Spätkomplikationen des Diabetes mellitus: Prophylaxe, Diagnostik, Therapie [Reprint 2019 ed.]
 9783110847741, 9783110120691

Table of contents :
Liste der erstgenannten Autoren
Vorwort
Inhalt
Diabetische Komplikationen und ihre Geschichte
Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei insulinabhängigem Diabetes mellitus
Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei Typ II- (nicht-insulinabhängigem) Diabetes mellitus
Mikroalbuminurie und diabetische Nierenerkrankung
Diabetische Retinopathie
Neuropathie
Diabetes und Herzerkrankungen
Erkrankungen zerebraler und peripherer Gefäße unter besonderer Berücksichtigung des diabetischen Fußes
Allgemeine Überwachung von Risikofaktoren und Spätkomplikationen
Risikoprofil-orientierte Therapie
Sachverzeichnis

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Spätkomplikationen des Diabetes mellitus

Spätkomplikationen des Diabetes mellitus Prophylaxe • Diagnostik • Therapie

Herausgeber: C. E. Mogensen, E. Standi

w G DE

Walter de Gruyter Berlin • New York 1990

Herausgeber Prof. Dr. C. E. Mogensen Medical Department M Second University Clinic of Internal Medicine (Diabetes and Endocrinology) Kommunehospitalet DK-8000 Aarhus C Denmark

Prof. Dr. E. Standi Städt. Krankenhaus München-Schwabing III. Med. Abteilung und Forschungsgruppe Diabetes Kölner Platz 1 D-8000 München 40 Bundesrepublik Deutschland

Deutsche Übersetzung: St. Dressler, B. Häring, G. Häring

CIP-Titelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Spätkomplikationen des Diabetes mellitus : Prophylaxe, Diagnostik, Therapie / hrsg. C. E. Mogensen ; E. Standl. [Dt. Übers.: St. Dressler]. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 ISBN 3-11-012069-0 NE: Mogensen, Carl-Erik [Hrsg.]

© Copyright 1989 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sontige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin. — Druck: Gerike GmbH, Berlin. Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin Printed in Germany

Liste der erstgenannten Autoren

Prof. Dr. D. A. Greene Room 5510 C, MSRB-I, Box 068 1150 W. Medical Center Drive University of Michigan, Medical Center Ann Arbor, Michigan 48 109 USA Prof. Dr. Ava Grenfell 52 Talfourd Road GB-London SE 15 5 NY Great Britain Priv.-Doz. Dr. H. U. Janka Städt. Krankenhaus München-Schwabing III. Med. Abteilung und Forschungsgruppe Diabetes Kölner Platz 1 D-8000 München 40 Bundesrepublik Deutschland Dr. T. Jensen Steno Memorial Hospital Niels Steensensvej 2 DK-2820 Gentofte Denmark Dr. Eva M. Kohner Hammersmith Hospital Du Cane Road GB-London W12 OH5 Great Britain

Dr. Lori M. B. Laffel Joslin Diabetes Center Harvard Medicai School 1 Joslin Place Boston, Massachusetts 02215 USA

Prof. Dr. C. E. Mogensen Medical Department M Second University Clinic of Internal Medicine (Diabetes and Endocrinology) Kommunehospitalet DK-8000 Aarhus C Denmark

Prof. Dr. K. Pyörälä Department of Medicine University of Kuopio SF-70210 Kuopio Finland

Prof. Dr. E. Standl Städt. Krankenhaus München-Schwabing III. Med. Abteilung und Forschungsgruppe Diabetes D-8000 München 40 Bundesrepublik Deutschland V

Vorwort

Der Diabetes mellitus ist eine sehr häufige Stoffwechselstörung, die mit Hyperglykämie einhergeht. Zahlreiche Syndrome sind mit dieser Krankheit verknüpft, doch lassen sich zwei grundsätzliche Formen unterscheiden: Typ I(oder insulinabhängiger) und Typ II- (oder nicht-insulinabhängiger) Diabetes. Der Typ I-Diabetes zeigt eine regional unterschiedliche Inzidenz. Besonders zahlreich sind Typ I-Diabetiker beispielsweise in Skandinavien und Nordamerika, selten dagegen in Japan, wo die nicht-insulinabhängige Form des Diabetes sehr viel häufiger in Erscheinung tritt. Der Typ I-Diabetes wird heute als eine chronische Autoimmun-Erkrankung mit selektiver Zerstörung der insulären B-Zellen angesehen, die zu einer defizitären Insulinsekretion und somit zu einer klinisch manifesten Stoffwechselstörung führt. Die Ätiologie des Typ II-Diabetes ist immer noch unklar. Unbestritten sind indes ein genetischer Einfluß und die sehr häufige Koinzidenz mit der Adipositas. Die Heterogenität dieses Diabetes-Syndroms bereitet zusätzlich Probleme. Auch herrscht keine Klarheit, ob die primäre Läsion innerhalb des Pankreas oder des peripheren Gewebes zu suchen ist, wobei letztere mit einer Insulinresistenz als dem entscheidenden pathogenetischen Mechanismus einhergeht. Diabetes (Typ I und Typ II) ist häufig mit vaskulären und neurologischen Komplikationen vergesellschaftet, die auf den gestörten Metabolismus zurückzuführen sind. Tatsächlich wird eine Langzeit-Hyperglykämie als Hauptursache diabetischer Komplikationen angesehen. Die Erforschung diabetischer Komplikationen hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erfahren. Die Herausgeber verfolgen die Absicht, die neuesten Erkenntnisse über diabetische Komplikationen zusammenzufassen, zumal wir heute über viel klarere Vorstellungen zu den diabetischen Spätkomplikationen verfügen. Ihre Häufigkeit in Abhängigkeit von der Diabetesdauer ist in den letzten Jahren deutlich zu Tage getreten. Dies betrifft besonders diabetische Augen- und Nierenkomplikationen. A u c h das Verständnis der Ätiopathogenese von diabetischen Spätkomplikationen hat sich erweitert, obgleich noch viele Fragen offen sind. Zahlreiche Faktoren sind für das Fortschreiten des Erkrankungsprozesses von Bedeutung, z. B. metabolische, hormonale, hämodynamische. Es ist daher schwierig, einen einzigen pathogenetischen Prozeß zu definieren, der das breite Spektrum diabetischer K o m -

VII

Vorwort

plikationen an Augen und Nerven, Gefäßen, dem Herzen und an den Nieren erklärt. Jedes Organ scheint gegenüber der Hyperglykämie und anderen Veränderungen, die mit dem Diabetes mellitus einhergehen, spezifisch zu reagieren. Wenn wir auch den Krankheitsprozeß nicht voll erfassen, so sind doch deutliche Fortschritte für das therapeutische Regime dieser Komplikationen erzielt worden. Ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung muß der Therapie der Hyperglykämie und der damit einhergehenden metabolischen Störungen gewidmet sein. Wir gehen davon aus, daß keine diabetischen Komplikationen auftreten, wenn die Blutglukosewerte unmittelbar bei Manifestation der Erkrankung normalisiert werden. Die optimierte Stoffwechselbehandlung ist daher das wichtigste Ziel der Diabetologen. Leider ist es schwierig, die Blutglukosewerte, gemessen am durchschnittlichen glykosylierten Hämoglobin, zu normalisieren. Oft genug zeigen Durchschnittswerte von 8% und mehr (bei einem normalen Durchschnittswert von 5,5%) an, daß viele Patienten einer chronischen Langzeithyperglykämie unterliegen. Darüber hinaus sind zahlreiche therapeutische Maßnahmen in bezug auf alle Organsysteme erforderlich. Diese sind im Hinblick auf die Pathogenese dieser Erkrankungen leicht verständlich, z. B. die antihypertensive Behandlung bei Patienten mit diabetischer Nephropathie und erhöhtem Bluthochdruck. In anderen Fällen ist der genaue Wirkmechanismus therapeutischer Maßnahmen unbekannt. Dies trifft z. B. auf die diabetischen Augenerkrankungen zu, die wir mit Laserstrahlen hervorragend behandeln können, ohne deren genaue Wirkungsweise zu kennen. Die Beiträge dieses Buches sollen eine aktuelle Übersicht zu wichtigen pathogenetischen Mechanismen und zur Klassifikation der verschiedenen Komplikationen vermitteln, auch wenn nicht alle berücksichtigt wurden (z. B. diabetische Hauterkrankungen). Darüber hinaus wird eine Bestandsaufnahme moderner therapeutischer Prinzipien gegeben. Schließlich erhält der Leser Hinweise auf besonders wichtige Arbeiten aus der kaum mehr überschaubaren Fülle der Publikationen, die sich mit diabetischen Komplikationen beschäftigen. Die Herausgeber möchten der Bayer AG für die sehr angenehme und wirkungsvolle Zusammenarbeit danken. Auch die hervorragende und freundliche Kooperation mit dem Verlag Walter de Gruyter & Co. in Berlin verdient hervorgehoben zu werden. Aarhus und München November 1989 Carl-Erik

VIII

Mogensen

und Eberhard

Standl

Inhalt

Diabetische Komplikationen und ihre Geschichte A. Grenfell

1

Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei insulinabhängigem Diabetes mellitus L.M.B. Laffel, A.S. Krolewski

15

Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei Typ II- (nicht-insulinabhängigem) Diabetes mellitus H. U. Janka

33

Mikroalbuminurie und diabetische Nierenerkrankung C.E. Mogensen

47

Diabetische Retinopathie E.M. Kohner

83

Neuropathie D.A. Greene, A.A.F. Sima, M.A. Pfeifer

103

Diabetes und Herzerkrankungen K. Pyörälä

167

Erkrankungen zerebraler und peripherer Gefäße unter besonderer Berücksichtigung des diabetischen Fußes 187 E. Standl, H. Stiegler, H. U. Janka, H. Mehnert Allgemeine Überwachung von Risikofaktoren und Spätkomplikationen 221 C.E. Mogensen, E. Standl Risikoprofil-orientierte Therapie T. Jensen, T. Deckert

223

Sachverzeichnis

247 IX

Diabetische Komplikationen und ihre Geschichte A. Grenfell

Einleitung Die Entdeckung des Insulins im Jahre 1922 war eine der größten Errungenschaften des modernen 20. Jahrhunderts für die Medizin. Damit stand ein Mittel zur Verfügung, das das Leben vieler Diabetiker überhaupt erst ermöglichte und zugleich eine neue Ära in der Geschichte des Diabetes eröffnete. Das Insulin hat nicht nur die Lebenserwartung verlängert, sondern auch neue Erkenntnisse über das Ausmaß von diabetischen Komplikationen zu Tage gefördert, obwohl dieselben größtenteils aus der Vorinsulinära geläufig waren. Lundbaek hat 1954 [1] das Konzept der diabetischen Angiopathie — eine spezifische generalisierte diabetische Erkrankung kleiner Gefäße — als einen gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismus angesehen, der zu diabetischen Komplikationen führt. Seither verstehen wir die diabetischen Komplikationen wesentlich besser. Dennoch sind wir von einer hinreichenden pathogenetischen Erklärung dieser Komplikationen zu weit entfernt, um präventiv wirksam sein zu können. In diesem einführenden Kapitel soll die Geschichte der diabetesspezifischen Komplikationen an den kleinen Gefäßen, wie sie Lundbaek beschrieben hat, nachverfolgt und dabei insbesondere die Retinopathie, Neuropathie und Nephropathie berücksichtigt werden. Ungeachtet der Bedeutung von Komplikationen an den großen Gefäßen bezogen auf Mortalität und Morbidität beim Diabetes werden sie in diesem Zusammenhang nicht abgehandelt, weil sie nicht spezifisch sind und im wesentlichen den nichtdiabetischen Komplikationen entsprechen, die anderweitig beschrieben werden. Retinopathie Augenveränderungen beim Diabetes wurden erstmals vor etwa 200 Jahren beobachtet. Rollo beschrieb 1798 [2] in der ersten detaillierten Monographie über diabetische Ophthalmopathien einen Zusammenhang zwischen Diabetes und Katarakt, welchem in den folgenden 100 Jahren große Bedeutung bei1

A. Grenfell

gemessen wurde. Allerdings nahm man bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts an, daß die Kataraktinzidenz bei Diabetikern nicht größer sei. Damals ging man davon aus, daß der einzige wirkliche „diabetische Katarakt" bei juvenilen Diabetikern bilateral auftretende subkapsuläre Flecken waren, die erstmals von Schnyder 1923 beschrieben und „Schneeflocken-Trübungen" [3] genannt wurden. Durch die Einführung des Ophthalmoskops 1850 durch Helmholtz richtete sich das Interesse jedoch spezieller auf die diabetische Augenerkrankung. Eine der ersten Mitteilungen über die diabetische Retinitis entstammt aus dem Jahre 1855 von Jaeger [4], der die feinen tiefen retinalen Hämorrhagien und wachsähnlichen Exsudate als spezifisch für den Diabetes ansah. Andererseits konnte man feststellen, daß derartige Veränderungen auch bei Patienten mit Gefäßerkrankungen und Hypertonie zu finden sind, woraus geschlossen wurde, daß ähnliche Faktoren beim Diabetes im Spiel seien. Mikroaneurysmen an Kapillaren hat MacKenzie 1877 [5] nach postmortalen Untersuchungen beschrieben und sie ebenfalls als für die Diabetes typisch eingestuft. Auch die retinalen und Glaskörper-Hämorrhagien seien ein Charakteristikum der diabetischen Retinopathien. Um die Jahrhundertwende waren also die meisten Erscheinungen der diabetischen Retinopathie beschrieben. Diese Beobachtungen wurden durch zwei umfangreiche Übersichtsarbeiten zum Diabetes ergänzt [3, 6]. Waite und Beetham beobachteten bei 2002 Diabetikern tiefe retinale Hämorrhagien und wachsartige Exsudationen. 90% der 31 Patienten mit Gefäßproliferationen und Glaskörperhämorrhagien hatten eine schwere Nieren- und/oder Gefäßerkrankung. Klassisch ist die Beschreibung der diabetischen Retinopathie von Ballantyne und Lowenstein 1944 [6] zu nennen, die erneut die Bedeutung von Mikroaneurysmen als die beginnende Läsion bei diabetischer Retinopathie unterstrich. Danach macht die Retinopathie 5 Stadien durch: 1) Mikroaneurysmen plus oder minus punktuelle Hämorrhagien und kleine Exsudate, 2) fleckförmige und makuläre Hämorrhagien plus wachsartige Exsudationen, 3) ausgedehnte Hämorrhagien, abnorme Gefäßstruktur, neue Gefäße im Glaskörper und frühe Proliferationen von Gefäßen, 4) fortgeschritteneres Stadium im Vergleich zu 3), 5) Netzhautablösung und Endstadium. Noch 1952 jedoch äußern Warren und LeCompte [7]: „Die Frage, ob das diabetische Auge irgendeine charakteristische oder pathognomische Veränderung erkennen läßt, wird immer noch diskutiert". Zahlreiche histologische Studien zur diabetischen Retinopathie sind durchgeführt worden. Friedewald (1953) [8] demonstrierte unter Anwendung von Schiffschem Reagenz an der Retina (Häutchenpräparate) deutlich die kapillaren Mikroaneurysmen als Erscheinung sui generis. Die Bestätigung lieferten Injektionspräparate der Retina durch Ashton (1959) [9], Sowohl Friedewald 2

Diabetische

Komplikationen

und ihre Geschichte

als auch Ashton stellten einen Zusammenhang zwischen den Mikroaneurysmen und der intrakapillären Glomerulosklerose her und diskutierten gemeinsame pathogenetische Ursachen. Friedewald führte beides auf Störungen im Metabolismus von Mukopolysacchariden zurück. Indes blieben beträchtliche Unsicherheiten hinsichtlich der Ätiologie der Retinopathie. Ihre Koexistenz bei Hypertonie, Arteriosklerose und Nierenerkrankungen machte die Unklarheiten komplett. Waite und Beetham [3] maßen diesen Faktoren ätiologische Bedeutung zu. Gleichwohl gehen zahlreiche Mitteilungen dieser Zeit von einer Retinopathie aus, die auch ohne Hypertonie, arterielle Gefäß- und Nierenerkrankung auftritt. Man nahm an, kleine Blutungen würden durch eine Kapillardilatation mit Verminderung des Blutflusses herbeigeführt, welches in erster Linie mit der Hyperglykämie in Zusammenhang gebracht wurde. Ballantyne unterstrich 1945 [10] die mögliche Bedeutung der venösen Stase für die kapilläre Dilatation und Hämorrhagie. Eine Alternativhypothese bestand darin, die gesteigerte Kapillarfragilität für retinale Blutungen verantwortlich zu machen, wodurch die Behandlung u. a. mit Vitamin C, Citrin, Hesperidin und Rutin zu einer Modeerscheinung wurde [11]. Bis in die Mitte der 60er Jahre unseres Jahrhunderts war die proliferative Retinopathie als pathognomonisches Charakteristikum des Diabetes und ihr gemeinsames Vorkommen mit der diabetischen Nephropathie, Neuropathie und Gefäßerkrankungen etabliert. Root et al. (Joslin-Klinik) hatten bereits den Begriff „triopathy" geprägt, um auf das gleichzeitige Vorkommen der Retinopathie mit Nephro- und Neuropathie aufmerksam zu machen [12], In der Joslin-Studie ging der Retinopathie fast immer die Porteinurie voraus, die gewöhnlich bei Patienten unter 40 Jahren mit schlecht eingestelltem Diabetes auftrat. Man vermochte auch zu zeigen, daß Nephropathie und koronare Herzkrankheit die häufigsten Todesursachen bei Patienten mit proliferativer Retinopathie sind. Die Behandlung der diabetischen Retinopathie hat eine lange und interessante Geschichte. Man versuchte mit diätetischen Maßnahmen die Blutfettwerte und die Kapillarfragilität zu senken und erhoffte sich damit einen positiven Effekt. Die Verminderung des aufgenommenen Nahrungsfettes führte zwar zu einer Reduzierung von harten Exsudaten, hatte jedoch keinen Einfluß auf die proliferative Retinopathie und den Visus. Verschiedene Vitamine und Flavonoide hat man in den späten 50er Jahren empfohlen, um die Kapillarfragilität zu beeinflussen, ohne allerdings einen wirklichen klinischen Nutzen erreicht zu haben. Weiterhin sind zahlreiche Pharmaka (Jodid, Salizylate, Vitamin K, Heparin, Clofibrate) in der diabetischen Retinopathiebehandlung eingesetzt worden. 3

A. Grenfell

Auch hier hat sich eine Wirksamkeit bis heute nicht nachweisen lassen. Immerhin hat man beim Einsatz von Heparin Chylomikronen- und Triglyceridanteil im Blut absenken und ausgeprägte Exsudate verhindern können. Auch Clofibrat hemmt die wachsartigen Exsudationen, hat dagegen kaum Einfluß auf die Entwicklung der Makulopathie oder die Sehschärfe. Ob die Aldosereduktasehemmer in dieser Hinsicht bedeutungsvoll sind, wird die Zukunft entscheiden. Die Adrenalektomie wurde gleichfalls als Behandlungsmethode der diabetischen Retinopathie unter der Vorstellung eingeführt, sie würde insbesondere den schwer einstellbaren Diabetes stabilisieren und den Blutdruck optimieren. Der Nutzen dieser Behandlungsmethode hielt sich in Grenzen und wurde durch die notwendig werdende Substitutionsbehandlung belastet. Die Hypophysektomie war dagegen viel länger eine Behandlungsmethode der diabetischen Retinopathie. Sie gründet sich auf zwei Beobachtungen. Erstens zeigten Houssay und Biasotti 1931 [13], daß die Hypophysektomie den Metabolismus pankreatektomierter Tiere positiv beeinflußt. Zweitens sah Poulsen 1953 [14] eine deutliche Besserung einer schweren Retinopathie bei einer Frau mit postpartaler Hypophysenerkrankung. Den frühen Hypophysektomieversuchen war wenig Erfolg beschieden. Dies ist hauptsächlich dem Umstand anzulasten, daß die dieser Behandlung zugeführten Patienten eine schwere Retinopathie aufwiesen, für die es kaum Besserungschancen gab. Bis 1962 wurde die Hypophysektomie immer noch als bloße experimentelle Behandlungsmethode eingesetzt, obwohl nach diesen Eingriffen retinale und Glaskörper-Einblutungen abnahmen [15]. Bis in die 70er Jahre wurde eine steigende Anzahl von Patienten einer Hypophysektomie unterzogen, wobei die Methoden modifiziert wurden. Insgesamt erreichte man eine Verbesserung oder Stabilisierung bei 50% der Erkrankten. Die mit diesem Verfahren verbundene Morbidität und Mortalität einerseits und andererseits die nicht wirklich überzeugenden Ergebnisse, den Verlauf der profilerativen Retinopathie aufhalten zu können, ließen Zweifel aufkommen. Die einzige randomisierte Studie von Lundbaek von 1968 [16] wies bei den hypophysektomierten Diabetikern gegenüber einer Kontrollgruppe eine bessere Erhaltung des Sehvermögens mit langsamerer Einsprossung neuer Gefäße aus. Heute findet die Laserbehandlung der diabetischen Retinopathie eine breite Anwendung. Ihren Grundstein legte Meyer-Schwickerath in den 50er Jahren in Deutschland mit der Photokoagulation mittels Licht. Der Autor publizierte 1963 seine Ergebnisse, die sich auf 139 Diabetiker stützten, bei denen Mikroaneurysmen und Gefäßprofilerationen mit Xenonlicht photokoaguliert wurden [17]. Die behandelten Patienten behielten ihr Sehvermögen länger als die Kontrollgruppe. Weitere ermutigende Untersuchungen sind aus den 60er 4

Diabetische Komplikationen und ihre Geschichte

Jahren bekannt. Dennoch war es bis 1971 ein relativ neues Verfahren. Ungleich größere Aufmerksamkeit findet z. B. die Hypophysektomie in der 11. Auflage von Joslins Diabetes [11]. Immerhin ist auch zu lesen: „Die mögliche Rolle der Photokoagulation, eine Progression der proliferativen Retinopathie aufzuhalten, ist soweit gediehen, daß weitere Untersuchungen über den potentiellen Langzeiteffekt vorgenommen werden sollten". Damals lehnten viele Patienten die Hypophysektomie wegen der unerwünschten Nebenwirkungen ab und wandten sich zunehmend der Photokoagulationsbehandlung zu. Neuropathie Schmerzen und Paraesthesin in den Beinen bei Diabetikern — damals wurde der Diabetes als eine Erkrankung des Nervensystems angesehen — sind Beobachtungen, die sich in einigen der ersten Mitteilungen über diabetische Neuropathie von Rollo [2] finden. Von Marchai de Calvi [18] stammt der Hinweis, der Diabetes könnte die Ursache und nicht das Ergebnis nervaler Affektionen sein. Er berichtete über die Schmerzausbreitung entlang des N. ischiadicus, eine periphere Anästhesie und den häufig fehlenden Achillessehnenreflex bei Diabetikern. Es folgten mehrere beachtliche Schilderungen der diabetischen Neuropathie. Bouchard (1884) vermochte Sehnenreflexe in den Beinen allzu oft nicht auszulösen [19]. Eine klassische Beschreibung der Neuropathie finden wir bei Pavy (1885): „... sie haben kein richtiges Gefühl in den Beinen ..., die Füße sind taub ..., die Beine erscheinen schwer ..., oft wird über schleudernde, unruhige Beine geklagt. Es kann eine Hyperästhesie vorliegen ..., nicht selten ist ein tiefsitzender Schmerz vorhanden." Ihm war aufgefallen, daß der Schmerz besonders nachts hervortrat und in der Regel der Patellarsehnenreflex nicht auszulösen war [20]. Althaus (1885) berichtet über eine enge Verwandtschaft von diabetischer Neuropathie und Tabes dorsalis [21], welches den Terminus Pseudotabes entstehen ließ. Motorische Manifestationen in den Beinen beobachtete auch Charcot (1890), der die diabetische mit der alkoholischen Neuropathie verglich [22]. Auche (1890) stellte ausführlich die bis dahin erschienene Literatur zusammen und berichtet über 2 Fälle, bei denen eine experimentelle Nervenläsion durch Injektion einer konzentrierten Zuckerlösung reproduziert wurde [23], Er vertrat die Ansicht, daß die diabetischen Komplikationen des Nervensystems alle nervalen Funktionen betreffen, einschließlich der motorischen, sensiblen, sensorischen, intellektuellen und nutritiven. Er beschrieb die folgenden Symptome: Schmerz, besonders nachts, Paraesthesie, Hyperaesthesie und Anaesthesie, Paralyse, vasomotorische und trophische Veränderungen und Reflexabschwächung. Zur Blase und zum Rektum finden sich keine 5

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Grenfell

Ausführungen. Damit war zu Beginn unseres Jahrhunderts das klinische Erscheinungsbild der diabetischen Neuropathie nahezu komplett beschrieben und abgesehen von Beobachtungen über die autonome Neuropathie blieb für die nächsten 50 Jahre nur wenig hinzuzufügen. Die erste wirklich autentische Darstellung der autonomen Neuropathie erschien 1945, obgleich schon vorher über klinische Symptome wie periphere Ödeme, übermäßiges Schwitzen, Blasenaffektionen berichtet worden ist [24]. Rundles (1945) entnehmen wir die erste ausführliche Beschreibung der autonomen Neuropathie, die auf Erfahrungen mit 125 Diabetikern zurückgeht [25]: „Die ungewöhnliche Tendenz der diabetischen Neuropathie, sich auch auf autonome Nerven zu erstrecken, äußert sich in außerordentlich vielschichtigen klinischen Neuritismanifestationen, wie neuropathische Arthropathie (Charcot), weitgehend gestörte gastrointestinale und urogenitale Funktion, abnormale orthostatische Blutdruckregulation usw.". Des weiteren erwähnte er abnormes Schwitzen, periphere Ödeme, eine veränderte Pupillenreaktion, die häufig gleichzeitig miteinander auftreten. In den 50er und 60er Jahren wurden weitere klinische Merkmale bekannt, wobei nur invasive und aufwendige Untersuchungen Aufschluß über die autonome Funktion geben konnten. Man betrachtete die autonome Neuropathie als eine sehr seltene Diabeteskomplikation. Die Einführung eines einfachen nichtinvasiven autonomen Funktionstest während der 70er Jahre führte zu der Erkenntnis, daß die autonome Neuropathie sehr viel häufiger mit dem Diabetes assoziiert ist als früher angenommen. Die letzten 10 Jahre haben zu einem viel besseren Verständnis des natürlichen Verlaufs der diabetischen Neuropathie und zu einer exakteren Definition der verschiedenen Syndrome geführt [26]. Die breite Variabilität der diabetischen Neuropathie hat zu zahlreichen Klassifikationsbemühungen Anlaß gegeben. Pryce (1893) unterteilte sie in zwei Typen, eine motorische und sensorische oder ataktische [27]. Dagegen unterscheidet v. Leyden (1893) drei Formen: eine hyperästhetische oder neuralgische Form, eine paralytische oder motorische Form und eine ataktische oder Pseudotabes-Form [28]. Später differenziert Sullivan (1958) eine schmerzhafte asymmetrische, hauptsächlich motorische, eine distale symmetrische und eine vorzugsweise sensorische Neuropathie [29], Pirart (1978) war nach einer Untersuchung von immerhin 4000 Patienten zwischen 1947 und 73 nicht in der Lage, regelmäßig wiederkehrende klinische Erscheinungen zu beobachten. Eine sinnvolle Klassifikation hielt er daher nicht für möglich [30], Dennoch hat man in der Folgezeit versucht mit der Klassifikation voranzukommen und sich dabei auf häufig wiederkehrende gemeinsame Symptome berufen. Ungeachtet intensiver Untersuchungen in den letzten Jahren bleibt die Pathogenese der diabetischen Neuropathie ebenso unklar 6

Diabetische

Komplikationen

und ihre Geschichte

und kontrovers wie 1945 [25], Die Debatte über die relative Bedeutung von Metabolismus und vaskulären Faktoren bezogen auf die Pathogenese der diabetischen Neuropathie hält noch an [31]. Die Bedeutung der Hyperglykämie in der Genese der diabetischen Neuropathie war vor einigen Jahren völlig unklar. War die diabetische Neuropathie eine Komplikation oder ein Begleitumstand des Diabetes? Man hat herausgestellt, daß die Symptome sich mit der Diagnosestellung des Diabetes präsentieren, oder wenn der Diabetes erstmals unter Kontrolle gebracht wurde. Oft kann eine Beziehung zwischen der Dauer und/oder Schwere des Diabetes und der Neuropathie nicht festgestellt werden. Bei mehreren Patienten mit offensichtlicher diabetischen Neuropathie war kein manifester Diabetes bekannt. Nach Ellenberg ist die Neuropathie eine selbständige Manifestation des Diabetes und weitgehend unabhängig vom Kohlenhydratstoffwechsel [32], Indes existieren auch gegensätzliche Befunde. Rundles hatte noch keinen „Patienten gesehen, bei dem die diabetische' Neuropathie tatsächlich dem Auftreten eines Diabetes mellitus vorangegangen sei". Es gäbe eine strenge Korrelation zwischen der Diabeteseinstellung und der Entwicklung neuritischer Komplikationen: „Die Schlußfolgerung ist unvermeidlich, daß die diabetische Neuropathie nicht nur tatsächlich diabetisch im ätiologischen Sinne ist, sondern sie resultiert aus dem gestörten Stoffwechsel des chronisch nicht eingestellten Diabetes" [25]. Pirart konnte deutlich die Beziehungen zwischen dem Grad der Hyperglykämie und der Neuropathie herausarbeiten [30]. Danach hängt die jährliche Neuropathie-Inzidenz von der Dauer des Diabetes ab. Während bei jungen Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose die Neuropathie eher selten vorkommt, ist sie viel häufiger bei Diabetikern über 40 Jahre. Dies wird allerdings auf den nichtdiagnostizierten Diabetes bei älteren Kranken zurückgeführt und weniger auf eine größere Neigung zur Neuropathie. Die Auswirkungen der metabolischen Entgleisung auf die Nerven und die Entstehung der diabetischen Neuropathie sind in den letzten Jahren stark beachtet worden. Die persistierende Hyperglykämie aktiviert den PolyolMechanismus innerhalb der Nerven über das Enzym Aldosereductase und ist verbunden mit einer intranervalen Akkumulation von Sorbitol. Die Aufnahme von Myo-inositol durch die Nerven wird gehemmt, welches den Phosphoinositidmetabolismus alteriert, die Natrium-Kalium-ATPase im Axolemm vermindert, so daß es zu Störungen der Nervenleitfähigkeit und schließlich auch der Struktur kommt. Diese Vorstellungen bleiben indes kontrovers. Die Arteriosklerose ist schon lange als Komplikation des Diabetes bekannt und ihr verbreitetes Vorkommen an den unteren Extremitäten (Ampútate, autoptische Befunde) führte dazu, dieser Erscheinung eine ätiologische Be7

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deutung für die diabetische Neuropathie zukommen zu lassen. Diese Ansicht — von Charcot [22] und Bryce [27] geäußert — wurde von Dry und Hines 1941 [33] erneut ins Spiel gebracht. Der Erkrankung kleiner Gefäße wird in zahlreichen Publikationen eine Bedeutung für die diabetische Neuropathie zugemessen, während der arteriosklerotische Befall großer Gefäße hierbei keine Rolle spielt. Lundbaek (1954) war einer der ersten, der die generalisierte Erkrankung kleiner Gefäße in einen ursächlichen Zusammenhang mit den diabetischen Komplikationen brachte [1], Fagerberg (1959) schuldigte die diabetische Mikroangiopathie für die meisten neuropathischen Erscheinungen beim Diabetiker an [34], Er beschrieb Stenosen und Hyalinisierungen intraneuronaler Gefäße mit subendotelialen Ablagerungen zusammen mit Verdikkungen der Basalmembran. Im Vergleich mit der Bedeutung metabolischer Störungen als pathogenetisches Prinzip der diabetischen Neuropathie wurden diese Vorstellungen für weniger wichtig gehalten. In letzter Zeit hat sich das Interesse neuerlich den vaskulären Läsionen als pathogenetisches Prinzip der diabetischen Neuropathie zugewandt. Mikrovaskuläre Veränderungen sind sowohl in endo- und perineuralen Gefäßen bei Patienten mit Neuropathie [35] gefunden worden. Die Schwere der Neuropathie stand in einem Verhältnis zur Anzahl der „verschlossenen" Kapillaren. Autoptische Studien von Hauptleitungsbahnen diabetischer Patienten ließen den Schluß zu, daß Ischämien für die Pathogenese der diabetischen Neuropathie ein wesentlicher Faktor sind [36]. Bei Patienten mit sensomotorischer Neuropathie hat man eine endoneurale Hypoxie innerhalb der Nerven feststellen können [37], Sowohl metabolische als auch vaskuläre Faktoren dürften von Bedeutung sein, da die Hyperglykämie insofern eine Ischämie verursacht, als sie über die nichtenzymatische Glykosylierung der Vasa nervorum und der endoneuralen Matrix wirksam ist. Zweifellos sind weitere Anstrengungen erforderlich, um die relative Bedeutung dieser verschiedenen Faktoren für die Pathogenese der diabetischen Neuropathie herauszuarbeiten und für Behandlung und Prävention nutzbar zu machen. Nephropathie Daß die Proteinurie in Beziehung zum Diabetes steht, weiß man seit 1770 [38, 2], Ihre Bedeutung indes wurde erst 1936 erkannt, als Kimmelstiel und Wilson spezielle histopathologische Veränderungen der Niere beschrieben und diese mit dem klinischen Bild der Hypertonie, des nephrotischen Syndroms und der Nierenfunktionsstörungen bei Diabetikern in Zusammenhang brachten [39], Die glomerulären und renovaskulären Veränderungen als Charak8

Diabetische

Komplikationen

und ihre Geschichte

teristikum des Diabetes waren bereits beschrieben worden. Ihre Bedeutung war aber weitgehend unbekannt. Die erste Mitteilung über Proteinurie bei Diabetikern stammt von Cotunius 1770 [38], Erst Brights ausgezeichnete Untersuchungen brachten die Proteinurie mit Nierenerkrankung in Verbindung [40], wodurch das Interesse an der Proteinurie und dem Diabetes stimuliert wurde. Die Feststellung, daß die Proteinurie mit dem Diabetes assoziiert sein kann, ist eine Erkenntnis die im 19. Jahrhundert gesichert wurde, wobei in manchen Fällen zusätzlich Ödeme und Nierenfunktionsstörungen, eine verschlechterte Sehkraft und kardiovaskuläre Erkrankungen beobachtet wurden. Durchaus hat man zumindest teilweise erkannt, daß die Proteinurie, insbesondere wenn sie persistiert, gleichbedeutend mit einer verschlechterten Prognose für den Diabetiker ist, obwohl andererseits noch vor kurzem, 1941, behauptet wurde, die Proteinurie sei beim Diabetes von untergeordneter Bedeutung [41]. Auch wenn glomeruläre Veränderungen in der diabetischen Niere vor 1900 kaum beachtet wurden, so hat man doch charakteristische Läsionen beschrieben. Ihre Bedeutung und ihre Beziehungen zu klinischen Syndromen der diabetischen Nephropathie waren wiederum weitgehend unbekannt [42], Kimmelstiel und Wilson beschrieben die renale Histormorphologie anhand von autoptischen Präparaten bei 11 Diabetikern, von denen 7 zusätzlich mit Hypertonie, Albuminurie, Ödemen und Nierenversagen belastet waren [39]. Die Glomeruli zeigten eine auffallende noduläre Anhäufung hyalinen Materials in den zentralen Lobuli mit Rarefizierung der Kapillaren, so daß „in vielen Fällen nur ein Ring von offenen Kapillaren, der das zentral vorhandene Hyalin umgab, übrig blieb". Die Kapillarwände waren verdickt und im kollabierten Zustand mit dem zentral gelegenen Hyalin verschmolzen. Die Vasa afferentia wiesen eine deutliche Arteriosklerose mit Hyalinisierung auf. Sie wählten den Begriff interkapilläre Glomerulosklerose, weil sie innerhalb der Glomeruli eine Proliferation des interkapillären Bindegewebes feststellen. Diese Befunde wurden in anderen Untersuchungen bestätigt, die ebenfalls von der Existenz spezifischer histopathologischer Veränderungen der diabetischen Niere ausgingen. Eine „diffuse Glomerulosklerose" wurde der „nodulären" von Kimmelstiel und Wilson gegenübergestellt [43]. Eine diffuse Erkrankung zu kreieren, die eindeutiger korreliert war mit dem klinischen Verlauf, mußte von einer Zerstörung der Glomeruli ausgehen. Der Meinungsstreit setzte sich insbesondere hinsichtlich der Histogenese der Läsion fort: Nahm sie wirklich „interkapillär" (Proliferation des interkapillären Bindegewebes) ihren Ausgangspunkt, oder war sie nicht vielmehr auf eine Verdikkung der Kapillarwand selbst zurückzuführen, d. h. „intrakapillär" oder „intramural"? Darüber hinaus konnte gezeigt werden, daß die Läsionen von 9

A. Grenfell

Arteriolen von einiger Bedeutung für die Pathologie der diabetischen Nephropathie sein muß. Sowohl die afferenten als auch die efferenten Arteriolen waren von einer hyalinen Arteriosklerose betroffen [43]. Die Veränderungen waren dabei oft so pathognomonisch, daß die Diagnose der diabetischen Nephropathie bereits lichtmikroskopisch gestellt werden konnte. Die interkapilläre Glomerulosklerose konnte auch asymptomatisch verlaufen, wie sich überhaupt das klinische Bild, von Kimmelstiel und Wilson erstmals beschrieben, in der Folge vielfältiger darstellte [44, 7], Gleichwohl korrelierten die klinischen Erscheinungen mit den morphologischen Veränderungen [44], Die interkapilläre Glomerulosklerose war stärker durch die Erkrankungsdauer als das Alter der Patienten bestimmt und besonders ausgeprägt bei jungen Diabetikern mit langer Erkrankungsdauer [7], Die Einführung der perkutanen Nierenbiopsie 1951 führte zu einem besseren Verständnis der Erkrankung. Die ersten elektronenmikroskopischen Untersuchungen verwiesen auf zwei primäre Veränderungen: eine Verdickung der kapillären Basalmembran und eine extrazelluläre Anhäufung von Hyalin oder basalmembranähnlichem Material. Der Begriff des Mesangiums wurde eingeführt, wobei die ersten krankhaften Nierenveränderungen in einer Akkumulation von basalmembranähnlichem Material im Mesangium mit einer Basalmembranverdickung gesehen wurden. Die sich vergrößernden mesangialen Ablagerungen sollten zu einer Kompression und Zerstörung der benachbarten Endothelzellen führen, die einen Kapillarverschluß und damit die Zerstörung des Glomerulus zur Folge hätten. Mit dem besser auflösenden und stärker vergrößernden Elektronenmikroskop war es möglich, Veränderungen bereits in der Frühphase des Diabetes zu entdecken und so zu einem völlig neuen Konzept diabetischer Komplikationen zu kommen. Die Beobachtung von Siperstein 1968, wonach Basalmembranverdickungen in Kapillaren des M. quadriceps bereits beim „Prädiabetes" vorkommen sollten, beschleunigte eine Kontroverse zur Pathogenese der Mikroangiopathie, die auch noch für die nächsten 10 Jahre vorhalten sollte [45], Siperstein sah die Mikroangiopathie nicht als Folge des diabetischen Stoffwechsels an, sondern führte sie auf eine genetische Prädisposition zurück. Diese Hypothese konnte andererseits weder in den muskulären noch glomerulären Kapillaren bestätigt werden [46, 47], so daß ein heftiger Disput speziell zur Verarbeitung (Fixierung) und Auswertung des Materials ausbrach. Osterby konnte in sorgfältigen morphometrischen Untersuchungen Verdikkungen glomerulärer Basalmembrane zum Zeitpunkt der Diagnose und 2 Jahre nach Bestehen des Diabetes nicht entdecken [46]. In einem späteren Vergleich der Basalmembranbreite von muskulären und glomerulären Kapillaren eineiiger Zwillinge — einer der beiden litt unter einem insulinabhängigen 10

Diabetische

Komplikationen

und ihre Geschichte

Diabetes — bestätigte, daß Nichtdiabetiker Basalmembranveränderungen nicht aufweisen [48], Das Argument, die gestörte Stoffwechsellage beim Diabetes ist Bedingung für derartige Läsionen erhielt weitere Nahrung durch die Arbeit von Mauer et al. in Minneapolis, derzufolge sich an Nierentransplantaten die beschriebenen typischen Veränderungen beim Diabetiker entwickeln [49]. Ein interessanter Autopsiebefund, dem ein Diabetiker mit unilateraler Stenose der A. renalis zugrunde lag, unterstreicht den Zusammenhang zwischen den Veränderungen an der Niere und der diabetischen Stoffwechsellage [50]: Die vermindert perfundierte Niere wies lediglich ischämische Veränderungen auf, während im kontralateralen Nierengewebe eine deutliche Glomerulosklerose zu diagnostizieren war, die man sowohl auf den Hypertonus als auch auf die Diabetes zurückführte. Diese Beobachtung fand ihre Bestätigung im Tierexperiment. Bei Ratten wurde eine renale Stenose und ein Diabetes induziert [51], In dem Organ, welches dem Diabetes und der Hypertonie ausgesetzt war, beschleunigte sich die Entwicklung der diabetischen glomerulären Veränderungen. Die kontralaterale Niere (ohne Hypertonie) zeigte dieselben nicht. Keine Abweichungen wiesen die Organe nichtdiabetischer Ratten auf. Man zog den Schluß, daß hämodynamische Faktoren, insbesondere ein gesteigerter glomerulärer Blutfluß und Kapillardruck, die Progression der diabetischen Nephropathie zu beeinflussen vermögen. Ähnliche Faktoren scheinen auch beim Menschen von Bedeutung zu sein. Die genetische Prädisposition zur Hypertonie kann mit einem höheren Risiko einhergehen, daß sich eine diabetische Nephropathie entwickelt [52], Gleichwohl hat sich diese Feststellung in einer umfangreichen dänischen Untersuchung nicht bestätigen lassen (T. Deckert, persönliche Mitteilung). Die Einstellung des Hypertonus bei insulinabhängigen Diabetikern verbessert die glomeruläre Filterationsrate [53, 54], Darüber hinaus hat sich bei Diabetikern mit der höchsten GFR in der Frühphase ihrer Erkrankung herausgestellt, daß die Wahrscheinlichkeit derselben, eine diabetische Nephropathie zu entwickeln, sehr hoch ist [55], Zusammenfassung Die diabetische Nephropathie ist eine bedeutende Ursache für Morbidität und Mortalität. Ihr ist anzulasten, daß bis zu einem Viertel dieser Patienten zur Nierentransplantation anstehen. Die Retinopathie verursacht immer noch eine bedeutende Morbidität, und der Diabetes bleibt die am häufigsten vorkommende Einzelursache für Erblindung im Erwachsenenalter. Die Neuropathie ist insbesondere wichtig hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Füße und daraus resultierenden häufigen Krankenhausaufenthalten wegen Gan11

A. Grenfell

grän und Ulcera. Die letzten 50 Jahre haben unser Verständnis für Pathologie und Physiologie dieser diabetischen Komplikationen erheblich erweitert. Diese verheerenden Komplikationen zu verhindern, bleibt gleichwohl noch eine Menge zu tun. Vor allem gilt dies für unser Verständnis für ätiopathogenetische Mechanismen und wie die mit besonderem Risiko behafteten Patienten frühzeitig erfaßt werden können. Literatur [1] Lundbaek K. Diabetic angiopathy. A specific vascular disease. Lancet 1954; 1: 377. [2] Rollo J. Cases of the Diabetes Mellitus, 2nd edn. London: Dilly, 1798. [3] Waite JH, Beetham WP. Visual mechanism in diabetes mellitus; comparative study of 2002 diabetics and 457 non-diabetics for control. N. Engl J Med 1935; 212: 367, 429. [4] Jaeger E. Beiträge zur Pathologie des Auges. Wien, 1855; 33. [5] MacKenzie, Roy London Opthal Hosp Report 1877; 9: part 2: 152. [6] Ballantyne AJ, Lowenstein A. Pathology of diabetic retinopathy. Trans Opthal Soc UK 1944; 63: 95. [7] Warren S, Le Compte PM. The pathology of diabetes mellitus. London: Henry Kimpton, 1952. [8] Friedenwald JS. Diabetic retinitis; the opthalmologists view. (Soc Proc) Arch Opthal 1953; 50: 124. [9] Ashton N. Diabetic retinopathy; a new approach. Lancet 1959; 2: 625. [10] Ballantyne AJ. The state of the retina in diabetes mellitus. Trans Opthal Soc UK 1946; 66: 503. [11] Bradley RF, Ramos E. The eyes and diabetes. In: Marble A, White P, Bradley RF et al, eds. Joslin's Diabetes Mellitus 11th edn. Philadelphia: Lea and Febiger, 1971; 478. [12] Root HF, Pote WH, Frehner H. Triopathy of diabetes; sequence of neuropathy, retinopathy, and nephropathy in 155 patients. Arch Intern Med 1954; 94: 931. [13] Houssay BA, Biasotti A. Pankresdiabetes und Hypophyse beim Hund. Arch ges Physiol 1931; 227: 664. [14] Poulsen, JE. Houssay phenomenon in man; recovery from retinopathy in a case of diabetes with Simmond's disease. Diabetes 1953; 2: 7. [15] Luft R, Olivecrona H, Iknos D et al. Hypophysectomy in man. Further experience in severe diabetes mellitus. Brit Med J 1955; 2: 752. [16] Lundbaek K, Malmos R, Andersen HC et al. Hypophysectomy for diabetic angiopathy. A controlled clinical trial. In: Goldberg MF, Fine SL, eds. Symposium on treatment of diabetic retinopathy. Washington DC: US Government Printing Office, 1968; 291. [17] Meyer-Schwickerath G. Treatment of vascular disease of the retina with light coagulation. Trans Canad Opthal Soc 1963; 26: 137. [18] Marchai de Calvi. Recherches sur les accidents diabetiques. Paris: P. Asselin, 1864. [19] Bouchard M. Loss of the knee-phenomenon in diabetes. Br Med J 1884; 237. [20] Pavy FW. Introductory address to the discussion on the clinical aspects of glycosuria. Lancet 1885; 2: 1085. [21] Althaus J. On sclerosis of the spinal cord. London: Longman, 1885. [22] Charcot M. Sur un cas paraplegie diabetique. Arch Neurol (Paris) 1890; 19: 318. [23] Auche B. Des alteration des nerfs peripheriques chez les diabetiques. Arch de Med exper et d'anet path 1890; 2: 635. [24] Jordan WR. Neuritic manifestations in diabetes mellitus. Arch Intern Med 1936; 57: 307. [25] Rundles RW. Diabetic neuropathy: general review with report of 125 cases. Medicine (Bait) 1945; 24: 11.

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Diabetische

Komplikationen

und ihre

Geschichte

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Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei insulinabhängigem Diabetes mellitus L.M.B. Laffel, A.S. Krolewski

Einleitung Der Mensch hat ein Risiko von 1%, im Lauf seines Lebens an einem Typ IDiabetes ( I D D M ) zu erkranken, der von Komplikationen mit Beteiligung der großen und kleinen Blutgefäße begleitet wird [1], Dieser Beitrag gibt einen Überblick speziell zur Epidemiologie von Augen- und Nierenkomplikationen und kardialen Komplikationen bei IDDM-Patienten. Dies sollte das Verständnis für die klinische Bedeutung von diabetischen Spätkomplikationen fördern und zur Entwicklung von effizienten Programmen beitragen, die die Prävention oder den Aufschub dieser Komplikationen bei IDDM-Patienten zum Ziel haben. Im Mittelpunkt der Diskussion werden vor allem Personen stehen, bei denen der Diabetes vor dem 30. Lebensjahr diagnostiziert wurde. Daten zum natürlichen Verlauf von Spätkomplikationen bei NIDDM-Patienten, die nach dem 30. Lebensjahr einen Diabetes entwickeln, werden im nächsten Beitrag diskutiert. Allgemein werden zwei Indices der Erkrankungshäufigkeit zur Beschreibung der Epidemiologie einer Erkrankung verwendet: die Inzidenzrate und die Prävalenzrate [2], Die Prävalenz beschreibt die Zahl oder den Anteil von Fällen einer Erkrankung in einer Population zu einem bestimmten Zeitpunkt, z. B. den prozentualen Anteil von diabetischen Patienten mit proliferativer Retinopathie bei allen untersuchten diabetischen Patienten. Dieses Querschnittsmaß erweist sich oft als sinnvoll für die Planung von Erfordernissen in der Gesundheitsvorsorge, kann jedoch ein unzuverlässiger Index für das Krankheitsvorkommen in einer Population sein und wird daher in dieser Übersicht nicht berücksichtigt. Andererseits ist die Inzidenzrate bei Untersuchungen zur Ätiologie einer Erkrankung behilflich. Die Inzidenzrate beschreibt die Zahl neuer Fälle, zum Beispiel von proliferativer Retinopathie, die sich in einer diabetischen Population während eines bestimmten Zeitintervalls entwickeln, für gewöhnlich ein Jahr, bei Personen, die zu Beginn dieses 15

L.M.B. Laffel, A.S. Krolewski

Inzidenzrate der Retinopathie

12

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Kumulatives Risiko für Retinopathie

proliferative A

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Abb. 1 Inzidenzrate und kumulatives Risiko für einfache und proliferative Retinopathie, entsprechend der Diabetesdauer bei IDDM-Patienten. A: Inzidenzrate der einfachen Retinopathie [4] und proliferative Retinopathie [6], entsprechend der Diabetesdauer. B: Kumulative Inzidenz der einfachen Retinopathie [4] und der proliferativen Retinopathie [6], entsprechend der Diabetesdauer. (Abdruck mit Genehmigung der Autoren und Verlage [1]).

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Epidemiologie

und klinische Bedeutung

(IDDM)

Intervalls nicht diese Komplikation aufweisen. Diese Rate kann in einem Maß zum individuellen Risiko während der gesamten Lebensdauer zusammengefaßt werden, der kumulativen Inzidenz (Abb. 1 B, 2B, 3B, 4A, 4B). Diabetische Retinopathie Augenkomplikationen sind die häufigsten Komplikationen bei insulinabhängigem Diabetes. Nach einer Verzögerung von etwa vier Jahren steigt die Inzidenzrate der einfachen Retinopathie, die sich mit Mikroaneurysmen und Hämorrhagien an der Retina manifestiert, rasch mit der Diabetesdauer an [3, 4], Während des fünften Diabetesjahrs entwickelt sich nur bei 1 von 100 Patienten, die bis dahin ohne Augenveränderungen blieben, eine einfache Retinopathie, während sie sich im 14. Jahr bei 11 von 100 Patienten entwickelt, die bis zu diesem Zeitpunkt keine Augenveränderungen zeigten (Abb. 1 A). Nach 15 Jahren zeigen fast alle Patienten mit Typ I-Diabetes irgendwelche retinopathischen Läsionen (Abb. 1 B). Man kann daraus schließen, daß diese Augenläsionen ein Ergebnis des diabetischen Zustands sind, da sie bei Diabetikern fast allgegenwärtig sind und extrem selten bei Personen ohne Diabetes auftreten. Die Entwicklung einer einfachen Retinopathie scheint notwendig (aber nicht hinreichend) für die Entstehung von proliferativen Veränderungen zu sein, der Hauptursache für eine Erblindung bei Patienten mit Typ I-Diabetes [5]. Die einsetzende Anfälligkeit für eine proliferative Retinopathie wird von deren Inzidenzrate widergespiegelt (Abb. 1 A), die zwischen dem 10. und dem 15. Jahr des Diabetes plötzlich ansteigt, also in der Zeit, zu der sich bei fast allen Patienten eine einfache Retinopathie entwickelt hat. Nach einer initialen 15jährigen Verzögerungszeit entwickelt sich eine proliferative Retinopathie mit einer konstanten Rate von 3 pro 100 jährlich bei zuvor nicht betroffenen Personen, gleichgültig ob diese Patienten für 20 oder 40 Jahre Diabetes hatten. Diese konstante Inzidenzrate ergibt ein kumulatives Risiko von 62% nach 40 Jahren [6]. Die Inzidenzrate der proliferativen Retinopathie korreliert direkt mit dem Ausmaß der Stoffwechselentgleisung des Diabetes während der unmittelbar dem Beginn dieser Komplikation vorausgehenden Jahre, aber nicht während der ersten fünf Jahre von Diabetes [6, 7]. Beispielsweise wurden IDDMPatienten mit langer Krankheitsdauer und einfacher Retinopathie für vier Jahre prospektiv verfolgt [8]. Patienten in der höchsten HbAj-Quartile zu Beginn der Studie hatten eine mehr als 20fache Wahrscheinlichkeit, eine präproliferative oder proliferative Retinopathie zu entwickeln als diejenigen in der niedrigsten Glykohämoglobin-Quartile. In der Wisconsin-Epidemio17

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Krolewski

logischen-Studie zur diabetischen Retinopathie war der Wert des glykolysierten Hämoglobins während mehrerer vorangegangener Jahre ebenfalls ein signifikanter Prädikator für die Entwicklung einer Retinopathie bzw. die Progredienz zu einer proliferativen Retinopathie [9], Die Gruppe in der höchsten Quartile von glykolysiertem Hämoglobin entfaltete ein 22fach höheres Risiko, eine proliferative Retinopathie zu entwickeln, als die Gruppe in der niedrigsten Quartile von glykolysiertem Hämoglobin. Bemerkenswerterweise schien das Risiko, eine schwere Retinopathie zu entwickeln, mit steigendem Alter verringert zu sein, unabhängig vom Alter bei Diabetesbeginn oder von der Diabetesdauer. Die Wahrscheinlichkeit, eine präproliferative oder eine proliferative Retinopathie zu entwickeln, war z. B. bei IDDMPatienten im Alter von 45 Jahren und darüber nur halb so groß wie bei Patienten unter 35 Jahren [8], Zusammenfassend kann man sagen, daß die diabetische Augenerkrankung ein mehrstufiger Prozeß zu sein scheint, der durch multiple Faktoren bestimmt wird. Das Muster des Auftretens schwerer Augenkomplikationen legt zwei separate Stadien nahe: die Entwicklung einer einfachen Retinopathie, gefolgt von einer Neovaskularisation. Zusätzlich legt das Muster eines konstanten Risikos für proliferative Retinopathie nach dem 15. Jahr eine allgemeine Vulnerabilität gegenüber Augenläsionen nahe. Die Faktoren, die das Auftauchen der einfachen Veränderungen bestimmen, können womöglich von denjenigen differieren, die den Beginn einer proliferativen Retinopathie bestimmen, auch wenn beide Faktoren von einer schlechten Stoffwechselführung des Diabetes abhängig sein können. Welche spezifischen metabolischen bzw. hämodynamischen Faktoren, die mit unkontrolliertem Diabetes in Zusammenhang stehen, auf die Entwicklung und Progredienz in jedem Stadium einwirken, bleibt nachzuweisen. Diabetische Nephropathie Die verheerendste Spätkomplikation bei insulinabhängigem Diabetes ist die diabetische Nephropathie. Eine persistierende Proteinurie und steigender arterieller Blutdruck charakterisieren das klinische Syndrom der diabetischen Nephropathie, das in einem Nierenversagen oder vorzeitigem Tod infolge koronarer Herzkrankheit kulminiert. Ein Stadium der beginnenden diabetischen Nephropathie, das durch einen subklinischen Anstieg der Albuminausscheidung im Urin, meist als Mikroalbuminurie bezeichnet, charakterisiert ist, geht dem eigentlichen Auftreten einer diabetischen Nephropathie vorher. In drei separaten Studien mit IDDM-Patienten wurde die Progredienz von Mikroalbuminurie zu persistierender Proteinurie untersucht [10 — 12], Dia18

Epidemiologie

und klinische

Bedeutung

(IDDM)

Inzidenzrate der Nephropathie

/ © B tc

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60

30

20

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Kumulatives Risiko für Nephropathie

40

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1959

10

20 30 Jahre seit Beginn des Diabetes

40

Abb. 2 Inzidenzrate und kumulatives Risiko ßir Nephropathie entsprechend der Diabetesdauer bei IDDM-Patienten. A: Inzidenzrate der Nephropathie, gemessen Inzidenzrate der persistierenden Proteinurie [16], entsprechend der Diabetesdauer. B: Kumulative Inzidenz der Nephropathie, gemessen anhand der Inzidenzrate der persistierenden Proteinurie [16 ], entsprechend der Diabetesdauer. (Abdruck mit Genehmigung der Autoren und Verlage [1]).

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betische Patienten mit einer Albuminausscheidung im Urin zwischen 15 und 200 ng/min hatten im Vergleich zu Patienten mit niedrigeren Albuminausscheidungsraten ein signifikant erhöhtes Risiko, eine klinische diabetische Nephropathie zu entwickeln. Der natürliche Verlauf der Mikroalbuminurie ist jedoch noch kaum geklärt, da Longitudinalstudien mit IDDM-Patienten aus verschiedenen Altersgruppen und mit verschiedener Diabetesdauer derzeit noch fehlen. Weiterhin bleibt die Interpretation einer Mikroalbuminurie unklar, da gezeigt wurde, daß viele Faktoren deren Ausmaß beeinflussen, einschließlich Diabeteseinstellung und körperliche Bewegung [13 — 15]. Daher wird sich diese Übersicht auf das Vorkommen und auf die Determinanten der klarer definierten Stadien der persistierenden Proteinurie und auf deren unvermeidliche Progredienz entweder zum Nierenversagen oder zum Tod infolge koronarer Herzkrankheit (KHK) konzentrieren. Die Inzidenzrate der diabetischen Nephropathie, die durch den Beginn der persistierenden Proteinurie angezeigt wird, ist in Abbildung 2 A entsprechend der Diabetesdauer dargestellt. Es wurde wiederholt gezeigt, daß das Risiko für eine persistierende Proteinurie während der ersten 15 Jahre mit der Diabetesdauer ansteigt und anschließend abfällt [16, 17]. Nach fünfjähriger Verzögerungsperiode steigt das Risiko bis auf einen Höhepunkt von 2,5 pro 100 jährlich während der zweiten Dekade des Diabetes an und sinkt dann auf eine jährliche Rate von ungefähr 1 pro 100 bei zuvor nicht betroffenen Individuen. Dieses Muster des Auftretens unterstützt nicht die allgemein vertretene Auffassung, daß die Diabetesdauer die Hauptdeterminante aller Spätkomplikationen sei. Vielmehr legt die nach der zweiten Dekade sinkende Inzidenzrate der Nephropathie nahe, daß nur eine Teilmenge von Patienten gegenüber einer Nierenschädigung bei Vorliegen eines Diabetes anfällig ist. Die Seltenheit von neuen Fällen diabetischer Nephropathie nach 20jähriger Diabetesdauer würde dann daraus resultieren, daß die anfälligen Individuen bereits im früheren Verlauf betroffen sind. Nach 40jähriger Diabetesdauer beträgt das kumulative Risiko für eine diabetische Nephropathie nur 35% (Abb. 2B) [16]. Dies steht im Gegensatz zu der allgemeinen Vulnerabilität gegenüber Augenläsionen, die oben anhand der konstanten Inzidenzrate nach der zweiten Dekade festgestellt wurde. Ähnlich wie bei der Retinopathie scheint eine ungenügend kompensierte Stoffwechsellage auch für die diabetische Nierenerkrankung eine wichtige Determinante zu sein. Die Individuen mit der schlechtesten Diabeteseinstellung, gemessen am glykämischen Index während der ersten Dekade des Diabetes, haben das größte Risiko, während der nachfolgenden Dekade eine persistierende Proteinurie zu entwickeln (Abb. 3); ein Risiko, das viereinhalbmal höher ist für Individuen in der höchsten Quartile des glykämischen Index 20

Epidemiologie

und klinische

Bedeutung

(IDDM)

50

40 Patienten, die nicht in klinischer Betreuung standen

30

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J=

10

_L 0 - 20

2 1 - 3 1 32 - 44 45 - 85 Quartile des Hyperglykämieindex

Abb. 3 Inzidenzraten der persistierenden Proteinurie während der zweiten und dritten Dekade des Diabetes entsprechend den Quartilen des Hyperglykämieindex während der ersten 15 Jahre des Diabetes und bei Patienten, die nicht in klinischer Betreuung waren (Patienten mit weniger als 9 Klinikaufenthalten während dieses Zeitraums) [16]. Der Hyperglykämieindex ist der Prozentsatz der Gesamtzahl von Blutglukosewerten (in mg/dl), die während der Aufenthalte in der Joslin-Klinik die folgenden Kriterien überschritten: 180 mg/dl nüchtern; 240 mg/dl weniger als 1,5 Stunden nach dem Essen; 220 mg/dl 1,5 bis 2,4 Stunden nach dem Essen; 200 mg/dl 2,5 bis 3,4 Stunden nach dem Essen und 180 mg/dl 3,5 oder mehr Stunden nach dem Essen. Klinikaufenthalte unmittelbar nach Beginn einer persistierenden Proteinurie wurden aus der Berechnung ausgeschlossen. (Abdruck mit Genehmigung der Autoren und Verlage [16]).

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im Vergleich zu Individuen in der niedrigsten Quartile [16]. Der glykämische Index, der ein Maßstab für Klinikaufenthalte ist, bei denen eine schwere Hyperglykämie vorlag, wurde in der Ära vor der Messung des glykosylierten Hämoglobins entwickelt, um die gesamte Blutglukosekontrolle eines Idividuums zu quantifizieren. Wie die Abbildung zeigt, haben nicht in klinischer Behandlung stehende Patienten (Individuen mit weniger als 9 Aufenthalten) das höchste Risiko für eine persistierende Proteinurie. Ähnliche Befunde wurden von anderen Arbeitsgruppen berichtet [18]. Eine zusätzliche indirekte Bestätigung für die Hypothese vom Einfluß der Hyperglykämie auf die Entwicklung einer persistierenden Proteinurie kommt von vorläufigen Studien zur verbesserten Blutglukosekontrolle im Stadium der beginnenden diabetischen Nephropathie [19, 20]. Forscher aus dem StenoHospital haben einen signifikanten Unterschied in der Progredienz der Mikroalbuminurie zwischen Patienten, die intensiv mit einer Insulinpumpentherapie behandelt wurden und Patienten, die eine konventionelle Behandlung erhielten, gezeigt [19]. Nur diese letztgenannten Patienten entwickelten eine persistierende Proteinurie; ihre Progredienzrate korrelierte direkt mit dem Schweregrad der Hyperglykämie. Die Oslo-Studie zeigte ebenfalls eine signifikante Reduktion der Albuminausscheidung im Urin bei intensiv behandelten Patienten im Vergleich zu denen, die eine konventionelle Insulintherapie erhielten [20], In dieser Studie hatten die meisten Personen, sowohl in der konventionell als auch in der intensiv behandelten Gruppe, eine Albuminausscheidung im Urin, die im oberen Normalbereich für Nicht-Diabetiker lag. Weitere langfristige Nachuntersuchungen zur Progredienz fehlen. Nichtsdestotrotz scheint es so, daß eine optimale Blutglukosekontrolle die Albuminausscheidung im Urin normalisieren kann, wenn sie vor Beginn der persistierenden Proteinurie eingeleitet wird [21]. Ein unkontrollierter Diabetes, obwohl wesentlich, scheint nicht auszureichen, um eine diabetische Nephropathie zu verursachen. Andere genetische Faktoren bzw. Umweltfaktoren müssen deren Pathogenese beeinflussen. Die Verbindung von erhöhtem systemischem Blutdruck und Nierenerkrankung ist wohl bekannt [22], Die herkömmliche Interpretation war, daß diese Verbindung, einschließlich die mit diabetischer Nephropathie assoziierte Hypertonie, eine sekundäre Folge der Nierenerkrankung ist. Es wurde jedoch festgestellt, daß ein erhöhter systemischer Blutdruck die Mikroalbuminurie begleitet, die dem Beginn einer persistierenden Proteinurie um Jahre vorausgeht [15, 23, 24], Außerdem haben Personen, die 40 Jahre Diabetes ohne Nephropathie überleben, bemerkenswerterweise trotz ihres fortschreitenden Alters keine Hypertonie [18, 25, 26]. Diese Beobachtungen legen nahe, daß die Anfälligkeit gegenüber renalen Komplikationen bei Typ I-Diabetes infolge 22

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einer genetischen Prädisposition für Hypertonie auftreten könnten, ein Befund, der kürzlich von mehreren unabhängigen Studien erhärtet wurde [27, 28]. Wir haben gefunden, daß Diabetiker häufig Eltern mit Hypertonie haben (familiäre Prädisposition für Hypertonie) und ebenfalls im Vergleich zu einer entsprechenden Gruppe von Diabetikern ohne renale Komplikationen einen hohen Natrium-Lithium-Gegentransport in den Erythrozyten haben (vermutlich ein Marker für ein Hypertonierisiko [29]) [27], Es wurde ebenfalls gezeigt, daß Eltern von diabetischen Patienten mit Proteinurie höhere arterielle Blutdruckwerte aufweisen als Eltern von Patienten ohne Proteinurie [30], Demzufolge kann bei diabetischen Personen eine zugrundeliegende Prädisposition für Hypertonie ein Mechanismus sein, durch den sich eine Nierenschädigung ergibt. Eine schlechte Blutglukosekontrolle und eine Prädisposition zur Hypertonie scheinen synergistisch auf die Entwicklung der diabetischen Nephropathie zu wirken; d. h. eine diabetische Nephropathie entwikkelt sich vor allem bei Individuen mit einer Prädisposition zu Hypertonie und schlechter Blutglukosekontrolle [27], Die genauen Mechanismen, die dieser Interaktion zugrundeliegen, sind gegenwärtig noch unklar. Zusätzlich zu einer schlechten Blutglukosekontrolle und genetisch bestimmten Anfälligkeiten können auch einige Umweltfaktoren das Risiko für eine diabetische Nephropathie beeinflussen. Das kumulative Risiko der diabetischen Nephropathie bei Patienten mit Typ I-Diabetes, die 1949 und 1959 diagnostiziert wurden, ist nur halb so hoch wie bei Patienten, bei denen diese Erkrankung 1939 diagnostiziert wurde (Abb. 3B) [16]. Dies kontrastiert mit dem gleichbleibenden Risiko für eine proliferative Retinopathie in denselben drei Patientenkohorten (Abb. 2 B) [6], Ähnliche Befunde und eine sinkende Inzidenz der persistierenden Proteinurie während der letzten Dekaden wurden auch aus dem Steno-Hospital berichtet [31], Verschiedene Umwelteinflüsse dietätischer, infektiöser oder pharmakologischer Natur (z. B. Insulintyp oder Reinheit), die bereits früher in diesem Jahrhundert vorhanden waren, scheinen sich vorteilhaft im Hinblick auf eine Verringerung des Risikos für eine diabetische Nephropathie verändert zu haben. Die genauen Mechanismen, über die die Umwelteinflüsse mit einem anfälligen Individuum mit unkontrolliertem Diabetes interagieren, sind jedoch unbekannt. Wenn sich einmal eine persistierende Proteinurie entwickelt, kommt es mit unerbittlicher Progredienz zu einem chronischen Nierenversagen, wenn nicht plötzlich der Tod infolge einer KHK eintritt [32]. Eine Progredienz zum Nierenversagen tritt innerhalb von 3 bis 20 Jahren (Mittelwert 10 Jahre) nach dem Beginn einer persistierenden Proteinurie auf [16]. Die Rate der Abnahme der Nierenfunktion unterscheidet sich jedoch signifikant bei den einzelnen Patienten und scheint sich direkt mit dem Wert des diastolischen Blutdrucks 23

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Erreichtes Lebensalter (Jahre)

Erreichtes Lebensalter (Jahre)

Abb. 4 Kumulative Mortalität infolge koronarer Herzkrankheit. A: Kumulative Mortalität infolge koronarer Herzkrankheit bei IDDM-Patienten bis zum 55. Lebensjahr [37] im Vergleich zur Population der Framingham-Heart-Studie [38, 44]. B: Kumulative Mortalität infolge koronarer Herzkrankheit bei IDDM-Patienten bis zum 55. Lebensjahr nach Alter bei Diabetesbeginn. Diabetesbeginn mit 0—9 Jahren, 10—14 Jahren oder 15—20 Jahren [37]. (Abdruck mit Genehmigung der Autoren und Verlage [16]).

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zu verändern [33, 34]. Die Qualität der Diabeteseinstellung spielt wohl nur eine untergeordnete Rolle, wenn erst einmal das Stadium der persistierenden Proteinurie erreicht ist [16, 21, 33]. Andererseits scheint das Lebensalter die Verschlechterung der renalen Funktion zu beeinflussen [33]; Personen, die älter als 45 Jahre waren, zeigten eine langsamere Progredienz. Zusammenfassend kann man sagen, daß eine diabetische Nephropathie in mindestens zwei separaten Stadien verläuft. Das erste Stadium, der Beginn der persistierenden Proteinurie, wird durch die Qualität der Stoffwechselführung des Diabetes und durch eine zugrundeliegende Anfälligkeit bestimmt, die prädisponierend für eine essentielle Hypertonie sein kann. Das zweite Stadium kann zu zwei verschiedenen Krankheitsergebnissen führen: zur Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zum terminalen Nierenversagen und zur Akzeleration der Arteriosklerose und vor allem der KHK. Die Progredienz der persistierenden Proteinurie bis zum Nierenversagen scheint nicht durch die Hyperglykämie beeinflußt zu werden, sondern durch andere Faktoren wie Blutdruck, Altern und vielleicht durch bestimmte dietätische Faktoren wie die Proteinaufnahme [35, 36], Modifikationen dieser Faktoren verhindern nicht das Auftreten eines Nierenversagens, können aber dessen Auftreten verzögern. Möglichkeiten, die Akzeleration der Arteriosklerose zu mäßigen, sind unbekannt. Vorzeitige koronare Herzkrankheit Die koronare Herzkrankheit ist die führende Todesursache in der diabetischen Population. Ihr Vorkommen und ihr Beitrag zur Mortalität sind insbesondere bei Typ I-Patienten erhöht. Die kumulative Mortalität für Männer und Frauen im Alter von 55 Jahren betrug in einer Kohorte von IDDM-Patienten, die über 20 bis 40 Jahre verfolgt wurde, 35% (Abb. 4 A) [37]. Dies war weitaus höher als das entsprechende Risiko von 8% für Männer und 4% für Frauen bei nicht-diabetischen Personen in der Framingham-Heart-Studie [38]. Zusätzlich zu dieser übermäßigen Mortalität in der Diabetiker-Kohorte bestand ebenso ein Übermaß symptomatischer und asymptomatischer Erkrankungen der Koronararterien; das kumulative Risiko für alle Formen der KHK (Angina pectoris, akuter, nicht tödlich verlaufender Myokardinfarkt und asymptomatische K H K , diagnostiziert durch Belastungstest) betrug im Alter von 55 Jahren beinahe 50% [37], Dieses Risiko war bei Männern und Frauen ähnlich. Das enorme Übermaß von Morbidität und Mortalität infolge einer KHK bei Typ I-Diabetes ist hauptsächlich der vorzeitigen Entwicklung und Akzeleration der Arteriosklerose der Koronararterien zuzuschreiben [39, 40], Die 25

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dafür verantwortlichen Mechanismen sind unklar. Bestimmte Charakteristika des Auftretens einer KHK erlauben jedoch eine Einsicht in die Pathogenese. Beispielsweise tritt eine KHK nur nach dem 30. Lebensjahr auf, ohne Rücksicht darauf, ob der Beginn des IDDM in der frühen Kindheit oder der späten Adoleszenz lag (Abb. 4 B) [37], In der Allgemeinbevölkerung treten die ersten arteriosklerotischen Läsionen der Koronararterien in der zweiten oder dritten Lebensdekade auf [41]. Autopsiestudien an U.S.-Gefallenen aus dem KoreaKrieg und Vietnam-Krieg zeigten bei der Hälfte der Opfer in deren dritter Lebensdekade eine partielle Okklusion der Koronararterien durch fibröse Plaques [42, 43], Jedoch beansprucht die Progredienz dieser Läsionen bis zu dem Punkt, an dem sie klinisch als KHK manifest werden, noch mehrere Dekaden [41, 44]. Andererseits entwickeln IDDM-Patienten oftmals schwere, klinisch relevante arteriosklerotische Läsionen der Koronararterien bereits in ihrer dritten Dekade, ungeachtet ob sich der Diabetes im Alter von 5 oder von 20 Jahren entwickelte [37], Es läßt sich daher vermuten, daß das Auftreten einer KHK vielmehr vom natürlichen Verlauf der Arteriosklerose als von der Diabetesdauer bestimmt wird. Dies legt nahe, daß sich eine Exposition gegenüber einem Diabetes nicht auf den Beginn arteriosklerotischer Läsionen auswirkt, sondern viel eher deren Progredienz während der dritten und vierten Lebensdekade beeinflußt [45]. Im Verhältnis zu nicht-diabetischen Personen haben IDDM-Patienten signifikant größere Läsionen mit Beteiligung aller drei Koronararterien sowohl in den distalen als auch in den proximalen Segmenten [40], 32 IDDM-Patienten wurden im Vergleich mit einer Gruppe von 31 altersentsprechenden nichtdiabetischen Patienten mit entsprechenden Symptomen einer Beurteilung der KHK durch Herzkatheterisierung unterzogen [40]. Eine koronare Mehrgefaßerkrankung trat bei 80% aus der diabetischen Gruppe und bei 22% aus der nicht-diabetischen Gruppe auf. Eine herabgesetzte Auswurffraktion und abnorme Wandmotilität waren in 60% bzw. 71% der diabetischen Patienten vorhanden, verglichen mit den signifikant niedrigeren Raten von 26% bzw. 32% bei nicht-diabetischen Patienten [40], Diabetische Frauen und Männer zeigten dasselbe Ausmaß angiographischer Veränderungen. Gegenwärtig sind die mit dem Diabetes zusammenhängenden Faktoren für diese schwere Arteriosklerose unklar. Eine begleitende Nephropathie ist ein wohlbekannter Faktor, der zur KHK führt, zum Teil womöglich infolge der assoziierten Hypertonie und Hyperlipidämie [46]. Unsere kürzlich veröffentliche Studie wies für KHK ein Risiko nach, das bei Patienten mit persistierender Proteinurie 15fach höher lag als bei Patienten ohne diese renale Komplikation [37]. Forscher vom StenoMemorial-Hospital berichteten über ein achtfach erhöhtes Risiko einer KHK 26

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während eines Zeitraums von 6 Jahren nach Beginn der persistierenden Proteinurie und eine mögliche Verbindung zu Erhöhungen des Serum-Cholesterins und des Blutdrucks [47], Eine Proteinurie blieb jedoch in einer anderen Studie ein unabhängiger Risikofaktor für erhöhte kardiovaskuläre Mortalität nach Regulation der Hypertonie und Hyperlipidämie [32]. Im Gegensatz dazu scheint das KHK-Risiko unabhängig von einer proliferativen Retinopathie zu sein, der anderen wesentlichen mikrovaskulären Komplikation [37]. Diabetes erhöht das Arteriosklerose-Risiko vermutlich unabhängig vom Vorliegen einer Nephropathie [37, 48], In der Tat ist ein unkontrollierter Diabetes mit Störungen der Thrombozyten und der Gerinnung und ebenso mit Lipidveränderungen assoziiert [49 — 56], Diese Veränderungen können zusammen mit den endothelialen Dysfunktionen bzw. Traumatisierungen, die in vitro durch Induktion eines Diabetes erwiesen wurden [57], eine Rolle für das Fortschreiten der frühen arteriosklerotischen Läsionen zu erhabenen Plaques und zu vorzeitiger KHK spielen [58]. Diese Konstellation von Veränderungen kann eine besondere Bedeutung bei Patienten mit Nephropathie gewinnen, bei denen viele Risikofaktoren, die mit einer KHK assoziiert sind, zusammenkommen. Die Auswirkung des Diabetes auf das Risiko einer KHK könnte bei IDDMPatienten in verschiedenen Ländern unterschiedlich sein. Die große Bedeutung des IDDM für die Entwicklung einer vorzeitigen KHK steht im Einklang mit der Häufigkeit der initialen arteriosklerotischen Läsionen in der Allgemeinpopulation. Daher kann die KHK in Ländern mit einem niedrigen Risiko für KHK in der Allgemeinbevölkerung eine seltene Folge des IDDM sein. Ein derartiger Befund würde die Vorstellung bestätigen, daß eine Exposition gegenüber einem Diabetes eher die Progredienz arteriosklerotischer Läsionen als deren Initiierung modifiziert. So scheint daher auch die KHK ein multifaktorieller mehrstufiger Prozeß zu sein, bei dem der Diabetes den natürlichen Verlauf im Verbund mit genetischen Faktoren und Umweltfaktoren zu modifizieren scheint. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Das Muster des Auftretens von diabetischen Spätkomplikationen legt nahe, daß sie Ergebnisse getrennter Prozesse mit spezifischen Konstellationen der bestimmenden Faktoren sind. Es kann jedoch eine gewisse Überschneidung in der Pathogenese geben, an der verschiedene funktionale und morphologische Veränderungen beteiligt sind, die durch einen ungenügend kontrollierten Diabetes induziert werden. Das Wissen um die Determinanten für jede Kom27

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plikation ist wichtig zur Entwicklung präventiver Programme, deren Ziel eine Reduktion der assoziierten Morbidität und Mortalität ist. Unser gegenwärtiger Wissensstand legt nahe, daß die primäre Prävention von Augenkomplikationen nicht möglich ist, da einfache Veränderungen bei der gegenwärtig verfügbaren Insulinsubstitutionstherapie ein allgegenwärtiges Ergebnis des diabetischen Stoffwechselzustands zu sein scheinen. Jedoch scheint eine sekundäre Prävention der Erblindung durch Früherkennung und Behandlung präproliferativer und proliferativer Läsionen möglich zu sein. Die primäre Prävention der diabetischen Nephropathie umfaßt die Erkennung anfälliger Individuen und die Anwendung verschiedener Behandlungsmethoden vor Beginn einer irreversiblen Proteinurie. Derartigen Behandlungsmodalitäten wie intensive Insulintherapie, pharmakologische Behandlung zur Senkung des systemischen und des intrarenalen Blutdrucks und eventuell diätetische Modifikationen gilt das derzeitige Interesse der Forschung. Eine sekundäre Prävention nach Beginn der persistierenden Proteinurie umfaßt Maßnahmen, die bekanntermaßen die unerbittliche Verschlechterung der Nierenfunktion selbst verlangsamen, wie z. B. die Normalisierung des systemischen Blutdrucks und eine Restriktion der Proteinaufnahme. Die Prävention der Arteriosklerose beinhaltet die Erkennung von Individuen mit konventionellen Risikofaktoren wie Hyperlipidämie, Hypertonie und einer positiven Familienanamnese für eine vorzeitige KHK. Derartige Individuen könnten einem speziellen Programm zur Verringerung von Risikofaktoren zugeführt werden. Alternativ könnten Individuen mit einem Risiko für eine diabetische Nephropathie identifiziert und Interventionen zugeführt werden, die darauf ausgerichtet sind das Nephropathierisiko und folglich auch das Risiko der KHK zu reduzieren. Literatur [1] Krolewski AS, Warram JH, Rand LI et al. Epidemiologie approach to the etiology of Type I Diabetes Mellitus and its complications. N Engl J Med 1987; 317: 1390-1398. [2] Rothman KJ. Measures of disease frequency. In: Modern Epidemiology. Boston: Little, Brown and Co, 1986; 2 3 - 4 9 . [3] Palmberg P, Smith M, Waltman S et al. The Natural History of retinopathy in insulindependent juvenile-onset diabetes. Opthalmology 1981; 88: 613 — 618. [4] Klein R, Klein BEK, Moss SE et al. The Wisconsin Epidemiologic Study of Diabetic Retinopathy. II. Prevalence and risk of diabetic retinopathy when age at diagnosis is less than 30 years. Arch Opthalmol 1984; 102: 520-526. [5] Rand LI, Prud'homme GJ, Ederer F et al. Diabetic Retinopathy Study Group. Factors influencing the development of visual loss in advanced diabetic retinopathy: Diabetic Retinopathy Study (DRS) report no. 10. Invest Opthalmol Vis Sei 1985; 26; 9 8 3 - 9 9 1 . [6] Krolewski AS, Warram JH, Rand LI et al. Risk of proliferative diabetic retinopathy in juvenile-onset type I diabetes: a 40-year follow-up study. Diabetes Care 1986; 9: 443 — 452.

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Epidemiologie und klinische Bedeutung diabetischer Spätkomplikationen bei Typ Il-(nicht-insulinabhängigem) Diabetes mellitus H.U. Janka

In allen Bevölkerungen besteht die überwältigende Mehrheit aller Diabetesformen aus Personen mit Typ Il-(nicht-insulinabhängigem) Diabetes mellitus (anglosächs. NIDDM) [1], Da diese Patienten bei schlechter Stoffwechseleinstellung nahezu in gleichem Maße den verheerenden Komplikationen des Diabetes mellitus ausgesetzt sind, ist die Gesamtzahl von diabetischen Spätkomplikationen bei Typ II-Diabetes höher als beim Typ I-(insulinabhängigen) Diabetes (anglosächs. IDDM). Beim Typ II-Diabetes gibt es jedoch gewisse Besonderheiten hinsichtlich der Häufigkeit und klinischen Ausprägung von diabetischer Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie und Makroangiopathie, die Gegenstand dieser Übersicht sind. Retinopathie Die proliferative diabetische Retinopathie (PDR) und die diabetische Maculopathie sind die häufigsten Ursachen für die Erblindung diabetischer Patienten [2], Die PDR wird allgemein als das wichtigere Problem bei Typ IDiabetikern angesehen, während das Maculaödem vorwiegend beim Typ IIDiabetes eine bedeutende Rolle spielen soll. Genaue Vergleiche sind aber schwierig, da Unsicherheiten hinsichtlich der klinischen Beurteilung des Diabetes-Typs bestehen, die Zahl der Studien mit beiden Typen gering ist und epidemiologische Bevölkerungsstudien mit dieser Fragestellung noch wesentlich seltener sind [3]. In der epidemiologischen Wisconsin-Studie wiesen von den untersuchten Diabetikern, die bei Diagnosestellung 30 Jahre und älter waren und eine Krankheitsdauer von weniger als 5 Jahren hatten, 40% der insulinbehandelten und 28% der nicht-insulinbehandelten Personen eine diabetische Retinopathie auf [4]. Die Prävalenz der Retinopathie stieg bei den älteren insulinbehandelten Diabetikern bei einer Diabetesdauer von 15 Jahren und mehr bis auf 80% an, bei nicht-insulinbehandelten Personen betrug sie 50%. In der Gruppe 33

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der insulinbehandelten Diabetiker stieg die Prävalenz der PDR gleichmäßig von 2% bei kurzer Diabetesdauer auf mehr als 25% bei einer Krankheitsdauer von mehr als 20 Jahren an. In der nicht-insulinbehandelten Gruppe blieb die Häufigkeit bei 2 — 5%, ungeachtet der Krankheitsdauer. In dieser epidemiologischen Studie war die Prävalenz des Maculaödems bei Typ I-Diabetes und Typ II-Diabetes nicht wesentlich unterschiedlich, aber die PDR war relativ häufiger bei Personen mit frühzeitigem Krankheitsbeginn (Typ I-Diabetiker). Da der Diabetes mellitus mit einem Krankheitsbeginn in späterem Lebensalter jedoch wesentlich häufiger war als der jugendliche Diabetes, waren die meisten Patienten mit PDR oder Maculaödem Typ II-Diabetiker. Wie erwartet, zeigen Patientenerhebungen aus Diabetes-Ambulanzen eine etwas unterschiedliche Verteilung. An der Joslin Clinic waren unter den Patienten mit PDR nur 22% älter als 40 Jahre bei Diabetesbeginn [5]. In einer Querschnittsuntersuchung in der Diabetes-Ambulanz des Massachusetts General Hospitals lag die Prävalenz der Retinopathie von Typ II-Diabetikern der Altersklasse 55 — 75 Jahre bei 25%, die meisten der Patienten wiesen eine nicht-proliferierende „Background"-Retinopathie auf [6]. Die Dauer des manifesten Diabetes und die Höhe des Hämoglobin Aic (HbA Ic ) waren die wichtigsten Prädiktoren (Risikofaktoren) für das Vorliegen einer Retinopathie. Eine ähnliche Häufigkeit und Beziehung zur Diabetesdauer wurden kürzlich aus einer britischen Diabetes-Klinik berichtet [7], Es gibt gleichwohl verschiedene Probleme bei der Verwendung solcher Zahlen, will man einen kausalen Zusammenhang zwischen Stoffwechselkontrolle und Retinopathieinzidenz herstellen. Man muß annehmen, daß die Beziehung zwischen Exposition und Prävalenz eine angemessene Schätzung für die Beziehung zwischen Exposition und Inzidenz erlaubt. Die Beziehung mutmaßlicher Risikofaktoren zur Inzidenz der diabetischen Retinopathie muß daher in prospektiven Studien erwiesen werden. Es gibt drei prospektive Studien, die in diesem Zusammenhang zitiert werden müssen [8, 9, 10]. Die UGDP-Studie [8] akkumulierte umfangreiches Zahlenmaterial zum Auftreten von Komplikationen bei Typ II-Diabetes, diese Daten wurden jedoch größtenteils auf der Grundlage der zugeordneten Therapie und nicht anhand von Blutglukose und Stoffwechseleinstellung beurteilt. Es gab zwischen den vier Behandlungsgruppen trotz niedriger Mittelwerte für Nüchternblutglukose in der mit variablen Mengen an Insulin behandelten Gruppe keine signifikanten Unterschiede in der Entwicklung einer Retinopathie. Ein direkter Vergleich zwischen Blutglukose und anderen möglichen Risikofaktoren wurde jedoch nicht durchgeführt. In einer anderen britischen Studie [9], bei der Diäteffekte bei Typ II-Diabetes untersucht wurden, stieg die Gesamtinzidenz der Retinopathie mit Verschlechterung der metabolischen Kontrolle an. In der dritten 34

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und klinische Bedeutung

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Studie wurden Pima-Indianer untersucht [10]. Dabei war praktisch keine Retinopathie bei Personen mit einem Blutzucker unter 200 mg/dl (2 Std-Wert nach oraler Glukosetoleranz) nachweisbar. Die Prävalenz stieg bei höheren Blutglukosewerten wie auch bei höheren Blutdruckwerten an [11]. Eine Erhöhung des Blutdrucks Jahre vor Diabetesbeginn wurde in der WhitehallStudie gerade bei Personen, die eine diabetische Retinopathie entwickelten, gesehen [12]. Diese Befunde liefern einen gewissen Beweis für einen unabhängigen Effekt hypertensiver Blutdruckwerte auf die diabetische Augenerkrankung. Aus all diesen Studien kann geschlossen werden, daß die Qualität der Stoffwechseleinstellung und die Höhe des Blutdrucks wahrscheinlich die Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung der diabetischen Retinopathie bei Typ II-Diabetes sind. Dieser Zusammenhang wurde für Typ I-Diabetiker in mehreren neueren Studien belegt [13, 14, 15], In wenigen Jahren dürfte der Diabetes Control and Complication Trial (DCCT-Studie) definitive Antworten auf die Frage geben, ob eine normnahe Blutzuckereinstellung die diabetische Retinopathie bei Typ I-Diabetikern verhindern oder bessern kann [16]. Da eine Studie in dieser Größenordnung und mit diesem Aufwand bei Typ II-Diabetikern kaum durchführbar ist, werden die Ergebnisse der DCCTStudie auf alle diabetischen Patienten, ungeachtet von Diabetes-Typ und -Behandlung, angewendet werden müssen. Diabetische Nephropathie Verglichen mit dem Typ I-Diabetes, ist das Wissen über renale Erkrankungen, die den Verlauf des Typ II-Diabetes komplizieren, sehr gering. Auch wenn häufig eine Glomerulosklerose beobachtet wurde, scheinen doch Hyperfiltration der Niere und gesteigerte glomeruläre Filtrationsrate eher selten aufzutreten [17], Die Albuminurie bei Typ II-Diabetes ist — wie bei Typ IDiabetikern — überwiegend glomerulären Ursprungs [18], zeigt jedoch keine strenge Korrelation mit dem Grad der Glomerulopathie [19], Demgemäß ist die Pathogenese der Mikroalbuminurie nicht genau definiert. Es ist wahrscheinlich, daß sowohl strukturelle als auch hämodynamische Veränderungen eine Rolle spielen. Es liegen mehrere neuere Berichte zur Prävalenz der Proteinurie und Mikroalbuminurie bei Typ II-Diabetikern vor. In einer epidemiologischen Studie an einer italienischen Bevölkerung in der Lombardei betrugen die Prävalenzraten für Mikroalbuminurie (Albuminausscheidung 30 — 350 (ig/min) 25,8% und für die Makroalbuminurie ( > 350 ng/min) 3,0% [20]. Die Häufigkeit der Mikroalbuminurie lag innerhalb der ersten fünf Jahre des Typ II-Diabetes 35

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bereits bei 20,9% und stieg leicht mit der Krankheitsdauer bis 10 Jahren und zeigte dann eine gleichbleibende Tendenz. In einer Stichprobe von allen registrierten Typ II-Diabetikern in Erfurt/DDR, die nicht mit Insulin behandelt wurden und eine mittlere Krankheitsdauer von 5 Jahren hatten, wiesen 6,7% eine persistierende Makroproteinurie und 9,6% zusätzlich Zeichen einer Pyelonephritis auf [21]. Andere Autoren berichteten von einer Prävalenz der Mikroalbuminurie von 41—59% bei Typ II-Diabetes [22, 23]. Das Ausmaß jedoch, in dem eine Proteinurie zu einer klinisch manifesten diabetischen Nephropathie fortschreitet, ist bei Typ II-Diabetes — im Gegensatz zu Typ IDiabetikern — eher niedrig [24]. In einer Schweizer Studie wurden 510 Typ IiDiabetiker über einen Zeitraum von 8 Jahren beobachtet [25]. Nur bei einem von 122 verstorbenen Patienten konnte der Tod auf ein terminales Nierenversagen zurückgeführt werden. Ungefähr 5 — 10% der Typ II-Diabetiker entwickeln ein Nierenversagen [26, 27]. Ähnlich wie bei der Pathogense der diabetischen Retinopathie tragen schlechte metabolische Kompensation und eine Hypertonie zur Progredienz der diabetischen Nephropathie bei Typ IIDiabetes bei [28, 29], Der bislang beste Indikator für die Entwicklung eines terminalen Nierenversagens ist die persistierende Proteinurie. Daneben ist die hohe Albuminexkretionsrate ein sensitiver Risikoindikator für makrovaskuläre Komplikationen und vorzeitigen Tod bei Typ II-Diabetes. Auch wenn die Entwicklung eines Nierenversagens relativ seltener bei Typ II-Diabetes als bei Typ I-Diabetikern ist, so sind infolge der weitaus höheren Zahl von Typ II-Diabetikern beinahe die Hälfte aller dialyse-pflichtigen Diabetiker Typ Ii-Patienten [30, 31]. Anscheinend wurde die Prognose dieser Patienten in den letzten Jahren durch aggressive antihypertensive Therapie, bessere Kontrolle des Blutzuckers und die richtige Wahl des Nierenersatzes verbessert [31]. Diabetische Neuropathie Die diabetische Neuropathie kann bei allen Formen des Diabetes mellitus auftreten. Obwohl beträchtliche Ungewißheit über die Prävalenz der diabetischen Neuropathie besteht, stimmen Diabetologen darin überein, daß die diabetische Neuropathie eine sehr häufige und für den Patienten oftmals sehr unangenehme Komplikation ist. Die diabetische Neuropathie ist bei Typ IIDiabetikern wahrscheinlich ebenso häufig wie bei Typ I-Patienten. Eine genaue Prävalenz läßt sich nicht angeben, weil die wenigen vorliegenden epidemiologischen Studien durch eine Inkonsistenz von Terminologie, diagnostischen Kriterien und Studienpopulation beeinträchtigt sind [33], In Pirarts 25jähriger prospektiver Studie von 4400 ambulanten Patienten war eine 36

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diabetische Neuropathie — definiert als Verlust der Achilles- bzw. Patellarsehnenreflexe in Kombination mit herabgesetztem Vibrationsempfinden — bei Diabetesdiagnose bereits bei 12% der Patienten vorhanden. Danach stieg die Häufigkeit der Neuropathie linear mit der Diabetesdauer bis auf 50% nach 25 Jahren an [34], In einer Gruppe von 503 Mexikanern mit Typ IiDiabetes wiesen 32,2% Symptome auf, die einer peripheren diabetischen Neuropathie zugeschrieben werden konnten, und 40,8% zeigten fehlendes Vibrationsempfinden im Bereich der Fußknöchel [35], Noch höhere Prävalenzraten werden von Autoren berichtet, die die sensitiveren Techniken der klinischen Neurophysiologie anwendeten [32]. Die Läsion der peripheren Nerven ist demzufolge die am meisten unterschätzte Komplikation des Diabetes mellitus. Die Ätiologie der Nervenschädigung wird gegenwärtig durch zwei Theorien erklärt: eine metabolische und eine vaskuläre. Es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, daß Sorbit und Fructose in den Nerven akkumulieren, was eine Verminderung von Myo-Inositol und den Enzymen der Na + /K + -ATPase verursacht. Diese Veränderungen können durch Normoglykämie ebenso wie durch pharmakologische Substanzen wie Aldose-Reduktase-Inhibitoren (ARI) normalisiert werden. Andererseits wurden mikrovaskuläre Veränderungen der vasa nervorum mit endothelialer Zellproliferation, Okklusion des Lumens und Verdickung der Basalmembran beobachtet. Diese pathologischen Bilder wurden bei einer Reihe von Biopsiestudien an menschlichen Nerven gewonnen. Dabei ist eine segmentale Demyelinisierung mit einer häufigen Remyelinisierung auffallend. Daneben gibt es Zeichen für eine axonale Degeneration mit beträchtlicher Regeneration. Diese Veränderungen legen ebenso wie eine diffuse symmetrische Störung fokale Aspekte nahe [36], Es besteht jedoch histopathologisch eine ausgeprägte Heterogenität der diabetischen Neuropathie bei Typ I-Diabetes und Typ II-Diabetes [37], Typ IiDiabetiker weisen wesentlich seltener eine gesteigerte axo-gliale Dysfunktion oder axonale Atrophie als Typ I-Diabetiker auf, zeigen aber signifikant häufiger einen Verschluß der Kapillaren der Vasa nervorum. Aus klinischer Sicht ist es zweckmäßig, die diabetische Neuropathie in die Kategorien der somatischen und autonomen diabetischen Neuropathie einzuteilen. Eine detaillierte Diskussion dieser Formen kann aus Platzgründen hier nicht vorgenommen werden. Während die symmetrische distale Polyneuropathie bei Typ II-Diabetes und Typ I-Diabetes die häufigste Form der diabetischen Neuropathie darstellt, wird die diffuse motorische Neuropathie in zunehmendem Maße bei älteren Patienten mit Typ II-Diabetes diagnostiziert. Dabei entwickeln sich über 3 bis 6 Monate bei anscheinend guter Stoffwechsellage ein ausgeprägter Muskelschwund und eine massive Muskel37

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schwäche. Bioptische Studien lassen eine Mikroangiopathie in diesem Stadium annehmen. Die diabetische Neuropathie im Bereich der unteren Extremitäten trägt wesentlich zur Entwicklung von Parästhesien, Schmerzen, Fußulzerationen, Mediasklerose der Arterien, Osteopenie und Charcotscher Neuroarthropathie bei und führt schließlich zur Amputation von Fuß oder Bein [38]. Die Amputationsrate ist besonders bei Typ II-Diabetikern hoch. In der epidemiologischen Studie der Pima-Indianer, eines Indianerstamms mit einer ausgeprägt hohen Rate an Typ II-Diabetes, war die Amputationsrate bei Diabetikern lOOfach höher als bei Nicht-Diabetikern. Mediasklerose der Beinarterien und verminderte Vibrationssensibilität waren die wichtigsten Indikatoren für eine in der Folge notwendige Beinamputation [39]. Die autonome diabetische Neuropathie ist ebenfalls eine häufige Komplikation des Diabetes mellitus und geht mit einer erhöhten Mortalität einher. Das erhöhte Sterblichkeitsrisiko wurde vor allem durch die Arbeitsgruppe von Ewing und Kollegen klar herausgearbeitet [40]. Veränderungen des autonomen Nervensystems wurden mit der Pathogenese kardialer Arrhythmien, Myokardischämie und plötzlichem Herztod in Zusammenhang gebracht. Neuere Daten lassen vermuten, daß die diabetische kardiale autonome Neuropathie zu einer Störung des Sympathicus und damit zu einer Verlängerung der QT-Dauer führen kann, die prädisponierend für Arrhythmien und plötzlichen Herztod sind [41], Bis vor kurzem lagen keine Korrelationsberechnungen über die Beziehung von autonomer diabetischer Neuropathie und der Stoffwechseleinstellung vor. Die DCCT-Studie hat jedoch eine bestehende derartige Beziehung aufgezeigt [16], was wichtige therapeutische Konsequenzen impliziert. Eine Normalisierung der Hyperglykämie dürfte daher die erfolgversprechendste Maßnahme in der Behandlung der autonomen wie auch der somatischen diabetischen Neuropathie sein. Makroangiopathie Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Hauptursache für die hohe Morbidität und Mortalität bei diabetischen Patienten, insbesondere in den entwikkelten Ländern. Die Atherosklerose tritt bei Diabetikern in einem früheren Alter als bei Nicht-Diabetikern auf, zeigt eine rasche Progredienz und führt häufig zu so schweren und fatalen Komplikationen wie Myokardinfarkt, Schlaganfall und Fußgangrän [42], Die rasche Progredienz der Atherosklerose findet sich bei allen Diabetestypen. In der Whitehall-Studie lag die altersangepaßte Mortalitätsrate an koronaren Herzkrankheiten bei 6,1 für Typ IDiabetiker und bei 8,3 für Typ II-Diabetiker im Vergleich zu 3,9 bei Nicht38

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Diabetikern [43]. In einer Übersichtsarbeit aller epidemiologischer Studien wiesen Typ II-Diabetiker eine 3- bis 4fach höhere Rate an kardiovaskulärer Mortalität auf als Nicht-Diabetiker [26]. Die wichtigste Herz-Kreislaufkrankheit ist die koronare Herzkrankheit. Sind Typ II-Diabetiker davon betroffen, so haben sie eine wesentlich ungünstigere Prognose. Die Überlebensrate nach Myokardinfarkt ist bei Patienten mit Typ II-Diabetes deutlich erniedrigt [44]. Weiterhin sind bei Typ II-Diabetikern plötzlicher Herztod und stummer Myokardinfarkt bzw. -ischämie eindeutig häufiger [45], Traditionell wird das gesteigerte Risiko für makrovaskuläre Erkrankungen bei Typ II-Diabetes Faktoren zugeschrieben, die mit dem Diabetes assoziiert sind und den atherogenen Prozeß beschleunigen. Da es nicht gelang, mit den anerkannten Risikofaktoren wie diastolische Hypertonie, Hypercholesterinämie und Zigarettenrauchen das exzessiv gesteigerte Risiko zu erklären, wurde eine Reihe von Hypothesen aufgestellt. Diese beinhalten verschiedene Aspekte der Blutdruckerhöhung, Lipidstoffwechselstörungen, Hyperinsulinämie und Insulinresistenz, Hyperglykämie und Glykosylierung von Proteinen, Störungen der Hämostase und der Hämorrheologie, und eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion. Hypertonie Typ II-Diabetiker haben in einem hohen Prozentsatz hypertone Blutdruckwerte. Dies ist das Ergebnis der meisten epidemiologischen Studien [46], In der Schwabinger Studie betrug die Prävalenz der Hypertonie bei Diabetikern im Alter von 50 bis 60 Jahren mehr als 50% und stieg in höherem Alter noch weiter an [47], Vergleichbare Daten wurden aus Dresden berichtet: Typ IIDiabetiker wiesen in 53% hypertensive Blutdruckwerte auf, im Unterschied zu 17,3% einer altersentsprechenden Gruppe der Allgemeinbevölkerung [48], In einer Studie in den Praxen von niedergelassenen Allgemeinärzten in Südbayern wurde eine Hypertonie ( > 160/95 mmHg) bei fast drei Vierteln aller älteren Typ II-Diabetikern diagnostiziert [49]. Neben der erhöhten Häufigkeit ist die Hypertonie einer der wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren. In der Schwabinger Studie war der Blutdruck der wichtigste Indikator für das spätere Auftreten von kardiovaskulären Komplikationen [50], Obgleich eine signifikante Korrelation für systolische und diastolische Blutdruckwerte bestand, so war statistisch das Risiko für Herz-Kreislaufkomplikationen wesentlich besser durch den systolischen Blutdruck zu erklären. Vergleichbare Befunde und ein deutlicher Anstieg kardiovaskulärer Komplikationen mit einer isolierten systolischen Hypertonie wur39

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den in der Framingham-Studie nachgewiesen. Die Autoren der FraminghamStudie schlössen aus ihren Daten, daß eine isolierte systolische Hypertonie nicht nur zu kardiovaskulären Komplikationen beiträgt, sondern daß die ausschließliche Berücksichtigung des diastolischen Blutdrucks bei älteren Menschen irreführend ist und das tatsächliche Risiko unterschätzt [51]. Lipidstörungen Der Typ II-Diabetes geht mit atherogenen Veränderungen der Plasmalipide und -lipoproteine einher. In der Literatur wird bei Diabetes mellitus eine engere Assoziation der Hypertriglyzeridämie mit der Atherosklerose als der Hypercholesterinämie beschrieben [52, 53], In neueren Arbeiten wird über eine veränderte Zusammensetzung der VLDL- und LDL-Lipoproteine bei Typ II-Diabetikern berichtet, wobei die LDL einen höheren Gehalt an Triglyzeriden und die VLDL vermehrt Cholesterinester aufweisen sollen [54], Es wird deshalb diskutiert, ob diese Veränderungen zu einer Beeinträchtigung der Interaktion von Lipoprotein und Rezeptor führen und damit eine Atherogenese induzieren können. Für Typ II-Diabetiker sind die neuen Therapieempfehlungen der Europäischen Atherosklerose-Gesellschaft jedenfalls zutreffend insofern, als daß nicht nur erhöhte Cholesterinwerte, sondern auch die Triglyzeridwerte gesenkt werden sollten [55]. Hyperinsulinämie und Insulinresistenz Hyperinsulinämie und Insulinresistenz werden als weiterer Faktor diskutiert, der zur erhöhten kardiovaskulären Morbidität beiträgt. Die Interaktionen zwischen Plasmainsulin und Fettstoffwechsel und ebenso den Blutdruckwerten sind gut dokumentiert [56]. Die Plasma-Insulinspiegel sind bei vielen Typ II-Diabetes-Patienten und bei den meisten Patienten mit gestörter Glukosetoleranz als Ausdruck der peripheren Insulinresistenz erhöht. In der Schwabinger Studie wiesen Typ II-Diabetiker mit Makroangiopathie erhöhte Werte für Plasma-C-Peptid als Ausdruck der endogenen Hyperinsulinämie auf. Darüber hinaus war die Dosis des täglich injizierten Insulins bei den insulinbehandelten Typ II-Diabetikern ein Risikoindikator für die Entwicklung makrovaskulärer Komplikationen [57]. Je mehr Insulin gespritzt wurde, desto höher war das Risiko. Zwei große Studien in den USA haben gezeigt, daß die Rate der koronaren Herzkrankheit von der antidiabetischen Therapie abhängt. Patienten mit Insulintherapie wiesen die schwersten Formen der Atherosklerose auf [58, 59]. Diese Befunde deuten daraufhin, daß die Schwere 40

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des Diabetes mellitus die Zusammenhänge erklären dürfte. Ein direkter Effekt der exogen induzierten Hyperinsulinämie und der Insulinresistenz kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Hyperglykämie Besteht eine Insulinresistenz, finden sich gewöhnlich trotz hoher Insulinspiegel erhöhte Blutzuckerwerte. Die Vermutung liegt nahe, daß die erhöhte Rate an Herz-Kreislaufkomplikationen bei Diabetes mellitus durch die erhöhten Blutzucker zu erklären sei. Eine Reihe von epidemiologischen Studien konnte diese Beziehung jedoch nicht finden. Kürzlich haben aber die Autoren der Framingham-Studie darauf hingewiesen, daß die wiederholte Messung der stark schwankenden Blutzuckerwerte und die Verwendung des HbA rc als Risikomarkers die Abschätzung des makrovaskulären Risikos deutlich verbessert [60]. Bei Diabetikern kann in allen Geweben eine große Menge glykosylierter Proteine entdeckt werden, wie z. B. in den Koronararterien und der Aorta [61]. Bis vor kurzem war unklar, ob diesem Befund eine klinische Bedeutung zukommt. Die Hypothese der „glykosylierten Endprodukte" (advanced glycosylated end products), ihrer Interaktion mit Makrophagen, die Freisetzung von Lymphokininen und der nachfolgenden Endothelschädigung [62] erscheint sehr attraktiv in Hinblick auf die Verbindung von Proteinglykosylierung mit vaskulären Erkrankungen. Doch müssen diese Befunde in anderen Studien bestätigt werden. Kein Zweifel besteht jedoch daran, daß die gesteigerte Glykosylierung von Proteinen, wie z. B. das HbA IC , durch eine Verbesserung der Diabeteseinstellung vermindert werden kann. Veränderungen der Hämostase und der Hämorrheologie Hämostatische und hämorrheologische Veränderungen hängen ebenfalls vom Ausmaß der Hyperglykämie ab. Erhöhte Plasmawerte für Fibrinogen, die in hohem Maße für die Blutviskosität verantwortlich sind, können durch eine Verbesserung der Stoffwechsellage gesenkt werden. Metabolische Effekte werden ebenfalls als Ursache für die Veränderungen der Plättchenaggregation diskutiert [63], Bei Typ II-Diabetikern mit Mikro- und Makroangiopathie ist eine erhöhte Zahl von jugendlichen Thrombozytenformen, also besonders reagiblen Plättchen, als Folge des erhöhten Umsatzes vorhanden. Die Thrombozyten haften an der Gefäßwand vor allem an Stellen mit turbulenter Strömung, z. B. am Abgang von Arterien [64]. Dies mag eine Erklärung für die Prädilektionsstellen der Atherosklerose, z. B. an der Bifurkation der Arteria carotis, sein. Da bei Diabetes mellitus — selbst ohne Atherosklerose — 41

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eine erhöhte Rigidität der Arterienwand mit Veränderungen der laminaren Blutströmung bekannt ist, könnten auch rein mechanische Faktoren an der Gefäßwand zur Entwicklung einer Makroangiopathie bei Diabetes mellitus beitragen. Renale Faktoren Über viele Jahrzehnte wurde diskutiert, ob die Mikroangiopathie diabetischer Patienten eine wichtige Rolle in der Entwicklung von makrovaskulären Erkrankungen spielen könnte. Die beschriebenen morphologischen Veränderungen der Vasa vasorum waren jedoch nicht sehr überzeugend. Andererseits hat die Entdeckung der Proteinurie und Mikroalbuminurie als Risikomarker für makrovaskuläre Erkrankungen zu einem starken Interesse an der Mikroangiopathie der Niere geführt, d. h. der diabetischen Nephropathie bei Typ IiDiabetes. Heute ist die konstante Mikroalbuminurie ( > 2 0 (ig/min) einer der besten Prädiktoren nicht nur für die Entwicklung eines terminalen Nierenversagens, sondern auch für schwere kardiovaskuläre Komplikationen bei Diabetes mellitus [65, 66]. Die Interaktion von Nierenerkrankung und Atherosklerose erscheint heute sehr komplex und kann nicht allein durch den Anstieg von Blutdruck und Blutfetten erklärt werden. Die Beobachtung aber, daß die Mikroalbuminurie durch Senkung des Blutdrucks und Normalisierung der Hyperglykämie reduziert werden kann, weist erneut auf das diabetologische Grundprinzip hin, daß die Stoffwechselkontrolle die wichtigste Maßnahme in Therapie und Prävention von makrovaskulären und mikroangiopathischen Komplikationen bei Diabetes mellitus ist. Literatur [1] Keen H. Diagnosis and classification of diabetes mellitus. In: Krall LP ed. World book of diabetes in practice, Vol 2. Amsterdam: Elsevier, 1986; 8 — 15. [2] Kohner EM, Sharp PS. Diabetic retinopathy. In: Alberti K G M M , Krall LP, eds. The Diabetes Annual/3. Amsterdam: Elsevier, 1987; 252 — 288. [3] Davies M D . Diabetic retinopathy: a clinical overview. Diab/Metab Rev 1988; 4: 291—322. [4] Klein R, Klein BEK, Moss SE et al. The Wisconsin Epidemiology Study of Diabetic Retinopathy: prevalence and risk of diabetic retinopathy when age at diagnosis is 30 or more years. Arch Ophtalmol 1984; 102: 5 2 7 - 5 3 2 . [5] Aiello LM, Rand LI, Briones JC. Diabetic retinopathy in Joslin Clinic patients with adultonset diabetes. Ophtalmology 1981; 88: 6 1 9 - 6 2 3 . [6] Nathan D M , Singer DE, Godine JE et al. Retinopathy in older type II diabetics: association with glucose control. Diabetes 1986; 35: 7 9 7 - 8 0 1 . [7] Grey RHB, Malcolm N , O'Reilly D, Morris A. Ophtalmic survey of a diabetic clinic. I. Ocular findings. Brit J Ophtalmol 1986; 70: 7 9 7 - 8 0 3 .

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Epidemiologie

und klinische Bedeutung

(NIDDM)

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45

Mikroalbuminurie und diabetische Nierenerkrankung C.E. Mogensen

Einleitung Die manifeste diabetische Nephropathie ist in der Regel eine relativ einfache klinische Diagnose. Sie tritt bei vielen insulinabhängigen Patienten nach einer Diabetesdauer von gewöhnlich mehr als 10 Jahren auf und ist meistens mit einer einfachen und später mit einer proliferativen Retinopathie assoziiert. Folgende charakteristischen Merkmale lassen sich beobachten: A) persistierende Proteinurie, d. h. eine Gesamtproteinausscheidung von mehr als 0,5 g in 24 Stunden, mehrfach festgestellt, B) Diabetesdauer gewöhnlich mehr als 10 Jahre, C) Vorliegen einer diabetischen Retinopathie, D) keine Zeichen einer anderen Nierenerkrankung nicht-diabetischen Ursprungs, z. B. Glomerulonephritis, und kein Harnwegsinfekt. Bei der Versorgung diabetischer Patienten in einer Diabetes-Klinik kann man den Eindruck bekommen, daß eine dieser Definition entsprechende

Tabelle 1 Kumulative Inzidenz der diabetischen Nephropathie. 20 Jahre und 40 Jahre kumulative Inzidenz der Nephropathie nach Zentrum, Diabetes-Typ und Jahr der Diabetesdiagnose. Institution

Jahr der Diabetesdiagnose

Nachuntersuchung nach 20 Jahren

Nachuntersuchung nach 40 Jahren

Joslin-Klinik Boston, junge IDDM-Patienten

1939 1949 1959

»30% »18% »16%

»46%

Steno-Klinik Kopenhagen, junge IDDM-Patienten

1933-42 1943-52 1953-62

»34% »24% »20%

»47%

Health-Center für PIMA-Indianer, junge N I D D M - P a t i e n t e n

?

»50%

Osaka-Diabetes-Klinik Japan, junge N I D D M - P a t i e n t e n

?

»50%

47

vi JJ

-

C.E. Mogensen

Diabetische Nephropathie Spontanverlauf

IDDM

Mikro-

AAU=

Proteinurie

Abb. 1 Die Abbildung zeigt die beiden Schlüsselparameter, GFR und Albuminausscheidung im Urin (AAU), bei einem Patienten, bei dem im Alter von 14 Jahren ein Diabetes diagnostiziert wurde. Bei der klinischen Diagnose werden ein Anstieg der Albuminausscheidungsrate im Urin und ebenfalls eine sehr hohe GFR beobachtet. Diese Veränderungen sind unter guter Stoffwechselführung reversibel. Im Verlauf des Diabetes ist die GFR in Verbindung mit einer nicht ausreichenden Diabeteseinstellung noch immer hoch. Nach ungefähr neun Jahren Diabetes entwickelt der Patient im Alter von 23 Jahren eine Mikroalbuminurie mit einem ziemlich raschen Anstieg der AAU, parallel zu Stoffwechselentgleisung und Blutdruckanstieg. Bei einem Wert der AAU um 70 (ig/min. beginnt die GFR linear zu fallen, was sich kontinuierlich bis zum Stadium der manifesten diabetischen Nephropathie fortsetzt. Im Alter von 40 Jahren entwickelt der Patient ein Nierenversagen im Endstadium. Die schraffierte Fläche stellt den Bereich der Mikroalbuminurie (20 — 200 /ig/min.) dar.

48

Mikroalbuminurie

und diabetische

Nierenerkrankung

diabetische Nephropathie nicht sehr häufig ist. Werden jedoch sorgfältige Nachuntersuchungsstudien durchgeführt [1 —6], um die kumulative Inzidenz der Proteinurie zu bestimmen, so scheint es, daß ungefähr 35% aller Patienten mit IDDM oder sogar mehr schließlich eine Nephropathie und nachfolgend eine Verschlechterung der Nierenfunktion entwickeln. Dieser Sachverhalt wird in Kapitel 2 dieses Buches ausführlich diskutiert. Es ist wahrscheinlich, daß die Inzidenz über die letzten Jahre von einer Zahl von ungefähr 45 — 50% auf ungefähr 30 — 35% abgenommen hat. Bei jungen NIDDM-Patienten, wie sie in manchen Ländern beobachtet werden, stellt die diabetische Nephropathie ebenfalls ein ernsthaftes Problem dar (Tabelle 1). Bei älteren NIDDMPatienten können jedoch kardiovaskuläre Erkrankungen ein weitaus ernsteres Problem sein; tatsächlich sterben viele dieser Patienten, bevor sie eine signifikante Nierenerkrankung entwickeln. Bis vor kurzem war es nicht möglich, die Entwicklung dieser ernsthaften Komplikation vorherzusagen, jedoch haben es neue und subtilere Labormethoden ermöglicht, ein Frühstadium der diabetischen Nierenerkrankung durch Messung der Albuminmenge pro Minute im Urin diabetischer Patienten zu bestimmen: die beginnende diabetische Nephropathie. Auf diese Weise kann eine diabetische Nephropathie mit Proteinurie viele Jahre bevor sie sich wirklich einstellt vorausgesagt werden (Abb. 1). Tatsächlich kann bei vielen Patienten eine Nephropathie durch eine intensivierte Therapie verhindert werden. Definition der Mikroalbuminurie und der beginnenden diabetischen Nephropathie bei IDDM-Patienten Die Mikroalbuminurie ist definiert als abnorm erhöhte Albuminausscheidungsrate im Urin (AAU) ohne klinische Proteinurie, gemessen z. B. durch den Albustix (R) -Test oder andere Tests oder durch Bestimmung der Gesamtproteinurie, z. B. durch die Sulfosalizylsäureprobe. Zur Standardisierung der Bestimmungen hat sich eine Zahl von auf diesem Gebiet tätigen Forschern bei der Definition der Mikroalbuminurie, der beginnenden und ebenso der manifesten diabetischen Nephropathie auf die in Tabelle 2 dargestellten Werte geeinigt [7, 8]. Das Vorliegen einer Mikroalbuminurie wird angenommen, wenn die Albuminausscheidungsrate im Urin zwischen 20 und 200 Mikrogramm pro Minute liegt, was ungefähr 30 — 300 mg/24 h entspricht. Urinproben sollten in Ruheposition während einer klinischen Routinekontrolle des Patienten gesammelt werden. Wenn bei den Patienten eine schlechte Stoffwechselführung oder sogar eine Ketose vorliegt, sollte man mit der Bewertung abwarten, 49

C.E. Mogensen

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