kann mißbraucht werden (»cum sint creati ex nihilo, suam perfectionem deserere potuerint, se libera voluntate a deo avertendo«, S. 250). Freiheit gehört »notwendig« zum Menschsein: »Libertas ergo, & talis libertas homini debebatur, qua homo esse debebat, & sine qua non poterat. Data enim erat voluntas, ut deum amaret, amor autem natura liber. Vult autem deus amari & coli a nobis non invitis, sed sponte atque ultro. Voluntatem igitur liberam esse oportuit«. P 2, c. 20, S. 250. Interessanter Weise wird etwa ebd., S. 251 das »voluntas« aus P 1, c. XI, fol. 63r ersetzt durch »liberae voluntatis arbitrium«. Vgl. P 1, c. XI, fol. 63v; P 2, c. 20, S. 251. P 1, c. XI, fol. 63r bzw. P 2, c. 20, S. 251. P 1, c. ultimum, fol. 65v–66r: »haec superbia lapsus est, dum creatura se creaturam potius quam creatorem dilexit«. P 1, c. IX, fol. 49v: »cuius mutationis solus expers ille«. Siehe oben die Ausführungen zum Begriff der Epitome. Das »bonum mutabile« als »intermedium« erinnert an das »experimentum suae medietatis« des Augsutinus, vgl. hierzu R. Berlinger: Augustins dialogische Metaphysik. Frankfurt a.M. 1962, S. 37–42. P 1, c. ultimum, fol. 63v (= P 2, c. 20, S. 252).

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quod non debebat«.119 Dabei gilt die starke Lesart: die freien »internae animi motiones« können von keinem äußeren Einfluß in ihrer Entscheidungsbewegung »gezwungen« werden.120 Andererseits ist dieser Abfall, der Ausdruck der Freiheit ist, Bedingung für eine Umkehr und eine Rückkehr zum Prinzip, die im ursprünglichen, gleichsam statisch im Gutsein fixierten Zustand des Menschen, ummöglich war. Da Lubinus einerseits die Aktuierung des Potentiales an Spontaneität, das in der Wesensnatur des Menschen verankert ist, an die ontologische Gegensatzstruktur zurückbindet – nach der die Gegensatzglieder einander »zugleich« (simul) fordern (s. oben, S. 94, 102) – und andererseits jedoch, in klarer christlicher Perspetive die spontan getroffene Entscheidung an eine Zielvorgabe zurückbindet (Aufstieg), kann Freiheit im Menschen, selbst in ihrem Mißbrauch, nur einen »abusus ad licentiam« darstellen, bleibt also wesentlich in eine von Gott gesteuerte heilsgeschichtliche Perspektive zurückgestellt.121 So ist auch klar, daß der Rückgriff auf Augustinus aber auch Laktanz, sich sowohl aus deren spezifischer Nähe zum antik-humanistischen Diskurs als auch aus der dort klar herausgestellt heilsgeschichtlichen Geschlossenheit verstehen läßt.

4.3. Gott-Werdung durch radikale Selbsterkenntnis als Zielpunkt Für die sich an Platon und den hermetischen Schriften orientierende Konzeption des Menschen, wie wir sie bei Nicolaus Cusanus, Marsilio Ficino, Giovanni Pico della Mirandola, Johannes Reuchlin u.a. finden, spielt der Begriff der »deificatio« eine zentrale Rolle.122 Auch Lubinus kennt das diesem Begriff kor-

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Vgl. P 1, c. XI, fol. 64r; P 2, c. 20, S. 252: »malum est aliquid suam stationem deserere, & aliter fieri, quam a deo [...] constitutus est«. Vgl. Augustinus: De natura boni, c. 4 (553): »prius quaerendum est quid sit malum: quod nihil aliud est quam corruptio, vel modi, vel speciei, vel ordinis naturalis«. P 1, c. ultimum, fol. 63r: »quae [sc. Motiones] quia liberae erant, a nullo externo poterant cogi«. P 1, c. ultimum, fol. 62v: »cur saltem rationalibus libertatem illam dedit, qua ad licentiam abusae sunt?«; vgl. Ebd., fol. 64: »habebant ergo quae facere debebant ex mandato Dei, habebant, & qui possent, voluntatis libertatem«; vgl. ebd., fol. 68r: »quos [sc. für die Menschen und Engel] necessarium erat non a Deo ad lapsum cogi, vel incitari, ideo illis libertatem dedit, qua illi ad licentiam abusi, & per se, & ex se, a se, & in se sine Deo, eiusque voluntate, & jussu ad malum prolapsi sunt«. Eine Hauptwurzel hat dieser Gedanke in Platons Theaitetos (176 D), von dort wandert er über die mittelplatonischen Systematisierungsversuche, in denen die oÖmoißvsiw jevq# einen eigenen Topos einnimmt, in die Texte des Neuplatonismus; auf christlicher Seite findet er eine Aufnahme in den patristischen Reflexionen zur jeßvsiw bzw. jevpoißhsiw etwa bei Gregor von Nazianz, vgl. W. Beierwaltes: Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik. Frankfurt a.M. 21979, S. 385f.; Thomas Leinkauf: Reuchlin und der Florentiner Neuplatonismus, in: G. Dörner (Hg): Reuchlin und Italien. Stuttgart 1999, S. 122–124. Für Cusanus vgl. ders.: Cusanus (Anm. 95), S. 61, 188; vgl. De filiatione dei, H IV/1, p. 52: deificatio ist »notitia dei et verbi seu visio intuitiva«. Vgl. für Lubinus P 2, c. ultimum, S. 260f. zur conditio humana: der Mensch existiert in einer endlichen, vergänglichen, korrupten Welt, sein eigentliches Sein sei ist Geist-Sein (»vita mentis: cum Hermete finem hominis esse mente vivere, mentis vitam Deum esse [Plato] affirmat«), sein Ziel ist das Gott-ähnlich-Werden (»Plato [...] in Phaedone & Theaeteto, animae summum bonum esse dei similitudinem«).

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respondierende Theorem vom »Aufstieg« zu (ascensus)123 beziehungsweise von der »Annäherung« an (accedere) Gott,124 die dem Menschen ausschließlich durch die Aktivität seines Geistes, der »mens« möglich ist und die, zur vollständigen Erfüllung seines Mensch-Seins, auch von ihm gefordert ist.125 Mit seiner eigenen Gott-Werdung restituiert der Mensch auch die ganze Welt, die, trotz ihrer ursprünglichen, in sich gestuften Vollkommenheit, in unendlich verschiedener Hinsicht dem Mangel und dem Bösen zustrebt: »[E]s gibt nichts von all diesen [sc. in der Schöpfung geordneten] Dingen, was seine Position beibehalten hätte, was nicht von dem Grad seiner Vollkommenheit abgewichen wäre«.126 Das Bild, das der Mensch sich, auf dem Sockel der dignitas-Topik, von sich selbst macht, vor allem von dem, was er sich tatsächlich an Gutem zuschreiben kann, muß nach Lubinus, ganz auch im Zuge der für das spätere 16. Jahrhundert typischen Zunahme an skeptisch-kritischer Selbstreflexion – man denke vor allem an Montaigne –, aber unter Rückgriff auf das pythagoreische Monitum der täglichen Rechenschaftslegung und vor allem das augustinische In-sichselbst-Zurückkehren,127 radikal in Frage gestellt werden: »age, quia te nondum pernosti (utpote qui nunquam forte teipsum ingredi dignatus es) teipsum tibi ipsi speculum dabo, & te tibi demonstrabo« (meine Hervorhebung).128 Eine »anato-

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P 1, c. II, fol. 11r: »animam vero incorruptibilem & intelligibilem ad intelligibilem mundum Deum reducere«; c. III, fol. 23v: »Hic ergo universi mundi finis, ut homo a nihilo, ad aliquid, a centro terrae ad coeli intima, atque adeo ad Deum quam proxime per gradus ascendat, ibique aeterna Dei contemplatione, & admiratione inebrietur«; c. III, fol. 24v, 27r. P 1, c. III, fol. 13r (= P 2, c. 3): Gott hat dem Menschen, neben seinen anderen, psychophysischen Eigenschaften, vor allem Verstand, Vernunft und Willen zugeteilt (tribuit), »ut ita quantum Deitatis & divinae majestatis ratio permitteret, quantum fieri poterat, proxime ad Dei perfectionem accederes«; ebd., fol. 15v: »Deus tibi inter omnia rationem, & in illa intellectum, & voluntatem attribuerat: illo, ut scopum propter quem creabaris intuereris: hac, ut illo vere bono totus acquiesceres: ut intellectus congnosceret, & voluntas amaret Deum: ille ut felicitatem viderte, haec ut amplecteretur«. P 1, c. III, fol. 5r–v: Lubinus greift hier, wie so oft (vgl. oben, Anm. 18 u. 63), auf die Schriften des Corpus Hermeticum zurück: »Sapientior igitur omnibus his Christianis (si modo illos [Lubinus nennt interessanter Weise keine Namen, die Theoriestücke, auf die er sich bezieht, könnten z. B. von Ficino stammen] ita appellare fas) Hermes Ethnicus, qui filium Dei, & Mentem de Deo audiri jubet, & inquit: ›sola mens Deum percipit, sola Mens Deum praedicat: neque enim licet homini Dei pulchritudinem intueri, nisi quis anta ab hac mente in altera vita in deum fuerit transformatus‹«. P 1, c. II, fol. 9r: »Nihil horum omnium, quod statum suum retineat, quod non a perfectionis suae gradu dejiciatur«. P 1, c. II, fol. 17v: »Describas tu saltem omnes illas meditationes, & cogitationes quae unius diei spatio cerebrum oberrarunt, & vesperi illa tecum relegas [P 2, c. 2, S. 24 ergänzt: »Pythagorae monitu, vesperi antequam dormias ›coagi relegens transacta diurni‹, tecum«] reputes, & calculum subducas«. Der Hinweis auf Pythagoras folgt wohl nicht Diogenes Laertios (hier konnte ich dieses Diktum nicht finden), sondern einer der spätantiken Pythagoras-Viten, vgl. etwa Porphyrios, Pujagoßrou bißow, n. 40 (ed. E. des Places SJ, Paris 1982, S. 54): »Pro? me?n ouQn touq uÄpnou tauqta eÖautvq# ta? eäph eöpaß#dein eÄkaston· mhd’ uÄpnon […] prosdeßcasjai pri?n tvqn hÖmerinvqn eürgvn tri?w eöpeljein ktl.« P 1, c. II, fol. 17v; vgl. auch den vorhergehenden Passus fol. 16v–17r und c. III, fol. 25v–26r (= P 2, c. 3, S. 35f.); vgl. auch c. III, fol. 26r (P 2, c. 3, S. 36) den Aufruf, den eigenen Geist

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me« des Ist-Zustandes der Welt129 und des in dieser als Inbegriff ihrer Implikationen lebenden Menschen, kann nur zu der Einsicht führen, »daß es in der Welt kein [sc. wirklich] Gutes gibt«.130

5. Das Nichts – Das Nichts und das »malum« als Bedingung von Existenz, Wissen und Erlösung 1. Damit »nicht nur Gott ist« (ut non solum Deus esset), denn dies wäre nicht nur eine quoad nos kontra-intuitive Behauptung, insofern unabweislich Seiendes ist, das nicht Gott selbst ist, sondern auch ein quoad Deum unzulässiger Gedanke, denn er bliebe ein unaufgeschlossenes Prinzip, das nichts aus sich entlassen und geschaffen hätte, er bliebe vor allem ohne die aus dem Anderen seiner selbst ihm zurückgegebene Bestätigung seiner Absolutheit, damit also etwas ist, das nicht Gott, aber auch nicht ohne Gott ist,»ist es erforderlich, daß Böses (Negatives) sei, das aber nicht von Gott (selbst her) sei«.131 Wenn das Nichts nun, als das »ipsissimum nihil« und als »äußerster Mangel« – im Sinne des oben herausgestellten Seinsmodus IV –, wie wir gesehen haben, mit der Materie gleichgesetzt wird und diese wiederum als der Ursprung des Übels zu gelten hat,132 dann wird deutlich, daß Lubinus zunächst das Nichts in eine ursprüngliche, absolute Opposition zum Sein stellen muß – die Dinge haben, was sie sind, vom Sein, was sie nicht sind, vom Nicht-Sein (= Nichts).133 Er muß

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(mens) zu Rate zu nehmen oder zu befragen (consulere), um die im Geistigen implizierte Einsichtsmöglichkeit in die Struktur der Welt zu aktivieren. Lubinus bedient sich hier des methodologischen Topos der »˜natomë«, der seit Vesalius verbreitet war und nicht nur auf im engeren Sinne biologisch-naturtheoretische und medizinische Zusammenhänge angewendet werden konnte, sondern z.B. auch, wie sich bei Francesco Patrizi zeigen läßt, hinsichtlich des Begriffes von Geschichte; vgl. hierzu Thomas Leinkauf: Freiheit und Geschichte. Francesco Patrizi und die Selbstverortung der menschlichen Freiheit in der Geschichte, in: E. Rudolph (Hg): Die Renaissance und ihre Antike, Bd. 1: Die Renaissance als erste Auklärung. Tübingen 1998, S.79–94, oder, wie sich bezüglich des Hermeneutik-Diskurses zeigen läßt, hinsichtlich der Analyse der Sprachund Argumentationsstruktur (mit Wurzeln im platonischen Dialektikbegriff), vgl. etwa Symphorien Champier, einen Vertreter der Pariser Ficino-Schule, in seinen Libri septem de dialectica (Basel 1537) folgende Ausführung: »Imitabor igitur sectiones illas medicorum, quas anatomas vocant, imitabor & tabularum calculos. Nam & dividam singula prope minutatim, & in summa summarum redigam«. P 1, c. II, fol. 18r als ein Zitat des Hermes! Vgl. Ficino: Pimander (s. Anm. 18), fol. 1840: »nullus tam bonus esse potest, quam Deus unicus, is enim ipsum bonum est, nec aliud quicquam praeter bonum, reliqua omnia ab ipsa boni natura secreta sunt. Corpus quidem, & anima locum habent nullum, quo bonum capiant«; auch fol. 1844f. P 1, epistola dedicatoria, fol. A 3r: »ut non solum Deus esset, sed etiam esse videretur, requirebatur malum quidem esse, sed a Deo non esse«. P 1, epistola dedicatoria, fol. A 2v–3r: »Quatenus a perfectione sua deficiunt [sc. Entia], & non sunt, ex nihilo trahunt«; c. I, fol. 7r: vom »malum« wird gesagt, »nihil esse, & a nihilo exortum«. P 1, c. II, fol. 9r: Lubinus muß daher konsequent sagen, daß, wenn gilt, daß alles Seiende von seinem ursprünglichen Vollkommensein abfällt/abweicht, dies bei dem, was auf der untersten Stufe steht, was also »nuda tantum essentia praedita« ist oder nichts anderes als

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damit zugleich Gott, der mit dem reinen Sein gleich und als »solus omnipotens« zu denken ist, dem Nichts als dem, wenn man so sagen darf, non omni potens gegenüber stellen.134 Das Seiende jedoch (die Modi II–III: quae vere non sunt) ist insgesamt ein vom Nichtsein oder Nichts durchdrungener Horizont, in dem insbesondere der Mensch, als Inbegriff allen Seins und als komplexeste Seinsform, als »inter aliquid & nihil [...] constitutus«,135 in jeder Hinsicht anfällig ist für die Leiden und für die Übel dieser Welt: In ihm werden sie, in der Weise des nur ihm eigentümlichen Ausgesetztseins an alle Krankheitsformen, des Unglücklichseins, des seelischen Schmerzes und des Schuldgefühls, potenziert zurückgeworfen.136 Im Menschen ist daher selbst das, was an ihm und für ihn ein Gutes ist, eine, wie Lubinus mit Berufung auf Hermes Trismegistos sagt, »mali portio minor«.137 Die Welt, wie sie sich in ontologischer Reinheit philosophisch rekonstruieren läßt, muß, unter Bedingungen christlicher Existenz, eine zusätzliche, wichtigere moralische Deutung erfahren, die allerdings alles aus der Position des Menschen heraus festlegt: Daher kann die Position des Menschen auch als »inter aliquid & nihil, id est inter bonum & malum constitutus« skizziert werden138. Den Modi des Seienden entsprechen so Modi des Gut-Bösen: dem ens proprie (I) das vere bonum (= Gott), dem ens improprie (II) und dem non ens improprie (III), sofern sich in ihnen die ambivalente Natur des Menschlichen spiegelt, entspricht zunächst, bezogen auf II, die seelische Alternative: pietas-virtus bzw. impietas-vitium, und dann, bezogen auf III, die körperliche (corporalia) Alternative: improprie bona/mala,139 und schließlich dem non ens proprie (IV) das vere malum (= diabolus).140 Das relabi ad malum & nihil141 hat

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nur Seiend ist – wie die Elemente –, daß bei diesem elementaren Sein die Abweichung »minus perspicuum« sei, da, fände sie in einem merklichen Umfang statt, dies Seiende unmittelbar ins Nichtseiende oder Nichts übergehen würde. P 1, ep. dedic., fol. A 3r. P 1, c. III, fol. 27r. Lubinus charakterisiert hiermit die sogenannte »vita secunda«, die der mittlere Status seiner drei Lebensformen ist, die durch den menschlichen Geist qua »epitome« in eine singuläre Einheit seiner eigenen Möglichkeiten versammelt werden. Vgl. hierzu ebd., c. III, fol. 22v–23r: vita vitalis (stirpes), sensitiva (bruta), intellectiva (angeli). In der zweiten, wesentlich durch Sinnlichkeit bestimmten irdischen Lebensform kann der mundus intelligiblis nur in Abschattung angeschaut werden, kann ein wirklich glückliches Leben nicht erreicht werden. P 1, c. II, fol. 10r: Da im menschlichen Körper alle körperlichen Konstitutionsprinzipien des geschöpflichen Seins versammelt sind (die Position des Lubinus erinnert stark an paracelsistische Gedanken), so entspricht der konstitutionelle Komplexität, daß es hier keinen Teil gibt, »non partis fibra ulla, quam non morbus aliquis peculiaris insideat: adeo ut unus homo suo corpore plus mali, morbi, & aegritudine perpetiatur, quam cetera toto universo animalia omnia«. Diese nüchterne Bestandsaufnahme steht in deutlicher Nähe einerseits zum ‚Pessimismus’ eines Machiavelli, andererseits radikal ›realistischer‹ (Selbst-) Diagnosen des Lebens, wie wir sie bei Girolamo Cardano oder, wiederum anders, bei Michel de Montaigne finden können. P 1, c. II, fol. 17r. P 1, c. III, fol. 27r. Da nach P 1, c. III, fol. 22v: »homo non copore, sed animo peccavit, non sensu, sed mente«. Dies ist eine von mir auf Basis von P 1, c. III, fol. 20v–21r, vorgeschlagene Rekonstruktion, die im Text nicht in dieser systematischen Zuordnung präsent ist, die sich jedoch durch

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die ganze Welt infiziert, bis hin zur »Embryonis in materno utero voluptas«; die unendliche Güte Gottes jedoch hat, als Endziel, die »unermeßliche und unglaubliche, keinem menschlichen Geist begreifbare Glückseligkeit für die Zukünftigkeit des dritten Lebens«, d.h. der vita intellectiva oder mentalis festgelegt.142 2. Der Ursprung des »malum«, als der im Seienden vorliegenden Gegenwart des Nichts, kann entweder in einem selbständigen Prinzip des Bösen liegen, dann wäre neben Gott, dem Prinzip des Guten, ein anderes Prinzip anzusetzen – und folglich ein manichäistischer Dualismus, oder er kann in Gott selbst liegen, dann ist dieser »auctor mali«.143 Beide Alternativen sind – wir haben darauf schon hingewiesen (s.o., S. 94, 99ff.) – aus philosophischen (Prinzipienmonismus) und theologischen (Güte Gottes) Gründen zu verwerfen. Ursache des Malum kann so nur das Nichts sein, sofern es als universales ›Woraus‹ (a quo) aller geschaffenen Dinge verstanden wird, d.h. im Sinne einer (negativen) Materie und als der Referent des biblischen »ex nihilo«.144 Daß die Dinge »etwas sind und zwar eben das selbst, was sie sind«, haben sie von Gott, daß die Dinge von diesem ihrem Sosein abweichen, vergehen, zum Bösen abfallen, haben sie vom Nichts (a nihilo habent, vel contrahunt),145 das »in allem verborgen liegt«.146 Das Übel/Böse kann daher wie folgt vom Guten abgesetzt werden: »Etenim Malum est Nihil rursus esse, quod aliquid fuerit; bonum autem esse aliquid, quod nihil fuerit«.147 Das Übel/Böse ist ein »processus non a nihilo ad aliquid, sed ab aliquo ad nihil«.148 Das Übel/Böse ist also nicht das Nichts, sondern das restituierte und damit aus der ontologischen Neutralität herausgerückte Nichts. Diese restituierte Nichts zeigt sich als »accidens aliquod & accessio boni cuius est frustratio, & privatio«. Für das Zustandekommen eines solchen Übels/Bösen gibt es zwei mögliche innerweltliche Ursachen: Entweder wird 1. das Seiende nicht mehr von Gott in seinem Sein gehalten (non amplius sustentatur), dies trifft nur

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viele einzelne Stellen nahelegt. P 1, c. I, fol. 8r und c. III, fol. 27v geben folgende, ebenfalls die proprie-improprie-Dichotomie anwendende Zuordnung: »res aliae corporales, aliae spirituales; illae essentia, vita, & sensu praeditae, hae ratione, intellectu, & voluntate: in illis malum improprie voco inclinationem illam in materia corporea, qua sua natura ad interitum, & materiam unde orta est ipsum Nihil relabitur. In his malum proprie praetermaturalem quandam declinationem, qua ille, licer igneae, & caelestes, in adscensu tamen suo inhibentur, & ad Nihil, Malumque deorsum, & transversum rapiantur (meine Hervorhebungen). Vgl. auch ebenso P 1, c. IX, fol. 46v–47r: »Malum duorum generum esse[:] proprie, & improprie dictum, hoc in corporibus, vel materialibus [...] illud in spiritualibus, quae sua peculiari culpa praeter naturam ad malum inclinant«; ebd., c. ultimum, fol. 61r: mala improprie = corruptio corporeorum, mala proprie = peccatum. P 1, c. III, fol. 24r; 27r. P 1, c. III, fol. 24v und vor allem 26v–27v. P 1, c. IV, fol. 28r–v (= P 2, c. 4, S. 39); vgl. schon ebd., c. I, fol. 3r. P 1, c. IX, fol. 47r: »Utriusque [sc. des malum improrpie & proprie] una causa est Ipsum Nihil [...] ex qua omnia corporalia, spiritalia, elementa, stirpes, animalia, angeli, homines, tanquam ex materia a Deo creata« (meine Hervorhebung). Vgl. auch ebd., fol. 49r: »omnium creatorum materia«. P 1, c. IX, fol. 47r; c. IX, fol. 50r–v. Ebd., fol. 49r: »quod in omnibus latet«. Ebd., fol. 47r. Ebd., fol. 48v.

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auf das körperliche Sein zu, oder 2. das Seiende verläßt aus eigenem Entschluß oder Willensakt (ipsa voluntate) seinen göttlichen Ursprung, dies ist einzig die – negative – Option des geistigen Seins. Grundsätzlich gilt jedoch: »nihil malum fecit« und vor allem: das Übel/Böse ist keine Substanz! Dies zeigt sich an den Defekten des körperlichen Seienden (z.B. Blindheit, Fäulnis, Essigbildung), die, weil selbst nicht substantiell, auch nicht geschaffen werden konnten (non fieri, neque creari potuerunt).149 Lubinus differenziert also, entsprechend der eben genannten Unterscheidung, 1. zwischen einem Nichts, das anderem Seienden auf natürliche Weise (sua natura) oder 2. wegen dessen eigener Schuld überkommt (sua culpa supervenit).150 Dem passiven Von-Gott-nicht-mehr-im-SeinGehalten-Werden entspricht also das passive »sua natura«-Abfallen von seiner eigenen (guten) Substanz, dem aktiven Aus-eigenem-Willen-Abfallen das aktive »sua culpa«-Abfallen, bloß, daß in der zweiten Alternative dies durch die Grundaktivität des überall gegenwärtigen und »drohenden« (imminens) Nichts, durch dessen »supervenire« in Gestalt des steretisch-akzidentellen »malum« erklärt wird.151 Die von Gott allem Seienden aufgrund der notwendigen Differenz zwischen Geschöpf und Schöpfer (nec debebat creatura similis esse cum Deo) zugemessene Neigung (inclinatio) zum Nichts oder Übel/Bösen aktuiert sich beim körperlichen Sein als vindicatio oder supervenire, beim intelligenten Sein als freie Entscheidung zum Übel/Bösen.152 3. Die »Erfahrung« (experimentum) mit dem und die daraus folgende Erkenntnis (cognitio) des Üblen/Bösen ist inneres Strukturprinzip der Schöpfung, das seine Entsprechung in der ontischen Gegensatzstruktur besitzt.153 Der Mensch und die Engel »in supremo gradu scalae constitutus« konnten bei ihrem Bestreben, weiter und höher zu kommen, zwar nur abstürzen – »omnium creaturarum prima ima fit« –, anstatt »contenta aeterna contemplatione, admirationeque aeterni creatoris aeternum frui, & inebriari«.154 So entstand das vorher (nondum) nicht bestehende malum, im selben Moment mit dem »initio rerum, cum

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P 1, c. IX, fol. 48r. Lubinus verweist (fol. 48v) auf eine Parallele zum Handwerk bzw. zur Kunst: Die Intention des Handwerkers/Künstlers gehe gerade nicht auf den möglichen, durch die Eigenschaft der je bearbeiteten Materie bewirkten Defekt. Letzterer wird geradezu als »materiae adfectio« bezeichnet. Vgl. auch P 1, c. ultimum, fol. 61r–v: Das malum kann nicht aus »illorum spirituum [sc. der Menschen und Engel] natura, quae bona creata erat, provenire«. Dies noch einmal ganz deutlich P 1, c. IX, fol. 50v: »Putrescit pomum, tabescit animans, moritur homo. Pomum, animal, homo, substantiae bonae, & a Deo perfectae creatae sunt. Putredo autem morbus vel mors bonae & perfectae naturae privatio, defectus, & decrementum sunt, quae bonae naturae superveniunt; nec sunt revera, vel fiunt aliquid« (meine Hervorhebungen). Das non similes esse der Geschöpfe in bezug auf Gott wird immer wieder evoziert, vgl. etwa P 1, c. ultimum, fol. 61r. Vgl. P 1, c. XI, fol. 58v und die Ergänzung in P 2, c. 19, S. 242: »Hinc videmus multis labi & peccare utile atque salutare fuisse, ob mali cognitionem atque experimentum«. Auf die Entsprechung verweist Lubinus in P 1, c. XI, fol. 58v sogleich im Anschluß: »Unde autem aeternum illud Ens esse intelligere possis, nisi e contrario ad nihil respiceres?« P 1, c. XII, fol. 64v; P 2, c. 20, S. 252f.

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ortu mundi«155 durch den ersten Menschen, zuvor jedoch ein noch größeres malum durch die Engel, die daher noch unter alles Geschaffene (infra omnia creata) fielen.156 Andereseits erscheint, rebus sic stantibus, d.h. unter Annahme eines ersten, willentlich schaffenden Prinzips, der Durchgang durch das ontologische Nicht-Sein qua Vergehen und Tod sowie durch das moralische NichtSein qua Übel/Bösem als einzige Möglichkeit nicht nur der Überwindung des status istus hominis, sondern vor allem auch des Explizit-Werdens der göttlichen Schöpferpotenz: Die Präsenz des malum ist notwendig, »ut immensa Dei bonitas in omnibus maximis & minimis esset«.157 Das malum als das restituierte – oder, wie man auch sagen könnte: durch den Menschen gesetzte – Nichts fungiert also gleichsam als Verstärker, der ex negativo, durch die Verstärkung des »traurigen Schattens«, der ein »vestigium nihili« ist, 158 die Positivität Gottes deutlich macht. Lubinus sagt daher, wohl in anspielender Abwandlung des mundus propter hominem-Topos (siehe oben, S. 102): »ergo propter Ens nihil est, propter bonum malum est, propter Deum diablous est«.159 Die Erlösung allerdings, der »reditus« vom, wenn auch geringeren Übel (als dem der Engel), kann, da es sich hierbei um das ethisch-moralische Analogon zum ontologischen unendlichen »Abgrund« zwischen Sein/Etwas und Nichts handelt, nur durch Gott bzw. nur durch den Sohn, das Verbum, erfolgen:160 »omnia pessima Deus in bomum convertit«.161 Die providentielle Macht Gottes erblickt (videt) alles Übel oder Böse, das aus der Freiheit der geistigen Wesen entsteht, »nicht als zukünftige (Taten), sondern erschaut (intuetur) sie als von Ewigkeit her gegenwärtig geschehende« (ab aeterno tanquam praesenti fieri)162 und kann sie daher (sc. zum Besseren) »führen und lenken« (ducit & dirigit). Aber: Lubinus gerät, hinsichtlich der Perversion aus Freiheit oder besser des Ursprungs der in dieser sich aktuierenden Negativität, an die Grenze der Versteh- und Erklärbarkeit, die, neben dem sich Berufen auf die unausschöpfliche »sapientia & solertia Dei« oder die »arcana dei«, mit der Tradition des Nicolaus Cusanus ein »belehrtes Nichtwissen« zum Ausdruck bringen.163 Sachlich kann nur auf die Differenz der an sich als gut geschaffenen geistigen Wesen zu Gott verwiesen werden: Ursprung des Übels/Bösen kann nur ein »finitum, mutabile, & mobile bonum« sein, das in sich eine Dimension des Möglichen, Optionalen, Willkürlichen trägt, die eben allein und ohne Zutun Gottes selbst die katastrophische Abweichung verantwortet (unter Berufung auf Augustinus): »poterant ad nihil relabi,

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Ebd. P 1, c. XII, fol. 66v–67r; P 2, c. 20, S. 256. P 1, c. ultimum, fol. 60v (= P 2, c. 20, S. 246). Ebd., fol. 66v: »tristem illam umbram, ut Hermes ait, sibi accesserit, id est nihili illius vestigium in se relictum«, zur tristis umbra siehe oben, Anm. 18. P 1, c. XI, fol. 58v. P 1, c. XII, fol. 68r–v; P 2, c. 20, S. 258. P 1, c. XI, fol. 59v. P 1, c. XI, fol. 60r. P 1, c. ultimum, fol. 68v: »arcana Dei in hac vita doctissime ignoramus«.

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si vellent, non autem debebant«.164 Sofern, wie wir gesehen haben (siehe oben, S. 105), zum Menschsein wesentlich das Frei-Sein bzw. Einen-freien-WillenHaben »ad licentiam« gehört, weil nur durch ihn ein liebender, erkennender Aufstieg (ascensus) zu Gott möglich ist, insofern mußte in der Schöpfung auch die Möglichkeit und – in der Folge – die Wirklichkeit der abweichenden Entscheidung zugelassen werden.165 Damit ein erkennender und liebender Aufstieg möglich ist, muß das, was erkannt und geliebt werden soll, als ein solches, nämlich als ein Gutes, erfahren werden können. Hier wird, neben der Pluralität und Varietät im Seienden, die epistemisch-ethische Funktion der GegensatzStruktur der Welt deutlich: eine »notitia boni« ist nicht ohne eine gleichzeitige (simul) »notitia mali« zu haben.166 Durch das Hervorbringen dieser Kenntnis des

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P 1, c. ultimum, fol. 61v. Daß hier Augustinus im Hintergund steht, wird interessanter Weise erst durch einen Einschub an der Stelle in der überarbeiteten Auflage deutlich gemacht, vgl. P 2, c. 20, S. 247! Anstelle von fol. 61v: »Id est, quia ex nihilo erant, poterant aeterno enti non esse similes» heißt es: »Quia enim, ut ait Augustinus, ex nihilo erant etc.« P 1, c. ultimum, fol. 61v: die augustinische Zuordnung mens–intelligere, voluntas–amare. Ebd., fol. 62r: der erste Mensch, der seinen Ort ausschließlich im Guten hatte (Paradies), konnte keine Kenntnis des Gut-Seins haben (ignorabat); jenseits dieses Ortes jedoch ist die Möglichkeit einer solchen Kenntnis an die Wirklichkeit gerade auch des malum unlösbar gekoppelt: »mali notitia simul ipsi concessa est«. Vgl. die Ausführungen P 2, c. 20, S. 248 (P1, c. ultimum, 61v–62r): Mens und voluntas sind die »primae potestates« geistiger Wesen, d.h. Erkenntnis Gottes als des Guten und Erstreben/Lieben des Guten selbst. Dazu bedurfte es jedoch der synchronen Präsenz des malum im Bewußtsein (mali notitia simul concessa), denn ohne diese, wenn der Mensch »cum esset in loco bono, & in bono tantum ab omni malo & cognitione mali segregatus, id ipsum quod bonum erat, bonum esse ignorabat« (P 2, c. 20, S. 248; P 1, c. ultimum, fol. 62r). Lubinus stellt die Forderung auf: nur der kann wirklich, in diesem, wie im späteren ewigen Leben, glücklich und heilig werden (beatus & sanctus fieri), der die faktische, konkrete und bewußte Erfahrung des Bösen/Übels gemacht habe (P 2, c. 20, S. 248f.; P 1, c. ultimum, fol. 62r–v), man müsse die tatsächliche, wahrhafte (vere) Beschaffenheit, die moralische Qualität der Dinge und Handlungen »erfahren« (expertus esse) und »kennen«. Wissen und Wollen, in ihrer pervertierten Modalität von curiositas und superbia, sind Ursache des Herausfallens in die Spannung Gut-Schlecht, vgl. S. 253 (P 1, fol. 65r) »in solo bono erat angelus & homo, quam diu se in solo bono esse ignorabat«. Für Lubinus sind dabei (gut augustinisch) ambitio und superbia, als prima mala, selbstverursacht, selbst-indiziert! Andererseits ist, so c. ult., S. 265, die Gegensatzstruktur ebenso auch für das explizit-Werden positiver Potentiale wie Gerechtigkeit und Ausgeglichenheit notwendig: »neque enim justtia & temperantia humana restabit, nisi etiam perverti animus possit«. Folgendes, an die Geistmetaphysik des Ficino erinnerndes Szenario bieten die S. 254f. (P 1, fol. 65v–66r): Die Schöpfung als solche ist vielheitlich, ex nihilo, mutabilis etc., aber nur improprie mala, da in ihr keine Bewußtsein, keine Erkenntnis, keine Ambition, aus dem status istus herauszutreten; erst durch die geistigen Wesen, Mensch und Engel, entsteht, und zwar durch das freie Vermögen der Betrachtung, Reflexion, Streben etc., eine Betrachtung des »bonum mutabile« (eben nicht des bonum immutabile), damit des – durch das Erkennen ermittelten – höchsten bonum mutabile, des Geistwesens selbst, und damit genau der Selbstbezug (superbia), der zum Abfall und zur Sünde führt (aliter labi non poterat, nisi in se, in nihil intueretur, & seipsum demiraretur, S. 254 [P 1, fol. 65v): da aber alles, was in uns nur aus uns kommt, an sich nichts ist – Charakter des geschaffenen Guten – folgt S. 255 [P 1, fol. 66r): »seipsum igitur in seipso inspicere, (est) nihil, vanitatem, & peccatum inspicere, & labi vocatur«.

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Bösen/Schlechten (Üblen) wird der Mensch – der menschliche Geist (mens) – selbst zum Mit-Verursacher, zur con-causa, des Übels: »ultima causa mali, superbia nimirum, et materia prima, hoc est nihilo« (P 2, S. 264).

6. Schlußbemerkung Im zugemessenen Rahmen dieses Beitrages konnte es nicht Aufgabe sein, auch die hier angesprochenen, weit in theologische und anthropologische Themenbereiche hineinlotenden Probleme angemessenen zu diskutieren. Es mußte genügen, im Zusammenhang mit dem Versuch einer Rekonstruktion der allem zugrundeliegenden Ontologie und den unmittelbaren Auswirkungen dieses Seinsbegriffs auf die Theologie sowie die Ethik, wenigstens auf diese sehr schwierigen ‚Folgelasten’ hinweisen zu können. Es fällt sicherlich auf, daß die philosophisch noch aufzulösende Last nicht gerade gering ist, selbst wenn man die Entscheidung für die skizzierte Ontologie einmal als Ausgangspunkt unbefragt stehen lassen wollte, und daß vieles hier auch auf Diskussionen des 17. Jahrhunderts vorausweist, insbesondere, mit Blick auf die Frage nach dem Bösen und dem ›Zulassen‹ desselben (permissio), auf die TheodizeeProblematik, wie sie dann in souveränem Zugriff durch Leibniz präzise formuliert und einer bestimmten Antwort zugeführt worden ist. Eine umfassende Einordnung des Lubinus, der sich als durchaus nicht nur scharfer, sondern auch hellsichtiger Geist erweist, in die angesprochenen geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, also sowohl in den Kontext der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – Kontrastierung mit Giordano Bruno, Francesco Patrizi, Tommaso Campanella, mit dem Protestantischen Diskurs und mit der skeptischen Schule – als auch in die daraus folgenden Problemlagen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wäre wünschenswert.

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Anhang Die Inhaltsverzeichnisse der beiden benutzten Ausgaben von P 1596: c. 1, 1q–7r c. 2, 7r–18v: Quod malum est c. 3, 18v–28r: Quaenam vere mala c. 4, 28r–32v: Quod malum principium non est c. 5, 32v –35v: Quod a deo malum esse non possit c. 6, 35v–39v: Quaenam rerum initia c. 7, 39v–44v: Quod omnia sint ex nihilo c. 8, 44v–46v: Quaenam a deo creata sint ex nihilo c. 9, 46v–51r: Unde malum sit c. 10, 51r–54v: Cur deus malum non impediat c. 11, 55r–60v: Quod deus malum impedire non debuit c. 12, 60v–69r: Unde diabolus, & homines mali, vel proprie malum 1601: c. 1, 1–10 c. 2, 10–26: Quod malum est c. 3, 26–39: Quaenam vere mala c. 4, 39–47: Quod malum prncipium non est c. 5, 47–51: Quod a deo malum esse non possit c. 6, 51–59: Quaenam rerum initia [...] Ergänzungshauptteil S. 59–198 [c. 7, 59–67: Quid sint ens & nihil c. 8, 67–75: Quod omnia praeter deum sint ex nihilo c. 9, 75–89: Solvuntur adversariorum pro aeternitate mundi argumenta c. 10, 89–106: Ad adversariorum argumenta a tempore, motu, & mundo, respondetur c. 11, 106–118: Ad adversariorum quae restant argumenta respondetur c. 12, 118–145: Quod mundus ab aeterno prorsus esse non potuerit c. 13, 145–167: Nullam quantitatem in infinitum augeri vel minui c. 14, 168–183: Solvuntur contraria adversariorum argumenta, ex rationibus physicis, pro infinita continui divisionem c. 15, 184–198: Solvuntur reliqua adversariorum argumenta a geometricis rationibus desumpta] c. 16, 199–209: Quaenam a deo ex nihilo creata sint (ab S. 200 vollständig gegenüber 1. Auflage geändert) c. 17, 209–226: Quid & unde malum sit c. 18, 226–233: Cur deus malum non impediat c. 19, 234–246: Cur deus malum impedire non debuerit c. 20, 246–258: Unde diabolus & homines mali, vel proprie malum c. ultimum, 258–272: Quod saniores & philosophie & theologi in dicta causa mali consentiant.

Ralph Häfner

Kritische Metamorphosen Beobachtungen zum Problem der Editionsformen in einigen Apuleius-Ausgaben von Filippo Beroaldo (1500) bis Johannes Pricaeus (1650)

Das Interesse, das man in den Jahrzehnten um 1600 dem Werk des Afrikaners Apuleius (* 125 n. Chr.) entgegenbrachte, wurde noch immer bestimmt von dem Problem einer Magie, das als Leitmotiv alle Werkkomplexe des »Platonikers« – die philosophischen Schriften1 ebenso wie die milesische Fabel der Metamorphosen und die Verteidigungsrede (Apologie) über den Vorwurf der Zauberei – thematisch zusammenzuhalten schien.2 Im Jahr 1594 konnte sich der damals in Genf lebende Gelehrte Isaac Casaubon mit einer bissigen Invektive gegen den Herdentrieb der Halbgelehrten darüber erregen, daß man des Apuleius Apologie für eine Verteidigung der Magie (defensio magiae) ausgegeben habe, die – so die communis opinio – von einem »einst berühmten Zauberer« verfaßt worden sei: Handele es sich doch im Gegenteil um die schärfste Verurteilung der Zauberei, die zeige, daß die »vorwitzigen Künste« (curiosae artes) schon immer von allen Menschen »gesunden Urteils« (sani iudicij) mißbilligt und durch Gesetze verboten worden seien.3 Seitdem der französische Staatstheoretiker Jean Bodin ein Buch mit dem Titel De la démonomanie des sorciers (1580) veröffentlicht hatte,4 wurde ein Problem offenbar von neuem virulent, das eine neuerliche Bewertung der platonischen Geisterlehre – unter Einschluß des Florentiner Platonismus und seiner vielfältigen Ausläufer im Paracelsismus eines Joseph Du Chesne und in der hermetischen Medizin Jean Fernels und anderer – herausforderte: eine Entwick-

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Zur Manuskriptüberlieferung vgl. Raymond Klibansky und Frank Regen: Die Handschriften der philosophischen Werke des Apuleius. Ein Beitrag zur Überlieferungsgeschichte. Göttingen 1993 (= Abh. d. Akad. der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-hist. Kl. 3. Folge, Nr. 204). Vgl. Paul Monceaux: Apulée, magicien, in: Revue des deux mondes, 3ème periode, 85 (1888), S. 571–608; Antonio Portolano: Cristianesimo e religioni misteriche in Apuleio, Neapel 1975. Vgl. Isaac Casaubon: Widmungsschreiben an Joseph Justus Scaliger, in: L. Apuleius Madaurensis: Apologia. Isaacus Casaubonus recensuit, graeca supplevit, & castigationum libellum adiecit. [Paris:] Hieronymus Commelinus, 1594, fol. *ij v–*iijr. Eine deutsche Übrsetzung von Johann Fischart erschien unter dem Titel: De magorum daemonomania. Vom Außgelasnen Wütigen Teüffelsheer [...]. Straßburg 1591.Vgl. auch Jean Bodin: Colloquium heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis. Hg. v. Ludwig Noack. Schwerin 1857, S. 15 und bes. die Eingangspassage des zweiten Buchs.

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lung, die erst mit Gabriel Naudé und der bis ins achtzehnte Jahrhundert reichenden Wirkung seiner Apologie pour les grands hommes soupçonnés de magie (1625) einen vorläufigen Abschluß finden sollte.5 Trotz dem Verlust vieler seiner Werke, insbesondere der Reden und Dichtungen, deren Exzerpte seit dem Florentiner Codex Laurentianus 68,2 aus dem 11. Jahrhundert unter dem Titel einer Blütenlese (Florida) zusammengefaßt sind, war der »Mann aus Madaura«, der in Karthago, Athen und Rom in der ersten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts eine umfassende philosophisch-artistische und juristische Bildung erhalten hatte, niemals ganz in Vergessenheit geraten. Die fortdauernde Bekanntheit seines Œuvres, zumal der seit Augustin unter dem Titel »Der Goldene Esel« bekannten Verwandlungen und des Logiklehrbuchs Peri hermeneias, verdankte er wohl nicht zuletzt seinem jüngeren Landsmann Augustin aus Hippo, der sich wiederholt auf ihn zu berufen beliebte. Augustin rückte den Platoniker in eine beunruhigende Nähe zu dem etwas älteren Wundertäter Apollonios von Tyana und den »anderen Sachverständigen in den Zauberkünsten« und hielt deren Magie die Wahrhaftigkeit der Wunder Christi entgegen. Die Differenz zwischen den magischen Künsten und der Wundertätigkeit des Heilands, der Tote zum Leben erweckte, Blinde sehend machte und Todkranke heilte, schien ihm so offensichtlich, daß er sich mit einer rhetorischen Wendung begnügen zu können glaubte, ohne auf die Sachhaltigkeit des zugrundeliegenden Problems näher einzugehen; in einem Brief schrieb er: »Wer sollte nicht darüber lachen, daß Apollonius, Apuleius und die anderen Experten in den Zauberkünsten sich mit Christus zu vergleichen oder sich sogar den Vorzug zu verschaffen suchen!«6 Setzt man die unberechenbaren Wirkungen magischer Handlungen als eine Gegebenheit voraus, die den Alltag vieler Menschen in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten ebenso wie um 1600 noch prägte, so mußte Apuleius’ Stellung zur Magie so lange im Unklaren bleiben, als der gnoseologische Status, den der magische Ritus in der milesischen Fabel der Verwandlungen einnahm, vor dem Hintergrund mittel- und neuplatonischer Theurgie sich als unauslotbar erwies. Denn die Wirkungen, die man von der Dichtung erwartete, fürchtete oder erhoffte, waren vielfältiger Art; der Übergang von scheinbar harmlosen Liedern (carmina) der Dichter zu den magischen Beschwörungsformeln (incantationes) eines Wundertäters war fließend, und jedes wohlerzogene Kind wußte auch um 1600 noch von den merkwürdigen Wirkungen zu berichten, die die Gesänge des Orpheus einst erregt hatten, als er Steine belebte und wilde Tiere zähmte. Die Bandbreite scheinbar magischer Ereignisse reicht von derart literarischen Beispielen bis herab in den volkstümlichen Aberglauben und den Hexenwahn, der sich um 1600 zu einer gesamteuropäischen Massenpsychose auswuchs. Hatte Augustin die Wahrhaftigkeit der Wunder Christi gegenüber

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Vgl. Lorenzo Bianchi: Rinascimento e libertinismo. Studi su Gabriel Naudé. Neapel 1996. Augustinus: epist. 138 (5),18 (= p. 145,5–7 ed. Goldbacher, CSEL, Bd. 44, Wien – Leipzig 1904; vgl. PL, Bd. 33, Paris 1865, col. 533): »Quis autem uel risu dignum [non edd.], quod Apollonium et Apuleium ceterosque magicarum artium peritissimos conferre Christo uel etiam praeferre conantur?«

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den heidnischen ›Zauberern‹ durch die Singularität des christlichen Glaubens zu sichern versucht, so stellte Jean Bodin gesprächsweise umgekehrt die Frage, ob nicht gerade die biblischen Wunder die Glaubhaftigkeit auch der unwahrscheinlichsten Verwandlungen bestätigen, von denen die heidnische Literatur berichte.7 Die magische ›Faszination‹ wäre dann keine bloße Sinnestäuschung, sie besäße vielmehr den Charakter einer täglich von neuem wieder erfahrbaren Wirklichkeit. Aber handelte es sich bei dem Goldenen Esel nicht um einen Roman, dessen ›Wahrheit‹ prinzipiell auf die poetologisch klar definierte Ebene von Fiktionalität bezogen ist? Die scheinbar plausible Trennung philosophischer oder auf Realien gerichteter Texte von fiktiven, erzählenden und poetischen Schriften, wie sie mancher Autor literaturwissenschaftlicher Lehrbücher – unbekümmert um die historischen Sachbestände – aus zweifelhaftem systematischen Interesse glaubte durchführen zu dürfen, entbehrt allerdings jeder an den historischen Tatsachenreihen orientierten Grundlage. Dabei handelt es sich nicht um die Forderung nach Hereinnahme sogenannter ›Gebrauchstexte‹ in den literaturwissenschaftlichen Kanon eines ›erweiterten Literaturbegriffs‹, über die man sich – in der Mediävistik und unter Spezialisten der frühen Neuzeit ohnehin – rasch verständigen könnte; das Problem liegt tiefer: Die Schwierigkeiten, die man mit der Lektüre der ›lustigen‹ Eselgeschichte bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein hatte, betrafen nämlich gerade den erkenntnistheoretischen Status, den man der Magie in einem Werk einzuräumen hatte, das von seinem Autor sogleich zu Beginn8 in die Tradition der ›novellistischen‹ Milesiaka des Aristeides gestellt wurde und das sich mit der Nennung des »Mannes aus Madaura« (Madaurensis)9 an dessen Ende ganz unverhohlen als Autobiographie zu erkennen gibt:10 und dieses, nachdem man sich seit dem Altertum durchaus bewußt war, daß es sich bei den Verwandlungen um eine Adaption der griechischen Eselgeschichte des Lukios von Patrai und des Erzspötters unter den Prosaisten, Lukian von Samosatha, handelte! Im achtzehnten Buch seiner Schrift De civitate dei umriß Augustin sehr genau das ungeklärte Verhältnis zwischen dichterischer Fiktion und der Wirklichkeit der Magie in einem durch Christus illuminierten Zeitalter, indem er schrieb: »In den Büchern, die er mit dem Titel des Goldenen Esels überschrieb, erklärte sich Apuleius entweder dafür oder gab vor (aut iudicavit aut finxit), ihm sei es selbst widerfahren, daß er nach Verabreichung einer Zaubersalbe ein Esel geworden sei, wobei er seinen menschlichen Verstand behalten habe.«11 Der Autor der Confessiones12 wußte nur zu gut um die unentwirrba-

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Vgl. Jean Bodin: Colloquium heptaplomeres (wie Anm. 4), S. 16f. Zum Eingang vgl. jetzt die Abhandlungen in: A Companion to the Prologue of Apuleius’ Metamorphoses. Hg. v. Ahuvia Kahane und Andrew Laird. Oxford 2001. Apuleius: Met. XI,27,9. Zum Problem vgl. Antonio Portolano: Cristianesimo e religioni misteriche (wie Anm. 2), Kap. I: »Allegoria e autobiografismo«. Augustinus: De civ. dei XVIII,18: »Apuleius in libris quos titulo Asini Aurei inscripsit sibi ipsi accidisse, ut accepto veneno humano animo permanente asinus fieret, aut iudicavit aut finxit.« – »iudicavit« (anstelle von »indicavit«) ist die in frühneuzeitlichen Zitationen stets anzutreffende Lesart.

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ren Regungen und Verführungen, denen die menschliche Seele unterlag, solange sie sich noch nicht ihres göttlichen als des sie erleuchtenden und bestimmenden Grundes innegeworden war, und umso merkwürdiger ist denn auch die Alternative, die sich im Blick auf das gnoseologische Problem des Goldenen Esel stellte. Dem »Milesius sermo« gemäß wurde der Held Lucius durch eine Zaubersalbe in einen Esel entstellt. Nach einer langen Leidensgeschichte ist ihm am Ende die Rückverwandlung in einen Menschen beschieden, die ihn von dem Schicksal des Esels erlöst, nachdem er die frischen Rosen aus der Hand eines Isis-Priesters gefressen hatte. Diese merkwürdige Handlung warf die Frage auf, ob derartige Vorgänge in der Selbstwahrnehmung des Apuleius als eine bewußte Fiktion im Sinne der milesischen Fabel und der Lügengeschichten Lukians zur Belustigung und vielleicht auch zu irgendeiner Belehrung des Lesers erfunden waren, oder ob wir es nicht vielmehr mit einer Geschichte zu tun haben, deren Urheber von den zauberhaften Verwandlungen, denen er unterworfen war, selbst zutiefst überzeugt war. Es zeugt von der intellektuellen Verfassung des vierten und frühen fünften Jahrhunderts, daß Augustin diese Frage nicht beantwortete, und wir spüren die Nähe, die er unausgesprochenermaßen zwischen den Verwandlungen des Apuleius und den frühchristlichen Aretalogien, den hellenistischen Wundererzählungen und Heiligenviten, wahrgenommen haben muß.13 Das Werk des Apuleius war seit dem Beginn des Buchdrucks weithin präsent.14 Wir greifen im folgenden einige Editionen der Metamorphosen im Blick auf die sogenannten philosophischen Schriften des Apuleius heraus, die uns für das Verständnis von Magie und Dichtkunst in den Jahrzehnten um 1600 besonders wichtig zu sein scheinen. Es ist zudem kein Zufall, daß innerhalb von nur zweieinhalb Jahrzehnten einige reich kommentierte Editionen der Apologie erschienen waren.15 Um die unterschiedliche Zielsetzung dieser Editionsunternehmungen genauer in den Blick zu bekommen, wenden wir uns zunächst zu der durch Filippo Beroaldo kommentierten Ausgabe des Goldenen Esel zurück,

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Einen religionspsychologischen Vergleich zwischen Apuleius’ Metamorphosen und Augustins Confessiones – mit allen Vor- und Nachteilen eines derartigen Vergleichs – bietet Nancy J. Shumate: The Augustinian Pursuit of False Values as a Conversion Motif in Apuleius’ Metamorphoses, in: Phoenix 42 (1988), S. 35–60; einen strukturellen Vergleich vor dem Hintergrund platonisch-pythagoreischer Arithmologie versucht René Martin: Apulée, Virgile, Augustin: Réflexions nouvelles sur la structure des Confessions, in: Revue des Études latines 68 (1990), S. 136-159. Zu Begriff und Kontext vgl. Richard Reitzenstein: Hellenistische Wundererzählungen. Leipzig 1906, 21922. Vgl. die Bibliographie im Anhang zu: Ralph Häfner: Wandlungen in der Wahrnehmung ›heidnischer‹ Literatur: Frühneuzeitliche Apuleius-Editionen mit Blick auf De deo Socratis, in: Matthias Baltes, Marie-Luise Lakmann u.a. (Hg.): Apuleius, De deo Socratis. Über den Gott des Sokrates. Darmstadt 2004 (= Sapere, Bd. 7), S. 190–210. Zu den Editionen der Apologie um 1600 vgl. Ralph Häfner: Der Kommentar als Spiegel einer Lebensform. Apuleius’ Verteidigungsrede (Apologia pro se de magia) in Ausgaben von Isaac Casaubon, Scipione Gentili und Johannes Pricaeus, in: ders. u. Markus Völkel (Hg.): Der Kommentar in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit, Bd. 115), S. 161–180.

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denn sie war noch am Ende des 16. Jahrhundert mehrmals nachgedruckt worden.

1. Filippo Beroaldo kommentiert Apuleius’ Goldenen Esel (1500) Als der Bankier Agostino Chigi16 im Jahr 1517 die offene Gartenloggia seiner römischen Villa (heute Villa Farnesina alla Lungara) ausmalen ließ, erarbeitete man ein Programm, das einige der himmlischen Episoden aus Apuleius’ novellistischer Digressio über Amor und Psyche zur Darstellung bringen sollte. Was interessierte Chigis Zeitgenossen an der lasziven spätantiken Novelle? Erinnern wir daran, daß der Herausgeber der Editio princeps (Rom 1469), der Gelehrte und Bischof von Aleria Andrea de’ Bussi, die geradezu plastische Sprachform des Platonikers Apuleius mit überschwenglichen Worten gelobt hatte, indem er schrieb: »Welch große Redegewandtheit er besaß, offenbart er in einem derart charakteristischen und [der Sache] angepaßten Wortschatz, daß es scheint, er schreibe nicht, sondern male geradezu die Geschichte.«17 »Pingere plane historiam«: Die unter Raffaels Leitung entstandenen berühmten Gewölbefresken, die im wesentlichen von Giulio Romano und Francesco Penni ausgeführt wurden,18 verdankten ihre Entstehung indes einem umfangreichen Kommentar zum Goldenen Esel, die der mit Chigi befreundete Bologneser Gelehrte Filippo Beroaldo d. Ä.19 im Jahr 1500 drucken ließ.20 Beroaldo nutzte

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Vgl. Felix Gilbert: Venedig, der Papst und sein Bankier. Frankfurt a.M. – New York 1994. Giovanni Andrea de’ Bussi: Vorrede zu: Lucii Apuleii platonici madaurensis philosophi metamorphoseos liber: ac nonnulla alia opuscula eiusdem: necnon epitoma Alcinoi in disciplinarum Platonis desinunt. Rom: Conrad Sweynheym und Arnold Pannartz, 28. Februar 1469, fol. 2r–6v, hier: fol. 3v: »ac quantum in dicendo ualuerit reserat: uerbis adeo propriis et accommodatis ut non scribere: sed pingere plane historiam uideatur.« (Vgl. Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. II, Leipzig 1926, Nr. 2301.) Die Ausgabe enthält neben Apuleius’ Übersetzung des Asclepius auch Alkinoos’ (Albinos’) Epitoma disciplinarum Platonis. Weitere Ausgaben erschienen in Vicenza (9. August 1488), Venedig (30. April 1493) und Mailand (7. August 1497) (Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. II, Nr. 2302–2304). – Zu de’ Bussi (1417-1475) vgl. E. J. Kenney: The Classical Text. Aspects of Editing in the Age of the Printed Book. Berkeley – Los Angeles – London 1974, S. 12f.; zum Aufbau der Ausgabe vgl. Ralph Häfner: Wandlungen in der Wahrnehmung ›heidnischer‹ Literatur: Frühneuzeitliche Apuleius-Editionen mit Blick auf De deo Socratis (wie Anm. 14). Zu Entstehung, Bildprogramm und Ausführung des Freskenzyklus vgl. John Shearman: Die Loggia der Psyche in der Villa Farnesina und die Probleme der letzten Phase von Raffaels graphischem Stil, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 60 (1964), S. 59–100; Frederick Hartt: Raphael and Giulio Romano. With Notes on the Raphael School, in: The Art Bulletin 26 (1944), S. 67–94, bes. S. 75f.; Toby Yuen: Giulio Romano, Giovanni da Udine and Raphael: Some Influences from the Minor Arts of Antiquity, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 42 (1979), S. 263–272 (& Plates 58–62); zur Entwicklung des Sujets vgl. auch: Luisa Vertova: Cupid and Psyche in Renaissance Painting before Raphael, in: ebd., S. 104–121 (& Plate 30–36). Beroaldo (1453-1505) lehrte mit Unterbrechungen (Aufenthalten in Parma, Paris und Mailand) am Bologneser Studium Rhetorik und Poesie. Zur Person vgl. M. Gilmore: s. v.,

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den Kommentar zu einer Darstellung der humanistischen Lebensform, indem er in dem verbreiteten Jargon der Zeit gegen die »Plumpheit« (rusticitas) der Geistlichen im allgemeinen und gegen die »ungebildeten Bischöfe« (contra indoctos episcopos) im besonderen polemisierte. Apuleius selbst hatte das Sinnbild dieser Lebensform gegeben, wenn er den Wettstreit des Marsyas mit Apoll als den Kampf des Häßlichen, Bäurischen und Wilden mit dem Edlen, Einsichtsvollen und Göttlichen verglich: Marsyas »fertur – pro nefas – cum Apolline certauisse, teter cum decoro, agrestis cum erudito, belua cum deo.«21 Vor dem Horizont des Florentiner Neuplatonismus stilisierte Beroaldo zugleich den gelehrten Widmungsträger seines Kommentars, den Erzbischof von Bologna, als »eifrigen Verehrer der pythagoreischen Lehre« im Sinne der moralisierenden ›Aurea carmina‹. Pythagoras lehrte demnach, daß sich der Mensch erst dann vollende, wenn er zugleich Gott durch die Religion verehre und seinen Geist durch die Wissenschaften kultiviere. In der Verbindung der christlichen Lehre mit der (›heidnischen‹) Beredsamkeit (eloquentia) erblickte er jene probate Arznei, die den Menschen vor Unwissenheit und bäurischer Ausschweifung schadlos zu halten vermöchte.22 Beroaldo rahmte den Text des Apuleius mit einem üppigen Kommentar. Der quantitative Umfang beider zueinander steht gewöhnlich im Verhältnis zwischen 1:3 und 1:5; selten nimmt der Kommentar auch einmal eine Seite vollständig ein. Man kann den Aufbau dieser Blätter mit einem reich gegliederten Rankenwerk vergleichen, und Beroaldo selbst sah in seinen Annotationen schmückende »Beiwerke« (parerga), die er »nach Art der Maler« hinzugefügt habe: Auch hier wieder die Metapher eines malerischen Stils, der der Geschichte von den Verwandlungen einen plastischen Wert verleiht. Die Eselgeschichte des afrikanischen Dichters erhielt so einen ›floralen‹ Ornat, der sie dem Leser des 16. Jahrhunderts in zweifacher Weise erschloß: Im engeren Sinne einer

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in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 9, Rom 1967, S. 382–384; zu seinem ApuleiusKommentar vgl. Konrad Krautter: Philologische Methode und humanistische Existenz. Filippo Beroaldo und sein Kommentar zum Goldenen Esel des Apuleius. München 1971; Eugenio Garin: Note in margine all’opera di Filippo Beroaldo il vecchio, in: Gabriella Bernardoni Trezzini u. a. (Hg.): Tra latino e volgare. Per Carlo Dionisotti. 2 Bde. Padua 1974 (= Medioevo e umanesimo, Bde. 17 u. 18), Bd. 2, S. 437–456; Maria Teresa Casella: Il metodo dei commentatori umanistici esemplato sul Beroaldo, in: Studi medievali, serie terza, 16 (1975), S. 627–701. – Zu mittelalterlichen und humanistischen Apuleius-Lektüren (Boccaccio, Ficino, Boiardo) vgl. Monica Trecca: La magia rinnovata. Florenz 1995, Kap. 1 (»Il ›mago‹ e la tradizione sommersa delle Metamorfosi«) und Kap. 2 (»La riscoperta di Apuleio narratore«). Vgl. Commentarii a Philippo Beroaldo conditi in Asinum Aureum Lucii Apuleii. Mox in reliqua Opuscula eiusdem Annotationes imprimentur. Bologna: Benedetto Ettore, 1. August 1500 (vgl. Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. II, Leipzig 1926, Nr. 2305). – 2. Auflage: Venedig: Simone Bevilaqua, 29. April 1501 (die Zitate im folgenden nach dieser Ausgabe). Apuleius: Florida 3,6. Vgl. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi in asinum aureum lucij apuleij, Venedig: Simone Bevilaqua, 29. April 1501, »Ad maximum antistitem. D. Petrum archiepiscopum Colocensem Philippi Beroaldi Bononiensis epistola«, fol. [2]r–[4]v.

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Textkritik leistete Beroaldos Kommentar eine Erhellung dunkler (obscura illuminare) sowie eine Wiederherstellung verdorbener Stellen (tortuosa corrigere)23 im Sinne der Philologie Angelo Polizianos. Textvarianten durch den Vergleich von mindestens zwei Handschriften hatte übrigens bereits die von de’ Bussi abhängige Ausgabe, Venedig 1493, enthalten. Glanz und Fülle verlieh den Anmerkungen Beroaldos aber erst eine umfassende Auslegung des in den Wörtern verborgenen Sachgehalts, und Beroaldo formulierte es als sein ausgesprochenes Ziel, diese Auslegung (interpretatio, expositio) zum Ausgangspunkt beinahe unendlich mäandrierender Exkursionen in das Reich der »vielfältigen Gelehrsamkeit« (omnigena doctrina) zu machen, wie er sie durch die wohlbestellte Bibliothek seines Widmungsträgers repräsentiert fand. Beroaldo war überzeugt, daß es die vorzüglichste Aufgabe des Kommentators sei, das Werk eines Autors, den er ausdrücklich einen »polyhistor hoc est multiscius« nennt24 – ein Attribut, das er beiläufig auch Giovanni Pico della Mirandola zuerkannte –,25 durch den Bildungshorizont des eigenen Zeitalters gleichsam à jour zu bringen. Denn Apuleius’ Vorliebe für die Verwendung von Neologismen, Lehnwörtern aus dem Griechischen oder veralteten Wendungen (Archaismen) war in dem Zeitalter einer Wiederentdeckung der klassischen (goldenen) Latinität von nicht geringer Anstößigkeit. Allein die Sprachform des Afrikaners war für de’ Bussi und Beroaldo nicht Ausdruck eines Sprachverfalls am Ende des römischen Weltreichs; sie erschien ihnen vielmehr als bewußt inszeniertes Spiel mit einem umfassenden Bildungsschatz, durch den sich der Polyhistor auszuzeichnen pflegt. Ganz in diesem Sinne schrieb de’ Bussi 1469: »Es möchte vielleicht jemand sagen, die Redeart unseres Apuleius sei ungewöhnlich und anderswoher genommen: Genau diese Redeart ist es, die ich bewundere, die ich lobe, die ich rühme.«26 Beroaldo hatte ursprünglich die Absicht, alle Werke des Platonikers zu kommentieren; bedingt durch seinen frühen Tod ist es hierzu nicht gekommen.27 Die Kommentierung des Goldenen Esel nahm er zum Anlaß einer umfangreichen Lemmatisierung. Sie brachte dem Leser nicht nur die gleichsam polyhistorische Dichte der apuleianischen Sprachform zum Bewußtsein; in ihr stellte sich vielmehr zugleich die Kultiviertheit der eigenen Lebensform dar. Die Episoden der Eselgeschichte werden demnach beständig von einem Kommentar umspielt, den Beroaldo selbst so charakterisierte: »Gleichwie von etwas anderem handelnd, fügte ich mit Fleiß nicht weniges ein, welches zu einer umfassenden Erklärung gehört: wodurch sozusagen der durch Gewürze verdorbene Magen

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Ebd., fol. [4]v. Ebd.: »Vita Lucii Apuleii summatim relata«, fol. b iir. – Der Terminus ›multiscius‹ wird verschiedentlich von Apuleius verwendet, so z.B. Florida 3,9 und 9,24. Vgl. Beroaldos Anrede in seinem Brief an Pico, Bologna, 27. Januar 1490 (»multiscio«) sowie in einem undatierten Brief an denselben (»polisophotato«), ediert von: Eugenio Garin: La cultura filosofica del Rinascimento italiano. Ricerche e documenti [1961]. Mailand 1994, S. 271f. Giovanni Andrea de’ Bussi: Vorrede (wie Anm. 17), fol. 3v. Auf dem Titelblatt der Erstausgabe vom 1. August 1500 hieß es am Ende: »Mox in reliqua Opuscula eiusdem [sc. Beroaldi] Annotationes imprimentur.«

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eines ermattenden Gastmahls wiederhergestellt und alle Appetitlosigkeit beseitigt werden soll.«28 Damit hatte Beroaldo die Funktion eines intertextuellen Kommentars genau bestimmt, indem er ihn als Florilegium auffaßte: »Blüten, die ich auf der Wiese der Wissenschaften gepflückt habe, flocht ich auf anmutige Weise ein und fügte nach Art der Maler öfters ein Beiwerk hinzu, durch das der ermattende Leser wieder erfrischt werden soll«.29 Ein so gearteter Aufbau setzte den Leser in den Stand, Apuleius’ Verwandlungen »gleichsam als Handbuch und Leitfaden« (quasi manuale & Enchiridion) in allen Lebenslagen zu konsultieren.30 Im Blick auf die Intention einer ›Erfrischung‹ des Lesers wird man im übrigen nochmals auf die Fresken der Farnesina hinweisen dürfen, auch wenn den reichen floralen Arabesken – dem Medium der Malerei entsprechend – freilich nicht die Funktion eines die ›Historien‹ aufschließenden ›Kommentars‹ zukommen kann. Mit dem Verfahren einer durchgehenden Moralisierung der Eselgeschichte scheint sich auch Beroaldos Kommentar in die Tradition des ›Ovidius moralizatus‹ einzufügen, wie sie Pierre Bersuire um 1340 begründet hatte. Diese Moralisierung war verbunden mit einer Allegorese in der Weise des mehrfachen Schriftsinns, dessen Entfaltung ja bereits Fulgentius – gewöhnlich identifiziert mit dem Bischof von Ruspe (467–532)31 – für die Geschichte von Amor und Psyche geleistet hatte.32 Auch de’ Bussi hatte selbstverständlich auf die gelehrten »interpretamenta« dieser »Erfindung« (fictio) durch den spätantiken Mythographen verwiesen.33 Für Beroaldo stand fest, daß die »Elysischen Felder«, von denen Apuleius im elften Buch (XI,6,6) sprach, den Aufenthaltsort der frommen Seelen und insbesondere der Priester (sacerdotes) bezeichnen, ein Ort, dessen Bedeutung er in dreifacher Auffächerung – »secundum poetas«, »secundum philosophos«, »secundum theologos« – auseinanderlegte. Man könnte die drei Sinnebenen als die mythische, naturwissenschaftlich-historische und mystisch-tropologische bezeichnen; in einer aufsteigenden Bedeutungsverdichtung meinten also die Elysischen Felder den segensvollen Mittelpunkt der Unterwelt, die (geographisch lokalisierbaren) Glückseligen Inseln und endlich den reinen

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Commentarij a Philippo Beroaldo conditi in asinum aureum (wie Anm. 22), »Ad maximum [...] Petrum [...] epistola«, fol. [4]v: »Quae Lucio nostro salebrosa antehac sentiebantur, ea leuigare: Quae obscura illuminare: Quae tortuosa corrigere connixus non pauca quasi aliud agens de industria interserui ad omnifariam interpraetationem [!] pertinentia: Quibus veluti condimentis nauseolus lassescentis conuiuiae stomachus reficeretur. & omne quasi fastidium abstergeretur.« Ebd.: »Vita Lucii Apuleii summatim relata«, fol. b iir: »Interdum ex instituto prope peculiari, flosculos ex doctrinarum prato decerptos decenter intexui, & more pictorum parerga frequenter adieci. quibus lassescens lector reficeretur: & sane id genus addidamenta.« Ebd.: »Praefatio«, fol. b [i]v: »Quamobrem te lector. oro: moneo: hortor: ut familiaris tibi fiat hic scriptor sitque tuum quasi manuale & Enchiridion.« Zum Problem vgl. Pierre Langlois: Les œuvres de Fulgence le mythographe et le problème des deux Fulgence, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 7 (1964), S. 94–105. Vgl. Richard Reitzenstein: Das Märchen von Amor und Psyche bei Apuleius, in: G. Binder u. Reinhold Merkelbach (Hg.): Amor und Psyche. Darmstadt 1968 (= Wege der Forschung, Bd. 126), S. 87–158. Giovanni Andrea de’ Bussi: Vorrede (wie Anm. 17), fol. 3r.

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und heiteren Mondhimmel, an dessen Charakterisierung Beroaldo eine bekannte ›grammatisch‹-etymologische Worterklärung der »campi elysii« anfügt: »aöπo? τhqς λußσεως a solutione. Denn die Seelen gelangen nach ihrer Lösung aus den körperlichen Banden auf die Elysischen Felder.«34 Im Gegensatz zu einer die eigene Lebensform durchdringenden Allegorese, wie sie der ›Ovidius moralizatus‹ noch durchaus übte, ist sich Beroaldo jedoch der historischen Differenz seines eigenen Zeitalters zur heidnischen Antike sehr wohl bewußt. Nicht die moralisierende Rede, sondern das Bildungsgut wird somit zum Inhalt dieser Lebensform. Mit Wendungen wie »Macrobius [...] tradit« oder »antiquitas intelligi voluit« schuf der Humanist eine kritische Distanz zu einem Bildungsgut, das auch dann zu wissen erfreulich war, wenn man es nicht unmittelbar mit dem Christentum vermitteln konnte. Der immerhin mögliche Gedanke einer tropologischen Allegorese des Elysiums im Sinne des himmlischen Paradieses kam Beroaldo vielmehr überhaupt nicht mehr in den Sinn, wiewohl er sich davon überzeugt hielt, daß Apuleius in dem Motiv der ›Verwandlungen‹ »durch eine mystische Verkleidung« (mystico praetextu) ein Kernstück der platonisch-pythagoreischen Lehre zur Kenntnis hatte bringen wollen. Unter der scherzhaften Erzählung gab Apuleius – so Beroaldo – »verborgenerweise« (dissimulanter) zu erkennen, daß er der Lehre von der Seelenwanderung anhing und übte mit dieser bewußten Verschlüsselung des intendierten Sinnes ein Verfahren, das Beroaldo im Blick auf Platons, Origenes’ und Proklos’ Allegorese erläuterte.35 Bei Erklärung der »fortgesetzten Keuschheit« des Helden Lucius auf seinem Weg zur Einweihung in die Mysterien der Göttin Isis freilich warnte er dann ausdrücklich vor einer unbesonnenen Anwendung des allegoretischen Verfahrens, eine Warnung, in der man sicherlich auch eine Invektive des Humanisten gegen das vielfach ungebildete Mönchtum seiner Zeit sehen darf, wenn er darlegte: »Da im Evangelium geschrieben steht, ›es gibt Eunuchen, die sich um des Himmelreichs selbst entmannten‹, entmannte sich Origenes, jener unvergleichliche Meister der Kirche, und schickte sich an, an sich selbst wirklich (re) zu vollenden, was das Herrenwort nicht im historischen, sondern im mystischen Verstande lehrte.«36 Filippo Beroaldo lebte in einer Zeit, in der das Interesse an den römischen Altertümern bereits mächtig erstarkt war. Die Verifikation der in der antiken Literatur nachgewiesenen Monumentalbauten, Denkmäler und Skulpturen durch Gelehrte wie Pomponio Leto oder Leon Battista Alberti37 formte den Inhalt einer Altertumskunde, die durch die Rekonstruktion der Chronologie und Geo-

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Commentarij a Philippo Beroaldo conditi in asinum aureum (wie Anm. 22), fol. M iir. Ebd.: »Scriptoris intentio atque consilium«, fol. b iiv. Ebd., fol. M iir: »in euangelio cum scriptum sit sunt eunuchi qui se ipsos castrarunt propter regna celorum. Origenes ille magister ecclesiae incomparabilis se ipsum castrauit. & semet ipso re aggressus est implere: quod uox dominica non historico sed mystico intellectu praecipiebat.« – Vgl. Mt. 19,12. Vgl. Anthony Grafton: The Ancient City Restored. Archaeology, Ecclesiastical History, and Egyptology, in: Anthony Grafton (Hg.): Rome Reborn. The Vatican Library and Renaissance Culture. Washington u.a. 1993, S. 87–123.

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graphie der alten Geschichte ergänzt wurde. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß Beroaldo auf dem Fundament der Eselgeschichte ein verzweigtes Arabeskenwerk antiquarischer und ›archäologischer‹ Bezüge freilegt. Sein Kommentar stellt sich als eine Art von Kulturgeschichte Griechenlands, der afrikanischen Provinzen und Kleinasiens im Altertum dar und gibt einen detaillierten Einblick in verschiedenste Lebensbereiche der antiken Zivilisation. Betrachten wir zum Beispiel wiederum das abschließende elfte Buch, das den Initiationsritus und die Aufnahme des Helden in die römische Priesterschaft der Pastophoren enthält. Die Eingangsszene, in der Lucius in Eselgestalt in der Hoffnung auf Erlösung beim hellen Mondschein den Kopf siebenmal in die Meeresfluten taucht, weil er sich erinnert, daß Pythagoras diese Zahl gerade in Angelegenheiten der Religion für äußerst schicklich angesehen hatte (XI,1,4), veranlaßt Beroaldo zu einer längeren Abhandlung, in der er zunächst von dem »Aberglauben der Alten« handelt, die derartige Waschungen zu kultischem Zweck übten, um sodann die Bedeutung des pythagoreischen »numerus septenarius« in unterschiedlichsten Zusammenhängen durchzuführen; seine Beobachtungen reichen von den siebenfachen Waschungen im Jordan, die der Prophet Heliseus (Elisa) gegen Aussatz im Buch der Könige empfahl,38 über die Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogien der Sieben bei Martianus Capella und Macrobius bis zur Bewunderung, die Augustin der Lehre des Pythagoras entgegengebracht habe. Die rettende Erscheinung der Isis, deren Füße mit Sandalen aus Palmblättern bekleidet sind (XI,4,3), gibt ihm Anlaß zu einer kleinen Kulturgeschichte der Palmblätter, die bei den Ägyptern als Schreibunterlage verwendet wurden. Die heiligen Bücher, die der Isis-Priester aus dem Allerheiligsten holt und die merkwürdige Schriftzeichen in mannigfaltiger Tiergestalt enthalten (XI,22,8), bieten ihm Gelegenheit, die Bedeutung der Hieroglyphen zu erläutern und den Leser auf ihre Verwendung an den Obelisken, wie er sie auf dem Platz vor dem römischen Pantheon sah, hinzuweisen.39 Der Kommentar gleicht hier wie im ganzen einer harmonisch durchgeführten unendlichen Melodie, deren Stimmen im beziehungshaften Wechsel das lebensvolle Bild einer verschwundenen Zivilisation entstehen lassen. Doch dieses antiquarische Interesse spiegelt nur eine Schicht der Auslegungen Beroaldos; vielmehr gerät ihm das altertumskundliche Wissen zu einem Ausweis der Kultiviertheit des menschlichen Geistes, die den Lebensvollzug eines gebildeten Christen – sollte dieser Ausdruck keinen Widerspruch in sich selbst enthalten – vollständig zu durchdringen hatte. In der Zwischenzeit, die der Held Lucius nach seiner Rückverwandlung in einen Menschen und vor seiner Pilgerschaft nach Rom im Anblick des Götterbildes verbringt, richtet er jenen berühmten Hymnos an die Mondgöttin Isis, mit dem er ihr seine Dankbarkeit für den Gnadenerweis (beneficium) der Errettung zu erkennen gibt: »Tu quidem, sancta et humani generis sospitatrix perpetua […]« (XI,25,1).40 Beroal-

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Vgl. IV Rg. 5,10. Vgl. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi (wie Anm. 22), fol. O i v–O iir. Vgl. die instruktive Strukturanalyse von Valeria Boscolo: L’invocazione ad Iside (Apuleio, Met. XI 2), in: Acme 39,1 (1986), S. 25–42.

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do bediente sich hier des exegetischen Verfahrens der Typologie, weil es ihm eine sachlich begründete und heilsgeschichtlich wirksame Überblendung der ägyptischen Göttin mit der Gottesmutter Maria erlaubte. Hatte er zumeist auf der kulturellen Differenz der Ereignisse der Verwandlungen zur eigenen Lebenswirklichkeit bestanden, so gab er sich nun – auf der Ebene einer typologisch stringenten Exegese – der grenzenlosen Bewunderung eines Gebetes hin, dessen Aufnahme in den christlichen Ritus er mit allem erdenklichen Nachdruck empfahl. Es war wohl nur in diesem intellektuellen Klima einer von ihren Protagonisten selbst als Aufbruch gepriesenen Zeit möglich, in dem Beroaldo der Forderung Ausdruck zu geben vermochte, daß die christliche Gemeinde in der heiligen Messe künftig einen Auszug aus Apuleius’ Goldenem Esel zum Lobpreis der Muttergottes in ihr Gebet einschließen solle! Seine Argumentation war gleichwohl gut begründet: »Man kann es an unserem Lucius sehen, daß die erhabenen Gebete so fromm, so feierlich, so gedankenreich ersonnen sind, daß man überhaupt nichts Gottesfürchtigeres sagen kann: daß man die Bittgesänge des Apuleius auf höchst angemessene Weise dem frommen Gebet der Christen anpassen kann: daß, was hier über Luna oder Isis gesagt wird, von der seligen Jungfrau auf gottesfürchtige und zuträgliche Weise gesagt werden kann. Unzählig sind die Hymnen, Preisungen und Gebete, die die gelehrtesten Leute auf die himmlische Jungfrau ersonnen haben. Aber sie haben – mit Verlaub – nichts gesagt, das mit dieser Preisung des Apuleius verglichen werden könnte. Diese besitzt soviel Wissenschaft und Geschmack […] Du wirst einsehen, daß man sich nichts Vollkommeneres ausdenken kann und daß diese Fürbitte würdig ist, in unseren Gottesdienst eingeführt und bei der Anrufung der Erhalterin der christlichen Gemeinde täglich im besonderen angewandt zu werden.«41 Die Verwalter des katholischen Ritus fanden freilich keinerlei Veranlassung, der nachdrücklichen Empfehlung eines antiquarisch versierten Polyhistors vom Schlage Beroaldos zu folgen. Motivierte Beroaldo seine Bewunderung der apuleianischen Lobpreisung ausdrücklich durch die auszeichnenden Attribute der »Wissenschaft« (doctrina) und des »Geschmacks« (elegantia), die er in ihr fand, so war Lucius’ Anrufung der Mondgöttin doch zugleich ein beredtes Zeugnis für die form- und formelhafte Weise, durch die der Mensch mit den Göttern ins Gespräch zu treten vermochte. Dieser Gedankenaustausch zwischen Lucius und der Göttin Isis war darum ganz unbedenklicher Natur, weil er nicht auf einem magisch-theurgischen Zeremoniell beruhte, dem sich der Held auf-

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Ebd., fol. O [iv]r: »est uidere in Lucio nostro orationes diuinas tam sancte tam grauiter tam sententialiter compositas absolui: ut nihil religiosius dici quicquam possit: ut Apuleiano praecationes [!] possint commodissime aptari ad diuinam christianorum: ut quicquid hoc in loco dicitur de luna siue iside. idem religiose & conducenter de beata uirgine dici possit[.] innumeri sunt hymni praecationes orationes compositae a doctissimis ad diuam uirginem. sed nihil est quod bona cum uenia illorum dictum sit, cum hac Apuleiana praecatione comparandum: haec doctrinae & elegantiae omnis est refertissima. [...] uidebis nihil quicquam absolutius posse excogitari: dignamque esse precem quae sacris nostris inseratur. & ad exorandam christianae sectae sospitatricem quot tidie peculiariter adhibeatur«. – Vgl. Richard Krautter: Philologische Methode (wie Anm. 19), S. 169.

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grund übermäßiger Wißbegierde (curiositas) mit fatalen Folgen anfangs ausgeliefert hatte;42 das Zwiegespräch verdankte sich vielmehr einem freigiebigen Gnadengeschenk jener Himmelskönigin, die dem geplagten Esel zuerst über den Meereswogen einer Vollmondnacht erschienen war (XI,1,1). Beroaldos Verhältnis zur Magie wird von hier aus unmittelbar evident. In einem ›historischen‹ Abriß der »Zauberkunst«, der von Zoroastres bis in die Zeit Augustins reicht, hielt er sich davon überzeugt, daß die Magie bereits in der Epoche der zoroastrischen Perser eine eminent ›politische‹ Bedeutung besaß.43 Noch Platon berichte, daß dem ersten von vier Prinzenerziehern das Lehrfach der zoroastrischen Magie im besonderen obgelegen sei, weil sie als unabdingbare Voraussetzung der Herrschaftsausübung angesehen wurde.44 Überhaupt sei das Ansehen, das der Magie im Altertum zugesprochen worden sei, vielfach bezeugt. Homers episches Gedicht der Odyssee bestehe beinahe ganz aus magischen Handlungen: Man denke an die Verwandlungen des Proteus, die Gesänge der Sirenen, den Zaubertrank der Kirke und die Heraufrufung der Verstorbenen, Handlungen, die von einem »magischen Verständnis« (magico intellectu) gleichsam ganz »umhüllt« würden. Ruhm und Ansehen, die diese Wissenschaft einst genossen habe, standen dem Humanisten außer jedem Zweifel, da doch Pythagoras, Empedokles, Demokrit und Platon weite Seereisen zu ihrer Erlernung unternommen hätten, um sie dann bei ihrer Rückkunft entweder öffentlich zu lehren oder auf den kleinen Kreis der engsten Schüler beschränkt geheim (in arcanis) zu halten. Im Rückgriff auf Platons ersten Alkibiades begrüßte Beroaldo lebhaft eine so geartete Magie, denn sie sei nichts anderes als ein »Dienst an den Göttern« (deorum cultura; θεvqν θεραπεißα) und stelle die »höchste Vollendung der Naturphilosophie« dar.45 Eine derartige Bestimmung der Magie hatte für Beroaldos humanistisch gebildete Zeitgenossen in der Tat nichts Anstößiges, denn sie implizierte notwendig das paulinische Konzept natürlicher Theologie (Röm. 1,19). Im Horizont der Naturphilosophie des Florentiner Neuplatonismus konnte Beroaldo daher den Naturforscher »mit einem frommen und heiligen Namen Zauberer« nennen: »In der Sprache der Perser ist nämlich der Zauberer dasselbe wie in der unsrigen der Priester.«46 Beinahe wörtlich aus der 1496 erschienen Rede De hominis

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Zu dem zentralen Motiv der curiositas vgl. Serge Lancel: ›Curiositas‹ et préoccupations spirituelles chez Apulée, in: Revue de l’histoire des religions, 80e année, tome 160 (1961), S. 25–46; Carl C. Schlam: The Curiosity of the Golden Ass, in: The Classical Journal 64 (1968), S. 120–125; Gerald Sandy, Knowledge and Curiosity in Apuleius’ Metamorphoses, in: Latomus 31 (1972), S. 179–183; begriffsgeschichtlich instruktiv: André Labhardt: Curiositas. Notes sur l’histoire d’un mot et d’une notion, in: Museum Helveticum 17 (1960), S. 206–224. Vgl. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi (wie Anm. 22), »Praefatio«, fol. b [i]r. Vgl. Platon: Alcibiades primus 122a 1–3; Apuleius: Apologia 25,11. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi (wie Anm. 22), »Praefatio«, fol. b [i]r. – Vgl. Platon: Alcibiades primus, loc. cit. und den Kommentar des Neoplatonikers Prokos. Ebd.: »Duplicem magiam esse eruditi autumant quarum altera platonica & philosophica: quae nihil aliud esse traditur quam naturalis philosophiae absoluta consumatio. Cuius cultor religioso sanctoque uocabulo magus appellatur. Et enim persarum lingua magus est qui

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dignitate zitierend,47 ohne jedoch seinen Gewährsmann und Freund Giovanni Pico zu nennen, unterschied er von dieser Naturphilosophie eine andere Art der Zauberei – Goëtie und Theurgie –, vermöge welcher der Magier »durch die Macht böser Geister« die Götter zu zwingen versuche. Auch wenn Porphyrios sich von der Theurgie »gleichsam eine Reinigung der Seele« verspreche, so warne er doch zugleich vor dieser gesetzlich verbotenen Form der Zauberei, die auf dem Blendwerk böser Geister beruhe.48 Überhaupt war der rechtliche Aspekt der Magie für Beroaldo von vordringlicher Wichtigkeit, wie die Erläuterung der ›politischen‹ Funktion derselben sowie sein Hinweis auf das kanonische Recht und das Zwölftafelgesetz zur Genüge zeigen. Mit bemerkenswerter Gleichwertigkeit der Beweiskraft bediente er sich hierbei sowohl aktenkundlicher Rechtsfälle als auch solcher magischer Handlungen, die er in der epischen Dichtung Vergils vorfand. Beroaldo befürwortete vorbehaltlos die Magie im Sinne eines reinen Gottesdienstes, der seinen höchsten sprachlichen Ausdruck in dem Gebet des Lucius an die Göttin Isis am Ende der Verwandlungen gefunden hatte. In ihm entfaltete sich der ›Zauber‹ einer Beredsamkeit, die die Verwandlungen zum gültigen »Leitfaden« des Lesers machte. Aber er referierte die antiken Berichte über Fälle dämonischer Magie mit einer Distanz, die deutliche Vorbehalte gegenüber der Möglichkeit derart »unglaublicher« Ereignisse erkennen lassen. Das Verbot des Zwölftafelgesetzes, durch »böswillige Lieder« die Feld- und Ackerfrüchte des Nachbarn zu verhexen, kommentierte er mit den Worten: »Man glaubte, daß durch diese Kunst der Ertrag eines (Nachbarn) auf fremde Felder übertragen werden könne«.49 In Beziehung auf den Platoniker Apuleius gab es für ihn keinen Zweifel: Er war in diesem betrügerischen Sinne kein Zauberer, und der Vorwurf, der ihn vor Gericht brachte, entbehrte jeder Grundlage.50

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nostra sacerdos.« – Unter den »eruditi« ist vor allem gemeint Giovanni Pico della Mirandola: De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen. Hg. v. August Buck. Hamburg 1990, S. 50/52. Vgl. auch die folgende Anmerkung. Zu Picos und Ficinos Verhältnis zur Magie vgl. Paola Zambelli: L’ambigua natura della magia. Filosofi, streghe, riti nel Rinascimento [1991]. Venedig 1996, Parte prima, cap. II: »Platone, Ficino e la magia«. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi (wie Anm. 22), »Praefatio«, fol. b [i]r: »Altera [sc. magia] daemonum potentia constat. res mediusfidius execranda intestabilis portentosa quam nomine detestabili γουτειαν [!] geotian uel horribiliori theurgiam uocant quamuis porphirius platonicus quandam quasi purgationem animae per theurgiam promittit. qui tamen hanc artem modo tanquam fallacem legibusque prohibitam cauendam monet.« Ebd.: »Magia legibus. xii. tabularum fuit antiquitus interdicta: Verba ipsarum legum decem uiralium sunt haec. qui fruges excantasset: qui malum carmen incantasset: & illud, ne ue alienum alienam segetem pellexeris. hac enim doctrina fructus alieni in alienos agros transferri posse credebantur: Ideoque in duodecim tabulis ei qui hoc fecerit supplicium ut Cicero [resp. IV,10,12] memorat constitutum fuit. Hinc ait Dido uirgiliana Magicas se inuitem accengier [recte: accingere] artes.« – Zu dieser Bestimmung des Zwölftafelgesetzes vgl. Mario Bretone: Geschichte des römischen Rechts. Von den Anfängen bis Justinian. München 1992, S. 79. – Ein merkwürdiges Beispiel für die Fortwirkung dieser durch das Zwölftafelgesetz grundgelegten Denkfigur in der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien [1874–1877]. München 1978, S. 285. Vgl. ebd., fol. b [i]v.

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Zu den vorzüglichsten Aufgaben der Textkritik gehörte zur Zeit Beroaldos insbesondere der Nachweis griechischer Vorlagen, deren sich die lateinischen Schriftsteller bedient hatten,51 und es bot keinerlei Schwierigkeiten, zu belegen, daß Apuleius »mit vollen Händen« aus der Eselgeschichte des Lukios von Patrai »geschöpft« hatte. Warum aber verbarg Apuleius seine Quelle? Der Afrikaner – so hielt sich Beroaldo überzeugt – verfolgte die Absicht einer bewußten Täuschung des Publikums mit dem Ziel, »damit man ihn für den größten Zauberer hielt«, der erstaunlichere Wunder noch als Christus vollbracht hätte, ein Vergleich, dessen Vermessenheit Augustin bekanntlich herausgestellt hatte.52 Lag also im Falle des Apuleius eine absichtliche Dissimulation mit moralisierender Tendenz vor, so verhielt es sich mit dem Autor der griechischen Vorlage ganz anders. Lukios von Patrai53 – Beroaldo nennt ihn in Unwissenheit über seine Identität »Lucius Lucianus patrensis« –, oblag offenbar einer Selbsttäuschung, wenn ihn seine »Wißbegierde« (curiositas) leichtgläubig auf der Wirkkraft der Magie beharren ließ. Der griechische Autor, so Beroaldo, mochte wohl mit der Wahrsagekunst vertraut gewesen sein, aber er war nicht minder ein »geschickter Sophist« (elegans sophista): Wenn er – im Sinne eines autobiographischen Berichtes – hartnäckig darauf bestand, daß er sich gerade deshalb nach Thessalien begab, um dort die Zauberei kennenzulernen und unglücklicherweise durch die Wundersalbe einer Aufwärterin statt wunschgemäß in einen Vogel vielmehr in einen Esel verwandelt zu werden, bevor er durch den Genuß der Rosen wieder menschliche Gestalt angenommen habe: so müsse man aus all dem schließen, »daß jener Grieche die Zauberei nur oberflächlich kennengelernt« habe, »mochte er sich auch einen ›tüchtigen Wahrsager‹ nennen.«54 Wenn Porphyrios versichere, daß die Magier »durch ihre Gesänge den menschlichen Geist umzuwandeln« vermögen, so verwies Beroaldo die Berichte über körperliche Verwandlungen ins Reich einer durch übertriebene Wißbegierde forcierten Leichtgläubigkeit (credulitas).

2. Die Edition von Marcus Hopper Es versteht sich beinahe von selbst, daß man um 1600 kein Verständnis mehr für ein Kommentierungsverfahren aufbrachte, das den Leser im Stile Beroaldos auf umfangreiche Exkursionen polyhistorischer Art schickte, das aber verhält-

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Vgl. Anthony Grafton: On the Scholarship of Politian and its Context, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 40 (1977), S. 150–188, hier S. 175–177. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi (wie Anm. 22), »Praefatio«, fol. b [i]v. Vgl. B.E. Perry: Who was Lucius of Patrae?, in: The Classical Journal 64 (1968), S. 97– 101. Commentarij a Philippo Beroaldo conditi (wie Anm. 22), »Praefatio«, fol. b [i]v: »Graecus ille magiam primoribus labris gustasse uideri potest quanuis de se scripserit μαντις αγαθος. Vaticinus bonus. Hic uero noster plenis haustibus hausisse. In tantum ut Magorum maximus crederetur.«

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nismäßig wenige textkritische Beobachtungen und so gut wie keine Hinweise auf die verwendeten Manuskripte und ihre Genese bereitzustellen in der Lage war. Im Unterschied zu Beroaldos Ausgabe des Goldenen Esel handelt es sich bei den Editionen, denen wir uns nun zuwenden werden, zudem meist um Gesamt- oder doch umfangreiche Werkausgaben. Dennoch: Beroaldos Kommentar war im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts noch immer viel gelesen. Eine gewisse Sonderstellung nimmt die von dem Basler Gelehrten Marcus Hopper († 1565) veranstaltete Ausgabe ein, die seit 1560 mehrmals nachgedruckt wurde. Hopper griff auf die bei Henricus Petrus gedruckte Basler Ausgabe vom März 1533 zurück, übernahm aber den damals nicht aufgenommenen (pseudo-)hermetischen Dialog Asclepius, de voluntate Dei aus der Editio princeps von 1469. Der Logik-Traktat über den »kategorischen Syllogismus« erschien in der Redaktion des hauptsächlich in Tübingen wirkenden Philologen Johannes Sichardus (um 1499–1552). Darüber hinaus ließ Hopper die fälschlich Apuleius zugeschriebene pharmazeutische Abhandlung De medicaminibus herbarum abdrucken. Durch die Aufnahme dieser sehr verschiedenartigen Texte erhält Hoppers Edition einen bemerkenswert enzyklopädischen Gehalt. Hopper, der auch anderweitig antike Autoren zu Erziehungszwecken edierte55 und damit in gewisser Weise die dann im Frankreich des 17. und frühen 18. Jahrhunderts blühende Editionstätigkeit »ad usum Delphini« vorbereitete, übernahm – dieser Intention entsprechend – den gesamten Sachkommentar Filippo Beroaldos zum Goldenen Esel. Erst die in Lyon gedruckte Neuausgabe von 1587 – also gut zwanzig Jahre nach dem Tode Hoppers – fügte dann den im Jahr zuvor separat gedruckten Kommentar des nordbrabantinischen Gelehrten Gottschalk Steewech (1557– 1588)56 bei, der sich in markanter Weise davon abhob: Steewech beschränkte sich ausschließlich auf textkritische Beobachtungen, Emendationen, Konjekturen etc.57 Man hielt mit dieser Ausgabe also eine textkritisch fundierte Edition in Händen, ohne doch auf den polyhistorischen Sachkontext, in den Beroaldo die Metamorphosen gestellt hatte, zu verzichten. Nachdrücklicher als Beroaldo, der durch die Archäologie der Wörter zur Kenntnis der Realien vorzudringen beabsichtigte, verankerte Hopper die Geschichte vom Goldenen Esel in seiner auf den 1. Juli 1560 datierten Vorrede noch einmal ganz in dem Fundament moralisierender Allegorese. Hierbei nahm er jedoch eine bemerkenswerte Akzentverschiebung vor. Hatte Apuleius darauf bestanden, daß der Held Lucius auch nach der fatalen Verwandlung in einen

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Vgl. Ralph Häfner: Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philologischer Kritik (ca. 1590–1736). Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit, Bd. 80), s. dort Angaben im Index. Zur Biographie vgl. Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek, Bd. 9, Leiden 1933, coll. 1067–1069. Vgl. Gottschalk Steewech: In L. Apuleii [...] quaestiones, in: Apuleius: Opera, quae extant, omnia. Cum Philippi Beroaldi in Asinum aureum eruditißimis commentariis: recensque Godescalci Stevvechi Heusdani in L. Apuleij opera omn[ia] quaestionibus & coniecturis, nec non aliorum doctorum virorum in eundem emendationibus adiectis, Lyon: Sib. à Porta, 1587, Bd. 2, S. 320–447.

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Esel bei (menschlichem) Verstand bleibe, so berief sich Hopper für die Möglichkeit derartiger Verwandlungen auf das Wort des Schöpfers: »Nun laßt uns den Menschen nach unserem Bilde machen« (Gen. 1,26). In der uranfänglichen Schöpfung des Menschen vollzog sich demnach eine »Metamorphose«, die besser eine »Metempsychose« genannt werde, und Hopper schließt: »Deshalb muß man zu der Auffassung kommen, daß der Mensch verwandelt worden sei, indem sich sein Geist verwandelt hatte, auch wenn die leibliche Gestalt dieselbe blieb.«58 Es kommt also jeweils ein intellektueller Habitus zum Vorschein, wenn wir die Menschen Wölfe oder Schweine, Affen oder Esel nennen. Warum sonst hätte Christus Herodes einen Fuchs rufen sollen, wenn er nicht gewußt hätte, daß er dessen innersten Charakter damit am besten bloßlegte?59 Derartige Beschreibungen, wie sie Apuleius ersonnen habe, als er sagte, daß Lucius »durch die Rosen der heilbringenden Weisheit« (salutiferae sapientiae rosis) wieder menschliche Gestalt angenommen habe, seien, so Hopper, nicht sowohl Erdichtungen (fabulae), als vielmehr wahrhafte Geschichten (historiae) denkwürdiger Umwandlungen.60 Auch wenn Hopper beispielshalber nur auf Cicero, Vergil und Christus verwies, so liegt dieser Überlegung doch eine ursprünglich platonische Denkfigur zugrunde: Nach dem ersten Alkibiades ist die Seele allein Mensch, indem sie den Leib ›beherrscht‹.61 Die Veränderung der »menschlichen Gestalt« (humana forma) bezog sich also auf den Menschen, insofern er seelischer Habitus und innere Form ist. Das Wunder der Verwandlung, wie sie sich in der Physiognomie der Seele darstellte, enthielt damit eine Bildungsprogrammatik, die für den ›christlichen Platonismus‹ im Basel jener Jahrzehnte charakteristisch ist. Das Interpretationsverfahren, das Hopper auf die Metamorphosen des Platonikers Apuleius applizierte, unterschied sich deshalb nicht von dem Verfahren, das er anhand der Psychomachie des christlichen Dichters Prudentius etwa zur selben Zeit entwickelt hatte.62 Wie eine Illustration von Oscar Wildes bon-mot »time is waste of money«63 liest sich Hoppers Deutung des Verwandlungsmotivs. »Goldene Esel«, so hielt er den jugendlichen Lesern drastisch moralisierend im Vorwort der Apuleius-Ausgabe vor Augen, müßten diejenigen genannt werden,

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Marcus Hopper: Widmungsvorrede, Basel, 1. Juli 1560, in: Apuleius: Opera, quae extant, omnia (wie Anm. 57), S. 3–10, hier: S. 5: »Quapropter animo mutato hominem esse transmutatum, etiam corporis figura manente, fateri oportet.« Vgl. ebd., S. 6. Ebd., S. 5f.: »[...] Quae sanè cum ita se habeant, non fabulae tantum, sed transmutationum etiam historiae huiusmodi descriptiones appellari possunt.« Vgl. Platon: Alcibiades primus 129e 7ff., bes. 130c 5–6. Zu Hoppers Ausgabe des Prudentius vgl. Wilhelm Kühlmann: Poeten und Puritaner: Christliche und pagane Poesie im deutschen Humanismus – Mit einem Exkurs zur Prudentius-Rezeption in Deutschland, in: Humanismus und Theologie in der frühen Neuzeit. Akten des interdisziplinären Symposions vom 15. bis 17. Mai 1992 im Melanchthonhaus in Bretten. Hg. v. Hanns Kerner. Nürnberg 1993 (= Pirckheimer-Jahrbuch 1993), S. 149–180, sowie meine Götter im Exil (wie Anm. 55), S. 65f. Oscar Wilde: Phrases And Philosophies For The Use Of The Young [1894], in: ders.: Complete Works. Centenary Edition. Glasgow 1999, S. 1244.

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die sich unter dem Vorwand des Wissenserwerbs auf weite Reisen begeben, die ihren Eltern teuer zu stehen kämen, obgleich sie statt der Gelehrsamkeit nur die Schlafkammern zweifelhafter Geschöpfe vom Schlage einer Photis aufsuchten. Da müßten sie sich denn nicht wundern, wenn sie nicht als gelehrte Leute heimkehrten, deren Geist hoch fliegt, sondern als Esel, die eine Menge Geldes verschlungen hätten.64

3. Bonaventura Vulcanius Im Gegensatz etwa zu den Werken Vergils, die seit der Spätantike kommentiert worden waren, war Apuleius – ausgenommen die Digressio von Amor und Psyche – bis zu Giovanni Boccaccios Manuskriptfund im Kloster von Monte Cassino65 verhältnismäßig wenig kommentiert worden. Ganz abgesehen von der unterschiedlichen Beschaffenheit ihres Œuvres weicht deshalb auch die Editionspraxis im Falle Vergils beziehungsweise des Apuleius stark voneinander ab. Finden wir in den Vergil-Editionen bis ins 18. Jahrhundert hinein den kumulierenden Abdruck aller oder doch der meisten Kommentare und Scholien seit der spätantiken und byzantinischen Vergil-Philologie eines Probus, Servius und Johannes Philargyrius,66 so beschränken sich die Ausgaben des Apuleius zumeist auf wenige, aber durch die Textgeschichte und Manuskriptüberlieferung begründete Annotationen. Erst sieben Jahre nach dem Lyoneser Nachdruck der Hopperschen Edition erschien die erste Ausgabe, in der die Textkritik endlich zum wichtigsten Aspekt des Kommentars avancierte. Im Jahr 1594 druckte der Verleger François Ra-

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Marcus Hopper: Widmungsvorrede (wie Anm. 58), S. 5: »[...] Sic etiam, vt praesentis operis exemplo vtar, non ineptè quispiam aureos asinos omnes eos dixerit, qui sapientiae praetextu comparandae, longinquas profectiones magno maiorum suorum sumptu suscipientes, pro literarum & sapientiae studio Photidas seu Palaestras sibi suas, hoc est, libidines apud exteros quaerunt, à quibus adulterinae pixidis vnguento inuncti, pro auibus altum intellectu suo volantibus, hoc est eruditis hominibus, inertes & imperiti, asini, quasi magna auri & argenti copia empti parentibus suis domum redeunt.« – Zur Verbreitung derartiger Deutungsmuster vgl. auch Ralph Häfner: Ein schönes Confitemini. Johann Sieders deutsche Übersetzung von Apuleius’ ›Goldenem Esel‹: Die Berliner Handschrift Germ. Fol. 1239 aus dem Jahr 1500 und der erste Druck von 1538, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 125 (2003), S. 94–136. Vgl. Remigio Sabbadini: Le scoperte dei codici latini e greci ne’ secoli XIV e XV. Edizione anastatica con nuove aggiunte e correzioni dell’autore a cura di Eugenio Garin. Florenz 1967 (= Biblioteca storica del Rinascimento, Bd. IV), S. 29, Anm. 34; Horst Rüdiger: Die Wiederentdeckung der antiken Literatur im Zeitalter der Renaissance, in: Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur, Bd. 1: Antikes und mittelalterliches Buch- und Schriftwesen. Überlieferungsgeschichte der antiken Literatur. Zürich 1961, S. 511–580, hier S. 535. Der sog. Codex Mediceus 68 2 (F) enthält (neben den beiden Hauptschriften des Tacitus) drei Werke von Apuleius: Pro se de magia liber, Metamorphosen, Florida. Einen guten Überblick über die Editionsgeschichte gibt Bernd Schneider: Vergil. Handschriften und Drucke der Herzog August Bibliothek. Wolfenbüttel 1982.

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phelengien (d.Ä., 1539–1597),67 der die Leidener Dependance der berühmten Antwerpener Officina Plantiniana leitete, eine Gesamtausgabe der Werke des Apuleius. Bearbeiter dieser Edition ist der aus Brügge stammende Bonaventura Vulcanius (de Smet; 1538-1614).68 Vulcanius wirkte nach einer bewegten gelehrten Laufbahn seit 1578 als Professor für griechische Sprache in Leiden.69 Seine Edition ersetzte die in demselben Verlagshaus 1588 erschienene wichtige Ausgabe von Pierre Colvius,70 der 1594 in Paris verstorben war. Die Tatsache, daß sich François Raphelengien nach so kurzer Zeit für eine Neuausgabe entschied, mag belegen, daß er offenbar mit einem erheblichen Käuferinteresse rechnete. In den Jahrzehnten rasch wachsender Prosperität in den Vereinigten Niederlanden wurde diese Edition – wenn auch in veränderter Gestalt – dann in der Tat noch oft nachgedruckt.71

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Vgl. Max Rooses, in: Biographie nationale [...] de Belgique, Tome XVIII, Brüssel 1905, coll. 728–735; Francine de Nave: Franciscus I. Raphelengius (1539–1597), grondlegger van de Arabische studiën in de Nederlanden, in: Ex officina Plantiniana. Studia in memoriam Christophori Plantini (ca 1520–1589). Hg. v. Marcus de Schepper u. Francine de Nave. Antwerpen 1989, S. 523–555; J.G.C.A. Briels: Zuidnederlandse boekdrukker en boekverkoper in de Republiek der Verenigde Nederlanden omstreeks 1570–1630. Een bijdrage tot de kennis van de geschiedenis van het boek. Niewkoop 1974 (= Bibliotheca bibliographica neerlandica, Bd. 6). Vgl. Apuleius: Opera omnia quae exstant. E quibus, post vltimam P. Colvii editionem, philosophici libri ope vetustiß. cod. MS. innumeris mendis expurgati; quamplurimis locis aucti, per Bon. Vulcanium Brugensem. Leiden: François Raphelengien, 1594. Bonaventura Vulcanius stammte aus Brügge; sein Vater war mit Erasmus befreundet. Seit 1559 war Bonaventura als Sekretär und Bibliothekar im Dienst des Kardinals Francisco de Mendoza im spanischen Burgos tätig, nach dessen Tode 1566 arbeitete er in derselben Funktion bei dessen Bruder, dem Erzdiakon Ferdinando de Mendoza in Toledo. Als dieser 1570 starb, kam er über Brügge, Köln, Basel und Genf nach Antwerpen, wo er bis zu seinem Ruf nach Leiden die Stelle des Rektors am dortigen akademischen Gymnasium bekleidete. Er gab u. a. die Werke folgender Autoren heraus: Isidor von Sevilla, Fulgentius, Martianus Capella, Kallimachos, Bion, Moschos und Kyrillos von Alexandrien. Vgl. Biographie universelle ancienne et moderne (Michaud), Bd. 44, Paris 1854ff. (Neudr.: Graz 1970), S. 169f.; Alfons Dewitte: Bonaventura Vulcanius en de Officina Plantiniana (1573– 1600), in: Ex officina Plantiniana. Studia in memoriam Christophori Plantini (ca 1520– 1589). Hg. v. Marcus de Schepper und Francine de Nave. Antwerpen 1989, S. 591–597; ders.: Bonaventura Vulcanius Brugensis (1538–1614). A Bibliographic Description of the Editions 1575–1612), in: Lias 8 (1981), S. 189–201; ders.: B. Vulcanius Brugensis. Hoogleraarambt, Correspondenten, Edita, in: Sacris erudiri 26 (1983), S. 311–362. Vgl. Apuleius: Opera omnia quae exstant, emendata & aucta: curâ Petri ColvI Brugensis; cum eiusdem ad omnia vberioribus notis. Acceßit nunc primùm, inter alia, lib. ΠΕΡΙ ΕΡΜΗΝΕΙΑΣ, ex bibliotheca C.V. Francisci NansI. Leiden: François Raphelengien, 1588. Nachweise finden sich in meiner Biblographie der Editionen, vgl. oben Anm. 14.

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Vulcanius war im Besitz eines alten Codex,72 der es ihm erlaubte, die Colvius’sche Ausgabe an vielen Örtern zu verbessern. Das Schriftbild spiegelt die Arbeit am Text unmittelbar wieder: Alle Emendationen, die Vulcanius aufgrund seines Codex gegenüber den älteren Ausgaben vornahm, sind »in contextu ipso«, d.h. in den fortlaufenden Text eingefügt und durch kursive Drucktypen hervorgehoben.73 Dieses aufwendige Verfahren wurde in den späteren Drucken nicht wiederholt. Im Jahr 1600 präsentierte Christophe Raphelengien,74 der nach dem Tode seines Vaters das Verlagshaus leitete, eine Ausgabe in vereinfachter Textgestalt und setzte der Edition eine eigene Leservorrede voraus. Er versicherte darin, daß der Text des Apuleius, nach so vielen editorischen »Irrfahrten«, erst durch Vulcanius eine vernünftige Form angenommen habe. Ganz bewußt verzichtete man auf irgendwelche Sachanmerkungen, wie Christophe Raphelengien mit einer rhetorisch zierlichen Metonymie geradezu preisend hervorhob: »Wir liefern einen neuen, oder richtiger: wiedergeborenen Apuleius, jedoch ohne Anmerkungen, das heißt: ohne Schmuckdecke und Reitsattel: Liefern wir doch kein Pferd, sondern einen Esel, doch immerhin einen goldenen, und zusammen mit ihm, was diesem unserem Apuleius bisher zugeschrieben worden war.«75 Diese Ausgabe, dessen Herausgeber Vulcanius nun ganz hinter der – diesmal nicht begründeten – Textkonstitution verschwindet und sich nirgends selbst zu Wort meldet, enthielt den Wiederabdruck der Vita des Apuleius, die Pierre Colvius seiner Edition beigegeben hatte, die kurze Auslegung der novellistischen Digressio von Amor und Psyche durch Fulgentius sowie Zusammenfassungen (üblicherweise so genannte summae oder capita) zu den Büchern der Metamorphosen auf der Grundlage Beroaldos. Offensichtlich galt es nun, nach

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Grundlage war der Leidener Codex (heute Vossianus 4° 10), der sich damals im Besitz von Daniel Heinsius befand. Vgl. den Hinweis von Geverhart Elmenhorst in seiner Ausgabe (S. 19; s.u., Anm. 97), sowie Paul Colomiès: Catalogus MSS. codicum doctissimi viri Isaaci Vossii, in: ders., Opera, theologici, critici & historici argumenti. Hg. v. Johann Albert Fabricius. Hamburg: Christian Liebezeit, 1709, S. 845–895, hier S. 870 (= Codices latini, N° 61); der Codex enthält u.a. die Übersetzung des Asclepius sowie De dogmate Platonis, De philosophia, De cosmographia (De mundo) und De deo Socratis. Vgl. die entsprechenden Erläuterungen von Vulcanius in seiner Widmungszuschrift an den Utrechter Gelehrten Theodor Canter, fol. *2r–*4r, vom 1. September 1593. Zu Christoph Raphelengius vgl. den seinem Vater François (d.Ä.) gewidmeten Artikel von Max Rooses (wie Anm. 67), col. 733. Christophe Raphelengien: Typographus lectori, in: Apuleius: Opera omnia quae exstant. In quibus post omnes omnium editiones hoc praestitum est, ut iam demum auctor ipse ope cod. ms. auctus locis infinitis, interpolatus, & genuino nitori suo restitutus prodeat, per Bon. Vulcanium Brugensem. Leiden: Ex officina Plantiniana, apud Christophorum Raphelenium, 1600, fol. † 2r: »Nouum, inquam, Apuleium damus, aut renatum verius, sine Notis tamen, hoc est, sine phaleris & ephippio: non enim equum damus, sed Asinum: aureum tamen. & cum eo quicquid Apuleio huic asscriptum fuit hactenus. [...] De editione hoc vnum dicam, tam dissimilem prioribus esse quam ille Asinus Apuleius sibi, qui iam post multos diuturnosque errores, forte fortuna in rosas incidit, Cl. Vulcanij opera, nec Asinus ad vos venit profecto, sed homo, patriae sibique redditus.« – Der ganze Passus ist offensichtlich ein parodistisches Spiel mit Versatzstücken aus apuleianischem Wortschatz. Vgl. z.B. die ›errores‹ in Met. XI,20,6, u.a.m.

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der kritischen Edition von 1594 durch derart informierende Beigaben weitere Leserkreise zu erreichen. Mit der Unabhängigkeit der nördlichen Provinzen der Niederlande stieg die Einwohnerzahl und das Bildungsinteresse in den Handelszentren des Nordens innerhalb weniger Jahre sprunghaft an,76 eine Entwicklung, die auch dem Buchmarkt zugute kommen sollte. Die in Vulcanius’ Ausgabe nicht eigens thematisierte moralisierende Lesart der Verwandlungen war in dem Lande des moralisierenden Kupferstichs und der Genreszenen aus dem kontrastreichen Alltag eines aufstrebenden städtisch-kaufmännischen Bürgertums nahezu selbstverständlich, und nach der marianischen Lesart des Isis-Gebets, wie sie Beroaldo leidenschaftlich bewegt vorgetragen hatte, trug man in den reformiertcalvinistischen Provinzen ohnehin kein Verlangen. Es ist also sozial- und buchgeschichtlich durchaus verständlich, daß diese wohlfeile Ausgabe, trotz einiger in der Zwischenzeit erschienener, ungleich ambitionierterer Editionen, 1610 und noch 1623 – inzwischen bei Johannes Maire – nahezu unverändert nachgedruckt werden konnte.77

4. Johannes Wower Unter diesen konkurrierenden Editionen nimmt die Gesamtausgabe, die der Hamburger Gelehrte Johannes Wower 1606 durch die Frobensche Presse in Basel ausgehen ließ, eine für die weitere Entwicklung der Editionsgeschichte maßgebende Stellung ein. Wower (1574–1612),78 der Autor des literaturwissenschaftlichen Kompendiums De polymathia (1603), gab am Ende einer instruktiven Einleitung in »L. Apuleii vita et scripta« genauestens Rechenschaft über die von ihm benutzten Handschriften, »damit die Grundlage meiner (editorischen) Bemühungen klar am Tage liege« (»Vt autem planè constet diligentiae nostrae ratio«).79 Demnach bediente er sich hauptsächlich eines Codex aus dem Besitz Fulvio Orsinis, den ihm der streitbare Oberpfälzer Gelehrte Caspar Schoppe80 in

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Vgl. Jonathan Israel: Dutch Primacy in World Trade, 1585–1740. Oxford 1989; ders.: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477–1806. Oxford 1995. Vgl. Apuleius: Opera omnia quae exstant: Ad Bonaventurae Vulcanii, Petri Colvii, ac aliorum editiones, recognita & emendata. [Leiden:] Ex officina Plantiniana Raphelengii, 1610; ders.: Opera omnia quae exstant. Ab innumeris mendis, quibus hactenus scatebant, iam serio emendata. Editio nova. Leiden: Joannes Maire, 1623. Vgl. Luc Deitz: Ioannes Wower of Hamburg, Philologist and Polymath. A Preliminary Sketch of His Life and Works, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 58 (1995), S. 132–151. Johannes Wower: L. Apuleii vita et scripta, in: Apuleius: Opera. Ioan. À Wouuer ad veterum librorum fidem recensuit, infinitis locis emendauit, nonnullis auxit. [Basel]: Ex bibliopolio Frobeniano, 1606, fol. † 2r–[):( 9]r, hier: fol. [):( 6]r/v. Zu Schoppe vgl. jetzt die Aufsätze in: Kaspar Schoppe (1576–1649). Philologe im Dienste der Gegenreformation. Hg. v. Herbert Jaumann. Frankfurt a.M. 1998. – Schoppe selbst hatte 1605 textkritische Anmerkungen zu Apuleius publiziert unter dem Titel: Symbola critica in omnia L. Apuleii philosophi platonici opera. Augsburg 1605 (vgl. Florian Neumann:

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Rom persönlich zur Verfügung gestellt hatte und der zahlreiche variante Lesarten und Emendationen enthielt. Von Janus Gruter in Heidelberg – bekannt vor allem durch die gewissenhafte Publikation von Inschriften der römischen Provinzen – erhielt er eine Zusammenstellung von Varianten aus dem Manuskriptbestand der Bibliotheca Palatina. Weitere Varianten aus nicht näher beschriebenen Handschriften übermittelte ihm der Hamburger Freund und Kollege Heinrich Lindenbrog (1570–1642), der durch seine engen Kontakte zu dem Cabinet der Brüder Jacques und Pierre Dupuy81 Zugang zu den in Paris befindlichen Codices hatte. Vor allem zwei Charakteristika bestimmen Wowers Ausgabe, die für die Auffassung dessen, was man im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts im protestantisch-reformierten Europa unter platonischer Philosophie verstand, als symptomatisch gelten dürfen: (1) Wower erkannte in den philosophischen Schriften des Apuleius eine Systematik, die alle Teile der platonischen Philosophie gleichsam zu einem »compendium« zusammenfaßte. Allerdings war es der von Wower nicht genannte Isaac Casaubon, der sich schon 1594 davon überzeugt hielt, daß es sich bei den drei philosophischen Schriften des Afrikaners nur um »ein einziges Werk« handele.82 Wower seinerseits wies nun den streng systematischen Aufbau dieser Schriften nach. Die bisher ohne Zusammenhang gedruckten Abhandlungen De dogmate Platonis, De philosophia und Peri hermeneias identifizierte er als die drei Teile einer umfassenden Lehrschrift, in der Apuleius in dieser Reihenfolge a) die Naturphilosophie, b) die Ethik und c) die Logik Platons nach dem griechischen Vorbild von Alkinoos’ (Albinos’) εiöσαγωγh? τvqν δογμaßτων Πλaßτωνος systematisch erschlossen hatte. Damit sei das Gesamtwerk (corpus) der platonischen Philosophie unter dem einheitlichen Titel »Über die Lehre Platons« (»De dogmate Platonis«) wiederhergestellt, die mit den eigenen Wor-

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Zwei furiose Philologen. Paganino Gaudenzio (1595–1649) und Kaspar Schoppe (1576– 1649), in: Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher ›Philologie‹. Hg. v. Ralph Häfner. Tübingen 2001 (= Frühe Neuzeit, Bd. 61), S. 177–205, hier S. 194, Anm. 89). Vgl. Klaus Garber: A propos de la politisation de l’humanisme tardif européen. Jacques Auguste de Thou et le ›Cabinet Dupuy‹ à Paris, in: Le juste et l’injuste à la Renaissance et à l’âge classique. Actes du colloque international tenu à Saint-Etienne du 21 au 23 avril 1983. Hg. v. Christiane Lauvergnat-Gagnière und Bernard Yon. Saint-Etienne 1986, S. 157–177; ders.: Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy, in: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Hg. v. Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. 2 Tle. Wiesbaden 1987 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 14), S. 71– 92. – Die Diplomarbeit von Jérôme Delatour: Les frères Dupuy (1582–1656), thèse pour le diplôme d’archiviste paléographe. Paris 1996 (3 Bde. und Index) wurde mir bisher nur durch die Inhaltsangabe des Autors in: Positions de thèses soutenues par les élèves de la promotion de 1996 pour obtenir le diplôme d’archiviste paléographe. Paris 1997, S. 93– 100, bekannt. Vgl. Isaaci Casauboni in L. Apuleii apologiam castigationes, in: Apuleius: Apologia. Isaacus Casaubonus recensuit, graeca suppleuit, & castigationum libellum adiecit. [Paris:] Jérôme Commelin, 1594, S. 125–182, hier S. 128.

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ten Platons folgendermaßen zu gliedern sei: (a) γνvqσις τvqν oäντων: φυσικhß, philosophia naturalis, (b) πρaqξις τvqν καλvqν: höθικhß, philosophia moralis, (c) τοuq λoßγου θεωρißα: διαλεκτικhß, philosophia rationalis.83 Mit bemerkenswerter Stringenz gelangte Wower durch die Zusammenfassung dreier Schriften des Apuleius zu einem einzigen Werk zu einer scharfen Trennung dreier Teile der platonischen Philosophie, deren Inhalt vollständig durch ein scholastisch-aristotelisches Gliederungsschema bestimmt wurde. Die Frage kann hierbei gänzlich ausgeklammert bleiben, ob sich Wower bewußt war, in welchem Ausmaß der (damals freilich noch nicht so genannte) Mittel(und Neu-)platonismus durch bestimmte aristotelische Konzeptualisierungen überformt worden war. Die Wirkung, die Apuleius’ Schrift Peri hermeneias seit der karolingischen Renaissance entfaltet hatte, beruhte ja auf der Tatsache, daß sie sich als Adaption der aristotelischen Syllogistik problemlos in die Entwicklung der mittelalterlichen Logik in der Tradition des Boethius und Marius Victorinus einfügen ließ.84 Worum es Wower ging, war vielmehr die Herstellung einer lehrhaften Konsistenz, innerhalb welcher platonische Denkfiguren in das Korsett neuscholastischer Systematik eingespannt werden konnten. Apuleius’ Abhandlung war auch nach dem Umbau der Logik durch so unterschiedliche Gelehrte wie Rudolph Agricola, Melanchthon oder Pierre de La Ramée weiterhin problemlos in die Lehrbuchtradition des 15. und vor allem des 16. Jahrhunderts zu integrieren.85 Greifen wir das vielleicht eklatanteste Beispiel heraus: Die platonische Dialektik wurde zu einer besonderen Wissenschaft des Begriffs, die nach dem Lehrbuch des »Platonikers« Apuleius durch die Arten des kategorischen Syllogismus vollständig ausgefüllt wurde. Ein derartiges Verständnis hatte freilich nichts mehr gemein mit derjenigen »Dialektik«, die Platon selbst im siebten Buch der Politeia entfaltet hatte: Dialektik als die schlechthin grundlegende, auf das wahrhafte Sein gerichtete und in der Paideia des je individuellen Lebensvollzugs zu vollendende Erkenntnisform. Umgekehrt war Wowers Einteilung der aristotelischen Wissenschaftsklassifikation vollkommen angepaßt; indem er die Ontologie mit der Physik gleichsetzte, rückte die auf das dreiteilige Kompendium folgende πρvqτη φιλοσοφißα, deren Inhalt Wower mit Apuleius’ Abhandlung De deo Socratis identifizierte, in die Systemstelle der Pneumatologie, die sich den »von Körper und Stoff getrennten Seienden, Gott, den Engeln,

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Johannes Wower: L. Apuleii vita et scripta (wie Anm. 79), fol. [† 11]v-[† 12]r. Im Blick auf die Manuskriptüberlieferung ist es bemerkenswert, daß Apuleius, Boethius und Marius Victorinus häufig in denselben Codices enthalten sind, so. z.B. im Codex T (Parisinus Lat. 13956). Vgl. Claudio Moreschini in der »Praefatio« seiner Ausgabe von Apuleius: De philosophia libri. Stuttgart – Leipzig 1991, S. XI. Vgl. hierzu: Cesare Vasoli: La dialettica e la retorica dell’Umanesimo. »Invenzione« e »Metodo« nella cultura del XV e XVI secolo. Mailand 1968; Peter Mack: Renaissance Argument. Valla and Agricola in the Traditions of Rhetoric and Dialectic. Leiden – New York – Köln 1993 (= Brill’s Studies in Intellectual History, Bd. 43).

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Geistern und ihrem Zugehör« widmete.86 Hierauf endlich ließ Wower den Liber de mundo folgen, von dem er überzeugt war, daß er eine ausgesprochen »peripatetische« (als aristotelische) Kosmologie enthalte und eine Beschreibung des Universums biete, »die man, gleichsam wie auf einer Tafel gemalt, mit einem Blick übersehen kann.« 87 Man erkennt, daß Wowers Lektüre der Lehre des Apuleius auf eine Systematik hin ausgerichtet war, der der pädagogische Antrieb der humanistischen Dialektik im Philippo-Ramismus eignete.88 Die Neigung zu einem memorativen, durch dicho- und trichotomische Gliederungen strukturierten tabellarischen Schematismus, wie ihn Wower in Apuleius’ Kosmologie erkannte (ohne allerdings selbst eine derartige Tabelle zu liefern), war seit Johann Thomas Freigius’ und Erasmus Schmids Tabellen zu Vergil, Hesiod und etwas später zu Pindar89 im protestantisch-reformierten Lager bereits ziemlich verbreitet, und auch im jesuitischen Bereich gab es derartige Bestrebungen, allerdings mit einer ausgesprochen aszetisch-spekulativen Tendenz.90 (2) Diesem Umbau der platonischen Philosophie in eine lehrhafte Systematik kam durchaus das zweite Charakteristikum der Wowerschen Edition entgegen. Die Spezifität einer »varia eruditio« umgriff nämlich gerade jenen Bereich des Wissens, den die sieben freien Künste bildeten und der den Grundkursus des akademischen Studiums ausmachte. Unter den ›Sprachwissenschaften‹ des Triviums kam daher neben der Dialektik als einer Wissenschaft des begrifflichen Argumentierens der Rhetorik eine herausgehobene Bedeutung zu. Man kann es sich von hier aus erklären, weshalb man in den beiden Jahrzehnten nach 1600 mit so großem Eifer die ›Platoniker‹ der Zweiten Sophistik91 mit ihrer weitreichenden Ausstrahlung zur Kenntnis genommen hat. Es galt seit langem als communis opinio, daß Platon selbst, soweit er in seinen Schriften greifbar wurde, Dialektik einerseits und Sophistik oder Rhetorik andererseits in einen unversöhnbaren Gegensatz zueinander gestellt hatte. Aber diese Dialektik ent-

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Zum Charakter von Apuleius’ Geisterlehre vgl. Bianca Maria Portogalli: Sulle fonti della concezione teologica e demonologica di Apuleio, in: Studi classici e orientali 12 (1963), S. 227–241. Johannes Wower: L. Apuleii vita et scripta (wie Anm. 79), fol. [):( 1]r: »Platonicae Philosophiae compendium rectè sequitur liber de Mundo: Peripateticae doctrinae contracta quaedam definitio. Continet enim descriptionem vniuersi, quam velut in tabella depictam, vno adspectu intueri licet.« Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft. Hamburg 1983 (= Paradeigmata, Bd. 1). Vgl. Ralph Häfner: Synoptik und Stilentwicklung. Die Pindar-Editionen von Zwingli/Ceporin, Erasmus Schmid und Alessandro Adimari, in: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow. Tübingen 2001 (= Frühe Neuzeit. Bd. 64), S. 97–121. Man denke etwa an Théophile Raynaud. Zu Konzept und Kontext einer sophistisch-rhetorischen Philosophie vgl. jetzt die grundlegende Untersuchung von Gerald Sandy: The Greek World of Apuleius. Apuleius and the Second Sophistic. Leiden – New York – Köln 1997 (= Supplements of Mnemosyne, Bd. 174.); s.a. Maeve O’Brien: Apuleius and the Concept of a Philosophical Rhetoric, in: Hermathena 151 (1991), S. 39–50.

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sprach mit ihrem ›spekulativen Überschuß‹ nicht ganz der Vorstellung, die man sich inzwischen von einer Wissenschaft des begrifflichen Argumentierens in theologicis gemacht hatte. In mannigfaltiger Überformung wurde Platons Dialektik in der Gestalt der boethianischen Porphyrios-Rezension, durch Johannes’ von Damaskios De fide orthodoxa oder Cassiodors Lehrbücher für den philippo-ramistisch getränkten ›scholastischen Humanismus‹ um 1600 wieder wirksam. Gerade im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts war der Damascener – nach der von Jacques Lefèvre d’Étaples veranstalteten Edition von 1539 – durch eine Basler und einer Pariser Gesamtausgabe wieder weithin präsent.92 Hinzu kamen Martians und Isidors von Sevilla Dialektiken im Rahmen der artes. Eine so verstandene Dialektik spiegelt einen Aspekt der Überlieferung von Apuleius’ Peri hermeneias wieder, die seit dem frühen Christentum ungebrochen war.93 Auch der Neuplatonismus war im protestantisch-reformierten Bereich ganz entwertet, weil die Inhalte ihrer spekulativen Theologik, soweit sie für die christliche Dogmatik überhaupt noch von Bedeutung waren, vollständig durch Dialektik und Hermeneutik in der Nachfolge des Matthias Flacius Illyricus abgedeckt wurden.94 Vor der sehr unterschiedlich akzentuierten Wiederaufnahme des spekulativen Neuplatonismus durch Robert Fludd, Athanasius Kircher und andere lebten ausgewiesene Kenner des späten Platonismus wie Johannes Kepler, der griechisch-stämmige Herausgeber der proklischen Theologia Platonis, Aemilius Portus,95 oder der zum römischen Katholizismus konvertierte Schüler von Daniel Heinsius und Philipp Cluver, Lucas Holstenius,96 in einer dünn gesäten Diaspora. Aus dieser denkgeschichtlich einzigartigen Perspektive ist zu verstehen, was Wower und seine Zeitgenossen an den Schriften von ›Platonikern‹ wie Apuleius oder Maximos von Tyros bewunderten, dessen Reden – bezeichnenderweise

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Vgl. Johannes Damascenus: Opera omnia quae quidem extant: maxima parte hactenus non uisa. Hg. v. Marcus Hopper. Basel: Ex officina Henricpetrina, September 1575; ders.: Opera, multo quam unquam antehac auctiora, magnaque ex parte nunc de integro conuersa. Per D. Iacobum Billium Prunaeum, S. Michaëlis in eremo Cœnobiarcham. Paris: Guillaume Chaudière, 1577. Zu Jacques de Billy vgl. Irena Backus: La Patristique et les guerres de religion en France. Étude de l’activité littéraire de Jacques de Billy (1535–1581) O.S.B., d’après le MS. Sens 167 et les sources imprimées. Paris 1993 (= Collection des Études Augustiniennes. Série Moyen Age-Temps Modernes, Bd. 28). Zur frühchristlichen Dialektik vgl. Giulio D’Onofrio: Fons scientiae. La dialettica nell’Occidente tardo-antico. Neapel 2 1986 (= Nuovo Medioevo, Bd. 31). Vgl. Simona Bianchi: La trasmissione della logica aristotelica nell’Occidente latino: il caso del ›Peri hermeneias‹ di Apuleio, in: Studi medievali, 3 a serie, 36 (1995), S. 63–86. Vgl. Ivan Kordic: Matthias Flacius Illyricus und sein Beitrag zur Entwicklung der Hermeneutik als des verstehenden Zugangs zur Wirklichkeit und zu ihrem Niederschlag im Text. Diss. Freiburg i. Br. – Konstanz 1987; Josip Talanga: Paralipomena dialectices des Matthias Flacius Illyricus, in: Matthias Flacius Illyricus – Leben & Werk. Internationales Symposium Mannheim, Februar 1991. Hg. v. Josip Matesic. München 1993 (= SüdosteuropaStudien, Bd. 53), S. 111–138. Vgl. Proclus Diadochus: In Platonis Theologiam libri sex. Hg. v. Aemilius Portus. Hamburg – Frankfurt 1618 (Ndr.: Frankfurt a.M. 1960). Vgl. hierzu ausführlich: Ralph Häfner: Götter im Exil (wie Anm. 55), Erster Teil, Kapitel 2.

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zusammen mit Albinos’ Einleitung in die platonische Philosophie und Apuleius’ systematischer Geisterlehre De deo Socratis – kein geringerer als der eben genannte Daniel Heinsius 1607 edieren wird.97 Es handelte sich um den Versuch, anhand von vorwiegend ethisch (›moralisierend‹) motivierten Sentenzen und sogenannten ›schönen Stellen‹ der platonischen Dialoge logische Verfahren des begrifflichen Argumentierens einzuüben und durch Zergliederung ihrer rhetorischen Elemente die kommunikative Interaktion der akademischen Jugend zu erproben. Die humanistischen Studien erfüllten auf diese Weise eine Funktion, die als die wesentlichste Voraussetzung des seit dem 15. Jahrhundert erstrebten Ideals des ›feingebildeten‹ (›eleganten‹), d.h. des in den artes wohl unterrichteten Theologen angesehen wurde. Diese Funktionsbestimmung der artes im Blick auf eine theologische Dogmatik kann als wesentliches Merkmal dieses – keineswegs uniformen – ›scholastischen Humanismus‹ angesehen werden. Von den Vereinigten Niederlanden bis nach Wittenberg und Leipzig war er in sehr unterschiedlichen Spielarten zur Ausformung gebracht worden. Worin sich Wower von dem Antiquarianismus eines Filippo Beroaldo unterschied, war, neben einer unvergleichlich verfeinerten Textkritik im Horizont des jüngeren Scaliger, der Umstand, daß die »varia eruditio« keinen integralen Bestandteil des philologischen Kommentars mehr bildete. Man könnte von einer Verselbständigung der Polymathie sprechen, die in Wowers eigenem polyhistorischen Werk98 ebenso wie zum Beispiel in Gerhard Johann Vossius’ christlicher Apologetik99 Ausdruck gefunden hat. Der klassische Autor war nicht länger mehr der Anlaß zur Entfaltung eines umfangreichen gelehrten Rankenwerks im Sinne Beroaldos, das durch die Wörter, Satzgefüge und Topoi des ›alten‹ Textes regiert wurde; der von der Kohärenz des ›alten‹ Textes sich verselbständigende polyhistorische Kommentar bedurfte vielmehr selbst wieder eines ordnenden Zugriffs. Caspar Barth etwa benötigte zur Beherrschung der 3000 Spalten infolio seiner Adversaria commentaria (1624) nicht weniger als elf Register! Ähnlich komplex waren die textkritischen Kompendien eines Coelius Rhodiginus100 oder Adrien Turnèbe.101 Die Wertschätzung, die Wower dem Werk des Apuleius entgegenzubringen vermochte, war durch den Umstand begründet, daß die »Mannigfaltigkeit der Wissensinhalte« (doctrinae varietas) Ausdruck eines zugleich »erlesenen Geis-

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Vgl. Maximus Tyrus: Dissertationes XLI. graece. Cum interpretatione, notis, & emendationibus Danielis Heinsii. Accessit Alcinoi in doctrinam Platonis introductio ab eodem emendata: & alia ejusdem generis. Leiden: J. Pacius, 1607. Zur Begriffsgeschichte vgl. Helmut Zedelmeier: Von den Wundermännern des Gedächtnisses. Begriffsgeschichtliche Anmerkungen zu ›Polyhistor‹ und ›Polyhistorie‹, in: Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Hg. v. Christel Meier. München 2002, S. 421–450, mit Nachweis der älteren Literatur. Vgl. Cornelis Simon Maria Rademaker: Life and Work of Gerardus Joannes Vossius (1577–1649). Assen 1981; Luc Deitz: Gerhard Johann Vossius’ De philologia liber und sein Begriff von ›Philologie‹, in: Philologie und Erkenntnis (wie Anm. 80), S. 3–34; Ralph Häfner: Götter im Exil (wie Anm. 55), Erster Teil, Kapitel 1. Lectionum antiquarum libri triginta, zuerst 1516. Adversariorum tomi III. Straßburg: Lazarus Zetzner, 1599.

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tes« (elegans ingenium) und einer »anmutigen Heiterkeit« (gratiosa quaedam festivitas) war. Apuleius wurde ihm zu einem Ideal des Gelehrten, der es erreicht hatte, daß man ihm schon zu Lebzeiten Ehrensäulen in verschiedenen Städten errichtete102 und dessen Persönlichkeit sich wie die Maske des Histrionen von der todesverfallenen Hülle des Körpers vollständig gelöst hatte. Der körperliche Verfall, den das ungesunde Leben des Gelehrten beinahe unausweichlich mit sich brachte, war das äußerliche Zeichen eines »Priesters«, der den platonischen Zielpunkt der oÖμοißωσις θεou~ –im Stile der Zweiten Sophistik – geradezu auf dem Wege einer glänzenden Eloquenz zu erreichen strebte. In seiner Apologie schrieb Apuleius – und Wower zitiert diesen Passus in ganzer Länge –, »daß die ununterbrochene gelehrte Mühsal aus dem Körper alle Anmut vertrieben, die äußere Gestalt verzehrt, die Farbe des Antlitzes ausgelöscht, die Lebenskraft zersetzt habe. Daß er sich vom zartesten Alter an mit aller Kraft einzig den gelehrten Studien hingegeben habe, daß er alle anderen Vergnügungen verschmäht, mit unsäglicher Mühe, tags und nachts, mit Verachtung und Verlust der Gesundheit die Beredsamkeit zu erwerben gesucht habe.«103 Ohne eine derartige Anstrengung des Geistes, so erläuterte Wower, hätte Apuleius den unermeßlichen Kreis der Wissenschaften, durch die er sein Verlangen nach der vollendeten Philosophie stillte, gar nicht umfassen können: »Wer ist dem Gott ähnlicher, wer ist ihm näher, als der Philosoph?«, so rief er aus, »der, nachdem er sich alles Vergänglichen entledigt hatte, eingeweiht in die heiligen Mysterien die göttlichen Ratschlüsse erforscht und zur Gemeinschaft der Götter nahe zugelassen wird; daher bestimmt Apuleius selbst den Philosophen als Priester aller Götter.«104 Es ist nicht bekannt, ob Wower während seines römischen Aufenthalts Zugang zur Gartenloggia der Farnesina hatte, aber das Fresko des himmlischen Göttermales anläßlich der Hochzeit von Amor und Psyche sprach noch immer verständlich von den allegorischen Verwandlungen der von der irdischen Mühsal befreiten Seele. Mit seiner Ausgabe des Apuleius präsentierte Wower einen Platonismus, der gerade aufgrund seines polyhistorischen Gehalts der kommunikativen Interaktion der europäischen Respublica literaria seiner Zeit Ausdruck verleihen konnte. Dieser Platonismus hatte freilich nichts mehr gemein mit dem spekulativen Anspruch eines Marsilio Ficino, der in seinem SymposionKommentar alle Mühe aufwandte, zu erklären, warum Eros von Platon nicht nur

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Vgl. Apuleius: Florida 16,47f. Johannes Wower: L. Apuleii vita et scripta (wie Anm. 79), fol. [† 7]r/v: »Scribit [Apuleius] in Apologia continuationem literati laboris omnem gratiam corporis detersisse, habitudinem tenuasse, colorem oblitterasse, vigorem debilitasse. Se ab ineunte aeuo vnis studijs literarum ex summis viribus deditum, omnibus alijs spretis voluptatibus, super omnes homines impenso labore, diu noctuque, cum despectu & dispendio bonae valetudinis eloquentiam quaesivisse.« – Vgl. Apuleius: Apologia IV,10, V,1. Ebd., fol. [† 5]v: »Quis vero Deo, quis propior quam Philosophus? qui relicto mortalitatis contagio, mysterijs diuinis conscius, diuina consilia rimatur, ad coelestium consortium propè admissus, vnde ipsi Apuleio: Philosophus omnium Deûm sacerdos, definitus.«

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Zauberer, sondern auch Sophist genannt werde.105 Abseits von aller Spekulation ist Wowers Platonismus, wenn wir so sagen wollen, ausschließlich ›literarischer‹ oder gelehrter Natur. Dieser Befund spiegelt sich in der Tatsache, daß er die von Apuleius selbst so genannte ›milesische Fabel‹ (sermo Milesius, I,1,1) der Metamorphosen in erster Linie durch patristische Bestimmungen erläuterte. Nach Hieronymus lag das Wesen milesischer Fabeln in »Spiel und Vergnügung« (ludus & oblectatio); aber auch die Weisheitslehren der Gnostiker, Valentins lächerliche »Erdichtungen der Weltalter«, standen nach einem so anti-platonischen Denker wie Tertullian auf derselben gnoseologischen Ebene wie die schlüpfrigen Geschichten des Platonikers Apuleius.106 Der platonische Gehalt einer milesischen Fabel, den Wower an den Metamorphosen des Apuleius bewunderte, erschöpfte sich daher in einem rhetorisch üppigen Stil, in jener »Apuleiana vbertas & laetitia«,107 deren Sachgehalt aber in etwa das gleiche Interesse wie die ›Geschichten‹ der platonisierenden Gnostiker für sich beanspruchen konnte. Durch seine Lehren, so Tertullian an derselben Stelle seines Traktats De anima, wurde Platon »zum Krämer für sämtliche Ketzer«;108 aber diese Lehren zehrten von der Üppigkeit und Fülle eines Stils, die sie für den literarisch Gebildeten um 1600 anziehend und erträglich machten. Damit war beiläufig zugleich die ›Systemstelle‹ bezeichnet, die die frühchristlichen Häresien im Kanon der humanistischen Studien inzwischen eingenommen hatten. Ihr Inhalt bereitete als konstruktive elocutio eines gegebenen Topos dem Gelehrten ebenso viel »Vergnügen« wie das Märchen von Amor und Psyche, ohne daß man nach einem tiefer reichenden spekulativen Gehalt hätte fragen müssen. Der ›Platonismus‹, wie er im weiteren Umkreis von Daniel Heinsius gepflegt wurde, läßt sich daher besser als ›platonisierende Sophistik‹ bezeichnen, eine Charakterisierung, die vor dem Hintergrund eines der Zweiten Sophistik nahestehenden »Platonikers« wie Apuleius keinen Widerspruch in sich schließt. Gelehrte, die mit der Leidener Philologie so eng verbunden waren wie Wower, Martin Opitz, Jan Rutgers und andere, fanden darin vielmehr eine probate Rechtfertigung ihrer gelehrten Studien und Dichtungen ad maiorem dei

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Vgl. Marsilio Ficino: Comm. in Convivium Platonis, de amore VI,10 (Über die Liebe oder Platons Gastmahl. Lateinisch-Deutsch. Hg. v. Paul Richard Blum. Hamburg 1994, S. 242/244). – Vgl. Platon: conv. 203d 8. Vgl. Johannes Wower: L. Apuleii vita et scripta (wie Anm. 79), fol. ):( 2v. – Vgl. Tertullian: De anima XXIII,4 (vgl. übernächste Anm.). Zum Begriff der milesischen Fabel verweist Wower noch auf Ovid: Trist. II,413f., und Plutarch: Crassus 32,4 (= p. 174 ed. Lindskog-Ziegler): … aöκoßλαστα βißβλια τvqν §Aριστεißδου Μιλησιακvqν. Ebd., fol. ):( 5v. Tertullianus: De anima XXIII,4–5 ed. Waszink: »Examen Valentini semen Sophiae infulcit animae, per quod historias atque milesias aeonum suorum es imaginibus uisibilium recognoscunt. Doleo bona fide Platonem omnium haereticorum condimentarium factum. Illius est enim et in Phaedone, quod animae hinc euntes sint illuc, et inde huc; item in Timaeo quod genimina dei delegata sibi mortalium genitura accepto initio animae immortali mortale ei circumgelauerint corpus; tum, quod mundus hic imago sit alterius alicuius.« (Deutsche Übersetzung von Jan H. Waszink. Zürich – München 1980, S. 99).

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gloriam, weil sie sie – zumindest im Bereich der protestantisch-reformierten Philologie – nach dem Zerfall der Konsistenz eines ›platonischen Christentums‹ nicht mehr durch den spekulativen Platonismus Platons oder der Neuplatoniker und ihrer rinascimentalen Erneuerungen zu begründen vermochten.109 Die ›nüchterne‹ aristotelische Wissenschaftsklassifikation, gefiltert durch den Philippo-Ramismus, wurde durch die Annehmlichkeit eines Stils bereichert, den platonisierende Sophisten wie Apuleius oder Maximos von Tyros zur Entfaltung gebracht hatten. Sobald man den prunkenden Stil des Apuleius ablehnte – und prominente Kritiker hat es seit dem Ciceronianismus des späten 15. Jahrhunderts in sehr großer Zahl gegeben –, so verschwand auch das Erkenntnispotential, das er für die Erläuterung der Dichtung bereithielt. Gerhard Johann Vossius hat sich in seiner Rhetorik mit scharfen Worten gegen den Apuleianismus erklärt,110 und es ist sicherlich kein Zufall, daß er – im Gegensatz zu seinem Freund und Kollegen Heinsius – keine Dichtungen hinterlassen hat.

5. Geverhart Elmenhorst Eine substantielle Vertiefung des textkritischen Apparates brachte dann fünfzehn Jahre später (1621) die in Frankfurt am Main gedruckte Ausgabe des Hamburger Philologen Geverhart Elmenhorst,111 auch er wie sein Freund und Kollege Lindenbrog mit dem Cabinet Dupuy in Paris eng verbunden. Elmenhorst legte nicht nur eine nochmals vermehrte Anzahl von Handschriften zugrunde; er bat vielmehr ausgewiesene Spezialisten wie den oben genannten Leidener Geographen Philipp Cluver sowie Jan Rutgers, Erycius Puteanus, Johann Brant und Cornelius Martin um textkritische Anmerkungen jeglicher Art.112 Daneben beschäftigte ihn stärker die Frage der Authentizität der unter

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Vgl. Ralph Häfner: Das Subjekt der Interpretation. Probleme des Dichtungskommentars bei Martin Opitz, in: Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hg. v. Jörg Schönert u. Friedrich Vollhardt. Berlin – New York 2005, S. 97–118. Vgl. Ralph Häfner: Antiquarianismus und Sprachgebrauch. Das Problem der elegantia in Gerhard Johann Vossius’ Rhetorik, in: Aristotelische Rhetoriktradition. Hg. v. Joachim Knape u. Thomas Schirren. Stuttgart 2005, S. 273–309. Apuleius: Opera omnia quae exstant. Geverhartus Elmenhorstius ex Mstis & vett. Codd. recensuit, librumque emendationum & indices absolutißimos adiecit. Frankfurt a.M.: Officina Wecheliana, Daniel und David Aubry, Clemens Schleich, 1621. Vgl. Philipp Cluver: Animadversiones in Apuleii platonici librum de mundo ad Geverhartum Elmenhorstium. Frankfurt a.M. 1621 (= S. [409]–423 von Elmenhorsts Emendationes [vgl. folgende Anmerkung]); VV. Clariß. Iohannis Rutgersii, Erycii Puteani, Iohannis Brantzii Spicilegia in Apuleium ad Geverhartum Elmenhorstium, Frankfurt a.M. 1621. – Zu Cluver vgl. H.J. Erasmus: The Origins of Rome in Historiography from Petra[r]ch to Perizonius. Assen 1962, S. 60–67, 99–108; Ralph Häfner: Das Altertum interpungieren. Beobachtungen zur archäologischen Methodenbildung Philipp Cluvers (1580–1622), in: Archiv für Religionsgeschichte, Themenband. Hg. v. Jan Assmann u. Guy G. Stroumsa. Dritter Band. München – Leipzig 2001, S. 25–41.

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dem Namen des Apuleius überlieferten Schriften, und er verteidigte gegen Daniel Heinsius – freilich mit äußerst freundschaftlichen und kollegialen Worten – insbesondere Apuleius’ Autorschaft an der aristotelischen Kosmologie des Traktats De mundo.113 Wie Casaubon und Wower faßte auch Elmenhorst die drei philosophischen Traktate des Apuleius zu einem einzigen Werk zusammen und gab ihm den Titel: De habitudine doctrinarum & nativitate Platonis.114 Die aristotelische Logik Peri hermeneias »sive de syllogismo categorico« erschien so auch bei ihm als Teil des platonischen Systems, über dessen Abfolge – Natural-, Moralund Rationalphilosophie – er bemerkte, daß die Stoiker, anders als die Platoniker, der Logik den ersten Rang zugeteilt hätten. Man kann, wenn man will, in den knappen Sachkommentaren eine Vorliebe für stoizistische Interpretationen erkennen, so, wenn er in Apuleius’ Sammlung ›schöner Stellen‹ (Florida) den Ausdruck ›das Leben abgeschlossen haben‹ durch die metonymische Umschreibung »veram fabulam consumasse« mit einer Vielzahl von Parallelstellen, darunter auch aus Janus Gruters gefeierter Inschriftensammlung, belegt.115 Auch konfessionspolitische Seitenhiebe fehlen nicht. Apuleius’ Beobachtung, daß Papageien menschliche Wörter deutlich aussprechen, kommentiert er unter anderem mit den Worten: »Caelius Rhodiginus schreibt im 32. Kapitel des dritten Buchs der Antiquae lectiones, daß er in Rom bei dem Kardinal Ascanio einen Papagei gesehen habe, der außerordentlich deutlich mit einer ununterbrochen fortgesetzten Rede das vollständige christliche Glaubensbekenntnis ausgerufen habe.«116 Derartige Exkurse entfernten sich freilich ebenso weit von dem Text des Apuleius wie die antiquarischen Beobachtungen Beroaldos, aber die Funktion derselben blieb noch immer dieselbe: den Leser, der unter der fortgesetzten Lektüre eines schwierigen Autors ermüdete, durch zierliche Kenntnisse anekdotischer Art zu erfrischen. Im übrigen brachte Elmenhorst den Beginn der Metamorphosen wieder in eine durch den Vers gebundene Form.117 Beroaldo hatte,

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Vgl. Geverhart Elmenhorst: Emendationes, ad lib. Apuleii de mundo, in: ders.: Emendationes ad Apuleii Platonici opera omnia, Frankfurt a.M.: Daniel und David Aubry, Clemens Schleich, 1621, S. 68-103, hier S. 69. Vgl. ebd., S. 3 f.: »Titulum hunc ex membranis Florentinis & Leidensibus Apulejo asserui«. – Nach der kritischen Ausgabe von Claudio Moreschini (Opera quae supersunt, Vol. III. Stuttgart – Leipzig 1991, S. 87) trägt der Codex Florentinus Marcianus (F) den Titel: »[...] de habitudine doctrinaque et nativitate Platonis Philosophi [...]«; der Codex Vossianus 4° 10 (N) trägt demgegenüber keinen Titel. Vgl. ebd., S. 379. Vgl. ebd., S. 371. – Vgl. Coelius Rhodiginus (Lodovico Ricchieri; 1460–1525): Lectionum antiquarum libri XXX. recogniti ab auctore […]. Basel: Froben, 1542, lib. III, cap. XXXII, S. 108–110, hier S. 109. Zum Problem vgl. A Companion To The Prologue Of Apuleius’ Metamorphoses (wie Anm. 8), und Ralph Häfner: Intensité et Finesse. Le Prologue de L’1ane d’or d’Apulée dans les Traductions Vernaculaires (Allemandes, Italiennes, Espagnoles, Anglaises et Françaises) de la fin du XVe siècle à la première moitié du XVIIe siècle, in: Akten der Tagung »Traduire les anciens (grecs et latins) en Europe du Quattrocento à la fin du 18e siècle: d’une renaissance à une révolution?« (Limoges 2006). Hg. v. Claire Lechevalier und Laurence Pradelle [in Druck].

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wie Johannes Rutgers zurecht hervorhob, als erster für die gebundene Form des Exordiums plädiert, ohne daß er sie allerdings im Druckbild entsprechend wiedergegeben hätte. Erst einige spätere Ausgaben, darunter die von Hopper veranstaltete, setzten die metrische Form auch typographisch um. Rutgers ging nun noch einen Schritt weiter, indem er behauptete, daß der gesamte Text in eine poetische Rede gebracht werden könne: »Wie ich meinerseits allerdings nicht leugne, daß die Ausdrucksweise des Apuleius der poetischen sehr nahe kommt, so soll man mir eine einzige Seite in diesem ganzen Werk zeigen, auf der, ich sage nicht durch eine leichte, sondern durch überhaupt keine Veränderung aus einer ungebundenen eine gebundene Rede gemacht werden könnte.«118 Im übrigen sage Apuleius selbst, daß er sein Werk zuerst in Versen aufgesetzt habe. Darin drückt sich eine spielerische Offenheit der literarischen Genera aus, durch die sich die heiter-ernste Novellistik einer milesischen Fabel augenblicksweise zur Gravität des Epos zu wandeln vermochte. Wie in einem Urbild spiegelte sich in den Verwandlungen die fortwirkende Diskussion um die Mischung der Gattungen in Luigi Pulcis Ritterepos Il Morgante (1478), im Orlando innamorato (1483) des Apuleius-Übersetzers Boiardo oder in Ariosts Orlando furioso (erste Fassung 1516) wieder, die nun eine Neubewertung der Poetik des afrikanischen Dichters einleitete. Die heftige Kontroverse, die sich mit dem Erscheinen von Giambattista Marinos Adone (1623) entzündete, war ja ganz explizit auch um die Frage zentriert, welche Rolle dem ›niederen‹ Genus des spätantiken Romans im ›hohen‹ Epos einzuräumen war. Die Fernwirkungen dieser Auseinandersetzungen reichen noch bis ans Ende des 18. Jahrhunderts, als Hölderlin in immer neuen Anläufen prosaischer und gebundener Rede die Heterogenität des Hyperion-Stoffes zu bändigen trachtete.

6. Johannes Pricaeus Eine im Blick auf den Aufschluß des Sachgehalts ungleich reichere Ausgabe der Metamorphosen legte der englische Gelehrte Johannes Pricaeus (John Price) 1650 vor, ohne jedoch Beroaldos Modell malerischer Fiorituren zu imitieren. Der Hugenotte Paul Colomiès schrieb in der Bibliothèque choisie über diese Edition: »Si nous avions toutes les Oeuvres d’Apulée commentées par Pricaeus, nous nous passerions aisément de ses autres Commentateurs.«119 Pricaeus hatte

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Johannes Rutgers, in: Spicilegia in Apuleium (wie Anm. 112), S. 3–13, hier: S. 8: »Milesiarum principium versibus conceptum fuisse primus obseruauit, vir nostrorum memoria doctissimus Philippus Beroaldus. [...] Equidem vt Apulei[i] sermonem poetico propiorem esse non diffiteor; ita vllam mihi in toto hoc auctore paginam ostendi velim, in qua non dicam leui, sed nulla prorsus mutatione è soluta oratione ligata fieri possit. Deinde versibus ab auctore conceptum esse, ipse docet.« Paul Colomiès: Bibliothèque choisie, Seconde edition revue et augmentée de beaucoup par l’autheur. Amsterdam 1700, zitiert nach dem Neudruck in: ders.: Opera, theologici, critici

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auf ausgedehnten Forschungsreisen alle bedeutenden Gelehrtenzentren auf dem Kontinent besucht, bevor er in Florenz zum Katholizismus übertrat. Er starb 1676 in Rom. Zeitlich liegt die Ausgabe der Metamorphosen ziemlich genau in der Mitte seiner beiden wichtigsten Publikationen: Im Jahr 1635 erschien die Edition von Apuleius’ Apologie;120 der Kommentar zum Neuen Testament und zu den Psalmen folgte 1660. Pricaeus’ Ausgabe der Apologie ist Zeugnis umfassender antiquarischer Kenntnisse, die sich der junge Gelehrte im Umkreis des Antiquitätensammlers Lord Thomas Howard angeeignet hatte. Auf dem Familiensitz von Schloß Arundel kam er sicherlich auch mit John Selden und Sir Robert Cotton in Berührung. Der von Apuleius gebrauchte exotische und archaische Wortschatz bezeichnete Sachverhalte, deren Kenntnis längst verloren war. Aber die Altertumskunde lieferte die materiellen Zeugnisse, die das Skellett der Wörter mit dem Leben ihrer einstigen Bedeutung zu füllen vermochten. Pricaeus’ Rekonstruktion des mit dem Sistrum und der Kastagnette verwandten hölzernen Crotalum,121 von dem Apuleius in der Apologie beiläufig spricht, ist hierfür ein gutes Beispiel. Auch der Titelkupferstich zu den Metamorphosen enthielt antiquarische Anspielungen; er zeigt unter anderem die Göttin Isis mit dem Sistrum sowie einen mit einer Maske bekleideten Satyrn. Dennoch hatte sich Pricaeus’ Interesse im Laufe der 15 Jahre, die zwischen den beiden Apuleius-Editionen verstrichen waren, bemerkenswert gewandelt: ein Wandel, in dem sich der veränderte soziokulturelle Umkreis, in dem der Herausgeber wirkte, spiegelt. Im Gegensatz zur Edition der Apologie verfügt die Ausgabe der Metamorphosen nicht mehr über derart üppige Bildbeigaben antiker Monumente, die Pricaeus vorwiegend aus den Sammlungen Lord Howards und Jean Bourdelots (in Paris) zusammengetragen hatte. Worin bestand dann aber der von Colomiès und anderen gerühmte Wert der Edition? Die textkritische Grundlage bildet der heute in Oxford verwahrte Codex; daneben hat Pricaeus Isaac Casaubons annotiertes Handexemplar der Colvius’schen Ausgabe sowie den von der Editio princeps abhängigen Druck Vicenza 1488 benutzt.122 Annähernd 290 Konjekturen gelangen ihm »mero ex ingenio« durch Beachtung des jeweiligen »Kontextes«. Für die Erhellung der den Wörtern zugrunde liegenden Bedeutung (proprietates … sermonis ejus latentes)123 benutzte Pricaeus jetzt weniger antiquarische Zeugnisse als vielmehr die Vergil-Kommentare des Servius und Donatus.

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et historici argumenti. Hg. v. Johann Albert Fabricius. Hamburg 1709, S. 385–499, hier S. 462f. Vgl. hierzu Ralph Häfner: Der Kommentar als Spiegel einer Lebensform (wie Anm. 15). Vgl. John Henry van der Meer: Musikinstrumente. Von der Antike bis zur Gegenwart. München 1983, S. 237. Vgl. Johannes Pricaeus: Vorrede (»Lectori«), in: Apuleius: Metamorphoseos libri XI. Cum notis & amplissimo indice Ioannis Pricaei. Accessit ejusdem index alphabeticus scriptorum qui in Hesychij graeco vocabulario laudantur. Gouda: Willem van der Hoeve, 1650. Ebd.

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Darin liegt jedoch kein ›Rückfall‹ in ältere Formen des Kommentierens; es handelt sich vielmehr um eine Verlagerung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel. Die Ausgabe zeichnet sich nämlich insbesondere durch den Umstand aus, daß der Herausgeber durch die Rekonstruktion der Wortbedeutungen zur Rekonstruktion einer Geschichte der Ideen vorzudringen beabsichtigt. Wir haben andernorts von einer »Renaissance der ›Zweiten Sophistik‹« gesprochen.124 Einem Gelehrten wie Filippo Beroaldo ging es bei der Edition des Apuleius vor allem um die Rekonstruktion kultureller Zustände, deren Kenntnis die eigene Lebensform durchbilden sollte. Dieser Anspruch entsprach ganz dem von Aulus Gellius formulierten Humanitätskonzept.125 Auf den soziokulturellen Lebenskreis von Pricaeus bezogen, haben wir es mit derselben Aktualisierung einer Lebensform zu tun. Pricaeus formulierte es als sein ausdrückliches Ziel, zu zeigen, (1) worin der Autor der Metamorphosen auf Vergil, Tacitus, Sueton, Sallust etc. zurückgegriffen hatte und (2) welche Wirkung Apuleius’ Redearten bei Ammianus Marcellinus, Sidonius Apollinaris, Hieronymus, Augustin und anderen gezeitigt hatten. Auch wenn Pricaeus in der Vorrede merkwürdigerweise nur lateinische Autoren nennt, so entspricht dieser Absicht doch auch der Nachweis einer großen Zahl griechischsprachiger Vergleichsstellen (entsprechend dem Genus einer »fabula graecanica«). Schwerpunkte liegen hierbei insbesondere (1) im Bereich der alten Komödie und Tragödie und der sogenannten ›Romane‹ (Aristophanes, Euripides, Aristeides, Achilleus Tatios, Heliodor) sowie (2) im Bereich der frühchristlichen und byzantinischen Literatur (Philon und Klemens von Alexandrien, Theodoret, Basileios, Gregor von Nazianz, Nikephoros Gregoras, Manuel Palaiologos). Ein besonderer Fall ist das Lexikon des Hesychios von Alexandrien; der Namenindex, den Pricaeus daraus zusammengestellt hat, erscheint im Anhang dieses mit weit über 700 Seiten bemerkenswert umfangreichen Kommentars. Überblickt man den Kommentar im ganzen, so fällt auf, daß Pricaeus verhältnismäßig oft Vergleichsstellen aus dem griechischen Neuen Testament und entsprechende patristische Schriftkommentare zitiert. Dieser Umstand ist erstaunlich. Auch Beroaldo hatte in dem Parallelismus Isis-Maria heidnische und christliche Tradition überblendet und damit einer Aktualisierung der Geschichte von den Leiden des Esels den Weg geebnet. Daß die Vorliebe für ein derartiges Verfahren im Falle von Pricaeus durch seine Konversion zum Katholizismus bedingt sei, wie man zunächst vielleicht vermuten könnte, bestätigt sich bei näherem Hinsehen nicht. Die vordergründig plausible Übereinstimmung zwischen Beroaldo und Pricaeus ist zudem auch methodisch nicht zu rechtfertigen. Pricaeus’ Kommentierung steht vielmehr im Zusammenhang mit einer Komparatistik, von der die Polymathie besonders seit den 1640er Jahren methodisch

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Vgl. Ralph Häfner: Götter im Exil (wie Anm. 55), S. 9ff. Vgl. Ralph Häfner: ›Paideia‹ und ›Humanitas‹. Das Bildungskonzept der Attischen Nächte des Aulus Gellius und die Kometenschrift des Danziger Philologen Jacob Oiselius (1666), in: Pensées de l’»Un« dans l’histoire de la Philosophie. Études en hommage au Professeur Werner Beierwaltes. Hg. v. Jean-Marc Narbonne u. Alfons Reckermann. Paris – Québec 2004, S. 302–338.

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zunehmend bestimmt worden ist. Ausgangspunkt für eine Entwicklung, die über Athanasius Kircher bis zu Pierre Daniel Huet reicht, war die Publikation von Gerhard Johann Vossius’ idololatriekritischem Hauptwerk, De theologia gentili et physiologia christiana, das 1642 erschienen war.126 Im Blick auf Pricaeus dürften es dann vor allem Grotius’ reiche Annotationen zum Alten und Neuen Testament gewesen sein, die – im Laufe der vierziger Jahre erschienen – ihn tief beeindruckt haben. Greifen wir abschließend drei Beispiele aus Pricaeus’ Kommentar zu Apuleius’ Verwandlungen heraus. (1) Der Held der Eselgeschichte bezeichnet sich selbst zu Beginn der Metamorphosen als »sititor alioqui novitatis« (I,2,6). Pricaeus weist zunächst die varia lectio »sciscitor« mit Angabe der Codices Palatinus und Oxoniensis nach und verbessert (»fortasse«) zu »sciscitator«.127 In sachlicher Hinsicht erläuterte er das Lemma sodann durch einen Hinweis auf Apostelgeschichte 17,21 (ohne die Stelle zu zitieren): »Athenienses autem omnes et advenae hospites ad nihil aliud vacabant nisi aut dicere aut audire aliquid novi«. – (2) Ein vergleichbarer Fall folgt kurz darauf: Pricaeus erklärt das Lemma »Tu vero crassis auribus & obstinato corde respuis &c« (Met. I,3,2) durch Redearten im Matthaeus-Evangelium (13,15) und im Hebräer-Brief: νωθροi? ταiqς aöκροαiqς.128 – (3) Handelte es sich bei beiden Stellen um den Nachweis einer verwandten Sprachform, der ein ebensolcher Denkhabitus zugrunde liegt, so ist ein weiteres Beispiel besonders aufschlußreich im Blick auf Pricaeus’ Rekonstruktion eines spätantiken kulturellen Habitus. Gewiß, auch Beroaldo hatte sich ausgiebig mit alten Riten und Gebräuchen beschäftigt, aber er gab Einblicke in kulturelle Zustände, deren Beschreibung sich nicht selten ganz von dem zu erläuternden Lemma gelöst hatte. So verhielt es sich im Falle der Palmblätter und der Hieroglyphenschrift, wie wir oben sehen konnten. Das Lemma, das sich Pricaeus zu erklären vorgenommen hatte, stammt aus dem elften Buch der Metamorphosen. Der Abschnitt beschreibt die Einrichtung heiliger Zeremonien, deren Zeitpunkt und Vollzug durch göttliche Vorsehung genau vorbestimmt sei: »Nam & diem, qua quisque possit initiari Deae nutu demonstrari, & sacerdotem qui sacra debeat ministrare, ejusdem providentia deligi« (Met. XI,21,4). Pricaeus verbarg nicht sein Erstaunen, beinahe dieselbe Beobachtung in Klemens’ von Rom Mahnschreiben an die Korinther (Ende 1. Jh.n.Chr.) gefunden zu haben: Der heilige Ritus müsse zu den von Gott festgesetzten Zeiten vollzogen werden, denn in der Liturgie komme der göttliche Wille zum Ausdruck.129 »Was wäre geeigneter (aptius)«, so Pricaeus, »um (die Stelle bei) Apuleius zu erklä-

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Vossius’ Werk ist freilich nicht voraussetzungslos. Ältere Modelle christlicher Apologetik, die besonders von Italien aus um 1600 wirksam wurden, habe ich in meinem Buch: Götter im Exil (wie Anm. 55), S. 60–80, zusammenfassend untersucht. Johannes Pricaeus: In undecim Apulejanae Metamorphoseos, sive Milesiarum libros annotationes uberiores, in: Apuleius: Metamorphoseos libri XI (wie Anm. 122), S. 1–736 (eigene Paginierung), hier S. 7. Ebd., S. 8. Vgl. Clemens Romanus: epist. (I.) ad Corinthios, in: PG 1. Paris 1886, Sp. 288f.

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ren, obschon es sich um einen so verschiedenen Kultus handelt!«130 Ebenso »treffend« (»nec appositè minus«) fand er eine Stelle aus dem RömerbriefKommentar (ad 12,2) des byzantinischen Gelehrten Theophylakt von Achrida (1088/89–1126; Schüler des Psellos), der darauf bestand, daß heilige Handlungen nur dann »gut« seien, wenn sie zur rechten Zeit durch die rechten Personen vollzogen werden.131 Damit rückte Apuleius’ Schilderung der Einweihung des Helden Lucius in einen sehr genau bestimmten Horizont spätantiker Kulturgeschichte. Auch wenn der in den Metamorphosen vollzogene Ritus etwas anderes bedeutete als die von Klemens erläuterte Liturgie – und Pricaeus hatte auf dieser Differenz nachdrücklich bestanden –, so gaben doch beide gleichermaßen Zeugnis von einem verwandten kulturellen Habitus, der uns das Verständnis der ersten nachchristlichen Jahrhunderte erleichtert. Mit vergleichbarer Intention hatte Pricaeus bereits in der Ausgabe der Apologie das Phänomen der Magie traktiert.132 Es ging fortan nicht mehr um die ›Wahrheit‹ scheinbarer Tatsachen, sondern um ein Verstehen kultureller Zustände lange vergangener Epochen der Menschheitsgeschichte – um die Begründung einer Geschichte der Ideen. Noch im frühen 18. Jahrhundert diskuierte Johann Albert Fabricius die Frage, ob Chalcidius Christ gewesen sei; die These eines christlichen Apuleius wurde – soweit ich sehe – erst in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts einmal ernsthaft erwogen.133 Für Beroaldo war das Gebet an Isis dem christlichen Ritus derart angemessen, daß er sich keinen vollendeteren marianischen Lobpreis zu denken vermochte, aber ihm lag der Gedanke fern, in dem Priester der Pastophoren einen heimlichen Adepten der christlichen Religion zu erkennen. Das lebhafte Interesse, das man besonders seit Beroaldo dem ›Platoniker‹ Apuleius wieder entgegenbrachte, verdankte sich dem ›literarischen‹ Reiz eines Werkes, das – unter Einschluß der Milesischen Fabel vom Goldenen Esel – eine

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Johannes Pricaeus: In undecim Apulejanae Metamorphoseos […] annotationes uberiores (wie Anm. 126), S. 690: »Quid aptius (etsi in cultu tam dispari) ad Apulejum illustrandum?« Ebd. – Vgl. Theophylactus (Bulgariae archiepiscopus): Expositio in Epist. ad Rom. 12,2, in: PG 124. Turnhout s.d., Sp. 500C. Vgl. Johannes Pricaeus: Anmerkung zu Apuleius, Apol. 25,10–11, in: Apuleius: Apologia, recognita, & nonnullis notis, ac observationibus illustrata a Ioanne Pricaeo. Paris: Simon Fevrier, 1635, S. 79f. Vgl. Léon Herrmann: Le procès d’Apulée fut-il un procès de christianisme?, in: Revue de l’Université libre de Bruxelles, N. S., 4 (1952), S. 339–350; ders. : L’Ane d’or et le christianisme, in: Latomus 12 (1953), S. 188–191. Eine Entgegnung fand Hermanns These in M. Simon: Apulée et le christianisme, in: Mélanges d’histoire des religions offerts à HenriCharles Puech. Paris 1974, S. 299–305. Zum Kontext: Jan Hendrik Waszink: Der Platonismus und die altchristliche Gedankenwelt, in: Recherches sur la tradition platonicienne. Vandoeuvres – Genève 1957 (Entretiens sur l’antiquité classique, Tome III), S. 139–179. Zum Motiv der ›Konversion‹ aufschlußreich: Claudio Moreschini: Alcune considerazioni sulla conversione di Lucio nelle Metamorfosi di Apuleio, in: La conversione religiosa nei primi secoli cristiani, XV incontro di studiosi dell’antichità cristiana. Rom 1987 (= Augustinianum, Bd. 27), S. 219–225.

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»vielfältige Gelehrsamkeit« (varia eruditio) mit dem rhetorischen Glanz der »Zweiten Sophistik« thesaurierte. Auch wenn man nach 1600 aufgrund einer gereinigten Editionsphilologie das antiquarische Rankenwerk, mit dem Beroaldo die Gestalt der Verwandlungen von neuem verwandelt hatte, nicht mehr überall goutieren mochte, so blieb dennoch ein Rest platonischer Doxographie erhalten, deren lehrhafter und von philosophischer Spekulation beinahe unbehelligter, an antiquarischen und sprachgeschichtlichen Beobachtungen dagegen reicher Vortrag nicht zuletzt auch dem Lateinunterricht im protestantischreformierten Bereich zugute kam. Eine vergleichbare Tendenz ließe sich im übrigen an der Rezeption des Maximos von Tyros, Aulus Gellius oder Macrobius, des Athenaios oder der Bibliothek des Apollodoros beobachten. Die Ausstrahlung dieser Literatur reicht bis in die volkssprachliche Dichtung von Boiardo über die erste deutsche Übersetzung der Metamorphosen134 bis zu Martin Opitz und weit darüber hinaus. Man wußte es zu schätzen, daß man mit dem einzigartigen Werk des Apuleius den gesamten Kreis des Wissens, von der Logik, Natur- und Moralphilosophie über die Gerichtsrede bis hin zu den verschiedensten poetischen Gattungen wie Novellistik, Hymnologie und Epigrammatik, auf angenehmste und die eigene Urteilskraft schärfende Weise umspannte. Die antiquarischen Erläuterungen, die Beroaldo ebenso wie Pricaeus ihren Kommentaren zu den Metamorphosen einfügten, gaben jedoch – wie wir sehen konnten – jeweils verschiedene Erkenntnisziele zu erkennen. Keine der hier betrachteten Ausgaben erschöpft sich indes in einer – modern gesprochen – ›objektivierenden‹ Kritik des überlieferten Textes. Von der geringsten Konjektur bis zur umfangreichen, einem eigenen Traktat gleichenden Erläuterung zeugen die Lemmatisierungen von einem kulturellen Selbstverständnis, das den intellektuellen Wandel sozialer Räume in der Frühen Neuzeit wiederspiegelt. Sie sind Spuren, in denen sich die Erwartungen, Hoffnungen und – wie im Falle der Magie – auch die Beängstigungen und Gefährdungen einer verschwundenen Zivilisation eingeschrieben haben.

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Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Ein schönes Confitemini (wie Anm. 64).

HETERODOXIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Winfried Schröder

Religionsphilosophie im 16. Jahrhundert? Martin Seidel und seine Schrift Origo et fundamenta religionis Christianae

1. Wir sind heute vorsichtiger als vor einigen Jahrzehnten, was die Rede von Epochenschwellen in der Philosophie angeht. Wo immer sonst die Unterschiede zwischen der Spätrenaissancephilosophie und späteren Phasen der neuzeitlichen Philosophie liegen mögen, unstrittig sind sie im Hinblick auf einen Gegenstand philosophischer Reflexion, der später, vor allem in der Aufklärung zu den ganz zentralen gehört: die Religion. Religion ist ein Problemfeld, das im 16. und frühen 17. Jahrhundert noch von keiner eigenen philosophischen Disziplin betreut wurde.1 Ebenso auffällig ist, daß ein, vielleicht der Grundbegriff der Religionsphilosophie der Aufklärung, ›natürliche Religion‹ (von einer prominenten, weiter unten anzusprechenden Ausnahme2 abgesehen) damals nicht zur Verfügung stand. Die Idee einer aus bloßer Vernunft konzipierten, offenbarungsunabhängigen und heilssuffizienten Religion gehört zum Deismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Grundsätzlicher noch: Die Philosophie vor der Aufklärung – und die Spätrenaissancephilosophie allemal – kannte keine voraussetzungslose, unparteiliche und distanzierte philosophische Reflexion über Wesen und Funktion der Religion, über die Verhältnisbestimmung von Vernunft und Glaube sowie die Abgrenzung ihrer Kompetenzbereiche, also über jenen Komplex von Fragen, der erst im späten 18. Jahrhundert unter dem Titel ›Religionsphilosophie‹ einer eigenen philosophischen Disziplin anvertraut wurde. Vor der Aufklärung war die selbstverständliche Voraussetzung jeder philosophischen Beschäftigung mit Religion stets die Anerkennung der einen wahren, der christlichen Religion gewesen, wie auch immer das Verhältnis von Vernunft und Glaube im einzelnen bestimmt wurde. Wie es

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Auch dem Etikett nach gab es sie als eigene Disziplin noch nicht; vgl. W. Jaeschke: [Art.] Religionsphilosophie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von J. Ritter, K. Gründer und G. Gabriel. Basel 1972ff., Bd. 8, S. 748ff. Zwar ist das Wort ›religio naturalis‹ schon im 15. Jahrhundert bei Ficino belegt, aber es steht hier für eine Disposition: die dem Menschen eigentümliche (›natürliche‹) Neigung und Bereitschaft, eine göttliche Macht zu verehren. Dieser Begriff ist ein Vorläufer des Begriffs ›Religiosität‹, der ebenfalls eine Haltung, und damit eben nicht das bezeichnet, was ›natürliche Religion‹ für die Religionsphilosophie der Aufklärung ist: die Idee eines offenbarungsunabhängigen Wissens von Gott und der Verehrung, die wir ihm schulden; vgl. W. Schröder: [Art.] Religion/Theologie, vernünftige/natürliche, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, S. 713ff.

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Winfrid Schröder

scheint, hat die Periodisierung der neuzeitlichen Philosophie also, was die Religionsphilosophie angeht, ein solides Fundament. Im folgenden soll nun aber ein Text aus dem letzten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts vorgestellt werden, in dem man eine ›Religionsphilosophie ante litteram‹, einen klar entwickelten Begriff der ›natürlichen Religion‹ und eine kritische Würdigung der Offenbarungsreligion antrifft, wie wir sie aus der Aufklärung kennen. Sein Verfasser ist Martin Seidel,3 ein Schlesier, der, soweit wir wissen, ein einziges Buch4 geschrieben hat; es trägt den Titel: Origo et fundamenta religionis Christianae. Seidel und sein Buch, das allerdings auch nur in einer an sehr entlegenem Ort publizierten Edition5 greifbar ist, sind vor allem in Deutschland fast ganz unbekannt. Wenn man einmal Auskünfte über ihn findet, sind sie oft unzutreffend, wie etwa die Behauptung, Seidel sei ein »Kryptosozinianer«6 gewesen, eine Einordnung, die nicht allein, wie wir sehen werden, sachlich unzutreffend ist, sondern das Interesse an dem Mann – Kryptosozinianer gab es ja in großer Zahl – auch gleich wieder zu dämpfen geeignet ist. Ansonsten hat die Forschung Seidel im 20. Jahrhundert fast ganz ignoriert,7 bis Francisco Socas, der eine kritische Edition seiner Schrift vorbereitet, nachdrücklich auf ihn aufmerksam machte.8

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U. Heberle: Ueber den Verfasser der antichristlichen Schrift: Origo et fundamenta religionis Christianae, in: Zeitschrift für die historische Theologie 13/1 (1843), S. 174–193. Von einer in der älteren Literatur erwähnten weiteren Schrift Seidels (Scriptum contra divinam N. T. auctoritatem Christique supremam Messiae dignitatem) haben sich keine Spuren erhalten; F. S. Bock: Historia antitrinitariorum, maxime Socinianismi et Socinianorum. Königsberg u. Leipzig 1774–1784; Reprint: Leipzig 1978, Bd. I/2, 832. Origo et fundamenta religionis Christianae. Eine bisher noch unbekannte deistische, antichristliche Schrift aus dem 16. Jahrhundert, mitgeteilt von August Gfrörer, in: Zeitschrift für historische Theologie 6/2 (1836), S. 180–259. Nach dieser, der ersten und bisher einzigen Edition wird im folgenden zitiert. Abschriften, die übrigens stark voneinander abweichende Textversionen bieten, haben sich in folgenden Bibliotheken erhalten: StuUB Hamburg (cod. theol. 1851); Bibliothèque nationale, Paris (Nouv. Acquis. Lat. 1047); Biblioteca Municipale, Parma (cod. 3). S. Wollgast: Die Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung. Berlin 1988, S. 366. Vgl. jedoch Louis I. Bredvold: Deism before Lord Herbert, in: Papers of the Michigan Academy of Sciences, Arts and Letters 4 (1924), S. 440–442; G. Gawlick: Der Deismus als Grundzug der Religionsphilosophie der Aufklärung, in: Hermann Samuel Reimarus (1694– 1768), ein ›bekannter Unbekannter‹ der Aufklärung in Hamburg. Göttingen 1973, S. 17 u. 38. Auf Bredvolds Auskünfte bezieht sich beiläufig Ch. J. Betts: Early Deism in France. From the So-called ›déistes‹ of Lyon (1564) to Voltaire’s ›Lettres philosophiques‹. Den Haag, Boston u. Lancaster 1984, S. 16, dessen knappe Bemerkungen der theoriegeschichtlichen Bedeutung der Origo et fundamenta nicht gerecht werden. Der kurze Hinweis von Rainer Wild: Freidenker in Deutschland, in: Zeitschrift für historische Forschung 6 (1979), S. 265, beruht nicht auf Autopsie der Schrift. Seine Quelle ist Fritz Valjavec: Geschichte der abendländischen Aufklärung. Wien u. München 1961, S. 66ff., der sich seinerseits auf eine knappe Angabe von F. von Bezold stützt: Jean Bodins Colloquium Heptaplomeres und der Atheismus des 16. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 113 (1914), S. 305. Wenig ergiebig ist der Aufsatz von Róbert Dán: Martin Seidel’s Origo et fundamenta religionis Christianae and Simon Péchi, in: Zbigniew Ogonowski und Lech Szczucki (Hg.): Socinianism and Its Role in the Culture of XVIth to XVIIIth Centuries. Warschau u. Lodz 1983, S. 53–57; Dán geht inhaltlich nicht auf

Religionsphilosophie

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Die wichtigsten Daten zum Buch und seinem Autor sind rasch aufgezählt. Martin Seidel wurde im schlesischen Ohlau geboren, wann wissen wir nicht; es dürfte aber nicht lange nach 1540 gewesen sein, denn in den 1560er Jahren ist Seidel an der Universität Heidelberg als Lateinlehrer nachweisbar.9 Seine Schrift Origo et fundamenta soll er in den späten 1570er Jahren vollendet haben.10 1587 ist das späteste feste Datum, das mit ihr verbunden ist. In diesem Jahre wäre, so wird berichtet, der Pastor der Nürnberger Sebalduskirche beinahe vom Schlagfluß dahingerafft worden, als er beim Besteigen der Kanzel ein Manuskript unserer Schrift auf den Stufen fand.11 Manches am Schicksal dieser Schrift mutet allerdings merkwürdig an. Die ältesten Abschriften sind verdächtig jungen Datums; sie stammen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Auch der eben erwähnte Bericht über das erste Auftauchen des Manuskripts in Nürnberg steht in einem dubiosen Licht. Denn befremdlicherweise liegen ähnliche, aber eben doch abweichende Berichte vor. Das von Gfrörer benutzte Manuskript der Origo et fundamenta enthält die bezüglich der Ortsangabe abweichende, aber ansonsten verdächtig ähnlich klingende Auskunft, daß das Manuskript 1587 auf der Kanzel der Marienkirche in Halle gefunden wurde.12 Wieder eine andere, wohl eine Leipziger Kirche war der Fundort nach Auskunft der in Parma verwahrten Abschrift der Origo et fundamenta.13 Nun wissen wir, daß der über heterodoxe Chartèquen stolpernde Superintendent ein beliebter Topos in der einschlägigen Literatur ist. Ähnliche Legenden ranken sich auch um andere scripta heterodoxa. Auffällig parallel sind die Umstände, unter denen die (heute verlorene) Handschrift des im 18. Jahrhundert notorischen »Luci-

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die Schrift Origo et fundamenta ein und bezieht sich auch weder auf die (bislang einzige) Edition von Gfrörer noch auf ein Manuskript des Textes. Vgl. Francisco Socas: L’›Origo et fundamenta religionis Christianae‹: l’auteur, le texte et les thèmes, in: Antony McKenna und Alain Mothu (Hg.): La philosophie clandestine à l’âge classique. Oxford u. Paris 1997, S. 213–222. Vgl. Róbert Dán: Matthias Vehe-Glirius. Life and Work of a Radical Antitrinitarian with His Collected Writings. Budapest u. Leiden 1982, S. 17 u. 177; zum Umfeld vgl. Curt Horn: Johannes Sylvanus und die Anfänge des Heidelberger Antitrinitarismus, in: Neue Heidelberger Jahrbücher 17 (1913), S. 219–310; Johann Friedrich Hautz: Geschichte der Universität Heidelberg. Heidelberg 1863/64, Bd. 2, S. 78–85. 1568 verlor er als ›Arianer‹, also wegen antitrinitarischer Ansichten, sein Amt und wurde der Stadt verwiesen: »Petierat Senatus Ecclesiasticus a M. D. Rectore, ut Martinus Seidelus praeceptor sextae classis paedagogii, qui adeo Arrianismo infectus esse dicebatur, ut totius novi testamenti autoritatem in dubium vocaret, statim removetur ab officio.« (Annales Universitatis Heidelbergensis, Bd. 9, fol. 88, zit. nach Dán: Matthias Vehe-Glirius, S. 18. Vgl. – leider ohne Beleg – Dán: Matthias Vehe-Glirius, S.182f.: »This manuscript was completed in 1578. The original copy of this was probably burnt publicly in Nuremberg in 1616.« »[R]epertum in suggestu Templi Sebaldini, nescio a quo depositum« (Origo et fundamenta. Hamburg, StuUB, cod. theol. 1851, Titelbl.). Vgl. Gfrörer: Origo, S. 189. »Atheum scriptum Christianae Religionis Principia blaspheme vellicans. Flammis aeternis dignissimae Sannae cum Autore Empaecta, blasphemo, Atheo socinizante. Blasphemum hoc Scriptum Sadducaeis et Epicuraeis furoribus refertum die Philippi et Jacobi 1587. in gradibus Suggesti furtim collocatum reperit Itala in Ecclesia B. Virginis Pastor sacram concionem habiturus Johannes Olearius«; Parma, Biblioteca municipale, ms N 1, fol. 1r. Vgl. auch unten Anm. 34.

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fuga Magdeburgensis« am 15. Januar 1714 auf der Kanzel der Katharinenkirche in Magdeburg gefunden wurde.14 Vor allem aber ist Seidels Religionsphilosophie in mehrfacher Hinsicht so modern, daß durchaus der Verdacht aufkommen könnte, es handele sich um ein Produkt deutlich späterer Zeiten. Solche Datierungsmogeleien kennen wir – ich erinnere nur an das berüchtigte De tribus impostoribus – ja zur Genüge. Irgendwie scheint das alles nach Legende zu riechen. Angesichts dieser mißtrauisch stimmenden Umstände muß betont werden, daß der Terminus ante auf verläßlichen Zeugnissen beruht: auf einigen Stücken aus der Kontroverse mit Fausto Sozzini und längeren wörtlich zitierten Passagen aus Seidels Schrift, die sich in einer 1619 gedruckten Widerlegungsschrift aus der Feder des Wittenbergers Jacob Martini15 finden. Die Irrfahrten Seidels, der ständig auf der Flucht war, führten ihn unter anderem auch nach Altdorf; ob er Soner kannte, weiß man nicht. Mit Sozinianern

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Vgl. J. F. Reimmann: Historia universalis atheismi et atheorum falso et merito suspectorum (1725). Hg. von W. Schröder. Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, S. 525f. [S. 603f.]; J. F. Budde: Theses theologicae de atheismo et superstitione. Jena 1717, S. 200f.; Gottfried Stiehler: Ein vergessener Atheist vom Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 3 (1955), S. 541–556; ders.: Der Magdeburger Atheist, in: ders.: Beiträge zur Geschichte des vormarxistischen Materialismus. Berlin 1961, S. 44–62. J. Martini: Liber Tertius De Tribus Elohim Oppositus Judaeis & Semijudaizantibus. Wittenberg 1619. Es handelt sich um eine Streitschrift gegen sozinianische und verwandte christologische Häretiker, vor allem die sogenannten »Semijudaizantes«, die die Messianität Jesu und die Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen durch ihn bestritten, ohne jedoch zum Judentum zu konvertieren. Der von Martini mitgeteilte Aufriß des ihm im Manuskript vorliegenden Werkes enthält die entscheidenden Anstößigkeiten des von Gfrörer edierten Textes: (1) die Ablehnung des Neuen Testamentes, (2) die politische Deutung des Messianismus, (3) die Anerkennung des Dekalogs, dessen Pflichtenkatalog aber auch durch bloße Vernunft erkennbar ist, (4) die Ablehnung aller übrigen Vorschriften und Verheißungen des Alten Testaments, schließlich (5) die Ansicht, daß der Messias weder erschienen ist noch je erscheinen wird: »1. Novum Testamentum, tanquam commentum aliquod, & veteri ac Prophetis contrarium, plane rejiciunt [Martini spricht von dem Verfasser des Manuskripts und seinen Gesinnungsgenossen; deshalb der Plural]. 2. Messiam, si venisset, mundanum Regem, non coelestem, fuisse nugantur. 3. Ex veteri Testamento nihil ad se attinere ajunt, nisi Decalogum, qui ipsis sit natura notus. Messiam tantum Judaeis esse promissum somniant [...], ideoque ad hanc religionem Semijudaicam nihil pertinere; & neque circumcisionem, sacrificia, & ceteras ceremonias Mosaicas. 5. Messiam Judaeis promissum esse, sed sub conditione, si pactum & statuta divina servarent. Hanc conditionem quia non suppleverint [scil. Judaei, W.S.], [...] sed violaverint, [...] Deus illis vicissim denegasse Messiam, proindeque Messiam neque venisse neque venturum esse.« (Martini: Liber Tertius De Tribus Elohim, S. 338.) Martini hat in seiner Widerlegungsschrift wesentliche Stücke der Origo et fundamenta im originalen Wortlaut mitgeteilt, so daß geradezu von einem Teildruck gesprochen werden kann. Mehrere Zitate zeigen, daß ihm der Text in einer leicht abweichenden Version vorlag. Vgl. Martini: Liber Tertius De Tribus Elohim, S. 392–395 (= Gfrörer, S. 194–196), S. 406–410 (= Gfrörer, S. 196–200), S. 476–479 (= Gfrörer, S. 211–213), in denen die These von der politischen Natur des alttestamentlichen Messianismus entfaltet wird. Das Martini vorliegende Manuskript weicht in den Stücken, die in Gfrörers Edition Parallelen haben, nur in einzelnen Formulierungen von dieser ab. Allerdings fehlen einige der von Martini zitierten Passagen in der von Gfrörer edierten Version. Der Titel Origo et fundamenta religionis Christianae ist möglicherweise später entstanden; Martinis Manuskript jedenfalls trug ihn nicht.

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stand er in Verbindung, schloß sich ihnen jedoch nicht an,16 im Gegenteil. Mit Sozzini lag er im Streit; die Dokumente sind in der Bibliotheca fratrum Polonorum überliefert.17 Seidels Tod, das genaue Datum ist ebenfalls unbekannt, fällt ins frühe 17. Jahrhundert.

2. Seidels Schrift selbst bietet mehr, als der Titel Origo et fundamenta religionis Christianae ankündigt. Zur einen Hälfte ist sie in der Tat mit dem bibelkritischreligionsgeschichtlichen Fragenkomplex befaßt, welches die Ursprünge des Christentums und wie solide seine textlichen Fundamente sind. Zur anderen Hälfte enthält sie die Grundlinien eines Systems der natürlichen Religion. Zunächst zu Seidels bibelkritisch-religionsgeschichtlichen Thesen, und hier zuerst zur Bibelkritik im engeren Sinne. Ihre auffälligste Besonderheit ist die kompromißlose Entschlossenheit, voraussetzungslos zu Werke zu gehen: Sogar die üblichen Datierungen und Zuschreibungen der neutestamentlichen Texte kommen auf den Prüfstand. So könne das Johannesevangelium aus inhaltlichen und stilistischen Gründen kaum von einem Galiläer namens Johannes stammen, der, wie es heißt, Fischer von Beruf war. Bei dem Autor dürfte es sich vielmehr um einen nicht unterdurchschnittlich gebildeten Griechen gehandelt haben.18 Zudem spreche manches dafür, daß es lange nach der apostolischen Ära verfaßt wurde und folglich nicht als Quelle der Religion Jesu gelten kann (251). Der Verfasser hat sogar schon die Vermutung geäußert, daß das Johannesevangelium auf die Bedrohung der frühchristlichen Theologie durch die Gnosis reagiert – eine Vermutung, die wohl nicht ganz abwegig ist, wenn man an die antidoketistische Tendenz der (allein von Johannes berichteten) Thomas-Episode (Joh 20,24) denkt. Fälle wie dieser zeigen: Die fundamenta des Christentums sind – schon was Chronologie und Verfasserschaftsfragen angeht – morsch.

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Vgl. Gustav Georg Zeltner: Historia Crypto-Socinismi [sic] Altorfinae quondam academiae infesti arcana ex documentis maximam partem Msstis. [...] adornata. Leipzig 1729, S. 268– 271 u. 335f. Wenig ergiebig ist der Artikel über Seidel in Zedlers Universal-Lexicon. Bd. 36. Halle 1743, Sp. 1409. Mit dem Gründer der Bewegung hat Seidel selbst noch in Verbindung gestanden. Über seine Korrespondenz mit Fausto Sozzini vgl. Heberle: Ueber den Verfasser, S. 176ff. Sozzini bekämpfte Seidel als einen »semijudaeus«; vgl. sein Adversus Semijudaizantes scriptum. Opera omnia in duos tomos distincta [Bibliotheca fratrum Polonorum, Bd. 2]. Irenopoli post annum 1656, S. 804–812; vgl. hierzu L. Szczucki: Marcin Czerniwic. Warschau 1964, S. 87–89, und Zbigniew Ogonowski: Socynianizm a Oswiecenie. Studia nad mysla filozoficzno-religina arian w Polsce XVII wieku. Warschau 1966, S. 341f. »Praesertim autem, quae Johannes Evangelista Jesum illum docuisse et fecisse scribit, ea a Graeco quodam Johanne sunt conficta. Nam satis apparet, Evangelium Johannis longo tempore post crucifixum Jesum scriptum esse, cum iam multae essent sectae Christianorum [...]. Qui Johannes, quia ad refutandum Cerinthum, Ebionem et alios nova miracula et novas conciones illius Jesu, de quibus priores Evangelistae nihil scripserant, confinxerat, ne videretur ea confinxisse, subiicit in fine libri sui, Jesum adhuc plura docuisse et fecisse« (S. 251).

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Kennzeichnend für Seidels Exegese ist zweitens die Kontextualisierung der christlichen Botschaft. Sein Versuch, den christlichen Messianismus im Lichte des jüdischen zu verstehen, hat zum Ergebnis, daß Jesus ganz der politisch–innerweltlichen Variante des alttestamentlichen Messianismus verhaftet war, welcher einen rex terrenus und von diesem die Wiederherstellung des Reiches der Juden erwartete.19 Eben diese Erwartung verbanden auch die Apostel mit Jesus, der freilich nicht der »Messias promissus« (212f.) war. Der Kreuzestod, alles andere als ein heilsgeschichtliches Ereignis, war im Hinblick die Aspirationen der Apostel der größte anzunehmende Unfall. Sie versuchten den Schaden zu begrenzen, indem sie ihre ursprünglich politische Heilserwartung, in der sie sich getäuscht hatten,20 spiritualisierten, die Hinrichtung Jesu zum freiwilligen Opfertod umdeuteten, die Auferstehung (213) Jesu erdichteten und damit die Grundlage einer nicht mehr innerweltlichen Soteriologie schufen. Sie zimmerten also, um es kurz mit einem Wort des Reimarus, aber in Seidels Sinne zu sagen, ein theologisches ›Noth-System‹21 zusammen. Hier haben wir, so Seidel, die origo des Christentums. Sie ist, wie man sieht, mehr als dubios; denn sie liegt nicht bei seinem vorgeblichen Stifter, sondern bei seinen machthungrigen Jüngern. Schließlich finden wir bei Seidel schon jenes Argument, das der tödlichste Pfeil im Köcher der Bibelkritiker der Aufklärung sein sollte: den philologisch begründeten Einspruch gegen Typologie und Weissagungsbeweis. Die behauptete Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen in Jesus (192ff.) ist, so Seidel, eine haltlose Erdichtung der neutestamentlichen Verfasser und ihrer christlichen Ausleger.22 Diese Gepflogenheit, die bei Matthäus besonders penetrant auffällt, weckt überdies Zweifel an der Historizität der evangelischen Berichte. Die meisten Ereignisse des Lebens Jesu werden von den Evangelisten nur erzählt, damit sich der Anschein der Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen ergibt: »[N]on credo, Jesum omnia illa fecisse, quae Evangelistae scribunt, quia iidem Evangelistae etiam scribunt, omnia, quae Jesus fecerit et passus sit, secundum scripturas Prophetarum facta esse et scripturas in Jesu illo impletas esse« (251). Um Seidels Urteil über das Christentum zusammenzufassen: Das textliche Fundament der religio Christiana ist morsch, ihr Ursprung dubios und die klassische Legitimationsstrategie seiner Verteidiger – der Weissagungsbeweis – ist wissenschaftlich, philologisch unhaltbar.

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»Prophetae non coeleste regnum neque coelestem regem seu Deum, sed restitutionem regni illius, quod per captivitatem Babylonicam conciderat, id est restitutionem regni Israëlitici seu Davidis, et mundanum seu terrenum regem [...] promiserant« (200). »Apostoli post mortem Jesu spe frustrati [erant]« (213). Diese hatten ursprünglich politische Erwartungen mit Jesu Wirken verbunden; nun waren sie frustriert: »Apostoli post mortem Jesu spe frustrati« (213); »primi illi autores [sc. Apostoli] nihil magis initio declamitabant, quam quod Jesus ille resurrexisset a morte« (ebd.). Vgl. später die Lettres sur la religion, sur l’âme humaine et sur l’existence de Dieu, Paris, Bibl. Mazarine, sign.: ms. 2239/3, S. 145–164 zum politischen Messianismus der Juden und dessen christlicher Spiritualisierung: »Jésus n’a point de ressemblance avec le Christ promis aux hébreux [sic]«. Ausführlich weist Seidel nach, daß die Opfer, von denen das Alte Testament berichtet, nicht als Typen des Kreuzestodes Jesu aufgefaßt werden können (230–235).

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Die zweite Hälfte von Seidels Schrift bietet einen Abriß der natürlichen Religion. Das Wort ›religio naturalis‹ findet sich bei Seidel nicht; er spricht von einer »naturalis agnitio et cultus Dei« (241), auch »naturalis et rationalis agnitio Dei« (243) oder »naturalis cultus Dei« (241). Was er mit dieser Formel meint, entspricht aber genau dem späteren Begriff der natürlichen Religion. Mit Seidels Worten: das, was die Vernunft uns lehrt (»id quod ratio nos docet«) im Hinblick auf die Fragen: »an sit Deus, et qualis sit Deus, et quae sit eius voluntas, item [...] quid Deo, quid hominibus debeamus« (241). Es handelt sich also um das rational gewonnene Wissen von Gottes Dasein und Eigenschaften sowie den aus der goldenen Regel abgeleiteten Pflichten des Menschen gegen Gott und seine Mitmenschen. Das religionsphilosophische Herzstück der Schrift ist überschrieben »Vera, divina, antiquissima et perfectissima doctrina de Deo et voluntate eius« (235ff.). Ihr theoretischer Teil bietet die Standardversion der Rationaltheologie. Die Existenz Gottes wird (235) durch das physikotheologische Argument (mit deutlichen Anklängen an das aristotelische, bei Cicero überlieferte Höhlengleichnis) gesichert.23 Hinzu kommt ein traditioneller Finalismus und Anthropozentrismus (»propter hominem omnia condita esse«, 235). In den üblichen Rahmen fügt sich die Lehre von den Gottesprädikaten: Gott ist »unendlich, ewig, allgütig, -mächtig, -weise und vollkommen gerecht, er ist der Schöpfer und Erhalter der Welt«, sowie Garant der moralischen Ordnung, »denn er liebt und belohnt das Gute und Gerechte und haßt und bestraft das Ungerechte«.24 All das wissen wir, denn es ist unserem Geist »fest und auf eine natürliche Weise eingeprägt« (»firmiter animo hominis naturaliter [...] insculptum«, 238). Dieser rationaltheologische Gottesbegriff ist der Maßstab, an dem die Offenbarungsreligionen gemessen werden. Er ist die Grundlage von Seidels Kritik an verschiedenen Dogmen – etwa der Trinitätslehre (226–230) – und des Anthropomorphismus.25 In historischer Perspektive gelangt Seidel allerdings zu einer

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De natura deorum II, 94: »Cum coelum, maximum et splendidissimum hoc opus, contemplamur, praeterea solem, lunam et stellas, quae in coelo sunt, et consideramus, quam pulcherrimo, certissimo et constanti ordine et motu moveantur: oportet nos fateri, esse aliquid et quidem optimum, potentissimum et sapientissimum, quod tanta et tam splendida opera condidit, eaque [...] conservat, id quod Deum appellamus.« »Deum esse essentiam infinitam, aeternam, optimam, potentissimam, sapientissimam et iustissimam, quae non tantum omnia creavit, sed eadem etiam nunc sustentat, regit et conservat [...], qui bona et iusta amat et praemiis ornat, iniusta vero aversatur et punit« (236). Auffällig sind die sachliche Übereinstimmungen zwischen Seidels »naturalis agnitio et cultus Dei« (241) und den fünf »Notitiae communes circa Religionem«, die Herbert of Cherbury ebenfalls als offenbarungsunabhängiges, ›natürliches‹ Wissen von Gott und unseren Pflichten bestimmt (Edward Herbert of Cherbury: De veritate [1645]. Hg. von Günter Gawlick. Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, S. 208ff.): I. »Esse Supremum aliquod Numen« (210), II. »Supremum istud numen debere coli« (212), III. »Virtutem cum pietate conjunctam [...] praecipuam partem Cultus Divini habitam esse & semper fuisse« (215), IV. »Horrorem scelerum Hominum animis semper insedisse; Adeoque illos non latuisse Vitia & scelera quaecunque expiari debere ex poenitentia« (217) und V. »Esse praemium, vel poenam post hanc vitam« (220). Die Vorstellung eines menschlichen Affekten unterworfenen und nach Menschenart handelnden, gar körperlichen Gottes ist unzweifelhaft biblisch, aber nach Maßgabe des rationaltheolo-

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abgewogenen, teilweise sogar positiven Würdigung der (alttestamentlichen) Offenbarung. Dies gilt insbesondere für den Dekalog, den er als Wiederbekanntmachung des bereits in der Frühgeschichte der Menschheit in Vergessenheit geratenen Sittengesetzes der natürlichen Religion versteht. Die natürliche Religion war dem Menschengeschlecht von Anbeginn zwar zugänglich.26 Da sie aber im Laufe der Zeit degenerierte, wurde sie von Moses wiederhergestellt. 27 Was die praktische Seite der natürlichen Religion, die uns über die Bestimmung des Menschen (»ad quid [homo] sit natus, quid sit officium suum«, 235) belehrt, angeht, entwirft Seidel die Grundlinien einer Moral ohne Offenbarungsfundament. Die Erwartung von Lohn und Strafe im Jenseits und das moralische Orientierungswissen, das auf das »iuste vivere« (245) abzielt, bildet den Kern der natürlichen Religion. Das ausdrückliche Ziel der Schrift ist zwar allein die Dissoziation von Moral und Offenbarungsreligion (»scripta religio«): Eine Verstärkung und Ergänzung der natürlichen Religion durch »religiones scriptae« wird nicht nur für möglich gehalten, sie ist Bestandteil der Providenzvorstellung der Rationaltheologie unserer Schrift. Es kündigt sich aber auch schon die Trennung von Moral und Rationaltheologie an, und dies in zweifacher Hinsicht: Wir brauchen von Gott nichts zu wissen, wenn wir danach fragen, welches unsere Pflichten sind. Denn es ist das Gewissen (»conscientia«, 238), aufgrund dessen wir über ein unmittelbares Wissen (»scientia«, ebd.) von den moralischen Maßstäben verfügen, und die Vernunft (»lumen rationis«, 238) gibt im Einzelfall Orientierung, indem sie die Goldene Regel anwendet.28 Aus der regula aurea werden sieben Pflichten abgeleitet, die der 2. Tafel des Dekalogs entsprechen. Im Rahmen der Ethik der Origo et fundamenta bleibt dem Gott der Rationaltheologie nur noch eine, freilich wichtige Funktion: Er ist der Geltungsgrund der moralischen Pflichten; denn »er hat sie der Vernunft aller Menschen eingepflanzt« (»Deus eam insevit mentibus omnium hominum«, 242). Schließlich ist dieses natürliche Wissen von Gott und unseren Pflichten, in deren Befolgung der »cultus Dei naturalis« (240ff.) besteht, heilssuffizient. Um das Heil zu erlangen, bedarf der Mensch »keiner geschriebenen Gesetze, keiner positiven Religion« (»nullas leges scriptas, nullam scriptam religionem«, 241).

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gischen Gottesbegriffs falsch; vgl. Seidel: Origo et fundamenta, S. 239: »non debemus imaginari, eum habere formam hominis«. Vgl. ebd., S. 242: »ista doctrina de Deo et voluntate eius non est [...] nova, sed antiquissima, utpote quae ab initio mundi apud primos homines fuerit.« »Haec agnitio et hic cultus Dei fuit ab initio mundi apud primos homines, qui nullas leges scriptas, nullam scriptam religionem, sed eam tantum, quae [sic; recte: quam] ipsos natura et ratio docuit, habuerunt, Deumque sola ratione agnoverunt et coluerunt. Quia vero tandem naturalis ista agnitio Dei et naturalis Dei cultus primum negligentia hominum, postea vero pravis moribus et consuetudinibus obscuratus et depravatus fuit: ideo Deus ex singulari quadam bonitate hanc ipsam naturalem agnitionem et cultum Dei [...] populo Israëlitico per Mosen repetivit. [...] Quod vero Moses de Deo et voluntate Dei non alia neque plura docuerit, quam quod nos natura et ratio docet, id manifestum est ex Decalogo, qui est nobis natura notus et insitus, atque ideo omnes homines omnibus temporibus obligavit et obligat« (ebd., S. 241). Vgl. ebd., S. 240: »iustum autem est, ut, quod tibi velles fieri, id alio quoque quoque facias, et quod tibi nolles fieri, id ne alio facias.«

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Diese Hinweise lassen bereits erkennen, daß Seidel den gemeinsamen Boden, der die Theologen der Großkirchen und selbst die in loco de Christo häretischen Sozinianer trug – die als Gottesoffenbarung anerkannten Schriften des Alten und Neuen Bundes –, verlassen hat. Die Theologen, die Seidel bereits im frühen 17. Jahrhundert Widerlegungsschriften widmeten, haben das klar gesehen. Der Wittenberger Jacob Martini markierte (1619) die Differenz zwischen den verschiedenen (auch häretischen) christlichen Lehrbegriffen und dem Standpunkt Seidels mit der Frage: »Kann es eine wahre, zum ewigen Leben führende Religion allein auf der Grundlage des Sittengesetzes [ex lege morali] geben?«29 Die Überzeugung, daß dies möglich ist, bildet den Kern der Religionsphilosophie der Schrift Origo et fundamenta religionis Christianae. Wie Martini richtig erkannte, tritt in unserer Schrift eine offenbarungsunabhängige, ›moralische Religion‹ mit dem Christentum in Konkurrenz. Wir haben es hier also nicht mit einer Spielart des Sozinianismus, d.h. nicht mit dem Versuch einer Rationalisierung des Christentums zu tun, sondern mit einem sich bewußt außerhalb des Christentums ansiedelnden Standpunkt. Es war keine polemische Rhetorik, sondern die präzise Feststellung dieses Sachverhalts, wenn Seidel als »homo [...] plus quam haereticus«30 bezeichnet wurde. – Einer, der ihn noch kennengelernt hatte, Nicolaus Hieronymus Gundlings Großvater Johann Vogel, berichtet, Seidel habe bekannt, er habe weder ein Christ / noch Jud / noch Türck seyn wollen / sondern bloß Theologiam naturalem gehabt / und dafür gehalten / es wäre genug / wenn er nach den zehen Gebotten lebte / nicht darum / daß sie von Gott wären gegeben worden / als welche dißfals nur die Juden angiengenü/ deren Policey längst vergangen / sondern dieweil sie mit dem Licht der Natur überein kämen.31

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»An ex lege morali dari possit vera religio, hominem ad vitam aeternam ducens«, so lautet die Überschrift des Kapitels, in dem Martini sich mit der deistischen Substanz der Origo et fundamenta auseinandersetzt; Liber Tertius De Tribus Elohim, S. 367ff. Zeltner: Historia Cripto-Socinismi Altorfinae academiae, S. 268. Anonymus [Gundling]: Einige besondere Nachrichten von Jacobo Martinio, Joanne Vogelio, Ernesto Sonero, Martino Ruaro, Martino Seidelio, Sebastiano Heinlino, und andern. In: Gundlingiana. Erstes Stück. Halle 1715, S. 41. Diese Auskunft entspricht Seidels eigenem Bekenntnis in seinen Epistolae ad coetum Cracoviensem, in: Bibliotheca fratrum Polonorum, S. 806: »[D]octrina de Messia, seu Rege illo promisso ad meam Religionem nihil pertinet, nam Rex ille tantum Judaeis promissus erat, sicut & illa terra Canaan: sic etiam circumcisio, sacrificia & reliquae ceremoniae Mosis ad me non pertinent, nam ista [...] tantum populo Judaico promissa, data & mandata sunt.« Den »Semijudaizantes« ist Seidel also nicht zuzurechnen. Vgl. auch die richtige Bemerkung von Martinus Ruarus in seinem Brief an Mersenne vom 13. Sept. 1641 (Correspondance. Hg. von Cornélis de Waard, Bernard Rochot und Armand Beaulieu. Paris 1945–1988, Bd. 10, S. 744f.: »[Seidelius] religionem Christianam ejuraverat et Judaeorum caussam, quanquam ipse non Judaeus, contra illam negabat«; vgl. auch auch Dán: Matthias Vehe-Glirius, S. 183: »[T]he followers of Seidelus kept aloof from the Jewish religion to the same degree as from Christian theology.« Anhänger fand Seidel vor allem in Siebenbürgen, wo Simon Péchi, selbst ein Transsylvanier, dessen Lehre verbreitete; vgl. ebd.: »Simon Péchi waited a copy brought to Transsylvania in 1621 by a man called Joachim Rasoribus [sic], to whom Johannes Avitus handed it over in a confused state and without a title page.« Zur Verbreitung von Seidels Lehre in Siebenbürgen vgl. auch Dán: Péchi Simon világképének elemei és forrásai. Budapest 1973, S. 19. – Es ist nicht verwunderlich, daß diese An-

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Mit dieser Selbstauskunft Seidels, an deren Authentizität zu zweifeln kein Grund vorhanden ist,32 sind wir der Sache nach im Jahrhundert der Aufklärung33 angelangt.

3. Die Biblioteca municipale in Parma verwahrt ein Manuskript von Seidels Origo et fundamenta, dessen Akquisiteur, ein katholischer Geistlicher, um 1760 auf dem Vorsatzblatt notierte, der Autor sei einer, der damals schon »ein Gift ausgespien, das die anderen Häretiker selbst heute noch zurückhalten«.34 Mit der Wahrnehmung, daß hier jemand schon ganz früh Gedanken äußerte, die man noch fast 200 Jahre später tunlichst ungesagt ließ, stand der italienische Bibliothekar nicht allein. Auch an anderen Texten des 16. Jahrhunderts hat man ähnliches wahrgenommen, auch wenn man es manchmal dezenter ausdrückte. So findet man den Verfasser des Colloquium heptaplomeres öfters als einen »Lessing des 16. Jahrhunderts«35 tituliert. Auch wenn das ein Ehrentitel sein sollte, zeigt diese Redeweise tatsächlich eine Verlegenheit an: Die Periodisierung der neuzeitlichen Religionsphilosophie ist doch heikler, als man gemeinhin glaubt. Schon im 16. Jahrhundert gab es neben den konfessionelltheologischen, den philologischen und kirchenpolitischen Debatten auch ein Phänomen, das wir aufs engste mit Aufklärung assoziieren: Schon damals gab es eine philosophische Reflexion über Gott, Offenbarung, Dogmen, Glauben, Kirche usw., die von einem externen Standpunkt aus vollzogen wurde, also eine kritische »Religionsphilosophie avant la lettre«. Gewiß liegt der Einwand nahe, daß Seidel eine randständige Figur der Szenerie des späten 16. Jahrhunderts ist. Die Schrift Origo et fundamenta verliert sich im

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sichten Seidels »selbst den Sozinianern verabscheuungswürdig vorkamen« (»ipsismet Socinianis [...] detestabiles visae sunt«; Bock: Historia antitrinitariorum, S. 831). In dieselbe Richtung weist eine Wendung in Seidels Origo et fundamenta, in der Seidel sich und seine Anhänger (»nos«) nicht den Christen zurechnet: Wir leben »unter den Christen« (»inter Christianos vivimus«, 244). Daß dieser lange vor der Expansion der exakten Naturwissenschaften verfaßte Text einige archaische Züge aufweist, ist kaum verwunderlich, verdient aber doch am Rande erwähnt zu werden. Seidel ist zwar entfernt von Bodins Aufgeschlossenheit gegenüber der Magie, hält aber doch so manches für möglich: Viele Ereignisse, von denen wir in den Evangelien lesen, hält er zwar für erdichtet, aber nicht alle; daß Jesus über das Wasser wandelte, seine Wunderheilungen und Dämonenaustreibungen sind ihm durchaus wahrscheinlich. »Scriptum hoc perlegi: Argumenta pleraque modernorum sunt Photinianorum, ut putem autorem blasphemi hujus scripti crassissimum fuisse Photinianum, et quod reliqui occultant adhuc, penitus evomuisse virus. Deus furori resistat per Dominum nostrum Jesum Christum Virtute sacrosancta Amen.« Origo et fundamenta Christianae Religionis, Parma, Biblioteca municipale, ms N 1, Bl. 131v (ca. 1761; aus dem Besitz von Paulo Maria Paciaudi). Vgl. W. Schröder: Jean Bodins »Colloquium Heptaplomeres« in der deutschen Aufklärung. In: G. Gawlick und F. Niewöhner (Hg.): Jean Bodins ›Colloquium Heptaplomeres‹. Wiesbaden 1996, S. 121–137.

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Gesamtbild der Spätrenaissancephilosophie, aber sie ist doch auf eine eigene Weise interessant. Extreme Außenseiter wie Seidel, dessen Schrift tatsächlich als »das Radikalste, was damals auf deutschem Boden ausgesonnen worden ist«36 einzustufen ist, markieren Grenzen des jeweiligen epochentypischen Spektrums philosophischer Positionen. Zum Verständnis einer Epoche sind vornehmlich gewiß die Vorgänge im Mittelfeld von Interesse, aber sie sind es nicht allein. Gerade die Veränderungen an den Rändern geben einer Epoche Kontur. Und im besonderen gibt Seidels verfrüht anmutender Radikalismus, der aus dem allseits vertrauten Gänsemarsch der Phasen der Religionsphilosophie so spektakulär ausschert, Anlaß zu einigen abschließenden Überlegungen grundsätzlicher Art. Erstens: Unsere Kenntnis des Spektrums religionsphilosophischer Positionen des 16. Jahrhunderts ist lückenhaft; namentlich an seinen Rändern muß es besser ausgeleuchtet werden. Dies zeigt Seidels Buch, und besonders die Kontingenz seiner Überlieferung: Das Manuskript hätte ja ohne weiteres verloren gehen oder unentdeckt bleiben können, und man darf vermuten, daß wirklich manches verloren ist. Wenn man gräbt, findet man immer noch Unbekanntes. Im deutschem Kultursegment Transsylvaniens haben ungarische Forscher jüngst ein etwa zeitgleiches Buch entdeckt, das den Titel Disputatio inter Theologum et Philosophum de incertitudine religionis Christianae. Conscripta a Christiano Francken Claudiopoli anno: 1593 trägt und von einem gewissen Christian Francken37 verfaßt wurde. Es ist noch unpubliziert, läßt aber ausweislich des Titels einiges erwarten. So lückenhaft der gegenwärtige Kenntnisstand auch ist, so wäre es angesichts eines solchen Beispiels jedenfalls unvorsichtig, Seidel als einen völlig isolierten Einzelfall abzutun. Im europäischen Rahmen ist er es (dazu gleich unten) ohnehin nicht. Zweitens: Die Wurzeln der Religionsphilosophie der Aufklärung reichen teilweise bis in die Renaissance zurück. Was Seidel angeht, kann man nicht nur auffällige Übereinstimmungen feststellen. Es hat auch eine Wirkung gegeben, die bis nach Frankreich ausstrahlte. Auch bedeutenden Köpfen wie Mersenne38 war Seidel ein Begriff. Die Rezeptionsgeschichte dieser Schrift liegt zwar größtenteils im Dunkeln, aber besonders interessant dürfte das Kapitel »Seidel in Hamburg« sein. Johann Christoph Wolf besaß eine heute noch erhaltene Handschrift der Origo et fundamenta religionis Christianae.39 Wie wir wissen, stand seine Bibliothek gelehrten Besuchern zum Lesen und zum Kopieren der vorhandenen Schätze offen. Nicht ausgeschlossen, daß dieser Autor der Spätrenaissance einen Anteil an der Entwicklung des Reimarus hatte: Jedenfalls antizipiert Seidel der Sache nach

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Bezold: Jean Bodins Colloquium Heptaplomeres und der Atheismus des 16. Jahrhunderts, S. 305. Jószef Simon: Die Religionsphilosophie Christian Franckens (1552–1610?). Atheismus und radikale Reform im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. Diss. Göttingen 2005. Vgl. W. Schröder: Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart-Bad Cannstatt 1998, S. 397ff. Nämlich das Manuskript StuUB, cod. theol. 1851; zu dieser Handschrift, die eine mit Zusätzen versehene Version bietet, vgl. Die theologischen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Bd. 3, beschrieben von Nilüfer Krüger. Stuttgart 1993, S. 33.

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ein späterhin erfolgreiches Modell kritischer Religionsphilosophie: die Kombination von professioneller Bibelkritik und natürlicher Religion. Drittens: Die übliche Vorstellung vom Verlauf der neuzeitlichen Religionsphilosophie muß wohl korrigiert werden. Seidel steht offensichtlich quer zu deren Standardversion, der zufolge das Aufkommen einer philosophischen Religionskritik den Beginn der Aufklärung markiert. Viertens und letztens sollten wir einen Blick über die Grenzen werfen und fragen, wie sich eigentlich die intellektuelle Szenerie der deutschen Spätrenaissance (in Religionssachen) im europäischen Vergleich ausnimmt. Üblicherweise nimmt man an, daß es in der Frühen Neuzeit einen deutschen Sonderweg in der Religionsphilosophie gab. Philosophische Opposition gegen das Christentum gab es vor allem in Frankreich, Italien und England. Deutschland hingegen, so sagt man, importierte die ausländische Religionskritik, und auch das nur zögerlich und spät. Das Urheberrecht für die deistische Idee der Heilssuffizienz der natürlichen Religion etwa liegt nach allgemeiner Ansicht bei Jean Bodin. In dessen Colloquium heptaplomeres sind tatsächlich Wort und Begriff einer religio naturalis im Stile des mittleren 17. und des 18. Jahrhunderts anzutreffen.40 Bodin hat den protodeistischen Standpunkt Toralba, einem der fiktiven Teilnehmer am ›Siebenergespräch‹ Colloquium heptaplomeres in den Mund gelegt. In Toralbas Religionsverständnis (das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als Summe der Anschauungen Bodins zu nehmen ist) ist der Akzent eindeutig auf die praktische Seite der Religion gesetzt: Toralba bezieht sich an manchen Stellen allein auf moralische Normen, wenn er die Formel »naturalis religio« inhaltlich füllt. Hinreichende Bedingung für die Erlangung des Heils ist die Befolgung der Gebote der »recta ratio« und der »lex naturae«.41 Moralisches Handeln ist »Gottesdienst« – und zwar in seiner reinsten Form: »purus Dei cultus« (172). Da das natürliche Gesetz uns vollständig über unsere Pflichten unterrichtet, sind Gebote, Zeremonien und Riten der positiven Religionen überflüssig.42 Daß Seidel mit seinem inhaltlich genau übereinstimmenden Entwurf dem Franzosen um zwei Jahrzehnte voranging, tut wenig zur Sache; wichtig ist etwas anderes: Seidel hat einen in allen wesentlichen Stücken übereinstimmenden Standpunkt selbst vertreten und entfaltet. Lessing würde sagen: Was Bodin experimentierend – γυμναστικvqς – vorträgt, wird von Seidel als seine eigene Lehre – δογματικκvqς – verfochten. Wäre uns die Problematik der geläufigen Neuzeit-Periodisierung nicht ohnehin bewußt, so würde das Exempel Seidels uns nachdrücklich auf sie aufmerksam machen.

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Jean Bodin: Colloquium heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis. Hg. von Ludwig Noack. Schwerin 1857, S. 143, 351 u.ö. »[R]ectam rationem et naturae legem ad hominis salutem sufficere« (172). Der Begriff »recta ratio« meint die in moralischen Kontexten gesetzgebende Vernunft, nicht die ratio als Organ der theoretischen Gotteserkenntnis. »Si naturae lex et naturalis religio, mentibus hominum insita, sufficit ad salutem adipiscendam, non video, cur Mosis ritus, ceremoniae necessariae sint« (143).

Stephan Meier-Oeser

Henricus Nollius (ca. 1583−1626) Aristotelische Metaphysik und hermetische Naturphilosophie im frühen 17. Jahrhundert

Die geringe Beachtung, die Heinrich Nolle (Henricus Nollius) in der philosophischen Forschung zum 17. Jahrhundert zuteil wird, hat Tradition. Bereits Jacob Friedrich Reimann beginnt 1710 in seinem Versuch einer Einleitung in die Historiam literariam derer Teutschen die kurze Nollius-Darstellung mit den Worten: »Es ist dieser Autor bey denen allermeisten Gelehrten sowol was seine Person / als auch was seine Schrifften anbelanget / so unbekant / daß ich mich nicht genugsam darüber verwundern kan.«1 Dem kann man sich anschließen. Denn in der Tat hat man es hier mit einem Autor zu tun, dessen Werk von einiger Bedeutung für die Rekonstruktion der komplexen Gestalt der akademischen Philosophie des frühen 17. Jahrhunderts in Deutschland ist. Was Nollius in diesem Zusammenhang so interessant macht, ist, mehr noch als der Gehalt seiner metaphysischen Schriften auf der einen Seite sowie der seiner hermetisch-paracelsistischen Schriften auf der anderen, eben die Tatsache, daß es an ihm diese beiden Seiten gibt; und darüber hinaus vielleicht noch einige Seiten mehr. Denn wenn er überhaupt in der Literatur zum 17. Jahrhundert auftaucht, dann in der Regel als Weigelianer oder – wie schon in Gottfried Arnolds »unpartheyischer Kirchen- und Ketzerhistorie«2 – als Rosenkreuzer.3 Für gewöhnlich gibt es zwischen den Vertretern der protestantischen, zumal der lutherischen Schulphilosophie und den hermetischen Naturphilosophen oder paracelsistischen Ärzten und Alchimisten eine deutlich gezogene Trennlinie. Daß die überaus vielfältigen und gegensätzlichen Tendenzen des frühen

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Jacob Friedrich Reimann: Versuch einer Einleitung in die Historiam literariam derer Teutschen, Theil 3, erstes Hauptstück. Halle 1710, S. 482. Gottfried Arnold: Unpartheyische Kirchen= und Ketzer= Historie. Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688. Frankfurt a.M. 1729; ND Hildesheim 1967, S. 624. K.W.H. Hochhuth: Mittheilungen aus der protestantischen Secten-Geschichte in der hessischen Kirche, T. 1: Im Zeitalter der Reformation, Abt. 4: Die Weigelianer und Rosenkreuzer. Grunius und Nollius, in: Zeitschrift für historische Theologie (Gotha) 33 (1863) S. 192–253; Will-Erich Peuckert: Das Rosenkreutz. Pansophie. Dritter Teil, mit Einl. hg. v. R.C. Zimmermann, 2. neugefaßte Aufl. Berlin 1973; Heinrich Klenk: Ein sogenannter Inquisitionsprozeß in Gießen anno 1623, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, NF. 49/50 (1965), S. 39–60; Bruce T. Moran: The Alchemical World of the German Court. Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hessen (1572– 1632), in: Sudhoffs Archiv, Beih. 29. Stuttgart 1991, S. 122–129; Siegfried Wollgast: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650. Berlin 1988, S. 336f., 434–437.

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17. Jahrhunderts in einer Person zusammenkommen, die gleichsam Rudolph Goclenius Vater und Sohn in sich vereint, oder die, anders ausgedrückt, sowohl bei Max Wundt wie bei Will-Erich Peuckert auftauchen kann, scheint ein recht seltenes Phänomen zu sein, das sich ansonsten wohl nur noch durch Johann Heinrich Alsted exemplifizieren läßt. Daß Nollius hierhin wie dorthin gehört, ist aber nur die Kehrseite der Tatsache, daß er so recht nirgends hinpaßt – eine Tatsache, die sich bereits in seiner Biographie deutlich niedergeschlagen hat. Was diese betrifft, so kursieren nur spärliche und zudem vielfach widersprüchliche Informationen. Die wichtigsten Daten will ich kurz festhalten: Geboren ist er in Ziegenhain in Hessen, und zwar nicht erst – wie es allgemein heißt – circa 1590, sondern schon einige Jahre früher. Denn er beginnt bereits 1599 im damals noch ausgeprägt lutherischen Marburg4 sein Studium der Theologie. Mit der Einführung der calvinistischen Reform durch Moritz von Hessen-Kassel muß Nolles theologischer Lehrer, Johann Winckelmann, der sich weigert, diese mitzumachen, 1604 Marburg verlassen. Nolles Wechsel nach Jena im darauf folgenden Jahr dürfte ebenfalls damit im Zusammenhang stehen. Zumal wenn er im Vorwort der 1606 in Jena veröffentlichten ersten Fassung seiner Metaphysik in Verbindung mit kritischen Äußerungen zur calvinistischen Abendmahlslehre ausdrücklich Winckelmann als seinen Lehrer und Förderer erwähnt.5 Winckelmann ist ab 1605 als Rektor des neu gegründeten fürstlichen Gymnasiums in Gießen und nach dessen Umwandlung zur Universität (1607) dort als Theologieprofessor tätig. Nollius folgt ihm 1606 nach Gießen, um dort Philosophie zu unterrichten. Während seiner dortigen Lehrtätigkeit veröffentlicht er 1613 erweiterte Fassung seiner Metaphysik unter dem Titel Methodus Metaphysici Systematis Convenientissima. Ist er – nachdem Marburg calvinistisch reformiert wurde – zunächst in Jena und Gießen in theologischer Hinsicht am rechten Ort, so läßt sich dies wohl kaum hinsichtlich seines immer stärker in den Vordergrund tretenden Interesses an der hermetisch-paracelsistischen Naturphilosophie behaupten (mit dem er in Marburg ja erheblich besser aufgehoben gewesen wäre). Und es ist wohl kein Zufall, daß seine hermetischen Hauptschriften in schneller Folge erscheinen, als er – nach einer kurzen Lehrtätigkeit an der öffentlichen Schule von Weilburg – 1616 als Professor für Mathematik und Medizin an das Steinfurter Gymnasium geht. Weil er dort seiner Lehrtätigkeit aber nicht im erwarteten Maße nachkommt – so erwirbt er 1618 den medizinischen Doktortitel in Marburg (wo er jetzt mit seinem hermetischen Medizinverständnis gut hinpaßt) – vor allem aber

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23. April 1599 in Marburg (Katal. stud. schol. Marp. 9 (1881), S. 4); vgl. Max Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939, S. 78. Metaphysices methodica synopsis. Jena 1606, fol. A4r. Winckelmann hat im selben Jahr eine Polemik gegen die calvinistische Abendmahlslehre veröffentlicht. Vgl. Johannes Winckelmann (Resp.: Johannes Carnemus): De sacra sancta coena domini contra ejus depravatores. Gießen 1606.

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wegen seines angeblichen Eintretens für die Rosenkreuzer wird ihm 1620 die Stellung in Steinfurt gekündigt.6 Kurz nachdem er im Dezember 1622 wiederum nach Gießen übersiedelt, ergeben sich ernste Schwierigkeiten mit der theologischen Fakultät, die ihn anklagt, »allerhand newe und jetzo faßt überall einreißende Weygelianische verdeckte Schwärmereyen der studierenden Jugend beizubringen«.7 Nollius entzieht sich der drohenden Verurteilung durch seine Flucht nach Weilburg, wo er 1626 stirbt. Wirft man einen Blick auf seine Bibliographie, so zeigen ihn seine frühen Schriften zunächst als einen nicht weiter auffälligen Repräsentanten des akademischen Philosophiebetriebs seiner Zeit. 1601 disputiert er in Marburg unter dem älteren Goclenius einige Theses generales zur Logik8 und präsentiert 1604 einen Prodromus logicus. 1606 erscheint in Jena der erste Entwurf seiner Metaphysik unter dem vollmundige Titel Methodischer Überblick über die Metaphysik, in welchem, unter Wegschneidung der unnützen, müßigen und kuriosen Fragen der Scholastikerbarbaren sowie ihrer obskuren Termini und ihres Geträllers, die allgemeinen, den Weg zur wahren Weise des Philosophierens eröffnenden Prinzipien deutlich dargelegt werden.9 Dabei handelt es sich um ein im Ganzen durchaus konventionelles, auf kurze Definition der metaphysischen Grundbegriffe beschränktes Lehrbuch, welches von einem Metaphysikverständnis geleitet wird, das dem von Hennig Arnisaeus, dem »eigentlichen Theoretiker der neuen lutherischen Metaphysik«10 in seinem zeitgleich erschienenen (allerdings schon 1603 fertiggestellten) Traktat De Constitutione et Partibus Metaphysicae entworfenen Konzept entspricht. Metaphysik, wie Nollius sie versteht, ist metaphysica generalis, und damit »theologiefreie, generelle Ontologie, als Allgemeinwissenschaft vom realen Seienden als solchem«.11 Und auf diese Bestimmung legt er Wert. In der Widmung und dem Vorwort an den Leser spricht Nollius nämlich davon, daß ihn ernste Gründe zur Veröffentlichung seines metaphysischen Büchleins bewegt haben (causae me movent satis graves). Dabei handelt es sich um sein Unbehagen an den zahlreich kursierenden irrigen Auffassung von Metaphysik, wie etwa – wohl an die Adresse der

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Vgl. Wundt: Schulmetaphysik (s. Anm. 4), S. 78 und Joseph S. Freedman: European Academic Philosophy in the Late Sixteenth and Early Seventeenth Century. The Life, Significance, and Philosophy of Clemens Timpler (1563/4-1624). Hildesheim – Zürich – New York 1988, S. 498. Zu diesem Zusammenhang vgl. Klenk: Inquisitionsprozeß (s. Anm. 3). Vgl. das (provisorische) Schriftenverzeichnis im Anhang. Henricus Nollius: Metaphysices methodica synopsis: in qua, praecisis inutilibus, ociosis, et curiosis scholasticorum barbarorum quaestionibus, obscuris terminis et teretismatis, universalia principia ad veram philosophandi rationem viam aperientia dilucide delineantur. Jena 1606. Ulrich G. Leinsle: Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg 1985, S. 239. Ebd., S. 245.

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Ramisten – die unzulässige Vermischung von Metaphysik und Logik,12 oder aber – wohl an die Adresse Timplers – die Erklärung auch der privativen Seinsbestimmungen wie falsitas und adynamía zu eigentlichen Gegenständen der Metaphysik.13 Besonders wichtig ist ihm aber die Verhältnisbestimmung von Metaphysik und Theologie, so daß er sich an erster Stelle gegen jene richtet, »welche die das ewige Heil betreffenden Geheimnisse in ihren metaphysischen Schriften erklären, wo doch die Vernunft bei den Gegenständen des Glaubens nichts vermag« (»cum tamen ratio in iis, quae fidei sunt, nihil valeat«). Von hier aus werde auch die Verwegenheit des calvinistischen Geistes (»temeritas Calvinistici Spiritus«) deutlich, der die Sakramente nur als Gleichnisse begreift und daher das eucharistische Brot des Abendmahls lediglich als Zeichen des Leibes Christi darstellt und die Realpräsenz desselben im Brot wegen der Eigenschaften des körperlichen Seins (»ob affectiones entis corporei«) negiert.14 Nollius verweist damit auf das zentrale Kontroversthema zwischen Lutheranern und Calvinisten, das in den Metaphysiken des 17. Jahrhunderts im Rahmen der Lehre De signo et signato (vom Zeichen und Bezeichneten) von beiden Fraktionen intensiv diskutiert wurde, wobei man aus der allgemeinen Zeichentheorie Vernunftgründe zur Stützung der jeweils eigenen Abendmahlslehre zu gewinnen versuchte.15 Von so etwas will Nollius nichts wissen; auch er behandelt zwar die Zeichentheorie, instrumentalisiert sie jedoch nicht theologisch, denn Metaphysik hat sich – im Gegensatz zur gängigen zeitgenössischen Praxis – aus theologischen Sachfragen herauszuhalten. Ein erster Hinweis auf das, was ihn später umtreiben wird, ergibt sich, wenn er anläßlich der Differenz von Essenz und Existenz im endlichen Sein, auf die beiden Fragen eingeht, 1) ob es noch eine andere Welt von gleicher Natur wie die unsrige gebe und 2) ob es Nymphen gebe. Weil sich Fragen nach der Existenz für Nollius offenbar nur durch Experienz klären lassen, hält er die erste Frage für nicht sicher entscheidbar, während er die zweite Frage – die nach den

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Metaphysices methodica synopsis, fol. A2v: »Et si disciplina requirit defensores apud exteros, metaphysica tutelam merito exigit et postulat: plurimi enim sunt, qui rejiciunt metaphysicam ejusque subtilitates futilitates esse male existimant. Alii quoque inveniuntur, qui hanc praestantissimam scientiam cum Logicae statutis commiscent, atque inter rem consideratam et modus considerandi distinguere nescientes [A3r] informe chaos congerunt.« Vgl. ebd., fol. B2v. Ebd., fol. B1r–v: »Primum enim video, quod quidam inveniantur, qui mysteria salutem aeternam concernentia in metaphysicis suis tractatibus explicant: cum tamen ratio in iis, quae fidei sunt, nihil valeat [...] Quomodo quaeso ratione rimari possumus ea, quae nec oculus vidit, nec auris audivit? Omnis enim nostra investigatio, quamdiu in hoc mundo degimus, initium sumit a sensu. Apparet hinc temeritas Calvinistici Spiritus, qui [B1v] signi et analogiae nuda tractatione Sacramenta Ecclesiae salutaria explicat, panemque Eucharisticum, tantum ut signum corporis Christi proponit, praesentiamque corporis Christi in, cum et sub pane ob affectiones entis corporei negat. In hisce vero non consulenda est metaphysica aut physica: sed verbum Dei [...].« Vgl. S. Meier-Oeser: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Berlin, New York 1997, S. 308–331.

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Nymphen – bejaht. Denn es heißt, gewissen Leuten seien welche erschienen. Dabei gehe es aber nur um die Existenz, nicht um das Wesen der Nymphen, denn ob diese nun Lemuren oder böse Geister oder von noch anderer Natur sind, tue hier nichts zur Sache.16 Die Nymphe, die hier ganz unvermittelt durch das metaphysische Bild huscht, läßt bereits ahnen, daß es für Nollius offenbar Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die von der Metaphysik nicht zu erfassen, in ihrer Existenz aber eben auch nicht auszuschließen sind, weil sie überhaupt nicht in ihren Zuständigkeit fallen. Eine erweiterte Fassung der Metaphysik erscheint 1613 unter dem Titel Methodus metaphysici systematis convenientissima. Im Vorwort – das sicherlich eines der kuriosesten Vorworte ist, das je eine protestantische Schulmetaphysik erhalten hat – berichtet Nollius – und hier zeigt sich bereits die Verlagerung seines philosophischen Interesses –, daß er eigentlich beschlossen hatte, diesen Text nie an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn dieser sei unvollkommen und seine »negotia Hermetica« hätten ihm keine Zeit gelassen, daran etwas zu ändern. Auf Bitten und Ermahnung einiger Gelehrter hin wolle er ihn jedoch als Anregung für jene veröffentlichen, die mehr Muße für metaphysische Meditationen haben als er. Wenn er hier wiederum darlegt, was ihn zur Behandlung der Metaphysik bewogen habe,17 so heißt es nun: Er habe gesehen, daß die doctrina intelligentiarum mit der Metaphysik vermengt werde. Weil aber in einem allgemeinen System (wie es die Metaphysik qua metaphysica generalis ist), nur die generalia darzustellen seien, halte er die Theosophie für etwas der Metaphysik gar und gar Fremdes. An die Stelle der Theologie und der Abendmahlslehre, von der in der Einleitung zur ersten Fassung die Rede war, ist hier die Theosophie getreten. Aber auch für diese gilt: Die Metaphysik hat damit nichts zu tun. »Theosophiam illam plane a Metaphysica scientia esse alienam iudicavi«.18 Die Theosophie und die Lehre von den intelligentiae sowie der menschlichen Seele sei nämlich das Feld der Kabbala, deren Fundament der wahre Glauben sei. Bei

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Metaphysices methodica synopsis, fol. B5v: »Essentia et existentia in increato ente nihil differunt: In creato vero aliud est essentia ab existentia. Huc pertinent hae et similes quaestiones. 1. An alius mundus sit extra hunc, qui eiusdem cum hoc mundo sit naturae. 2. An (a) nymphae sint. Posterior affirmatur: prior vero asseverari firmiter nequit, sed potius negatur. (a) Quaestio haec bene intelligatur. Non quaeritur hic de natura nympharum: Sed quaeritur de existentia. Dico ergo quod sint, quia quibusdam hominibus apparuisse dicuntur: sive sint lemures, sive spiritus maligni, sive alterius naturae, non hic curatur.« Methodus metaphysici systematis convenientissima. Frankfurt a.M. 1613, S. 2: »Quanquam Metaphysicum hunc libellum nunquam publici Iuris facere mecum constitueram, quia imperfectus erat, nec per negotia Hermetica mihi iam licebat lineam ei addere, tamen ut aliis, quorum ingenia plus otii sibi in Metaphysicis meditandis sumunt, occasionem saltem perfectius excolendi et conscribendi hanc scientiam offerrem, non possum, qui doctissimorum quorundam virorum hortatu id, quod olim in hisce e musis percrutatus fui, et in ordinem convenientissimum redegi, iam in lucem emitterem.« Ebd., S. 2: »Id vero, quod me ad eius eximiae disciplinae tractationem moverit, paucis significabo. Vidi Philosophiam, et intelligentiarum doctrinam huic generali scientiae immisceri. Verum, cum in generali Systemate sola generalia sint explicanda, Theosophiam illam plane a Metaphysica scientia esse alienam iudicavi.«

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diesem Stichwort, hat man beim Lesen den Eindruck, kann er nicht an sich halten; es bricht gleichsam aus ihm heraus, und er beginnt auszuführen, was eigentlich gar nicht hierher gehört: Der Glaube nämlich«, fährt er fort, »bewirkt Natürliches auf übernatürliche und mirakulöse Weise. Damit er das vermag, muß er gesteigert werden (exaltatur). Wird er nun exaltiert, dann bewirkt der Glaube Einbildung (imaginatio), diese wiederum Geist und der Geist verhält sich wie ein Magnet, der aus dem, was stark an Wirkkraft ist, die Kraft extrahiert und so in wunderbarer Weise wirkt. Ein Beispiel dafür ist jene Frau, die 12 Jahre unter Blutfluß litt und allein durch die Berührung des Gewandes Christi geheilt wurde. [Matth. 9, 18] Christus, wo er von dieser Frau berührt wird, sagt offen: [...] »Dein Glaube hat dich geheilt.« Das ganze Geschäft besteht darin, daß der Glaube zur Erhöhung gelange (ut fides in exaltationem veniat). Die beiden Mittel, durch welche er erhöht wird, werden in der Cabala dargelegt, nämlich Frömmigkeit und Mäßigung. [....] Wenige sind es, die diese Magie erfassen und deshalb hat Christus auch vorhergesagt, daß im letzten Jahrhundert der Glaube kaum in der Welt anzutreffen sein werde. Das ist der Glaube durch den wir mit Gott untrennbar vereint werden und Wunder vollbringen. Das Mittel, durch das die Kraft des Glaubens zur Anwendung kommt, ist der Name IESVH. Aber davon mehr in meiner Cabala: Die Menge (vulgus) schmeckt nicht die Süße der wahren und höchsten Weisheit. Sie hat nur die Rinde des Glaubens nicht dessen Kern. Dies nur nebenbei.19

Damit schließt das Vorwort. Und was immer es darstellt mit all seinen kabbalistischen, millenaristischen, mystischen und alchemistischen Versatzstücken; es ist sicherlich eines, das man als Einleitung in ein Lehrbuch der lutherischen Metaphysik so nicht erwarten würde; – und das für seine philosophischen Kollegen ebenso befremdlich sein mußte, wie für die Theologen. Denn wenngleich sich auch der Gegenstand des Glaubens der Ratio entzieht, so werden doch der Glaube selbst und die angeblich durch ihn bewirkbaren Wunder zu physikalisch beschreibbaren Phänomenen erklärt.20

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Ebd., S. 2–4: »Theosophiam, intelligentiarum, et anima humanae doctrinam [S. 3] Cabala sibi vendicat: Cuius fundamenta est vera fides: Haec enim operatur naturalia supernaturaliter et miraculose. Hoc vero, si praestare debet, exaltatur necesse est. Quando exaltatur, fides dat Imaginationem, imaginatio Spiritum, et spiritus hic est veluti magnes, qui ex eo, quod potentia efficiendi pollet, potentiam istam extrahit, sibi vel alii applicat, et sic mirabiliter operatur. Exemplo est mulier illa, quae duodecim annos ex sanguinis immoderato fluxu laboravit, et per solum contactum fimbriae vestis Christi sanitati restituta fuit. Christus ubi fuit a muliere illa attactus, aperte ait, virtutem a se egressam fuisse, et postea medium, quod illud praestitum fuerit, significavit, ubi ita mulierem istam affatus est: ›Fides tua te salvam fecit.‹ Totum negotium in eo consistit, ut fides in exaltationem veniat. Media, quibus exaltetur, duo in Cabala pronuntiantur, nempe Pietas et Sobrietas. Specialius a Christo exponuntur, ubi ait, Quoddam daemoniorum genus preci-[S. 4]bus et Ieiunio eiici, Pauci sunt, qui hanc magiam apprehendunt, ac proinde etiam Christus praedixit novissimo saeculo fidem vix in mundo inveniri. Haec est fides qua Deo firmissime unimur et miracula edimus. Medium, per quod illius fidei potentiam applicatur, est nomen IESVH etc. sed de his in Cabala mea: vulgus non sapit verae et summae huius sapientiae dulcedinem. Cortex fidei potius apud ipsos est, quam nucleus. Haec obiter.« Im zeitgleich erschienenen Systema Medicinae Hermeticae Generale geht er näher auf die heilende Kraft des Glaubens ein, wobei er deutlicher zwischen fides naturalis und fides gratiae unterscheidet und so etwas wie eine Theorie des placebo-Effekts präsentiert: »Fides naturalis (non loquor de fide gratiae ex Christo) ingenita a Deo patre in prima creatio-

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Es scheint, als habe Nollius in dieser Schrift zumindest ansatzweise den Versuch unternommen, hermetische Physik und aristotelische Metaphysik in Beziehung zu setzen, wenn er etwa den Satz, daß Nichts, was irgendeinem anderen konträr entgegengesetzt ist, die Materie desselben sein könne ( »Nihil cuipiam contrarium, illius potest esse materia«), jenen Pseudochymici zu bedenken gibt, die aus verschiedenen Salzen Quecksilber herzustellen versuchen,21 wenn er meint, der Formbegriff der Peripatetiker entspreche dem, was die Chymici als Astrum oder Spiritus bezeichnen, nämlich die »causa, quae intima pervasione materiam perficit, ut cum ea effectum interno modo constituat«22 oder wenn er schließlich die Tatsache, daß einer vorliegenden Materie sich künstlich nur eine forma accidentalis aber keine forma substantialis mitteilen lasse, zu einer Kritik an den Cacochymistae und Goldmachern nutzt.23 Doch das sind die einzigen Einsprengsel seines negotium hermeticum, die sich in der erweiterten Fassung der Metaphysik ausmachen lassen. Ansonsten unterscheidet sie sich von der ersten Synopse nur dadurch, daß die Canones durch Referate und Zitate einschlägiger Autoren (wie Taurellus, Scaliger, Zabarella, Fonseca, Conimbricenses, Daniel Cramer oder Timpler) expliziert werden. Mit dem Übergang zur hermetischen Physik zeichnet sich bei Nollius eine grundlegende Distanzierung von der gängigen universitären Form der Philosophie ab. Die bereits im Titel seines frühen Metaphysikentwurfs geäußerte Kritik an den Scholastici erscheint aus den methodologischen Ausführung, die er unter dem Titel prodromus physicus seinen Schriften zu hermetischen Medizin und Physik voranstellt, in einem anderen Licht, einem, das deutlich werden läßt, daß im Rahmen der frühneuzeitlichen Scholastikkritik das Prädikat ›scholastisch‹ nicht zwangsläufig zeitlich konnotiert ist (in dem Sinn, wie heute ›scholastisch‹ zumeist synonym zu ›mittelalterlich‹ gebraucht wird), sondern einfach eine bestimmte Form des akademischen Wissenschaftsbetriebs meinen kann. Bei Nollius richtet sich die Kritik an den scholastici jedenfalls eindeutig gegen die zeitgenössische Disputationspraxis, die »publicae disputationes sub ea formula, quae hodie in usu est«.24

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ne, imaginatio videlicet nostra ita potens est, ut morbos sanare vel excitare valeat. [...] Fides dat imaginationem, imaginatio sydus, sydus (ratione matrimonii cum imaginatione) dat effectum vel opus [...] Homo per fidem imaginationis saepe facit, quod optimi medici cum suis medicamentis idoneis nil possunt efficere.« (S. 116f.). Methodus metaphysici systematis convenientissima, S. 96: »Hunc Canonem Pseudochymici bene pensitanto, qui ex rebus argento vivo contrariis, alumine vitriolo, et aliis salibus corrosivis argentum vivum philosophorum per varias operationes facere attendant.« Ebd., S. 99. Ebd., S. 236f.: »Ars formam substantialem in materiam obiectam introducere nequit: sed solam accidentalem. [...] Quod probe notent Cacochymistae, qui sine natura aurum [S. 237] per solam Alchemiam e materia aliena producere moliuntur. Si aurum ita progignere possent, dare possent formam substantialem per artem. Quia vero hoc impossibile est, laborant eiusmodi auri doctores et dilapidatores, nihilque inveniunt, nisi tandem perpetuam et intolerabilem miseriam ex ingentibus sumtibus et inanis laboribus.« Prodromus physicus. In: Naturae sanctuarium, 1619, S. 8.

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Die, wie er sagt, in den meisten Schulen verbreitete Unsitte des Disputierens der akademischen Jugend ist das größte Hindernis, zu einer Erkenntnis der Natur zu gelangen. Denn man irre sich gewaltig, wenn man meine, sich durch die Praxis häufiger Disputationen zur Erkenntnis der Natur oder anderer Geheimnisse erheben zu können. Solchen Streitereien werden von der Selbstliebe (philautia) beherrscht, und es gehe weniger um ein Verständnis der Natur, als um ein Verständnis der Meinungen anderer. Wer aber seinen Geist auf die Widerlegung anderer richtet, vernachlässigt die eigentliche Erforschung der Dinge.25 Nachdrücklich schildert Nollius die problematische Eigendynamik, die eine solche öffentliche Inszenierung akademischer Gelehrsamkeit entwickelt: Denn in der Regel wolle man dabei nicht belehrt werden, sondern lehren, und sei, um nicht als ungelehrt zu erscheinen, nicht in der Lage, Irrtümer öffentlich einzugestehen und preiszugeben. Nicht also die Auffindung der Wahrheit sondern die verbissene Verteidigung der eigenen Meinung ist das Ziel.26 Durch die dafür nötige Einführung immer neuer Termini und immer weiterer Distinktionen verliere man sich schließlich in unauflösbare Labyrinthe. Eine bescheidene Untersuchung der Natur und ihres einfachen Laufes würde mehr zur Erkenntnis nützen.27 Wer meint, aus der Widerlegung vieler Meinungen zum Wissen zu gelangen, gleicht jemandem, der, wenngleich er den geraden Weg vor Augen hat, zunächst alle Um- und Abwege ausschreiten zu müssen meint, um aus deren Erkenntnis den geraden Weg als den rechten Weg erkennen zu können.28 Und wenngleich jene, die sich in ihren physischen Disputationen vornehmlich mit der Kritik der Meinung anderer beschäftigen, versichern, jene nur zu widerlegen, um ihre eigene Meinung zu befestigen, so sei doch gewiß, daß sie damit nicht dem Weg der Natur folgen, sondern der Ordnung der Meinung Anderer (»non Naturae viam, sed opinionum aliorum hominum ordinem sequuntur«);

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Ebd., S. 7: »Studiosi iuventuti Cacoethes disputandi hactenus in plurimis scholis frequentatum sit maximo obstaculo, ne naturae cognitionem adipiscantur. Longe enim aberrant, qui ex frequenti disputationum praxi ad naturae aliorumque mysteriorum cognitionem evehi se posse autumant. Philautia plerumque dominatur, nec tam quomodo natura, quam quomodo aliorum sensa intelligantur, in talibus altercationibus videtur. Dum refutationi alterius opinionis animus indulget, propriam rerum investigationem negligit.« Ebd., S. 8: »Publice disserunt multi, non ut velint doceri, sed docere et sibi probro ducunt, id quod ex falsis principiis didicerunt, dediscere, ne indocti videantur. Plurimi etiam publice disputant, non ut veritatem inquirant, sed ut suam conceptam et falsam opinionem mordicus defendant, sibique apud alios eruditionis nomen mercantur.« Ebd., S. 7f.: »Varia distinctiuncularum involucra ab hominibus ociosis excogitata audimus [8] quidem: sed portum naturae non attingimus. Disputando animus noster saepius in inextricabiles labyrinthos intruditur: Si autem modeste inquireret in naturam, eiusque simplicem cursum sine Scholasticorum nugis et argutiis observaret, plus in eruditione proficeret.« Ebd., S. 8: »Qui magis videri quam esse volunt sapientes, publicis disputationibus sub ea formula, quae hodie in usu est, delectantur. Qui ex plurium opinionum refutatione scientiam quaerunt, sunt iis similes, qui etiamsi rectam viam prae oculis habeant, ambages prius ire sibi proponunt, ut cognitis ambagibus viam rectam ob oculos positam esse viam rectam praecognoscant.«

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womit sie sich letztlich den Zugang zu den Geheimnissen der Natur verbauen.29 Ein solcher ist nur durch unmittelbare sinnliche und handgreifliche Erfahrung möglich. Und so beschließt er den Prodromus physicus mit dem aus Petrus Severinus’ Idea medicinae philosophicae (Basel 1571) übernommenen Ratschlag: Geht hin, verkauft eure Felder, Haus, Kleidung und Schmuck, verbrennt eure Bücher, kauft euch Schuhe und geht auf die Berge, in die Täler, die Einöden und an die Küsten des Meeres, untersucht die Tiefen der Erde, zeichnet die Unterscheide der Tiere auf, die Differenzen der Pflanzen, die Ordnungen der Mineralien, die Eigenschaften und die Entstehungsweisen von allem: lernt die Astronomie der Bauern und die Philosophie der Erde und schämt Euch nicht dafür: kauft schließlich Kohlen, baut Öfen und kocht ohne Rast: So nämlich gelangt ihr zur Erkenntnis der Körper und ihrer Eigenschaften.30

Nollius sucht nach dem »solidum fundamentum sapientiae«. In menschlichen Schriften, von wem auch immer verfaßt, ist dies nicht zu finden. Denn es herrscht eine grundlegende Disproportionalität zwischen der göttlichen Weisheit und der menschlichen Erkenntiskapazität sowie der Leistungsfähigkeit des sprachlichen Darstellungsmediums. Die Schätze der Weisheit sind häufig so tief vergraben und versteckt, daß sie in gebräuchlichen Redeformen kaum oder nur sehr selten angedeutet werden können. Wer immer es also unternimmt, gemäß den Prinzipien und Vorurteilen, die er aus der Schrift irgendeines Weisen übernommen hat, über alles zu urteilen, wird zwangsläufig dem Irrtum verfallen und mit sich auch andere in die Labyrinthe der Falschheiten führen.31 Der wahre Physicus hat frei und ›emanzipiert‹ zu sein. »Nullius hominis mancipium« soll ihn dazu bestimmen, seine Gedanken nach dem Willen eines anderen zu zwingen und auszurichten (»Liber esto ne cogitationes suas ad alterius arbitrium cogere et determinare teneatur«),32 denn nichts ist der Wahrheit so abträglich, wie der Gefangene fremder Lehren zu sein (»Nihil adeo inimicus est

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Ebd., S. 10: »Et si vero eiusmodi dubitatores asseverunt, se ideo alios refutare, ut in sua opinione stabiliantur, tamen nihil est certius, quam quod eorum cogitationes ad diversa abripiantur, dum non Naturae viam, sed opinionum aliorum hominum ordinem sequuntur. Eligenda est ad sapientiam via recta et vera, non obliqua, non falsa et ficta. Omnes qui aliarum opinionum refutationibus cum taediosa verborum prolixitate intenti sunt, compendiosum ad Naturae secreta aditum sibi intercludunt [...]«. Prodromus physicus. In: Sanctuarium Naturae 1619, S. 82: »[...] studiosi, et verae doctrinae filii (moneo verbis Severini) ite, vendite agros, aedes, vestes, annulos, comburite libros, emite calceos, montes accedite, valles, solitudines, littora maris, terrae profundos sinus inquirite: animalium discrimina, plantarum differentias, mineralium ordines, omnium proprietates, nascendi modos notate: rusticorum astronomiam et terrestrem Philosophiam diligenter ediscite, nec vos pudeat: tandem carbones emite, fornaces construite, vigilate et coquite sine taedio: Ita enim pervenietis ad corporum proprietatumque cognitionem.« Via sapientiae triuna, o.O. 1620, fol. B5vf.: »Sapientiae enim Thesauri sunt inexhausti et persaepe adeo abstrusi et (B6r) profundi, ut in phrasibus usitatis et maxume notis homine innotescere vix vel raro possint. Quicunque ergo secundum principia, per praejudicium ex alicuius Sapientis scripto oborta de omnibus judicare sibi proponit, in errorem prolabitur et alios secum in inextricabiles falsitatum labyrinthos abducit.« Prodromus Physicus. In: Naturae Sanctuarium, 1619, S. 14.

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veritati, nisi esse mancipium alterius doctrinae«).33 Weisheit ist kein lehrbarer Bestand an Wissen, sondern kann nur – Nollius spielt mit der Etymologie sapientia / sapere – unmittelbar ›verkostet‹ werden. Weisheit aus zweiter Hand dagegen ist so nahrhaft wie ein erzähltes Mittagessen. Die Kontroversen über die Natur sind also nicht ad mentem Thomae oder ad mentem Aristotelis zu entscheiden, sondern allein gemäß dem eigenen lumen naturae und den aus ihm hergenommenen Prinzipien.34 Von diesem methodologischen Ansatz der Unmittelbarkeit der Erfahrung und Eigenständigkeit des Urteils35 aus wird klar, was er selbst von seiner Kennzeichnung als Rosenkreuzer, Paracelsist oder Weigelianer gehalten hätte. Sicherlich, Nollius hat den Versuch unternommen, eine Gesellschaft hermetischer Ärzte und Philosophen zu initiieren. Im Vorwort seiner 1617 erschienenen Theoria philosophiae hermeticae veröffentlicht er den Gründungsaufruf und die aus 12 propositiones bestehende Satzung für einen Orden der ›wahren Philosophen und Ärzte‹, dessen Aufgabe die Emendation der vulgären, in Wortstreitereien befangenen Medizin und Philosophie durch die Restitution der wahren, den antiqui philosophi und prisci patres bekannten Weisheit und Medizin sein solle.36 Joachim

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Systema medicinae hermeticae generale. Frankfurt 1613, S. 8. Ebd.: »Non ergo in Aristotelis nec Scoti, nec alterius hominis, qualis qualis, quantus quantus fuerit, verba iurato, nec ei, a quo beneficium accipit, in veritatis oppressionem adblanditor. Non ad mentem Thomae, non ad mentem Aristotelis controversiae de naturae definienda et decidendae sunt, sed ex unico Naturae lumine, principiisque, quae ex eo desumpta sunt.« Das lumen naturae charakterisiert er (S. 9f.) als »animae nostrae insita facultas, qua naturas rerum in suis genuis principiis et operationibus vere cognoscimus.« Vgl. Via Sapientiae Triuna, 1620, fol. C7r–v: »Non omnia primo intuitu in mentem venient, prout se intus et foris habent. Unum tamen post alterum ita intellectui tuo se patefaciet, ut brevi non exiguum progressum in Sapientia sis reipsa in te ipso deprehensurus. Tandem ubi ita meditari et tuo Marte, id est, absque aliorum hominum institutione naturam rimari didicisci, genius tuus [...] quiescere non potest, [C7v] sed te de die in diem ad occultiorum rerum, profundiorem et exquisitiorem apprehensionem instigabit. [...] Dum alium etiam vera dicentem audio, primo in ipsius sermonem intendo, et deinceps in rem, quae sermone exprimitur. Jam vero qui macrocosmum ipsum sine sermonis implicatione intuetur, directe ad scopum collineat et citius assequitur veritatem. Nudum facilius cognoscitur, quam aliquo modo tectum. Certior ergo reddor in veritatis cognitione, quando naturam absque verborum annexione contemplor, quam si mihi sermonis obscuritate detento, verba ipsa negocium facesserint, priusquam ipsam rem attigerim, quae tamen intelligi nequeat in sermone, nisi ad macrocosmum reddeam et eius veritatem meditando deprehendam [...].« Theoria philosophiae hermeticae. Hanau 1617, S. 6ff.: »Propositiones sunt hae: I. Ad veram sapientiae, veraequa medicinae studium nemo admittitur, nisi sit vere pius et ingeniosus. II. Emendationis opus non est unius hominis. III. Ergo solide docti viri, qui Deum sincere colant, inter se habento commercium, atque sine ulla invidia sibi mutuo, quicquid e natura eruerint, communicanto. IV. Quotannis ad certum locum conveniunto, axiomata inventa conferunto, atque id, quod de novo intra anni spacium in re medica et philosophica exploraverunt, in medium praeferunto, ut ad naturae axiomata discutiatur. V. Nihil cogitanto, nihil faciunto, [S. 7] nisi quod in Dei honorem et proximi salutem cedat. VI. Taciturnitatem et Deo et sibi vovento perpetuam. VII. Naturam eiusque veritatem pluris aestimanto, quam omnes libros Galeni, Aristotelis etc. VIII. Mundi delicias fugiento, ut superbiam, avaritiam, ambitionem, ebrietatem et voracitatem. IX. Nullus osor Hermeticae sapientiae dignus habetor commercio et ordine verorum medicorum et philosophorum. X. Non nisi diu

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Morsius, eine der zentralen Figuren der Rosenkreuzerbewegung, mit dem er – vielleicht aufgrund dieses Aufrufs – 1618 in Kontakt kam, berichtet Jahrzehnte später (am 26. August 1643) in einem Brief an Joachim Jungius: »Nollius [...] fraternitatem aliquam ad restitutionem Hermeticae medicinae ac philosophiae sub nomine Fraternitatis Rotae coelestis egregie moliebatur [...].«37 Wenn dieser Name, der im Text von Nollius selbst nirgends auftaucht, tatsächlich für diesen Orden vorgesehen war, so wäre damit sicherlich eine bewußte Anspielung auf die Rosenkreuzer gemacht [Fraternitas Rotae Coelestis (= Fraternitas R.C.)]. Aus einer solchen Anspielung läßt sich jedoch nicht mehr ableiten, als daß er die Reformidee der Rosenkreuzer teilt. Denn Nollius hat ein deutlich differenzierteres Verhältnis zur Rosenkreuzerei als die Vielen, die sich nach der Veröffentlichung der Fama fraternitatis beeilten, in offenen Briefen um Aufnahme in den Orden zu bitten. So nennt er in seiner 1620 erschienenen Schrift Via sapientiae triunae die grassierende Rosenkreuzergläubigkeit als einen der Gründe, warum die von allen gesuchte Weisheit verfehlt werde. Denn gerade wegen der passiven Erwartung der Ankunft der Weisen werde nichts entdeckt (»quia sapientum adventum exspectant, [...] exspectando nihil inveniunt«, fol. B1r). Und er ergänzt, der Deutlichkeit halber auf Deutsch: »Aber es wird dir keine gebratene Taube ins Maul fliegen« (fol. B2r). Auch die Rosenkreuzerbrüder besitzen nicht das Weisheitsmonopol. Die von ihnen versprochenen Geheimnisse lassen sich nämlich, wie das Beispiel des Paracelsus zeige, auch ohne die Belehrung durch jene Brüder entdecken.38 Und sie beanspruchen es auch gar nicht. Denn mit ihren Schriften wollten sie nur erreichen, daß man erkenne, daß die landläufige Form der Philosophie, die vulgaris ratio philosophandi, insuffizient, unvollkommen und gänzlich zu verwerfen ist und daß die in den Glaubensbekenntnissen der Menschen zum Ausdruck gebrachte Theologie nicht das solide Fundament bildet, auf dem die Erkenntnis der göttlichen Dinge zu begründen ist, sondern daß es vielmehr eine

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probatus admittitor. XI. Omnis parasitus excluditor. [S. 8] XII. Qui de novo ad ordinem medicorum et philosophorum accedunt, traditione tantum, non scriptura mysteriorum naturae redduntor particeps: ac proinde eo Sacramento adiguntor, ne quid arcani calamo excipiunt, ne aliis, quamvis dignis, in calamum dictant. Hae sunt meae propositiones: Si qui e vobis illustres Medici et Philosophi, fuerint, quibus illae probentur, mihi vel praesentes, vel absentes per literas id significabunt, atque num idem, quod ego, iam dudum meditati fuerint, explicabunt.« Vgl. Peuckert: Rosenkreutz (s. Anm. 3) S. 211. Via Sapientiae Triuna, fol. B1r–v: »His novissimis temporibus fratres R.C. ediderunt famam et confessionem fraternitatis, atque in iis magisteria et mysteria naturae stupenda promittunt. Ea autem mysteria vel absque [B1v] fratrum illorum explicatione et institutione explorari possunt, vel ad eorum magnalium investigationem necessarium est, ut in fratrum veniamus notitiam. Hoc si verum esset, Paracelsus Magnus ille Germaniae Philosophus ea mysteria, quae ipsi praedicant, nescivisset: quippe fratres illos non cognovit. At plura ejusmodi arcana, quae fratres R.C. praedicant, exquisite scivit, id quod etiam ipsi fratres non negant. Addo quod ante fratrum R.C. ordinem talia naturae miracula prorsus incognita fuissent, si a fratrum istorum institutione penderet eorum secretorum revelatio. Merito ergo statuo, Sapientiae profundioris magnalia sciri et investigari, etiamsi fratres plane ignorantur, Frustra ergo quaerimus Sapientes, sine quibus vera Sapientia facile acquiri potest.«

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tiefere Philosophie und Theologie gibt als jene, die von den verschiedenen Sekten in ihrer nutzlosen Streitsucht in die verschiedenen Meinungen zerrissen worden ist: »Du also, der Du weise werden willst, laß die Rosenkreuzerbrüder weise Brüder sein und suche oder erwarte sie nicht indem Du darüber das Studium der Weisheit selbst vernachlässigst.«39 Ebensowenig, wie er als Rosenkreuzer zu kennzeichnen ist, hätte er sich selbst als Paracelsisten oder Weigelianern verstanden. Zwar schätzt er Paracelsus wie Weigel und bekennt sich offen dazu.40 Aber seine radikale Zurückweisung jeder Form von philosophia sectaria verbietet es Nollius, von der Kritik der vulgaris ratio philosophandi einfach zur Ansetzung eines alternativen Autoritätenkanons überzugehen. Vielmehr gilt, daß das Fundament der Weisheit auch nicht in den Schriften eines Paracelsus oder Weigel noch in denen irgendeines anderen, welcher Sekte auch immer anhängenden Philosophen zu suchen oder zu finden ist (»Nec in Paracelsi, nec in Weigelii, nec ullius Theologi, Philosophive, cuicunque Sectae addictus fuerit, [...] scriptis esse fundamentum Sapientiae quaerendum et ponendum«, fol. B5r). Und Nollius ist sich der Gefahr des performativen Selbstwiderspruchs, dem sich jede schriftlich geäußerte Kritik am Buchwissen aussetzt, durchaus bewußt, wenn er ergänzt: »und natürlich auch nicht in meinen eigenen Schriften« (»imo nec in meis ipsius scriptis«, fol. B5r). Denn das solidum fundamentum sapientiae findet sich allein in den drei nicht von Menschenhand, sondern von Gott selbst geschriebenen Büchern, nämlich 1) in der Hl. Schrift,41 2) im Makrokosmos (fol. C5vff.) und 3) im Mikrokosmos (fol. D2rff.). Diese bilden zusammengenommen die Via sapientiae triuna, den dreieinheitlichen Weg der Weisheit, der insofern ein einheitlicher ist, als die drei Bücher in wunderbarer Harmonie übereinstimmen und sich wechselseitig erhellen.42 Deshalb ist auch die Konkordanz das entscheidende

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Ebd., fol. B2r–v: »Praeterea fratres R.C. non intendunt alios eo permovere, ut ipsorum tantum exspectent otiosi et de Sapientia consequenda nihil sint solliciti, sed ut agnoscant vulgarem Philosophandi rationem esse insufficientem, imperfectam et plane rejiciendam, Theologiamque Symbolis hominum et Confessionibus expressam non esse solidum fundamentum, in quo cognitio rerum divinarum fundari debeat: sed dari profundiorem Philosophiam et Theologiam, quam eam, quae a diversis sectis in varias opiniones inani [B2v] altercandi studio distracta est, ac proinde decere studiosos, ut, si unquam occasionem aliunde captare possint, occultioris sapientiae mysteria reimentur, et iis intellectis, verorum Philosophorum commercio fruantur. Tu ergo, qui sapiens fieri desideras, fratres R. C. fratres sapientes permitte, eos ne quaere, nec expecta, studium sapientiae interim negligens.« Ebd., fol. B5r: »Paracelsus Vir magnus est, et Philosophia meo judicio dexterius explicavit, quam universa Aristotelicorum turba. Weigelius divinioris Sapientiae studiosissimus divina plane et nulla unquam aevo intermoritura manuscripta, ingenii sui excellentia monumenta, post se relinquit.« Ebd., fol. C1r: »Sacram Scripturam esse viam, quae ad solidum Sapientiae fundamentum studiosus veritatis perducat. Ut in natura, viva DEI imagine, Sapientia ita se conspiciendam exhibet, ut de veritatis cognitione certum reddat hominem: Ita etiam eadem Sapientia in sacra scriptura se ostendit [...].« Ebd., fol. B8vf.: »[...] Sapientiae fundamentum est veluti mensura [...], ad quam alia scripta dictave sapientiam docentia mensurantur: Omnia autem hominum scripta et dicta censeri et

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Kriterium für die angemessene Lektüre derselben. »Lies die Hl. Schrift so«, fordert Nollius, »daß die Harmonie der göttlichen und menschlichen, der himmlischen und irdischen Dinge und die Harmonie von Natur und Gnade daraus erhellt. Wenn diese deutlich sichtbar wird, dann hast Du richtig gelesen«.43 Wenn Nollius in diesem Zusammenhang vom Mikrokosmos als dem Weg zum solidum fundamentum sapientiae spricht, so hat er damit nicht das gängige Muster der Zuordnung einzelner Körperteile zu Sternbildern im Blick, sondern die meditative ›introversio‹ der Seele. Die menschliche Seele beziehungsweise der menschliche Geist als die »quinta essentia mundi« enthält in eminenter Weise die Kräfte und Tugenden aller Dinge des Universums in sich und ist daher, als die »lux insita« oder das »lumen internum« in der Lage, die Wesenheiten der verschiedensten Kreaturen »absque sensuali cognitione« zu erfassen.44 Die experimentelle, sinnliche Naturerfahrung, wie sie die Lektüre im Makrokosmos als dem Buch der Natur darstellt und die jede sinnliche Erkenntnis ausschaltende Introversion widersprechen sich nicht, sondern sind nur die zwei Seiten oder Formen der unmittelbaren Experienz. Die Beschreibung des Makrokosmos ist nun der Gegenstand seiner naturphilosophischen Hauptschriften, der Theoria Philosophiae hermeticae (1617) sowie des Naturae sanctuarium, quod est Physica hermetica (1619). Mit der Berufung auf hermetische Physik und die »PHILOSOPHIA antiquorum sapientum«45 scheint er sich auf die Tradition der prisca sapientia zu verpflichen. Aber auch hier legt er Wert darauf, festzustellen:

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judicari debent ex S. scriptua, Majori et minori mundo. Quare via, qua ad solidum Sapientiae fundamentum homo pervenire potest, recte trina appellatur. Una etiam est, quia quae in triplici ista via proponuntur mirabili harmonia inter se consentiunt et ad sui correspondentem explicationem inter se magnum [C1r] habent momentum.« Ebd., fol. C5r–v: »[...] lege S. scripturam [...] ita ut Harmoniam rerum divinarum et humanarum, caelestium et terrestrium, gratiae et naturae, exinde observe. Quam si agnoveris et videris, bene legisti.« Ebd., fol. D2rff.: »Microcosmum esse etiam viam, quae ad solidum Sapientiae fundamentum veritatis studiosus deducat. – In microcosmo seu homine nobilissima substantia est, quae anima dicitur, illaque omnium rerum, quae ab universo in hoc mundo continentur, vires et virtutes, eminenter in se complectitur, ita ut etiam inde earum species sibi ingenerare possit, nisi a corporis molestia et impuritate impediatur, ne istas species fingere et concipere valeat. Omnium ergo rerum cognitio ab anima est, seu potius ab ipsius genio, tanquam ab insita luce. Sed cum tenebrae etiam admixtae sint ex corporis unione, lux insita non potest prodire, ac proinde certam viam ad sapientiae fundamentum monstrare nequit, nisi tenebrae discutiantur, et tenebris pulsis, lux dominium habeat. [D2v] Anima hominis est quinta hujus mundi essentia, omnium virtutum, quae alicubi distincte se exerunt, essentialia puncta et seminarias rationes admiranda unione in se habens; ut vel hinc veras species rerum vere existentium et se moventium, atque motu suo spiritualiter se in anima hominis repraesentantium, quando ad eum motum attenta est, fingere apta sit, et ea ratione [D3r] essentias diversissimarum creaturarum absque sensuali cognitione exquisite apprehendat.« Theoria philosophiae hermeticae, 1617, S. 50: »PHILOSOPHIA antiquorum sapientum non est studium altercandi a sophistis ad Academias translatum, sed est spiritûs universi (quem vulgo naturam appellant) omnia in omnibus operantis, rerum conservationem promoventis, vitam omnium viventium perpetuantis, generationem procurantis, atque defectus omnes sua ipsius praesentia et efficaci actione tollentis scientia.«

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›Hermetisch‹ heißt meine Physik nicht deshalb, weil sie von der Meinung irgendeines Menschen abhängt oder etwa allein die Meinung des Hermes wiedergibt, sondern weil [...] sie eine geheimere Methode des Philosophierens eröffnet, deren Ansätze wir zumindest in den Fragmenten des Ägypters Hermes, nämlich in seiner Tabula smaragdina besitzen.46

Trotz der Insistenz auf Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ist seine Physica hermetica – die sich inhaltlich eng an den polnischen Paracelsisten Michael Sendivogius (Sedziwój) anlehnt47 – ein typischer Repräsentant der paracelsistisch-hermetischen Naturphilosophie des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, die seit Alsteds Physica harmonica auch unter dem programmatische Titel »physica mosaica« umläuft. Physik ist diesem Programm gemäß zunächst und vor allem Schöpfungslehre beziehungsweise Kosmogonie, und zwar durchaus in dem Bewußtsein, daß christliche Physik, anders als die aristotelische, gerade dies zu sein habe. Durch die naheliegende Applikation von paracelsistischer Naturphilosophie und Alchemie auf das im ersten Genesiskapitel geschilderten kosmogonischen Szenario erscheint die Schöpfungsgeschichte hier als ein göttlich initiierter chemischer Scheidungsprozeß.48 Hierbei kommt der Theorie des Chaos zwangsläufig eine zentrale Stellung zu. Dieses Chaos oder »Mysterium magnum«49 wird gedacht als ersterschaffener, physisch-geistiger Urgrund, in dem die Prinzipien, Elemente, und gegensätzlichen Bestimmungsmomente aller Dinge in noch ungeschiedener Form enthalten sind.50 Es ist zugleich der Träger der ihm vom göttlichen Logos implantierten »rationes seminales«, d.h. jener Keimformen, die das Entfaltungspotential der gesamten Schöpfung enthalten und zugleich die Instanzen dessen geordneter zeitlicher Realisierung sind. Am so konzipierten Chaos versagt die strikte Unterscheidung von Materialität und Spiritualität. Denn es ist, wenngleich als »corpus«,51 »materia prima«52 oder »materia universi«53 charakterisiert, die gegenüber den Erscheinungsformen von Körper und Geist (spiritus) indifferente Einheit von beidem, aus der sowohl die »crassae substantiae« als auch die »subtiles spiritus« hervorgehen54 und welche als allem zugrundeliegen-

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Physica Hermetica. In: Naturae Sanctuarium, 1619, S. 86: »Hermetica dicitur, non quod mea Physica ab ullius hominis arbitrio pendeat, atque tantum Hermetis placita recenseat, sed quod [...] methodum philosophandi secretiorem, cuius rudimenta saltem in fragmentis Hermetis Aegyptij, nempe in tabula eius Smaragdina [...] obtinemus, amplificet.« Vgl. bes. Michael Sendivogius [Sedziwój]: De lapide philosophorum: tractatus duodecim, e naturae fonte et manuali experientia deprompti, s.l. 1604; ders.: Novum lumen chymicum: e naturae fonte et manuali experientia depromptum et in duodecim tractatus divisum. Köln 1610. Vgl. Nollius: Physica Hermetica. In: Naturae Sanctuarium, 1619, S. 106ff., 118f. Ebd., S. 90. Ebd., S. 91f. Ebd., S. 89. Ebd., S. 92. Ebd., S. 94. Ebd.

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de »divinior essentia«55 garantiert, daß die Elemente56 und selbst corpus und spiritus, als die letzten Materialprinzipien aller Dinge (»omnium rerum remotissima materialia principia«) wechselseitig ineinander übergehen können.57 Das in Anlehnung an den Genesisbericht häufig als »aqua primaeva« bestimmte Chaos ist untrennbar mit dem entsprechend als »ignis primaevus« charakterisierten »spiritus universi« beziehungsweise der »anima mundi« verbunden.58 Diese Weltseele ist nichts anderes, als die Natur selbst (natura ipsa).59 Die hermetische Naturphilosophie operiert daher, wie bereits der Titel des Sanctuarium Naturae zeigt, mit einem auratischen, spirituell und theologisch aufgeladenen Naturbegriff. Er entspricht nicht dem aristotelischen Verständnis von Natur als dem Prinzip der jeweils naturgemäßen Bewegung oder Ruhe, sondern steht eher in der Folge des stoischen Konzepts des als göttliches Weltgesetz und aktives Ordnungsprinzip des Alls bestimmten logos und dessen neuplatonischer Interpretation.60 Entsprechend den im Chaos enthaltenen »rationes seminales« besitzt die Weltseele die Ideen aller Dinge,61 die sie in einem geordneten Prozeß der »imaginatio« entwickelt und wirksam werden läßt und damit, den instantanen göttlichen Schöpfungsakt in die Sukzession der Zeit entfaltend, alle physischen Weltvorgänge reguliert. Als universales Ordnungsprinzip und Grund des harmonischen Weltzusammenhangs ist die anima mundi das Fundament der Sympathien und Antipathien im Universum. Diese Auffassung der Weltseele oder Natur liefert ein vom aristotelischen ebenso wie vom mechanistischen Modell der Bewirkung abweichendes Konzept der innerweltlichen Kausalzusammenhänge. Es ermöglicht eine Art von – zumindest aus der Außenperspektive sinnlicher Erfahrung als eine solche erscheinende – »actio in distans« oder Fernwirkung. Denn durch die in der Omnipräsenz der anima mundi begründete »Konspiration« aller Dinge62 sowie durch das daraus abgeleitete universale Netz der zwischen ihnen bestehenden Antipathien und Sympathien wird jede körperliche Distanz spirituell überbrückt. Auch das entfernteste kann unmittelbar aufeinander einwirken, da die Weltseele gemäß dem prominenten Lehrsatz des »omnia in omnibus« die spirituelle Totalpräsenz des gesamten Universums in jedem seiner Teile garantiert.63 Kausalzusammenhänge sind folglich nicht in erster Linie durch äußere Einwirkungen konstituiert, sondern kommen, weil jedes Lebendige seine eigenen Formations- und Regulationsprinzipien in sich trägt, von innen.

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Ebd., S. 90. Ebd., S. 111f. Ebd., S. 94. Ebd., S. 89, 93f., 100, 129. Ebd., S. 103. Vgl. Thomas Leinkauf: Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers. Berlin 1992, S. 44ff. Physica Hermetica. In: Naturae Sanctuarium, 1619, S. 100. Ebd., S. 105. Ebd.

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Im Rahmen der Behandlung der Elemente kann Nollius, auf die Elementargeister eingehend, endlich auch erklären, was es mit der bereits im ersten Metaphysikentwurf aufgetauchten Nymphe auf sich hat: Nymphen gehören zur Gattung der niederen, sterblichen Elementargeister, Spezies Wassergeist, die, zumeist – aber nicht notwendig – in weiblicher Gestalt, die Früchte und Schätze der Gewässer hüten. Die in der hermetischen Naturphilosophie durchgängig wirksame Polarität von außen und innen, sichtbar und unsichtbar, körperlich und geistig weist dem Begriff und Konzept des Geheimnisses in seinen terminologischen Variationen von Mysterium, Arcanum, Secretum oder Occultum eine zentrale Funktion zu. Das verbergende Manifestieren als die Logik des Geheimnisses spielt auf mehreren Ebenen eine zentrale Rolle: 1) Für die aus dem »mysterium magnum« oder Chaos entstandene Welt bleibt die Struktur des Geheimnisses bestimmend. Denn als sichtbare und verbergende Außenseite einer dahinterliegenden, inneren, geistigen Welt offenbart sie diese in änigmatischer Form. Diese gilt es – als das »Innere der Dinge« (intima rerum) – durch die gleichsam hieroglyphischen Zeichen der Dingsignaturen (signatura rerum) zu erkennen oder durch alchemistische Prozeduren manifest und wirksam werden zu lassen. Denn jede Hervorbringung (generatio) ist, wie Gerhard Dorn formuliert, die Offenbarung eines Verborgenen (manifestatio occulti) durch Verbergung eines Offenbaren (occultatio manifesti).64 2) In einer der Lektüre im »Buch der Natur« analogen Weise hat die Interpretation des schriftlich Überlieferten den jenseits des Literalsinns verborgenen »sensus mysticus« zu erschließen und das verhüllt tradierte Geheimwissen freizulegen. Insbesondere bei der Hl. Schrift hat die Verhüllung eine methodologische Funktion. Denn die Hl. Schrift enthält nicht nur alle Schätze der Weisheit, sondern, indem in ihr »quaedam aperte, quaedam tecte docentur«, zugleich die von Gott vorgesehene Abfolgeordnung der Erkenntnis derselben.65 3) Der Form der Eröffnung des geheimen Innen der Dinge und Texte korrespondiert der Darstellungsmodus naturphilosophischer Lehren. Denn Geheimnisse, Arcana oder Mysteria, von denen zu handeln die Texte der hermetischen Naturphilosophie vorgeben, sind als solche selbst nur in verschlüsselter Form

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Gerhard Dorn: Clavis totius Philosophiae Chymisticae. Lyon 1567, S. 25. Nollius: Via sapientiae triuna, fol. C 2r–v: »In S. scriptura quaedam aperte, quaedam tecte docentur: idque eo fine, ut primum nosmet ipsos exerceamus in apertis, quo per aperta in tectorum apprehensionem provehamur. Lege, cognitis apertis, obscure dicta, meditare, relege, idque aliquoties; innata scripturae lux intelectui tuo demet nebulas rerum profundarum cognitionem impedientes, ut ea, quae aliis intellectu difficilia habentur facile pervidere et cognoscere possis. [...] Si quid sub initium difficile videtur, vel sub notione falsi apparet, illud ne judica, sed praeteri, atque ad alia progredere; cogitans nondum adesse horam, qua illud inteligre debeas. [...] [C2v] Deus vult omnia ut sunt certo constituta ordine, ita etiam certo cognoscendi ordine: Quando ergo adhuc nobis ignota sunt ea, quae prius cognosci debebant posteriora, etiamsi velimus, intelligere non possumus. [...] Cave etiam ne lucem ab hominibus mutueris et S. S. scripturae inferas: Tu enim hac via tibi obstaculo eris, ne scripturae lux insita in tuo intelectu operari et ad profundioris Sapientiae cognitionem te evehere possit.«

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tradierbar. Und so weist denn auch Nollius den Leser seines Sanctuarium naturae darauf hin: Wer meine Schriften mit dem Licht der Natur und der Gnade vergleicht, möge nicht alles wörtlich nehmen, denn wegen der törichten Weisen und der unfrommen Diener der Welt wird manches in uneigentlicher Weise und manches in übertragenem Sinne gesagt. Aber wie auch immer, bei der zwanzigsten Wiederholung der Lektüre und Meditation des Textes wird sich dem ernsthaften Leser der Kern der natürlichen Weisheit erschließen.66

Ich habe das nicht ausprobiert. In jedem Fall aber stellt sich abschließend die Frage, wie die hermetische und die metaphysische Seite von Nollius miteinander vereinbar sind. Am naheliegendsten wäre es wohl, die Diskrepanz in zeitliche Sukzession aufzulösen, indem man von einer Wende vom Metaphysiker zum Hermetiker ausgeht. Doch damit machte man es sich zu einfach. Denn die erweiterte Fassung seiner metaphysischen Synopse erscheint 1613 nachdem er sich bereits vornehmlich der hermetischen Physik zugewandt hat. Und sie erscheint, abermals erweitert zu dem, was Wundt als das philosophische Hauptwerk von Nollius bezeichnet, noch einmal 1625, ein Jahr vor seinem Tod als Trias scholastica disciplinarum generalium, Gnosticae, Didacticae, Metaphysicae. Zeichnet sich auch eine markante Verschiebung des Gegenstandes von Nolles philosophischem Interesse ab, so heißt das offenbar nicht, daß der Hermetiker Nollius der Auffassung gewesen wäre, seine Metaphysik verwerfen zu müssen. Denn diese markiert zeitlich ziemlich exakt den Anfang, die Mitte und das Ende seiner philosophischen Veröffentlichungen. Wenngleich man also meinen sollte, daß die ›Weltanschauung‹ eines paracelsistischen Hermetikers eine fundamental andere ist als die eines lutherischen Schulmetaphysikers, so ist man doch genötigt, im Falle Nollius beides zusammenzudenken. Denn für ihn ist der auratisch aufgeladene Naturbegriff der hermetischen Physik mit dem abstrakten Begriff des ens, wie ihn die Metaphysik verwaltet, offensichtlich vereinbar. Zwar gehen beide, weil »omnis [...] nostra investigatio, quamdiu in hoc mundo degimus, initium sumit a sensu«67) von den Dingen aus. Aber im Gegensatz zur hermetischen Physik, hat die Metaphysik nicht den Anspruch, ins Innere der Dinge zu führen. Die hermetische Naturphilosophie ist für Nollius also gewissermaßen jene Spezialität, welche die Lücke ausfüllt, die die Metaphysik als metaphysica generalis offen läßt. Beide liefern unter Umständen konkurrierende, gleichwohl aber kompatible – weil komplementäre – Beschreibungsweisen der Realität. Die Vereinbarkeit beider liegt also wesentlich darin begründet, daß sich für Nollius die theologie- und theosophiefreie

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Physica Hermetica, in: Sanctuarium Naturae, 1619, S. 84: »[...] ille [...] qui modeste cum naturae et gratiae lumine mea scripta conferet, non omnia ad literam intelliget, sed propter stolides sapientes et impios mundi servos quaedam transposita, quaedam improprie dicta esse iudicabit, ne margaritae porcis obiiciantur. Utut haec sint, sub vigesimam lectionis et meditationis immensae repetitionem nucleus sapientiae naturalis ex hoc meo Sanctuario lectori sincero se conspiciendum offeret.« Metaphysices methodica synopsis, fol. B1r.

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Metaphysik als ein System allgemeiner Begrifflichkeit weltanschaulich völlig indifferent verhält. Offensichtlich gab es unter seinen Zeitgenossen aber nur sehr wenige, mit denen er diese Auffassung hätte teilen können.

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Appendix Provisorische Bibliographie der Werke von Henricus Nollius

Rudolph Goclenius [praes.], Henricus Nollius [resp.]: Theses generales (Marburg 1601). Prodromi logici tractatus tres (Hanau: Wilhelm Antonius 1604). Metaphysices methodica synopsis: in qua, praecisis inutilibus, ociosis, et curiosis scholasticorum barbarorum quaestionibus, obscuris terminis et teretismatis, universalia principia ad veram philosophandi rationem viam aperientia dilucide delineantur (Jena: Steinmannus 1606). Methodus Metaphysici Systematis Convenientissima Canonibus Illustrata Et Sex libris comprehensa (Frankfurt: Palthenius 1613). Systema Medicinae Hermeticae Generale: In quo I. Medicinae verae fundamentum, II. Sanitatis conservatio, III. Morborum cognitio, et Curatio, Methodo dilucidissima generaliter explicantur (Frankfurt 1613). De generation rerum naturalium liber ex vero naturae lumine in gratiam sincerioris philosophiae studiosorum confirmatus (Frankfurt: Palthenius 1615) − angebunden an Systema Medicinae Hermeticae Generale bei durchgehender Paginierung, beginnend auf S. 126; später aufgenommen als Teil V in die Theoria philosophiae hermeticae (1617). Verae Physices Compendium novum (Steinfurt 1616). Theoria philosophiae hermeticae: septem tractatibus, quorum primus est; I. verus Hermes, II. porta hermeticae sapientiae, III. silentium hermeticum, IV. axiomata hermetica, V. de generatione rerum naturalium, VI. de regeneratione rerum naturalium, et VII. de renovatione explicata ab Henrico Nollio (Hanau: Antonius, 1617) – Tractatus I-IV aufgenommen in: Naturae Sanctuarium: Quod Est, Physica Hermetica, 1619. Gnostike seu Ars et per propriam indagationem et per revelationem aliquid discendi (Steinfurt: Caesar 1617) − teilw. eingearbeitet in: Prodromus physicus, in: Sanctuarium naturae (1619); Via Sapientiae Triuna (1620) und Trias scholastica disciplinarum generalium (1625). Disputatio inauguralis de methodo medendi hermetica Quam proposuit solenniter Henricus Nollius [Praes.: Henricus Petraeus] (Marburg: Egenolph 1618). Naturae Sanctuarium: Quod Est, Physica Hermetica: In Studiosorum Sincerioris Philosophiae gratiam, ad promovendam naturalium rerum veritatem, methodo perspicua et admirandorum Secretorum in Naturae abysso latentium philosophica explicatione decenter in undecim libris tractata (Frankfurt: Rosa 1619). Disputatio de mutatione virium in remediis [praes. Henr. Nollio] (Steinfurt 1619) Via Sapientiae Triuna Henrici Nollii [...] Edita ab Anastasio Philareto Cosmopolita [= Joachim Morsius] (s.l., 1620).

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Stephan Meier-Oeser

Parergi philosophici speculum: in quo ars et difficultas conficiendi lapidem philosophorum toti orbi consideranda exhibetur, philosophice adumbratur et tamen dilucide doctrinae filiis explicatur (Gießen 1623). Trias scholastica disciplinarum generalium, Gnosticae, Didacticae, Metaphysicae (Frankfurt 1625) − Widmung von 1619. Discursus posthumus pro vera Philosophia et medicina Hermetica (Rostock 1636). Hermetical physick or, the right way to preserve and to restore health (London: Moseley 1655). The chymists key to shut and to open (London: Lloyd 1657).

FRÜHNEUZEITLICHE »ANTHROPOLOGIE«

Uwe Kordes

Otho Casmanns Anthropologie (1594/96) Frömmigkeit, Empirie und der Ramismus

Noch vor Francis Bacon bzw. dem Aufkommen von »Naturwissenschaft« im modernen Sinn konnte in frommer Absicht eine sach- und diskursorientierte Empirie betrieben werden, die von ontologischen Bezügen weitgehend unberührt blieb. Wie das möglich wurde, kann an Otho Casmann (Warburg 1562 – Stade 1607) gezeigt werden, der am Steinfurter gymnasium illustre und in Stade als Lehrer und Rektor wirkte und einer der weniger beachteten deutschen Gelehrten der Frühen Neuzeit ist.1 Sein fast dreißig Bücher umfassendes Werk, darunter die Anthropologie von 1594/96,2 entstand in einer von der Philosophieund Wissenschaftsgeschichte der letzten Jahre intensiv untersuchten Epoche. Als grundlegend für den vom Humanismus bis zur Aufklärungsphilosophie reichenden Prozeß ist vor allem der Einfluß verschiedener philosophischer Sekten dargestellt worden und – damit zusammenhängend – die Methodendebatte im Kontext der sich entfaltenden frühneuzeitlichen Enzyklopädien und ihrer neuen Disziplinen. Neben Aristotelismus und christlichem Neuplatonismus konnte auch Gedankengut lullistischer und ramistischer Provenienz unter den philosophiegeschichtlich wirksamen Faktoren identifiziert werden, während aus einer eher historischen Perspektive auch die Auseinandersetzung der Konfessionen in die Debatte eingebracht wurde.3 Das Werk Casmanns, nicht zuletzt

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Dietrich Mahnke: Beiträge zur Geistesgeschichte Niedersachsens. I. Der Stader Rektor Casmann, in: Stader Archiv N.F. 4 (1914), S. 142–190, sowie den Artikel im Neuen Überweg [Wilhelm Schmidt-Biggemann]. Sie besteht aus zwei Bänden: Psychologia anthropologica; siue animæ humanæ doctrina methodice informata capitibus dissecta singulorumque capitum disquisitionibus ac controversarum questionum ventilationibus illustrata / Tractata ab Othone Casmanno. Hanouiæ: Apud Guilielmum Antonium, impensis Petri Fischeri Fr. 1594 und: Secvnda Pars Anthropologiæ: hoc est; Fabrica Hvmani Corporis; Methodice descripta, capitibus distincta, singulorumque capitum disquisitionibus [...] illustrata ab Othone Casmanno. Hanoviae: Apud Guilielmum Antonium, impensis Petri Fischeri 1596 (Ex. 1: Nn 1578). Herrn SchmidtBiggemann danke ich für die Bereitstellung des Textes. Im folgenden werden einige Texte Casmanns und ihre Fundstellen genannt, mit einer vollständigen Bibliographie wollte ich diesen Text nicht belasten. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica Universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft. Hamburg 1983 (= Paradeigmata 1); ders.: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt a.M. 1998; Thomas Leinkauf: Mundus Combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602–1680). Berlin 1993; Ulrich Gerhard Leinsle: Wissenschaftstheorie oder Metaphysik als Grundlage der Enzyklopädie, in: Enzyklopädien der Frühen Neuzeit. Beiträge zu ihrer Erforschung.

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die Anthropologie, fordert zum einen die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung in den hier nur kurz skizzierten Kontext, sie bietet aber auch die Gelegenheit, den Einfluß der genannten Faktoren an einem konkreten Beispiel zu überprüfen. Dabei kann paradigmatisch gezeigt werden, welche Probleme sich aus der Anwendung von Wissenschaftstheorie auf eine Einzeldisziplin ergaben, und wie eine »neue« naturphilosophische Disziplin durch den wissenschaftlichen Habitus eines frommen, reformierten Gelehrten der Frühen Neuzeit geformt wurde. Die Quellenlage für eine Rekonstruktion der vita Casmanns ist ungünstig, denn bis auf seine Schriften sind kaum Texte überliefert. Die in Stade überlieferten Quellen sind bei einem Brand des Archivs im 18. Jahrhundert vernichtet worden, auch in Burgsteinfurt ist außer Casmanns Unterschrift unter einem Entwurf zu einer neuen Schulordnung nichts erhalten.4 Einige Rückschlüsse zu seiner Biographie lassen sich hingegen aus den Vorreden zu seinen Schriften finden, insbesondere in einem Text in vitam et mortem reverendi ac docticissimi D. Othonis Casmanni, D.G.H.D., ad amicum, der vor seiner letzten Schrift, Turpitudo, abgedruckt ist.5 Daraus geht hervor, daß er neben seiner Frau drei Töchter zurückließ, und daß die Herzöge von Holstein, der Landgraf von Hessen und ein Baron Carolus Zerotinus aus Mähren zu seinen Förderern gehörten; weitere Förderer und Freunde werden in anderen Schriften genannt. Geboren wurde Casmann 1562 als Sohn offenbar armer katholischer Eltern in Warburg;6 er besuchte die Hohe Schule in Kassel, wo er zum reformierten Bekenntnis überwechselte. Vorreden seines dortigen Lehrers, Rudolf Goclenius, finden sich vor einer Reihe von Schriften Casmanns, auch vor den beiden Teilen der Anthropologie. Nach dem Studium in Helmstedt wurde Casmann 1589 dann an das gymnasium illustre in Burgsteinfurt berufen, eine Institution, die 1588 von Graf Arnold von Bentheim (1554–1606) gegründet worden war und mit Lehrern wie Johannes Althusius und Clemens Timpler zu einer renommierten Lehran-

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Hg. von Franz M. Eybl, Wolfgang Harms, Hans-Henrik Krummacher u. Werner Welzig. Tübingen 1995, S. 98–119; Johann Christoph Sturm (1635–1703). Hg. von Hans Gaab u.a. Frankfurt a.M. 2004; Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Hg. von Barbara Mahlmann-Bauer. Wiesbaden 2004 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung. 38); zum Einfluß der Konfessionalisierung vgl. Uwe Kordes: Wolfgang Ratke (Ratichius, 1571–1635). Gesellschaft, Religiosität und Gelehrsamkeit im frühen 17. Jahrhundert. Heidelberg 1999 (= Euphorion. Beihefte 34), sowie den Beitrag Howard Hotsons in diesem Band. Burgsteinfurt: Für die Bereitstellung des Textes aus dem Fürstlichen Archiv danke ich Prinz Oskar von Bentheim. Stade: Auskunft des Stadtarchivs. Casmann: Turpitudo omnium turpissima et nocentissima, opprobrium Christianorum, exitium Infidelium, et Laqueus carnalis securitatis incidendus describitur. Francofurti: Collegium Mylarum Palthenianus 1609 (Ex. 23: 680.9 Theol.). In der Praefatio zum Nucleus mysteriorum naturæ enucleatus laboribus aliquando scholasticis [...] digestus ab Othone Casmanno. Hamburgi Ex Bibliopolio Frobeniani 1605 (Ex. 23: 100 Phys), die er an Bernhard von Geismar, Ratsherr in seiner Heimatstadt Warburg, richtet, spricht er u.a. von »deploratißim[a] [...] tempora« und »tot difficultates, turba[e] & pericola«; ebd., fol. ):(3v.

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stalt wurde.7 1594 ging Casmann dann an das Stader akademische Gymnasium. Obwohl er zum reformierten Bekenntnis übergetreten war, ergaben sich im lutherischen Stade keine konfessionellen Probleme; die Konkordienformel war von der Stadt nicht mit unterzeichnet worden. 1601 gab Casmann sein Lehramt auf und wurde Diakon an der St. Withaldikirche. In den Matrikeln des Stader Gymnasiums konnten nicht nur zahlreiche ausländische Schüler aus dem nordeuropäischen Raum nachgewiesen werden,8 die offenbar nicht zuletzt durch Casmanns Reputation angezogen wurden. Will man der Schrift in vitam et mortem [...] Casmanni Glauben schenken, wurden zwei Werke auch ins Englische bzw. Französische übersetzt, viele Exemplare wurden nach Italien gebracht.9 In der Stader Zeit entstanden im engeren Sinne naturphilosophische Schriften, Lehrbücher für den Bereich praktische Philosophie, ein Antisocinus, eine Ars moriendi sowie einige theologische Schriften bzw. Erbauungsliteratur.10

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Zur Institution gymnasium illustre vgl. Martin Heckel: Reichsrecht und »Zweite Reformation«: Theologisch-juristische Probleme der reformierten Konfessionalisierung, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. – Das Problem der »Zweiten Reformation«. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985. Hg. von Heinz Schilling. Gütersloh 1986 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 195), S. 11–43. Zur Steinfurter Hohen Schule vgl. Ingeborg Hoeting: Die Professoren der Steinfurter Hohen Schule. Steinfurt 1991 (= Steinfurter Schriften 21). Vgl. ebd., passim, und Mahnke (s. Anm. 1), S. 153 für die meisten der im folgenden aufgeführten biographischen Fakten. Abgedruckt vor Casmann: Turpitudo (s. Anm. 5). Die englische Übersetzung konnte ich nachweisen: Vade mecum. Goe with mee: deare Pietie and rare Charitie, tr. by H[enry] T[ripp]. London: for T. Charde 1606 (Ex. Oxford Bodleian Library: 1c. 251), orig. u.d.T. Vade mecum, cara pietas et rara caritas. Francofurti 1605 (Ex. Oxford Bodleian Library: 8o M 252 Th.). Mit der französischen Übersetzung könnte Casmanns Edition eines Textes JeanBaptiste Bruyerins gemeint sein: Dipnosophia, seu, Sitologia, esculenta et poculenta, quæ cuiuis nationi, homini, sexui [...] idonea vel minus, vsu probata complectens omnia [...] / auctore Ioanne Bruyerino; [...] reuisa duplicique indice locupletata ab Othone Casmanno. [Orig. u.d.T.: De re cibaria libri xxii omnium ciborum genera, omnium gentium moribus]. Francofurti: Palthenianus 1606 (Ex. Oxford Bodleian Library: 8o B 23 Med. / Ex. 7: 8 MED DIAET 210/37). Othonis Casmanni Marinarum quæstionum tractatio philosophica bipartita, Disceptans quaestiones parte priore ad maris naturam pertinentes interiorem: posteriore de motu maris agitatas, praecipue vero de eo, qui dicitur Affluxus et refluxus marinus. Francofurti: Palthenius 1596 (Ex. 7: 8 GEOGR PHYS 2120); Othonis Casmanni Cosmopœia et ουρανογραφια Christiana, seu Commentationum disceptationumque physicarum syndromus. Francofurti 1598 [2 Bde.] (Ex. 7: 8 PHIL III, 2068); vgl. dazu den Beitrag Wilhelm Schmidt-Biggemanns in diesem Band. Othonis Casmanni Biographia, indeque deducta Ethica et Œconomica theosophica. Francofurti 1602 (Ex. Oxford Bodleian Library: 8o C 59(1) Art.), Doctrinæ et vitæ politicæ methodicum ac breve systema, ex variorvm Theologorvm, ivreconsultorvm, Philosophorvm, cum primis vero recentium scriptis, Excerptum [et] adornatum ab Othone Casmanno. Cui adjectæ sunt appendiculæ Aphoristicæ, Ethicæ, [et] Politicæ, Item Princeps Plinianus. Agapetianus [...]. Francofurti 1603 (Ex. 7: 8 POL II, 999). Ottonis Casmanni Anti-Socinus, tractatus ad dijudicandum controversiam theologicam, quæ inter orthodoxos & Socinianos, de corpore doctrinæ Christianæ agitatur. Ed. studio & operâ Joachimi Ursini [Joachim Beringer]. Ambergæ 1612 (Ex. Oxford Bodleian Library: 8o B 121(2) Th.). Zu den theologischen Schriften vgl. die in diesem Beitrag herangezogenen Texte.

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Casmann hat in Stade die philosophischen Fächer und Naturphilosophie unterrichtet. Der Zweck dieser Fächer geht aus einer Frage hervor, die er in der Philosophiae [...] Modesta Assertio stellt: »An Philosophia hominis naturam et perfectionem procuret et instauret.« In der Antwort wird die Philosophie als »Medicina animi« dargestellt: Logische Regeln, Wissen, Naturerkenntnis dienten zur Bewußtmachung des religiös Empfundenen und waren somit auf einen religiösen Zweck hin orientiert.11 Dieser Eindruck der religiösen Fundierung von Gelehrsamkeit wird durch die Ergebnisse der älteren Forschung gestützt, aber er ermöglicht auch eine Einordnung Casmanns in den neueren Forschungszusammenhang. Mahnke beleuchtete zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem den Versuch Casmanns, »naturwissenschaftlich« zu arbeiten, und kritisiert, daß Casmann trotz gegenteiliger Bemühungen in der durch die wiederaufkommende Metaphysik geprägten aristotelischen Philosophie verblieb.12 Im Gegensatz dazu wird Casmann in Jacob Bruckers Philosophiegeschichte vom Ende des 18. Jahrhunderts als ein Vertreter der mosaischen und christlichen Philosophie beschrieben.13 Diese Sekte sei davon ausgegangen, so Brucker, daß die menschliche Vernunft nach dem Sündenfall nicht eigenständig in der Lage sei, die Wahrheit zu erkennen. Die christlichen Philosophen seien deshalb der Heiligen Schrift und den alten christlichen Autoren gefolgt, um auf der einen Seite eine »nova physica sacra« zu erstellen, zum anderen seien ihnen die Lehren der Zehn Gebote ein »moralis doctrinae compendium« gewesen. Brucker beschreibt sie jedoch nicht als eine neue Erscheinung seiner Zeit, sondern zieht Traditionslinien hin zur platonischen Philosophie und zur Kabbala. Er nennt als weitere Vertreter Johann Heinrich Alsted, was z.B. an Titeln wie seiner Physica Mosaica festgemacht werden könne; ebenso den Beza-Nachfolger Lambert Daneau, und auch den Leibarzt des spanischen Königs, Franciscus Valesius, die unter anderem auch Ratke als Vorbilder für seine »christliche Schule« zitiert.14 In einigen Schriften Casmanns wird der Versuch, neues Wissen aus der Bibel zu begründen bzw. abzuleiten, auch deutlich. Wie etwa bei Ratke sind seinen Lehrsätzen Bibelzitate beigegeben, die die Wahrheit der ausgeführten Inhal-

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Otho Casmann: Philosophiæ et Christianæ et Veræ adversus insanos hostivm eius, & nonnullorum Hierophantarum morsus & calumnias Modesta Assertio scripta ab Othone Casmanno [...]. Frankfurt a.M.: Palthenius 1601 (Ex. 1: 1 in: Nl 7204), S. 21–30. Zur Theologie Casmanns beruft sich Mahnke (vgl. Anm. 1) auf Johann-Heinrich Pratje: Kurzgefaßte Religions-Geschichte der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade 1776– 1781. Sie sei zwar lutherisch, enthalte bei der Prädestinationslehre aber auch calvinistische Elemente; vgl. Mahnke (s. Anm. 1), S. 144, 152 u. 167–169. Jacob Brucker: Historia Critica Philosophiae a tempore resvscitarvm in occidente litterarum ad nostra tempora. Tomi IV. Pars I. Lipsiae Apud Bernh. Christoph. Breitkopf 1743, S. 610–641, bes. S. 614f. Ebd., S. 610–613; zu Daneau vgl. Christoph Strohm: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvinschülers Lambertus Danaeus. Berlin u. New York 1996 (= AKG 65); zu Daneau und Valesius auch Kordes (s. Anm. 3), S. 325, Anm. 397; Ratke: Forschungsbibliothek Gotha, Chart. B 827 B.

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te belegen sollen. Casmann habe nun – so Brucker – versucht, angestachelt von den Makeln und Fehlschlüssen der aristotelischen Philosophie, eine neue Art der Philosophie zu begründen, in der die Dekrete der Heiligen Schrift, wie Casmann selber schreibe, mit den Lehren der antiken Heiden übereinstimmten. Casmann habe vor dem »Aristotelicae tyrannidis iugum« gewarnt; gleichzeitig aber habe er die eine »animam mundi« leugnenden Peripatetiker gegen die Platoniker verteidigt.15 Obwohl der Aristotelismus – besonders in seiner durch Averroes tradierten Form – häufig die Zielscheibe der Kritik aus einer christlichen bzw. neuplatonischen Perspektive abgab, läßt sich Casmanns Einordnung in den Rahmen der philosophia christiana halten. Besonders aussagekräftig ist dabei seine Wertung von Gelehrsamkeit als medicina animi und die religiöse Umwidmung von naturphilosophisch beobachtbaren res bzw. des menschlichen Körpers: Die Spiritualisierung zeigt sich etwa in einer christlichen Anatomie, die den spirituellen Menschen dem natürlichen gegenüberstellt. Bei der Darstellung der Atmungsorgane stellt Casmann in diesem Sinne fest, der natürliche Mensch atme Luft, der spirituelle aber das emanierte göttliche Wesen. Erkenntnis und Weisheit Gottes führen in dieser Perspektive zur »augmentatio hominis«.16 Mit der Emanation Gottes und der Partizipation des Menschen an der göttlichen sophia rezipiert Casmann konstitutive Elemente des christlichen Neuplatonismus.17 Die Heilserwartungen, die an die letztendlich aus einem göttlichen Kern entspringende Universalwissenschaft, die oftmals den Kern der neuen Enzyklopädien und Wissenschaftsentwürfe darstellte, gebunden waren, wurden vielfach von eschatologischen Vorstellungen gespiegelt, die als frühneuzeitliches Krisendenken beschrieben worden sind.18 Auch in dieser Hinsicht weist Casmann ein verbreitetes Denkmuster auf: Die Notwendigkeit von Gelehrsamkeit als medicina animi wie auch einer weitergehenden Sittenreform wird aus zeitgenössischen Verfallserscheinungen heraus begründet. Im Mundus Immundus aus dem Jahre 1606 spricht er von der »Mundi immundi Vanitas ac peruer-

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Brucker: Historia Critica (s. Anm. 13), S. 615. Otho Casmann: Hominis Spiritualis Anatomia et Meditatio ex sacrae Scripturae Fontibvs et piorum tam recentium quam veterum obseruatione deducta. Et Methodice practiceque delineata ab Othone Casmanno [...]. Frankfurt a.M.: Palthenius 1605 (Ex. 39: Theol. 8o 666/2 (1)), S. 408: »Avgmentatio hominis spiritualis sequitur, quæ est vitæ spiritualis in homine conseruatio, quæ DEI cognitio & sapientia, sanctitas & iustitia in homine, vi Spiritus Dei, in Christo facta quotidiana accessione, ex spirituali nutrimento assumto, & assimilato, secundum omnium partium dimensiones omnes, ad maiorem, & iustam quandam quantitatem, in augmentum DEI, hic extendi, & deduci incipit.« Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis (s. Anm. 3); Dorothy Koenigsberger: Renaissance Man and Creative Thinking. A History of Concepts of Harmony 1400–1700. Hassocks 1979 (= Harvester Studies in Philosophy 9); Kordes: Wolfgang Ratke (s. Anm. 3), S. 296–321. Vgl. die Beiträge in: Monika Hagenmaier und Sabine Holtz (Hg.): Krisenbewußtsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Hans-Christoph Rublack. Frankfurt a.M. 1992; mit Bezug auf enzyklopädische Ansätze der Zeit: Wilhelm SchmidtBiggemann: Enzyklopädie, Eschatologie und Ökumene. Die theologische Bedeutung von enzyklopädischem Wissen bei Comenius, in: Frühneuzeit-Info 3 (1992), S. 19–28.

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sitas«, die sich auf dem Gebiet der Gelehrsamkeit und der Religion in der »crassa & svpina ignorantia veritatis« zeige, die von den »Mundani Theologi, & Sacerdotes carnales« verbreitet werde.19 »Vana est sapientia Mundi und luxuriat Mundus«.20 Dem verdorbenen Weltwissen also will Casmann seine christliche Philosophie gegenüberstellen: Christianus philosophus Christianorum sapientiam tam rerum humanarum, quam diuinarum, potius stabilit, quam paganismos & atheismos ethnicorum etiam maximi nominis: gloriam Dei & autoritatem verbi Dei potius, quam gloriam & autoritatem Aristotelis vel Platonis, &c. [...] nouit hanc vanam mundi sapientiam ac paganam philosophiam esse stultitiam & abominationem coram Deo. 1.Cor.2.Colos.2.1.Timot.6.21

Wissenschaftstheoretisch war Casmann wie viele reformierte Gelehrte und die meisten Anhänger der philosophia christiana Ramist. Das zeigt sich in seiner Christianæ Philosophiæ Grammatica, die wie bei Ramus und im Unterschied zu der gängigen Vierteilung zwei Teile hat, Etymologie und Syntax, wie auch in der Christiana Logica in der Fassung des iudicium als Disposition.22 Casmann variiert die Methodendefinition aus Ramus’ 1572er Dialektik nur wenig: [Dialectica] Methodicum vero discursum dirigit, dum cogitationes nostræ mentis ita mouet ab vna doctrinæ siue tractationis alicuius sententia & parte, ad alteram progrediendo, vt quælibet sententia & pars pro naturæ suæ claritate præponatur, vel obscuritate postponatur, adeoque iudicetur rerum & sententiarum inter se cohærentia & conuenientia ad faciliorem doctrinæ tum traditionem, tum traditæ perceptionem, tum etiam perceptæ memoriam.23

Der Grund für die Attraktivität des Ramismus ist dabei nicht nur in der vermuteten pädagogischen Eingängigkeit der zahlreichen Tabellen zu suchen, sondern darin, daß das Gefundene nur disponiert, nicht aber beurteilt wurde. Das bedeutete, daß biblische Wahrheiten als solche verstanden und nicht weiter hinterfragt wurden: Die Philosophie hatte keinen Zugriff auf Religion und Theologie. Diese Frage des Verhältnisses von Glauben und Vernunft hatte an der Universität

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Otho Casmann: Mvndvs immvndvs, Vt eius Vanitas cognoscatur, Malitia deuitetur, Contemtvs contemnatur, describitur Ex piorum et doctorum scriptis, vsv et experientia Ab Othone Casmanno [...]. Frankfurt a.M.: Palthenius 1606 (Ex. 39: Theol. 8o 629/4 (2)), S. 435–437. Ebd., S. 118 u. 305. Casmann: Modesta Assertio (s. Anm. 9), S. 327. Ebd., S. 125–127 u. 129–135. Ebd., S. 133; Petrus Ramus: Dialecticae libri duo. Paris: Wechel 1572, S. 87 hatte geschrieben: »Methodus est dianoia variorum axiomatum homogeneorum pro naturae suae claritate praepositorum, unde omnium inter se convenientia judicatur memoriaque comprehenditur.« Bereits 1599 hatte Casmann eine Synopse der ramistischen und melanchthonischen Dialektik vorgelegt, in der er die Kennzeichen der ramistischen Dialektik eingehend beschrieb, vgl. Otho Casmann: Logicae Rameae & Melanchthonianae Collatio et Exegesis ab Othone Casmanno Helmstadii Privatim aliqvando dictata; jam verò agnita, recognita, emaculata, & alicubi aucta. Seorsum, accesserunt, eodem avthore Ex Logicis Præceptis Practice Observationes, Consilia & Leges [...]. Hanau: Wilhelm Antonius Erben 1599 (Ex. 1: 4 in: Nl 3546), S. 218–223 zu iudicium und Disposition, S. 234–239 zu den drei Methodengesetzen. Zu Ramismus und Dekonstruktivismus vgl. Steffen Siegel: Wissen, das auf Bäumen wächst, in: Frühneuzeit-Info 15,1 (2004), S. 42–55.

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Helmstedt zu einem bitteren Streit zwischen den Hoffmannianern, die die Unvereinbarkeit beider behaupteten, und den Vertretern der aristotelischen Philosophie geführt, welche die Philosophie als ancilla theologiae akzeptierten.24 Während Casmann in diesem Streit sich nicht auf die Seite der »frommen« Theologen schlug, bleibt doch zu untersuchen, welchen Einfluß Frömmigkeit bzw. philosophia christiana und die Rezeption des Ramismus als wissenschaftstheoretische Grundlage seines Werkes auf seine Anthropologie hatten. Wirklich neu ist an Casmanns Anthropologie wenig,25 wenn er auch mit Anthropologia und Psychologia recht neue Begriffe wählt, die seine Schrift äußerlich von der Tradition der de anima-Kommentare abgrenzt. Wie bei Casmann findet sich jedoch auch bei den Autoren der aus der Antike fortgeführten Tradition eine Lehre vom Menschen, die eine Psychologie immer implizierte. Sein Lehrer Rudolf Goclenius hatte bereits 1590 einen Sammelband mit Textausschnitten verschiedener neuerer Autoren zur Ψυχολογια vorgelegt. Vor dem ersten Band der Anthropologie findet sich eine Vorrede von ihm.26 Casmanns Anthropologie gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste die Psychologie, oder auch die Animae humanae doctrina enthält, der zweite ist eine Physiologie.27 Beiden Teilen ist jeweils eine Widmungsepistel Casmanns vorangestellt, der Psychologie ein auf Januar 1594 datierter Widmungsbrief an Arnold von Bentheim, den Herren und Gründer des Steinfurter gymnasium illustre,28 der Physiologie eine Epistola Nuncupatoria an die Ratsherren von Stade, die Casmann bereits als Rektor des dortigen Gymnasiums schreibt. Das Buch muß jedoch noch in Steinfurt entstanden sein, denn datiert ist es auf Dezember 1594.29 Die Psychologia Hominis war als Schulbuch für das Steinfurter gymnasium illustre vorgesehen, die Physiologie für das Stader Gymnasium.

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Vgl. dazu Kordes: Ratke (s. Anm. 3), S. 330–333; Wilhelm Schmidt-Biggemann: Apokalyptische Universalwissenschaft: Johann Heinrich Alsteds »Diatribe de mille annis apocalypticis«, in: Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus. Band 14: Chiliasmus in Deutschland und England im 17. Jahrhundert. Göttingen 1988, S. 50–71, bes. S. 52f.; sowie direkt auf die Problematik bezogen Markus Friedrich: Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und Gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hoffmannstreits und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600. Göttingen 2004 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 69). In der Frühen Neuzeit gab es bereits eine Anthropologie, und bekannt war das Wort selbst natürlich auch aus der Theologie. Als ältere Schrift, die das Wort auch in lateinischen Lettern im Titel führt, wäre zu nennen: Anthropologia, id est, Disputatio de homine, in qua principia et affectiones illius, succincte quidem, sed perspicum certis thesibus comprehenduntur & explicantur / proposita [...] à Iohanne Tryllero. Leipzig 1592. Casmann nennt diese Schrift jedoch nicht. Ψυχολογια: hoc est, De hominis, perfectione, animo et in primis ortu huius [...] recensente Rodolpho Goclenio. Marburg: Paul Egenolph 1590 (Ex. 55: 344a); 1597 gab es eine erweiterte Auflage, auch diese ohne Texte Casmanns (Ex. 55: 344). Vorreden: Psychologia (s. Anm. 2), fol. a6r-a8r. Im zweiten Band antwortet Casmann darauf: Somatotomia (s. Anm. 2), fol. )(8 r-)()(1v. Vgl. Anm. 2. Casmann: Psychologia (s. Anm. 2; im folgenden Psychologia), fol. a2r-a5v. Casmann: Anthropologiae pars secunda (s. Anm. 2; im folgenden Somatotomia), fol. )(7v.

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In der Vorrede zur Psychologie, die durchgängig in einer sehr bildreichen Sprache gehalten ist, vergleicht Casmann die Seele mit einer Partikel der göttlichen Aura, sie ist für ihn aber gleichfalls ein Analogon zum Fürsten, der den Teilen seines corpus politicum ebenso vorstehe wie die Seele den einzelnen Teilen des Körpers. Es sei eine der Funktionen der Schule wie auch der Seele, gegen den Satan zu schützen und den Fortbestand der Republik zu sichern.30 Im abgedruckten Brief Goclenius’ wird die Psychologie dann mit dem Nutzen legitimiert, den sie für andere Disziplinen, die Theologie, die Jurisprudenz und die Medizin, habe.31 Während Casmann zu Beginn seiner Schrift die Anthropologie als »doctrina humanae naturae« definiert, gilt ihm die Psychologie als »prior pars Anthropologiae, quae docet naturam humani spiritus seu animae logicae per eiusdem facultates«.32 Ausgehend von der Genesis und im Einklang mit dem Neuplatonismus beschreibt er den Menschen als Mikrokosmos, dessen Natur aus einer spirituellen und einer körperlichen bestehe, die an einer Essenz teilhaben. Geist bzw. anima logica und der organische Körper sind dabei hypostatice vereint. Der aus der Erde geformte Körper wurde von Gott durch das Einblasen des Geistes »ad imaginem et similitudinem Dei« beseelt bzw. belebt.33 In dieser Weise bindet Casmann seine Seelenlehre in einen christlichen Rahmen ein und legitimiert seinen Untersuchungsgegenstand als zentral für das christliche Weltbild. Die 429 Seiten der Psychologia verteilen sich auf dreißig Kapitel, von denen jedes aus einer Reihe von Lehrsätzen in unterschiedlichem Umfang besteht, sowie aus Diskussionen der Fragen und Probleme, die sich für Casmann aus der Lektüre der klassischen und neueren Autoren ergeben haben. In den Kommentaren werden dabei sowohl die Sichtweisen Casmanns wie auch Versatzstücke aus der von ihm benutzten Literatur vorgestellt. Inhaltlich lassen sich verschiedene Gruppen einteilen. Zunächst gibt es einen allgemeinen Teil, in dem die menschliche Natur, die Seele des Menschen und die facultates universales, nämlich Leben, Alter und Tod des Menschen, behandelt werden. Daran anschließend werden der Intellekt, der Wille und das Sprachvermögen abgehandelt. Von der Seele abhängige Körperfunktionen, die der facultas vitalis zugeordnet werden, bilden den nächsten Block. Dazu gehören Fortpflanzung, Empfängnis und Geburt ebenso wie Ernährung, Verdauung und Wachstum sowie dazugehörige facultates ministrantes. Sensus und motus werden daran anschließend als facultates animales behandelt. In diesen Bereich gehören die Kapitel über die fünf Sinne, über die Atmung, Blutkreislauf und den appetitus, als eine die Seele bewegende Kraft und zwar in Richtung auf die von den Sinnen erkannten Objekte. Abgeschlossen wird das erste Buch durch zwei Kapitel

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Casmann: Psychologia, fol. a3 r-v. Ebd., fol. a7v-a8r. Ebd., S. 1 u. 22. Ebd., S. 1f.

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über die Bewegung, locomotiva bzw. totius corporis motio, sowie über Schlaf und Schlaflosigkeit. Im eigentlichen Text wird zwar, wo es sich anbietet, aus christlicher Perspektive heraus argumentiert, die behandelten Inhalte jedoch decken das gängige Spektrum der vorhandenen Seelenlehren ab, wobei Casmann deutlich um Vollständigkeit bemüht ist.34 Ein Beispiel für die behandelten Probleme ist etwa die Frage, ob die ratio dem Menschen allein zukomme, oder allen Lebewesen. Mens und intelligentia seien jedoch denjenigen vorbehalten, die ad imaginem und similitudinem Dei geschaffen worden seien. Dieser Meinung schließt auch Casmann sich an, wenngleich die Argumente der Gegenpartei, u.a. Valesius’, detailliert aufgeführt werden. Für letzteren etwa unterscheidet sich der Mensch vom Tier durch die Fähigkeit zur wahren Weisheit, die – mit der Tugend verbunden – zu Gottesfürchtigkeit führe. Diesem Argument wiederum begegnet Casmann mit der Aussage, daß Weisheit und Fleiß (disciplina) dem Menschen nicht unmittelbar durch Gott eingegeben worden seien, sondern nur vermittelt durch die ratio.35 Neben der Einschätzung, Casmann sei ein christlicher Philosoph gewesen, wird somit noch ein zweiter charakteristischer Zug in seiner Schrift deutlich, nämlich das Verhaftetsein im Begriffssystem der Metaphysik bzw. im von der Dialektik geprägten Diskurs der Zeit und ein »scholastisch« anmutendes Zergliedern von Begriffen und ihren Definitionen. Aus der Tatsache, daß die menschliche Natur aus zwei Teilen besteht, folgt für Casmann, daß auch die Anthropologie zwei Teile haben muß: die Psychologie (zur Seele) und die Somatotomia (zum Körper).36 Die Somatotomia wird definiert als »pars altera Anthropologiae, humani corporis naturam membratim explicans«.37 In diesem Sinne werden 158 Quaestiones und Disputationes auf 896 Seiten erläutert, indem die Lehren antiker und neuer Mediziner und Philosophen dargestellt werden, wobei Casmann das Urteil über die Richtigkeit seinen Lesern überlassen will. Für viele der einzelnen Fragen bedeutet das, daß die Ausführungen anderer Autoren oft nur paraphrasierend wiedergegeben werden oder auch nur übernommen werden. Eigene Beobachtungen finden sich nur selten. Beispielhaft können zwei Kapitelüberschriften genannt werden, etwa Nr. 143 De sensorio olfactus sententia Mongii, & Costaei, die dann referiert werden, oder Nr. 136 An color sit proprium visus sensile, an vero lux. Telesius

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Hier muß eine Beschränkung auf die wichtigsten Punkte vorgenommen werden, obwohl nicht nur die Kernprobleme der gesamten de anima-Tradition aspekt- und kenntnisreich besprochen werden. Sachlich wichtige Themen müssen hier ausgespart werden. Psychologia, S. 5–21. Dabei handelt es sich um einen der genannten »gängigen« Inhalte der Seelenlehre, wie sie in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit behandelt wurden, z.B, in Dominicus Gundissalinus’ Avicenna-Übersetzung: Avicenna Latinus. Liber de Anima seu Sextus de Naturalibus. Edition critique de la traduction latine médiévale par Simone van Riet, introduction sur la doctrine psychologique d’Avicenne par G. Verbeke. 2 Bde. Louvain u. Leiden 1968/1972, Bd. 2, Buch I, Kapitel 4; oder Philipp Melanchthon: Liber de Anima, in: Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia. Edidit Carolus Gottlieb Bretschneider. Halis Saxonum 1846 (= Corpus Reformatorum 13), Sp. 9–12. Somatotomia, S. 22. Ebd., S. 1.

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aduersus Aristoteles.38 Kennzeichnend für den Stil der Darstellung ist wiederum die Auseinandersetzung mit Begriffen und der Angemessenheit von Argumentationen. Während also der Großteil der von Casmann dargestellten Inhalte von seiner philosophischen Ausrichtung, der philosophia christiana, unberührt bleibt, muß untersucht werden, ob sie nicht zur Rezeption bestimmter Autoren, etwa Marsilio Ficino oder Paracelsus, geführt hat. Zwar werden in der Psychologie auch viele neuere Autoren aus der Philosophie und Medizin herangezogen, doch sind Galen und Hippokrates in der Somatotomie die mit weitem Abstand am häufigsten zitierten Autoritäten. In der Psychologie ist es Aristoteles, wenn auch nicht mit der gleichen Eindeutigkeit. Sicherlich ist es schwierig, aus der Häufigkeit von Nennungen Ergebnisse zu erzielen, darum soll auf eine Auszählung auch verzichtet werden. Doch werden in der Psychologie auch Julius Caesar Scaliger, Jacobus Zabarella – als Aristoteliker – und Franciscus Valesius als christlicher Philosoph genannt; den beiden ersteren wird häufig zugestimmt, letzterer wird oft korrigiert.39 Cardano wird nur wenig Zustimmung entgegengebracht, berichtigend werden die entsprechenden Passagen aus Scaligers Exercitationes zitiert. Patritius und Telesius werden genannt;40 sehr selten jedoch die Anhänger der von Brucker so genannten christlichen oder mosaischen Philosophie bzw. Anhänger des Neuplatonismus. Paracelsus wird namentlich überhaupt nicht erwähnt, zweimal jedoch ein berühmter Philosoph, der auch Arzt gewesen sei und einen großen Namen gehabt habe. Melanchthon, der mit seinem Liber de anima die Wiederaufnahme der Tradition begonnen hatte, und auch Casmanns Lehrer Goclenius werden selten und nicht immer zustimmend besprochen. Was also von Casmann innerhalb des von ihm aufgespannten christlichen Rahmens untersucht und dargelegt wird, orientiert sich an den res, nicht an Schulmeinungen oder Personen, religiöse Bezüge werden selten hergestellt. Sachlich und ohne sektiererische Untertöne wird eine Art Empirie betrieben; das Material wird eher disponiert denn beurteilt. Wie die res denn zu erkennen seien, war eines der zentralen Probleme, die sich den Enzyklopädisten des frühen 17. Jahrhunderts stellten. Die Problematik führte nicht nur zur Integration entsprechender Disziplinen in die Enzyklopädien, auch die Struktur der Enzyklopädie wurde in einigen Fällen von psycholo-

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Ebd., S. 767–772 u. 720–747. Zu Scaliger und Cardano vgl. die Beiträge in: Girolamo Cardano: Philosoph, Naturforscher, Arzt. Vorträge gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 8. bis 12. Oktober 1989 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Hg. von Eckhard Keßler. Wiesbaden 1994 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Renaissanceforschung 15) sowie den Beitrag von Ulrich Leinsle in diesem Band; zu Giacomo Zabarella (1532–1589), Professor für Logik und aristotelische Philosophie in Padua vgl. Schmidt-Biggemann: Topica Universalis (s. Anm. 3), S. 70–81, sowie Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. 2 Bände. Darmstadt 1971 (Repr. d. Ausg. New Haven 31922), Bd. 1, S. 136–144. Zum Verhältnis von Telesio und Casmann vgl. kurz Leen Spruit: Telesio’s psychology and the Northumberland Circle. Durham o.J. (= The Durham Thomas Harriott Seminar Occasional Paper 25).

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gisch motivierten Bereichsmethoden determiniert. Das gilt für Alsted, der in den Praecognita seiner großen Enzyklopädie von 1630 diese Methoden festlegte, das gilt ebenso für Wolfgang Ratke, dessen Enzyklopädie in dieser Weise segmentiert wurde. Während bei Alsted die Disziplin Hexilogia die Funktion hatte, die Methode für einen bestimmten Bereich der Enzyklopädie festzulegen, übernahm Ratke die sich auch bei Alsted findenden fünf habitus für die Gliederung seiner Enzyklopädien.41 Der Begriff habitus, wie er hier gebraucht wird, geht dabei zurück auf Giacomo Zabarella, der ihn in seinen Schriften zur Logik unter Rückgriff auf Aristoteles entwickelt hatte.42 Aristoteles hatte sie im sechsten Buch der Nikomachischen Ethik als ἐπιστήμη ( scientia ), φρó νησις (prudentia), σοφία (sapientia), τέχνη (ars) und νο ῦς oder ἐπιστημης ἀ ρή (intellectus) gefaßt.43 Bei Ratke hatte dieser Prozeß zur Konstituierung zweier psychologischer Disziplinen geführt, die im beschriebenen Sinne als habitus intellectuales gefaßt wurden, die den anderen Disziplinen durch die Bereitstellung von Erkenntnis- bzw. Darstellungsregeln wie etwa in der Logik dienten.44 Bei Casmann jedoch wurde die Erkenntnislehre nicht ausgegliedert, sondern findet sich in seiner Anthropologie hauptsächlich in der Psychologie bei den Ausführungen zur facultas logica sowie zur facultas animalis: Logica animae facultas est, quae maximé hominem a bruto discriminat [...] Logica itaque animae facultas est rationis vel orationis. Ratio hoc loco est vis animae quâ intelligimus et volumus. Logica igitur rationis, facultas est intellectus et voluntas.45

In der Somatotomie finden sich einige verstreute Bemerkungen zur Sinneserkenntnis, die sich von denen in der Psychologie jedoch kaum unterscheiden. Während die Bedeutung der hier angerissenen Problematik deutlich geworden sein sollte, stellt sich doch die Frage, wie Casmann den Erkenntnisprozeß beschreibt, aus welchen wissenschaftstheoretischen Ansätzen er gespeist ist, und welche Probleme er hinsichtlich der Anwendung der Theorie auf eine Disziplin aufwirft.

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Vgl. Kordes: Ratke (s. Anm. 3), S. 244f. (Alsted) u. 275–296 (Ratke); Johannes-Henricus Alsted: Hexilogia, in: ders.: Encyclopaedia septem tomis distincta. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Herborn 1630 mit einem Vorwort von Wilhelm Schmidt-Biggemann und einer Bibliographie von Jörg Jungmayer. 4 Bände. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, Bd. 1, S. 51– 58. Vgl. Schmidt-Biggemann: Topica Universalis (s. Anm. 3), S. 70–81. Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt u. kommentiert v. Franz Dirlmeier. Darmstadt 1979 (Lizenzausgabe der Ausg. Berlin 1956: = Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 6), S. 124, 125, 126 u. 128. Wolfgang Ratke: Die Verstehungslehrartlehr [Epistemonica], in: Allunterweisung. Schriften zur Bildungs-, Wissenschafts- und Gesellschaftsreform. Hg. von Gerd Hohendorf und Franz Hofmann. Bearbeitet von Christa Breschke. 2 Tll. Berlin 1970/71 (= Monumenta Paedagogica 8/9). Tl. 1, S. 363–478, und ders.: Die Erkenntnislehr der christlichen Schule, welche in der wahren Glaubens, Natur- und Sprachenharmonie aus heiliger göttlicher Schrift, der Natur und Sprachen anzustellen, zu bestätigen und zu erhalten Zu der Lehrart Ratichii Cranichfeld M DC XXXII, ebd., S. 145–173. Psychologia, S. 88f.

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Der Mensch erkennt laut Casmann mit der facultas logica. Sie ist der animalischen durch Würde überlegen und unterscheidet den Menschen vom Tier mittels des logos, d.h. durch den Verstand und die Sprache.46 Darum stehen Casmanns Ausführungen zur verstandesmäßigen Erkenntnis vor denen zur Sinneserkenntnis. Zur Darstellung seiner Theorie müssen seine Ausführungen jedoch umgedreht werden. Bereits in den Passagen zur intellektuellen Erkenntnis wird allerdings der enge Zusammenhang zwischen logischer und sinnlicher Erkenntnis deutlich. Bei der Diskussion des bekannten Problems, ob der Intellekt nur Universalia und die Sinne nur Singularia erkennen, wird bereits die Phantasie als einer der erkennenden Sinne genannt, die Wahrnehmungen an den Intellekt weitergeben.47 Der Sinn zählt für Casmann zu den animalischen Fakultäten.48 Er nimmt das sensile wahr, das in verschiedene Arten zerfällt. Damit eine Sinneswahrnehmung, oder: »speciei delatae in sensum impreßio«, stattfinden kann, sind drei Schritte notwendig: Das Fühlbare als causa movens sensum, ein empfangendes bzw. leidendes Organ, auf das das Erkenntnisobjekt, das sensile, einwirkt, sowie die affectio bzw. alteratio, die im Organ auf Veranlassung der res sensilis vor sich geht. Im Organ werden dann entweder voluptas oder dolor hervorgerufen. Die species wird hierbei selbstverständlich nicht im logischen Sinne gebraucht, sondern als »idolon, simulachrum, & imago rei sensilis« definiert.49 Hinsichtlich der Rolle der species im Wahrnehmungsprozeß diskutiert Casmann beispielsweise drei Lehrauffassungen: Erstens diejenige der Anhänger Galens und vieler Platoniker, die eine direkte Einwirkung des Objekts, »sine specie interveniente« postulieren, zweitens diejenige vieler Scholastiker, die eine Vermittlung des Objektes über seine species vermittels der äußeren Sinne lehren, sowie drittens schließlich die Auffassung der Aristoteliker, die die Wahrnehmung via species durch äußere und innere Sinne behaupten.50 Die inneren Sinne verortet Casmann im Gehirn, sie haben kein äußerliches Instrument. Ihre Objekte sind die Bilder auch abwesender und vergangener res, die der sensus communis von den äußeren Sinnen empfängt. Der zweite von Casmann genannte innere Sinn ist die Phantasie.51

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Psychologia, S. 88f.: »Logica animae facultas est, quae maximé hominem a bruto discriminat. Discriminat autem λογω, cúm rationis, túm orationis, seu sermonis.« Ebd., S. 101f. Ebd., S. 287. Sinne und Sinneserkenntnis werden auch im zweiten Band, der Somatotomia, abgehandelt, vgl. S. 657–781. Ebd., S. 287–289: »Sensile est, quod sensu percipitur [...]. Sensio igitur est sensilis, seu speciei delatae in sensum impreßio. Ut autem sensio fiat cum facultate, tria concurrunt. 1, Sensile, ceu causa movens sensum: nisi enim sit objectum movens, adjunctum sensorium moveri non potest. 2, Organum recipiens, seu patiens, in quod subjectum movens agit. 3, Affectio (vocant alterationem) quae fit in organo á facultate rem sensilem in illud agentem apprehendente [...]. Sensionem comitatur voluptas, vel dolor sensitivus«, und ebd., S. 296 (idolon). Ebd., S. 293–301. Psychologia, S. 359f.: »Objecta interiorum sensuum sunt non modó rerum corám oblatarum & praesentium, sed etiam absentium & praeteritarum imagines. [...] Sensus cognitionis

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Der sensus communis spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte der Erkenntnistheorie. Er war – wie bei Casmann – wichtig für die Vermittlung und Umformung der Sinneseindrücke an die Phantasie und das Gedächtnis, welche den Menschen in die Lage versetzten, nicht nur vergangene Handlungen in das Bewußtsein zurückzuholen, sondern auch zukünftige Handlungen zu imaginieren. Durch die Rezeption der Lehre vom sensus communis läßt sich Casmann denn auch in die von Galen ausgehende und von Avicenna vermittelte Tradition einordnen. Melanchton nennt ihn bei der Behandlung der inneren Sinne: »Nos Galenum sequimur, qui tres sensus interiores recenset: Sensum communem, cogitationem seu compositionem, et memoriam [...] Sensus communis apprehendit imagines oblatas a sensibus exterioribus, et discernit obiecta singulorum sensuum.«52 Die den Menschen von den Tieren unterscheidende potentia rationalis bzw. mens gliedert sich bei Melanchthon in voluntas und ratio, der von den inneren Sinnen Objekte angeboten werden. Mit seinen Objekten, d.h. den vermittelten Sinneseindrücken, Zahlen, Prinzipien und noticiae innatae, führt der Intellekt die Operationen »Simplicium cognitio. Numeratio. Compositio et divisio. Ratiocinatio. Memoria, et Iudicium« durch. In Melanchthons Modell erscheint das iudicium als die abschließende Handlung des Intellekts. 53 Er bespricht aber auch die von Aristoteles ausgehende Unterscheidung von intellectus agens, der accepit obiecta, componit, dividit, ratiociatur, iudicat, und intellectus patiens. Seine Funktion »est postea inventa intelligere, agnoscere, et tanquam dictata accipere.« Melanchthon übernimmt diese Unterscheidung nicht, erwähnt aber die Lehre Averroes’ über den intellectus agens, die sich von der Aristoteles’ sehr unterscheide, aber bei richtigem Verständnis nicht absurd sei.54 Die Auseinandersetzung mit den Lehren Averroes’ spielte im oben erwähnten Helmstedter Streit eine wichtige Rolle; Averroes war für die meisten christlichen Autoren inakzeptabel.55 Auch bei Avicenna wird der sensus communis als ein innerer Sinn beschrieben, an den die von den äußeren Sinnen wahrgenommen Eindrücke weitergegeben werden: [...] nam sensus communis est virtus cui redduntur omnia sensata [...]. Et haec virtus est quae vocatur sensus communis, quae est centrum omnium sensuum et a qua derivantur rami et cui reddunt sensus, et ipsa est vere quae sentit.56

Virtus imaginativa und imaginatio behalten bei Avicenna das Wahrgenommene, welches als nicht fühlbare intentio von der aestimatio beurteilt wird: »Videtur autem quod virtus aestimativa sit virtus cogitativa et imaginativa et memorialis,

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interiores, sunt Sensus communis & phantasia, seu vis imaginatrix. Sensus communis est sensus cognitionis interior, omnes sensuum exteriorum actiones percipiens, & imagines ab illis perceptas, per nervos sensuum apprehendens, & á se invicem discernens.« Melanchthon: Liber de Anima (s. Anm. 35), Sp. 121. Psychologia, Sp. 139 u. 142–144. Ebd., Sp. 147–149. Vgl. Friedrich Niewöhner und Loris Sturlese (Hg.): Averroismus im Mittelalter und in der Renaissance. Zürich 1994. Avicenna: Liber de Anima (s. Anm. 35), Bd. 2, Buch III, Kapitel 1 (= S. 1 u. 5).

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et quod ipsa est diiudicans.«57 Zwischen äußeren Sinnen, sensus communis, und Intellekt gibt es bei Avicenna also noch eine Phantasie.58 Casmanns Theorie erinnert somit vornehmlich an die von Aristoteles und Avicenna geprägte Tradition. Die species der res sensiles werden von den äußeren Sinnen über die inneren Sinne an den Intellekt vermittelt. Objekt dieser inneren Sinne sind nicht nur vergangene und gegenwärtige Dinge sondern auch die Bilder abwesender und vergangener Dinge. Der sensus communis nimmt die von den fünf äußeren Sinne wahrgenommenen Bilder über die Nerven auf und unterscheidet sie dann. Sensus communis heißt er deshalb, weil er das Zentrum und der Endpunkt aller äußeren Sinne ist. Das sensile, also das Objekt, ist für ihn die species der Dinge. Die Phantasie schließlich behält, sammelt und untersucht die imagines des sensus communis um sie einzuschätzen und drückt ihre species in den Intellekt ein.59 Der Intellekt ist für Casmann neben der voluntas einer von zwei Teilen der ratio. Er erkennt auf der einen Seite die species intelligibiles (recta actio) aber auch sich selbst (reflexa actio). Der intellectus simplex erkennt einzelne noemata und notiones. Vermittels des intellectus compositus setzt der Geist die wahrgenommenen Notionen zusammen, disponiert sie und beurteilt die Disposition.60 Der intellectus compositus wird dabei auf zweierlei Weise aktiv: Mit einer vis noetica wird beurteilt, ob das Wahrgenommene wahr oder falsch ist. Mit der vis dianoetica wird das Wahrgenommene disponiert, und zwar in einem diskursiven bzw. verstandesmäßigen Verfahren.61 Die ratiocinatio beurteilt dabei die Konsequenz bzw. Inkonsequenz des Diskurses, mit dem aus dem Notwendigen geschlossen wird. Die Ordinatio schließlich umfaßt die Sammlung und ordentliche Redigierung: Ratiocinatio est mentis discursus ex trium νοηματων compositione per necessariam consequentiam inferens. Hac itaque judicatur discursus consequentia & inconsequentia. Ordina-

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Ebd., S. 5–11, bes. S. 11. Die Problematik wird noch an anderen Stellen des Werkes aufgegriffen. Der Begriff phantasia taucht in einigen Manuskripten auf und kann sowohl die imaginativa als auch den sensus communis ersetzen; hier bezieht er sich auf imaginativa; vgl. ebd., S. 5f., kritischer Apparat. Psychologia, S. 371: »Phantasia, seu vis phantastica & imaginatrix, est sensus alter cognitionis internus, rerum imagines â sensu communi oblatas vel á se formatas diutius retinens, dispersas colligens, & diligentius examinans ad aestimandum de iis, & intellectui ab illis species imprimendum.« Ebd., S. 88–90. Ebd., S. 109f.: »Compositus intellectus [...] est νοηματων conjunctorum, seu vulgo, complexorum, quâ mens notiones apprehensas componit, & judicat. Hoc itaque intellectu noemata disquisita inventa & apprehensa componuntur, seu disponuntur, & composita vi judicatrice judicantur [...]. Haec mentis vis composita, est Noëtica vel Dianoëtica. Noëtica, cum simpliciter, sine discursu mens notiones duas disponit, componendo vel dividendo. Hac vi judicatur noëmatum dispositorum veritas & falsitas. Dianoetica [...] per discursum plura noemata disponit: unde discursus mentis dirigi solet. Hac vi judicat mens factam per discursum deductionem.«

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tio est discursus mentis, quo mens per plures é noematis compositas sententias discurrens, eas sibi cognatas pro naturae suae luce & claritate collocat, & in ordinem redigit.62

Die Rolle des iudicium wird darauf beschränkt, ordo bzw. confusio des Ergebnisses zu beurteilen. Was dem Erkenntnisprozeß im Gegensatz zur Tradition hier aber hinzugefügt wird, ist die Disposition der ramistischen Dialektik.63 Während dort das iudicium umgewidmet wird, ist es bei Casmann zwar vorhanden, aber entschärft. Ein Problem dieser Hinzufügung ist die Einbeziehung der Darstellung in den Erkenntnisprozeß. Dabei wird der Ramismus entgegen seiner eigentlichen Intention, der säuberlichen Trennung von Nichtzusammengehörendem, übertrieben. Zudem betrifft das Urteil nur die Stringenz dieser Darstellung, das Erkannte wird nicht inhaltlich beurteilt sondern nur seine Präsentation: Der ontologische Rahmen der beobachteten res entzieht sich der Beurteilung. Es wird »Empirie« in einem frommen Rahmen geboten, ohne von ihm maßgeblich beeinflußt zu werden. Während dieser Sachverhalt wie oben dargelegt den Intentionen eines christlichen Philosophen entsprochen haben mag, ergeben sich jedoch weitere wissenschaftstheoretische Probleme. Indem Casmann die Seelenlehre in den Bereich der Ordnung von Gewußtem vordringen lässt, greift sie auch über in das Sachgebiet von Logik bzw. Dialektik, und daher stammt schließlich die ramistische Disposition. Casmanns Psychologia übernimmt die Aufgaben, die in der Dialektik der habitus intellectualis etwa bei Alsted und Ratke haben sollte. Zabarella, der die Theorie der habitus eingeführt hatte und dessen Anschauungen sich in diesem Fall offenbar durchsetzten, löste das Problem einige Jahre vor Casmann, indem er Erkenntnis und Ordnung zwei unterschiedlichen Disziplinen zuweist. Unter Berufung auf seinen Lehrer Antonius Genua, der die Meinungen Thomas’ und Scotus’ vereint habe, postuliert er einen zweifachen ordo, quo mens intelligit. Der ordo arbitrarius betrifft die Ordnung der Lehre und wird vom Logiker über die habitus hergestellt, der ordo naturalis & necessarius betrifft die Erkenntnis und fällt in das Fachgebiet des naturalis philosophus. So ergibt sich eine »cognitio actualis« als »prima [...] rei apprehensio ex phantasmate, intellectui oblato« im Bereich der Seelenlehre und eine »cognitio habitualis« als »aptitudo & propensio tum rerum cognoscibilium, vt ordine quodam ab intellectu recipiantur, tum ipsius intellectus ad eas ordinatim recipiendas.«64 Gegen Zabarella argumentiert Casmann, wenn er behauptet, »scientia, sapientia, prudentia, ars &c.« seien nichts anderes als die dem Intellekt eingedrückten »species«, die dem Intellekt bei der Erkenntnis helfen. 65 Dementsprechend gibt es bei Casmann nur einen ordo der Erkenntnis und auch nur eine

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Psychologia, S. 110–111. Vgl. Anm. 23. Jacobus Zabarella: De ordine intelligendi liber ultimus, in: ders.: De Rebus Naturalibus in Aristotelis Libros de Anima. Frankfurt a.M. 1606/07 (ND Frankfurt a.M. 1966), Sp. 1054– 1057. Psychologia, S. 101f.

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Disziplin, die sich damit beschäftigt. Gesichert wird dabei die Annahme der einen Methode, die der Erkenntnis aller Dinge zugrunde liegt, und damit auch die Kontinuität des wissenschaftlichen Feldes. Die Erkenntnis wird hier letztendlich in ramistischer Intention artistisch gedacht. Otho Casmanns Anthropologie bietet einen beeindruckenden Reichtum an naturphilosophischen – psychologischen und physiologischen – Kenntnissen, der das antike bis frühneuzeitliche Wissen umspannt. Die sach- und diskursorientierte Empirie, die Casmann in dieser Schrift als christlicher Philosoph präsentieren kann, illustriert den wissenschaftlichen Habitus eines frommen, reformierten Gelehrten in der Zeit des Späthumanismus. Sie entspricht den Maßgaben seiner eigenen Erkenntnistheorie, die in einer Darstellung der Präsentation, nicht jedoch der Beurteilung von Gewußtem, ausläuft. Der dabei fast zu konsequent betriebene Ramismus kam dem frommen Zweck Casmanns entgegen; den wissenschaftstheoretischen Problemen und Konsequenzen seines Ansatzes konnte Casmann – und damit auch seine Anthropologie – jedoch nicht vollständig ausweichen.

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Das Verhältnis von Leib und Seele als theologisch-philosophisches Grenzproblem vor Descartes Lutherische Einwände gegen eine dualistische Anthropologie

Getrost wird man die Frage nach dem Verhältnis von Seele und Körper des Menschen für eines der großen Grundprobleme menschlichen Denkens und also auch der abendländisch-westlichen Geschichte halten dürfen. Also verwundert es nicht, daß ebenso zahlreiche wie vielfältige Lösungs- und Behandlungsvorschläge gemacht wurden, ohne daß sich das Thema dadurch bis heute erschöpft hätte. Ganz im Gegenteil wird man das ›Leib-Seele-Problem‹ auch heute als einen klassischen Gegenstand anzusehen haben, der zudem analytische und nichtanalytische Philosophie zu verbinden vermag. Überhaupt drängte das Thema seit jeher dazu, verschiedene Methoden und Disziplinen zusammen zu führen: Medizin, Psychologie, Philosophie. Letztlich ist das Thema von Leib und Seele ein wichtiger Bestandteil der Frage nach dem Wesen des Menschen. Entsprechend der inhaltlichen Bedeutung des Themas ist die moderne Literatur auch zu seiner Geschichte beträchtlich. Schon eine kurze Durchsicht dieser Literatur macht dabei den überragenden Einfluß deutlich, der den intellektuellen Entwicklungen des 17. Jahrhunderts zuzubilligen ist. Namentlich René Descartes gilt als entscheidender Neubegründer der philosophischen Debatte um das Verhältnis von Leib und Seele. Paradigmatisch deutlich wird seine neue Auffassung in der berühmten Debatte mit William Harvey über die Deutung des Blutkreislaufes.1 Angesichts der mit Descartes verbundenen neuzeitlichmechanistischen Auffassung des Körpers, dem die Seele nur mehr als äußerliche Regelungsinstanz gegenübertritt, konzentrierte sich die Forschung zur nachmittelalterlichen Geschichte des Leib-Seele-Problems zumeist auf die Herausarbeitung entsprechender mechanistischer Vorläufer oder zumindest analoger Denkweisen.2 Auf der anderen Seite erfreut sich gerade das (Spät-)

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Vgl. Thomas Fuchs: Die Mechanisierung des Herzens. Harvey und Descartes – Der vitale und der mechanistische Aspekt des Kreislaufs. Frankfurt a.M. 1992; Geoffrey Gorham: Mind-Body-Dualism and the Harvey-Descartes Controversy, in: The Journal of the history of ideas 55 (1994), S. 211–234. Vgl. zu Descartes insgesamt auch Martin Schneider: Das mechanistische Denken in der Kontroverse. Descartes’ Beitrag zum Geist-MaschineProblem. Stuttgart 1993 (= Studia Leibnitiana Supplementa, Bd. 29). Vgl. z.B. Rainer Specht: Commercium mentis et corporis. Über Kausalvorstellungen im Cartesianismus. Stuttgart-Bad Cannstatt 1966; Eckhard Kessler: Selbstorganisation in der Naturphilosophie der Renaissance, in: Selbstorganisation. Jahrbuch für Komplexität in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften 3 (1992), S. 15–29; Leslie Armour: Descartes

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Markus Friedrich

Mittelalter nach wie vor großer ideengeschichtlicher Beliebtheit, die auch zahlreiche Arbeiten zum Verhältnis von Leib und Seele produziert.3 So klafft auch hinsichtlich der Thematik von Leib und Seele jene typische Forschungslücke zwischen Spätmittelalter und beginnender Moderne des mittleren und ausgehenden 17. Jahrhunderts. Entsprechend fehlt bis heute auch eine umfassende Geschichte dieses Problems, das den cartesischen Diskussionsbeitrag in einen langfristigen Überblick einordnete.4 In dieser skizzierten Ausrichtung der Forschung entgehen der historischen Betrachtung aber nicht nur womöglich wichtige Stadien der Problementwicklung, sondern auch entscheidende Bedeutungsdimensionen des Themas, die früheren Zeiten evident waren, nachcartesischen Generationen aber fremd sind. Um einen solchen, vielleicht gar um den vorrangigen Horizont der Diskussion über Leib und Seele am Ende des 16. Jahrhunderts soll es deshalb hier gehen. Wenn das Thema hier als »philosophisch-theologisches Grenzproblem« bezeichnet wird, so verweist das auf die an sich wenig überraschende, aber für Leib und Seele noch zu wenig beachtete Tatsache, daß sich die philosophische Diskussion der Frühen Neuzeit in ihren Ergebnissen letztlich vor dem Richterstuhl des theologischen Weltbildes zu bewähren hatte. Die genaue Ausgestaltung dieser Beziehung von philosophischer und theologischer Erkenntnis wäre ein eigenes Thema, hier genügt aber die einfache Einsicht, daß philosophische Lehren nur bei einer gleichzeitigen, widerspruchsfreien Verhältnisbestimmung dieser Einsicht zur Theologie gerechtfertigt waren.5 Das war für die Diskussion um das Verhältnis von Leib und Seele nicht anders. Herausgegriffen werden sollen vier Aspekte aus den vielfältigen Fragen, die das Verhältnis von Leib und Seele betreffen konnten:6 Der Ursprung der Seele

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and Eustachius a S. Paulo: Unravelling the Mind-Body-Problem, in: British Journal for the History of Philosophy 1 (1993), S. 3–21. Vgl. nur als jüngstes Beispiel den Sammelband Carla Casagrande und Silvana Vecchio (Hg.): Anima e corpo nella cultura medievale. Atti del V convegno di studi della Società Italiana per lo Studio del Pensiero Medievale. Florenz 1999 (= Millennio Medievale, Bd. 15). Einen Überblick vermittelt beispielsweise Tilmann Borsche, Rainer Specht und Thomas Rentsch: [Art.] Leib-Seele-Verhältnis, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter u. Karlfried Gründer. Bd. 5. Darmstadt 1980, Sp. 186–206. Hilfreich ist auch der Artikel »Seele« in Zedlers Grossem vollständigem Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. 36, Halle – Leipzig 1743, Sp. 1051–1143, hier bes. Sp. 1087–1117. Das beinhaltete natürlich die Möglichkeit, für eine Klasse von Objekten, etwa die Naturdinge, eine grundsätzliche Nichtzuständigkeit der Theologie zu postulieren. Doch erstens bedeutet auch dies eine explizite Verhältnisbestimmung, die sich zweitens zumindest grundsätzlich ihrerseits theologisch rechtfertigen lassen mußte. Außer Acht bleiben im folgenden zwei klassische Themenbereiche des Leib-SeeleVerhältnisses, die Unsterblichkeitsdebatte und die Erkenntnistheorie. Für die Erarbeitung des folgenden Überblicks hat sich die bibliographische Literatur der historia litteraria als hilfreich erwiesen. Nicht mehr berücksichtigt wurden die Debatten, die Hermann von Elswich (Praes.) und Christian Krause (Resp.): Recentiores de anima controversiae. Wittenberg 1716, behandeln, da deren Interesse nur Autoren seit Descartes betraf (Stosch, Helmont, Spinoza, Digby, Hobbes).

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und die Auseinandersetzung um den Traduzianismus; die Verhältnisbestimmung von Leib und Seele und die Diskussion um die Wichtigkeit ihrer Verbindung; die Auferstehung der Leiber und der Übergangszustand von Seele und Körper zwischen Tod und Auferstehung; die Lokalisierung der Sünde im Menschen. Diese Ausschnitte sind dabei nicht ganz zufällig gewählt. Sie bilden nämlich Schwerpunkte einer weitgehend unbekannten, dabei in ihrem historischen Gewicht und heuristischen Wert bisher unterschätzten Polemik der Jahre zwischen 1616 und 1620 gegen den bekannten Wittenberger Philosophen und Theologen Jakob Martini (1570–1649), damals noch in der philosophischen Fakultät beheimatet. So weit ich sehe, war es allein Peter Petersen, der auf knappen Seiten die Bedeutung jener Schriften gegen Martini erkannte, die der Feder Wencel Schillings entstammten.7 Biographisch ist nur wenig bekannt über Schilling. Zusammen mit Johann Angelius Werdenhagen (1582–1651)8 erscheint er schon bei Petersen als Fortsetzer der Gedanken Daniel Hofmanns (1539–1611), der um 1600 in Helmstedt eine theologisch motivierte Kritik der natürlichen Vernunft und der Philosophie vorgetragen hatte. Schilling war im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in Helmstedt ausgebildet worden. Ob er dort den 1611 verstorbenen Hofmann noch persönlich kennengelernt hat, läßt sich nicht sagen. Doch sind Verbindungen zu Caspar Pfaffrad, dem Schüler Hofmanns und damaligen Theologieprofessor nachweisbar. Vermutlich hatte der wohl mittellose Schilling in Helmstedt zunächst Unterstützung vom Theologen Georg Calixt (1586–1656) und dem Philosophen Cornelius Martini (1568–1621) erhalten, mit denen er sich aber nach kurzer Zeit in offener Feindschaft zerstritt. Sicher ist, daß die Universität, hauptsächlich vertreten durch Martini und Calixt, seit 1616 mit Schilling in Rechtsstreitigkeiten lag, die sich bis 1619 und zur Ankündigung einer Appellation an das Reichskammergericht verfolgen lassen. Um 1616 muß Schilling bereits Magister gewesen sein, jedenfalls wohnte er als solcher seither in Magdeburg und erachtete die Universität nicht mehr als für seine Belange zuständig. Zwischen 1615 und 1622 war er Stipendiat des Rudolstädter Hofes, eben jenes Hofes, der auch Wolfgang Ratke unterstützt hatte. Nach den frühen 1620er Jahren verlieren sich die biographischen Spuren Schillings im Dunkel9 – soweit ich sehe, sind aus späteren Zeiten auch keine Schriften mehr überliefert.10

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Peter Petersen: Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. Leipzig 1921, S. 265–270. Bei Walter Sparn: Wiederkehr der Metaphysik. Die Wahrnehmung der ontologischen Frage in der nachkonkordistischen lutherischen Theologie. Diss. masch. theol. München 1973, spielt Schilling eine wichtige Rolle als Hintergrund, ohne eigens thematisiert oder systematisch ausgewertet zu werden. Vgl. zu ihm die Hinweise mit der Literatur bei Arndt Brendecke und Markus Friedrich: Reformationsjubiläum als Kritik. Das ›wahre Christentum‹ in Johann Angelius Werdenhagens acht Helmstedter Reden von 1617, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 20 (2001), S. 91–106. Er wurde später wohl Pfarrer und verstarb am 28. Juni 1637 in Rudolstadt. Vgl. zum Kontext Markus Friedrich: Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen

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Der erwähnte Streit mit der Universität Helmstedt war 1616 über ein Buch Schillings entstanden, das er gegen führende Vertreter der zeitgenössischen Wissenschaften verfaßt hatte, alle drei Martini – Cornelius, Jakob und Matthias – werden neben anderen übel bedacht. Schon der Titel der Schrift – Ecclesiae Metaphysicae visitatio Conclusionibus metaphysicalibus novem exquisitissimis discutiens praecipuos articulos metaphysicos, & ad unguem demonstrans, quo ejurate impietatis, vanitatisque deploratae metaphysici doctores delabantur, ad metaphysicas speculationes mysteria coelitus patefacta violentissime detorquendo, ac exigendo metaphysice – verhieß nichts Gutes. Eine zweite Schrift hatte er wohl kurz hernach, ebenfalls noch 1616 und wieder in Magdeburg veröffentlicht: De noticijs naturalibus succincta consideratio, qua mentis coecitas adumbrantur, enormis metaphysicae doctrinae abusus perstringitur, contumacia, impietas & error hominis suae naturae inhaerentis depinguntur, Aldstedij, Soaresij, & aliorum Calvinistarum & Jesuitarum vanitatibus metaphysicis opposita.11 Während die Visitatio eine eigene Gegenschrift provozierte,12 wurde De notitijs von Jakob Martinis Vernunfftspiegel ausführlich widerlegt.13 Daß die Kontroverse mit Jakob Martini schon zeitgenössisch rezipiert wurde, zeigt etwa eine entsprechende, allerdings nicht Partei ergreifende Bemerkung des Tübinger Professors Christoph Besolds (1577–1638).14 Zunächst ein knapper Überblick über die thematische Ausrichtung der Kritik und den Charakter der beiden Schriften: Während De notitijs ein etwa 350 Seiten langer fortlaufender, völlig ungegliederter Text mit vielfältigen Sprüngen

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auf das Luthertum um 1600. Göttingen 2004 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 36). Vgl. Wencel Schilling: Ecclesiae Metaphysicae visitatio Conclusionibus metaphysicalibus novem exquisitissimis discutiens praecipuos articulos metaphysicos, & ad unguem demonstrans, quo ejurate impietatis, vanitatisque deploratae metaphysici doctores delabantur. Magdeburg 1616. Daß dieses Buch zuerst erschien, geht hervor aus Wencel Schilling: De notitijs naturalibus succincta consideratio [...] Alstedii, Soaresii, et aliorum Calvinistarum et Jesuitarum vanitatibus. Magdeburg 1616, S. 93. Beide Werke sind sehr selten. Ersteres wurde in der UB München benutzt. Ich danke der UB Münster, die mir De notitijs im Herbst 1999 für längere Zeit per Fernleihe nach München überließ. Zu Gerüchten, daß Schilling nicht (der einzige) Verfasser gewesen sei, vgl. Friedrich: Grenzen (s. Anm. 10), S. 144. Jakob Breiger: Stricturae in M. Wenceslaum Schillingium, nuper-natum visitatorem metaphysicum, a veritatis linea infeliciter aberrantem exercitii causa, et juventutis bono missae. S.l. [Rostock] 1618. Jakob Martini: Vernunfftspiegel Das ist / gründlicher unnd unwidertreiblicher Bericht / was die Vernunfft / sampt derselbigen perfection, Philosophia genant / sey / wie weit sie sich erstrecke / und fürnemlich was für einen gebrauch sie habe in Religions Sachen / Entgegen gesetzet allen newen Enthusiastischen Vernunfftstürmern und Philosophyschändern / Fürnemlich aber etlichen ungehobelten schmehkarten […]. Wittenberg 1618. Christoph Besold: Principium et finis Politicae doctrinae. Hoc est, dissertationes duae. Quarum una; Praecognitia politices proponit. Altera; De republica curanda agit. Straßburg 1625, S. 25: »An carnis resurrectio ex natura erui possit, lis est inter Protestantes. Jacob. Martini & Wenceslaum Schilling, ex scriptis utriusque nota.«

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und in teilweise schwer verständlichem Latein ist,15 handelt es sich bei der Visitatio um einen durchaus klar aufgebauten, gut lesbaren Traktat. Inhaltlich gibt es zwischen beiden Werken viele Entsprechungen. Wenn auch auf recht unterschiedliche Weise, so beginnt Schilling doch in jedem seiner Werke mit Überlegungen zur Erkenntnistheorie, die den Ausgangspunkt für seine jeweiligen Kritiken an den Konzepten der Metaphysik darstellt. Die ausführliche Kritik an der Ontologie seiner Zeitgenossen in der Visitatio findet in De notitijs zumindest ihren Widerhall. Dahinter steht der klassische Vorbehalt gegen eine Unterordnung von Gott und seiner Schöpfung unter einen obersten Begriff.16 Großen Raum nimmt hier wie dort die Erörterung der Frage ein, ob die Eigenschaften, die die Metaphysik dem Fluchtpunkt ihrer Überlegungen – dem summus ens, der causa ultima etc. – zubilligt, auch Gott beschreiben könnten. De notitijs ist hier besonders reichhaltig: Alle möglichen Prädikationen Gottes werden vorgeführt – seine immensitas, omnipraesentia, simplicitas, potentia etc. –, nur um jeweils festzustellen, daß damit die Metaphysik hier versagt.17 Der Analyse der Macht Gottes entspricht in der Visitatio eine längere Erörterung der potentia oboedentialis.18 Nur in der Schrift über die natürlichen Kenntnisse finden sich die umfangreichen Ausführungen über physikalische Gottesbeweise, vor allem eine vielfältige Auseinandersetzung über Aspekte des Himmelsgewölbes und der Erdbewegung.19 Betrachtungen über die Wahrheit ebenso wie über Kontingenz und Notwendigkeit finden sich nur in der Visitatio. Dieser Kurzüberblick sollte deutlich gemacht haben, was die Stoßrichtung von Schilling war: Im geistigen Gefolge Hofmanns wandte er sich gegen eine positive Betrachtung der Philosophie und insbesondere gegen ihre angeblich positive Rolle in der Theologie, etwa bei einer natürlichen Gotteserkenntnis. In diesem Kontext stehen auch die herausgegriffenen Schwerpunkte zum LeibSeele-Verhältnis. Schillings diesbezügliche Bemerkungen sind vor dem Hintergrund seiner Polemik gegen die Vernunftkonzeption der lutherischen Universitätstheologie zu sehen, wobei sich zeigen wird, daß es sich hier nicht nur um ein weiteres Einzelbeispiel zur Diskussion des Verhältnisses von Theologie und Philosophie handelt, sondern auch um inhaltliche Anthropologie.

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Schon Petersen: Geschichte (s. Anm. 7), S. 267 sprach vom »unschönen Latein«. Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 51–60 über ›Univozität‹ und ›Aequivozität‹; Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 260, wo Gott nicht als Substanz, sondern als Schöpfer der Substanzen bezeichnet wird. In der Visitatio begründet Schilling aus dieser Abtrennung die Existenz zweier Wahrheiten, Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 139: »Jam si una esset veritas mysteriorum ac rerum intelligibilium aeque illa ac hae ex judicio naturali decidi possent. Imo nulla esset captivatio.« Zu omnipraesentia und immensitas Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 192–197; zur potentia ebd., S. 200–207; über die simplicitas ebd., S. 107–109. Zur potentia vgl. auch Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 132f. Ebd., S. 97–127. Diese Frage spielte in den diversen Streitereien um Schilling immer wieder eine Rolle. In De notitijs kommt das Thema dagegen mit keinem Wort zur Sprache. Zu Gott als primus motor und zur Kosmologie vgl. Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 66–75, 111–134.

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Ursprung der Seele und Traduzianismus Die Problematisierung des Verhältnisses von Leib und Seele konnte bereits bei der Embryologie ihren Anfang nehmen.20 Wichtig im hiesigen Kontext ist dabei besonders die Lehre von der Entstehung der Seele. Umstritten war, ob und inwieweit man hier – wie bei der Entstehung des menschlichen Körpers – von einer natürlichen Weitergabe der Seele von den Eltern auf die Kinder im natürlichen Zeugungsakt ausgehen könne. Neben der jeweiligen Rolle von Mann und Frau war hier der Anteil Gottes als weiterer Ursache genau zu bedenken.21 Im wesentlichen bildeten sich drei Lehrmeinungen aus, die Herkunft und Entstehung der Seele im Verhältnis zum geschlechtlichen Ursprung des Körpers klären wollten: Präexistenzlehre, Kreationismus,22 Traduzianismus. Die Präexistenz aller Seelen vor der Entstehung ›ihrer‹ Körper ging von einer einmaligen Schöpfung aller Seelen durch Gott am sechsten Schöpfungstag aus. Der Kreationismus behauptete eine göttliche Schöpfung der individuell-menschlichen Seele am vierzigsten Tag der Schwangerschaft, die dann zum Foetus hinzutrete.23 Der Traduzianismus schließlich ging von einer vermittelnden Weitergabe der embryonalen Seele durch die Eltern direkt beim Zeugungsakt aus.24 Kreationismus wie Traduzianismus hatten gegenüber der

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Vgl. für das Hochmittelalter am Beipiel von Aegidius Romanus jetzt Romana Martorelli Vico: Anima e corpo nell’embriologia medievale, in: Casagrande und Vecchio: Anima e corpo (s. Anm. 3), S. 95–105. Allgemein zum Überblick über die Embryologie der Zeit vgl. die knappe Doxographie von Joseph Needham: A history of embryology. Cambridge 1934. Vgl. z.B. die Problemstrukturierung bei Caspar Posner (Praes.) und Georg Eberhard Isingius (Resp.): Dissertatio physica de animae adcessu in generatione hominis quando hic fiat cumprimis secundum sententiam Aristotelis in illustri salana. O. O. 1688, fol. A2 v. Die Kreationisten konnten von Lutheranern auch als »Infusiani« bezeichnet werden, vgl. Jacob Thomasius (Praes.) und Johann Vake (Resp.): Disputatio physica de origine animae humanae. Leipzig 1669, z.B. S. 45. Thomas ging davon aus, daß sich im pränatalen Stadium verschiedene substantiale Formen des Embryo ablösen, so daß es zwar diachron mehrere, synchron aber trotzdem immer nur eine Form ist, die den Foetus gerade bestimmt, vgl. Markus Schulze: Leibhaft und unsterblich. Zur Schau der Seele in der Anthropologie und Theologie des hl. Thomas von Aquin. Fribourg 1992 (= Studia Friburgensia, NF Bd. 76), S. 118–120. Posner und Isingius: Accessu animae (s. Anm. 21), fol. C3r erwähnen eine kreationistische Tradition (Paul Zacchia, Thomas Fiene), die eine creatio der Seelen vor der Entstehung des jeweiligen foetalen Körpers angenommen haben. Vgl. z.B. die genaue Definition bei Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 8f.: »Notamus itaque Traducis vocabulum ab autoribus priscis de vitium, aut aliarum fruticum, arborumve ramis usurpatum fuisse, qui de una arbore traducerentur in aliam. Significavit igitur proprie substantiam aliquam corpoream vivam ab alia, cujus ipsa pars esset, speciei propagandae causa avulsam.« Ebd., S. 12 wird schließlich – mit Cornelius Martini – die Entstehung ex traduce näher definiert als »emanatio« aus den Seelen der Eltern; vgl. auch Posner und Isingius: Accessu Animae (s. Anm. 21), fol. Cv. Vorstellungen von einer Emanation der Seele direkt aus Gottes Natur wurden jedoch

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Präexistenzthese dabei beide den Vorteil, daß sie die Individualität der jeweiligen Seele besser zu erklären vermochten.25 Allerdings mußte sich der Kreationismus fragen lassen, wie er denn angesichts der göttlichen Herkunft der Seele den Menschen noch als leibseelische Einheit verstehen könne, wenn doch Leib und Seele nicht denselben Ursprung haben und der Mensch von Adam her gezeugt sei. Die Personeinheit des Menschen, so sahen es die Lutheraner, war durch den Kreationismus gefährdet.26 Wencel Schilling schloß sich keiner dieser Auffassungen an und hielt es für zumindest möglich, die Entstehung der Seele auf ein eigenes, fünftes Element zurückzuführen.27 Selbst die Seele eines Hundes sei nicht mit den bekannten

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zurückgewiesen, vgl. gegen Pierre Poiret die Dissertationen Joachim Lange (Praes.) und Andreas Hermann Teske (Resp.): Dissertatio prior de ortu animae adeo, non per essentialem emanationem, sed per creationem; viro clarissimo, Petro Poiret, opposita. Halle 1713, bzw. Joachim Lange (Praes.) und Andreas Uhde (Resp.): Dissertatio posterior de ortu animae adeo, non per essentialem emanationem, sed per creationem; viro clarissimo, Petro Poiret, opposita. Halle 1713. Haupteinwand war, daß eine Emanation den gebührenden Abstand zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre nicht garantieren könne, vgl. Dissertatio prior, S. 8f. Offensichtlich, so der Vorwurf an den Franzosen, sei bei dieser Konzeption der Unterschied zwischen ens intelligens, volens & liber und einem esse divinum verloren gegangen. Insgesamt verstoße die emanatistische Seelenlehre massiv gegen entscheidende christliche Dogmen, vgl. ebd., S. 21–24. Zu Poiret vgl. Zedler (s. Anm. 4), Sp. 1072–1075. Vgl. auch Marti Vaahtoranta: Restauratio imaginis divinae. Die Vereinigung von Gott und Mensch, ihre Voraussetzungen und Implikationen bei Johann Gerhard. Helsinki 1998 (= Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft, Bd. 41), S. 53 (mit Anm. 30). Insgesamt handelt es sich bei der hier untersuchten Diskussionslage um die Zeit vor der genaueren biologischen Analyse des Zeugungsaktes und besonders vor der Entdeckung von Ei und Sperma. Zur daran anschließend Diskussion siehe Clara PintoCorreira: The ovary of Eve. Egg and sperm and preformation. Chicago – London 1997. Jerome Baschet: Le parenté partegée: Engendrement charnel et infusion de l’âme, in: Casagrande und Vecchio: Anima e corpo (s. Anm. 3), S. 123–137, hier S. 126f.; ders.: Âme et corps dans l’occident médiéval: une dualité dynamique, entre pluralité et dualisme, in: Archives de sciences sociales des religions 112 (2000), S. 5–30, hier S. 10–12. Theodor Thumm (Praes.) und Bernhard Wildersin (Resp.): Controversia de traduce sive ortu animae rationalis. Tübingen 1622, S. 91 gegen Bellarmin: »anima non trahitur ex Adamo, quasi ex Adami anima fiat; sed tamen est pars hominis, qui vere trahitur ex Adamo; mira & nova haec subtilitas [...] Certe, si homo, & quidem vere, trahitur ex Adamo, etiam ipsa anima trahetur ex eodem; nisi dicere sustineat, unicam partem adaequare naturam totius; hominem esse corpus; vel, corpus esse hominem: Concludimus Ergo: Solum corpus, juxta Bellarm. trahitur ab Adamo: solum corpus non est homo: Ergo homo non trahitur ab Adamo.« Johannes Sperling: Dissertatio de traduce. Wittenberg 1648, S. 21 unterstellte dem Kreationismus eine Veränderung der menschlichen Natur. Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 189: »dicuntur materialis essentia, sive formae materiales, quae dispersae itidem in materiam pristinam resolvuntur, ut corruptio ipsa sit dilabentium partium dissipatio, & in primordialem simplicitatem relapsio, ut: si canis interit, corpus in terram & aquam, Spiritus in sui elementi primordium abit, sed quid illud? fortassis quintum. Nam anima canis non est terra, nec aer, nec ignis, quidni igitur subtilius quid statuam, in quod animae brutorum redigantur? Si nec in terram, nec aliud ex quatuor elementis redit anima bruti, nec annihilatur, nec vivit separata, pono quintum elementum, quamvis bilis physica fervescat«. Vgl. ebd., S. 328f.: »Resolvi quidem anima in principia sensibus explorata non poterit. Sed annon principia nobis obscura & ignota esse possunt, in quae vertatur anima? [...] quare ex nihilo creatur anima? quia in nullum principium resolvi

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physikalischen Elementen zu beschreiben, womit er etwa Melanchthon widersprach.28 Ein solches fünftes Element, speziell für die Seele (eigentlich für den Astralkörper) hatte besonders der französische Mediziner Jean Fernel (1497–1558) behauptet.29 Damit, so sahen es seine lutherischen Gegner, würde die Seele direkt aus dem Himmel her ihren Ursprung haben.30 Allerdings hat Schilling eine andere Erklärungsabsicht mit dem fünften Seelenelement als der Franzose: Wollte Fernel dadurch eine höhere Rationalität in der Erklärungslogik erreichen,31 so lag Schilling unmittelbar daran, die Absonderung der Seele vom Elementar-Leiblichen zu befördern. Gerade deshalb mußte ihm der Traduzianismus mißfallen. Diese Spitze von Schillings Argument wird beispielsweise durch einen Vergleich mit dem zuletzt in Altdorf lehrenden Mediziner Nicolaus Taurellus (1547–1606) deutlich.32 Auch er hatte anerkannt, daß die Seele in Adam einst direkt von Gott unter Umgehung der Elemente geschaffen worden war. Doch der Unterschied zwischen elementarer und nichtelementarer Entstehung ist ihm zufolge gerade kein Grund, Leib und Seele wertend als vergänglich bzw. unvergänglich gegeneinander auszuspielen. Der Grund für die Vergänglichkeit sei vielmehr die Verwünschung durch Gott, also die Folge des Sündenfalls. Im übrigen bemüht er sich ausführlich zu zeigen, daß Gott bei der Erschaffung der jeweils einzelnen Seelen der Menschen keine Rolle spielt. Vielmehr müsse von einer gleichzeitigen Entstehung mit dem Körper aus den Eltern ausgegangen werden. Auch dies rückt Leib und Seele hinsichtlich ihrer Entstehung nah zusammen.

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potest. An hoc verum? Nonne principium spirituale videtur? Cum enim cujusvis animalis semen generantis ideam habeat, an de humano spermate eadem negabimus? Anatis ovo gallina incubans, pallastros excludit, oculis vidimus, ex ωορα ranarum calor gignit ranunculos, experientia testatur, ut artifex quidam in semine cujusvis animalis insideat. Quaero autem quid ille sit? non terra, non aer, non ignis, non aqua, nec pars coelo substracta, ergo diversum quid, & anima est nobis incomprehensibilis«. Melanchthon: Liber de anima, CR 13, Sp. 9. So wie alles aus dem Samen eines zeugenden Lebewesens werde, so auch die Seele, deren Samen aus den vier Elementen sei, nicht aus der Himmelsmaterie. Daniel P. Walker: The Astral Body in Renaissance Medicine, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 21 (1958), S. 119–133, hier S. 125. Hinweise zu Fernel z.B. bei Fuchs: Mechanisierung (s. Anm. 1), S. 32–41. Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 52. Ebd. wird auch Sylvester Rattray als Vertreter einer himmlischen Seelenentstehung angeführt. Gegen Fernel auch Daniel Sennert: Hypomnemata Physica, I. De Rerum naturalium Principiis, II. De Occultis Qualitatibus, III. De Atomis & Mistione, IV. De Generatione viventium, V. De Spontaneo viventium ortu. Frankfurt 1636, S. 155–158. Hinsichtlich des nichtnatürlichen, himmlischen Ursprungs des Seelenspiritus konvergieren Fernel und die Paracelsisten, vgl. Walker: Astral Body (s. Anm. 29), S. 129 mit Anm. 52. Offenbar hatte der von Schilling positiv bewertete Scaliger eine ähnliche Position wie Fernel vertreten, so jedenfalls William Harvey (1651), zit. nach ebd., S. 130, Anm. 58. Schließlich hatte auch Melanchthon verneint, daß die Seele auf die vier Elemente zurückgeführt werden könne, vgl. CR 13, Sp. 175: »Anima non est orta ab elementis«. Walker: Astral body (s. Anm. 29), S. 125–127. Nicolaus Taurellus (Praes.) und Stanislaus Jurgenius (Resp.): Theses de Ortu Animae. Nürnberg 1596, fol. B3r (Nr. XLIV). Ich danke Joseph Freedman, der mich auf diese Thesenreihe aufmerksam machte und sie mir in Kopie zur Verfügung stellte.

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Für Taurellus ist wie für die meisten Lutheraner die Psychologie und die Physik also gerade kein Grund, Leib und Seele als gegeneinander abzusetzende Extremitäten der menschlichen Existenz darzustellen, wie Schilling dies mehrfach durchgeführt hatte. Bald wurde im 16. Jahrhundert freilich klar, daß die lutherisch-traduzianische Lehre sowohl mit dem Katholizismus wie mit der reformierten Theologie kollidierte, die mehrheitlich kreationistische Auffassungen vertraten.33 Bei den Calvinisten konnte dies verbunden sein mit dem Gedanken eines göttlichen Dekrets zur Vereinigung bestimmter Seelen mit bestimmten Körpern seit der Schöpfung.34 Die Lutheraner unterstellten ihren protestantischen Gegnern, den Kreationismus geradezu um der Verteidigung der göttlichen Dekrete willen aufrecht zu erhalten. 35 Rudolf Goclenius (1547–1628), Logiker und Physiker in Marburg, kompilierte eine einschlägige calvinistische Textsammlung.36 Dort beschäftigen sich mehrere Texte, u.a. von Fr. Jungius und

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Vgl. Walter Sparn: [Art.] Mensch VII, in: TRE 22, S. 519. Zur katholischen Position vgl. Salvador Castellote Cubells: Die Anthropologie des Suarez. Beiträge zur spanischen Anthropologie des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Freiburg i.Br. – München 21982 (= Symposion, Bd. 8). S. 76–86, 107–110. Eine wichtige Polemik war die um den Jesuiten Heinrich Wagnereck und dessen Schrift De creatione animae rationalis. Dillingen 1628. Der Jesuit widerlegte hier die ihrerseits stark antikatholische Disputation Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), auf die sich Wagnereck in der zitierten Schrift durchgängig bezog. Der Jesuit schilderte die Sache so, als sei die lutherische Position nicht so eindeutig, wie die Tübinger das vorgegeben hätten, vgl. ebd., S. 4f. Insbesondere Heinrich Ekkhard sei anderer Meinung gewesen. Wildersin reagierte darauf mit einem Antiwagnereck. Die große lutherische Ausnahme war auch hier die Helmstedter Theologie unter Georg Calixt, dem unter den Theologen u.a. Christian Dreier, unter den Philosophen u.a. Johannes Zeisold folgte, vgl. Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 46f. Cornelius Martini: Theologiae Compendium quod ab interitu vindicavit Heinricus-Iulius Scheurl moralium, civiliumque Professor publicus et suam naturalem Theologiam adjecit. Wolfenbüttel 1650, S. 192–204. Wieder scheint es, als habe Helmstedt eine besonders strikte philosophische Unterscheidung verfolgt: Zwischen einer creatio und einer eductio e materia gäbe es keine dritte Wahlmöglichkeit. Um die Sterblichkeit zu vermeiden, müsse man den Kreationismus wählen. Konsequenterweise wählte man dann auch eine quasikatholische Erbsündenlehre, vgl. dazu Anselm Schubert: Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung. Göttingen 2002 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 84). So die Deutung Caspar Colers (~1600) durch die Lutheraner Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 42–44. Zitat Colers ebd., S. 35 (Nr. I.), 49. Der Text von Caspar Coler: Quaestio theologica et philosophica, num anima sit ex traduce, an vero a Deo quotidie inspiretur, ex veterum & recentium scriptis, ist enthalten in Goclenius: Psychologia (s. Anm. 36), S. 87–164. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 75: »Vides hic, Optime & Candide Lector, in quem finem quidam ex Calvinianis sententiam de immediata animarum rationalium creatione strenue adeo & mordicus defendendam susceperint, nimirum, ut horrendum reprobationis decretum eo facilius simplicioribus instillare«. Rudolf Goclenius: Psychologia: hoc est, de hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus, commentationes ac disputationes quorundam Theologorum & Philosophorum nostrae aetatis. Marburg 1594.

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nicht aus einer natürlichen generatio per traducem, sondern als creatio entstehen müsse. Daneben entstanden auch Kompromißvorschläge wie etwa der von Bartholomäus Keckermann (1571–1608), der den elterlichen Samen durchaus an der Entstehung der kindlichen Seele beteiligt wissen wollte, ihn dabei aber nicht als causa materialis, sondern als causa efficiens verstand.38 Und bei Johann Schegk (1511–1587) vermerkte man eine Auffassung, die zwar den Samen als Ursprung der Seele verstand, aber nicht als selbst hervorbringende Ursache, sondern als stärker passivisch gedeutete causa instrumentalis.39 Die lutherische Verteidigung und Ausgestaltung einer traduzianischen Seelenlehre übernahm diesen Kritikern gegenüber in hervorragender Weise Daniel Sennert (1572–1637).40 Der Wittenberger Mediziner ging davon aus, daß die Seele mit dem Samen weitergegeben werde. Eben deshalb werde der Vorgang auch traductio genannt, ausdrücklich in Übereinstimmung und Parallele mit dem Pflanzenreich.41 Positiv hervorgehoben wird dabei, daß bei dieser Art der Seelenentstehung die Seele des Kindes durchaus als neues, mütterliche und väterliche Eigenschaften mischendes, Produkt erscheint.42 Deutlich ist zu sehen, wie gerade das Problem der Individualität des neuen

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creaturae? De illo enim sani homines non magis quam de corporis humanis, sintne Dei figmentum, dubitant. Sed, anne ex anima patris filij anima, per traducem, propagetur, virtute divina?« Grynaeus (1540–1617) war Theologe in Basel und Heidelberg; Jungius (1587–1657) war Philosoph und Arzt. Keckermann, nach Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 54. So Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 176f. gegen Schegk. Z.B. Posner und Isingius: Accessu Animae (s. Anm. 21), fol. Bvf. Die Tradition des Wittenberger Traduzianismus von Sennert und Balthasar Meisner (1587–1628) führte explizit fort Johannes Sperling: Dissertatio de traduce. Wittenberg 1648. Vgl. die dortige Definition, ebd., S. 130: »Traductio est formae novae, numero diversae, specie ejusdem, a generante in generationis actu, mediante semine, productio.« Zu Sennert vgl. auch Hinweise bei Siegfried Wollgast: Philosophie in Deutschland 1550–1650. Berlin 21993, S. 439–446. Die dort herausgestellte korpuskulartheoretische Orientierung Sennerts und seines Schülers Sperling hatte auf die Seelenlehre im hier untersuchten Kontext keinen Einfluß. Wollgast sieht ebd., S. 442 bereits »die Grundtendenz der neuen mechanistischen Weltauffassung« präsent. Hinsichtlich des Leib-Seele-Verhältnisses läßt sich das noch nicht behaupten. Vgl. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 346f.: »semen (corpus seminis puta) sit vehiculum, per quod anima a parentibus soboli communicatur: quae actio traductio appellatur, vocabulo a plantis desumto. Uti enim in arboribus, in quibus vis seminalis per totum corpus diffusa est, si pars aliqua decidatur, & alii arbori inseratur, illius arboris anima, a qua surculus abscissus est, alteri arbori communicatur ita cum semine anima animalium in uterum foemina transvehitur, atque ita ex isto semine, anima sua praedito, animal perfectum emergit. Uti vero, dum ab arbore surculus cum anima deciditur, arbor illa animam suam nec amittit, nec anima illa minor fit: ita &, dum anima parentis in semine in soboem traducitur, anima parentis integra manet. [...] Exhibetque ista animarum multiplicatio Dei immensi & infiniti imaginem, qui, ut Julius Caesar Scaliger loquitur, regnat ubique sine loco, extra omniaque omnis, sine partibusque totus.« Die Parallelität von Seelenvermehrung und Pflanzenwachstum wurde ebd., S. 208f. gegen Thomas Fienus verteidigt. Zu Fienus’ Position vgl. Needham: Embryology (s. Anm. 20), S. 101f.: »›The conformation of the foetus is a vital, not a natural, action‹, he [sc. Fienus] says.« Nochmals mit Sennert positiv herausgestellt bei Posner und Isingius: Accessu Animae (s. Anm. 21), fol. B2rf.

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Menschen mittels der traduzianischen Seelenlehre lösbar erschien. Seitens der Theologen behauptete der Tübinger Professor Theodor Thumm (1586–1630) denn auch offen, daß von einer echten Geburt des Menschen aus dem Menschen nur die Rede sein könne, wenn auch die Seele Teil des natürlichen Erzeugungsvorgangs wäre.43 Wollte man univoce aussagen können, daß der menschliche Foetus von einem Mensch geboren werde, so mußte man in den Augen der Lutheraner die Weitergabe der Seele, die ja zum neuentstandenen Menschen wesentlich dazugehöre, mit dem Samen annehmen.44 Gegen anderslautende Ansichten45 entschied sich Sennert hier zudem dafür, erst den im Uterus vereinigten und empfangenen Samen als Träger der Seele anzusehen.46 Dabei ging er davon aus, daß der Samen selbst belebt sei. Die Seele im Samen steuere dessen Vereinigung mit dem mütterlichen Blut, sodann die Herausbildung einzelner Körperteile und deren Organisation.47 Es kann nur darauf verwiesen werden, daß sich gerade an diesem Punkt weite Kontexte hinsichtlich des frühneuzeitlichen Sexualitäts- und Eheverständnisses anschließen ließen. Daß es zwischen der biologischanthropologischen und der sozialen Perspektive auf die Entstehung der Seelen und der Kinder durchaus Unausgewogenheiten gab, zeigen mitunter die Texte selbst. Theodor Thumm schied die beiden Betrachtungsweisen gewissenhaft und benannte sie auch unterschiedlich: Kinderzeugung sei einmal physice, einmal politice zu bedenken. Auf der ersten Ebene entschied auch er sich dafür, daß Vater und Mutter gemeinsam für die Seele des Kindes bei der Zeugung verantwortlich seien.48 Keineswegs bestünde der Anteil der Frau nur in einer passiven Rolle. In der sozialen Hinsicht freilich stünden die Dinge anders: Zunächst sei schon sprachlich auf den Unterschied zu achten, während man in biologischer Hinsicht von ›Vater und Mutter‹ spreche, müsse man in sozialer Perspektive von ›Ehemann und -frau‹ reden (pater/mater bzw. maritus/uxor).

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Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), S. 5f.: »Sic igitur colligimus: Quicunque negat, Hominem generantem Homini Generatio tribuere Animam Rationalem: is eadem opera negat, Hominem gignere Hominem: Ratio consequentiae est valida: quia Homo est Homo, & denominatur Homo, per & propter Animam Rationalem, quae est ultima [...] Forma, in Esse specifico Hominem constituens«. Vgl. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 214f.; Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), S. 12. Auch hier gebe es Ansichten, die einerseits allein den väterlichen, andererseits allein den mütterlichen Samen dafür verantwortlich machen wollten, so Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 57. Thomasius schließt sich einer Theorie an, die beide gemeinsam als Ursprung der Seele ansah. Posner und Isingius: Accessu Animae (s. Anm. 21), fol. B3v mit Zitaten. Zur Frage der Vereinigung von Ei und Sperma im weiblichen Körper in der Diskussion zwischen Hieronymus Fabricius d’Aquapedente und William Harvey vgl. Pinto-Correira: Ovary of Eve (s. Anm. 24), S. 108–111. Zur Diskussion des 17. Jahrhunderts um den Verbleib des Samens im Uterus vgl. Dietlinde Goltz: Der leere Uterus. Zum Einfluß von Harveys De generatione animalium auf die Lehren von der Konzeption, in: Medizinhistorisches Journal 21 (1986), S. 242–268. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 209f. Ausführlich Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 99–107, hier S. 103f.

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Als Ehepartner aber komme dem Mann doch eine gewisse Vorrangstellung zu, immerhin sei er der Haushaltsvorstand, dessen Namen die Frau annehme und der auf die Kinder übergehe. Deutlich zeigt sich die Spannung, in der biologische Einsicht und Sozialvorstellungen standen. So sehr offensichtlich eine Funktionalisierung theologischer bzw. philosophischer Konzepte zur Legitimation gesellschaftlicher Phänomene von den Zeitgenossen gewünscht war (und bei der historischen Analyse zu beachten wäre), 49 so kompliziert stellte sich diese Adaption gelegentlich dar. War man sich auf lutherischer Seite dahingehend einig, daß die Seele des Kindes nicht von Gott durch einen eigenständigen Akt geschaffen werden sollte, so war doch der genaue Modus der Weitergabe umstritten.50 War die Seele aktuell im Samen von Mann und Frau enthalten?51 Ludwig Hawenreuther (1548–1618) meinte als Philosoph und Mediziner, die Seele sei nur potentiell im Samen enthalten, ohne sich allerdings darüber auszulassen, auf welche Weise diese Potenz aktualisiert würde.52 Jakob Martini war hier deutlicher: Tatsächlich habe der Samen nur eine diesbezügliche Potenz. Das sei jedoch keine natürliche Anlage, die durch einen Naturprozess aktiviert werden könne, sondern eine potentia obœdentialis, die ein einmaliges, besonderes Handeln Gottes zur Aktivierung brauche.53 Andere Theologen allerdings betonten stärker den rein natürlichen Ablauf der Seelenweitergabe, indem sie lediglich von einer einmaligen, am Anfang der Schöpfung liegenden göttlichen Verordnung ausgingen, nach der zukünftig die Seele von den natürlichen Eltern her kommen

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Baschet: Corps et âme (s. Anm. 25), S. 19–26; gefordert auch von Wilhelm Schwendemann: Leib und Seele bei Calvin. Die erkenntnistheoretische und anthropologische Funktion des platonischen Leib-Seele-Dualismus in Calvins Theologie. Stuttgart 1996 (= Arbeiten zur Theologie, Bd. 83), z.B. S. 16f., 69f. Die dortige Durchführung des anspruchsvollen Programms bleibt aus historischer Perspektive allenfalls oberflächlich. Vgl. die Zusammenfassung bei Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 43. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 108. Drei Möglichkeiten ließen sich unterscheiden: Eine introductio der Seele, eine eductio und die traductio. Ähnlich Sperling: Dissertatio de traduce (s. Anm. 26), S. 16. Hawenreuthers Position scheint eine eductio nahezulegen. Thumm und Wildersin selbst vertraten die traductio im strengen, naturalistischen Sinn einer echten Weitergabe der Seele mit dem Samen ohne weitere Instanzen, vgl. ebd., S. 111. Ludwig Hawenreuther: Sitne animus nobis ingeneratur a Deo, necne, in: Goclenius: Psychologia (s. Anm. 36), S. 292–299, hier S. 293, 295, vertrat den Standpunkt, daß die Seele im Samen nicht aktuell, sondern nur potentiell enthalten sei. Immerhin führte er ebd., S. 298, aus, daß die Geburt eines neuen beseelten Menschen nicht rein natürlich, sondern schon unter Mithilfe Gottes geschehe. Dessen Beteiligung wurde anders als etwa bei Thumm (vgl. Anm. 58) nicht aus dessen generellem concursus, sondern aus der conservatio mundi begründet. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 95 lehnten diese bloße dispositio materiae (nicht gegen Hawenreuther, sondern gegen Bellarmin) ab. Dann könne man nicht sagen, die Seele werde bei der Zeugung »generatur«, sondern sie werde erst später, vom Zeugungsakt aus gesehen zukünftig, »generabitur«. Nach Thomasius und Vake: De origine animae (s. Anm. 22), S. 44. Gerade das Konzept der potentia oboedentialis hatte Schilling gegen Martini mehrfach angegriffen.

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solle.54 Gott blieb zwar die Bedingung der Möglichkeit schlechthin, doch wurde seine konkrete Teilnahme am Geschehen auf eben die bloße Ermöglichung reduziert. Diese Verhältnisbestimmung von göttlichen und innerweltlichen Anteilen an der Seelenentstehung entsprach der allgemeineren zeitgenössischen Einschätzung. Unter dem Stichwort concursus Dei integrierte man zwei Gedanken: einerseits die grundsätzliche Abhängigkeit des Naturgeschehens von Gott, andererseits die Tatsache, daß die von Gott geschaffene Natur in ihren Abläufen und Gesetzen weitgehend unbeeinflußt von unmittelbarem göttlichen Handeln sei.55 Nach dem Sechstagewerk greife Gott nur mehr auf natürlichem Weg in sein Werk ein, so daß alle wundertätige Schöpfung ausgeschlossen sei.56 Die zweiten Ursachen agieren in dem einmal von Gott gesteckten Rahmen und mit der von ihm ursprünglich verliehenen Fähigkeit nun autonom und aus sich selbst heraus. Mit Scaliger widerlegte Thumm den Satz von Matthias Martini »Gott zeugt, weil die Natur zeugt« und sagte stattdessen: »Die Natur zeugt, weil Gott zeugt. Das Erzeugen nämlich wird der Natur recht eigentlich zugebilligt, nicht Gott: Gott dagegen ist die Schöpfung eigen, die der Natur fremd ist«. 57 Im Falle der Seelenentstehung war dies insofern wichtig, als dadurch ein bedeutendes (calvinistisches) Gegenargument ausgeschaltet werden konnte: das Körperliche würde sich traduzianisch nur physikalisch, d.h. gemäß seiner Materialität vermehren. Calvinistischen Einwänden schien eine Göttlichkeit der Seele allein von einer unmittelbar übernatürlich gesteuerten und bewirkten Seelenentstehung her möglich.58 Sennerts Lösung forcierte auf einem anderen Weg die rein natürliche Weitergabe der Seele. Er betonte die Entstehung der neuen Seele aus ihrem formalen Charakter. Ausgangspunkt war die Frage, ob Seele und Körper koextensional seien und auf welche Weise die Seele zugleich eine und in allen

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Z.B. Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), S. 2: »[sunt] qui non tantum corporis, sed & Animae originem ac productionem ad Naturales Parentes, vi primaevae benedictionis, ex singulari Dei ordinatione, ac coordinatione maris & foeminae, referunt, eamque ex TRADUCE provenire, & in sobolem propagari statuunt«. Vgl. Udo Krolzik: Säkularisierung der Natur: Providentia-Dei-Lehre und Naturverständnis der Frühaufklärung. Neukirchen-Vluyn 1988, S. 69–80. Dort auch zur stärkeren Betonung des unmittelbar göttlichen Handlungsanteils bei reformierten concursus-Konzeptionen (S. 77f.). So Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 151f. gegen göttliche Herkunft. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 96: »[M. Martini:] Deus igitur generat: quia natura generat; contra quam Scaliger statuit, naturam generare; quia deus generet. Ex. 77. sect. 5. Generatio enim naturae proprie tribuitur, non Deo: & Deo proprie creatio: non naturae«. Derart materialistisch stellte den Traduzianismus z.B. Hermann Vultejus: De perfecta hominis Philosophica: in Academia Marpurgensi publice prolegomenon loco proposita, cum Timaeum Platonis interpretaturus esset 30. Jan. Anno 1581, in: Goclenius: Psychologia (s. Anm. 36), S. 1–48, hier S. 15, 18 dar. Vgl. Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), S. 4, 96 gegen Matthias Martini. Vgl. ebd., S. 18, 21: Gott müsse nicht alles, was er gibt, immediate selbst geben.

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Körperteilen sein könne.59 Die Unkörperlichkeit der Seele, die sie aller Quantifizierung entzog, mache eine Teilbarkeit unmöglich. Grundsätzlich sprach Sennert sich deshalb auch dagegen aus, ein Wachstum der Seele anzunehmen oder gar eine Hierarchisierung nach ›größer‹ oder ›kleiner‹ vorzunehmen.60 Die Gegenwart der Seele im Körper wurde statt dessen ganz ausdrücklich analog verstanden zur Gegenwart Gottes in der Welt: beide seien sowohl überall als auch jeweils gänzlich gegenwärtig, also repletive präsent. Da Sennert hier mit Jacopo Zabarella (1533–1589) von einer Präsenz der ganzen Seele in jedem Teil und auch in jedem Ausfluß des Körpers ausging – ohne daß er mit diesem hierfür eine Erklärung angeben wollte –, schien auch das Problem der ungeteilten Existenz der Seele sowohl im Samen wie im Leib der Eltern gelöst: Wenn ein Teil des Körpers – wie der Samen – vom Körper getrennt würde, sei einerseits die verbleibende Seele vollständig, andererseits auch im abgetrennten Teil eine vollständige Seele. Dies war ein entscheidender Diskussionsbeitrag des Wittenberger Mediziners: Die Weitergabe der Seele im Samen und bei der Zeugung war zurückgeführt auf das philosophische Theorem einer multiplicatio formae. Entsprechend solle man auch eher von einer Vervielfältigung der Seelen, denn von ihrem Werden sprechen.61 Damit war das Feuer als neues Zentralbeispiel für die Fortpflanzung der Seele gewonnen.62 Ausführlich argumentierte Sennert gegen andere Ansichten, die Entstehung der Seele aus dem Samen zu deuten, etwa die Theorie, daß sie aus der Materie des Samens heraus entstehe.63 Wie eingangs angedeutet, mußte sich der Traduzianismus an seinen theologischen Implikationen messen lassen. Solche lassen sich aber leicht

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Zum folgenden vgl. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 218–230. Dort finden sich mehrere Hinweise auf diesen nicht physikalisch erklärbaren Zustand, der u.a. in der Bewegung der Engel eine Parallele habe. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 216f. Die gegenteilige Meinung konnte man Pomponazzi unterstellen, vgl. Posner und Isingius: Accessu animae (s. Anm. 21), fol. Cr. Eine solche Deutung der Gegenwart der Seele im Leib vertrat etwa auch Johannes Neldel: Copulatio Animae & Corporis in Homine, aliquot thesium & Conclusionum sententijs explicata, & ad disputandum proposita ex fontibus doctrinae Platonicae atque Aristoteliae. Leipzig 1576, fol. Bvf.: »animam esse in toto corpore totam, & totam in qualibet etiam minima particula«. Vgl. auch Rudolf Hospinianus: Oratio in qua affirmatur: Animam esse totam in toto, & in qualibet ejus partem, in: Goclenius: Psychologia (s. Anm. 36), S. 260– 273. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 151: Multiplicatio statt fieri. Das war eine Anspielung auf Gen 1,22 u.ö.: »crescite et multiplicamini«. Entsprechend wurde es von den Calvinisten abgelehnt, vgl. z.B. Rudolf Goclenius: Aporia de ortu animi, in: ders.: Psychologia (s. Anm. 36), S. 299–303, hier S. 300: Im Unterschied zur Seele sei die Flamme sehr wohl »divisibilis«, weshalb der Vergleich hinke. Dahinter steckt die Beobachtung, daß das Licht einer Flamme zumindest kurzfristig geringer sei und flackere, wenn ein neuer Docht daran entzündet wird. Sennert: Hypomnemata (s. Anm. 30), S. 160–176; Sperling: Dissertatio de traduce (s. Anm. 26), S. 16. Das geht gegen die eductio.

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erkennen.64 So spielten wie gesehen gerade hier die unterschiedlichen Auffassungen von Gottes Verhältnis zu seiner Schöpfung eine zentrale Rolle: Während das calvinistische Gottesbild eines in seinen Dekreten selbst ordnenden und steuernden Gottes auch die direkt göttliche Entstehung der Seelen nach sich ziehen mußte,65 sahen die Lutheraner eine stärkere Autonomie der natürlichen Prozesse, die Gott zulasse und nur in generellem concursus beeinflusse. Eindrucksvoll ist hier zu sehen, wie gerade das Thema der Seelenentstehung und der Formierung von individuellem Leben Gottes- und Weltbild unmittelbar verband. Schon von daher mußte der im 17. Jahrhundert bald vor sich gehende Wandel hin zum deus geometer auch eine andere, mechanistische Lehre von der Entstehung des Lebens nach sich ziehen.66 Ganz anders setzte Nicolaus Hunnius (1585–1643), damals bereits Pastor in Lübeck, den Traduzianismus bei der Frage nach dem theologischen Status nicht getaufter Kinder ein. Anlaß war die zeitgenössisch nicht unumstrittene Frage nach der Auferstehung vor der Taufe gestorbener Kinder: »Ob die kleinen Kinder / so etwa bald nach der Empfängniß / oder hernach in Mutter Leibe / oder bald nach der Gebuhrt / ehe denn sie die Tauffe erlanget / absterben / auferstehen werden?« Offensichtlich war es kein Unterschied, ob das Kind vor oder nach der Geburt starb, auferstehen werde es in jedem Fall.67 Hunnius antwortete, gegen den Kreationismus, daß »nicht allein die gebohrne / oder in Mutter Leibe formierte Kinder / sondern auch die nur erst empfangen sind / und nicht weiter wachsen noch gedeyen / am Jüngesten Tage erstehen werden.« Kriterium dafür ist ihm, daß bereits unmittelbar nach der erfolgreichen Empfängnis der Körper des Kindes Gestalt annimmt, also eine Seele vorhanden sein muß. Diese Existenz der Seele vom Moment der Empfängnis an läßt ihn dann von der Auferstehung auch früh verstorbener Föten ausgehen. Eine weitere theologische Konsequenz deutet sich in der Behandlung des Themas beim Tübinger Theodor Thumm an. Er argumentierte mit Gen 5,3, wo es um die generatio des Sohns von Adam ging.68 Thumm ging vom Begriff ›Sohn‹ (filius) aus. Um so bezeichnet werden zu können, müsse der Gezeugte derselben Natur wie der Zeuger sein.69 Diese Weitergabe des Wesens (communicatio essentiae) aber war zugleich ein christologischer Spezialterminus. Weil die zweite trinitarische Person ›Sohn‹ heiße, müsse sie desselben Wesens wie die erste Person sein. Analog hierzu müsse also auch bei der Zeugung der Söhne Adams von einer Weitergabe des Wesens, d.h. der Seele, durch die Eltern ausgegangen werden. Die drohenden christologischen Konsequenzen, so ließe

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Es sei darauf hingewiesen, daß Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 6f. auch auf juristische Konsequenzen hinweisen, etwa hinsichtlich der Frage der Abtreibung. Vgl. schon oben bei Anm. 35. Vgl. Pinto-Correira: Ovary of Eve (s. Anm. 24), S. 20–22 über die Verbindung von präformistischer Embryologie und geometrischem Gottes- bzw. Weltbild bei Malebranche und Leibniz. Zitiert nach Sperling: Dissertatio de traduce (s. Anm. 26), S. 28f. »Adam genuerit Filium ad imaginem & similitudinem suam«. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 8.

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sich dieses Vorgehen charakterisieren, sollten auch bei der menschlichen Zeugung den Traduzianismus plausibilisieren und unterstützen.70 Schließlich trieb ein klassisches Dilemma die Lutheraner zur Auffassung von der natürlichen Entstehung der menschlichen Seele. Noch einmal Theodor Thumm, stellvertretend für andere: Wenn Gott die Seelen, in der Situation nach dem Sündenfall, immer noch selbst schaffe, müsse er entweder Urheber der Sünde sein oder es müßte erklärt werden, weshalb der gute Gott die reine (und sündlose) Seele mit dem sündhaften Körper verbinde.71 Beides aber war intolerabel, deshalb mußte die Voraussetzung negiert werden. Das aber bedeutete die traduzianische Lösung: Nur wenn Gott über die starke Betonung der zweiten, unmittelbar wirkenden Ursachen, hier der Eltern, auf eine bloß mehr grundsätzliche Ermöglicherfunktion beschränkt wurde, mußte er nicht dauernd in der einen oder anderen Form für die Misere des täglichen Lebens verantwortlich gemacht werden. Auch das klassische Theodizeeproblem also ließ sich mittels der Seelenlehre wenn nicht lösen, so doch durch den Traduzianismus eindämmen. Fassen wir zunächst zusammen: Auch innerhalb der lutherischen Theoriebildung, die insgesamt – vom schon genannten Helmstedter Theologen Calixt einmal abgesehen – an einer traduzianischen Auffassung zur Seelenentstehung festhielt, gab es Nuancierungen.72 War man sich einig darin, daß die Seele des Kindes mit der Empfängnis und durch den menschlichen Samen dem Foetus mitgeteilt würde, so war im Detail doch umstritten, wie diese Weitergabe genau zu verstehen sei. Theologen und Philosophen wie Thumm oder Sennert deuteten mittels der Vorstellung von den autonomen causae secundae den Vorgang stark naturalistisch, sahen also außer dem Samen keine weiteren Agenten wirksam. Jakob Martini dagegen, oder auch Jakob Schegk wollten dem Samen zwar eine Ursächlichkeit zubilligen, diese aber in einer abgeschwächten Form. Mit Positionen wie der Keckermanns schließlich war die Aufweichung der natürlichtraduzianischen Lehre so weit fortgeschritten, daß derartige Positionen bereits als Mischformen zwischen der lutherischen und der kreationistischen Ansicht gelten konnten. Wenn man für das Mittelalter von einer nur ›geteilten Eltern-

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So hatten auch die späteren Theorien zur Lebensentstehung, die etwa die Rolle des männlichen Samens nur als »spiritual insemination« bar jeder materiellen Vereinigung mit dem Ei deuteten, eine solche christologische Note, insofern als diese geistige Funktion des Mannes die Zeugung Christi ohne männliche Beteiligung plausibilisierte, vgl. PintoCarreira: Ovary of Eve (s. Anm. 24), S. 119–127. Das Auffinden (niedriger) Organismen, die sich ohne männliche Beteiligung vermehren konnten, verstärkte diese Plausibilität im 18. Jahrhundert weiter. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 34–50, hier gegen den Calvinisten Johann Jakob Coler. Vgl. gegen denselben ebd., S. 77: »Quibus ita positis, tandem adversus Colerum sic concludimus: Deus secundum ipsum est causa CORRUPTIONIS; quia est causa CONIUNCTIONIS animae mundae cum corpore immundo: CORRUPTIO est causa DAMNATIONIS. Ergo Deus est causa DAMNATIONIS«. Außer Acht gelassen bleibt hier die Frage nach dem Verhältnis der drei Seelenteile zueinander und die Diskussion, ob es sich dabei nicht um drei Seelen handele, vgl. dazu aus dem hier herangezogenen Textkorpus u.a. Posner und Isingius: Accessu animae (s. Anm. 21), fol. C3v–Dv; Neldel: Copulatio (s. Anm. 60), fol. A5r–A7r.

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schaft‹ seitens Vater und Mutter auszugehen habe, weil die Seele von Gott komme,73 so ist genau dieser Punkt in den lutherischen Diskussionen nicht mehr so klar. Genau genommen betreffen die skizzierten Differenzierungen gerade die Frage, ob und in welcher Weise Gott überhaupt noch im Prozeß der Seelenentstehung zu verorten ist. Auffassungen, die wie Schilling oder Fernel eine eher platonisch inspirierte Theorie vertraten, passen insofern nicht recht in dieses Schema, als sie auch die Implikationen des Kreationismus nicht direkt teilten. Doch muß gerade bei Schilling die argumentative Gesamtabsicht gesehen werden, in die sich diese Argumentation einbettet. Die Seelenlehre selbst enthielt eo ipso das Problem, ob und wie die Seele bzw. die menschliche Vernunft Klarheit über ihren Ursprung zu erhalten vermag.74 Im konkreten Kontext ging es um den Gottesbeweis. Daß die Selbstthematisierung des Menschen ganz allgemein zur Erkenntnis Gottes diene, war weithin anerkannt.75 Strittig aber war, inwiefern speziell die rationale Psychologie als Gottesbeweis dienen könne, ob also aus der Existenz der menschlichen Seele und ihres Ursprungs Gott argumentativ erreicht werden könne. Hierüber war man nun durchaus geteilter Meinung. Der Literaturbericht einer Disputation von 1688 führt verschiedene Schriftsteller auf, die eine rationale Lösung des Ursprungsproblems schlichtweg für unmöglich hielten.76 In diese Richtung argumentierte auch Wencel Schilling. Die Frage nach dem Ursprung der Seele, ob sie mehr sei, als nur irdisch, ließe sich nicht entscheiden.77 Seine Position läuft insgesamt darauf hinaus, immer wieder die grundsätzliche rationale Unentscheidbarkeit der Frage zu betonen.78

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So der Begriff, schon im Titel, von Baschet: Le parenté partegée (s. Anm. 25). PintoCorreira: Ovary of Eve (s. Anm. 24), S. 132 referiert ohne Angabe ein Diktum Harveys, »that each child has three parents, mother, father, and God«. Häufig zitierte man in diesem Zusammenhang dann das delphische Diktum »nosce teipsum«. Aus dem hiesigen Kontext vgl. Andreas Schato: Oratio de corporis et animi in homine copulatione, deque eorundem sympatheia. Wittenberg 1584, fol. A4 r: »Hoc praeclarum est, & admirabilem quandam dignitatem habet, quod nullum illustrius de Deo testimonium in natura extat, quam quod ex hominis consideratione sumitur.« Auf der Seite davor hatte Schato bereits den außergewöhnlich hohen Rang, den die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Menschen habe, betont. Nur die Theologie sei noch edler. Insgesamt läuft dies auf einen emphatischen Lobpreis des Menschen und seiner Schönheit in humanistischer Manier hinaus, vgl. ebd., fol. A4r–A5v. Entsprechend wird der Mensch als dasjenige besondere Lebewesen bestimmt, von dem Gott wollte, daß es an beiden Extremen der Natur – Leiblichkeit und Geistigkeit – teilhabe, vgl. ebd., fol. A7 v. Posner und Isingius: Accessu Animae (s. Anm. 21), fol. A3rv. Um das zu verteidigen, zog er allerlei häretische Ansichten als möglich heran. Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 336: »Quod si datur aliquid, in quo congruit Deus & anima, quaestio erit, in quantum anima producatur?« Vgl. etwa ebd., S. 327: »Philosophe, unde anima? An ex traduce, an ex nihilo? In utramque partem argumenta producemus.«

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Die Verbindung von Leib und Seele und ihre Bewertung Die Aufgabe der Seele im menschlichen Körper ließ sich zunächst ganz grundsätzlich beschreiben: Die Seele war überkonfessionell als das den Leib belebende und organisierende Prinzip verstanden, ja geradezu mit ›Leben‹ identifiziert.79 Leben zu produzieren, zu sein, war demnach der allgemeinste Effekt der Seele, der bereits durch jeden Seelenteil – vegetativ, sensitiv, intellektuell – herbeigeführt werde. Was schließlich sei fühlen oder erkennen anderes als leben, so fragte man nur rhetorisch.80 Der Mensch wurde deshalb grundlegend als leibseelische Einheit bestimmt. Alle andersartigen Versuche zur Definition wurden etwa von Johannes Neldel (1554–1612), Philosoph in Leipzig, zurückgewiesen.81 Diese Verbindung, die die Seele als lebensspendendes Prinzip mit dem Körper einging, hatte nun historisch gesehen immer wieder die Möglichkeit gezeitigt, die Seele derart stark mit dem Leib zu verbinden, daß ihre Unabhängigkeit von ihm und besonders ihre Unsterblichkeit stark gefährdet war. Der Paduaner Naturphilosoph Pietro Pomponazzi (1462–1525) vor allem wurde in diesem Zusammenhang seit dem frühen 16. Jahrhundert immer wieder zitiert.82 War hier der Einheitsgedanke einseitig übersteigert zu einem (weitgehenden) Aufgehen der Seele in ihrer Körpergebundenheit, so ließ sich die Funktion der Seele im Körper auch geradezu als Entstellung ihres eigenen Wesens beschreiben. Dieses andere Extrem, für das hier erneut Wencel Schilling stehen kann und soll, äußerte sich recht körperfeindlich: Ob also der Körper die Vollkommenheit des Geistes betrifft? Keinesfalls. Ob er zumindest akzidentiell Vollkommenheit beisteuert? Nicht im geringsten. Weil der Intellekt des abgetrennten Geistes bei weitem glänzender anzusehen ist als der Geist, der mit Materie verbunden ist. Der Körper trägt ganz sicher nichts zur Vollkommenheit der Seele bei.83

So solle also gelten, daß der Körper zwar Bestandteil des menschlichen Wesens sei. Doch dürfe er damit nicht als Bestandteil der Vollkommenheit der Seele gesehen werden. In gewissem Sinne determiniert die Körperlichkeit nach Schilling

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Vgl. z.B. Nicolaus Taurellus: Libellus de morte et vita. Nürnberg 1586, fol. F4r: »Corpora quidem ut aliunde vivunt: ita etiam ex seipsis absque vita sunt: cumque principia quorum virtute communicata vivunt, nullo pacto corporea sint, atque adeo vel adesse vel abesse possint citra corporum quibus insunt corruptionem: quidni vita simul cum hisce principiis amoveri possit, ut corpora modo mori dicantur, quae modo vivebant? Mors enim nihil est aliud quam vitae privatio: nec subito mortuum dicitur, cuicunque vita negata est: sed id solum quod antea vitam habuit.« Über verschiedene Ansichten, wie dies genau funktioniere, vgl. Rudolf Goclenius: Conciliator philosophicus. Reprint Hildesheim – New York 1977, S. 471f. Neldel: Copulatio (s. Anm. 60), fol. B4r: »vita, tanquam communißima animae effectione«. Beispielsweise Neldel: Copulatio (s. Anm. 58), fol. B6rv. Auch Neldel: Copulatio (s. Anm. 60), fol. B5r, beschwor den Schatten des Paduaners herauf. Pietro Pomponazzi hatte immer wieder auf die enge Verbindung der Seele mit dem Körper, dessen actualitas sie leiste, hingewiesen, um ihre Sterblichkeit in Frage zu stellen. Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 149: »Num enim corpus Spirituum plenitudinem intrat? nullatenus. An accidentalem confert perfectionem? minime. Quia Spiritus separati intellectus splendior longe habetur mente Spiritus materiae consecrati. Corpus certe ad animae plenitudinem nihil confert.« Vgl. Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 23f., 45f.

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zugleich die Grenzen der Selbsterkenntnis der Seele:84 Über die Verbundenheit mit dem Körper hinausgehend könne sie nichts von sich wissen, ihre unkörperlichen Anfänge und Stadien blieben ihr selbst verborgen. Dabei war es also der Körper, der nach Schilling eine positive Selbsterkenntnis der Seele in ihrer eigentlich unkörperlichen Vollkommenheit verhindert, denn er lasse ein Absehen von der Unbill der körperlichen Existenz gar nicht erst zu. Der Körper sei es, der eine Einsicht der Seele in ihr wahres Wesen verhindere, damit aber auch die Erfüllung ihrer eigentlichen Anlagen. Die Seele sei auch und gerade ohne Körper vollkommen und in der Lage, die ihr zukommenden Tätigkeiten zu verrichten. Schon die Kraft der vegetativen Seele sei weit über das Sinnliche hinausreichend.85 Besonders für die Erkenntnisfähigkeit gelte doch wohl, daß die Seele keinesfalls auf die ›Grobschlächtigkeit des Körpers‹ angewiesen sei.86 Diese strikte Position war explizit gegen Jakob Martini gerichtet, der sich diesbezüglich ganz andersherum geäußert hatte. Er hatte eine derart enge Zusammengehörigkeit von Leib und Seele konzipiert, daß er gar von einem desiderium animae ad corporem gesprochen hatte.87 Just diese Hinneigung der Seele zum Körper wurde ihm nun angekreidet. Schilling weigerte sich, aus der essentiellen Zusammengehörigkeit von Leib und Seele im Menschen jenes desiderium der Seele hin zum Körper abzuleiten. Es gelte ja wohl nicht, daß alles, was eine Fähigkeit habe, auch das desiderium nach derjenigen Materie haben müsse, in der eine Umsetzung der Fähigkeit möglich sei. Auch ohne Körper war die Seele ein completum spiritum.88 Jakob Martini bekam nicht als

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Etwa ebd., S. 61f.: »Sese ergo anima esse novit, sese praestantissimum quid & pretiosum jactitat, suam lucem extollit, formationis miraculum depraedicat. [...] Se in corpore informationem incepisse intelligit, an ante fuerit, prorsus ignorat, ergo quod cum corpore humanari inchoaverit novit, a sese ergo non est, si cum corpore auspicatur. Sed an apodictice demonstrabit sese cum corpore incipere? Non puto.« Vgl. auch Johann Angelius Werdenhagen: Verus Christianismus fundamenta Religionis nostrae continens, Octo Orationibus secularibus, in Academia Julia habitis, explicatus. Magdeburg 1618, S. 119: »Ita nec homini propria anima satis cognita unquam esse potest, ut, quid in sua natura absolute sit, proxime intelligat.« Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 245. Zur genaueren Bestimmung vgl. ebd., S. 243– 245. Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 150: »An secundum philosophicam censuram anima perfectius intelligit crassamento corpore, o infuscata? Ex melancholiae vitio lallas, Jacobe [Martine], non ex judicij integritate.« Vgl. analog Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 226f.: »fieri idcirco potuit, ut anima extra corpus praecellenti cognitione donata peccaverit, ut ad culpam eluendam materiali immergatur grossitiei, donec absumpto & expiato malo, pristinum recuperet decorem, quae ratio plausibilis est a Platone affirmata. Unde Ethnicus corpus deponere voluit, ut splendidius divinitatem suam contueretur an ita desiderium animae innatum de aeterno congressu tentat corpus, ut umbrosa philosophia vespillionis metaphysici nuper effodit? o ebrietatem metaphysicam! murmur magicum est, non exquisita philosophandi solertia.« Belege unten, Anm. 91, und bei Martini: Vernunfftspiegel (s. Anm. 13), S. 1001f. Zur mittelalterlichen Tradition vgl. Caroline Walker Bynum: The Resurrection of the Body in Western Christianity 200–1336. New York 1995, S. 242 (Anm. 55), 247–255. Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 150: »Nonne illud est Ens completum, quod per se potest subsistere, & operationes sufficienter exercere? Sic puto.«

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einziger an dieser Stelle die Anfeindung Schillings zu spüren. Auch Nicolaus Taurellus traf namentliche Kritik für einen zu engen Bezug von Körper und Seele aufeinander.89 Noch im Jahr 1616 wurde Martini anonym verteidigt.90 Da die Essenz des Menschen aus Leib und Seele zusammen bestehe, so das Argument, müssen beide einander verwandt sein. Verliere die Seele den Leib, so könne nicht mehr vom »Mensch« gesprochen werden.91 Eben von daher sah die anonyme Schrift jenes desiderium begründet. Und da die menschliche Seele unsterblich sei, müsse auch jenes desiderium nach dem Tod und der Trennung von Leib und Seele in der Seele weiterbestehen.92 Ohnehin sei das Streben der natürlichen Dinge zueinander eine ganz natürliche Eigenschaft.93 Explizit argumentierte auch Taurellus für den Satz, daß »die Seele im Körper besser lebt als

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Namentliche Erwähnung des Altdorfers bei Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 48 u. 52; Wencel Schilling: Schule / Darinne mit ernstem fleiß und auffsehen examinirt wird / ob ein natürlicher Mensch seinen lautern natürlichen kräfften gelassen die Aufferstehung der Todten probabiliter erreichen und fassen könte wird verneinet / alle eitele gegenwürffe der newe. Magdeburg 1616, S. 24. Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), S. 25 sprachen von einem »appetitus tum innatus, tum elicitus ad informandum corpus«. Breiger: Stricturae (s. Anm. 12), S. 116 (= 126) sprach von ›Pflicht der Seele‹: ›Anima corporis inhabitati humani εντελεχεια erat & forma. Quia mortis interventu separatio contigit, actu actus & forma esse desivit. Sed quia tamen essentiale ipsi, & propemodum formalis ejus in hoc ratio, ut sit ordinata per se ad informationis officium, perire respectus iste superstite anima non potest.« Deshalb müsse gelten (ebd., S. 127): »Anne rationi manifestum, & in philosophia demonstratu[r] facile, animam formam esse certi corporis? & deinde hoc ipsum (esse actum corporis vel informare corpus) esse de natura ejus & essentia? Ut quamdiu anima sit anima, non possit non esse actu primo ordinata ad informandam? Omnia haec nota rationi, quod negari non potest. Ast hoc inquam, est, esse spiritum incompletum. Itane? ecquomodo ergo extra scripturam istud notum non sit?« Auch Georg Calixt: De Immortalitate animae et resurrectione carnis liber unus. Helmstedt 1635, S. 82 spricht – im Referat von Thomas – von »desiderium naturale ad unionem cum corpore«. Ebd., S. 87 ist seine eigene Meinung zurückhaltender: Die Seele verlangt nicht nach dieser neuen Einheit, hat aber auch nichts dagegen. Die Vereinigung bringe ihr die Vollkommenheit, allerdings nicht quatenus intelligens, wohl aber quatenus informans. [Anonym]: Kurtze Verantwortung der abermahl von Magdeburg ausgeflogener Teutscher Schmähschrift / darinnen bewiesen wird I. Das der unverstendige DumkühnerGesell Wenceslaus Schilling noch nie verstanden was Jacobi Martini discipuli in den ersten zweyen Lateinischen kurtzen Schreiben in jm Wenceslao getadelt und refutieret haben, II. Das dieser unverschemter Gesellschaft Jacobo Martini vor Gott und aller Welt unrecht thue / und eine solche Gottlose meinung von der Aufferstehung des Tosten auff den Halß dichten will / die ihm niemahls gedreumet. III. Das Lutherus selbsten / unnd viel andere aus den vornemsten Lutherischen Doctoren und Lehrern also / wie Herr Martini / von der Aufferstehung der Todten disputiret [...]. S.l. [Wittenberg] 1616, S. 38–40, 57, 62, 77–80. Allerdings ist diese Schrift, wie der Titel betont, gegen eine deutsche Schrift Schillings gerichtet, wohl gegen Schilling: Schule (s. Anm. 89). [Anonym]: Kurtze Verandtwortung (s. Anm. 90), S. 70–73. Ebd., S. 61f. Ebd., S. 66–69, mit rührenden Beispielen aus der Natur.

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außerhalb«.94 Deshalb müsse von einer wechselseitigen Vervollkommnung von Leib und Seele ausgegangen werden. Darum dürfe der Körper auch nicht abwertend als ›Grab der Seele‹ apostrophiert werden. Ludwig Hawenreuther vertrat den Standpunkt einer unauflösbaren Einheit von Leib und Seele, die überaus positiv zu bewerten sei, mindestens ebenso stark. Hätte der Mensch nicht gesündigt, wäre es überhaupt nicht zur Separation von anima und corpus gekommen: Die Seele kann gewissermaßen von Materie und Geist getrennt werden und ohne beides sein, aber das geschieht nicht aufgrund der Natur der Seele, so wie sie anfangs von Gott geschaffen wurde, denn gemäß dieser Natur wäre sie niemals von Materie und Körper getrennt. Tatsächlich ist, wie Paulus Röm 7, 23 sagt, diese Trennung eine Konsequenz der [Erb-]Sünde.95

Die leibseelische Einheit ist damit geradezu als der paradiesische, gottgewollte Urzustand gekennzeichnet, ihre Aufhebung Folge und Kennzeichen des Abfalles von Gott. Seele und Körper gehören aufs Engste zueinander, sind beide Teil der imago Dei,96 weshalb die Seelen nach dem Tod auch die Wiedervereinigung mit ihren Körpern aktiv erwarten, um die alte Vollkommenheit wieder zu erlangen.97 Zumal die theologisch ambitionierte Literatur der Frühen

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Taurellus: Libellus (s. Anm. 79), fol. Gr–G2v: »Animam in corpore perfectius vivere quam extra corpus«. Hawenreuther: Sitne animus nobis (s. Anm. 52), S. 296: »posse quidem animum a materia & corpore separari & absque eo esse, sed id non fieri secundum naturam animi a principio a Deo creatam, secundum quam nunquam a materia & corpore animus fuisset separatus: Verum hanc dissolutionem esse stipendium peccati, ut D. Paulus ad Rom. cap. 7. v. 23, loquitur.« Ganz ähnlich Thumm und Wildersin: Controversia de traduce (s. Anm. 26), S. 25; Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), fol. A6r. Belege u.a. für Gerhard bei Vaahtoranta: Restauratio (s. Anm. 24), S. 55 (mit Anm. 43). Hinsichtlich der Körper heißt es bei Aegidius Hunnius: Propositionum de praecipuis quibusdam Christianae religionis capitibus: Tomus I & II. Marburg 1596, T. I, S. 520 (Nr. 30f.), die Glückseligkeit der Seelen werde gesteigert, wenn am jüngsten Tag die Körper wieder hinzukämen: »Quanquam autem tanta est beatarum animarum in vita aeterna felicitas, ut nec lingua eloqui, nec ulla mentis cogitatione assequi valeamus: non dubitamus tamen affirmare eam beatitudinem maiorem perfectioremque futuram, quando illae suis denique corporibus in resurrectione iungentur.« Unmittelbar anschließend der Hinweis auf ein desiderium: »Nam quia cuiusque rei perfectio ex illius creatione merito aestimatur: animae vero hominum non ita conditae sunt, ut a suis corporibus rursum avellerentur (quae avulsio violentum quiddam & naturae contrarium est a peccato proveniens) sed ut perpetuo suis inessent corporibus: idcirco neutiquam fuerit ambigendum, quin corporum suorum resuscitationem beatae animae cum desiderio expectent, atque hoc ipso ad consummatam perfectionem, quanta in creaturam cadere potest, aspirent.« Ganz explizit auch ebd., S. 543, Nr. 7: »Ad perfruitionem eius gaudij, non animae solum, sed & corpora iustorum pertinent«. Deshalb seien all die zu verdammen, die die Auferstehung der Körper leugneten (ebd., Nr. 8). Ferner ebd., S. 544, Nr. 17: »Gaudium tamen illud animarum ex coniunctione corporum perfici, nihil ambigimus. Unde animae beatorum cum desiderio quodam resurrectionem corporum suorum expectant«. Ganz entsprechend Matthias Hafenreffer: Loci Theologici: Certa Methodo ac Ratione, in tres Libros tribuit. Editio tertia. Wittenberg 1602, S. 636 über die Zustände nach dem Tod. Nur die Seelen der Erlösten erwarten »cum desiderio« die Auferstehung der Toten. Die Seelen der Verdammten sehen diesem Moment »cum terrore & cruciatu« entgegen.

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Neuzeit, der auch Taurellus’ Versuch einer Harmonisierung von Theologie und Philosophie zuzurechnen ist, ging also von einer sehr engen Einheit von Leib und Seele aus. Dieser sollte auch nach dem Tod des Körpers weiter wirken.98 Im allgemeinen betonte man, daß die menschliche Seele des Körpers als Organ oder Instrument zur Ausübung ihrer Aufgaben bedürfe. Klar war dabei, daß diese instrumentale Funktion nicht bedeute, der Körper sei kein wesentlicher Teil des Menschen. Instrumentalität sollte nicht Akzidentialität bedeuten. Schilling hatte demgegenüber behauptet, die Seele könne die ihr eigentlich zukommenden Aufgaben besser ohne den Körper bewältigen.99 Dies widersprach nun aber deutlich dem allgemeinen Konsens, der von koinonia oder sympatheia beider Bestandteile zueinander sprach.100 1576 etwa betonte Neldel in Leipzig diesen Gedanken: Ohne Leib könne die Seele ihrer Pflicht nicht nachkommen. Dabei preist er durchaus in humanistischer Weise die ästhetische Schönheit des Körpers. Die Begriffe sind einschlägig: copia, elegantia, concinnitas.101 Sehr viele Organe brauche jede Seele sogar, denn die Zahl ihrer Handlungen übersteige ihre Natur.102 Allerdings, das wurde auch betont, könnten die Instrumente den Geist auch behindern, was etwa bei Sinnestäuschungen der Fall sei.103 Andreas Schato (1539–1603), Physiker in Wittenberg, gab auf den traditionellen Einwand gegen die Körperabhängigkeit der Seelenfunktionen – daß die geistigen Leistungen ja gerade kein Organ benötigten – eine interessante Antwort, die nochmals zeigt, wie eng die Verbindung gedacht wurde: Eigentlich sei der Mensch so geschaffen worden, daß er auch seine geistigen Fähigkeiten niemals ohne Körper ausübe. Erst der Sündenfall, der den leiblichen Tod verursacht habe, hätte dies verändert. Gott habe sich nämlich der Seele erbarmt und ihr entsprechende Fähigkeiten auch

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Noch im Jahr 1685 beschäftigte sich eine Spezialdissertation mit diesem Thema, vgl. Valentin Alberti (Praes.) und Christian Hilsche (Resp.): De studio philosophiae gentilis, consensu amplissimi ordinis philosophici. Leipzig 1691. Der Text vertritt die Meinung, daß von einer in der Natur der Seele liegenden Hinneigung auszugehen sei, vgl. ebd., fol. A3 r. Nur angefügt sei, daß die Lutheraner auch jene katholischen Positionen Bellarmins oder Suarez’ zurückwiesen, die einen grundsätzlichen Kampf von Leib und Seele auch jenseits der Erbsünde annahmen, vgl. Richard Schröder: Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik. Tübingen 1983 (= Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 67), S. 148. Vgl. Anm. 33 den Beleg für Suarez bei Cubells. Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), fol. B2r. Er konnte die Einheit auch consociatio, foedus oder societas nennen. Neldel: Copulatio (s. Anm. 60), fol. B3r: »Et quia anima humana eidos eidon propter infinitatem prope nobilißimarum muneris functionum, quarum in corpore auctor est, & magistra, tametsi mens sine corpore sua obit munera, quia tamen est in copore cum caeteris vitae coniuncta gradibus, organorum quoque copiam, elegantiam & maximam concinnitatem requirit.« Neldel: Copulatio (s. Anm. 60), fol. B3v: »Fatendum omnino hisce de caußis est, animam cuiuscunque etiam gradus cum actionum Numero a Natura quamplurimum discrepet, alijs atque alijs organis velut quibusdam ferramentis ad agendum indiguisse.« Vgl. ebd., fol. B7r–C2r werden die einzelnen Körperfunktionen durchgegangen. Über die phantasia sei letztlich auch der Intellekt zwar nicht direkt mit Materiellem, aber doch mit dessen Spuren konfrontiert, ebd., fol. Cv. Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), fol. B2r–B3v.

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ohne Körper verliehen.104 Sonst gelte jedoch: »Solange aber [der Geist] im Körper enthalten ist, gehört es sich, daß er dessen Organe zur Ausübung seiner Pflichten benützt, und auch nicht seine eigenen Aktionen von denen des Körpers absondern will«.105 Schließlich zeigt auch Konrad Hornejus (1590– 1649), theologischer Schüler von Georg Calixt und selbst Professor in Helmstedt, welch schwierigen Spagat die Theologen und Philosophen hier vor sich hatten.106 Der Körper sei das Organ der Seele, das zu deren Wesen nichts beitrage. Nach der Trennung könne sie ihre Fähigkeiten, etwa das Erkennen, weiterhin praktizieren. Doch der Umkehrschluß, daß damit das menschliche Wesen alleine in der Seele begründet sei, wird ebenfalls abgelehnt. Der Grund dafür sei, daß der Mensch nicht zur Gattung der Geister gehöre, sondern zu der der Tiere, für die der Körper konstitutiv sei. Rudolf Goclenius ging einen anderen, metaphysisch operierenden Weg:107 Zunächst betonte er, daß sowohl der Körper wie die Seele eigenständige Substanzen seien. An sich, so Goclenius weiter, sei die Vereinigung zweier Substanzen freilich keine Einheit. Doch bei Leib und Seele machte er eine Ausnahme, da beide Substanzen nur in einem defizitären Sinn seien. Da beide nämlich nur Teile der menschlichen Natur sind,108 enthalten sie jeweils einzeln nicht schon die substantiierende species. Offensichtlich sah Goclenius weder Körper noch Seele einzeln als ihrem Wesen gemäß existierend an, beide sind nämlich Teil der Natur des Menschen. Insofern seien sie ohne die Zusammenkunft mit dem jeweils anderen nicht als vollkommene Substanzen zu werten. Eben deshalb ist ihre Verbindung tatsächlich eine Einheit. Diese einheitsstiftende, weil vervollkommnende Vereinigung von Leib und Seele aber ist eben der Mensch. Zwar könne die Seele ohne den Körper bestehen, aber nicht handeln – eine wechselseitige Abhängigkeit von Leib und Seele sei also anzunehmen.109

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Ebd., fol. B3v. Ebd., fol. B3vf.: »Quamdiu tamen in corpore continetur, consentaneum est, cum organis huius ad munia sua exequenda uti, neque eius actionem ab actione corporis seiungendam esse.« Das eigentliche Organ des Intellekts sei der cerebrale spiritus. Konrad Hornejus (Praes.) und Albert Elers (Resp.): Disputatio Theologica De Resurrectione carnis. Helmstedt 1648, fol. Fv. Goclenius: Conciliator (s. Anm. 79), S. 462: »Sic argumentor. Ex duabus substantiis actu existentibus non fit aliquid unum. Sed tam corpus, quam anima hominis est substantia existens actu. Ergo anima non potest uniri corpori, ut ex his fiat aliquid unum. Respondeo per distinctionem: Ex duabus substantiis actu existentibus & perfectis in sua specie & natura, non fit aliquid unum. Anima autem & corpus non sunt hujusmodi, cum sint partes humanae naturae. Nihil igitur vetat, quo minus ex his fiat unum. Anima non habet in se speciem perfectam.« Dies wird an anderer Stelle (Goclenius: Conciliator [s. Anm. 79], S. 206–209) unter Bezugnahme auf das Verhältnis von forma und essentia entsprechend behandelt: erst die forma in materia stelle die essentia einer Substanz dar. Für den Menschen aber heißt das (ebd., S. 208): »essentia hominis tota perfectaque non est sola forma separata, sed forma unita cum materia. Animus post mortem non habet esse in materia, cum eo non sit coniuncta. Ergo animus post mortem non est perfecta hominis essentia.« Diese Verhältnisbestimmung von Form und Wesen geht mindestens auf Thomas: De ente et essentia zurück. Ähnlich auch Alberti und Günther: De appetitu naturali (s. Anm. 98), fol. A3v. Goclenius: Conciliator (s. Anm. 79), S. 464f.

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Ob diese letztlich überzeugende Begründungen für einen nicht unzweideutigen Sachverhalt waren, sei dahingestellt. Denn die latente Unklarheit war weniger ein protestantisches Problem, sondern ein grundsätzliches Phänomen der abendländisch-christlichen Anthropologie.110 Die frühneuzeitliche Seelenlehre genauso wie ihre spätantiken und mittelalterlichen Vorläufer waren immer vor dem Problem gestanden, eine duale Betrachtung der Seele leisten zu müssen: einerseits war die Seele als Form des Menschen bzw. der Lebewesen zwingend mit dem Körper verbunden; andererseits sollte die Seele selbst bereits Teil der immateriellen, geistigen Welt mit einer besonderen Affinität zu Gott sein.111 Daß diese Argumentationslage vor Descartes nicht grundsätzlich aufgelöst wurde, zeigen die zitierten Texte deutlich. Selbst wenn man anerkannte, daß Leib und Seele so weit getrennt werden sollten, daß eine direkte Kommunikation nicht mehr möglich schien, umging man doch die cartesische Lösung eines strikten Dualismus, indem man ein Mittelding einführte, den spiritus.112 Die Geschichte des spiritus soll hier nicht mehr angeschnitten werden,113 denn gerade die hier versammelte Textgruppe sowie die hier vorgestellten Themenkomplexe kamen weitgehend ohne genaue Auslassungen dazu aus. Hier genüge deshalb der schlichte Verweis auf die argumentative bzw. systematische

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Schulze: Leibhaft und unsterblich (s. Anm. 23), S. 94–110, entwickelt die These von der »Spannungseinheit« von Leib und Seele bei Thomas von Aquin. Ebd., S. 141 u.ö. wird betont, daß die Einheit und Zusammengehörigkeit von Leib und Seele nach Thomas gerade kein akzidentielles, sondern ein der Seele wesenhaftes Moment ist. Vgl. nochmals zu Thomas auch Christian Herrmann: Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung: Studien zu den anthropologischen Implikationen der Eschatologie. Göttingen 1997 (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Bd. 83), S. 142f.: »Die Reziprozität der Inexistenz und Dependenz wird so zugunsten einer platonisierenden Hierarchie durchbrochen. [...] Die Seele existiert nicht wegen des Leibes – trotz ihres Angewiesenseins auf ihn –, sondern der Leib wegen der Seele.« Vgl. zusammenfassend Baschet: Âme et corps (s. Anm. 25), S. 7f. Eine Berner Disputation von 1662 sprach dieses über alle Konfessionsgrenzen hinweg bestehende Grundsatzproblem an, vgl. David Albini (Praes.) und Michael Clarinus (Resp.): Disputatio physica de Anima Rationali. Bern 1662, fol. A2r: »Animae rationalis gemina est consideratio, absoluta una, qua consideratur ut Spiritus a corporis mole solutus, quomodo ad Pneumaticam, alijs ad Metaphysicam refertur: Altera respectiva, qua ut principium formale hominis spectatur, adeoque in conjunctionis statu, quo considerandi modo ad Physicam proprie pertinet.« Diese Arbeit zeigt dann die calvinistische Zurückweisung des Traduzianismus ganz deutlich, vgl. ebd., fol. A4rv. Vgl. z.B. Neldel: Copulatio (s. Anm. 60), fol. A4v: »Peropus ergo fuit interventu mediae cujusdam naturae & iunctionis vinculo, quo ab cognationem anima corporis materiae devinceretur & conciliaretur. Iccirco constet nobis atque affirmatum sit, minimeque dubium, spiritus eiuscemodi interpositu congredi animam & corpus.« Schön wird hier deutlich, welche Stelle der spiritus im Argumentationsgebäude hatte: Leib und Seele mußten miteinander kommunizieren können, selbst wenn sie es auf Grund ihrer Struktur selbst nicht mehr konnten. Neldels spiritus-Lehre braucht hier nicht entfaltet zu werden, gegen verschiedene Ansätze ging er einer dualen Seelenfunktion entsprechend auch von zweierlei spiritus aus. Ganz entsprechend Schato: Oratio de copulatio (s. Anm. 75), fol. B rv. Vgl. dazu Walker: Astral Body (s. Anm. 29). Vgl. auch Fuchs: Mechanisierung (s. Anm. 1), passim.

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Funktion, die das Theorieversatzstück hatte: den Spagat zwischen Absonderung der Seele und ihrer Körperverbundenheit meistern zu helfen. Dieser Ausrichtung verdankte sich auch die – von Descartes später abgelehnte – Sicht des spiritus als Zwischending zwischen Leib und Seele. Blicken wir zurück. Gerade dort, wo in emphatischen Worten, noch in eindeutig humanistischer Manier, ein positives Bild des Menschen gezeigt wurde, die dignitas hominis im Vordergrund stand, konnte die Einheit und Kooperation von Leib und Seele als höchstes aller Wunder im Menschen betrachtet werden. Unabhängig davon, ob man eher metaphysisch aus dem Zusammenhang von forma und materia oder physikalisch aus der leibseelischen Natur des Menschen oder psychologisch aus der Notwendigkeit der körperlichen Organe für die Seelentätigkeiten her argumentierte: Die Seele war immer in einer derart fundamentalen Weise auf den Körper verwiesen, daß sie diese Einheit auch nach dem Tod weiter erstrebte. Wenngleich dabei das Bewußtsein für die Verschiedenheit von Leib und Seele beibehalten wurde, so erschien doch auch die Einheit von beidem als positiv.114 An der Dualität also konnte und wollte man nicht vorbei, doch ebenso galt es, einen Dualismus zu vermeiden. Für die Gefährlichkeit eines solchen Dualismus gibt Schilling ein gutes Beispiel ab. Diese Verbindung von Leib und Seele im Menschen hatte offensichtlich in der Frühen Neuzeit eine hohe metaphorische Evidenz. So kam es, daß diese Beziehung als Vorbild verschiedener anderer Relationen gesehen werden konnte.115 Besonderen theologischen Stellenwert hatte die Frage etwa im Rahmen konfessioneller Christologie, wurde doch im Anschluß an Athanasius zumindest erwogen, das Verhältnis von Leib und Seele als Modell für die Einheit der Naturen in Christus anzusehen.116 Während Schato diesen Ansatz befürwortete,117 widersprach etwa Matthias Hafenreffer (1561–1619) in Tübingen dieser Möglichkeit und setzte die natürliche Einheit des leibseelischen Menschen dezidiert von der personalen Einheit der Naturen Christi ab. Als

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Vgl. z.B. Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), fol. A5v: »Inter caetera autem, quae miranda existunt in homine, non in postremis est illa rerum diversißimarum, corporis scilicet & animi consociatio, tamdiu permanens, dum hominem in vita esse & manere contingit.« Vgl. Anm. 49. Melanchthons Äußerungen zum Verhältnis von Leib und Seele etwa hatten weitreichende Konsequenzen für die Christologie, vgl. Theodor Mahlmann: Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung. Gütersloh 1969, S. 73–75. Melanchthon betont hier neben der Entsprechung auch die Unterschiede, vgl. CR 23, Sp. 340f. Die Seele beispielsweise verlasse im Tod den Körper, was von der göttlichen Natur gerade nicht gesagt werden dürfe. Zugleich könne sich die Art, in der die göttliche Natur der menschlichen zur Erhaltung verhelfe, schon mit der entsprechenden Beziehung der Seele zum Leib vergleichen. Alles läuft auf folgenden Schluß hinaus: So wie man (trotz hauptsächlicher Beteiligung der Seele) sagen könne, der Mensch denke, könne man auch sagen, Gott ist Mensch, Gott ist gestorben. Die Einheit macht die Übertragbarkeit von Vorgängen auf das Gesamt des infragestehenden Menschen möglich. Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), fol. A8rv.

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Unterscheidungsmerkmal führte er an: Nur bei der natürlichen Einheit im Menschen sei von einer wechselseitigen Vervollkommnung durch das jeweils andere auszugehen. In der mystischen Einheit der menschlichen und göttlichen Natur in Christus sei dagegen die Vervollkommnung nur einseitig, und zwar so, daß die menschliche Natur ausschließlich durch die göttliche vervollkommnet würde.118 Ein weiterer Bereich zeigt die offenbar allgemeine Anwendbarkeit des Verhältnisses von Leib und Seele als zeitgenössischer Ordnungsmetapher: Gerade in der Politiktheorie wurde das Modell der leibseelischen Einheit des Menschen herangezogen. Hier interessierte dann vor allem die überkonfessionell anerkannte Funktion der Seele als einheitsstiftendes, organisierendes Prinzip. Entsprechend charakterisierte man die gesetzliche Ordnung als ›Seele des Staatswesens‹. Kurz und bündig heißt es bei Georg Schoenborner: »Das Gesetz ist die Seele und der Lebensgeist der civitas. [...] Die civitas kann ohne Gesetze ihre Teile wie die Nerven oder das Blut und die Glieder nicht benützen.«119 Wie die Seele den Körper erst eigentlich als Ganzes organisiert und die Aktionen koordiniert, so scheinen erst Geordnetheit oder herrschaftliche Organisation das Staatsganze zu konstituieren, seine Einheit zu stiften und zu rechten Funktionen zu determinieren. Diese Unabdingbarkeit einer durch die Gesetze konstituierten Ordnung hat drastisch der Münchner Jesuit Adam Contzen (1573–1635) auszudrücken gewußt. Da sich Katholiken und Protestanten zumindest hinsichtlich der anthropologischen Grundsatzbestimmung der Seele als Einheitsprinzip und Organisationsorgan des Menschen einig waren,120

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Hafenreffer: Loci (s. Anm. 97), S. 180: »Quae nempe naturaliter unita sunt, illa ita sese mutuo perficiunt, ut neutrum sine altero, perfectionem suam obtineat (sic sine anima corpus mortuum est: & ita separata, corporis resurrectionem cum desiderio expectat) sed naturarum in Christo longe alia est ratio. Licet enim divina natura, naturam assumptam humanam summe perficiat. Ipsa tamen divina, quia in se simpliciter immutabilis est, ab hac nec perfectionis, nec imperfectionis quicquam accipit.« Mahlmann: Das neue Dogma (s. Anm. 116), S. 140 sieht dagegen bei Brenz eine »Analogie« des Verhältnisses der Naturen in Christus zu dem von Leib und Seele. Georg Schoenborner: Politicorum libri septes. Leipzig 31619, S. 241: »Lex anima & spiritus est civitatis [...] civitas sine lege suis partibus ut nervis ac sanguine & membris uti non potest«. Vgl. protestantischerseits zum engen Zusammenhang von körperlicher und geistiger Fehlfunktion die ausführliche Diskussion über den Zusammenhang von Geisteskrankheiten und körperlichen Phänomenen bei Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), b5r–b7v.

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kann das folgende katholische Zitat hier Geltung haben. Wie im »Epileptiker oder einem Geisteskranken [...] so leidet auch das Gemeinwesen an der Epilepsie [...], wenn es, nachdem Gesetze unterdrückt sind, durch unkoordinierte Bewegungen geleitet wird«.121 Analog zu den erwähnten Krankheitsbildern komme ein Gemeinwesen ohne steuernde Ordnung nicht zu koordinierten Aktionen. Unabhängig davon, ob eher formale oder personale Herrschaftsstrukturen ins Auge gefaßt waren, die Gesetze oder die Entscheidungsmacht des Herrschers: Die ordnungsstiftende Funktion, die im Körper allein der Seele zukam, wurde in der Politiktheorie insgesamt von den ‚staatlichen‘ Strukturen und Machtträgern absorbiert. Gerade in etatistisch-absolutistischen Tendenzen betonte man dabei also eher den herrschenden, ordnenden Charakter, den die Seele gegenüber dem Körper habe. Dabei entstand ein hierarchisches Gefälle, das einseitig die Rolle der Seele bzw. der staatlichen Macht betonte,122 das lutherischerseits in der Anthropologie eher vermieden werden wollte.

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Adam Contzen: Politicorum libri decem. S.l. 21629, S. 301: »Epilepticorum, phreneticorumque [...], ita quoque Respublica, cum sopita vel pressa lege, violentis motibus agitatur, comitiali morbo laborat, ingenti sonitu, & derepente casura.« Vgl. ebd., S. 306: »Sine cornibus taurus, sine unguibius leo, sine dentium fulmine aper vivere potest, at sine anima non potest, at lex civitatis est anima, sine ea igitur esse non potest: cum nec locus, nec opum ulla vis sine legibus servare imperium possunt«. Vgl. Johann Heinrich Boecler: Institutiones Politicae. Accesserunt Dissertationes Politicae ad selecta veterum Historicorum loca et libellis Memorialis ethicus. Argentorati 1688, S. 76: »Satis scio, Aristotelica civitatis definitione, formam non contineri: sed seorsum eam considerari. sed quia nec finis ille, quem civitati dedit, sine Respublica ullo modo obtineri: neque adeo civitas sine hac sua anima bene concipi potest: jam ante dixi, civitatem ordinatam[,] id est totam[,] a nobis hic spectari«. Was das bedeutet, nämlich eine fortschreitende Trennung von Staat und Gesellschaft, zeigt – ohne Verwendung der Seelenmetapher – Henning Arnisaeus: Doctrina politica in genuinam Methodum redactam. Frankfurt a.M. 1606, S. 125: »Potestas vero & leges ad civitatem non pertinent, sed ad Rempublicam a cujus ordine & autoritate dependent. Unde in Republica definitione dicitur, quod sit ordo potestatum in subditos, quia ubi potestas imperat per leges, ibi civitas jam est Republica informata. Hic vero considerare debemus civitatem, ut subjectum, cui Respublica inducitur. Civitas igitur ab omne majestate, legibus, jurisdictione & caeteris partibus Reipublicae abstrahenda«. Vgl. dazu insgesamt Horst Dreitzel: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die »Politica« des Henning Arnisaeus. Wiesbaden 1970 (= Veröffentlichungen des Institus für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Bd. 55).

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Die Auferstehung der Leiber und der Übergangszustand von Seele und Körper zwischen Tod und Auferstehung Mit dem Glaubensbekenntnis war allgemeiner Konsens, daß es irgendwann nach dem Tod zu einer erneuten Vereinigung der Seele mit dem Körper komme, zur Auferstehung der Leiber.123 Der Tod des Körpers und seine Vergänglichkeit stand empirisch beobachtbar fest, doch die Seele sollte über die Trennung der leibseelischen Einheit des Menschen hinaus weiter bestehen, um am Ende der Tage wieder mit einem Körper vereinigt zu werden.124 Grundsätzlich durchzog die Geschichte des Christentums hier die Streitfrage, ob es sich dabei um die Auferstehung des identischen irdisch-fleischlichen Körpers handele oder nicht.125 Strittig war für die Lutheraner dabei zunächst, ob diese Auferstehung rational bewiesen werden könne. Genau an diesem Thema hatte sich die Kritik Schillings entzündet, da dieser diese natürliche Erkennbarkeit der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung der Körper zurückweisen wollte.126 Auch

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Vgl. zur protestantischen Eschatologie des 16. und 17. Jahrhunderts insgesamt Erhard Kunz: Protestantische Eschatologie. Von der Reformation bis zur Aufklärung. Freiburg i.Br. – Basel – Wien 1980 (= Handbuch der Dogmengeschichte, Bd. IV, Fasz. 7 c, Teil 1). Hilfreich zur Einführung auch Gisbert Greshake und Jacob Kremer: Resurrectio mortuorum. Zum theologischen Verständnis der leiblichen Auferstehung. Darmstadt 1986. Belege sind für diese im Apostolischen Glaubensbekenntnis fixierte Ansicht unzählige beizubringen, ich zitiere beispielsweise Gerhard Titius (Praes.) und Friedrich Ulrich Calixt (Resp.): Theses Theologicae de immortalitate animae et resurrectione carnis. Helmstedt 1650, fol. A3v: »Docet [sc. scriptura] enim animam hanc immortalem & superstitem suo aliquando corpori iterum junctum iri, & ipsum quoque corpus immortalitatis particeps fore. Atque haec est resurrectio illa carnis, quam tanquam articulum fidei nostrae in Apostolico alijsque catholicis symbolis credere nos Christiani profitemur.« Die Dissertation von Titius und Calixt scheint abhängig von der zwei Jahre zuvor in Helmstedt disputierten, wesentlich umfangreicheren Arbeit von Hornejus und Elvers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106). Dieser Text wiederum bezog sich auf Calixt: De immortalitate (s. Anm. 89); vgl. ebd., fol. Cr. Vgl. z.B. Schato: Oratio de copulatione (s. Anm. 75), fol. A6rv. Luther sah demgegenüber stärker den ganzen Menschen als dem Tod verfallen an, vgl. Kunz: Eschatologie (s. Anm. 123), S. 49. Schatos Universitätsrede ist ein gutes Beispiel dafür, daß sich durchaus die besonderen Qualitäten der Seele als gottgegebenem Wesen und ihr strikter Unterschied zum Körper betonen ließen, ohne dabei in eine negative Gegenüberstellung von Körper und Seele zu verfallen. Der göttliche Ursprung der Seele stand für Schato fest, für die genauen Modalitäten der Weitergabe der Seele an die Kinder interessierte er sich dezidiert nicht. Grundlegend zur Geschichte des Themas in Patristik und Mittelalter Bynum: Resurrection (s. Anm. 87). Dort werden passim die angedeuteten grundlegenden Interpretationsmöglichkeiten immer wieder erwähnt. Kritik an ihrer Darstellung bei Baschet: Âme et corps (s. Anm. 25), S. 19. Gegen Bynum möchte er stärker die Hierarchie von Seele und Leib in den glorifizierten Auferstandenen betont sehen. Wichtig zur Unterscheidung von christlichem Auferstehungs- und griechischem Unsterblichkeitsglauben Oscar Cullmann: Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Stuttgart 1962 u.ö. Vgl. die Argumentation direkt gegen Jakob Martini bei Schilling: Visitatio (s. Anm. 11), S. 146: »Putant enim congerrones isti, cum anima humanae essentiae plenitudinem non largiatur sola, inde fieri ut a corporis massa avulsa ejusdem perficiendae desiderio iterum

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und gerade hier sollte die Wahrheit für den Menschen nur mit Hilfe Gottes einsehbar sein. Damit wandte er sich direkt gegen Jakob Martini, dem er entsprechende Beweisabsichten unterstellte. Der freilich sprach – im Konsens mit vielen anderen Theologen127 – von einer bloßen Illustration oder nachträglichen Plausibilisierung, etwa in einer apologetischen Situation. Darüber, über die alleinige Veranschaulichung, sei jedoch kein Streit, so Schilling.128 Bei Martini wie bei Taurellus diente der enge Zusammenhang von Seele und Körper, ihre wechselseitige Verwiesenheit aufeinander, tatsächlich dazu, die Auferstehung des Leibes plausibel zu machen:129 Da die Seele das oben schon erwähnte desiderium nach dem Leib habe, müsse es nach dem Tod und dem

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ducatur, hocque desiderium, cum non detur frustra, praesignificare certam carnis resurrectionem Fluctuas, ornatissime auditor?« Titius und Calixt: De resurrectione carnis (s. Anm. 123), fol. A4r, Br. Hornejus und Elers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. A3r–Bv. Eine vergleichsweise späte Spezialdissertation zum Thema, Heinrich Klausing und Godefred Bordan: Netensomatosis veterum gentilium aeque ac hodiernum qiorundam philosophorum conflutata ad doctrinam de resurrectione carnis vindicandam. Leipzig 1724, S. 26, formulierte ähnlich: »Quod attinet ad Philosophos nostrae aetatis illos, quorum verba supra iam allegavimus, illi quidem resurrectionem mortuorum non negant, profitentur potius eam, nunc concedentes, in natura hominis dari indicia, Anzeigungen, der Aufferstehung von den Todten, quando scilicet, mens per mortem dicitur abire ex corpore cum amore corporis, & retinere aptitudinem coniunctionis cum corpore, & potentias varias, quas sine corpore exercere nequeat.« Mit teilweise großem Aufwand wurde – bei Annahme einer nur durch die Offenbarung vermittelten Einsicht in die Auferstehung der Leiber – diskutiert, ob sich entsprechende Stellen schon im Alten Testament befinden und ob deshalb auch die Juden darum hätten wissen müssen, vgl. beispielsweise unter Zitation etlicher zeitgenössischer Philologen, Hornejus und Elvers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. B3v–Dr. [Anonym]: Honorarium Metaphysicum quo donatur Favorinus Honorius inglorius [...] oppositum. Magdeburg 1616, S. [8]: »De illustratione nulla controversia est, de probatione litigamus. Nam si principium hoc: Omnia appetunt bonum dubium feceris in hoc articulo adhibitum, poterit fieri, ut bonum vel appetatur vel minime: Imo cum anima Christo non fisa damnetur, potius concludam nullam esse resurrectionem. nam anima ideo torqueretur, quod desiderij non possit fieri compos, an sinistrae allegationis me insimulas?« Diese Schrift führte die Ansicht Schillings weiter aus: Zum ewigen Leben sei eine glorificatio corporis und clarificatio animae nötig, die nicht die Ewigkeit garantiere, sondern den tranquillum statum felicitatis. Das führt neuerlich zur Ablehnung des desiderium als Beweisgrund, vgl. ebd., S. [16–19]: »Nova igitur vis unionis perpetuitatem conciliabit. [...] Ut ideo actus resurrectionis sit intermittendus, cum alioquin impiae animae desiderium expleretur.« Vgl. Taurellus: Libellus (s. Anm. 79), fol. G2rv: »Sed animae nostrae ita comparatae sunt, ut & perficiant corpus, & vicissim a corpore perficiantur: qua in re duplici modo peccatum est a veteribus: utpote qui corpus animae sepulcrum potius quam domicilium esse censuerint: atque adeo nec vere nec libere animam id ipsum assequi posse, quo sit felix, quam diu corporis ipsa vinculis continentur. Hunc errorem alius facile consecutus est, ut nullam admitterent resurrectionem corporum: vel etiam de hac ipsa ne cogitarent quidem. Nos autem Divina patefactione commoniti verius & melius philosophari didicimus: ut tandem animadverteremus animam causa corporis, & vicissim animae causa corpus esse factum: nec partem alterutram sine altera suam consequi posse perfectionem. Quo posito vel necesse sit animam hominis ut & brutorum interire: vel aliquando in corpus esse redituram: vel si sola in aeternum supersit, nunquam sui frui posse felicitate: quod perinde est atque si dicas in aeternum esse frustra.«

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Hinscheiden des Körpers auch irgendwann erfüllt werden, wenn eine Vollkommenheit der Seele je erreicht werden sollte. Taurellus stimmte prinzipiell zu.130 Gerade angesichts von Taurellus’ These einer wechselseitigen Vervollkommnung von Leib und Seele spielte Schilling die Seele und den Körper gegeneinander aus. Seine Kritik setzte dementsprechend stark auf die schon erläuterte Separierung der Seele vom Einfluß des Körpers. Wenngleich er sich hiermit zurückhielt, so scheinen doch manche seiner Äußerungen auf eine grundlegende Ablehnung der resurrectio carnis zu deuten.131 Gegen derartige Ansichten gab es aber heftigen lutherischen Protest, wobei die Auferstehung gerade des menschlichen Leibes betont wurde. Dieser werde aus den Bestandteilen, aus denen er einst schon bestanden hatte, neu und doch in der alten Form wieder zusammengesetzt.132 Es reiche nicht aus, in der Auferstehung einen neuen, himmlischen Körper ohne fleischliche Substanz anzunehmen. Vielmehr sollten es exakt dieselben Körper sein, die einst in ihre elementaren Bestandteile zerfallen waren, die nun wieder auferstehen sollten.133 Die Auflösung des Körpers im Grab sei keine totale Vernichtung,134 was Georg Calixt mit einer alchemistischen Analogie illustrierte.135 Das eigentliche Subjekt der Auferstehung seien deshalb nicht die Seelen, sondern die Körper.136 Auch beide zusammen – das war die Folge der engen Einheit von Leib und Seele – sollte die

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Vgl. das Zitat unten Anm. 147. Vgl. v.a. Schilling: Schule (s. Anm. 89), S. 49: »meine meinung / man finde in der Natur keinen grund zur der Aufferstehung / weil die Seele nach dem Leibe nicht ist physica res physice tendens ad perfectionem nec perficiatur Physice, kein Physicum desiderium ad corpus physicum behelt.« Stärker ebd., S. 29: »Ist aber die Seele ausser dem Leibe volkommener / wie denn ein abgesonderter Geist klärer verstehen als ein Mensch / und tendiert natürlich zur volle / so wird sie nimmer in den Leib widerkommen. So du sagest / natürlich tendierte sie ad perfectionem ausser dem Leibe / so ists unrecht / Sintemal sie nicht naturaliter wider gemenschet wird / worumb sol sie nun tensionem & motum naturalem vergebens behalten?« Titius und Calixt: De resurrectione carnis (s. Anm. 123), fol. B2v. Vgl. auch Hornejus und Elers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. A2r: »Est autem resurrectio illa universalis, opus divinae omnipotentiae, qua in extremo die corpora hominum omnia, per mortem ab animabus separata, soluta, destructa, & in pulverem, terram, limum, ac cineres redacta, putrefacta, & abolita, iterum colligentur, amissum naturalem vigorem recipient, cute induentur, cum animabus suis conjungentur, & ita vera ac naturalia denuo existent corpora, ut ad tribunal Christi sisti & operum suprum vel proemia vel poenas reportare queant.« Das sei gerade nicht als Bestrafung zu verstehen, so z.B. Johannes Hülsemann: Extensio Breviarii Theologici, exhibentis praecipuas et recentiores christianae fidei controversias. Leipzig 1655, S. 276. Titius und Calixt: De resurrectione carnis (s. Anm. 123), fol. B2r: »Materia resurrectionis sive subjectum Quo, sunt eadem illa numero corpora quae in cineres & pulveres jam olim fuerunt resoluta. Nam ut illa eadem numero redeant in opsissima & formali, ut loquuntur, resurrectionis ratione includitur, adeo ut contradictionem implicet, carnis resurrectionem admittere, & carnis ejusdem numero restitutionem negare. Alia enim si foret, non diceretur resuscitari vel resurgere, sed denuo produci.« Hülsemann: Extensio (s. Anm. 132), S. 275: Der Tod ist nicht als annihilatio corporis zu verstehen. Calixt: De immortalitate (s. Anm. 89), S. 93f. unter Hinweis auf Joseph Quercetanus. Hornejus und Elvers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. D4r.

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ewige Gnade oder Strafe des Jüngsten Gerichts treffen.137 Angesichts dieser Zeugnisse scheint es doch fraglich, ob – zumindest außerhalb der Metaphysik – die körperlosen Engel das Ideal der lutherischen Anthropologie abgaben.138 Die christliche Lehre von der Auferstehung galt es gegen heidnische Vorstellungen insbesondere von einer Seelenwanderung (Metempsychose) zu verteidigen. Als solche müsse aber jede Meinung gelten, die – wie die Pythagoräer – annehme, daß die Seelen der Guten am jüngsten Tag aus einer Kerkerhaft in der Erde wieder entlassen und mit gänzlich neuen Körpern vereint würden.139 Auch Christus, das Urbild menschlicher Auferstehung, sei schließlich mit seinem eigenen, menschlichen Körper von den Toten erstanden. Die zeitgenössischen Gegner dieser wahren Lehre sah man bei den »linken Reformatoren«, bei den Wiedertäufern, Schwenckfeldern, Weigelianern. Hinzu kamen als besondere zeitgenössische Gefahr die Sozzinianer, die ebenfalls die Identität von irdischem und Auferstehungsleib leugneten.140 Mit den Sozzinianern wiederum schienen die Arminianer in den meisten Punkten übereinzustimmen. Deren klassische Stelle für einen neuen, immateriellen Körper war Mt 22,30: »In resurrectione enim neque nubent neque nubentur sed sunt sicut angeli Dei in caelo«. Dieser Vers aber dürfe – so die Verteidiger der Leibesauferstehung – nicht auf die Substanz der zukünftigen Körper, sondern müsse auf ihre Qualitäten bezogen werden.141 Als eine solche qualitas der nach wie vor mit dem ursprünglichen Menschenkörper identischen Substanz müsse auch die Freiheit von der Ehe verstanden werden, von der jener Bibelvers sprach. Allerdings sei von verschiedenen derartigen qualitativen Veränderungen des gleichbleibenden Körpers auszugehen:142 Sowohl die geistigen wie die

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Ebd., fol. B3v. Calixt: De immortalitate (s. Anm. 89), S. 85f. So Schröder: Gerhard (s. Anm. 99), S. 144: »Die Engellehre gewinnt als Idealanthropologie zweiter Ordnung erhebliches Interesse. Also: die Metaphysik der Schulphilosophie denkt den Menschen als geistiges Wesen, das nur auf Zeit körperlich ist.« Wenn letzterer Satz so für die Metaphysik tatsächlich zutreffend sein sollte, so darf er aber gerade nicht verallgemeinert werden auf die lutherische Philosophie insgesamt! Die Polemik gegen Schilling zeigt gerade, daß eher das Umgekehrte gilt: Der Mensch ist allenfalls auf Zeit körperlos. Schröder bemerkt ebd., S. 145, 147 dann doch ähnliches. Vgl. auch oben bei Anm. 110f. Hornejus und Elvers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. D2v. Zur Metempsychosis in späteren Kontexten vgl. Martin Mulsow: Vernünftige Metempsychosis. Über Monadenlehre, Esoterik und geheime Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Aufklärung und Esoterik. Hamburg 1999 (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert, Bd. 24), S. 211–273. Hornejus und Elvers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. E2v. Vgl. zum Altdorfer (Krypto-)Sozinianer Ernst Soner (1572–1612) die Hinweise bei Wollgast: Philosophie (s. Anm. 40), S. 393–397, der die Körperunabhängigkeit der Seelen bei Soner herausstellt. Die Seelen würden bei Soner nach dem Tod eine individuierende Verbindung mit der materia prima eingehen, vgl. die Zitate ebd., S. 395, Anm. 158f. Hornejus und Evers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. E4r. Die Betonung qualitativer Veränderung bei numerischer Identität sowie gleichbleibender species ist eine klassische, von Thomas inaugurierte Lösung, vgl. Bynum: Resurrection (s. Anm. 87), S. 234f. Hornejus und Evers: De resurrectione carnis (s. Anm. 52), fol. E4vf.

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natürlichen Schwachheiten seien weg genommen. Der zukünftige, in der Auferstehung mit der Seele wieder vereinigte Leib war also sowohl identisch wie verschieden im Vergleich zum irdischen Körper. Dies war der corpus clarificatum.143 Er sollte zwar die Organe, etwa den Magen, vollständig besitzen, doch – so allein sei 1 Kor 6,13 zu verstehen – ihr Gebrauch sei dann aufgehoben.144 Eine Veränderung des menschlichen Körpers war Teil der ewigen Glückseligkeit, die im Jenseits möglich war. Gar eine Schau der Trinität mit den – veränderten – Augen des Körpers schien möglich.145 Aus Patristik und Mittelalter hatte die Theologie wie die Philosophie des 16. und 17. Jahrhunderts also eine differenzierte Problemlage geerbt, was den Status der Seele nach dem Tod des irdischen Körpers angeht. Einerseits war die Seele mit dem Hinscheiden des Leibes keine Person im vollen Wortsinn mehr. Andererseits war die abgetrennte Seele nicht völlig entpersonalisiert und anonymisiert gedacht, so lange sie auf den jüngsten Tag wartete.146 Um dem Dilemma zu begegnen, mußte der Zustand zwischen Tod und Auferstehung entsprechend beschrieben werden. Taurellus befürwortete deshalb eine im Luthertum weitgehend abgelehnte These: Die menschlichen Seelen würden nach dem Tod und der damit erfolgenden Trennung vom Körper bis zur Wiedervereinigung in der Auferstehung in einer Art Schlaf dahinvegetieren, denn ohne die körperliche Vollkommenheit könne keinerlei Tätigkeit ausgeübt werden.147 Auch Luther ging von einem Ruhezustand aus, der allerdings anders

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Vgl. z.B. Leonhard Hutter: Compendium locorum theologicorum. Hg. von Wolfgang Trillhaas. Berlin 1961 (= Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen, Bd. 183), S. 134. Zum Spannungsfeld zwischen Identität und Veränderung des auferstehenden Körpers und des irdischen Leibes vgl. Bynum: Resurrection (s. Anm. 87), S. 29f., 34–43. Paulus hatte insbesondere die Veränderung betont, während Kirchenlehrer wie Justin insgesamt stark die auch organische Identität beider Leiber betont hatten, vgl. ebd. Ferner Hermann Weber: Die Lehre von der Auferstehung der Toten in den Haupttraktaten der scholastischen Theologie. Von Alexander von Hales zu Duns Skotus. Freiburg i.Br. – Basel – Wien 1973 (= Freiburger Theologische Studien, Bd. 91), S. 254–263. Hornejus und Evers: De resurrectione carnis (s. Anm. 106), fol. Fr. Vgl. auch Calixt: De immortalite (s. Anm. 89), S. 119: Die Organe würden nicht mehr als Organe, sondern als Teile des Körpers auferstehen. Für Hülsemann: Extensio (s. Anm. 132), S. 264 beispielsweise sind die »privatio omnium eorum, quae corpus alterare, affligere, aut corrumpere solebant aut poterant« und »Eorum, quae animae quovis modo molesta aut noxia erant« die ersten beiden Bestandteile der beatitudo aeterna. Eine »Divinae essentiae & SS. Trinitatis visio, per oculos corporis« sollte ebenfalls möglich sein (vgl. ebd., S. 265). Baschet: Âme et corps (s. Anm. 25), S. 13: »Les conceptions médiévales oscillent donc dans un entre-deux: l’âme séparée n’est ni un vague spectre impersonnel, ni une personne au sens plein du terme.« Zur Herausbildung der Identitätssthematik zwischen irdischer und auferstehender Person als Zentralproblem der christlichen Eschatologie vgl. Bynum: Resurrection (s. Anm. 87); Weber: Auferstehung (s. Anm. 143), bes. S. 217–254. Taurellus: Libellus (s. Anm. 79), fol. Gv: »Cum tamen animae vita multis perficiatur actionibus, quas ut exerat corporis eget adminiculo: recte quibusdam Theologis videatur animas post mortem, etsi vivunt ita conquiescere tamen, quasi dormiant. Nam hominum vita societate quodammodo perficitur, quae non est absque sensibus & loquela.«

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als bei Taurellus den gesamten Menschen betreffen sollte.148 Paracelsus befürwortete die Vorstellung eines Schlafes der Seele zwischen Tod und Auferstehung ebenfalls.149 Auf Seiten der Kritiker dieser Konzeption standen – neben Johannes Calvin – die meisten orthodoxen Theologen, etwa Aegidius Hunnius (1550–1603) oder Johannes Quenstedt (1617–1688).150 Eng verbunden mit dieser Thematik ist eine ebenfalls aus dem Mittelalter überkomme Thematik: die Frage, ob die Seele sofort nach dem Tod oder erst nach dem Jüngsten Gericht – und damit nach der Vereinigung mit dem neuen Körper – eine (vollständige) Schau Gottes erreichen kann. Mit der Tradition ging man davon aus, daß sofort mit dem Tod eine visio Dei durch die Seelen der Geretteten möglich sei. Zwar fehle den Seelen noch ein Teil ihrer perfectio, doch sei die Vollendung durch den Körper unter diesem Gesichtspunkt doch nur akzidentiell.151 Deutlich ist auch zu sehen, wie beide Aspekte verbunden werden konnten. Weil die visio Dei eindeutig als andauernder Akt zu verstehen sei, konnte es nicht angehen, die Seele schlafend zu denken.152 Mit diesen wenigen Bemerkungen soll das Gebiet der Eschatologie wieder verlassen werden. Die traditionellen Probleme bei der genaueren Ausgestaltung des Zustands der Seelen nach der Trennung vom Leib zeigen zusammen mit der Behandlung der leiblichen Auferstehung, wie sehr die Lehre vom Verhältnis von Leib und Seele im Luthertum auch weit über die natürliche Anthropologie hinausgehende Implikationen hatte. Daß dabei weitgehend an der leibseelischen Einheit des Menschen auch über den Tod hinaus festgehalten wurde, kann trotz der Kürze des Überblicks aber als Ergebnis festgehalten werden.

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Herrmann: Unsterblichkeit (s. Anm. 110), S. 97f.: »Die Toten in ihrer psychophysischen Totalität, nicht etwa nur die Seele als ein dem Leib gegenüber abgrenzbarer Teil des Menschen, ruhen. […] Luther möchte mit Hilfe der Schlafvorstellung die Annahme einer unmittelbar mit dem Tod eintretenden und sich über einige Zeit hinstreckenden Seligkeit der Seele in leiblosem Zustand vermeiden«. Diese Totalität ist bei Taurellus nicht betont. Kunz: Eschatologie (s. Anm. 123), S. 19–21: Funktion des Seelenschlafs sei, den Tod und die Auferstehung zeitlich nicht getrennt denken zu müssen. So auch Greshake und Kremer: Resurrectio (s. Anm. 123), S. 244–247. Vgl. Ernst Wilhelm Kämmerer: Das Leib-Seele-Geist-Problem bei Paracelsus und einigen anderen Autoren des 17. Jahrhundert. Wiesbaden 1971, S. 27. Aegidius Hunnius: Propositionum, Tomus I (s. Anm. 97), S. 519: »Quod ergo piorum animas suis corporibus solutas attinet, non dormiunt illae ociose [...], sed in eo momento quo fideles moriuntur, sempiterno fruuntur aspectu Dei in summo & inenarrabili gaudio.« Innerhalb dieser Disputation ist diese These besonders ausführlich biblisch belegt. Analog ebd., S. 543f.: »Sequitur ergo, errare illos, qui dormire illas absque gaudij sensu ad diem usque iudicij opinantur«. Ebd., S. 545, Nr. 25. Zu Quenstedt vgl. Herrmann: Unsterblichkeit (s. Anm. 110), S. 100, Anm. 242: »animae piorum – tempore inter mortem hominis et extremum judicium intermedio non dormiunt«. Vgl. Anm. 49 zu Calvin. Kunz: Eschatologie (s. Anm. 123), S. 51. Zur Tradition des Mittelalter vgl. Anneliese Maier: Ausgehendes Mittelalter. Gesammelte Aufsätze zur Geistesgeschichte des 14. Jahrhunderts. Bd. III. Rom 1977 (= Storia e letteratura, Bd. 97). Zur protestantischen Lehre Kunz: Eschatologie (s. Anm. 123), S. 52f. Vgl. Carl Heinz Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung II. Gütersloh 1966, S. 268, Nr. 15 am Beispiel Johann Gerhards.

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Die Lokalisierung der Sünde im Menschen Ging man davon aus, daß Leib und Seele eine mehr als nur akzidentielle Einheit sein sollten, so schien es für die Lutheraner unmöglich, das Phänomen der Erbsünde einfach im Leib des Menschen zu lokalisieren. Vielmehr mußte dann der gesamte leibseelische Mensch als Sitz der Erbsünde angesehen werden, die ja den ganzen Menschen betraf. Schon die Konkordienformel war einer einfachen Identifikation von Leib und Sünde theologisch entgegengetreten.153 Auch Taurellus weigerte sich strikt, dem menschlichen Körper eine besondere oder gar die einzige Schuld an der Sünde anzulasten.154 Es sei nicht der Leib, dem man die Verderbnis der Seele zuschreiben könne, denn auch die vom Körper abgetrennte Seele könne Gott mißfallen.155 Verschiedentlich läßt sich im Zusammenhang solcher Erörterungen über das Verhältnis von Leib, Seele, menschlicher Natur und Sündhaftigkeit sehen, wie Grundanliegen lutherischer Anthropologie durchscheinen. Die Erbsündenlehre war nämlich ein weiterer, vielleicht gar der entscheidende Grund, warum den lutherischen Autoren der Traduzianismus besonders plausibel erschien. Nur durch diese Seelenentstehungslehre nämlich, so sah das beispielsweise im Jahr 1669 Jakob Thomasius (1622–1684), könne die Konsequenz des Kreationismus verhindert werden, daß nämlich die Sündhaftigkeit des Menschen vom Körper her komme müsse und auf die göttlich geschaffene Seele erst übertragen würde.156 Das aber galt es kategorisch abzulehnen.157 Das Hervorgehen der neugeborenen Seele aus den

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Vgl. Gunther Wenz: Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch. 2 Bde. Berlin 1998, hier Bd. 2, S. 552, Anm. 7. Vgl. Nicolaus Taurellus: Philosophiae Triumphus, hoc est, Metaphysica Philosophandi Methodus [...]. Basel 1573, S. 23f., 347–351. Allenfalls könne man sagen, die Verbindung aus Leib und Seele sei Ursprung der Sünde, vgl. ebd., S. 25: »Cum enim malum esse cor hominis sacrae literae doceant, nec ipsa mala sit animae substantia, malum id ex coniunctione corporis, & animae ortum, voluntatemque & intellectum ex accidenti vitiosum esse ducimus: Simplices enim animae facultates non sunt, sed aliunde compositionem habent, ex qua malum prodit quod in nobis committitur.« Taurellus: Philosophiae Triumphus (s. Anm. 154), S. 26: »Sic corpori non Deo primum animae corruptionem adscribimus.« Ebd., S. 37: »Cum anima Deo etiam a corpore separata displiceat ipsi talis affectio (cum ipsamet eius substantia mala non sit) adscribenda est, quae sine corpore consistere possit«. Vgl. auch ebd., S. 38: »Anima etiam sine corpore peccare posset«. Ebd., S. 24: »Quamobrem cum sine corpore (nil ipso videlicet ad id conferent) anima peccare potuerit, ut in diabolis est conspicuum, ipsam solam (ut absurdum vit[d]etur quod alias consequeretur Deum per se mali causam esse) peccatricem esse dicimus.« Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 27: »si de modo propagandi peccatum originale quaereas, facile ipsum vidisse, si tradux asseratur, in animas filiorum transire peccatum ex animabus parentum: stante autem creatione, nihil ipsum verisimilius habuisse, quam ab infecta carne migrare peccatum in animam.« Vgl. zum Zusammenhang von lutherischer Erbsündenlehre und Traduzianismus auch Schröder: Gerhard (s. Anm. 99), S. 153. Vgl. Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 81 gegen Coler: »Quaestio erat inter nos & ipsum: An corpus tale, a Deo animandum, possit Animam immittendam in ejusmodi corpus, inficere contagione peccati? Colerus hoc ait: nobis

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Seelen der Eltern dagegen würde zugleich eine sofortige Weitergabe der dort schon als tatsächliche Qualität vorhandenen concupiscientia plausibel machen. Eine Kombination von göttlicher Schöpfung der Seele und Vermittlung der Erbsünde durch die Eltern nur an den Körper sollte ausgeschlossen sein,158 wie könne es sonst auch böse unkörperliche Geister geben.159 Kurzum: Allein mit dem Traduzianismus konnte lutherischerseits die Lokalisierung der Erbsünde im Gesamt des natürlichen Menschen und zugleich deren richtige Definition als positive, nicht-privative Eigenschaft aufrecht erhalten werden. Diese prinzipielle Abwehr eines dualistischen Leib-Seele-Verhältnisses, bei dem beide Teile extrem unterschiedlich bewertet werden, ist ein wichtiges Grundanliegen lutherischer Theologie wie Philosophie, bei dem Seelenlehre und Erbsündentheologie eine Einheit bilden. Eine Thesenreihe von Taurellus von 1596 explizierte sogar, weshalb es plausibel sei, eher die Seele als den Körper für die Sünde verantwortlich zu machen: In der Seele würden die beiden seit Luther ausgemachten hauptsächlichen Hindernisse gegen den Glauben wohnen, der Wille und die Vernunft.160 Wäre die Seele nicht vom Fall getroffen, würde sie sich durch die an sich neutralen Affekte des Körpers nicht weiter tangieren lassen.161 Entsprechend warnte Taurellus nur wenig später davor, den biblischen Negativbegriff ›Fleisch‹ auf den Körper zu beziehen. Deshalb sollte immer nur die Seele zusammen mit dem Körper getadelt werden.162 Die Wittenberger spitzten den Gedanken noch weiter zu: Nicht der Leib, sondern die Seele selbst sei die »principalcausa« der Sünde, wie die anonyme Verteidi-

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idipsum negantibus«. Vgl. zum diesbezüglichen Kontext der lutherischen Orthodoxie auch Vaahtoranta: Restauratio (s. Anm. 24), S. 52f. (mit Anm. 24). Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 27–34 schließen eine Auseinandersetzung mit dem falschen Erbsündenverständnis der Katholiken an. Letztlich scheine hier immer noch die Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus auf, denn von Pelagius komme das entscheidende Argument: Da die Seele kreationistisch von Gott komme, müsse die Sünde, die in der Seele ihren Platz haben solle, geleugnet werden; vgl. ebd., S. 31. Augustinus habe deshalb zur Aufrechterhaltung der Erbsünde deren Residuum in den Körper verlegt. Dafür wurde er kritisch kommentiert, besonders, weil er den Körper als »vitiata vasa« der Seele bezeichnete. Das Argument bringt Martini: Vernunfftspiegel (s. Anm. 13), S. 563. Taurellus: Theses de Ortu animae (s. Anm. 32), fol. A4rv (Nr. X): »Nostra autem impuritas cum ab inobedientia primorum parentum originem habeat, verisimile est hanc in nos non per corpus, ab Adamo genitum, translatam esse, sed potius per animam rationalem, mentem scilicet & voluntatem, quae peccati subjectum est. Corpus enim ab elementorum quidem qualitatibus varie afficitur, peccati autem aut virtutis capax esse non potest.« In diese Richtung geht auch der Einwand von Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 35, gegen Augustinus’ Definition der concupiscientia. Der Fehler liege in einer unguten Akzentuierung, d.h. in einer hauptsächlichen Erwähnung der vis appetendi et sentiendi als Quelle der Konkupiszenz. Demgegenüber müsse bei deren Definition weit stärker auch die ratio miteinbezogen werden. Taurellus: Theses de Ortu animae (s. Anm. 32), fol. A4v (Nr. X): »Anima quoque pura corpore impuro affici non potest. Corporis enim puritas & impuritas corporeae sunt, quae non possunt in animam incorpoream incidere.« Ebd., fol. B2r (Nr. XXXV).

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gungsschrift für Jakob Martini 1616 gegen Schilling formulierte.163 Diese Äußerung ist – trotz einiger Anknüpfungspunkte164 – sicherlich eine vereinseitigende Entgegnung auf den Magdeburger, dem Martini die eindeutige Identifikation von Sünde und Leiblichkeit des Menschen vorgeworfen hatte.165 Doch trotz der Überzeichnungen ist insgesamt bei den Autoren um Martini und Taurellus die Einheit von Leib und Seele im Menschen besser gewahrt, als dies beim Kritiker der Fall war. Obwohl sich Schilling mit expliziten Äußerungen zur Rolle des Körpers im sündigen Verhalten des Menschen zurückhielt, so dividierte er doch die guten und die sündhaften Komponenten zumindest implizit weit auseinander. Sein Fall zeigt, wie das Verhältnis von Leib und Seele zueinander zu einem Problem werden konnten, wo christliche Erbsündentheologie und aristotelisch-einheitliche Anthropologie aufeinander prallten. Solche Konfrontationen entstanden insbesondere dort, wo speziell der Leib als Feind Gottes apostrophiert wurde.

Das weite Feld der vorcartesianischen Anthropologie und ihrer Auffassung der leibseelischen Struktur des Menschen ist mit diesen wenigen Bemerkungen weder schon vermessen geschweige denn bereits erschlossen. Die Mehrzahl der potentiellen Fragen, auch der verschiedenen Disziplinen, die Teil daran hatten, wurden nicht einmal angesprochen. Das gilt von der Medizin ebenso wie von der – in der entsprechenden Forschung ohnehin zumeist vernachlässigten – juristischen Dimension. All das konnte im hiesigen Rahmen weder besprochen noch angedeutet werden. Weitere Forschung erscheint hier ebenso notwendig wie wünschenswert. Und doch sollten zumindest zwei grundlegende Strukturmerkmale durch den hiesigen Überblick deutlich geworden sein. Zunächst zeigt sich, daß von einer rein philosophischen Anthropologie noch längst nicht die Rede sein konnte. Die wichtige Rolle genuin theologischer Theoreme wird an so zentralen Punkten wie der Seelenentstehungslehre deutlich, die ihren Maßstab im Erbsündenverständnis fand. Die deutsche universitätsphilosophische Tradition, von Taurellus als Naturphilosoph bis zu Calixt als Theologe, akzeptierte bereitwillig diese Nähe der Disziplinen. Diese enge Verbindung galt es aber zu verteidigen, das zeigt die heftige Reaktion von Cornelius und Jakob Martini gegen Wencel Schilling ganz deutlich. So können dessen Schriften ver-

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[Anonym]: Kurtze Verandtwortung (s. Anm. 90), S. 79. Ebd.: »Es hette sich vielmehr [statt andersherum] der Leib zu beschweren / daß er durch die Seele in solch Elendt geriethe / Denn ja / wie alle Gelehrte zeugen müssen [...] peccati in homine est anima non corpus.« Thomasius und Vake: De origine animae humanae (s. Anm. 22), S. 58, sehen die Seele als den eigentlichen Träger der Erbsünde an, die das primum subjectum der Sünde sei, der Körper dagegen nur ihr secundum subjectum. Der Körper als solcher werde ja nicht von den Eltern auf die Kinder übergeben, wie es aber für die Erbsünde gelte. Wohl aber werde die Seele übergeben, die ergo die erste Vermittlungsinstanz der Sünde sein müsse. Ganz übereinstimmend, bis in die Wortwahl, auch Thumm und Wildersin: Controversia de Traduce (s. Anm. 26), S. 83f. Martini: Vernunfftspiegel (s. Anm. 13), S. 549 behauptet (ohne Angabe), Schilling würde dies vertreten.

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deutlichen, wogegen auf dieser Ebene zu kämpfen war. Ganz gewiß war Schillings eigentliches Anliegen im Gefolge Hofmanns eher ein theologisches denn ein philosophisches. Als Schlagwort kann hier ›Fideismus‹ dienen. Doch es wurde schon angedeutet, daß er sich zu dessen Verteidigung genuin philosophischer Argumentationen bediente. Entsprechend wurde er von Martini im Vernunfftspiegel auch philosophisch widerlegt. Ziel Schillings war besonders in den lateinischen Schriften, die philosophische Skepsis gegenüber den philosophischen Lösungsmodellen auszureizen: viele Fragen ließen sich nicht beantworten,166 eben deshalb sei der ›Fideismus‹ der angemessene Ausweg, stünde doch mit der Offenbarung eine sichere Antwort auf alle Fragen zur Verfügung. Auch wenn Schillings Instrumentalisierung der Skepsis äußerst offenkundig ist – deutlich wird dennoch die doppelte Gefahr, der sich die klassische Universitätsphilosophie über die Fächer hinweg ausgeliefert sah. Theologischer Offenbarungspositivismus und philosophische bzw. metaphysische Zurückhaltung agierten hier strukturell übereinstimmend.167 Ein gewisses

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Schilling ging sehr weit, um die Untauglichkeit philosophischer Gottesbeweise zu belegen. Gelegentlich brachte er sich in die Nähe typisch atheistischer Ansichten, etwa in seiner Erklärung für die Existenz des Gewissens, das ja ebenfalls zum Gottesbeweis herangezogen werden konnte, z.B. Hutter: Compendium (s. Anm. 143), S. 1308, §2, Nr. 2; Martini: Vernunfftspiegel (s. Anm. 13), S. 551. Schilling setzte eine rein anthropologische Theorie dagegen: Nicht das Verhältnis zu Gott, sondern die Furcht vor den Menschen erzeuge das Gewissen. Auch der negative Einfluß des Körpers auf die Seele sei es, der Gewissensnöte erzeuge. Die Seele würde nämlich um ihre ›Höherwertigkeit‹ wissen und sich von daher über die Vermischung mit dem Körper und deren Folgen quälen. Schilling: De notitijs (s. Anm. 11), S. 31–33: »Quid stimulat animam peccantem? an justicia Dei peccato succensentis? Quid Dei justicia? o profunditatem! Pone justiciam cum philosophis, & illa cum infinita essentia formaliter concepta reciprocabitur, quomodo vero cum effectu [sc. motus conscientiae] hoc immediate sociatur? Motus in conscientia laesa excitatus naturalis est, vel praeter naturae fluxum, Si naturalis, mediante causa creata, producitur, & ita demonstrativa firmitate de Numine forinsecus existente non demonstratur; Si praeter naturae dispositionem motus conscientiam obturbans exurgit, miraculum accidit, miraculose homo pecasse se discit, miraculose illud agnoscit esse erratum, quod contra rationis judicium est, quasi a natura album a nigro distinguere nesciret, o stultitiam! o inficetias! [...] nonne formido poenae? sic puto. An hinc immensi numinis vindictam existentem expiscaberis? An conscientiae afflictio est numinis proprietas? Homo homini timorem incutit, movet animum tranquillum, ut poenam praesentiens contristetur.« Ebd., S. 45f.: »Lucem divinam in se radiantem novit animus, sese magnificium intelligit, pretiosum thesaurum sibi commissum esse capit, sese omnibus corporibus sublimiorem, diviniorem & puriorem admiratur, execratur illud, quod celsitudinis pulpito devolvere mentem poterat, abominatur incuriam, qua corporis libido faturatur, pessundatur mentis foecunditas. Ergo mens execrando sceleratum ausum sese angit, ut malitiam imprecans anima & sese increpans crucietur, & ita apodicta certitudine numinis existentia nondum inclarescit.« Diese Argumente wies Martini zurück mit Hinweis darauf, das Gewissen agiere auch dann, wenn niemand von der Tat wisse. Das bedeute, daß sich der Mensch in seinen Gewissensnöten vor Gott fürchte, vgl. Martini: Vernunfftspiegel (s. Anm. 13), S. 552–557. Vgl. dazu Panajotis Kondylis: Die neuzeitliche Metaphysikkritik. Stuttgart 1990, bes. S. 15–17, 71–92, der beide Formen – als »Fideismus« und »Skeptizismus« – unter dem Oberbegriff »Agnostizismus« zusammenfaßt. Zu Luther und der an ihn anschließenden – letztlich auch Schilling betreffenden – Tradition ist das Buch allerdings zu knapp, vgl. lediglich ebd., S. 77f.

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Maß an beidem freilich schien der ›Orthodoxie‹ erträglich, auch andere Lutheraner urteilten beispielsweise skeptisch über die Beweisbarkeit der Leibesauferstehung. Vernunftkritik und Konzentration auf die Hl. Schrift hatten sehr wohl ihre Rolle im Luthertum. Doch sobald sie sich zu grundsätzlichen philosophischen bzw. theologischen Positionen mit polemischer Verve, zu ›Skepsis‹ und ›Fideismus‹ eben, auswuchsen, schien ein anderes Axiom verletzt: Gegen beide Extreme mußte dann die wechselseitige Ergänzung von Theologie und Philosophie verteidigt werden. Hierfür ist die Seelenlehre nur ein Beispiel unter anderen. Noch in anderer Hinsicht zeigt sich, daß die Kontroverse zwischen den Martini und Schilling ein günstiger Ausgangspunkt zur Gewinnung eines Überblicks war. Deutlich sollte der grundlegende Konsens geworden sein, in dem man sich gegen dualistische Anthropologien sah. Die inneren Unebenheiten dieser Einheitsfront sollen nicht nochmals aufgezählt werden. Wichtiger ist hier die allgemeine Überzeugung von der leibseelischen Einheit des Menschen, in der Gut und Böse, Gottgefälligkeit und Sünde nicht eindeutig verteilt waren. Diese Grundüberzeugung leitete die Ausgestaltung einzelner Theoriestücke. Andersartige Ansätze, zumal wenn sie – wie bei Schilling in weiterem Kontext gezeigt werden könnte – dazu tendierten, die Dichotomie von ›materiell – immateriell‹ mit der von ›sündhaft – göttlich‹ zu identifizieren, wurden anthropologisch kritisiert. Zurückgewiesen wurde dabei letztlich auch eine simplifizierende Umdeutung der lutherischen Zweireichelehre, die ja gerade nicht von einer Gleichsetzung des Irdischen mit dem Reich des Teufels und des Geistlichen mit dem Gottesreich ausgegangen war.168 Besonders deutlich wurde diese Umgestaltung bei der Lokalisierung der Erbsünde, die als Fluchtpunkt aller hier vorgestellter Themenfelder angesehen werden kann: gegen die orthodoxe Mehrheit scheint Schilling tatsächlich jener Richtung angehört zu haben, die weniger den ganzen Menschen gleichzeitig unter die Sünde und die Erlösung gestellt sehen wollten (simul justus et peccator), sondern diese Gleichzeitigkeit aufzuteilen schien auf den sündhaften Leib und die gottnahe Seele. Es scheint so, als bemühten sich die beiden Martini und die anderen herangezogenen Autoren, diese Deutung des lutherischen Strukturprinzips unmöglich zu machen. Daß sie vor dem Hintergrund dieser theologisch so zentralen, integrativen Anthropologie dreißig Jahre später auch begannen,

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Vgl. Ulrich Duchrow: Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre. Stuttgart 1970 (= Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Bd. 25). Vgl. die treffende Bemerkung bei Schröder: Gerhard (s. Anm. 99), S. 146, die historisch zu verstehende erbsündentheologische Differenz (ante – post lapsum) dürfe in ihren anthropologischen Konsequenzen nicht mit den anthropologischen Differenzen philosophischer bzw. metaphysischer Reflexion (corpus – anima; forma – materia), die strukturell statisch sind, verwechselt oder identifiziert werden! Genau aus diesem Grund sei im Übrigen die Lehre des Flacius unannehmbar gewesen.

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die zum leibseelischen Dualismus führende Veränderung durch Descartes zurückzuweisen, verwundert dabei kaum.169

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Bibliographischer Nachtrag der seit Fertigstellung des Manuskripts Ende 2000 erschienenen Literatur (Auswahl): Nicholas Constas: An Apology for the Cult of Saints in Late Antiquity. Eustratius Presbyter of Constantinople, On the State of Souls after Death, in: Journal of Early Christian Studies 10 (2002), S. 267–285; Stefan Podlech: »animae cum corpore amicitia«. Zum Leib-Seele-Problem nach Wilhelm de la Mare, in: Collectanea Franciscana 70 (2000), S. 43–78; Silas Langley: Aquinas, resurrection, & material continuity, in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 75 (2001), S. 135– 149; Pekka Kärkkäinen: Theology, Philosophy, and Immortality of the Soul in the Late Via Moderna of Erfurt, in: Vivarium 43 (2005), S. 337–360; Dennis Des Chene: Life’s Form. Late Aristotelian Conceptions of the Soul. Ithaca – London 2000; Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa. Alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute. Darmstadt 2000; Hirai Hiro: Le concept de semence dans les théories de la matière à la Renaissance: de Marsile Ficin à Pierre Gassendi. Turnhout 2005; Roy Porter: Flesh in the Age of Reason. London 2003; Simone de Angelis: Zwischen creatio und generatio. Zum Problem der Genese der Seele um 1600 – Rudolph Goclenius, Julius Caesar Scaliger, Fortunio Liceti, in: Säkularisierung der Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit, Bd. 2 (Zwischen Apologetik und methodologischem Atheismus). Hg. von Lutz Danneberg u.a. Berlin – New York 2002, S. 94–144. Zu spezifisch medizinhistorischen Aspekten vgl. verschiedene Arbeiten von Michael Stolberg, u.a. ders.: The crime of Onan and the laws of Nature. Religious and medical discourses on masturbation in the late 17th and early 18th centuries, in: Paedagogica historica (39) 2003, S. 701–717. Die ethischen Implikationen der scholastischen Debatten in einem modernen Kontext – der Abtreibungsproblematik – dokumentiert beispielsweise die scharfe Debatte zwischen John Haldane, Patrick Lee und Robert Pasnau in: Philosophy 78 (2003).

PRAKTIKEN DER SCHULPHILOSOPHIE

Ulrich G. Leinsle

Wie treibt man Cardano mit Scaliger aus? Die (Nicht-)Rezeption Cardanos an der Jesuitenuniversität Dillingen

»Primum Cardanus videndus, post Scaliger; deinde veritas«,1 so definiert die methodische Abfolge eine Wittenberger Disputation des Jahres 1645 und greift damit zurück auf eine der literarisch einflußreichsten Kontroversen in der Philosophie des 16. Jahrhunderts zwischen Girolamo Cardano (1501–1576) und Julius Caesar Scaliger (1484–1558). Sie ist niedergelegt in Cardanos 21 Büchern de subtilitate, erstmals gedruckt Nürnberg 1550, und in erweiterten Fassungen Paris 1551, dann 1554 und 1560, zu seinen Lebzeiten bereits in zehn Auflagen publiziert,2 und Scaligers Exotericarum exercitationum liber XV. De Subtilitate ad Hieronymum Cardanum, erstmals in Paris 1557 erschienen, auf den Cardano in der Ausgabe 1560 mit der Actio prima in calumniatorem libri de subtilitate antwortete. Cardanos »enzyklopädisches« Werk,3 das von den physikalischen Prinzipien über die Elemente, Kosmologie, die Pflanzen- und Tierkunde, Anatomie, Medizin, Psychologie, den Mirabilia naturae bis zur Theologie alles behandelt, erfährt in Scaliger einen ebenso scharfsinnigen wie literarisch geschliffenen, kritischen, manchmal auch bissigen Kommentar, der sich zudem durch etwas größere systematische Klarheit auszeichnet.4 Es ist hier nicht der Ort, die in der Literatur mehrfach behandelte Kontroverse in allen Einzelheiten darzustellen.5

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Gottfridus Kronbigell: Disputatio e I. C. Scaligeris Exercitatione IV de raritate et densitate. Wittenberg 1645, fol. A2r. Markus Fierz: Girolamo Cardano (1501–1576). Arzt, Naturphilosoph, Mathematiker, Astronom und Traumdeuter. Basel-Stuttgart 1977, S. 24f.; zur Druckgeschichte: Ingo Schütze: Die Naturphilosophie in Girolamo Cardanos De Subtilitate. München 2000 (= Humanistische Bibliothek, Reihe I, Bd. 49), S. 167–169. Schütze: Naturphilosophie (s. Anm. 2), S. 20–28, zeigt mit guten Gründen, daß Cardano sein Werk nicht als Enzyklopädie, sondern im Anschluss an Plinius als historia naturalis konzipiert hat. Für die Art der Benutzung durch andere ergeben sich daraus, wie unten (Abschn. 4) gezeigt wird, aber kaum Konsequenzen. Deshalb soll hier »enzyklopädisch« in Anführungszeichen gesetzt werden. Gegenüber Cardanos »Narrativität« (vgl. Schütze: Naturphilosophie [s. Anm. 2], S. 23) weist es aber eine für den Scholastiker eher verständliche Gliederung auf. Zu Einzelfragen Georges Kouskoff: La Querelle entre Jérôme Cardan et Jules-César Scaliger: De Subtilitate ad Hieronymum Cardanum, in: Acta Scaligeriana. Actes du Colloque International organisé pour le cinquième centenaire de la naissance de Jules-César Scaliger (Agen, 14–16 septembre 1984) réunis par J. Cubleier de Beynac et M. Magnien. Agen 1986 (= Recueils des travaux de la Société Academique d’Agen, 3e série, Tome VI), S. 207–220; Ian Maclean: The interpretation of natural signs: Cardano’s De subtilitate versus Scaliger’s Exceritationes. In: Occult and Scientific Mentalities in the Renaissance. Cambridge u.a. 1984, S. 231–252.

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Ulrich G. Leinsle

Für die Rezeption beziehungsweise Nicht-Rezeption in Deutschland von entscheidender Bedeutung ist, daß die stark platonisch-hermetisch geprägte Philosophie Cardanos in Scaliger einen Kritiker findet, der dem Aristotelismus programmatisch wesentlich näher steht, ja als »Wachhund« des Stagiriten apostrophiert wird,6 und damit dank seiner Kritik Cardano bei aller Ablehnung doch auch den Weg in die Universitätsphilosophie ebnet. Für die hier darzustellende Auseinandersetzung an einer Jesuitenuniversität ist zudem die Stellung beider Autoren zur katholischen Kirche relevant.

1. Cardanos und Scaligers Stellung zur aristotelischen Philosophie und theologischen Orthodoxie Cardanos Philosophie ist trotz aristotelisch-averroistischer Elemente weithin nicht-aristotelisch.7 Das beginnt mit einem, wie Eckhart Keßler gezeigt hat, völlig unaristotelischen, plotinischen, aber auch nominalistisch beeinflußten Naturbegriff und einer von Aristoteles abweichenden Elementenlehre,8 führt über eine stark neo-stoisch, aber auch epikureisch und aktivistisch geprägte Moralphilosophie,9 eine ebenso an der Erfahrung orientierte wie durch die oft naive Freude an allerlei unglaublichen mirabilia naturae gekennzeichnete Naturbeschreibung, eine unaristotelische, aber auch nicht streng galenische Medizin,10 umfassende Astrologie einschließlich eines determinierenden Einflusses auf den menschlichen Willen,11 über dessen Freiheit Cardano ohnedies seine Zweifel hat, schließlich zu einer stark deistisch-epikureischen Gotteslehre. Hinzu kommt eine im Encomion Neronis auch literarisch dargestellte und dadurch einflußreiche Präferenz für die politische Schläue des Renaissancefürsten und Tatmenschen im Gegensatz zu den ethischen Grundsätzen der aristoteli-

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Sébastien Basson: Philosophiae naturalis contra Aristotelem libri XII. Genf 1621; s. auch Christoph Lüthy: An Aristotelian watchdog as avant-garde physicist: Julius Caesar Scaliger, in: The Monist 84 (2001), S. 542–561. Relativ umfassende Darstellung bei Alfonso Ingegno: Saggio sulla filosofia di Cardano. Firenze 1980; auf die aristotelischen Elemente in averroistischer Interpretation weist vor allem Schütze: Naturphilosophie (s. Anm. 2), passim hin. Eckhart Keßler: »Alles ist Eines wie der Mensch und das Pferd«. Zu Cardanos Naturbegriff, in: ders. (Hg.): Girolamo Cardano. Philosoph, Naturforscher, Arzt. Wiesbaden 1994 (= Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, Bd. 15), S. 91–114; Schütze, Naturphilosophie (s. Anm. 2), S. 94–109. Guido Canzaini: »Sapientia« e »Prudentia« nella filosofia morale di Cardano. In: Keßler (Hg.): Cardano (s. Anm. 8), S. 11–47. Vgl. Giancarlo Zanier: Medicina e filosofia tra ‘500 e ‘600. Milano 1983, S. 39–123. Vgl. Jerzy Ochman: Il determinismo astrologico di Girolamo Cardano. In: Magia, astrologia, religione nel Rinascimento. Convegno polacco-italiano (Varsavia: 25–27 settembre 1972). Wroclaw u.a. 1977 (= Accademia Polacca delle Scienze. Biblioteca e Centro di Studi a Roma. Istituti di filosofia e socologia. Conferenze, fasc. 65), S. 123–129.

Wie treibt man Cardano mit Scaliger aus?

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schen Politik.12 Die auch vorhandenen aristotelischen und scholastischen Einflüsse treten gegenüber der Kritik eher in den Hintergrund.13 Dagegen scheint der heute weit weniger bekannte Julius Caesar Scaliger, alias Giuliano Bordoni,14 viel besser in die philosophische Landschaft Deutschlands zu passen. Nach seiner erfundenen Biographie Spross der alten Veroneser Familie de la Scala, Knappe Kaiser Maximilians I., zeitweiliger Franziskaner, skotistisch gebildet, Philosoph und Mediziner in Padua und Venedig, schließlich Leibarzt des Bischofs Antonio della Rovere in Agen, Philologe und Dichter von bedeutendem Einfluß,15 bissiger Kritiker Rabelais’ und Erasmus’, verkörpert er einen humanistischen Aristotelismus, stark averroistisch geprägt allerdings, der im weiteren Spektrum der Schule von Padua durchaus Geltung besitzen konnte. Entscheidend für das Bild das »Aristotelikers« Scaliger wurden nicht zuletzt seine Übersetzungen und Kommentare zum 10. Buch der Historia animalium, zu De Plantis und Theophrasts de causis plantarum. Seinen eigentlichen Ruhm in Deutschland aber begründet eben der Exotericarum exercitationum liber XV. De Subtilitate ad Hieronymum Cardanum, bis 1665 noch zwölfmal aufgelegt, davon neun Auflagen in Frankfurt und zwei in Hanau.16 Als umfassende Kritik eines selbst umfassenden Werkes angelegt, wurde Scaligers de Subtilitate, das sich genuin aristotelisch gibt, aber auch offen ist für andere Richtungen, vor allem Scotismus, platonische Einflüsse und mathematische Interessen und eine aus Meteorologica IV gespeiste Korpuskulartheorie,17 zudem eine klare Umschreibung der Metaphysik als Ontologie und einen skotistisch gereinigten Gottesbegriff des ens infinitum bietet, tatsächlich zu einem wichtigen Quellenwerk vor allem der protestantischen Schulphilosophie.18 Rudolf

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Vgl. Eugenio di Rienzo: L’aquila e lo scarabeo. Culture e comflitti nella Francia del Rinsacimento e del Barocco. Roma 1988, S. 25–60. Das Encomium Neronis fand auch Eingang in Caspar Dornavius: Amphitheatrum Sapientiae Socraticae Ioco-Seriae, Schauplatz schertz- und ernsthafter Weisheiten. ND d. Ausg. Hanau 1609. Hg. u. eingel. v. Robert Seidel. Goldbach 1995 (= Texte der Frühen Neuzeit, Bd. 9), Bd. 2, S. 65–102. Jean-Claude Margolin: Cardan interprète d’Aristote, in: Platon et Aristote à la Renaissance. XVI e Colloque International de Tours. Paris 1976 (= De Pétrarque à Descartes, Bd. 32), S. 307–333; Massimo Luigi Bianchi: Scholastische Motive im ersten und zweiten Buch De subtilitate Girolamo Cardanos, in: Keßler (Hg.): Cardano (s. Anm. 8), S. 115– 130; Schütze: Naturphilosophie (s. Anm. 2), passim. Zur Identität vgl. Myriam Billanovich: Benedetto Bordon e Giulio Cesare Scaliger, in: Italia medioevale e umanistica 9 (1968), S. 187–256. Zur Biographie und Philosophie Kristian Jensen: Rhetorical Philosophy and Philosophical Grammer. Julius Caesar Scaliger’s Theory of Language. München 1990 (= Humanistische Bibliothek Reihe I, Bd. 46), mit Werkverzeichnis: S. 208f.; veraltet, aber im Detail brauchbar: Vernon Hall jr.: Life of Julius Caesar Scaliger (1484–1558), in: Transactions of the American Philosophical Society, N. S. 40, Part 2, Philadelphia 1950, S. 85–170. Vgl. Ilse Reneke: Julius Caesar Scaligers Kritik der neulateinischen Dichter. Text, Übersetzung und Kommentar des 4. Kapitels von Buch VI seiner Poetik (Humanistische Bibliothek Reihe I, Bd. 45). München 1988. Vgl. Jensen: Rhetorical Philosophy (s. Anm. 14), S. 208. Vgl. Lüthy: Aristotelian watchdog (s. Anm. 8), S. 549–551. Vgl. Ulrich G. Leinsle: Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg 1985, S. 78–87; zum Einfluß auf

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Goclenius d. Ä. (1547–1628) soll es seine Bibel genannt haben.19 Von Thomas Sagittarius (1577–1621) in Jena erscheint 1622 posthum eine 1610 gelesene Metaphysica Aristotelico-Scaligerea, in der Scaliger nicht nur Hauptlieferant seiner 2102 Axiome ist, sondern als Autorität direkt neben Aristoteles tritt.20 Einen weiteren Höhepunkt erreicht die lutherische Scaliger-Rezeption unter Johannes Sperling (1603–1658) in den Jahren 1645 bis 1658 in Wittenberg.21 Dieser protestantischen Rezeption Scaligers und der beachtlichen Anhängerschaft Cardanos unter den französischen Skeptikern, Epikureern und Libertins22 gegenüber ist die katholische Auseinandersetzung mit beiden bisher, von Kristian Jensen abgesehen, kaum beachtet worden.23 Sie fällt auch anders aus als die protestantische. Schuld daran ist sicher auch die zweifelhafte Orthodoxie beider Autoren. Cardano muß, wie Eugenio di Rienzo aufgezeigt hat, in seiner religiösen Einstellung eher als Stoiker, denn als Christ bezeichnet werden, in der Psychologie vertritt er deutlichen Averroismus, philosophische Skepsis bezüglich der Unsterblichkeit, die These vom unfreien Willen und ist zudem stark lutherfreundlich.24 Alle Drucker Cardanos sind, wie Ian Maclean dargestellt hat, häresieverdächtig; die Druckorte Nürnberg und Basel sprechen für sich;25 dennoch haben ranghohe Kardinäle Interesse an seinen Handschriften, darunter der allerdings selbst von der Inquisition verklagte Kardinal Giovanni Morone.26 Die Gesamtausgabe der Werke Cardanos, Lyon 1663, wird denn auch als antikatholische Enzyklopädie gewertet.27 Cardano selbst wird 1570 in Bologna unter Anklage der Häresie gefangen genommen, auf Vermittlung seiner Gönner, der Kardinäle Borromeo, Morone und Cesi nach knapp drei Monaten

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David Gorlaeus s. Lüthy: Aristotelian watchdog (s. Anm. 8), S. 551f.; ders.: David Gorlaeus’ Atomism, or the marriage of Protestant Metaphysics with Italian Natural Philosophy, in: ders. u.a. (Hg.): Late Medieval and Early Modern Matter Theories. Leiden u.a. 2001 (= Medieval and Early Modern Science, Bd. 1), S. 245–290, bes. S. 267–270. Vgl. Christoph Gottlieb Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexicon. Leipzig 1750/51, Bd. 2, S. 1031. Thomas Sagittarius: Metaphyicorum Aristotelico-Scaligereorum libri II. Jena 1622; vgl. Leinsle: Ding (s. Anm. 18), S. 293–305. Johannes Sperling: Meditationes in Julii Caesaris Scaligeri exotericas exercitationes de subtilitate. Wittenberg 1656; weitere Titel vgl. Michel Magnien: Bibliographie Scaligérienne, in: Acta Scaligeriana (s. Anm. 5), S. 329. di Rienzo: L’aquila (s. Anm. 12), S. 195–260: La fortuna di Cardano in Francia: Tra Libertinismo erudito e Illuminismo radicale; Etienne Wolf: Les lecteurs de Jérôme Cardan: Quelques éléments pour servir à l’histoire de la réception de son œuvre, in: Nouvelle Revue du XVI e siècle 9 (1991) S. 91–107. Kristian Jensen: Cardanus and his readers in the sixteenth century, in: Keßler (Hg.): Cardano (s. Anm. 8), S. 265–308. Eugenio di Rienzo: La Religione di Cardano. Libertinismo e Eresia nell’Italia della Controriforma, in: Keßler (Hg.): Cardano (s. Anm. 8), S. 49–76. Ian Maclean: Cardano and his publishers 1534–1663, in: Keßler (Hg.): Cardano (s. Anm. 8), S. 309–338. Ebd., S. 329; di Rienzo: Religione (s. Anm. 24), S. 71; vgl. M. Firpo: Il processo inquisitoriale del Cardinale Giovanni Morone. Roma 1981. Maclean: Cardano and his publishers (s. Anm. 25), S. 330f.

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aus dem Gefängnis entlassen, und zunächst unter Hausarrest getellt, bis der Prozeß gegen Cardano 1571 nach Rom gezogen und Cardano dort auf Befehl des Papstes wieder in das Ärztekollegium aufgenommen wird, was ihm eine Berufsausübung gestattet. Sein Werk de subtilitate wird mit den meisten anderen nicht-medizinischen Schriften mehrfach indiziert, bereits 1551 von der Sorbonne, 1559 im Index von Valdes, von Lissabon 1581, 1583 von Quiroga »nisi repurgentur«, mit gleicher Auflage im Index Sixtus’ V. von 1590, wieder aufgenommen 1596 von Clemens VIII.28 Noch in einer theologischen Disputation aus der Prämonstratenserabtei Speinshart von 1791 wird Cardano neben Hobbes und Pierre Bayle zu den Autoren gerechnet, mit denen sich die katholische Theologie bezüglich der natürlichen Gotteserkenntnis kritisch auseinandersetzen müsse.29 Aber auch Scaliger ist kein Mann einer fleckenlosen Orthodoxie.30 1538 kommt es in Agen zu einer Anklage wegen zweifelhafter religiöser Praktiken und Lehren und des Besitzes von verdächtigen Büchern. Scaliger scheint aber einer Verurteilung entronnen zu sein. Tatsache ist, daß er mit hochrangigen Protestanten in Verbindung stand, darunter Andreas Melanchthon. Hinzu kommt der in seinen Gedichten manchmal krass zu Tage tretende Antiklerikalismus, nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit Rabelais.31 Seine Kommentare zu Theophrasts De causis plantarum und zu De plantis werden im Antwerpener Index 1570 im Anhang aufgeführt, von dort kommen sie »nisi repurgentur« in den Index Quirogas 1583, 1590 zusammen mit den Poemata in den Index Sixtus’ V. und 1596 Clemens’ VIII. mit derselben Auflage der Purgierung. Ins Einzelne gehen die Ausstellungen der spanischen und portugiesischen Inquisition an den Poemata.32 Von einer Indizierung verschont bleiben jedoch die Exercitationes de subtilitate. So könnte man also mit diesem katholischen Besen eines nicht ganz orthodoxen Autors den häretischen Cardano austreiben. Doch bei den Jesuiten gab es ein zweites Hindernis: die ordensinternen Weisungen bezüglich der an den Universitäten und Kollegien zu lehrenden Philosophie, niedergelegt in den Konstitutionen, den Entwürfen und der endgültigen Fassung der Ratio studiorum von 1599 und den Listen der zu vertretenden bzw. freien oder verbotenen opiniones im delectus opinionum.33 Die Konstitutionen

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Die Indices librorum prohibitorum des sechszehnten Jahrhunderts, gesammelt und herausgegeben von Franz Heinrich Reusch. Tübingen 1886, ND Niewkoop 1961, S. 99, 223, 408f., 469, 355, 543. – 1596 in der I. Classis, d.h von generell härsieverdächtigen Autoren (ebd. S. 246); Franz Heinrich Reusch: Der Index der verbotenen Bücher. Bonn 1883, ND Aalen 1967, S. 486f. Otto Wild: Positiones ex Theologia dogmatica, def. Wilhelm Wittmann, Hermann Hafner. Amberg 1791, Theologia dogmatica generalis th. 1 (S. 7). Vgl. auch Adelin Charles Fiorato: Jules-César Scaliger bien ou mal sentant, in: Acta Scaligeriana (s. Anm. 5), S. 13–33. Jensen: Rhetorical Philosophy (s. Anm.14), S. 28–30. Ebd., S. 30f.; Indices, ed. Reusch (s. Anm. 28), S. 297, 471, 495, 560; Reusch: Index (s. Anm. 28), S. 418. Vgl. Ulrich G. Leinsle: Delectus opinionum. Traditionsbildung durch Auswahl in der frühen Jesuitentheologie, in: Georg Schmuttermayr u.a (Hg.): Im Spannungsfeld von Tra-

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der Gesellschaft Jesu hatten zwar den Anschluß an Aristoteles, soweit er mit dem katholischen Glauben vereinbar war, verordnet,34 aber die Frage, welchem Aristoteles man folgen sollte, war damit noch nicht im Detail beantwortet.35 Der Kampf innerhalb des Ordens, vehement in der Oberdeutschen Provinz, nicht zuletzt an der 1563 den Jesuiten übergebenen Universität Dillingen geführt, richtete sich in der Hauptsache gegen averroistische Tendenzen am Collegium Romanum, als deren Hauptvertreter der ebenfalls für die protestantische Schulphilosophie einflußreiche Benedictus (Benito) Pereira (1535–1610) angesehen wurde.36 Averroistisch geprägt ist aber die Aristotelesauffassung sowohl bei Cardano wie bei Scaliger, und der umstrittene Pereira ist andererseits – nicht zuletzt durch seine Kritik der Astrologie – der wesentliche Vermittler cardanischer Gedanken in der Gesellschaft Jesu im späten 16. Jahrhundert, vom Dillinger Rektor Theoderich Canisius (1532–1606) allerdings beschimpft als »author omnium apostatorum et atheorum Societatis«.37 Wie soll es da eine Rezeption der beiden an einer nach außen hin so geschlossenen Jesuitenuniversität wie Dillingen, einem Bollwerk gegen die protestantischen Universitäten, geben?

2. Der bibliothekarische Befund Aus der Bibliothek des ehemaligen Jesuitenkollegs in Dillingen hat sich an der dortigen Studienbibliothek ein purgiertes Exemplar von Cardanos De subtilitate, Paris 1552, erhalten.38 Der Einband weist es ebenso als Dillinger Besitz aus wie der spätere Besitzvermerk »Collegium Soc. Jesu Dilingae 1607«. Das Titelblatt fehlte wie bei Büchern häretischer Autoren öfter (z.B. bei den Lehrbüchern Melanchthons) bereits beim Binden. Herausgeschnitten wurden die inkriminierten Bücher 19 bis 21 De daemonibus, De Angelis seu Intelligentiis und De Deo et universo. Buch 18 De mirabilibus ist ab der Behandlung der Gifte (veneficia)

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dition und Innovation. Festschrift für Joseph Kardinal Ratzinger. Regensburg 1997, S. 159–175. Constitutiones Societatis Jesu c.14 n.3. Roma 1965 (= Monumenta Paedagogica Societatis Iesu, ed. Ladislaus Lukács, Tom. 1. Monumenta Historica Societatis Iesu, Bd. 92), S. 299. Zur Frage des vielfachen Aristoteles beziehungsweise Aristotelismus in der Renaissance vgl. vor allem Charles B. Schmitt: Aristotle in the Renaissance. Cambridge, Mass. 1983. Leinsle: Delectus opinionum (s. Anm. 33), S. 160–162; ders.: Ding (s. Anm. 18), S. 87– 97; vgl. vor allem Jacobus Ledesma: Quaedam quae dicenda et defendenda sunt in philosophia 1564, in: Monumenta Paedagogica Societatis Iesu. Ed. Ladislaus Lukács, Tom. 2. Roma 1974 (= Monumenta Historica Societatis Iesu, Bd. 107), S. 496–503; Franciso Borgia: Decretum de opinionibus in Philosophia et Theologia tradendis, Nov. 1565, in: Monumenta Paedagogica Societatis Iesu. Ed. Ladislaus Lukács, Tom. 3. Roma 1974 (= Monumenta Historica Societatis Iesu, Bd. 108), S. 382–386. Jensen: Cardanus and his readers (s. Anm. 23), S. 273; Germana Ernst: »Veritatis amor dulcissimus«. Aspetti dell’astrologia in Cardano, in: Keßler (Hg.): Cardano (s. Anm. 8), S. 157–184, hier S. 182. – P. Antonius Balduin an Francisco Borja, Dillingen 20. Dez. 1670, in: Monumenta Padagogica Societatis Jesu, Tom 3 (s. Anm. 37), S. 494f. StuBD (= Studienbibliothek Dillingen) X 656.

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entfernt bzw. geschwärzt.39 Ebenso unleserlich gemacht ist in Buch 15 der Name Melanchthon, während in einem anderen purgierten Exemplar der Name belassen, aber der Beisatz »vir eruditus« getilgt wurde.40 Eingeklammert, aber nicht geschwärzt, sind neben kleineren Passagen in Buch 11 De hominis necessitate die Behandlung der vier Religionen: Heidentum, Judentum, Christentum und Islam, die hier phänomenologisch nur als Unterschiede der Menschen aufgefasst sind, und in Buch 12 de hominis natura mit der Randbemerkung »Cave« die medizinische Betrachtung des Geschlechtstriebs.41 Von den übrigen Werken Cardanos ist lediglich das unbedenkliche Opus novum, de proportionibus numerorum [...] praesertim Artis Magnae sive de Regulis Algebraicis , Basel 1570, als Dillinger Besitz auszumachen.42 Von Scaliger können wir trotz des fehlenden Titelblatts aufgrund der Dillinger Einbandprägung bereits die Erstausgabe der Exercitationes de subtilitate, Paris 1557, als Bestand ausmachen;43 später kommen weitere Exemplare, teilweise aus Vorbesitz dazu. Vorhanden sind weiters Scaligers Übersetzung des 10. Buch der Historia animalium, Lyon 1584,44 sein Kommentar zu de plantis und Theophrasts De causis plantarum, Genf 1566,45 aus Vorbesitz 1611 die auch am Collegium Romanum erlaubte Poetik (Lyon 1561),46 sowie eine radikal purgierte Ausgabe seiner Poemata von 1574.47 Nicht fehlen dürfen natürlich die ihm von den Jesuiten untergeschobenen Poemata sacra, Köln 1600.48 Die Pur-

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Lib. XVIII, S. 650 teilweise geschwärzt, Rest herausgeschnitten; vgl. Ausgabe Basel 1582, S. 922f. Lib. XV, S. 488; vgl. Ausgabe Basel 1582, S. 678; letzteres entspricht genau der Vorschrift des Index Clemens’ VIII.: »Itemque epitheta honorifica et omnia in laudem haereticorum dicta deleantur«; vgl. Reusch, Indices (s. Anm. 28), S. 532. Lib. XI, S. 451–454; Lib. XIII, S. 468f. StuBD XI 268; Besitzvermerk Collegium S.J. Dilingae 1602. StuBD X 624; ein zweites Exemplar dieser Ausgabe mit Tübinger Einband kommt 1670 aus Vorbesitz nach Dillingen: StuBD IX 978. StuBD V 1487: Sammelband mit Besitzvermerk Collegii Soc. Jesu Dilingae 1602, enthält: Justus Lipsius: De Constantia. Lyon 1591; Aulus Persicus: Satyria (mit Kommentar von Eilhard Lubin). Amsterdam 1595; Wenceslaus M. de Zastissell: Oratio de viro nobili. Basel 1596, Beiband 3 herausgeschnitten, 4. Aristoteles: Historiae; vgl. Magnien: Bibliographie (s. Anm. 21). S. 307f. StuBD IX 359; vgl. Magnien: Bibliographie (s. Anm. 21), S. 301, 304f. Besitzvermerk: Collegii Soc. Jesu Dilingae 1602. StuBD I 214,1 zusammengebunden mit: In librum Hippocratis de Insomniis und Strabo: Rerum geographicarum libri septem; Einbandprägung Herzog Christian von Württemberg; Besitzvermerk: Collegii Societatis Jesu Dilingae 1611; vgl. Magnien: Bibliographie (s. Anm. 21), S. 302; Jacobus Ledesma: Relatio de professorum consultationibus circa Collegii Romani studia (1565/65), in: Monumenta Paedagogica Societatis Iesu, Tom. 2 (s. Anm. 36), S. 619f. StuBD V 1779, Besitzvermerk: Societatis Jesu Dilingae; vgl. Magnien: Bibliographie (s. Anm. 21), S. 305; herausgeschnitten sind S. 113–147 (Nova epigrammata), außer dem letzten, und S. 225–254 ein großer Teil der Thaumantia; unleserlich gemacht sind weithin Stellen erotischen und antiklerikalen Inhalts (auch über Rabelais, gelegentlich mit Zufügung am Rand: haeretico); zu den inkriminierten Stellen auch Jensen: Rhetorical Philosophy (s. Anm. 14), S. 30f. StuBD V 1783; vgl. Jensen: Rhetorical philosophy (s. Anm. 14), S. 31.

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gierung fällt in Dillingen im Vergleich zu den Vorschriften des Index Clemens’ VIII.49 einerseits radikal aus, indem man die gefährlichen Teile einfach herausschneidet, andererseits doch auch wieder relativ behutsam, wenn man sie mit anderen Exemplaren vergleicht. Jedenfalls ersparte man sich damit eine Auseinandersetzung mit den eigentlich metaphysischen Thesen Cardanos in den letzten Büchern von de subtilitate.

3. Die Auseinandersetzung mit Cardano und Scaliger in den Dillinger Disputationen Gegenstand der lehrmäßigen Auseinandersetzung bleibt also ein bereits purgierter Cardano, aber ein, was de subtilitate betrifft, vollständiger Scaliger. Als Quellen unserer Untersuchung dienen hier die philosophischen Disputationsthesen, da im fraglichen Zeitraum an der kleinen, aber für den katholischen Raum einflußreichen Universität Dillingen selbst keine Lehrbücher entstanden sind.50 Rein quantitativ fällt dabei die Auseinandersetzung mit den beiden italienischen Philosophen nicht sehr ins Gewicht. In den 276 untersuchten Disputationen zwischen der ersten Erwähnung Cardanos 1586 und dem zweiten Schwedeneinfall 1647, der den Universitätsbetrieb längere Zeit lahm legte, tritt Cardano in 29, Scaliger in 24 Disputationen relativ kontinuierlich vor allem zwischen 1591 und 1631 auf. Dort, wo man am frühesten einen Einfluß von Cardano vermuten könnte, beim Pereiraschüler Antonius Balduin (1533–1587), finden wir nichts; vielmehr hält sich Balduin in seinen Thesen von 1571 und 1573 wohlweislich genau an das Decretum de opinionibus in Philosophia et Theologia tenendis des Generals Francisco Borja vom November 1565, klagt aber in einem Brief an denselben vom 28. Dezember 1570, P. Rektor Theoderich Canisius sei gar zu streng »in libertate opinandi professoribus concedenda«.51 Allerdings vertritt

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Indices, ed. Reusch (s. Anm. 28), S. 531–533. Wesentlich mehr Streichungen, aber keine Schwärzungen oder Entfernungen enthält z.B. das in meinem Besitz befindliche Exemplar der Ausgabe Basel 1582. Zur Universitätsgeschichte vgl. Thomas Specht: Geschichte der ehemaligen Universität Dillingen (1549–1804) und der mit ihr verbundenen Lehr- und Erziehungsanstalten. Freiburg i. Br. 1902, ND Aalen 1987; Rolf Kießling (Hg.): Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Dillingen/Donau 1999 (= Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen an der Donau 100); biographische Angaben bei Laetitia Boehm u.a. (Hg.): Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München, Teil I. Berlin 1998 (= Ludovico Maximilianea, Forschungen, Bd. 18); Herbert Gerl: Catalogus generalis Provinciae Germaniae Superioris et Bavariae Societatis Jesu 1556–1773. München 1968. – Zur Lehre vgl. Ulrich G. Leinsle: Dilinganae Disputatones. Der Lehrinhalt der gedruckten Disputationen an der Philosophischen Fakultät der Universität Dillingen 1555–1648. Regensburg 2006 (= Jesuitica, Bd. 11). Antonius Balduinus: Assertiones de universa prope philosophia naturali. Dillingen 1571; ders.: Theses Philosophicae de universa prope naturali scientia, def. Georg Wirt. Dillingen 1573; Franciscus Borja: Decretum de opinionibus in Philosophia et Theologia tenendis,

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Balduin, gestützt auf die Autorität der bedeutendsten Philosophen und Mediziner (besonders Avicenna), auf Vernunft und Erfahrung, gegen die Mehrheit der Dillinger Professoren ein formales, aktuales Bleiben der Elemente in der Mischung, allerdings unter Abschwächung der Qualitäten.52 Gegenüber Cardano fallen zunächst die negativen Stellungnahmen ins Auge. Da man sich mit der ohnehin in Disputationen wenig behandelten Metaphysik nicht mehr zu beschäftigen hatte, beschränkt man sich weitgehend auf die unaristotelischen Lehren in der Naturphilosophie, insbesondere seine Lehre von der Beseeltheit der Steine und Metalle, auf die er aus deren Wachstum geschlossen hatte, und seine vom Schularistotelismus abweichende Elementenlehre. Cardano entfernt ja das Feuer aus der Zahl der Elemente und versteht sie als brennende Luft, was dann natürlich auch zu einem anderen Aufbau des Weltsystems führt, da der natürliche Ort des Feuers über Luft und Wasser nicht mehr bestehen kann. Damit zusammen hängt weiters eine veränderte Lehre von den vier primären Qualitäten, da nach Cardano an sich alles kalt und feucht ist, und erst durch das Feuer getrocknet und erwärmt wird.53 In den Disputationen von 1586 bis 1597 wird gegen diese Meinungen meist nur die überkommene und verordnete peripatetische Lehre dargelegt; Georg Clainer (Klainer, 1574–1620) verweist 1608 gegen Cardanos Beseelung der Metalle schlicht auf die Erfahrung; erst 1612 bis 1614 finden wir ausführlichere Argumente gegen Cardano, so in einer Disputation von Georg Holzhai (Holzhay, 1571–1646), der die Substanzkategorie anhand der Metalle darlegt, deren causa formalis eben nicht in einer anima, sondern im actus substantialis elementorum besteht, während der Ire Ambrosius Gaudinus (1583–1619) 1614 dem subtilitatis professor mangelnde Unterscheidung zwischen lebendiger und nicht lebendiger nutritio in den Pflanzen bzw. Steinen vorhält.54 Nicht zur Sprache kommt in diesem Zusammenhang allerdings die abweichende Seelenauffassung bei Cardano, der sie primär aus dem calor caelestis bestehen läßt, sie dann aber doch als forma auffaßt, aller-

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in: Monumenta Paedagogica Societatis Iesu, Tom. 2 (s. Anm. 36), S. 382–386; Antonius Balduinus an F. Borja, 28. Dez. 1570, ebd., S. 494f. Balduinus: Assertiones 1571 (s. Anm. 51), ass. 29 (fol. A4v); ders.: Theses 1573 (s. Anm. 52), th. 49f. (fol. A4r). Vgl. Schütze: Naturphilosophie (s. Anm. 2), S. 93–125. Petrus Bacher: Disputatio metaphysica, physica, logica. Dillingen 1586, th. 98 (S. 24); Johannes Faber: Disputatio philosophica. Dillingen 1588, th. 99f. (S. 19); th. 107 (S. 20); Jakob Frey: Philosophica de anima disputatio, def. Johannes Beckh OCist. Dillingen 1591, th. 19 (S. 5); Valentin Eisenhart: Assertiones ex praecipuis Philosophiae partibus. Dillingen 1595, th. 24 (fol. 7v); Johannes Spies (Specius): Disputatio philosophica de anima, def. Jakob Petrus OSB, Gregor Reubi OSB. Dillingen 1597, th. 6 (S. 3); Georg Clainer: Conclusiones peripateticae de anima eiusque speciebus, facultatibus, operationibus, def. Karl Curtius OSB, Martin Heuffler OSB. Dillingen 1608, concl. 17 (S. 9f.): »quem satis refutat experientia«; Georg Holzhai: Theses philosophicae de praecipuis categoriis et principe membro. Dillingen 1612, th. 4 (S. 2); Claudius Sudanus: Theses philosophicae de mixto inanimo, def. Johannes Zimmermann. Dillingen 1613, th. 40 (S. 12); Ambrosius Gaudinus: Disputatio philosophica de anima, def. Johann Jakob Mayr. Dillingen 1614, th. 12 (S. 6).

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dings nicht im hylemorphistischen Sinne.55 Bezüglich des Feuers, das er nur als Akzidens ansieht, wirft ihm Paul Grandinger (1602–1670) 1639 mangelndes Verständnis vor und betont, daß an der communis sententia festzuhalten sei.56 Mit Verweis auf den Spott Scaligers wird Cardanos Lehre von den primären Qualitäten 1604 von Jean Mocquet (1574–1642) abgelehnt: Kälte und Trockenheit bleiben positive Qualitäten und besagen nicht nur das Fehlen von Wärme bzw. Feuchtigkeit.57 Kritisch gegenüber den von Cardano angeführten zoologischen Realien, z.B. daß die Ameisen bei der Geburt blind seien und die Vögel taub, zeigt sich auch Andreas Capittel, bereits mit Verweis auf neuere Literatur, z.B. das für die Biologie, Anatomie und Psychologie maßgebliche jesuitische Standardwerk von Hieronymus Dandinus.58 Die Ablehnung der naturphilosophischen Zentrallehren Cardanos macht jedoch eine positive Benützung seines Werkes als Fundgrube, vor allem für Realien, nicht unmöglich. Diese setzt allerdings erst 1603 ein, und bewegt sich weitgehend im Rahmen der Magia naturalis bzw. und mirabilia naturae und der Eigenkünste.59 In diesem Zusammenhang ist auffallend, daß auch das wichtigste jesuitische Lehrbuch zu dieser Thematik, Martinus Delrios (1551–1608) Disquisitiones Magicae, zwar vor der Schlange im Kraut von de subtilitate warnt, es jedoch positiv heranzieht und nicht zuletzt der Metalltheorie Cardanos viel Sympathie entgegenbringt.60 Positiv würdigt ihn im Zusammenhang mit den Wirkungen wahrer Magia naturalis erstmals 1603 der 1610 aus der Gesellschaft Jesu entlassene Simon Som, dem wir die erste thematische Disputation zur Magia naturalis in Dillingen verdanken. Über deren Ablehnung kann sich Som nur wundern, da sie – in der Tradition der philosophia perennis – doch von Gott an Adam übertragen wurde und Salomon darin größte Erfahrung besaß. 61 Jean Mocquet führt Cardano zwar neben Aristoteles als Autorität für

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Girolamo Cardano: De subtilitate l. 2 (Basel 1582, S. 106–109); vgl. Schütze, Naturphilosophie (s. Anm. 2), S. 119–125. Paul Grandinger: Caelum publice defensum, def. Mauritius an der Almend. Dillingen 1639, th. 3 (S. 2). Jean Mocquet: Selectorum philosophiae decretorum assertiones undetriginta. Dillingen 1604, ass. 16 § 23 (S. 20); vgl. Julius Caesar Scaliger: De subtilitate Ex. 18 (Frankfurt a.M. 1576, S. 86–91). Andreas Capittel: Anima vitae, sensu et rationis particeps, def. Martin Stör OPraem. Dillingen 1619, th. 60, 68 (S. 20, 22); vgl. Hieronymus Dandinus: De corpore animato Libri VII. Luculentus in Aristotelis tres de anima libros Commentarius Peripateticus. Paris 1610. Vgl. Schütze: Naturphilosophie (s. Anm. 2), S. 127–158. Martinus Delrio: Disquisitionum Magicarum libri sex. Mainz 1603, l. 1 c. 3 De magia naturali seu Physica (S. 8): »In Cardani de Subtilitate et de Varietate libris passim latet anguis in herbâ, & indigent expurgatione Ecclesiasticæ limæ«. – Positiv herangezogen S. 32 zur vis characterum, annulorum etc.; zu Cardanos Metalltheorie l. 1 c. 5 q. 1 (S. 53): »vivere et nutriri metalla, ut animam habentia vegetativa: id non admodum absurdum est, sed fateor verius quod Aristoteles censuit«; positiv für Chrysopoia l. 1 c. 5 q. 1 s. 4 S. 62). Simon Som: Assertiones philosophicae de secretiore philosophia sive de naturali magia, def. Johannes Frey. Dillingen 1603, ass. 6 (S. 3); ebd., ass. 22 (S. 8).

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Levinus Lemnius’ Lehre vom Einfluß der bösen Geister an, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, daß zu diesem Thema ein Heide vieles sagen darf, was bei einem christlichen Philosophen und Mediziner nicht toleriert werden kann.62 In Fragen der Magie tritt er aber als Autorität nicht selten direkt neben Delrio, vor allem in der in Dillingen weitgehend angestrebten Reduktion angeblich magischer Erscheinungen auf natürliche, d.h. aristotelische, Prinzipien.63 Eine besondere Rolle spielt er dabei in Kaspar Wencks (1589–1634) großer Auseinandersetzung mit Rudolf Goclenius d.J. (1572–1621) um die Waffensalbe (unguentum magneticum) von 1626, die Wenck über den konkreten Anlass hinaus zu einer generellen Abwehr einer paracelsisch-rosenkreuzerischen philosophia astralis, sideralis bzw. magnetica, einschließlich einer actio in distans macht. Nimmt man mit Cardano einen bestimmenden okkulten Einfluß der Gestirne an, muß man gegen Aristoteles eine doppelte Komplexion der Dinge akzeptieren: 1. aus dem Mischungsverhältnis der primären Qualitäten, 2. aus dem Einfluß der Gestirne.64 Andererseits kann Cardano genug Beispiele natürlicher Wirkungen gegen die von Goclenius angenommene Fernwirkung liefern und neben Pietro Pomponazzi (1462–1525) und anderen als Modellautor für eine Rückführung wunderbarer Wirkung auf die richtige Mischung (eukrasia) der Substanzen dienen. Damit geht Wenck insbesondere – wie schon Wolfgang Metzger (Mezger, 1588–1641) 1620 in einer Promotion – gegen den sog. Taurus Goclenianus vor, einen mit dem Bild eines Stieres versehenen Prasem (lauchgrünen Quarz), der in Verbindung mit dem entsprechenden Tierkreiszeichen u.a. zu einem guten Magisterium verhelfen soll.65 Für seltene Naturerscheinungen bietet Cardano natürlich neben dem von ihm selbst breit herangezogenen Plinius eine Fundgrube, aus der hier nur einige Belege geschöpft werden sollen. Jakob Maier (Mair, 1574–1628) führt 1605 das 13-fache Echo an. Obwohl Lorenz Forer (1580–1659) klarerweise gegen Cardano das Feuer als Element ansieht, kann er bei der Frage des nichtverbrennen-

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Jean Mocquet: Disputatio Metaphysica de natura intelligentiarum, def. Jakob Schacher SJ. Dillingen 1604, th. 22 (S. 6f.): »Sed in proposita quaestione multa illi naturae Genio condonanda sunt, quae in philosopho & Medico Christiano nullomodo sunt ferenda.« Z.B. Andreas Capittel: Actio Physica, def. Martin Faber. Dillingen 1619, th. 10.14.18 (S. 3–6). Kaspar Wenck: Notae unguenti magnetici et eiusdem actionis. Dillingen 1626, § 1 th. 7 (S. 17–19); vgl. Wolf Dieter Müller-Jahncke: Magische Medizin bei Paracelsus und den Paracelsisten: Die Waffensalbe, in: Peter Dilg und Hartmut Rudolph (Hg.): Resultate und Desiderate der Paracelsus-Forschung. Stuttgart 1993 (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 31), S. 43–56. Z.B. Wenck: Notae (s. Anm. 64), §2 th. 11 (S. 33) für den contactus virtualis: »equi halitu homo servatur a peste«, nach Girolamo Cardano: De rerum varietate. Basel 1557, l. 1 c. 1 (S. 7); Wenck: Notae (s. Anm. 64), §2 th. 12 (39): Bewegung der Himmelssphären nur dreifach nach Cardano: De rerum varietate l. 2 c. 11 (S. 103): »aut per simplices lineas, aut per helicas, aut per reflexas«; Wenck: Notae (s. Anm. 64), §2 th.21 (S. 78–85); vgl. Ulrich G. Leinsle: Selbstdarstellung der Dillinger Philosophie im Promotionsakt, in: Kießling (Hg.): Universität Dillingen (s. Anm. 50), S. 645–677, hier S. 688. – Zum Einfluß der Gestirne auf Steine mit Berufung auf Cardano auch Karl Stain: Astromania, def. Jakob Hon. Dillingen 1630, th. 2 (S. 1).

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den Salamanders darauf verweisen, daß nach Cardano ein schwaches Feuer erlischt, und Aristoteles, hist. an. l. 5 c. 19 gegen angebliche Beobachtungen eines verbrannten Salamanders so erklären, daß Aristoteles hier eben nur von einem schwachen Feuer spreche, das beim Durchlauf eines Salamanders erlösche. In seiner Disputatio de plantis nimmt er Cardano, den er mehrfach positiv heranzieht, sogar gegen Scaliger in Schutz, was die Notwendigkeit einer genauen Anzahl von Blättern bei jeder Art betrifft; denn eine einzige Türkenlilie mit sieben Blättern gegenüber 59 mit sechs gibt Scaligers These von der nichtartmäßig festgelegten Anzahl der Blätter noch lange nicht Recht. Andererseits ist natürlich auch Scaliger für die Botanik eine wichtige Quelle.66 Technische Wunderwerke wie Meßgeräte für zurückgelegte Wegstrecken bei Menschen (Schrittzähler) und Schiffen werden aus Cardano von Georg Stengel (1584– 1651) 1617 ebenso herangezogen wie seine Erklärung von Missbildungen aus dem Fehlen der entsprechenden Materie, zu engem Raum und der Beschaffenheit der Region, insbesondere des Wassers und der Luft. Nicht Cardano, sondern Scaliger stimmt er allerdings darin bei, daß gewisse Steine keine blitzabwehrende Wirkung haben.67 Ausgiebig schöpfen auch Andreas Capittel und spätere Professoren für allerlei mirabilia naturae (z.B. den doch nicht blitzabwehrenden Lorbeer und Hyazinth) und manche meteorologischen Beobachtungen aus Cardano, aber auch aus Scaliger, nicht zuletzt auch für medizinische »Fakten«, z.B. daß das Sehen eines Wolfes Heiserkeit erzeuge und der Abdruck eines Pferdehufes Schluckauf, aber auch, daß die Luft nähre. Damit ist eigentlich die aristotelische Lehre widerlegt, daß reine Elemente keine Nahrungsmittel sind, während Scaliger die aristotelische Theorie noch mit der angeblichen Beobachtung »verifiziert«, daß Kamele das Wasser vor dem Trinken mit dem Fuß beschmutzen, um die richtige Mischung herzustellen.68

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Jakob Maier: Assertiones philosophicae de quinque generalibus viventium potentiis. Dillingen 1605, ass. 33 (S. 14); Laurentius Forer: Physica de Igne disputatio, def. Johannes Wall. Dillingen 1615, ass. 1. 3. 29 (S. 1f. 14); ders.: Disputatio physica de plantis, def. Andreas Burckhard. Dillingen 1615, th. 2, 7f., 11, 19, 25, 30, 33 (S. 2, 5, 8, 13,17,21, 24). Georg Stengel: Disputatio de bonis artibus in specie, def. Franz Letter OSB. Dillingen 1616, th. 31 (S. 13) mit Verweis auf Cardano: De subtilitate l. 18 (s. Anm. 55), S. 916f.; Georg Stengel: Bonorum quorundam naturae effectuum declaratio, def. Georg Faber. Dillingen 1617 (identisch mit: Georg Stengel: Indagatio Physica de bonis quibusdam naturae effectibus, def. Georg Molitor. Dillingen 1617), th. 19 (S. 10) mit Verweis auf Cardano: De subtilitate l. 7 (s. Anm. 55), S. 373; Scaliger: De subtilitate, ex. 123 (s. Anm. 57), S. 438f.; Georg Stengel: Iudicium de arcanis quibusdam, iisque malis naturae effectibus, seu potius defectibus ac praecipue de illis, quae circa monstra in disceptionem venire possunt, def. Johann Wilhelm Pfeffer. Dillingen 1617, th. 25, 29 (S. 11, 13). Andreas Capittel: Actio Physica (s. Anm. 63), th. 10f., 14, 18 (S. 3–6); ders.: Praeludia meteorica. Dillingen 1619, th. 23, 31, 40 (S. 9, 11, 15); Johannes Schilter: Disputatio de mundo, def. Jacobus de Piggis. Dillingen 1630, th. 34 (S. 10): in homine temperatae naturae 4000 Pulsschläge pro Stunde, nach Girolamo Cardano: Opus Novum de Proportionibus. Basel 1570, propos. 58 (S. 50f.); Christoph Haunold: Acroamata physica exotericis medicis permixta, def. Caspar Mayer. Dillingen 1645, acroam. 86 (S. 78): »Confirmari posset ex Cardano asserente, aegrum quendam, spatio duorum mensium reddidisse 600. circiter lib. urinae, cum tamen cibus illius & potus longe minoris ponderis fuisset, unde deducit, ex peculiari constitutione corporis, etiam aerem fuisse in urinam conuersum«;

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Auch Scaliger gegenüber können die Dillinger Jesuiten nicht rein positiv eingestellt sein. Zwar blieben die Exercitationes de subtilitate von der Inquisition ungeschoren, doch der offene Averroismus und eine nicht vollends aristotelische Erkenntnislehre bereiten hier Schwierigkeiten. Bereits sein erstes Auftreten in Dillingen 1591 ist mit Kritik verbunden. Zwar wird seine These von der Unbelebtheit des Spermas nicht weiter kommentiert, doch seine Auffassung von der species sensibilis als an sich sichtbares Bild des Erkenntnisobjekts steht im Widerspruch zu allen Peripatetikern, nach denen die species ein unsichtbares Medium zum Sehen des Objektes ist.69 Ebenso wird gegen Scaliger an der instantanen Ausbreitung des Lichtes (lumen) festgehalten.70 Simon Som kritisiert 1603 Scaligers unentschiedene Haltung gegenüber okkulten Qualitäten. Bei einem »Nescimus« stehenzubleiben, ist ihm zu wenig. Wenn die Recentiores die okkulten Qualitäten als asylum ignorantiae abtun, sollen sie doch eine bessere Lösung vorbringen.71 Verworfen wird von Christian Baumann (1588–1635) 1626 auch Scaligers Auffassung, die Pole seien nur mathematische Punkte, um die die Erde sich bewegt.72 Gewichtiger aber sind die Vorbehalte Kaspar Wencks gegen Scaligers Auffassung von der Unsterblichkeit der Seele, nach dem diese uns auch heute noch unbekannt sei. Das widerspricht den angeblich schlagenden Beweisen der Tradition und der Definition des V. Laterankonzils und wäre nach Johannes Chrysostomus so, als ob jemand bei hellem Mittag zweifeln wollte, daß die Sonne scheine.73 Von diesen wenigen Ausstellungen abgesehen, läßt sich aber mit Scaliger in Dillingen durchaus leben, zumal man mit ihm gleichzeitig Cardano unschädlich machen kann. Positiv aufgenommen wird vor allem vieles aus seiner Naturerklärung, so z.B. die Herleitung der Wärme als qualitas caeli unmittelbar aus dem Licht bei dem philosophisch wohl in Rom ausgebildeten Engländer Adam Higgins (1563–1612/13) 1592 oder die Beseeltheit des Blutes bei Albert Danner (1562–1611) 1595. Higgins folgt ihm bereits 1590 auch deutlich in seiner

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Laurentius Forer: Disputatio physica de plantis, def. Andreas Burckhard. Dillingen 1615, th. 12 (S. 10); Karl Stain: Fulminis miracula, def. Johann Baumann. Dillingen 1631, th. 44, 50, 54 (S. 9–11). Jakob Frey: Philosophica de anima disputatio. Dillingen 1591, th. 9, th. 85 (S. 5, 19); gegen Scaliger: De subtilitate ex. 298 n.14 (s. Anm. 57), S. 881f. Disputationes de Legibus, de anima, de causis, de praedicamentis, def. Matthias Lang OSB, Jakob Platz OSB, Christoph Hamerer OSB, Vitus Schiesser OSB. Dillingen 1595, disp. de anima (praes. hs. Valentin Eisenhart) th. 36 (fol. 23 r); ebenso: Valentin Eisenhart : Assertiones ex praecipuis universae philosophiae partibus. Dillingen 1595, th. 10 (fol. 4r), gegen Scaliger: De subtilitate ex. 298 n. 2 (s. Anm. 57), S. 873. Som: De secretiore philosophia (s. Anm. 51) ass. 57 (S. 18). Christian Baumann: Disputatio physica de concursu causae materialis, def. Michael Mairhoever. Dillingen 1626, pos. 23 (S. 12), gegen Scaliger: De subtilitate ex. 70 (s. Anm. 57), S. 258f. Kaspar Wenck: Disputatio philosophica de anima rationali, def. Erhard Spegelin CRSA und Franz Pappus CRSA. Dillingen 1623, th. 14 (S. 7f.); gegen Scaliger : De subtilitate ex. 307 n. 33 (s. Anm. 57), S. 990; vgl. Heinrich Denzinger und Peter Hünermann (Hg.): Enchiridion symobolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. 38. Aufl. Freiburg u.a. 1999, Nr. 1440 (S. 482f.).

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Kritik der aristotelischen Ortsdefinition und 1592 in der Annahme homogener minima naturalia.74 Simon Som führt ihn 1603 für reale Indivisibilien ins Feld, deren Oberfläche wenigstens als real anzunehmen ist, und der betont späthumanistisch eingestellte und nach Padua orientierte Jakob Franz 1605 für wissenschaftstheoretische Fragen, aber auch zur Ablehnung der pythagoreischen Sphärenmusik und Himmelsdimensionen, die der aristotelischen Einfachheit des Himmelskörpers widersprechen.75 Positiv beruft sich auch Georg Stengel auf Scaliger in der Ablehnung eines vacuum und im Festhalten am horror vacui, der so groß sei, daß ein leerer Raum allein durch den auctor naturae in die Welt eingeführt werden könnte76. Durchaus differenziert steht der stark von der philosophia perennis geprägte Christian Baumann Scaliger gegenüber, vor allem was die Ausdehnung und Bewegung geistiger Substanzen betrifft. Unannehmbar ist nach aristotelischen Grundsätzen eine Zusammensetzung der geistigen Substanzen aus entitativen integralen Teilen, wie sie Scaliger an manchen Stellen nahe legt; dagegen bejaht er durchaus die Endlichkeit und Dimensionierung der Intelligenzen, aber auch die Bewegung ohne punktuelle Sukzession. Er pflichtet Scaliger auch bei in der Abwehr des hermetischen Bildes für die Gegenwart Gottes in der Welt: »Deus est, cuius medium in centro, circumferentiae ubique« und ersetzt es durch die christliche Version: »Deus est circulus, cuius centrum undique, circumferentia nusquam«. Andererseits hält er gegen Scaliger an der Möglicheit eines corpus simpliciter simplex (ohne Materie) fest77. Von besonderer Bedeutung wird aber Scaliger wieder in der Erklärung der mirabilia naturae und in Fragen der Magie. Seine Ablehnung der schwarzen Magie kommt den Jesuiten ebenso entgegen wie die vorsichtige Behandlung von Sympathie und Antipathie der Dinge, zumal, wie Simon Som schon 1603 festhält, die Recentiores in den okkulten Qualitäten nur noch ein asylum igno-

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Adam Higgins: Disputatio philosophica de decem praedicamentis, def. Bernhard Mosmiller. Dillingen 1590, th. 49–58 (S. 13–15); ders.: Disputatio philosophica ex primis philosophiae partibus. Dillingen 1592, th. 64 (S. 14, recte 16); ders.: Disputatio philosophica de quatuor primis corporis naturalis affectionibus, def. Leonhard Weinhart, Johann Jakob Stephanius, Bernhard Mosmiller. Dillingen 1592, th. 18–23 (S. 5–7); Albert Danner: Philosophica de mente humana disputatio, def. Johannes Brenner. Dillingen 1596, ass. 3 (S. 2); vgl. Lüthy: Aristotelian watchdog (s. Anm. 8), S. 550. Simon Som: Disputatio Philosophica ex praecipuis totius philosophiae partibus, Metaphysica, Physica et Logica deprompta. Dillingen 1603, th. 79 (S. 28f.); Jakob Franz: Disputatio philosophica de instrumentis rationis humanae, def. Benedikt Molitor OSB, Placidus Kessering OSB. Dillingen 1605, th. 17 (S. 7); ders.: Disputatio philosophica de mundo, def. Bernhard Han OSB, Morandus Mohr OSB. Dillingen 1605, th. 25. 28 (S. 9–12). Georg Stengel: Bonorum quorundam naturae effectuum declaratio, def. Georg Faber. Dillingen 1617, th. 11 (S. 6); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 5 n. 6 (s. Anm. 57), S. 17f. Christian Baumann: Disputatio philosophica de finali, materiali et efficiente causa. Dillingen 1627, exemplar et finis, concl. 14f. (S. 21); gegen Scaliger: De subtilitate (s. Anm. 57), ex. 6 n. 2 (S. 16); ex. 359 n. 6 (S. 1098f.) n. l 1 (S. 1103f.); Baumann: Disputatio 1627, concl. 48f. (S. 15); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 307 §13 (s. Anm. 57), S. 939– 942; Baumann: Disputatio 1627, natura, ass. 39 (S. 43f.); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 363 (s. Anm. 57), S. 1114.

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rantiae sehen wollen.78 Zur Möglichkeit von ars chymica und Goldmacherei verweist Andreas Capittel auf Scaligers Bericht, daß in Ägypten allein durch die äußere Wärme in entsprechenden Öfen Eier ausgebrütet werden, hält aber andererseits gegen Scaliger daran fest, daß Kometen wirklich entzündet werden und nicht nur durch das Sonnenlicht als solche erscheinen; andernfalls müßten sie bei Sonnenfinsternis umgehend verschwinden. Ebenso referiert er Scaligers Bericht von einer bestimmten Zuckerart, die durch Wurmfraß aus einer Pflanze (Tigala) bis zur Größe von Hagelkörnern aufschwillt.79 Zustimmend verweist auch Kaspar Wenck auf Scaligers Kommentar zu Theophrasts de causis plantarum, daß man an der bemoosten Seite der Bäume die Himmelsrichtung Westen erkennen kann, und zieht ihn auch in der Auseinandersetzung um die Waffensalbe positiv heran, zumal in der Ausschaltung siderischer Einflüsse auf die Metalle. Thomas Anreiter führt ihn neben Christoph Clavius und neuen Weltkarten 1624 immer noch als Autorität für die ungleiche Verteilung von Erde und Wasser im Globus an.80

4. Bedeutung Versucht man das Auftreten Cardanos und Scaligers in Dillingen in einen größeren Zusammenhang zu stellen, fallen zunächst folgende Ergebnisse auf: 1. Obwohl man gegenüber Cardano aus verständlichen Gründen kritischer ist als gegen Scaliger, wird hier nicht einfach ein »Häretiker« durch einen anderen ausgetrieben. Vielmehr werden von beiden Sonderlehren rezipiert, wenn auch nicht die bedeutendsten. Bei den Autoren, die sich mit beiden auseinandersetzen, handelt es sich nicht um beliebige »Jesuitennullen«, sondern zum Großteil gerade um die später führenden Vertreter jesuitischer Philosophie und Theologie, die alle auch in Ingolstadt gelehrt hahen, unter ihnen bezeichnenderweise auch Ausländer wie der aus Pont-à-Mousson stammende, deutlich humanistisch (und teilweise ramistisch) eingestellte Lothringer Jean Mocquet, später Rektor in Dillingen, und der philosophisch wohl in Rom gebildete Eng-

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Simon Som: De secretiore philosophia (s. Anm. 51), ass. 3 (S. 2f.); ass. 57 (S. 18); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 344 n. 2–4 (s. Anm. 57), S. 1074–1078. Andreas Capittel: Quaternarius caussarum principum et quinarius adventitiarum, def. Ignatius Gemperl. Dillingen 1619, th. 99 (S. 28) mit Verweis auf Scaliger: De subtilitate ex. 23 n. 1 (s. Anm. 57), S. 108, und Benedictus Pereira: De Magia c. 12, in: ders.: Adversus fallaces et supersitiosas artes, id est de Magia, De observatione somniorum, De Divinatione Astrologica libri tres. Ingolstadt 1591, S. 74–92, wo auch Cardano (S. 81f.) und Scaliger (S. 89f.) ausführlich zur Sprache kommen; Andreas Capittel: Praeludia Meteorica. Dillingen 1619, th. 6 (S. 4); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 164 (s. Anm. 57), S. 544. Kaspar Wenck: Disputatio philosophica de miris mutationibus. Dillingen 1623, th. 48 (S. 50); ders.: Notae unguenti magnetici (s. Anm. 64), th. 6 (S. 13); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 106 n. 1 (s. Anm. 57), S. 403–405; Thomas Anreiter: Syntaxis Mundi sive de Constructione Universi disputatio, def. Matthias Alt. Dillingen 1624, th. 12 (S. 7); vgl. Scaliger: De subtilitate ex. 38 (s. Anm. 57), S. 155–158.

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länder Adam Higgins. Nicht zu übersehen sind jedoch die Namen der literarisch bedeutenden Autoren Georg Stengel und Christian Baumann, sowie der später führenden Theologen Lorenz Forer, Christoph Haunold und Kaspar Wenck. Es ist also die erste Garde der Jesuitenprofessoren, die sich philosophisch mit Cardano und Scaliger auseinandersetzt. Dabei sind Mocquet, Andreas Capittel und Kaspar Wenck mehr oder weniger entschiedene Anhänger des Aristotelismus von Padua, was sich vor allem in der hier nicht darzustellenden Logik zeigen läßt. 2. Inhaltlich setzt man sich natürlich mit einem bereits purgierten Cardano und einem mit der Schuldoktrin weitgehend verträglichen Scaliger auseinander. Die Themenkreise, für die beide stehen, beschränken sich äußerlich auf Detailfragen der Naturphilosophie und Metaphysik bzw. auf tatsächliche oder angebliche »Fakten« der Naturerklärung. Im Sinne eines »Enzyklopädisten«, dessen philosophisch-metaphysischen Thesen man vorsorglich entfernt hat, ist er durchaus brauchbar. Zudem wird dann Scaliger nicht selten herangezogen, um Cardano auszuschalten oder doch mit der Schuldoktrin verträglicher zu machen. 3. Diese Beobachtungen sind auch geeignet, die von Ingo Schütze erörterte Frage nach der Konzeption und Eigenart von Cardanos de subtilitate zu vertiefen.81 Tatsächlich trifft der Charakter der »universi mundi historia« den Charakter des Werkes besser als der moderne Vorstellungen evozierende Begriff der Enzyklopädie. Sie wahrt auch die theologisch-metaphysische Einbettung, die sich aber beispielsweise auch noch im Orbis pictus Comenius’ findet.82 Genau diese Metaphysik und natürliche Theologie wird nun aber in Dillingen durch die Jesuiten, zumindest zum großen Teil entfernt. Dadurch bekommt das Werk in der Tat den Charakter einer bloßen historia naturalis bzw. Enzyklopädie, aus der man »Fakten« nach Belieben auswählen kann, mit der man sich aber nicht mehr wie Scaliger im Ganzen auseinandersetzen muß. Der Eindruck verstärkt sich noch durch die Präsentation in bloßen Thesen, wenn auch zunehmend in theses vestitae, ohne systematischen Konnex miteinander.83 4. Besonders auffällig ist die Heranziehung vor allem Cardanos in der Auseinandersetzung um eine Reduktion der Magia naturalis auf natürliche, d.h. aristotelische Prinzipien, am deutlichsten in Kaspar Wencks Kontroverse mit Rudolf Goclenius d.J. Dieser keineswegs auf Dillingen beschränkte Kampf der Jesuiten fällt zeitlich zusammen mit dem Höhepunkt des Hexenwahns in Dillingen zwischen 1579 und 1616.84 Er läßt sich einerseits sehr wohl interpretieren

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Vgl. Schütze: Naturphilosophie (s. Anm. 2), S. 20–28. Vgl. Johann Amos Comenius: Orbis sensualium pictus. Faksimiledruck der Ausgabe Norimbergae, M. Endter, 1658. Osnabrück 1964 (Milliaria, Bd. 4). Zur Methode und Technik der Disputation und Thesenschriften vgl. Hanspeter Marti: Philosophieunterricht und philosophische Dissertationen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. Basel 1999 (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 1), S. 208–232. Vgl. Friedrich Zoepfl: Hexenwahn und Hexenprozesse in Dillingen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 27 (1964), S. 236–244.

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als philosophische Aufklärung okkulter Phänomene und Abweisung magischer Praktiken, andererseits aber auch als purifizierende Rettung der Magia naturalis im Rahmen der aristotelischen Scholastik angesichts einer religiösen Verdächtigung alles Okkulten und Magischen.85

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Vgl. Keith Thomas: Religion and the Decline of Magic. London 1973. – Deutlich auch bei Delrio: Disquisitiones magicae (s. Anm. 60), bei dem für den philosophischen Betrieb das 1. Buch über die Magia naturalis zentral ist, nicht dagegen die letzten über Schwarze Magie, Hexerei und Hexenprozesse.

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Anhang Einschlägige Dillinger Disputationen in chronologischer Ordnung

Standorte: StuBD: Studienbibliothek Dillingen. UBM: Bibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München. Da u/v-Schreibung nur von der gewählten Type abhängt, wurde sie hier vereinheitlicht. Diplomatische Wiedergabe in Leinsle: Dilinganae Disputationes (s. Anm. 50), S. 569–616. 1571 Assertiones | ex vniversa pene na |tvrali philosophia de|promptæ, quas ante studiorum instaura-|tionem defendet nobilis et eruditus ado-|lescens Nicolaus Przinovvsky, Praeside | R. P. M. Antonio Balduino, So-|cietatis Iesv in Academia | Dilingana Professore | ordinario. | Dilingae | Excudebat Sebaldus Mayer | Anno 1571. – UBM 4° Philos. 1309#1. 1573 Theses Philosophicae | De Universa | Prope naturali | scientia; Quas ante | studiorum instaurationem, in Academia | Dilingana, publicè defendet eruditus Phi|losophiae Baccalaureus Georgius | VVirt: Praeside M. Antonio | Balduino, Societatis | Iesu. | VII. Calendas Octobris | Dilingae | Excudebat Sebaldus Mayer. | Anno M.D.LXXIII. – UBM 4° Philos. 1309#3. 1586 Disputatio | Metaphysi|ca, Physica, Lo-|gica, In Academia Dilin-|gana Die X. et XI. Iunii | proposita. | Praeside | R. P. Petro Bacherio | Societatis Iesu Philosophiae | Professore Ordinario.| Respondentibus | Pro Licentia, Triduo | post conferenda, honestißimis Philosophiae Bac-|calaureis, quorum nomina, haec à | tergo pagella, complecitur. | Anno M.D.XXCVI. | Dilingae, | Excudebat Ioannes Mayer. – UBM 4° Theol. 1260#5 [Cardano]. 1588 Disputatio| Philosophica | Proposita | In Catholica ac Ce-|lebri Dilingana Acade-|mia, Die XXII. Iunii. Anno | M.D.XIIC. | Praeside| Joanne Fabro Socie|tatis Iesv, Philosophiae | Professore ordinario. | Respondentibus | Pro Licentia Triduo | post conferenda honestis-|simis Philosophiae Baccalaureis, quorum | nomina haec sequens pagella | complectitur. | Dilingae, | Excudebat Ioannes Mayer. – StuBD VIII 502, 10 [Cardano]. 1590 Disputatio Philosophica | De Decem Prae-|dicamentis. | Jn Catholica et cele-|bri Academia Dilingana, An-|no M.D.XC. die XX (hs.) Nouembris | proposita. | Praeside | Adamo Higinio Socie-|tatis Iesv, Philosophiae| Professore ordinario. | Respondente | Ingenuo et ervdito ivvene, Bernar-|do Mosmillero, Pruggensi, Philosophiae | studioso, Bojo. | Dilingae, | Excudebat Ioannes Mayer. – StuBD VIII 89,3 [sachlich Scaliger].

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1591 Philosophica | De Anima | Disputatio. | Jn Celebri Academia Dilingana XXX. | Maij, M.D.XCI. habita. | Praeside | Jacobo Frey Societa-|tis Iesv, Philosophiae Profes-|sore ordinario. | Respondente | Religioso, ac docto vi-|ro F. Ioanne Beckh Caesa-|riensi, Post confectum | Artium liberalium curri-|culum. | Dilingae | Apud Ioannem Mayer. – StuBD XVI 1630,23 [Cardano]. 1592 Disputatio Philosophica | De Quatvor | Primis Corporis na=|tvralis affectionibvs, | quantitate, loco, tem-|pore, et motv. | In Catholica et Celebri | Academia Dilingana, Anno | M.D.XCII. die ... Aprilis | proposita. | Praeside | Adamo Higinio Socie-|tatis Iesv, Philosophiae | Professore ordinario. | Respondentibus | Ornatissimis atque doctissimis | Philosophiae Candidatis, | Leonardo VVeinhart Bronnensi. | Ioanne Iacobo Stephanio Constantiensi. | Bernardo Mosmiller Pruggensi. | Dilingae | Excudebat Ioannes Mayer. – StuBD VIII 85,5 [sachlich Scaliger]. 1592 Disputatio philosophica | Ex Primis Phi-|losophiae Parti-|bus. | Jn Catholica et Celebri | Academia Dilingana Anno | M.D.XCII. die IX. Iunij | Proposita. | Praeside | Adamo Higinio Socie-|tatis Iesu, Philoso-|phiae Professore | ordinario. | Respondentibus | Pro Licentia Ornatissimis Atque Do-|ctißimis Philosophiae Baccalaures, quorum nomina haec | à tergo pagella complectitur. | Dilingae | Excudebat Ioannes Mayer. – UBM 4° Philos. 541#1 [Scaliger]. 1594 Philosophica | Disputatio | de Anima, in commvni, et vege-|tativa. | In Catholica & celebri Academia | Dilingana, Anno M.D.XCIV. | VI. Iunij publicè proposita. | Praeside | P. Jacobo Frey So-|cietatis Iesv, Philo-|sophiae Professore Ordinario: | Defendente | Nobili ac Perdocto | Ivvene Ioanno Blasio | Quarient à Rall Oenipontano, Philo-| sophiae Baccalaureo. | Dilingae, | Excudebat Joannes Mayer. – StuBD VII 90,1 [Cardano]. 1595 Disputati-|ones | De Legibus, | De Anima, | De Caussis, | De Praedicamentis. | Quas, in Celebri Academia Dilin-|gana IX. XIX. XXIII. Maij ac II. Iunij, | sub praesidio suorum Prae-|ceptorum, | Defendent | Religiosi atque Eruditi Iuuenes, S.S. Theol. | Metaph. Phys. Log. Studiosi; | F. Matthias Lang, | F. Iacobus Platz, | F. Christophorus Hamerer, | F. Vitus Schiesser. | Weingartenses. | Dilingae | Excudebat Ioannes Mayer | M.D.XCV. – StuBD VIII 119,10 [Scaliger]. 1595 Assertiones | Ex Praecipvis | Vniversae Phi-|losophiae partibus | ad disputationem pub-|licam desumptae. | In Florente Ac Ca-|tholica Academia Dilinga-| na, IV. Non. Septemb. Anno | M.D.XCV. | Praeside | P. Valentino Eisen-|hart, Societatis Iesv, Phi-|losophiae Professore | Ordinario | Respondentibus | Pro Licentia Tri|duo post conferenda honestis-|simis & perdoctis Adolescentibus, Philosophiae | Baccalaureis, quorum nomina in-|fra sequuntur | Dilingae, | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 90,4 [beide]. 1596 Philosophica | De Mente | humana dispu-|tatio. | In Catholica Nobili Academia Di-|lingana, die XVI. Augusti, Anno | M.D.XCVI. publice habita. | Praeside | Alberto Danner, E So-|cietate Iesv, Philosophiae | Professore Ordinario: | Respondente | Post confectum Philosophiae | cursum, Pio atque Erudito Philosophiae Bac-

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calaureo & | Partheniae Congregationis Sodali, Ioanne | Brennero, Zemezhusano, Suevo. | Dilingae | Apud Ioannem Mayer. – StuB VIII 90,7 [Scaliger]. 1597 Disputatio Philosophica | De Anima. | In Catholica et ce-|lebri Academia Dilin-|gana, XVII. Iunii Anno M.D.XCVII. | ad disputandum publicè proposita. | Praeside | Joanne Specio, | Societatis Iesv, Philosophiae | Professore Ordinario. | Respondentibus | Religiosis et eru-|ditis iuvenibus F. Iaco-|bo Petro, et F. Gregorio Rey-|bi Ottenpuranis, Ordinis | S. Benedicti, Metaphysicae | Studiosis. | Dilingae, | Excudebat Ioannes Mayer. – StuBD VIII 90,12 [Cardano]. 1599 De Primo Re=|rvm Omnivm Prin-|cipio, Deo, | Disputatio Philosophica, | In Florente | Academia Dilingana, | XI. Augusti, Anno M.D.IC. | publice proposita; | Praeside | Alberto Danner, | Societatis Iesv, Philosophiae | Professore Ordinario. | Defendentibus | Confecto Philosophiae | Cursu, virtute atque eruditione | insignibus, eiusdem Philosophiae Candidatis, Par-|theniaeque Congregat. Sodalibus, | Christophoro Steckborer Alten-|beirensi, & | Ioanne Grim Schembergensi, Suevis, S.D.N. | Alumnis. | Dilingae, | Excudebat Ioannes Mayer. – StuBD VIII 90,9 [Scaliger]. 1603 Asser. Philosoph. | De Secreti=|ore Philosophia, | sive de Naturali Magia. | In Celebri atqve | Catholica Academia Dilin-|gana publice propositae, post confectum Philoso-|phiae cursum, Anno M.DCIII. | XV. Calend. Septembris. | Praeside | Simone Som Societatis | Iesv, Philosophiae Professore. | Respondente | Erudito Iuvene Ioanne Frey e | Foro Tyberij, Rhenano, S.D.N. Alumno, Philosoph. | Baccalaureo & Candidato. | Dilingae, Apud Ioanem Mayer. – StuBD VIII 90,26 [beide]. 1603 Disputat. Philosoph. | Ex Praecipuis | totius Philosophiae | Partibus, Metaphysica, Physica et Logica | deprompta, publiceque | proposita, | In Alma et Ca|tholica Dilingana Acade-|mia XXIII. die August. Anno | M.DCIII. | Praeside | Simone Som. So-|cietetis Iesv Philo-|sophiae Professore ordinario. | Respondentibus | Pro suprema in Philosophia | Laurea consequenda, virtute atque eruditio-|ne ornatißimis DD. Candidatis, quo-|rum nomina deinceps ordine | ponuntur. | Dilingae, Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 90,25 [Scaliger]. 1604 Dispvtatio Metaphysica, | De Natura | Intelligen=|tiarvm. | Jn Celebri et Ca|tholica Academia Dilin-|gana, publicè habita. Die 17. Au-|gusti, Anno Domini | M.DCIV. | Praeside | Ioanne Mocqvet-|tio, E Societate Iesv, Phi-|losophiae Professore ordi-|nario.| Respondente | Iacobo Schachero, Ejusdem | Societatis, philosophiae | Studioso. | Dilingae, | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 90, 28 [Cardano]. 1604 Selectorvm | Philosophiae De-|cretorvm | Assertiones vndetringinta. | Qvas in Alma | et Catholica Dilinga-|norum Academia, die Augusti 27. | Anno M.DCIV. | Praeside | Ioanne Mocqve-|tio, Societatis Iesv | Philosophiae Professore | ordinario | Ad Svpremae Lavrvs Philo-|sophicae adeptionem, totidem Virtute & Doctrina ornatißi-|mi Domini Candidati, quorum nomina ad cal-|cem thesium apposita sunt, propugnare conabuntur; quisque suam. | Dilingae, | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 90,29 [beide].

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1605 Dispvtatio Philosophica. | De Instrv=|mentis Ratio=|nis Hvmanae.| In Alma Atqve Ca-|tholica Academia Dilingana, | publicè habita, Die 4. [hs.] Februarij. Anno| M.DCV. | Praeside | Iacobo Francisco, So-|cietatis Iesv, Philosophiae | Professore Ordinario. | Respondentibvs | Religiosis Atque Ervditis Eivs-|dem Philosophiae Studiosis | F. Benedicto Molitore | F. Placido Kessering. | Weingartensibus, | Ord. S. Benedicti. | Dilingae | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 116,2 [Scaliger]. 1605 Assertiones Philosophicae | De Quinqve | Generalibvs vi-|ventivm Poten|tiis. | Quas | Ad Publicam Di-|sputationem in Alma et | Celebri Academia Dilingana Calend. Iulij | Anno post reparatam salu-|tem MDCV. | Praeside Iacobo Maier Socie-|tatis Iesv, Philosophiae Pro-|fessore ordinario | Proponet | Daniel Zeno Fasciensis | Tyrolensis Metaphysices studiosus & Philo-|sophiae candidatus. | Dilingae, | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 87,17 [Cardano]. 1605 Dispvtatio Phi-|losophica, | De Mvndo. | In Alma atqve | Catholica Academia Di-|lingana proposita, Die 12. Nouemb. | Anno M.DC.V. | Praeside | Iacobo Francisco, | Societatis Iesv, Phi-|losophiae Professore Ordinario. | Respondentibvs | Religiosis atqve ervditis | Eiusdem Philosophiae Studiosis | F. Bernardo Han | F. Morando Mohr | Weingartensibus, | Ord. S. Benedicti. | Dilingae, | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 85,24 [Scaliger]. 1608 Conclvsiones Peripateticae | De Anima | Eivsqve Specie-|bvs, Facvltatibvs, | Operationi-|bvs, | Jn Catholica Et | Florenti Academia Dilin-|gana ad publicam disputationem proposi-|tae, Anno M.DC.VIII. | die 30. Junij | Praeside | Georgio Clainero, | E Societate Iesv, Phi-|losophiae Profes-|sore Ordinario. | Respondentibvs | Ervditis Ac Religiosis Fra-|tribvs | F. Carolo Curtio | F. Martino Heüffler | Weingartensibus, Ordinis | D. Benedicti. | Dilingae, Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 86,4 [Cardano]. 1612 Theses Philosophicae | De | Praecipvis Cate-|goriis et principe | membro. | Qvas | Jn Catholica et | Florente Academia Di-|lingana, Anno M.DC.XII die XX. Augusti ad publicam disputatio-|nem propositas, | praeside | P. Georgio Holzhai So|cietatis Iesv, Philoso-|phiae Professore ordinario, | Defendent | Eximia Virtute et Doctrina | Ornatissimi Domini Candidati, | sub finem nominati, | Pro | suprema Philosophiae Laurea consequenda. | Dilingae, Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 86, 19. [Cardano]. 1613 Theses Philosophicae | De Mixto Inanimo, | Quas In Catho=|lica et Celebri | Academia Dilingana Pu-|blicae disputationi proponet | Die XX [hs.] Maii, Anno | M.DC.XIII. | Praeside | P. Claudio Sudano | Societatis Iesu, Philoso-|phiae Professore ordinario, | Honestus et Eru-|ditus Iuuvenis Ioannes Zimer-|man, Lucernensis Helve-|tius, Artium & Philosophiae Baccalaureus. | Dilingae, Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 86, 25. [Cardano]. 1614 Disputatio Philosophica | De Anima, | Quam | Jn Catholica Et | Celebri Dilingana Aca-|demia, die [...] Maij, Anno | M.DC.XIV. | Praeside | Ambrosio Gaudino, So-|cietatis Iesu, Philoso-|phiae Professore ordinario, | Publice propugnauit |

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Ioannes Iacobus Mayr, Tettnangensis, Acronianus, | ejusdem Philosophiae Candidatus. Dillingae Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 86, 40 [Scaliger]. 1615 Physica | De Igne | Disputatio. | Quam | Jn Alma et Catho-|lica Academia Dilingana Pub-|lice proponet Honestus et eruditus iuuenis Ioannes | Wall Ginzburgensis Sueuus, Ar-|tium & Philosophiae Baccalaureus. | Praeside | Laurentio Forer Socie-|tatis Iesu, Philosophiae | Professore ordinario. | Anno M.DC. XV. die 27 [hs.] Februarij. | Dilingae, | Apud Ioannem Mayer. – StuBD VIII 75,2 [Cardano]. 1615 Disputatio | Physica, | De Plantis | Cum auctario Thesium ex III. libris | Aristotelis de Anima, | Quam Jn Alma et Catholi-|ca Academia Dilingana Publice Pro|posuit Andreas Burckhardus Franco, Artium | & Philosophiae Baccalaureus, Mense Junio [hs.] die 30 [hs.] | Anno Christi M.DC.XV. | Praeside Laurentio Forer, So|cietatis Iesu, Philosophiae | Professore Ordinario. | Dilingae, | Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75,3 [beide]. 1616 Disputatio Physica | De Corpore | Caelesti, | Quam | Jn Celebri et Catho|lica Academia Dilingana, | die [...] Iunij, Anno M.DC.XVI. | Praeside | Oswaldo Coscano Societa-|tis Iesu, Philosophiae Pro-|fessore Ordinario. | Publice defendet | Christophorus Straub | Sonthovensis, Algoius, | Philosophiae Bacca-|laureus. | Dilingae, | Apud Vidam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75,7 [Cardano]. 1616 Disputatio Philosophica | De Bonis Ar-|tibus in |Specie, | Quam | Jn Catholica et Cele-|bri Academia Dilingana | Praeside | Georgio Stengelio So-|cietatis Iesu, Philoso-|phiae Professore Or-|dinario, | Ad publicum exercitium instituet, | Religiosus F. Franciscus | Letter, Ordinis S. Benedicti, | In Monasterio Murensi, Apud | Heluetios, Professus, Philosophiae Bac-|calaureus, & Metaphysicae | Studiosus, | Anno Christi M.DC.XVI. | V. Idus Decembris. | Dilingae, Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75, 12 [Cardano]. 1617 Bonorum Quo=|rundam Naturae | Effectuum De-|claratio, | Quam, | Praeside | Georgio Stengelio, So-|cietatis Iesu, Philosophiae Profes-|sore Ordinario, | In Alma et Catholica | Universitate Di-|lingana, | Anno Post Virginis Partum | M.DC.XVII. [...] Die Iunij. | Velitationi publicae exponet, | Georgius Faber, Bibera|censis Sueuus. | Dilingae, Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 95, 15 identisch mit: 1617 Indagatio Physica | De Bonis Qui-|busdam naturae | effectibus, | Jn Catholica et Cele-|berrima Universitate | Dilingana, | Praeside | Georgio Stengelio, So|cietatis Iesu, Philoso-|phiae Professore Or-|dinario, | Publicae disputationis ergô instituta, | A Georgio Molitore Otten-|burano, Algoio, Philosophiae | Baccalaureo, Et Metaphy-|sicae Studioso. | Anno Christi M.DC.XVII. | ... Die Iunij.| Dilingae, Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75,14 [beide]. 1617 Iudicium. | De Arcanis | Quibusdam, iisque | malis Naturae effe-|ctibus, seu potius de-|fectibus ac praecipue | De illis, | Quae, circa Monstra, | in disceptationem venire | possunt, | Quod | Auspicio | Georgii Stengelii, So-|cietatis Iesu, Philoso|phiae Professoris Or-|dinarii, | Jn Catholica et Cele-|berrima Universitate | Dilinga-

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na, | Iunii Die 30. Anno M.DC.XVII. | Sub finem cursus Philosophici, publice propu-|gnandum suscipiet, | Pereruditus Iuuenis Ioannes Gu-|lielmus Pfeffer, Wallersteinensis | Rhetus, Artium & Philosophiae Baccalaureus, | ac Metaphysicae Studiosus. | Dilingae, Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75, 15 [Cardano]. 1619 Quaterna=|rius caussarum | principum, et Qui-|narius Adven-|titiarum. | Quibus Effecta Con-|stant naturae; sive pro-|pter; sive praeter finem | operantis. | Jn Celebri, Catholica | Universitate Dilingana, | Praeside | Andrea Capittel, E Socie|tate Iesu, Publicae Disputa-|tioni propositus. | A Pererudito LL. Artium et Phi|losophiae Baccalaureo, Ignatio | Gemperl, Landishutano, Meta-|physicae Studioso. [hs.]: Societat. Candidato. | Ad VIII. Kalend. Februarias, An-|no M.DC.XIX. | Dilingae, | Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75,27 [Scaliger]. 1619 Actio Phy=|sica.| Quam | Jn Catholica, Et Cele-|bri Universitate Dilingana, | Praeside | Andrea Capittel, E So-|cietate Iesu, Philo-|sophiae Professore | Ordinario. | Ad Diem [...] Maij Anno M.DC. XIX. | Publicae Concertationi dabit, | Pereruditus LL. Artium et | Philosophiae Baccalaureus, | Martinus Faber, Tyrolen-|sis, Metaphysicae Studiosus. | Dilingae, | Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75, 31 [Cardano]. 1619 Anima | Vitae, Sensus | et Rationis | particeps. | Quam, | Jn Catholica, Celebri | Universitate Dilingana | Ad Diem [...] Iunij, Anno M.DC. XIX. | Praeside | Andrea Capittel, E So-|cietate Iesu, Philo-|sophiae Professore | Ordinario. | Publicae Disputationis examini proponet, | Religiosus, et Pereruditus, | F. Martinus Stör, Marchtal-|lensis, Ordinis Praemonstratensis, | Metaphysicae Studiosus. | Dilingae, | Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75, 32 [Cardano]. 1619 Praeludia Me=|teorica. | Quae: | Ad Diem undevicesimum Augusti, | Anno M.DC. XIX. | Jn Catholica, Celebri | Universitate Dilingana; | Praeside | Andrea Capittel, E So-|cietate Iesu, Philo-|sophiae Professore | Ordinario. | Supremae in Philosophia Laureae conse-|quendae, praemittent: | Religione, Virtute, Erudi-|tione Ornatissimi Domini | Candidati, Infra | laudandi. | Dilingae, | Apud Viduam Ioannis Mayer. – StuBD VIII 75, 34 [beide]. 1623 Disputatio Philosophica | De | Anima Ra-|tionali. | Quam | In Celebri et Catholica | Universitate | Dilingana, | Praeside | Gaspare VVenck Societa-|tis Iesu Philosophiae | Professore | Ordinario, | Propugnabunt | Religiosi et Perdocti FF. | Erhardus Spegelin et Fran-|ciscus Pappus | Canonici Reg. Ordinis S. Augustini Pro|fessi in VVettenhausen, Philosophiae |Baccalaurei, et Meta-|physici. | Anno Christiano | M.DC.XXIII. | Ad diem XIX Mensis IunI. | Cum facultate Superiorum. | Dilingae | Formis Academicis | Apud Udalricum Rem. – StuBD VIII 87,18 [Scaliger]. 1623 Disputatio Philosophica | De | Miris Mu-|tationibus, | Quam | In Celebri et Catholica | Universitate | Dilingana, | Praeside | Gaspare VVenck Societa-|tis Iesu Philosophiae | Professore | Ordinario, | Disceptabunt | Reverendi, Ornatissimi,| Doctissimi Domini Docto-|ratus Philosophici Com-|petitores | Anno Christiano | M.DC.

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XXIII. | Ad Diem [...] Mensis IulI. | Cum facultate Superiorum | Dilingae | Formis Academicis. | Apud Udalricum Rem. – StuBD VIII 73, 32 [beide]. 1624 Syntaxis Mundi, | Siue de | Constructione | Universi | Disputatio, | Quam in Catholica | et Inclita, Acade-|mia Dilingana, | Praeside | Thoma Anreiter Socie-|tatis Iesu, Philoso-|phiae Professore Ordinario, | Proponet | Matthias Alt, Artium | et Philosophiae Baccalau-|reus, ac Metaphysi-|cae studiosus. | Anno M. DC. XXIV. Mense Martio. | Dilingae | Cum Maiorum Facultate | Typis Academicis | Apud Udalricum Rem. – StuBD VIII 84, 32 [Scaliger]. 1626 Disputatio Physica | De | Concursu | Causae Mate-|rialis, | Publice proposita | In Alma et Catholica | Universitate Dilingana, | Anno Christi M.DC.XXVI. Die [...] Septembris, | Praeside | Christiano Bauman, | Societatis Iesu, | Philosophiae Professore Ordinario, | Respondente | Perdocto Domino Michaele Mairhoever, | VVembdingano, Boio, Philosophiae Baccalaureo. | Dilingae, | Formis Academicis. | Apud Iacobum Sermodi. – StuBD VIII 73,2 [Scaliger]. 1626 Notae | Ungenti Ma-|gnetici et eiusdem | Actionis. | Quas | In Celebri et Catholica | Universitate Dilingana, | Praeside | Gaspare Wenckh | Societatis Iesu Philosophiae | Professore Ordinario | publicabunt | Reverendi Ornatissimi | Doctissimi Domini Philosophiae | Candidati, | Anno Christiano | M.DC. XVI. Quinto Calendas | Quintiles. | Cum Facultate Superiorum. | Dilingae, | Formis Academicis. | Apud Iacobum Sermodi. – StuBD VIII 587, 5 [beide]. 1627 Disputatio Philosophica | De | Finali, Mate-|riali, et Efficien-|te Causa. | Quam | In alma et catholica Universi-|tate Dilingana, | Praeside | Christiano Bauman, | Societatis Iesu, Philosophiae | Professore Ordinario, | Pridie Kalendas Julias | Anno M.DC. XXVII. | Reverendi, Religiosi, Et | Ornatissimi Domini | Candidati, | Supremae ex Philosophia Laureae obtinendae, | Publice Propugnabunt. | Dilingae, | Cum Facultate Superiorum, | Formis Academicis. | Apud Iacobum Sermodi. – StuBD VIII 88,13 [Scaliger]. 1630 Disputatio | De | Mundo | Quam | In Alma et Catholica Uni-|versitate Dilingana, | Praeside | Joanne Schilter | Societatis Iesu, Philo-|sophiae Professore | Ordinario, | Publice Propugnabit | Jacobus de Piggis Pistorien-|sis Hetruscus Artium Liberalium et | Philosophiae Baccalaureus, Iuris Utriqusque & Me-|taphysicae Studiosus. | Anno Christiano M.DC. XXX. | Die XXII. IanuarI. | Dilingae, | Formis Academicis. | Operis Caspari Sutoris. – StuBD VIII 88,42 [Cardano]. 1630 Astro-|mania, | Quam | In Catholica et Celebri | Universitate Dilingana, | Praeside | Carolo Stain | Societatis Iesu, Philosophiae | Professore Ordinario, | Publice Proponet | Jacobus Hon, Mona-|censis, Boius. | Metaphysicae, & Institutionum Iuris, Studiosus. | Ad diem XX. Novembris | Cum Facultate Superiorum. | Dilingae, | Operis Caspari Sutoris. | Anno M.DC.XXX. – StuBD VIII 73,25 [Scaliger]. 1631 Fulminis | Miracula, | Quae | In Catholica et Celebri | Universitate Dilingana, | Praeside | Carolo Stain | Societatis Iesu, Philosophiae | Professore Ordinario |

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Publice proponet | Joannes Bauman Anhu-|sanus, Suevus. | S.D.N. Urbani VIII. Alumnus | Philosophiae Baccalaureus, | Theologiae Moralis, et Meta-|physicae studiosus. | Ad diem IX. Aprilis. | Cum Facultate Superiorum. | Dilingae, | Operis Caspari Sutoris. | Anno M.DC.XXI. – StuBD VIII 73,31 [Scaliger]. 1639 Caelum | Publice defensum | In Universitae | Dilingana | Mense Junio | 1639 | Auspici=|cijs Pauli Gran=|dinger| S.I. Phil. | Profes. | orden (!) | Respon-|sis | Mauritij | An der Almend | Patric. Lucer-|nen. I. C. | ac met. | stud. | Dilingae; | Maiorum concessu; | Typo Academiae, | Opera Caspari Sutoris, | Anno Aerae Christianae | M.DC. XXXIX. – StuBD VIII 73,22 [beide]. 1645 Acroamata | Physica | Exotericis Medi-|cis permixta. | Quae | In Catholica et Cele-|bri Universitate | Dilingana | Praeside | Christophoro Haunoldo Societatis | Iesu Philosophiae Pro-|fessore Ordinario. | Sustinebit | Capar Mayer | Dapfheimensis Neopala-|tinus Sueuus, Phil. Baccalaureus, Me-|taph. SS. Canon. & Instit. Ciuil. | Studiosus. | Mense Martio Anno M.DC.XLV. | Cum facultate Superiorum. | Dilingae, | Formis Academicis. – StuBD VIII 801,1 [Cardano].

ZWISCHEN ONTOLOGIE UND ÄSTHETIK

Sven K. Knebel

Die Kunst in der ›Barockscholastik‹ Zur Ontologie der forma artificialis bei Rodrigo de Arriaga SJ (1592–1667)

Vermutlich ist die Renaissance kunsthistorisch die Epoche, von deren Meisterwerken Notiz zu nehmen die zeitgenössischen Philosophen zum ersten Mal für nicht unter ihrer Würde gehalten haben. Während sich in der platonisierenden ›disegno‹-Literatur das Künstlergenie dafür feiern ließ, daß es die Welt mit irdischen Paradiesen beglückt,1 was trieb da der scholastische Philosoph? In der 1646 in Köln erschienenen Philosophia moralis des humanistisch ambitionierten Jesuitenscholastikers Pietro Sforza Pallavicino (1607–1667)2 fällt an entscheidender Stelle der Name Michelangelo: Wenn schon das Jüngste Gericht unmöglich rein zufällig hätte entstanden sein können, um wieviel weniger könnte unser Universum eine zufällige Konfiguration von Atomen sein! An den modernen Demokritanhänger gewandt heißt es: Siehst du denn nicht, daß man dann genauso behaupten könnte, daß, wenn bei irgendwelchen Eingeborenen die Sitte herrschte, mit Farben willkürlich die Wände zu beklecksen, dabei irgendwann einmal eben diejenige Verteilung herauskommen wird, die wir in Michelangelos Jüngstem Gericht sehen?3 Bei Lichte besehen ist das allerdings nur die Wiederholung eines ehrwürdigen, aus Cicero geläufigen Gedankenexperiments. Die Buchstaben, aus welchen Homers Ilias besteht,4 sind bei dem smarten Jesuiten nur gegen die Pixel des Jüngsten Gerichts ausgetauscht. Nichts berechtigt zu der Annahme, Michelangelos Fresko hätte für sich genommen die Aufmerksamkeit des Philosophen auf sich gezogen. Den Punkt, den er macht, hätte er an allem Möglichen auseinandersetzen können. Dieser Punkt ist rein erkenntnistheoretisch: Kombinatorisch mag diese Pixelkonfiguration zwar nicht unwahrscheinlicher sein als jede andere auch; aber daraus, daß der menschliche Geist in diesem Fall die Hypothese einer zufälligen Entstehung als unglaublich verwirft, folgt induktiv, daß diese, die wohlgeordnete Pixelkonfiguration ein Artefakt ist. Zwischen Zufall und Artefakt soll empirisch eindeutig diskriminierbar sein.

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»[C]on l’arte dell Architettura noi potiamo andar formando varii Paradisi terreni« (Federigo Zuccaro: Idea de pittori, scultori et architetti. Lib. II. Turin 1607, S. 43). Zu diesem Werk und seinem Autor vgl. Sven K. Knebel: Die früheste Axiomatisierung des Induktionsprinzips: Pietro Sforza Pallavicino SJ (1607–1667), in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 41 (1996), S. 97–128; ders.: Wille, Würfel und Wahrscheinlichkeit. Das System der moralischen Notwendigkeit in der Jesuitenscholastik. Hamburg 2000, passim. Petrus Sfortia Pallavicinus SJ: Philosophiae moralis pars prima. Köln 1646, S. 145. Cicero: De div. I, 13, 23.

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Gewiß, so kahl mußte das pictura docet nicht ausfallen, wo man das Gemälde mereologisch zum Paradigma machte. Wie der Antwerpener Jesuit Alfonso Antonio de Sarasa (1618–1667) Augustins ästhetische Rechtfertigung des Übels in der Welt auffrischt – es wäre doch grotesk, wenn die durch Perspektive und Lichteinfall benachteiligten Figuren im Hintergrund, anstatt damit zufrieden zu sein, daß sie Teil eines Ganzen sind, sich beim Maler über Zurücksetzung beschweren wollten –, zeigt sich diese neustoische Theodizee deutlich angeregt vom modernen Gruppenbild des Typs ›Nachtwache‹.5 Trotzdem, fürchte ich, bleibt der gegen die Scholastik gern erhobene Verdacht des ästhetischen Banausentums auch in der Spätrenaissance an ihr hängen. Ich würde noch weitergehen: Gerade die Jesuitenscholastik hat die Möglichkeiten, über die man als Aristoteliker zur Analyse von Kunstwerken immerhin verfügt hätte, mit Fleiß noch ruiniert. Pallavicino, der Atomismuskritiker, hält wenigstens an der Besonderheit der Pixelkonfiguration Jüngstes Gericht fest: »singularis colorum dispositio«.6 Diese dispositio ist ein bestimmter Effekt, der auf die Art der Ursache zurückzuschließen gestattet. Als Ordnungsleistung muß sie das Werk einer überlegenen Intelligenz sein, nicht das wilder Horden. Dürftiger geht es kunstphilosophisch gewiß nicht. Trotzdem wäre man in den philosophischen Kreisen, in denen Pallavicino aufgewachsen ist, kaum bereit gewesen, ihm auch nur die Pixelkonfiguration ontologisch abzukaufen. Das möchte ich an der Ontologie der forma artificialis im Suarezismus zeigen. Suárez selber hatte 1597 ausdrücklich in Abrede gestellt, daß die Wirkung des Künstlers an einem Naturstoff, die forma artificialis, nicht durch den Zufall simulierbar sei.7 Die Suarezianer Juan de Lugo (1583–1660) und dessen Schüler Rodrigo de Arriaga (1592–1667) haben auf dieser Linie weitergedacht. Ein Wort vorweg. ›Spätrenaissancephilosophie in Deutschland‹ – da ›Deutschland‹ in dem von uns behandelten Zeitabschnitt bekanntlich eine delikate Entität ist, und, was jedenfalls die scholastische Philosophie betrifft, die reichsdeutschen Produktionen mit den spanischen zu der Zeit keinen Vergleich aushalten, mag es verzeihlich erscheinen, wenn ich zur Philosophie des habsburgischen Commonwealths abschweife, an welcher das Reich erstens durch die Rezeption der suarezischen Disputationes Metaphysicae auch an den protestantischen Universitäten und zweitens durch die Lehrentwicklungen speziell in

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Alphonsus Antonius de Sarasa SJ: Ars semper gaudendi, ex principiis divinae providentiae et rectae conscientiae deducta I, x, 10–13. Hg. von Johann Christian Fischer. Frankfurt a.M. – Leipzig 41750, S. 191ff. Zu diesem zuerst 1664 erschienenen Werk vgl. J. C. Baroja: Un teorico del optimismo, in: Homenaje al Xavier Zubiri. Madrid 1970, Bd. 1, S. 219– 243; Günter Gawlick: Theodizee für den Alltag. Bemerkungen zur Rezeption von A. A. Sarasas Ars semper gaudendi in der deutschen Aufklärung, in: Michael Oberhausen u.a. (Hg.): Vernunftkritik und Aufklärung. Studien zur Philosophie Kants und seines Jahrhunderts. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 129–144. Sfortia Pallavicinus: Philosophia (s. Anm. 3), S. 144. »[E]xpeditur frequens dubium de formis artificialibus [...] Quare interdum contingit similem formam vel figuram ab agente naturali fieri casu ex concursu plurium causarum« (Francisco Suárez SJ: Disputationes metaphysicae, Disp. 16 sect. 2 n. 17, in: Opera omnia. Paris 1856ff., T. 25, S. 579b/580a).

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Böhmen und Belgien partizipiert hat. Der spanische Jesuit Rodrigo de Arriaga ist seit langem nicht nur ein vergleichsweise gut bekannter Scholastiker der Generation nach Suárez, er war nicht nur schon von den Protestanten des 17. Jahrhunderts der am fleißigsten studierte zeitgenössische katholische Schulphilosoph, er hat auch innerhalb der Reichsgrenzen gelehrt, nämlich 1626 bis 1637 Theologie in Prag. Von 1637 bis 1642 und von 1654 bis zu seinem Tod amtierte er hier als Dekan der theologischen Fakultät. Mit dem Import aus Valladolid hatte die Schlacht am Weißen Berg auch kulturell gewonnen werden sollen. Der noch in Spanien ausgearbeitete Folioband seines Cursus philosophicus ist zuerst 1632 in Antwerpen erschienen. Bis 1669 erlebte er elf oder zwölf immer erweiterte Auflagen und war damit der zumindest buchhändlerisch erfolgreichste der großen barockscholastischen Philosophiekurse.8 Von den vielen kontroversen Lehrstücken Arriagas beschränke ich mich auf seine Ontologie der forma artificialis im Rahmen der Disputationen zum II. Buch der aristotelischen Physik. Bekanntlich versteht der scholastische Hylemorphismus unter einer ›Form‹ das an den Dingen, was in anderem Stoff von ihnen reproduzierbar ist. Für das, was eine Skulptur zur Skulptur macht, hatte er in Analogie zur ›forma substantialis‹ der Naturdinge, den Begriff ›forma artificialis‹. Mit diesem Begriff hätte sich kunstphilosophisch gewiß etwas anfangen lassen. Überraschen muß die Entschiedenheit, mit der man genau das aber im Suarezismus nicht gewollt hat. Manche meinen, so Arriaga, in solchen Artefakten sei die forma artificialis etwas von allen Teilen und Positionen (ubicationes) des betreffenden Dings Unterschiedenes, und diese Form sei nicht von der Natur, sondern vom Künstler hergestellt. Diese Ansicht ist völlig improbabel, und daher, glaube ich, muß man sagen, daß die forma artificialis z.B. eines Gemäldes nicht etwas von allen Pixeln und deren Positionen Unterschiedenes ist, denn genau dadurch, daß wir die Pixel zusammen mit der und der Position auf der Tafel erkennen, wird das Gemälde erkannt, ohne daß darüber hinaus irgendeine forma artificialis erkannt würde.9

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Da sich bisher niemand der Mühe unterzogen hat, die Textveränderungen in den verschiedenen Auflagen des Cursus philosophicus zu studieren, sind wir beim derzeitigen Forschungsstand erst recht nicht in der Lage, Arriagas mitteleuropäische Breitenwirkung zu beurteilen. Wichtige Hinweise dazu finden sich jedoch in mehreren Beiträgen des überhaupt vorzüglichen, von Tereza Saxlová und Stanislav Sousedík herausgegebenen Bandes: Rodrigo de Arriaga, Philosoph und Theologe. Prag 1998. Es handelt sich (vgl. die Rezension von Jacob Schmutz: Bulletin de scolastique moderne (I), in Revue thomiste 100 [2000], S. 270–341, hier S. 336f.) um die Akten einer 1996 abgehaltenen Konferenz an der Prager Karlsuniversität. Vorbildlich ist, wie sich die Mehrzahl der Beiträge der Aufgabe stellt, Arriaga doxographisch zu der zeitgenössischen Scholastik in Beziehung zu setzen. Wertvoll ist auch Richard Maseks Edition des ordensoffiziellen Nachrufs auf Arriaga. »Nonnulli arbitrantur, in eiusmodi artefactis formam artificialem esse aliquid distinctum ab omnibus partibus et ubicationibus rei artificiosae, et eam formam produci non a natura, sed ab artifice. Haec sententia omnino est improbabilis, ideoque dicendum puto, formam artificialem picturae v.g. non esse quid distinctum ab omnibus coloribus et eorum ubicationibus. Probatur evidenter, quia eo ipso quod intelligamus eos colores cum tali et tali ubicatione in tabula, nulla alia forma artificiali superintellecta, intelligitur pictura« (Rodericus de Arriaga SJ: Cursus philosophicus, Phys. disp. 6 n. 8. Antwerpen 1632, S. 319a/b).

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So weit aus der Betrachterperspektive. Aus der Produzentenperspektive ist es das Gleiche. Bezogen auf den Naturstoff, hatte schon Suárez gemeint, sei die forma artificialis nicht mehr als eine Modifikation und als solche, auch wenn die künstlerische Intention auf sie gerichtet ist, dennoch bloß die Resultante einer Kompositionstätigkeit, deren direkter Gegenstand stoffliche Positionsveränderungen sind: Hier etwas weg, dort etwas hin, und das mag eben auch rein zufällig so zustande kommen.10 Lugo und Arriaga unterstreichen das: Da der Maler nicht die Pixel produziert, sondern ihnen nur diese oder jene Position gibt, und er gleichwohl die forma artificialis produziert, so folgt daraus, daß diese, außer auf die Pixel, sich auf deren Position bzw. Nichtposition reduziert.11 Nun war man sich zwar seit jeher einig, daß die forma artificialis dem Stoff gegenüber noch weniger verselbständigbar ist als die substantielle Form, für die auch schon gilt, daß sie nicht selbständig, ohne Stoff, existiert. Arriagas Hypothese, die zumindest zeitweilig in der Jesuitenscholastik auch sehr en vogue war,12 ist gleichwohl ein Extrem. Die Arriaga an sich gewogenen Paduaner Skotisten Mastri und Belluto, klassifizieren sie 1637 als ›nominalistisch‹ und verraten bei dieser Gelegenheit, daß der Status der forma artificialis zu den Punkten gehört, welche in den aus der Universalienlehre auf andere philosophische Themen übertragenen Schulgegensatz ›Realismus‹-›Nominalismus‹ hineingezogen worden sind. Während die Nominalisten, sprich Arriaga, die Realdistinktion der forma artificialis rundweg leugnen, seien die Realisten der Ansicht, daß

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»[H]ae formae artificiales solum sunt modi quidam accidentales [...], et ad illas non est per se actio physica; quamvis enim intentio artificis ad illas per se tendat, et ideo tali modo dirigat per artem actionem suam, ut formam intentam inducat, tamen actio ipsa, per quam exequitur intentionem suam, non terminatur per se et immediate ad talem formam, sed ad aliquem alium modum, ex quo talis forma resultat. Semper enim hae formae fiunt per motionem localem, quae proxime terminatur ad Ubi, et inde resultant variae figurae artefactorum« (Suárez: Disp. met. 16 sect. 2 n. 18, [s. Anm. 7], S. 580a). Vgl. auch Bernardus Morisanus SJ: In Aristotelis Logicam, Physicam, Ethicam Apotelesma. Frankfurt a.M. 1625, S. 315f.: »Aliquando [...] nomine ›artis‹ intelligitur forma ab artifice in materiam seu corpus physicum introducta, quae nihil est aliud, quam situs et ordo partium naturalium: ars enim effectum suum producit per motum localem, res naturales secundum locum varie disponendo et coordinando: unde talis vel talis figura resultat, ut patet in arte pingendi, quae liquores coloratos variis locis collocat, ex quibus resultat talis imago, et in arte statuaria, quae e rudi ligno hinc inde varias partes decerpit, alibi apponit, et in arte aedificatoria, quae lapides et ligna eo modo coordinat, ut resultet domus.« »[C]um artifex, Pictor v.g., colores non producat, sed pure pute eis det ubicationes, et nihilominus producat formam artificialem, colligitur [...], hanc nihil aliud dicere supra partes ipsas colorum, quam ubicationes illorum et superfluarum carentiam« (Arriaga: Cursus philosophicus. Lyon 111668, S. 371b; aus der Antwort auf Richard Lynch). – »Sentio [...], figuram artificialem non addere aliquod positivum supra ubicationes partium, sed esse tales ubicationes partium cum talibus negationibus« (Ioannes de Lugo SJ: Disputationes scholasticae et morales, T. 3: De Sacramento Eucharistiae, Disp. 8 n. 30 [1636]. Paris 1892, S. 825a/b). »[T]ertia sententia est, figuram aliud nihil esse praeter ubicationes varias partiales, quibus partes iuxta se invicem collocantur [...]; estque inter recentiores ferme communis« (Thomas Compton-Carleton SJ: Philosophia universa, Phys. disp. 17 sect. 2 n. 3. Antwerpen 1649, S. 276); Compton-Carleton selber lehnt dies ab.

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sie eine neue, dem Naturstoff durch den Künstler hinzugefügte Qualität ist, im scholastischen Sprachgebrauch also eine ›absolute Entität‹, ein Ding.13 Überzeugend sei freilich weder die eine noch die andere Hypothese. Einer dritten, gemäßigt realistischen Hypothese nach sei die forma artificialis ein Akzidens, aber ein Akzidens der Kategorie Relation: die vom Künstler besorgte Abstimmung der stofflichen Teile aufeinander, eine mühselige und deswegen geldwerte Ordnungsleistung.14 Das ist z.B. auch Pallavicinos Ansicht. Was ist es nun, was einen Arriaga von diesem bewährten goldenen Mittelweg abgehalten hat, so daß er lieber den Verdinglichungstopos zückt und, folgen wir Mastris und Bellutos Einschätzung, eine Renaissance des Nominalismus einleitet? Ich würde empfehlen, die Etikettierung ›Nominalismus‹ vorläufig einzuklammern. Sicherlich, auch Ockham zufolge ist die Figur eines Gegenstandes von diesem Gegenstand keine realdistinkte Entität.15 Arriagas Argumentation schießt aber über das typisch nominalistische Beweisziel hinaus. Das nominalistische Beweisziel ist, im Interesse der Einzeldingontologie, die Verlegung des Allgemeinen aus dem Sein ins Denken. Davon kann hier keine Rede sein. Denn wie argumentiert Arriaga? Wie er sie einführt, ist die forma artificialis ein bestimmtes Strukturelement des Gemäldes. Mereologisch würde man sagen, sie hat den Charakter eines Ganzen gegenüber den Teilen. Arriaga behauptet, sie ist ein überflüssiges Strukturelement, denn ein Surplus gegenüber den Teilen habe sie gar nicht. Daß sie ontologisch kein Surplus über das andere Strukturelement, die Kombination aus Pixel und Position, hat, wird damit begründet, daß sie nicht einmal erkenntnistheoretisch dieses Surplus hat: Mehr als die Kombination aus Pixel und Position gebe es an einem Gemälde gar nicht zu erfassen. Das

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»[Q]uaeri solet, an forma artificialis distinguatur ab ente naturali, et quomodo. Nominales [...] negant ullo modo distingui a parte rei [...]. Opposita opinio est Realium asserentium formam artificialem esse accidens reale absolutum de quarta specie qualitatis rebus naturalibus superadditum artificis industria, ideoque artificiale realiter distinguunt ab ente naturali […]. Hoc additum esse entitatem absolutam« (Bartholomaeus Mastrius de1 Meldula u. Bonaventura Bellutus OFM.: Cursus philosophicus T. 2: Phys. disp. 6 n. 52, 1637, Venedig 1727, S. 169b/70a). Im 15. Jahrhundert wurde die realistische Position von manchen Skotisten, in der Jesuitenscholastik wird sie nur vereinzelt vertreten, so von dem großen Sevillaner Didacus Ruiz de Montoya SJ: Commentarii ac Disputationes de scientia, de ideis, de veritate, ac de vita Die. Paris 1629, S. 870a: »[F]alsum est [...], non esse peculiares ideas formarum artificialium, sicut est falsum [...], formas artificiales in respectu consistere. Quin potius artificiales formae multoties sunt accidentia realiter distincta«. »Dicendum est igitur formam artificialem non esse purum nihil, neque etiam entitatem absolutam, sed esse relationem quandam ordinis et proportionis partium naturalium ad se invicem [...]. Figura [...] non resultat, quousque intelligatur praefata coordinatio et;distantia partium adinvicem [...]. Dicimus [...], quod superaddit forma artificialis enti naturali, esse praefatum ordinem partium ad se invicem, et hunc produci ab artifice, et eius gratia pecunias recipere [...], quia admodum difficile est perficere totalem ordinem« (Mastrius u. Bellutus: Phys. disp. 6 n. 53 [s. Anm. 13], S. 170a/b). »[F]igura non est res distincta realiter a figurato« (William of Ockham: Expositio Physicorum II, ad text. 7, MS Mert. 293, fol. 29r, zitiert nach John E. Murdoch: Scientia mediantibus vocibus: Metalinguistic Analysis in Late Medieval Natural Philosophy, in: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. Berlin – New York 1981 [= Miscellanea Mediaevalia XIII/1], S. 83).

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nun ist gegenüber dem klassischen Nominalismus eine Verschärfung, denn erkenntnistheoretisch hätte das Universale ›Mensch‹ gegenüber den extensional denotierten einzelnen Menschen allemal ein Surplus. Das Universale ›Mensch‹ können wir, Ockham und auch Arriaga selber zufolge, immerhin denken und definieren, etwa als ›animal rationale‹.16 Aber gerade diese konzeptistische Funktion spricht Arriaga der forma artificialis ab. Weit entfernt, daß er sie aus dem Sein ins Denken verlegte, behauptet er gerade, sie sei nicht die Zutat des Künstlers. Der springende Punkt bei Arriaga ist indessen nicht die Verschärfung des Nominalismus. Was man als solche interpretieren könnte, ist auf dem Hintergrund der peripatetischen Sinnespsychologie nämlich wenig spektakulär. Für alle Aristoteliker gilt, daß das Objekt des Gesichtssinns die Farbe ist, nicht die Gestalt. Daraus hat nicht nur Arriaga, sondern haben auch andere, auch die Skotisten Mastri und Belluto, die Konsequenz gezogen, daß dann auch das, wodurch der Sinnesgegenstand den Gesichtssinn affiziert, nämlich die species sensibilis, nicht die Totalrepräsentation einer Ikone übernimmt, sondern daß eine Ikone durch Speziesaggregate den Sinn affiziert. Jeder einzelnen Farbschattierung sei eine gesonderte Spezies zuzuordnen.17 Also nicht, daß er die Ikone impressionistisch in ein Pixelaggregat auflöst, kann Arriaga die Etikettierung ›Nominalist‹ eingetragen haben. Zumindest mit dem gemäßigt realistischen Begriff der forma artificialis wäre der Impressionismus durchaus vereinbar. Das unterstellt auch Arriaga, wenn er sich jetzt der Hypothese zuwendet, die ich die ›gemäßigt realistische‹ nannte, und die in der Folgezeit namentlich von Thomas Compton-Carleton und Richard Lynch gegen ihn auch verteidigt werden wird:18 Andere Autoren geben zwar zu, daß die forma artificialis von den Teilen und deren Positionen nicht real unterschieden ist, sie fügen indessen hinzu, daß sie deswegen doch nicht eigentlich in eben diesen Positionen besteht. Zu dieser Ansicht kommen sie aufgrund der Überlegung, daß der Künstler es in seinem Schaffen nicht unmittelbar auf die Positionen z.B. der Pixel absieht, sondern auf den Abstand der Pixel voneinander und ihre Konfiguration. Auch wenn, argumentieren sie, das goldene oder hölzerne Gefäß von A nach B transportiert wird, bleibt es doch dasselbe Gefäß und hat dieselbe forma artificialis, ohne daß es dann jedoch dieselben Positionen hätte wie vorher: Also waren die Positionen auch nicht die forma artificialis des Gefäßes. Genauso beim Gemälde. Wer würde nämlich behaupten, je nachdem, ob es auf dem Markt, in der Kirche oder zu Hause hängt, handele es sich je-

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Zu Arriagas Nominalismus vgl. E. Caruso: Pedro Hurtado de Mendoza e la rinascita del nominalismo nella Scolastica del Seicento. Florenz 1979, S. 81–84; S. Sousedík: Arriagas Universalienlehre, in: Saxlová u. Sousedík (Hg.): Arriaga (s. Anm. 8), S. 41–49. »Dicendum est [...] species divisibiliter ab obiecto produci. Probatur [...] de obiecto heterogeneo et dissimilari constante ex coloribus valde diversis; nequit enim albedo v.g. et nigredo, aut rubedo ab eadem specie repraesentari, cum sint specie omnino distinctae; sed idem obiectum, puta imago, potest ex istis coloribus formari: ergo etc.« (Mastrius u. Bellutus: Cursus philosophicus [s. Anm. 13], T. 3: De anima, Disp. 4 n. 74, S. 75a). Compton-Carleton: Philosophia universa (s. Anm. 12), Phys. disp. 17 sect. 2 n. 6, S. 276; Richardus Lyncaeus SJ: Universa philosophia scholastica, T. 3: Metaphysica. Lyon 1654, S. 210.

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weils um ein anderes Gemälde? Gleichwohl ist es gewiß, daß es in der Kirche andere Positionen hat als auf dem Markt usw. Also bestand die forma artificialis nicht in den Positionen, sondern in dem Abstand der Teile voneinander, im Hinblick auf den, weil er identisch bleibt, wohin das Gemälde oder das Gefäß auch transportiert wird, auch die forma artificialis identisch bleibt.19

Die ›gemäßigt realistische‹ Hypothese sagt also, inwiefern die forma artificialis auf das Strukturelement Pixel/Position reduzierbar ist, und inwiefern nicht. Sie ist es, wenn man an eine Relation, den stabilen Abstand der Pixel voneinander, denkt. Sie ist es nicht in bezug auf die absoluten und daher veränderlichen Raumkoordinaten. Die forma artificialis wird in die Bedingung dafür gesetzt, daß ein Kunstwerk bei Veränderung sämtlicher Raumkoordinaten numerisch identisch bleibt. Wie hätte diese Position ›nominalistisch‹ unterbietbar sein können? Sie war es. Diese Ansicht, versetzt Arriaga, ist noch unplausibler als die vorige und läßt sich noch klarer kritisieren. Arriaga hält es, kurz gesagt, für inkonsequent, einerseits zu akzeptieren, daß die Kombination von Pixel und Position das einzig Reale an einem Gemälde ist, und trotzdem den Abstand der Pixel voneinander als etwas Drittes geltend zu machen. Der Abstand habe genausowenig ontologisch ein Surplus über die Positionen wie die ›Verschiedenheit‹ von Schwarz und Weiß ein Surplus über diese beiden Farben: Deswegen sagte ich, daß diese Hypothese noch unwahrscheinlicher als die vorige ist, denn jene setzte bloß eine überflüssige Form, während diese, ohne daß sie irgendetwas von den Positionen Unterschiedenes setzte, worin der Abstand bestehen sollte, trotzdem behauptet, der Abstand werde vom Künstler bewirkt, nicht aber die Positionen, und die Positionen gingen zugrunde, der Abstand nicht: was völlig widersinnig ist.20

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»Alii Auctores, cum affirment formam artificialem non esse aliquid reale distinctum a partibus et earum ubicationibus, addunt tamen, eam [ergänze: non] consistere formaliter in ipsis ubicationibus. Et moventur, quia artifex non intendit producere ubicationes colorum v.g., sed illam distantiam et coordinationem colorum inter se. Confirmant, quamvis vas aureum vel ligneum mutetur localiter, adhuc est idem vas, et habet eamdem formam artificialem, sed tunc non habet easdem ubicationes quas antea, ergo ubicationes non erant forma artificialis vasis. Idem est in pictura. Quis enim dicat, diversam esse picturam ex eo quod sit in foro, vel in templo, vel domi? cum tamen certum sit, ubicationes illius esse diversas in templo, et diversas in foro, etc. Ergo illa forma artificialis non consistebat in ubicationibus, sed in distantia partium inter se, quae cum maneat eadem, quocumque feratur pictura vel vas, manet etiam eadem forma artificialis« (Arriaga: Cursus philosophicus [s. Anm. 9], Phys. disp. 6 n. 12). »Haec opinio improbabilior est praecedenti, impugnaturque clarius, quia ipsius Auctores nihil agnoscunt reale in pictura, nisi colores et eorum ubicationes: nam forma artificialis non est distincta realiter ab his duabus rebus in eorum sententia, dum sic argumentor: Artifex non producit colores, ergo solum producit eorum ubicationes, sed per te artifex producit formam artificialem, ergo haec non est distincta ab ubicationibus. Patet consequentia, quia forma producta ab artifice non est aliud per te quam ipsae ubicationes, alioquin iam adderes cum prioris sententiae Auctoribus formam aliquam artificialem distinctam a partibus et earum ubicationibus, quod a te negatum est. Confirmatur: quia distantia omnium rerum inter se non est aliquid distinctum ab earum ubicationibus, sicut diversitas inter albedinem et nigredinem non est aliquid distinctum ab entitate albedinis et nigredinis [...]. Sed per te distantia partium est forma artificialis, ergo forma artificialis sunt ipsae ubica-

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Was Arriagas Ablehnung einer forma artificialis auch in der gemäßigt realistischen Fassung bedingt, ist demnach präzise seine nominalistische Theorie der Relation. Auch das, was andere Scholastiker als Realrelationen von bloß gedanklichen Beziehungen unterscheiden würden, sind für ihn keine Entitäten. Unter diesen Umständen ist die Unterscheidung zwischen den zufälligen Raumkoordinaten der Pixel und ihrer Konfiguration nicht aufrechtzuerhalten. Entschlossen reduziert Arriaga die Konfiguration auf die Raumkoordinaten und lehrt von der forma artificialis, insofern sie dann teilweise mit den Raumkoordinaten zusammenfällt: Ich folgere daraus, daß, sooft das Kunstwerk von A nach B transportiert wird, physisch gesehen in der Tat die forma artificialis teilweise eine Veränderung erfährt, denn dann verändern sich die Positionen, mit welchen sie zumindest teilweise identisch ist [...]. Man wird einwenden: Wer z.B. eine Statue von der Stelle bewegt, würde dann zur Wirkursache der betreffenden forma artificialis werden, da er ja die Wirkursache der Positionen ist, in welchen die forma artificialis besteht. Ich antworte: einer, der die Statue von der Stelle bewegt, stellt physisch gesehen in der Tat eine neue, teilweise andere forma artificialis her, denn er stellt ja neue Positionen her.21

Arriaga zufolge gehören die Raumkoordinaten demnach so strikt zur Identitätsbedingung des einzelnen Kunstwerks, daß dieses eine Ortsveränderung nicht als numerisch Identisches übersteht – für die Zeitgenossen eine geradezu paradoxe Behauptung.22 Über Kants Ästhetik hat man gespöttelt, das ideale Kunstwerk sei für sie die gemusterte Tapete. Von Arriaga wird man sagen, daß er die Einseitigkeit, mit der ganze Gattungen von Kunstwerken ausgeblendet werden, ähnlich weit treibt; man denke nur an die Zeitkünste, etwa die Musik. Sein Begriff des Kunstwerks scheint von der Sonnenuhr abgenommen. Aber irgendwie muß doch der Künstler in einem anderen Sinn kreativ sein als der Möbelpacker! Das immerhin findet auch Arriaga:

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tiones, a quibus non distinguitur ea distantia. Et propterea dixi hanc sententiam esse improbabiliorem praecedenti, quia illa solum ponebat unam formam otiosam, haec autem, cum nihil distinctum ab ubicationibus ponat, in quo consistat distantia, ait tamen produci distantiam, non vero ubicationes: has destrui, illam non, quod omnino repugnat« (ebd., nn. 13f.). »Ex his infero, physice loquendo, mutari inadaequate figuram et formam artificialem, quotiescumque loco mutatur res artificiosa, quia tunc mutantur ubicationes, a quibus non distinguitur talis figura saltem inadaequate. Mutatur etiam distantia partium, quae in ipsis ubicationibus adaequate consistit [...]. Sed obiicies: Ergo qui movet figuram, v.g. statuam, erit causa illius formae artificialis, cum sit causa ubicationum, in quibus consistit forma artificialis. Respondeo, hominem moventem figuram physice loquendo producere novam et distinctam inadaequate formam artificialem, quia producit novas ubicationes« (ebd., nn. 14f.). »Et quidem prorsus ridiculum est, quod concedit Arringa [...] physice loquendo mutari saltem inadaequate [...] formam artificialem, quotiescumque loco mutatur res artificiosa […]. Hoc sane prorsus incredibile est« (Mastrius u. Bellutus: Cursus philosophicus [s. Anm. 13], Phys. disp. 6 n. 52, S. 170a). – Arriaga selbst zitiert in den späteren Auflagen seines Werkes das Urteil seines Ordensgenossen Richard Lynch (1610–1676): »[A]it opinionem nostram maxime circa mutationem physicam figurae esse inverisimilem, et ex ipsis terminis supra fidem« (Lyncaeus: Universa philosophia [s. Anm. 18], S. 210, zitiert nach Arriaga: Cursus philosophicus [s. Anm. 9], S. 371b).

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Trotzdem wird man ihn [den Möbelpacker] nicht für den Künstler oder Urheber dieser Figur ansehen, denn er hat nicht als erster diese so und so weit voneinander abstehenden Positionen hergestellt, die die forma artificialis bilden. Vielmehr folgt diejenige Disposition, welche sich aus dem Transport der Statue ergibt, notwendig aus der vom Künstler hergestellten Originaldisposition, ohne daß es dazu einer Kunstfertigkeit in dem Menschen bedürfte, der die Statue von der Stelle bewegt.23

Fällt hier Arriaga nicht doch auf die gemäßigt realistische Hypothese zurück? Nein, denn für den stabilen Abstand der Pixel voneinander hat er eine Erklärung, welche nun tatsächlich ›nominalistisch‹ genannt zu werden verdient. Physisch, wie gesagt, erfahre die forma artificialis durch den Transport eine Veränderung: [A]uf unsere Auffassung bezogen und moralisch gesehen ändert sich die Figur jedoch nicht, denn immer andere Raumkoordinaten folgen aufeinander, die genauso weit wie die früheren voneinander abstehen.24

Das Kunstwerk soll also eine lediglich ›moralische‹ oder, wie es in der Jesuitenscholastik gleichbedeutend auch hieß, eine ›virtuelle‹ Identität haben. ›Moralisch‹ oder ›virtuell‹ identisch nannte sie solches, was dem Effekt nach auf dasselbe hinausläuft, in der Regel also Dinge oder Fälle, die bloß numerisch verschieden, ihren Merkmalen nach aber für uns ununterscheidbar sind.25 Das durch den Transport diversifizierte Kunstwerk behauptet seine Identität nur insofern, als das, was sich ändert, die Raumkoordinaten, gegeneinander gleichgültig und austauschbar ist. In der Regel wird mit dem Begriff der moralischen Identität diachron die numerische Identität materieller Substanzen zu retten versucht: die des Schiffs, das im Laufe der Zeit alle Einzelteile ausgewechselt bekommen hat, die des Lebewesens, das sich nur im Stoffwechsel erhält. Daß der Begriff einer moralischen Identität, d.h. also nicht einer im strengen Sinn realen Identität, sondern einer phänomenalen Identität-als-ob, von Arriaga und

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»[N]on tamen censeri ullo modo esse artificem vel auctorem illius figurae, quia non primo produxit eas ubicationes distantes inter se et constituentes formam artificiosam, sed potius ex dispositione priori ab artifice producta necessario sequitur secunda ad motum localem illius figurae, et hoc sine ulla arte requisita in movente figuram« (Arriaga: Cursus philosophicus [s. Anm. 9], Phys. disp. 6 n. 15). »[I]n ordine autem ad apprehensionem nostram, et moraliter loquendo, non mutari figuram, quia succedunt aliae ubicationes eodem modo distantes inter se ac priores; sicut moraliter loquendo eodem modo dicitur quis stare vel sedere, sive habeat has sive illas ubicationes, dummodo sint omnino similes inter se, et sive feratur huc sive illuc in sede« (ebd., n. 14). – »[Q]uando movetur localiter ab uno loco in alium [...], distantia partium inter se [...] metaphysice loquendo non perseverat eadem, cum non maneat eadem ubicatio partium, sed solum moraliter et vulgariter […]. Dicitur autem moraliter perseverare eadem, quamdiu post artificis operam sic manent partes inter se dispositae, ut absque novo artificio possint similem distantiam et proportionem ad invicem retinere […]. Vides, quantum sit moralitatis in hac perseverantia eiusdem figurae artificialis, licet physice loquendo eius intrinseca constitutiva varientur« (Lugo: De Sacramento Eucharistiae [s. Anm. 11], disp. 8 n. 33, S. 826a/b). Vgl. Sven K. Knebel: Moralische Identität und Principium identitatis indiscernibilium, in: Leibniz und Europa. VI. Internationaler Leibnizkongreß Hannover, 18.–23. Juli 1994,. Hannover 1994, S. 407–414.

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übrigens schon 1613 von seinem Lehrer, dem späteren Kardinal Juan de Lugo,26 auch auf das Kunstwerk angewandt wurde, ist, glaube ich, ein für die philosophische Richtungsbestimmung der Jesuitenscholastik im 17. Jahrhundert in mehrfacher Beziehung charakteristischer Vorgang, und zwar gerade, weil er so wenig plausibel ist. Wie schon Compton-Carleton Arriagas Erklärung salopp ad absurdum führt: Man bräuchte die Leinwand ja nur zusammenzurollen, und schon wäre die Basis für die Zuschreibung auch nur einer moralischen Identität entfallen.27 Man darf also seine Zweifel haben, ob der Rekurs auf die moralische Identität der Raumkoordinaten ganz ernst gemeint gewesen ist. Ich würde eher vermuten, es war eine gezielte Provokation. Die Bestimmung der Seinsweise des Kunstwerks diente zum Aufhänger, um die Tragfähigkeit eines an anderer Stelle erprobten Erklärungsmusters zu testen. Das ist zum einen die konsequente Unterscheidung zwischen ›physischem‹ und ›moralischem‹ Sein. Im Suarezismus teils juristisch, teils semiotisch motiviert, 28 ist sie so tief wie der Abgrund, aus dem sie das Denken auffängt. Da ich die Konjunktur des moralischen Seins ausführlich behandelt habe,29 will ich darauf hier nicht zurückkommen. Das ist zum anderen, und darauf sei zum Schluß wenigstens kurz hingewiesen, die schon vor Jahren von Wolfgang Hübener bemerkte und bis zu Otto von Guericke und seinen Magdeburger Halbkugeln verfolgte Wirkmächtigkeit der jesuitenscholastischen Raumspekulationen.30 Es geht um das Ausmaß, in welchem

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»Hoc modo olim explicui formam artificialem in II. lib. Physicorum, quam doctrinam video postea placuisse philosophis recentioribus, quorum aliqui scripta sua typis mandarunt« (Lugo, De Sacramento Eucharistiae [s. Anm. 11], disp. 8 n. 33, S. 826b). Seinen ersten und einzigen vollständigen Philosophiekurs hat Lugo 1612 bis 1615 in León abgehalten. Vgl. Carlos Baciero SJ: Juan de Lugo y su autógrafo inédito de filosofía, in: Miscelanea Comillas 46 (1966), S. 169–212 und 47/48 (1967), S. 407–433. Arriaga hat zwar nicht bei Lugo Philosophie studiert, aber dessen akademischen Aufstieg miterlebt. Vgl. das Widmungsschreiben an Lugo in Arriaga: Cursus theologicus T. 3. Antwerpen 1644, S. vii, zitiert in Stanislav Sousedík: Rodericus de Arriaga: Leben und Werk, in: Saxlová u. Sousedík (Hg.): Arriaga (s. Anm. 8), S. 10. Zu diesem biographischen Abriß wäre nachzutragen, daß Arriaga 1609 bis 1612 in Medina del Campo bei Geronimo de Lazárraga SJ Philosophie studiert hat. »Contra [...], quantumcumque quis hominis alicuius imaginem in charta depictam complicet et chartam illam in unum quasi globum convolutam manu comprimat, adhuc dicitur propriissime hominis imaginem manu gestare, et tamen ubicationes notabiliter mutantur, et caput iam in imagine est pectori vel pedibus forte proximum: ergo non consistit figura artefacti in ubicationibus in ordine ad locum« (Compton-Carleton: Phys. disp. 17 [s. Anm. 12] sect. 2 n. 5, S. 276). Zum semiotischen Aspekt vgl. die wichtigen Bemerkungen bei Stephan Meier-Oeser: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Berlin – New York 1997, S. 197–205, 276. Bei Lugo wird das juristische Motiv deutlicher als bei Arriaga, denn der Kontext, in welchem er an die von ihm schon vor Arriaga vertretene Ontologie der forma artificialis anknüpft, ist die Unterscheidung zwischen der Veränderung, die mit einem Meßkelch in der Benutzung vor sich geht, und anderen Veränderungen, wenn er z.B. zerbrochen und repariert worden ist, die es erforderlich machen, ihn neu zu weihen. Vgl. Knebel: Wille, Würfel und Wahrscheinlichkeit (s. Anm. 2), S. 488–519. Vgl. Wolfgang Hübener: Zum Geist der Prämoderne. Würzburg 1985, S. 91ff.

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der Zusammenhang von Existenz und Verortetsein, daß also alles, was existiert, notwendig an einem bestimmten Ort ist, diesem oder jenem, in die ontologische Konstitution des Dings eingreift. Der Suarezismus, Lugo und Arriaga an vorderster Front, lehrt, daß die Ubikation, also die Tatsache, daß etwas hier ist und nicht dort, für das betreffende Ding eine intrinsische und nicht, wie z.B. Leibniz lehren wird, eine extrinsische Denomination sei.31 So gesehen bedeutet eine Ortsveränderung für die Dinge eine innere Zustandsänderung. Bei solchen Dingen, den Kunstwerken, die als solche überhaupt nur durch die Verortung ihrer Teile definiert sind, kann dieser Ansatz, wie wir sahen, ihre Identität sprengen. Wie Lugo sich ausdrückt: Der Transport greife ein in die intrinseca constitutiva des Kunstwerks. Sobald man deswegen seine Zuflucht zum Begriff der ›moralischen‹ Identität nimmt und man diesen von dem, was in der Zeit einer Veränderung unterliegt, auf solches überträgt, was im Raum einer Veränderung unterliegt, ist jedoch nicht mehr sicher, daß er vor den Dingen im aristotelisch üblichen Sinn, den materiellen Substanzen, haltmacht. Dazu paßt die Formel, mit der Stanislav Sousedík Arriagas Aristotelismus auf den Begriff bringt: Hylemorphismus ohne die Akt-Potenz-Lehre.32 Aus der Kontinuumsdiskussion waren Lugo und Arriaga den Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts als Atomisten geläufig.33 Alles zusammengenommen gäbe es Grund genug, die Korpuskularphilosophie des 17. Jahrhunderts einmal darauf abzuklopfen, ob sie nicht aus dieser Ecke, aus der durch Arriaga im Reich vertretenen spanischen Jesuitenscholastik, wesentliche Anstöße erhalten hat.

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Suárez: Disp. met. disp. 51 sect. 1 n. 15 (Opera omnia, T. 26, S. 976°); Lugo: De Eucharistia, in: Disputationes scholasticae et morales T. 3. Hg. von J. Fournials. Paris 1869, S. 577a/b. Stanislav Sousedík: Die Lehre von Potenz und Akt in der Philosophie Rodrigo de Arriagas, in Saxlová / Sousedík (Hg.): Arriaga (s. Anm. 8), S. 106. Vgl. die Artikel ›Arriaga‹, ›Lugo‹ und ›Zenon d’Elée‹ in Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique. – Gottfried Wilhelm Leibniz: Théodicée, in: Philosophische Schriften. Hg. von Carl I. Gerhardt. Berlin 1875 [Repr. 1965], Bd. 6, S. 90. – Vgl. Knebel: Wille (s. Anm. 2), S. 179ff. Der schon seit längerem ediert vorliegende Traktat Lugos über die Zusammensetzung des Kontinuums (vgl. Carlos Baciero SJ: La formación del continuo: Manuscrito inédito de Juan de Lugo, in: Archivo Teológico Granadino 47 (1984), S. 161–191) ist leider nicht berücksichtigt bei Jiri Polívka: Arriagas Kontinuumlehre, in Saxlová u. Sousedík (Hg.): Arriaga (s. Anm. 8), S. 65–85.

Joseph S. Freedman

Necessity, Contingency, Impossibility, Possibility, and Modal Enunciations within the Writings of Clemens Timpler (1563/64–1624)*

In his monograph on metaphysics as taught in German schools and universities during the seventeenth century, Max Wundt has very high praise for the work of Clemens Timpler (1563/64–1624).1 Clemens Timpler did in fact belong to the group of early seventeenth-century German academians who not only – as Wundt noted – revived the study of metaphysics in Central Europe, but who – beginning shortly after the year 1600 – also returned to the late medieval practice of teaching an encyclopedic scope of philosophical and philological subject-matters.2 And like some of his German contemporaries, Timpler discussed within his writings a number of topics pertaining to modality.3 Clemens Timpler was born in Stolpen (Saxony) in 1563 or 1564.4 After receiving his Baccalaureate of Arts and Master of Arts degrees at the University of Leipzig, he taught in Leipzig until he emigrated – together with a large number of other Calvinist and Cryptocalvinist teachers and students at the Saxon Universities of Leipzig and Wittenberg – to the University of Heidelberg in the year 1592. In Heidelberg Timpler taught in the Arts Faculty of the University and served as a dormitory administrator. In 1595 he left Heidelberg in order to accept a professorship at a recently established academy in Steinfurt (Westphalia), the Gymnasium illustre Arnoldinum; he remained there until his death in 1624.

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Full citations for the primary and secondary sources listed in the footnotes are given in the bibliography. Library and archive locations – together with call numbers – are given for all of the sixteenth- and seventeenth-century source materials cited in this article. The following abbreviations are used for this purpose: HAB = Herzog August Bibliothek; LB = Landesbibliothek; SA = Staatsarchiv; StB = Stadtbibliothek; SUB = Staats- und Universitätsbibliothek; UB = Universitätsbibliothek; UStB = Universitäts- und Stadtbibliothek; ZB = Zentralbibliothek. Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik, pp. 60, 62, 74–75, 164, 175, 177–179. Wundt’s views concerning Timpler are discussed in detail in Joseph S. Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 2–3, 429–432; vol. 2, pp. 452–453, 722–723. Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik, pp. 6–7, 59, 72, 74–75, 145, 161. With regard to the rebirth of encyclopedic philosophical writings in Central Europe from the beginning of the seventeenth century onwards, refer to Freedman: Encyclopedic Philosophical Writings, pp. 228–237, 248–256. Refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol.1, pp. 7– 45; vol. 2, pp. 454–488. The biographical information given in this paragraph is documented in Freedman: European Academic Philosophy.

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Joseph S. Freedman

At Steinfurt Timpler published all of his major works.5 Following his textbook on metaphysics (first published in the year 1604), he published textbooks on general physics (1605), inanimate physics (1605), animate physics (1607), ethics (1608), family life (1610), politics (1611), logic (1612), and rhetoric (1613). His final extant published writings were a textbook on optics and human physiognomy (1617) and a collection of philosophical exercises (1618).6 Timpler’s metaphysics textbook – which went through at least nine imprints through the year 1616 – was by far the most influential of his writings.7 His

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See Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 35–36; vol. 2, pp. 476, 738– 739. In referring to writings by Clemens Timpler, the following abbreviations – as utilized within Freedman: European Academic Philosophy (footnote 1) – are used in the footnotes: EP (Timpler’s collection of philosophical exercises): Clemens Timplerus: Exercitationum philosopharum sectiones X. Hanoviae: Typis Petri Antonii, 1618 [Trier StB: Ao 8° 55 (2)]; L (Timpler’s textbook on logic): Clemens Timplerus, Logicae systema methodicum. Hanoviae: Typis Guilielmi Antonii, 1611 [Köln UStB: P 5 / 56 ]; M (Timpler’s textbook on metaphysics): Clemens Timplerus: Metaphysicae systema methodicum [...] in principio accessit eiusdem Technologia, hoc est tractatus [...] de natura & differentia liberalium artium. Hanoviae: Apud Petrum Antonium, 1616 [Freiburg/Breisgau UB: B 2272 bi] – this textbook was first published in 1604; refer to footnote 7 below; PN 1 (Timpler’s textbook on general physics): Clemens Timplerus: Physicae seu philosophiae naturalis systema methodicum, in tres partes digestum [...] pars prima; complectens physicam generalem. Hanoviae: Apud Guilielmum Antonium, 1605 [Braunschweig StB: C 1488 (nr. 1)]. PP 3 (Timpler’s textbook on politics): Clemens Timplerus: Philosophiae practicae pars tertia et ultima complectens politicam integram [...] adjectae sunt in fine, tabulae totius philosophiae practicae ideam complectentes. Hanoviae: Apud Guilielmum Antonium, 1611 [Köln UStB: P 9 45 (nr. 3)]; SD-4 (a disputation – presided over by Timpler and held by Martinus Stoerel on three separate topics): Clemens Timplerus and Martinus Stoerel: Exegema philosophicum trium praecipuorum et gravissimorum theorematum. Heidelbergae: Apud Josuam Harnisch, 1594 [Wolfenbüttel HAB: O 237.4° Helmst.]; SD-15 (a disputation – presided over by Timpler and held by Joachimus Hertherus – on the principle errors committed by Lutherans and Roman Catholics with regard to the sacrament of the Eucharist): Clemens Timplerus and Joachimus Hertherus: Theses philosophicae: in quibus breviter praecipui transubstantiationis & consubstantiationis in S. Eucharistiae sacramento errores, contra sanae philosophiae principia commissi, reteguntur, et philosophice refutantur. [Steinfurti: Theophilus Caesar], 1601 [Zürich ZB: XIX 247, nr. 7]. In referring to the organizational sub-divisions used within Timpler’s EP, L, M, PN 1, and PP 3, the following abbreviations – as utilized within Freedman, European Academic Philosophy (footnote 1) – are used: C: Chapter (caput); L: Book (liber); Q: Question (quaestio; problema); S, Section (sectio); T: Theorem (theorema: praeceptum). Sciagr. tot. metaph.: This abbreviation is used to refer to a dichotomous chart outlining the contents of Timpler’s textbook on metaphysics. The contents of this chart are presented in Tables A1, A3, A4, and A5 of this article; also refer to footnote 5. These nine imprints appeared in the years 1604, 1604, 1606, 1607, 1607, 1608, 1612, 1612, and 1616. Timpler’s short treatise on the liberal arts (Technologia) appeared together with all imprints of his textbook on metaphysics beginning in the year 1606. Commentary by Rudolph Goclenius was appended to all imprints of his metaphysics textbook except the first one (printed in Steinfurt in the year 1604). A table (sciagraphia) outlining the contents of Timpler’s metaphysics textbook was included with the 1606 and Frankfurt 1607 imprints only. Refer to Freedman: European Academic Philosophy, vol. 2, pp. 745– 747, 748–749, 750–752, 754–755, 760–762, 764–765.

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textbooks on general physics, animate physics, and ethics were published three times each while his textbooks on animate physics and family were each published twice. All of his remaining textbooks and his collection of philosophical exercises were only published once each. The four modal concepts of necessity, contingency, possibility, and impossibility are examined within Timpler’s textbook on metaphysics.8 Section 8 of Timpler’s collection of philosophical exercises is devoted to discussion of necessity and contingency.9 Timpler’s textbook on logic discusses necessary and contingent formal enunciations and also presents brief treatment of the concept of modality itself.10 In discussing modal concepts and modality Timpler cites a variety of sources. Most frequently cited are Aristotle, Sacred Scripture, »scholastics« (scholastici), Franciscus Piccolomineus (1520–1604), Franciscus Suárez (1548– 1617), and Jacob Zabarella (1533–1589).11 Timpler’s discussions of modal concepts also include citations of other authorities, including Cicero, St. Augustine of Hippo, Thomas Aquinas, John Duns Scotus, Averroes, Chrysostomus Javellus, Julius Caesar Scaliger, Benedictus Pererius (c. 1535–1610), Petrus Ramus (1515–1572), and Bartholomew Keckermann (d. 1609).12 In the case of some of the questions (quaestiones) and problems (problemata) contained in Timpler’s writings pertaining to modal concepts, however, no sources are cited at all. With regard to Timpler’s citations of sources the following two points should be mentioned. First, Timpler may have relied on some authorities more heavily that his infrequent citations of them would suggest.13 And second, Timpler was usually quite eclectic in his use of such authorities. In many cases – for example, when arguing in his textbook on metaphysics that something is possi-

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Necessity and contingency constitute the subject-matter of Book 2, Chapter 6 of Timpler’s textbook on metaphysics, while possibility and impossibility form the subject-matter of Book 2, Chapter 7 of that same textbook; see M, L2C6–7 (pp. 121–142). See EP, S8 (pp. 429–504). Necessary and contingent formal enunciations are discussed in Book 3, Chapter 2 of Timpler’s textbook on logic; see L, L3C2 (pp. 437–480); Question 24 of that same chapter, which discusses modal enunciations, is quoted in full in footnote 65 below. Refer to the following passages in Timpler’s writings: M, L2C6Q1, 2, 3, 10, 11, 15; L2C7Q1–4, 7 (6), 10 (9); S8Q2, 3, 8, 10, 18, 19, 20, 21, 23; L, L3C2Q11, 24; in L, L3C2Q12 (p. 456) »Peripatetics« (Peripatetici) are cited together with a passage from Aristotle’s works. Refer to the following passages in Timpler’s writings: M, L2C6Q1, 12; L2C7Q1, 4; EP, S8Q2, 13, 17, 19; L, L2C6Q1, 12. Within his collection of philosophical exercises Timpler twice (EP, S8Q2, 4) cites »my adversary« (meus adversarius) when discussing the modal concept of necessity; here Timpler is apparently alluding to Jacob Martini (1570–1649). Concerning Jacob Martini and his relationship to Timpler refer to the pages listed in Freedman: European Academic Philosophy, index (dd). For example, Timpler cites the textbook on general physics published by Otto Casmann only one time within his own textbook on general physics; yet Timpler nonetheless notes that he has made substantial use of that textbook by Casmann in writing his own. Refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, p. 141; vol. 2, p. 573.

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ble which nonetheless never was nor will be – Timpler uses Aristotle in order to support his own view.14 Yet when arguing that absolute necessity does not conflict with free will, Timpler cites several passages from Aristotle to the contrary; yet Timpler concludes that Aristotle’s testimony is not sufficient in this case. 15 In his textbook on metaphysics, Timpler argues that Jacob Zabarella incorrectly defines necessary and contingent things; in doing so, Timpler notes that Zabarella misinterprets Aristotle.16 On the other hand, Timpler agrees with Zabarella’s distinction between that which is possible and that which is absolutely necessary.17 Timpler appears to have regarded himself primarily as a metaphysician, and he makes metaphysics central to his thought.18 Most of Timpler’s views on modality are elucidated within his textbook on metaphysics. The most basic ontological components of this latter textbook are diagrammed in Table A1.19 According to Timpler, the subject-matter of metaphysics is All that is Intelligible, which comprises everything that is intelligible to human beings.20 Each intelligible is either Something (aliquid) or Nothing (nihil).21 In Timpler’s textbook on logic it is noted that Nothing cannot be defined perfectly. 22 In his textbook on metaphysics, however, Timpler loosely associates the concept of Nothing with vice and with that which is immoral.23 Something, which comprises privation (i.e., evil), essence, and entity, is equivalent to »Being« (esse; est) in Timpler’s thought.24 Quiddity (quidditas) is

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M, L2C7Q4 (p. 139). EP, S8Q19 (p. 463–469); on pages 466 and 468 Timpler states the following: »6. Quicumque ex absoluta necessitate omnia facit, ei liberum arbitrium vere & proprie non tribuitur. [...] In sexto argumento propositio non est simpliciter vera, sed tantum secundum quid [...] Neque ad hoc probandum testimonium Aristotelis est sufficiens.« M, L2C6Q15 (p. 133–134); here Timpler is specifically referring to the discussion given by Zabarella in Book 1, Chapter 2 of De natura logicae; see Zabarella: Opera logica, cols. 3–4. M, L2C7Q2 (pp. 137–138); in this connection, Timpler refers to the distinction which is made in Zabarella: Opera logica, p. 146. Refer to the discussion given in M, L1C1Q7 (pp. 12–13), Q11 (pp. 15–16). Table A1 has been constructed with the aid of the following passages from Timpler’s writings: M, L1C2 T1–10 (p. 22), L1C3T1 (p. 27), L3C1Q8 (pp. 205–206), L5C6T1–2 (p. 570); L, L2C8Q4 (p. 376, lines 26–31), L2C8Q5 (p. 378, lines 2–8); also see M, Sciagr. tot. metaph. All that is Intelligible, Being, Non-Being, Nothing, and Something are capitalized in the text of this article in order to distinguish them from more common uses of these same terms. M, L1C1T1 (p. 1), L1C1Q5 (pp. 6–8), L1C2T3 (p. 22), Q1 (pp. 22–23). M, L1C2T5–6 (p. 22) as explained in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 2, p. 604 (n. 4). See L, L2C8Q3 (p. 372, lines 27–28). Please refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 347–348; vol. 2, p. 679. In M, Sciagr. tot. metaph. and in M, L1C3Q1 (p. 28) Timpler uses the terms est and esse as the equivalents of aliquid; also see M, L2C8Q14 (p. 157, lines 29–41 and p. 158, lines 1– 2) as cited within Freedman: European Academic Philosophy, vol. 2, p. 605 (footnote 11). However, in M, L2C2Q5 (p. 80) Timpler states that the term esse can be used to mean either entity (ens) or existence (existentia).

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that »whatness« belonging to each Something – i.e., to each »Being« – by means of which one can define and discern that given Something.25 Privations, essences, and entities all have quiddity; an essence is the quiddity of its own corresponding entity.26 The distinction between Something and Nothing – which together comprise All that is Intelligible (to human beings) – is the broadest and most basic distinction given within Timpler’s textbook on metaphysics. He asserts that there is no medium between Nothing and Something; anything conceived and thought by the human mind is either Nothing or Something.27 The categories of Nothing and Something are contradictorily opposed to one another.28 The principle which states this contradictory opposition – i.e, which states that it is absolutely impossible for any given intelligible to be both Being (i.e., Something) and Non-Being (i.e., Nothing) simultaneously – is the principle of contradiction.29 Tables A2, A3, A4, and A5 present the manners in which Timpler distinguishes between various sub-categories of entity.30 It is not completely clear exactly what he means by entity itself. If considered abstractly as having no predicates (see Table A2), then entity only comprises that which is absolutely required to constitute itself; in that case the entity apparently does not differ from its own »whatness« (i.e., from its own essence).31 On the other hand, when considered concretely (Table A2), then an entity actually exists and also must have essential properties.32 For Timpler, this existence and these essential properties apparently both originate directly from the essence of a given concretely conceived entity.33 Duration is the continuence of existence within an entity; a

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L, L2C8Q4 (p. 376, lines 25–30). L, L2C8Q4 (p. 376, lines 25–30), Q5 (p. 378, lines 2–4). M, L1C2Q2 (pp. 23–24). Timpler points this out in M, L1C2Q2 (pp. 23–24). »Alterum sumitur a communi omnium hominum, praesertim Philosophorum recte iudicantium, consensu, qui pro regula immota veritatis habent haec axiomata, quatenus secundum omnes leges verae contradictionis intelliguntur: Quodlibet est, aut non est. De quolibet vera est affirmatio aut negatio: Necesse est contradictionis partem unam esse veram, alteram falsam: Impossibile idem simul esse & non esse: Contradictoria non possunt simul esse vera. Hinc etiam Aristoteles lib. 4. Metaph. cap. 3 & 4. asserit primum ac communissimum principium complexum totius Metaphysicae, & omnium aliarum disciplinarum, esse illud axioma: Impossibile est idem simul esse & non esse, Seu, quod idem valet, Contradictoria non possunt simul esse vera.« M, L2C8Q14 (p. 157, lines 29–41 and p. 158, line 12). Refer to M, Sciagr. tot. metaph. as well as to the passages cited and quoted in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 2, pp. 606–607 (n. 19–21), 608 (n. 27, 35), 618 (n. 139). See M, L1C4Q1 (p. 44, lines 26–37) as cited and quoted in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 2, p. 606 (n. 19). Refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, p. 214; vol. 2, p. 606 (n. 20). Refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, p. 214; vol. 2, p. 607 (n. 21).

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future, present, or past entity correspondingly has future, present, or past existence and thereby also has duration in the future, in the present, or in the past.34 Existence and duration are classified by Timpler as unpaired attributes of entity (see Table A3). The modal concepts of necessity and contingency as well as possibility and impossibility are considered by Timpler as noninterdependent pairs of attributes. These four modal concepts are discussed within Book 2, Chapters 6 and 7 of his textbook on metaphysics. Timpler also presents seven general classifications of entity (Table A4). Here attention will only be given to the third (i.e., »non-complex« / complex entity) and fourth (i.e., absolute / respective entity) of these general classifications.35 Absolute entity is that entity which is not considered with respect to anything else, but instead only with respect to itself.36 Respective entity is that entity which is combined with and related to some other (respective) entity.37 Unlike absolute entity, it is not considered in abstraction, but instead it is regarded as a concretely existing entity. Timpler’s general concept of entity – as diagrammed in Table A2 – can be used to illustrate the absolute entity-respective entity dichotomy. If conceived abstractly as having no predicates – and as equivalent to essence – then a given entity is an absolute entity. If conceived concretely as having existence, duration, and its own essential properties, then a given entity is a respective entity. Similarly, goodness (bonitas) is an absolute entity; it is (when considered in isolation) an abstract quality which is independent of all else.38 Yet good (bonum) is a concrete entity that pertains to some (other) concretely existing entity; together, that given »good(ness)« and that given (other) entity constitute a »good entity« (ens bonum).39 Timpler’s distinction between absolute and respective entity is very important within his thought. Yet his distinction between »non-complex« entity (ens incomplexum) and complex entity (ens complexum) is more directly relevant to his discussion of modality. Timpler defines complex entity as that entity which is conceived only in conjunction with some other entity.40 Timpler notes that

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»1. Duratio est permansio entis in actu existendi.« M, L1C5T1 (p. 50); M, L1C5P1 (pp. 51–52). In M, L1C5T2 (p. 50) Timpler divides duration into the two sub-categories of eternity and time; duration, eternity, and time constitute the subject-matter of Book 1, Chapter 5 of Timpler’s textbook on metaphysics. Timpler’s brief discussion – in M, L1C3Q6–11 (pp. 30–36) – of rational entity (ens rationis) does not include any mention of modal concepts. Concerning the connection between rational entity and impossibility in the logic of Bartholomew Keckermann refer to Roncaglia: [L]ogica di Bartholomaeus Keckermann, pp. 80–104. Refer to the definition and discussion of absolute entity given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 217–219; vol. 2, p. 609 (n. 38). Concerning respective entity, see the definition and discussion thereof given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 219–220; vol. 2, p. 611 (n. 64). Refer to M, L2C9Q1 (pp. 163–164) and EP, S10Q2 (pp. 571–572). See the passages cited in footnote 37. »Ens vero complexum est, quod per se uno simplicique conceptu comprehendi nequit, seu, quod coniunctim cum alio existit et concipitur, cuiusmodi sunt omnia entia concreta quae in suo conceptu subiectum et adiunctum simul includunt, e.g., ferrum ignitum, liberum ar-

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arguments, propositions, and syllogisms are complex entities; all concrete entities which consist of both a subject and a predicate (for example, red hot iron, free will, Aristotle the philosopher, that which has quantity) are complex entities.41 »Non-complex« entity is defined as that entity which is comprehended by means of a simple (i.e., »non-complex«) concept and which exists independently of any other entity.42 Non-complex entity apparently differs from absolute entity insofar as the former can have only one predicate – i.e., existence – while the latter cannot have any predicates at all.43 Each non-complex entity is either a substance or accident; Timpler’s sub-categories of non-complex entity are given in Table A5. The sub-categories of necessity, contingency, contingent, impossible, and possible given in Timpler’s writings are presented in Table B.44 Necessity is defined by Timpler as a quality through which a given entity is not able to be something other than it in fact is; contingency is a quality through which a given is able to be or become something other than it is.45 Timpler defines possibility as that by means of which something is possible, i.e., is able to have actual being without contrariness or without implied contradiction; impossibility is that by means of which something is impossible, i.e., by means of which a conceived something is not able to have actual being due to resulting contrariness and implied contradiction.46 A necessary, contingent, possible, or impossible entity has necessity, contingency, possibility, or impossibility predicated to it; necessity (contingency, possibility, impossibility) is an absolute entity while necessary (contingent,

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bitrium, Aristoteles philosophus, Quantum, quale, mobile, relatum: adeoque quaelibet sententia integra, sive sit affirmativa sive negativa.« M, L1C3Q14 (p. 37, lines 26–33); also see M, L1C3T11 (p. 27). Refer to the passage quoted in footnote 39. »Est igitur Ens incomplexum nihil aliud, quam quod per se uno simplicique conceptu comprehendi potest, seu quod separatim sine alio existit & concipitur, cuiusmodi sunt Deus, homo, animal, planta, adeoque quaelibet substantia, itemque quantitas, qualitas, motus, relatio.« M, L1C3Q14 (p. 37, lines 21–25); also see M, L1C3T10 (p. 27). See the discussion given and passages cited in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 232–233; vol. 2, p. 618 (n. 136–137). See the following passages within Timpler’s writings: M, L2C6T3–7 (p. 121), L2C6Q2 (p. 123, lines 3–5), L2C6Q3 (pp. 123–124), L2C6Q7 (p. 129), L2C7T4–7 (p. 135), L2C7Q2 (pp. 136–138); EP, S8Q4 (pp. 439, 441), Q10 (pp. 447–448). »Necessitas est actus necessarii, quatenus est necessarium, seu, ut clarius loquar, est qualitas, per quam ens aliter se habere non potest.« M, L2C6T3 (p. 121); »Contingentia est actus contingentis, quatenus est contingens, seu ut clarius loquar, est qualitas, per quam ens aliter se habere potest.« M, L2C6T10 (p. 122). »Possibilitas est actus possibilis, quatenus est possibilis, seu est id, per quod aliquid est possibile, hoc est tale, ut possit actu esse sine repugnantia & contradictionis implicatione. Impossibilitas est actus impossibilis, quatenus est impossibilis, seu est id, per quod aliquod est impossibile, hoc est tale, ut non possit actu esse sine repugnantia & contradictionis implicatione.« M, L2C7T3–4 (pp. 135–136); also see M, L2C7Q1 (pp. 136–137).

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possible, impossible) is a respective entity. 47 Timpler uses testimony from both Zabarella and Suárez in order to distinguish that which is possible and impossible from that which is necessary and contingent.48 For Timpler, what is necessary is that which always is, while at the other extreme what is impossible is that which never is; between these extremes is the possible (i.e., that which is able to be) and the contingent (i.e., that which is able not to be).49 Two important distinctions made in connection with Timpler’s discussion of modality are his distinctions between absolute necessity and hypothetical necessity on the one hand and between unconditional impossibility and conditional impossibility on the other. He defines absolute necessity as that kind of necessity by means of which an entity is by nature unconditionally unchangeable in past, present, or future time.50 Hypothetical necessity (which Timpler also refers to as conditional necessity) is defined by Timpler as a quality through which a given entity is only not able to be something other than it in fact is if some given condition(s) is assumed; he also notes that hypothetical necessary always has some amount of contingency attached to itself.51 Unconditional (or absolute) impossibility is that impossibility by means of which something is in no way or respect possible; conditional (or limited) impossibility is that which is in itself possible but what is impossible under some condition or in some respect.52 As defined by Timpler, impossibility involves implied contradiction; he notes that this applies to both conditional and uncon-

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Refer to the passages quoted in the previous two footnotes as well as to the earlier discussion of absolute and respective entity. See the discussion given in M, L2C7Q10[9] (p. 142); here Timpler quotes passages from Zabarella: Opera, p. 145, as well as from Suárez: Disputationes metaphysicae, Disp. 30, Sect. 16, Cont. 22. M, L2C7Q10[9] (p. 142). »Absoluta necessitas est, per quam ens simpliciter secundum naturam suam est immutabile, hoc est, secundum omnes temporis differentias aliter se habere non potest.« M, L2C6T5 (p. 121); this passage has been translated in part in a non-literal and abbreviated manner. Timpler is apparently using the word »nature« (natura) here to refer to essence; concerning Timpler’s uses of the term nature, refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 239–244; vol. 2, pp. 621–625 (and especially vol. 1, p. 243; vol. 2, p. 625). »4. [Necessitas] Estque vel absoluta, vel hypothetica seu conditionata. [...] 7. Hypothetica necessitas est, per quam ens ex suppositione certae conditionis non potest aliter sese habere. 8. Eaque non omnem prorsus contingentiam excludit, sed semper aliquam includit.« M, L2C6T4, 7, 8 (pp. 121–122). »5. [Impossibilitas] Estque vel absoluta vel limitata. Quicquid enim est impossibile aut est simpliciter tale, aut secundum quid. 6. Absoluta impossibilitas est per quam aliquid simpliciter est impossibile, hoc est tale, ut nullo modo & respectu possit esse possibile. 7. Limitata impossibilitas est, per quam aliquid, quod posse possibile est, tamen impossibile dicitur secundum quid.« M, L2C7T5–7 (p. 135). »Simpliciter impossibile est, quod nullo modo & respectu est possibile, hoc est, neque ab ente increato, neque creato fieri potest propter summam & absolutam repugnantiam. [...] Secundum quid impossibile est, quod per se quidem respectu.« M, L2C7Q2 (p. 136, lines 19–22, 26–28); Timpler gives a number of examples of unconditional and conditional impossibility in M, L2C7Q2 (p. 136, lines 22–26, 28–40 and p. 137, lines 1–5).

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ditional impossibililty.53 Timpler states that something implies contradiction if it challenges the necessary and inseparable connection between the essence of a given entity and essential properties of that same given entity.54 As is evident from Table E, there are many different kinds of actions, conditions, and statements which are said by Timpler to imply contradiction.55 The dichotomy between the »complex« and the »non-complex« is used in connection with all four of Timpler’s modal concepts (see B2, B3, B5, and B7 in Table B), and this distinction is very important within the context of his discussion of necessity and contingency. With respect to contingency, he notes that non-complex entities are – with the exception of God – at least somewhat contingent; this includes both those non-complex entities which are dependent on human free will and those which are not.56 In the case of complex entities, however, some are necessary and some are contingent; necessary complex entities are always true and never false while contingent complex entities are sometimes true and sometimes false.57 Timpler notes that both God and what are referred to as »fundamental complex principles« (primae principia complexa) are absolutely necessary, since no

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Refer to M, L7C2Q2 (p. 137, lines 15–21) as well as to Timpler’s definition of impossibility as quoted in footnote 46 above. See M, L2C7Q1 (pp. 135–136). Those statements listed within Table E (categories 1 through 11) are found within the following passages of Timpler’s writings: (category 1): PN 1, C2Q7 (p. 31, lines 24–26); M, L4C2Q14 (p. 392); (category 2): M, L1C5Q9 (p. 60, lines 2–4); EP, S4Q18 (p. 175); (category 3): M, L1C4Q5 (p. 47); M, L4C2Q20 (p. 398); (category 4): M, L2C5Q6 (p. 117); M, L4C6Q7 (p. 469, lines 8–13); M, L4C6Q9 (pp. 470–472); SD-4, Theorema secundum, XXI/2 (fol. B3r); SD-15, VI (fol. A3r–v); M, L2C5Q6 (pp. 117–118); SD-4, Theorema secundum, XXI/4 (fol. B3v); (category 5): M, L3C2Q13 (p. 224); M, L4C2Q20 (p. 398); M, L3C2Q67, 68, 70 (p. 267); L, L1C7Q3 (p. 171, lines 28–31); M, L3C2Q67 (p. 267), 68 (p. 267), 72 (pp. 269–270); (category 6): M, L2C6Q4 (p. 127, lines 21–26); M, L3C3Q8 (p. 284); SD-15, XIIX (fol. B2r–v); M, L3C3Q9 (p. 285, lines 32–38); SD-4, Theorema tertium, X/2 (fol. C3r); M, L3C3Q11 (p. 288); (category 7): M, L3C4Q5 (p. 305); SD-15: XXI/3 (fol. B4v); (category 8): M, L4C1Q14 (p. 359, lines 11–13); M, L5C4Q4 (p. 537, lines 4–7); (category 9): M, L4C6Q2 (p. 464); M, L4C6Q13 (p. 475); M, L4C6Q24 (p. 485, lines 17–20); (category 10): PP3, L5C2Q7 (p. 534, lines 22–25); (category 11), L, L3C3Q10 (p. 494, lines 4–7). »Nam supra docuimus omnes res incomplexae, praeter Deum, sunt contingentes sive a libera hominis voluntate pendeant, sive non. Et ex rebus complexis aliae sunt necessariae, aliae contingentes, aut quod vel semper verae sunt & nunquam falsae, vel modo verae, modo falsae.« M, L2C6Q15 (p. 134, lines 11–16). Things (res) as used by Timpler here is apparently roughly synonomous with entity (ens); concerning Timpler’s concept of res (which he identifies with ens reale in M, L1C3Q3 [p. 29]) see M, L1C3T3–7 (p. 27), L1C3Q6–7 (pp. 30–33). Timpler’s discussions of necessity and contingency – within his textbook on metaphysics as well as within his collection of philosophical exercises – provide the context for the presentation of his views concerning human free will; these views are discussed briefly in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 273–275; vol. 2, pp. 640–641. See footnote 55.

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causes can be given in order to explain their necessity.58 When distinguishing between absolute necessity and hypothetical necessity, he states that complex entities – or what he also refers to as »the enunciative connections between things« (connexionis rerum enunciativae) – in fact can have absolute necessity.59 God is the only non-complex entity that has absolute necessity.60 On the other hand, complex entities cannot have hypothetical necessity while noncomplex entities – including God as well as creatures – can.61 While Timpler’s textbook on metaphysics discusses all four modal concepts, mention of modality itself is reserved for his textbook on logic. Timpler’s classification of formal enunciations into sub-categories (including modal propositions) is given in Table C.62 With respect to this classification the following two comments can be made here. First, Timpler adapts the view of »Peripatetics« (Peripatetici) that there are three »classes« (gradus) of unconditionally (i.e., absolutely) necessary formal enunciations; the third class – which concurrently requires both the first and second classes – is the most necessary while the first class – which does not concurrently require either the second or the third class – is the least necessary of these three classes.63 Second, within this framework Timpler classifies modal proposition as a formal enunciation that is »determined« (determinatum); he then defines modal proposition – i.e., determined enunciation – as a proposition in which the connection between the antecedent and the consequent parts of that given proposition is determined in one of the following four ways: necessary, impossible, possible, and contingent.64 Within the corpus of his extant writings Timpler devotes only a single page of his textbook on logic to the topic of modal enunciation; the contents of this brief discussion of modality is summarized under five headings (α through ε) in Table D.65 It would appear from his opening and concluding remarks (α and ε in

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»Et hoc probant exemplo partim primi entis, quod absolute est necessarium, neque tamen causam habet suae necessitatis, cum a seipso existat, & a nullo alio dependat: partim exemplo primorum principiorum complexorum, quae absolute quidem necessaria sunt, neque tamen causam habent suae necessitatis, per quam a priori demonstrari possint.« M, L2C6Q6 (p. 128, lines 3–10). Refer to M, L2C6Q4 (pp. 126–127 and in particular to p. 127, lines 16–17). »3. An inter entia incomplexa solum primum ens in se sit absolute necessarium? Statuitur thesis affirmativa.« M, L2C6Q3 (pp. 124–126 [p. 124, line 1]). Refer to the discussion given in M, L2C6Q5 (p. 127). Concerning the question of God’s hypothetical necessity refer to the passage quoted in footnote 67 below. This is the classification of (formal) enunciations given in L, L3C2T1–43 (pp. 437–442) and L, L3C2Q12 (pp. 456–457). Timpler ranks these three classes as having »great«, »greater«, and »greatest« necessity in L, L3C2Q12 (p. 457, lines 8–18). Concerning Timpler’s use of the term »Peripatetics« refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 174– 176; vol. 2, pp. 583–585. »43. Determinatum enuntiatum est, in quo consequens de antecedente, determinate, hoc est, cum expresso dispositionis modo enuntiatur, cuiusmodi est, quod unum habet ex his quatuor solennioribus modis, necesse, impossibile, possibile, contingens, etc. Unde etiam ab aliis dicitur propositio modalis.« L, L3C2T43 (p. 442). This brief discussion is contained in L, L3C2Q24 (pp. 479–480) and is given here in full: »Quaestio 24. Quae observanda sint ad melius intelligendum & diiudicandum Enuntiatum

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Table D) that modality was – at least in Timpler’s assessment – much less frequently discussed by his own contemporaries than in earlier periods.66 It is clear from this brief discussion of modality, however, that while Timpler regards the discussion of modal enuntiations to belong to the subject-matter of logic, that discussion also pertains to the subject-matter of metaphysics (γ of Table D). While the four modes of necessary, impossible, possible, and contingent cannot be regarded as predicates when considered within the framework of the discipline of logic, these same modes – when considered within the context of metaphysics – can serve as predicates within enunciations. In this latter context, the four modes can refer to non-complex entities (which exist independently from enunciations) as well as to complex entities. Although this discussion of modality within Timpler’s textbook on logic is very brief, modal concepts are very important within the context of his metaphysics and – due to the importance which Timpler gives to the discipline of metaphysics – within his thought as a whole.67 According to Timpler, impossibility involves implied contradiction; from Table A1 it is clear that the principle of contradiction is the most basic ontological principle within his metaphysics textbook and – insofar as all of his writings discuss that which is intelligible and contain statements which are judged as being contradictory or non-contradictory – is also the most basic principle within his writings as a whole. Furthermore, it is within the context of Timpler’s discussion of necessity that the ontological priority of complex entities is articulated. Complex entities can

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modale? Doctrina de Propositionib. modalibus a multis Logicis praesertim Scholasticis, valde intricate & spinose proponitur, ut etiam proverbio locum dederit: De modalibus non gustabit asinus. Vt igitur rectius intelligi ac diiudicare possit, observanda sunt sequentia theoremata. 1. Modum alium esse formalem, alium materialem. 2. modum formalem pertinere ad formam enuntiati, hoc est, dispositionem consequentis cum antecedente, seu praedicati cum subiecto: eiusque qualitatem determinare & modificare. 3. modum materialem pertinere ad materiam enuntiati, nempe, antecedens & consequens, seu subiectum & praedicatum quod determinat. 4. Solum modum formalem hoc loco attendi, non materialem eiusque quatuor esse insigniores species, nempe necesse, impossibile, possibile, & contingens. 5. Modum formalem vulgo in enuntiato statui praedicatum; dictum vero subiectum, Sed hanc sententiam diverso respectu esse falsam & veram: falsam, quatenus modus proprie usurpatur, pro eo, quod determinat dispositionem praedicati, sit ipsum praedicatum. Verum autem, quatenus modus improprie sumitur pro attributo Metaphysico, quod de ente vel incomplexo vel complexo enuntiari potest. 6. Quantitatem & qualitatem enuntiati modalis, aestimari partim ex dispositione subiecti & praedicati partim ex modo. 7. Modalium enuntiatorum maiorem esse usum apud Graecos, quam apud Latinos.« Timpler also apparently wrote a logic textbook which circulated in Heidelberg in the early 1590s, though probably only in manuscript form; see footnote 75. Timpler appears to have used the term »scholastics« (scholastici) to refer to numerous authorities within a time span beginning about the year 1100 and ending in the early sixteenth century. Refer to the discussion given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 135–138; vol.2, pp. 569–572. Refer to the passages in Timpler’s textbook on metaphysics cited in footnote 18.

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be absolutely necessary or contingent but never hypothetically necessary. Among non-complex entities, God is absolutely necessary but God also is »in some way« capable of hypothetical necessity as well.68 Fundamental complex principles – including the most fundamental and most general complex principle, i.e., the principle of contradiction – are absolutely necessary complex entities; they determine the parameters within which God and creatures can act.69 The points which Timpler makes pertaining to absolute necessity and the principle of contradiction are unclear in some respects. It was noted there that are three different classes of unconditionally (i.e., absolutely) necessary formal enunciations and that the third class is the most necessary of the three while the first class is the least necessary. He also divides the second class into four subclasses.70 If one can assume that one is speaking about different degrees of absolute necessity here, then can absolute necessity be applied equally to all of these classes and sub-classes? Is one of these classes »more« or »less« absolutely necessary than the other two classes? Analogously, Timpler regards both conditional impossibility and unconditional impossibility to imply contradiction. Does conditional impossibility imply contradiction to the same extent that unconditional impossibility does? Timpler refers to the principle of contradiction, that is, to that first and most general complex principle according to which it is impossible for the same thing to be and not to be simultaneously; can or does the »impossible« expressed within that principle include the conditionally impossible? It is difficult to assess how Timpler might have answered these questions. It would appear, however, that Timpler wishes to interpret both absolute necessity and implied contradiction rather broadly. Timpler notes that in order for complex entities – which include (formal) enunciations – to be absolutely necessary, it is the connection between the subject and the predicate within those enunciations that must be absolutely necessary.71 His three classes of necessary formal enunciations refer to three different kinds of absolutely necessary connections between the subject and the predicate. Timpler also notes that neither the subject nor the predicate themselves need to have absolute necessity within abso-

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»Nam ipse etiam Deus tametsi quatenus Deus, sit ens absolute necessarium, & quatenus causa prima, liberrimum agens; tamen capax est aliquo modo necessitatis hypotheticae, quatenus omnia necessario facit secundum formulam decreti liberrime a se ab aeterno facti.« M, L2C6Q5 (p. 127, lines 27–32). Timpler also notes that God is both necessary as well as free in the following passage: »Unum enim et idem potest esse liberum et necessarium. Sic bona opera sunt libera effecta, quatenus proficiscuntur a causa libera; et tamen eadem sunt necessaria ex hypothesi, quatenus a Deo sunt praecepta, et quatenus sine his nec licet salutem aeternam consequi, nec damnationem aeternam evitare. Sic omnia quae Deus extra se in tempore facit, libere facit, et tamen eadem necessario facit ex hypothesi decreti, a se ab aeterno facti, cum contra suum ipsius decretum nihil possit facere.« M, L2C6Q9 (p. 130). Refer to Timpler’s mentions of these terms in M, L2C6Q6 (p. 128, lines 7–11), L2C7Q1 (pp. 135–136), L2C8Q14 (pp. 157–158), L3C1Q8 (pp. 205–206). These four sub-classes are explained in L, L3C2Q12 (pp. 456–457). M, L2C6Q4 (p. 126, lines 25–35 and p. 127, lines 15–21).

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lutely necessary enunciations and that those same enunciations can discuss God, creatures, and essential properties of God or of creatures. As presented in Table E, Timpler invokes implied contradiction with respect to a wide range of statements on diverse subjects. While it probably could be argued that some of these statements are impossible in a more unconditional or more conditional way than others, they all nonetheless imply contradiction. Insofar as Timpler appears to interpret absolute necessity and implied contradiction broadly, it could be argued that he is thereby emphasizing the importance of these concepts. Much of the difficulty involved in examining Timpler’s views concerning modality arises from the fact that those views seem to fall between his textbook on logic on the one hand and his textbook on metaphysics on the other. Modal enunciations are briefly discussed within the former textbook, while the four modal concepts – i.e., necessity, contingency, possibility, and impossibility – are mainly discussed in the latter textbook. The discussion of necessity and contingency given in Section 8 of Timpler’s collection of philosophical exercises focuses almost entirely on metaphysical subject-matter. And complex entity – a crucial concept within the context of Timpler’s views on modality – is presented in bits and pieces within Timpler’s textbooks on logic and metaphysics as well as within his collection of philosophical exercises.72 Non-complex entities – on the other hand, constitute the subject matter of Books 4 and 5 of his textbook on metaphysics. Modality is not the only interdisciplinary subject-matter discussed by Timpler. To give some additional examples, the examination of Timpler’s views on epistemology, free will, nature, and signs involves the piecing together of relevant information contained within a number of his textbooks and other writings.73 The relative unity and comprehensiveness of the late medieval arts curriculum appears to have been replaced in the early sixteenth century by the study of individual languages and the concentration on selected individual philosophical and philological disciplines.74 From the early seventeenth century onwards, the attempts by academic institutions to cover an increasingly broad and encyclopedic range of academic subject-matters lead to the reappearance of some disciplines neglected during the sixteenth century (e.g. metaphysics), the

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Refer to the following passages: M, LIC3Q14 (pp. 37–38), M, L1C3T11 (p. 47), L1C3Q14 (pp. 37–38), L2C3Q7 (pp. 90–91), L2C6Q1 (p. 122); L2C6Q5 (p. 127); L2C6Q15 (pp. 133–134), L2C7Q2 (p. 138), L2C8Q5 (pp. 147–148), L3C1Q8 (pp. 205–206), L3C1Q2 (p. 349, lines 2–6); L5C1Q13 (pp. 495–496), L5C6Q23 (pp. 580–581); L, L2C8Q3 (p. 372, line 32), L4C1Q2 (p. 534, lines 13–15); EP, S2Q2 (p. 31, lines 8–12); S3Q24 (p. 116, lines 12–16); S3Q33 (p. 130, lines 18–25), S8Q3 (p. 437, lines 4–15); S8Q10 (pp. 447–448). Refer to the discussion of Timpler’s views on epistemology, free will, nature, and signs given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 239–244, 264–267, 273– 275, 412–426; vol. 2, pp. 621–625, 635–637, 640–641, 714–720. Refer to the discussion given and sources cited in the following two articles: Joseph S. Freedman: Philosophy Instruction within the Institutional Framework of Central European Schools and Universities during the Reformation Era, in: History of Universities 5 (1985), pp. 117–166, and Freedman: Encyclopedic Philosophical Writings, pp. 214–219, 238–244.

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creation of new disciplines, and the emergence of writings on the subject-matter of disciplinarity itself.75 When studying the views of sixteenth- and seventeenthcentury academic authors concerning modality, epistemology, free will, nature, signs, and other difficult topics, one must be prepared to examine writings which at that time fell within a number of different academic disciplines. Bartholomew Keckermann (d. 1609), whose textbooks on logic were heavily used in Protestant schools and universities during the first four decades of the seventeenth century, studied logic under Clemens Timpler at the University of Heidelberg in the early 1590s.76 Unlike his pupil Keckermann, however, Timpler apparently chose to concentrate more on metaphysics.77 Yet through the examination of Timpler’s views on modality and the four modal concepts, one is led to the conclusion that it is complex entities (which basically are logical concepts) and not non-complex, metaphysical concepts which constitute the basis of Timpler’s metaphysics. The subject-matter of Timpler’s textbook on metaphysics encompasses All that is Intelligible, not God, essence, and/or entity; one learns about All that is Intelligible by using the principle of contradiction and other instruments from the discipline of logic. ln conclusion, how does Timpler’s discussion of modality and modal concepts compare with discussion thereof given by his German contemporaries? Due to the fact that our knowledge of late sixteenth- and early seventeenthcentury German logic and metaphysics is quite limited to date, any answers given to this question should be couched in cautious terms. During this period, some attention was given to modal enunciations and modality within German writings on the subject-matter of logic.78 And the modal concepts of necessity,

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See the following two articles: Freedman: Encyclopedic Philosophical Writings, pp. 214, 228–237, 239, 248–256, and Freedman: Classifications, p. 47. The study of disciplines was sometimes itself considered as a discipline during seventeenth century. The study of disciplines was referred to by Clemens Timpler as technologia, by Johann Heinrich Alsted as archelogia, and by Heinrich Nicolai as gnostologia. See Timplerus: Metaphysicae systema methodicum (1616), Technologia; Alstedius: Philosophia digne restitute, pp. 4–250; Nicolai: Pansophia liberalis, p. 2. This following from the following passage by Keckermann appearing in the first of his many textbooks on logic, the Praecognitorum logicorum tractatus III: »Vivit in illustri schola Steinfurtensi vir sane doctissimus M. Clemens Timplerus, amicus meus magna observantia colendus, qui & ipse Organon Aristotelis in elegantem epitomen redegit, & compendium Logicae in Academia Heidelbergensi privatim praelegit, quod nobis ad pleniorem & exactiorem artis methodum constituendam & stimulum addidit, & adminiculum suppeditavit.« Keckermannus: Praecognitorum logicorum (1606), p. 186 (lines 18–26). This work by Keckermann was first published in the year 1599; see Keckermannus: Praecognitorum logicorum (1599). Brief discussion of Keckermann’s academic career – together with citations of relevant literature containing bibliographical information concerning Keckermann’s many writings – is given in Freedman: European Academic Philosophy, vol. 1, pp. 32–33, 122–124; vol. 2, pp. 472–474, 561–562; also see Freedman: Keckermann. Keckermann’s only publication on metaphysics was a short (112 page) textbook published in the year of his death; see Bartholomaeus Keckermannus: Scientiae metaphysicae. See the works by Granius and Homeierus (1606), by Huberinus and Krebs (1605), and by Huberinus and Richius (1605) that are cited in the bibliography. In addition, refer to writ-

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contingency, possibility, and impossibility were discussed within German writings on metaphysics.79 As has been noted above, Timpler’s discussion of modality in his own textbook on logic is very scant, so comparisons with other contemporary writings discussing modal logic are difficult to draw. But within the realm of metaphysics Timpler not only discusses modal concepts, but indirectly bestows them with central importance. He appears to have differed from almost all of his contemporaries by making All that is Intelligible – and not entity – the most fundamental metaphysical concept. And the principle of contradiction is the basic standard used to judge all that is intelligible. This principle not only is absolutely necessary but also utilizes the norm of unconditional impossibility. As Max Wundt has noted, Timpler differed from almost all of – and was attacked by many of – his own (German) contemporaries for placing All that is Intelligible at the center of his metaphysics.80 Those contemporaries generally gave center stage to the concept of entity. If they discussed one or more of the modal concepts of possibility, impossibility, necessity, and contingency, then they normally did so – as did Timpler himself – with the context of their discussions of entity. Yet due to the fact that All that is Intelligible is basic to Timpler’s textbook on metaphysics, the concepts of absolute necessity and unconditional impossibility are not only discussed therein, but also are indispensible components thereof. For this reason, it could be argued that modal concepts have a much greater and more central importance in Timpler’s metaphysics than they do in the metaphysics of his contemporaries. And it could also be maintained that since Timpler was virtually alone in making All that is Intelligible central to metaphysics, the modal concepts of necessity and impossibility thereby played a uniquely important role within his thought.

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ings authored by German contempories of Clemens Timpler – Alsted (1623), Dietericus (1613), Hesselbein (1606), Horst (1608), Keckermann (1614), Cornelius Martini (1621 and 1623), Jacob Martini (1608 and 1613), Neldenius (1607), Nihusius (1621), Regius (1609), and Scheiblerus (1618) – as cited and discussed in Roncaglia: Palaestra rationis. Refer to the writings by Goclenius (1598/1976), Renson and Calmes (1605), Keckermann (1609), Jacobus Martini (1611), Alstedius and Litomilus (1612), and Nihusius and Kinderling (1616) as cited in the bibliography. The disputation by Renson and Calmes discusses physics and logic in addition to metaphysics. Kinderling went on to become a professor at the University of Helmstedt, where hr lectured on and published a book on subject-matter of modal enuntiations; see Kinderlingius (1644) and Lectionum (1644). See Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik, pp. 175–180 and Freedman: European Academic Philosophy, pp. 244–245, 266. Also see the following works: Alstedius and Litomilus (1612), p. 7; Goclenius (1598/1976), first pagination, p. 8 (no. 9), second pagination, p. 1; Keckermann: Scientiae metaphysicae, pp. 9, 17; Philippus and Schneisius: De ente et principiis metaphysicis, fol. A2r (Thesis 1); Rixingerus and Simon: Metaphysicae […] de subiecto metaphysico, fol. A2v (Thesis 10).

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309 APPENDIX:

A: Basic Components / Metaphysics of Clemens Timpler B. Sub-Categories of Necessity, Contingency, Impossible, and Possible in the Metaphysics of Clemens Timpler C. Sub-Categories of Enunciations Presented within Timpler’s Textbook on Logic D. A Synopsis of the Brief Discussion of Modal Enunciatins given within Timpler’s Textbook on Logic E. Statements Regarded within Timpler’s Writings as Implying Contradiction, the Contents of which neither God nor Creature can Accomplish

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Bibliography (Primary and Secondary Sources)

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Joseph S. Freedman

Martini, Jacobus: Partitiones et quaestiones metaphysicae: ut ex praecipuae quaestiones ex Fr. Suaretz et Cl. Timplero partim resolvuntur, partim examinatur et refutantur. Editio tertia. Witebergae: Sumptibus Zachariae Schureri typis haeredum Johannes Richteri, 1611 [Halle ULB: AB 66996]. Nicolai, Heinrich: Pansophia liberalis. Dantisci: Ex typographeo Georgii Rhetii, 1646 [I have used the copy at the Wiesbaden Province Library having the call number T 7024]. Nihusius, Bartholdus, praes., and Kinderling, Andreas, resp.: Disputatio metaphysica de necessitate et contingentia [...]. IIX. Kal. Septemb. examinandam publice proponit. Helmaestadii: Typis heredum Iacobi Lucii, 1616 [Wolfenbüttel HAB: 0 232.4o Helmst. (13)]. Piccolomineus, Franciscus: Universa philosophia de moribus [...]. Accessit his Comes politicus [...] cum lemmatibus et correctione Rodolphi Goclenii. Francofurti: Ex officina Paltheniana, sumtibus heredum Petri Fischeri, 1601 [Wolfenbüttel HAB: 28.10 Eth.]. Renson, Matthias and Calmes, Wolfgangus: Theoremata ex universa philosophia, quae post exactum philosophiae curriculum in Collegio Archiespiscopali Trevierensi Societatis Jesu, pro suprema philosophiae indipiscendo gradu discutienda proponunt [...] in aula philosophica Gymnasii Societatis Iesu. Augustae Romandorum: Typis Viduae Matthaie Birthon, 1605 [Trier StB: Ao 537 (15)]. Roncaglia, Gino: Buone e cattive fantasie: la riflessione sugli enti ineistenti nella logica di Bartholomaeus Keckermann, in: Metaxú 13 (Maggio 1992), pp. 80–104. – Palaestra rationis. Discussioni su natura della copula e modalità nella filosofia ›scholastic‹ tedesca del XVII secolo. Firenze 1996 (= Bibliotheca di Stroia della Scienza 39). – Modal Logic in Germany at the Beginning of the Seventeenth Century: Christoph Scheibler’s Opus Logicum, in: Friedman, J. S., Russell, L., and Nielsen, L. O. (eds.): The Medieval Heritage in Early Modern Metaphysics and Modal Theory, 1400–1700. Dordrecht – Boston – London 2003 (= The New Synthese Historical Library. Texts and Studies in the History of Philosophy 53), pp. 253–308 Suárez, Franciscus: Metaphysicarum disputationum tomus prior [posterior]. 2 vols. Moguntiae: Excudebat Balthasaris Lippius sumtibus Arnoldi Mylii, 1599 [Mainz StB: III e 20 474]. Timplerus, Clemens : Exercitationum philosopharum sectiones X. Hanoviae: Typis Petri Antonii, 1618 [Trier StB: Ao 80 55 (2) ]. – Logicae systema methodicum. Hanoviae: Typis Guilielmi Antonii, 1611 [copy held by the Cologne University and Municipal Library within the call number P 5 / 56]. – Metaphysicae systema methodicum. Steinfurti: Excudebat Theoph. Caesar, 1604 [Marburg UB: XIV b 100]. – Metaphysicae systema methodicum [...] in principio accessit eiusem Technologia, hoc est tractatus [...] de natura & differentia liberalium artium [...] Rodolphi Goclenii [...] notae & scholia. Hanoviae: Apud Petrum Antonium, 1616 [Freiburg/Breisgau UB: B 2272 bi]. – Philosophiae practicae pars tertia et ultima complectens politicam integram [...] adjectae sunt in fine, tabulae totius philosophiae practicae ideam complectentes. Hanoviae: Apud Guilielmum Antonium, 1611 [copy held by the Cologne University and Municipal Library within the call number P 9 45 (nr. 3)]. – Physicae seu philosophiae naturalis systema methodicum, in tres partes digestum [...] pars prima; complectens physicam generalem. Hanoviae: Apud Guilielmum Antonium, 1605 [copy held by the Braunschweig Municipal Library with the call number C 1488 (nr. 1)]. – and Hertherus, Joachimus: Theses philosophicae: in quibus breviter praecipui transubstantionis & consubstantionis in S. Eucharistiae sacromento errores, contra sanae philosophiae principia commissi, reteguntur, et philosophicae refutantur. [Steinfurti]: [Theophilus Caesar], 1601 [Zürich ZB: XIX 247, nr. 7]. – and Stoerel, Martinus. Exegema philosophicum trium praecipuorum et gravissimorum theorematum. Heidelbergae: Apud Josuam Harnisch, 1594 [Wolfenbüttel HAB: r O 237.40 Helmst.].

Clemens Timpler

317

Wundt, Max: Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939 (= Heidelberger Abhandlungen zur Geschichte der Philosophie 29). Zabarella, Jacobus: De doctrinae ordine apologia [...]. Tabulae logicae [...] quinto editae. [Basileae]: [Typis Conradi Waldkirchii expensis Lazari Zetzneri & Johan. Mareschalli], 1594. Reprint with an introduction by Wilhelm Risse, Hildesheim 1966. – Opera logica [...] praefatio Joannis Ludovici Hawenreuteri [...]. Editio tertia. Coloniae: Sumptibus Lazari Zetzneri, 1597.

VERLAUFSFORMEN DER ETHIK

Horst Dreitzel

Von Melanchthon zu Pufendorf Versuch über Typen und Entwicklung der philosophischen Ethik im protestantischen Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung

1. Späthumanistische Ethik in der konfessionellen Gesellschaft 1.1. Der Titel dieses Beitrages verweist auf die Ausgangsfrage meiner Beschäftigung mit dem Thema »Philosophische Ethik« des 16. und 17. Jahrhunderts, auf das Problem, wie die 1673 in Samuel Pufendorfs De officio hominis et civis, einem Lehrbuch für den Unterricht an Universitäten und Gymnasien, das zum nationalen und internationalen Bestseller der frühen Aufklärung wurde, formulierte »naturrechtliche« Ethik in die Entwicklung des philosophischen Diskurses im protestantischen Deutschland einzuordnen und in seinem Zusammenhang zu verstehen ist. Daß es aus Gründen meines Kenntnisstandes nur möglich ist, mich dieser Frage in thesenhaft-orientierender Form zu nähern, soll der Untertitel andeuten. Die unmittelbare Zugehörigkeit zu unserem Thema »deutscher Späthumanismus« ergibt sich aus der für die Metaphysik entwickelten, aber auch für die politische Philosophie und Ethik gültigen These, daß die in Deutschland bis zum Beginn der Aufklärung grundlegenden Positionen formuliert wurden in der Zeit, die grob mit der relativen Befriedung durch den Augsburger Religionsfrieden (zu der auch die formlose Anerkennung der reformierten Konfession auf dem Regensburger Reichstag 1566 gehörte) und dem zugehörigen wirtschaftlichen Aufschwung in dieser Periode einerseits und andererseits durch die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges, vor allem seiner letzten zehn Jahre, abgegrenzt werden kann, eine Gliederung, die sich auch für andere Bereiche der »intellectual history«, z.B. für die Reichspublizistik, für die orthodoxe Dogmatik und die Frömmigkeitsgeschichte bewährt hat. Jedoch nicht durch den Dreißigjährigen Krieg und seinen Ausgang gerieten die bis dahin geschaffenen Paradigmen in ihre Krise, sondern erst nach dem Abschluß der ihm folgenden Restaurationsphase, also zur Zeit der Veröffentlichung des großen Naturrechtswerkes Pufendorfs (1672), der Pia Desideria Philipp Jakob Speners (1675), der »eklektischen« Naturphilosophie Johann Christoph Sturms (1684) und der philosophischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Schriften von Leibniz seit seiner Rückkehr nach Deutschland 1676 (Meditationes de cognitione, veritate et ideis, 1684; Discours de metaphysique, 1686). Versteht man schließlich den »Humanismus« mit P. O. Kristeller als Bewegung, die, von einer großen Faszination durch die heidnische Antike getragen, deren unmittelbare Quellen, vor allem die klassische und hellenistische Dichtung, Philosophie, Rhetorik, Historiographie und Sachliteratur mit Hilfe philologischhistorischer Methoden über die bis zum 13. Jahrhundert bekannten Bestände zu

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erschließen und zu rezipieren strebte, so ist es meines Erachtens sinnvoll, den Späthumanismus als jene Phase dieser Bewegung zu bezeichnen, in der die geistige Situation bestimmt war durch die Kirchen der katholischen und protestantischen Reform in ihrem sehr konfliktreichen Auf- und Ausbauprozeß auf den fundamentalen, aber eben in ihrer Realisierung keineswegs eindeutigen theologischen und organisatorischen Entscheidungen, die in den ersten zwei Dritteln des Jahrhunderts gefallen waren. Die Confessio Augustana (1530) mußte durch weitere »Bekenntnisse«, »Kirchenordnungen« und »Symbole« ergänzt werden, von denen das lutherische Konkordienbuch (1582) und für die reformierten Kirchen die Canones der Dordrechter Synode (1618) die bekanntesten sind, beide auch in ihren Kirchen jeweils nicht allgemein anerkannt. Zur Einsicht in diese »flüssige« Situation der Kirchenbildung und der Vielfalt ihrer Ergebnisse gehört auch, daß die Vorstellung der vollständigen Abhängigkeit der Philosophie und vor allem auch der philosophischen Ethik von der jeweiligen Konfession in mehrerlei Hinsicht der Korrektur bedarf. Obwohl es zweifellos Verdichtungen bestimmter philosophischer Schulen in den jeweiligen Konfessionen gab, die eine Erklärung fordern, bestand doch keine unbedingte Abhängigkeit. So war z.B. der Aristotelismus im Genfer Kalvinismus durch Theodor Beza früher und strenger zur offiziellen Philosophie geworden als im lutherischen Deutschland, und nur dort entwickelten sich konkurrierende Formen des Platonismus. Zentren des lutherischen Aristotelismus fanden sich andererseits gerade auch dort, wo das Konkordienbuch keine Geltung erlangte, z.B. in den welfischen Territorien und in Nürnberg mit seiner Universität Altdorf. Von der neueren Forschung besonders herausgearbeitet wurde außerdem die Gemengelage der Einflüsse der Theologie Zwinglis, Melanchthons und Calvins in den »reformierten« Kirchen, in denen die Föderaltheologie einen stärkeren Einfluß besaß als Calvins Konzept der Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes in seiner absoluten Herrschaft über Erwählte und Verworfene. Auch die Vorstellung, der Ramismus sei eine typisch calvinistische Philosophie, steht im Widerspruch zu seiner strengen Ablehnung in Genf. Übrigens gelten analoge Feststellungen auch für den Einflußbereich der katholischen Kirche, dessen philosophische Homogenität in dieser Zeit weit überschätzt wird. Für den Späthumanismus sind die französischen Patres Charron und Gassendi dafür bekannte Beispiele. Im katholischen Deutschland erhielt allerdings die hochmittelalterliche Integration von Platonismus, Aristotelismus und auch von Anregungen Ciceros in der »Philosphia christiana« des Thomas von Aquin, durch Elemente des philologisch-rhetorischen Humanismus modernisiert, mit ihrer »Renaissance« durch den Jesuitenorden eine dominierende, seit 1600 nahezu monopolistische Vorherrschaft.

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1.2. Nur zur Erinnerung sei hier angemerkt, daß wichtige Bestände der griechisch-römischen Überlieferung überhaupt erst durch diesen späten Humanismus wenn nicht entdeckt, so doch angeeignet und entfaltet wurden, z.B. die Skepsis durch die Rezeption der »Academica« Ciceros und der Schriften des Sextus Empiricus (1562, 1589), die Geschichtsschreibung und Machtanalyse des Tacitus, die klassische Stoa in ihren Rekonstruktionen durch Justus Lipsius und Thomas Gataker, die Charaktere des Theophrast durch die Übersetzungen und Kommentare von D. Heinsius und J. Casaubonus, die Lehren von Epikur und Demokrit durch P. Gassendi. Für das protestantische Deutschland ist vor allem an den politischen Aristotelismus zu erinnern: Sieht man von den in grundsätzlichen Fragen (eingeborene Ideen, Tugenden als Forderungen der »natürlichen« Gesetze, Gott als Gesetzgeber) gegen Aristoteles argumentierenden Kommentare von Melanchthon ab, so entstanden erst seit ca. 1580 philosophische Kommentarwerke, Übersetzungen, Paraphrasen und systematische Zusammenfassungen der aristotelischen Ethik und Politik. Dieser Späthumanismus stand einerseits unter dem Einfluß einer durch Verselbständigung und zunehmende Genauigkeit der philologisch-historischen Gelehrsamkeit gewachsenen Wahrnehmung der Eigenarten, inneren Differenzen, Fremdheiten und Grenzen der heidnisch-antiken Philosophie und Literatur. Ein ähnlich folgenreicher Sieg der historisch-kritischen Philologie wie Lorenzo Vallas Nachweis der Fälschung der »Donatio Constantini« und des Autorenschwindels des »Dionysios Areopagita« war der Beweis des französischen Calvinisten Isaac Casaubon 1614, daß es sich bei dem unter dem Autor Hermes Trismegistos laufendem Werk, einer Hauptquelle des Platonismus florentiner Herkunft, um eine späthellenistische Kompilation mit gefälschten Herkunftsangaben handelte. Der Späthumanismus war andererseits Erbe der vorangegangenen Phase des Humanismus, z.B. des christlichen Epikuräismus von Lorenzo Valla, des vor allem in Florenz entwickelten Platonismus, des gleichzeitigen, besonders von Padua ausstrahlenden Aristotelismus, der Schriften Machiavellis, der Logik von Rudolf Agricola und Petrus Ramus, der seit der Wiederentdeckung des Diogenes Laërtius geschärften Wahrnehmung der Unterschiede und Entwicklungen der antiken Philosophenschulen. Den Späthumanismus kennzeichnet außerdem seine enge Bindung an den explosiven Aufbau der Universitäten und Schulen, der zur Konsolidierung und zur inneren Reform der Kirchen gehörte, d.h. seine Akademisierung und Scholastifizierung. Dadurch wurde jedoch der Humanismus eigentlich erst in der Breite wirksam: Der Späthumanismus entfaltete sich vor allem durch Bildungs- und Ausbildungsleistungen für Theologen und Lehrer sowie für Juristen, dazu für Fürsten, Adel und Patriziat nicht nur in der Vorbereitung auf ihre politischen und juristischen Ämter als »Politici«, »Magistrate« und »Räte«, sondern auch für ihr »privates« Leben. Die für den italienischen Humanismus typischen sozialen Positionen und Berufe, die ihren Mittelpunkt in der Rhetorik im Dienste von städtischem Patriziat sowie weltlichen und geistlichen Fürsten, nicht zuletzt von Päpsten und Kardinälen besaßen, das auf Stadtund Hofärzte zielende Medizinstudium, die mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien für die entsprechenden Hofämter traten demgegenüber zurück

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ohne zu verschwinden, ebenso auch die verschiedenen Ordensschulen und Ordensphilosophien durch die Dominanz des Jesuiten-Ordens im katholischen Deutschland seit der Jahrhundertwende. Die Funktion des Humanismus in diesem Zeitalter der Konfessionalisierung kann in der gebotenen Kürze am besten durch eine Formulierung Wilhelm Diltheys vergegenwärtigt werden: Das Christentum hebt eben nur den transzendenten Bezug des Menschen heraus, als verschwände außer Gott und der Seele alles Wirkliche. Die aus diesem transzendenten Bezug folgenden Begriffe, besonders der von der Brüderlichkeit aller Menschen, von ihrer Gleichheit vor Gott, ihrer Würde durch ihre Gottähnlichkeit können als religiöses Erlebnis nicht überboten werden, ermangeln aber näherer Zweckbestimmungen, die eine Gestaltung des Lebens von ihnen aus ermöglichen. So bedarf also die Auffassung von der Stellung des Menschen in den Quellen des Christentums, um die soziale Gestaltung leisten zu können, eine Ergänzung von anderen Gesichtspunkten aus.1

Dieses Problem stellte sich für den Protestantismus mit besonderer Schärfe, weil er auf der religiösen Erfahrung einer gegenüber der traditionellen Frömmigkeit gesteigerten Transzendenz Gottes und damit einer vereinfachenden Konzentration auf zentrale Heilsaussagen der biblischen Offenbarung beruhte, andererseits jedoch auch fundamentalistische Interpretationen dieser Erfahrung durch eschatologische oder sozialpolitische Unmittelbarkeit, durch sektiererische oder spiritualistische Konzeptionen der Kirche ablehnte. Gemeinsam blieb jedoch allen Religionsparteien die Vorstellung, daß die Krise des Christentums vor allem auch durch glaubwürdige Verwirklichung des christlichen Lebens insgesamt überwunden werden müsse. Als Eigenart des Späthumanismus zeigt sich deshalb auch, daß nicht die »belles lettres« und Künste, sondern die Philosophie und die »Wissenschaften« im Mittelpunkt seines Interesses standen: es ging um grundsätzliche und schwierige Fragen. Die immer noch weit verbreitete Vorstellung, die Reformation, d.h. die Kirchen-, Reichs- und Sozialkrise der Jahre 1517 bis 1555 habe dem Humanismus in Deutschland die Entwicklungskraft genommen,2 beruht auf der Überschät_______ 1

2

Wilhelm Dilthey: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation (1913). Göttingen 61960 (Gesammelte Schriften, Bd. 2), S. 68; ebd., S. 244 verwendete Dilthey den Begriff »Insuffizienz der kirchlichen Ideen«. Zum Beispiel James Overfield: Germany, in: Roy Porter und Mikulas Teich (Hg.): The Renaissance in National Context. Cambridge 1992, S. 92: »By the mid-sixteenth century, Germany had hundreds, even thousands of neolatin poets, classical scholars and teachers of rhetoric, but unlike their predecessors of the early sixteenth century, they no longer sought out each others company in sodalities, preached culture reform to their countrymen, worked in common for educational reform or banded together as they had in the Reuchlin affair, to defend one of their number who being maligned and threatened. Although convinced of the value of the classics, they no longer shared the utopian dreams of earlier humanists that a revival of ›good letters‹ could solve all of Germany’s problems«; ähnlich Ulrich Muhlack: Die Wortführer der »humanistischen« Bewegung von Petraca bis Erasmus machten »die ›Wiedererweckung des Altertums‹ zum Zentrum eines neuen Konzepts weltlicher, nicht theologischer Bildung. Die Selbständigkeit der ›Bewegung‹ ergibt sich aus zwei konträren oder auch komplimentären Gründen: einmal daraus, daß diese Humanisten innerhalb der in die Krise geratenen respublica christiana für die Propagierung ihres Konzepts einen gewissen Freiraum abzustecken vermögen; zum anderen daraus, daß sie lange

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zung der Machtposition und intellektuellen Autonomie der neuen Kirchen einerseits, andererseits aber auf der Dominanz einer Konzeption des italienischen Humanismus, die in dem Streben nach einer auf Rhetorik und Ethik konzentrierten Aneignung der in der antiken Literatur vergegenwärtigten »Humanität« das Wesen dieser Bewegung sieht. Noch 1996 formulierte A. Buck diese These in klassischer Klarheit: Als die alle Bereiche des Geisteslebens der Renaissance durchdringenden Bildungsbewegung bejaht der Humanismus im Gegensatz zum Mittelalter unter Anknüpfung an die Antike den Eigenwert einer innerweltlichen Bildung; an die Stelle der reductio artium ad theologiam tritt die reductio artium ad humanitatem. Aus der Antike übernimmt man die Idee der Erziehung des Menschen zu seiner wahren Form, der humanitas, ein Ziel, das vornehmlich durch die Ausbildung der Fähigkeit erreicht werden soll, die den Menschen über das Tier erhebt und ihn als Mensch kennzeichnet: die Sprache. Sie stiftet die zwischenmenschlichen Beziehungen, führt die Menschen aus der Vereinzelung in die Gemeinschaft, ermöglicht ihnen, die Gerechtigkeit mittels der Gesetze zu verwirklichen und lehrt sie das gesittete Verhalten im Umgang mit den Mitmenschen im Zeichen gegenseitiger Achtung und des gegenseitigen.3

Auch wenn die privatistische Tendenz dieser Konzeption, die schon durch die verwendeten Begriffe ihre Herkunft aus der Theorie des deutschen Schulhumanismus um 1800 zeigt, durch Aufnahme der von Hans Baron eingeführten Konzeption des »Republikanismus« wesentlich erweitert wurde, bleibt sie ein _______

3

große Schwieirigkeiten haben, zu den bestehenden Bildungsinstitutionen Zutritt zu finden. Das literarische und soziale Erscheinungsbild, das die (Bewegung) bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts bietet, bildet sich in diesem Verhältnis der Koexistenz und Abstoßung heraus. Mit beidem ist es seit der Reformation und Gegenreformation vorbei. Sie führen einerseits eine neue absolute Suprematie theologischen Wissens herbei, mit der ein Freiraum für weltliches, nicht theologisches Wissen völlig unvereinbar ist. Sie halten es andererseits für geboten, das humanistische Bildungskonzept in ihr theologisch bestimmtes Bildungssystems einzubeziehen [...]. Die ›Wiedererweckung des Altertums‹, im ›klassischen‹ Humanismus Inhalt einer Weltanschauung, ist endgültig zur humanistischen Auslegekunst in neuen weltanschaulichen Zusammenhängen geworden, die Antike zu einem Arsenal von Instrumenten, die sich für die verschiedensten Zwecke einsetzen lassen« (U. Muhlack: Tacitismus – ein späthumanstisches Phänomen?, in: Notker Hammerstein und Gerrit Walther (Hg.): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche. Göttingen 2000, S. 177). Für die relative Selbständigkeit des Späthumanismus in Deutschland plädierte Hammerstein nachdrücklich in der Einleitung (ebd., S. 9–18) zu diesem Sammelband. Eine grundsätzlich andere Interpretation gab z.B. Herbert Jaumann: »Es ist nämlich nicht so, daß man einen gewissermaßen glücklichen Früh- und Hochhumanismus des Quattrocento vom zerrissenen 16. Jahrhundert trennen kann, so als ob Humanismus und Reformationszeitalter, Gegenreformation, ›Zweite Reformation‹ und überhaupt Konfessionalismus kontinuierlich einander abgelöst hätten. Nein, die humanistische Bewegung existierte immer schon unter Krisenbedingungen. Sie antwortete auf die Krise der Respublica christiana [...], deren Aufspaltungen ja nicht erst mit Luther und der Regierung Karls V. begonnen haben, und sie vertiefte die Krise auch selbst noch durch ihre eigene vehemente Kritik an überkommenen Werten und Institutionen« (H. Jaumann: Gibt es eine katholische Respublica literaria?, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 2 (1998), S. 361– 379). August Buck: Der italienische Humanismus, in: Notker Hammerstein (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15.–17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München 1996, S. 5.

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Hemmnis für das Verständnis der humanistischen Bewegung. Sie übersieht die vor allem von der englischen und amerikanischen Forschung herausgearbeitete Bedeutung der humanistischen Renaissance der antiken Philosophie, vor allem Platons und Aristoteles’, auch z.B. ihr Interesse an der Entwicklung der neuen Dialektik, die nicht allein als Teil oder Fortbildung der Rhetorik verstanden werden kann, sondern als umfassende Lehre von der rationalen Argumentation.4 Auch beruht sie gerade in der Interpretation ihres Hauptzeugen Cicero auf einem Mißverständnis: Cicero fordert die philosophische und wissenschaftliche Bildung des Rhetors, sie sei die Voraussetzung des Gelingens der Rede, und auf die Entfaltung dieser philosophischen Grundlagen war die Mehrheit seiner Schriften gerichtet. In dieser Weise wurde Cicero auch von den deutschen Späthumanisten, vor allem von Melanchthon, rezipiert: Von tiefgreifender Bedeutung für die Entwicklung des Humanismus war die Rezeption der ciceronianischen Auffassung eines doctus orator und ihre Erhebung zum Bildungsideal überhaupt. [...] Für die Humanisten, für Luther und Melanchthon ist ausgehend von Cicero sapientia zu erreichen durch das Studium der Philosophie, d.h. in der Renaissance vor allem der in ihrem System engstens mit der Rhetorik verbundenen Dialektik als Weg zu umfassenden, klaren, kohärenten Aussagen, der Ethik als Wissenschaft, die gut und böse unterscheiden lehrt, aber auch der Naturphilosophie.5

Gerade der in der ersten Phase des protestantischen Humanismus dominierende Einfluß Ciceros wies den Weg zu einer Philosophie und Wissenschaften umfassenden Allgemeinbildung, sie forderte eine philosophisch-wissenschaftliche Bildung, zu der die Grundlagen erst geschaffen werden mußten. Die artesFakultät wurde jetzt zur philosophischen Fakultät. Außerdem aber war auch die Umwandlung der Wissenschaften der drei höheren Fakultäten in der Weise gefordert, daß sie den Ansprüchen des philologisch-kritischen Traditionsverständnisses des Humanismus und zugleich der Philosophie genügten. Cicero war vor allem das Bindeglied zwischen der humanistischen Bildungstradition und der Jurisprudenz, der einflußreichsten »Wissenschaft« neben der Theologie im Römischen Reich Deutscher Nation.

_______ 4

5

Zusammengefaßt in Brian P. Copenhaver und Charles B. Schmitt: Renaissance Philosophy. Oxford 1992, und Charles B. Schmitt und Quentin Skinner (Hg.): History of Renaissance Philosophy. Cambridge 1988. Wolfgang Kirsch: Der deutsche Protestantismus und Cicero (Luther, Melanchthon, Sturm), in: Ciceroniana 6 (1988), S. 131– 49; Zitat S. 143f. Gegenüber dem älteren Bild von Cicero als Vorbild des rhetorischen Humanismus, repräsentiert vor allem von Walter Rüegg: Cicero und der Humanismus. Formale Untersuchungen über Petraca und Erasmus. Zürich 1946, vgl. besonders Charles B. Schmitt: Ciceros scepticus. Study of the influence of the Academica in the Renaissance. Den Haag 1972 (Archives Internationales d’Historie des Idees 52); für Cicero selbst z.B. Jürgen Graff: Ciceros Selbstauffassung. Heidelberg 1963, mit ausführlichen Analysen seines Verhältnisses zur Philosophie und ihrer Bedeutung für den Rhetor.

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1.3. Gegen die Deutung des italienischen Humanismus als heidnischprofanisierende, überwiegend säkulare Bewegung hatte schon Michael Seidlmayer (1958) die spezifische Frömmigkeit dieser Laienbewegung hervorgehoben, den immer betonten unlösbaren Zusammenhang zwischen Ethik und Religion in seiner Anthropologie.6 Vor allem durch die Forschungen von Lewis W. Spitz (ca. 1959–1990)7 zum deutschen Humanismus in der Zeit der Reformationskrise und von Charles Trinkaus über Humanity and Divinity in Italien Humanist Thought (1970)8 ist auch für die Mehrheit der italienischen Humanisten und der von ihnen unmittelbar angeregten deutschen davon auszugehen, daß sie innerhalb der christlich-theistischen Religiosität blieben, obwohl sie sich gleichzeitig gegenüber den öffentlichen Frömmigkeitsformen oft kritisch und distanziert verhielten: aber gerade darin zeigte sich ihre Sensibilität und Offenheit für die Krise der Religion. Aus ihnen entwickelte sich ihre Stellung zu den verschiedenen Lösungen, die von der Ausbildung unabhängiger Positionen einerseits und der Parteinahme für eine der neu aus unmittelbarerer religiöser Erfahrung entstehenden Glaubensformen andererseits reichte, von der Suche nach einer produktiven Verbindung mit den neuen Konfessionen bis zum resignativen Rückzug in die Schönheit und Faszination der gelehrten Beschäftigung mit der geliebten dichterisch, rhetorisch und historiographisch vergegenwärtigten und idealisierten Antike. Schon Delio Cantimoris große Darstellung der Italienischen Ketzer der Spätrenaissance (deutsche Fassung 1949)9 hatte die Vorstellung, der »christliche Humanismus« sei eine spezifische Angelegenheit des Humanismus jenseits der Alpen gewesen, überwunden: Sie beginnt mit der Traditionskritik von L. Valla, der nicht von der Grundlage der Eloquenz ausging, wie man irrtümlich und herkömmlicherweise zu sagen pflegt, sondern von der Grundlage der Jurisprudenz und der Theologie: hier lagen die Grundwerte des Lebens, für die Beziehung von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Gott.

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7

8

9

Michael Seidlmayr: Religiös-ethische Probleme des italienischen Humanismus (1958), in: ders.: Wege und Wandlungen des Humanismus. Studien zu seinen politischen, ethischen und religiösen Problemen. Göttingen 1965, S. 273–294. Vgl. die Bibliographie in Manfred P. Fleischer (Hg.): The Harvest of Humanismen in Central Europe. Essays in Honor of Lewis W. Spitz. St. Louis, S. 9–16, vor allem: The Religious Renaissance of the German Humanists. Cambridge, Mass. 1963; Humanism and the Reformation, in: Robert M. Kingdon (Hg.): Transition and Revolution: Problems and Issues of European Renaissance and Reformation History. Minneapolis, Min. 1974, S. 193– 188; The Course of German Humanism, in: Itinerarum Italicum. Festschrift in Honor of Paul Oskar Kristeller. Leiden 1965, S. 361–426; Humanism and the Prostestant Reformation, in: Albert Rabil (Hg.): Renaissance Humanism. Philadelphia 1988, Bd. 3, S. 380–411. Charles Trinkaus: In Our Image and Likeness: Humanity and Divinity in Italien Humanist Thought. 2 Bde. London 1970. Delio Cantimori: Italienische Haeretiker der Spätrenaissance. Basel 1949. – Eine scharfe Kritik an der »Paganisierung der Renaissance durch die Kunstgeschichte« »protestantischer« und »jüdischer« Gelehrter aus der vereinfachenden Perspektive des integralen Katholizismus neuerdings bei Jörg Traeger: Renaissance und Religion. Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels. München 1997, S. 11–49. Vgl. auch Heiko A. Obermann: Werden und Wertung der Reformation. Tübingen 2 1977, S. 56–58.

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Lewis W. Spitz zitierte die Maxime des Florentiner Kanzlers und Erzhumanisten Coluccio Salutati (1331–1406): »Connexa sunt humanitatis studia, connexa sunt et studia divinitatis, ut unius rei sine alia vera completaque scientia non possit haberi«.10 Die konkreten Bedingungen für den Späthumanismus, dem Humanismus in der sogenannten Epoche der »Konfessionalisierung«, waren im Hinblick auf die Religiosität neu, aber die Kontinuität der grundsätzlichen Problemlage, nämlich dem Streben nach einer Laienreligiosität ohne Entwertung des diesseitigen Lebens mit seinen selbständigen Forderungen und Normen blieb erhalten.

1.4. Gegenüber der These von der Einheit der humanistischen Bewegung ist an die Feststellung des leider schon 1987 verstorbenen Historikers Arno Seifert zu erinnern in seiner Darstellung der Entwicklung der Universitäten und Gymnasien Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe,11 die erst 1996 veröffentlicht wurde, aber immer noch die weitaus kompetenteste und übersichtlichste Darstellung von Entwicklung und Einfluß des Humanismus in Deutschland enthält: Der Humanismus, mit dem es die deutschen Universitäten am Ausgang des Mittelalters zu tun bekamen, war keine einheitliche Größe. Innerhalb der allgemeinen Rückwendung zu den Bildungsquellen der Antike lassen sich wenigstens drei Varianten mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheiden: 1. der von den professionellen Humanisten (Poëten) präsentierte Grammatikalismus oder Rhetorismus mit der ›ars humanitatis‹ als alternatives Bildungsprogramm; 2. gegenüber dieser Spielart zeitlich leicht versetzt ein philosophischinteressierter und ambitionierter Humanismus, der sich mit bloßer Spracheleganzen nicht länger zufrieden gab, andererseits aber nach Alternativen zum Aristotelismus der Schulen suchte; 3. schließlich der späthumanistische Aristotelismus, dem es allein um die Reinigung der peripatetischen Philosophie von ihren nicht aristotelischen Zusätzen zu tun war. Es war lange üblich, ist aber nicht zulässig, diese dritte Variante als eine unterentwickelte Vorform der ersten (des ›eigentlichen‹ Humanismus) zu behandeln.12

In der weiteren Darstellung zeigte Seifert, daß der »philosophische« Humanismus nicht nur den Platonismus einschloß, sondern vor allem auch die an der Philosophie Ciceros orientierte, insbesondere von Melanchthon ausgearbeitete Variante, und er stellte fest, daß der »philosophische Humanismus« weit größere Zustimmung fand als der »poetisch-rhetorische«, obwohl beide zumeist verbunden waren. Für die Entwicklung im protestantischen Deutschland war allerdings charakteristisch, daß der philosophische Humanismus sich auf die Weiterführung der von Italien ausgehenden Renaissance des Aristotelismus und _______ 10

11

12

Lewis W. Spitz: Humanism in the Reformation, in: Anthony Molher und John A. Tedeschi (Hg.): Renaissance Studies in Honor of Hans Baron. Florenz 1971, S. 641–662, Zitat S. 662. Zur Situation seit der reformatorischen Krise: »Could mankind sustain the intense evangelical faith of the reformers over a long period of time without compromising with the demands of secular cultur or natural religion?« (S. 657). Arno Seifert: Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien, in: Hammerstein (Hg.): Handbuch (s. Anm. 3), S. 197–345. Ebd., S. 288.

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des Platonismus sowie auf Cicero beschränkte, während in den Niederlanden auch die Stoa (J. Lipsius), in Frankreich auch die Skepsis (P. Charron, F. Sanchez) und der Epikuräismus zu umfassenden philosophischen Systemen restauriert wurden, die damit auch als »moderne« Philosophien empfunden wurden. Als weitere Differenzierung behandelte Seifert die Rezeption des Humanismus in den »höheren« Fakultäten, in der Medizin, der Jurisprudenz und auch in der Theologie. Gerade für den Späthumanismus wurde darüber hinaus die im Trend der »Entdeckung der Welt« unter Verwendung antiker Modelle und Anregungen, d.h. vor allem auch ihrer Gestaltung als »ars« bzw. »scientia«, wachsende Autonomie und Ausdifferenzierung der Wissensbereiche zu einem wichtigen Kennzeichen. Die humanistisch-philosophische Entwicklung des Sachwissens in Mathematik und Astronomie, in Landwirtschaft und Bauwesen, in Militärwesen und Geschichtsschreibung, in Botanik und Geographie, in Anatomie und Therapie, um nur einige Bereiche zur Veranschaulichung aufzuführen,13 warfen für die Situation des Späthumanismus vor allem drei Probleme auf: Auch sie durchliefen, oft chronologisch gegeneinander verschoben, den idealtypischen Stufengang der Rezeption von der philologischen Entdeckung, Sicherung und Verständlichmachung ihrer jeweiligen »Autoritäten«, u.a. durch Übersetzungen, zur inhaltlichen Rezeption, von der autoritätsorientierten Aneignung ihrer Ideen und Informationen zu ihrer Zubereitung und Anwendung für die zeitgenössischen Probleme bis hin zur Verselbständigung des Erkennens in dem so gewonnenen Bereich gegenüber den »Antiqui«. Einerseits wurden in ihnen verständlicherweise diese Stufen der Rezeption oft besonders schnell durchlaufen, so daß sich dort das Bewußtsein der Eigenständigkeit und der Modernität auch besonders rasch ausbreitete. Andererseits verhielten sich diese Einzeldisziplinen oft eklektisch in der Aneignung von Einzelelementen aus der jeweiligen Gesamtheit der traditionellen philosophischen Schulen, ohne Rücksicht auf deren Gesamtsystem. Ein bekanntes Beispiel ist die Verwendung platonischpythagoräischer Konzeptionen der mathematisch geordneten Weltharmonie in der Astronomie von Kopernikus und Kepler ohne Rücksicht darauf, daß sie ursprünglich mit zentralen metaphysischen und ethischen Ideen verknüpft waren. Die Philosophien der Einzeldisziplinen mußten deshalb die gerade vom Humanismus wieder rekonstruierten philosophischen Schulen partiell widerlegen, sie tendierten aber ihrerseits auch oft dazu, aus ihrer Perspektive eine konkurrierende Gesamtphilosophie zu entwerfen. Daraus ergaben sich für die späthumanistische Philosophie charakteristische Probleme der Ordnung der verschiedenen Wissenschaften, des Zusammenhanges der jeweiligen Erkenntnisse untereinander, d.h. des »Systems«, des Umganges mit den mehrfachen Wahrheiten, bei dem das seit dem 13. Jahrhundert virulente Problem der »doppelten Wahrheit« im Hinblick auf Theologie und Philosophie nur eine Variante war, die Versuche, die philosophische Einheit und die Universalität einer der _______ 13

Über die Vielfalt der Konzeptionen und ihre Konflikte mit den philosophischen Systemen ausführlich z.B. Brian Vickers: On the goal of the occult sciences in the Renaissance, in: Georg Kaufmann (Hg.): Die Renaissance im Blick der Nationen Europas. Wiesbaden 1991 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 9), S. 51–93.

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überlieferten Philosophien, z.B. des Platon, des Aristoteles oder der Stoa zu konstruieren oder eine im Hintergrund wirkende »perennis philosophia«, schließlich das Problem des eklektischen Umganges nicht nur in dem traditionellen, von Cicero überlieferten Verständnis der Auswahl wahrer Erkenntnisse aus den verschiedenen philosophischen Schulen, sondern auch in der neuen Form der Autonomie der einzelnen Bereiche der Philosophie, die übrigens schon Thomas von Aquin beschäftigte.14 Überflüssig zu sagen, daß all diese vereinfachenden Bemerkungen vor allem auf Deutschland bezogen sind, obwohl sie auf allgemeine Entwicklungstrends verweisen. Wie Rhythmus und soziale Bedingungen der Kirchenreform, so waren auch Rhythmus und Sozialgeschichte des Humanismus in den verschiedenen europäischen Ländern bekanntlich sehr unterschiedlich. Die Frühe Neuzeit war eine Epoche der Individualisierung der Staaten und Gesellschaften Europas weit über ihre mittelalterlichen Unterschiede hinaus. In Deutschland zeigte sich u.a. durch die unterschiedliche Entwicklung in den katholischen und protestantischen Territorien, letztere wiederum differenziert in lutherische und reformierte. Die Besonderheit der Entwicklung in diesen protestantischen Territorien, auf die sich dieser Beitrag konzentriert, lag sicher in der vorherrschenden Entwicklung zu einem »scholastischen«, d.h. an Lehre und Unterricht gebundenen Späthumanismus, bedingt durch die von der territorialen Vielfalt verursachte Vielfalt der Universitäten, Hohen Schulen, Gymnasien und Ritterakademien als öffentliche Bildungs- und Ausbildungsinstitutionen mit allen ihren spezifischen Strukturen und den sich daraus ergebenden Hemmnissen, aber auch Chancen der Entwicklung, zu der auch gewissermaßen strukturell außerscholastische Opposition gehörte und die Überwindung schließlich des ganzen Paradigmas. Definiert man den Humanismus ganz allgemein als überwiegende Orientierung an der als vorbildlich und wahrheitsweisend verstandenen Überlieferung der antiken Texte, so mußte ihre intensive Rezeption im Hinblick auf ihre Pluralität mit Notwendigkeit zur Relativierung und Überwindung führen. Nicht schon Reformation und Konfessionalisierung bewirkten dies, denn sie waren angewiesen auf den Humanismus als wichtigsten und anerkannten Zugang zur diesseitigen Wirklichkeit und zur Orientierung in ihr, obwohl dieses Monopol von Beginn an angefochten wurde durch eine halb- oder nichthumanistische »Philosophia christiana«. Auch im deutschen Späthumanismus gab es allerdings schon Entwicklungsschritte zu Entwürfen, die über ihn hinausführten: Bekannt ist vor allem die mathematische Astronomie Keplers, aber zu nennen ist vor allem auch die politische Theorie des Johannes Althusius, weil sie als systematischer Entwurf einer Wirklichkeitswissenschaft der Gesellschaft zuerst den Menschen als »animal sociale«, nicht als »animal politicum« zugrunde legte. Insgesamt aber blieb die Entwicklung bis zum letzten Drittel des 17. Jahrhun_______ 14

Peter Schulthess: Harmonie im Wissenschaftsgebäude: Thomas von Aquin, in: Peter Schulthess und Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Zürich 1996, S. 168–193, hier S. 177.

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derts in einem reich entfalteten und vor allem in die einzelnen Disziplinen sich auflösenden Späthumanismus befangen. Anstöße zu seiner Überwindung kamen von außen, vor allem vom Cartesianismus, von Bacon, von Hobbes, von Grotius, von der Entwicklung zum Empirismus in den Niederlanden und in England. Eine wichtige Ursache dieses Konservativismus war sicher der Dreißigjährige Krieg, der eine zunehmend rasche Entwicklung abbrach und in seiner unmittelbaren Folge zu einer überwiegend stagnierenden Restauration führte. Allerdings stellte schon 1971 Lewis W. Spitz fest: »The relation of the Renaissance to the Middle Ages is now better understood than its relation to the period which followed«.15

1.5. Auf die unterschiedlichen Möglichkeiten des Verhältnisses der Humanisten zur Theologie wurde schon hingewiesen. Sie zeigen sich auch in den unterschiedlichen Positionen der philosophischen Ethik. Von Beginn an gab es die schon erwähnten Versuche, eine gewissermaßen integrale Moraltheologie zu entwickeln, als Ethik für die »renati« (Wiedergeborenen) oder »electi« (Auserwählten), die ihr Schwergewicht in den religiösen Tugenden besitzt und ihre Normen für das Verhalten in der Welt möglichst ausschließlich aus der Heiligen Schrift zu gewinnen sucht, oft mit einem beachtlichen Realismus, aber auch viel unbewußten und bewußten Anleihen aus der profanen Tradition. Grundsatz dieser Ethica christiana war, daß die Bibel nicht allein in Glaubenssachen, sondern auch einen jeden, weß Standes oder Wesens er seye, die beste Norm und Richtschnur ist, seinen Beruf und alle Actiones weißlich, glücklich, ordentlich, nach Gottes Willen, mit gutem von Gott gesegneten Succeß und Nachdruck zu führen.16

Ausgehend von Luthers Schriften in der frühen Reformationszeit und von Melanchthons Loci entfalteten sie schon seine Schüler ebenso wie die von Zwingli und Calvin in umfassenden Darstellungen, und sie blieb vor allem im lutherischen Deutschland bis zum Ende des Jahrhunderts von großer Bedeutung, griff auch auf die Schulen und Universitäten über, der humanistischen Literatur oft durch Wirklichkeitsnähe, Realitätssinn und soziales Verständnis, vor allem aber durch den überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache überlegen. Typische Konzeptionen der lutherischen Ethica christiana waren die Entfaltung des Dekalogs, die Drei-Stände-Lehre, die Lehre von der Obrigkeit als Stiftung Gottes, der Reichspatriotismus, der landständische Fürstenstaat, die relative Selbständigkeit der Kirche im Staat und das pragmatische Eingehen auf die konkreten Sozial- und Herrschaftsordnungen, aber auch eine reformatorisch-kritische _______ 15 16

Spitz: Humanism in the Reformation (s. Anm. 10), S. 643. Dietrich Reinkingk: Biblische Policey. Das ist: Gewisse, aus Heiliger Göttlicher Schrift zusammengebrachte, auf die drei Hauptstände, als geistlichem, weltlichem und häuslichen gerichtete Axiomata oder Schlußreden, sonderlich mit biblischen Sprüchen und Exempeln, auch anderen bestärkt, in allen Ständen nützlich, dienlich und anmutig zu lesen. Frankfurt a.M. 1653, Dedicatio. Über Reinkingk vgl. den Artikel von Christoph Link in Michael Stolleis (Hg.): Staatsdenker der Frühen Neuzeit. München 31995, S. 52–77.

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Tendenz gegenüber Gesellschaft und Obrigkeit sowie Kritik an den humanistisch-heidnischen und den neuen atheistischen Lehren. Die bekanntesten Autoren – bei weitem nicht alle Pfarrer – waren David Chytraeus (1555), Johannes Schuwardt (1584), Paul von Eitzen (1581), Dietrich Reinkingk mit seiner Biblischen Polizey (1653),17 Balthasar Schuppe (1610–1661), Ahasver von Fritsch (1629–1701), vor allem aber Veit Ludwig von Seckendorf (1626–1692), nicht nur mit seinem Christen-Staat (1686). Zunächst war diese Ethica christiana nur durch den geringeren Aufwand an Gelehrsamkeit von den Kapiteln zur Ethik in den theologischen Lehrbüchern zu unterscheiden, seit Calixt entwickelte sich jedoch die Moraltheologie als selbständige Disziplin der gelehrt-orthodoxen Dogmatik, als Ethik der »renati« bzw. »electi«, an deren Anfang der »ordo salutis« stand, die Stufen der Heilsdurchsetzung in der Seele des Glaubenden, und mit einer starken, aber nicht ausschließlichen Konzentration auf das Handeln in der Kirche und nach den speziellen Frömmigkeitsgeboten. Für die reformierte »Ethica christiana« ist neben dem Werk des französischen Calvinisten Lambert Daneau (1577)18 z.B. auf Otho Casmanns Ethica theosophica methodice ex divinis sapientiae fontibus deducta et conscripta (1602)19 und auf die entsprechenden Abschnitte in Alsteds Encyclopaedia (1630) zu verweisen (l. 25 s. V und VII). Eine gelehrte Variante der »Philosophia ex disciplina christianorum« spielte in der Entwicklung des Naturrechts eine bedeutende Rolle, beginnend mit N. Hemmings Werk De lege naturae methodus apodictica (1568).20 Zu _______ 17

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David Chytraeus: Regulae vitae seu virtutum descriptiones in praecepta decalogi distributa. Wittenberg 1555, 4. Aufl. ebd. 1587; Johannes Schuwardt: Regententafel, darinnen wohlgegründeter christlicher Bericht von der Obrigkeit Stand, Namen, Amt, Glück, Tugenden, Lasten, Schaden, Belohnung und Strafen. Aus gewissem Grunde heiliger göttlicher Schrift und den allerbesten, wahrhaftigen und bewährten Historien; Spiegel der Untertanen, das ist, wohl gegründeter christlicher Bericht von aller und jeden der hohen und niedrigen Obrigkeit unterworfenen Personen gebührlicher Pflicht. Darinnen der andere Teil christlicher Lehre, weltliche Polizei belangend, aus gutem gewissen Grund göttlichen Wortes heiliger Schrift ordentlich mit allen hierzu gehörigen Stücken zusammengefaßt. Leipzig 1584; Paul ab Eitzen: Ethicae doctrinae libri IV, conscripti in usum studiosum juventutis. Wittenberg 1571, 5. Aufl. 1588. Vgl. Ernst Luthardt: Geschichte der Ethik, 2. Hälfte: Geschichte der christlichen Ethik seit der Reformation: Leipzig 1893, S. 84–99; für ein wesentliches Element: Luise Schorn-Schütte: Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch, in: Bernd Moeller (Hg.): Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Gütersloh 1998 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 199), S. 435–461 (Lit.). Vgl. Donald Sinnema: The Disciplin of Ethics in Early Reformed Orthodoxy, in: Calvin. Theological Journal 28 (1993), S. 10–44 (über Daneau S. 21–40); Christoph Strom: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvinschülers Lambert Danaeus. Berlin u. New York 1996. Zu Casmann vgl. Anm. 81. Sie spaltete sich auf in eine am »Gesetz« orientierte Richtung und eine Lehre, die von den subjektiven Rechten der »imago Dei« bzw. des Menschen »in statu integritatis« oder »naturae« ausging: Balthasar Meisner: Dissertatio de legibus. Wittenberg 1614 (666 Seiten!). – Benedict Winckler: Principiorum juris libri quinque. Leipzig 1615; David Mevius: Prodromus jurisprudentiae gentium communis, pro exhibendis ejusdem principiis et fundamentis praemissus. Stralsund 1671; Valentin Alberti: Compendium juris naturae, orthodoxae theologiae conformatum et in duas partes distributum. Leipzig 1678. Vgl. Merio Scattola:

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ihr gehörte Pufendorfs bekannter orthodoxer Gegner V. Alberti ebenso wie noch Christian Thomasius’ Versuch, Pufendorfs säkulares Naturrecht durch eine Lehre vom »Jus divinum positivum universale« zu ergänzen (Institutiones jurisprudentiae divinae, 1688). Die Grenzen zwischen der »Philosophia christiana« und der »natürlichen« Philosophie sind oft schwer zu ziehen, weil die gleichen Theoreme teils aus der Offenbarung, teils aus der »gesunden Vernunft« begründet wurden, und die Behauptung, eine »christliche Philosophie« zu vertreten, sich auf die Verwendung von Dogmen der Offenbarung oder aber nur auf die Behauptung der besonderen Kompatibilität der Philosophie mit der Theologie bezog. So verstanden sich die »Platoniker« immer mit scharfer Kritik an den »heidnischen« Aristotelikern als Vertreter der christlichen Philosophie, aber auch die Ramisten verwendeten dies Argument; J. Althusius verstand sich als christlicher Philosoph, wenn auch nicht als weltlicher Arm der calvinistischen Theologie oder der Föderaltheologie. Obwohl eine an den Problemen, nicht an den tradierten Disziplinen orientierte Geschichte der Philosophie diese Richtung, dem Beispiel Diltheys folgend, einschließen sollte, wie es z.B. für die »Politica christiana« in der Geschichte der politschen Theorien seit jeher geschieht, werde ich die Entwicklung der Moraltheologie und der »Ethica christiana« hier zur Vereinfachung ausklammern. Es ist jedoch für den ethischen Diskurs dieser Zeit charakteristisch, daß Moraltheologie, Ethica christiana und philosophische Ethik nebeneinander bestanden, und zwar oft nicht in einem ausschließenden, sondern einem ergänzenden Verhältnis, zu dem z.B. auch gehörte, daß jede philosophische Ethik ein Kapitel über Grenzen und Nutzen ihrer Lehren für Christen enthielt. In der protestantischen Theologie wurde dieses Verhältnis durch die von Melanchthon entfaltete Lehre von den »tres usus legis« theoretisch formuliert. Viele Professoren verfaßten sowohl eine philosophische wie eine theologische Ethik. Doch war das Verhältnis stets gespannt und konfliktträchtig, wie der bekannte Streit um D. Hofmann an der Universität Helmstedt 1598 bis 1601 zeigt. Er war jedoch nur ein besonders Aufsehen erregender und komplexer Ausbruch einer permanenten Spannung und wiederholte sich nach dem Streit um Pufendorfs Naturrecht 1672 bis 1686 noch einmal 1723, als Christan Wolff aus der Universität Halle und aus Brandenburg vertrieben wurde – ein Sieg des Pietismus. Die Komplexität dieser Konflikte wird durch vier gemeinsame Elemente deutlich, die auch ihren Unterschied zu dem Streit um den »Atheismus« Fichtes an der Universität Jena 1798/99 zeigen: Der Konflikt ging jeweils vor allem über Probleme der Ethik (Normen, Freiheit des Handelns); die angegriffenen Philosophen bekannten sich selbst als Lutheraner und lehnten die Eigenständig_______ Das Naturrecht vor dem Naturrecht. Zur Geschichte des »jus naturae« im 16. Jahrhundert. Tübingen 1999, S. 77–89 und 194–203; Schneider: Justitia universalis (s. Anm. 129), S. 197–208 und 247–253. Die Folgerungen von Scattola über die Entwicklung im 17. Jahrhundert (S. 74–76) sind allerdings irreführend und beruhen auf einer übertriebenen und chronologisch falschen Einschätzung des aristotelischen Einflusses auf die Juriprudenz, vgl. meinen Beitrag: Grundrechtskonzeptionen in der protestantischen Rechts- und Staatslehre im Zeitalter der Glaubenskämpfe (s. Anm. 131).

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keit der Moraltheologie wie der Theologie nicht ab; ihre Philosophie wurde im Namen einer Philosophia christiana nicht nur von den Vertretern der integralen Frömmigkeit, sondern gleichzeitig auch von »natürlichen« Philosophien angegriffen, denen es mehr um die Kompatibilität als um die ausschließliche Orientierung an der Offenbarung ging (im Hofmann-Streit waren es der Ramismus des Caspar Pfaffrad und die platonisch-hermetische Philosophie des Angelus von Werdenhagen, in der Debatte um Pufendorfs Naturrecht die sich auf Platon berufende Rechtsphilosophie, u.a. Leibniz, im Streit um Christian Wolff die eklektische Philosophie von Budde und Crusius); schließlich: Die Konflikte endeten alle, wenn auch zunächst staatliche Interventionen gegen die Philosophen erfolgten, mit ihrem Sieg. Die wichtigste überregionale Wirkung des Hofmann-Streites war vermutlich, daß aus ihm der Vernunftspiegel (1618) des Wittenberger Philosophie- und Theologieprofessors Jacob Martini hervorging.21 Er ist eine weitgehend deutschsprachige, weil gegen entsprechende Streitschriften und Predigten gerichtete Legitimation der Philosophie aus der lutherischmelanchthonschen Theologie, deren Einheit in dieser Frage von Luther bis zu den »orthodoxen« Theologen seiner Gegenwart Martini immer wieder zu beweisen suchte. Seine Verteidigung des »Buches der Vernunft«, der Aufgabe und relativen Autonomie der Philosophie faßte Martini in einer Formel zusammen, die sich gleichzeitig auch bei reformierten Philippisten, z.B. bei Althusius und Alsted, findet: »Sein also fürnehmlich zweierlei Weißheiten, die den Menschen nach dem Fall wiederum ethlichermaßen perficieren, jene Philosophia, und diese Theologia genannt«. Martini verfaßte übrigens neben zahlreichen theologischen Schriften eine umfangreiche »aristotelische« Ethik und eine entsprechende »Politica«. Es gab jedoch, wie gesagt, immer erneute Versuche, einen Monopolanspruch der Ethica christiana durchzusetzen, der schließlich im Pietismus zur völligen Aufkündigung ihrer Kohabitation mit der Philosophie führte. Gleichzeitig aber entwickelte sich vor allem an den lutherischen Universitäten im Schutz des protestantischen Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung eine bis auf die genannten Kapitel radikal säkulare philosophische Ethik in der Form des späthumanistischen Aristotelismus, ausschließlich auf das »bene et beate vivere« im Diesseits bezogen. Ihr charakteristisches Stichwort war Eudämonie. Eine für diesen säkularen Aristotelismus typische Formel sagte, daß die Philosophie für das Glück im Diesseits, die Theologie für das jenseitige Heil _______ 21

Jacob Martini: Vernunftspiegel. Das ist: gründlicher und unwidertreiblicher Bericht, was die Vernunft sampt derselbigen Perfection, Philosophia genannt, sei, wie weit sie sich erstrecke und fürnemlich was für einen Gebrauch sie habe in Religionssachen. Entgegengesetzt allen neuen enthusiastischen Vernunftstürmern und Philosophieschändern, fürnemlich aber etlichen ungehobelten Schmekarten, so diese zwei Jahre aus Magdeburg geflogen. Wittenberg 1618 (1286 S.!), Zitat Vorrede; vgl. dort auch das Zitat aus Gregor dem Großen: Moralia l. 9c.24 sowie S. 351–362. Für die Ethik: »Dieser finis ist nun nichts anderes als der glückliche Zustand, wie derselbige in diesem Leben sein kann, welches herkommt von einem ehrbaren, nach der rechten Vernunft und dem Gesetz der Natur angestellten Leben« (S. 736). Insgesamt zeigt sich hier Martini mehr am naturrechtlich-eklektischen Denken Melanchthons als am strengen Aristotelismus orientiert.

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zuständig sei. Merkwürdigerweise entwickelte sich dieser Typus im Zusammenhang der allgemeineren Rezeption des »Aristotelismus« zum vorherrschenden. Ein zweiter Typus der philosophischen Ethik kann in Abwandlung eines Begriffes von Diltheys als »ethischer Theismus« oder »theonome Naturrechtsethik« bezeichnet werden. Dilthey führte den Begriff »universalistischer« bzw. »universaler Theismus« in seinen 1913 von Georg Misch unter dem Titel Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation zusammengestellten Abhandlungen aus den Jahren 1891 bis 1904 zunächst für den Platonismus der italienischen Renaissance ein, verband ihn dann aber mit verschiedenen Formen der philosophischen Theologie, vor allem mit dem »moralischen Rationalismus«. Er betrachtete ihn als wichtigen Bestandteil des »natürlichen Systems der Geisteswissenschaften« im 16. und 17. Jahrhundert: »Die Macht des Fortschritts in Europa ist nicht in der Verneinung der christlichen Religiosität gelegen gewesen, sondern in der Entwicklung derselben.«22 Gerade auch aus der heutigen Perspektive einer völlig profanen Welterfahrung erscheint für die unter dem Einfluß des Humanismus verselbständigte Philosophie von der Renaissance bis zur Aufklärung mit ganz wenigen Ausnahmen als nahezu konstitutiv die Übernahme zentraler Elemente des christlichen Monotheismus als Forderungen der Vernunft, vor allem der Konzeption Gottes als des allmächtigen, gütigen Schöpfers, Gesetzgebers und Regenten der Welt sowie die einzigartige Sonderstellung des Menschen in ihr durch sein privilegiertes Verhältnis zu Gott als sein Ebenbild bzw. als Teilhaber an seiner Geistessubstanz und ihren Gesetzen. Die Dignität des Menschen gründete in dieser Stellung – seine »Autonomie« in der Philosophie Epikurs, die immer gegenwärtig war, war erkauft mit seiner Einfügung als zufälliges Wesen unter einer unendlichen Anzahl anderer zufälligen Konglomerate in eine zufällig geordnete Welt, und auch für den säkularen Aristotelismus war es charakteristisch, den Menschen vor allem als spezifische Variante der Lebewesen (animal sociale et rationale, partes vegetativa, sensitiva et rationalis animae) zu betrachten. Von den Varianten dieses »universalen Theismus« war für die Philosophie im protestantischen Deutschland jene am wichtigsten, die vor allen Dingen, allerdings nicht allein, Melanchthon mit seiner »theologischen« (G. Frank),23 besser theonomen Philosophie schuf, die er, ähnlich wie die Platoniker in Florenz ihre Lehre, als die wahre, eigentlich immer schon vorhandene, wenn auch von den berühmten Denkern der Antike nur jeweils unvollkommen, annäherungsweise erkannten »Philosophie« verstand.24 Er war weit stärker an Cicero als an Aristoteles orien_______ 22

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Dilthey: Weltanschauung und Analyse (s. Anm. 1), S. 243. Dilthey deutete die Entstehung des »universalistischen Theismus« in der italienischen Renaissance als religiöse Bewegung (S. 45–53 u.ö.). Günter Frank: Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons. Hildesheim 1995 (Erfurter theologische Studien, Bd. 67). Er nimmt die von Dilthey (ebd., S. 162–203) begründete Tradition auf, Melanchthon als Philosophen ernst zu nehmen – nicht nur als Theologen, Pädagogen oder »Humanisten«. Exemplarisch in Enarratio libri I. Ethicorum Aristotelis (in: Opera onmia, CR XVI. Halle 1850), S. 291–296: Die Diskussion der gegensätzlichen Lehren von Platon, Aristoteles, Pythagoras und Stoikern über das summum bonum führt Melanchthon zum dem Ergebnis:

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tiert: seine zentrale Kategorie war die »lex Dei«, partiell identifiziert mit der »lex naturae« bzw. »rationis«. Sein eklektisch-indirektes Philosophieren lebte immer von der Anerkennung der antiken Tradition als Basis der Argumente und Einsichten; darin zeigt sich seine Zugehörigkeit zum Humanismus. Nicht die substantielle Identität des Geistes, sondern das personale Verhältnis zwischen Schöpfern und Geschöpf, Gesetzgeber und Gesetzesunterworfenen, vermittelt durch die Konzeption der den Menschen in seiner körperlich-geistigen Gesamtheit umfassenden »imago Dei« war ihr Zentrum. Nicht vor allem oder allein die »Vernunft« bzw. der Geist, sondern auch die Willensfreiheit galt als Inhalt der »Ebenbildlichkeit«, nicht die Erkenntnis Gottes, sondern das Handeln nach seinen Gesetzen stand im Mittelpunkt – auch die Erkenntnis Gottes aus seiner Schöpfung ist Handeln: »Summum bonum est agnitio [Anerkennung] Dei et oboedentia«. Melanchthons Verhältnis zur antiken Überlieferung war also einerseits kritisch abgrenzend, andererseits eklektisch rezeptiv – eklektisch jedoch nur zu verstehen als auswählend unter den Kriterien eben jener »Philosophie«. Im Gegensatz zu Diltheys späterer Konzeption, das »natürliche System« sei als Reaktion auf die konfessionellen Konflikte mit der Tendenz zur aufgeklärten Säkularisierung zu deuten,25 ist jedenfalls für Deutschland seine Entstehung aus dem Prozeß der Etablierung der protestantischen Konfessionen zu verstehen und sein theonomer Charakter hervorzuheben, der in der Ethik vor allem in der Konzeption der Lex naturae, verstanden als der dem konkreten Menschen immer transzendent bleibende Gesetzesbefehl Gottes zum Ausdruck kommt.26 Sie schloss im Gegensatz zum Aristotelismus eine natürliche Religion ein. Als Lehre von den durch Gottes Gesetzen bestimmten und durch die Vernunft erkannten Tugenden wurde sie vor allem an den reformierten Hochschulen, aber nicht ausschließlich dort,27 breit entwickelt. Auch die Frömmigkeit war hier eine Tugend der philosophischen Ethik, aber sie wurde deutlich von der auf die Offenbarung bezogene Frömmigkeit unterschieden. Dieser ethische Theismus wird oft als »Stoizismus« bezeichnet, ein Begriff, der hier aus mehreren Grün_______

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»Ut autem oculis lucem summum bonum esse dicimus, ita menti humanae summum bonum esse veteres philosophi dicebant frui Deo, id est agnoscere Deum et ei parere«; dies war Melanchthons eigene Lehre, auf die hin er die verschiedenen Philosophien interpretierte. Dilthey: Weltanschauung und Analyse des Menschen (s. Anm. 1), S. 247 für die Entstehung der »natürlichen Religion« durch »das zunehmende Gefühl der Unerträglichkeit des Streits der Konfessionen« in der »Anschauung eines Gemeinsamen, in welchem der Frieden gefunden werden könne«. Sein Verweis führt allerdings nur zu einer Variante des »universalen Theismus«, zur »niederländischen Bewegung« der Toleranz, deren Ursprung er bei D. V. Coornhert (1522–1590) fand (ebd., S. 95–106). Melanchthon: Philosophia moralis epitome (Opera omnia, CR XVI), S. 28: »Finis est hominis secundum legem divinam et secundum veram philosophiam, videlicet agnoscere Deum, eique obedire, et eius gloriam patefacere et illustrare, et tueri societatem humanam propter Deum«. Dagegen: »Aristoteles de fine paulo aliter loquitur, constituit enim finem hominis generaliter rectam hominis actionem supremae potentiae in homine, hoc est, actionem virtutis seu virtutum«. Balthasar Meisner: Dissertatio de summo bono. Wittenberg 1614; ders.: Dissertatio de legibus. Wittenberg 1616. Zu Samuel Rachel vgl. Anm. 121.

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den vermieden wird: Er entspricht nicht dem zeitgenössischen Verständnis der Stoa, die stark von der kritischen Darstellung des stoischen »Weisen« durch Cicero beeinflußt war; er ist weit entfernt von dem durch Lipsius und Scoppius formulierten »Neustoizismus«, dem die zentrale Bedeutung von Gesetz und Recht mit ihren ethischen und juristischen Konseqzenzen fehlte, fremd dessen auf Seelenruhe konzentrierten Privatismus und noch fremder Lipsius’ Faszination durch den imperialen Machtstaat Roms. Er war vor allem an Cicero orientiert, der sich nicht als Stoiker verstand, sondern sich zur eklektischen, gleichwohl skeptisch und platonisch orientierten »Akademie« bekannte. Schließlich betont die moderne Interpretation der Stoa den immanenten Pantheismus und den Materialismus ihres Logos-Begriffes – Konnotationen, die für die theonome Naturrechtsethik nicht zutreffend sind.28 Diese theonome und gleichwohl »natürliche«, d.h. philosophische Konzeption erlaubte vielerlei Anpassungen und Varianten; sie barg in sich die Möglichkeiten einer Opposition gegen die das eigentliche Heil bringende Offenbarungsreligion oder eines zusätzlichen Bezuges auf die Offenbarung. Ein dritter Typus der philosophischen Ethik, auch er eine Variante des »universalen Theismus« Diltheys, stellte nicht den Gesetzesgehorsam, sondern die Einheit der vernünftigen Seele des Menschen mit Gott und ihr Streben nach der Vereinigung mit seinem geistigen Wesen in den Mittelpunkt. Er soll als Platonismus bezeichnet werden. Im Unterschied zur Ethik des Aristotelismus, der als heidnisch und atheistisch angegriffen wurde, verstanden sich die Philosophen mit platonischen Tendenzen mit ihrer Betonung der Unsterblichkeit, der substantiellen geistigen Seele, der Gegenwart des göttlichen Wesens im Diesseits und der zentralen Kategorie der »geistigen Liebe« (amor spiritualis), d.h. dem mit der Erkenntnis des Guten und Gottes durch die Vernunft untrennbar verbundenen Strebens nach Gottes- und Menschenliebe, als christliche Philosophen insofern, als sie in der Offenbarung nicht eine grundsätzlich andersartige Auskunft über Gott sahen, sondern eine Vollendung der philosophischen Erkenntnis. Für die Ethik sind vor allem vier verschiedene Typen der Philosophie, die sich auf Plato berufen, zu unterscheiden: die platonisierende Interpretation der aristotelischen Philosophie, der kosmologisch-hermetische Platonismus im Anschluß an Jakob Böhme, aber auch an Marsilio Ficino und Pico della Mirandola, der auf platonische Argumente gestützte Rationalismus, wie ihn Petrus Ramus, dann René Descartes entwickelten, und schließlich als eigenständige Entwicklung eine sich auf Platon berufende Form des theonomen Naturrechts.

1.6. Die Literatur zur philosophischen Ethik in Deutschland wurde seit der Mitte des 16. Jahrhunderts massenhaft und durch ihre stark regional-lokale Bindung an die akademischen Institutionen fast unüberschaubar. C. H. Lohr _______ 28

Justus Lipsius: Physiologiae Stoicorum libri III (1604) konnte den stoischen Pantheismus nur durch viele Umdeutungen in seinen Stoizismus als philosophia christiana einfügen, vgl. Jason Lewis Saunders: Justus Lipsius. The Philosophy of Renaissance Stoicism. New York 1955, S. 131–134 u.ö.

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nennt in seiner großen Bibliographie der lateinischen Aristoteles-Kommentare für die deutsche Spätrenaissance ca. 35 Autoren, eine noch unvollständige Auswahl. Er berücksichtigt z.B. nicht Johann Heinrich Alsteds Enzyklopädie (1630), die eine ausführliche systematische Zusammenfassung der Nikomachischen Ethik enthält, und die Paraphrase von Jacob Thomasius (1657 und 1674).29 Für die philosophische Ethik insgesamt fand ich allein in der Staatsbibliothek Berlin 45 Autoren, mindestens zwei Drittel davon sind als Aristoteliker zu bezeichnen. Aus der Bibliotheca realis philosophica des Martin Lipenius von 1682 ergeben sich ca. 120 Autoren, die wiederum nur zu einem kleinen Teil mit den bei Lohr bzw. in der Staatsbibliothek Berlin vorhandenen Namen identisch sind. Trotzdem fehlen in all diesen Zusammenstellungen, die übrigens nicht die einzelnen Dissertationen einschließen, Autoren, die im Polyhistor von Daniel Georg Morhof in der Ausgabe von 1747 unter den dort relativ wenigen deutschen Autoren aufgeführt werden, z.B. J. Chr. Becmann, E. Lubinus, J. J. Becher, J. H. Boecler und J. Scheffer, was darauf hinweist, daß im Unterschied zur umfangreichen Literatur der frühen Aufklärung »De historia juris naturae et gentium« keine entsprechende Traditionsbildung für die Ethik entstand, obwohl es eine kontinuierliche Beschäftigung mit der Geschichte der Moralphilosophie gab.30 _______ 29

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Charles H. Lohr: Renaissance Latin Aristotle commentaries, in: Studies in the Renaissance 21 (1974), und Renaissance Quarterly 28–33 (1975–1980) und 35 (1982); Angaben für die philosophische Literatur in Deutschland auch bei René Antoine Gauthier: L’Ethique a Nicomaque 1970 (s. Anm. 53), S. 185–229. Noch nicht verwenden konnte ich die kurze Bibliographie von Wilhelm Risse: Bibliographia philosophica vetus (1400–1800), Teil 4: Ethica und Politica. Hildesheim 1998 (647 S.; chronologisch geordnet). Zusammenfassende Darstellungen für die Geschichte der philosophischen Ethik finden sich u.a. in folgenden Werken: Conradus Horneius: Philosophiae moralis sive civilis doctrinae de moribus libri IV, l.1.c.1: De duplici ratione tradendi hanc doctrinam veteribus usitata deque principuis auctoribus qui eam excoluerunt. 1. Aufl. Helmstedt 1624, 3. Aufl. ebd. 1648; Heinrich Julius Scheurl: Bibliographia moralis. 1. Aufl. Helmstedt 1648, 2. Aufl. mit Indices hg. von Ernst Friedrich Scheurl. Helmstedt 1686; Samuel Rachel: Aristotelis Ethicorum ad Nicomachum libri decem [...] praemissa est in universam Aristotelis philosophiam moralem introductio. Introductio, c.4–15: De variis sectarum philosophicarum succesionibus et in ethicis opinionibus. Helmstedt 1660; Henricus Uffelmann: Exercitationes philosophica de Platonis, Aristotelis, Stoicorum et Epicurei philosophia morum doctrinaeque Aristotelicae praerogativa. Helmstedt 1668; Vincentius Placcius: De morali scientia augenda. Commentarium in Francis Baconi […]. De dignitate et augmentis scientiarum librum septimum, ethicae originem, incrementa, decrementa, fortunamque per varias gentes ab orbe condito huiusque summatim exhibens: indeque caussarum perfecta, media perficienda perfactamque ideam repraesentans. Frankfurt a.M. 1677; Jacob Thomasius: Dissertationes ad Stoicae philosophiae et caeteram philosophicam historiam facientes argumenti varii. Leipzig 1683; Georg Paschius: Schedisma de curiosis huius saeculi inventis, quarum accuratori cultui facem praetulit antiquitas. Kiel 1695, 2. Aufl. u.d.T. Inventa nov-antiquis. Leipzig 1700. Kap. 3: De aucta sensim doctrina morali, Kap. 6 (nur in der 2. Aufl.): De varia fortuna doctrinae juris novoque eiusdem habitu; Georg Paschius: De variis modis moralia tradendi liber. Accedit introductio in rem literariam moralem veterum sapientiae antistitum. Kiel 1707; Gottlieb Stolle: Historie der heidnischen Moral. Jena 1714. – Während die Werke bis H. Uffelmann überwiegend auf die antiken Philosophenschulen konzentriert sind und insofern einen späthumanistischen Typus bilden, beginnt mit V.

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Die neuere Forschung wurde trotz der allerdings für die Ethik nur sehr knappen und zum Teil irreführenden Anregungen von Peter Petersen in seiner Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland (1921)31 und der auf die Metaphysik beschränkten Geschichte der Schulphilosophie von Max Wundt (1939) von einer seltsamen Allianz zwischen der auf den Prozeß der Aufklärung fixierten Philosophen und der Kirchen- und Dogmengeschichte konzentrierten Theologen zum Desinteresse verführt: jene suggerierten die vollständige Dominanz der Theologie, diese folgten der etablierten Tradition des Ganges der Aufklärung von der italienischen Renaissance zu den westeuropäischen Philosophen des 17. Jahrhunderts wie auch schon Dilthey. Auch die Diskussionen der Historiker über die »Sozialdisziplinierung« seit ca. 1960 gaben durch ihre Konzentration auf die Sozial-, Institutionen- und Mentalitätsgeschichte keine Anregung, die philosophische Reflexion zu untersuchen, obwohl Gerhard Oestreich, der die Diskussion angeregt hatte und vermutlich auch den Begriff prägte, von Forschungen über Justus Lipsius ausging, von Dilthey den Begriff »niederländische Bewegung« für den Neustoizismus adaptierte und seinen grundlegenden Einfluß auf das protestantische Deutschland postulierte.32 _______

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Placcius der Typus der »eklektischen« Geschichtsschreibung, die einerseits die Autorität der antiken Philosophen relativiert und andererseits eine Rezeption der neueren Philosophie seit der Renaissance anstrebt. Die Dissertationen von Jacob Thomasius vertreten den Typus eines historisch-philosophischen Positivismus, der seiner Kritik an der »Christianisierung« der antiken Philosophien, auch z.B. der Stoa, entspricht. Peter Petersen: Geschichte der aristotelischen Philosophie in Deutschland. Leipzig 1921 (ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1964). Seine Darstellung des Einflusses der Ethik des Aristoteles ist differenziert, hebt vor allem die Lehre von der Willensfreiheit hervor, bestärkte aber trotzdem durch die Betonung seiner »Abhängigkeit von Aristoteles« (S. 88) die traditionelle Auffassung, Melanchthon habe die meist als verhängnisvoll bewertete Herrschaft des Aristotelismus im deutschen Protestantismus, insbesondere im Luthertum, begründet: »Die Bedeutung der nikomachischen Ethik für das System Melanchthons liegt also darin, daß sie ihm Baugrund und Baugerüst für die eigene Ideenentwicklung auf sittlichem Gebiet ward« (S. 90). Vgl. dagegen aus der neueren Forschung Christoph Hubrig: Melanchthon als Interpret der aristotelischen Ethik, in: Günter Wartenberg und Markus Hein (Hg.): Werk und Rezeption Philipp Melanchthons in Universitäten und Schulen bis ins 18. Jahrhundert. Leipzig 1999 (Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte, Sonderband 2), S. 161–177: »Die Kategorie ›ordo‹ [...] wird Instrument einer Argumentation, mittels derer Melanchthon [...] die aristotelische Ethik als eigenen, spezifischen Typus praktischen Philosophierens regelrecht aus den Angeln hebt und – vermittelt über den ordo-Begriff – durch Einführung platonischer und stoischer Elemente in die Lehre des Evangeliums reintegriert [...]. Damit geht die originär ethische Direktive des Aristoteles, die zur Begründung eines eigenen Typus praktischen Philosophierens führte, verloren; die Einsichten des Stagiriten werden sozusagen zum Steinbruch, aus der einige Elemente, neu behauen, herausgenommen werden« (S. 163). Meines Erachtens war allerdings nicht die Kategorie »ordo«, sondern die Kathegorie »lex (Dei)« für die Grundlage der Transformation des Aristotelismus durch Melanchthon in der Ethik ausschlaggebend; s. Merio Scattola: Notitia naturalis de Deo et de morum gubernatione. Die Naturrechtslehre Philipp Melanchthons und ihre Wirkung im 16. Jahrhundert, in: Barbara Bauer (Hg.): Melanchthon und die Marburger Professoren 1527–1627. 2 Bde. Marburg 1999, Bd. 2, S. 865–882. Gerhard Oestreich: Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen. Ein Beitrag zur Entwicklung des modernen Staa-

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Die wichtigsten Erweiterungen der Kenntnis ergaben sich eher aus dem Interesse am Naturrecht, an Sittenlehren für einzelne Stände und Institutionen (»Spiegel« für Fürsten, Höflinge, Adel, städtische Magistrate, Juristen, fürstliche Räte (Politici), Pfarrer, Soldaten, ›Hausväter‹, Studenten, Kaufleute usw.) und für einzelne Bereiche des sozialen Verhaltens (Zeremonialwesen, Umgang und Geselligkeit, öffentliche und private »Statusräson«, Ehe, Erziehung, Kriegswesen, Handel usw.). Natürlich enthielten diese speziellen Ethiken immer auch allgemeine Thesen, sind oft an bestimmten Systemen der philosophischen und theologischen Ethik orientiert oder entwickelten eigenständige und konkurrierende Konzeptionen, z.B. den Utilitarismus der »Staatsräson«. Bereits die späthumanistischen Philosophen waren sich bewußt, daß die philosophische Ethik auch ganz abgesehen von der Moraltheologie nur eine Minderheit in der umfangreichen Gesamtmasse der Literatur »de moribus« bildete. Dieses Bewußtsein fand in dem enzyklopädischen Werk des Kieler Moralphilosophen Georg Pasch (1661–1707), De variis modis moralia tradendi (1707), seinen krönenden Abschluß, zu dem übrigens auch eine Geschichte der antiken Ethik gehörte. Pasch behandelte im Anschluß an das Genus der Dialoge auch Dramen und Tragödien, dann Fabeln, Romane und Utopien, die satyrisch-realistische Sittenbeschreibungen, die »moralistische« Literatur im Anschluß an die Charaktere des Theophrast, die Sammlungen von Aphorismen, Sprichwörtern, Sentenzen sowie die Literatur der Emblemata und der symbolischen Darstellungen, der Beispiele und Exempel. Die Erforschung dieser Gattungen durch die Literaturund Kunstgeschichte hat seit dem 19. Jahrhundert die Beschäftigung mit der »ratio tradendi moralia per apodoxin et demonstrationem, quam methodum systematicam vocant«, von Pasch an letzter Stelle dargestellt, fast völlig verdrängt. Die philosophische Ethik stand außerdem in einem Feld weiterer Wissenschaften »de moribus«, über das Verhalten der Menschen, sie grenzte nicht nur an die Moraltheologie. Zumindest drei von ihnen hatten seit der Antike selbständige Denktraditionen entwickelt und standen wie die Moraltheologie mit der philosophischen Ethik im Konflikt um Grenze und Zuordnung: die Medizin _______ tes (1965), in: ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Berlin 1969, S. 101–156. Er hielt »niederländische Bewegung« trotz seiner Berufung auf Dilthey für einen »neuen Begriff« und verstand darunter einen von den Niederlanden ausgehenden, von Justus Lipsius angeregten politisch-praktischen Humanismus des Stoizismus, zu dem er u.a. H. Grotius, S. Pufendorf, J.C. Becmann und J. Caselius zählte. Für die Philosophie wurde dieses Programm z.T. ausgeführt von Wilhelm Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte des modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik. Berlin – New York 1978. Für Diltheys Begriff der »niederländischen Bewegung« vgl. oben, Anm. 25. Für eine moderne Interpretation der Rezeptionsgeschichte des Stoizismus vgl. Pierre Francois Moreau: Les trois étapes du Stoicisme moderne, in: ders. (Hg.): Le Stoicisme au XVIe et au XVIIe siècle. Paris 1999, S. 11–28. Er kommt zu dem Schluß, daß der systematische Neustoizismus des Lipsius die Rezeption eher behinderte; der Stoizismus lebte vor allem »fragmentarisiert« in verschiedenen Thesen und Topoi fort: »Si le stoicisme disparait en tant que systeme, il subsiste a l’état fragmenté« (S. 24). Ein Einfluß auf die Naturrechtsphilosophie wird nicht erwähnt.

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mit dem Thema der körperlichen, aber auch geistigen Gesundheit; 33 die Jurisprudenz, konzentriert auf Recht und Gerechtigkeit im Zusammenleben der Menschen;34 und die »Politik« mit dem Thema der Organisation gebietsgemeinschaftlichen Zusammenlebens und seiner Erhaltung unter der Anwendung von Macht und Gewalt.35 Vor allem mit dem juristischen Humanismus und mit der Renaissance des römischen Rechts, das traditionell die grundlegenden Themen »de justitia et jure«, »de historia juris« und »de lege naturae et gentium« einschloß, entstand der philosophischen Ethik eine Konkurrenz, die auch dadurch gestärkt war, daß es mit der Theologie aller Konfessionen in der Zentralstellung des »Gesetzes«, seiner Normen und der Sanktionen gegen ihre Verletzung im Formalen übereinstimmte. »Lex Dei« und »Justitia Dei« bzw. »naturae« waren für beide grundlegende Konzeptionen: Omnes enim virtutes, quas theologi in explicationi juris moralis, philosophi in ethicis docent et requirunt, ad jus naturale pertinent; rationes autem et modi, quibus illae inviolatae defendatur, pertinent vel ad jus gentium vel ad jus civile,

schrieb der Jurist Benedict Winckler 1615.36 Die Juristen verstanden sich oft als die eigentlichen Kenner, Prediger und Hüter der »Gesetze« insgesamt (sacerdotes legum). Der Imperialismus juristischen Denkens in der Ethik reichte zumindest bis zu Kant und seinen Schülern, d.h. die Konzentration der Ethik auf die Pflichten des zwischenmenschlichen Verhaltens wie im »kategorischen Imperativ«. Die Möglichkeit, ja die Evidenz, die drei Funktionen des »Naturrechts«, die Grundlegung der Jurisprudenz, die theologische Bedeutung Gottes als Gesetzgeber und Richter sowie die Begründung der Ethik in »Geboten« und »Pflichten« als Forderung eines Gesetzes, d.h. die Traditionen des römischen Rechts, der Theologie und der philosophischen Ethik in ihrer »stoischen« Form _______ 33 34

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Vgl. Anm. 55. Eine leider stark auf Deutschland konzentrierte Übersicht über die juristische Diskussion der »Lex naturae« im 16. Jahrhundert jetzt bei Merio Scattola: Das Naturrecht vor dem Naturrecht. Zur Geschichte des »jus naturae« im 16. Jahrhundert. Tübingen 1999. Sowohl die Aristoteliker als auch Johannes Althusius stellten die Wissenschaft vom politischen bzw. sozialen Zusammenleben der Menschen vor die Lehre von den Normen des Rechts. Die modernen Interpretationen, die auch Aristoteles in die Naturrechtstradition einordnen, entsprechen jedenfalls nicht dem Verständnis des Späthumanismus. Sie sind z.T. begründet in der immer noch einflußreichen Konzeption der Identität von Thomismus und Aristotelismus, besonders für die Spätscholastik. Diese Vorstellung hat ihre neuzeitlichen Wurzeln in der frühen Aufklärung, die wie z.B. Christian Thomasius oft »Scholastik« und »Aristotelismus« identifizierte. Benedict Winckler: Principiorum juris libri quinque. Leipzig 1615, l.2c.5. Eine Sammlung von Programmschriften der späthumanistischen Jurisprudenz in Deutschland bietet Nicolaus Reusner (Hg.): Cheirogogia seu Cynosura juris quae est farrago selectissimorum librorum isagogicorum de juris arte. Speyer 1588. Zum Selbstverständnis der Juristen vgl. auch William J. Bouwsma: Lawyers and Early Modern Culture, in: ders.: An usable past. Berkeley u. Oxford 1990, S. 129–156; Donald E. Kelley: Louis Le Carron Philosophe, in: E. P. Mahoney (Hg.): Philosophy and Humanism. Leiden 1976, S. 30–46; vgl. auch meinen Beitrag Grundrechtskonzeptionen (s. Anm. 131), S. 180–187; Gottfried Wilhelm Leibniz: Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (1667), p. 2 n. 4–5 (AA 6,1, S. 294).

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in diesem Punkt zu vereinigen, prägte schon die Ethik Melanchthons.37 Sie begründete einen juristisch-moraltheologisch-ethischen Komplex von hoher Überzeugungskraft. Ihm gegenüber war jedoch die auch von Melanchthon reflektierte spezifische Thematik der philosophischen Ethik in der vom Humanismus wiederbelebten Tradition der antiken Philosophie, das Problem der »Eudämonie« und die Frage nach der »Bestimmung« (summum bonum) des Menschen in ihrer Selbständigkeit immer gegenwärtig, die u.a. auch ihren Anspruch auf Unabhängigkeit von der Jurisprudenz bzw. auf Überlegenheit ihr gegenüber begründete. Diese Situation schuf für die philosophische Ethik die Notwendigkeit, ihre Grenzen und ihr Verhältnis zu den anderen Traditionen »de moribus« zu bestimmen, dann aber auch zunehmend zu neuen Konzeptionen, z.B. dem Utilitarismus der Selbsterhaltung, der Staatsräson und der »Interessen«, den Lehren vom »gesellschaftlichen« Verhalten (conversatio, homiletische Tugenden) und der Ökonomie im modernen Sinne.

1.7. Gemeinsames Ausgangsthema der philosophischen Ethik war »De fine hominis«, die Frage nach der »Bestimmung« des Menschen, wie die Formulierung der Aufklärung lautete, nach dem »Sinn« seines Lebens, wie es heute heißt, meist als Frage nach dem »summum bonum« formuliert. Für die Ausführung wurde die Behandlung der Themen »de anima« und »de homine« in der Physik bzw. der Metaphysik vorausgesetzt (»de subjecto morale«). Die Lehre von den »Vermögen« und »Affekten« des Menschen, seiner Psychologie wurde nur insoweit behandelt, als es für die Antwort auf die ethischen Fragen erforderlich schien. Aber für jede Ethik war eine spezifische Lehre von den Vermögen und Affekten charakteristisch und grundlegend. Doch wurde allgemein die Formel vom »animal rationale et sociale« übernommen. Der Begriff für das »diesseitige Leben« war »vita civilis«, ein Ausdruck, der schon in dieser verallgemeinerten Bedeutung für die diesseitige »Ethik« bzw. »Sittenlehre« von Melanchthon in der Confessio Augustana verwendet wurde. Vermutlich ist der Ursprung dieser Begriffsbildung in der aristotelischen Identifikation von Ethik und Politik zu suchen, jedenfalls wurde diese Argumentation gelegentlich zur Begründung angeführt, und wahrscheinlich wurde sie schon aus dem italienischen Humanismus übernommen.38 Üblich war die Beschränkung der philosophischen Ethik auf die »externae actiones«: damit wurde nicht die bereits aristotelische Unterscheidung von »Legalität« und »Moralität« im Sinne Kants angesprochen,39 sondern die Abgrenzung zu den »spiritualia« als »interna«, d.h. die Differenz zwischen dem Handeln aus dem Offenbarungsglauben und dem Handeln aus rationalen bzw. natürlichen Motiven. Die Ethik war außerdem Handlungslehre; auch die »contemplatio« wurde oft als Handlung verstanden bzw. als Teil der Handlungslehre. Die zentralen Themen der Handlungslehre _______ 37 38

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Vgl. Guido Kisch: Melanchthons Rechts- und Soziallehre. Berlin 1967. Jacob Martini: Disputationes ethicae. 3. Aufl. Wittenberg 1621, D.1 p.1 n.20, beruft sich auf Francesco Piccolomini. Z. B. Nikomachische Ethik, l.10 n.10 (1079 b 1–19).

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waren die Erkenntnis der Normen und die Klugheit ihrer Anwendung sowie die Willensfreiheit und die Entscheidung. Die »electio« galt als Voraussetzung moralischen Handelns. Dies schloß einerseits die der Stoa zugeschriebene absolute Determination durch die »causae secundae« aus, andererseits wurde jedoch die realistische Analyse der Grenzen des freien Handelns, die Strukturen und Ursachen empirischer Zwänge ausführlich thematisiert. Die calvinistische Lehre von der Prädestination ebenso wie die Lehre von der Rechtfertigung durch den allein von der Gnade Gottes geschaffenen Glauben an Christus wurden als Aussagen der unmittelbaren Wirkung Gottes auf die Menschen für ihr personales Verhältnis zu ihm verstanden, das zwar ihr Verhalten in der Welt, nicht aber ihre Zugehörigkeit zu ihr betrifft, metaphysisch formuliert: diese Aussagen betreffen die prima causa, nicht die causae secundae, mit denen es die philosophische Ethik zu tun hat. Die Bereitschaft zudem wie immer begründeten »richtigen« oder »guten« Handeln wird als »virtus« bezeichnet (de virtute). Die Vieldeutigkeit dieses Begriffes – er schillert zwischen der Eignung aller möglichen Dinge und Lebewesen zu beliebigen Funktionen bis zu »Handlungsenergie« und »Männlichkeit«, vom »gesetzestreuen« oder »ehrbaren« Handeln bis zum Handeln als Verwirklichung wesentlicher Fähigkeiten des Menschen – wurde in vielen Traktaten reflektiert. Vor allem in der Deutung dieses Begriffes und seiner Bewertung im Kreis der übrigen »Güter« (bona) sowie in der Lehre von den einzelnen für tugendhaft erklärten Handlungen oder Verhaltensweisen unterschieden sich die Typen der Ethik. Auf dem Hintergrund dieses einleitend skizzierten Problemfeldes wird sich die folgende Darstellung auf die knappe Analyse der vorherrschenden drei Typen der philosophischen Ethik des Späthumanismus konzentrieren, jeweils vergegenwärtigt an einem Beispiel. Abschließend werden einige Thesen über die Auflösung und Transformation der späthumanistischen Ethik formuliert.

2. Anthropozentrischer Aristotelismus 2.1. Diese sprachlich wenig befriedigende Bezeichnung soll einerseits die Bindung an Aristoteles, vor allem an die Nikomachische Ethik und die Politik hervorheben, andererseits aber ihren Gegensatz zu deren platonisierenden und thomistischen Interpretationen. Vom Ursprung dieses Aristotelismus kann mit Sicherheit nur eines gesagt werden: Er entstand nicht unmittelbar aus der Schule Melanchthons und er war keine Reaktion auf den Thomismus der Jesuiten, sondern ein humanistischer Neubeginn im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Einige seiner Motive lassen sich finden in den Schriften von Johannes Caselius (1561–1613),40 der seit 1563 in Rostock lehrte, seit 1590 in Helmstedt, und bei _______ 40

Johannes Caselius: In ethicorum Aristotelis interpretationem prolegomena. Rostock, 1575; Pro studiis bonorum litterarum Oratio. Rostock 1577; In Aristotelis de vita et moribus librorum interpretationem programma. Helmstedt 1593; Programma bonorum litterarum cultioribus. Helmstedt 1594; Opera politica. Hg. von Conrad Horneius. Helmstedt 1631. Vgl. Hermann

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Owen Günther (1532–1615), der von Rostock und Jena bereits 1576 an die neugegründete Universität Helmstedt kam. Caselius war einer der wenigen deutschen Humanisten, der sich ganz auf die Überlieferung der Literatur und Kultur des klassischen Griechenland konzentrierte und vor allen Dingen von Athen fasziniert war. In seiner Tätigkeit als Lehrer des Adels und als Prinzenerzieher gelangte er zu dem Schluß, daß nicht Dichtung und Rhetorik, sondern die Philosophie Grundlage des Erziehungsprogramms sein müsse, und zwar vor allem die moralischen und politischen Schriften des Aristoteles. Dieses Erziehungsprogramm war insbesondere an den Adel und die Fürstensöhne, also an die künftigen »Politici« gerichtet, und gewann Einfluß bis nach Österreich. Seine Freundschaft mit dem Florentiner Aristoteliker Petrus Victorius (1499– 1585), seit 1538 Professor an der Universität seiner Heimatstadt mit weitreichendem Ansehen, beeinflußte sicher diese Entwicklung. Während seiner beiden jahrelangen Aufenthalte in Italien hatte Caselius seine Freundschaft gewonnen, die auch in einem umfangreichen, bald publizierten Briefwechsel ihren Ausdruck fand. Während Caselius, der in Helmstedt eine Professur für Politik erhielt, vor allem durch Reden, Programme, Texteditionen, Briefe und Kommentare wirkte, lehrte Owen Günther (1532–1615) Philosophie mit allen ihren klassischen Disziplinen, vor allem Logik, Ethik und Metaphysik. Er hatte in Wittenberg noch bei Melanchthon studiert, sich aber vermutlich während seiner Aufenthalte in Prag, Österreich, Siebenbürgen und Polen seit 1557 der Melanchthon-Schule entfremdet. Seine Disputatio philosophica über das Glück bzw. die Bestimmung des Menschen (1569) 41 kann gewissermaßen als Programm des anthropozentrischen Aristotelismus gelesen werden, mit ihrer Polemik gegen alle Philosophien, ausführlich vor allem gegen Platonismus und Stoa, die den Menschen in seiner irdisch-bürgerlich-körperlichen, sterblichen Existenz die einzigartige Würde unter allen Lebewesen und die Bestimmung zu einem glücklichen Leben im Diesseits absprechen. Er polemisierte einerseits gegen die Verselbständigung der Seele vom Körper als dem wesentlichen Teil des Menschen, andererseits gegen die Interpretation der Tugenden als unerreichbare Gesetze Gottes, die das Elend und die Sünde offenbaren sollen: sie sind vielmehr Wege zu einem glücklichen Leben im Diesseits.42 Nur Götter und _______

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Conring: Epistola de scriptis Caselanis, in: Johannes Caselius: Epistola. Frankfurt a.M. 1687; Horst Dreitzel: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die »Politica« des Henning Arnisaeus. Wiesbaden 1970, S. 99–106. Caselius betonte besonders stark die Aufgabe der Erziehung. Eine Monographie über Caselius gehört weiterhin zu den unbewältigten Forschungsaufgaben des deutschen Späthumanismus. Owen Günther: De felicitate seu fine hominis disputatio philosophica. Rostock 1569, 59 Bll. Die Schrift ist Vertretern der Stände des Herzogtums Österreich gewidmet, u.a. Rüdiger von Starhemberg; vgl. Hans Sturmberger: Georg Erasmus Tschernembl. Graz – Köln 1953 (= Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 3), S. 28. – Ähnlich Joachim Camerarius: Capita quaedam proposita ad disputandum de feliccitate seu vita beata in terris, in: Nicolaus Reusner: Ethica philosophica et christiana. Jena 1590, S. 115–121. Günther: De felicitate (s. Anm. 41), c.17: »Talem igitur virtutem proponit nobis lex Dei, qualem imbecillitas humanae naturae non capit [...]. Nec huic assertioni praejudicium aliquod gignere poterit, quod virtute ulteriora bona eaque amplissima et ne quidem hominem

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Engel sind Geistwesen, deren Streben sich darin erfüllt, die geistigen Wesenheiten zu erkennen: »Hinc evidens evasit, felicitatem seu ultimum ac praestantissimum hominis bonum consistere in corporis et animae communi actione, recta rationi congruente«. Darin liege die »pecularis eminentia« des Menschen: »hominis et deorum felicitatem non licebit confundere«.43 Daß Aristoteles als einziger Philosoph die wahrhaft »humane«, d.h. der Komplexität und der Diesseitigkeit des Menschen angemessene Ethik lehre, war ein oft wiederholter Topos, der paradoxerweise auch mit einem Zitat aus Joachim Camerarius’ Vorrede zu seiner Edition von Ciceros De officiis (1548) begründet wurde.44 Die beste systematische Ausführung dieses Programms ist meines Erachtens in der Philosophia moralis (1625, 1648) des Helmstedter Professors Conrad Horn (1590– 1649)45 und bei seinen Kollegen Cornelius Martini (1647)46 zu finden, aber es gibt eine ganze Reihe differenzierter Darstellungen, auch von weniger bekannten Autoren, von denen ich die von Jacob Martini (1608),47 Christoph Liebenthal _______ 43

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posthanc vitam derelinquentia comperetur, qualia sunt coelium favor, consortii Divinorum communicatio, perpetua vitae collatio.« »Sicut igitur hominis perfectio in corporis facultatibus coercendis et ad prudentiae legem actiones flectendis occupatur, ita Deorum ac Spiritum beatorum felicitatum nuda et securissima juristitiae energeia sine contraii illius appulsione intra propiae mentis essentiam constituit« (ebd., c.5). Günther bezieht sich auf Cicero: De natura deorum l.3 n.38: »Nam justitia, quae suum cuique distribuit, quid perpertinet ad deos? Hominum enim societas et communitas, ut vos dicitis, justitiam procreavit. Temperantia autem constat ex praetermittendis voluptatibus corporis: Cui si locus in celo est, est etiam voluptatibus«; Argumentation des Akademikers C. Aurelius Cotta gegen den Stoiker Q. Lucilius Balbus. Günther bezeichnete die stoische Lehre, der Mensch solle in Unabhängigkeit von den »äußeren« Gütern leben, als »hyperbolicum delirium« (c.6). »Peripatetica disciplina humanissima fuit, qua ad captum ingenii humani dignitatis ac virtutis praecepta accomodavit, neque veluti optando, quid maxime quisque velle deberet, colligit, sed quid consequi etiam posset, circumspexit«; vgl. Conrad Horn: Philosophiae moralis siva civilis doctrinae de moribus libri IV. Frankfurt a.M. 1625, 3. Aufl. ebd. 1648, l.1 c.1 n.20. Horn (Horneius, 1590–1649) war Schüler von J. Caselius und C. Martini, Freund des Theologen Georg Calixt und lehrte in Helmstedt Ethik, Logik und Theologie. Er veröffentlichte auch eine erfolgreiche Logik sowie ein Compendium philosophiae naturalis (Frankfurt a.M. 1652). Cornelius Martini: Disputationes ethicae XVI ex decem libris Ethicorum ad Nichomachum Aristotelis miranda prorsis sed felicissima brevitate concinnatae. Opus posthumum et nunc primum edit. Helmstedt 1647. – Martini (1567–1621) war in Antwerpen geboren, gehörte also wie Caselius zu den niederländischen Emigranten; er studierte in Rostock, u.a. bei Chytraeus und Caselius, und erhielt 1691 eine Professur für Philosophie in Helmstedt. Er war der heftigste Verteidiger der »Humanisten« im D. Hofmann-Streit und gegen die Ramisten, der erfolgreichste Lehrer der Metaphysik und Logik dort. Vgl. Max Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939, S. 98–103 u.ö. Jacob Martini: Disputationes ethicae, omnes decem libris Ethicorum Nicomachorum Aristotelis breviter resolvantes et explicantes. 3. Aufl. Wittenberg 1621 (Vorrede von 1608). – Martini (1570–1649) aus Halberstadt studierte 1590 bis 1593 in Helmstedt, dann in Wittenberg und wurde 1597 Rektor in Norden/Ostfriesland. Als Hofrat des Grafen Edzard seit 1599 wurde er in die konfessionellen Streitigkeiten des Landes verwickelt und floh 1601. Seit 1601 Professor der Logik, dann der Ethik und seit 1623 der Theologie in Wittenberg. Vgl. Wundt: Schulmetaphysik (s. Anm. 46), S. 106–111 u.ö.

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(1620),48 Friedrich Cahlen (1652)49 und M. Anton Itter (1659)50 genauer lesen konnte. Eine deutsche Fassung dieser Ethik veröffentliche 1669 Justus Georg Schottel (1612–1676),51 der in Helmstedt studiert und den juristischen Doktortitel erworben hatte, dann als Prinzenerzieher, Hofgerichtsassessor, Festorganisator, Hof- und Konsistorialrat der welfischen Herzöge in Wolfenbüttel wirkte und vor allem als Verfasser von Gedichten und Schauspielen sowie als Autor einer Vers- oder Reimkunst und einer deutschen Grammatik bekannt blieb. Besonders deutlich ist dieser Aristotelismus auch noch 1670 in der Ethica pragmatica von Johann Conrad Dürr formuliert,52 einer Schrift für das Nürnberger Patriziat. Der Verfasser war Student in Helmstedt und dann Professor für Philosophie und Theologie an der Universität Altdorf. Er ist eher bekannt durch sein Compendium theologiae moralis (1662, 1675, 1698), »im Grunde der ersten systematischen theologischen Ethik in der lutherischen Kirche«. _______ 48

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Christian Liebenthal: Collegium Ethicum. Amsterdam 1653 (Vorrede 1620), 7. Aufl. Frankfurt a.M. 1667. – Liebenthal (1586–1647) stammte aus Soldin in der Neumark und studierte in Frankfurt a.d.O., Wittenberg und Rostock; seit 1616 lehrte er praktische Philosophie in Gießen und erwarb dort auch den Dr. jur. Seit 1624 war er Rat des hessischen Landgrafen in Darmstadt. Bekannter als seine Ethik wurde sein Collegium politicum (Vorrede 1619). Amsterdam 1652, und sein Kirchenrecht De regimine ecclesiae. Frankfurt a.M. 1622. Friedrich Cahlen: Medulla moralis aristotelica sive Exercitationes ethicae XII ad libros X Aristotelis ad Nicomachum filium per thesin et ektesin. 2. Aufl. Leipzig 1652. – Cahlen (1613–1663) aus Lauchstädt studierte in Jena und lehrte als Konrektor und Rektor in Halle, seit 1660 in Hof. Er übersetzte Vergils Bucolica. Marcus Antonius Itter: Synopsis philosophiae moralis. 3. Aufl. Frankfurt a.M. 1659. – Der Verfasser war Konrektor am Gymnasium in Frankfurt a.M. Justus Georg Schottelius: Ethica. Die Sittenkunst oder Wohllebenskunst, in teutscher Sprache vernemlich beschrieben in dreyen Büchern. Wolfenbüttel 1669 (Neue Aufl. hg. mit einem Anhang von Jörg Jochen Berns. Bern 1980). Das eingehende Nachwort übersieht leider den Zusammenhang mit der Ethica des Aristotelismus. Vgl. auch: J.G. Schottelius (1612–1676), ein deutscher Gelehrter am Wolfenbütteler Hof. Ausstellungskatalog der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel 1976 (mit umfangreichen Beiträgen von J. J. Berns). – Für den Hinweis auf J. G. Schottelius und seine Ethik bin ich Herrn Jörn Garber, Halle, zu großem Dank verpflichtet. Johann Conrad Dürr: Ethica paradigmatica juxta ordinem Aristotelicum in Nicomachiis observatum, per aphorismos digesta, ex optimis quibusque veteris et nostri aevi scriptoribus collecta. Jena 1670. – Dürr (1625–1677) stammte aus Nürnberg und studierte in Jena, Helmstedt, Leipzig, schließlich in Altdorf Philosophie und Theologie. 1654 erhielt er dort eine Professur für Ethik und Poesie, 1657 für Theologie. Vgl. Luthard: Geschichte der christlichen Ethik (s. Anm. 17), S. 192–196, wo Dürrs Compendium theologiae moralis (1675, 1698) als »erstes vollständiges System« der Moraltheologie nach den Prinzipien seines Lehrers Georg Calixt dargestellt ist. Dürr entwirft in seiner Ethik das ideale Lebensbild eines städtischen Patriziers: »Ad felicitatem civilem multi momenti afferet tum pratriae tum praecipue majorum dignitas« (Dürr: Ethica, p.1 a.2), dazu Gesundheit, Schönheit, Reichtum, Heirat und gut erzogene Kinder, Ehren und Ämter, »Freunde« (velut instrumenta) sowie Situationen, in denen er sich bewähren kann (ebd., a.3–11). »Miseri civilis seu summum malum morale consistit primum in improbitate et imprudentia eique conjuncta animi inquietudine et anxietate, deinceps in egestate, corporis imbecillitate, ignominia, odio humanum, exilio, servitute et similibus« (ebd., a.12).

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2.2. Die Entwicklung in Helmstedt stand im Zusammenhang mit dem von Italien, insbesondere von den Universitäten Bologna und Padua ausgehenden humanistischen Aristotelismus. Es muß jedoch betont werden, daß es neben der hier in den Mittelpunkt gerückten Renaissance der aristotelischen Ethik, die von Rostock, Helmstedt und Frankfurt a.d.O. ausging, auch »Renaissancen« in anderen Zentren gab, z.B. in Straßburg,53 Tübingen und Altdorf, die z.T. auf Rezeptionen des früheren Humanismus aufbauten (vgl. z.B. Samuel Heiland [1533–1592]: Aristoteles Ethicorum ad Nicomachum libri decem, breviter et perspicue per quaestiones expositi. Tübingen 1579, 1585, 1592 und Leipzig 1590, 1591, 1595). Die Entwicklung und Eigenart dieses Aristotelismus gegenüber der Aristoteles-Rezeption der mittelalterlichen Scholastik wurde in den letzten Jahrzehnten vor allen Dingen von P. O. Kristeller, N. W. Gilbert, R. A. Gauthier, Ch. B. Schmitt, Ch. Lohr und E. Kessler herausgearbeitet und als selbständiges Element der humanistischen Bewegung erkannt.54 Dabei standen vor allem Logik, Wissenschaftstheorie und Metaphysik im Mittelpunkt des Interesses, die ihren Höhepunkt in Italien in den auch für Deutschland ausschlaggebenden Philosophen, J. C. Scaliger (1484–1558), J. Zabarella (1533– 1589) und F. Piccolomini (1523–1607) erreichten. Zum italienischen Aristotelismus gehörte jedoch auch seine große Bedeutung für die Medizin,55 die Biologie sowie die politische Philosophie. Mit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde sein Einfluß auf die Akademien und Universitäten im protestantischen Europa eine allgemeine Tendenz, z.B. in Genf, in Heidelberg, _______ 53

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Über die aristotelische Ethik in Straßburg vgl. René Antoine Gauthier: L’exégèse de l’Ethique à Nicomaque: essai d’histoire littéraire, in: ders. und Jean Yves Jolif: L’Ethique à Nicomaque. Introduction, traduction et commentaire. Louvain 21970, S. 196–202. Eckard Kessler: The Transformation of Aristotelism during the Renaissance, in: John Henry und Sarah Hutton (Hg.): New Perspectives in Renaissance Thought. Essays in the history of science, education and philosophy in memory of Charles B. Schmitt. London 1990, S. 137–147. Er verfolgt die Entwicklung allerdings nur bis Melanchthon, den er traditionell für die Wiederkehr des Aristotelismus im protestantischen Deutschland verantwortlich macht. Eine vergleichende Studie über den späthumanistischen Aristotelismus fehlt. Noch immer besteht eine Tendenz, Aristotelismus und Thomismus zu identifizieren, was der Vorherrschaft metaphysischer Interessen entspricht, vgl. z.B. Charles Lohr: Die Rezeption der aristotelischen Philosophie im lutherischen Deutschland. Ein Vergleich mit der scholastischen Entwicklung, in: Walter Bandmüller u.a. (Hg.): Ecclesia militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte Remigius Bäumer zum 70. Geburtstag gewidmet. Paderborn u. München 1988, S. 179–192. Von den deutschen Aristotelikern waren u.a. Nicolaus Taurellus, Jacob Schegk, Philipp Scherb, Ernst Soner, Henning Arnisaeus, Hermann Conring Ärzte. Auch in der Ethik wurde die Medizin oft als Vorbild angerufen, z.B. für die Gliederung der Lehre in einen theoretischen und praktischen Teil. Gemeinsam sei Medizin und Ethik, daß der Mensch zugleich Subjekt und Objekt der praktischen Wissenschaft ist. Allerdings werden oft Lehren der Medizin nicht übernommen, vgl. die Kritik an Galens Lehre, daß das menschliche Verhalten von den angeborenen Temperamenten abhängig sei – dies bedeute einen Determinismus analog der Lehren der Astrologen –, durch Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), l.3 c.1 n.4. Johannes Caselius hatte Galens Schrift De cuiuslibet animi peccatorum dignatione et medela 1592 griechisch und mit lateinischer Übersetzung 1596 in Helmstedt ediert, »versio lucubrasissima, cum scholiis maxime ethicis«, vgl. J. K. Kühn (Hg.): Claudii Galeni opera omnia. Leipzig 1821 (ND Hildesheim 1964), Bd. 1, S. CXLV.

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in Leiden und in Oxford.56 Während jedoch in Italien, in den Niederlanden und in England seit der Jahrhundertwende der Universitätsaristotelismus durch den wachsenden Einfluß neuer Philosophien zunehmend bedrängt und seit ca. 1650 abgelöst wurde, gewann er an den philosophischen Fakultäten der lutherischen Universitäten in Deutschland in dieser Zeit eine von den Fürsten gestützte Monopolstellung als offizieller Lehrkanon, und diese Stellung verlor er erst im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Der Zusammenhang dieses oft als »protestantische Scholastik« bezeichneten Aristotelismus mit dem Humanismus zeigen in der Ethik u.a. die fortentwickelten Literaturgattungen der Textedition, der Übersetzung, des Kommentars und der Paraphrase neben den systematischen Darstellungen und Lehrbüchern. Von der Problematik der Wirkung dieser »aristotelischen Scholastik« auf Entwicklung und Inhalt der mit ihr gleichzeitig entstehenden und engverbundenen Dogmatik der »orthodoxen« Theologie ausgehend wurden Metaphysik und Logik in ihrer Eigenart und mit ihren Sonderentwicklungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht, in den letzten Jahren vor allem von W. Sparn (1976), J. S. Freedman (1984) und E. U. Leinsle (1985), die über die schon klassisch gewordenen Darstellungen von P. Petersen (1921) und M. Wundt (1939) hinausführten. Seine politische Philosophie wurde durch Untersuchungen über den auch durch seine Metaphysik einflußreichen Henning Arnisaeus (1970) und über Hermann Conring (M. Stolleis (Hg.), 1983) wiederentdeckt.57 Neben der Verflechtung der Ethik in die allgemeine Entwicklung des späthumanistischen Aristotelismus sind für das gegenwärtige Thema vor allem zwei Ergebnisse dieser Forschungen wichtig: Zunächst ist festzustellen, daß sich die innere Vielfalt seiner Metaphysik und Logik bei Behandlung einzelner Probleme in der Ethik wiederholt. Deshalb muß schon an dieser Stelle festgestellt werden, daß ein großer Teil der umfangreichen, sich auf Aristoteles berufenden oder ihn kommentierenden Ethikliteratur nicht ohne weiteres dem hier in den Mittelpunkt gerückten Typus zugerechnet werden kann, weil in ihm eine hybride Mischung von Argumenten der theonomen Naturrechtsethik, des Aristotelismus und oft auch noch anderer, vor allem platonischer Einflüsse festzustellen ist, so daß jedes der Werke einer besonderen Analyse bedarf. Zweitens spiegelt sich auch in der Ethik die vor allem von W. Sparn und H. U. Leinsle hervorgehobene Eigenart der schulphilosophischen Metaphysik, sich durch die Rücksicht auf die von der lutherischen Theologie streng betonte _______ 56

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H. Robbers: De Spaans-scholastieke wijsbegeerte op de Noord-Nederlandse Universiteiten in de eerste helft der 17e eeuwe, in: Bijdragen. Tijdschrift voor Philosophie et Theologie 17 (1956), S. 26–55; E. P. Bos und H. A. Krop (Hg.): Franco Burgersdijk (1590–1635). Neo-Aristotelism in Leiden. Amsterdam 1993; Charles B. Schmitt: John Case and the Aristotelism in Renaissance England. Kingston u. Montreal 1983; ders.: Aristotle and the Renaissance. Cambridge, Mass. 1984. Für Italien vgl. Anm. 4. Vgl. H. Dreitzel: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die »Politica« des Henning Arnisaeus (ca. 1575–1636). Wiesbaden 1970, und ders.: Der Aristotelismus in der politischen Philosophie Deutschlands im 17. Jahrhundert, in: Eckhard Kessler u.a. (Hg.): Aristotelismus und Renaissance. In memoriam Charles B. Schmitt. Wiesbaden 1988 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 40), S. 163–192; Michael Stolleis (Hg.): Hermann Conring (1606–1681). Beiträge zu Leben und Werk. Berlin 1983.

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Transzendenz Gottes auf eine allgemeine Ontologie des »Seienden« der Schöpfung zu konzentrieren, die »natürliche Theologie« nur in einer minimalen Form zu behandeln und in der Abwehr platonischer und stoischer Tendenzen die Kontinuität zwischen der menschlichen Seele und Gott zu reduzieren, um Offenbarung und Glauben als Gottes Werk umso größeres Gewicht zu geben.58 Besonders für die Ethik ist die in der Forschung zuweilen einseitig betonte Rolle der Philosophie als Dienerin der Theologie nur in sehr indirekter Weise wirksam: Sie besteht in der anthropozentrischen Konzentration einschließlich einer erstaunlichen Profanisierung und einer sehr zwiespältigen Enthaltsamkeit von allen theologisch relevanten Aussagen.59 Dem Vorwurf des atheistischenheidnischen Charakters der Philosophie des Aristoteles, der seine Renaissance seit dem Averroismus und seit Pomponazzi ebenso wie zuvor seine Rezeption in der Scholastik des 13. Jahrhunderts ständig begleitete, gab auch seine späthumanstische Ethik eine breite Angriffsfläche. Die Eigenart des späthumantischen Aristotelismus zeigt sich weiterhin darin, daß er keine Systhemphilosophie war. Einerseits wurden seine einzelnen Disziplinen nicht als deduktiv-logischer Zusammenhang aus dem metaphysischen Fundament mit einem oder wenigen Prinzipien konstruiert, sondern als selbständige Teile einer philosophischen Weltorientierung unter gewissen gemeinsamen Strukturannahmen entwickelt. Die Selbständigkeit der »Politik« und der »Ökonomie« gegenüber der »Ethik«, der Ethik gegenüber der Seelenlehre und der Metaphysik sind, wenn man vom thomistischen Aristotelismus ausgeht, befremdend. Thema der Ethik war übrigens nicht der isolierte Einzelmensch (vita monastica), sondern die Lehre von den allgemeinen Prinzpien der praktischen Philosophie; sie stand als »pars generalis« dem auf die wichtigsten konkreten Sozialformen bezogenen »partes speciales« (Ökonomik, Politik) gegenüber. Andererseits wurden jedoch durch diese Eigenart Logik und Metaphysik stark aufgewertet als gemeinsames formales und instrumentales Fundament des rationalen Denkens in allen Disziplinen. Diese Konstellation mußte verteidigt werden gegen die Entwicklung des systemphilosophischen Rationalismus, der »Philosophia more geometrico« einerseits, gegen die Auflösung der ontologischen _______ 58

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Typisch für den strengen Aristotelismus ist Heinrich Julius Scheuerl: Epitome theologiae naturalis. Wolfenbüttel 1650: »Firmite statuimus etiam rationem sibi relictam non quidem clare et intuitiva, sic ut in se est, sed obscure tamen et abstractive cognoscere Deum posse«. Über die »anima a corpore seperata« sei philosophisch kaum etwas Gewisses zu erkennen (ebd., D.4), also auch nicht über ihre Unsterblichkeit. Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), l.3 c.3 n.10 über die Tugenden: »Sunt quidem qui insufficientiam hic nobis ostendere conantur, praesentim Ethicae, ut vocant, Christianae authores. Verum aut intelligitur per pietatem amor erga parentes et propinquos aut cultus numinis. Si illud, non est virtus sed affectus bonus: a natura enim in est; si hoc, non est virtutis civilis sed theologica: quomodo enim Deum recte colatur natura duce cognisci nequit, nedum cultus ille recte per agitur illius viribus«. Cahlen: Medulla (s. Anm. 49), S. 314, argumentierte z.B. gegen die Behauptung des Danaeus, Heiden könnten keine heroischen Tugenden besitzen, weil ihnen der Glaube fehle: »Error et imperfectio hominis ethnici nil derogat perfectionem virtutis heroicae«.

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und logischen Gemeinsamkeiten durch einzelne Wissenschaften, vor allem durch die Physik und durch die Jurisprudenz andererseits.

2.3. Aus den angeführten Schriften, vor allem der Ethica des Conrad Hornejus, möchte ich einige charakteristische Ideen des anthropozentrischen Aristotelismus hervorheben: Immer wieder neu formuliertes Argument für den Aristotelismus waren die umfassende Erörterung der jeweiligen Themen mit allen ihren Problemzusammenhängen, mit ihren unterschiedlichen Lösungen durch die Philosophen und mit sprachlich-semantischen Analysen der Begriffe, außerdem ihre geordnetsystematische Darstellung in den entsprechenden Büchern des Aristoteles – ein Argument, das allerdings sowohl durch die kritische Philologie wie durch die Entwicklung des Problembewußtseins im Verlauf des 17. Jahrhunderts entkräftet wurde. Aber die Ethik des aristotelischen Späthumanismus hielt an dieser Einschätzung auch dort fest, wo sie sich von der Übersetzung, der Kommentierung und Paraphrase löste und zur eigenständigen systematischen Darstellung fortschritt, wie es für die späthumanistische Philosophie überhaupt typisch war, nicht nur für Lehrbuch-Zwecke, sondern auch zur Modernisierung der Argumentation, d.h. zur Berücksichtigung der nach Aristoteles entstandenen Argumente und Begriffe, nicht zuletzt der christlichen, sowie zur präziseren Darstellung gegenüber dem oft als dunkel und lakonisch verkürzt empfundenen Urtext. Ein typisches Lehrbuch behandelte in dieser Weise folgende Themen: Es beginnt mit der Wissenschaftstheorie der Ethik (de constitutione ethicae), ihrer Definition und ihrer Abgrenzung gegenüber anderen Disziplinen der Philosophie, auch ihr jeweiliger Zusammenhang mit ihnen (ethica est prudentia hominis actiones ad bene beateque vivendum afformans). Sie erörtert dann das »höchste Gut«, definiert es als »actio animae rationalis secundum virtutem perfectam in vita perfecta« in ihren verschiedenen Elementen (virtutes externaeinternae, primariae-secundariae, sanitas, fama, honor, amicitia, rerum sufficientia et abundantia): »Es ist also dem Menschen in diesem Leben gegeben ein höchstes Gut zu erstreben, und zwar ist es ihm nicht als Teilhaber an der gesamten menschlichen Gattung zugewiesen, sondern dem jeweils einzelnen Menschen als Individuum«.60 Das »Glück« (felicitas, beatitudo) entsteht als subjektive Empfindung indirekt in der richtig gewählten Handlung (operatio). Es folgt ein Kapitel über die »Tugenden«, deren instrumentelle Funktion als Habitus für das kontinuierlich gute Handeln betont wird. In diesem Zusammenhang werden regelmäßig die Tugendlehren der Stoa, Ciceros, Platons und die Abgrenzung gegenüber den christlichen (religiösen) Tugenden behandelt. Mit der Erörterung der »causae efficientes et finales« beginnt die Handlungslehre, denn die wichtigste Ursache des »moralischen Glückes« (beatitudo moralis) ist die von Klug_______ 60

Ebd., D.2 n.35. Die Individualität wird stets im Zusammenhang des »Mittleren« als Formalprinzip der Tugenden diskutiert; betont wird dabei die jeweils individuelle Stärke und Mischung der Affekte und Fähigkeiten.

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heit und rechtem Willen geleitete Handlung – sekundäre Ursachen sind u.a. die Erziehung in Elternhaus, Schule und vor allem die Gesetze des Staates. Handlungen sind, soweit sie »moralische« Handlungen sind, bestimmt durch den Willen, d.h. seine »Beratung« durch die Klugheit und die darauf folgende Entscheidung (electio). In diesem Zusammenhang wird regelmäßig die Theorie der indifferenten Wahlfreiheit verteidigt und von der theologischen Unfreiheit des Willens unterschieden. Zur Handlungsanalyse gehört weiterhin die Lehre von den »Affekten«, den Strebungen, die teils auf die »anima vegetativa et sensitiva« zurückgeführt werden (appetitus, voluptas), teils auf den Willen als Teil der »ratio« selbst (z.B. »ira«, der moralische Zorn). Gegen die Stoa wurde der grundsätzliche Wert der sensitiven Affekte betont: gutes Handeln muß nicht allein aus der Vernunft hervorgehen, es kann auch unmittelbar aus der »voluptas« erfolgen. Die Grundstruktur der Strebungen ist der Dualismus von Hinstreben und Abwehr, die einzelnen »Gefühle« und »Strebungen« werden entsprechend klassifiziert (z.B. spes-metus, armor-ira). Die in den folgenden Abschnitten behandelten Tugenden sind entwickelt als die Durchsetzung des »mittleren« in dem jeweiligen Strebungsdualismus, dem bestimmte Objektbereiche zugesprochen werden: Tapferkeit z.B. zwischen Furcht und optimistischer Erwartung zukünftiger Ereignisse im Handeln, Mäßigkeit im Hinblick auf Gewinn und Verlust bei der körperlichen Befriedigung, Beherrschung (mansuetudo) zwischen der Wut gegen das Ungerechte und der Gleichgültigkeit ihm gegenüber usw. Die Aristoteliker entwickelten auf diese Weise elf Tugenden, ein Kanon, der gegenüber dem Ciceros und Platos die Schwäche der unübersehbaren Pluralität und einer gewissen Willkürlichkeit besaß. Er schloß aber z.B. auch die homiletischen Tugenden (civilis conversatio, u.a. comitas, urbanitas, veracitas, humanitas) ein und tendierte zur Kasuistik. Ein eigenes Kapitel galt den heroischen Tugenden (constantia, tolerantia im Sinne von Leidensfähigkeit). Außerhalb der eigentlichen Tugendlehre stand die ausführliche Behandlung der »amicitia« als das auf wechselseitigem Nutzen und Wohlwollen gegründeten freundlichfreundschaftlichen Verhalten der Menschen untereinander als der Voraussetzung für deren Dauerhaftigkeit (concordia) in der Gesellschaft und auch als Voraussetzung für das »moralische Glück«. Diese »Freundschaft« wurde nach ihren unterschiedlichen Ursachen und Hemmnissen hin untersucht, sie wurde als »cognata et affinia virtutum« streng getrennt von »caritas, amor« und von der emotionalen Freundschaft. Abschließend wurden konsequenterweise die »virtutes intellectuales« dargestellt als Entfaltungen der spezifischen Strebungen und Vermögen des Denkens (intellectus, scientia, sapientia, ars, prudentia) mit ihren spezifischen Erkenntnisgegenständen (z.B. »ars« als »virtus opera producens«, »prudentia« als »virtus agendi bona et mala«). Auch hier wurden die Grenzen und die Unmäßigkeiten hervorgehoben – denn das Denken galt, wie gesagt, wie »voluptas« und »voluntas« als Vermögen (facultas) des »animal rationale«.

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Die Bestimmung des Menschen, sein »summum bonum« ist die diesseitige Eudämonie61 als eines einzigartigen Lebewesens, in dem Körper und Vernunft (ratio) zu einer komplexen Einheit verbunden sind. Seine Würde gegenüber den »Göttern«, d.h. den reinen Geistern, besteht darin, daß bei jenen die Vernunft in der »contemplatio« Gottes und der geistigen Welt immer nur bei sich selber bleibt, während die menschliche Vernunft in das ihr Fremde transzendiert durch ihre Mitwirkung am körperlichen Leben. Sie ist also vor allem praktische Vernunft (prudentia) – ihr sind auch die dianoëtischen Tugenden untergeordnet, insofern auch das Erkennen eine Lebenstätigkeit, eine Handlung ist und insofern es zur Entscheidung über andere Handlungen beiträgt. Die Vernunft wird also als Organ des menschlichen Lebens betrachtet, das wie alle andere Teile dieses Komplexes auch einen spezifischen Entfaltungs- und Tätigkeitstrieb besitzt, das Erkenntnisstreben, das aber nicht aus diesem Komplex herausgelöst werden kann und nicht dominierend ist: Die Vernunft weiß nichts von der Unsterblichkeit der Seele, die platonische Vorstellung, daß die Vernunft im Körper wie in einem Kerker gefangen sei, ist völlig falsch, sie ist auch keine substantielle Einheit, die durch ihre Ideen mit anderen gleichen Substanzen und mit Gott verbunden ist.62 Die für die Renaissance im katholischen Milieu charakte_______ 61

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Heinrich Velsten: Ethicorum disputatio II De summo bono. Wittenberg 1610, qu.2: »Nos per summum illud bonum haud intellegere beatitudinem coelestem, in vera Dei cognitione et ardentissima dilectione consistentem, quae in in hac vita nobis incoanda, in futura vero complenda erit; sed summum aliquot bonum politicum, quod in virum bonum, prout cum proximo suo conversatur, in haec vita, non habitu respectu ad coelestem beatitudinem, cadere possit«; C. Martini, Disputationes (s. Anm. 46), D.2 n.20: »Nos ergo felicitatem censemus esse bonum perfectissimum, autarkes, seipso contentum, quod per se vitam facitat optabilem, et quamquam conjunctum caeteris bonis sit expectabilius, propter bonorum abundantiam, ipsum tamen cum singulis et omnibus collatum est maxime expectabile«; J. Martini: Disputationes ethicae (s. Anm. 47), S. 22: »Quare cum Aristoteles de tali fine hic agat, qui plenarie in hac vita cognoscatur et acquiri queat, atque illa felicitas in Deo quiescens non sit cognita lumine naturae, sed fide, ut demonstrant theologi«; Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), S. 661: Die »contemplatio« als »summum bonum wird abgelehnt, Aristoteles’ Lehre zu diesem Thema verworfen: sie ist eine Tugend der »Geister«, nicht der Menschen. Infolgedessen werden in der Ethik auch die »virtutes intellectuales« behandelt; Liebenthal: Collegium ethicum (s. Anm. 48), S. 18 definiert die Ethik kurz als »ratio bene et beate vivere«. – Obwohl die Versuchung nahe liegt, dieses EthikVerständnis aus der Zwei-Reiche-Lehre Luthers abzuleiten, spricht allein schon die sich als »lutherisch« verstehende »Ethica christiana« und der Typus des theonomen Naturrechts gegen diese Interpretation, die zwar möglicherweise einer »Logik der Ideen« entspricht, nicht aber ihrer historischen Entwicklung. Auch die »Zwei-Reiche-Lehre« ließ unterschiedliche Interpretationen zu. In die Funktion der »ideae innatae« bzw. der »semina divinae rationis« traten im Aristotelismus die »notiones evidentes« ein, die durch Erfahrung und Denken von allen Menschen mit gesunder Vernunft gewonnen werden können. Je nach der Ontologie des Erkenntnisgegenstandes sind sie entweder gewiß oder nur wahrscheinlich, wie z.B. Erkenntnisse über die sich dauernd wandelnden Menschen. Von Beginn an setzte sich jedoch die Auffassung durch, daß es auch innerhalb der kontingenten Sachverhalte der Schöpfung »notwendige« Zusammenhänge gebe, mehr oder weniger allgemeine Sachverhalte, so daß Ethik und Politik als »scientiae suo ordine« galten. Dabei wurde betont, daß auch Medizin und Physik diese Erkenntnisstruktur besitzen. So wurde die Konzeption der modernen Wissen-

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ristische Alternative zwischen »vita activa« und »vita contemplativa« verschwindet mit ihren metaphysisch-theologischen Voraussetzungen: Vernunft und Willen sind auf Kontingentes gerichtet, beide sind Tätigkeiten der menschlichen Seele, beide sind auf ihr Zusammenwirken angewiesen, beide soll der Mensch entwickeln, »si quidem non Cyclopum vitam, sed hominum, sed Christianorum vivere velimus«. Das ewige, jenseitige Leben und die selige Gemeinschaft mit Gott ist allein durch die Offenbarungstheologie erschlossen, die Vernunft kann allenfalls die Kausalität der Geschöpflichkeit erkennen. Für das jenseitige Leben ist allein die Theologie zuständig, für das diesseitige Leben allein die Philosophie. Daraus folgt, daß es für die aristotelische Ethik keine Tugend der »pietas« gab, keine natürliche Religion und keinen Kultus der Vernunftreligion. Das Gewissen ist nicht eine Einbruchstelle des göttlichen Geistes, sondern eine spezifische Leistung des Urteilsvermögens in Verbindung mit dem Gedächtnis. Es gab keine verselbständigte emotionale (tranquillitas animae, laetitiae) und reflexive (fiducia, virtus als Gesinnung) Innerlichkeit der »Seele«, keine Gesetze des Schöpfers und der Vernunft: sie war eine profane Ethik des Handelns. Da die Vernunft ausschließlich als Instrument des »animal rationale« galt, ermöglichte sie zwar wie andere Vermögen eine Lebensweise, die des Philosophen, aber sie erhielt keine priviligierte religiöse oder ethische Stellung vor dem praktischen Leben. Wie die theonome Naturrechtsethik und zuweilen mit den gleichen theologischen Argumenten (imago Dei) betonten die Aristoteliker die unteilbare »Ganzheit« des Menschen als denkendes Lebewesen, aber sie insistierten darüberhinaus auf die ihm trotz seiner Begrenztheit und trotz seiner Abhängigkeit von seinem Willen entzogenen Faktoren63 – sie wurden immer wieder betont: Die Menschen seien keine Götter, wie ihnen die Stoiker mit ihrem Ideal des Weisen vortäuschen – wie allem konkret Seienden in seiner Begrenztheit mögliche und zustehende »Vollkommenheit« (beatibilitas). Die Eudämonie, das Glück suchen diese Lebewesen, wie die Erfahrung zeige, im Streben nach unterschiedlichen »Gütern«. Es gibt jedoch weder »das Glück« noch »das Gute«, wie Platon behauptet, als substantielle Einheit,64 auch _______

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schaften, mehr oder weniger »gewisse«, d.h. auf »sachliche« Notwendigkeit bezogene Erkenntnisse über ontologisch kontingente Sachverhalte zu gewinnen, vorbereitet. Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), l.2 c.8 n.11: »Summum bonum et felicitas, quam hic quaerimus, est, ut toties diximus, humana tantum et vitae huius mortalis: quae illa inconstantia nonnihil habet, quid mirum? divina certa non est, ut rectissime docerunt omnes antiqui«; n.14: »Perfectionem et felicitatem hominis non tantum in animi, sed etiam in corporis bonis consistere inde sufficienter patet, quod cum utriusque est conditus«; l.3 behandelt die Frage: »De homine quatenus felicitatis civilis capax est«. Daß zum menschlichen Glück auch das körperliche gehöre, war allgemeine Lehre, vgl. z.B. Itter: Synopsis (s. Anm. 50), S. 31: »cum enim homo non solum anima, sed et corpore constet, perfectionem sui plenam, cum corpus male est, non possidet«. Das wichtigste Argument gegen die platonische Einheit des Guten als substantielle »Idee« war, daß das »Gute« als Begriff sich auf einzelne, unter sich verschiedene Handlungen beziehe, vgl. Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), l.1 c.7 n.9; dazu gehört das pragmatische Argument, das niemandem in einer konkreten Situation eine Reflektion auf das »Gute an sich« nütze, sondern nur eine Überlegung, was im konkreten Fall das »Gute« sei (ebd.,

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nicht verselbständigt vom Leben des Menschen, sondern nur in den jeweiligen konkreten Bezügen, sogar die »lex naturae« gilt als abstrahierter Begriff. Oft wird betont, daß das zur Eudämonie führende Handeln jeweils individuell verschieden sei. Die Analyse der komplexen Struktur der menschlichen Strebungen zeigt außerdem, daß der Mensch im Gegensatz zu den Tieren nicht ausschließlich und vornehmlich von bestimmten Instinkten gelenkt wird, sondern daß er seine Ziele auf der Basis unterschiedlicher und sich widerstrebender Strebungen wählen und sie künstlich (artificialis) herstellen muß. Unter Bezug auf diesen relativ autonomen, dynamischen »Organismus« wird die Ethik oft mit der Medizin verglichen, der Philosoph mit dem Arzt, aber dieser Vergleich ist nur zutreffend, wenn zugleich die spezifische Künstlichkeit des menschlichen Handelns einbezogen wird. Die indifferente Freiheit zur Wahl, die Willensfreiheit ist als Wesensmerkmal ebenso wichtig wie das Erkenntnisvermögen. Das Verhältnis zwischen Willen und Erkenntnisvermögen wird von Horn als wechselseitige Einflußnahme und Abhängigkeit verstanden, deren Gestaltung wiederum eine Aufgabe beider ist. Zu dieser Willenstheorie, der »nobilissima et utilissima doctrina«65, gehört die Polemik gegen die Vorstellung Platons, daß der Wille immer ein Gutes erstrebe, nur durch Erkenntnisirrtümer oft das Falsche:66 Der Wille kann Handeln oder Nichthandeln bestimmen, er hat die Wahl zwischen indifferenten Gütern, er kann auch absichtlich das Schlechte wollen. Die Vorstellung, daß die Menschen von ihrem Wesen her wie Tiere von ihrem »Instinkt«, d.h. »spontan«, ohne äußeren Zwang zwar, aber mit Notwendigkeit durch die Vernunft und ihren »Imperativ« geleitet werden (libertas a coactio), ist den Aristotelikern ebenso fremd wie die stoische Konzeption einer normgebenden Vernunft (ratio) – die Vernunft ist nur Organ der Erkenntnis. Da es für den Menschen weder eine animalische noch eine bestimmende Norm der Vernunft (natürliches Gesetz) gibt, muß er gewissermaßen wie der Architekt ein Gebäude zwar nicht gegen die natürlichen Gegebenheiten, aber im _______

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n.14); Cahlen: Medulla (s. Anm. 49), S. 42: »Idea est universale et commune quippiam, summum bonum autem pertinet ad singulos«. Ebd., S. 99. Diese Lehre schrieb Horn (Philosophia moralis [s. Anm. 45], l.3 c.1 n.10) ausdrücklich dem italienischen Philosophen Francesco Filelfo (1398–1481) zu, vermutlich aufgrund seines Werkes De morali disciplina. Venedig 1552. Horn sagte dagegen: »Potentia animi est formalier et primo libera, id est, ita indifferens ad hoc aut illud faciendum vel omittendum, ut ea etiam, quae intellectus proponit tamquam bona, acceptare aut non acceptare possit [...]. Ex his constat, virtutem in electione positam esse«. Die moralischen Erkenntnisse können nicht wie die theoretischen auf den Unterschied von »wahr« und »falsch« zurückgeführt werden (ebd., l.3 c.4 n.22). Schon Horn argumentierte, daß ohne diese Voraussetzung Gesetze, Zurechnung und Strafen sinnlos seien. Ausführliche Diskussion, z.B. bei Valentin Crüger: Collegium Ethicum, in quo selectiores Philosophiae moralis quaestiones [...] breviter et perspicue tractantur et ad seriem X librorum Ethices Nichomachi Aristotelis accomodantur. Frankfurt a.d.O. 1655, Col. 6 c.2 und c.3 in Auseinandersetzung mit den »Coimbricenses« und mit Thomas von Aquin: Es gebe weder eine Herrschaft des Intellekts noch eine Herrschaft des Willens, »mutuus respectus et obligatio inter intellectum et voluntatem [...] nullum etiam umperium alterutri facultati seorsim sumptae, sed toti homini, intellectu et voluntati contenti, competit«; Berufung auf Horn.

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Spielraum ihrer Möglichkeit zu seinen eigenen Zwecken schaffen: Die Eudämonie ist nicht gegen die Natur, aber sie ist grundsätzlich »artificialis«, ein Geschaffenes des Menschen. Das spezifische Vermögen der Vernunft dafür ist die Klugheit (prudentia). Die Eudomänie ist also kontingent, wandelbar, abhängig von vielen Faktoren, die aber die Willensfreiheit niemals völlig aufheben, solange Vernunft und Wille »gesund« sind. Aufklärende Lehren (doctrina), Erziehung, Gesetze, Gewohnheit und Übung, vor allem die Erfahrung des Handelns selbst sind Hilfsmittel zu dieser Eudämonie. Die Eudämonie unter diesen Bedingungen soll eine »höchste« sein, d.h. sie muß durch sich selbst (per se) gut sein, nicht als Instrument für den Erwerb anderer Güter wirken, und der Mensch muß im Streben nach ihr »autark« sein, von niemandem und nichts außer sich selbst abhängig. Die Aristoteliker fanden, daß das Glück und damit die Bestimmung des Menschen in den Handlungen (operatio, actio) selbst liege,67 die vom frei wählenden Willen so bestimmt werden, daß sie die komplexen Strebungen als ein geordnetes Gefüge verwirklichen und dabei auch deren externen Verwirklichungsmöglichkeiten gerecht werden. Wie immer aber diese beiden Voraussetzungen im Handeln erfüllt werden und erfüllt werden können – solange irgendeine Möglichkeit freien Handelns vorhanden ist, ist auch die Möglichkeit des Glücks gegeben und damit der Lebenssinn. Die Bereitschaft zu Handlungen in diesem Sinne werden als »Tugenden« (virtutes) bezeichnet. Das leitende Formalprinzip der »wählenden Vernunft« (habitus electivus) war bekanntlich in der Ethik des Aristoteles die Suche nach dem »Mittleren« in der Verwirklichung der Strebungen und Affekte, nachdem, was der Harmonie und dem Maß entspricht. Sie soll ein »königliches Regiment« über die nur in ihrer Unordnung und im Exzeß negativen Strebungen und Affekte ausüben, nicht eine tyrannische Herrschaft der Ausrottung und Abtötung, wie die Stoiker es fordern. Die »heroischen Tugenden« waren ein immer behandeltes Thema: Sie galten gerade nicht als vorbildlich, sondern als bedingt durch ungewöhnliche, »übermenschliche« Begabungen und Kräfte der jeweiligen Helden. Mit ihnen zusammen wurde oft auch ihr Gegenteil, die täuschend ähnliche »bestialitas« behandelt.68 Neben den Tugenden wurden auch die »bona fortunae«, die nicht ausschließlich von den eigenbestimmten Handlungen abhängigen Güter zum vollständigen Glück für notwendig gehalten, vor allem Gesundheit, Freiheit, ausreichender Besitz (sufficientia rerum), Ansehen und Handlungsmöglichkeiten (Ämter und Berufe). Die Eudämonie besaß also Stu_______ 67

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Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), l.1 c.7 n.51f.: »Virtutis enim actio est felicitas […]. Actionibus autem virtutis delectatur, si cuiusque iis se adsuefecerit, imo nemo honestus aut virtutis studiosus a quodam judicatur, qui ex rebus honestis et optimis voluptatem non capiat. Erit ergo et felicitas ea omnino non res optima tantum, sed et pulcherrima ac suasissima: haec enim non separata, sed conjuncta sunt«. Die »Glücksgüter« sind wichtig als Voraussetzungen und Instrumente tugendhaften Handelns. Jeder kann dieses Glück erreichen »cuiuscumque non deest facultas naturalis aliqua, quae ad parandam doctrinam et virtutem necessaria est« (n.56). Vgl. C. Martini: Disputationes (s. Anm. 46), D.6 n.5: »Nemo enim bonus vel malus dicitur propter opinionem, sed propter electionem«; richtige Meinungen garantieren nicht die Wahl des Guten. Bestialitas z.B. bei Cahlen: Medulla (s. Anm. 49), S. 291–297.

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fen, Grade der Vollkommenheit, obwohl als Kern das freie »tugendhafte« Handeln galt: Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.69 Daß der Mensch in seinem Handeln stets durch äußere Ereignisse und Faktoren begrenzt wird, daß er vom Schicksal abhängig bleibt und auch wie alle Lebewesen von den Lebensprozessen und von der Sterblichkeit, wurde ausdrücklich als Faktizität der »conditio humana« angesprochen und hingenommen. Die Handlung selbst, nicht wie die Stoiker sagen, die »Gesinnung« (habitus, intentio) zum richtigen Handeln (Gesinnungsethik) ist das Ziel; die »Klugheit« muß deshalb auch Mittel, Umstände und Wirkungen mit in ihre Überlegungen einbeziehen, die Handlung selbst ist körperlich-konkret und wirkend, der Erfolg ein wesentlicher Bestandteil, wie sich z.B. in der »justitia« zeigt. Die Handlungen und Tugenden werden gegliedert nach ihrem Zusammenhang mit den unterschiedlichen Strebungen des vernunftbegabten Lebewesens und entsprechend hierarchisiert. Die Selbsterhaltung und die Selbstliebe besaßen eine wichtige Stelle, aber sie galten weder, wie Epikur vorgeworfen wurde, als die einzigen Strebungen noch als die alleinige Quelle der Eudämonie. Die Reduktion auf Selbsterhaltung in der Ethik wie in der Politik gilt als eine Verarmung des Menschen gegenüber der Konzeption des »bene et beate vivere«. Die Aristoteliker fanden vor allem, daß die Handlungen und Tugenden in zwei Gruppen zerfallen: in jene, die unmittelbar nur zur Eudämonie des Einzelnen führen, und in solche, die gleichzeitig auch das Wohl anderer Menschen zum unmittelbaren Ziel haben.70 Die letztgenannte Gruppe wird unter dem Begriff der »justitia« zusammengefaßt, der auch die Tugenden der »conversatio«, des Umganges (homiletische Tugenden), zugeordnet werden. Die »justitia« ist jene Handlungsweise, die das dem einzelnen Menschen strukturell notwendige Verhältnis zu anderen Menschen aufrecht erhält und fördert, sie entspricht als Handlungsund Tugendtypus der anthropologischen Kategorie »socialitas«. Im Gegensatz zur scholastischen Tradition wird die »justitia universalis« ausschließlich in bezug auf die Gesamtheit der Gesetze und Sitten des jeweiligen Gemeinwesens definiert. Die »justitia particularis« betrifft dagegen das »suum cuique tribuere«, den einzelnen Anderen; sie wird im Anschluß an Aristoteles entsprechend den Notwendigkeiten bestimmter sozialer Situationen (z.B. Kauf und Tausch einerseits, Verteilung von Strafen und Ämtern andererseits) in »arithmetische« und »geometrische« Gerechtigkeit, in »justitia communitiva« (Prinzip der Gleichheit) und »justitia distributiva« (Prinzip der individuellen Wertranges) unterteilt. Bei Aristoteles kommt das Streben nach personaler Autonomie bekanntlich in _______ 69

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Dieses Schlagwort z.B. ebd., S. 52; ebd., S. 54: »Fortunae casus beatitudinem civilem hominis aufere nequeunt«. Horn: Philosophia moralis (s. Anm. 45), l.3 c.11 n.3: »Nudae virtutis officium est possessorem reddere virum bonum simpliciter, justitiae universalis efficere,ut idem virtute sua aliis et totae reipublicae prosit«. Er fügt aber sofort hinzu: »Etsi enim ipsa vox virtutis respectum ad subjectum, cui inest, potius quam ad quidquam aluid extra illud involvit, virtus tamen nulla est, quin ob bonum publicum tendat. Ratio in promptu est: cum enim homo ipse natura sit animal sociale, et tum demum felicitatem vitae huius consequatur, cum in civitate vivit, imo cum unum idemque bonum sit unius hominis et totius civitatis«.

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der alle Notwendigkeiten und Möglichkeiten des animal rationale et sociale erfüllenden autarken Polis zum Abschluß. Diese Gerechtigkeitslehre beanspruchte auch, Grundlage der Jurisprudenz zu sein. 2.4. Während vor allem an den reformierten Akademien unter dem Einfluß des Ramismus die Tendenz bestand, die grundsätzlichen Differenzen zwischen den philosophischen Disziplinen durch ihre Unterwerfung unter die formalen Gesetze des Argumentierens zu nivellieren, um sie in ihren Prinzipien und Kategorien desto unmittelbarer an die jeweiligen Sonderheiten der Disziplinen und ihrer Sachorientierung zu spezialisieren, wurde im Wissenschaftssystem des Aristotelismus die ontologisch, d.h. durch das Wesen der jeweiligen Erkenntnisobjekte begründete Unterschied zwischen den theoretischen und praktischen Disziplinen aufrecht erhalten, der sowohl in der Art der Erkenntnisgewißheit (necessarie – probabilis) als auch in ihrem systematischen Aufbau (ordo syntheticus – ordo analyticus: finis, subjectum, media) bestand. Gemeinsam war den Disziplinen der strenge Empirismus, die Ablehnung aller »eingeborenen Ideen« und der Ausgang aller Erkenntnis von der »tabula rasa« – gleichzeitig aber auch ein Optimismus, durch Erfahrung und Denken die selbstevidente Prinzipien des Seienden erkennen zu können. Allerdings war dieser Optimismus relativ: Ein Prinzip des »Guten«, d.h. der Ethik, gibt es nicht, es gibt nur das den einzelnen Handlungsbereichen und individuellen Handlungen jeweils spezifische »Gute« (das »bonum« ist immer Akzidenz, niemals Substanz). Auch diese Annahmen begründen, daß die Ethik immer nur zu wahrscheinlichen Erkenntnissen gelangt. Allerdings wurde dieses grobe Schema schon bald differenziert, u.a. durch die Anerkennung notwendiger Zusammenhänge auch zwischen an sich kontingenten Gegenständen der Erkenntnis (scientia suae ordinis, s. oben, Anm. 62), durch die Unterscheidung des Zusammenhanges zwischen erkannten Sachverhalten und der didaktischen Darstellung dieser Erkenntnisse, ausgehend von der aristotelischen Unterscheidung des »Ersten« im Gang der menschlichen Erkenntnis vom »Ersten« im ontologischen Zusammenhang, sowie durch die Anwendung verschiedener Wissenschaftsformen in den Teilbereichen der praktischen Disziplinen (in Anlehnung an die Gliederung der Medizin in Physiologie und Therapie). So wurde bald die Gliederung in einen allgemeinen, theoretischen Teil und einen speziellen, praktischen üblich (z.B. unter den Begriffen Eudaemologia – Aretologia) und verdrängte den »ordo analyticus«. Hartnäckiger hielt sich die Anwendung der allgemeinen Kategorien der aristotelischen Logik, vor allem auch die vier Arten der Ursachen mit ihren weiteren Differenzierungen, die logischen Schlüsse als Beweisverfahren usw., so daß die Darstellungen oft den Eindruck scholastischer Subtilitätsspielerei erwecken. Vor allem die Unterscheidung der »wahrscheinlichen« Erkenntnis der aristotelischen Ethik von dem analogen, aber negativ wertenden Begriff der »opinio« in der Stoa und der auf die »Adiaphora« oder die Wahl der Mittel begrenzte »wahrscheinliche« Erkenntnis in der Gesetzesethik blieb ein ständig diskutiertes Problem. Am hartnäckigsten hielt sich die Unterscheidung zwischen der »Philosophia practica generalis«, der »Ethik« einerseits und den besonderen Teilen der prak-

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tischen Philosophie, der Oeconomia und der Politik. Diese Gliederung war deshalb leicht mißverständlich, weil die Ethik nicht nur die allgemeinen Grundlagen enthielt, sondern auch die besonderen Tugenden des Handelns mit dem Ziel der individuellen Eudämonie, allerdings nicht wie in der Naturrechtslehre seit Hobbes konstruiert aus dem »natürlichen« Menschen außerhalb der Gesellschaft bzw. des politischen Gemeinwesens, sondern, wie das Beispiel der Tugenden der »justitia« und der des »decorum« zeigen, immer als »homo socialis«. Ökonomie und Politik befaßten sich dagegen mit Handeln, dessen unmittelbares Ziel das »bene et beate vivere« des »Hauses« insgesamt bzw. des Gemeinwesens ist, Handlungsbereiche, die im übrigen als diejenigen betrachtet wurden, in denen sich die Tugenden und damit die Eudämonie des Individuums am breitesten entfalten können. Nicht nur die Entwicklung der »Politica«, sondern auch der »Ökonomie« als Lehre vom »gesamten Haus« und vom »adligen Landleben« (Otto Brunner) zeigt die enge Verbindung von Aristotelismus und Adel. Die Angaben zur Politik in der »Ethik« waren allerdings meist reduziert auf Regeln für den Untertanen und für die drei Funktionsträger politischer Herrschaft, des Herrschers bzw. des Magistrats, des Richters sowie des Teilhabers an Beratung und Entscheidung (consiliarius), außerdem auf allgemeine Regeln für die Ziele des Staates, nämlich daß er nicht nur der Erhaltung von Frieden und Recht dienen soll, sondern auch für das »gute und glückliche Leben«, d.h. sowohl ein Tugend- und Erziehungsstaat ist als auch ein Staat der wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt. Zur »Politica« als spezielle und weitgehend autonome Disziplin des Aristotelismus standen diese Ausführungen in einem erheblichen Spannungsverhältnis; jedenfalls war die Politica keine Tugendlehre für Regenten. Die Differenzierung kommt in der Unterscheidung des »guten Bürgers« vom »guten Menschen« zum Ausdruck: Die Ethik behandelt den »guten Bürger« insoweit, als er gleichzeitig ein guter Mensch sein soll, für die Politica sei die Identität des guten Menschen und des guten Bürgers ein fast utopischer Sonderfall. 2.5. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, das man die hier skizzierte Ethik keineswegs mit einer »bürgerlichen« Tugendlehre verwechseln darf: Die Ausführungen über das Simulieren und den klugen Umgang mit der Wahrheit, die taktischen Betrachtungen über zweckmäßiges Verhalten in verschiedenen gesellschaftlichen Situationen, aber auch die Arten und Notwendigkeiten des Erwerbs von Reichtümern, die genauere Unterscheidung zwischen Moralität und Legalität (bona facere et bene facere),71 die Analysen der Faktoren, die die _______ 71

Horn (s. Anm. 45), S. 432; Disp. 2 n.28: Zu unterscheiden sei: »agere ea quae bona sunt et bene agere; item quae justa sunt et juste agere: bona enim et justa dicuntur omnia, quae boni et justi agunt. At bene vel juste agere non tantum est ista agere, sed et ita agere, ut boni vel justi agent«; er unterscheidet S. 432 gute Handlungen unter Zwang und aus freier Wahl. Cahlen: Medulla (s. Anm. 49), S. 249: »Multum enim differunt justa agere, quod solum actum notat, et juste agere, quod habitum importat. Quia quod justum est, etiam puer et mente captus temere vel fortuito quis potest agere, qui proptea non agunt juste, quia non diriguntur a recta ratione«.

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Entscheidungsmöglichkeiten und Willensfreiheit einschränken bzw. aufheben, die Reflektionen über das Verhältnis von Zielen und Mitteln – alles dies spricht für einen hohen Stand realistischer Nüchternheit, die man allerdings nicht in jedem der vielen Schulbücher suchen darf. Für eine Zusammenfassung muß noch einmal auf den spezifischen Humanismus (im materialen Sinne) der aristotelischen Ethik hingewiesen werden, die vor allem in der durchgehenden Polemik gegen Platonismus und Stoa hervortritt: Es geht um die eigenständige Würde des körperlichen, sozialen, mit Erkenntnisvermögen und dem Vermögen zur freien Entscheidung über seine Handlungen ausgestatteten Lebewesen Mensch und dessen handelnde, sinnvolle und als Glück erfahrende Lebensgestaltung im Diesseits unter realistischer Hinnahme der »conditio humana« mit ihren Endlichkeiten und Abhängigkeiten, eben um das, was dem Menschen eigentümlich ist – gegen die Degradierung seines Lebens zum Instrument der Vernunft oder des Geistes bzw. zum Übergang zur wahren Existenz im Jenseits. Auch die Behauptung gegen die Theologie war nicht nur die Verteidigung der Vernunft gegen die Offenbarung, sondern mehr noch gegen die Unterordnung der Würde und des Glücks des Lebens im Diesseits unter die nur im Jenseits verwirklichten Forderungen des christlichen Gottes. Deshalb der absolute Vorrang der praktischen Philosophie, deshalb der Optimismus, der Mensch sei »capax felicitatis civilis«. Dieser radikale Humanismus sucht sich abzusichern durch die scharfe Trennung der »zwei Reiche«, der Vernunft und der Offenbarung. Aber ihr fehlten die vermittelnden Glieder ebenso wie die spezifische Innerlichkeit der »fiducia« und der »pietas«. Die Renaissance der aristotelischen Ethik, die nicht im Sinne einer platonischen Metaphysik interpretiert wurde, rekonstruierte eine säkulare Anthropologie. Sie widersprach der »natürlichen Vernunft« vieler Zeitgenossen, die Grundaxiome der christlichen Tradition als evidente Erkenntnisse in sich aufgenommen hatten. Die sogenannte »Scholastik« des Aristotelismus ist jedenfalls in der Ethik weitgehend der Versuch, durch philosophische Bedeutungsanalysen, logische und ontologische Differenzierungen sowie gelehrte Topologie zu einer eklektischen Aufnahme oder zumindest Verbindung zu den theonomen Elementen (lex naturae als recta ratio und lex Dei, imago Dei, Prinzipien als semina, Tugenden als Pflichten, honestum als Vermittlung zwischen der Klugheitsregel der öffentlichen Anerkennung und dem Begriff der »Pflicht« usw.) dieser verchristlichten Vernunft zu gelangen, eine Tendenz, die schon allein der akademische Zusammenhang von Philosophie und Theologie herausforderte. Schon bei dem Statthalter des Helmstedter Aristotelismus in Wittenberg, bei Jacob Martini, ist diese Tendenz zu beobachten, ja in begrenztem Maße schon bei Conrad Horn.72 Trotzdem blieb die aristotelische Ethik für _______ 72

Ein Kompendium aller bekannten Argumente und Traditionen erstrebte Wolfgang Heider: Philosophiae moralis syntagmata. Jena 1629. Vorausgegangen war sein ebenso enzyklopädisches Werk Philososophia politicae syntagmata. Jena 1628. – Heider (1558–1626), aus einem thüringischen Dorf stammend, erhielt seine Schulbildung in Magdeburg und Hildesheim, studierte in Jena und wurde dort 1587 Professor für Ethik und Politik. Ein ähnliches Werk verfaßte Valentin Crüger: Collegium ethicum, in quo selectiores philosophiae moralis quaestiones [...] breviter et perspicue tractantur et ad seriem decem librorum ethices Ni-

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die »Ethica christiana« immer ein gefährliches Stück Heidentum – Spener kanonisierte diese Auffassung.

3. Theonomes Naturrecht 3.1. Die zentrale Kategorie der philosophischen Ethik Melanchthons war »Lex naturae«, das Gebot Gottes, des Schöpfers, Herrschers und Richters der Welt für den Menschen in seinem diesseitigen Leben. Ihre Prinzipien seien, wie die der theoretischen Erkenntnisse und anderer Fähigkeiten des Menschen, als »Samen«, d.h. als ermöglichende Prinzipien der empirischen Erkenntnis (nicht wie im Platonismus73 als Axiome der Deduktion) wie »Strahlen des göttlichen Lichts« und wie Teile der in seiner Totalität zerstörten Ebenbildlichkeit in der gesunden Vernunft jedes Menschen vorhanden und forderten ihre Anwendung, primär um der Heiligkeit Gottes, sekundär um der positiven Folgen willen, vor allem der Erhaltung des gesellschaftlichen Lebens, auf das die Menschen angewiesen sind bzw. um die Wirkungen des Ungehorsams, die Zerstörung der gesellschaftlichen und individuellen Lebensmöglichkeiten, z.B. der Gesundheit, sowie die besonderen Strafen Gottes zu vermeiden, tertiär zur Erkenntnis der moralischen Unvollkommenheit des Menschen als Vorbereitung zur Vermittlung des Offenbarungsglaubens. Theologisch war diese Naturrechtslehre notwendig zur Verzahnung der natürlichen Vernunft mit den Offenbarungslehren vom Sündenfall und von der Wiederaufnahme des Menschen in die Gemeinschaft mit Gott durch den Glauben an die Rechtfertigung. Obwohl die mit dieser Lehre verbundene Anerkennung einer relativen Autonomie der Vernunft allgemeines Prinzip protestantischer Theologie war, erfolgte die Fortentwicklung dieser spezifischen Konzeption vor allem, aber nicht ausschließlich,74 durch reformierte Philosophen, im besonderen auch mit der Aufnahme der bewußten Eklektik, die oft mit scharfer Kritik an der dominierenden Autorität des Aristoteles, z.B. gegen das Fehlen der »pietas« als Tugend und der Norm des Mittleren verbunden war, und zugespitzt durch das Verständnis des Wirkens in der Welt nicht nur als Handeln in der Schöpfungsordnung, sondern darüber hinaus zum »Ruhm Gottes« (gloria Dei) und zur Wiederherstellung der »imago Dei« _______

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comachi Aristotelis accomodantur optimarumque autorum tam veterum quam recentiorum sententiis illustrantur. Frankfurt a.d.O. 1655. Neben Lehrbüchern, Dissertationen und Kommentaren gehörten derartige Kompendien zu den typischen Gattungen der späthumanistischen »Scholastik«. Meines Erachtens betont Frank (s. Anm. 23) durchgehend zu sehr den platonischen Einfluß bei Melanchthon; jedenfalls wurde er von seinen Zeitgenossen nicht in dieser Weise wahrgenommen. Vgl. Balthasar Meisner (s. Anm. 27) und Martin Chemnitz: Loci theologici. 1. Aufl. Wittenberg 1554, hg. von Polycarp Leyser ebd. 1591, P.2 mit den Kapiteln »De lege Dei« und »De lege naturae«. Es war jedoch für die lutherischen Autoren charakteristisch, daß sie stärker im Sinne der »Ethica christiana« mit dem Dekalog argumentierten, z.B. Nikolaus Hemming: De lege naturae methodus apodictica. Wittenberg 1568, in der Auseinandersetzung mit Grotius (s. Anm. 127) mit der »caritas ordinata«, für die subjektive Begündung des Naturrechts mit dem »status integritatis« (s. Anm. 20).

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im Menschen durch Vernunft und Philosophie im Diesseits analog zu ihrer Wiederherstellung durch die Offenbarung in seinem Verhältnis zu Gott.75 Zusätzlich einflußreich war die »Föderaltheologie« als Theologie der Wiederherstellung der »Freundschaft« Gottes mit den Menschen.76 Diese analoge Konzeption war anderer Herkunft, sie kam vor allem von Zwingli und seinen Schülern. Als einflußreichste klassische Autorität wirkte, wie schon bei Melanchthon, Cicero: Er galt als wichtigste Autorität für die Verwandlung der Tugend- in eine Pflichten- und Gesetzeslehre (vivere secundum legem), wie es die theonome Ethik des natürlichen Gesetzes erfordert. Seine moralphilosophischen Konzeptionen wurden Allgemeingut, z.B. die Verbindung von lex naturae, sana ratio, experientia universalis und consensus omnium, die Orientierung am römischen Recht und an der Rechtswissenschaft, das Gewissen als Stimme Gottes, der Begriff »honestum«, d.h. des durch Anerkennung der Menschen begründeten bzw. bestätigten moralisch »Richtigen«, die Unterscheidung von »honestum«, »utile« und »suave« bzw. »commodum« sowie die Ablehnung der stoischen Affektenlehre (Ausrottung der Affekte) _______ 75

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Für Melanchthon vgl. Frank: Die theologische Philosophie Melanchthons (s. Anm. 23), S. 102–111 und 196–198. – Das Argument der Wiederherstellung der »imago Dei« im Menschen bzw. des Menschen als »imago Dei« ist in der protestantischen Philosophie und Theologie grundlegend und weit verbreitet, aber es bedarf der Untersuchung seiner verschiedenen Varianten. Eine selbständige Funktion in seiner Wiederherstellung neben der Offenbarung wird oft der Philosophie und den Wissenschaften zugesprochen, z.B. von Johannes Althusius: De utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, in: ders.: Politica methodice digesta. 3. Aufl. Herborn 1614 (ND Aalen 1981), S. 971; Caspar Pfaffrad: De studiis 1598 (s. Anm. 105), S. 46: »Institutio homini est dicata, ut integritati eum restituat, vitaeque huic aptum reddat«; der spirituelle Defekt wird durch die Offenbarung und Gott unmittelbar geheilt, die »restitutio naturalis« ist dem Menschen selbst anvertraut. Ähnlich wie Althusius und Pfaffrad auch der Lutheraner Scheuerl: Bibliographia (s. Anm. 30), S. 170: »Quod tollit istas tenebras [des Sündenfalls] id merito utrique lumen appellatur. Unde ipsa etiam sciptura duplicem facit tenebras: una vitiarum seu peccatorum, altera ignorantiae et erroris«; die erstgenannte Finsternis heilt die Offenbarung, der Mensch selbst durch seine »reliqua naturalia« heilt die Irrtümer, auch in der Erkenntnis Gottes; der lutherische Jurist und politische Philosoph Christoph Besold schrieb: »Omnes quidem artes, scientiae et disciplinae eo unice tendunt, ut, quantum fieri potest, illud iterum recuperamus, quod generi humano abstulit primarum parentium casus« (Besold: Politica doctrina. 6. Aufl. Amsterdam 1648, Praecog. S. 10); Paul ab Eitzen: Ethica (s. Anm. 17), l.2 c.1; J. Martini: Vernunftspiegel (s. Anm. 21), S. 290–305, 897 u.ö. Die Konzeption der »imago Dei« spielt bis in die Philosophie der Aufklärung (Christian Wolff, Christian August Crusius) eine wichtige Rolle; sie war grundlegend für die Konzeption der »dignitas hominis«, der Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung. Die orthodoxe Theologie der Lutheraner kannte nur das »Bild Gottes« im Menschen durch die Rechtfertigung. Vgl. Caspar Olevian: Der Gnadenbund Gottes. Herborn 1590 (ND Köln 1994), S. 4: »Auf daß wir gewiß und versichert werden, daß ein beständiger ewiger fried und freundschaft zwischen Gott und uns gemacht sey, durch das opfer seines Sohnes: So vergleichet Gott den Handel unserer seligkeit einem bund und zwar einem ewigen bund«; dies bedeute, »daß Gott aus dem gantzen Menschlichen Geschlecht ihm ein volck, welches es zuvor auß gnaden erwehlt, schaffen will [...], also daß dieß meisterstück der neuen schöpfung der Kirchen weit übertreffen sol das erste Meisterstück Gottes, nemlich die erste schöpfung des Menschen im Paradeiß« (S. 131), wenn auch auf Erden nur »der anfang der erneuerung zum ebenbild Gottes« (S. 135) geschieht.

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zugunsten der aristotelischen (Lenkung der Affekte) sowie die Ablehnung der stoischen Konzeption, der »habitus« sei das moralische Gut: vielmehr sei es mit Aristoteles die »actio virtutis«. Zum Ziel der Ethik gehöre nicht nur die »intentio constans«, sondern auch die moralische Beurteilung der »Mittel« (media), nicht nur das Ziel (terminus ad quem), sondern auch die Wirkung (terminus a quo). In diesem Zusammenhang wurde auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel als Norm formuliert.77 Auf der Grundlage dieser Prinzipien entstanden unter Aufnahme neuer, wirklichkeitsnaher Probleme und mit unterschiedichen Gliederungen viele Werke, z.T. auch mit gegensätzliche Lösungen in grundsätzlichen Fragen, z.B. bei dem Problem, ob eine auch für Gott verbindliche »Vernunft« oder seine »willkürliche« Gesetzgebung, d.h. für den Menschen, ob die ihm immanente »ratio« oder die Erkenntnis eines ihn tranzendierenden Gesetzes der Ursprung der moralischen Prinzipien sei. Insgesamt verschob sich zunehmend das Gewicht auf die Eigenständigkeit der natürlichen Ethik, ohne daß doch ihre vorbereitende Funktion für die »beatidudo spiritualis« und deren selbständige Ausarbeitung entwertet wurde. Als Werke dieser Richtung möchte ich hier beispielhaft die Ethik des Johannes Riger (1589)78 und des Nicolaus Reusner (1590)79 nennen, die noch überwiegend an Cicero orientiert waren, dann für die Stufe ihrer vollen Entfaltung die einflußreiche Ethik des Abraham Scultetus (1593),80 die Biographia ethica des Otho Casmann (1602),81 Philo_______ 77

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Alsted: Ethica (s. Anm. 83), c.3 r.1: »Necesse est ut intentio finis et inventio mediorum sunt homogenae. Nam debet esse proportio inter finem et media«. Johannes Riger: Ethicorum libri duo, quibus vera bene vivendi ratio continetur. Frankfurt a.M. 1589. Das Buch ist dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt Nordhausen gewidmet. Nicolaus Reusner: Ethica philosophica et christiana cum accessit Politicarum Disputationum libellum singularius. Jena 1590. Das Werk enthält neben den Thesen von Joachim Camerarius für den Aristotelismus (s. Anm. 41) auch einen Auszug aus einem Werk von Marsilius Ficino unter dem Titel: »Quae sit ad felicitatem via accomodatissima apud Platonicos«. In der auch weiterhin eklektischen Darstellung wird die Entscheidung zwischen den Autoritäten meist unter Berufung auf Cicero getroffen. Wie bei J. Riger spielt das Argument von der »imago Dei« keine Rolle, umso mehr die Gleichsetzung von Naturgesetz, Vernunftgesetz und Gesetz Gottes. – Reusner (1545–1602) verband in exemplarischer Weise die Tradition des ethisch-rhetorischen Humanismus mit der typischen Laufbahn eines gelehrten Juristen. Als Sohn eines Arztes aus Ungarn in Lemberg (Lwow) geboren, erhielt er seine Schulbildung im schlesischen Goldberg und in Breslau, studierte 1560 bis 1565 in Wittenberg – mit kurzer Unterbrechung in Leipzig – , zunächst Medizin, dann Jurisprudenz. Um fürstliche Mäzene für seine rhetorischen Fähigkeit bemüht, erhielt er 1566 eine Stelle als Lehrer, dann Rektor am Gymnasium in Neuburg a.D. Nach seiner Promotion zum Dr. jur. in Basel 1583 nahm er eine entsprechende Professur in Straßburg, schließlich 1589 in Jena an, wo er auch am Hofgericht, als Anwalt für Reichskammergerichtsprozesse und in diplomatischen Missionen wirkte. Neben zahlreichen juristischen Dissertationen, Sammelwerken (s. Anm. 36) und Lehrbüchern publizierte er Gedichte, Eklogen für Fürsten, Städte und Landschaften, historisch-geographische Sammlungen zu Ereignissen der zeitgenössischen Politik und Emblemeta. Seine Ethica soll trotz der späteren Veröffentlichung aus seiner Lehrtätigkeit am Gymnasium entstanden sein. Vgl. Anm. 36 und 41. Abraham Scultetus: Ethicorum libri duo. Leiden 1593, Oberursel 1603, Straßburg 1614. – Scultetus (1566–1624) war in Grünberg in Schlesien geboren, studierte in Wittenberg und seit 1590 in Heidelberg, wurde dort Pfarrer, Hofprediger des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, den er auch 1612 nach England begleitete, erhielt 1618 eine juristische Professur

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sophia practica von Clemens Timpler (1608)82 sowie das Buch 21 »Ethica« der Encyclopedia des Johannes Heinrich Alsted (1630),83 der sich besonders nach_______

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in Heidelberg und nahm an der Synode in Dordrecht teil. Als Rat des Kurfürsten spielte er eine wichtige Rolle in der reformiert-antikatholischen Unionspolitik und bei dem Eingriff des Kurfürsten in den böhmischen Ständekonflikt. Nach der Niederlage bei Prag 1620 flüchtete er nach Emden, wo er als Prediger im Exil bis zu seinem Tod blieb. Er veröffentliche zahlreiche Werke zur Kirchengeschichte, Dogmatik und Homiletik. Seine Ethik ging aus seiner Tätigkeit als Hofmeister schlesischer Adelsöhne hervor. Der reformierte Theologe Johannes Piscator stellte ihr die folgenden Verse voran, die Anspruch und Rezeption des Werkes charakterisieren: »Cedat Aristotelis, cedat doctrina Platonis / Ethica Sculteti ter meliora docet. / Nec solum meliora docet, sed et ordine recto. / Nimirum quantum praecellunt sacra profani / Tanto est quam veterum celsior liber. / Et veluti corpus reddit symmetria pulcrum / Sic pulcrum huncce librum justa facit methodus.« Otho Casmann: Biographia ethica sive de vita hominis morali ac honeste, quam homo vi virtute vivit. Diese Ethik ist der zweite Teil des Werkes Biographia sive de vita hominis. Frankfurt a.M. 1602 (S. 111–214). Der erste Teil heißt Biographia sive de vita homini naturali (S. 1–108), der dritte Teil Biographia oeconomica sive de vita oeconomica et collegiali (S. 217–318), der vierte Teil Ethica theosophia methodice ex divinis sapientiae fontibus deducta ac conscripta. Zugehörig sind außerdem eine schon 1594 veröffentliche Psychologia anthropologica sowie das Doctrinae et vitae politicum systema (ebd. 1603). Seine Naturwissenschaft und christliche Lehre verbindenden Schriften zur Physik und Kosmologie sind zusammenfaßt in Philosophia et christiana et vera (ebd. 1600). Casmann schrieb seit 1599 auch Erbauungsbücher (z.B. Homo novus sive spiritualis. Ebd. 1605), die in der reformierten Kirche eine ähnliche Funktion erfüllten wie das Wahre Christentum (1610) von Johannes Arnd in der lutherischen (Übersetzungen ins Englische und Französische). – Casmann (1562–1607) aus Warburg im Bistum Paderborn wurde von seinem Lehrer Rudolf Goclenius in Kassel zur reformierten Kirche bekehrt. Er studierte in Marburg und Helmstedt, lehrte seit 1579 am Gymnasium in Steinfurth und war seit 1594 Rektor des Gymnasiums in der aufblühenden Handelsstadt Stade, wo er auch als Prediger wirkte. Orientierend immer noch Dietrich Mahnke: Der Stader Rektor Casmann, in: Stader Archiv 1914, S. 142–190; Jürgen Bohmbach: Das Stader Gymnasium in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: 400 Jahre. Geschichte des Athenaeums. Stade 1988, S. 30f. Clemens Timpler: Philosophiae practicae systema methodicum. Prima pars completens Ethicam generalem libri IV pertractum. Hanau 1608. – Timpler (1567–1624) stammte aus Stolpe bei Leipzig, studierte seit 1580 in Leipzig (1589 Magister) und wurde von dort unter dem Vorwurf des Calvinismus vertrieben. Nach einer Lehrtätigkeit am Collegium Casimirianum in Heidelberg Professor am Akademischen Gymnasium in Steinfurth. Er veröffentlichte ein vollständiges System der Philosophie; berühmt wurde vor allem seine Metaphysik. Seine Philosophia practica ergänzt er durch eine Oekonomik und einen Pars tertia et ultima completens politicam integram libris V pertractum (Hanau 1611), der an Althusius’ Politica orientiert ist. Zu Timpler vgl. die Monographie von Joseph S. Freedmann: European Academic Philosophy in the Late Sixteenth and Early Sevententh Centuries. The Life, Significance and Philosophy of Clemens Timpler. Hildesheim 1988. Johann Heinrich Alsted: Ethica, in: ders.: Encyclopaedia. Herborn 1630 (ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1989), Bd. 3, l.21, S. 1235–1385. Thematisch zugehörig sind aus l.25 Theologia die Sectio I: Theologia naturalis (S. 1555–1565), S. VII: Theologia moralis (S. 1684– 1690), S. III: Theologia didactica, enarrans loca communes theologiae, u.a. Loc. XII: De imagine Dei in homine, Loc. XIII: De foedere naturae, Loc. XIV: De libero arbitrio, Loc. XVI: De lege; Loc. XVIII: De Magistratu, sowie die tabellarischen Übersichten zu den einzelnen Disziplinen, u.a. Loci communes philosophiae practicae (S. 1223f.). Das Buch 21 enthält auch eine Zusammenfassung des Enchiridion von Epiktet als »Einführung in die praktische Philosophie« (S. 1219–1222) sowie ein »Compendium Ethicae Aristotelis«. Buch 23 enthält die Politica (S.1388–1504) mit einem »Florilegium Politicum« (S. 1450–

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drücklich auf Melanchthon beruft, »Philomela illa Germaniae nostrae«. Nur am Rande sei erwähnt, daß sich Alsted gegen einen Vorschlag von Johannes Althusius wehren mußte,84 der als konsequenter Schüler von Petrus Ramus wie dieser die Metaphysik, so er jetzt die Ethik als selbständige Disziplin aufheben wollte mit dem Argument, daß ihre Materien entsprechend dem zweiten Grundsatz der ramistischen Dialektik, dem Gesetz der Homogenität der Argumente und Gegenstände (»lex justitiae«), in die Rechtswissenschaft, in die Politica und in die Theologie gehörten, wobei er der für Ramus charakteristischen Bevorzugung der sachnahen, auf das Konkrete gerichtete Spezialdisziplinen folgte. Nach Althusius, der einen großen Teil der traditionell zur Ethik gehörenden Probleme in seiner Politica (1. Aufl. 1603, 3. Aufl. 1614) als normative Wissenschaft vom Verhalten in allen Formen der Gesellschaft behandelt hatte, sollte als »Ethik« nur die Lehre vom angenehmen und zivilisierten Umgang (conversatio) verbleiben, der er schon 1601 eine selbständige Darstellung gewidmet hatte. Alsted folgte dagegen der von Thomas von Aquin eingeführten Variante der aristotelischen Erkenntnislehre, daß es unter verschiedenen Aspekten verschiedene Wissenschaften von den gleichen Gegenständen, z.B. von Gott und vom Menschen, geben könne und müsse. 3.2. Ohne auf die hermeneutischen Schwierigkeiten einzugehen, die Alsteds Enzyklopädie durch Gliederung, Absicht, Eklektizismus und Widersprüche zwischen den einzelnen Artikeln bereitet, möchte ich doch, von seiner Ethica dort ausgehend, auf einige typische Konzeptionen und Entwicklungen der Ethik des theonomen Naturrechts hinweisen. Alsted bezeichnete übrigens die Argumente dieses Artikels mehrfach als seine eigenen, im Unterschied zu den vieler anderen, ausschließlich berichtenden Artikel, z.B. dem konkurrierenden, jedoch sehr kurzen Beitrag über »Biographie«, d.h. »ars bene vivendi«, der unter dem Eindruck des Werkes von Otho Casmann am Schluß der Enzyklopädie zugefügt wurde. Die Ethik behandelt ausschließlich das diesseitige Leben. Im Unterschied zur »beatitudo spiritualis« der Theologie ist ihr Gegenstand die Bestimmung _______

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1504), Buch 35 als Sectio 29 die »Biographia« (Biographia generalis explicat vitae rationum et variae vitae genera). – Alsted (1588–1638) war im hessischen Dorf Ballersbach geboren, besuchte Schule und Universität in Herborn und wurde dort nach Studienaufenthalten in Marburg, Basel und Heidelberg 1608 Lehrer am Pädagogium, 1615 Professor für Philosophie und 1619 für Theologie; Teilnehmer an der Synode in Dordrecht 1618. Alsted verließ Herborn wegen der Kriegswirren 1629, um am Gymnasium in Weißenburg in Siebenbürgen zu lehren. Die Encyclopaedia schloß seine Beschäftigung mit Logik, Wissenschafts- und Methodenlehre ab. Schon zuvor hatte er eine Encyclopaedie der Philosophia christiana veröffentlicht: Triumphus Biblicus sive Encyclopaedia Biblica, exhibens triumphum philosophiae, jurisprudentiae et medicinae sacrae itemque sacrae theologiae, quantum illarum fundamenta ex sciptoribus sacris veteris et novi testamentum colliguntur. Frankfurt a.M. 1625. Über Alsted vgl. die Vorrede von Wilhelm Schmidt-Biggemann zum Neudruck der Encyclopaedie und die Bibliographie von Jörg Jungmayer dort (Bd. 1, S. V– XXXIII). Howard Hotson: J. H. Alsted. Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform. Oxford 2000. Alsted: Encyclopaedia (s. Anm. 83), l.21, S. 1237f.

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und das höchste Gut des irdischen Lebens. Der grundlegende Unterschied gegenüber der aristotelischen Ethik ist jedoch, daß im irdischen Leben unterschieden wird zwischen dem »summum bonum morale« und dem »summum bonum hominis«, d.h. seiner »felicitas«.85 Das höchste moralische Gut deshalb ist, nach dem göttlichen und natürlichen Gesetz zu handeln, die »felicitas terrena« folgt ihm »wie ein Schatten«. Von manchen Philosophen wird auch nach der »Tugendethik« (Aretologia) eine verselbständigte »Ethik der Eudaemonie« (Eudämonologia) dargestellt.86 Aristoteles wird vorgeworfen, nicht ausreichend zwischen dem vorrangigen Gesetzesgehorsam und dem Streben des Menschen nach seinem »Glück« unterschieden zu haben.87 Tugend ist der Gesetzgehorsam: »Nihil enim virtutum est aliud quam constans propositum vivendi secundum legem«.88 Sie besteht in und durch das »tugendhafte« Handeln (actio virtutis), deren Prinzipien als lex naturae Herz und Vernunft des Menschen eingeschrieben sind. Tugend wird bestimmt als dauerhafte Einstellung (habitus) verbunden mit dem Vermögen zu vernünftigen Entscheidungen des freien (indifferenten) Willens (recta ratio electivus). Die aristotelische Lehre von der indifferenten Willensfreiheit wird also übernommen, aber auf das Gesetz Gottes bezogen. Wirksam in der Vernunft sind die Erkenntnis des Gesetzes, das Gewissen als Richtspruch Gottes und das moralische Urteil. Die Tugenden werden zunächst gegliedert in »regierende« und »regierte«: Klugheit und »justitia universalis« sollen alle einzelnen Tugenden und ihre Handlungen lenken. Sie sind die höchsten Tugenden. Die regierten Tugenden beziehen sich auf das Verhalten zu Gott (pietas), des Menschen zu sich selbst und zu anderen (zusammengefaßt als probitas); außerdem gibt es »gemischte« Tugenden, d.h. dem Gesetz entsprechendes Verhalten, daß jedoch vor allem von natürlichen Gefühlen und Strebungen bestimmt ist: die Freundschaft, die Friedfertigkeit (concordia), die Freundlichkeit usw. Zur allgemeinen Ethik gehören auch die Regeln für die Äußerungen der Empfindungen (signa affectuum) in Rede und körperlichem Verhalten (veracitas, eulalia, taciturnitas, gravitas, civilitas, urbanitas, humanitas, usw.). Der Lehre von den Tugenden (Aretologie) folgt die Handlungslehre (Praxiologia) sowie die Ethica specialis, die Ethik für das Verhalten in den wichtigsten Institutionen. Alsted ergänzt hier die traditionellen Themen »Haus« _______ 85

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Scultetus: Ethicorum libri (s. Anm. 80), l.1 c.2: »Neque enim (quae multorum est opinio) idem sunt summus hominis finis et summum eiusdem bonum: sed latissimis haec duo limitibus discernuntur. Summus finis est vita ad virtutis normam instituta: summum bonum est praestantissima hominis conditio. Summum finis hominis in Deum reflectitur: summum bonum in homine ipso terminatur«. Scultetus behandelt im 1. Buch die Pflichtenethik, im 2. Buch das glückliche Leben (»beatitudo status sive conditio hominis est, qua ipsi bene est«), im 3. Buch die Affekte und ihre Beherrschung. Sein Schüler Markus Friedrich Wendelin: Philosophia moralis (s. Anm. 120), behandelte die »recta vita« auf 1149, die »vita beata« auf 150 Seiten. Clemens Timpler: Ethica (s. Anm. 82), definierte Ethik dagegen als »ars probe et honeste vivere« und schließt die »felicitas terrena« als unmittelbares Ziel ausdrücklich aus. Scultetus: Ethicorum libri (s. Anm. 80), l.1 c.2; Timpler: Ethica (s. Anm. 82), S. 85f.; Wendelin: Philosophia moralis (s. Anm. 120), S. 108f. Riger: Ethicorum libri (s. Anm. 78), l.1 c.3.

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(oeconomia) und Gemeinwesen (politica) durch Bildungswesen (scholastica) und Kirche (ecclesiologica). Die philosophische Ethik behandelt als erste »regierte« Tugend ausführlich die »Frömmigkeit« (pietas), die auf der natürlichen Theologie, der Erkenntnis Gottes (mit Gottesbeweisen) aus der Natur als seiner Schöpfung beruht.89 Alsted betont deshalb, daß die Ethik sich nicht nur, wie Melanchthon sagte, auf die »externa« bezieht, sondern auch auf das »innerliche« Handeln: der Unterschied zu der Innerlichkeit des Offenbarungsglaubens ist nur ein gradueller. Die breit entwickelte natürliche Frömmigkeit umfaßt außer der natürlichen Gotteserkenntnis die Pflichten der innerlichen Frömmigkeit (amor Dei, fiducia) und der äußerlichen Bezeugung des Glaubens; Alsted diskutiert in diesem Zusammenhang sowohl die psychischen Folgen des fehlenden Vertrauens in Gott (Verzweiflung, Zweifelsucht, Gleichgültigkeit) wie auch die Formen des Aberglaubens, u.a. den Machiavellis, der sein Vertrauen allein in die eigene Stärke und in die Lebenskraft der Menschen gesetzt habe. Es gibt also gewissermaßen eine Ketzerlehre der natürlichen Theologie. Durchgehend ist eine scharfe Polemik gegen die platonische bzw. stoische Vorstellung von der Vernunft als Teil Gottes bzw. der göttlichen Substanz zu beobachten. Vorrang hat das Handeln gegenüber der Erkenntnis, die Ethik vor der Metaphysik und vor der Physik. Die Vernunft wird instrumental verstanden: auch »Ideen« sind nur Hilfsmittel für die Wirklichkeitserkenntnis und das Handeln, sie besitzen keine substantielle Realität. Das Handeln, d.h. die Verwirklichung der menschlichen Möglichkeiten entsprechend dem Gesetz Gottes und der Vernunft ist die »conjugatio cum Deo creatore«.90 Das Erkenntnisstreben wird als Erkenntnis Gottes in seiner Schöpfung gefordert, aber als Teil der Lebenspraxis in die Ethik eingefügt, u.a. auch als Instrument für die mit der Ebenbildlichkeit verbundenen Herrschaft über die Natur zur Förderung des menschlichen Wohlergehens. Die breit behandelten »artes mechanicae« gehören zur Wiederherstellung der imago Dei.

3.3. Das wichtigste Element der natürlichen Theologie für die Ethik ist das Konzept des Menschen als »imago Dei« und seiner Erhaltung bzw. Wiederherstellung. Denn darauf bezieht sich der Gesetzesbefehl Gottes: Der Mensch wurde von Gott geschaffen, damit er ein Geschöpf hat, das er einerseits mit seiner Weisheit, Gerechtigkeit und Freude ausstatten kann, von dem er andererseits in seiner Größe und in seinen Tugenden erkannt und geehrt wird. Die Verwirklichung des Ebenbild Gottes im Menschen dient dessen Ruhm (gloria Dei), sie ist für ihn objektive Pflicht. Die Ebenbildlichkeit Gottes betrifft die _______ 89 90

Scultetus: Ethicorum libri (s. Anm. 80), l.1 c.7–12; Alsted: Ethica (s. Anm. 83), c.1 r.8. Alsted wandelt ebd., c.1 r.10 die »contemplatio Die« als höchste Seligkeit des Menschen für das geschöpfliche Dasein in moralisches Handeln: Die »moralis beatitudo« bestehe »in exercitio moralium virtutum, quod non potest non parare solidam laetitiam. Ita enim fit ut homo conjungatur cum Deo creatore, qui est finis omnium rerum. Istud excercitium est visio Dei Semperpatris jure creationis: et dicitur summum bonum non simpliciter sed secundum quid«.

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Gesamtheit des Menschen als vernünftiges, wollendes und körperliches Wesen: »Totus homo est subjectum virtutis: quia totus homo est subjectum felicitatis, quae orientur ex virtute«.91 Die indirekt, als Folge des tugendhaften Verhaltens entstehende »felicitas« besteht im Frieden der Seele (transquillitas animae) und in der Grundstimmung der »Fröhlichkeit des Herzens« (laetitia cordis im Gegensatz z.B. zur Melancholie). Die Konzeption der Ebenbildlichkeit bewirkt auch den ethischen Universalismus: Einerseits soll der Mensch sich selbst lieben und erhalten als Ebenbild Gottes: »homo debet amare Deum in se habitantem, hoc est humanitatem et honestatem«, andererseits gilt auch: »Proximum amare debemus quia est imago Dei; et quia qui proximumum non amat, nec Deum amat«.92 Konkret wird dieses Prinzip ausgedehnt auf Ketzer und Verbrecher, deren Taten zu bestrafen sind, die als Menschen aber ihre Rechte behalten sollen. Die Gerechtigkeit ist überhaupt unmittelbares Gesetz Gottes, für deren Prinzipien Alsted auf die bekannten Grundsätze des Ulpian zurückgreift, zugleich aber auch traditionell ihre Funktion für die Erhaltung der Gesellschaft betont. Die humanistische Tendenz der theonomen Naturrechtsethik zeigt sich besonders eindruckvoll in der breiten Entfaltung der »Rechtschaffenheit« (probitas) in einer Vielzahl einzelner »Tugenden«, wobei der Tugendbegriff sich unversehens erweitert zum allgemeineren Begriff der »Fähigkeit« und der Kompetenz. Es gibt eine kaum übersehbare Zahl von Tugenden. Das Verhalten zu sich selbst wird nicht nur durch die Selbstliebe (philautia), zu der auch die Selbsterhaltung gehört, normativ geregelt, sondern ihm werden auch als ordnende Kräfte gegenüber den unterschiedlichen Affekten und natürlichen Strebungen eine große Zahl weiterer Tugenden zugeordnet, u.a. das Maßhalten, die Wachsamkeit, das Streben nach Maß, Fleiß und Arbeitswille, Sparsamkeit und »Tapferkeit«, eine umfassende Tugend, deren Bereich von dem Streben nach Erhaltung der inneren Identität über die Zivilcourage bis zur Widerstandsfähigkeit gegen Versuchungen und gegen Gefahren ein Leib, Leben und Gütern gehört. Die Pflichten gegenüber anderen sind konzentriert im Begriff der Gerechtigkeit (justitia), die einerseits die aristotelische Kategorie der »justitia universalis« aufgibt und sich andererseits an den Formeln des römischen Rechts (alterum non laedere, jus suum cuique tribuere, honeste vivere) orientiert. Dann wird ihr aber eine große Zahl weiterer Tugenden, wie humanitas, gratitudo, officiositas, liberalitas, clementia, humilitas, concordia, amicitia, veracitas, jucunditas sermonis, gravitas, civilitas usw. zugeordnet, Pflichten, die insgesamt der Erhaltung und menschlichen Gestaltung des Zusammenlebens dienen. Alsted versuchte bereits, die Sphäre des Rechts im strengen Sinne von dem Bereich der anderen sozialen Tugenden abzugrenzen. Seine Tendenz zur Humanisierung der theonomen Naturrechtsethik zeigt sich weiter darin, daß in Ergänzung zu den »Pflichten« auch die Handlungsbereiche der utilitas, des _______ 91

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Ebd., c.2 r.1; Alsted sagt ebd., c.2 r.15 demgemäß, daß »virtus, utile, jucundum aut suave, delectatio« für den Menschen in der angemessenen Rangordnung zusammengehören. Scultetus argumentiert für das gleiche Ziel sogar mit der Auferstehung, vgl. ebd., l.2 c.2. Ebd., c.9 r.1 und r.12.

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»jucundum aut suave« (Glück durch Gefühle) und der delectatio (Glück durch sinnliche Empfindungen) zur Gesamtheit des Menschen und der Ethik gezählt werden, allerdings in der Rangordnung den Tugendpflichten untergeordnet, ebenso die äußeren Güter wie Besitz und Reichtum, Gesundheit und Schönheit, Ansehen, Ehre und Adel »tanquam media et instrumenta virtutis«. In diesem Zusammenhang sagte Alsted auch: »Kein Gut ist wichtiger als die Freiheit« (libertate nulla res est favorabilior).93 Alle diese Güter werden als Instrumente und Medien der vom göttlichen Gesetz geforderten Tugenden und der zugehörigen Glücksempfindungen betrachtet und für notwendig gehalten. Clemens Timpler sagte ausdrücklich: »Contemptus divitiarum est vitium morale, quo homo plane negligit et aspernatur divitias neque de iis per justa media acquirendi ullam curam suscipit«.94 Auch die »Glücksgüter« sind Gaben Gottes, die nicht verachtet werden dürfen, weil sie zur Gesamtheit des menschlichen Lebens gehören. Übrigens werden die Darlegungen regelmäßig mit der Kritik an der Stoa verknüpft, die ausschließlich und unmenschlich das moralisch Gute allein in den Tugendpflichten sehe und keine Abstufungen in ihrer Vollkommenheit und Bedeutung zulasse, gleichzeitig auch mit der Kritik an der katholischen Ethik der Askese. Das Gesamtbild einer Zivilgesellschaft des naturechtlichen Humanismus wird verstärkt durch Alsteds Politica, aus der in diesem Zusammenhang nur soviel berichtet werden kann, daß sie einerseits die naturrechtliche Vertragslehre konsequent mit Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag, Grundgesetzen und Widerstandsrecht durchführt, wobei die Konzeption des Althusius, den er kannte und schätzte, abgewandelt wird durch die Vernachlässigung der föderalen Struktur und durch die extensive Interpretation der »Ephoren«, der Verteidiger der Verfassungsgesetze (leges fundamentales), des Naturrechtes und des Volkes gegenüber den formell oder tatsächlich gewählten und mit Amtsgewalt ausgestatteten obersten Magistraten als eine soziale Schicht, als »Optimaten«, d.h. als Adel und Patriziat, die er damit in die Gesellschaft insgesamt, wie übrigens auch die Magistrate, als deren Bestandteil einordnete. Obwohl Alsted die »Politica« als Regierungsklugheit (prudentia rempublicam bene regendi) definiert, erscheint das Gemeinwesen doch als »Gesellschaft«, nicht als »ordo imperandi et parendi« wie bei den Aristotelikern. Der optimale Staat hat eine aristokratische Verfassung. Andererseits ist das Ziel des Staates auch bei Alsted das tugendhafte Leben, er ist deshalb auch Sozial- und Wohlfahrtsstaat im Sinne der »guten Polizei«, vor allem aber wird die Kirche und mit ihr das Erziehungs- und Wissenschaftswesen ganz in ihn eingeordnet. Die »Jura majestatis« zerfallen deshalb in »Jus ecclesiasticum« und »Jus civile«. Insgesamt ist auch in der Politik die Aufnahme und Verarbeitung zahlreicher Entdeckungen und Argumente der zeitgenössischen Diskussion zu beobachten, z.B. auch die Rezeption der empirischen »Staatenkunde« (notitia rerumpublicarum) als »Politica specialis«. _______ 93 94

Ebd., c.1 r.18. Timpler: Ethica (s. Anm. 82), S. 151–154.

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3.4. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß sich die Ethik des theonomen Naturrechts als ein eigenständiges Paradigma des Späthumanismus darstellt: Es entspricht nicht der Ethik des späthumanistischen Aristotelismus wegen der grundlegenden Funktion der natürlichen Theologie, nicht der des wiedererstarkten Thomismus, weil der platonische Gedanke des natürlichen, wenn auch nur mit den Hilfsmitteln der Kirche zu vollendenden Strebens der Vernunft-Seele nach der »contemplatio Dei« als höchstem Gut fehlt, es entspricht durch seine umfassende Konzeption der Ganzheit des Menschen – sogar die Gnade des jenseitigen Heils, sagt Alsted, richtet sich auf die Verwirklichung dieser Ganzheit –, auch nicht dem Neustoizismus des Justus Lipsius, obwohl einzelne seiner Gedanken, z.B. von Timpler und Althusius aufgenommen wurden, denn es fehlt das Idealbild des stoischen Weisen und die Faszination durch den römischen Militär- und Machtstaat. Andererseits entwickelte er in seinem theonomen Zusammenhang »moderne« Konzeptionen wie die hohe Bewertung der subjektiv-individuellen Ethik – auch Alsted spricht davon, daß jeder Mensch seines Glückes Schmied sei –, der technischen Herrschaft über die Natur zum Nutzen der Gesellschaft, eine säkulare Entdeckung der Innerlichkeit in Gefühl und Einstellung (laetitia, fiducia), vor allem aber durch die konsequente Betonung des Vorranges der praktischen Philosophie. Der oft als rhetorisch-topisch klassifizierte Ekletizismus muß meines Erachtens als ein als großes Vermögen zur Integration von Erkenntnissen fremder Herkunft bei ausgeprägtem Wirklichkeitssinn betrachtet werden, denn er sprengte in den bedeutenden Werken der theonomen Naturrechtsethik niemals den Zusammenhang mit ihren Prinzipien.

4. Platonismus: Einheit mit Gott durch die vernünftige Seele 4.1. In seiner übersichtlichen Analyse von Übernahme und Umgestaltung des Platonismus in der spätantiken und christlichen Philosophie bis Thomas von Aquin zeigte Endre von Ivánka 1964 die Vielgestaltigkeit des »Platonismus« und die Vieldeutigkeit dieses Begriffes. Er forderte, seine Bedeutung müsse von Fall zu Fall, d.h. für jeden christlichen Platoniker oder platonisch gebildeten christlichen Denker gesondert behandelt werden, und zwar nicht nur die Frage, was an platonischen Gedankenelementen jeweils übernommen wurde, sondern auch die weitere und wichtigere, welche besondere Eignung jeweils diese Gedankenelemente besitzen, christliche Inhalte auszudrücken.95

Sieht man von dem theologischen Interesse des Verfassers ab und verwandelt den letztgenannten Teil der Fragestellung in die historische Frage nach dem entsprechenden Selbstverständnis der sich auf Platon berufenden oder als Anhänger der Lehren Platons bezeichnenden Philosophen, so bleiben seine Forderungen gerade für eine Darstellung des Späthumanismus angesichts der Plurali_______ 95

Endre von Ivánka: Plato christianus. Übernahme und Umgestaltung des Platonismus durch die Väter. Einsiedeln 21990, S. 23.

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tät seiner »Platonismen« von besonderer Bedeutung. Allerdings muß hier auch der erste Teil der Forderung vereinfacht werden insofern, als viele Ideen, die jene Philosophen für genuin platonisch hielten, sich nach historischen Analysen als frühe Übernahmen aus anderen philosophischen Schulen erweisen, z.B. die Mikrokosmos-Idee des Menschen aus der Stoa96, die Identifikation des »Göttlichen« mit dem personalen Gott aus der christlichen Lehre, die Aufhebung des ontologischen Dualismus durch einen Gradualismus von Plotin, die Verselbständigkeit des »Herzens« (Seelengrund) als Organ der außerrationalen, mystisch-frommen Vereinigung mit Gott vor allem durch Origines und durch die Mönchsphilosophie des 12. Jahrhunderts.97 Nicht eine Analyse der Quellen, Einflüsse und Übereinstimmungen mit der ursprünglichen Lehre, sondern nur eine grobe Doxographie ist hier möglich. Kriterium der Zuordnung ist vor allem das Selbstverständnis des jeweiligen Philosophen, seiner Anerkennung Platons als wichtigste philosophische Autorität. Dabei sind gewisse Konzeptionen, wenn auch unterschiedlich ausgearbeitet und gewichtet, als gemeinsame vorauszusetzen: Die Interpretation der Seele als »ratio« (Geist), Denken als Vermögen der Erkenntnis abstrakter, klarer und deutlicher Begriffe und deren hierarchische Ordnung nach dem Vorbild der Mathematik, die Einheit des theoretischen und praktischen Denkens und in ihr das Streben nach Vollkommenheit, die Konzeption der »eingeborenen« Ideen, die durch Reflexion des Geistes auf sich selbst erkannt werden; weiterhin die Vorstellung, daß die Begriffe das unwandelbare, ewige Wesen des Seienden hinter der veränderlichen, sinnlich wahrgenommenen »Wirklichkeit« repräsentieren, daß diese Wesenheiten wie die Begriffe hierarchisch geordnet sind und ihren Ursprung, ihre ewige Quelle in der höchsten, vollkommensten, besten Intelligenz besitzen, die zugleich als Gott und als das »Sein« an sich gilt. Grundlegend ist vor allem der Gedanke der Teilhabe der unsterblichen Vernunft-Seelen an Gott, außerdem der Gedanke, daß die Gesamtordnung des Seienden als »Schönheit« denkend und auch sinnlich wahrgenommen werden kann und daß die Konkordanz der Wesenheiten nicht nur durch ihr Streben nach Vollkommenheit und ihrer Einheit mit Gott, sondern auch durch das Prinzip der Liebe (caritas ordinata) hergestellt und erhalten wird. Nicht zuletzt hatten die Anhänger Platons den Anspruch gemeinsam, durch die Übereinstimmungen mit der christlichen Theologie in ihren Begriffen des Geistes, des Wesens der unsterblichen Seele und ihres Verhältnisses zu Gott sowie durch die Idee der Liebe die wahre Philosophia christiana zu vertreten – nicht im Sinne der Abhängigkeit der Philosophie von der Offenbarung, sondern im Sinne der Kompabilität und Übereinstimmung – gerade auch gegenüber dem Aristotelismus. Der Platonismus verstand sich als Philosophie des homo religiosus. Die christliche Offenbarung erschien nur als eine besondere und gesteigerte Form der »perennis philosophia«, die den Philosophen der Heiden und Christen gemeinsam sei. »The fashion of thinking of Fici_______ 96 97

Vgl. ebd., S. 317f. Vgl. ebd., S. 328–338.

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nian Platonism as a departure from the civic and operational spirit of humanist Florence is an erroneous one to my mind«.98 4.2. Im deutschen Späthumanismus entstand im Unterschied zum Aristotelismus und zum »Philippismus« keine an Platon orientierte Schulphilosophie, auch kaum eine eigenständige Tradition einer philosophischen Schule. Seine Anhänger blieben zerstreut und vereinzelt. Diese Entwicklung hatte theologische Gründe: Beide protestantischen Konfessionen grenzten sich ab gegen spiritualistische »Schwärmer«, betonten die Differenz zwischen Vernunft und Offenbarung, bestanden auf der Einheit von Körper und Seele im »Ebenbild Gottes«. »Liebe« könne nur für die im Glauben Wiedergeborenen eine sinnvolle Norm sein, für die Heiden gelte nur das »strafbewehrte Gesetz« – wahrgenommen als göttliches Gebot oder als Tugendpflicht. Natürlich spielten auch die Unübersichtlichkeit der Schriften Platons und seine teils als skandalös, teils als weltfremd-utopisch beurteilte Politica eine wichtige Rolle in der Diskussion. In der philosophischen Entwicklung setzte sich die platofeindliche, nicht idealistische Interpretation des Aristoteles durch, die vermutlich gerade wegen ihrer metaphysischen Beschränkungen und Mängel dem Personalismus und der Transzendenz Gottes in der lutherischen Theologie weniger gefährlich erschien als die philosophische Gotteslehre der Platoniker. In der Auseinandersetzung mit der säkularen Naturrechtslehre (Grotius, Hobbes, Pufendorf) wurde daher die »Liebe« als Norm, die die »naturalistischen« Prinzipien der »socialitas« und der »conservatio sui« korrigiert, charakteristischerweise zunächst als Forderung der an der Offenbarung orientierten »Ethica christiana« eingeführt – erst im Prozeß der Auseinandersetzung erfolgte dann deren Interpretation als »platonische« Ethik und ihre große Entfaltung im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Doch blieb der Platonismus mit seinem Anspruch, Philosophia christiana zu sein, immer gegenwärtig. Insgesamt ergab sich aus dieser Situatition die Zersplitterung in unterschiedliche »Platonismen«: a.) Aus dem italienischen Humanismus wirkten in das protestantische Deutschland zwei Formen des Platonismus ein: Über Reuchlin und Agrippa von Nettesheim, vor allem aber unmittelbar durch ihre Werke der Florentiner Platonismus in seiner Kombination mit kosmologischen, physikalischen, metaphysischen und historischen Spekulationen der hermetischen Philosophie. Im Späthumanismus fand ich eine direkte Rezeption dieser Ideen von Pico della Mirandola und Marsilius Ficino, auch der Kenntnis von Reuchlin und Agrippa von Nettesheim bei dem Juristen und Philosophen Angelus von Werdenhagen (1581–1652), der sich allerdings vor allem als Anhänger von Jacob Böhme bekannte, aber seine Lehren in einen allgemeinen Platonismus einfügte. b.) Als zweite, am weitesten verbreitete Form muß die platonische Interpretation des Aristoteles genannt werden, vor allem die Deutung der »forma« des _______ 98

Ch. Trinkaus: In Our Image and Likeness (s. Anm. 8), Bd. 2, S. 773. – Zu Angelus von Werdenhagen vgl. Anm. 115.

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Menschen als vernünftige, unsterbliche Geist-Seele, die Aufnahme der Kategorie der »Liebe« und die Einführung des platonischen Gottesbegriffes. 1573 bis 1581 lehrte in Leipzig Simon Simonius (1532–1603), italienischer Philosoph und Arzt aus Lucca, Schüler von Francesco Piccolomini in Padua. Aus religiösen Gründen war Simonius über Genf, wo er 1566/67 Philosophie lehrte, Paris und Heidelberg dorthin gekommen und mußte 1581 die Stadt wieder verlassen, weil er die Unterschrift unter die »Formula Concordiae« verweigerte. Sein weiteres Leben führte ihn, nach der Konversion zur katholischen Kirche, als Professor und Hofarzt nach Prag, Breslau und Krakau. In seiner Ethik (1576)99 ebenso wie in seiner Auseinandersetzung mit dem Tübinger Philosophen Jakob Schegk (1511–1587) zeigte er sich als Anhänger der platonisierenden Interpretation des Aristotelismus.100 Vielleicht war Owen Günthers Polemik 1569 gegen Simonius gerichtet, so daß der italienische Konflikt zweier unterschiedlicher Aristoteles-Schulen im deutschen Späthumanismus neu entstand. Ihr Gegensatz bestand in der Bewertung der Philosophie Platons. Seine Spuren in der aristotelischen Philosophie, z.B. die Lehre von der »contemplatio« als höchster Form menschlicher Eudämonie, wurden entweder als irreführender Fremdkörper ausgeschieden oder aber zu einem wichtigen Bestand einer platonisierenden Gesamtdeutung. Nach dieser Auffassung war die aristotelische Ethik brauchbar ausschließlich für eine auf das diesseitig-körperliche Leben bezogene Philosophie, verfehle aber das Wesen des Menschen und seiner Vernunft als Teil des göttlichen Wesens und seines Strebens nach Einheit mit Gott. Die Seele sei im Körper wie in einem Gefängnis eingekerkert. Eine ähnliche Konzeption vertrat z.B. die unter dem Namen Johannes Magirus 1608 veröffentlichte Bearbeitung der Ethik von Sebastian Fox Morzillus (1528–1560),101 einem früh verstorbenen spanischen _______ 99

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Simon Simonius: Commentarium in Ethicae Aristotelis ad Nicomachum liber primus: in quo omnia fere argumenta ad Politicam hominis felicitatem proponendam pertinentia tractantur. Genf 1567. – Für den platonisierenden Aristotelismus vgl. Joseph Moreau: De la concordance d’Aristote avec Platon, in: Plato et Aristote à la Renaissance. XVII e Colloque international de Tours. Paris 1976, S. 45–58. Simonius: Commentarium (s. Anm. 99), S. 18: »Deus namque ipsum Esse verum et subsistens est, cuius participatione alia omnia Esse dicuntur. Et Eustratius inquit, nihil esse bonum nisi participatione summi boni, mirum Dei, qui vere est bonum, non participatum. Quare nihil aut expectibile nisi ob similitudinem Divinae bonitatis: id est ratio cur res expectatur, enim divinae bonitatis similitudo. Fieri ergo non poterit, ut aliquid ad bonum ut expectibile referatur, quin ad divinam similitudinem una feratur […]. Deus itaque, id est summum ipsum bonum, in quo omnem bonum, omne jucundum omneque pulchrum situm sit; in unoquoque bono et cuius naturae peculiari hoc modo appetitur«. Simonius nahm auch die Idee des Menschen als Mikrokosmos auf (S. 3f., S. 21), den Vorrang der »contemplatio« als Weg zur Teilhabe an Gott und auch zum irdischen Glück der »tranquillitas animae et otium quoddam mentis« (S. 119), zugleich auch als »purgatio« (S. 104), das körperliche Leben als Bewährungsauftrag der Seele, die »Liebe« durch die Erkenntnis Gottes als Handlungsnorm sowie das Leben in einer vollkommenen Polis als höchste Form des irdischen Glücks (S. 38). Johannes Magirus: De moribus et inculpata vita quam morum philosophiam vocant libri tres, ab interitu et injuria vindicati. Frankfurt a.M. 1608. Daß es sich hierbei um eine Adaptation des Ethices philosophiae compendium ex Platone, Aristotele aliisque optimis qui-

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Schüler von Cornelius Valerius (1512–1568), Professor in Löwen. Auch dessen Ethica sive moralis philosophia (1574) war in Deutschland verbreitet. Zu dieser Richtung muß auch Rudolph Goclenius (1547–1628), seit 1581 Philosophieprofessor in Marburg, gezählt werden.102 Er veröffentliche präzise Entwürfe einer platonischen Ethik in seinen Exercitationes (1601), eigentlich Essays, bei denen nicht deutlich ist, ob es sich um historische oder dogmatische Darstellungen handelt. Er hatte zur Wirkungszeit des Simonius in Wittenberg studierte und sich zeit seines Lebens um die Harmonie zwischen der aristotelischen und platonischen Philosophie bemühte. Vorangehende Versuche einer Rekonstruktion platonischer Ethik und Politik stammten u.a. schon von dem elsässischen Humanisten Johannes Sleidan (1506–1556) – sie wurde auch ins Deutsche übersetzt (1554) – und von dem Straßburger Philosophen Johann Ludwig Havenreuter (1548–1618), im übrigen ein strenger Aristoteliker.103 c.) Auf den Einfluß einer ganz anders gearteten und sehr einseitigen Transformation platonischer Philosophie muß schließlich hingewiesen werden, obwohl sie von der Forschung selten in diesen Zusammenhang gebracht wird: auf den des Petrus Ramus (1515–1572). Der französische Humanist berief sich für sein Reformprojekt aller Studien der artes-Fakultät in Paris auf die »sokratische Argumentation« in den entsprechenden Dialogen des Platon, die von der Suche nach der Begriffsbestimmung durch Definition ausging und die weiteren Argumente durch deren fortlaufende Spezifikation nach dem Modell des bekannten, schon vor ihm und auch in seiner Zeit unabhängig von Ramus verwendeten _______

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busque autoribus collectum (Basel 1554) des Sebastian Fox Morzillus handelt, ergibt sich u.a. aus der Vorrede an den Verleger. – Morzillo (1526/1528–1560) aus Sevilla studierte in Löwen u.a. bei Cornelius Valerus. Er wurde zum Prinzenerzieher an den Hof Philipps II. berufen, verlor sein Leben jedoch auf der Seereise nach Spanien, als das Schiff unterging. – Der Zusammenhang dieses Werkes mit den übrigen Veröffentlichungen des J. Magirus (gest. 1596), Dr. med. und Professor der Physik in Marburg, bleibt zu untersuchen: Physiologia. Frankfurt a.M. 1600; Anthropologia sive Commentarius in Ph. Melanchthoni libris de anima. Frankfurt a.M. 1603. Vgl. Rudolph Goclenius: Exercitationes et disquisitationes ethlicae et politicae. 5. Aufl. Marburg 1658 (Vorrede 1601), Disp. 25: Ethicae Platonicae theses De summo bono (S. 181f.); Disp. 32: De summo bono. De sententia Platonis divini philosophi (S. 210–212); Disp. 33 (S. 213–216); Politica e monumentis divini Philosophia Platonis. Marburg 1607; Conciliator philosophicus. Kassel 1609; Ideae philosophiae Platonicae Marburg 1612. – Goclenius (1547–1628) aus Korbach studierte in Marburg und Wittenberg und war 1575 bis 1581 Rektor des Gymnasiums in Kassel. Seit 1581 lehrte er an der Universität Marburg Physik, 1589 Logik und 1603 auch Ethik. Seine zahlreichen Werke zu allen philosophischen Disziplinen ebenso wie der Conciliator und sein Lexicon philosophicum (1613) zeigen ihn als bedeutenden Eklektiker des Späthumanismus. Weitere Literatur bei Werner Schneider: Naturrecht und Liebesethik (s. Anm. 130), S. 120. Vgl. Georg Lauterbeck: Eine kurtze Summe oder Inhalt der platonischen Lere von der Regierung des gemeinen nutzes und was derselben anhengig. Von dem hochgelahrten Herren Johanne Sleidano zu latein verfasst, infolgend durch Georgium Lauterbecken ins deutsch gebracht, ganz lustig und nützlich zu wissen. Eisleben 1554; Johanne Ludwig Hawenreuter: Civitas Platonica ex decem republicae libri in celebri Argentinensium Academia exstructa et proposita a Christiano Brunone. Straßburg 1590 (360 Thesen).

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»arbor porphyriana« gewann.104 Die der Logik, nicht der Ontologie bzw. der Metaphysik zugewiesenen Prinzipien und Kategorien sowie das von der Definition ausgehende Verfahren der klaren und gewissen Erkenntnis sollte angewandt werden auf alle gelehrten und wissenschaftlichen Disziplinen, wobei zusätzlich die Regeln des kontinuierlichen Zusammenhangs der Begriffe, der Homogenität ihrer Objekte und der Vollständigkeit der Darstellung befolgt werden sollten. Das empirische Material erscheint gewissermaßen nur als Anstoß zur Selbsttätigkeit der Vernunft nach diesen Regeln, für deren Erkenntnis er das platonische Prinzip verwendete, daß die Vernunft nichts besser erkennt als sich selbst. Dieser auf das subjektive Denken konzentrierte, rationalistische, selbstverständliche am Modell der Mathematik orientierte Platonismus erhielt bei seiner Rezeption in Deutschland, z.B. durch Caspar Pfaffrad (1597),105 durch die konsequente Verknüpfung mit dem Gedanken der Wiederherstellung der »imago Dei« im Menschen in der Vollkommenheit seiner irdischen Fähigkeiten, zu der die Herrschaft über die Weltdinge und die Gesellschaftlichkeit zur wechselseitigen Hilfe ebenso gehören wie die vernünftige Religion, die Zuspitzung auf einen christlichen Humanismus. Die Philosopie wurde hier zur Gesamtheit aller »Wissenschaften«, die aus den spezifischen Fähigkeiten des Menschen entstehen und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse notwendig sind. Dieser sehr utilitaristisch-praktische, rationalistische Humanismus, der jede die natürlichen Fähigkeiten des Menschen übersteigenden Forderungen an ihn ablehnte,106 war auch ein Erbe des zeit seines Lebens auf seine bäuerliche Herkunft stolzen und an der Denkweise des »gemeinen Mannes« orientierten Pierre de la Ramée. Eine ähnliche Tendenz läßt sich übrigens später bei der Rezeption des Cartesianismus durch Johannes Clauberg (1622–1665) beobachten, der aus dem Umkreis der Solinger Eisen- und Waffenindustrie stammte.

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Vgl. Kurt Schilling: Platon. Einführung in seine Philosophie. Würzach 1948, S. 252–270; Peter Schulthess und Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Zürich – Düsseldorf 1996, S. 56–58 und 251. Caspar Pfaffrad: De studiis Rameis et optimae institutiones legibus commentatio. Frankfurt a.M. 1597. – C. Pfaffrad (1562–1622) aus dem Bergischen Land hatte eine Kaufmannslehre in Leipzig abgeschlossen, bevor er das Gymnasium in Dortmund und dann die Universität in Helmstedt besuchte. Als Magister hielt er dort seit 1588 Vorlesungen, in denen er Ramus verteidigte, wurde 1593 a.o. Professor und nach seiner Promotion zum Dr. theol. 1598 o. Professor der Theologie. Seine Theses inaugurales de Deo (Helmstedt 1598) lösten den sogenannten Hofmann-Streit zwischen humanistischen Philosophen und Theologen sowie Vertretern der Philosophia christiana aus. Pfaffrad setzte sich auch für eine Union mit der reformierten Kirche ein. Ebd., S. 106: »Cum igitur perfectio hominis in iis consistat, quae humana sunt, quae homini sunt possibilia; et philosophia hominis perfectione definitur, absonum erit et ea recta ratione alienum, aliquid alicui disciplinae praestandum proponere, quod in eius potestate situm non sit«; S. 62: »Lex prima et summo esto, ut institutio artificiosa sit sufficiens ad desideratam perfectionem homini indigi restituendam«. Pfaffrad betont die Erkenntnisregeln der »claritas et praestantia« gegen »confusio et obscuritas«, die u.a. durch Methode und Zusammenhang des Erkannten zu erreichen seien.

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d.) Als lokale Variante, von keinen erkennbaren Einflüssen ausländischer Philosophen abhängig,107 entwickelte sich schließlich in heftiger Auseinandersetzung mit dem Aristotelismus, besonders auch seiner Ethik, ein ethischpolitischer Platonismus, am klarsten formuliert in den Demonstrationes politicae (1615) des Greifswalder Juristen Joachim Stephani.108 Aber auch die ethisch-politischen Werke Werdenhagens repräsentieren, wenn auch mit vielerlei Überlagerungen durch böhmische und »hermetische« Spekulationen, diese Konzeption in besonders radikaler und wirklichkeitsnaher Weise. Das neue und für die weitere Entwicklung grundlegende ihrer Konzeption war, die platonische Idee nicht im Hinblick auf die Zugehörigkeit der menschlichen Seele zur Welt der reinen Geister und der Vernunft Gottes zu verwenden, sondern zur normativen Interpretation des diesseitigen Lebens des vernünftigen und sozialen Menschen als »imago Dei«. Das Streben nach Einheit mit Gott wurde nicht als Streben nach der »contemplatio Dei« verstanden, sondern als praktische Verwirklichung der »amor Dei«. Dadurch ergibt sich die eigentümliche Entwicklung, daß die platonische Ontologie nicht mehr als Entwertung der Wirklichkeit wirkt, sondern als deren Aufwertung durch die Allgegenwart Gottes im Sinne der ursprünglich wohl stoischen Idee der Immanenz des Göttlichen, eine Entwicklung, die zu Leibniz und Wolff und darüber hinaus zum deutschen Idealismus führte. In der zeitgenössischen Metaphysik erscheint der zugrundeliegende Gegensatz als Diskussion über die Frage, ob das Seiende, vor allem der Mensch bzw. seine Seele als höchstes Ziel unmittelbar die Teilhabe an dem transzendenten Gott erstrebe oder nur mittelbar, daß unmittelbar die Vollkommenheit seiner endlichen Natur seine Bestimmung sei. Es erfolgte also eine Umkehr der Rangordnung in der Beurteilung des »summum bonum« für den Menschen und für die Schöpfung. _______ 107

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Möglicherweise ist diese These nur eine Folge meiner Unkenntnis über die konkreten Zusammenhänge mit der italienischen Philosophie, die jedenfalls nicht so deutlich hervortreten wie für den Aristotelismus bei J. Caselius. Ein Hinweis gibt z.B. Crüger: Collegium Ethicum (s. Anm. 72): Er verwendete für die Darstellung des Platonismus fast ausschließlich Francesco Piccolomini (1523–1607, Professor in Perugia und von 1560 bis 1598 in Padua, Gegner von J. Zabarella): Universa philosophia de moribus. Venedig 1583: coll. 4 c.2 für den »ordo syntheticus«, coll. 11 c.1 für die Transformation der »contemplatio Dei« in das tugendhafte Leben: »Non secus per virtutem homo angelicam nanciscitur conditionem, at per vitium angeli lucis evaserunt daemones tenebrarum [...]. Qui virtutem venerantur, Deum venerantur et colunt; virtus enim vel Dei est imago vel via ad Deum vel potius utriusque: virtus est non caecus, sed oculatissimus amor amorisque nodus insolubilis«; coll. 15 c.1 für die Gerechtigkeit als höchste Tugend. Joachim Stephani: Politicarum demonstrationum libri. Frankfurt a.M. 1615. – Stephani (1544–1623) war in Pyritz (Pommern) geboren, studierte in Rostock, wurde 1572 Professor der Mathematik in Greifswald, wo er gleichzeitig Jura studierte und 1578 eine juristische Professur erhielt. Er wirkte auch als Syndikus der Universität, Konsistorialdirektor und fürstlicher Rat; zahlreiche Veröffentlichungen zu den jüdischen, griechischen, kirchlichen und römischen Rechtsordnungen. Vgl. Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1. München 1988, S. 161, der allerdings das oben genannte Werk nicht erwähnt.

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4.3. Für die Ethik des späthumanistischen Platonismus lassen sich zusammenfassend zwei Konzeptionen herausarbeiten, die sich selbstverständlich partiell überschnitten: die des platonisierenden Aristotelismus und die des ethischpolitischen Platonismus. Erstere wird vor allem nach den »Thesen« von Goclenius, letzere vor allem nach den Demonstrationes Politicae (1615) von Joachim Stephani dargestellt. Die wesentliche Eigenart des Menschen und damit seine besondere Bestimmung unter allen Lebewesen ist das ihm eingeborene Streben zur Vereinigung mit Gott, das teleologische Streben seiner als Vernunft (Geist) verstandenen Seele nach dem höchsten Gut. Er beginnt diesen Weg im diesseitigen Leben, wo die Seele im Körper wie in einem Kerker gefangen ist,109 und vollendet ihn im Jenseits, denn die Seele ist unsterblich und ein Teil des göttlichen Wesens. Die Einheit mit Gott besteht in der zugleich erkennenden und liebenden Teilhabe an seinem Wesen, deren höchste Stufe die reine contemplatio ist. Dieses als Einheit verstandene Streben der Vernunft erscheint demjenigen, dem noch die vollständige Erkenntnis fehlt, als Verpflichtung durch das göttliche Gesetz oder durch die recta ratio zu unterschiedlichen »Pflichten« (officia). Wie alle Substanzen strebt der Mensch zur Verwirklichung und Vervollkommnung seines Wesens, zu seinem »höchsten Gut«, daß er als substantielle Einheit des vollkommen Guten, d.h. Gottes, durch seine Vernunft erkennt. Sie wird in dieser Funktion als Weisheit (sapientia) bezeichnet. Die Vollkommenheit der praktischen Vernunft sind die Tugenden. Die einzelnen Tugenden werden entsprechend der Existenzweise des Menschen zusammengefaßt zu Klugheit (Erkenntnis des jeweils Guten), Gerechtigkeit (normative Anerkennung des Guten in der Gesamtheit und Rangordnung seiner Formen), Tapferkeit (unerschütterlicher Wille, das Gute zu verwirklichen) und Mäßigung (Anpassung an das irdische Leben in seiner Komplexität). Sie bewirken die Eudämonie, die nicht durch die Handlung (operatio) entsteht, sondern durch die »recta mentis affectio«,110 die Gesinnung, bzw. durch den »habitus«, nämlich die Seelenruhe, d.h. die Unabhängigkeit von dem Einfluß der Affekte und des Schicksals, und die Freude (laetita) durch die Erkenntnis seiner Übereinstimmung mit dem Willen Gottes an ihm teilzuhaben und ihn auf diese Weise zu »genießen« (frui). Die einzelnen Handlungsbereiche der praktischen Vernunft als vernünftige Liebe sind die Liebe zu Gott, zu sich selbst und zu den anderen Menschen. Insgesamt ist die Vollkommenheit der praktischen Tugenden doch nur eine Vorbereitung für die im Diesseits beginnende und im Jenseits vollkommene Teilhabe an Gott durch die vollständige Erkenntnis seines Wesens. Die platonisierende Ethik ist also _______ 109

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Goclenius: Exercitationes (s. Anm. 102), S. 181f.: »Plato non adhaerens in humana, sed in divinam potius et caelestem quandam beatitudinem spectens, vere summum bonum agnoscit: Deo quam simillimum reddi seu Deo assimilari, quoad eius fieri potest: Hoc perfecte consequimur, cum animus ex haec corporis mole, velut carcere, in caelum tanquam in patriam evolarit«. Ebd., S. 211: »Divina haec possessio ratione sapientiae (quae est divinarum entium, inprimis Dio contemplatio) est in mente […]. Et tamen ad eam pervenit homo medio seu via moralium virtutum, quibus ornatur, purgatur et calitur animus«.

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unmittelbar auf die Eudänomie gerichtet (sie ist nicht die nicht unmittelbar intendierte Wirkung des Gesetzesgehorsams oder der guten Handlungen). Die Eudämonie ist das Bewußtsein des von der Philosophie freigelegten und durch die Tugenden verwirklichten »wahren« Wesens des Menschen, seiner »Natur« (im Sinne von »essentia«), die ein gewissermaßen umfassendes Programm der menschlichen Existenz enthält. Inbegriff dieser »Natur« des Menschen ist seine Ebenbildlichkeit Gottes (imago Dei) und die Teilhabe an der göttlichen Vernunft als Substanz durch seine eigenen und durch die ihm eingeborenen Ideen. Auf die Herrschaft und Verwirklichung seiner Vernunft (Geist) gegenüber den Affekten des Körpers ist das tugendhafte Handeln gerichtet. Das »Gesetz« besitzt nur eine vorläufige Bedeutung – der »Weise« (sapiens) bzw. der vernünftige Mensch handelt in seinem Sinne aus der Spontaneität seiner Vernunft. Die Freiheit des Menschen ist nicht die des indifferenten Willens zur Entscheidung, sondern die ausschließliche Bestimmung durch das eigene Wesen, d.h. durch die Vernunft (libertas a coactio, Spontanität). Verbrechen entstehen aus mangelhafter Erkenntnis, sie sind Irrtümer.111 Die indifferente Freiheit bedeute eine teilweise Unfreiheit durch Herrschaft der Affekte. Der Sündenfall wird gleichgesetzt mit der Bindung der Seele an Körper und Materie. Gegenüber der guten Natur des Menschen erscheinen Vergehen und Verbrechen vor allem als Irrtümer und Mängel des Geistes. Diese natürliche Eudämonie des homo religiosus ist allerdings nicht zu verwirklichen als Vollkommenheit des irdischen Menschen. Im Unterschied zum Thomismus werden jedoch die Gnadenmittel der Kirche, die zwischen der Unvollkommenheit der irdischen Seele und ihrem Streben nach der Vereinigung mit der Vollkommenheit Gottes vermitteln, nicht in die Philosophie integriert – in Bezug darauf sprach Ivanka von einer »Hybris« des Platonismus. Diese platonisierende Ethik war mit einer »essentialischen« Metaphysik verbunden, wie schon die substantiierten Ideen des »Guten« und der Vernunft zeigen; zu ihr gehörte auch die Vorstellung einer lex aeterna als Richtschnur des Handeln Gottes und die Ewigkeit der Wesenheiten (essentiae). Die Erkenntnis ist Rekonstruktion der ursprünglichen, in den eingeborenen Ideen im irdischen Menschen wirksame Teilhabe an der Identität des idealen Seins. Die Struktur dieses Geistes wird im wesentlichen als Rationalität verstanden, als höchste Form der Erkenntnis, die dem Menschen allerdings nicht vollständig zugänglich ist, die logische Deduktion des Seienden aus den unmittelbar evidenten Prinzipien. Außerdem gehörte zu diesem Platonismus auch die Tendenz zu einer umfassenden Kosmologie, in deren Zusammenhang der Mensch in die Stufenordnung der anderen Substanzen der Schöpfung mit ihren spezifischen Programmen (Natur, essentia) an privilegierter Stelle (imago Dei, Mikrokosmos) eingeordnet wird. Erst in der Renaissance der essentialistischen Ethik im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung mit dem Cartesianismus _______ 111

Vgl. Goclenius: Conciliator philosophicus (s. Anm. 102), Pars II, S. 105: »Platoni peccatum non est voluntatis nisi deficientis in ratione. Non est voluntatis, id est, non est appetitionis recta rationi consentanea«.

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und den »naturalistischen« Naturrechtslehren entfaltete sich diese Konzeption vollständig, verstärkt durch die gleichartige Philosophie der »Cambridge Platonists«. Dann erst konnte der »Idealismus« sein Potential und seine Funktion als Religion der philosophisch Gebildeten in Deutschland voll entfalten. Stephanis Traktat ist aufgebaut nach dem Schema des Aristotelismus: Er beginnt mit den »Praecognitia«, der Definition und der Methodenlehre der Ethik, behandelt dann das Ziel der Ethik und die Tugendlehre, um schließlich im Anschluß an die Justitia universalis die Liebe zu sich selbst sowie zu den »Nächsten« zu behandeln, dargestellt als Rechtslehre vor allem des Individuums, des Hauses, des Besitzes und des Staates. Wie diese Gliederung schon zeigt, definierte Stephani die Politica als Inbegriff »aller Wissenschaften und Disziplinen, die sich darauf beziehen, das Leben ehrbar und redlich zu führen und bequem zu erhalten«, also eigentlich auch Rhetorik, Oekonomik und Kriegswissenschaft usw. einschließt. Die Grundlage ihrer Erkenntnis sind die allgemeinen, in der Vernunft selbst enthaltenen Begriffe, Kategorien und Normen. Erfahrungen werden erst gewisse Erkenntnis, wenn ihre durch Induktion gewonnenen »Principia particularia« als Definitionen begrifflich gefaßt und in den deduktiven Zusammenhang der allgemeinen Begriffe gebracht werden. Die vom wandelbaren Verhalten der Menschen und von den Umständen abhängigen Erkenntnisse bedürfen allerdings der Klugheit der Erfahrenen. Die »Ethik« (im üblichen Sinne) ist im Kern eine gewisse und beweisende Wissenschaft. Die konkreten Erfahrungen über die Menschen sind nur »Zeichen« (signa), durch die seine Natur erkannt werden muß. Das auf diese Weise erkannte grundlegende Prinzip der Ethik ist die auch vom Dekalog bestätigte »amor ordinata« als Liebe zu Gott, zu sich selbst und zu den anderen Menschen. Es wird hier deutlich, wie die Ethik zu einer rationalistischen, auf einem Prinzip aufgebauten Systemwissenschaft wird. Die »amor ordinata« wird mit der »justitia universalis« gleichgesetzt, wodurch ihre Regeln zugleich Prinzipien des Naturrechts und der positiven Gesetzgebung werden. Denn sie war ursprünglich, d.h. vor der Zerstörung der »imago Dei« im Menschen, spontan wirksam, jetzt müssen ihre Forderungen z.T. mit Zwang durchgesetzt werden, aber immer mit dem Ziel der Erhaltung und vollständigen Wiederherstellung der ursprünglichen Spontaneität. Mit der »Liebe« fügt sich der einzelne Mensch zur Verwirklichung eines friedlichen Zusammenlebens in wechselseitiger Hilfe wie ein Glied in einen Körper ein, zugleich aber auch in die Schönheit der Gesamtharmonie der Welt: Dann nämlich plant man keine Verbrechen und Laster, wenn man vom Glanz dieser Schönheit niemals abweicht. Man begeht keine Gewalttaten, weil man als Teil der Welt mit dem Gefüge des Beseelten und Unbeseelten zufrieden ist.112

Stephani führt zwar noch die Konzeption der »humana perfectio« durch die »Erkenntnis des Höchsten« an, betont aber, daß die menschliche Vollkommenheit vor allem durch das irdische Handeln erstrebt werden muß, und diesem Teil allein gilt seine Darstellung. Diese Konzeption unterscheidet sich von der Tugend- und Gesetzesethik dadurch, daß sein Prinzip die drei Dimensionen des _______ 112

Stephani: Politicarum demonstrationes (s. Anm. 108), S. 7.

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Verhaltens zu Gott, zu sich selbst und zu den anderen verbindet und daß das Streben zur »amor ordinata« zugleich auch emotionale Sympathie, Wohlwollen und Liebe einschließt, polemisch gewendet gegen die Vernunft-Tyrannis der Stoa. Die Eigenart dieser »platonischen« Ethik lag nun jedoch darin, daß für das soziale Verhalten und die Rechtslehre das Individuum mit seiner »amor sui«, d.h. zur »imago Dei« in sich selbst in den Mittelpunkt rückt: dies zeigt sich in der zentralen Bedeutung der »libertas« als sozialer Kategorie, in der Gleichheit als Grundprinzip des Rechts, in der Ableitung aller Gesellschaften einschließlich des Staates aus Verträgen und Konsensus, der Herrschaftsformen aus einem immer begrenzten Mandatsvertrag, nicht zuletzt in der scharfen Kritik am Religionszwang, also der Verteidigung der Gewissensfreiheit. Familie, Haus, Staat und Kirche sind keine Institutionen göttlicher Stiftung, sondern Gesellschaftsordnungen aus dem Willen und Verträgen der Teilhaber: »Cum autem ordinatus amor a se ipso incipat, quisque seipsum primo amare demonstrabitur«. »Freiheit des Besitzes und der Person sind ein öffentliches Gut«, weil sie dem »ursprünglichen Zustand« der Natur entsprechen, der soweit als möglich wieder eingeführt werden soll.113 Sein Recht hat auch Vorrang vor dem »Völkerrecht«, dem durch Gewohnheit eingeführten gemeinsamen Recht der Völker. Der Mensch sei auf dieser Erde zur Kultur und zum Besitz geschaffen, heißt es.114 Dieser reformierende Anspruch auf eine zur Vollkommenheit des irdischen Menschen gehörige Gesellschaft gleicher Bürger ist in den ethisch-politischen Werken des Angelus von Werdenhagen115 noch wesentlich gesteigert: Stephani hielt die Aristokratie der »Erfahrenen« für die erstrebenswerte Staatsform, Werdenhagen ausdrücklich die Demokratie, das politische Recht aller Bürger, und zwar nicht nur für die Stadtbürger, sondern auch für die Einwohner der kleinen Städte und für die Bauern. Er führte eine regelrechte Polemik gegen den Adel der welfischen Territorien: sie würden mit Hilfe des Aristotelismus für die Wiederein_______ 113

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Ebd., S. 103: »Eo, quod libertas tam rerum quam personarum publicum bonum sit, quo omnes res in primaevo statu complexere naturae hominum accomodatissimae fuerint«. Ebd., S. 176 : »Cum autem homo in hanc terram culturae et possessionis gratia constitutus sit«. Angelus von Werdenhagen: De rebus publicis Hanseaticis tractatus generalis. Leiden 1630; Universalis introductio in omnes respublicas sive politica generalis. Amsterdam 1632; Psychologia vera et J[acobi] B[oehmi] T[eutonici], XL quaestionibus explicata et rerumpublicarum vero regimine ac earum majestatico juri applicata. Amsterdam 1632; Bodini De Republica librorum breviarium. Amsterdam 1645. – Werdenhagen (1581–1652) stammte aus einer bürgerlichen Familie in Helmstedt und studierte dort Philosophie und Jurisprudenz. Nach zehn Jahren der Tätigkeit als Hofmeister und Diplomat erhielt er 1616 eine Professur für Ethik in Helmstedt, die er aber bald aufgeben mußte wegen des Widerstandes der Professoren. 1618 bis 1626 Stadtsyndikus in Magdeburg und Rat des Erzbischofs; 1627 bis 1632 Aufenthalt mit wissenschaftlich-publizistischer Tätigkeit in Leiden und Den Haag, dann im Dienst des Erzbischofs von Bremen, der Stadt Magdeburg und schließlich des Herzogs August von Braunschweig und Lüneburg; seit 1637 Gesandter des Kaisers bei den Hansestädten. Ausführliche Biographie und Bibliographie (46 Titel) von F. Neubauer in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 38 (1903), S. 59–121; Alfred Voigt: Über die Politica generalis des Johannes Angelius von Werdenhagen. Erlangen 1965 (Erlanger Forschung, Reihe A, Bd. 17); Horst Dreitzel, in: Grundriß der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4. Basel 2001, S. 688–693.

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führung bzw. die Verschärfung der Leibeigenschaft kämpfen. Dies widerspreche ebenso der »christlichen Philosophie« wie die Todesstrafe und die religiöse Intoleranz. Er plädierte auch für die Handelsfreiheit und sah sie durch die Hanse verwirklicht. Stärker noch als bei Stephani steht bei ihm die Freiheit im Mittelpunkt:116 sie gehört zum Kern der »imago Dei« und wird Grundlage der sozialen Ordnung. Er behandelte sie in einem langen Kapitel über die »libertas naturalis« und leitete aus ihr Grundrechte ab: Handlungsfreiheit innerhalb der Grenzen des Naturrechts; Freiheit des Geistes, Freiheit von Zwang, Gewalt und Furcht, volles Bürgerrecht mit der Freiheit der Wahl des Berufes, des Familienstandes und der Familienangelegenheiten überhaupt, Unversehrtheit des Körpers und der persönlichen Ehre, Besitzrecht – und auch die Pflicht zur Religion, von der jedoch alle Formen außer denen, die dem Naturrecht widersprechen, zu dulden sind. Auch der Staat erscheint wie die Gesellschaft als ein Geflecht spezieller Rechte – wie z.B. seine Kritik an Bodins Souveränitätsidee und an dem Begriff der Landeshoheit zeigt. Werdenhagen verband diesen »Republikanismus«, der nichts mit der von H. Baron und J. G. A. Pocock zu einer Monopolstellung erhobenen Variante mit der römischen »virtus« gemeinsam hat, mit Konstruktionen der politisch-sozialen Entwicklung in Deutschland und allgemeinen Fortschrittsideen. Sozialgeschichtlich war der ethisch-politische Platonismus, der so völlig dem aristokratischen Totalitarismus der Staatsentwürfe des griechischen Philosophen widersprach, mit dem Bürgertum der norddeutschen Städte verbunden, insbesondere der Hansestädte, deren Theorie und Geschichte Werdenhagen sein umfangreichstes Werk widmete.

5. Krise und Transformation 5.1. Fortwirken und Dominanz der drei späthumanstischen Typen der philosophischen Ethik und auch der gleichzeitig entstandenen Ethik der lutherischen Philosopia christiana117 wurde allgemein wahrgenommen, vor allem hinsichtlich _______ 116

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Werdenhagen: Introductio (s. Anm. 115), S. 326: »Creata libertas [...] est facultas voluntatis et appetitus, principalibus creaturis a Deo insita, ut juxta legem creationis et conscientiae perpetuum viverent ac mirabilia Dei ad gloriam eius unice in luce manifesterent [...]. Nisi enim aeterna libertas essentiam naturae in lucem produceret, non esset Pater procreator, sed nihil«; ebd., l.2 c.5 n.24: »Persona huic nobis est homo singulus societatum in negotionem vel factum deducens [...]. Huius causa omne jus est introductum«; c.8–11 werden die Freiheiten der Personen in Gesellschaft und Staat dargestellt. Ein Jahr nach dem in der folgenden Anmerkung genannten Vorlesungsprogramm von Christian Thomasius, d.h. 1689, erschien eine kritische Stellungnahme und zugleich negative Situationsanalyse der Ethica christiana eines anonymen Theologen, die Thomasius’ Nachdruck seines Programms in den Kleinen Schriften, S. 109–180, als Anhang beigefügte (»Eines alten Theologi christliche Bedenken«). Sie verteidigte Aristoteles vor allem wegen seiner Handlungslehre (De principiis actionum humanarum), die für die Jurisprudenz maßgeblich seien, und wegen der Affektenlehre, betonte aber zugleich die Mängel seiner Metaphysik (keine Lehre von Gott, von der Unsterblichkeit der Seele und der Endzeitlichkeit der Welt) und seiner Ethik (Prinzip des Mittleren, höchstes Gut) und forderte für diese Probleme die Orientierung an der Lehre des »Divinus Plato«, »daß in der Vereinigung mit

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der Ethik des Aristotelismus. In einem frühen Entwurf seines Reformprogrammes für das juristische Studium begründete Christian Thomasius 1688118 die Notwendigkeit einer neuen Ethik mit der Vermischung von philosophischen und theologischen Prinzipien in der »christlichen Sittenlehre« einerseits, vor allem aber mit den Mängeln der »aristotelischen Ethik« andererseits, mußte aber zuvor zugeben, »daß keine Academie bei uns ist, in in welcher nicht das Studium philosophiae moralis fleißig betrieben und [...] meistenteils nach den Aristotelis seinen liberos ad Nicomachum«. Sie verwende die »analytische Methode«, sie befasse sich vor allem mit den Gattungen der praktischen Philosophie, mit dem höchsten Gut, mit dem Prinzip des »Mittleren«, mit den elf Tugenden und der Konzeption der Gerechtigkeit. Die pädagogische Problematik der späthumanistischen Scholastik kennzeichnete Johann Franz Budde 1698: »Auch sogar Schüler und Studenten quälte allmählich die Langeweile, das strohtrockene Zeug über das höchste Gut und die Tugenden zu lesen und zu hören, in die Aristoteles die Seinen einweihen wollte.«119 Der Typus des »theonomen Naturrechts« war zurückgetreten, allerdings aus Gründen, die mit den politschen Schicksalen der reformierten Territorien zusammen hängen. Ein immerhin erfolgreicher Ausläufer war das umfangreiche Kommentarwerk des Philosophen und Theologen Markus Friedrich Wendelin, Rektor des Gymnasi_______

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Gott die wahre Glückseeligkeit bestehe« (S. 114). Sie warf Thomasius vor, Ethik und Jurisprudenz nicht zu trennen, argumentierte gegen den Vorwurf der Weltfremdheit und des Pedantismus der Politica christiana mit ihren ausführlichen Hinweisen auf zeitgenössische Staatsmänner. Insgesamt forderte er eine Reform der christlichen Ethik durch Rückkehr zur Offenbarung. Das Eigentümliche ist der ökumenische Charakter dieser Forderung; ihr Ziel ist ein gemeinsames Bündnis aller Christen durch Orientierung an der »ersten Kirche«: »Es hat nicht allein die Religion bei den Katholischen, Evangelischen, Reformierten, sondern auch die Jurisprudenz, die Medizin und die ganze Philosophie eine große Reformation von Nöten; es muß alles von dem betrüglichen Lichtlein der Natur zu dem Gnadenlicht, welches von Gott kommt und durch fleißige Lesung der H. Schrift erlangt wird, gezogen werden« (S. 156). Der Text endet mit einer Auslegung des 1. Psalms »als Tor zur christlichen Sittenlehre«. Er kann als pietistisch bezeichnet werden. Christian Thomasius: Eröffnet der studierenden Jugend zu Leipzig in einem Discours, von den Mängeln der aristotelischen Ethik, und von anderen das Jus Publicum betreffenden Sachen, zwei Collegia über die christliche Sittenlehre und über das Jus Publicum (Leipzig 1688), in: ders.: Kleine Teutsche Schriften. 3. Aufl. Halle 1721, S. 68–108, hier S. 76. – Für die Lehrmethode kennzeichnend ist das Urteil S. 79: »Mit einem Wort, die ganze Sittenlehre des Aristoteles erklärt durchgehend nichts als terminos technicos und gibt deren definitiones und divisiones. Denn wo findet man nur etwas weniges, das von den Mitteln handelte, die einen Menschen zu der allgemeinen und seiner selbst eigenen Glückseligkeit anführten [...]. Die Ethica Aristoteles taugt nichts«. Thomasius betrachtete zu dieser Zeit seine Bearbeitung der Naturrechtslehre Pufendorfs (Institutiones jurisprudentiae divinae, 1688) als bessere Ethik, d.h. die Lehre, »seine Sitten nach dem Gesetz der Tugend einzurichten«, »zumahlen [...] in den Ethicis vulgaribus der Tractat de Legibus vacariert«. Außerdem fehle dort die »Lehre von Herrschaft und Regierung über die Affekte, um sie zu gesetzestreuen Handeln zu bringen« (S. 89). Johannes Franciscus Buddeus: Elementa Philosophiae practicae. Halle 1698, Praefatio: »Taedium hinc sensim ipsos quoque juvenes subiit, legendi aut audiendi ieiunas de summo bono et virtutibus, quibus Aristoteles, vir cetera suo merito maximopere suspiciendus, suos imbutos voluit«.

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ums in Zerbst, zur Ethik des A. Scultetus (1647 und 1665), ein Meisterwerk der späthumanistischen Scholastik.120 Es zeigt zugleich die Aufnahme einer teleologischen, thomistischen Metaphysik unter Berufung auf Suarez, Raymund von Sabunde und Autoren des Platonismus: »Causa finalis ratio perfecta est et de se pertinet ad perfectionem simpliciter [...]. Deus est perfectissimus et universalissimus agens. Ergo intendit perfectissimam et universalissimam finem; qui alius non esse potest nisi ipse Deus, a quo sunt omnia et in quem tendunt omnia«. Zugleich wird die Gesetzesidee beibehalten: »Recte vivere est secundum legem vivere, huius constans propositum virtus appellatur. Virtus est constans animi propositum vivendi secundum legem«. Das höchste Gut des Menschen ist die »recta intentio, quae omnia ad Dei gloriam refert omnesque actus morales ad eum principaliter dirigit«. Die Kritik an der aristotelischen Ethik ist scharf und grundsätzlich. Andererseits entstand auch im Umkreis des Aristotelismus oft die Überzeugung, daß die aristotelische Ethik dem von der natürlichen, d.h. philosophischen Theologie geforderten Verständnis der Tugenden als »officia«, als Pflichten aus einem natürlichen, d.h. durch die Vernunft erkennbaren Gesetz Gottes nicht gerecht werde. In den Lehrbüchern und Systemen ist eine gleitende Skala in der Aufnahme fremder, d.h. vom »reinen« Aristotelismus abweichender Kategorien zu beobachten, die sich allerdings nur verstärkte, nicht erst entstand: statt der »Eudämonie« tritt das »honestum« an die erste Stelle (Unterscheidung zwischen »summum bonum morale« und »felicitas hominis«), die aristotelischen Tugenden wurden als »Pflichten« begriffen bzw. in diesem Sinne korrigiert und ergänzt, Pflichten mit einer natürlichen Theologie verbunden, die »prudentia« als »ratio«, die Regeln der Klugheit im stoischen Sinne zu Gesetzen der Vernunft, diese zu Gesetzen Gottes verwandelt, die »Natur« des Menschen zur geistigen Wesenheit, der aristotelische Empirismus mit der stoischen Lehre von den »semina« des Wahren und Guten in der Vernunft verbunden oder sogar mit »eingeborenen Ideen«. Einbruchsstelle war in besonderem Maße die Lehre von der Gerechtigkeit und vom Recht. Dieser epidemische Eklektizismus darf durch die Konzentration auf die gegensätzlichen Idealtypen nicht verdeckt werden. Charakteristisch ist außerdem eine fortwährende Vergegenwärtigung der verschiedenen antiken Philosophien in ihren Eigenarten und Übereinstimmungen in der Ethik. Die Verdrängung Melanchthons durch die aristotelischen Späthumanisten rächte sich: Wiederum war oft Cicero der entscheidende Helfer. Geradezu dramatisch vollzog sich die Rückkehr und Neubegründung des theistischen Naturrechts an der Universität Helmstedt, der Hochburg der praktischen Philosophie des Aristotelismus, durch den Philosophen und Juristen Sa_______ 120

Marcus Fridericus Wendelinus: Philosophia moralis praeceptis succintis methodice comprehensa, commentariis theoreticis et practicis e priscis theologis, philosophis, oratoribus et poetis illustrata. Frankfurt a.M. 1647 und 1665, S. 88, 110 und 115. – Wendelin (1584– 1652) studierte in Heidelberg und starb als Rektor in Zerbst. Sein Werk zeigt die Entwicklung zur Differenzierung der Ethik in der ekletischen Philosophie aus dem »theonomen Naturrecht«: Er unterscheidet »recta vita« (Aretologie als Pflichtenlehre) und »bona vita« (Eudämonologie) sowie die Lehre vom »utile« und vom »jucundum«; vgl. dazu Anm. 75.

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muel Rachel.121 Er lehrte dort von 1658 bis 1665 Moralphilosophie. 1660 gab er eine griechisch-lateinische Edition der Nikomachischen Ethik heraus, fast gleichzeitig mit der Paraphrase seines Kollegen und strengen Aristotelikers Gebhard Theodor Meier (1661) und unter den Augen des bedeutendsten Vertreters der aristotelischen »Politica«, Hermann Conring (1606–1681), und des Repräsentanten der Jurisprudenz des Aristotelismus, Johannes a Felden (vgl. Anm. 132). Aber in seiner Einleitung interpretierte Rachel Aristoteles’ Ethik als platonisierende Naturrechtsphilosophie – unter Berufung auf Cicero und Melanchthon.122 Nach seiner Aristoteles-Vorlesung las er mit »nie zuvor erreichtem Erfolg bei den Studenten« – so schreibt er – über Ciceros De officiis. Hand in Hand mit dieser Renaissance der Naturrechtsethik ging die Rezeption von Grotius’ Traktat De jure belli et pacis, der als bedeutendste Weiterentwicklung der Konzeption Ciceros gelesen wurde – verbessert u.a. durch Grotius’ bessere Kenntnis der aristotelischen Philosophie. Samuel Rachel wurde übrigens 1665 _______ 121

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Über ihn Erich Döhring: Geschichte der juristischen Fakultät 1665–1965. Neumünster 1965 (Geschichte der Christian-Albrecht Universität Kiel, Bd. 3, Teil 1), S. 27–30 und 74 (Lit.). – Rachel (1628–1691) aus Lunden im Dithmarschen studierte in Rostock und Helmstedt und lehrte dort seit 1658 Moralphilosophie. 1665 erhielt er in Kiel eine Professur für Natur- und Völkerrecht, ging aber seit 1677 ganz in den Dienst des Herzogs von HolsteinGottorp über, für den er als Diplomat und Amtmann wirkte. Sein bekanntestes Werk ist De jure naturae et gentium. Kiel 1676 (Neuausgabe mit englischer Übersetzung in den Classics of International Law. Washington 1916). Für seine Tätigkeit in Helmstedt vgl. Aristotelis Ethicorum ad Nicomachum libri decem cum Dionysii Lambini versione latina, accesserunt huic editioni loca parallela ex Magnis moralibus, Eudemiis, Politicis, Rhetoricisque libris. Praemissa est in universam Aristotelis philosophiam moralem introductio. Helmstedt 1660, 2. Aufl. ebd. 1672; De principio actionum moralium liber in septem disputationes publicas. Helmstedt 1664; M. T. Cicero: De officiis libri tres et in illos Samuelis Rachelii J.U.D. [...] Commentarius. Frankfurt a.M. u. Kiel 1668, 2. Aufl. Amsterdam 1686. Eine Geschichte der Cicero-Rezeptionen in Deutschland, insbesondere von De officiis, fehlt. Vgl. Rachel: Introductio (s. Anm. 121): Man solle sich der aristotelischen Lehre mit Vorsicht nähern, denn die wahre Ethik müsse aus der Vorsehung Gottes, seiner Güte und Weisheit erkannt werden: »Nam, ut uno verbo dicam, hic nihil aliud docetur quam ipsum naturae jus, primum et aeternum, immutabile et ubivis gentium eandem obliganidi vim habens« (S. 1). Seine Prinzipien sind eingeborene Ideen: »Deus hominis animam rationalem divinae suae aurae particulam inspiravit, cuius luce ac inclinatione ad suum finem dirigetur«; Gott befiehlt das Gute, weil es gut und gerecht ist und der »lex aeterna« entspricht; alle Menschen und jeder Einzelne sollen auf ihre Weise die Vollkommenheit und das Glück Gottes erstreben »ut non solum specierum continua esset propagatio, sed et individuorum conservatio«. »Idioque multo praeclariorum finem ei proposuit, in quo summa Dei bonitas longe splendidius fulgeret et prae ceteris creaturis homo beatissimam felicitatem haberet«. Die Unsterblichkeit der Seele ist das notwendige Fundament des Naturrechts (S. 30–32); ausführliche Kritik an der Ethik des Aristoteles in Kap. 8–10 und 12. Berufung auf Melanchthon (Enaratio l. V Ethik. Nic.) S. 15 und 85f.; auf Cicero, u.a. De legibus, l.1 c.6 n.18: »Lex est ratio summa, insita natura, quae jubet ea, quae facienda sunt et probibet contraria«; auf Grotius, aber auch auf Gregor von Valencia und Simon Simonius, dessen Ethik-Kommentar sehr gelobt wird. Bei Rachel fehlt noch die Idee der »caritas ordinata«, die sein Schüler Johann Ludwig Prasch: De lege caritatis commentatio ad H. Grotii Opus De juri belli et pacis. Regensburg 1688 (n.1: »Samuel Rachelius, Patronus meus«) zum Fundament auch des philosophischen Naturrechts erklärte (n.4) in Auseinandersetzung u.a. mit Johann Heinrich Boecler, der sie der Ethica christiana vorbehielt.

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in den Gründungsausschuß für die neue Universität Kiel berufen und erhielt dann dort einen Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht – den ersten in Deutschland an einer juristischen Fakultät. In Straßburg (J. H. Boecler) und in Jena (J. J. Müller) entwickelten die Philosophen ein eklektisches Nebeneinander von Naturrecht und aristotelischer Philosophie, d.h. sie verstanden das an H. Grotius anschließende »Naturrecht« als Erweiterung und Verbesserung der aristotelischen Konzeption der Gerechtigkeit und als »Tugendpflicht«. Eine Integration der Pflichten- und Rechtslehre in die Ethik mit vierzehn von zwanzig Kapiteln versuchte z.B. 1690 der Helmstedter Philosoph und Jurist Johann Eisenhart, anders der Leipziger Theologe und Philosoph Adam Rechenberg.123 Die ausführlichen Diskussionen der zugehörigen Probleme und Themen in den »Quaestiones« der Lehrbücher und in den Dissertationen, die oft deren Grundlage bildeten, gelangten zu unterschiedlichen Lösungen, die den Werken jeweils einen individuellen Charakter gaben. Die »calvinistischen« Universitäten und Akademien hatten die relative Einheitlichkeit der föderaltheologisch-späthumanistischen Reformbewegung verloren. Manche, z.B. das Gymnasium in Bremen und das bedeutungslos gewordene Herborn hielten an dieser Tradition fest, an anderen, z.B. an der 1655 gegründeten Universität Duisburg, setzte sich früh der Cartesianismus durch (Johannes Clauberg, 1622–1665), der allerdings keine eigenständige Ethik entwickelte.124 _______ 123

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Johannes Eisenhart: Institutiones moralis scientiae. Helmstedt 1690. – Adam Rechenberg: Lineamenta philosophiae civilis. 1. Aufl. Leipzig 1693, 3. Aufl. ebd. 1701, stellt die verschiedenen Schulen der antiken und zeitgenössischen Ethik – Aristoteles, Ethica christiana, Stoa, Descartes – einander gegenüber und beginnt dann den systematischen Teil mit der Einführung: »Ethicam nostram juxta disciplinam juris naturalis tractabimus, quae abs omnibus mortalibus officia certa vitae rationali et sociali congruentia requivit« (S. 40). Die Ethik wird reduziert auf eine soziale Pflichtenlehre. Vgl. Francesco Trevisani: Descartes in Germania. La ricegione del cartesianismo nella Facultá Filosofico et Medica de Duisburg (1652–1703). Mailand 1992. – Eine Untersuchung über die Ethik des deutschen Cartesianismus fehlt, obwohl oft auf ihre Bedeutung für Christian Wolff hingewiesen wurde. Im Gegensatz zu dem in der Philosophiegeschichte ins Zentrum gerückte Problem des ontologischen Gegensatzes zwischen »res cogitans« und »res extensae« rückte Clauberg die »corporis et animae amicale conjunctio« in den Mittelpunkt, die er als Handlungseinheit zweier selbständiger Substanzen verstand, analog des Verhältnisses von Mann und Frau in der Ehe (Clauberg: Corpus et animae in hominine conjunctio plenius discripta, in: ders.: Opera omnia philosophica. Hg. von Johann Theodor Schalbruch. Amsterdam 1691 [ND Hildesheim 1968], c.29 n.6); sie macht Würde und Wert des Menschseins aus: »quod corporis et animae talis in homine sit conjunctio, ut per eam modo magis modo minus vivere et homo censeri possit« (ebd., c.37 n.8); »Corporis et animi conjugium esse amicum et delectabile« (ebd., c.42), deshalb ist auch Mensch ein Mikrokosmos (ebd., S. 187). Diese Konzeption führt zur Aufwertung der »körperlichen« und »sinnlichen« Empfindungen, zur Polemik gegen Plato und Stoiker: »Cum igitur conjunctio animae cum corpore sita sit in sensibus, appetitibus naturalibus et affectibus, quomodo in omnibus istis voluptatem ac delectationem amabilis supra omnia rerum Conditor posuit, e dictis et citatis plenum est« (ebd., c.42 n.10). Dabei wird die leitende – nicht herrschende, regierende oder verursachende – Funktion der Vernunftseele betont; in ihrer Handlungsfreiheit sei sie das Ebenbild Gottes (ebd., Defensio Cartesiana, Bd. 2, S. 1007). Seine Ethik kann am ehesten als Fortentwicklung der aristotelischen Ethik bezeichnet werden. Clauberg meinte, Descartes habe – abgesehen von der Lehre über die »passiones ani-

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An der reformierten Universität Frankfurt an der Oder wirkten nebeneinander Samuel Strimesius (1648–1730), der eine aristotelische Logik, Metaphysik und Ethik mit platonischem Einschlag vertrat,125 der an Hobbes orientierte Johann Christoph Becmann (1641–1717)126 sowie der »eklektische« Moralphilosoph Arnold Wesenfeld (1664–1727).127 Die reformierten Hochschulen rezepierten in dieser Phase besonders intensiv nachhumanistische Philosophien Westeuropas. Der dritte Typus, die an Platon orientierte Ethik, wirkte fort,128 erlebte aber überhaupt erst im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts als Komplex von rationalistisch-essentialistischer Metaphysik, Ethik der caritas ordinata und einer daran orientierten Naturrechtslehre ihre große Entfaltung als umfassende Synthese, unterstützt u.a. durch den Einfluß des englischen Philosophen Henry More (1614–1687). Am bekanntesten blieb aus dieser Richtung G. W. Leibniz (1646– 1716), vor allem mit seinem Entwurf des Naturrechts (1693) und seiner Kritik an S. Pufendorf (1706). Der Gesamtzusammenhang dieses Platonismus wurde in der neueren Forschung von H.-P. Schneider (1967) für die Grundlagen der _______ mae« – die praktische Philosophie nicht behandelt, »partem quia moralis philosophia, id est, ethicae, oeconomicae, politicae utilitates non ita solent ignorari aut in dubium vocari« (ebd., De utilitate philosophiae, ex. 1 n.23). Vgl. Winfried Weier: Der Okkasionalismus des Johannes Clauberg und sein Verhältnis zu Descartes, Geulincx, Malebranche, in: Studia Cartesiana 2 (1981), S. 42–62; ders.: Cartesianischer Aristotelismus im 17. Jahrhundert, in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 14 (1970), S. 35; allerdings wird die Ethik nicht behandelt. Für Descartes selbst vgl. z.B. Geneviève Rodis-Lewis: La Morale de Descartes. Paris 31970, S. 76–79. Descartes folgt Aristoteles in der Betonung der Freiheit des Handelns, der »Lenkung« und Bewertung der Affekte, dem »summum bonum«, dem Fehlen des Gesetzes als Grundlage der Moral, der reinen Diesseitigkeit: die Unsterblichkeit der Seele ist nur ein Trost-Moment. Aus der »prudentia« wird die »sagesse« mit gleicher Funktion. Auch wird für die Ethik das Prinzip »wahrscheinlicher« Erkenntnis übernommen. 125 Vgl. Schneider: Justitia universalis (s. Anm. 129), S. 270–274. – Samuel Strimesius: Origines morales seu Dissertationes aliquot selectiores vera moralium fundamenta complexae. Frankfurt a.d.O. 1674 enthält eine durchgehende Polemik gegen Aristoteles und Pufendorf im Sinne des platonischen Naturrechts; vgl. Johann Joachim Zentgrav: Specimen juris naturalis secundum doctrinam Platonicam. Straßburg 1679. 126 Vgl. meinen Aufsatz: Hobbes-Rezeptionen. Zur politischen Philosophie der frühen Aufklärung in Deutschland, in: Karl Graf Ballestrem u.a. (Hg.): Politisches Denken. Jahrbuch 2001. Stuttgart u. Weimar 2001, S. 147–151, sowie Grundriß der Geschichte der Philosophie (s. Anm. 115), S. 845–848. 127 Arnold Wesenfeld: Introductio ad Georgicam animi et vitae seu pathologia practica. Frankfurt a.d.O. 1695 und 1712 – Zu Wesenfeld als »eklektischem« Philosophen vgl. meinem Aufsatz: Zur Entwicklung und Eigenart der »Eklektischen Philosophie«, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 319–324. 128 Zum Beispiel bei Guelielmo Mechovius: Philosophia paremetica id est De officiis ac moribus hominum recta ratione ac lege naturae libri sex. Frankfurt a.M. 1671. Das umfangreiche Werk (838 S.) eines Professors an der Lüneburger Ritterakademie ist nach dem Vorbild der Prudentia civilis von Justus Lipsius aus Zitaten klassischer Autoren (vor allem Seneca, Cicero, Plato, Aritstoteles, Plutarch) zusammengesetzt. »Pulcherimus finis vitae est, Deum imitari [...] et consistit in justitia, sanctitate et prudentia. Deo omnis vita beata est; hominibus vero inquantum similitudo quaedam actionis talis existit«. Die ausführliche Darstellung der Tugenden lehrt »hominem Deo similem fieri per virtutes« (Titel des 4. Buches). »Dei notitia continet felicitatem et beatitudinem et omnem perfectionem« (l.3 c.2 n.1).

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Naturrechtslehre129 und von W. Schneiders (1971) für die Ethik130 eindringlich untersucht und dargestellt. 5.2. Schon in der einleitenden Übersicht wurde auf die Spannungen hingewiesen, die in der späthumanistischen Philosophie zwischen Ausarbeitung und Aneignung der verschiedenen klassischen »Schulen« der antiken Philosophen – des Aristoteles, des Platon, des Epikur, der Stoa und der Skepsis – einerseits und den analogen Entwicklungen in wissenschaftlichen Einzeldisziplinen andererseits entstanden. In diesem Zusammenhang muß die »Naturrechtslehre« des Hugo Grotius (1625) gesehen werden: als der erfolgreichste Versuch der vom juristischen Humanismus des 16. Jahrhunderts auf verschiedenste Weise erstrebten systematischen Grundlehre des Rechts, der »Elementa jurisprudentiae universalis«, wie S. Pufendorf die erste Fassung seiner Rezeption des Werkes von Grotius 1660 nannte. Wie immer die Einflüsse und Quellen im Einzelnen bestimmt werden, die Grotius verwendete, so war für sein Werk doch entscheidend ein eklektisches Vorgehen, auf das er selbst in der Einleitung hinwies, mit dem Ziel und dem Ergebnis eines unabhängigen, der juristischen Tradition und ihren Fragestellungen mehr als der einen oder anderen philosophischen Schule verpflichteten Systems einer speziellen Grundlehre des Rechts in allen seinen Formen (jus sociale).131 Grotius verselbständigte diese Lehre endgültig gegen_______ 129

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Hans-Peter Schneider: Justitia universalis. Quellenstudien zur Geschichte des ›christlichen Naturrechts‹ bei Gottfried Wilhelm Leibniz. Frankfurt a.M. 1967 (Juristische Abhandlungen, Bd. VII). – Der Begriff »christliches Naturrecht« ist insoweit irreführend, als bei den meisten Autoren nur die Kompabilität mit der christlichen Theologie postuliert wird, nicht dagegen die Offenbarung als Fundament: als Philosophen berufen sie sich mehrheitlich ausdrücklich und ausschließlich auf die Vernunft. Werner Schneiders: Naturrecht und Liebesethik. Zur Geschichte der praktischen Philosophie im Hinblick auf Christian Thomasius. Hildesheim u. New York 1971 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Bd. 3). Aus der umfangreichen Literatur verweise ich nur auf die Übersicht von Francisco Carpintero: ›Mos italicus‹, ›mos gallicus‹ y el Humanismo rationalista, in: Jus commune 6 (1977), S. 108–171: Grotius Werk sei die »Endform und der Höhepunkt des rationalistischen Humanismus« (S. 171). Hans Erich Troje: Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, in: Helmut Coing (Hg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren, europäischen Privatrechtsgeschichte. Bd. 2,1. München 1977, v.a. S. 749–751 über die Lehren der »universi juris distributio«. Übrigens entsteht aus dieser Tradition auch Grotius’ Betonung der subjektiven Rechte. Troje stellt für die humanistischen Rechtssysteme zusammenfassend fest: »Entsprechend gewinnt der Gedanke des subjektiven Rechts endgültig den Rang einer zentralen, das gesamte System durchziehenden und organisierenden Kategorie« (ebd., S. 750). Vor allem zu Hugo Doneau (1527–1591) vgl. Christoph Bergfeld: Savigny und Donellus, in: Jus commune 8 (1980), S. 24–35 über das auch für Grotius grundlegende Besitzrecht, im Anschluß an Helmut Coing: Zur Geschichte des Begriffs »Subjektives Recht« (1959), in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Rechtsgeschichte, Rechtsphilosopie und Zivilrecht. Bd. 1. Frankfurt a.M. 1982, S. 241–262. Vgl. auch meinen Beitrag: Grundrechtskonzeptionen in der protestantischen Rechts- und Staatslehre im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Günter Birtsch (Hg.): Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft. Göttingen 1987, S. 180–214 (Lit.). Merkwürdigerweise findet die Entwicklung der Grund- und Menschenrechte aus dem romanistischen und humanistischen Personenrecht noch immer kaum Beachtung.

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über der thomistisch-scholastischen und den anderen theonomen Konzeption des Naturrechts als umgreifende Moralphilosophie, wie sie u.a. mit der aristotelischen Kategorie der »Justitia universalis«, mit der Formel »De justitia et jure« und mit der universalen Bedeutung des Begriffes »Natur« im Naturrechtsbegriff gerechtfertigt wurden. Er schuf damit die Gattung des juristischen Naturrechts – nur für Menschen, nur für die äußeren Handlungen, nur für die Beziehungen der Menschen untereinander, nur für die Ermöglichung ihres friedlichen Zusammenlebens, nicht nur als Fundament des Staatsrechts, sondern als »Jus sociale« für die rechtliche Ordnung und Norm aller möglicherweise strittigen Beziehungen zwischen den Menschen. Im Unterschied zu der weiteren Begrenzung, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß von Christian Thomasius das Naturrecht auf die »Zwangsrechte« (obligationes perfectae) beschränkte, blieben allerdings die nur zwanglos durchsetzbaren »jura imperfecta«, d.h. vor allem die Pflichten zur Hilfeleistung, als Bestandteile des Naturrechts erhalten in Anerkenntnis ihrer Funktionen für die Erhaltung der sozialen Beziehungen. Insofern war auch das »juristische« Naturrecht noch eine Ethik des sozialen Verhaltens, war nicht reduziert auf eine reine »Rechtsethik«. Die erste Phase der Rezeptionsgeschichte von Grotius De jure belli et pacis (1625) zeigt eine Reihe von Versuchen, die Ergebnisse dieser ausdifferenzierten Spezialdisziplin mit der philosophia christiana bzw. den späthumanistischen PhilosophieSchulen kompatibel zu machen, zu korrigieren oder zu integrieren132 – im Unterschied zur politisch-sozialen Theorie von Thomas Hobbes, die zunächst einer grundsätzlichen Ablehnung verfiel.133 Meine These ist jedoch, daß erst die Naturrechtsphilosophie Samuel Pufendorfs der Jahre 1672 bis 1673 das juristische _______ 132

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Kritik und Gegenentwurf des konsequenten Aristotelismus formulierte bereits 1653 der Helmstädter Professor Johannes a Felden: Annotationes ad Grotium. Amsterdam 1653, 2. Auf. vermehrt um seine Antikritik gegen Theodor Graswinkel, Leiden 1654, auch Jena und Helmstedt 1663, sowie: Elementa juris universi et in specie publici justinianei. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1664, der umfangreichste Versuch eines Aristotelikers, »Jus civile in artem redigere«. Vgl. Schneider: Justitia universalis (s. Anm. 129), S. 124–135. – Felden studierte in Helmstedt Philosophie und Jura und erhielt dort einen Lehrstuhl für Mathematik. Er versuchte, auf seinem Gut Neukirch (südlich Halle) eine Adels-Akademie aufzubauen. Neben den oben genannten Schriften publizierte er eine Hermeneutik, eine Kriegsbaukunst sowie ein Compendium doctrinae sphaerae, das noch 1724 ins Deutsche übersetzt wurde. Er starb 1668. – Die kritische Rezeption der Politica christiana ist typisch bei dem Humanisten und Professor für Geschichte und Politik in Straßburg Johann Heinrich Boecler: Commentatio in H. Grotii Jus belli et pacis. Tübingen 1661, Straßburg 1663, Gießen 1687, vgl. Schneider: Justitia universalis (s. Anm. 129), S. 134–142, und bei dem Tübinger Theologen Johann Adam Osiander: Typus legis naturae. Tübingen 1669, dann u.d.T. Observationes in libros tres Grotii De jur e belli et pacis. Tübingen 1670, 5. Aufl. ebd, 1711, vgl, Schneider: Justitia universalis (s. Anm. 129), S. 151–157. Die kritische Rezeption der platonischen Rechtsphilosophie zeigt z.B. das Kommentarwerk des Jenaer Philosophen Valentin Veltheim (1676), vgl. ebd., S. 264–270. Üblich war die Anerkennung von Grotius’ De jure belli et pacis als Erneuerung der Pflichtenlehre und die Kritik ihrer Beschränkung auf die juristischen Probleme. Eine ältere Übersicht über die Literatur bei Ernst Reibstein: Deutsche Grotius-Kommentatoren zu Christian Wolff, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 15 (1953/54), S. 76 –102. Vgl. Dreitzel: Hobbes-Rezeptionen (s. Anm. 126), S. 134–174.

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Naturrecht zu einer grundsätzlich neuen, alle geltenden Formen provozierende und bedrohende philosophische Ethik entwickelte. Er führte, mit einer militärischen Metapher ausgedrückt, den Befreiungsschlag gegen den späthumanistischen Scholastizismus: Er behauptete, die »genuina et solida doctina moralis et civilis« zu begründen, die die Ethik des Aristoteles an den Universitäten ersetzen solle, sein Lehrbuch über die »Pflicht des Menschen und Bürgers« schaffe die »prima rudimenta moralis philosophiae«.134 Neben ihr erkennt er nunmehr die Moraltheologie und das positive Recht als Disziplinen der Ethik an.135 Das naturrechtliche »Juspublicum universale« soll den »pars architectonica« der aristotelischen Politik ersetzen. Pufendorf zerstörte damit die Grundlagen der traditionellen Ethik, er behauptete wie andere »Novatores« in der Mathematik, in den Naturwissenschaften und in der Medizin für die Ethik ein neues Fundament zu schaffen, das nicht mehr auf Autoritäten der Antike und Gegenwart verweist oder auf den Consensus der Kulturvölker, sondern sich allein auf die Vernunft beruft, auch gegenüber dem römischen Recht seine Unabhängigkeit behauptet. Die große Diskussion in den Jahren 1673 bis 1684, zum Teil dokumentiert in Pufendorfs Sammlungen seiner eigenen Streitschriften (Eris Scandica, 1686), zeigt die umfassende Auseinandersetzung mit der Philosophia christiana, mit dem Aristotelismus, mit dem Platonismus und natürlich auch mit den Ansprüchen der Moraltheologie.136 Pufendorf schuf eine Situation, die der Ethik der späthumanistischen Philosophie mit erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen, anthropologischen und normativen Argumenten die Legimitation und Evidenz entzog. Dreierlei ist für diesen Prozeß hervorzuheben: Natürlich entstand auch Pufendorfs Philosophie, wie jede philosophische Konzeption seit dem Hellenismus, aus vielerlei Quellen, Anregungen und Einflüssen, die analysiert werden können und müssen137 – er stand vor allem im Diskussionszusam_______ 134

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Pufendorf: De jure, l.1 c.2 n.6, Eris Scandica, S. 364, De officio, Widmung an Graf Steenbock. Charakteristisch ist die Umdeutung des traditionellen Begriffs »justitia universalis«: Sie schließt nicht die Gesamtheit der »Tugendpflichten« ein, sondern neben den »vollkommenen« auch die unvollkommenen Rechte und Pflichten, die sich aus dem Gesetz der socialitas ergeben (De jure, l.1 c.7 n.8). – Ausgaben und Abkürzungen der im folgenden zitierte Werke Pufendorfs: Elementarum jurisprudentiae universalis libri III. Den Haag 1660 (Elementa); De jure naturae et gentium libri VIII. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1759 (De jure); De officio hominis et civis juxta legem naturae. Lund 1673 (De officio); Dissertationes academicae selectae. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1678 (Diss., abgek. Titel); Eris Scandica quae adversus libros de naturae et gentium objecta diliuntur. Frankfurt a.M. – Leipzig 1759 (Eris Sc., abgek. Titel der Streitschrift); De habitu religionis christianae ad vitam civilem liber singularium. Bremen 1687 (De habitu). – Für Pufendorf verweise ich auf meinen Beitrag in: Grundriß der Geschichte der Philosophie (s. Anm. 115), S. 757–812. De officio, Ad lectorem. Für die »utilia« sah Pufendorf allerdings gelegentlich weitere Wissenschaften vor (De jure, l.1 c.3 n.7). Vgl. Fiammetta Paladini: Discussioni seicentesche su Samuel Pufendorf. Scritti latini: 1663–1700. Bologna 1978. Elemente des Aristotelismus sind u.a. die Freiheits- und Handlungslehre sowie die (von ihren ontologischen Praemissen befreite) Erkennnislehre des empirischen Rationalismus; der epikuräischen Tradition entspricht es, für die »socialitas« stärker die »Bedürftigkeit« (imbecilitas) des Menschen (als »Mängelwesen«) zu betonen als die positive Verwirklichung des menschlichen Wesens in ihr, ebenso die historische Genese der Gesellschaft als

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menhang der juristischen Rechtslehre138 – aber Kombination, Zuspitzung, Ausarbeitung und Wirklichkeitsgehalt gaben ihr eine Selbständigkeit, die in Deutschland eine Funktion analog der Philosophie des Descartes in Westeuropa besaß. Die grundsätzlichen Angriffe Pufendorfs, insbesondere gegen die platonische Metaphysik und Ethik, gegen den Aristotelismus und gegen die Philosophia christiana entsprachen außerdem in dieser Tendenz anders begründeten Angriffen aus anderen modernen »Disziplinen«, insbesondere der Naturwissenschaften, und aus anderen philosophischen Konzeptionen, sodaß sich ihre destruierenden Wirkungen wechselseitig unterstützten. Vor allem aber schuf Pufendorf, wie die vielstimmige Diskussion über die philosophische Ethik in der frühen deutschen Aufklärung zeigt, kein »Paradigma«, daß sich dominierend durchsetzte, sondern schuf eher eine Situation des konzentrierten Problembewußtseins, das neben seiner Lösung neue Ideen und unterschiedliche Konzeptionen provozierte. 5.3. Um diese These von Pufendorfs ausschlaggebendem Einfluß zu unterstützen, sollen kurz einige seiner grundlegenden Ideen vergegenwärtigt werden – und auch ihre Folgelasten: a.) Ausgangspunkt ist die »conditio humana«, also nicht das Wesen bzw. die Natur des Menschen, sondern die Bedinungen seines Lebens.139 Pufendorf _______

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Entstehung neuer »Situationen« und »Umstände« zu verstehen, nicht als Entfaltung des menschlichen Wesens wie im Platonismus (bzw. als seine zunehmende Korruption); das natürliche Gesetz primär als Erhaltungsordnung der Menschheit und der theistische Voluntarismus des Gesetzgebers entsprechen ebenso wie die strenge Trennung von Schöpfung und Heilsordnung der lutherischen Tradition; dagegen steht das theistische Fundament und die Aufnahme der natürlichen Theologie in der Tradition der theonomen Naturrechtsethik, obwohl die Ausscheidung der Unsterblichkeit ganz der Tradition des RenaissanceAristotelismus folgt; die anthropologische Grundlegung, die analytische Methode, die Hypothese des Naturzustandes, Friedenserhaltung als primäres Ziel des Rechts, die Betonung der Selbsterhaltung sowie die Bedeutung und Souveränitätsstruktur des Staates, auch die Betonung der relativ künstlichen Erfindungen der Menschen (Souveränität, Strafrecht) sowie die Völkerrechtslehre sind von Hobbes angeregt, während die Forderungen an die Wissenschaft als Prinzipien- und Systemlehre eher cartesianischem Einfluß folgen. Schließlich sind die Ausbildung der Personenrechte, des Vertrags- und Staatsrechtes nur im Zusammenhang der juristischen Rechtslehre, auch der Diskussionen in der Reichspublizistik und der Staatslehren des Aristotelismus zu verstehen. Die Idee des »Rechtsstaates« (im Sinne Kants) stammt jedoch aus dem Neustoizismus (J. Lipsius). Vgl. Eris Sc., Commentatio, S. 340–343, sowie ebd., Specimen, c.2 n.2 und c.4 n.13. Pufendorf will die Epoche der Kommentare über Grotius’ De jure belli et pacis abschließen, denn es gäbe darüber schon nahezu ebenso viel wie über Petrus Lombardus und über die »Institutionen« des Corpus juris civilis (ebd., Specimen, c.4 n.11 und c.1 n.5). Andererseits will Pufendorf die Aufgabe, »Jus naturale in justae formam disciplinae redigere«, besser erfüllen als H. Grotius: auf evidenter Grundlage, kohärent, auf das Zugehörige konzentriert, richtig gegliedert (ebd., Specilegium, c.4 n.1). Die von seinem Lehrer Erhard Weigel (1625–1699), Professor der Mathematik und Philosoph in Jena, angeregte Ontologie der »entia moralia«, dargestellt nur in De jure l.1 c.1, versuchte mit dieser Seinsart den cartesianischen Dualismus von »entia corporalia« und »entia spiritualia« zu ergänzen. Die Lehre steht jedoch als Fremdkörper in Pufendorfs Werk, denn er begründete in seinen weiteren Ausführungen die »entia moralia« ausschließ-

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schnitt mit dieser »anthropologischen« Begrenzung den Zusammenhang mit allen metaphysischen Theorien über das Wesen des Menschen und seine Stellung zu anderen »Wesenheiten« ab. Auch Recht und Gerechtigkeit sind ausschließlich auf diese »conditia humana« bezogene Sachverhalte; von der Gerechtigkeit Gottes kann der Mensch nur durch die Offenbarung wissen. b.) Die wichtigsten Faktoren der »conditio humana« sind, daß die Strebungen und Affekte im einzelnen Menschen und in den verschiedenen Menschen im Vergleich zueinander grundsätzlich vielfältig, veränderlich, überschießend an Kraft und komplex sind. Auch die Thesen von dem angeblich universalen Streben nach dem Guten sei abstrakt und inhaltsleer. Es gibt keine »Natur« des Menschen im Hinblick auf sein Handeln im Sinne eines mehr oder weniger konkreten Programms, das zu verwirklichen ist. c.) Zur conditio humana gehört weiterhin die »Vernunft«, die Pufendorf vor allem versteht als Vermögen, aus Erfahrungen orientierende Erkenntnisse über anderes und andere zu gewinnen und über Sachverhalte, die zukünftig zu erwarten sind – nicht dagegen als Vermögen, das Wesen oder die ideale »essentia« des Seienden zu erkennen.140 Zu ihr gehört außerdem das (begrenzte) Vermögen der Selbstbestimmung des Handelns durch eine ihrem Wesen völlig indifferente Entscheidungsfähigkeit. Pufendorf lehnte das Verständnis der menschlichen Freiheit als Spontaneität der Vernunft grundsätzlich ab, natürlich auch jede Form eines Determinismus. Nur diese Art der Freiheit begründe die Verantwortlichkeit des Menschen (imputivitas) für seine Handlungen gegenüber anderen Menschen. Sie ist aber auch die Voraussetzung dafür, daß es für ihn überhaupt »Gesetze« geben kann. Zur conditio humana gehört weiterhin, daß der einzelne Mensch für sein Leben auf Hilfe und Zusammensein mit anderen Men_______

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lich anthropologisch (vgl. Eris Sc., Specimen, c.4 n.24): Sie entstehen zum größten Teil durch »Wertungen« (impositiones) der Menschen, die auch neue, über das Naturrecht hinausgehende »Werte« (qualitates morales) schaffen, vgl. die Diskussion über die Souveränität (De jure, l.6 c.1 n.12) und über das Strafrecht (ebd., l.8 c.3 n.1). Die Metaphysik und damit die Ontologie hielt Pufendorf später nur für eine Sammlung von Begriffen (Eris Sc., Commentatio, S. 350). Allerdings gehörte die Vorstellung, daß die »qualitates morales« nicht aus den zugehörigen physischen Substraten, sondern aus einer ihnen fremden »suppositio« des Menschen abgeleitet werden müssen, zu Pufendorfs Grundkonzeptionen, die er jedoch nicht, abgesehen von dem erwähnten Kapitel, ontologisch, sondern anthropologisch aus dem Zusammenspiel der Gesetzgebung Gottes mit der Freiheit des Menschen ableitete. Eris Sc., Julius Rodinus, n.11: »Quia essentiae rerum creatarum non sunt aliquid ante ipsarum existentiam, sed sunt conceptis rerum inadaequatis«; ebd., Julius Rodinus, n.12: »conceptos rerum inadaequatos, quia a particularibus et variantibus rerum attributis et huius vel illius individuis existentia abstrahunt [...] cum igitur existentia prior sit essentia, et haec non nisi partem eius exprimunt, quod existit«. Ebd., Specimen, c.4 n.24: »Eoque observationes ex natura rerum petita revera sunt ultimum illud in scientiis humanis, quo ubi perventum fuerit, nulla amplius ratio a priori locum habet«. Pufendorft betont die Selbsttätigkeit des Denkens gegenüber Aristoteles, dem er vorwirft, zu ausschließlich die sinnliche Wahrnehmung zu betonen. Gottes Wesen ist grundsätzlich der Erkenntnis der Menschen entzogen; er kann ihn nur als Wirkursache der Schöpfung erkennen. Vgl. auch seine Kritik an dem Vorbild der Mathematik: sie enthalte nur Tautologien (ebd., Specimen, c.5 n.6).

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schen angewiesen ist, ihrer bedarf, schon allein, weil er auf die Familie angewiesen ist. d.) Unter den Bedingungen der conditio humana ist ein Zusammenleben dauerhaft nur möglich durch ein Gesetz, d.h. durch einen alle Menschen gleichermaßen betreffenden Befehl mit Sanktionsandrohungen, denn nur dadurch ist ihre Pluralität, Veränderlichkeit und Komplexität zu überwinden,141 nur auf diese Weise entsteht eine alle verbindende normative Einheit und Gleichheit als Voraussetzung für ein dauerhaftes Zusammenleben. Pufendorf verstand »Gesetz« stets im juristischen Sinne als Befehl der Obrigkeit, als ihr allgemeines Gebot, als Gebot mit Androhung von Sanktionszwang (vis coactiva) und zugleich als einen Befehl, der für die Untertanen »nützlich« ist, wenn auch seine Nützlichkeit nicht unmittelbar aus ihrem individuellen Streben nach Nutzen abgeleitet werden kann. Der Nutzen des »Naturrechts« (jus naturale), wie Pufendorf dieses Gesetz traditionell bezeichnete, ist der Nutzen des »genus humanum«, der Menschheit insgesamt. Der Mensch erkennt den Gesetzgeber in Gott, der »prima causa« seiner Existenz, und den Inhalt des Gesetzes durch Erfahrung und Vernunft, nicht jedoch durch »eingeborene Ideen« oder die Struktur der Vernunft selbst als Wesenheit.142 Das Gesetz wird als ermöglichende, wenn auch kontingente Bedingung seiner Lebensführung erkannt und fordert vor allem die allgemeine Erhaltung der Gesellschaftlichkeit (socialitas). Seine Sanktionen liegen allein im diesseitigen Leben: Vergehen erweisen sich einerseits auf die Dauer als schädlich und nutzlos, andererseits zerstören sie die »tranquillitas animae« und die »securitas conscientiae«. Die Menschen können sich jedoch dort, wo die Konfliktmöglichkeiten durch die soziale Entwicklung steigen, nicht auf diese Sanktionen verlassen: Sie müssen durch vereinbarte »äußere« Zwangsanwendungen ergänzt werden, d.h. durch die Verteidigungs- und Strafgewalt des Staates. Pufendorf lehnte ausdrücklich das aristotelische Prinzip des »animal politicum« ab: Der »Staat« verwirklicht nicht zureichend die Allgemeinheit des Gesetzes, weshalb das »Völkerrecht« als Naturrecht zwischen den Staaten notwendig ist, und seine Existenz ist auch nicht unmittelbar normativ gefordert, weil Staaten künstliche Anstalten zur Verwirklichung des Naturrechts unter besonderen historischen Bedingungen sind, insbesondere der Bevölkerungsverdichtung. Andererseits lehnte er jedoch auch die »amor ordinata« als Prinzip ab, weil sich aus ihm nicht die erforderliche Obligation ergebe; dazu bedürfe es eines Gesetzes. Pufendorf kritisierte jedoch auch, vorgreifend auf die Diskussionen des 18. Jahrhunderts, die Ableitung der moralischen Normen aus _______ 141

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Obwohl er die »Bosheit« des Menschen nicht ausschloß, war sie nicht, wie in der Philosophia christiana, das Hauptargument, natürlich auch nicht die Unvollkommenheit des Menschen wie im platonischen Naturrecht oder das grenzenlose Streben nach Macht wie bei Hobbes (vgl. De jure, l.1 c.4 n.4f.; l.7 c.2 n.4, c.1 n.10 und c.4 n.8; De officio, l.1 c.1 n.11; c.2 n.1 und n.12–14). – Streben nach dem Guten: De jure, l.1 c.4 n.4. De jure, l.1 c.3 n.21; eine Unsterblichkeit der Seele kann philosophisch nicht erkannt werden, vgl. ebd., n.19; De officio, l.1 c.4 n.8. Die Philosophie befaßt sich grundsätzlich nur mit dem Diesseits: Eris Sc., Specimen, c.6 n.1. Gegen die »imago Dei«: De jure, l.2 c.3 n.5.

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ethischen Gefühlen: Sie seien, wie die Abscheu vor dem naturrechtlich nicht verbotenen Inzest zeige, durch Gewohnheit der positiven Sitten und Gesetze entstanden.143 e.) Hinsichtlich des von Pufendorf ausführlich ausgearbeiteten »jus publicum universale«, d.h. der naturrechtlich notwendigen und möglichen Strukturen der Staaten, ist hier nur hervorzuheben, daß er der traditionellen Theorie der Verfassungsstrukturen endgültig ihre Entstehung aus Gesellschaftsvertrag, Beschluß über die Verfassung und Herrschaftsvertrag hinzufügte, das Widerstandsrecht in den üblichen Begrenzungen auf den Extremfall des Herrschers als Feind der Staatsbürger aufnimmt und die Staatsformenlehre mit großer Wirkung durch das »systema civitatum« und die »monarchia limitata« ergänzte, vor allem, daß er die Funktion des Staates auf die Rechtserhaltung im Inneren und nach Außen (Sicherheit) reduzierte (Rechtsstaat im Sinne Kants). Die trotzdem weitgehenden Kompetenzen zur Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik werden allein mit dem Argument der Erhaltung der »rubor civitatis«, d.h. der Macht des Staates zu seiner Verteidigung und der Staatsräson des inneren Friedens gerechtfertigt – auch hier wieder in deutlicher Ablehnung des Aristotelismus und der Philosophia christiana.144 f.) Pufendorf forderte für die Wissenschaft der Normen ihre Ableitung aus einem Prinzip, das er in dem Gesetz der »socialitas« sah. Das Verständnis der Ethik als systematische Prinzipienwissenschaft und ihre Reduktion auf das Prinzip sozialen Verhaltens hatte eine endlose Debatte über die Einheit des Prinzips oder deren Vielheit für die verschiedenen Bereiche der Ethik, ihre Definitionen und ihre Unterscheidung in Erkenntnis- und Seinsprinzipien sowie die formale Organisation insbesondere auch der Rechtswissenschaft bzw. ihrer Teile zur Folge. Nicht allein, aber vor allem durch Pufendorf setzte sich die bis in das 19. Jahrhundert gültige Vorstellung durch, Kriterium der Wissenschaften für Ethik, Naturrechtslehre und Jurisprudenz sei ihre Struktur als systematische Prinzipienwissenschaft. Für die Realdisziplinen forderte Pufendorf nach dem Vorbild der Physik die Analyse der Sachverhalte in ihre kleinsten selbständigen Einheiten und die Rekonstruktionen der komplexen Gegebenheiten aus deren Notwendigkeiten und Möglichkeiten.145 In der »scientia morum« war für Pufendorf dieses kleinste Element der Mensch im »Naturzustand«, d.h. ohne alle durch Menschen geschaffenen sozialen Verpflichtungen, allein unter dem Naturgesetz mit vollkommener Freiheit, jederzeit selbständig über dessen Anwendung und Verwirklichung zu entscheiden (libertas naturalis) – ein, wie er wußte, _______ 143

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Gegen die amor ordinata: Eris Sc., Specilegium, c.1 n.17; gegen die Gefühlsphilosophie: De jure, l.1 c.2 n.7. Die Kritik richtet sich gegen die Schrift des niederländischen Philosophen Lambert Velthuysen: Dissertatio de principiis justi et decori. Amsterdam 1651, konkret gegen dessen Beurteilung der Scham. Zu Velthuysen vgl. Hans W. Blom: Morality and Causality in Politics. The Rise of Naturalism in Dutch Seventeenth-Century Political Thought. Utrecht 1995 (Proefschrift Universität Utrecht), S. 101–156. Diss. De Statu hominis naturali, n.22 ; Diss. De legibus sumptuariis, passim, grundsätzlich n. 10–12. Eris Sc., Specimen, c.4 n.1, und Diss. De statu hominis naturali, n. 1.

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gedankliches Konstrukt, das zwar in Sondersituationen (etwa Robinson) Realität besitze, aber nicht als Ausgangszustand der historischen Entwicklung gelten könne. Eine dritte Dimension der Wissenschaftstheorie Pufendorfs war die Forderung, die Entstehung des gegenwärtig gegebenen Sachverhaltes der komplexen Gesellschaft als Prozeß der Geschichte zu verstehen, in dem die Entwicklung der Gesellschaft die Aufgaben zur Entstehung des hypothetischen, d.h. von den sozialen Gegebenheiten abhängigen Verwirklichungen des natürlichen Gesetzes schafft. Das »jus sociale« und das »jus publicum« sind also Normen für gesellschaftliche Beziehungen, die von den Menschen selbst geschaffen wurden, zwar ableitbar aus dem natürlichen Gesetz, aber in der Konkretion sein Werk, eine künstliche Schöpfung, deren Kriterium neben der Beziehung zur allgemeinen Norm die Angemessenheit an die Erfordernisse der sozialen Gegebenheiten sind (jus naturale hypothecicum). Die Naturrechtstheorie war auf diese Weise untrennbar mit der Geschichte, mit der Gesellschaftsentwicklung verbunden (Bevölkerungsentwicklung, Wirtschafts- und Gesellschaftsformen, Staatsbildung, internationale Beziehungen).146 Auch z.B. die Entstehung des Besitzrechtes wird als künstliche Veranstaltung zur Regelung friedlicher Beziehungen unter den Menschen unter den Bedingungen der Bevölkerungsverdichtung verstanden; sein konkreter Inhalt muß mit den wirtschaftlich-sozialen Bedingungen jeweils geändert werden. Dabei entsteht eine historische Schichtung der Rechte in solche der ursprünglichen Gesellschaft (Familie), in der die »libertas naturalis« noch fast vollständig bestand, in solche der entwickelten Gesellschaft (mit Besitz, Tausch, Markt und Geld) und schließlich der »Staat« genannten Gesellschaft mit ihren spezifischen und begrenzten Zielen. Übrigens ist die Geschichte bei Pufendorf weder ein Verfallsprozeß noch ein Fortschrittsprozeß, vielmehr zeigt sie die stets auch in den jeweils optimalen Ergebnissen eine mit Kosten und Nachteilen verbundene Erfüllung der Aufgabe, das »Naturgesetz« zu verwirklichen. Weder der »Naturzustand« noch der »Staat« ermöglichen ein vollkommenes Leben. Pufendorf fehlte noch der Optimismus der späteren Aufklärung. 5.4. Nicht ausschließlich, aber hauptsächlich durch Pufendorf begann in der »intellectual history« Deutschlands die Aufklärung. Seine Polemik gegen das »regnum tenebrorum« (im Anschluß an Hobbes), seine Absage an die Autorität der antiken Philosophie und an die humanistische Vorstellung, daß zumindestens deren Grundlagen auch für die zeitgenössische Philosophie zureichend seien, seine Maxime »Philosophia ex solo rationis lumine«, seine Konzentration auf die von allen christlichen Elementen befreite Anthropologie (Erbsünde, Orientierung am jenseitigen Heil) verbunden mit einem empirischen Rationa_______ 146

Vgl. Hans Medick: Naturzustand und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith. Göttingen 1973, S. 40–63; Istvan Hont: The language of sociability and commerce: Samuel Pufendorf and the theoretical foundations of the »four stages theory«, in: A. Pagden (Hg.): The Languages of Political Theory. Cambridge 1987, S. 253–276.

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lismus, der alle »modernen« Wissenschaften integrieren konnte, auch das wachsende historische Bewußtsein, seine Konzentration auf das »irdische« Leben, sogar in der rudimentären und funktionalen natürlichen Theologie, nicht zuletzt sein Problembewußtsein für den modernen Staat, vor allem aber die konsequente Anwendung dieser Konzeptionen auf ein zentrales Thema der Philosophie, auf die Ethik, auch seine Kritik an dem Platonismus als »wahre« Philosophia christiana – alle diese Ideen können diese These neben Pufendorfs konkreter Wirkungsgeschichte begründen. Modern ist auch Pufendorfs Prinzip, daß »Gesetze« im juristischen Sinne des Begriffes nur im Bereich des Verhaltens von Mensch zu Mensch Sinn haben, dort aber auch sowohl für die Konstitution der Person (Verantwortung) als auch für die Erhaltung ihrer Gesellschaftlichkeit (allgemeine Verbindlichkeit) notwendig sind, und die ausschließlich anthropologische Begründung dieses Prinzips: »Non convenit naturae et indolae hominis ut vivat sine lege«. Andererseits schuf Pufendorfs radikaler Versuch, die »Elementa jurisprudentiae humanae« zum Fundament der gesamten Ethik – abgesehen von der Moraltheologie – zu machen, in sich und aus der Tradition der Ethik eine Reihe von Problemen, die auch sofort von der Kritik aufgenommen wurden: War es möglich, die natürliche Religion nur aus ihrer Funktion für das »jus sociale« zu begreifen? War es möglich, die Tugenden ausschließlich als Bereitschaft zur Verwirklichung der sozialen (vollkommenen und unvollkommenen) Pflichten zu verstehen? Wie sind die Menschen, abgesehen von Vernunft und Erziehung, eigentlich motiviert, die Pflichten des Naturrechts auszuüben, d.h. wie ist das Naturrecht mit der Affektenlehre, mit dem Streben nach Eudomänie und der Frage nach der Bestimmung des Menschen (summum bonum) verknüpft? Vor allem: Welche Pflichten besaßen eigentlich die »Menschen als Menschen«, wie Pufendorf gelegentlich sagte, d.h. sich selbst gegenüber, und welche Rechte folgten daraus? Die Formel in De officio, die Pflicht des Menschen sei es nach dem Naturrecht allein, sich zu »einem nützlichen Glied« der Gesellschaft und der Menschheit auszubilden, entsprach einer Interpretation der »fundamentalis lex socialitatis«, die direkte Pflichten nur gegenüber anderen Menschen kennt, die gegenüber Gott und des Menschen gegenüber sich selbst nur als indirekte daraus abgeleitet. Aber die Socialitas sollte ja gerade nicht irgendeine Gesellschaftlichkeit sein, sondern ein Verhalten unter Menschen, das jedem sein »Recht« gibt (jus suum tribuere): Das Prinzip der »socialitas« deckt sich nicht vollständig mit dem Prinzip der Gerechtigkeit. »Gesellschaft« bedeutete auch für Pufendorf immer eine Verbindung von Menschen, die zwar nicht ausschließlich »sui causa conditi« sind, aber auch nicht ausschließlich, um »nützliche Glieder« der Gesellschaft bzw. der Menschheit zu sein: »Weil das Gesetz der socialitas dem Wohl der Sterblichen dient, muß es auf eine solche Weise interpretiert werden, das es das Wohl des Einzelnen nicht zerstört«.147 Die konkrete Durchführung zeigt dann, daß das Gesetz der »sociali_______ 147

De Officio, l.1 c.5 n.6. Vgl. ebd., n.1: »Cum enim non sibi soli sit natus homo, sed ideo tamen eximiis dotibus a creatore sit ornatus, ut et ipsius gloriam celebret et ideoneum societatis humanae membrum existet«. M.eines Erachtens ergibt sich daraus ein dreistelliges System von Rechten: Rechte des Menschen »für sich«, Pflichten gegen Gott, Pflichten ge-

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tas« im Wesentlichen im Gebot des Schutzes der subjektiven Rechte aller und jedes Menschen, der durch sie geschaffenen Rechtsverhältnisse sowie der zu deren Schutz geschaffenen Institutionen besteht. Für die Ethik bedeutete das: Trotz seiner mehrfachen Behauptung erfüllte auch für Pufendorf selbst die »lex socialitatis« nicht die Funktion eines Fundaments der Moralphilosophie, denn sie bezog sich nur auf einen Teil der »Bestimmung des Menschen«. Im juristischen Naturrecht tauchen die anderen Teile vor allem in den subjektiven, dem Schutz in der socialitas anbefohlenen Reche des Einzelnen auf. Pufendorf hat niemals versucht, sie allein aus dem Prinzip des Nutzens und Erhaltung des Genus humanum abzuleiten: vielmehr erscheint auch bei ihm die »socialitas« nur als ein Teilbereich des menschlichen Lebens. Pufendorf war 1660 von der Selbsterhaltung als Prinzip der subjektiven Rechte ausgegangen.148 Er berief sich für die Pflicht des Menschen gegenüber sich selbst darauf, daß Gottes Schöpfung zu erhalten und zu vervollkommnen sei zu seinem Ruhm.149 Meist entwickelte er den konkreten Katalog von »angeborenen« Rechten des Menschen und die entsprechenden des Menschen als Person in allen »regulären« Staaten, wie sie von der späthumanistischen Jurisprudenz formuliert und seit dem mannigfach variiert worden waren (libertas, aequalitas, vita, incolumitas membrorum, existimatio, possessio, jura civitatis).150 Er forderte vor allem den Schutz und die möglichst weitgehende Erhaltung der »natürlichen Freiheit«.151 Er erweiterte den herkömmlichen Katalog um das Recht zur Auswanderung,152 auch in Massen, verbunden mit dem Verbot der _______

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genüber der Gesellschaft. Vgl. De jure, l.2 c.3 n.18: » Neque enim (deus) ideo sociabiles nos esse jussit, ut nostri curam negligeremus«. Elementa, l.2 ax. 2 obs. 3: »leges naturales fundamentales« sind: »Ut quilibet vitam et membra sua quantum potest tuetur seque ac sua conservat – Ut ne perturbet societatem humanam«; beide Gesetze werden dann verbunden in der Formel: »Ut ita quisque conservare se studeat, ne societas inter homines turbetur«. Die Selbsterhaltung ist aber angeborene Pflicht, im Verhalten gegen sich und andere dem natürlichen Gesetz zu folgen; sie begründet die subjektiven Rechte in den Grenzen der »socialitas«, vgl. ebd., l.1 def. 3. n.2. De jure, l.2 c.4 n.15: »Vita nostra a Creatore concessa est, velut stadium aliquod, exercendis ex dictamine rationis nostris viribus«. De officio, l.1 c.6 n.3: »Hoc autem officio velut muniuntur non illa tantum, quae per ispam naturam alicui adsint, uti ita est vita, corpus, membra, pudicitia, libertas; sed et quae instituto atque conventione humana sunt quaesita«, z. B. Besitz. Ausführlich De jure l.3 c.1–3. – Das Urteil von Diethelm Klippel: Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutsche Naturrecht des 18. Jahrhunderts. Paderborn 1976, über »die Funktionen des Freiheitsbegriff im älteren Naturrecht der deutschen Aufklärung«: »Die libertas naturalis dient einerseits der theoretischen Absicherung von Herrschaftsverhältnissen überhaupt, andererseits der Begründung staatlicher Herrschaft« (S. 38), es zeige sich, »daß weder Naturrecht noch die natürliche Freiheit Schranken gegen den Verlust der persönlichen Freiheit aufrichten« (S. 57), trifft jedenfalls für Pufendorf nicht zu. Diss. De statu hominis naturali, n.8: »haec libertas civium, quam personalem solent vocare, sub una reipublicae forma regulari per se non amplior aut malignior est, quam sub alter«; d.h., die »politischen« Rechte gehören nicht zu den Freiheitsrechten in jedem Staat. De jure, l.8 c.11 n.2–4; Diss. De obligatione erga patriam, n.35–40: »Qui enim civitati se adjungit, ille neque cura sui ac rerum suorum neque penitus libertate se sua abdicat, sed potius id spectat, ut illa firmo subsidio fulciatur et hac eo securius frui queat [...]. Talibus li-

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Ausweisung von Bürgern durch den Staat, weil das »jus civitatis« ein älteres, vom Staat anzuerkennendes subjektives Recht sei, und auf die religiöse Freiheit, nicht nur als Freiheit vom Zwang zu einem Bekenntnis, sondern auch als Recht, private Religionsgesellschaften ebenso wie wissenschaftliche Gesellschaften zu gründen153 – allerdings doch wohl im Rahmen der von ihm als fundierende Staatsdoktrin geforderten »natürlichen Religion«. Auch hier kam er in Probleme: Das Wesen der theologia naturalis und die Begründung ihrer Wirksamkeit für den Zusammenhalt der Gesellschaft wurde von Pufendorf vor allem in der »internen« Motivation gesehen, während er doch gleichzeitig ganz entsprechend der Tradition der »jurisprudentia universalis« die Pflichten des Naturrechts auf äußere Handlungen begrenzte. Außerdem: wie sollten die Sanktionen des göttlichen Gesetzgebers wirken bzw. erwartet werden, wenn die Unsterblichkeit der Seele nicht zur philosophischen Theologie gehörte? Und: Zwar betonte Pufendorf, daß ebenso wie Freiheit, Gleichheit, Widerstandsrecht und Lebensunterhalt auch das Besitzrecht und das Familienrecht vorstaatliche, vom Staat nicht grundsätzlich aufhebbare, nur einschränkbare Rechte seien. Drohte jedoch bei Grotius die nahezu auf den freien Vertragsschluß reduzierte natürliche Freiheit in der Gesellschaft die sonstigen Menschenrechte aufzuheben (vgl. seine Theorie, daß der Mensch sich selbst durch einen Vertrag in vollkommene Sklaverei begeben könne und Kinder diese Sklaverei erben), so bei Pufendorf der Staat, trotz seiner These von der »communio juris« zwischen absolutem Herrscher und Staatsbürger, weil jener doch außerhalb des Gerichtsystems des Staates stehen sollte. Allerdings war Pufendorf sich dieser Probleme bewußt: Er bemühte sich, die Unaufhebbarkeit bestimmter subjektiver Rechte bzw. die Beschränkung ihrer Aufhebung zu begründen. Schließlich war auch die Rechts- und Machtstaatskonzeption problematisch: Pufendorf sah, daß Bürger und Staat als »Gesellschaft« auch durch andere, z.B. wirtschaftliche und religiöse Interessen und deren Organisation verflochten und z.T. intensiver integriert werden als durch den Staat – obwohl er diese Beziehungen allenfalls als Objekt sozialtechnologischer Manipulationen im Sinne der Staatsraison und der Erhaltung der Ordnung betrachtete. 5.5. In der durch Pufendorfs Werke geschaffene Diskussion setzten sich nicht die Reaktionen der späthumanistischen Philosophie-Schulen durch, auch nicht _______ 153

centiam migrandi denegare velle idem foret, atque liberis homnibus imperat, ut supra parentum suorum conditionem numquam adspirare audeant«. De habitu, n.5, 6 und 8: keine »abdicatio naturalis libertatis« im Hinblick auf die Religion durch Staatsgründung; Kirche als »societas hominum independente« (n.30) und »collegium« (n.39); auch in einer Kirche, die mit dem Staat verbunden ist, haben Dissenter das Recht auf Kirchengründung, ihnen darf das Bürgerrecht nicht abgesprochen werden (n.54); Grenze: die Erhaltung der natürlichen Religion als Minimum (n.7, n.48). Vgl. Simone Zurbuchen: Naturrecht und natürliche Religion. Zur Geschichte des Toleranzbegriffes von Samuel Pufendorf bis Jean-Jacques Rousseau. Würzburg 1991, S. 6–61, und meinem Artikel: Gewissensfreiheit und soziale Ordnung. Religionstoleranz als Problem der politischen Theorie am Ausgang des 17. Jahrhunderts, in: Politische Vierteljahrsschrift 36 (1995), insbs. S. 10–15.

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der Platonismus, der von Leibniz metaphysisch radikalisiert wurde, obgleich er zweifellos die philosophisch geschlossenste und überzeugendste Gegenposition darstellte. Vielmehr schufen seit den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts, ausgehend vor allem von Christian Thomasius und Johann Franz Budde, die Anhänger der »eklektischen Philosophie« einen neuen, vorübergehend dominierenden Rahmen für die Gesamtheit der »praktischen Philosophie« und ihrer einzelnen Disziplinen, der dem Naturrecht Pufendorf’scher Prägung einen wichtigen, aber nicht dominierenden Platz zuwies. Dieser Rahmen beruhte auf der Unterscheidung unterschiedlicher Bereiche und Motivationen menschlichen Handelns mit jeweils selbständigen und in ihrem Wesen verschiedenen Prinzipien (summum bonum und Eudämonie für die »Ethik«; »Naturrecht« als Pflichtenlehre und Gesetzeslehre der sozialen Gerechtigkeit; Nützlichkeit für die »Politik« von Individuen, Gesellschaften und Staat; ästhetische Annehmlichkeit (decorum) für die homiletischen Tugenden), die letztlich allein durch das Handeln des Menschen und seiner Struktur (Willensfreiheit) zu einer Einheit verbunden wurden.154 Aber schon die Weiterentwicklung dieser Ethik durch Christian Thomasius von 1698 bis 1705, die im Verlauf einer säkularisierenden Destruktion der »caritas ordinata«-Konzeption, zunächst als Trieb der »vernünftigen Liebe« gedeutet, zu einem Eudämonismus der unmittelbaren Strebungen und Gefühle einerseits, zur Destruktion des Naturrechts als »Gesetz« und der Willensfreiheit andererseits führte,155 ebenso aber auch die radikale Philosophia christiana des Hallischen Pietismus und die endlose Debatte über Prinzipien, Abgrenzung und Funktion des Naturrechts zeigen die Offenheit und rasche Fortentwicklung der Diskussion, in die auch Theorien ganz anderer Herkunft eintraten wie J. Chr. Becmanns Rezeption der politisch-sozialen Theorie der Selbsterhaltung

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Das erfolgreichste Lehrbuch war Johann Franz Budde: Elementa philosophiae practicae. Halle 1698, 8. Aufl. Halle 1720. Die Begründung des »ekletischen« Systems der praktischen Philosophie in der Vorrede zur 1. Auflage. Vgl. seinen Schüler Andreas Rüdiger: Klugheit zu leben und zu herrschen. Leipzig-Koethen 1733, S. 56: »Denn die Ethik betrachtet die innerliche Tätigkeit des menschlichen Herzens, sofern dieselbe also einzurichten, daß daßelbe in seiner Zufriedenheit und von Gott vergönnten Ruhe verbleibe. Das Recht der Natur aber handelt auch von dem Thun des Menschen, aber sofern es also einzurichten, daß man Gott und Menschen seine Schuldigkeit erweise; und endlich handelt die Staatsklugheit oder Politique von demselben Thun, insoweit es also beschaffen seyn soll, daß man dadurch eine vernünftige Absicht erhalten möge: es seye nun, daß sothane auf unseren eigenen Nutzen, oder auf den Nutzender gesamten Menschen-Gesellschaft gesehen [...]. Der Zweck der Staatslehre besteht darin, daß der Mensch seine äußerliche Glückseligkeit befördern lerne«. Über die Identifizierung von »Politik«, »Staatsräson« und »Nützlichkeit« für den Einzelnen und für Gesellschaften vgl. meinen Beitrag Die ›Staatsräson‹ und die Krise des politischen Aristotelismus, in: A. E. Baldini (Hg.): Aristotelismo Politico e Ragion di Stato. Florenz 1999, insbes. S. 142 – 145; für den Kontext dieser Neuordnung der praktischen Philosophie vgl. Zur Entwicklung und Eigenart der »Eklektischen« Philosophie (s. Anm. 127), S. 324–340. Christian Thomasius: Fundamenta juris naturae et gentium ex consensu communi deducta. Halle 1705 (ND Aalen 1979).

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von Thomas Hobbes156 und die Darstellung der Ethik als Gesundheitslehre der Seele durch den Hamburger Philosophen Vinzenz Placcius (1695).157 1719 und 1720 veröffentlichte Christian Wolff die ersten Fassungen seiner rationalistischen Ethik. Sie bedeutet die Renaissance der Idee der strukturell-substantiellen Einheit des Menschen in seinen unterschiedlichen, körperlichen und geistigen Vermögen als seine Natur, sein »Wesen«, gewissermaßen seines vorgegebenen Programms, dessen Verwirklichung natürlicher Trieb zur Eudämonie, Norm der Vernunft und Gesetz Gottes zugleich sei, unter dem Begriff der Vollkommenheit, der auf die wesensmäßige Ähnlichkeit des Menschen mit Gott verweist. Neu und zur Aufklärung gehörig war Wolffs Konzeption deshalb, weil sie grundsätzlich und optimistisch auf die Vollkommenheit im irdisch-konkreten Leben konzentriert war; die Religion diente, wie in Pufendorfs Naturrecht, nunmehr zur Stärkung für dieses Leben, nicht mehr als Garantie der Zugehörigkeit des Menschen bzw. seiner Seele zur allein möglichen Vollkommenheit im Jenseits. Ethik, »Naturrecht« und die übrigen Bereiche der praktischen Philosophie werden unter einem platonisierenden Vernunftbegriff zu einer Einheit, einem »System« verschmolzen im Vertrauen auf die Harmonie der Schöpfung – was Anhängern der eklektischen Philosophie (z.B. Christian August Crusius) und Schülern von Christian Thomasius (z.B. Johann Jacob Schmauß und Johann Christian Claproth) nur als irreale und inhumane, ja lächerliche Konstruktion verurteilen konnten.158 Bereits 1704 war eine vielbeachtete und bald fortgeführte Argumentation erschienen, die Existenz, Notwendigkeit und Nutzen des Naturrechts für die Jurisprudenz und für die Philosophie überhaupt leugnete.159 Die Aufklärung brachte nicht nur den Triumph, sondern auch die Auflösung und das Ende des theologisch-juristisch-moralphilosophischen Naturrechtssyndroms.

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Johann Christoph Becmann: Prima linea doctrinae moralis de natura moralium variisque earum casibus ductae. Berlin 1686; ders.: Meditationes politicae. 2. Aufl. Frankfurt a.d.O. 1674. Vgl. Dreitzel: Hobbes-Rezeptionen (s. Anm. 126), S. 147–151. Vincentius Placcius: Accessiones Ethicae sive Medicinae moralis compendio. Hamburg 1695. Vgl. auch Wesenfeld: Introductio 1695 (s. Anm. 127). Vgl. Dreitzel: Hobbes-Rezeptionen (s. Anm. 126), S. 162–167. Vgl. Adam Friedrich Glafey: Vollständige Geschichte des Rechts der Vernunft. Leipzig 1739, S. 270–275.

Personenregister

Abulafia, Abraham 24 Achilleus Tatios 154 Agricola, Rudolf 144, 319 Agrippa von Nettesheim, Heinrich C. 367 Alberti, Leon Battista 131 Alberti, Valentin 329 Albinos 147 Alkinoos 143 Alsted, Johann Heinrich 1, 3, 5, 15, 19, 33, 38, 52, 53, 57, 63–68, 70–82, 174, 186, 198, 205, 209, 328, 330, 334, 359, 360, 362–365 Althusius, Johannes 32, 33, 35, 196, 326, 329, 330, 360, 364, 365 Ammianus Marcellinus 154 Anaxagoras 61 Anreiter, Thomas 267 Apollodoros 157 Apollonios von Tyana 124 Apuleius 4, 123, 124, 126–157 Ariosto, Ludovico 152 Aristeides 125, 154 Aristophanes 154 Aristoteles 27, 47, 48, 64, 97, 107, 204, 205, 207, 208, 258, 264, 295, 296, 299, 319, 322, 326, 331, 339, 340, 341, 345, 352, 361, 367, 379, 382 Arndt, Johann 51 Arnisaeus, Henning 344 Arnold von Bentheim, Graf 196, 201 Arnold, Gottfried 173 Arriaga, Rodrigo de 7, 281–291 Athenaios 157 Augustinus 48, 88, 89, 102, 104, 112, 118, 124, 125, 126, 132, 134, 154, 282, 295 Aulus Gellius 154, 157

Averroes 199, 207, 295 Avicenna 207, 208, 261 Bacon, Francis 69, 195, 327 Balduin, Antonius 260, 261 Barth, Caspar 147 Basileios 154 Baumann, Christian 265, 266, 268 Bayle, Pierre 257 Becher, Johann Jakob 334 Becmann, Johann Christoph 334, 381, 393 Belluto, Bonaventura 284, 285, 286 Beroaldo, Filippo 4, 126–134, 141, 142, 147, 151, 152, 154–157 Bersuire, Pierre 130 Besold, Christoph 214 Bethlen, Gábor 36 Beza, Theodor 318 Billy, Jacques de 65 Bisterfeld, Johann Heinrich 1, 3, 4, 5, 15–41, 57–83 Bobowski, Ali Bej 20 Boccaccio, Giovanni 139 Bodin, Jean 123, 125, 172, 376 Boecler, Johann Heinrich 334, 380 Boehme, Jacob 333, 367 Boethius 144 Boiardo 152, 157 Borja, Francisco 260 Borromeo 256 Bourdelot, Jean 153 Bovelles, Charles de 63, 64, 96 Brant, Johann 150 Brucker, Jacob 198, 199 Bruno, Giordano 1, 46, 52, 65, 71, 74, 75, 120 Budde, Johann Franz 330, 377, 393 Burgersdijk, Franco 32

400 Burgundio von Pisa 62, 65 Bussi, Andrea de 127, 129 Cahlen, Friedrich 342 Calixt, Georg 5, 7, 213, 226, 233, 240, 246, 328 Calvin, Johannes 243, 318, 327 Camerarius, Joachim 341 Campanella, Tommaso 1, 16, 108, 120 Canisius, Theoderich 258, 260 Capittel, Andreas 262, 264, 267, 268 Cardano, Girolamo 7, 204, 253–254, 256–265, 267, 268 Casaubon, Isaak 8, 123, 143, 151, 163, 319 Caselius, Johannes 339, 340 Casmann, Otho 1, 6, 15, 195–210, 328, 358, 360 Cassiodor 146 Cesalpino, Andrea 16 Cesi, Kardinal 256 Chalcidius 156 Charron, Pierre 318, 325 Chemnitz, Martin 66 Chigi, Agostino 127 Christian I., Kurfürst 46 Chrysostomos, Johannes 265 Chytraeus, David 328 Cicero 138, 167, 281, 295, 318, 319, 322, 324, 325, 326, 331, 333, 341, 346, 347, 357, 358, 378, 379 Clainer, Georg 261 Claproth, Johann Christian 394 Clauberg, Johannes 370, 380 Clavius, Christoph 267 Clemens VIII. 257, 260 Cluver, Philipp 146, 150 Colomiès, Paul 152, 153 Colvius, Pierre 140, 141 Comenius, Johann Amos 1, 15, 19, 20, 27, 31, 37, 39, 41, 80, 82, 268 Compton-Carleton, Thomas 286, 290 Conring, Hermann 344, 379 Contzen, Adam 236 Cordovero, Moses 20 Cotton, Robert 153 Cramer, Daniel 179

Personenregister

Crell, Johann 15, 17, 19, 21 Crocius, Ludwig 5 Crusius, Christian August 394 Crusius, Florian 38, 330 Culpeper, Cheney 81 Cusanus, Nicolaus 1, 63, 68, 82, 108, 112, 118 Dandinus, Hieronymus 262 Daneau, Lambert 198, 328 Danner, Albert 265 Delrio, Martin 262, 263 Demokrit 134, 319 Deodati, Giovanni 35 Descartes, René 6, 103, 210, 249, 333, 385 Diogenes Laërtius 319 Dionysios Areopagites 319 Donatus 153 Doret, Claude 26 Dorn, Gerhard 188 Drabik, Mikuláš 37 Du Chesne, Joseph 123 Duns Scotus, Johannes 62, 209, 295 Dupuy, Jacques 143 Dupuy, Pierre 143 Dürr, Johann Conrad 342 Dury, John 20, 37, 39, 80, 81 Eisenhart, Johann 380 Eitzen, Paul von 328 Elmenhorst, Geverhart 150, 151 Empedokles 134 Epikur 319, 331, 352, 382 Erasmus, Desiderius 75, 255 Euripides 154 Fabricius, Johann Albert 156 Felde, Johannes A. 379 Fernel, Jean 123, 218, 227 Fichte, Johann Gottlieb 329 Ficino, Marsilio 1, 63, 108, 112, 148, 204, 333, 367 Flacius Illyricus, Matthias 4, 146 Fludd, Robert 6, 146 Fonseca, Pedro 179 Forer, Lorenz 263

401

Personenregister

Fox Morzillus, Sebastian 368 Francken, Christian 171 Franz, Jakob 266 Freige, Johann Thomas 145 Friedrich Wilhelm, Herzog 14, 46, 47, 48 Fritsch, Ahasver von 328 Fulgentius 130, 141 Galen 204, 206, 207 Gassendi, Pierre 318 Gataker, Thomas 319 Genua, Mark Antonio 209 Gesner, Salomon 47 Gezelius, Johann Georg 20 Goclenius, Rudolph d.Ä. 4, 5, 35, 66, 67, 69–72, 74, 79, 174, 175, 196, 201, 202, 204, 219, 233, 256, 369, 372 Goclenius, Rudolph d.J. 174, 263, 268 Golius, Pieter 20 Grandinger, Paul 262 Gregor von Nazianz 61, 154 Gregor XIV., Papst 45 Gregoras, Nikephoros 154 Grotius, Hugo 155, 327, 367, 379, 380, 382, 383 Gruter, Janus 143, 151 Grynaeus, Johann Jakob 220 Guericke, Otto von 290 Gundling, Nicolaus Hieronymus 169 Günther, Owen 340, 368 Hafenreffer, Matthias 236 Hartlib, Samuel 19, 23, 25, 29, 30, 39, 80, 81, 82 Harvey, William 210 Haunold, Christoph 267 Hawenreuther, Ludwig 222, 231, 369 Heereboord, Adrian 31 Heiland, Samuel 343 Heinsius, Daniel 146, 147, 149, 150, 151, 319 Heliodor 154 Helmont, Franciscus Mercurius van 27, 29, 30, 31 Hemmings, N. 328

Hermes Trismegistos 14, 48, 115, 319 Hesiod 145 Hesychios 154 Hieronymus 149, 154 Higgins, Adam 265, 268 Hippokrates 204 Hobbes, Thomas 257, 327, 367, 383, 394 Hoecker, Jonas 66 Hofmann, Daniel 6, 213, 215, 246, 329, 330 Hölderlin, Friedrich 152 Holstenius, Lucas 146 Holzhai, Georg 261 Homer 134, 281 Hopper, Joachim 34 Hopper, Marcus 136–138, 152 Horn, Conrad 341, 355 Hornejus, Konrad 233 Horovitz, Sheftel 20 Howard, Thomas 153 Huet, Pierre Daniel 155 Hunnius, Aegidius 47, 243 Hunnius, Nicolaus 225 Isidor von Sevilla 146 Itter, M. Anton 342 Ives de Paris 82 Javelli, Chrysostomo 285 Jessen, Johannes 1, 3, 14, 17, 42–55 Jesus Christus 138, 166 Johannes von Damaskus 61, 62, 65, 69, 146 Jungius, Joachim 183, 220 Kant, Immanuel 288, 337, 388 Keckermann, Bartholomäus 220, 227, 295, 306 Kepler, Johannes 146, 325, 326 Kinner, Cyprian 31 Kircher, Athanasius 82, 146, 155 Klemens von Alexandrien 154 Klemens von Rom 155 Klencke, Ludolph von 7 Knorr von Rosenroth, Christian 28, 29 Kopernikus, Nikolaus 325

402 Laktanz 112 Lavinheta, Bernhard von 64, 75 Lefèvre d’Etaples, Jacques 4, 62, 64, 65, 68, 74, 79, 146 Leibniz, Gottfried Wilhelm 4, 22, 29, 41, 58, 64, 65, 72, 80, 82, 106, 120, 291, 317, 371, 381, 393 Lemnius, Levinus 263 Lessing, Gotthold Ephraim 170, 172 Leto, Pomponio 131 Leyser, Polikarp 46, 47 Liebenthal, Christoph 341 Lindenbrog, Heinrich 143, 150 Lipenius, Martin 334 Lippach, David 54 Lipsius, Justus 319, 325, 333, 335, 365 Lubin, Eilhard 1, 4, 87–120, 334 Lugo, Juan de 282, 284, 290, 291 Lukian 125, 126 Lukios von Patrai 125, 136, Lullus, Raimundus 18, 23, 63, 68, 71, 74, 75, 77 Luther, Martin 47, 48, 52, 242, 327 Lynch, Richard 286 Machiavelli, Nicolo 319, 362 Macrobius 131, 132, 157 Magirus, Johannes 368 Maier, Jakob 263 Mainardi, Pietro 18 Maire, Johannes 142 Marino, Giambattista 152 Marius Victorinus 95, 96, 144 Martianus Capella 132, 146 Martini, Cornelius 7, 150, 213, 214, 246, 248, 341 Martini, Jacob 6, 164, 169, 213, 214, 222, 227, 229, 230, 238, 239, 245, 246, 248, 330, 341, 355 Martini, Matthias 214, 223 Mastri, Bartolomeo 284, 285, 286 Maximilian I., Kaiser 255 Maximus Confessor 61, 69 Maximus von Tyre 146, 150, 157 Mede, Joseph 38 Meerbott, Heinrich 39

Personenregister

Meier, Gebhard Theodor 379 Melanchthon, Andreas 257 Melanchthon, Philipp 5, 7, 47, 144, 204, 207, 218, 258, 259, 318, 319, 322, 327, 329, 338, 340, 356, 357, 360, 378, 379 Mersenne, Marin 171 Metzger, Wolfgang 263 Michelangelo 281 Mocquet, Jean 262, 267 Montaigne, Michel de 113 More, Henry 30, 281 Morhof, Daniel Georg 334 Morian, Johann 19, 21, 29, 30 Moritz von Hessen-Kassel 174 Morone, Giovanni 256 Morsius, Joachim 183 Müller, J.J. 380 Naudé, Gabriel 124 Neldel, Johannes 228, 232 Nicolai, Philipp 51 Nigrin, Bartholomäus 20 Nolle, Heinrich 1, 5, 173–192 Ockham, William 62, 285 Opitz, Martin 149, 157 Origenes 69, 131, 366 Orpheus 48, 124 Orsini, Fulvio 142 Palaiologos, Manuel 154 Pallavicino, Peitro Sforza 281, 282, 285 Paracelsus 183, 184, 204, 242 Pasch, Georg 336 Patrizi, Francesco 1, 3, 14, 27, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 108, 120, 204 Paulus 48 Penni, Francesco 127 Pereira, Benito 258, 295 Permeier, Johann 38 Petau, Denis 66 Petrus, Henricus 137 Pfaffrad, Caspar 213, 330, 370 Philargyrius, Johannes 139 Philo von Alexandrien 154

403

Personenregister

Piccolomini, Francesco 16, 295, 343, 368 Pico della Mirandola, Giovanni 1, 17, 18, 23, 24, 87, 108, 112, 129, 135, 333, 367 Pindar 145 Pistorius, Johannes 17 Placcius, Vincenz 394 Platon 48, 88, 95, 96, 97, 131, 134, 143–146, 148–150, 322, 326, 330, 333, 346, 347, 349, 350, 365–369, 381, 382 Plinius, Gaius Secundus d.Ä 48, 263 Plotin 48, 89, 366 Plutarch 89, 95, 96 Polanus, Amandus 66, 67, 68 Poliziano, Angelo 129 Pomponazzi, Pietro 228, 263, 345 Porphyrios 94, 135, 136, 146 Portus, Aemilius 146 Postel, Guillaume 26 Pricaeus, Johannes 152–157 Probus 139 Proklos 4, 89, 95, 96, 131 Psellos 156 Pseudo-Cyrill 61 Pufendorf, Samuel von 7, 317, 329, 330, 367, 381, 383–393 Pulci, Luigi 152 Puteanus, Erycius 150 Pythagoras 48, 128, 132, 134 Quenstedt, Johannes 243 Rabelais, François 255, 257 Rachel, Samuel 379 Raffael 127 Rákóczi, György I. 15, 36 Rákóczi, György II. 36 Rákóczi, Sigismund 37, 39 Ramus, Petrus 65, 144, 200, 295, 319, 333, 360, 369, 370 Raphelengien, Christophe 141 Raphelengien, François 140 Ratke, Wolfgang 198, 205, 209, 213 Raymund von Sabunde 378 Rechenberg, Adam 380

Reimann, Jacob Friedrich 173 Reimarus, Hermann Samuel 166, 171 Reinkingk, Dietrich 328 Reuchlin, Johannes 17, 112, 367 Reusner, Nicolaus 358 Rhodiginus, Coelius 147, 151 Riger, Johannes 358 Ritschel, Georg 1, 39, 40, 82 Rittangel, Johann Stephan 18–21, 25–27, 39 Romano, Giulio 127 Rosselli, Annibale 3, 13, 14, 17 Rovere, Antonio della 255 Rudolph II., Kaiser 44 Rutgers, Jan 149, 150, 152 Sagittarius, Thomas 256 Sallust 154 Salutati, Coluccio 324 Sanchez, Francisco 325 Sarasar, Alfonso Antonio de 282 Scaliger, Joseph Justus 147 Scaliger, Julius Caesar 7, 179, 204, 223, 253–260, 262, 264–268, 295, 343 Schato, Andreas 232, 235 Scheffer, Johannes 334 Schegk, Jakob 220, 227, 368 Schilling, Wencel 6 Schilling, Wenzel 213–217, 227, 229, 230, 235, 238, 239, 245–248 Schmauß, Johann Jacob 394 Schmid, Erasmus 145 Schoenborner, Georg 236 Schoppe, Caspar 142, 333 Schottel, Justus Georg 342 Schupp, Johann Balthasar 328 Schuwardt, Johannes 328 Scultetus, Abraham 358, 378 Seckendorf, Veit Ludwig 328 Seidel, Martin 5, 161–172 Selden, John 153 Sendivogius, Michael 186 Seneca 94, 95 Sennert, Daniel 220, 221, 224, 226 Servius 139, 153

Personenregister

404 Severinus, Petrus 181 Sextus Empiricus 319 Sichardus, Johannes 137 Sidonius Apollinaris 154 Simonius, Simon 368, 369 Sixtus V. 257 Sleidan, Johannes 369 Som, Simon 262, 265, 266 Soner, Ernst 164 Sozzini, Fausto 164, 165 Spener, Philipp Jakob 317, 356 Sperling, Johannes 256 Spinoza, Baruch de 97, 107 Steewech, Gottschalk 137 Stengel, Georg 264, 266, 268 Stephani, Joachim 371, 372, 374, 375, 376 Steuco, Agostino 6, 14 Strimesius, Samuel 381 Sturm, Johann Christoph 317 Suárez, Francisco 62, 282, 283, 284, 295, 378 Sueton 154 Tacitus 154, 319 Taurellus, Nicolaus 179, 218, 219, 230, 231, 232, 239, 242, 244, 246 Telesio, Bernardino 16, 27, 204 Tertullian 149 Theodoret 154 Theophrast 257, 259, 267 Theophylakt von Achrida 156 Thomas von Aquin 89, 104, 209, 295, 318, 326, 365 Thomasius, Christian 329, 377, 383, 393, 394 Thomasius, Jakob 244, 334 Thumm, Theodor 221, 223, 225, 226 Timpler, Clemens 5, 7, 16, 32, 176, 179, 196, 293–314, 359, 364, 365

Troki, Isaak 21 Turnèbe, Adrien 147 Turrianus, Augustinus 7 Ulpian 363 Valentinus 149 Valerius, Cornelius 369 Valla, Lorenzo 319, 323 Vallés, Francisco 198, 203, 204 Vergil 135, 138, 139, 145, 153, 154 Victorius, Petrus 340 Vogel, Johann 169 Völkel, Johann 15, 19 Vossius, Gerhard Johannes 147, 150, 155 Vulcanius, Bonaventura 140, 141 Weigel, Erhard 1 Weigel, Valentin 4, 184 Wenck, Kaspar 263, 265, 267, 268 Wendelin, Markus Friedrich 377 Werdenhagen, Johann Angelus 213, 330, 367, 371, 375, 376 Wesenfeld, Arnold 381 Winckelmann, Johann 174 Winckler, Benedict 337 Wolf, Johann Christoph 171 Wolff, Christian 329, 371, 394 Wower, Johannes 142–149, 151 Zabarella, Jacobo 179, 204, 205, 209, 224, 295, 296, 343 Zerotin, Karol 196 Zetzner, Lazaros 18 Zoroaster 48, 134 Zwicker, Daniel 41 Zwingli, Huldrych 318, 327