Sprachbilder und Bildsprache: Studien zur Kontextualisierung biblischer Texte. Festschrift für Max Küchler zum 75. Geburtstag [1 ed.] 9783666516986, 9783525516980

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Sprachbilder und Bildsprache: Studien zur Kontextualisierung biblischer Texte. Festschrift für Max Küchler zum 75. Geburtstag [1 ed.]
 9783666516986, 9783525516980

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Markus Lau / Karl Matthias Schmidt / Thomas Schumacher (Hg.)

Sprachbilder und Bildsprache Studien zur Kontextualisierung biblischer Texte Festschrift für Max Küchler zum 75. Geburtstag

Novum Testamentum et Orbis Antiquus/ Studien zur Umwelt des Neuen Testaments

In Verbindung mit der Stiftung „Bibel und Orient“ der Universität Fribourg/Schweiz herausgegeben von Martin Ebner (Bonn), Peter Lampe (Heidelberg), Stefan Schreiber (Augsburg) und Jürgen Zangenberg (Leiden) Advisory Board Helen K. Bond (Edinburgh), Thomas Schumacher (Fribourg), John Barclay (Durham), Armand Puig i Tàrrech (Barcelona), Ronny Reich (Haifa), Edmondo F. Lupieri (Chicago), Stefan Münger (Bern) Band 121

Markus Lau/Karl Matthias Schmidt/ Thomas Schumacher (Hg.)

Sprachbilder und Bildsprache Studien zur Kontextualisierung biblischer Texte

Festschrift für Max Küchler zum 75. Geburtstag

Vandenhoeck & Ruprecht

Dieses Buch ist mit großzügiger Unterstützung des Hochschulrats der ­Universität Freiburg (Schweiz), des Biblischen Departements der ­Universität Freiburg (Schweiz) und des BIBEL+ORIENT Museums Freiburg (Schweiz) ­veröffentlicht worden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-5124 ISBN 978-3-666-51698-6

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Ikonographie und Text Dieter Vieweger/Katja Soennecken „Orpheus“ und der „Tierfrieden“. Unbekannte Traditionen der Späten Bronzezeit vom Tall Zirāʿa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Florian Lippke Stratifizierte Bildsprache. Beobachtungen zu den Zylindersiegeln aus offiziellen und wissenschaftlich kontrollierten Grabungen in Palästina/Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Stephan Lauber Das Kultbild des salomonischen Tempels. Zum Beitrag der Ikonographie bei der Spurensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Thomas Staubli Zweige für Jahwe, Dionysos und Jesus. Fortleben eines kanaanäischen Kultsymbols in der hellenistisch-römischen Levante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Gerd Theißen Die Bilderwelt des Gottesreiches. Familien- und Pflanzenmetaphorik bei Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Thomas Schumacher Jüdischer König und Weltenherrscher. Christologische und heilsgeschichtliche Perspektiven in der großen Inklusion des Matthäusevangeliums. Zugleich ein Beitrag zur Rezeption des Motivs der Völkerwallfahrt . . . . . . . . 201 Martin Ebner Wenn Texte Bilder provozieren … Joh 13,21–30 als Quelle für Imaginationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

6

Inhalt

Margareta Gruber Lesen als epiphanisches Ereignis. Zur Poetik des Johannesevangeliums. Ein Versuch mit Patrick Roth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Karl Matthias Schmidt Parusie-Prophetie versus Pax-Propaganda. 1 Thess 5,3 und das Edikt des Claudius zur Vertreibung der Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Petra von Gemünden Das Bild der Himmelsfrau in Offb 12. Aufnahme und Umwertung antiker Bildmotive im Kontext der frühen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Michael Lattke On the Imagery of the Odes of Solomon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Geschlecht und Text Veronika Bachmann Mehr als „Wein, Weib und Gesang“? Zur Bedeutung der Bankettszenen in den Esterbuchversionen EstMT und EstLXX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Markus Lau Speichellecker? Von tyrischen Hunden, jüdischen Kindern, einer klugen Frau und einem lernenden Jesus. Beobachtungen zu einer irritierenden markinischen Perikope (Mk 7,24–30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Luc Devillers Un homme, une femme … et le Ressuscité. Emmaüs revisité (Lc 24,13–35) . 405 James M. Morgan Marvelous Women of Prophecy in the Narrative Strategies of Herodotus’s Histories and Luke-Acts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Peter Lampe Exegetisch-hermeneutisches Plädoyer für kirchliches Trauen gleichgeschlechtlicher Paare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Stefan Schreiber Wo sind die Frauen in der „Männerliste“ von 1 Joh 2,12–14? . . . . . . . . . . . . . . 463

Inhalt

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Topographie und Text Wolfgang Zwickel Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike und die am Toten Meer gelegenen Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Ronny Reich Three Notes Pertaining to the Fortifications and Rock-cuttings at the Gihon Spring in the City of David, Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Riccardo Lufrani An Early Hellenistic Necropolis rediscovered? The Case of the Saint-Etienne Compound Hypogea and the “Northern Necropolis” . . . . . . . . 517 Matthias Morgenstern Judaistische Anmerkungen zu einem Jerusalem-Studienreiseführer. Mit fotografischen Beiträgen von Andrea Krogmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581

Vorwort

Begegnungen mit Max Küchler bleiben im Gedächtnis – die persönlichen ebenso wie diejenigen, die durch seine Publikationen vermittelt sind. Seine liebenswerte Art, sein verschmitztes Lächeln, seine Freundlichkeit und sein sympathisches Interesse an seinem jeweiligen Gegenüber graben sich genauso ins Gedächtnis wie seine bestechende akademische Integrität, die wissenschaftliche Neugier und seine beeindruckende Kenntnis frühjüdischer und biblischer Literatur, der ikonographischen Umwelt der Bibel und natürlich der Orte und Landschaften der Bibel, vor allem Jerusalems. Begegnungen mit Max Küchler sind lehrreich, regen zum Nachdenken an, zuweilen auch zum Weiterdenken oder Widersprechen. Von all dem zeugen die Beiträge dieser Festschrift, von denen nicht wenige direkt oder indirekt auch auf den Austausch mit dem Jubilar zurückgehen. „Sprachbilder und Bildsprache“ umreißen dabei als Titelstichworte wesentliche Interessen und Arbeitsfelder im exegetischen Wirken von Max Küchler, zu dessen 75. Geburtstag diese Festschrift erscheint. Sie versammelt Beiträge aus dem Kollegen-, Freundes- und Schülerkreis, die sich an drei Schwerpunkten des wissenschaftlichen Œuvres von Max Küchler orientieren: (1.) der Leidenschaft für Bilder, vor allem Münzbilder, und ihre funktionale Nutzung bei der Interpretation biblischer Texte; (2.) dem großen Interesse an Geschlechterstudien und ihrem Beitrag für ein besseres, zuweilen auch gerechteres Verständnis biblischer Texte aus gendersensibler Sicht – ein exegetisches Feld, auf dem Max Küchler mit seiner Habilitationsschrift „Schweigen, Schmuck und Schleier“ im deutschsprachigen Raum Pionierarbeit geleistet hat; und schließlich (3.) der Leidenschaft für Orte und Landschaften, für Archäologie und Topographie Israels und Palästinas, die vor allem im monumentalen Jerusalemhandbuch Gestalt angenommen hat. Um die Interdependenzen von Ikonographie und Text, Geschlecht und Text sowie Topographie und Text versammeln sich die 21 Beiträge des Bandes. Die Herausgeber, die Max Küchler auf je unterschiedliche Weise in großer Dankbarkeit verbunden sind, sprechen allen Autorinnen und Autoren, die sich auf dieses Buchprojekt eingelassen haben, einen herzlichen Dank aus. Die versammelten Beiträge spiegeln unterschiedliche Zugänge zu den Arbeitsfeldern des Jubilars und setzen sich in je individueller Perspektive mit den wissenschaftlichen Anliegen von Max Küchler auseinander. Ein herzlicher Dank geht an die Herausgeber der Reihe Novum Testamentum et Orbis Antiquus (NTOA), die ohne zu zögern das Buch in diese von Max Küchler mit Gerd Theißen gegründete Reihe aufgenommen haben. Für die wie immer unkomplizierte Zusammenarbeit mit dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und

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Vorwort

speziell mit Dr. Elisabeth Hernitschek, Miriam Espenhain, Renate Rehkopf und Christoph Spill sind wir ebenso dankbar wie für die redaktionelle Unterstützung bei der Entstehung des Bandes, die Simon Dürr, Freiburg (Schweiz), geleistet hat. Für Druckkostenzuschüsse danken wir schließlich sehr herzlich dem Hochschulrat der Universität Freiburg (Schweiz), dem Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz) sowie dem BIBEL+ORIENT Museum Freiburg (Schweiz). Max Küchler wünschen wir im Namen aller an der Festschrift Beteiligten alle nötige Kraft für die Verwirklichung seiner wissenschaftlichen Projekte, gute Gesundheit und Gottes Segen – ad multos annos! Freiburg (Schweiz) und Gießen Markus Lau, Karl Matthias Schmidt und Thomas Schumacher

Ikonographie und Text

Dieter Vieweger/Katja Soennecken

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“ Unbekannte Traditionen der Späten Bronzezeit vom Tall Zirāʿa

Es gibt kaum ein Gebiet dies- oder jenseits des Jordan, in dem die Geschichte der südlichen Levante in einem derart konzentrierten Umfeld erforscht werden kann wie im Wādī al-ʿArab. Das tief eingeschnittene Tal ist in seiner Vielgestaltigkeit ein Glücksfall für die Archäologie. Zahlreiche Quellen, fruchtbarer Boden und ein gemäßigtes Klima bieten hervorragende Lebensbedingungen. Inmitten dieses Tals befindet sich der an seiner Basis 240 m × 240 m messende Tall Zirāʿa. Das Hauptaugenmerk der wissenschaftlichen Erforschung1 liegt auf der Erkundung dieses Hügels, der durch seine kontinuierliche Besiedlung seit mindestens 5000 Jahren einen einmaligen Einblick in die Lebensweise der Menschen dieser Region gibt. Dies begründet seine herausragende archäologische Bedeutung. Die artesische Quelle in seinem Zentrum schuf über Jahrtausende beste Siedlungsmöglichkeiten. Der Tall Zirāʿa bietet deshalb die einzigartige Möglichkeit, eine Vergleichsstratigrafie für das nördliche Jordanien von der Frühbronzezeit bis in die islamische Zeit aufzustellen und kulturelle Entwicklungen in städtebaulicher, handwerk­licher und religionsgeschichtlicher Hinsicht über lange Zeiträume nachzuvollziehen. Außerdem können hier die reichlich vorhandenen Zeugnisse der biblischen Zeiten im Umfeld aller anderen kulturhistorischen Perioden betrachtet werden.

1 Im Jahr 2001 initiierte Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Dieter Vieweger das „Gadara Region Project“ des ­Biblisch-Archäologischen Instituts Wuppertal (BAI) – seit 2004 in Kooperation mit dem Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) – unter der Leitung von Prof. Vieweger und Dr. Jutta Häser. Seit 2003 fanden jährlich zwei Ausgrabungskampagnen statt (Vieweger/Häser 2016). Ein in den Jahren 2009 bis 2011 durchgeführter Hinterlandsurvey im Wādī al-ʿArab ergänzte das Projekt (Patrick Leiverkus/Dr. Katja Soennecken). Die Endpublikation der Strata 16 bis 10 (Mittlere Bronzezeit bis Eisenzeit IIC) wurde von Dr. Katja Soennecken vorgelegt (Soennecken 2017).

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

Abb. 1: Lage des Tall Zirāʿa.

Abb. 2: Tall Zirāʿa im Sommer 2011.

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„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

1. Die Späte Bronzezeit auf dem Tall Zirāʿa 1.1 Architektur und Siedlungsgeschichte Die Siedlung der Späten Bronzezeit auf dem Tall Zirāʿa schloss nahtlos an die Besiedlung in der Mittleren Bronzezeit an. Sowohl die Architekturbefunde als auch die Einzelfunde entsprechen denen anderer bekannter spätbronzezeitlicher Stadtstaaten der südlichen Levante. Durch eine Naturkatastrophe kam es um 1500 v. Chr. zu einem Hangrutsch, dem der westliche Stadtbereich zu einem großen Teil zum Opfer fiel. Dieser Bereich wurde damals über einen längeren Zeitraum hinweg wieder aufgeschüttet. In der Späten Bronzezeit II bestand die Siedlung auf dem Tall Zirāʿa aus einer blühenden Stadt, die in einzelnen Bereichen mehrfach umgestaltet wurde, wodurch vier Architekturphasen unterschieden werden können (Strata 14 d–a). Die Stadtanlage wurde über die Späte Bronzezeit beibehalten. Die in Stratum 14 errichtete Kasemattenmauer (Komplex E) stellt in der südlichen Levante ein sehr frühes Exemplar dieser Bauweise dar und zeigt deutliche Einflüsse aus dem kleinasiatischen und syrischen Bereich. In der letzten Phase dieses Stratums wurde neben dem schon bestehenden großen Antentempel (Komplex D) ein kleines Heiligtum im südlichen Bereich des Turms eingerichtet (Komplex I). Die Wohnbebauung folgt generell dem Schema eines Hofhauses. Aus einem dieser Hofhäuser (Komplex P) im Süden des ausgegrabenen Bereichs von Areal I stammt der „Orpheus-Tierfrieden-Krug“. Die spätbronzezeitlichen Funde vom Tall Zirāʿa folgen regionalen Traditionen mit Einflüssen aus Syrien/Mesopotamien und geringer aus Ägypten. Die Kleinfunde sowie die Importkeramik stammen mehrheitlich aus dem ägäischen Bereich und sprechen für weitreichende Handelsbeziehungen während der Späten Bronzezeit. Stratum Kulturzeit

Datierung der Zeit

Datierung Stratum

16

Mittlere Bronzezeit IIC – Späte Bronzezeit I

1630–1550 (MB IIC), 1550–1400 (SB I)

1640–1500

15

SB Reparaturschicht

Um 1500

Um 1500

14

Späte Bronzezeit II (vier Phasen)

1400–1300 und 1300–1200/1150

1500/1450–1200/1150

13

Eisenzeit I

1200/1150–1000/980

1200/1150–1000/980

12

Eisenzeit IIA/B

1000/980–900/830 und 1000/980–900/830 900/830–700

11

Eisenzeit IIA/B

1000/980–900/830 und 900/830–800/750 900/830–700

10

Eisenzeit IIC

700–520

Tab. 1: Gesamtübersicht Chronologie der Strata 16–10.

800/750–520

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

Abb. 3: Architekturplan mit Befundnummern von Stratum 14 a.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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1.2 Die letzte Phase der Späten Bronzezeit (Stratum 14 a) Die Strata 14 d bis 14 a lassen sich aufgrund von Radiokarbon-Proben in die Späte Bronzezeit II datieren. Mit einer 3 Sigma-Wahrscheinlichkeit ist eine Datierung zwischen 1465 und 927 v. Chr. anzunehmen. Enger eingegrenzt scheint der Zeitraum zwischen 1465 und 1108 v. Chr. wahrscheinlich. Für die zeitliche Einordnung des unten besprochenen Stratums 14 a ist das Ende der Späten Bronzezeit II und dessen Übergangsepoche in die Frühe Eisenzeit anzusetzen (vor 1200 v. Chr. bis ca. 1150 v. Chr.). In den Strata 14 d bis 14 a lassen sich keine grundsätzlichen Veränderungen im Bauplan der nördlichen Komplexe feststellen. Die südlichen Komplexe (angefangen mit Kanal F und Hofhaus H) erfuhren größere Umbaumaßnahmen (eingefügte Mauern, neue Fußböden).

Abb. 4: Stratum 14 a, Komplex I.

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

1.3 Das Turmheiligtum Bedeutende Veränderungen gegenüber Stratum 14 b sind in Bezug auf den Turm I festzustellen. Zwar blieben die äußeren Ausmaße unverändert, doch wurde im Inneren nicht nur ein neues Fußbodenniveau geschaffen, sondern auch die Funktion des Raumes änderte sich. In den früheren Phasen diente der Turm lediglich der Befestigung und dem Schutz der Stadt (I 1 und I 4), nunmehr wurde der südliche Teil zu einem kleinen Heiligtum – einem Langhaustempel mit vorgelagertem Hof – umgebaut. Im südlichen der beiden Räume von Turm I (I 4) wurden eine von Nord nach Süd verlaufende Trennmauer eingezogen und zwei Säulenbasen aufgestellt, sodass eine Cella von einem Allerheiligsten abgetrennt wurde. Der Hof (I 5) vor diesem Raum weist angesichts des aufgefundenen Altars ebenfalls auf eine kultische Nutzung hin.

Abb. 5: Stratum 14 a, Komplex I, Überblicksfoto.

Der fast 15 m lange und ca. 6 m breite Tempelbereich2 besteht aus einem vorgelagerten Hof (I 5), über den die Cella (I 4) betreten werden konnte. Von dort aus führte der Zugang zum 1,5 m × 4 m breiten Allerheiligsten. In der Cella wurde ein kegelförmiger Kultstein (Mazzebe) aus hellem Kalkstein gefunden, der allerdings nicht in situ stand. Der Fußboden bestand aus einem hellen Kalkestrich. 2

Ausgrabungsquadrate in AI–AK 115–117 (siehe Abb. 3–4).

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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Im Hofbereich befanden sich verschiedene Installationen: eine Ablagefläche in Form eines Viertel-Kreises (Befund 3618), sechs in einer Reihe liegende Feldsteinblöcke (Mauer 3617) und eine mit Scherben bedeckte erhöhte Fläche, ein Altar mit einer Ausdehnung von 1,25 m × 1,25 m (Befund 3627). Der Fußboden wird durch die Befunde 3669 und 4825 im Osten sowie Befund 3674 im Süden des Quadranten markiert. Die beiden Gruben 3596 und 3619 stammen aus einer späteren Zeit und wurden in die spätbronzezeitliche Schicht eingetieft.

Abb. 6: Stratum 14 a, Altarbereich I 5.

Die Deutung des Komplexes als Tempel basiert auf der dafür typischen Architekturform als Langhausbau. Außerdem spricht der Fund einer Mazzebe und mehrerer Brandopferständer für diese Interpretation. Vergleichsbeispiele aus Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean) und Tall Qasīla3 sowie Tall eṣ-Ṣāfī zeigen ähnliche Altarkonstruktionen wie Befund 3627.

Abb. 7: Krater TZ 001605-001 u. -002 (rekonstruiert); Höhe 36 cm. 3

Gropp 2013, 172.

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

1.4 Ein Hofhaus Der Komplex P, in dem der „Orpheus-Tierfrieden-Krug“ aufgefunden wurde, grenzt unmittelbar südlich an das Tempelgelände an. Es handelt sich um ein Hofhaus, das allerdings bisher nur in seiner westlichen Hälfte ergraben werden konnte. Sein hinterer (westlicher) Bereich wird von einer Kasemattenmauer gebildet (Abb. 11; P 2, P 3, P 5 und P 7). Der Komplex P war reich an Funden, die auch qualitativ in ihrem Stratum herausragen. Der Besitzer des Hofhauses gehörte doch anscheinend zu den wohlhabenden Bewohnern der Stadt. Aufgrund der großen Anzahl an Funden (und der beträchtlichen Menge an Rohmaterial bzw. Verarbeitungswerkzeugen) spricht vieles dafür, dass es sich bei P 2 und P 3 entweder um Lagerräume oder um einen Teil einer Werkstatt gehandelt hat. Auch die Erdbefunde des Hofes weisen außergewöhnliche Fundstücke auf, darunter u. a. eine bronzene blattförmige Speerspitze TZ 011524-001, ein Keulenkopf aus Basalt TZ 011555-001 und ein Bronzeanhänger TZ 011523-001. Der angrenzende Hofbereich P 4 ermöglichte durch einen nach Norden verlaufenden Durchlass einen Zugang zum Tempel.

Abb. 8: Speerspitze TZ 011524-001; Länge 12,3 cm.

Abb. 9: Keulenkopf aus Basalt TZ 011555-001; ø max. 5,6 cm.

Abb. 10: Bronzeanhänger TZ 011523-001; Höhe 3,0 cm.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

Abb. 11: Stratum 14 a Komplex P.

Abb. 12: Überblicksfoto P 1–4.

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

Die Kasematte P 3 war gepflastert und wurde sekundär mit einem dünnen Kalkfußboden überzogen. Aus diesem Raum stammt nicht allein der „Orpheus-Tierfrieden-Krug“, sondern neben Keramik und Tierknochen auch ein Wetzstein (TZ 011238-001).

Abb. 13: Wetzstein TZ 011238-001; erhaltene Länge 4,6 cm.

Abb. 14: Löffel TZ 003993-011; ø Öffnung 5,0 cm.

Neben vielfältigen weiteren Objekten wurden hier aufgefunden: das Fragment einer Fayence-Schale, eine hellblaue zylindrische Fayence-Perle, eine grau-weiß marmorierte Glasperle, eine Perle aus Knochen, zwei Muschelanhänger, zwei Fragmente einer Pilgerflasche, eine Flasche mit rotem Überzug und dunkelroten horizontalen Linien, ein Schöpflöffel aus Keramik (TZ 003993-011), eine Öllampe, ein Fragment einer Steinfliese, ein Spinnwirtel aus Knochen, vier anpassende Fragmente einer Nadel mit zylindrischem Loch (TZ 007693-001), eine Metallnadel, viele steinerne Werkzeuge sowie Bitumen und Schlacke.

Abb. 15: Knochennadel TZ 007693-001; Länge 9,0 cm.

Die Scherben des „Orpheus-Tierfrieden-Kruges“ wurden mehrheitlich in Kasematte P 3 auf einem steinernen, sorgfältig gearbeiteten durchlochten Silodeckel aufgefunden. Das birnenförmige Silo hatte eine Tiefe von 2,30 m und war an seinen Wänden mit Steinen ausgelegt (Befund 1440). Der Krug scheint im Moment der Zerstörung des Hofhauses auf dem Silodeckel gestanden zu haben und brach in über 200 Scherben entzwei. Das Silo wurde in früheren Zeiten (Strata 14 d–b?) als Getreidesilo benutzt. In Stratum 14 a war es bereits verfüllt. Nur die abschließende Steinlage der Verfüllung ist Stratum 14 a zuzurechnen. Hier fand sich neben Keramik (u. a. der Choco­lateon-White Ware) ein bikonisches Gewicht aus Hämatit.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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Abb. 16: Abdeckung des Silos 1422.

1.5 Der „Orpheus und Tierfrieden-Krug“ Der zweifarbig (rot und schwarz) auf beigem Grund bemalte „Orpheus-Tierfrieden-­ Krug“ (TZ 002962-003 bis 008, TZ 002989-001 und TZ 004222-011) hat eine Höhe von 40 cm und einen maximalen Durchmesser von 32 cm. Die Bemalung teilt den Krug in verschiedene Zonen. Der Bereich des Halses und der Schulter ist mit abwechselnd roten und schwarzen Linien sowie geometrischen Mustern (Dreiecken) verziert. Darunter folgt ein Register mit Tiermotiven zwischen den Henkeln. Dieses ist nach unten wiederum durch horizontale Linien vom Fußbereich abgesetzt. Letzterer stellt zwei um den Krug gewundene Schlangen, vermutlich Sandvipern, dar, die sich mit ihren Köpfen treffen (siehe Abb. 17 und 19).

Abb. 17 und 18: „Orpheus-Tierfrieden-Krug“ nach der Rekonstruktion.

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

Abb. 19: „Orpheus-Tierfrieden-Krug“ Detail a. Abb. 20: Ergänzung TZ 004222-011.

Lassen sich die Schlangen als religiöses Symboltier aus dem Repertoire der südlevantinischen Umgebung erklären sowie der Löwe, der Stier und der Skorpion leicht aus der syrischen-mesopotamischen Mythologie verstehen, so stellen die Szenen im mittleren Register dennoch eine interpretatorische Herausforderung dar.

Das „Orpheus-Motiv“ Rechts neben dem Henkel befindet sich eine zusammengerollte Schlange. Ein auf einem Hocker sitzender Mann, der ein Musikinstrument (vermutlich eine Leier/ Lyra) spielt, ist unterhalb eines schwarzen Stieres mit rotem Rückenfell (oder einem Vlies?) dargestellt. Links neben dem Stier ist ein Löwe abgebildet, oberhalb von ihm eine Schlange und rechts neben der menschlichen Figur ein weiteres Tier, eine Ziege oder ein Hund. Ähnliche Beispiele des Motivs lassen sich in der südlichen Levante in der Bronzezeit bisher nicht finden. Motivisch ähnliche Beispiele sind bis auf wenige Ausnahmen erst aus späteren Zeiten und aus entfernten Regionen bekannt – wie in der griechischen Sage über „Orpheus“. Diese war im 6. Jh. v. Chr. in der ägäischen Kunst ein gängiger Topos, für den T. Dothan auch auf ältere Traditionen hinwies.4 Orpheus bekam von Apoll, dem Gott der Musik, eine Lyra geschenkt. Mit dieser und seinem Gesang gelang es ihm, Götter, Menschen, Tiere und sogar Pflanzen und Steine zu betören. Vielleicht wurde die biblische Erzählung von David, der mit seinem Lyra-Spiel den von einem bösen Geist besessenen König Saul besänftigen konnte (1 Sam 16,14–23), durch ein solches Motiv inspiriert?

4

Dothan 1982, 151.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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Das „Tierfrieden-Motiv“ Das Motiv auf der gegenüberliegenden Seite des Kruges stellt einen ebenso bedeutenden Topos dar. Wiederum ist rechts des Henkels eine zusammengerollte Schlange zu sehen. Danach folgt ein Löwe. Er wird von einem größeren Tier und drei kleineren – Schafen oder Ziegen – begleitet und wiederum mit einer oberhalb von ihm dargestellten Schlange verbunden. Die Szene erinnert an Elemente des biblischen Motivs vom „Tierfrieden“ aus Jes 11,6 f. sowie 65,25 (vgl. Hos 2,20). Auch hier könnte die antike Geschichte von Orpheus eine Vorlage oder Inspiration darstellen.

Abb. 21: „Orpheus-Tierfrieden-Krug“ Detail b.

Abb. 22: „Orpheus-Tierfrieden-Krug“ Detail c.

Abb. 23: Motivabrollung (Zeichnung: E. Brückelmann).

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Dieter Vieweger/Katja Soennecken

2. Vergleichsfunde Ein mit dem „Orpheus-Motiv“ des vom Tall Zirāʿa stammenden Kruges vergleichbares Stück stammt vom Tall al-Mutasallim (Megiddo Stratum VI A; Eisenzeit I/ II). Die kunstvoll verzierte Kanne wird von den Ausgräbern als philistäisch eingeordnet.5 Entferntere Beispiele stammen z. B. vom Tall Dēr ʿAllā (Eisenzeit I), aus Ṭabaqāt Faḥl (Pella; Späte Bronzezeit II), Kuntillet ʿAğrud (Eisenzeit IIB) und Ašdod (Eisenzeit).6

Abb. 24: „Orpheus-Krug“ vom Tall al-Mutasallim. (Megiddo; Stratum VI A; Zeichnung nach Aharoni/Yadin/Shiloh 1993, 1015).

Abb. 25: „Orpheus-Krug“ aus Stratum VI A (Foto nach Aharoni/Yadin/ Shiloh 1993, 1015).

5 6

Das Herkunftsgebiet der Leier scheint mit großer Wahrscheinlichkeit das südliche Zweistromland zu sein (Keel 1972, 323). Für Darstellungen und weitere Beispiele siehe Gropp 2013, 250–255.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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Auf dem Tall al-Mutasallim (Megiddo) gab es in Stratum VI A eine dichte Wohnbebauung, öffentliche Gebäude und ein neu gestaltetes Tor. Aus dieser Zeit stammen viele Funde von Luxusgütern sowie als philistäisch eingestufte Keramik, darunter der abgebildete „Orpheus-Krug“. Der Krug stammt aus Gebäude 2072, welches als Residenz eines philistäischen Herrschers interpretiert wurde. Das genannte Stratum wird bei I. Finkelstein und E. Piasetzky in die Späte Eisenzeit I und von S. Gitin, A. Ben-Tor und A. Zarzecki-Peleg in die Eisenzeit IB (1140/30–980 v. Chr.) datiert.7

3. Zur Herkunft des „Orpheus- und Tierfrieden-Motivs“ auf dem Tall Zirāʿa Das einzige wirkliche Vergleichsstück – der Krug vom Tall al-Mutasallim (Megiddo) – legt einen Einfluss der Seevölker nahe, welche in der Späten Bronzezeit bzw. am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit eine nicht zu unterschätzende Rolle im östlichen Mittelmeerraum spielten. Diese Seevölker waren nicht allein Eroberer, wie sie von Merenptah in Karnak und Athribis oder von Ramses III. in Medinet Habu dargestellt wurden. Sie waren als Einwanderer in der Zeit des Umbruchs von der Späten Bronzezeit zur Eisenzeit I in der südlichen Levante auch Kulturträger mit der Fähigkeit zur Eisenbearbeitung. Ihre Keramiktraditionen enthielten ägäische, mykenische und zyprische Einflüsse. Schon früh8 wurde die Hypothese aufgestellt, es hätten sich im 13.–12. Jh. v. Chr. Gruppen der Seevölker im Jordantal niedergelassen. Dies würde einige Besonderheiten erklären, wie z. B. den hohen ägäischen Anteil am Keramikrepertoire, insbesondere die Doppelpithoi-Bestattungen und möglicherweise auch die schwer zu entziffernden Tafeln vom Tall Dēr ʿAllā.9 Seevölker-Einflüsse lassen sich anhand ihrer materiellen Kultur im Bereich der südlichen Levante tatsächlich nicht nur in der Küstenebene – z. B. in der Penta­ polis, auf Tall Qasīla10 und auf Tall al-Qahwē (Tēl Kabrī) – nachweisen, sondern ziehen sich entlang der Handelswege über den Tall al-Mutasallim (Megiddo)11 auch ins nördliche (Tall al-Qādī [Tēl Dān]12) und südliche Jordantal (Tall as-Saʿīdiya)13. Das gilt insbesondere für die dortigen ägyptischen Garnisonsstädte Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean) und Ṭabaqāt Faḥl (Pella).14

  7   8   9 10 11 12 13 14

Finkelstein/Piasetzky 2011, 50–54; Gitin 2015, 7; Ben-Tor/Zarzecki-Peleg 2015, 136. Pritchard 1968. Siehe dazu Kafafi 2009, 51–53. Mazar 1980. Usshishkin 1998, 197.214. Biran 1994, 138.141–143. Soennecken 2017, 696–767. Bourke 1997, 111; Bourke 2012, 184.191.

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J. Tubb geht mit der Vermutung noch weiter, dass die Metallverarbeitung zuerst unter ägyptischer Kontrolle und im Laufe des 13. Jh. v. Chr. von den Handwerkern der Seevölker im Jordantal durchgeführt worden sei.15 Ab der Späten Bronze­zeit bis in die frühe Eisenzeit hinein scheint das Jordantal mit Orten wie Tall Mazār, Tall Dēr ʿAllā und Tall as-Saʿīdiya sowie Tall al-Ḥiṣn jedoch ein Zentrum der Bronze­verarbeitung gewesen zu sein.16 Die ägyptische Präsenz im Jordantal ist bis zu deren Rückzug Mitte des 12. Jh. v. Chr. nachzuweisen.17 Tatsächlich lassen sich im materiellen Befund der Städte im Jordantal Hinweise auf die Seevölker-Kultur finden.

Tall as-Saʿīdiya Tall as-Saʿīdiya (Stratum XII, Areal AA, EZ IA mit ägyptischem Gouverneurspalast) scheint, ähnlich wie der Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean) unter den Pharaonen der 20. Dynastie ein ägyptischer Verwaltungsort bzw. Stützpunkt gewesen zu sein.18 Die beeindruckende, vor Feinden durch einen Gewölbegang verborgene Steintreppe (Areal GG) führte vom Tall-Plateau zu einem mit einer Quelle verbundenen Schöpfbecken. Sie weist Ähnlichkeiten mit Bauten in Tiryns und Mykene auf. Einige Elemente sprechen dafür, dass die Bevölkerung des Tall as-Saʿīdiya im 12. und 11. Jh. v. Chr. stark von Einflüssen aus der Küstenebene geprägt war, wie die Bestattungen in Doppelpithoi, der hohe Anteil an Imitationen von mykenischen Gefäßen (Mykenisch IIIB) und die hohe Funddichte an Metallgegenständen sowie der Gebrauch von Bitumen bei Begräbnissen als eine Form der Mumifizierung.19 Laut Tubb sei Letzteres ein Indiz dafür, dass diese Gräber zu einer fremden Bevölkerungsgruppe gehörten, möglicherweise zu den Seevölkern.20

Tall al-Ḥiṣn Seit der Späten Bronzezeit, der 19. Ägyptischen Dynastie, stand die Ansiedlung als Garnisonsstadt unter ägyptischer Kontrolle. Ihre materielle Kultur zeigt starke ägyptische Einflüsse (z. B. der Baustil der Häuser und die Sarkophag-Gräber).21

15 Tubb 1988a, 259. 16 Tubb 1988a, 256 f. Auf dem Tall Dēr ʿAllā konnte eine Werkstatt für besonders große Bronzeobjekte nachgewiesen werden (siehe Van der Steen 2008, 69–92). 17 Green 2013, 419. 18 Pritchard/Tubb 1993, 1299. 19 Tubb 1988, 72. 20 Tubb 1990, 33. 21 Van Wijngaarden 2008, 60 f.; Mazar 2010, 250.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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In den biblischen Texten gehört der Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean) zu den Städten, die nicht von den Israeliten eingenommen werden konnten (Jos 17,11; Ri 1,27–32).22 Biblisch treten hier nicht die Ägypter, sondern die Philister auf (1 Sam 31,8–13). Als archäologischer Nachweis für die Anwesenheit von Philistern diente lange Zeit das Vorkommen von anthropoiden Sarkophagen, welche als typisch für den philistäischen Totenkult angesehen wurden. Es handelt sich um bis zu 2 m hohe, sich nach unten verengende Ton-Konusse mit einem anthropoid ausgestatteten Kopfteil, einem Deckel mit Gesichtszügen, Haaren, Bart, Kopfschmuck u. a.23 Die ursprüngliche Idee, diese Funde der philistäischen Kultur zuzuweisen, stammt von W. M. F. Petrie (1853–1942), der in den Gräbern 552 und 562 vom Tall al-Fārʿa (Süd) zwei anthropoide Sarkophage zusammen mit sog. „Philisterkeramik“ fand. Ein weiterer Sarkophag-Fund aus Grab 66 von Bet-Schean24 (Stratum VI), wo nach 1 Sam 31 Philister lebten, legte laut T. Dothan Vergleichbarkeiten zwischen der im Relief dargestellten Diademschnur und den vertikalen Rillen auf dem Tonsarkophag einerseits und den Federkronen der „Philisterdarstellungen“ in Medinet Habu (Theben) andererseits nahe.25 T. Dothan berief sich noch auf zwei weitere Keramik-Sarkophagdeckel aus Grab 90, wo die Diademe mit den Bändern des Federschmucks der „Philisterdarstellungen“ aus Medinet Habu ebenso verglichen werden könnten. Da die Sarkophage in Bet-Schean aber nicht gemeinsam mit der sog. „Philisterkeramik“ aufgefunden wurden, sondern zu einer jüngeren Schicht gehörten, erklärte sie deren Entstehung in der späten Eisenzeit I folgendermaßen: Der Brauch der Beerdigung in Tonsarkophagen stamme ursprünglich aus Ägypten. Er sei von Ägyptern in der Späten Bronzezeit in die südliche Levante gebracht worden. Diesen Brauch hätten die Philister später für sich entdeckt und weitergeführt. Bei ihren Ausgrabungen in Dēr al-Balaḥ legte T. Dothan einen Friedhof von ägyptischen Beamten und Offizieren frei, der die Herkunft der Tonsarkophag-­ Bestattungen (nach ihrer Meinung aber nur der ursprünglichen, der „naturalistisch“ gestalteten!) aus ägyptischen Wurzeln beweise. Die „grotesk“ gestalteten Sarkophage ordnete sie weiter den Philistern zu. H. Weippert vermutete, dass auf den Sargdeckeln der ägyptische Gott Osiris26 dargestellt werde. Trotz lokaler Produktion hätten die ägyptischen Merkmale heimische Vorstellungen zurücktreten lassen. Die Sarkophage wurden in der südlichen Levante zumeist in Gegenden aufgefunden, wo Ägypten während der ausgehenden Spätbronzezeit seine Macht noch

Mazar 2010, 261. Bis zu drei Leichen fanden in derartigen Sarkophagen Platz. Hier wurden Reste von etwa 50 Keramiksarkophagen aufgefunden. Zwei Kriegerdarstellungen aus Enkomi von Kämpfern der Seevölker auf einem Elfenbeinkästchen bzw. einem Siegel wurden ebenfalls zum Vergleich herangezogen. Dothan 1982, 274–277 mit Abb. 11–14. 26 Weippert 1988, 371 f. Tote werden nach ägyptischer Vorstellung seit der ausgehenden Mittleren Bronzezeit in der Gestalt des Osiris dargestellt. 22 23 24 25

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erhalten konnte. Vermutlich werden neben Angehörigen der ägyptischen Staatsmacht auch lokale, südlevantinische Persönlichkeiten diesen Brauch aufgenommen haben. Folglich endete diese Begräbnisform auch nicht unmittelbar mit dem Rückgang des ägyptischen Zugriffs auf die südliche Levante. Auch Angehörige der Seevölker können diese Bestattungsform in ihrer neuen Heimat durch ägyptische Kontakte kennen- und schätzen gelernt haben. Der Brauch stammt aber nicht aus Seevölker-Tradition und ist nicht als typisch für sie anzusehen. Aus einem Testschnitt auf dem Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean), welcher unterhalb der Säulenhalle 1500 im Bereich Q gemacht wurde, stammt eine in die Späte Bronzezeit IIB (13. Jh. v. Chr.) zu datierende, mit Scherben bedeckte Fläche, welche mit Lehmziegeln eingefasst war.27 Es wird vermutet, dass unter Gebäude 1500 ein Vorgängerbau mit ähnlichen Ausmaßen existierte und diese Fläche zu dessen Hof gehörte. Verglichen wird das Gebäude mit der ägyptischen Zitadelle in Dēr al-Balaḥ aus der Zeit der 19. Dynastie. Beide Gebäude bestanden aus Lehmziegeln ohne Steinfundamente.28 Eine ähnliche Scherbenfläche befand sich auf dem Tall Zirāʿa – wie in Abb. 26 und 27 dargestellt – in Stratum 14 a.

Abb. 26: Scherbenfläche 98943 (nach Mazar 2006, 93 fig. 3.35).

Abb. 27: Altarbereich mit Scherbenfläche 3627 aus Stratum 14 a.

27 Mazar 2006, 93. 28 Mazar 2006, 97. Mazar sieht zwischen dem Gebäude aus Stratum Q-2 und dem darauf errichteten Gebäude 1500 einen Wechsel von einem rein militärisch-administrativen Zentrum zu einem zeremoniellen Palast.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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Auf dem Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean) wurden 40 mykenische und zypriotische Funde dokumentiert, die meisten aus Wohnbereichen und als Teil des Hausinventars, doch auch ein kleinerer Teil aus dem Bereich des Tempels (drei Vorratsgefäße und zwei Schalen sogar als Teil des Bauopfers) und einige in Gräbern. Unter den Importen ist die zypriotische Keramik die zahlenmäßig größte Gruppe, darunter bilden White Slip I–II Ware und Base Ring I Ware die Mehrheit.29

Tall Abū Ḫaraz Vom Tall Abū Ḫaraz30 ist ein kleiner spätbronzezeitlicher Tempel aus Areal 2, Phase VII, zu erwähnen, der mit dem Turmheiligtum vom Tall Zirāʿa aus Stratum 14 a verglichen werden kann. Allerdings befand sich sein Altar im Innenraum der nicht unterteilten Cella.

Abb. 28: Plan Stratum VII Areal 2 (nach Fischer 2006, 140 fig. 153). 29 Mullins 2007, 450. 30 Fischer 2006, 77.338.345.

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Abb. 29: Rekonstruktion des Tempels (nach Fischer 2006, 346 fig. 321).

Fischer geht von einem klaren Bruch zwischen der Besiedlung der Späten Bronzezeit und der Eisenzeit aus und schlussfolgert, dass es sich bei der eisenzeitlichen Bevölkerung um Immigranten gehandelt haben muss. Aufgrund einer relativ hohen Anzahl an Funden, die Einflüsse aus Zypern, Phönizien, der Ägäis und in kleinerer Anzahl auch Ägypten widerspiegeln, und besonders aufgrund der veränderten Kochtopfform geht Fischer davon aus, dass in der Eisenzeit Seevölker auf dem Tall ansässig waren und zumindest einen Teil der Bevölkerung ausmachten.31

31 Fischer 2013, 478 f. Laut Fischer können andere Gegenstände durch Handel erworben worden sein und auf den Wunsch nach exotischen Luxusgütern zurückgeführt werden, doch veränderte Kochtöpfe sprechen für veränderte Koch- und Essgewohnheiten und daher für eine ethnisch unterschiedliche Bevölkerung.

„Orpheus“ und der „Tierfrieden“

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4. Ergebnis Zweifellos stellt der „Orpheus-Tierfrieden-Krug“ vom Tall Zirāʿa einen herausragenden Fund dar. Bislang ist er die früheste bekannte Darstellung dieses berühmten Motivs, welches später durch die Sage von Orpheus und die biblische Hoffnung auf einen eschatologischen Tierfrieden weite Verbreitung fand. Bei der Spuren­ suche nach der Herkunft der Motive weisen einige Indizien auf die Seevölker hin: Ȥ Zuallererst weist der Vergleichs-Krug vom Tall al-Mutasallim (Megiddo) aufgrund seines Fundkontexts auf die Seevölker hin. Ȥ Auch auf dem Tall Zirāʿa lassen sich solche Hinweise finden. Der Krug selbst kann in Bezug auf seine Machart und Ikonographie mit Keramik aus der südlichen Küstenebene verglichen werden (z. B. aus Ašdod, vom Tall G ˇezer). Ȥ In Stratum 14 a, am Ende der Späten Bronzezeit und am Übergang zur Eisenzeit I, gab es im südlichen Bereich von Areal I auf dem Tall Zirāʿa auffällige bauliche Veränderungen. Zum einen wurde ein Raum des Stadtmauerturms zu einem Heiligtum ausgebaut. Zum anderen wurden die umliegenden Gebäude umgebaut. Den auffälligsten Hinweis auf einen Einfluss der Seevölker im Tempelbereich liefert der Altar mit seiner Scherbenfläche.32 Ȥ Der Komplex P weist im Verhältnis zu den anderen Bereichen des Tall Zirāʿa einen deutlich erhöhten Prozentsatz an Schweineknochen unter den gefundenen Tierknochen auf (und damit auf die Hochschätzung von Schweinefleisch bei den Seevölkern hin), welcher in einzelnen Erdbefunden sogar bei 20 % liegt. Ein solch hoher Anteil ist in dieser Epoche für die südliche Küstenebene (Pentapolis) durchaus üblich, nicht allerdings für das Bergland.33 Ȥ In Komplex P gibt es auch eine auffällige Häufung von Bronzegegenständen und besonders von Bronzewaffen. Ȥ Diese Auffälligkeiten setzen sich in Verbindung mit der Funddichte an mykenischen Scherben und an Philisterkeramik in diesem Bereich des Tall Zirāʿa auch im folgenden Stratum 13, dem Beginn der Eisenzeit I, fort. Wie auf dem Tall as-Saʿīdiya, in Ṭabaqāt Faḥl (Pella) und auf dem Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean) ist es auf dem Tall Zirāʿa vorstellbar, dass sich die ehemals als Söldner in der ägyptischen Armee dienenden Gruppen der Seevölker nach dem Abzug der ägyptischen Macht aus der südlichen Levante in einigen Städten niederließen und dort verblieben. Dabei ist es möglich, dass ihnen durch die herrschenden Kreise besondere Privilegien zugestanden wurden, da deren Wissen und Fähigkeiten im Bereich der Kriegsführung und Schmiedekunst für die jeweilige Stadt, in der sie lebten, von großem Nutzen waren.34

32 Vergleichsfunde stammen vom Tall eṣ-Ṣāfī, Tall Qasīla und vom Tall al-Ḥiṣn (Bet Schean). 33 Zu den Schweineknochen siehe Jung 2017, 25; Sapir-Hen u. a. 2013; Hesse 1990; Hesse/Wapnish 1997. 34 Siehe auch Yasur-Landau 2010.

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Florian Lippke

Stratifizierte Bildsprache Beobachtungen zu den Zylindersiegeln aus offiziellen und wissenschaftlich kontrollierten Grabungen in Palästina/Israel1 Mit einem Objektkatalog von Florian Lippke und Michelle Brunner

Im vorliegenden Beitrag werden 147 Zylindersiegelbilder katalogartig vorgestellt. Sie wurden sämtlich neu (und von einer einzigen Person) gezeichnet.2 Der besondere Mehrwert besteht in der systematischen Beigabe aller wesentlichen objektspezifischen Kenndaten. Auch wurde auf eine vereinheitlichte Beschreibung Wert gelegt. Der Katalog gibt einerseits einen Einblick in das reiche Motivrepertoire einer wichtigen, selten gesamtheitlich aufbereiteten ikonographisch-relevanten Objektgattung. Alle Stücke sind offiziellen und wissenschaftlich kontrollierten Grabungen zuzuordnen. Der hier präsentierte Ausschnitt des Gesamtbestandes („Corpus der Rollsiegel aus Palästina/Israel“) dokumentiert zugleich eine repräsentative Momentaufnahme des Lagerinventars der Israel Antiquities Authority in den Jahren 2017 und 2018.

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Die vorliegende Studie ist dem Lehrer, Freund und Jerusalemkenner Max Küchler, dem Heiliglandaufenthalter und -deskriptor, dem ikonographisch wie textlich zutiefst bewanderten Kulturvermittler, dem gesellig-feingeistigen Neutestamentler, der immer mit einem Augenzwinkern über den Tellerrand der eignen Disziplinen blickt, in Dankbarkeit zugeeignet: ‫עד מאה ועשרים שנה‬ – oder in „lokaler Anpassung“ (!) ‫ מקס היקר‬,‫צוואנציק‬ ַ ‫ביז הונדערט און‬. Sämtliche der hier besprochenen Siegelumzeichnungen wurden von einer der wichtigsten Zeichnerinnen der „Fribourg-Schule“ erstellt: Ulrike Zurkinden hat diese mit Präzision, aber auch mit dem geschulten Blick für die größeren Zusammenhänge grafisch umgesetzt. Der handwerkliche Standard, mit dem gearbeitet wurde, stellt nach wie vor sämtliche digitalen Umsetzungen in den Schatten. Mit den Zeichnungen grüßt die Künstlerin den Jubilar aufs Herzlichste.

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Florian Lippke

1. Zum Gegenstand der Studie Während die Glyptik der Stempelsiegelamulette in den letzten Dekaden mit den Forschungsprojekten O. Keels3 umfangreich dokumentiert wurde,4 und auch andere Teilgattungen von ikonographischer Relevanz konsultierbar zugänglich gemacht werden konnten,5 ist eine Überprüfung der Publikationslage in Bezug auf die Zylindersiegel aus Palästina/Israel für Forschende ernüchternd. Insgesamt sind es lediglich drei einschlägig verwertbare Beiträge, die sich der systematischen Durchdringung des stratifizierten Materials aus der Südlevante widmen.6 Erst in jüngster Zeit wurden wieder Anstrengungen unternommen, das Material, das bereits auf frühe Karteikartensammlungen des Biblischen Instituts Fribourg (BiF) und später des Departements für Biblische Studien (DBS) der Universität Freiburg CH zurückging, zu ordnen, zu nummerieren, zu systematisieren und zu katalogisieren.7 Mit den „Studien- und Arbeitsblättern zum Corpus der Rollsiegel aus Palästina/Israel“ liegt seitdem ein Grundstein vor, welcher der umfassenden Ausarbeitung harrt. In dieser Hinsicht versteht sich auch der vorliegende Beitrag als Teilerschließung des relevanten Materials. Im Rahmen einer Forschungsreise, die vom Deutschen Verein zur Erforschung Palästinas in den Jahren 2017–20188 unterstützt wurde, konnten umfangreiche Konsultationen in den Archiven und Lagern der IAA (Israel Antiquities Authority, ‫ )רשות העתיקות‬vorgenommen werden: Neben den Museumsräumen und -magazinen des Israel Museums9 und des Rockefeller Museums10 in Jerusalem, wurden vor allem auch die universitären Laborlager konsultiert. Im Besonderen bot das Hauptlager des National Treasure Departements11 in Beth Shemesh einen nicht zu vernachlässigenden Erkenntnisertrag. Die genaue Sichtung, der zum Teil unvollständig katalogisierten und kaum aufbereiteten Einträge in der MENORA Datenbank der Antikenbehörde förderte knapp 150 verwertbare Datentreffer zu Tage. Etliche dieser Treffer mussten aller  3 Dies geschah in vielen Einzelstudien, aber auch in bekannten Gemeinschaftsprojekten, die eben gerade auch gemeinsam mit Max Küchler in der mehrbändigen Reiseführerreihe „Orte und Landschaften der Bibel“, Keel/Küchler/Uehlinger 1982–2014, für ein breiteres Publikum greifbar wurde.   4 CSAPI I–V; Eggler/Keel 2006, aber auch Keel/Uehlinger 2010.   5 Herrmann 1994–2016.   6 Nougayrol 1939; Parker 1949; Digard 1975.   7 Keel/Lippke 2016 (= SACR).   8 Für die Fördermittel des Ausschreibungsjahres 2016 ist die Forschergruppe Lippke/Brunner/Kull dem Vorstand des DPV sehr dankbar.   9 Die Arbeiten vor Ort wurden in enger Kooperation mit den KuratorInnen Dr. Daphna Ben-Tor, Dr. Eran Arie, Dr. Shirley Ben-Dor Evian und Nurith Goshen durchgeführt. 10 Mit profunder infrastruktureller und inhaltlicher Unterstützung durch die Kuratoren Alegre Savariego und Fawzi Ibrahim gelang die Spurensuche vor Ort wie auch in den digitalen Archiven der IAA. 11 Nur Dank einer umfassenden Genehmigung von Direktor Dr. Michael Sebbane konnten sämtliche Vor-Ort-Studien an allen Standorten durchgeführt werden; durch die freundschaftliche Hilfestellung von Debi Ben-Ami und Galit Litani schritt die Arbeit um einiges schneller voran.

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Stratifizierte Bildsprache

dings mit „nicht am angegebenen Ort abgelegt“ bilanziert werden. Dies weist vor allem auf das immer größer werdende Problem der Wiederauffindung von archivierten Kleinfunden und Objekten hin, mit denen Antikenbehörden im Nahen Osten und folglich auch in Palästina/Israel zu kämpfen haben. Entsprechend bietet der hier zusammengetragene Katalog auch einen akkuraten Schnappschuss der Situation im Konsultationszeitraum, der auch schon 24 Monate nach der Forschungsreise eines Updates bedürfte. Besonders in Bezug auf die beträchtlich größere Gesamtzahl der in SACR verzeichneten Objekte (ca. 500) zeigt sich auch das Problem der lokalen Verbringung und Aufbewahrung der Funde: Mehr als die Hälfte des relevanten Materials ist in den großen Museen in Chicago, Philadelphia, London, Paris und Sidney eingelagert. Entsprechend deckt die vorliegende Dokumentation zunächst den greifbaren Bestand „baʾaretz“ ab. In früheren Publikationen wurde den Zylindersiegeln entweder grundsätzlich zu wenig Interesse beigemessen, als dass man sie adäquat zu publizieren gedachte. Oder aber die Zeichnungen wurden nicht mit der nötigen Fachkenntnis, Sorgfalt oder Konsistenz umgesetzt, so dass an vielen Stellen ikonographische Konstellationen verunklart oder gar verfälscht wurden. Auch verwundern manche kuriosen Detailbeschreibungen der Dekorationen auf der Mantelfläche, so dass man sich mitunter versucht fühlt, die verwunderlichsten Fehlinterpretationen separat zu publizieren.12

2. Übersicht über die Ortslagenverteilung des Katalogs Die hier vorgestellten Zylindersiegel13 teilen sich in Bezug auf die archäologische Herkunft in folgender Weise auf: ʾAbu Hawam 12 ʿAcco2 ʾAchzib1 ʿAgˇgˇul15 ʿArad2 ʾAshdod4 ʿAzekah1 Beʾersheba1 Beit Mirsim 3 Bethʾel1

Bethsaida2 Beth-Sheʾan33 Beth-Shemesh3 Beth-Zur1 ʿEn Besor 1 Gezer13 Ḥalif1 Ḥazor6 Kabri2 Keisan1

Lachish8 Megiddo16 Mor1 Motza ʿIllit 1 Naṣbeh1 Ṣafi1 Samaria/Sebaste1 Shechem5 Timnah Nord 6 Yinʿam2

12 Beispielsweise kann hier die Diskussion um Ashdod 1 erwähnt werden; vgl. zum Phänomen insgesamt inzwischen Lippke 2017, 159–163. 13 Im Rahmen dieser Festschrift wurde der Katalog in Bezug auf den Umfang so stark wie möglich komprimiert. Da sämtliche Zeichnungen in hoher Qualität auch eine größere Skalierung erlauben, wird auch eine digitale Publikation in Kürze verfügbar sein (Brunner/Lippke in Vorb.).

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3. Qualitätskritik An den hier dokumentierten Objekten lässt sich eine wichtige Einsicht der Zylindersiegel-Interpretation und allgemein der ikonographischen Analyse plastisch nachvollziehen. Bevor eine weitgehende Hypothese zum dargestellten Bildinhalt erhoben wird, muss zunächst eine Abschätzung der Vollständigkeit erfolgen.14 Denn nur ein vollständiges Exemplar erlaubt überhaupt eine adäquate Interpretation. Mit anderen Worten ist ein möglichst hohes Maß an Objektvollständigkeit geradezu die „Bedingung der Möglichkeit“ einer gelungenen Interpretation. In der Sekundärliteratur wurde aber diesem Aspekt in einer Vielzahl der Fälle zu wenig Bedeutung zugemessen. Hin und wieder begegnet die Aussage, dass ein Stück besser oder schlechter erhalten sei als ein anderes. Eine im Interpretationsprozess weiterverwendbare Messgröße ist aber nur selten dokumentiert. Aus diesem Grund fiel die Entscheidung zu Gunsten einer zusätzlichen Kategorie im Rahmen der hier versammelten Katalogeinträge. Das Piktogramm 15 steht für das Maß der Vollständigkeit, in der ein Objekt erhalten geblieben ist. Sobald Unvollständigkeit vorliegt, sollte nur mit äußerster Zurückhaltung interpretiert werden – oder aber mit Verweis auf den hypothetischen Charakter der Grad an Spekulation kenntlich gemacht sein. Die Diskussion um Vollständigkeit des Objekts kann vor allem an den Stücken ʾAbu Hawam 4,7,9, ʿAgˇ gˇ ul 3, Bethsaida 2, Beth-Sheʾan 84 und Samaria/Sebaste 2 nachvollzogen werden. Bei diesen lässt sich mitunter durch den Stil eine bessere Klassifizierung erzielen (Bethsaida 2). Eine umfassende Rekonstruktion, die mitunter schlicht eine freie Ergänzung wäre, kann aber in keinem Fall guten Gewissens vorgelegt werden. Hinzu tritt ein weiteres häufig vernachlässigtes Bestimmungsmerkmal: der Abnutzungsgrad. ʾAbu Hawam 7,9, ʿAgˇ gˇ ul 24, BethSheʾan 15, Gezer 39, Ḥazor 12, Megiddo 37,40 und Shechem 7,10,11 können als deutliche Beispiele für dieses Phänomen herangezogen werden. Auch der Abnutzungsgrad trägt entscheidend zur Möglichkeit einer adäquaten Bildbeschreibung bei. Je geringer die Abnutzung, desto größer die Chance einer adäquaten Umzeichnung. Die bildliche Qualitätskritik ist an vielen Stellen mit den textlichen Grundfragen der Kodikologie und der Textkritik vergleichbar. Auch hier stehen Fragen der Vollständigkeit, der Identifikation und der Qualität der Lesart/des Exemplars im Vordergrund. Eine medienübergreifende Analyse würde den Bereich der Qualitätskritik und der Kodikologie/Textkritik an den Anfang einer Gesamtanalyse – gewissermaßen als Vorbedingung der (text- und bild-)exegetischen Arbeit positionieren.16 Nur wenn klar ist, welcher „Text gelesen“ und welches „Bild gesehen“ 14 Vgl. grundsätzlich Keel 1975, mit einer geplanten Neuauflage Keel im Druck. 15 Die hier verwendeten Bildschriftzeichen sind der Diglû-Zeichenschrift entnommen, die von Dr. Fabienne ­Kilchör entworfen wurde. Für die Erlaubnis zur Verwendung dankt Verf. sehr herzlich. Zum Projekt vgl. http://emphase.ch/diglu/ und https://extraset.ch/. 16 Vgl. zum grundlegenden Ansatz Lippke 2017a (im Rückgriff auf das bis anhin unpublizierte Forschungsmaterial von Othmar Keel zur Fragestellung).

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wird, steht ein verlässliches Interpretationsfundament zur Verfügung. Eine solche Aussage könnte natürlich als zirkulär missverstanden werden. Als heuristische Frage gefasst – die in einer Erkenntnisspirale mündet – besteht die Chance eines methodisch kontrollierten Interpretationsweges. Folglich muss zuerst die Frage geklärt werden: „Was kann noch (auf einem Objekt) erkannt/gesehen werden?“ Eben dies ist die Aufgabe einer umsichtig implementierten Qualitätskritik. An diesem Punkt berühren sich aber auch die Anfangsgründe der Ikonographie und die basalen Grundlagen der Archäologie (Taphonomie/Taphologie).17

4. Sequenzanalyse Während im Rahmen der textorientierten Exegese nach der einleitenden Textkritik18 häufig eine sprachliche Analyse inklusive der Abgrenzungsfragen (Textanfang/ Textende)19 erfolgt, stellt sich die analoge Frage bei der Zylindersiegelinterpretation umso fundamentaler. Selbstredend liegt die mehrfache Abrollung des Siegelbildes in der Natur des Objekts begründet. Klare Kriterien im Sinne einer Bezeichnung des Bildanfangs und des Bildendes zu formulieren, kann aber zu einem komplexen Unterfangen geraten. Eher selten sind klare Szenentrenner zu identifizieren.20 In Frage kämen für eine solche Klassifikationsdiskussion ʾAbu Hawam 13, BethSheʾan 34,51,52, Lachish 14, Megiddo 38, Timnah Nord 2,6 und Yinʿam 6. Bei Fehlen eines entsprechenden Markers wird die Abgrenzung und damit Bestimmung des jeweiligen Neueinsatzes der Gesamtszene äußerst hypothetisch. Zentrale Elemente können an den Rand rücken, eher nebensächliche Randfiguren als Zentrum missinterpretiert werden. In dieser Hinsicht können Text- und Bildinterpretation wiederum (wie schon unter 3.) auf theoretischer Ebene verbunden werden: Wird von einer biblischen Perikope Start- bzw. Schlussvers21 unzutreffend bestimmt, kann hieraus eine fehlerhafte Analyse der Gesamtstruktur erwachsen. In diesem Sinne ist medienübergreifend22 festzustellen: Eine genaue Sequenz- und Konstellationsanalyse mit definiertem Start- und Endpunkt ist für alle weiteren Interpretationsschritte von überragender Wichtigkeit.

Sommer 1991; Wolfram 2014; Lippke 2014, 14–18; systematisch schon Vieweger 2014, 87. Vgl. neben Tov 2013, und Kreuzer 2019, 26–48, auch Scherer 2017, 28–43. Utzschneider/Nitsche 2014, 60.105–115, sowie Mehring 2017, 44–62. Ein aktuelles Desiderat stellt eine Detailstudie über das Phänomen des Szenentrenners in der altorientalischen Ikonographie dar. 21 Die Probe aufs Exempel kann schnell mit einem entsprechenden Versuch für das „Vater Unser“ Gebet Mt 6/Lk 11 durchgeführt werden: Fehlt der erste oder letzte Vers (oder Stichos), verschiebt sich die gesamte Gliederung/Strukturanalyse; eine adäquate Interpretation ist verunmöglicht. 22 Vgl. hierzu Fischer/Lippke/Wagner 2017, 8.10–16.21–25.

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5. Traditionsgeschichte Auch für die ikonographischen Zeugnisse kann eine Traditionsgeschichte – z. B. mit dem Spezialfall der Motivkritik oder der Motivgeschichte – betrieben werden. Dies reicht von der grundlegenden Identifikation eines Ikonems23 (vgl. hierzu auch die Überlegungen zur Qualitätskritik) über die Erhebung des entsprechenden Bedeutungsgehalts bis hin zu Untersuchungen der diachronen Entwicklung eines spezifischen Einzelmotivs. Es ist in dieser Hinsicht sehr plausibel, auch bei Bildzeugnissen von dahinterliegenden „überindividuellen Traditionen“24 auszugehen, die sich in jedem Einzelobjekt mehr oder weniger adäquat realisiert finden. Deshalb ist dieser Bereich auch aufs Engste mit den Begriffen von Form (als Einzelform) und Gattung (als überindividuelles Bildungsmuster)25 verbunden. In dieser Hinsicht können bspw. folgende Objekte traditionsgeschichtlich26 untersucht werden: Ȥ für Motive und Motivkonstellationen horntragender Tiere am (Lebens-)Baum: ʾAbu Hawam 5, ʿAcco 2, Beth-Sheʾan 15,34,51,52, Lachish 14, Megiddo 3,9, Timnah Nord 2, Yinʿam 6; Ȥ für Verehrende am Baum: Beth-Sheʾan 10,51,67,68,74, Gezer 9,10,54, Megiddo 9, Timnah Nord 3; Ȥ für anthropomorphe Reihen: Beit Mirsim 4, Beth-Sheʾan 35,83, Kabri 2, Lachish 2, Megiddo 41, Naṣbeh 1; Ȥ für Tierreihen: ʾAbu Hawam 3,13, Beth-Sheʾan 29,49,54,65,71,76, Gezer 14,34,52, Ḥazor 5,7,12, Lachish 9, Megiddo 11,32,33, Shechem 8; Ȥ für die durch einen Knoten27 getrennten Tierregister: ʿAgˇ gˇ ul 12,20, BethSheʾan 68, Gezer 10,54, Kabri 1, Lachish 26, Motza ʿIllit 1.

6. Zwillingstücke (enge Parallelen) aus Beth-Sheʾan Ein bemerkenswerter Befund ist mit zwei sehr ähnlichen Stücken aus Beth- Sheʾan verbunden. Die Objekte Beth-Sheʾan 35 und 82 sind nicht nur im gleichen Material gearbeitet, sie sind auch von den Proportionen (Höhe, Durchmesser) als fast identisch zu klassifizieren.28 Sie stammen darüber hinaus aus dem gleichen Fundkontext (Str. VII, unterhalb der Treppe in Raum 1068).29 Ihre Manteldekoration

23 Ikonem wird hier analog der philologischen Lexem-Terminologie verwendet. Auch Bilder können als Bildsprache verstanden werden, die über Bildvokabular und Syntax erschließbar sind. 24 Vgl. hierzu auch die Diskussion bei Blum 2006, 86–88, im Anschluss an Hardmeier. 25 Vgl. zur methodischen Grundlage schon Richter 1971, 72–151. 26 Zur Verortung der ikonographischen Traditionsgeschichte vgl. Hartenstein 2019, 173–186. 27 Zur theoretischen Einordnung auch Staubli/Herrmann 2010, 8–12, bes. Abb. 6. 28 Zur Kontextualisierung hat sich Dabney 1993, in einer separaten Monographie geäußert. 29 Vgl. zu den Details der Fundstelle Rowe 1940, Pl. XXXVII:10.

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wirkt ebenso auf den ersten Blick identisch (eine anthropomorphe Reihe von vogelköpfigen Mischwesen mit markanten Wölbungen auf dem Oberkörper). Im Detail30 unterscheiden sich aber Anzahl der Lebewesen auf dem Siegel und die Anzahl der Wölbungen auf dem Oberkörper. Das Verhältnis von Lebewesenanzahl auf einer Gesamtabrollung und Anzahl der Wölbungen steht faszinierenderweise in einem einfachen mathematischen Verhältnis: Während bei Beth-Sheʾan 35 neun Figuren mit je 3 Körperwölbungen abgebildet sind (3:1), zeigt Beth-Sheʾan 82 acht Figuren mit je 2 Körperwölbungen (4:1). Man fühlt sich auf Grund dieses Befundes geradezu versucht, an die ikonographische Ausprägung eines Zwillingsverhältnisses zu denken. In textexegetischer Hinsicht hat dieses Phänomen möglicherweise mit dem Begriff der „Zwillingspsalmen“31 ein antikes textmediales Gegenstück.

7. Selten berücksichtigte, komplexe Konstellationen Neben den häufig abgebildeten Mitanni-Siegeln mit umfangreichen Konstellationsdetails (ʿAcco 2, Megiddo 3) und anderen wohlbekannten filigranen Meisterwerken (ʿAgˇgˇ ul 30, Beth-Sheʾan 3, Kabri 1, Megiddo 15,45) sind bei gründlicher Analyse des Rollsiegelbestandes aus Palästina/Israel immer wieder Stücke zu identifizieren, denen eine gebührende Rezeption verwehrt blieb. Zu diesen gehört beispielsweise ʿAgˇ gˇ ul 4 mit seiner kleeblattähnlich aufgesprengten Mantelfläche, welche auf diese Weise nur ein unvollständiges Siegelbild zu produzieren vermag.32 Dieses Objekt ist neben Samaria/Sebaste 2 ein wesentlicher Hinweis auf den Amulett- und Schmuckcharakter, der für Zylindersiegel in der südlichen Levante immer mitgedacht werden muss. Weiterhin zeigt z. B. Gezer 1 eine Verehrungsszene mit einem zweiköpfigen, vogelähnlichen, aber ansonsten anthropomorph ausgestalteten Mischwesen, das weder literarisch noch in sonstigen ikonographischen Quellen einschlägig bekannt ist.33 Es zeigt sich an dieser Stelle immer wieder die defiziente Quellenlage, mit der sich die Vorderasiatische Archäologie, die Biblische Archäologie und Kulturgeschichte, aber auch die Bibelwissenschaften konfrontiert sehen. Ein in den Bereich „curiosa et dubiosa“ gehörendes Objekt ist mit Megiddo 34 im Katalog präsent. Zwar im Rahmen der offiziellen Ausgrabungen aufgefunden, aber gleichwohl nicht über jeden Zweifel erhaben34, ist eine grotesk dargestellte Figur abgebildet. Die Linienführung muss im Vergleich zu allen anderen räumlich und zeitlich korrelierbaren Objekten als einzigartig gelten. Immer wieder steht 30 Nur möglich bei Abrollung, Sequenzbestimmung (Umfang 360 °) und guter Umzeichnung. 31 Tita 2001, 105.167; Millard 2013, 2.2.3., sowie schon zuvor Millard 1994, 19–22; Klein 2014, 187– 306; zuerst in die Diskussion gebracht durch Zimmerli 1972, 105–113. 32 Gleichwohl bleibt die hieroglyphische Inschrift – trotz des Materialverlusts – gut lesbar. 33 Vgl. hierzu grundsätzlich Salje 1990, vor allem aber die Aufarbeitung bei Kull 2017, 49. 34 Parker 1949, 30: „A curious figure (…). The authenticity of the seal seems doubtful“.

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zur Debatte, ob die zusätzliche lange, kurvenreiche Linie in Kopfhöhe der Person ihren Schatten darstellen soll. Auch diese Einschätzung muss als sehr hypothetisch eingestuft werden. Die Hintergrunddekoration in Form von kleinen Dreiecken ist ansonsten immerhin noch bei ʾAbu Hawam 10 nachgewiesen. Abschließend ist mit Yinʿam 635 noch eine hochstilisierte Form der motivlichen Konstellation der „Capriden am Lebensbaum“ dokumentiert, für welche auch aus aktuellen Grabungsprojekten (z. B. Dor) einschlägige Parallelen aus der persischen Zeit nachweisbar sind.36

8. Die Frage nach dem Fundkontext Für nur ungefähr ein Drittel der Corpuseinträge ist ein präzise bezeichneter Fundkontext bekannt. Der Großteil der Belege ist in Bezug auf eine zuverlässige Schichtzuordnung nicht auswertbar. Dies ist in großem Maße dem Standard der jeweiligen Ausgrabungen geschuldet. Ein großer Anteil der präzise zugeordneten Stücke stammt aus kultischem Kontext.37 In den meisten Fällen handelt es sich stilgeschichtlich um sogenannte Mitanni-Siegel, die ohnehin bereits den größten Teil des Gesamtcorpus ausmachen. Außerdem wurden diese Siegel des Öfteren unter Fuß­böden oder unter Treppenzugängen gefunden, woraus der Schluss auf Gründungs- oder Votivgaben naheliegt. Interessant und weiterführend ist die Beobachtung, dass die Mitanni-Siegel aus Palästina/Israel eigentlich ikonographisch-stilistische „Relikte“ darstellen.38 Sie datieren mehrheitlich in post-Mitanni Epochen. In dieser Hinsicht zeigt sich erneut eine Art Rezeptionsverzögerung für nicht lokale Kunst, wie er auch bei den „ägyptisch-ägyptisierenden“ Lotuskelchen aus Palästina/Israel aufgewiesen werden kann. Auch bei dieser Fundgattung verzögert sich die Rezeption im lokalen Repertoire im Vergleich zu den Innovationszyklen des ägyptischen Kernlandes.39

35 36 37 38 39

Gemäss Angabe der MENORA Datenbank (IAA) unpubliziert. Hinweis durch Andrea Berlin, Boston (mündl.). Vgl. zur Beleglage Brunner 2017, 40 f. Zuerst vermutet durch Brunner 2017, 42–44. Ben-Dor Evian 2012, 35.

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9. Auskopplungen (auf Stempelsiegeln) In der ikonographischen Forschung spielt seit Jahren das Verhältnis zwischen Stempel- und Zylindersiegeln eine besondere Rolle. Während bisher mehr als 10.000 zu interpretierende Objekte der Stempelsiegelglyptik dokumentiert wurden, beläuft sich die Zahl der registrierten Zylindersiegel aktuell auf max. 700. Von besonderem Interesse sind die als „Brückenphänomene“ auswertbaren Befunde. In diese Kategorie gehört zweifelsfrei auch ʿAgˇ gˇ ul 9: Sowohl die Figurenkombinationen wie auch die stilistische Gestaltung im Detail erinnern äußerst stark an das Design der mittelbronzezeitlichen Steatitskarabäen, die nicht selten eine deutliche Innenzeichnung (Schraffuren!) in der eingetieften Fläche aufweisen. Auf der Suche nach direkten Verbindungen zwischen beiden Gattungen wäre dieses Objekt ein wichtiger Startpunkt. Noch völlig unterbeleuchtet sind Aspekte der Übernahme und der Motivauswahl auf Stempelsiegeln, die von umfassenderen Zylindersiegelbildern im Sinne einer Vorlage herrühren (sogenannte ikonographische Auskopplung).40

10. Objektverwendung Schon an dem hier vorliegenden selektiven Katalog, zeigt sich erneut die Notwendigkeit den Terminus „Zylindersiegelamulett“ bewusst zu verwenden. Denn neben der schmuckhaften Ausformung (ʿAgˇ gˇ ul 4) ist vor allem mit Samaria/Sebaste 2 ein ganz wesentliches Indiz für die amuletthafte Verwendung nachgewiesen. Denn im Gegensatz zu den inschrifttragenden Stücken Beʾersheba 1, Megiddo 36, BethSheʾan 1 ist das o. g. Artefakt mit einer auf dem Original korrekt lesbaren Inschrift versehen. Während die anderen erst durch den Akt des Siegelns in eine lesbare Form überführt werden, ist die lesbare Schrift bei Samaria/Sebaste 2 von Anfang an gegeben. Entsprechend kann der Inschrift auf dem Original der Hauptverwendungsfokus zugeschrieben werden. Das schrifttragende Amulett scheint pragmatisch wichtiger gewesen zu sein als die potentielle Abrollung, die in diesem konkreten Fall einen Sinnverlust/eine inhaltliche Veränderung mit sich bringt.41

40 Eine grundsätzlich ähnliche Idee ist mit der Einsicht von Silvia Schroer (IPIAO 2), verbunden, dass die „Begegnung von Gott und Göttin“ eine zentrale Ikone dieser Epoche darstellt, die in Auswahlprozessen und Auskopplungen auf anderen Medien präsent gemacht wird. 41 Vgl. zum Phänomen zahlreiche der hurritischen Rollsiegel, die eine ähnliche Pragmatik zu verfolgen scheinen, zur Diskussion insgesamt Porada 1948, 186; Porada 1993, 580; Porada 1944/1945, 92.

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11. Anmerkungen zum Katalog Der alphabetische Katalog orientiert sich an der grundlegenden Präsentation von SACR42. In dieser Hinsicht sind die Katalogbezeichnungen mit den Arbeitsblättern harmonisiert. Der wissenschaftliche Objektdatenapparat43 berücksichtigt folgende Beschreibungskategorien:44 Archäologische Fundstätte/Ortslage Fundstelle/stratigraphische Einordnung (mit Schichtdatierung) Datierung (idealerweise mit Stilzuordnung) Material(kategorie) Erhaltungszustand/Einschätzung nach Vollständigkeitsprüfung Maße Aufbewahrungsort/Lagerangabe mit interner Objektnummer Literatur (meistens nach Parker 1949 und Nougayrol 1939) An jedes Objekt schließt sich ein kurzer Beschreibungstext an, der eine komprimierte Einordnung des Bildinhaltes vornimmt. Dieser Text ist – im Dienste der Übersichtlichkeit – kursiv gesetzt.

42 Keel/Lippke 2016; seit 2018 abrufbar unter https://boris.unibe.ch/id/eprint/119672. 43 Dieser ist grundsätzlich inspiriert vom bildkritischen Apparat der IPIAO-Bände (Schroer). 44 Nicht zu leisten war in diesem vorliegenden Format die Aufarbeitung der Parallelen.

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Katalog (Michelle Brunner/Florian Lippke)

ʾAbu Hawam 1 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Leicht stilisierter, geflügelter Greif mit erhobenem Vorderlauf; von einem zweiteiligen Rautennetzmuster eingerahmt.

blaue Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 27, D 11, U 35 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.614 Parker 1949, 96; Nougayrol 1939, LXXXXVIII; Hamilton 1935, 410

ʾAbu Hawam 2 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB, Amenophis III. (1390–1353a) Calcit vollständig, schwach abgenutzt Vertikal ausgeführte, schematische ägyptische Kartusche mit dem Thronnamen Amenophis III. (Neb-maʿat-Raʿ).

H 30, D 10, U 34 Jerusalem, Israel Museum, 34.344 Parker 1949, 26; Nougayrol 1939, CXXXII; Hamilton 1935, 400

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ʾAbu Hawam 3 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) blaue Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 33, D 13, U 34 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.146 Parker 1949, 98; Nougayrol 1939, XXVI; Hamilton 1935, 466 Zwei Hirsche (mehrfach ausgeführt: Hirschreihe), alternierend ein Zweiender (oben) und Vierender (unten) mit an der rechten Seite beigegebenem Blütensaum.

ʾAbu Hawam 4 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) blaue Fayence Fragmentarisch erhaltene Darstellung eines ­(Lebens-)Baums sowie drei übereinander liegende Fischdarstellungen(?).

stark beschädigt, schwach abgenutzt H 29, D 14, U 45 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.203 Parker 1949, 99; Nougayrol 1939, LIX; Hamilton 1935, 408

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ʾAbu Hawam 5 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) blaue Fayence Capriden (häufig als „Antilopen“ bezeichnet) mit zurückgewandtem Kopf in Richtung eines zentralen (Lebens-)Baums.

vollständig, schwach abgenutzt H 32, D 13, U 45 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.147 Parker 1949, 101; Nougayrol 1939, L; Hamilton 1935, 407

ʾAbu Hawam 6 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1230a) (Zypriotischer Common Style) Zypriotische „common-style“-Darstellung: anthropomorphe Figur nebst vegetativen, ­zoomorphen und astralen Symbolen sowie zwei Ochsenhautbarren.

Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 20, D 9, U 29 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.186 Parker 1949, 152; Nougayrol 1939, LXXVII; Hamilton 1935, 415; Kull 2017, 42

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ʾAbu Hawam 7 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1200a) Glas stark beschädigt, stark abgenutzt Zwei tanzende/verehrende(?) Figuren sowie eine stark schematisierte Bes-Darstellung und mindestens zwei kleinere (dämonische?) Mischwesen.

H 31, D 13, U 31 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.641 Parker 1949, 155; Nougayrol 1939, CXXVIII; Hamilton 1935, 411

ʾAbu Hawam 8 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1200a) SB (1400–1200a) Komplexe Darstellung mit drei anthropomorphen Figuren: Eine große nach rechts blickende Person mit Bewaffnung (?) eine kleinere nach rechts blickende auf einem Vierbeiner (Pferd?) stehend sowie eine weitere, die eine Miniatur des Vierbeiners in Händen zu halten scheint. Dazwischen Tiere (Vierbeiner, Meerkatzen), Striche, Kreuze und Leitern.

Steatit vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 22, D 11, U 35 Jerusalem, Israel Museum, 34.160 Parker 1949, 156; Nougayrol 1939, LXXXXI; Hamilton 1935, 414

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ʾAbu Hawam 9 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1230a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence Schematische, kaum erkennbare Darstellung von zwei anthropomorphen Figuren. Links ein Adorant mit emporgereckten Armen. Rechts ein thronend Sitzender. Möglich ist auch eine florale Interpretation der Figuren und ihrer Elemente.

stark beschädigt, stark abgenutzt H 25, D 11, U 34 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.395 Parker 1949, 157; Nougayrol 1939, CXLVIII; Hamilton 1935, 409

ʾAbu Hawam 10 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum IV (1230–1100a), unterhalb eines Gebäudes von Stratum II EZ I (1200–1000a) Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 26, D 10, U 32 Streitwagenszene mit nach links gerichtetem Pferd und Wagenlenker, begleitet durch einen größeren Waffenträger im Gefolge. Über dem Streitwagen ist ein fliegender Vogel abgebildet. Weitere Elemente sind nicht eindeutig identifizierbar.

Jerusalem, Israel Museum, 34.192 Parker 1949, 165; Nougayrol 1939, CXIX; Hamilton 1935, 217; IPIAO 3, 943

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ʾAbu Hawam 11 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V (1400–1200a) SB (1400–1200a) Steatit vollständig, schwach abgenutzt Zwei nach links gerichtete, bewaffnete Personen, dahinter ein Stier mit gesenktem Kopf, darüber eine ägäische Vogeldarstellung und weitere Symbole (Fisch?/Astralsymbol?).

H 20, U 35 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.151 Parker 1949, 154; Nougayrol 1939, CXXII; Hamilton 1935, 412

ʾAbu Hawam 13 T. ʾAbu Hawam (1522.2452), innerhalb der Stadtgrenzen von Haifa Stratum V, westlich der Westmauer des Gebäudes 50 (1400–1200a) SB (1400–1200a) Steatit Im syro-palästinensischen Stil ausgeführte aufgespaltene (?) Tierreihe mit einem geflügelten Greif und Capride; dazwischen ein Skorpion. Möglicherweise Indikator eines Szenentrenners über dem Hinterteil der Capridendarstellung.

vollständig, schwach abgenutzt H 18, D 9, U 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.197 Parker 1949, 153; Nougayrol 1939, XXV; Hamilton 1935, 413; IPIAO 3, 991

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ʿAcco 2 T. al-Fuhhar/T. ʿAkkō ˘ ˘ am Mittelmeer, (1585.2585) 13 km n Haifa Grab B3 beim Persischen Garten (14. Jh.a) SB (1500–1400a) (Mitanni Elaborate Style) Zwei Register, getrennt durch ein Kugelmuster mit konzentrischen Kreislinien. Im oberen Register eine symmetrische Tierkampfszene, sowie eine nackte, geflügelte Göttin, in Konjunktion mit einer Dominanzszene (Held reißt bekämpfend ein Wildtier in die Höhe). Das untere Register stellt das Motiv des Lebensbaums flankiert von Capriden und im äußeren Rahmen bewacht durch geflügelte Greifen dar. Die Komposition erfordert genauere Betrachtung. Denkbar wäre eine Gleichung/Parallelisierung von Göttin und Lebensbaum. Dies würde die Verschiebung der zentralsymmetrischen Elemente (Löwenkampf/ Capriden am Lebensbaum) erklären.

Hämatit mit Goldkappen vollständig, schwach abgenutzt H 28.5, D 12 Jerusalem, Israel Museum, 71.823 Beck 1977, 63–64.1; IPIAO 3, 840; Brunner 2017, 24

ʿAcco 3 T. al-Fuhhar/T. ʿAkkō ˘ ˘ am Mittelmeer, (1585.2585) 13 km n Haifa Grab B3 beim Persischen Garten (14. Jh.a) SB (14. Jh.a) Hämatit mit Goldkappen vollständig, schwach abgenutzt Drei anthropomorphe Figuren mit je mindestens einem (waffenähnlichen) Gegenstand in der Hand. Die zentrale Figur reißt im Sinne des heroic combat einen Vierbeiner (Löwen?) in die Luft und erhebt die Waffe zum Schlag. Die linke Figur scheint einzuschreiten. Die rechte Figur ist als Szenenbegleiter nicht klar funktional bestimmbar. Astralelemente sowie Bukranien sind in stilisierter Form erkennbar.

H 19, D 7.5 Jerusalem, Israel Museum, 71.822 Beck 1977, 66–68.3; Kull 2017, 53

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ʾAchzib 2 Achzib, ez-Zīb er-Rās/T. ᵓAkziv (1598.2727), 14 km n Akko Grab stilistisch kaum datierbar Stein, mit einem Ring gefasst Möglicherweise phönizische Umsetzung bekannter floraler Motive mit Capride; unsichere Identifizierung der Bildelemente.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 10 Jerusalem, Israel Museum, 48.320 unpubliziert

ʿAgˇgˇul 3 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Grab (19. Dyn. [1350–1200a]) SB, 19. Dyn. (1300–1200a) Ägyptische Symbole, die an das Königszeichen (nsw) sowie an zusammengebundene Papyrusschlingen erinnern. Eventuell ist das Gesamtbild als Stilisierung der königlichen „Vereinigung beider Länder“ (Ober- und Unterägypten) zu verstehen.

Stein untere Hälfte beschädigt, schwach abgenutzt H 15, U 19 Jerusalem, Rockefeller Museum, 33.1701 Parker 1949, 159; Nougayrol 1939, CXXXVII; Petrie 1933, 5, Pl. VIII, 8

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Stratifizierte Bildsprache

ʿAgˇgˇul 4 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza nicht dokumentiert SB, Amenophis III. (1390–1353a) Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 30, U 41 Jerusalem, Rockefeller Museum, 35.3977

Seltenes, kleeblattförmiges Rollsiegel mit entsprechend durchbrochener Mantelfläche: zweimal wird jeweils die gleiche Inschrift repetiert „Maʿat-en-Raʿ“ sowie „der schöne Gott, Herr der wiederholten Ewigkeit“.

Parker 1949, 19; Nougayrol 1939, CXXXI; Petrie 1933/34, Pl. IX, 352

ʿAgˇgˇul 9 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza nicht dokumentiert EZ II (1000–600a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Zwei in unterschiedlicher Kniehaltung dargestellte Verehrer, die je ein Uräusszepter (eines davon mit vegetativen Fortsätzen) in der linken Hand halten. Die Szene ist umrahmt von einem Flechtband. Der Stil (vor allem die Innenzeichnungen) verbinden diese Darstellungskonventionen besonders stark mit den Designelementen der mittelbronzezeitlichen Skarabäenamulette. Über Brückenphänomene zwischen beiden Gattungen ist bisher noch zu wenig nachgedacht worden. Dieses Objekt würde einen ersten Anhaltspunkt ermöglichen.

H 13, U 19 Jerusalem, Rockefeller Museum, 35.4012 Parker 1949, 21; Nougayrol 1939, CVII; Petrie 1933/34, 5, Pl. XII

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ʿAgˇgˇul 10 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza nicht dokumentiert SB (1500–1200a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Zwei Wildtiere (Löwen?) attackieren einen Vierbeiner (Rind?) ein Vogel (Raubvogel?) stürzt sich von oben herab auf die Szene. Eine anthropomorphe Figur mit Fortsätzen am Kopf und an den Händen begleitet die Konstellation. Signifikant ist die hohe Anzahl von Kugelelementen, die über die Mantelfläche verteilt ist.

H 13, U 20 Jerusalem, Israel Museum, J. 1014 Parker 1949, 143; Nougayrol 1939, CXXIII; Petrie 1933/34, Pl XII, 3

ʿAgˇgˇul 11 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza SB I–II B (15.–13. Jh.a) SB,18.–19. Dyn. (1550–1185a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Einschlägig bekanntes und diskutiertes Rollsiegel, bei dem ein göttlich/heroischer Aktant zwei Wildtiere (Löwe und Capride) dominiert; alle drei Ikoneme sind auf einen am Boden liegenden Menschen hin orientiert. Die Szene wird durch ein geflügeltes, anthropomorphes Schutzwesen (Dämon) begleitet, der möglicherweise rettend/ beschützend eingreift und ebenfalls der Figur in Abwehrhaltung zugewandt ist.

H 17, D 8, U 25 Jerusalem, Rockefeller Museum, 35.4011 Parker 1949, 13; Nougayrol 1939, CXI; Petrie 1933/34, Pl. XII, 1; IPIAO 3, 895

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Stratifizierte Bildsprache

ʿAgˇgˇul 12 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza unklar MB (2000–1600a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Adorationsszene, bei der zwei unterschiedliche Verehrer den Mond (in seinen zwei signifikanten Erscheinungen) mit einer Hand verehren, eine weitere Person ist links daneben im gleichen Gestus zu erkennen. Die beiden Tierdarstellungen (möglicherweise Hase und Huftier) – durch einen Knoten getrennt – könnten auch auf die andere Seite der Konstellation gehören. Eine definitive Szenen-Abgrenzung muss noch genauer erfolgen.

H 20 Jerusalem, Rockefeller Museum, 38.532 Parker 1949, 10

ʿAgˇgˇul 16 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza unklar wenig kontextualisierbar (Zypriotischer Common Style) Vogelähnliche Mischwesenreihe mit dazwischen ungleichmäßig eingestreuten Dolchikonemen. Zwei Figuren recken beide Arme nach oben, eine Figur erhebt eine Hand, die andere zeigt nach unten. Ausführung im zypriotischen „common style“.

Stein vollständig, schwach abgenutzt H 15 Jerusalem, Rockefeller Museum, 38.660 Parker 1949, 141; Kull 2017, 42 f.

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ʿAgˇgˇul 18a T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Niveau II (2500–2000a) MB (2000–1600a) Knochen Ornamentales Netzmuster (Rautenbildung).

vollständig, schwach abgenutzt H 23, U 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, I.10325 Nougayrol 1939, XIV; Petrie 1931, Pl XIII, 21

ʿAgˇgˇul 18b T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Niveau II (2500–2000a) MB (2000–1600a) Knochen Rechtsläufiges Fischgrätenmuster im oberen Register, darunter 2 paarige Doppellinien ohne weiteren Registerinhalt.

vollständig, schwach abgenutzt H 18 Jerusalem, Rockefeller Museum, I.10325 Nougayrol 1939, XIV

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Stratifizierte Bildsprache

ʿAgˇgˇul 18c T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Niveau II (2500–2000a) MB (2000–1600a) Linksläufiges Fischgrätenmuster mit oben eingetieftem, mehrfachem Linienabschluss.

Knochen vollständig, schwach abgenutzt H 14 Jerusalem, Rockefeller Museum, I.10325 Nougayrol 1939, XIV; Petrie 1931, Pl XIII, 21

ʿAgˇgˇul 18e T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Niveau II (2500–2000a) Linksläufiges Fischgrätenmuster mit doppeltem Linienabschluss.

MB (2000–1600a) Knochen vollständig, schwach abgenutzt H 20 Jerusalem, Rockefeller, ­Museum, I.10325 Nougayrol 1939, XIV

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ʿAgˇgˇul 20 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Governor’s Tomb (18.–19. Dyn. [1333–1213a]) SB (1333–1213a) Hämatit Verehrungsszene (dreiteilig) mit einer zentralen, möglicherweise göttlichen Figur und zwei Adoranten. Der linken Figur sitzt ein kleiner Vogel auf der Schulter. Begleitet wird die Szene durch Greifvogel und Capride, die durch ein Knotenmotiv getrennt sind.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 18, U 32 Jerusalem, Rockefeller Museum, 33.1699 Parker 1949, 14; Nougayrol 1939, LXXXX; Petrie 1933, Pl. VIII, 7

ʿAgˇgˇul 24 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza Südlicher Rand des Tells über dem Wadi (Mitte SB II A–B [1350–1100a]) MB, Hyksos (1650–1550a) Kappadokische Darstellung von sechs Personen (zwei sitzende Würdenträger oder Gottheiten, vier stehend mit grüßendem/verehrendem oder darbringendem Gestus) mit weiteren Füllmotiven (Vogel, Knoten, Astralsymbole).

Gebrannter Ton leicht beschädigt, stark abgenutzt H 24, D 12.1, U 38 Jerusalem, Rockefeller Museum, 35.3950 Parker 1949, 130; Nougayrol 1939, LXXXXVI; Petrie 1933/34, 5, Pl. IX, 355, Pl XII, 9

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Stratifizierte Bildsprache

ʿAgˇgˇul 28 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza nicht dokumentiert MB (2000–1600a) Jaspis vollständig, schwach abgenutzt Ornamental gerahmtes Bildfeld mit einer anthropomorphen Figur, einer Meerkatze, einem Vogel (Falke?) sowie zwei Capriden in hockender Haltung. Die stark stilisierte Kartusche lässt sich als k3-n-rʿ entziffern.

H 18, D 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, 33.1738 Nougayrol 1939, CXXXIII

ʿAgˇgˇul 30 T. el-ʿAgˇgˇūl (0934.0976), ­wahrscheinlich Scharuhen, 6 km sw Gaza unbekannt MB (1800–1600a) (mittelsyrischer Stil) Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 27, U 39 Stark angefüllte Mantelfläche mit drei anthropomorphen Figuren (links möglicherweise ein Wulstsaummantelfürst, in der Mitte der Wettergott mit Waffe und angeleintem Stier). Zwischen den Aktanten eine Vielzahl von ägyptischen Schutz- und Machtzeichen (Leben, Schutz, Festigkeit), aber auch Symbole in mesopotamischer Tradition.

Jerusalem, Rockefeller Museum, 35.3979 Petrie 1933/34, Pl. IX, 354, Pl. XII, 2

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Florian Lippke

ʿArad 1 Arad, T. ʿArad (1621.0766), 9 km nnw Arad im Negev Stratum 3 FB (3000–2000a) Kalkstein vollständig, schwach abgenutzt H 40 Schwer deutbare stilisierte Komposition, die im linken Bereich möglicherweise ein Sonnenmotiv mit Strahlen zeigt. Eine Gesamtinterpretation bleibt vage.

Jerusalem, Israel Museum, 89–461 Beck 1984, Pl. 12:16

ʿArad 2 Arad, T. ʿArad (1621.0766), 9 km nnw Arad im Negev unbekannt FB (3000–2000a) Eingerahmt von zwei mandorla-förmigen Trennelementen eine stark stilisierte Hauptszene: möglicherweise ein Vierbeiner mit einem Vogel darüber und ein Sonnenmotiv. Die Interpretation bleibt sehr hypothetisch.

Kalkstein vollständig, schwach abgenutzt H 21 Jerusalem, Israel Museum, 89–464 Amiran/Ilan 1978, 53, Pl. 116:1; Beck 1984, Pl. 12:15

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Stratifizierte Bildsprache

ʾAshdod 1 ʾAshdod, Esdūd/T. Ašdōd (118.129), 6 km s der modernen Stadt Stratum 3 (11. Jh.a) EZ I (11. Jh.a) Stein vollständig, schwach abgenutzt H 25 Schematische Darstellung von drei menschlichen Figuren, die jeweils vor unterschiedlichen Objekten stehen/sitzen. Die kantige Realisierung mit zumeist kurzen Strichen erlaubt keine eindeutige Zuordnung (Räucheraltäre?/Werkzeuge?/ Symbole?).

Jerusalem, Israel Museum, 68.1109 Dothan/Dothan 1992, 167, Pl. 11

ʾAshdod 3 ʾAshdod, Esdūd/T. Ašdōd (118.129), 6 km s der modernen Stadt Stratum 4b (EZ I) EZ I (1200–1000a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 25 Beth-Shemesh, IAA Storage, 63.2500 Dothan 1971, Pl. 81, 6 Vertikale Ausführung eines liegenden Hirschs (Vierender) mit einer doppelregistrigen ornamentalen Einrahmung

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ʾAshdod 5 ʾAshdod, Esdūd/T. Ašdōd (118.129), 6 km s der modernen Stadt unbekannt EZ I (1200–1000a) Kalkstein vollständig, schwach abgenutzt H 24, D 12 Zwei geflügelte Genien mit unterschiedlicher Kopf- und Armdarstellung sowie zwischen ihnen ein Kugelkreuz, das durch weitere Kugeln und konzentrische Kreismuster auf der je anderen Seite der anthropomorphen Figuren ergänzt wird.

Jerusalem, Israel Museum, 68.1083 unpubliziert

ʾAshdod 6 ʾAshdod, Esdūd/T. Ašdōd (118.129), 6 km s der modernen Stadt unbekannt EZ I (1200–1000a) Stein Zwei Adoranten mit je einem Zweig in der Hand kniend (oder im Knielauf) vor einem räucheraltarähnlichen Symbol (eventuell auch vegetative Komponente). Eine männliche Figur mit einer Geißel/einem Fliegenwedel in der Hand wohnt der Szene bei. Sichtbar sind zudem ein vogelartiges Mischwesen und ein Skorpion.

vollständig, schwach abgenutzt H 17, D 10 Jerusalem, Israel Museum, 68.1103 unpubliziert

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Stratifizierte Bildsprache

ʿAzekah 1 Aseka, ʿAzekah/T. Zakarīye (1440.1232), 27 km w Jerusalem 18. Dyn. FB (3000–2000a) Kalkstein vollständig, schwach abgenutzt H 26, U 38 Zwei Hauptszenen: Ein aufgerichteter Capride zwischen zwei anthropomorphen würdig gekleideten Figuren (mit Hörnerkappen?). Die linke Figur hält ein Krummschwert in Händen, die rechte Figur erhebt fürbittend beide Hände. Die zweite Szene stellt zwei zugewandte geflügelte Sphingen mit ähnlicher Kopfbedeckung dar. In der oberen Hälfte des Objekts sind zudem ein (nicht genauer bestimmbarer) Vierbeiner sowie ein Löwe, der ein Rind angreift, erkennbar.

Jerusalem, Rockefeller Museum, J.472 Nougayrol 1939, LXXXVIII

Beʾersheba 1 Beʾerscheba, T. Beʾer-Ševaʿ/ T. es Sabaʿ (1348.0727), n Negev, ö der modernen Stadt Straße 844 (gemeinsam mit Votivobjekten) EZ II B/C (725–600a) (Neuassyrisch) Chalzedon vollständig, schwach abgenutzt H 38.3, D 15.4 Jerusalem, Israel Museum, 99.2335 Adorationsszene mit der typisch assyrischen Geste ubāna tarāṣu („den Finger ausstrecken“) sowie der Berührung des Insigniums (Szepter). Die anthropomorphe Gottheit steht auf einem Podest. Beigabe in Keilschrift: „Für Ap(il)-Addu, den großen Herrn, seinen Herrn; Rimut-ilani, der Sohn des (H)adad-idri, stellte (dieses Zylindersiegel) her und weihte/schenkte es.“

Aharoni 1973, 56–60, Pl. 26

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Beit Mirsim 1 T. Bēt Mirsīm (141.096), 19 km sw Hebron Stratum E (1750–1550a) MB (1750–1550a) Äußerst schwer interpretierbare Szene mit Leiter, Mauerfragmenten, Astralsymbolen, einem Wasservogel, und zwei anthropomorphen Figuren, die einen Baum flankieren. Eine von beiden scheint mit Storchenkopf und Flügelfortsätzen ausgestattet.

Kalkstein (nicht vollständig durchbohrt) leicht beschädigt, durchschnittlich abgenutzt H 26, D 16 Jerusalem, Rockefeller Museum, 32.2749 Parker 1949, 132; Albright 1936, Pl. 30:7

Beit Mirsim 2 T. Bēt Mirsīm (141.096), 19 km sw Hebron Stratum E (1750–1550a) MB (1800–1600a) Hämatit (?) vollständig, schwach abgenutzt H 19.5, D 10 Klar gegliedertes Zylindersiegel im syrisch-levantinischen Stil geschnitten, das auf der einen Seite ein Vogelregister, auf der anderen Seite das Symbol der ägyptischen Reichseinigung zeigt (Achtung: Die Mantelfläche wurde hier überlappend gezeichnet). Im Zentrum die Begegnung von zwei anthropomorphen Figuren, bei der wahrscheinlich ein Opfertier übergeben wird. Weiterhin zwei Vogeldarstellungen, eine Meerkatze, vegetative Symbole und ägyptische Macht- und Segenszeichen sowie auch vereinzelte Keilschriftimitationen.

Jerusalem, Israel Museum, 32.2718 Albright 1936, Pl. 30:1–3

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Stratifizierte Bildsprache

Beit Mirsim 4 T. Bēt Mirsīm (141.096), 19 km sw Hebron Grab 100 (SB II) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 24, D 10 Figurenreihe bestehend aus drei männlichen Personen mit Blickrichtung links, die sich gegenseitig den Arm über die Schulter legen. Die Szene ist rhythmisiert durch ein Feld mit Zweigsymbolik (Alternative: Fischgrätenornament).

Beth-Shemesh, IAA Storage, 84.1293 Ben-Arieh 2004, Fig. 3.11, 130–131; Brunner 2017, 26.

Bethʾel 1 Bethʾel, Bet-El, Bētīn (1727.1482), 17 km n Jerusalem Schuttablagerung außerhalb der Stadt (SB II–III und EZ I zeitliche Schichten) SB (1300–1200a) Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt H 38, D 28 Häufig diskutiertes Zylindersiegel mit zwei bewaffneten Gottheiten. Die linke Figur ist zusätzlich mit einem Krummschwert ausgestattet. In der Mitte, in hieroglyphischer Wiedergabe die Inschrift „Astarte“. Das Verhältnis von Text und Bild bzw. den Bezügen ist nicht final geklärt.

Jerusalem, Israel Museum, 35.4442 Parker 1949, 180; Nougayrol 1939, CXII; IPIAO 3, 885

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Bethsaida 1 Bethsaida/Et-Tell (2094.2574), wahrscheinlich die Hauptstadt von Geschur, später Betsaida, 3 km n See Genesaret Areal A, 10c und 13 EZ III (540–400a) (persisch) Quarz vollständig, schwach abgenutzt H 21.5, D 11 Beth-Shemesh, IAA Storage, 96–2227 Brandl 1999 Vertikales Siegelbild mit zwei getrennten Feldern: ein geflügelter Stier und ein männliches Fisch-Mischwesen mit anthropomorphem Oberkörper, Kronenelement und einem Zepter in der linken Hand. Beide Figuren sind nach rechts orientiert, Flügel und Fischschwanz sind je besonders im Detail ausgearbeitet.

Bethsaida 2 Bethsaida/Et-Tell (2094.2574), wahrscheinlich die Hauptstadt von Geschur, später Betsaida, 3 km n See Genesaret Areal C, 961 Reste einer assyrischen Darstellung (mit Kugelbohrung und Schleifradtechnik): Oberkörper von zwei nicht genauer identifizierbaren Lebewesen, das linke möglicherweise geflügelt; astrale Elemente zwischen den einzelnen Aktanten.

EZ II B (730–700a) (Neuassyrisch) Karneol stark beschädigt, schwach abgenutzt H 20, D 14.5 Beth-Shemesh, IAA Storage, 96–2226 Brandl 1999

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Stratifizierte Bildsprache

Beth-Sheʾan 1 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Fundament (Amenophis II.) MB (1800–1600a) (Altbabylonisch) Lapislazuli vollständig, schwach abgenutzt H 20, D 10.5, U 33 Zentraler Inschriftenkasten (keilschriftlich: „Manum, der Orakelpriester, Diener des Enki“) flankiert von zwei fürbittenden LAMA-Göttinnen.

Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1014 Parker 1949, 1; Nougayrol 1939, CV; Dabney 1993, 1; Rowe 1940, 23, Pl. 34:3

Beth-Sheʾan 3 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum V, Tempel Ramses III., Raum 1021 (1183–1152a) SB, Ramses II. (1279–1213a) Serpentinit vollständig, schwach abgenutzt H 52, D 22, U 69 Äußerst detailreiche und aussagekräftige DarJerusalem, Rockefeller Museum, stellung eines königlichen Rituals (Lit.!): Im BeiJ.911 sein der göttlichen Sphäre demonstriert der König von Ägypten seine Macht (über das Chaos) Parker 1949, 30; Nougayrol und Zielsicherheit im Angesicht der Feinde. 1939, CXXIX; IPIAO 3, 599 Neben den Details in der Ausgestaltung des Pharaos und der Gottes Reschef (mit ausgestrecktem Sichelschwert) sind vor allem die belebte Vegetation, die Namenkartusche und der Dekorfries als wertvolle Details zu benennen. Bis hin zum Gazellenkopf an der Krone und dem Lebenszeichen in der Hand des Reschef ist die präzise Umsetzung erkennbar. Die Störung vor dem Kopf des Reschef ist durch erneute Aufnahmen nun gut entschlüsselbar. Es handelt sich um ein weiteres Pflanzenbündel, wie es auch in den umliegenden Feldern aufgebracht ist.

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Beth-Sheʾan 10 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Level VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068, unterhalb Fußboden (13. Jh.) SB, Amenophis III. (1390– 1353a) (Mitanni Common Style) Die Hauptszene zeigt zwei anthropomorphe Figuren auf einer halbkugelförmigen Erhöhung, die einen Lebensbaum flankieren. Die Neben­ szene zeigt im unteren Bereich eine Sphingendarstellung und darüber ein horntragendes Tier in vertikaler Ausrichtung.

Blaue Fayence leicht beschädigt, schwach abgenutzt H 28, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, J 919 Parker 1949, 90; Dabney 1993, 28; Rowe 1940; Pl. 40:6

Beth-Sheʾan 13 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Level VII, Tempel Amenophis III., nördlich der Treppe SB, Amenophis III. (1390–1353a) Symmetrische Darstellung von zwei Löwen um einen zentralen Gegenstand herum, daneben einschreitender Heros/Gott mit zwei Waffen drohend (möglicherweise dem Typus nach ein Wetter- oder Kriegsgott).

Steatit mittelstark beschädigt, schwach abgenutzt H 19, D 9 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.951 Parker 1949, 142; Dabney 1993, 4; Rowe 1940, Pl. 38.15

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Stratifizierte Bildsprache

Beth-Sheʾan 14 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Level VI (Seti I.) SB, Seti I. (1290–1279a) Außer der teilweise erkennbaren ausführlichen Rahmung mit einem leiterähnlich durchbrochenen Band (vgl. auch die zeitlich nahe auftretende Kerbbandumrahmung) ist auf dem Objekt kaum ein Ikonem entzifferbar oder zuordenbar.

Blaue Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 13 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1012 Parker 1949, 160

Beth-Sheʾan 15 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Level V (Ramses III.) SB, Ramses III. (1183–1152a) Serpentinit vollständig, stark abgenutzt H 36 Eine detailreich ausgeführte Capridendarstellung sowie eine anthropomorphe Figur, die einen Lebensbaum einrahmen. Dieser ist sowohl mit klassischen seit der Bronzezeit bekannten Zweigelementen als auch mit palmähnlichem Dekor (im oberen Teil) realisiert.

Jerusalem, Rockefeller Museum, 32. I Parker 1949, 161

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Beth-Sheʾan 17 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret unstratifiziert unklar Hämatit leicht beschädigt, durchschnittlich abgenutzt H 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, 36.1691 Begegnungsszene zweier anthropomorpher Wesen, links daneben eine dem ägyptischen Bes ähnliche Figur sowie eine freistehende Standarte (Zepter) mit mehreren (schlangenähnlichen) Fortsätzen.

Parker 1949, 170

Beth-Sheʾan 28 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret unterhalb von Schicht IX (< Tutmosis III.) SB (< 1452a) Stein Zwei anthropomorphe Figuren mit je einem Pflanzenzepter in Händen sowie eine stark stilisierte Capridendarstellung. Zwischen den Figuren Vegetationselemente oder andere nicht genauer identifizierbare Symbole.

vollständig, schwach abgenutzt H 20 Jerusalem, Rockefeller Museum, 32.51 Parker 1949, 136

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Stratifizierte Bildsprache

Beth-Sheʾan 29 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Level Xb (1750–1550a) MB (1750–1550a) Tierreihe mit Löwen, einem Fisch und – um 180 ° gedreht – einem Horntier. Als zusätzliche Symbole sind neben kammförmigen Unterbauten auch die ägyptische Schutzschleife wie auch das apotropäische Faustsymbol abgebildet.

Elfenbein vollständig, schwach abgenutzt H 20 Jerusalem, Israel Museum, 32.69 Parker 1949, 129

Beth-Sheʾan 34 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VI (Seti I. [1200–1100a]) SB, Seti I. (1290–1279a) (Mitanni Common Style) Zwei antithetisch gegenübergestellte Capriden flankieren eine zentrale Standarte – die gesamte Konstellation ist über einem Flechtband (durch Linien verbundene, konzentrische Kreise) dargestellt und wird durch szenentrennende Baumdarstellungen abgegrenzt.

Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 18 Jerusalem, Rockefeller Museum, 32.16 Parker 1949, 112; Brunner 2017, 30

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Florian Lippke

Beth-Sheʾan 35 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068, unterhalb Treppe (13. Jh.a) SB, Amenophis III. (1390– 1353a) (Mitanni Common Style) Figurenreihe von zahlreichen Mischwesen mit anthropomorphem Körperbau, jedoch mit Schnäbeln im Kopfbereich und drei charakteristischen Wölbungen auf dem Oberkörper ausgearbeitet.

Blaue Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 29, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.917 Parker 1949, 93; Brunner 2017, 28

Beth-Sheʾan 45 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum Xb, Raum 1675 (1750–1550a) MB (1750–1550a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt Reihe bestehend aus drei anthropomorphen Figuren; jede Figur zeigt eine andere Besonderheit im Detail (Waffe in Händen, Tier auf der Hand/ dem Arm, Verbindung zu Astralsymbolen/Sternkugeln). Zwischen zwei der drei Figuren sind stabförmige Elemente eingebracht.

H 20 Jerusalem, Rockefeller Museum, 32.70 Parker 1949, 131

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Beth-Sheʾan 49 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068, unterhalb Fußboden (13. Jh.a) SB (13. Jh.a) (Mitanni Common Style) Blaue Fayence vollständig, schwach abgenutzt Tierreihe bestehend aus mehreren gleichgerichteten, horntragenden Lebewesen (Capriden/ Antilopen).

H 28, D 12 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.920 Parker 1949, 85; Dabney 1993, 31; Rowe 1940, Pl. 40:7

Beth-Sheʾan 51 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VIII (Pre-Amenophis III., 1400–1200a) SB (< 1353a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Kniende anthropomorphe Figur am Lebensbaum (Berührung); die Szene besteht zudem aus zwei gleichgerichteten, flankierenden, horntragenden Tieren. Ein markanter Strich zeigt die Szenentrennung an (Achtung: im Bild Überlappung der Mantelfläche).

vollständig, schwach abgenutzt H 25, D 9.5 Jerusalem, Israel Museum, J 1023 Parker 1949, 51; Dabney 1993, 19

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Beth-Sheʾan 52 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VIII, Raum 1108 (Pre-Amenophis III., 1400–1200a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence Zwei Capriden am Lebensbaum (nicht achsensymmetrisch), mit deutlich sichtbaren und ausgearbeiteten Szenentrennern.

vollständig, schwach abgenutzt H 30, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.921 Parker 1949, 52; Dabney 1993, 30; Rowe 1940, Pl. 39:22

Beth-Sheʾan 54 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VIII (1400–1200a), nach Dabney Stratum VII SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Blaue Fayence Drei horntragende Tiere (Capriden/Antilopen) in einer typischen Tierreihe dargestellt.

leicht beschädigt, schwach abgenutzt H 29, D 12 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1035 Parker 1949, 54; Dabney 1993, 9

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Beth-Sheʾan 56 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII oder VIII, Raum 1092 (Pre-Amenophis III., 1400–1100a) SB (1400–1100a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Muster aus konzentrischen, miteinander verbundenen Kreisen (vgl. auch das Spiraldesign der mittelbronzezeitlichen Stempelsiegelglyptik).

vollständig, schwach abgenutzt H 24, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.950 Parker 1949, 57; Dabney 1993, 27; Rowe 1940, Pl. 39:20

Beth-Sheʾan 59 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068, unterhalb Fußboden (13. Jh.a) Zweiregistrige Darstellung: Oben ein Rautennetzmuster, darunter ein geometrisches Band mit Spiralelementen und erneut konzentrischen Kreisen.

SB (13. Jh.a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 24, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.916 Parker 1949, 62; Dabney 1993, 49; Rowe 1940, Pl. 40:5

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Beth-Sheʾan 65 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB (1500–1300a) (Mitanni Common Style) Blaue Fayence Doppelte Tierreihe: oben Fische, nach rechts orientiert, unten um 90 ° gedrehte Horntiere (Capriden/Hirsche).

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1037 Parker 1949, 42

Beth-Sheʾan 66 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB (1500–1300a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Zwischen zwei mit je drei Sternen dekorierten Feldern eine anthropomorphe Figur, die eine Kopfbedeckung (Turban?) trägt. Daneben ist, unterhalb eines Flechtbands, ein horntragendes Tier zu sehen. Eine Doppellinie trennt die übereinanderliegenden Ikoneme.

vollständig, schwach abgenutzt H 24 Jerusalem, Rockefeller Museum, I.3808 Parker 1949, 43

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Beth-Sheʾan 67 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB (1500–1300a) (Mitanni Common Style) Alternierend zwei anthropomorphe Figuren am stilisierten Lebensbaum (flankierend); daneben zwei sich überkreuzende Capriden, bzw. „achsensymmetrisch ineinander verschmolzen“. Zwischen den Kopf- und Hornpartien sind fünf konzentrische Kreise abgebildet.

Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt H 21 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1015 Parker 1949, 45

Beth-Sheʾan 68 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB (1500–1300a) (Mitanni Common Style) Kniende/im Knielauf abgebildete anthropomorphe Figur, die in Richtung eines Baumes orientiert ist. Daneben ein horntragendes Tier (Hirsch) und drei „Handsymbole“, die von einem Flechtband mit Spiralen und konzentrischen Kreisen gerahmt werden.

Kompositmaterial vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 20 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1041/1 Parker 1949, 47

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Beth-Sheʾan 71 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum X a oder b, Haus (1750–1550a) SB, 18. Dyn. (1550–1300a) (Mitanni Common Style) Eine Reihe von Hirschen, die bei kontinuierlicher Abrollung ein achsensymmetrisches Paar zeigen, eingerahmt von einem separaten nach rechts orientierten Hirsch. Die Abgrenzung der Szene ist nicht mit letzter Sicherheit anzugeben.

Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 29 Jerusalem, Rockefeller Museum, 32.50 Parker 1949, 40

Beth-Sheʾan 72 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB (1500–1300a) (Mitanni Common Style) Eine (überlappende Zeichnung!) anthropomorphe Figur neben einem zweiregistrigen Feld, welches oben mit einem Netzmuster gefüllt ist und im unteren Teil ein horntragendes Tier (Capride) zeigt.

Kompositmaterial vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 13 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1016 Parker 1949, 39

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Beth-Sheʾan 73 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB, Tutmosis III. (1479–1425a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Die Mantelfläche zeigt eine kniende Figur, die einen stilisierten Lebensbaum ergreift; zwei Hirsche mit zueinandergedrehten Köpfen über einem Flechtbandmuster ergänzen die Szene.

vollständig, schwach abgenutzt H 16 Jerusalem, Israel Museum, I 3805 Parker 1949, 38

Beth-Sheʾan 74 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB, Tutmosis III. (1479–1425a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Ein Stier mit nach links gewandtem Kopf sowie ein achtstrahliger Stern, der bei Wiederholung ein symmetrisches Bild ergeben kann. Dennoch ist hier von einem alternierenden Muster auszugehen.

vollständig, schwach abgenutzt H 19 Jerusalem, Rockefeller Museum, I 3806 Parker 1949, 37

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Beth-Sheʾan 75 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (1500–1300a) SB (1500–1300a) (Mitanni Common Style) Steatit vollständig, schwach abgenutzt Anthropomorphe Figur vor Sternenstandarte; rechts daneben ein horntragendes Tier (Capride/ Steinbock) mit zur Standarte gewandtem Kopf. Der Vierbeiner steht auf einer doppelten Abschlusslinie, der Zweibeiner auf einem kleinen Podest. Unter der Schlusslinie und neben der Gesamtszene zwei Flechtbänder in unterschiedlichen Ausführungsarten.

H 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.1045 Parker 1949, 35

Beth-Sheʾan 76 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068, unterhalb Treppe (13. Jh.a)

Eine drei-registrige Ausgestaltung: Zwei Vogelreihen, dazwischen eine Fischreihe.

SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Glas leicht beschädigt, durchschnittlich abgenutzt H 30, D 13 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.949 Parker 1949, 72; Dabney 1993, 44; Rowe 1940, Pl. 37:5

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Beth-Sheʾan 80 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII (oder VIII), Tempel Amenophis III., Raum 1068, unterhalb Fußboden (13. Jh.a) Zwei Register, bei denen die anthropomorphe Figur (beinahe im „Ausfallschritt“ dargestellt) beide Register einnimmt. Das obere Register zeigt eine Sternenreihe, das untere enthält zusätzlich zwei horntragende Tiere (Capriden), die nach oben gekippt sind. Ein kleines rundes Symbol ist zwischen ihnen noch erkennbar.

SB, Amenophis III. (1390– 1353a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 25, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.918 Parker 1949, 58; Dabney 1993, 20; Rowe 1940, Pl. 40:8

Beth-Sheʾan 81 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068, nördlich der Treppe (13. Jh.a) Netzmuster mit mehrfachem Randabschluss.

SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 21, D 9 Jerusalem, Rockefeller Museum, 42.99 Rowe 1940, Pl. 37:14; Dabney 1993, 15

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Beth-Sheʾan 82 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum VII, Tempel Amenophis III., Raum 1068 (oberer Altar-Raum) (13. Jh.a) SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence Figurenreihe von zahlreichen Mischwesen mit anthropomorphem Körperbau, jedoch schnabelähnlich im Kopfbereich und mit zwei charakteristischen Wölbungen auf dem Oberkörper ausgearbeitet.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 28, D 11 Jerusalem, Rockefeller Museum, 42.100 Rowe 1940, Pl. 37:10; Dabney 1993, 26; Brunner 2017, 28

Beth-Sheʾan 83 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Grab 42 unklar Sprialen- und Strichmuster in eher chaotischer Anordnung. Möglicherweise lassen sich Anklänge an das ägyptische Zeichen der Reichseinigung oder aber an das Omega-Symbol auf den frühen mittelbronzezeitlichen Stempelsiegeln erkennen.

Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 12, D 5 Jerusalem, Rockefeller Museum, J.819 unpubliziert

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Beth-Sheʾan 84 Beth-Sheʾan, T. el-Ḥuṣn (1977.2124), w des Jordantals, 25 km s See Gennesaret Stratum IX (Tutmosis III., 1479–1425a) SB (Mitanni Common Style) Zweiregistrige Aufteilung mit einem sehr stilisierten Sternenfries im oberen Register (?) und Resten einer Tierreihe (horntragende Lebewesen).

Fayence stark beschädigt, durchschnittlich abgenutzt H 17, D 10 Jerusalem, Rockefeller Museum, J-1041/2 Brunner 2017, 27 f.; ansonsten unpubliziert

Beth-Shemesh 1 Beth-Shemesh, ʿĒn Šems, Ḫ. er-Rumēle (1477.1286), 20 km w Jerusalem Stratum III (EZ I, 1200–1000a) EZ I (1200–1000a) (Mitanni Common Style) Fayence Nackte Göttin (in klassischer Pose) verbunden mit zwei weiteren menschlichen Figuren, die verehrend vor dazwischen und darüber liegenden Symbolen stehen. Weiterhin sind vier Tiere abgebildet (zwei Capriden und zwei weitere Vierbeiner). Das Siegel ist sehr fein gearbeitet und gut erhalten.

vollständig, schwach abgenutzt H 27, U 48 Jerusalem, Rockefeller Museum, I.5877 Parker 1949, 123; Nougayrol 1939, LXXV

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Beth-Shemesh 3 Beth-Shemesh, ʿĒn Šems, Ḫ. er-Rumēle (1477.1286), 20 km w Jerusalem unter Stratum II (EZ I, 1200–1000a) EZ I (1200–1000a) (Mitanni Common Style) Ein horntragendes Tier (Capride/Antilope) neben drei übereinander gesetzten unklaren Objekten, daneben ein stark symmetrisch angepasster und stilisierter Baum, der ebenfalls einrahmende Funktion haben kann. Aber auch hier ist die szenische Aufteilung diskutierbar.

Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt H 23, U 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, I 8667 Parker 1949, 126; Nougayrol 1939, LVII; Brunner 2017, 31

Beth-Shemesh 7 Beth-Shemesh, ʿĒn Šems, Ḫ. er-Rumēle (1477.1286), 20 km w Jerusalem unbekannt SB (1500–1200a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Ein Verehrer vor einer Wettergottgestalt mit Blitzbündel (-gabel) und mit einem Stier als ­Attributtier, auf dem ein Fuß abgestellt ist. Sichelmond, Schutzschleife und ein weiteres Symbol sind zwischen den beiden Aktanten abgebildet.

H 21, U 34 Jerusalem, Rockefeller Museum, I. 5925 Nougayrol 1939, LXXXIII

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Beth-Zur 2 Beth-Zur, Ḫ. eṭ-Ṭubēqa (1590.1108), 30 km s Jerusalem, 6 km n Hebron Hellenistische Schicht (500/50a) EZ II/III Stark vereinfachte Linienführung, eine Vorlage ist nicht erkennbar, die Zuordnung zu bekannten Symbolen ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich. Möglicherweise Imitation von Astraldarstellungen.

Stein vollständig, schwach abgenutzt H 15, U 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, 31.75 Nougayrol 1939, CXLIX

ʿEn Besor 1 ʿEn Besor (1013.0795) im nw Negev, 2,5 km nnö T. el- Fārʿa Süd Stratum III, Raum B (2. Hälfte 1.Dyn., 3000–2800a) FB (3000–2800a) Steatit Eine menschliche Gestalt und ein Vierbeiner, stabähnliche Trennelemente und eventuell eine architektonische Struktur mit gewölbten Dachelementen.

vollständig, schwach abgenutzt H 19.5, D 9.5 Beth Shemesh, IAA Storage, 75.184 Gophna 1976, 1315, Fig. 1

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Gezer 1 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla Hellenistische Schicht unklar (mesopotamisch-babylonische Einflüsse?) Stein vollständig, schwach abgenutzt H 21, U 31

Sehr ungewöhnliche Darstellung eines geflügelten Mischwesens mit zwei Vogelköpfen im Zentrum, welches mit zwei Waffen ausgestattet ist. Zwei Attributtiere sind unterhalb der Flügel abgebildet (eines möglicherweise ein Hund?). Zwei weitere anthropomorphe Figuren rahmen die Szene, auch sie haben ähnliche Insignien in den Händen. Eine endgültige Zuordnung der Aktanten erweist sich als sehr komplex.

Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 466 Parker 1949, 191; Nougayrol 1939, CXVIII; Kull 2017, 49

Gezer 5 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 4. Semitische Schicht (1000– 550a), Grab 153 EZ (1200–600a) Objekt mit möglicherweise hethitisch/anatolischen Stilmerkmalen. Ein Tierkampf auf der linken Seite, eventuell eine Dominanzkonstellation (heroic encounter) mit einer anthropomorphen Figur zwischen zwei Tieren, zentral scheint eine Figur abgebildet zu sein, die aus einem großen Krug mittels eines langen Halmes eine Flüssigkeit zu sich nimmt.

Serpentinit vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 15, U 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 480 Parker 1949, 167; Nougayrol 1939, CXL

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Stratifizierte Bildsprache

Gezer 9 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 2. Semitische Schicht (1800–1400a) MB/SB (1800–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt Ein (Lebens-)Baum ist zentral dargestellt, eingerahmt von einer anthropomorphen Figur und einem schwer identifizierbaren (wohl vierbeinigen) Tier, daneben ein geometrisches Muster, das auch als beidseitige Rahmung (so in der vorliegenden Zeichnung) verstanden werden kann.

H 30, U 44 Jerusalem, Israel Museum, J. 468 Parker 1949, 34; Nougayrol 1939, LXI

Gezer 10 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 2. Semitische Schicht (mit Amenophis III. Skarabäus, 1800–1400a) MB/SB (1800–1400a) (Mitanni Common Style) Das Siegelbild kann in eine Haupt- und eine Nebenszene unterteilt werden (nach Abzug der Überlappung!). Eine kniende Figur, welche die linke Hand zu einem Baum führt; in der Nebenszene zwei hockende, horntragende Tiere mit gekreuzten Schwänzen, darüber und darunter je ein Flechtband.

Kalkstein vollständig, schwach abgenutzt H 28, U 38 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 471 Parker 1949, 59; Nougayrol 1939, LXV; Macalister 1912, II, 345, 10

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Gezer 11 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 4. Semitische Schicht (1000– 550a), evtl. unstratifiziert EZ (1200–600a) (Mitanni Common Style) Ton Ein im typischen Mitanni-Stil vereinfachter Baum/Strauch, daneben ein Hirsch.

leicht beschädigt, durchschnittlich abgenutzt H 21, U 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 465 Parker 1949, 117; Nougayrol 1939, LVII; Macalister 1912, II, 346, 23

Gezer 13 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 4. Semitische Schicht (1000/500a), evtl. unstratifiziert EZ I (1200–600a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt Siegelbild mit zwei (überlappende Zeichnung!) separaten Feldern. Eine anthropomorphe Figur neben einem zweiregistrigen Feld, welches oben mit einem Netzmuster gefüllt ist und im unteren zwei sehr ähnlich gestaltete Vögel abbildet.

H 19, U 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 476 Parker 1949, 118; Nougayrol 1939, XLVIII; Macalister 1912, II, 346, 24

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Stratifizierte Bildsprache

Gezer 14 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 3. Semitische Schicht (1400–1000a)

Zwei deutlich voneinander abgehobene Register: Eine Fischreihe oben, darunter ein geometrisches Kreuzmuster.

SB/EZ I (1400–1000a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 24 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 469 Parker 1949, 138; Nougayrol 1939, VIII; Macalister 1912, II, 346, 20a

Gezer 21 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 4. Semitische Schicht (1000– 550a), evtl. unstratifiziert EZ (1200–600a) Kompositmaterial Geometrisches Muster (grobes Rautennetz).

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 20, U 22 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 475 Parker 1949, 189; Nougayrol 1939, IX; Macalister 1912, II, 346, 29

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Gezer 34 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 2. Semitische Schicht (1800– 1400a), evtl. unstratifiziert MB (2000–1600a) (Mitanni Common Style) Reihe von Vögeln mit ausgebreiteten Flügeln (möglicherweise Enten). Jedoch ist bei dieser und ähnlichen Ausführungsarten grundsätzlich interpretatorische Vorsicht geboten. Die Tiere sind nicht im Detail ausgeführt. Sehr ähnliche Stücke wurden von Bleibtreu u. a. 1981, 9:1, ebenfalls als Vogeldarstellungen gedeutet. Diese entpuppten sich aber im Nachhinein als „pig tail“-Figuren (vgl. Asher 1985, Taf. V–VII, Nr. 53–150). Im vorliegenden Fall ist die Vogelinterpretation wahrscheinlicher, zugleich aber nicht unbestritten.

Blaue Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 478 Parker 1949, 33; Nougayrol 1939, XXVIII; Macalister 1912, II, Pl. 202b 4

Gezer 39 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 4. Semitische Schicht (1000– 550a), evtl. unstratifiziert EZ (1200–600a) Diorit vollständig, stark abgenutzt Durch die starke Abnutzung sind nur drei schemenhafte Umrisse von anthropomorphen Figuren erkennbar. Sie halten möglicherweise Insignien wie Stäbe oder Waffen in ihren Händen.

H 21, U 33 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 1094 Nougayrol 1939, XLVI; Macalister 1912, II, 346, 26

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Stratifizierte Bildsprache

Gezer 46 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla Schutt EZ (1200–600a) Kompositmaterial vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 26, U 32 Zwei einander zugewandte stehende Sphingen mit markant ausgearbeiteten Kopfpartien, wie sie mit guten Vergleichsbeispielen für die persische Zeit und Stilepoche charakteristisch nachweisbar sind.

Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 866 Parker 1949, 171; Nougayrol 1939, XXXVII; Macalister 1912, II, 346, 38

Gezer 52 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla unbekannt SB (1500–1200a) (Mitanni Common Style) Geometrisches Muster in Form eines rudimentären Flechtbandes, darunter eine Fischreihe.

Kompositmaterial vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 19 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 479 Parker 1949, 186

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Gezer 54 Gezer, T. el-G azari (1425.1407), 8 km sö Ramla 3. Semitische Schicht (1400–1000a) SB/EZ I (1400–1000a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Die Hauptszene zeigt zwei Verehrer (wahrscheinlicher: Würdenträger) symmetrisch einen Baum flankierend. Die Nebenszene zeigt zwei horntragende Tiere (wiederum mit sich berührenden Schwänzen) und darunter – von einem Flechtband abgetrennt, eine zweigähnliche Struktur.

vollständig, schwach abgenutzt H 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, J. 474 Parker 1949, 94; Macalister 1912, II, 346, Pl. 214:21

Ḥalif 1 T. Ḥālīf/T. el-Ḫuwēlife (1373.0879), N-Seite des Kibbuz Lahav, 15 km nnö von Beerscheba Phase 8 (FB) FB (3000–2000a) Rautennetzmuster.

Knochen vollständig, schwach abgenutzt H 27 Beth-Shemesh, IAA Storage, 87.1328 Seger et al. 1990

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Stratifizierte Bildsprache

Ḥazor 5 Ḥazor, T. el-Qedaḥ/T. Waqqāṣ (203.269), 9 km nö Zefat Areal H, Stratum 1a, Tempel, Raum 2113, mit einer größeren Anzahl Perlen und Muscheln (1300–1200a) SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 20, D 10.5 Beth-Shemesh, IAA Storage, 93.1810 Tierreihe, bestehend aus Hirschen mit vier­ endigem Geweih.

Yadin 1961, 321, 7; Beck 1989, CCCXXI, 7

Ḥazor 7 Ḥazor, T. el-Qedaḥ/T. Waqqāṣ (203.269), 9 km nö Zefat Areal H, Stratum 1a, Tempel, Raum 2113, mit einer größeren Anzahl Perlen und Muscheln (1300–1200a) SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 23.5, D 11.5 Beth-Shemesh, IAA Storage, 93.1813 Capridenreihe (steinbockähnlich aber ohne ­charakteristischen Kinnbart).

Yadin 1961, 321, 5; Beck 1989, CCCXXI, 5

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Ḥazor 12 Ḥazor, T. el-Qedaḥ/T. Waqqāṣ (203.269), 9 km nö Zefat Areal H, Stratum 1a, Tempel, Raum 2113, mit einer größeren Anzahl Perlen und Muscheln (1300–1200a) Tierreihe (capridenähnlich mit zurückgewandtem Kopf, jedoch untypisch langem Schweif und untypischer Position) mit einem kompakten Baum/Strauch. Die Grundlinie ist zu einem Fischgrätenmuster ausgearbeitet, ein darüber liegendes Register zeigt ein ornamentales Muster aus konzentrischen Kreisen und Verbindungslinien.

SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, stark abgenutzt H 26, D 13 Beth-Shemesh, IAA Storage, 93.1811 Yadin 1961, 320, 4; Beck 1989, CCCXX, 4

Ḥazor 16 Ḥazor, T. el-Qedaḥ/T. Waqqāṣ (203.269), 9 km nö Zefat Areal H, Stratum 1a, Tempel, Raum 2113, mit einer größeren Anzahl Perlen und Muscheln (1300–1200a) SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style) Doppelte Tierkampfszene, bei der je zwei anthro­ pomorphe Figuren ein in der Mitte aufgerichtetes Tier kontrollieren und lädieren.

Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 29.5, D 13 Beth-Shemesh, IAA Storage, 93.1809 Yadin 1961, 319, 4; Beck 1989, CCCXIX, 4

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Stratifizierte Bildsprache

Ḥazor 18 Ḥazor, T. el-Qedaḥ/T. Waqqāṣ (203.269), 9 km nö Zefat Areal B, Stratum Va, Locus 3090, The Citadel (2. Hälfte 8. Jh.a) EZ II (2. Hälfte 8. Jh.a) Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 27 Dreifigurige Szene mit mindestens zwei Bewaffneten, eine dritte Person ist mit einem Axtsymbol assoziiert. Zwischen den Aktanten sowie in ihrem Umkreis eine Schlange, ein Sonnensymbol, ein Bukranion sowie ein Laufvogel.

Beth-Shemesh, IAA Storage, 93.1825 Yadin 1958, II, Pl. CLXII:2

Ḥazor 21 Ḥazor, T. el-Qedaḥ/T. Waqqāṣ (203.269), 9 km nö Zefat unbekannt nicht bestimmbar Kompositmaterial Rautennetzmuster.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 13 Beth-Shemesh, IAA Storage, 93.1829 unpubliziert

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Kabri 1 Kabrī/Kabri (1632.2681), 6 km nö Naharīyā Schicht des 18. Jh.a MB?, nicht zweifelsfrei bestimmbar (Mittelsyrisch?) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt H 21 Detailreich und kunstfertig ausgestaltete Szene von drei hochstehend gekleideten Männern, zwei von ihnen in Verehrung eines Sternsymbols mit einem Altar auf Höhe des Unterkörpers. Die dritte Person hält einen Zweig in der Hand, zwischen ihr und dem rechten Verehrer ist ein ägyptisches Henkelkreuz (Lebenssymbol) eingeschoben. Zwei Vögel im Flug (Greifvögel oder Tauben) sind durch ein sehr gleichmäßiges Knotensymbol voneinander getrennt.

Beth-Shemesh, IAA Storage, 00.3698 Kempinski et al. 2002, 344, Fig. 9.12

Kabri 2 Kabrī/Kabri (1632.2681), 6 km nö Naharīyā Areal D, Locus 603 (MB) MB (1700–1550a) Serpentinit Gefangenenreihe, die Körperhaltung erklärt sich aus der hockenden Position mit hinter dem Rücken zusammen gebunden Händen.

vollständig, schwach abgenutzt H 13, D 11 Beth-Shemesh, IAA Storage, 00.3700 Kempinski et al. 2002, 341, Fig. 9.8; IPIAO 1, 186

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Stratifizierte Bildsprache

Keisan 2 T. Keisan/T. Kison (164.253), 10 km sö Akko Niveau 4A (600–580a) EZ II/III (700–500a) Schwer interpretierbares Linienmuster (Imitation einer ausführlicheren Vorlage?); unklare Konstellation.

Ton leicht beschädigt, schwach abgenutzt H 21, D 12 Beth-Shemesh, IAA Storage, 79.346 Briend/Humbert 1980, 258, Pl. 88:2

Lachish 1 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Grab 4004 (1550–1250a) SB (1550–1250a) (Zypriotischer Common Style) Steatit vollständig, durchschnittlich abgenutzt Im zypriotischen „common style“ ausgeführte Siegeldekoration mit einem Capriden und einer anthropomorphen Figur, ein weiterer horntragender Vierbeiner ist zwischen ihnen dargestellt.

H 17 Jerusalem, Rockefeller Museum, 38.56 Tufnell 1958, 35, 163; Parker 1949, 149; Kull 2017, 45 f.

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Lachish 2 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Grab 4004 (1550–1250a) SB (1550–1250a) (ZyproMitanni Common Style) Diorit Schematisch stilisierte Reihe von vier Personen (Überlappung!) mit dem rechten, erhobenen Arm in grüßendem/verehrendem Gestus.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 22 Jerusalem, Rockefeller Museum, 38.54 Tufnell 1958, 35, 165; Parker 1949, 150; Kull 2017, 53

Lachish 3 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Grube 136, Struktur III, Tempel (1325–1223a) SB (1325–1223a) (Mitanni Common Style) Ein stilisiertes florales Muster mit konzentrischen Kreisen sowie eine vertikale Reihung von drei ägyptischen Hieroglyphen/Symbolen: Leben, Schönheit und Horusfalke (mit Königsgeißel im Flügel eingesteckt).

Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 21, D 9 Jerusalem, Rockefeller Museum, 33.1960 Tufnell 1940, 33, 53; Parker 1949, 24; Salje 1990, 182

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Stratifizierte Bildsprache

Lachish 9 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Raum E, Struktur III, Tempel (1325–1223a) Hirsch- oder Capridenreihe (die beiden Tiere sind je unterschiedlich ausgeführt) in vertikaler Anordnung.

SB (1325–1223a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 20 Jerusalem, Israel Museum, 34.7733 Tufnell 1940, 33, 50; Parker 1949, 89

Lachish 11 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Grab 4004 (1550–1250a) SB (1550–1250a) Steatit vollständig, schwach abgenutzt H 25 Eine anthropomorphe Figur, zwei Vierbeiner (ein Rind und ein horntragendes Mischwesen); beide haben den Blick nach vorne gerichtet; darüber ein liegendes kleineres Tier, das aber nur rudimentär umgesetzt und damit nicht kategorisierbar ist.

Jerusalem, Israel Museum, 38.55 Tufnell 1958, 34, 164; Parker 1949, 151

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Lachish 13 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Struktur III, Tempel (1325–1223a) Die Mantelfläche ist in zwei Hauptfelder aufgeteilt. In einem ist eine anthropomorphe Figur mit ausgebreiteten Armen erkennbar. Im anderen sind zwei Wasservögel auf einem Rautennetzmuster abgebildet.

SB (1325–1223a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt H 20 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.7692 Tufnell 1940, 33, 48; Parker 1949, 106

Lachish 14 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Gruppe 181, Struktur III, Tempel (1325–1223a) SB (1325–1223a) (Mitanni Common Style) Fayence Klassische Komposition von zwei horntragenden Tieren (Capriden/Antilopen) an einem großen stilisierten (Lebens-) Baum. Beide Tiere blicken ins Zentrum, sind aber im Detail nicht identisch gestaltet. Der Szenentrenner ist deutlich ausgearbeitet.

vollständig, schwach abgenutzt H 30 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.7691 Tufnell 1940, 33, 43; Parker 1949, 105

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Stratifizierte Bildsprache

Lachish 26 Lachish, T. ed-Duwēr (1357.1083) in der Schefela, 40 km sw Jerusalem Tempel MB (1800–1600a) (Altbabylonisch) Ausführliche Konstellation von einem Wulstsaummantelträger, der vor einem sitzenden Hochgott ein Opfertier präsentiert. Zwischen ihnen ist ein Astralsymbol mit Mondsichel zu erkennen. Ein weiterer Gefolgsmann, in der Zeichnung auf der anderen Seite platziert, gehört wahrscheinlich mit in diesen Präsentationszug. Die Nebenszene stellt zwei sich anblickende, geflügelte Sphingen dar sowie den Angriff eines Löwen auf einen Capriden/Steinbock. Beide Register werden durch ein ausgeglichenes Knotenmotiv getrennt. Zweig und stilisiertes Lebenskreuz sind zudem zwischen den beiden menschlichen Aktanten sichtbar.

Hämatit leicht beschädigt, schwach abgenutzt H 24, D 13 Jerusalem, Israel Museum, 36.2268 Tufnell 1940, 74, Pl. 33:52; Parker 1949, 174

Megiddo 2 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Grab 877 (SB [1350–1150a]) SB (1350–1150a) Serpentinit Rind/Stier mit zwei Handsymbolen sowie ein horntragendes Tier (Capride) mit einem nicht genauer deutbaren Symbol am Hinterhuf. Ein (geflügelter) Greif ist darüber eingebracht und scheint auf die Szene herabzustürzen. Gleichwohl muss die direkte Bezogenheit der einzelnen Ikoneme in Frage gestellt werden. Eine Syntax lässt sich aus den einzelnen Elementen nicht erheben.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 18 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.1617 Parker 1949, 163

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Megiddo 3 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Quadrat T 19, Feld 1683, unstratifizierter Schutt MB/SB (1600–1200a) (Mitanni Elaborate Style) Blaue Fayence Ein ausführliches und schön geschnittenes Siegel vollständig, schwach abgenutzt im elaborierten Mitanni-Stil. Hauptszene sind H 30, D 15 die Capriden am Baum, unter dem direkt ein Gesicht und ein Fischsymbol (?) eingraviert wurJerusalem, Israel Museum, I den. Darunter der liegende Stier, der zusammen 3575 mit dem Hirsch und dem Löwen eine kleine AbParker 1949, 128; Guy 1938, folge bildet. In der Nähe von Stier und Löwe be182, Pl. 176:3; Brunner 2017, 36 finden sich eine geflügelte Sphinx, ein isolierter Capridenkopf und ein Handsymbol (eventuell aber auch pflanzlich zu deuten). Die nackte Göttin ist ebenso auf dem Siegelbild präsent wie eine Adorantenfigur, welche die Hände erhebt – mutmaßlich in Richtung eines darüber erscheinenden Astralsymbols, das wie eine Rosette sichtbar wird. Ein isoliertes konzentrisches Kreissymbol oberhalb des rechten Capriden könnte als Füllelement angebracht worden sein, jedoch wäre ein solches dann auch auf der anderen Seite zu erwarten.

Megiddo 9 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Stratum 5 (1050–1000a) Das Siegel zeigt eine anthropomorphe Figur, halbkniend vor einem Baum. Daneben sind zwei Hirsche/Antilopen Rücken an Rücken (verschmolzen) mit zurückgewandtem Kopf erkennbar.

EZ I (1050–1000a) (Mitanni Common Style) Fayence leicht beschädigt, durchschnittlich abgenutzt H 30 Jerusalem, Rockefeller Museum, 36.960 Lamon/Shipton 1939, 72:16; Parker 1949, 125

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Stratifizierte Bildsprache

Megiddo 11 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Grab 877, Kammer B (Ramses II. [1279–1213a]) Das Siegel zeigt eine Reihe großer Vögel, möglicherweise Strauße, aber auch Wasservögel wären nicht auszuschließen. Entsprechende Vogelreihen sind typisch für die Mitanni-Glyptik in Palästina/Israel.

MB/SB (1600–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 18, D 9 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.1612 Parker 1949, 116; Guy 1938, 182, Pl. 95:33; Brunner 2017, 36

Megiddo 15 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Level 5 (EZ I–II A, 1050–1000a) EZ I (1200–1000a) Hämatit Ägyptische Endlosprozession mit einem sitzenden Gott, mehreren Standarten (zwei gleichförmige und eine eher untypische mit mondähnlichen Elementen?), einem Schakalsgott auf einer Standarte (Anubis oder Wepwawat), mindestens fünf Trägerfiguren und zwei anbetend Niederknieenden. Über den letztgenannten ist ein Kasten, ähnlich einer Götterlade erkennbar.

vollständig, schwach abgenutzt H 25, D 8 Jerusalem, Rockefeller Museum, 36.925 Lamon/Shipton 1939, 148, Pl. 66:3; Parker 1949, 29; IPIAO 3, 641

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Megiddo 16 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Level 14 (1850–1800a) Stark vereinfachte Darstellung einer anthropomorphen Figur, die mit einem langen, schwer entschlüsselbaren Objekt oder Lebewesen verbunden ist. Im oberen Bereich des Siegels scheint ein horntragendes Tier erkennbar zu sein.

MB (1850–1800a) Knochen vollständig, schwach abgenutzt H 26 Jerusalem, Rockefeller Museum, 39.562 Loud 1948, 160:2

Megiddo 32 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Stratum 7 (1350–1150a) SB (1500–1400a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, schwach abgenutzt Im oberen Register eine doppelte Fischreihe, im unteren Register eine entgegengesetzt orientierte Horntierreihe (Capriden, Antilopen).

H 26, D 13.5 Jerusalem, Israel Museum, 36.1896 Loud 1948, 161:12; Parker 1949, 97

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Stratifizierte Bildsprache

Megiddo 33 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Stratum 6 (EZ I, 1150–1100a) SB (1500–1400a) (Mitanni Common Style) Fayence Zwei (hirschähnliche) Tiere mit langen Hörnern, die bei kontinuierlicher Abrollung von einem netzförmig ausgestalteten Feld eingerahmt werden.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 24 Jerusalem, Rockefeller Museum, 36.1990 Loud 1948, 161:19; Parker 1949, 124

Megiddo 34 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Stratum 10 (1650–1550a) MB (1650–1550a) Stein Äußerst eigenwillige und in der Art einzigartige Ausführung einer recht unproportional dargestellten anthropomorphen Figur (männlich, ohne Haare?), die möglicherweise einen Bogen in den Händen hält. Die gesamte Szene ist durch dreieckige Figurenelemente in unterschiedlichen Größen ungleichmäßig ausgefüllt.

vollständig, schwach abgenutzt H 32 Jerusalem, Rockefeller Museum, 38.941 Loud 1948, 160:5; Parker 1949, 133

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Megiddo 36 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Grab 217 A (SB) SB (1550–1200a) Lapislazuli Zwei nicht vollkommen identische, mit wertvollem Ornat bekleidete, anthropomorphe Figuren (einmal mit und einmal ohne Schwert); zwischen ihnen drei unterschiedliche Darstellungen von horntragenden Tieren. Die beigegebene Inschrift, sie ist wohl auf der rechten Seite von den Figuren zu denken, lautet: „O Marduk, großer Herr, gnädiger Gott, Herr des Himmels und der Erde“ (… ein Eigenname folgt).

leicht beschädigt, schwach abgenutzt H 30 Jerusalem, Rockefeller Museum, I.3488 Guy 1938, Pl. 90:8; Parker 1949, 3

Megiddo 37 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Flechtmuster.

Grab 877, Kammer A (1400–1200a) SB (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Fayence vollständig, stark abgenutzt H 24 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.1556 Guy 1938, 182, Pl. 94:3; Parker 1949, 87; Brunner 2017, 36

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Stratifizierte Bildsprache

Megiddo 38 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Grab 912, Kammer B (1350–1150a) SB/EZ I (1350–1150a) (Mitanni Common Style) Im Zentrum steht ein Löwe, über dem ein Flechtmuster mit sechs Kugeln eingraviert ist. Das Zentrum wird von zwei nach außen blickenden Männerfiguren gerahmt, ein stilisierter Baum kann als Szenentrenner interpretiert werden. Diese Komposition ist in der Mitanni-Glyptik weit verbreitet. Parallelen lassen sich in Nuzi und in der Südlevante aufweisen.

Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 16, D 8 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.1984 Guy 1938, 131: 15; Parker 1949, 108; Brunner 2017, 36

Megiddo 40 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Grab 1100 C (SB [1500–1350a]) SB (1500–1350a) (Zypriotischer Common Style) Serpentinit Schwer zu deutende Szene mit einer anthropomorphen Figur, die den rechten Arm erhoben hat. Weiterhin sind mehrere kugelförmige Strukturen, Vierbeiner mit und ohne Hörner (?) sowie eine stilisierte Mondsichel zu erkennen.

vollständig, stark abgenutzt H 17 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.2196 Guy 1938, 148:1; Parker 1949, 148; Kull 2017, 46

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Florian Lippke

Megiddo 41 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Grab 1145 (1500–1350a) SB (1550–1400a) (Mitanni Common Style) Diese „Männerreihe“ gehört zur Gattung der im common style der Mitanni-Glyptik häufig verwendeten Reihung. Sie kommt sowohl in Nuzi als auch in der Südlevante vor.

Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, 34.2396 Guy 1938, 152:5; Parker 1949, 32; Brunner 2017, 36

Megiddo 44 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Stratum 12 (1750–1700a) MB (1750–1700a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Zweifeldrige Darstellung mit einem schmalen, hohen Feld und einem breiten, welches in drei Register unterteilt ist. Das schmale Feld zeigt zwei Skorpione und eine Blumendarstellung (für eine Handdarstellung wäre die Umsetzung sehr ungenau). Das breite Feld zeigt zwei Reihen von Vögeln (möglicherweise Tauben) und im unteren Register erneut die Pflanzensymbolik des schmalen Feldes.

H 18 Jerusalem, Rockefeller Museum, o. Reg. Loud 1948, 160:3

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Stratifizierte Bildsprache

Megiddo 45 Megiddo, T. el-Mutesellim (1675.2212) in der JesreelEbene, 10 km wsw ʿAffūle/ ʿAfula Quadrat K 8, Rand des Tells MB/SB (1700–1350a) (Second Syrian Group) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt Ausführliche Umsetzung der „zentralen Ikone“ H 21 der Mittelbronzezeit: Die sich entschleiernde Göttin (an zweiter Position links) trifft auf den Jerusalem, Israel Museum, Wettergott (ganz rechts). Dieser ist an seinem 36.1984 kurzen Schurz sowie der Haarlocke, der erhobeLoud 1948, 161:21 nen Waffe und dem mitgeführten Stier erkennbar. Zwei Figuren sind der Szene beigesellt. Einerseits eine grüßende anthropomorphe Figur mit hörnerähnlichem Kopfaufsatz und einem Lebenszeichen in der Hand. Andererseits der Fürst im Wulstsaummantel, der grüßend auf die Göttin zuschreitet. An weiteren Symbolen sind ein weiteres Lebenszeichen, eine zweiphasige Monddarstellung und darunter ein Fischsymbol sowie drei Bukranien zu erkennen. Die Position des Fürsten ist nicht auf den ersten Blick einleuchtend. Möglich ist, dass hier eine dreidimensionale Szene auf zwei Dimensionen verkürzt wurde und somit auf eine Ebene projiziert wurde. Die beigesetzen Figuren stehen vielleicht in einem weiteren Kreis um die Zweierkonstellation herum. Finale Lösungsansätze sind aber noch nicht systematisch diskutiert worden.

Mor 2 T. Mor, 7 km nw von Ashdod unstratifiziert SB (1300–1200a) (Mitanni Common Style?) Fayence vollständig, durchschnittlich abgenutzt Die lineare Darstellung zeigt eine Figurenreihe mit drei Personen und zwei Standarten. Die Gestik der Figuren und der Ausführungsstil ähneln den Grundsätzen, die auch in der zypriotischen Glyptik dokumentiert sind.

H 18, D 7.5, U 22 Beth-Shemesh, IAA Storage, 60.1155 Brandl 2007, 202 f., No. 10; Brunner 2017, 37

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Motza ʿIllit 1 Motza ʿIllit, wenige Kilometer westlich der heutigen Neustadtgrenze von Jerusalem Grab (spätrömisch) MB (1750a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt In der Hauptszene drei anthropomorphe Figuren H 18, D 11.5, U 36.5 mit unterschiedlichen Insignien (Stäbe, Zepter), Beth-Shemesh, IAA Storage, die sich begegnen und aufeinander bezogen sind. 92–1127 Die Nebenszene zeigt eine Capridendarstellung (mit einem zusätzlichen displatzierten CapriBrandl 1996, 9–14, Fig. 3–5 denkopf?) und einen Raubvogel, beide Tierikoneme sind durch ein einfaches Knotenflechtband getrennt. Die Auffindung eines mittelbronzezeitlichen Siegels in einer spätrömischen Grabhöhle kann als wichtiger Anhaltspunkt für Langzeittraditionen in der südlichen Levante genutzt werden. Ikonographische Konstellationen sind über mehrere Jahrtausende in Gebrauch und werden „verwendet“.

Naṣbeh 1 T. en-Naṣbeh (1706.1436), 12 km nw Jerusalem Grab 54 (10. Jh.a) EZ I/II (10. Jh.a) (Mitanni Common Style) Fayence Anthropomorphe Figurenreihe. Die männlichen Darstellungen tragen lange Gewänder und eine spitzzulaufende Kopfbedeckung. Sie halten die Hände im Gebetsgestus erhoben; zwischen den Köpfen befinden sich jeweils Kreise mit konzentrischen Linien vervielfacht.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 28 Jerusalem, Rockefeller Museum, 35.3138 Parker 1949, 119; Brunner 2017, 38

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Stratifizierte Bildsprache

Ṣafi 2 T. eṣ-Ṣāfī/T. Ẓafit (1359.1237), 20 km osö Ashdod unstratifiziert SB, 18. Dyn. (1550–1300a) Kompositmaterial vollständig, durchschnittlich abgenutzt Zwei falkenköpfige Figuren, eine Maʿat Feder als Symbol der Gerechtigkeit, eine Uräus-Schlange und ein zepterförmiger Gegenstand.

H 21, U 30 Jerusalem, Rockefeller Museum, J 467 Parker 1949, 23; Nougayrol 1939, CXXXVI; Salje 1990, 183

Samaria/Sebaste 2 Samaria/Sebaste (168.187), 10 km nw Shechem Oberhalb der südlichen Wand eines israelitischen Turms (8.–7. Jh.a) EZ II (800–600a) Steatit zu ca. 1/3 beschädigt, schwach abgenutzt

Fragmentarisch erhaltenes Siegel, dessen MantelH 38 fläche komplett mit Keilschrift bedeckt gewesen ist. Eine sinnhafte Übersetzung ist wegen des Jerusalem, Israel Museum, I Erhaltungszustandes nur schwer beibringbar. 10645 Zugleich stellt dieser Beleg ein wichtiges Indiz für Parker 1949, 5 den Amulettcharakter solcher Zylindersiegel dar: Die Keilschrift ist nur auf dem Originalobjekt mit lesbaren Keilen graviert. Es wurde also nicht spiegelbildlich gearbeitet, um eine lesbare Abrollung zu erhalten. Folglich war das Objekt eher zum getragen werden als für den eigentlichen Siegelvorgang geschaffen. Es hat also klar Amulettfunktion und weniger Administrativfunktion.

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Shechem 5 Shechem, T. Balāṭa (1768.1800), 50 km n Jerusalem Temenos MB, Hyksos-Periode (1650–1550a) Stein Imitation eines ägyptischen Schriftbands mit unterschiedlichen Falkendarstellungen, hieroglyphischen Formen, Pseudohieroglyphen und einer nicht genauer deutbaren Knotenstruktur.

vollständig, schwach abgenutzt H 18 Jerusalem, Rockefeller Museum, I. 743 Parker 1949, 22; Rowe 1940, 14, Pl. 26

Shechem 7 Shechem, T. Balāṭa (1768.1800), 50 km n Jerusalem Haus der Blinden (SB) MB/SB (1600–1200a) (Zypriotischer Common Style) Basalt Schlecht erhaltene Gravur auf der Mantelfläche. Möglicherweise eine Jagd- oder Ackerszene, bei der eine anthropomorphe Figur (in rudimentären Linien) mit einem Vierbeiner assoziiert ist. Eine genauere Deutung erlaubt der Erhaltungszustand nicht.

vollständig, stark abgenutzt H 17 Jerusalem, Rockefeller Museum, I. 928 Parker 1949, 158; Kull 2017, 47

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Stratifizierte Bildsprache

Shechem 8 Shechem, T. Balāṭa (1768.1800), 50 km n Jerusalem Haus der Blinden (SB) MB/SB (1600–1200a) (Mitanni Common Style) Stein vollständig, schwach abgenutzt Vogelreihe mit Baumelement unter einem Flechtband.

H 30 Jerusalem, Rockefeller Museum, I. 742 Parker 1949, 111

Shechem 10 Shechem, T. Balāṭa (1768.1800), 50 km n Jerusalem unbekannt nicht genauer bestimmbar Steatit vollständig, stark abgenutzt Schlecht erhaltene Gravuren mit länglichen Elementen und möglicherweise einer aufrecht stehenden anthropomorphen Figur. Genauere Interpretationen sind ohne besser erhaltene Vergleichsstücke nicht möglich.

H 23 Jerusalem, Rockefeller Museum, I. 747 unpubliziert

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Florian Lippke

Shechem 11 Shechem, T. Balāṭa (1768.1800), 50 km n Jerusalem unbekannt nicht genauer bestimmbar Blaue Fayence Drei Felder mit rudimentärer Andeutung eines Löwen und zweier anthropomorpher Gestalten. Möglicherweise trägt einer der beiden eine Waffe oder ist mit einem Stab bzw. einer Standarte assoziiert.

vollständig, stark abgenutzt H 20, D 9 Jerusalem, Rockefeller Museum, I. 745 unpubliziert

Timnah Nord 1 Timnah Nord, T. el-Bāṭāši/ T. Bāṭāš (1417.1325), 7 km nw Beth-Shemesh Stratum VI–V (1300–1200a) SB (1400–1200a) Hämatit vollständig, schwach abgenutzt H 22, D 11 Ein Rind, ein hortragendes Tier (Capride?) und ein Mischwesen in einer Tierreihe abgebildet. Zwei längliche Objekte sind zwischen den Tieren sichtbar (Dolch? und Strauch?). Darüber ein Raubvogel mit gespreizten Flügeln und ein kleinerer Vierbeiner (vermutlich ein Löwe).

Beth-Shemesh, IAA Storage, 07.3678 Kelm/Mazar 1982, Fig. 15; Mazar 2006, photo 100

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Stratifizierte Bildsprache

Timnah Nord 2 Timnah Nord, T. el-Bāṭāši/ T. Bāṭāš (1417.1325), 7 km nw Beth-Shemesh Stratum VII (14. Jh.a) SB, Amarna-Zeit (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial Von einem markanten Szenentrenner rhythmisiert eine Szene mit drei Elementen: Ein stilisierter (Lebens-)Baum, eine sitzende Person, welche die Hand in Richtung des Baums ausstreckt und ein Vierbeiner mit langen Hörnern (Capride/ Antilope).

leicht beschädigt, schwach abgenutzt H 33, D 13 Beth-Shemesh, IAA Storage, 07.481 Mazar 2006, 50:4; Brunner 2017, 39

Timnah Nord 3 Timnah Nord, T. el-Bāṭāši/ T. Bāṭāš (1417.1325), 7 km nw Beth-Shemesh Stratum VII (14. Jh.a) SB, Amarna-Zeit (1400–1200a) (Mitanni Common Style) Kompositmaterial In der Hauptszene zwei anthropomorphe Figuren (Würdenträger) um einen Baum; in der Nebenszene zwei horntragende Tiere über einem komplexeren doppelten Kreuz-Kugelmuster mit konzentrischen Kreisen.

vollständig, schwach abgenutzt H 26, D 12 Beth-Shemesh, IAA Storage, 07.482 Mazar 2006, 50:5; Brunner 2017, 39

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Florian Lippke

Timnah Nord 4 Timnah Nord, T. el-Bāṭāši/ T. Bāṭāš (1417.1325), 7 km nw Beth-Shemesh Stratum VII (14. Jh.a) SB, Amarna-Zeit (1400–1200a) Kompositmaterial Möglicherweise eine Bundesszene an einer Standarte/Zepter. Weiterhin ein Hirsch mit eigenwilligen Proportionen auf dem eine Person laufend dargestellt ist. Die kreisrunde Struktur vor der Person ist nicht mit Sicherheit zu deuten.

vollständig, durchschnittlich abgenutzt H 21, D 10 Beth-Shemesh, IAA Storage, 07.483 Mazar 2006, 50:6

Timnah Nord 5 Timnah Nord, T. el-Bāṭāši/ T. Bāṭāš (1417.1325), 7 km nw Beth-Shemesh Stratum VII B (14. Jh.a) SB, Amarna-Zeit (1400–1200a) Kompositmaterial vollständig, schwach abgenutzt Aus dieser lokal-kanaanäischen zweifeldrigen Manteldarstellung ergibt sich bei Abrollung möglicherweise je eine dreifeldrig zu interpretiernde Komposition (?); zentral eine würdevoll sitzende Person sowie eine schreitende Person davor. Das weitere Feld stellt einen Vierbeiner (mit hoher Wahrscheinlichkeit: Capride) und einen Zweig dar. Diese Feldkombination ist in ähnlicher Form hinreichend aus der Stempelsiegelglyptik der Mittelbronzezeit II überliefert.

H 18, D 8 Beth-Shemesh, IAA Storage, 07.485 Mazar 2006, 50:8

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Stratifizierte Bildsprache

Timnah Nord 6 Timnah Nord, T. el-Bāṭāši/ T. Bāṭāš (1417.1325), 7 km nw Beth-Shemesh Stratum VII (14. Jh.a) SB, Amarna-Zeit (1400–1200a) (Zypriotischer Derivative Style) Chlorit vollständig, schwach abgenutzt Lebensbaum, nach links gewandter Capride/ Steinbock? und eine anthropomorphe Figur (bei Beachtung des Szenentrenners!) in einer nicht-symmetrischen Komposition.

H 21, D 9 Beth-Shemesh, IAA Storage, 07.484 Mazar 2006, 50:7; Kull 2017, 41

Yinʿam 4 T. Yinʿam/T. en-Nāʿam (1982.2354), 9 km ssw Tiberias Oberflächenfund nicht genauer bestimmbar Fayence vollständig, schwach abgenutzt H 20, D 10 Ungewöhnliche Darstellung einer anthropomorphen Figur in der Mitte, welche nach links orientiert zu sein scheint. Ein „Fünf “beiner (Capride oder Pferd) erscheint – sich aufbäumend – links, um die Figur herum Leiterelemente und Blüten sowie ein Stern.

Beth-Shemesh, IAA Storage, 77.194 Liebowitz/Dering 2003, 203 f., Photo 9:11

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Florian Lippke

Yinʿam 6 T. Yinʿam/T. en-Nāʿam (1982.2354), 9 km ssw Tiberias unbekannt EZ III, Persischer Stil Karneol vollständig, schwach abgenutzt H 20 Zwei geflügelte Steinböcke flankieren ein zentrales sonnenähnliches Symbol, das zugleich wie ein Lebensbaum (mit den Ranken des ägyptischen Emblems der Reichseinigung) stilisiert wurde. Das Bild der Capriden am Lebensbaum wird in einer persischen Interpretation vorgestellt. Ein markanter Szenentrenner ist im Rücken der Capriden beigegeben.

Beth-Shemesh, IAA Storage, 77.193 unpubliziert

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Stephan Lauber

Das Kultbild des salomonischen Tempels Zum Beitrag der Ikonographie bei der Spurensuche

Nach dem Bericht in 1 Kön 6–7 (par 2 Chr 3–4) über die Errichtung und Ausgestaltung des Jerusalemer Tempels durch Salomo war das Allerheiligste im hintersten Teil des Langraums ein kubischer Schrein (‎‫)דביר‬, in dem zwei vergoldete Keruben standen, deren innere Flügel sich berührten und so einen Thronsitz bildeten. Dieser Kerubenthron war so konstruiert, dass darunter die Bundeslade mit den Tafeln des Mose abgestellt werden konnte,1 die Salomo laut 1 Kön 8,1–9 in feierlicher Prozession dorthin überführen ließ. Ein materiales Kultbild gab es demnach im salomonischen Tempel nicht – die Konstruktion im Allerheiligsten war vielmehr die Inszenierung eines Gedankenbilds von JHWH als dem unsichtbar in seinem Heiligtum anwesenden „Kerubenthroner“2.

1. Bildlosigkeit als Anachronismus? Die Angaben des stark deuteronomistisch redigierten Texts halten verschiedene Autoren für vollkommen anachronistisch und sehen darin eine Rückprojektion der Verhältnisse im nachexilischen Tempel:3 Nach dem Verlust der ursprünglichen Kultstatue und der so erzwungenen Bildlosigkeit der JHWH-Verehrung sei diese neue Kultpraxis entgegen der geschichtlichen Realität in bereits salomonischer Zeit verankert worden. Dezidiert beschreibt etwa Oswald Loretz die Neuinterpretation 1

2 3

Den Angaben in der wohl ursprünglicheren Fassung von 3 KönLXX 6,16–17 zufolge war dagegen für die Bundeslade ein eigener kapellenartiger Seitenraum (τὸ πλευρόν) vorgesehen, der nach dem Verlust der Lade im nachexilischen Tempel überflüssig wurde, was sich in der Darstellung des MT niederschlägt, vgl. Küchler 2007, 129; Keel 2007, 292–293. Vgl. zur Verbindung des Gottesepithetons ‫ם‬ ‎ ‫ ישב הכרבי‬in 1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2; 2 Kön 19,15 par Jes 37,16; Ps 80,2; 99,1; 1 Chr 13,6 mit den salomonischen Tempelkeruben etwa Keel 1993, 470; Keel 2007, 294; Schroer 2018, 111. Vgl. etwa Niehr 1997, bes. 91–95; Niehr 2003, 235–238; Uehlinger 1997, 148–149; Uehlinger 1998b, 1568; Köckert 2007, 288–290; Römer 2018, 170–176; außerdem Knauf 2016, 251–254, der in der Beschreibung der Dekorationselemente in 1 Kön 7 erst perserzeitliche Verhältnisse gespiegelt sieht.

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Stephan Lauber

der Art, wie Gott in seinem Tempel gegenwärtig ist, als wesentliches Element des „Paradigmenwechsels“, d. h. des völligen Umbruchs der JHWH-Verehrung und der sie tragenden Vorstellungen und Institutionen, bei der Entstehung des nachexilischen Judentums: An die Stelle der anthropomorphen JHWH-Statue tritt die abstrakte Vorstellung von der Gegenwart Gottes in Gestalt seines ‫„ שם‬Namens“ (deuteronomisch-deuteronomistische Theologie) bzw. seiner ‫„ כבוד‬Herrlichkeit“ (Ezechiel und Priesterschrift).4 Ein Hauptargument für diese Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung besteht im Analogieschluss: Weil der Tempelgottesdienst im gesamten Alten Orient fast ausnahmslos in der Verehrung anthropomorpher oder theriomorpher Kultbilder bestanden habe, deren Speisung den zentralen kultischen Akt darstellte, wird diese Praxis selbstverständlich auch für Jerusalem im 1. Jtsd. v. Chr. vorausgesetzt5 – zumal der Staatskult des Nordreichs Israel diesbezüglich keine Ausnahme bildete. Die Hinweise auf die Existenz von JHWH-Bildern im offiziellen Kult6 dort wurden häufig dargestellt und diskutiert:7 Die zentrale biblische Quelle ist die Überlieferung in 1 Kön 12,28–32, wonach Jerobeam I. nach der Reichsteilung das alte Heiligtum von Bet-El zum Staatstempel seines Herrschaftsgebiets machte und dort, wie auch an einem Kultplatz in Dan, eine Stierskulptur (‫[ שני עגלי זהב‬V. 28]) aufstellen ließ, die als bildliche Darstellung JHWHs verehrt wurde. Historische und literaturgeschichtliche Gründe sprechen dafür, dass hier eine Maßnahme Jerobeams II., unter dessen Herrschaft beide Städte erst zum Territorium Israels gehörten, durch einen deuteronomistischen Redaktor ins 10. Jh. übertragen wurde. Die Rückprojektion sollte die israelitische Kulttradition als von Anfang an korrupt und daher für den Untergang des Nordreichs entscheidende „Sünde Jerobeams“ (vgl. 2 Kön 17,21–23 u. ö.; außerdem Ex 32)

Vgl. v. a. den posthumen Sammelband Loretz 2015, bes. 1–37.72–130.169–259.323–552.561–564, der eine Summe der Forschungen des Verfassers zum Thema seit den 1990-er Jahren vorlegt (vgl. die bibliographischen Angaben Loretz 2015, 660–663). 5 Vgl. dezidiert Niehr 2003, 231–232. 6 Die zahlreichen archäologischen Funde bildlicher Darstellungen von Göttern, Göttinnen und Göttersymbolen aus dem eisenzeitlichen Palästina gehören ganz überwiegend dem familiären Hauskult an, der allerdings in einem „osmotischen Austausch“ (Keel/Uehlinger 62010, 471) mit der offiziellen Religion stand. Eine spezifische JHWH-Ikonographie lässt sich dabei nicht belegen – die dafür mitunter als Belege erwogenen Funde sind zu uneindeutig (vgl. etwa zur Zeichnung auf Pithos A aus Kuntillet ʿAgˇrud Keel/Uehlinger 62010, 244–252; Uehlinger 1997, 142–146; Schroer 2018, 502; zum Kultmodell im BIBEL+ORIENT Museum Freiburg i. Ue. [Katalognummer: VFig 2000.11] Jeremias 1993; Uehlinger 1997, 149–151; Niehr 2003, 234; zur „Jehud-Drachme“ [BM TC,p242.5.Pop] Edelman 1995; Blum 1997, 17–25). Allerdings war die (mentale, literarische und ikonographische) Imagination JHWHs sicher immer durch die Bekanntschaft mit dem literarischen und ikonographischen Ausdrucksreservoir der jeweiligen Epoche angeregt (vgl. Keel/ Uehlinger 62010, 472). 7 Vgl. zuletzt Leuenberger 2016. 4

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denunzieren.8 Auch die scharfe prophetische Kritik an der Verehrung des „Kalbs von Samarien“9 (‫[ עגל שמרון‬Hos 8,6]) in Hos 8,4–7; 10,5–6; 13,1–3; Am 8,13–14 verurteilt diese Kultpraxis (aus nicht mehr eindeutig auszumachenden Gründen10) entschieden. Durchschlagend konnte solche Polemik in jedem Fall nur sein, „wenn sie in der Substanz bei realen Gegebenheiten […] ansetzt und nicht komplett fingiert ist“11, also auf ein tatsächlich vorhandenes Bild abzielte. Stier­gestaltige Gottessymbole sind für die Spätbronze- und frühe Eisenzeit archäologisch reichlich bezeugt, weshalb sich die Installation in Bet-El in religionsgeschichtlicher Perspektive plausibel als Umdeutung eines ursprünglich mit El oder Baal verbundenen traditionellen Kultbilds auf JHWH darstellt.12 Als ein außerbiblischer Beleg für die Existenz einer JHWH-Statue in der Hauptstadt Samaria wird verschiedentlich der um 706 v. Chr. redigierte Bericht auf dem Kalḫu-Prisma13 4,31–33 interpretiert, wonach Sargon II. nach der Eroberung der Stadt 721 v. Chr. die Einwohner deportieren und ihre Götterbilder als Beute abtransportieren ließ.14 Allerdings wird über die Beschaffenheit dieser Bilder und ihren Bezug zu bestimmten Gottheiten nichts mitgeteilt. Nicht zuletzt angesichts der synkretistischen Religionspraxis im 8. Jh. v. Chr.15 ist eine eindeutige Identifizierung daher wohl kaum möglich: „The suggestion that among these divine images were representations of YHWH and his Asherah is attractive, but remains to be proven.“16 Auch wenn also vor allem aufgrund der biblischen Hinweise eine bildliche JHWH-Verehrung im offiziellen Kult für das Nordreich kaum zu bezweifeln ist, trägt diese Feststellung dennoch nichts zur Rekonstruktion der Ausstattung im   8 Vgl. etwa Knauf 2016, 374–375. Eine ähnliche Absicht verfolgt der aus deuteronomistischer Perspektive kultbildpolemisch redigierte (vgl. Groß 2009, 764–765) Bericht in Ri 17–18 über die Anfertigung eines (mutmaßlichen JHWH-)Kultbilds im Rahmen eines Hauskults in Efraim, der als Ätiologie eines ikonischen Kults in Dan fungiert und die Kritik am dortigen Heiligtum in noch früherer Zeit verankert.   9 Vgl. Keel 2001, 275, der ‫ שמרון‬in den genannten Belegstellen im Anschluss etwa an Wolff 1961, 179–180; Rudolph 1966, 164; Jeremias 1983, 106, als Landesnamen versteht, während etwa Andersen/Freedman 1980, 555, den Eigennamen in Hos 8,5–6; 10,5 auf die Hauptstadt des Nordreichs beziehen und dort die Existenz eines Kultbilds nach dem Vorbild desjenigen in Bet-El vermuten. 10 So Keel 2001, 276, der vermutungsweise etwa an die Übertragung einer sonst Respektspersonen geltenden Verehrungsgeste auf ein Tierbild (vgl. ‫„ נׁשק‬küssen“ in Hos 13,2) oder die erotisch-sexuellen Aspekte des bekämpften Kults denkt. 11 Leuenberger 2016, 295. 12 Vgl. Keel/Uehlinger 62010, 219. 13 TUAT I/4, 382; Weippert 2010, 301–302. 14 Vgl. etwa Becking 1997, 158–167; Uehlinger 1998a, 742–743; Uehlinger 1998b, 1567; Niehr 1997, 79; Niehr 2003, 230; Mathys 2013, 134; Leuenberger 2016, 289–294. Außerdem deutet Uehlinger 1997, 125–128; Uehlinger 1998a, 744–771, eine Szene des – allerdings stark fragmentarischen – Reliefs in Raum V des Palastes Sargons II. in Chorsabad/Dur Šarrukin als ikonographische Entsprechung zur Nachricht des Kalḫu-Prismas, während etwa Becking 1997, 167–171, diese Darstellung der Stadt Hamath zuordnet. 15 Vgl. nur etwa Albertz 21996, 267–275. 16 Becking 1997, 166.

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königszeitlichen Tempel von Jerusalem und der dort gepflegten spezifischen Traditionen bei: Wie Othmar Keel nachdrücklich feststellt,17 ist die Eigenart des Jerusalemer Kults nicht durch Analogieschlüsse zu deduzieren, sondern kann – wie jedes historische Faktum – schlüssig nur aus den greifbaren Quellen erhoben werden. Als derartige textliche Quellen, die trotz nachexilischer Überarbeitung einen Hinweis auf die vorexilische ikonische Kultpraxis bewahrt haben sollen, betrachten etwa Herbert Niehr oder Oswald Loretz vor allem Wunschäußerungen oder Zuversichtsbekundungen in den Psalmen, „Gott“ (‫[ אלהים‬Ps 84,8]), das „Angesicht“ (‫פנה‬ [Ps 11,7; 17,5; 42,3]) JHWHs oder eine seiner metonymisch ihn selbst vertretenden Eigenschaften (Ps 27,4.13; 63,3) im Tempel „schauen“ (‫ ראה‬/ ‫ )חזה‬zu dürfen.18 Als konkretes Objekt dieses „Schauens“ ist nach ihrer Auffassung am plausibelsten eine Kultstatue JHWHs anzunehmen, die bei Prozessionen (vgl. Ps 24,7.9; 68,25–26) oder anlässlich des „Thronbesteigungsfests“ aus der Verborgenheit im nur für das Tempelpersonal zugänglichen Allerheiligsten des ‫ דביר‬hervorgeholt und öffentlich zur Verehrung ausgestellt worden sei. Diese Plausibilität scheint sich freilich erneut allein einem Analogieschluss aus den vorherrschenden altorientalischen Verhältnissen zu verdanken, denn die Rede vom „Schauen“ (des Angesichts) JHWHs auf ein materiales Bild zu beziehen, ist keineswegs zwingend: Friedhelm Hartenstein etwa hat ausführlich begründet, dass derartige anthropomorphe Redeweisen als Metaphern zu verstehen sind, deren Konstruktion eine notwendige Voraussetzung dafür bildet, die Realität Gottes überhaupt erst gedanklich zugänglich zu machen, und die sich in ihrem Zusammenspiel zu einer „mentalen Ikonographie“19 aus festen Vorstellungszusammenhängen fügen. Als einen Teilbereich dieser „mentalen Ikonographie“ beschreibt er die Vorstellung von der Begegnung mit JHWH im Tempel nach dem Modell einer königlichen Audienz. Gerade die Rede vom „Sehen des Angesichts“ des Königs verweist auf das Ritual und die Symbolik des altorientalischen Hofzeremoniells.20 Wo sie in den Psalmen auf JHWH angewandt wird, ist die Vorstellung (nicht die Anschaulichkeit durch eine Statue) des im Tempel thronenden Königsgotts vorausgesetzt, wobei die Art der Begegnung mit der Gottheit und die Erwartungen

17 Vgl. Keel 2001, 261. 18 Vgl. Niehr 1997, 83–85; Niehr 2003, 232; Loretz 2015, bes. 227–236.244–245.390–403.412– 413.443–451.508–511 mit Überlegungen zum kultischen Sitz im Leben der Stellen, außerdem zurückhaltender Uehlinger 1997, 148–149; Uehlinger 1998b, 1568 (Die Redeweisen „[…] gehen traditions­geschichtlich auf den B[ilderkult] zurück, vermögen die Beweislast für die Existenz einer Jahwestatue aber nicht zu tragen.“). 19 Vgl. Hartenstein 2008, bes. 39–52, aufbauend etwa auf den Thesen von Nötscher 1924, bes. 85– 119.147–155, der die v. a. in mesopotamischen Texten belegte Rede vom „Sehen des Angesichts“ ursprünglich in der königlichen Audienz und nach deren Vorbild im Tempelkult verankert sieht, wo sie sich (meistens, aber nicht immer) auf eine Kultstatue beziehe, für Jerusalem dagegen eine Übernahme als bereits konventionalisierte Formel ohne Bezug zu einem materialen Gottesbild und damit eine „Vergeistigung“ des Konzepts der Gottesschau annimmt. 20 Vgl. zu den Text- und Bildquellen Hartenstein 2008, 53–58; außerdem etwa Nötscher 1924, 57– 84.119–126; van der Woude 62004, Sp. 450–451.

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an sie in Analogie zu den Erwartungen an die Hilfe durch den irdischen König beschrieben werden. Instruktiv für die unterschiedliche Interpretation der Redeweise sind die Auslegungen von Ps 17 durch Loretz und Hartenstein: Der Psalm wird in V. 1–2 eröffnet mit einer Bitte an JHWH um Gerechtigkeit für den Beter, die er sich nach V. 2 vom „Angesicht“ JHWHs erhofft: 2a Von deinem Angesicht (‫ )מלפניך‬ergehe mein Urteil; b denn deine Augen sehen (‫)תחזינה‬, was recht ist. Daran schließt sich in V. 3–5 eine Unschuldsbeteuerung an, die dann in V. 6–8 eine Bitte um Zuwendung, Schutz und Einbergung motiviert: 8a Behüte mich wie einen Augapfel, b im Schatten deiner Flügel (‫ )בצל כנפיך‬mögest du mich bergen. In V. 9–12 wird als Grund der Schutzbitte die Bedrängnis durch Feinde geschildert, gegen die der Beter in V. 13–14 an das Strafgericht Gottes appelliert. In V. 15 bekennt er seine Erhörungsgewissheit, die sich als Zuversicht artikuliert, das „Angesicht“ Gottes schauen zu dürfen und an seiner „Gestalt“ gesättigt zu werden: 15a Ich aber werde in Gerechtigkeit sehen (‫ )אחזה‬dein Angesicht (‫)פניך‬, b werde gesättigt beim Erwachen (‫ )בהקיץ‬an deiner Gestalt (‫)תמונתך‬. Für Loretz kann sich diese Rede vom „Angesicht“ (V. 2a.15a) und der „Gestalt“ (V. 15b) Gottes nur auf die anthropomorphe Kultstatue im Heiligtum beziehen:21 Bei ihrem Anblick erwartet der Beter Hilfe, und zwar „in Verbindung mit einer Sättigung bei der sichtbaren Gestalt der Gottheit.“22 Die „Flügel“, von denen in V. 8 die Rede ist, sollen die Flügel der den Thron der Statue tragenden Sphingen sein, die synekdochisch auf die Kultstatue selbst übertragen werden, so dass von den Flügeln JHWHs gesprochen wird, in deren „Schatten“ der Verfolgte sich Schutz erhofft. Hartenstein dagegen schließt auf den Vorstellungshintergrund von Ps 17,2 u. a. durch einen Vergleich mit Ps 11,4.23 Auch hier erbittet der Beter das prüfende und Recht schaffende „Sehen“ Gottes, das vom „Thron“ JHWHs ausgeht, womit explizit eine Audienzsituation geschildert wird, wie sie in Ps 17,2 implizit mit dem Appell an JHWH als (königlichen) Richter ebenfalls vorausgesetzt ist: 21 Vgl. Loretz 2015, bes. 20–23.392–398.433. 22 Loretz 2015, 395. Die Angabe ‫„ בהקיץ‬beim Erwachen“ in V. 15b hält Loretz (wie ‫„ בצדק‬in Gerechtigkeit“ in V. 15a) v. a. aus kolometrischen Gründen für einen Zusatz, der die ursprüngliche Aussage über ein Kultmahl zur Erwartung des „Erwachens aus dem Todesschlaf “ im Sinn von Jes 26,19 umdeute und eschatologisiere (vgl. Loretz 2015, 394–398). 23 Vgl. die hier nur anzudeutende komplexe Argumentation bei Hartenstein 2008, 126–138.

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JHWH – in seinem heiligen Tempel, JHWH – im Himmel (‫ )בשמים‬ist sein Thron (‫)כסאו‬. Seine Augen sollen sehen (‫)יחזו‬, seine Wimpern die Menschen prüfen.

Der Thron des Königsgottes JHWH ist dabei zwar mit dem Tempel verknüpft, wird aber in V. 4b ausdrücklich „im Himmel“ verortet, von wo aus er die Erde und alle menschlichen Angelegenheiten zu überschauen vermag. Es handelt sich also um metaphorische Rede, durch die jede Bindung an konkrete kultische Einrichtungen „überschritten und relativiert“24 wird. Die Formulierung der Rettungserfahrung in Ps 17,15 korrespondiert mit der Bitte in V. 2: Die Hoffnung, dass JHWHs Augen das Recht des Beters „sehen“ (‫ )חזה‬mögen (V. 2b), erfüllt sich in dem ihm schließlich gewährten „Sehen“ (‫)חזה‬ des göttlichen Angesichts (V. 15a), also in der nach dem Vorbild der königlichen Audienz imaginierten Begegnung mit Gott „von Angesicht zu Angesicht“, die eine Partizipation an der Sphäre von Fülle und Segen des richterlichen Königsgottes JHWH bedeutet. Die dann nach V. 15b erlebte Sättigung an der „Gestalt“ JHWHs hat dementsprechend für Hartenstein ebenfalls keine materiale Manifestation wie ein Kultbild im Blick, sondern meint „eine ganz bestimmte Wirkung auf denjenigen, der dieser Gestalt in einer ‚Audienz‘ gewärtig wird“25, nämlich eine Teilhabe an den von Gott ausgehenden Segenswirkungen. In diese Interpretation fügt sich für Hartenstein auch der Ausdruck „im Schatten deiner Flügel“ in V. 8b ein:26 Der „Schatten“ des Schirms oder Thronbaldachins bezeichnet in der Audienzszenerie den Schutzraum der königlichen Sphäre. In der Heiligtumssymbolik des Jerusalemer Tempels hatte – so Hartenstein – wohl der Kubus des ‫ דביר‬die Funktion des Thronbaldachins über dem Kerubenthron JHWHs. Er war möglicherweise nach dem Vorbild phönizischer Götterschreine mit einer Darstellung der Flügelsonne über der Schreintür ausgestattet, deren Flügel als Symbol des Audienz- und Schutzraums JHWHs verstanden wurden. Hartenstein wirft angesichts seiner Interpretation der Anthropomorphismen des Psalms als soziale Metaphern, die die Begegnung mit JHWH nach dem Modell einer königlichen Audienz imaginieren, Loretz vor, die Sprachbilder vordergründig misszuverstehen, wenn er sie als konkrete Bezugnahmen auf eine Kultstatue deutet.27 Umgekehrt ist der Vorwurf, den Loretz ihm gegenüber erhebt, nicht von der Hand zu weisen, nämlich eine Kultstatue JHWHs als möglichen konkreten

24 Hartenstein 2016, 68. 25 Hartenstein 2008, 127. 26 Vgl. Hartenstein 2008, 149–161.299–332, mit textlichen und ikonographischen Belegen. 27 Vgl. Hartenstein 2008, 131: „Daß die ‫ תמונה‬JHWHs in Ps 17,15 aber eine Kultstatue meint, wie es wiederum Loretz und Niehr vertreten, kann angesichts der Nuancen des Textes (und der Parallele mit Ps 11) nur derjenige ernsthaft in Erwägung ziehen, der sprachliche Bilder eindimensional lesen möchte.“

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Haftpunkt der sprachlichen Bilder zu verkennen28 – zumal Hartenstein selbst die Formel vom Schutz im „Schatten der Flügel“ JHWHs (Ps 17,8b) sehr wohl auf eine ganz konkrete vermutete Kultinstallation zurückführt. Allein auf der Basis von Interpretationen biblischer Texte ist eine Klärung der Frage nach dem Kultbild des salomonischen Tempels bzw. nach der historischen Zuverlässigkeit der Angaben in 1 Kön 6–7 offensichtlich nicht möglich. Die Antwort muss (wie etwa von Hartenstein auch demonstriert29) außerbiblische – archäologische, ikonographische, textliche – Quellen berücksichtigen, um die Plausibilität eines vorexilischen anikonischen JHWH-Kults zu begründen. Insbesondere ist zu klären, wie der konkrete Kultvollzug vorzustellen ist, wenn er entgegen altorientalischer Praxis keinen materialen Bezugspunkt in Gestalt einer Götterstatue hatte, sondern auf den als unsichtbar anwesend vorgestellten „Kerubenthroner“ gerichtet war.30

2. Formen anikonischen Kults In der Diskussion wird dazu auf die Zeugnisse anikonischer Kulte und symbolischer Gottesdarstellungen im Alten Orient, aber auch etwa im antiken Griechenland und dem weiteren Mittelmeerraum hingewiesen.31 Tryggve N. D. Mettinger hat das archäologische und ikonographische Material aus Palästina und dessen Umweltkulturen einer gründlichen Sichtung unterzogen.32 Während Anikonismus in Mesopotamien und Ägypten eine Ausnahmeerscheinung war,33 lässt sich für den gesamten westsemitischen Raum (neben Palästina 28 Vgl. Loretz 2015, 346. 29 Vgl. Hartenstein 2008, bes. 26–42.120–126, und die Bilddokumentation 293–368. 30 Vgl. die Forderung von Niehr 2003, 229–230: „Diejenigen aber, die für den Bereich der Königreiche Israel und Juda die Existenz eines JHWH-Götterbildes abstreiten, haben nun die Beweislast, aufzuzeigen, wie man JHWH ohne eine Kultstatue oder ein Kultsymbol im Tempel von Samaria bzw. im Tempel von Jerusalem verehren konnte.“ 31 Vgl. etwa Metzler 1985/86; Gladigow 1988 mit knappen Belegen für das zeit- und kulturübergreifende Vorkommen anikonischer Kulte über den Kulturraum der Levante und des Alten Orients hinaus. Religionsphänomenologisch ist dabei mit Mettinger 1995, bes. 16–35; Mettinger 1997, 174– 175; außerdem etwa Berlejung 2009, Sp. 1210–1212, zu unterscheiden zwischen „material aniconism“, also der Verwendung von nicht-anthropomorphen/theriomorphen materialen Objekten wie Stelen/Mazzeben/Betylen, und „empty space aniconism“, d. h. der kultischen Inszenierung der Anwesenheit einer Gottheit in einem für sie ausgesparten leeren Raum (wie einem leeren Thron, Innenraum oder Kultwagen oder etwa durch die Darstellung eines reiterlosen gesattelten Pferds). 32 Vgl. Mettinger 1995 und die Zusammenfassung der Hauptergebnisse in Mettinger 1997, 194–202; außerdem die kritischen Stellungnahmen etwa von Uehlinger 1996; Mathys 2013, 128–132, und die tabellarische Übersicht der Funde von Ritualstelen und mit Symbolen versehenen Steinen aus Kultzusammenhängen außerhalb Palästinas bei Nunn 2010, 150–152. 33 Mettinger 1995, 39–56, verweist u. a. für Mesopotamien auf den Sockel aus dem Ištar-Tempel in Assur (VA 08146), dessen Reliefbild Tukulti-Ninurta I. (13. Jh. v. Chr.) in Gebetshaltung vor einem Sockel mit Schrifttafel und Schreibgriffel als Symbolen des Gottes Nabu zeigt, auf die Stele mit

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das Nabatäerreich, das vor- und frühislamische Arabien, die phönizisch-punische Welt, Syrien und Anatolien) eine lange Tradition der Verehrung anikonischer Kultstelen ausmachen, und zwar sowohl im Inneren von Tempeln als auch in noch weit größerem Umfang in Freilichtheiligtümern. Die aufgeführten Belege außerhalb Palästinas decken einen Zeitraum von der Mitte des 3. Jtsd. mit den ältesten Beispielen aus Mari und Ebla bis zur römischen Epoche mit Ausblicken auf spätere Entwicklungen ab. In Palästina finden sich Mazzeben sogar vom Neolithikum an bis in die Eisenzeit.34 Ein wesentliches Anliegen Mettingers ist der Nachweis, dass die JHWH-Verehrung von Anfang an mit dieser Form der Bildlosigkeit verbunden war. Das legt für ihn die verhältnismäßig große Anzahl von Mazzeben im südlichen Negev, dem vermutlichen Herkunftsort der JHWH-Verehrung, aus der Zeit vom 6. Jtsd. bis in die Nabatäerzeit nahe.35 Von dort brachten nach seiner Annahme die Schasu-­ Nomaden diese anikonische Form der JHWH-Verehrung mit nach Palästina, wo sie damit an bereits bestehende Praktiken anschließen konnten, wie die zahlreich belegten vorisraelitischen bronze- und später eisenzeitlichen Mazzeben-Heiligtümer zeigen.36 Dabei waren auffallenderweise in Palästina während der Bronzezeit Mazzeben in der Regel zu Gruppen formiert, in der Eisenzeit dagegen allein aufgestellt, was möglicherweise die Entwicklung vom polytheistischen zu einem monotheistischen Kult abbildet.37 Die große Kontinuität dieser Form der anikonischen JHWH-Verehrung zeigt der (unterschiedlich datierte, in jedem Fall während der Eisenzeit II errichtete) Tempel in Arad, dessen Kultobjekt eine einzelne rot bemalte Mazzebe, mutmaßlich als Repräsentation JHWHs war.38 Die Anikonizität der westsemitischen Kultpraxis, an der Israel offensichtlich bereits vorexilisch partizipierte, ist ein kaum zurückzuweisender Beleg der grundsätzlichen Möglichkeit eines entsprechenden Kults auch im königszeitlichen Jerusalemer Tempel. Überhaupt scheint für den konkreten Kult weniger die Beschaffenheit des Kultobjekts von Bedeutung gewesen zu sein als seine rituelle Einbindung und der ihm dabei zugeschriebene numinose Charakter. Dafür spricht die Tatsader Abbildung der Sonnenscheibe von Sippar (BM 91000) als zeitweisem Kultbildersatz für eine zerstörte Šamaš-Statue und auf die fehlende Ikonographie des Staatsgotts Assur (vgl. dagegen allerdings Berlejung 1998, 107–110 u. ö.) sowie für Ägypten auf die nur symbolischen Darstellungen Atons während der Amarnazeit und (wohl in Abhängigkeit davon) des Luft- und Windgottes Amun im Neuen Reich. 34 Für die Bronzezeit nennt Mettinger 1995, 140–191; Mettinger 1997, 197–198, Megiddo, Hazor, Hartuv, Tel Kittan, Tell el-Hayat, Gezer, Sichem und Nahariya, für die Eisenzeit Arad, Lachisch, Bet-Schemesch, den sog. „Bull-Site“ (ca. 15 km östlich von Dotan), Tirza, Megiddo, Taanach und Tel Dan. 35 Vgl. Mettinger 1995, 168–175. 36 Vgl. Mettinger 1995, 174. 37 Vgl. Mettinger 1995, 191.197. 38 Vgl. Mettinger 1995, 16–17.143–149; außerdem etwa Keel/Uehlinger 62010, 416 Anm. 319; Keel 2001, 261–264, der außerdem als literarischen Beleg auf die Ladeerzählungen hinweist, die vermuten lassen, dass ein oder zwei heilige Steine als Repräsentationsformen JHWHs den Ladeinhalt bildeten (vgl. auch Keel 2007, 216–217).

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che, dass an verschiedenen Orten im westsemitischen Raum anikonische Gottes­ repräsentationen neben anthropomorphen Bildern und – soweit erkennbar – funktionsäquivalent zu ihnen verwendet wurden.39 Die Kulthandlungen dürften in beiden Fällen identisch gewesen und als gleichwertig und -wirksam betrachtet worden sein – von der Existenz einer anthropomorphen Kultstatue als Voraussetzung für den Gottesdienst40 kann vor dem Hintergrund des breiten archäologischen Befunds auch deshalb nicht die Rede sein: Die „mentale Ikonographie“ der Gottheit ist auf eine anthropomorphe Darstellung offenkundig nicht angewiesen.41

3. Der leere Thron als Kultobjekt An diesem Punkt stellt sich die Frage nach der historischen Plausibilität der in 1 Kön 6,23–28 (par 2 Chr 3,10–13) berichteten konkreten Form des Anikonismus im salomonischen Tempel, nämlich des „empty space aniconism“ mit dem leeren Kerubenthron. Zur Klärung dieser Frage ist zunächst nach dem Traditionskontext zu fragen, in dem der salomonische Bau stand. Die Hauptindizien hat u. a. Othmar Keel öfter zusammengestellt und gedeutet, weshalb sie hier nur ganz summarisch erinnert werden sollen.42 Bereits der (erstmals in ägyptischen Ächtungstexte aus dem späten 19. und frühen 18. Jh. v. Chr. erwähnte) Name der Stadt ‫ירושלם‬, „Gründung Šalims“, lässt darauf schließen, dass der Sonnenkult in der vorisraelitischen Stadt eine wesentliche religiöse Anschauung darstellte: Das auf ugaritischen Keilschrifttafeln aus dem späten 13. und frühen 12. Jh. v. Chr. bezeugte Götterpaar Šalim (Abendstern) und

39 Vgl. die Dokumentation von Mettinger 1995, zu Mari (115–116), Emar (120–122), Qatna (120), Hazor (179–181) und Hierapolis (110). Uehlinger 1996, 545, unterstreicht in seiner Besprechung der Studie diesen Befund, der die „Möglichkeit eines fließenden Übergangs bzw. eines unproblematischen Nebeneinanders von ikonischen, teilweise ikonischen und anikonischen Kultempfängern“ zeigt und den Unterschied zwischen diesen Formen relativiert, was Mettinger 1997, 199–220, zustimmend in der bereits bei Mettinger 1995, 16–18 u. ö., beschriebenen Tatsache begründet sieht, „that the unreflective de facto aniconism is tolerant, in contrast to the conscious and theologically articulate repudiation of images.“ 40 Vgl. Anm. 30. Die von Niehr 2003, 238–239, konzedierte Möglichkeit der Repräsentation JHWHs im vorexilischen Tempel durch eine Statue oder ein Symbol reagiert wohl auf den hier skizzierten archäologischen Befund, der ein gleichwertiges Nebeneinander beider Formen nahelegt, was Niehr 1997, 79, sich unter Verweis auf Uehlinger 1996, 543–545, zu eigen macht: „[T]he transition from stelae to cult figurines was a fluent one and both cult objects would have been treated theologically and ritually in the same manner.“ Die gleichwohl von Niehr 1997, 81–90; Niehr 2003, 231–235, vertretene These, die biblischen Belege setzten die Existenz einer anthropomorphen Statue klar voraus, erscheint damit kaum vereinbar. 41 So auch das Fazit der Interpretation des archäologischen und literarischen Befunds von Nunn 2010, 147–149; Schipper 2013, bes. 176–177. Vgl. außerdem Hartenstein 2016, 52–58. 42 Vgl. auch zusammenfassend Lauber 2006, 365–382, mit zahlreichen weiteren Literaturangaben.

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Šaḥar (Morgenstern) ist dort der Sonnengöttin Šapšu zugeordnet, die Verehrung Šalims also Teil der Solartheologie.43 Dem entspricht, dass auch eine Anzahl von Ortschaften in der Umgebung Jerusalems Namen mit den Elementen ‫ שמש‬oder ‫„ חרס‬Sonne“ tragen, was die Bedeutung der Sonnenverehrung im kanaanäischen Palästina unterstreicht.44 Nach der Einnahme der Stadt durch David wurden neben anderen im vorisraelitischen Jerusalem lebendigen Vorstellungen auch diese Solartraditionen von den Eroberern aufgegriffen und trugen damit zur weiteren Ausgestaltung der JHWH-Religion bei. Auf diese Kontinuität deuten – neben allgemeinen religionsgeschichtlichen Erwägungen45 – etwa die Namen des davidischen Hohenpriesters Zadok sowie der vorisraelitischen Stadtkönige Adoni-Zedek (Jos 10,1.3) und Malkizedek (Gen 14,18–20; Ps 110,4), deren theophores Element Zedek auf eine in Mesopotamien als Erscheinungsform des richterlichen Šamaš verehrte Gottheit verweist.46 Besonders aufschlussreich sind die architektonischen Angaben zum salomonischen Tempelgebäude: Sie lassen erkennen, dass die Wohn- bzw. Thronstätte Gottes auf der Westseite, das Tempeltor dem Ölberg gegenüber auf der Ostseite lag, womit der Tempel auffallend von der in spätbronzezeitlichen Heiligtümern üblichen Nord-Süd-Orientierung abweicht. Diese Ausrichtung des Tempels nach Osten, in Richtung der aufgehenden Sonne, kann als Indiz für eine solare Kultfunktion gelten, auch wenn die genaue damit verbundene Praxis unklar bleibt.47 Als möglicher literarischer Einblick in die Übernahme solarer Jerusalemer Kulttraditionen durch die JHWH-Religion wird bereits etwa von Martin Noth die im Detail unterschiedlich rekonstruierte hebräische Vorlage des Tempelweihspruchs 3 KönLXX 8,53 interpretiert: Danach ist dort die Übernahme des bisherigen Sonnengott-Heiligtums durch JHWH48 oder die Integration der JHWH-Verehrung in den fortbestehenden Sonnengottkult legitimiert.49 Die skizzierten Hinweise lassen plausibel vermuten, dass auch die nach dem Tempelbaubericht zentrale Kultinstallation des leeren Kerubenthrons im Zusammenhang mit dem vorisraelitisch praktizierten und israelitisch fortgeführten Sonnenkult stand.50 Dazu lässt sich auf eine Ikonographie verweisen, die die Annahme

43 Vgl. Keel 1993, 442–449; Keel/Uehlinger 1994, 275–276; Keel 2007, 49–54.190; Küchler 2007, 2. 44 Vgl. Keel 1993, 486; Keel/Uehlinger 1994, 279–280; Keel 2007, 276. 45 Vgl. dazu auch die knappen Hinweise bei Küchler 2007, 127; Dubovský 2015, 101 Anm. 342. 46 Vgl. Keel 1993, 486–488.496–499; Keel/Uehlinger 1994, 279–280; Keel 2007, 190–191.277–281, unter Verweis u. a. auf Einzelzüge des Berichts über die Zerstörung Sodoms in Gen 19, der diese Verbindung zwischen Zedek und dem in die Rolle des Šamaš eintretenden JHWH erkennen lässt. 47 Vgl. Keel 1993, 488; Keel/Uehlinger 1994, 286; Keel 2007, 276–277. 48 Vgl. Noth 1968, 172; Keel 1993, 488–489; Keel/Uehlinger 1994, 286–287. 49 Vgl. Keel 2002, 9–23; Keel 2007, 268–272 (mit knapper Diskussion kritischer Einwände etwa von Janowski 1995, 224–226; Irsigler 2004, 31–32); Küchler 2007, 129–130. 50 Vgl. Keel 2007, 302–305.

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nicht nur als weiteres historisches Indiz erhärtet, sondern die vorauszusetzende Kultpraxis auch eindrücklich illustriert:51 Auf frühmittelassyrischen Rollsiegelabdrücken finden sich seit dem 14. Jh. v. Chr. Darstellungen in hurritisch-mittanischem Stil eines von zwei Genien oder Menschen emporgehaltenen leeren Throns, häufig mit einer darüber schwebenden Sonne, die in manchen Fällen rituell verehrt wird. Ganz offensichtlich stellt die Szenerie die Imagination des durch seine Strahlen auf dem Kultthron anwesenden Sonnengotts dar. In seiner Dokumentation präsentiert Donald M. Matthews Belege aus Nuzi, Assur, Syrien, Zypern und Griechenland52 – das Motiv war also regionenübergreifend bekannt und verbreitet. Drei Beispiele sollen die Darstellung in den belegten Varianten illustrieren.

Abb. 1: Matthews 1990, Abb. 453 (Zeichnung von Donald M. ­Matthews) mit Erläuterungen 108.

Abb. 2: Matthews 1990, Abb. 455 (Zeichnung von Donald M. Matthews) mit Erläuterungen 25.75.108.

Abb. 3: Matthews 1990, Abb. 479 (Zeichnung von Donald M. ­Matthews) mit ­Erläuterungen 96–97.107.110–112.116. 51 Vgl. Keel 1993, 489–496; Keel/Uehlinger 1994, 289–290; Keel 2007, 307. 52 Vgl. Matthews 1990, 108–109, und die Abbildungen 452–467.479–480.498; außerdem etwa Porada, 1975, 170–171; Metzger 1985a, 216–217; Metzger 1985b, 198–201 mit Abb. 932–938.941.

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Abb. 1 gibt ein aus dem hurritisch-mittanischen Nuzi stammendes Siegel wieder, das zwei Stiermenschen als Atlanten eines leeren Throns, unter dem ein Stier zu erkennen ist, zeigt. In Abb. 2 aus Mittani ist die Szenerie ergänzt durch eine über dem Thron schwebende Flügelsonne. Unterhalb des Throns ist eine menschliche Gestalt in einer knienden Adorationshaltung zu erkennen. Auf mittelassyrischen Siegeln im 13. Jh. ist der leere Thron mit dem darüber schwebenden Symbol der geflügelte Sonnenscheibe gelegentlich ohne Trägergestalten abgebildet, wie das Beispiel von Abb. 3 zeigt. Hier ist zudem neben dem leeren Thron ein thronender König zu sehen, der eine Lotusblüte in der Hand hält, die er in einem Verehrungsgestus an die Nase führt (vgl. auch Abb. 7).53 Nach dem Urteil von Edith Porada sprechen der Realismus und die Kontinuität in der Grundkonstellation des Motivs dafür, dass die Abbildungen tatsächlich existierende Kulteinrichtungen darstellen wollen.54 Bestätigt wird diese Annahme durch die Studie von Susanne Bickel, die den Einfluss der auf den Rollsiegeln für das 14. Jh. bezeugten hurritisch-mittanischen Verehrung des leeren Sonnenthrons auf eine Kultpraxis im zeitgenössischen Ägypten der Amarnazeit (1352–1336 v. Chr.) beschreibt, das damals in regem Austausch mit Mittani stand.55 Dort finden sich auf Tempelwandblöcken und Grabwänden zahlreiche Darstellungen leerer Sitzmöbel wie Stühle, Throne, mitunter auch Sänften und Betten, deren Funktion sich aus dem kultisch-religiösen Selbstverständnis Echnatons erschließt:56 In der traditionellen Religion Ägyptens setzte die Kommunikation mit einer Gottheit deren materiale Repräsentation v. a. durch Bilder, Statuen oder heilige Tiere voraus, die Gegenstand der Verehrung und des Kults waren. Im Zuge der umwälzenden religiösen Neuerungen Echnatons galt dagegen die am Himmel sichtbare Sonne als die einzige Manifestation des Gottes Aton, für den es daher keinerlei Kultbilder oder Statuen gab. Vermittler des Gottes war allein Echnaton, der die lebensspendende Wirksamkeit Atons für seine Untertanen verkörperte und als funktional mit ihm identisch betrachtet wurde – Echnaton war „im Mikrokosmos von Amarna ad personam ein Gott“57, dessen Kult von einer eigenen institutionalisierten Priesterschaft betrieben wurde. Voraussetzung der Wirksamkeit gleichermaßen Atons wie des ihn verkörpernden Königs war ihre Sichtbarkeit. Von Aton heißt es im Großen Sonnenhymnus Echnatons:

53 Vgl. dazu Lauber 2010, 200–201. 54 Porada 1975, 164: „[I]t is important to note the occurrence of objects with ritual connotations which are represented in art so factually and so consistently that they may be assumed to have existed in reality.“ 55 Vgl. Bickel 2007. 56 Vgl. Bickel 2007, bes. 202–205; außerdem etwa Hornung 22000, 62–64. 57 Bickel 2007, 203.

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Du gehst auf für sie – sie leben, du gehst unter – sie sterben!58 Nur in der sichtbaren Lichterscheinung der Sonne am Tag manifestiert sich die belebende Schöpferkraft Atons, die Zeit der Nacht und der Dunkelheit gleicht dagegen dem Tod. „Ähnliches galt auch für das Verhältnis zum König: seine Präsenz und Sichtbarkeit waren erforderlich, um der von ihm ausgehenden Wohltaten habhaft zu werden.“59 Auf die praktische Unmöglichkeit einer physischen Omnipräsenz Echnatons reagieren eine große Anzahl bildlicher Darstellungen des Pharaos, die ihn bei der Ausübung von öffentlichen Ritualhandlungen zeigen. Erhalten sind aber auch zahlreiche Bilder, in denen er zusammen mit seiner Familie in den verschiedensten Alltagssituationen erscheint und die „dem Ausdruck seiner Rolle als Verkörperung und Träger des Prinzips Leben dienen“60. Mittel für eine solche Gegenwärtigsetzung des Pharaos war u. a. der leere Thron, dessen Gebrauch innerhalb von Abbildungen des Königspalastes und des großen Tempels von Amarna belegt ist.61 Solche Darstellungen eines leeren Throns gab es zuvor kaum.62 Sie begegnen dann – etwa gleichzeitig mit demselben Motiv auf den hurritisch-mittanischen Siegeln – als ein Merkmal der amarnazeitlichen Ikonographie, das später nicht mehr fortgeführt wurde. Ein Beispiel für eine derartige Palastdarstellung im Grab des Parennefer ist der Detailausschnitt in Abb. 4. In der Halle im Zentrum der Darstellung stehen zwei leere Thronsessel (für Echnaton und seine Gattin als die weibliche Vertreterin der Gottheit auf der Erde) einander gegenüber, die – wie das Bett im Register oberhalb davon – von einer Sonnenscheibe beschienen werden. Zwischen ihnen stehen zwei reich gedeckte Speisetische, die in der traditionellen Ikonographie der rituellen Versorgung von Götterstatuen dienen63 und hier das Königspaar während dessen Abwesenheit nähren.

58 Assmann 1975, 221. 59 Bickel 2007, 204. 60 Bickel 2007, 204. 61 Vgl. Bickel 2007, 195–202. 62 Auf ein Beispiel aus der 5. Dynastie verweist Bickel 2007, 207–208 mit Fig. 9. 63 Vgl. etwa Schroer 2018, 192–193 Abb. 1096.

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Abb. 4: Davies 1903–1908, VI Taf. 4, wiedergegeben von Bickel 2007, 200 Fig. 6.

Abb. 5: Bickel 2007, 201 Fig. 7 (Zeichnung von Ulrike Zurkinden Kohlberg).

Abb. 5 zeigt als weiteres Beispiel ein Talatatfragment mit einem von den Strahlenhänden Atons beschienenen Thron, vor dem ebenfalls ein Speisetisch steht und ein Priester, der ein Kultobjekt in der rechten Hand hält, mit der rituellen Versorgung des abwesenden Thronherrn Echnaton beschäftigt ist. Dass auch Aton selbst auf einem leeren Kultthron verehrt wurde, lassen Darstellungen wie in Abb. 6 erkennen. An dem tischartigen Altar, den die Strahlen-

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hände Atons berühren und auf dem sie so die Präsenz der Gottheit markieren, befindet sich auf der dem opfernden Echnaton zugewandten Seite eine Thronlehne, die den Altar vermutlich als „einen dem Aton zu Verfügung gestellten Sitz auf Erden“64 ausweist.

Abb. 6: Davies 1903–1908, IV Taf. 31, wiedergegeben von Bickel 2007, 206 Fig. 8.

4. Hinweise auf Jerusalemer Rezeptionen Die ikonographischen Zeugnisse der hurritsch-mittanischen bzw. frühmittelassyrischen Rollsiegel und der Darstellungen aus Amarna belegen für das 14. Jh. v. Chr. die Existenz von kultisch verehrten leeren Thronen im Zusammenhang des – in beiden Kulturbereichen unterschiedlich profilierten, konzeptionell aber wohl in manchen Zügen wie der universalistischen Ausprägung verwandten65 – Sonnenkults.

64 Bickel 2007, 207, neben weiteren, königsideologischen Deutungen von Einzelelementen der Darstellung 65 Vgl. Bickel 2007, 209–210.

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Angesichts der mit der Erwähnung des theophoren Stadtnamens bereits seit dem 19. Jh. v. Chr. greifbaren Hinweise auf solare Traditionen in Jerusalem ist es unwahrscheinlich, dass diese kulturübergreifend belegte innovative Kultpraxis dort keinen Widerhall gefunden haben sollte, zumal die historischen Nachrichten aus dieser Zeit erkennen lassen, wie stark die Stadt Einflüssen aus beiden Kulturräumen unterlag: Dort regierte der aus den Amarna-Briefen bekannte Abdi Chepa, der militärisch-politisch ganz von der Unterstützung aus Ägypten abhängig war. Sein Name „Diener der (hurritischen Sonnengöttin) Chepa“ weist ihn als Angehörigen einer hurritisch-mittanischen Führungsschicht und zugleich als Anhänger einer Ausprägung der Solarreligion aus.66 Sollte der Jerusalemer Sonnenkult in dieser Epoche seinen Haftpunkt ebenfalls an einem leeren Thron gefunden haben, wäre eine Kontinuität bis in die Zeit vor der israelitischen Einnahme der Stadt und dann fortgeführt im salomonischen Tempel jedenfalls nicht analogielos:67

Abb. 7a+b: Keel 2007, 302–303 und Abb. 188–189 (Zeichnung Ulrike Zurkinden Kohlberg).

Die beiden Orthostate in Abb. 768 stammen aus Guzana/Tell Halaf, also dem früheren hurritisch-mittanischen Kerngebiet, und werden in das 10./9. Jh. v. Chr. datiert. Die Motive ähneln weiter stark den Abbildungen auf den Rollsiegeln ab 66 Vgl. Keel 1993, 451–456; Keel/Uehlinger 1994, 276–278; Keel 2007, 52.106–111.116–118. 67 Biblische Hinweise auf das Fortbestehen einer hurritisch-mittanischen Bevölkerungsgruppe, die (nach der Eingliederung von weiten Teilen Mittanis in den hethitischen Machtbereich ab dem späten 14. Jh. v. Chr. und angesichts des starken hurritischen Kultureinflusses auf die Hethiter) jetzt mit dem hethitischen Kulturraum identifiziert wurde, in davidisch-salomonischer Zeit sind der hurritisch-hethitische Personenname Arawna (2 Sam 24,26–24) und die Prädizierung Urijas als „Hethiter“ (2 Sam 11). Auch die Feststellung Ez 16,3, Jerusalems Mutter sei eine Hethiterin gewesen, ist eine Reminiszenz an die hurritisch-mittanische Vergangenheit der Stadt (vgl. Keel/ Uehlinger 1994, 286). 68 Vgl. außerdem etwa Metzger 1985a, 217; Metzger 1985b, 200 mit Abb. A–C; Keel 1993, 492–494 und Abb. 28–29; Keel/Uehlinger 1994, 289–290.297 Abb. 6; Schroer 2018, 406–407 und Abb. 1364– 1365.

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dem 14. Jh. v. Chr. und dokumentieren damit für Nordsyrien die Fortdauer der Verehrung eines leeren Sonnenthrons bis in diese Epoche.69 Ein ikonographisches Indiz für diese Kontinuität aus Jerusalem selbst könnte ein 2006 nahe der Gihon-Quelle entdeckter Siegelabdruck sein, auf den Othmar Keel aufmerksam gemacht hat (Abb. 8): Er wird ins 9. Jh. v. Chr. datiert und zeigt einen (wohl in einem Boot stehenden70) Thron mit hoher Lehne, auf dem eine Sonnenscheibenstandarte angebracht ist. Über dem Thron ist noch der Schwanz einer Flügelsonne erkennbar.

Abb. 8: Keel 2007, 302–304 und Abb. 191 (Zeichnung von Ulrike Zurkinden Kohlberg); außerdem Schroer 2018, 454–455 und Abb. 1427.

Damit ist zumindest die Kenntnis der entsprechenden Kultpraxis in unmittelbarer Nähe zum Ersten Tempel belegt. Eine Schwierigkeit, die in 1 Kön 6 beschriebene Kultinstallation des Kerubenthrons mit den vorgestellten ikonographischen Belegen zu verbinden, bereitet allerdings die Tatsache, dass Kerubenthrone im Kontext der Königsideologie zwar in Phönizien und Zypern vom Ende des 2. Jtsd. bis in die hellenistisch-römische Zeit nachgewiesen und auch etwa auf spätbronzezeitlichen Elfenbeinen aus Megiddo abgebildet werden,71 als Götterthron oder leer als Repräsentation einer Gottheit jedoch erst ab dem 7. Jh. v. Chr. belegt sind.72 Die Angaben für den Jerusalemer Tempel des 10. Jh. v. Chr. stehen auch deshalb unter Anachronismusverdacht.73 69 Vgl. auch Porada 1975, 171. 70 Die Abbildung eines Sonnenthrons in einem Boot auf einem Papyrus aus der 21. Dyn. (1070– 946  v. Chr.) dokumentiert Schroer 2018, 244 Abb. 1161. Damit könnte auch das Motiv des Boots auf dem Jerusalemer Siegelabdruck auf ägyptischen Einfluss hindeuten (vgl. Schroer 2018, 454). 71 Vgl. Keel/Uehlinger 62010, 190–191, unter Verweis u. a. auf die bekannte Darstellung IAA: 1938–780. 72 Vgl. etwa Metzger 1985a, 259–279; Metzger 1985b, 236–247 mit Abb. 1181–1222; Mettinger 1995, 100–103.113; Keel 2001, 265; Keel 2007, 299–301; Nunn 2010, 143–144; Schroer 2018, 83. 73 Vgl. etwa vorsichtig Uehlinger 1996, 547; Uehlinger 1997, 149; außerdem Hartenstein 2008, 122; Knauf 2016, 252–253. Dagegen weist Mettinger 1997, 186, zur Entkräftung des Einwands auf einen in Hamath entdeckten neuhethitischen Sphingenthron aus dem 10. oder 9. Jh. v. Chr. als einen früheren Beleg hin. Allerdings lässt der sehr fragmentarische Erhaltungszustand wohl keine eindeutigen Schlüsse zu (vgl. etwa Uehlinger 1997, 149 und Anm. 240; Berlejung 1998, 315 Anm. 1519).

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Allerdings bleibt es trotz fehlender zeitgenössischer Vergleichsstücke natürlich denkbar, dass bei der Ausstattung des salomonischen Tempels die Tradition des leeren Throns aufwändig mit einem königlichen Sphingen- bzw. Kerubenthron nach phönizischem Vorbild aktualisiert wurde.74 Möglicherweise wurde aber auch ein einfacherer Thronsessel erst später durch einen Kerubenthron ersetzt.75 Darauf könnte die fehlende Erwähnung der Keruben in verschiedenen vorexilischen Stellen, die sich auf den JHWH-Thron beziehen,76 und auch die Form des Throns in Abb. 8 hinweisen.77

5. Zusammenfassung und Konsequenzen Ausgangspunkt der Nachfragen dieses Beitrags waren die Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit der Angaben zur anikonischen JHWH-Verehrung in 1 Kön 6–7 (par 2 Chr 3–4). Hauptargumente der kritischen Bestreitungen sind der Verweis auf die überwiegende altorientalische Kultpraxis, die ein materiales Kultobjekt in Form eines Bilds oder einer Statue voraussetzt, und auf biblische Belege, die auf eine solche anthropomorphe Statue als Bezugspunkt des Kults auch im vorexilischen Tempel hinzuweisen scheinen. Im Blick auf die historischen Quellen erweisen sich diese Bedenken jedoch als unbegründet, worauf u. a. Othmar Keel in verschiedenen Veröffentlichungen entschieden hingewiesen hat. So sind ikonische Kulte zwar in Mesopotamien und Ägypten der Regelfall. Gleichzeitig gibt es aber – wie Tryggve N. D. Mettinger detailliert dokumentiert hat – im westsemitischen Raum eine alte und kontinuierliche Tradition des anikonischen Stelenkults, bei dem diese Symbole funktional äquivalent zu menschenoder tiergestaltigen Kultbildern und oftmals parallel mit ihnen verwendet wurden. Beide Darstellungsformen werden ganz offensichtlich unterschiedslos demselben

74 Vgl. Keel 1993, 495. 75 Vgl. Keel 2007, 299–301; Hartenstein 2008, 122. 76 Hartenstein 2008, 122, nennt Jes 6,1; 1 Kön 8,13; Ps 29; 93. 77 Keel 2001, 266, erwägt – unbeschadet der Annahme eines vorisraelitischen leeren Thronstuhls als Modell für den salomonischen Tempel – als weitere Möglichkeit, „dass die Keruben ursprünglich gar keine Thronfunktion hatten, dass sie im 7. oder 6. Jh. v. Chr. in Anlehnung an phönizische Götterthrone als solche gedeutet wurden und dass die Priesterschrift die Keruben im Zweiten Tempel einander zugewandt wissen wollte, um diese Vorstellung zu verunmöglichen.“ Dubovský 2015, 193–206, hält aufgrund seiner text-, literar- und redaktionsgeschichtlichen Analyse von 1 Kön 6,23–28 die Angaben in 1 Kön 6,25–27 über die beiden gleichartigen nebeneinander stehenden Kerubenfiguren im „inneren Haus“ (vgl. ‫ הבית הפנימי‬in 1 Kön 6,27) – und damit noch nicht im ‫דביר‬, der erst in der einen späteren baulichen Zustand voraussetzenden literarischen Schicht in 1 Kön 6,23–24 (und 8,6–9) genannt wird – für die ältesten greifbaren historischen Informationen zur Kultinstallation des salomonischen Tempels. Auf eine mögliche Thronfunktion der Keruben geht Dubovský dabei nicht ein.

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Zweck gerecht, die dabei anthropomorph vorgestellte Gottheit kultisch präsent zu setzen und ansprechbar werden zu lassen. Dass das auch für die Variante des „empty space“-Anikonismus gilt, zeigen besonders eindrücklich die von Susanne Bickel gedeuteten amarnazeitlichen Bilder, die den leeren Thronsessel des abwesenden Königs zum Gegenstand einer Form der Verehrung macht, die seine Präsenz imaginieren soll. Dieser Kult beabsichtigt geradezu, den Unterschied zwischen An- und Abwesenheit aufzuheben und eine virtuelle Omnipräsenz Echnatons zu inszenieren. Ähnliche Formen kultischer Verehrung sind ikonographisch für den auf einem Altar-Thron gegenwärtigen Aton belegt. Die Kultinstallation des salomonischen Tempels stand, wie verschiedene Indizien nahelegen, in dieser Tradition der anikonischen Sonnenverehrung, und damit bildete – im Unterschied zum offiziellen Kult des Nordreichs – kein Kultbild, sondern die Inszenierung eines Gedankenbilds das Zentrum der JHWH-Verehrung des vorexilischen Tempels. Dafür gilt, wie Friedhelm Hartenstein feststellt: „Die ‚Schau‘ dieser Gestalt ist nach unseren Maßstäben eine innere, geistige, für antike Menschen war sie aber sehr wahrscheinlich eine höchst konkrete und ‚reale‘ Begegnung mit der Gottheit.“78 Auch wenn die Entstehung des Judentums in vieler Hinsicht ganz ohne Frage ein „Paradigmenwechsel“ war, wie Oswald Loretz breit ausführt79 – die Bildlosigkeit JHWHs ist eher ein Element der Kontinuität. Einer Kontinuität allerdings, die unter den Herausforderungen der Exilserfahrung ganz neue Bedeutung bekommt: Wurde diese Eigenart des Jerusalemer Tempelkults zuvor wahrscheinlich gar nicht als Besonderheit wahrgenommen, wird sie im Exil, als Israel mit dem vielgestaltigen Bilderkult Babyloniens konfrontiert ist, zu einem gemeinschaftsstiftenden Merkmal.80 Wie die Einhaltung des Sabbats oder das Tabu des Schweinefleischs bekommt die jetzt zur Norm erhobene Bildlosigkeit der Gottesverehrung (vgl. Dtn 4,15–19) eine abgrenzende und dadurch identitätsbegründende Funktion.

78 Hartenstein 2008, 123. 79 Vgl. etwa Loretz 2015, 1–2.561–562 und bes. 99–101 (ähnlich Uehlinger 1996, 548–549), der die Annahme einer evolutionären Entwicklung des nachexilischen Bilderverbots aus einem bereits vorexilischen praktizierten Anikonismus für eine Verkennung der Bedeutung des katastrophischen Verlusts von Tempel und JHWH-Bild als der nach seiner Auffassung einzig möglichen Erklärung dieser Entwicklung sieht. 80 Vgl. nur etwa Keel 2001, 280–281.

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Thomas Staubli

Zweige für Jahwe, Dionysos und Jesus Fortleben eines kanaanäischen Kultsymbols in der hellenistisch-römischen Levante

Der Zweig ist unter den Motiven der levantinischen Bildkunst eines der häufigsten und bedeutungsvollsten. Er taucht bereits auf frühesten Bildzeugnissen auf und ist bis in die Staatsemblematik im heutigen Israel und Palästina präsent.1 Die älteste mir bekannte Inszenierung des Motivs als Symbol findet sich auf verzierten Schaf-, Ziegen- und Rinderknochen aus frühchalkolithischer Zeit (6. Jt. v. Chr.). Ein Exemplar aus HaGoshrim zeigt einen Zweig oder stilisierten Baum und einen Capriden zwischen einer Vulva unten und einem Augenpaar oben (Abb. 1). Diese „composite female figurines“2 genannten Knochenfiguren bringen Konzepte zum Ausdruck, die noch in den Mythologemen des Genesisprologs der Hebräischen Bibel greifbar sind: Die Auffassung, dass die Erde ein Pflanzen und Tiere gebärender Organismus ist (Gen 1,11a.12a.24a), die Idee, dass die dem Mann zugeführte Frau aus einem Knochen gestaltet worden ist (Gen 2,21–22), sowie die Bezeichnung dieser Frau als „Mutter alles Lebendigen“ (Gen 3,20) und Erwerberin eines Mannes für/durch Jahwe (Gen 4,1).3 Während textliche Vorläufer biblischer Schöpfungsmythen aus Kanaan bisher kaum belegt sind, kann die Bildsymbolik der Göttin über Jahrtausende hinweg verfolgt werden.4 Für das Zweigmotiv bzw. die Göttin „Vegetation“ besonders relevant und hier exemplarisch in Erinnerung zu rufen sind die mittelbronzezeitliche „Zweiggöttin“5

1 Siehe dazu ausführlich Staubli 2014a und 2014b. 2 Milevski u. a. 2016, 140. 3 Siehe dazu ausführlich Staubli 2019. 4 Vgl. Keel/Schroer 2010. 5 Vgl. dazu Schroer 1987, 1989.

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(Abb. 2), die spätbronzezeitliche Baumgöttin „Elat“6 (Abb. 3) und die eisenzeitliche „Aschera“7 (Abb. 4).8

Abb. 1: Beritzter Schaf- oder Ziegenknochen, HaGoshrim, 2. Hälfte 6. Jt. v. Chr., Jerusalem, Israel Museum, IAA 2005–905 (Milevski u. a. 2016, 141, Fig. 2) – Abb. 2: ­Skarabäus, Enstatit, Geser, ca. 1650–1500 v. Chr., London, British Museum ME 104926 (­Schroer 2008, Nr. 410. 2) – Abb. 3: Krug, Ton, Lachisch, Ende 13. Jh. v. Chr., Jerusalem, Israel Museum IAA 34.7732, (Schroer 2011, Nr. 852) – Abb. 4: Skaraboid, Kalkstein, Lachisch, 7. Jh. v. Chr., London, British Museum, unauffindbar (Schroer 2018, Nr. 1807).

In diesem Beitrag möchte ich den in der Festschrift Gefeierten, der zu meinen ersten Lehrern der Bibelexegese und der Ikonographie gehört, durch die Fokussierung auf die Kontextualisierung von Zweigen auf jüdischen und römischen Münzen aus und für Judäa ehren. Es wird dabei nicht um die Beschreibung der einzelnen Münztypen gehen, was oft geschehen ist und wozu es Berufenere gibt,9 sondern um die Rekonstruktion des relevanten kulturellen Kontexts in dem diese Zweige ihre Resonanz fanden.

6

Die Inschrift lautet: „Gabe: Ein Geschenk für meine Herrin Elat.“ Das Wort Elat („Göttin“) steht genau über dem stilisierten Baum. In den Texten von Ugarit sind „Herrin“ und „Göttin“ Titel der „Aschera“. Nebst dem Baum gehören Hirsch, Hirschkuh, Löwe und ein Vogel zur Sphäre der Göttin. Vgl. Schroer 2011, 52.298. 7 Der am häufigsten belegte Name für die Göttin in der südlichen Levante während der Eisenzeit. Zum Kult der Göttin siehe zusammenfassend Schroer 2018, 100 f. 8 Ein traditionsgeschichtlicher Überblick zum Zweigmotiv von den Anfängen bis in die hellenistisch-römische Zeit findet sich in Staubli 2005; zum Zweig auf Stempelsiegelamuletten vgl. Keel 1995, § 64.95.433.519.537.546.559.561.574.586.615.618.622. 9 Vgl. Madden 1864; Meshorer 1982 und 2001. Dort weitere Literatur. Überblicksmäßig Goodman 2007. Zur hasmonäischen Numismatik siehe Ostermann 2005.

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1. Zweige auf palästinischen Münzen Nebst Lorbeer- oder Olivenkränzen, Palmbäumen, Kornähren, Schilfrohr, Granatapfel, Weintraube und Weinblättern ist es ein botanisch kaum zu bestimmender Zweig, oft als Palmzweig gedeutet, der auf Münzen zu finden ist. Eine von der athenischen Münzprägung inspirierte samaritanische Münze zeigt einen Steinkauz frontal in symmetrischer Komposition zwischen (Öl-)Zweigen (Abb. 5). In der judäischen Münzprägung erscheint der Zweig erstmals unter Johannes H ­ yrkan (134–104 v. Chr.). Der Ausdruck „Jonatan, der König“ steht links und rechts eines Zweiges geschrieben (Abb. 6), wohl eine Anspielung auf die Vision Sacharjas, wonach Fürst und Hohepriester durch zwei den göttlichen Leuchter flankierende Ölbäume repräsentiert werden (Sach 4,1–14; vgl. auch Sir 50,10). Ähnlich präsentiert sich eine Münze von Herodes Antipas. Die Aufschrift „Herodes, der T ­ etrarch“ ist von einem Zweig umgeben (Abb. 7). Ähnlich auch eine Münze Simons bar Gamaliels mit der Inschrift „Simon (Fürst) Israels“ (Abb. 8). Auf Münzen des Herodes flankieren Zweige einen Stern über einer Dioskurenmütze (Abb. 9) oder einen Tripod (Abb. 10).

Abb. 5: Münze aus Samaria (Meshorer/Qedar 1999, Abb. 206) – Abb. 6: Alexander Jannäus (Madden 1864, 66, 3 Rev.) – Abb. 7: Herodes Antipas (Madden 1864, 97, 2 Rev.) – Abb. 8: Simon bar Gamaliel (Madden 1864, 178, 1 Rev.) – Abb. 9: Herodes d. Gr. (­Madden 1864, 83, 2 Rev.) – Abb. 10: Herodes d. Gr. (Madden 1864, 88, 6 Rev.) – Abb. 11: Claudius (Madden 1864, 152, 2 Rev.) – Abb. 12: Simon bar Giora (Madden 1864: 167, 2 Rev.) – Abb. 13: Eleasar (Madden 1864: 164, 4 Rev.) – Abb. 14: Hadrian (Madden 1864: 212, Anm. 5 Rev.) – Abb. 15: Münze aus Aschkelon, Julia Domna (Umzeichnung des Autors nach Meshorer 1985, Abb. 49 Rev.) – Abb. 16: Skarabäus, S­ teatit, Tell el-Dabʿa, um 1700 v. Chr., Privatsammlung Othmar Keel, Fribourg ÄS 1994.7 (Schroer 2008, Nr. 478).

Auch auf den lokalen Münzen der römischen Macht finden sich Zweige (Abb. 11). Auf den Aufstandsmünzen des ersten und zweiten jüdischen Krieges wird der Zweig manchmal mit einem Gefäß kombiniert (Abb. 12), eine Anspielung auf

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einen während des Laubhüttenfestes im Tempel ausgeführten Ritus, bei dem mit einem Zweig Wasser verspritzt wurde. Unter Eleasar und Simon bar Giora während des ersten jüdischen Aufstandes geprägten Münzen zeigen Lulav und Etrog, zusammen mit dem Schriftzug „Jahr xy der Befreiung Israels“ (Abb. 13). Auch auf den in Rom geprägten Münzen, die die Niederschlagung des zweiten jüdischen Aufstandes feiern, fehlt der Zweig nicht. Sie zeigen die Kinder Judas, dem Kaiser Hadrian mit Zweigen huldigend (Abb. 14). Noch ungebrochener lebt in der Ikonographie Phanebals (pene Ba‘al, „Angesicht Baals“) von Aschkelon kanaanäische Zweigsymbolik fort, wo eine Münze den jugendlichen Gott, mit einer Waffe in der rechten und einem Zweig in der linken Hand zeigt (Abb. 15), wie der Vergleich mit einem Skarabäus aus der Mittelbronzezeit belegt (Abb. 16). In seiner Studie zu jüdischen Symbolen auf alten jüdischen Münzen listet Romanoff den Palmzweig zweimal auf. Zunächst unter „Landwirtschaft“, seiner größten Gruppe, nebst Palme, Lulav, Etrog, Reben und Trauben, Traubenblätter, Granatapfel (einzeln und mehrfach), Lilie/Rose, Füllhorn, Lorbeerkranz und Olivenkranz. Ein zweites Mal unter „Symbolen“, nebst Etrog, Dattelkorb, Granatapfel, Bundeslade und Stern.10 Auf nichtjüdischen Münzen sei der Zweig ein Symbol für Sieg und Ehre, auf jüdischen Münzen repräsentiere er ein Festritual und umgeben von einem Kranz auf den Bar Kochba Münzen das Hallel und damit göttlichen Sieg und Ehre und so auch den Sieg der Revolution.11 Er ist für ihn aber auch ein mit Fruchtbarkeit verbundenes Symbol, das den Juden schon vor der Münzprägung bekannt gewesen sei, das sich im Tempelschmuck finde und im weiteren Sinne als Tempelsymbol verstanden werden könne.12 Für die Abwesenheit eines Ölzweiges unter den Symbolen auf den judäischen Münzen gibt er als möglichen Grund an, dass er prominent auf athenischen Münzen vorkomme oder, wie Louis Ginzberg vermutet habe, weil er im Schmuck der Brautleute Verwendung fand (jSot 9,16).13 Auch das Schlachtrind bei der Präsentation der Bikkurim war mit Ölzweigen geschmückt (jBik 3,2). So verständlich das Nebeneinander von Palmzweig und Lulav in Romonoffs Systematik, basierend auf einer rein formalen, äußeren Erscheinung, ist, so wenig trifft sie die bezeichneten Inhalte, denn einerseits ist der Palmzweig selber ein Bestandteil des Lulavstrausses, nach Romanoff sogar ein besonders effizienter,14 und andererseits braucht die talmudische Literatur den Begriff Lulav auch für Zweige generell und die Poesie im übertragenen Sinne für Kinder.15 Der Versuch, mit dem Lulav einen exklusiv jüdischen Festzweig zu konzipieren, verstellt den Blick auf die Reali-

10 Vgl. Romanoff 1942, 2, 4. 11 Vgl. Romanoff 1942, 2 Anm. 5. 12 Vgl. Romanoff 1942, 9–10. 13 Vgl. Romanoff 1942, 4–5 mit Anm. 17. 14 Da die Palme höher wachse als andere Bäume und ihre Blätter näher bei den Wolken seien, habe sich die magische Vorstellung entwickelt, dass sie bei der Beschwörung des Regens besonders erfolgreich seien. So Romanoff 1944, 436, im Anschluss an Ideen von Frazer 1911. 15 Vgl. Romanoff 1944, 436 Anm. 66.

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tät. So, wenn Romanoff zur Vermutung gelangt: „In Palestine the custom of carrying palm-branches and other branches possibly developed from the Sukkot practice“16. Es ist nachweislich umgekehrt: Die judäische Sukkot-Praxis ist ein lokaler Ausdruck einer sehr viel älteren, in der ganzen Region verbreiteten Festkultur, bei der Zweige eine wichtige Rolle als Symbole spielten, ein Teil der regionalen „histoire de longue durée“. Die Freude an Zweigen als Ausdruck der sich regenerierenden Erde teilten die Judäer zum Beispiel mit den Philistäern. Der Palmzweig erscheint sehr oft auf den Münzen aus Aschkelon und ist vermutlich sogar das Beizeichen der dortigen Prägestätte.17 Dafür hat man sicher kein beliebiges Zeichen verwendet, sondern eines, das in der Region seit Alters eine große Bedeutung hat und daher als Emblem verwendet werden konnte (vgl. oben Abb. 15 und 16).

2. Zweige im Dekor der judäischen Religion zur Zeit des Zweiten Tempels Um zu verstehen, welche Konnotationen und Assoziationen Zweige auf judäischen Münzen evozierten, kann auf den beliebten Messiastitel „Sproß Davids“ verwiesen werden.18 Wo der Zweig mit Herrschernamen kombiniert wird, waren die Assoziation dieses Titels und damit die Funktion des Symbols als Zeichen legitimer Herrschaft naheliegend. Das bedeutet nicht, dass die politische Symbolik die Regenerationssymbolik verdrängte. Der Zweig hat in diesem Kontext dieselbe Symbolik wie das Horn.19 Im Folgenden soll gezeigt werden, wo und wie Zweige im Dekor der judäischen Religion in hellenistisch-römischer Zeit eine Rolle spielten.

2.1 Der Hohepriester als junger Trieb Im Zentrum des religiösen Symbolsystems stand – nicht nur als Ersatz für das nicht existierende Gottesbild, sondern primär als Repräsentant des vor Gott stehenden Volkes – der Hohepriester. In seinem Ornat war er der Stolz des israelitischen Volkes in hellenistischer Zeit. Die Beschreibungen Aarons (Sir 45,6–22) und des zu seinen Zeiten wirkenden Hohepriesters Simon (Sir 50,1–21) nehmen im Väterlob

16 Romanoff 1944, 427. 17 Vgl. Gitler 1996, 7. 18 Vgl. 2 Sam 23,1–7; Ps 132,17. Seit Jeremia (Jer 23,5; 33,15) bezeichnet der Ausdruck „gerechter Sproß“ den erwarteten, legitimen und gottesfürchtigen Thronerben. Er ist auf Zypern auch außerbiblisch belegt (KAI II,60 f.). 19 In der babylonischen Version des Achtzehngebets stehen bei der Bitte um einen gerechten Herrscher beide Bilder im Parallelismus, vgl. Dalman 1930, 237 f.; Amsler 1979, 566.

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Jesus Sirachs breiten Raum ein. Simons Erscheinung beim Heraustreten aus dem „Haus des Vorhangs“ wird mit elf superlativischen Vergleichen beschrieben, die ein auf Symmetrie bedachtes Bild ergeben (Sir 50,6–10):20 … wie der Morgenstern inmitten von Wolken, / wie der volle Mond an seinen Tagen, 6

wie eine Rosenblüte in den Tagen des Frühlings, /  wie Lilien an quellendem Wasser, / wie ein ­junger Trieb des Libanon in Sommertagen, 8

wie die Sonne, die auf den Tempel des Höchsten strahlt, / wie ein Regenbogen, der in den herrlichen Wolken leuchtet, 7

wie Feuer und Weihrauch auf der Räucherpfanne, / wie ein Gefäß aus Gold gehämmert, /  geschmückt mit allen ­kostbaren Steinen, 9

wie ein Olivenbaum, der Früchte trägt, / und wie eine Zypresse, die sich in die Wolken streckt. 10

Tab. 1: Die Preisung des Hohepriesters in Sir 50,6–10.

Das kostbare Goldgefäß, Feuer und Weihrauch bilden das Zentrum der Konstellation, flankiert von Pflanzen – Blumen und Zweig auf der einen, Bäume auf der anderen Seite – unter Sonne und Mond, flankiert von Wolken mit Stern und Regenbogen. Da die Wolken im letzten Vers des Bildes nochmals erwähnt werden, fungieren sie als Rahmung des Gesamtbildes.

Abb. 17: Kalksteinrelief, DuraEuropos, 2. Jh. n. Chr., Yale Uni�versity Art Gallery 1935.44, (Staubli 1991, Abb. 112).

Der Text evoziert eine abrufbare Bildkonstellation. So erscheint etwa der arabische Gott Arsu im vollen Ornat auf dem Kamel unter bzw. zwischen Mond und Stern und zwischen starker Pflanze, die wie ein Zweig aussieht, und Räucheraltar (Abb. 17). Der Priester kann auch direkt hinter dem Räucheraltar stehend, beim Vollzug des Rauchopfers dargestellt sein, wie auf dem Wandfresko des Konon 20 Text nach der neuen Einheitsübersetzung (2017).

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im Tempel für die palmyrenischen Gottheiten von Dura-Europos aus dem Jahre 70 n. Chr. Verwandt ist auch die Vision Sacharjas des Leuchters mit den sieben Lampen, flankiert von Ölbäumen (Sach 4,2–3). Bei Ben Sira entspricht das Goldgefäß mit Feuer und Weihrauch im Zentrum formal der Position des Gottessymbols in der Konstellation von Sacharja. Der junge Trieb (βλάστος)21 in der Bildkonstellation durchbricht als drittes Bild bei den Blüten (Rosenblüte und Lilie) die ansonsten strenge Symmetrie mit je zwei Vergleichen im Parallelismus membrorum und ist für sich nochmals ein Superlativ durch die Verbindung mit dem Libanon in Sommertagen. Diese Charakterisierung des jungen Triebes zielt auf seinen beeindruckend starken, hohen Wuchs ab.

2.2 Zweige im Kopfschmuck des Hohepriesters Auch Josephus Flavius, selber Priester des Jerusalemer Tempels, zeigt sich beeindruckt vom hohepriesterlichen Ornat, den er in seinen Altertümern ausführlich beschreibt (A.J. III 159–178), noch ausführlicher als es in den Bestimmungen für den Bau der Stiftshütte der Fall ist (Ex 28). Einen eigenen Paragraphen (A.J. III 172–178) widmet Josephus allein dem Kopfschmuck. In der Vorschrift der Tora heißt es darüber nur, dass sich an der Vorderseite des Kopfbundes eine an einer purpurnen Kordel befestigte goldene Blume (zīz) mit dem eingravierten Namen Jahwes befinden soll.22 In nachexilischer Zeit erhält die Kopfbedeckung dann eine zusätzliche Bedeutung als Symbol für die Wiedergeburt von Priestertum und Tempel auf dem Zion. Sacharja (Sach 6,11–12) soll Kronen (ʿaṭarōt) aus Silber und Gold anfertigen und sie auf das Haupt Jehoschuas des Sohns von Jehozadak, des Hohenpriesters, setzen und er soll zu ihm sagen: „So spricht JHWH Zebaoth: Sieh, ein Mann, Spross (ṣæmaḥ) ist sein Name, unter ihm wird es sprossen, und er wird den Tempel JHWHs bauen!“ Dieses innovative priesterliche Kronenkonzept scheint in hellenistischer Zeit auch realisiert worden zu sein. Nach Josephus trägt der Hohepriester über dem Kopfbund der gewöhnlichen Priester zusätzlich ein gefärbtes Tuch, dazu eine dreifache, goldene Krone mit Pflanzenornamentik am Hinterkopf und über den Schläfen, während die Vorderseite in die Goldplatte mit dem Gottesnamen übergeht. Josephus beschreibt die Pflanze in allen Details. Sie

21 Das Wort impliziert da, wo es in der Septuaginta (oft abweichend vom MT) verwendet wird, immer starke Wuchskraft und Lebenssymbolik, durchwegs in Bildworten oder als Teil von Kunsthandwerk am Tempel: Die Sprosse aus den Rebenranken im Traum des Mundschenk (Gen 40,10) und im wunderbaren Baum Israels (Ez 17,8.23; 19,6), der aus einem Spross hochwachsende Stamm Juda (Gen 49,9), die Sprosse im Kunstschmiedewerk der Menora (Ex 37,18), der sprießende Stab Aarons (Num 17,23), Lotossprosse als Zierwerk am Rand des Ehernen Meeres (1 Kön 7,12; 2 Chr 4,5), zerstörte und feindliche Sprosse (Ijob 15,30; 30,12), „Blastos“ ist auch als Männername bezeugt bei einem Kämmerer Agrippas I. (Apg 12,20). 22 Zu möglichen Rekonstruktionen dieser Anweisung vgl. Staubli 2013, 72–75.

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gleiche dem Sacchar bzw. dem Hyoscyamus (Bilsenkraut), die Frucht der Sideritis (Syrisches Gliedkraut) und die Blüte den Mohnblättern. Mit anderen Worten: Der Name Gottes erscheint auf dem Haupt des Hohepriesters wie im Gezweige eines lebendigen Baumes.23 Die aspektreiche Beschreibung des kostbaren Kunstgeschmiedes erinnert an die phantasiereichen Pflanzenkunstgebilde Kanaans der Bronzezeit, die meistens als „Heiliger Baum“ das Zentrum von Verehrungsszenen bilden. Diese Kunstwerke bilden keine bestimmte Pflanzenart ab, vielmehr bringen sie möglichst eindringlich das Sprießen und Knospen der Pflanzen, ihre regenerative Lebenskraft, zum Ausdruck. Aus dem Kultschatz des spätbronzezeitlichen Zeremonienpalastes von Hazor ist eine hochwertige Kultfigur einer thronenden Gottheit erhalten geblieben. Der Gott oder Gottkönig trägt eine hohe Krone, auf deren Front ein Heiliger Baum zu sehen ist, an dem Ziegen weiden (Abb. 18). „Der thronende Wettergott“, so kommentiert Silvia Schroer, „schmückt sich mit einem Attribut seiner Partnerin“24. Nach Hos 11,9 tut Jahwe ähnliches, wenn er von sich sagt: „Ich bin wie grünender Wacholder, an mir ist Frucht für dich zu finden.“ Noch näher am Bildkonzept der Hohepriesterkrone ist die Offenbarung des Gottesnamens aus dem Busch heraus (Ex 3,1–15). In hellenistischer Zeit scheint man sich diesen Busch nicht als Dornenstrauch vorgestellt zu haben. Josephus beschreibt ihn als eine Pflanze mit Blättern und Blüten und fruchttragenden Zweigen (A.J. II 266) und ähnlich auch Aarons Stab mit Zweigen, Sprossen und reifen Früchten, nämlich Mandeln (A.J. IV 65; so auch Philo Mos. II 179 f.).25 Es scheint, dass die Gestaltung der hellenistischen Hohepriesterkrone in der kunsthandwerklichen Tradition kanaanäischer Götterkronen steht. Jedenfalls ist das, was Josephus gesehen hat und beschreibt keine handwerkliche Umsetzung der priesterschriftlichen Vorschrift. Die stark stilisierte, geradezu statische Rekonstruktion des zīz durch das „Temple Institute“ als Diadem (Abb. 19) wird der Schilderung der lebendigen Krone, die Josephus gesehen hat, nicht gerecht. Sie sucht vielleicht einen Kompromiss zwischen Josephus und der Priesterschrift. Etwas mehr von der ursprünglichen Pflanzenkronenidee lebt in der oftmals sehr wertvollen „Krone“ (kætær) fort, mit der die Torarollen bekrönt werden, wie ein berühmtes Beispiel aus Venedig illustriert (Abb. 20). Der Begriff kætær kommt innerhalb der Bibel nur im Buch Esther vor (Est 1,11). Der übliche Begriff für einen ehrenden Kopfschmuck ist ʿaṭarah. Er wird in der Septuaginta konsequent mit stephanos (lat. corolla, corona) übersetzt. Damit kann ein Kunstprodukt aus Edelmetall gemeint sein (2 Sam 23,30 || 1 Chr 20,2; Sach 6,11.14; Ps 21,4; Est 8,15), also das, was wir üblicherweise als „Krone“ bezeich23 Zu „Söhnen wie Pflanzen“ vgl. Ps 144,12; zu Gott als Baum vgl. Hos 14,9; zur Numinosität von Pflanzen in der hebräischen Bibel generell vgl. Keel/Schroer 2008, 58–63. 24 Schroer 2011, 362. 25 Eichler 2019 deutet die Geschichte von Aarons Stab (Num 17,16–26) als priesterliche Ätiologie der Aschera im salomonischen Tempel. Diese Deutung erkläre zugleich, weshalb P keine Polemik gegen Aschera kenne.

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nen, aber auch ein Kranz aus Pflanzen, der bei einem Festgelage (Jes 28,1–5) oder bei einer Hochzeit (Hld 3,1) aufgesetzt oder spontan gewunden wird (Ijob 31,36), also das, was wir üblicherweise als „Kranz“ bezeichnen.

Abb. 18: Detail einer ursprünglich versilberten und vergoldeten Bronzefigur, Hazor, um 1300 v. Chr., Jerusalem, Israel Museum IAA 2009–1338 (Schroer 2011: Nr. 934) – Abb. 19: Die neue Krone (zīz) des Hohepriesters nach dem Temple Institute (Machon HaMikdash): https://www.templeinstitute.org/images/new-tzitz-1.jpg – Abb. 20: Torakrone (kætær), Silber und Blattgold, Andrea Zambelli, Venedig, ca. 1740–50, New York, Metropolitan Museum of Arts 2013.443: (https://images.metmuseum.org/CRDImages/ es/original/DP334410.jpg) – Abb. 21: Tetradrachme, Silber, Damaskus (?), Seleukos IV Philopator, 187–175 v. Chr., Umzeichnung des Autors nach einem Exemplar aus der Sammlung George Bernert.

Im griechischen Kontext haben Kränze im Kult, bei Festen, Hochzeiten, sportlichen und kriegerischen Siegerehrungen und bei Bestattungen ihren Sitz im Leben. Die Übergänge der genannten Sphären sind oft fließend.26 Der natürliche Kranz konnte in Bronze, Silber oder Gold künstlich nachgeformt oder bei Grabmälern auch aufgemalt oder eingeritzt werden. Sowohl bei seleukidischen als auch bei ptolemäischen Herrschern war er kein Teil der majestätischen Tracht, sondern ein ehrendes Attribut. Sehr oft ist ein Haarband bzw. ein Diadem der einzige Schmuck dieser Herrscher. Auf einer vermutlich in Damaskus geprägten Münze Seleukos’ IV. ist ein Kranz hinter dem Herrscher zu erkennen, der selber nur ein Haarband trägt (Abb. 21). Möglicherweise hat die hellenistische Sitte der Ehrung des Fürsten mit dem Kranz hinter ihm auf das Konzept des hellenistischen Hohepriesterschmucks in Jerusalem abgefärbt, wo die vegetativen Elemente sich auf die Hinterseite konzentrieren und den Namen bzw. Titel „Spross“ des Hohenpriesters verkörpern, während auf der Vorderseite der Name Jahwes prangt. Mit der allegorischen Deutung der sprießenden Pflanzen auf den Hohenpriester findet eine weitere patriarchale Vereinnahmung des genuin mit der Erdgöttin verbundenen Symbols statt. Das Konzept des Kopfschmuckes insgesamt setzt aber die alte kanaanäische Tradition des vegetativ geschmückten Kopfbundes fort. 26 Vgl. Hurschmann 2003.

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2.3 Zweige im Architekturschmuck und Inventar des herodianischen Jerusalemer Tempels Bäume, Strauchwerk und Zweige, die den Stein gleichsam beschatten, gab es nach Josephus im Außenrelief des königlichen Palastes Salomons (A.J. VIII 136). Die äußerst kostbaren Weihegaben, die Ptolemäus II. (308–246 v. Chr.) nach Jerusalem stiften ließ, zeigten im Dekor vielfältigen Zweigschmuck. Die Füße eines Tisches „bestanden aus Efeu, Rebzweigen und Trauben, die so täuschend gemacht waren, dass man sie von wirklichen nicht unterscheiden konnte“ (A.J. XII 75). Dasselbe Dekor wiederholt sich auf zwei goldenen Krügen und dreißig goldenen Schalen (A.J. XII 78–82).

2.4 Zweige als Paraphernalia bei Festen Die kanaanäische Vegetationsfrömmigkeit lebt besonders im Zweigbündel mit Myrten-, Weiden- und Palmzweigen am herbstlichen Laubhüttenfest fort (Lev 23,40; Jos. A.J. III 345; bSuk 3). Die jüdischen Historisierungen des Festes als Landnahmefest greifen in diesem Zusammenhang kaum gegenüber den viel älteren Bezügen zur Fruchtbarkeit des Landes. Die Rabbinen verteidigten die archaischen Riten, mit dem Festtagsstrauß Wasser zu verspritzen und so um Winterregen zu beten gegenüber der sadduzäischen Kritik (bSuk 5). Zweige gehörten seit jeher zu Festen am Jerusalemer Tempel, nicht nur beim Laubhüttenfest (siehe dazu auch unten 3.3). Wollte Nehemia den Zweigkult mit seinen uralten Bezügen zum Kult der Göttin und des Wettergottes unterbinden? Er spricht jedenfalls nur von Öl-, Myrten- und Palmzweigen sowie von weiteren Laubbaumzweigen für den Hüttenbau (Neh 8,15).

2.5 Zweige in der judäischen Grabkunst Palm- und Ölzweige finden sich oft auf judäischen Ossuarien der hellenistisch-­ römischen Zeit nebst Lilien, Akanthusblättern, Zapfen der Aleppopinie, Eichenlaub und -früchten, sowie Efeu. Seltener sind Reben und Granatäpfel.27 Die vegetativen Dekorelemente haben unterschiedliche Erklärungen gefunden. Während Rahmani sie für reine künstlerische Reflexe der Gärten in der Umgebung von Gräbern hält, glaubt Crewe im Anschluss an Goodenough, dass dionysische Denk- und Dekorkonzepte das jüdische Brauchtum beeinflusst haben.28

27 Vgl. Figueras 1983, 93–97; Crewe 2009. 28 Vgl. Crewe 2009, 80, mit weiteren Literaturangaben.

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Dieweil die funeräre Zweigsymbolik im Judentum verschwunden ist, lebt sie im lokalen muslimischen Brauchtum Palästinas fort. Tawfiq Canaan (1928) berichtet, dass Palmzweige an der Spitze von Bestattungsprozessionen getragen und in die vier Grabecken gesteckt werden, so dass sie sich gegenseitig berühren. Manchmal werden sie mit Blumengirlanden verbunden, später werden sie auf das frische Grab gelegt.29 Auch an ʿīd el-fiṭr (Fest des Fastenbrechens nach Beendigung des Ramadans) werden die Gräber damit geschmückt.30 Manchmal finden sich eingeritzt Zweige als Dekorelemente auf Grabstelen.31

3. Zweige auf den römischen Bacchius iudaeusund Aretas-Münzen Im Zusammenhang mit Zweigen sind nicht nur jüdische Münzen zu besprechen, sondern auch die erste, nach der römischen Eroberung der Levante edierte römische Münze. Sie zeigt einen knienden Zweigträger neben seinem Reittier, einem Kamel (Abb. 22). Die Beischrift der Szene lautet: „Bacchius iudaeus“, eingedeutscht: „Judäischer Bacchant.“ Aber was ist damit gemeint? Darüber gibt es eine Debatte. Erstmals erscheint das Wort βάκχος in einem Fragment Heraklits.32 Bacchanten erscheinen hier in einer Reihe mit anderen Menschen bewusstseinsveränderten Zustands. Bei Xenophanes wird das Wort βάκχοι hingegen mit der Bedeutung „Zweige“ verwendet.33 Einige Forscher halten nun dafür, dass „Zweig“ die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist, das dann metonymisch für die Anhänger des Dionysos verwendet worden sei.34 Da das Wort aber nur sehr selten diese angeblich ursprüngliche Bedeutung hat und meistens für Menschen im rituellen Weindelirium verwendet wird, gehen heute die Meinungen eher dahin, dass das Wort diesen Zustand bezeichnet und sekundär die Bedeutung „Zweig“ erhielt, den die Dionysos-Mysten in ihren Händen tragen.35 Eine genaue Untersuchung der Wortbezeugungen, die sich in klassischer Zeit stark häufen, zeigt, dass die Worte βάκχη und βάκχος für Menschen verwendet werden, die sich während des Dionysoskults im Delirium befinden, βάκχιος hingegen als Epitet für Dionysos oder (nebst βάκχεῖχος) als Bezeichnung für seine Anhänger.36 Einen Gott Bac29 Vgl. Staubli 2014a, Fig. 51. 30 Vgl. Dafni u. a. 2006. 31 Vgl. Canaan 1928, 153. 32 „Wem prophezeit Heraklit von Ephesus? Den Schlafwandlern, Zauberern, Bacchanten, Lenaeern (Kelterern), Eingeweihten. Diese beschäftigt er mit Dingen, die nach dem Tod kommen, diesen prophezeit er Feuer.“ (B 14 DK, bei Clem. Al. Protrepticus 2,22,2). 33 „Pinienzweige stehen rings herum ums Haus“ (Xen. Fr. 17 DK). 34 Vgl. Guettel Cole 1980, 229. 35 Vgl. Santamaría 2013, 40. 36 Vgl. Santamaría 2013, 42.

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chus hingegen gibt es nicht. „Dionysos is conceived as the ultimate βάκχος, the leader of the other βάκχοι“37. „Bacchanten“ bzw. „Bacchantische“ sind Verehrer des (­bacchantischen) Dionysos.

Abb. 22: Denar, Silber, Rom, Aulus Plautius, 55  v. Chr. (Keel 2007, Abb. 680) – Abb. 23: ­Denar, Silber, Rom, Aemilius Scaurus, 58 v. Chr. (Staubli 1991, Abb. 78a).

Der Kniende neben seinem Kamel auf der römischen Münze ist also ein judäischer Dionysosverehrer mit dem für diese Eingeweihten typischen Zweig. Die Römer hatten erkannt, dass es nicht opportun war, einen judäischen König abzubilden, da der judäische Führer innerhalb des Volksgefüges nur ein princeps inter pares war und nicht ein König wie bei anderen Nationen. Der Vergleich mit der wenige Jahre früher geprägten und offensichtlich als Vorbild dienenden Rex Aretas Münze (Abb. 22), die die Unterwerfung des Nabatäerreiches dokumentiert, verdeutlicht dies. Die Ikonographie ist fast identisch – wodurch die den Römern ins Auge springende Verwandtschaft Judäas und des Nabatäerreiches unterstrichen wird –, während die unterschiedlichen Beischriften die politischen Unterschiede herausstreichen. Die Beischrift „Bacchius iudaeus“ war eine diplomatische Lösung, dem römischen Bürger etwas über den soziopolitischen Charakter Judäas zu vermitteln, ohne damit die eigenwillige judäische Herrschaftsform zu kompromittieren.38 Diese Deutung trifft sich zum einen mit der Dionysos-Jahu-Ligatur bei der ältesten hellenistischen Jahwe-Darstellung (3.1), zum andern mit Plutarchs Deutung der judäischen Religion (3.2), zum Dritten mit den funktionellen und formellen Parallelen zwischen Thyrsos und Lulav (3.3), zum Vierten mit der Verwandtschaft Jaos mit Osiris-Dionysos (3.4). Das alles bedeutet nicht, dass nicht auch der kniende Idumäer als Bacchius verstanden wurde. Der Gott der Nabatäer ist Duschara, eine lokale Erscheinungs37 Santamaría 2013, 44. 38 Die spekulative Deutung der Beischrift auf Aristobul II. durch Meshorer geht an der Sache vorbei. Vgl. dazu ausführlich Scott 2015. Er vermutet, dass die Charakterisierung der Judäer als Dionysosverehrer Parallelen hatte durch entsprechende Figuren im Theater des Pompeius und im Nationentor des Augustus (vgl. Scott 2015, 32). Im Sebasteion von Aphrodisias ist eine Statuenbasis erhalten geblieben der nicht mehr erhaltenen Statue des judäischen Volksrepräsentanten. Sie zeigt unter der Inschrift ΕΘΝΟΥΣ ΙΟΥΔΑΙΩΝ eine mit Weinranken überladene Maske Pans (?) (vgl. Scott 2015, 29, Fig. 4). Scott deutet aber eigenartigerweise die kniende Figur nicht auf die unterworfenen bacchischen Judäer, sondern auf Bacchus selbst. Bacchius erklärt er ohne Begründung als Schreibvariante (46). Das widerspricht nicht nur der durch die Aretas-Münze vorgegebenen Bildsyntax, sondern auch den oben referierten Analysen zu Bacchius von Santamaría 2013, die Scott nicht berücksichtigt.

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form des Dionysos. Freilich nicht im Sinne der weintrinkenden Griechen, sondern eine Verkörperung der fruchtbaren Vegetation am Rande der Arabischen Wüste in Idumäa und von da aus dann besonders im Kontext der Grabanlagen von Petra auch ein „osirischer“ Gott der Regeneration und Auferstehung im weiteren Sinn.39

3.1 Dionysos-Jahu auf einer judäischen Münze

Abb. 24: Silberdrachme, Südlevante, um 380 v. Chr., British Museum (Gitler/Tal 2006, Pl. LXXII No. XVI.25Da – Abb. 25: Schwarzfigurige Amphore, 2. Hälfte 6. Jh. v. Chr. (Kienle 1975, Taf. IV.2).

Die älteste hellenistische Darstellung Jahwes findet sich auf einer singulären Münze im British Museum (Abb. 24). Keel hat die traditionelle Deutung des Thronenden auf dem Flügelrad als Zeusgestalt mit guten Gründen in Frage gestellt. Der Greifvogel in der Hand der Gottheit gibt dazu zwar Anlass (und verleiht der Gestalt in der Tat eine zeusische Funktion als oberste bzw. alleinige Gottheit), aber das Flügelrad ist das Gefährt des Dionysos.40 Dazu passt auch die männliche Maske gegenüber der Gottheit, die „wahrscheinlich als Satyr- oder Silenkopf zu deuten

39 Duschara, „Der von Schara (bzw. von den Schara-Bergen)“, in der Gegend von Petra oder „Der von der Vegetation“. Schon Herodot bezeugt die Verehrung des „Dionysos“ durch die Nabatäer unter dem Namen Orotalt (Hdt. III 8). Nach dem Lexikographen Hesychius (um 500 n. Chr.) handelt es sich bei Duschara um ebendiesen Dionysos der Nabatäer (Latte 1953–1966, 475). Damit ist aber im Kontext der nicht weintrinkenden Nabatäer, wie Patrich 2005 darlegte, nicht der Weingott der Griechen im engen Sinne gemeint, sondern der Gott der Lebenserneuerung in einem umfassenden Sinne, ein Auferstehungsgott wie Osiris, Adonis oder Aion – Gottheiten, die die Griechen ebenfalls mit Dionysos identifizierten. Er wird auch Schaiʿ al-Qaum genannt, „der Begleiter des Volkes“, ein guter und mildtätiger Gott, wie es in Inschriften heißt. 40 Dass Zeus und Dionysos zwei Aspekte ein- und derselben Gottheit sind, war eine verbreitete Ansicht (vgl. 2 Makk 6,1–7 und die ausführliche Fußnote 134 dazu bei Scott 2015).

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ist“41 und die bei einer Deutung auf Zeus keine Erklärung findet. Eine von Keel als Parallele angeführte schwarzfigurige Amphore aus der 2. Hälfte des 6. Jh. v. Chr. zeigt Dionysos auf dem Flügelrad, vor dem ein Satyr einhergeht, der das Mischgefäß trägt und einen ähnlichen Kelch wie der auf dem Wagen thronende Gott (Abb. 20). Man beachte die Verbindung der beiden Gestalten durch Weinranken. Keels Bildinterpretation erhält für eine Deutung auf den judäischen Gott dadurch noch mehr Relevanz, dass die Beischrift von Experten nicht mehr als Provinzname „Jehud“ (YHD) gelesen wird, sondern als Gottesname „Jahu“ (YHW). Sie sehen in der Münze eine philistäische Prägung im Auftrag edomitischer Judäer, für die das Gottesbildverbot keine Relevanz hatte.42

3.2 Jahwe als Dionysos-Adonis in Plutarchs Deutung In seinen quaestiones convivales, entstanden zwischen 99 und 116 n. Chr. (vgl. Jones 1966, 72–73) erörtert Plutarch u. a. in Buch IV, Frage 6, wer der Gott der Juden sei (Plut. symp. IV 6 [671C–672C]). Seine These ist, dass Dionysos mit Adonis (= Adonai, = JHWH) identisch ist. Folgendes wird dazu ins Feld geführt: 1. Das Laubhüttenfest, bei dem die Menschen in Zelten und Hütten leben, „die zumeist aus Weinlaub und Efeu geflochten sind“. 2. Ein wenige Tage später gefeiertes, weiteres Fest, „das sie rundheraus nach Dionysos benennen“, womit vielleicht Schemini Azeret43 oder Simchat HaTora44 gemeint ist. 3. Eine feierliche „Prozession mit Zweigen“, auch „Prozession mit dem efeuumwundenen Stab“ genannt. „Bei der Gelegenheit tragen sie Thyrsosstäbe in den Händen, wenn sie ins Heiligtum eintreten.“ Damit ist entweder der siebte Festtag von Sukkot, der „Weidentag“ gemeint45 oder das Chanukkahfest46. 4. Die von den Juden an Festen verwendeten Trompeten kommen an gewissen Orten auch bei Dionysien vor. 5. Die Bezeichnung der musizierenden Priester, der Leviten (Λενίτας), wird sprachlich von den Dionysos-Beinamen Λύσιον („Löser“) oder Εὔιον (Personifikation des Festrufes bei Dionysosprozessionen) her gedeutet.47 6. Wird die Vermutung geäußert, dass auch der Sabbat dionysischen Charakter habe, weil er an den Dionysos-Beinamen „Saboi“ erinnere und weil Wein dabei eine Rolle spiele. Nebst diesen „Ähnlichkeiten“ werden abschließend zwei Argumente angeführt, mit denen jeder Widerspruch im Keim erstickt werden soll: 7. Das Kleid des Hohepriesters, bestehend aus Mitra, goldbesticktem Rehfellüberwurf, knöchellangem Gewand, Kothurne

41 Keel 2007, 979. 42 Vgl. Gitler/Tal 2006, 230. 43 Vgl. Stern 1974, 561. 44 Vgl. Klauck 1997, 231 Anm. 124. 45 Vgl. Stern 1974, 561. 46 Vgl. Klauck 1997, 232 Anm. 128. 47 Vgl. Vgl. Klauck 1997, 232 Anm. 130 und 231 Anm. 122.

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an den Füßen und Glöckchen am Saum des Kleides. Bei den nächtlichen Dionysien spielt ebenfalls der Lärm eine Rolle. 8. „Hinzu kommt der Thyrsosstab, der mit den Handpauken im Giebelfeld ihres Tempels abgebildet ist. Das passt ganz offensichtlich zu keinem andern Gott so gut wie zu Dionysos.“ Als abschließender Höhepunkt wird also ein ikonographischer Beleg vom judäischen Tempel angeführt, der sich auf die Vegetationssymbolik bezieht (s. dazu 2.3).

3.3 Judäo-ägyptische Polemik gegen Jahwe-Dionysos-Synkretismus Das vermutlich um 100 v. Chr. herum im ägyptischen Provinzjudentum entstandene 3. Makkabäerbuch48 überliefert die Gründungslegende eines uns heute unbekannten Festes der ägyptischen Juden. Darin ist von Ptolemäus IV. Philopator (221– 204 v. Chr.) die Rede, der den Seleukidenkönig Antiochos III. in der Schlacht von Raphia (217 v. Chr.) besiegte. Weil er das Allerheiligste des Tempels von Jerusalem nicht betreten darf, veranlasst er gemäß 3 Makk 2,29, dass alle in Ägypten registrierten Juden mit einem Efeublatt, dem Zeichen des Dionysos,49 zu tätowieren und zu versklaven seien. Nur wer sich freiwillig den Dionysosmysterien verschreibt erhält die bürgerlichen Rechte. Die standhafte jüdische Mehrheit wird schließlich im Hippodrom Alexandriens zusammengetrieben, damit sie dort von berauschten Elefanten zu Tode getrampelt würde. Doch wunderbarerweise wenden sich die Elefanten gegen das ägyptische Heer – ein Ereignis, das nach Josephus Flavius (c. Ap. II 53–54) unter der Regentschaft Ptolemäus’ VIII. Euergetes II. stattgefunden haben soll. Ptolemäus kommt angesichts des göttlichen Machterweises zur Vernunft und richtet für die Juden sogar ein siebentägiges Fest aus, das mit verschiedenen Weinsorten (3 Makk 6,30), Liedern und Reigentänzen (3 Makk 6,33.35) und „allerlei stark duftenden Blumen (ἄνθεσιν)“50 (3 Makk 7,16) künftig jährlich begangen wird. Die rehabilitierten Juden erhalten nun ihrerseits das Recht, Judäer, die dem Dionysos huldigen, zu töten (3 Makk 7,12–15). Die legendenhafte Satire51 ist auf ihre Weise ein Zeugnis für die Nähe von Jahwe- und Dionysoskult. Sie bekundet außerdem den der judäischen Religion inhärenten schwierigen Spagat zwischen der bekenntnishaften Bekundung der einzigartigen und unvergleichlichen Gottheit52 und den mit vielen anderen Völ-

48 Eine ausführliche Begründung dieser Datierung und Verortung bei Knöppler 2017. 49 Das Zeichen, das Ptolemäus IV. Philopator selber trug, der dadurch für die judäischen Ohren als Sklave erscheint (vgl. Hacham 2005, 172). 50 Das Wort spielt möglicherweise auf ein in Athen (und auch in Alexandrien?) bekanntes, dionysisches Blumenfest (Anthesteria) an (vgl. Hacham 2005, 181 mit Anm. 59). 51 Vgl. Croy 2008. 52 Wie sie in 3 Makk 2,2 in den zu Beginn des Bittgebetes der frommen Juden verwendeten Epitheta Gottes zum Ausdruck kommen: „Herr, Herr, König der Himmel und Gebieter (δεσποτής) über die ganze Schöpfung, Heiliger unter Heiligen, Alleinherrscher (μόναρχος), Allmächtiger

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kern im Mittelmeerraum offensichtlich geteilten Sitten und Gebräuchen wie der Feier eines Herbstfestes. Der Unterschied zwischen den Kulten war innerhalb eines fundamentalistischen judäischen Symbolsystems nicht durch eine aspektivische Liaison wie jene zwischen Zeus und Dionysos (vgl. Abb. 24) überbrückbar, sondern führte zu religiösen Exklusionen und Verfolgungen. Eine Ligatur mit dem Dionysoskult wurde unter Ptolemäus IV. Philopator zusätzlich erschwert, weil er den Dionysoskult zum Staatskult auswachsen ließ.53 Das Tatoo-Motiv illustriert, wie ein Blatt bzw. ein Zweig als pars pro toto einen Kult, in dem die sich regenerierende Vegetation und ihr Segen im Zentrum stehen, vergegenwärtigen kann.54 Ein Hauptzweck der Legende dürfte die orthodoxe Imprägnierung eines (uns leider nicht weiter bekannten) ägypto-judäischen Festes sein, das viele Ähnlichkeiten mit dionsysischen Kultfeiern aufgewiesen haben musste (Wein, Lieder, Tanz, Blumen). Diese Imprägnierung funktionierte nach bewährtem Muster (vgl. Pessach, Schawuot, Sukkot, Chanukkah, Purim)55 durch Historisierung: Die ursprüngliche Freude an der Schöpfung wird durch die Freude über die erinnerte und gepriesene „historische“ Errettung aus einer Not durch den einen Gott ersetzt.56 Anders als in der Purimfestätiologie des Esterbuches, an dem sich 3 Makk im Übrigen vielfältig orientiert, werden in der vorliegenden Festätiologie nicht die Feinde Israels getötet, sondern „die, die das Gesetz Gottes übertreten hatten“ (3 Makk 7,12). Der Hass und die Gewalt zielt auf „den unter die Befleckten gefallenen Volksgenossen“ (3 Makk 7,14). Die Schrift wendet sich, wie Hacham57 m. E. zu recht herausgearbeitet hat, in polemischer Darlegung des Dionysoskultes an ein judäisches Publikum in Ägypten, für das dieser Kult eine Versuchung darstellte. Das Fest, dessen Existenz es erklärt, ist zwar durch und durch dionysisch, jetzt aber jüdisch kultiviert. Mit ihrer Vorgehensweise lässt uns die Schrift gleichsam in faszinierender Weise an der Entstehung des Judentums teilnehmen. Denn für ihre Zwecke akzentuiert die Schrift bestimmte Aspekte des judäischen religiösen Symbolsystems, die fortan für das sich mehr und mehr als orthodox verstehende Judentum bestimmend werden. Dass ungeachtet dieser Orthodoxisierung gerade im jüdischen Alexandria alte Vorstellungen einer sich in den Pflanzen manifestierenden schöpferischen Urkraft erhalten blieben, zeigt etwa ein Blick in die Werke Philons. Er kann die ganze Erde als Pflanze mit Zweigen schildern (Plant. 4). Der siebenarmige Leuchter ist für ihn eine Art kosmischer Lebensbaum mit Stamm, Zweigen und Blumen, den er astrologisch deutet (παντοκράτωρ)“. Letzterer Titel repetiert sich fast leitmotivisch (3 Makk 2,2.8; 5,7; 6,2.18.28) und ist für Knöppel 2017, 814–815, ein Schlüssel für seine Deutung von 3 Makk als einer „Darlegung über die Erhabenheit Gottes“. 53 Vgl. Modrzejewski 2008, 93–96. 54 Hacham findet im Text ferner Anspielungen auf die dionysischen Anthesterien, auf das Bekränzen und Parfümieren bei dionysischen Festen (vgl. Hacham 2005, 181). 55 Vgl. dazu auch Alexander 2001. 56 Der Wein für das Fest wird nach 3 Makk 6,30 vom ptolemäischen König gestiftet. Durch dieses Erzählmotiv wird das „heidnischste/dionysischste“ Element des Festes zusätzlich exteriorisiert. 57 Vgl. Hacham 2005.

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(Her. 218–220). Und der Aaronstab ist bei ihm ein Mandelbaum mit vielen Zweigen und schwer von Früchten (Mos. II 179 f.).

3.4 Thyrsos, Lulav, Palmzweige Bei der Wiedereinweihung des vom hellenistischen Kult gereinigten Tempels feiern die Makkabäer ein achttägiges, fröhliches Fest „nach Art des Laubhüttenfestes“. Dabei kommen nicht nur Palmen, sondern auch geschmückte Zweige und Thyrsoi zum Einsatz: „Sie hatten Thyrsoi, schöne Zweige, aber auch Palmen und ließen Loblieder hinaufsteigen…“ (2 Makk 10,7). Thyrsoi werden auch bei den Festivitäten für die siegreiche Judit genannt: „Als sie (die Frauen in Israel) sich ihr zu Ehren zu einem Festreigen aufstellten, nahm Judit Thyrsoi in die Hand und gab auch den umstehenden Frauen davon. Sie und ihre Begleiterinnen bekränzten sich (ἐστεφανώσαντο) mit Ölzweigen (ἐλαίαν) auf und so ging sie vor dem ganzen Volk her und führte den Festreigen der Frauen an. Ihr folgten alle Männer von Israel in Waffen und mit Kränzen (στεφάνων) geschmückt. Von allen Lippen ertönten Loblieder.“ (Jdt 15,12–13). Der griechische Begriff Thyrsos meint einen mit Efeu und Weinlaub, manchmal auch mit einem Pinienzapfen bekränzten Stab oder stilisierten Baum, wie er normalerweise im Dionysoskult verwendet wurde.58 Die Art der Verwendung des Begriffs in den judäischen Texten zeigt aber, dass mit den Thyrsoi ein kleinerer Feststrauß gemeint sein muss, da sonst nicht von Thyrsoi in der Hand Judits die Rede sein könnte. Gemeint ist das, was auf Hebräisch Lulav genannt wurde.59 Wie beim Chanukkafest bilden Gesang und Pflanzenschmuck auch bei dieser Siegesfestprozession ein Gefüge. Nach Mt 21,8 und Mk 11,860 legten die Menschen, die Jesus einen triumphalen Empfang in Jerusalem bereiteten, ihre Kleider und Zweige (κλάδους) auf den Boden vor ihm. Vielleicht liegt hier eine volkstümlichere, orientalischere Variante der Siegesfeier vor als die in 2 Makk und Jud erwähnten. Nur Johannes berichtet davon, dass die Jerusalemer beim triumphalen Einzug Jesu in ihre Stadt, auf einem Esel reitend, Palmzweige schwenkten: „Da nahmen sie Palmzweige (βαία τῶν φοινίκων), zogen hinaus, um ihn zu empfangen, und riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!“ (Joh 12,13). Farmer61 hat darauf hingewiesen, dass Johannes hier zwei Begriffe (βαῖον und

58 Vgl. Tsochos 2002. Die neue Einheitsübersetzung übersetzt θύρσους in 2 Makk 10,7 mit „Stäbe, die sie mit Efeu und Weinlaub umwunden hatten“, in Jdt 15,12 aber einfach mit „belaubte Zweige“. 59 Vgl. dazu auch Grintz 1957, 172–74. Er bietet auch viele talmudische Belege für die Popularität von Zweigen in der jüdischen Volkskultur. 60 Lukas, der Evangelist, der am wenigsten mit den Verhältnissen in Palästina vertraut ist, lässt die Zweige weg. 61 Vgl. Farmer 1952.

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φοῖνιξ) verbindet, die auch für sich selbst genügt hätten, um auszudrücken, dass die Bevölkerung Zweige schwenkte. Das häufige Wort „Palme“ (φοῖνιξ) erscheint im Zusammenhang mit der Vorschrift, am ersten Tag des Laubhüttenfestes „Palmwedel (κάλλυντρα φοινίκων LXX) sowie Zweige (κλάδους LXX) von Haarbäumen62 (χύλου δασεῖς LXX) und Weiden (ἰτέας LXX)“ zu nehmen (Lev 23,40; vgl. Neh 8,15), ohne die Verbindung mit βαία. Dieser seltene Begriff kommt nur noch in 1 Makk 13,51 vor, wo davon die Rede ist, dass die Judäer die Rückeroberung der Festung beim Tempel von Jerusalem mit Jubelrufen, Zweigen und von Instrumenten begleiteten Liedern feiern. Farmer sieht darin einen Hinweis des Evangelisten darauf, dass die von Johannes beschriebene Menge in Jesus einen Befreier in den Fußstapfen der Makkabäer sah. Das mag ein vordergründiger Code dieser Stelle sein. Eine hintergründige Codierung des friedlichen Eselreiters inmitten der Zweige könnte aber auch die im Johannesevangelium breit belegte Inszenierung Jesu als neuer Dionysos (bzw. neuer Osiris)63 sein:64 Hier kommt der, der neues Leben in Fülle bringt und über den Tod hinaus.

3.5 Iao im Kontext von Osiris-Dionysos Es sei noch auf einen griechischen Zauberspruch mit aphrodisiakischem Zweck aus Ägypten hingewiesen, wo Iao zusammen mit Osiris mit Wein assoziiert wird: „… du bist Wein, du bist nicht Wein, sondern der Kopf Athenas. Du bist Wein, du bist nicht Wein, sondern die Eingeweide Osiris’, die Eingeweide Iaos …“ (PGM VII.644–647). „Wein“ ist in diesem Kontext praktisch gleichbedeutend mit Dionysos.65

62 Häufig übersetzt mit „Laubbäumen“. Der Ausdruck passt aber mindestens so gut, wenn nicht besser, für Nadelbäume. 63 Zur (Nicht-)Identifikation von Dionysos und Osiris seit Herodot siehe zuletzt Coulon 2013; Frateantonio 2011. 64 Seit Bultmann (vgl. Bultmann 1986) wird gesehen, dass die johanneische Erzählung von der Hochzeit zu Kana eine christliche Antwort auf den in der Levante stark verankerten Dionysoskult ist (Smith 1996). Zuletzt hat Eisele 2009 die Textbezüge auf die besonders in der Gegend von Nysa-­Skythopolis in Münz- und Mosaikfunden bekundete, im ersten Jh. n. Chr. bereits stark verankerte Dionysosfrömmigkeit herausgearbeitet. U. a. trägt Maria Züge der Dionysosamme Nysa, deren Grab man in der Stadt Skythopolis zeigte, die man für eine Gründung des Dionysos hielt. „Gewissermaßen vor der Haustür des Dionysos wächst sein Konkurrent Jesus auf; er bricht in dessen ureigene Domäne ein und schafft köstlichen Wein in Fülle“ (Eisele 2009, 24). Während Eisele das Verhältnis zwischen Jesus und Dionysos als Konkurrenz beschreibt, betont Wick 2004 eher den gemeinsamen kulturellen Hintergrund der Dionysosanhänger und der johanneischen Gemeinden. Allerdings sieht auch er Abgrenzungen, etwa wenn er vermutet, dass die Juden für ihre Feste bewusst Olivenzweige statt Efeu- und Weinlaubenkränze verwendet hätten (vgl. Wick 2004, 185). In Spannung dazu steht die Einschätzung der Numismatiker, die dafürhalten, dass auf den Münzen der Ölzweig wegen der Nähe zur Athenafrömmigkeit auf den Athener Münzen vermieden worden sei. 65 Vgl. Pachoumi 2014, 129 mit Anm. 21.

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4. Zusammenfassung und Ergebnisse Die Ligaturen und Übernahmen zwischen Dionysos, Jahwe, Osiris und Jesus Christus sollten uns nicht erstaunen, hat doch der griechische Dionysoskult zutiefst orientalische Wurzeln.66 Die Mänaden im Gefolge oder vor dem Kultbild des Dionysos auf den ältesten Vasenmalereien gleichen mit ihren Tamburinen und Zweigen noch stark ihren orientalischen Kolleginnen.67 Die Griechen selbst nannten Dionysos „den Kadmischen“, den Levantiner (Eur. Phoen. 638–652). Schließlich finden wir Dionysos auch Seite an Seite mit Herakles, der seinerseits mit dem tyrischen Melkart identifiziert wurde. Der Reim auf diese vielfältigen Ligaturen dürfte sein, dass die ursprünglich aus Vorderasien stammenden Herbstfestbräuche sich unter den Migranten und ihrem Umfeld, zunächst in Böotien, später in ganz Griechenland, weiterentwickelten, und mit den Kolonisten im Gefolge Alexanders wiederum auf die autochthonen Festtraditionen des Orients einwirkten bzw. diese verstärkten.68 So erkannten die Griechen in den vordergründigsten Teilen des judäischen Jahwe-Kultes ihren Dionysos wieder, während das Dionysische im Orient als etwas Bekanntes auf fruchtbaren Boden fiel, obwohl es zwar in einigen Punkten neu oder anders war, aber eben nicht fremd. „Quellenlage, Numismatik und archäologische Befunde sprechen eine eindeutige Sprache für die Bedeutung des Dionysos in Palästina und Syrien während vieler Jahrhunderte vor und nach Christus. Es ist an der Zeit, unter Rezeption der vielen Arbeiten, die schon geleistet wurden, diesen historischen Hintergrund zu rekonstruieren.“69 Was Wick fordert und wozu er selber beigetragen hat, wurde im Rahmen dieses Beitrags für das prädionysische Motiv des Zweiges versucht. Wir sind zu folgenden Ergebnissen gelangt: 1. Zweige nehmen im visuellen Symbolsystem der Südlevante vom frühen Chalkolithikum bis in römische Zeit (Abb. 1–16), ja bis in die Gegenwart, aller politischen und religiösen Umbrüche ungeachtet, nachweislich einen prominenten Platz ein, ob in einfachen oder komplexen Bildkonstellationen. Es gibt somit in der Levante der hellenistisch-römischen Zeit nicht nur einen dionysischen Kontext, sondern auch einen kanaanäisch-prädionysischen, der selber zum Erbgut des griechischen Dionysos gehört. 2. Zweige repräsentieren als pars pro toto die Erneuerungskraft der Erde, den vielfältigen Segen der Vegetation für die Menschen und Wachstum. Davon abgeleitet können sie im politischen Sinn den Erfolg einer legitimen, gottesfürchtigen Herrschaft (2.1 mit Abb. 17) und im religiösen Sinn den Sieg des Lebens über den Tod konnotieren. 66 Vgl. Staubli 2015. 67 Vgl. Ps 68,26; Bilder bei Paz 2007; Staubli 2007, 13–17. 68 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass auf hellenistischen Münzbildnissen Dionysos zuerst in Ionien, Cilicien und Syrien erscheint (vgl. Tabelle bei Scott 2015, 131–133). 69 Wick 2004, 197.

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3. In hellenistischer und römischer Zeit fanden Zweige häufige Verwendung im damals wichtigen Massenkommunikationsmittel der lokalen Münzen (Abb. 5–15). Im Symbolsystems des Jerusalemer Tempels finden wir den Zweig im Dekor des Tempels (2.3), der Kopfbedeckung des Hohepriesters (2.2 mit Abb. 18–21) und in den Paraphernalia für Feste (2.4; 3.3). Ferner sind Zweige prominent im Grabdekor vertreten (2.5). 4. Durch die enge Verbindung des Zweigs mit legitimem Herrschertum (Fürst und Hoherpriester; 2.1; Sach 4,1–16; 6,11–12) findet eine Patriarchalisierung des ursprünglich aus dem Bereich der (Erd-)Göttin stammenden Symbols statt. 5. In dem sich aus der kanaanäischen bzw. judäischen Kultvielfalt herauskristallisierenden Judentum versucht man den beim Laubhüttenfest verwendeten Zweig ans Gesetz zurückzubinden und durch genaue Vorschriften von anderen Zweigen abzusetzen und so seiner vorjüdischen Ursprünge und Assoziationen zu entledigen (Lev 23,40; Neh 8,15; bSuk 3). Die Rabbinen lassen aber Raum für heterodoxe Bräuche (Libationen, Tänze, Lichtspektakel) mit Wurzeln im kanaanäischen Herbstfestritual (bSuk 5). 6. Die visuelle Evidenz und Prominenz der Zweige im Verbund mit Weingenuss, Liedern und Tanz macht, dass die jüdische Religion – vorgenannter interner Neudefinitionen ungeachtet – von griechisch-römisch inkulturierten Menschen als dionysisch identifiziert wird (3.1–2). Das war naheliegend, ja unumgänglich, weil dionysische und jüdische Kulte letztlich dieselben vordionysischen bzw. vorjüdischen Wurzeln in Kanaans Vegetationsfrömmigkeit haben. 7. Die Gleichsetzung von Jahwe und Dionysos wurde von zwei Seiten bekämpft. Einerseits von den Wahrern einer jüdischen Orthodoxie, die die Jahwe-­ Dionysos-Ligatur mit einer Legende bekämpfen (3.3; 3 Makk), andererseits von römischen Antisemiten, die darauf abzielen, die jüdische Kultur als fremd und menschenfeindlich und unvereinbar mit der eigenen Dionysoskultur darzustellen (Tacitus).

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Die Bilderwelt des Gottesreiches Familien- und Pflanzenmetaphorik bei Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth

Jesus verbreitete seine Botschaft in Bildern, teils in Gleichnissen, teils in Symbolhandlungen. In beiden Formen der Verkündigung knüpfte er an Johannes den Täufer an. Bei Symbolhandlungen ist das offensichtlich. Der Täufer hatte aus wiederholten Waschungen das neue Ritual der einmaligen Taufe geschaffen, eine Symbolhandlung, die bis heute als Sakrament der christlichen Kirche gefeiert wird. Außerdem symbolisierte seine Kleidung religiöse Erneuerung jenseits der bestehenden Kultur in der Wüste und Protest gegen das Luxusleben der herrschenden Oberschicht. Auch Jesus ließ sich taufen, taufte aber während seines öffentlichen Wirkens nicht. Er schuf dafür neue Symbolhandlungen: Während seines Wirkens vermittelte er seine Botschaft durch sich wiederholende Zeichenhandlungen wie die Gastmähler mit Zöllnern und Sündern oder die Exorzismen als Ankunft des Gottesreiches. Gegen Ende seines Wirkens häuften sich historisch einmalige Akte wie der Einzug in Jerusalem, die Tempelreinigung und das letzte Mahl.1 Sich wiederholende und dauerhaft wirksame Symbolhandlungen entsprechen innerhalb Jesu Wortverkündigung den Gleichnissen im engeren Sinne, die von typischen Vorgängen wie Wachstum und Ernte handeln. Historisch einmalige Akte entsprechen eher den Parabeln, die ein auffallendes Einzelereignis ins Zentrum stellen. In der Vielfalt seiner Symbolhandlungen übertraf Jesus auf jeden Fall den Täufer. Das ist kein Zufall: Symbolhandlungen sind eine Art „Straßentheater“. Sie verlangen nach einem Publikum. Der Täufer konnte nur deswegen taufen, weil die Menschen zu ihm in die Wüste am Jordan strömten. Jesus wirkte im Unterschied zum Täufer im bewohnten Land. Er suchte sein Publikum. Seine „erfolgreichste“ Symbolhandlung inszenierte er dagegen nicht in der Öffentlichkeit: Sein Abschiedsmahl wurde zur Gründungsszene des Abendmals, das bis heute als Sakrament praktiziert wird. Noch deutlicher als bei den Symbolhandlungen knüpfte Jesus in seiner Wortverkündigung auch inhaltlich an die Bilderwelt

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Eine Sonderstellung hat die Ernennung der zwölf Jünger. Sie ist ein einmaliger Akt, hat aber bleibende Folgen: Die Zwölf begleiten Jesus auf seinen Wanderungen.

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des Täufers an. Beide benutzen in ihrer Verkündigung Bilder aus Familien- und Pflanzenmetaphorik. Wenn im Folgenden untersucht wird, wie Jesus diese Bilder weiterentwickelt, folgen wir vier methodischen Grundsätzen. Der erste Grundsatz ist: Alle Bilder müssen als ein Netzwerk gedeutet werden. Die Bilderwelt Jesu stellt ein Gewebe von Symbolen dar, das nur als Ganzes interpretiert werden kann. Damit wird eine Erkenntnis der Metapherntheorie angewandt, die sagt: Bilder und Metaphern sind in Bildfeldern geordnet.2 Wir verstehen sie erst, wenn wir das ganze Netz von Bildern kennen, in das sie gehören. „Bildfelder“ sind sinnverwandte Aussagen mit verwandten Metaphern, z. B. mit Lohn- oder Vegetationsmetaphorik. Die Verkündigung Jesu ist ein umfassendes „Bildernetzwerk“. Dazu kommt ein zweiter Grundsatz: Bildernetzwerke erschließen sich durch Wurzelmetaphern:3 Nach T. Onuki ist in der Verkündigung Jesu das Bild vom himmlischen Gastmahl z. B. eine Wurzelmetapher. Dieses Gastmahl beginnt schon jetzt im Himmel. Abraham, Isaak und Jakob, die Väter Israels, feiern dort das himmlische Mahl, zu dem Heiden gleichberechtigt zugelassen sind (Mt 8,11 f.). Was als himmlische Realität noch verborgen ist, soll auf Erden bald sichtbar werden und wird schon jetzt in den Mahlgemeinschaften Jesu realisiert. Zu solchen Wurzelmetaphern gehören auch die Bilder von Vater und Sohn, Herr und Knecht, von Baum und Frucht, von Saat und Ernte. Der dritte Grundsatz ist: Bilder basieren auf Traditionen, die neu entfaltet und abgewandelt werden. Wir können die Bilder der Jesustradition nicht nur mit den Bildern seines Vorgängers vergleichen, sondern darüber hinaus mit dem ganzen Bilderschatz alttestamentlicher und frühjüdischer Schriften. Die in den Sprüchen des Täufers anklingenden Bildfelder lassen sich so in eine umfassendere Vorgeschichte einbetten.

1. Zwei Bildfelder bei Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth: Familien- und Pflanzenmetaphorik Obwohl die Überlieferung vom Täufer sehr fragmentarisch ist, können wir Verbindungen zur Verkündigung Jesu erkennen. Der Täufer benutzte einerseits Familienmetaphorik, wenn er von „Kindern Abrahams“ sprach, andererseits Vegetationsbilder, wenn er das kommende Gericht als Baumfällen und Ernten ankündigte.4

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Zur Bildfeldanalyse vgl. von Gemünden 1993, 1–49, bes. 8–19. Sie geht auf den deutschen Sprachwissenschaftler H. Weinrich zurück (Weinrich 1976, 317–327). Onuki 2006 hat den Gedanken von Wurzelmetaphern und eines Bildernetzwerks als erster einer umfassenden Darstellung der Jesusverkündigung zugrunde gelegt. Vgl. meine Einführung: Theißen 2009. Zu Wurzelmetaphern in der Religion allgemein vgl. MacCormac 1988. Zum familiären Bildfeld vgl. Roh 2001, zum Bildfeld der Vegetationsmetaphern von Gemünden 1993.

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Jesus entfaltete Bilder aus beiden Bereichen zu kleinen Geschichten, sei es zu Gleichnissen im engeren Sinne, also Schilderungen sich wiederholender Ereignisse wie Saat und Ernte, oder zu Erzählungen einmaliger Ereignisse wie der Parabel vom unfruchtbaren Feigenbaum, der wider Erwarten noch eine Chance erhält (Lk 13,6–9). Auch bei den sprachlichen Bildern hat Jesus den Täufer an Kreativität übertroffen. Wenigstens sind uns vom Täufer nur kurze Bildworte überliefert, von Jesus dagegen viele in Parabeln und Gleichnissen entfaltete Bildworte. Die beiden Bildfelder, die Jesus mit dem Täufer verbinden, sollen im Folgenden genauer untersucht werden. Das familiäre Bildfeld umfasst Rollen und Beziehungen von Vater, Söhnen und Kindern. Der Täufer kritisierte mit diesen Bildern die Heilsgewissheit der Israeliten: „Denkt nur nicht, dass ihr zu euch sagen könnt: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken“ (Mt 3,9). Indirekt nennt er Gott dabei „Vater“. Gott tritt nämlich an die Stelle Abrahams, des irdischen Vorfahren, der auf „natürliche“ Weise Kinder und Nachfahrten hatte. Gott kann dagegen Kinder aus Steinen schaffen. Damit weckt der Täufer Gedanken an eine radikale Neuschöpfung wie aus toter Materie. Ein solcher Schöpfungsgedanke ist im Alten Testament manchmal mit dem Vaterbegriff verbunden.5 Ferner betont der Täufer den Status der Angeredeten: „Kind Abrahams“ zu sein, ist ein besonderer Rang. Das zweite Bildfeld, Pflanzenmetaphorik, begegnet in zwei Teilbildfeldern als Bild von Baum und Frucht bzw. von Saat und Ernte. Im Gegensatz zum Gedanken eines radikalen Neuanfangs durch Neuschöpfung aus Steinen kündigen beide das genaue Gegenteil an: ein definitives Ende durch ein Gericht, das als vernichtendes „Feuer“ beschworen wird. Das Bild von „Baum und Frucht“ fordert dabei noch einmal Umkehr vor diesem Gericht: „Bringt Frucht hervor, die eurer Umkehr würdig ist!“ (Mt 3,8). „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Darum: jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen“ (Mt 3,10). Unmittelbar danach wird derselbe Gedanke durch ein Bild von Saat und Ernte variiert, in dem alles schon entschieden ist. Der Stärkere, der nach dem Täufer kommen wird, wird mit Geist und Feuer taufen: „Er hat eine Worfschaufel in der Hand; er wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Streu wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer“ (Mt 3,12). Beide Vegetationsmetaphern zielen letztlich auf das Feuer des Gerichts, aber setzen verschiedene Akzente. Das Bild von Baum und Frucht ist ein letzter Appell zur Umkehr. Vorausgesetzt wird, dass es neben den Bäumen mit schlechten Früchten andere Bäume mit guten Früchten gibt, die vom Gericht verschont werden. Der Appell zur Umkehr ist paradox. Denn man müsste entweder neue Zweige einpfropfen oder die Erde 5

Gott als Vater und Schöpfer findet sich schon im Alten Testament manchmal verbunden: „Aber nun, Herr, du bist doch unser Vater! Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind deiner Hände Werk“ (Jes 64,7). „Ist er nicht dein Vater und dein Herr? Ist’s nicht er allein, der dich gemacht und bereitet hat.“ (Dtn 32,6). „Haben wir nicht alle ein und denselben Vater? Hat uns nicht ein und derselbe Gott geschaffen?“ (Mal 2,10).

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düngen, um einem Baum einen „Neuanfang“ mit besseren Früchten zu ermög­ lichen. Aber wenn die Axt schon an die Wurzel gelegt ist, fehlt dazu die Zeit. Außerdem ist der Baum ohnehin in der Bildtradition ein Bild für Unveränderbarkeit: Ein guter Baum bringt eben gute Frucht hervor, ein schlechter Baum schlechte Früchte (Mt 7,17–19; 12,33–37). In den flammenden Aufruf zur Umkehr mischt sich auf diese Weise ein tiefer Pessimismus. Es ist vielleicht schon zu spät für eine Umkehr, die sich in guten Taten zeigt. Eben deswegen bleibt nur Zeit für eine symbolische Ersatzhandlung, für die Taufe, um wenigstens durch das vorhergehende Sündenbekenntnis die Abkehr vom alten Leben und durch die Taufe die innere Bereitschaft zur Umkehr zu einem neuen Leben zu bezeugen.6 Im Bild von Saat und Ernte fehlt sogar dieser letzte Appell zur Umkehr: Die Weizenkörner werden gerettet; die Spreu wird verbrannt. Ihre Qualität lässt sich nicht verändern, ihre Trennung ist definitiv. Auch dieses Bild ist in sich widersprüchlich. Weizen ist ohne Spreu nicht vorstellbar. Wer guten Weizen ernten will, muss Spreu in Kauf nehmen. Daher überzeugt dieses Bild zur Gegenüberstellung von Gut und Böse nur wenig. Aber in sich inkohärente Bilder passen zum Täufer. Auch die Taufe ist von ihrem Symbolgehalt in sich widersprüchlich. Waschungen sind auf Wiederholung angelegt. Niemand kann durch eine Waschung ein für alle Mal sauber werden. Die rituelle Praxis des Judentums kennt vor allem wiederholte Waschungen.7 Der Täufer aber konzentriert die Umkehr auf einen einzigen Akt der Waschung. Gerade diese kleinen Verstöße gegen die Erfahrung zeigen einen begabten Prediger. Sie signalisieren, dass hier etwas Neues zum Ausdruck kommt. Möglicherweise wollte der Täufer mit kleinen Verstößen gegen Erwartungen bewusst Aufsehen erregen. Denn er zieht in seiner Verkündigung alle Register unserer Bilderwelt. Diese umfasst fünf Seinsbereiche: Sachen wie Steine und Wasser, Artefakte wie Wurfschaufel und Axt, Pflanzen wie Baum und Weizen, Tiere wie im Schimpfwort „Schlangenbrut“, aber auch Personen wie die „Kinder Abrahams“. Religion und Poesie haben gemeinsam, dass ihre Bilder gegen Erwartungen an diese „natürliche“ Ontologie verstoßen und gerade dadurch Aufsehen erregen. Das ist eine Grunderkenntnis des kognitiven Ansatzes in Religionswissenschaft und neutestamentlicher Exegese.8 Am meisten Erfolg haben dabei Überlieferungen mit minimaler Kontraintuitivität in einem Netzwerk plausibler Gedanken und Bilder. Sie haben eine Chance, sich nachhaltig zu verbreiten.9 6 Vgl. Theißen 2017. 7 Eine einmalige Taufe durch einen anderen weist auf ein Initationsritual wie bei Priestern und Leviten (Lev 29,4). Das kann man auch für die Taufe des Johannes annehmen. Sie vermittelt nicht nur Sündenvergebung, sondern verleiht einen neuen Status als Kind Gottes. Vgl. Theißen 2017, 232. 8 Vgl. I. Czachesz/G. Theissen 2017; Luomanen, 2013. 9 Kontraintuitiv sind Verstöße gegen unsere natürliche Alltagsontologie; entweder werden Kategorien von einem Seinsbereich in einen anderen übertragen: Ein Tier spricht wie ein Mensch. Oder es wird gegen kategoriale Erwartungen gegenüber einem Seinsbereich verstoßen: Menschen können nicht durch feste Körper hindurchgehen – etwa durch eine geschlossene Tür. Paradox sind

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Jesus war ein Anhänger des Täufers, trat aber unabhängig von ihm auf und entwickelte die beiden Bildfelder seines „Lehrers“ auch selbständig weiter. Manchmal meint man, dessen Nachklang zu hören. So verbindet auch Jesus das Bild vom Vater mit einem radikalen Neuanfang. In der Parabel vom verlorenen Sohn sagt nämlich der Vater von seinem wiedergefundenen Sohn: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden“ (Lk 15,24 vgl. 15,32). Hier wird wie beim Täufer die Umkehr mit einer Neuschöpfung gleichgesetzt – jedoch mit einem Unterschied: Der Täufer fordert die noch ausstehende Umkehr, Jesus setzt sie beim verlorenen Sohn voraus, fordert sie aber indirekt auch vom älteren Sohn, der den zurückgekehrten Bruder ablehnt. Das Motiv des privilegierten Status, das beim Täufer mit familiärer Bildlichkeit verbunden ist, wird im „Verlorenen Sohn“ erzählerisch in den Mittelpunkt gerückt: Der zurückgekehrte Sohn erhält Kleidung und Ring, Zeichen seiner Wiedereinsetzung als Sohn (Lk 15,22).10 Dafür, dass die Jesusüberlieferung in ihrer Vater-Sohnmetaphorik möglicherweise eine Täufertradition weiterführt, sprechen zwei weitere Gleichnisse: Das Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Mt 21,28–32) ist eine Variante des Motivs von zwei Söhnen, von denen nur einer umkehrt. Hier wird der Täufer direkt genannt: „Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr’s saht, tatet ihr dennoch nicht Umkehr, so dass ihr ihm dann doch geglaubt hättet“ (Mt 21,32). Derselbe Kontrast zwischen zwei verschiedenen Reaktionen auf die Verkündigung des Täufers und Jesu findet sich auch im Gleichnis von den spielenden Kindern, also auch hier mit einer familiären Metaphorik, die Jesus mit dem Täufer verbindet: Die einen Kinder wollen tanzen, die andern trauern (Mt 11,16–19). Da schon der Täufer voraussetzt, dass sich die „Kinder Abrahams“ verschieden zu seiner Botschaft verhalten, könnte der Gebrauch familiärer Metaphorik zur Darstellung entgegengesetzter Reaktionen auf Gottes Willen durch den Täufer angeregt sein. Nebenbei sei eine weitergehende Vermutung geäußert: Familiäre Metaphorik verbindet Täufer und Jesus möglicherweise auch bei der Vatermetaphorik. Die Jünger bitten nach Lk 11,1 Jesus, sie beten zu lehren, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. Hier wird ein gruppenspezifisches Gebet der Täuferanhänger vorausgesetzt. Jesus lehrt als Entsprechung zu diesem Gebet das Vaterunser. Berührt es sich auch inhaltlich mit dem Gebet des Täufers bzw. seiner Anhänger? Haben auch sie zum Vater im Himmel gebetet? Möglich ist es. Wir hatten gesehen: Der Täufer redete die Israeliten als Kinder Abrahams an und kontrastierte damit Gott als ihren Schöpfer. Das Vaterunser enthält zumindest an einem Punkt eine impli-

dagegen unwahrscheinliche Ereignisse ohne solche kontraintuitive Verstöße gegen ontologische Regeln: Paradox ist, dass eine Frau 20 Kinder hat; es widerspricht nicht dem, was grundsätzlich möglich ist. Kontraintuitiv ist dagegen eine Jungferngeburt. 10 Vgl. Rengstorf 1967; Ostmeyer 2007, 626.

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zite Abgrenzung zum Täufer. Für den Täufer war die Vergebung der Sünden an die Taufe gebunden, bei Jesus nur an das Gebet: „Vergib uns unsre Sünden, denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden“ (Lk 11,4). Jesus folgt damit einer jüdischen Tradition, wie Sir 28,2 zeigt: „Vergib das Unrecht deinem Nächsten, dann werden dir, wenn du darum bittest, auch deine Sünden erlassen werden“.11 Natürlich kennen wir nur Fragmente der Täuferpredigt. Das erschwert jeden Vergleich. Dennoch kann man sagen: Der Täufer könnte die Vater- und Sohnmetaphorik gekannt haben. Direkt bezeugt ist für ihn freilich nur ein winziger Ausschnitt aus diesem Bildfeld, die Rede von den „Kindern Abrahams“. In der Jesusüberlieferung wird die Kindermetaphorik dagegen breiter ausgeführt. Auch das Bildfeld der Vegetationsmetaphern verbindet den Täufer und Jesus in seinen beiden Teilbildfeldern. Das Teilbildfeld von Baum und Frucht begegnet in der Jesusüberlieferung an einer Stelle in einer deutlich abgewandelten Form. Der Täufer hatte das unmittelbar drohende Ende vor Augen. Die Axt ist schon an die Wurzel gelegt.12 Die Jesustradition aber gibt dem unfruchtbaren Baum eine letzte Chance und legt damit den Akzent auf die Zeit vor dem Ende. Der Besitzer will nach drei unfruchtbaren Jahren den Feigenbaum fällen. Doch der Gärtner tritt für ihn ein: „Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab“ (Lk 13,8 f.).13 Hier liegt eine bewusste Korrektur der Aussage vor, die Axt sei schon an die Wurzel der Bäume gelegt und das Gericht sei deshalb schon da. Das Wort rechnet mit einer Verzögerung des Gerichts. Wahrscheinlich musste schon Jesus eine Parusieverzögerung verarbeiten.14 Der Täufer hatte das unmittelbar bevorstehende Gericht verkündigt. Spätestens nach seiner Hinrichtung werden einige Anhänger erwartet haben, dass Gott jetzt seinen Propheten rächt und dessen Gerichtsverkündigung verwirklicht. Aber nach seinem Tod nahm die Welt weiter ihren Lauf. Jesus hat diese weiter gehende Zeit als Gnadenfrist gedeutet: Gott gibt den Menschen eine

11 In Mk 11,25 finden wir diese Vergebungszusage wiederum allein mit dem Gebet verbunden: „Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Übertretungen.“ Vatername und Vergebungsbitte spielen mög­ licherweise auf das Vaterunser an. Wenn gleich danach das Streitgespräch über die Vollmacht Jesu zur „Tempelreinigung“ folgt, so wird auch hier ein indirekter Bezug zum Täufer hergestellt. Seine Taufe zur Sündenvergebung steht in Konkurrenz zur Sühnefunktion des Tempels. 12 Vgl. von Gemünden 1993, 122–130: Das Fällen von Bäumen gehörte zur Kriegsführung. Vgl. dazu die Abbildungen bei von Gemünden 1993, 125 f. Anm. 13. 13 Vgl. in von Gemünden 1993, 130–141, den Vergleich mit der Baummetapher des Täufers (von Gemünden 1993, 139–141) und mit der Achikarfabel (von Gemünden 1993, 135–138). Auch wenn man die Achikartradition in nachneutestamentliche Zeit datiert, ist der Vergleich mit ihr sachlich aufschlussreich. Er zeigt, dass die Baummetaphorik mit einer pessimistischen Sicht der Unveränderbarkeit des Menschen verbunden ist. Der unfruchtbare Baum überzeugt in der Achikartradition seinen Besitzer nicht, dass er besser werden kann. Anders im Jesusgleichnis: Der unfruchtbare Baum hat hier einen Helfer, der ihn unterstützt. Gruber 2007, 579–585, zieht die Achikartradition nicht zum Vergleich heran, ordnet aber mit Recht das Gleichnis der lukanischen Tendenz zu, dass sich Jesus den Verlorenen zuwendet. 14 Vgl. Theißen/Merz, 2003.

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Chance zur Umkehr. Das stimmt überein mit dem neuen Akzent im Bildfeld des Vaters: Der Vater ist gütig. Noch an einer zweiten Stelle können wir vielleicht einen neuen Akzent in der Jesusüberlieferung feststellen. In der Überlieferung vom Täufer ist die Frucht des Baumes ein Bild für die Taten des Menschen. Denn der Täufer fordert mit diesem Bild, gute Früchte zu „tun“ (poioûn). In der Jesusüberlieferung sind die Früchte nicht nur Taten, sondern auch Worte: Ein guter Baum bringt gute Worte hervor, ein schlechter böse Worte (Mt 12,33–37/Lk 6,43–45). Nicht nur Taten, sondern auch Worte entscheiden im Gericht. Das entspricht anderen Aussagen in der Jesusüberlieferung: Nicht erst Tötung, sondern schon das aggressive Schimpfwort, ist ein todeswürdiges Vergehen (Mt 5,21 f.). Diese Ausweitung der Taten auf Worte ist beim Täufer freilich implizit auch belegt, wenn er seine Hörer als „Schlangenbrut“ angreift (Mt 3,7). Er will mit dem Bild von der doppelzüngigen Schlange die Berufung auf Abraham als Heuchelei entlarven. Es ist kein Zufall, dass auch Jesus Menschen als „Schlangenbrut“ anspricht, wenn er sie wegen ihrer Worte kritisiert (Mt 12,34). Aufschlussreich sind auch die kleinen Änderungen im zweiten Teilbildfeld der Vegetationsmetaphern, bei den Bildern von Saat und Ernte. Hier hebt der Täufer nur die Ernte als Bild hervor, oder genauer: nur die Speicherung des Getreides nach der Ernte. Denn erst nach der Ernte wird das Korn gesammelt und die Spreu vernichtet (Mt 3,12). Auch hier finden wir eine charakteristische Abwandlung in mehreren Gleichnissen der Jesustradition, die den Fokus auf die Zeit vor der Ernte verschiebt:15 Das Gleichnis vom Sämann und dem vierfachen Acker schildert je nach Ackerboden das unterschiedliche Wachstum von der Aussaat bis zur Ernte (Mk 4,3–9). Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen tritt für deren Koexistenz vor der Ernte ein (Mt 13,24–30). Im Gleichnis vom Senfkorn ist das Erstaunliche das Wachstum von winzigen Anfängen zur Staude (Mk 4,30–32). Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat betont auffällig das „automatische“ Wachsen des Korns, das mit der Aktivität des Bauern bei Aussaat und Ernte kontrastiert (Mk 4,26–29). Auch wenn wir nur Fragmente der Täuferüberlieferung erhalten haben, kann man sagen: In allen Bildfeldern geschieht beim Übergang vom Täufer zu Jesus eine Verschiebung. Der Vergleich der Bilderwelt Jesu mit den Bildern des Täufers lässt vor allem zwei unscheinbare, aber innovative Züge der Jesusüberlieferung erkennen, die uns im Folgenden besonders interessieren: Wir finden bei der Familienmetaphorik eine einzigartige Verbindung von Vater- und Königtumsmetaphorik, bei der Pflanzenmetaphorik eine neue Deutung der Saat-Ernte-Bilder.

15 In der Jesusüberlieferung wird die Zeit nach der Ernte nur in der Beispielgeschichte vom reichen Kornbauern ausgewertet (Lk 12,16–21). Die Ernte ist hier aber kein Bild für das Jüngste Gericht, sondern Ausweis irdischen Reichtums.

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2. Veränderungen in der Familienmetaphorik: Die Verbindung von Vater- und Königreichsmetapher bei Jesus von Nazareth Charakteristisch für die Verkündigung Jesu ist die Verbindung von zwei Gottesnamen:16 Gott ist König und Vater.17 Beide Gottesnamen sind Wurzelmetaphern des Judentums, begegnen aber auch sonst in der Antike.18 Die Verbindung dieser Metaphorik bei Jesus interessiert uns. Mittelpunkt der Verkündigung ist das Königreich Gottes, das einen radikalisierten Monotheismus zum Ausdruck bringt und dem Grundbekenntnis des Judentums entspricht. Deswegen muss Jesus seine Rede von der Gottesherrschaft nirgendwo erläutern. Sie ist vertraut. Das Bild vom Königreich Gottes sagt: Der eine und einzige Gott wird sich bald durchsetzen – gegen alles, was seine Herrschaft in der Welt und im Menschen einschränkt. In der Welt muss sie sich gegen die Macht des Bösen durchsetzen, die mythologisch in Gestalt des Satans und seiner Dämonen dargestellt wird und schon besiegt ist: Der Satan ist schon vom Himmel gestürzt (Lk 10,18), die Dämonen werden in Exorzismen vertrieben (Lk 11,20). Im Menschen muss sie sich gegen die Macht der Sünde durchsetzen, die durch Umkehr und Sündenvergebung überwunden wird; Gott bietet sie jedem an, der bereit ist, seinem Nächsten zu vergeben (Lk 11,4). Bei der Metapher von der Königsherrschaft Gottes lässt Jesus jedoch eine Leerstelle. In den jüdischen Texten, die von der „Königsherrschaft Gottes“ sprechen, wird Gott immer auch „König“ genannt.19 Obwohl die Königsherrschaft Gottes bei Jesus ins Zentrum rückte, fehlt bei ihm genau diese Bezeichnung Gottes als „König“.20 Die wenigen Ausnahmen erweisen sich durch Vergleich mit Varianten derselben Tradition als sekundäre Ausgestaltung von Jesusworten und -gleichnissen. Zunächst ist auffällig dass die Königsmetapher nur im MtEv an drei Stellen als Gottesnamen oder Gottesgleichnis begegnet: in der Antithese vom Schwören, dem Gleichnis vom großen Abendmahl und dem Gleichnis vom Schalksknecht. In der Schwurantithese der

16 Bei der Rede von Gott kann man zwei Fälle unterscheiden: geprägte Gottesnamen und Gottesgleichnisse. Beide haben bildlichen Charakter. Gott wird auch dort Vater genannt, wo seine Vaterrolle nicht wie etwa im Gleichnis vom verlorenen Sohn narrativ entfaltet wird. Wir sprechen dann von einem Gottesnamen, ansonsten von einem Gottesgleichnis. 17 Vgl. Gerber 2017. 18 Vgl. Müller 1991. 19 In der Assumptio Mosis ist in AssMos 10,1 von der „Königsherrschaft“ die Rede, in AssMos 4,2 wird Gott als „König“ angeredet. Die Sibyllinen sprechen nebeneinander vom „Königreich“ (Sib III 767) und vom „großen König“ (Sib III 807). Ebenso lesen wir in den Psalmen Salomos in PsSal 17,3 vom „Königreich“, in PsSal 17,1.34.46 vom „König“. In den Sabbatliedern 4QShirShabb (= 4Q400– 4Q407) wechseln „Königtum“ (4Q403,8.14.32) und „König“ (4Q403,3.5.7.31). Vergleiche ferner in der Weisheit Salomos Weish 3,8 mit Weish 6,4, in den Testamenten der XII Patriarchen TestXII. Ben 9,1 mit TestXII.Ben 10,7. In der Kriegsrolle 1QM XII,7 mit 1QM XII,8. 20 Zimmermann 2011, 84–87.271–290, hat dieses Problem deutlich erkannt.

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Bergpredigt (Mt 5,33–37) ist von Gott als dem „großen König“ die Rede (V. 35), nicht aber in einer Variante dieser Überlieferung in Jak 5,12. Wahrscheinlich ist die längere Fassung des MtEv die Ausgestaltung einer kürzeren Fassung, deren Nachfahre im Jakobusbrief erhalten ist. Im Gleichnis vom großen Abendmahl (Mt 22,1–10) tritt Gott zwar als König auf, aber im LkEv nur als Hausherr (Lk 14,16–24). Wahrscheinlich hat erst das MtEv ihn zu einem „König“ gemacht; denn nur im MtEv bestraft der Hausherr diejenigen, die seine Einladung ablehnen, durch Zerstörung ihrer Stadt (Mt 22,7). Zu solchen Strafaktionen ist nur ein König in der Lage. Schließlich begegnet die Königsmetapher noch einmal im mt Sondergut im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23–35). Der „König“ verwandelt sich dort in einen „Herrn“ (Mt 18,25.27.32.34). Ursprünglich dürfte das Gleichnis nur von einem reichen Besitzer gesprochen haben.21

Im LkEv begegnet das Königsprädikat nur einmal in einem Gleichnis. Hier wurde der „Herr“ im Talentengleichnis (Mt 25,14–30) sekundär zu einem Fürsten, der in ein fernes Land zieht, um König zu werden. Dabei wurden geschichtliche Erfahrungen mit den Söhnen des Herodes und deren Bemühen um die Königswürde in Rom sekundär in das Gleichnis eingetragen (Lk 19,12–27). Die ursprünglichere Version dieses Gleichnisses war ziemlich sicher ohne Königsmetaphorik. In jedem Fall aber ist klar: Dieser Königsprätendent ist keine Metapher die auf Gott verweist. Neben der Metapher „Königsherrschaft“ gibt es in der Verkündigung Jesu also keine korrelierende personale Gottesbezeichnung „König“. Da es aber von der Sache her unvermeidbar ist, beim „Königreich“ Gottes an einen „König“ zu denken, muss man annehmen, dass Jesus bewusst eine Leerstelle gelassen hat, die er durch eine andere Metapher für Gott ausgefüllt hat: Gott ist Vater. Im Vaterunser verbindet er programmatisch beide Metaphern: „Vater, dein Name werde geheiligt, deine Königsherrschaft komme …“ (Lk 11,2). Unsere Vermutung ist, dass diese Verbindung auf Jesus selbst zurückgeht. Wahrscheinlich hat Jesus die Leerstelle in seiner Rede von Gott geschaffen und Gott bewusst nie „König“ genannt. Auf jeden Fall ist die Kombination von „Vater“ und „Königreich“ Folge einer Innovation im Bildfeld der Gottesbilder, die keineswegs selbstverständlich ist.22 Sie findet sich in

21 Nur zur „Königsrolle“ passt allerdings die unvorstellbar hohe Summe von 10.000 Talenten. Das entspricht dem Tribut einer ganzen Provinz. Wenn der Königsname sekundär ist, müsste man auch die Summe der Schulden reduzieren – etwa auf 10.000 Denare. Das MtEv hat wahrscheinlich auch aus den Minen in Lk 19,13 in Mt 25,16 Talente gemacht. So de Boer 1988, 214–232. So auch Luz, 1997, 64–78, dort 68, Anm. 23. 22 Hengel/Schwemer 1991, 14: „Die urchristliche Zurückhaltung gegenüber βασιλεύς als Gottestitel geht so schon auf die Sprache Jesu zurück. Es gehört zu dem wirklich Neuem in der Verkündigung Jesu, daß er trotz seines pointierten Gebrauchs der Rede von der βασιλεία τοῦ θεοῦ ganz anders als in den Sabbatliedern oder Jahwe-König-Psalmen von Gott nicht als König, sondern – in ungewohnt vertraulicher Weise – als „lieber Vater“ (Abba) redet und ihn so auch im Gebet anspricht.“ Zimmermann 2011, 87: Es gibt „keinen frühjüdischen Text, der die Verbindung von Vaterbezeichnung und βασιλεία in ähnlicher Weise herstellt. Insofern finden wir im Vatergebet eine Verbindung der Vorstellung von Gottes Macht (Königreich) und Gottes Fürsorge (Vater), die so noch nicht formuliert worden ist.“ Vgl. Müller 1991, 29 Anm. 36.

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der Jesusüberlieferung außerhalb des Vaterunsers nur an wenigen Stellen, wobei meist erkennbar ist, dass sie sekundär zustande gekommen ist. So begegnet diese Kombination viermal außerhalb des Vaterunsers im MtEv, wobei das familiäre Bildfeld nicht unbedingt durch den „Vaternamen“, sondern auch durch die Rede von „Söhnen“ realisiert wird. Wir finden diese Kombination in Mt 8,12 f., wo den „Söhnen der Königsherrschaft“ der Zugang zum endzeitlichen Mahl mit Abraham, Isaak und Jakob verwehrt wird. In der wohl ursprünglicheren lk Parallele (Lk 13,28 f.) fehlt das familiäre Bild von den „Söhnen der Königsherrschaft“. Dieselbe Bildkombination von Vater und Königreich findet sich ferner im Sondergut des MtEv in der Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24–30.36–43): Guter Weizen sind die „Söhne der Königsherrschaft“, die „Söhne des Bösen“ dagegen Unkraut (Mt 13,38). Am Ende wird den guten „Söhnen“ verheißen: „Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Königsreich.“ (Mt 13,43). Ebenfalls Sondergut des MtEv ist die Perikope von der Tempeldrachme. Gott wird in ihr zwar nur indirekt König genannt, dafür aber die Christen Königssöhne. Die Pointe liegt darin, dass die Christen als Königssöhne von Steuern frei sind. Sie sind privilegiert (Mt 17,24–27). Ihren Höhepunkt findet die Verbindung von Königreich und Vaternamen im MtEv beim Abschiedsmahl Jesu, wenn er sagt: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weistocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch im Königreich meines Vaters.“ (Mt 26,29). Auch hier hat erst das MtEv Vaterund Königsmetaphorik in Abwandlung der Mk-Vorlage verbunden. Zweimal finden wir auch im LkEv außerhalb des Vaterunsers diese Verbindung von Vater- und Königsmetaphorik. Sie sagt in beiden Fällen, dass Gott als Vater das Königreich den Anhängern Jesu geben will: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Königreich zu geben“ (Lk 12,32). „Und ich (d. h. Jesus) will euch das Königreich geben, wie es mir der Vater gegeben hat“ (Lk 22,29). In der Parallelstelle Mt 19,28 fehlt diese Verbindung von Königreich und Familienmetaphorik. Beide lk Belege zeigen, dass die familiäre Metaphorik einen hohen Status zum Ausdruck bringen kann. Die „Söhne“ sind Bewohner, wenn nicht sogar Herrscher im Königreich. Unser Fazit ist: Die Verbindung von Königtums- und Vatermetaphorik wurde ursprünglich wohl von Jesus selbst im Vaterunser geschaffen. Von da aus hat sie sich sekundär ausgebreitet, aber insgesamt weniger, als man erwarten könnte. Manchmal ist mit Händen zu greifen, dass die Vatermetaphorik die Königsmetapher ersetzt: In der Bergpredigt wird den Menschen verheißen, dass sie „Söhne Gottes“ (Mt 5,9) sind, was etwas später als „Söhne (des) Vaters“ (Mt 5,45) erneut aufgegriffen und präzisiert wird. Söhne Gottes sind sie aufgrund ihres Handelns als Friedensstifter, Söhne des Vaters aufgrund ihrer Feindesliebe. Frieden und Feindschaft sind politische Kategorien. Es sind vor allem Könige, die Frieden schaffen ­können.23

23 Vgl. Windisch 1925, 240–60: König Demetrios Poliorketes wurde 291/290 v. Chr. in Athen als „Sohn des mächtigen Gottes“ begrüßt und angefleht, Frieden zu schaffen (FrGrHi 76 F 13), Cäsar

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Es sind vor allem Machthaber, die Feinde haben und mit ihnen großzügig umgehen können.24 Trotzdem findet sich in der Mahnung zur Feindesliebe explizit die Vatermetaphorik, nicht die Königsmetaphorik (wie in Mt 5,35; 17,24–27). Die Ausklammerung des „Königsnamens“ trotz der zentralen Stellung der „Königsherrschaft“ Gottes in der Verkündigung Jesu ist umso auffälliger, als eine Verbindung der Gottesnamen „König“ und „Vater“ im Frühjudentum belegt ist.25 Tobit preist am Anfang seines Gebets die „Königsherrschaft“ Gottes (Tob 13,1) und fordert dazu auf, Gott zu loben: „Denn er ist unser Herr, und unser Gott, und unser Vater, und Gott in alle Ewigkeiten“ (Tob 13,4). Nur ein paar Zeilen später nennt er ihn „König der Ewigkeiten“ (Tob 13,6). In der LXX-Fassung des Gebets von Jesus Sirach wird Gott als „Herr König“ (Sir 51,1) und „Vater meines Herrn“ (Sir 51,10) angeredet.26 Die Weisheit Salomos nennt ihn in Weish 11,10 parallel zueinander Vater und König. In 3 Makk 6,2–15 findet sich im Bittgebet des greisen Priesters Eleazar neben anderen Gottesnamen auch „König“ (3 Makk 6,2) und „Vater“ (3 Makk 6,3.8). In später bezeugten, aber nicht eindeutig datierbaren rabbinischen Gebeten ist die Zusammenstellung von Vater und König sogar oft bezeugt, so im Gebet der Neujahrsliturgie Avinu-Malkenu („unser Vater und unser König“) und in der zweiten Benediktion zur Einleitung des Schcma Israel: „Mit großer (ewiger) Liebe hast du uns geliebt … unser Vater und unser König“ (bBer 11b). Wie soll man die Verbindung der Vater- und Königtumsmetaphorik inhaltlich deuten? Mit Gott als Vater verbindet Jesus vor allem seine Fürsorge für die Menschen (Mt 6,26.32; 7,11; 10,29) und die Vergebung der Sünden (Mt 6,14 f.). Der Vater im Himmel sieht ins Verborgene und belohnt unabhängig von öffentlichem Ansehen (Mt 6,1–18).27 Mit Gott und seiner Königsherrschaft verbindet Jesus dagegen die Selbstdurchsetzung Gottes in dieser Welt. Die „Königherrschaft Gottes“ steht im Zentrum seiner Verkündigung – wahrscheinlich im Unterschied zur Verkündigung des Täufers. Denn für den Täufer ist eine Predigt vom Königtum Gottes nur an einer Stelle belegt, nämlich in einer erst vom Mt-Evangelisten geschaffenen Parallelisierung der Verkündigung des Täufers und Jesu. Beide verkündigen nur bei ihm übereinstimmend: „Kehrt um, denn das Himmelreich

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als „Friedensstifter“ gerühmt (Cass. Dio XLIV 49,2), Augustus als Heiland und Gott gepriesen, der „den Kriegen ein Ende gemacht und den Frieden geordnet hat“ (Inschrift von Priene). Der Hasmonäer Simon wurde gepriesen, weil er Frieden geschaffen habe (1 Makk 14,11), der junge Herodes, „weil er Frieden und Sicherheit geschaffen hatte“ (Jos. A.J. XIV 160, vgl. Jos. A.J. XV 348). Der spartanische König Ariston (ca. 560–510 v. Chr.) kritisierte die Maxime, ein König müsse den Freunden Gutes, den Feinden aber Böses tun, indem er sagte: „Wie viel besser ist es, Freund, den Freunden Gutes zu tun, die Feinde aber zu Freunden zu machen“ (Plut. mor. 218A). Zu den folgenden Belegen vgl. Strotmann 1991; Zimmermann 2011, 52–64. Im hebräischen Text steht: „mein Gott, mein Vater“ (Sir 51,1) und „Herr, mein Vater, bist du“ (Sir 51,10). Für das Frühjudentum registriert Zimmermann 2011, 62, folgende Konnotationen zum Vaternamen Gottes: „Erziehung, Erbarmen, Vergebung, Treue, Verlässlichkeit, Fürsorge, Verantwortung, Liebe, Güte, Zuwendung und Nähe, Schutz, Hilfe, Rettung, machtvolles Eingreifen, absolute Schöpfermacht, Anteilgabe an Gottes Macht, Herrlichkeit und Erkenntnis.“

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ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 3,2; 4,17). Was sagt nun diese für Jesus und die Jesustradition charakteristische Kombination von Vater- und Königsreichmetapher über den Inhalt der Verkündigung Jesu? Eine erste Überlegung geht dahin, dass der Vatername Gottes seine gütige Seite bezeichnet, seine Königsherrschaft dagegen seine strenge Seite. Eine solche Zuordnung beider Metaphern finden wir im Judentum. Nach Weish 11,10 hat Gott die Israeliten „wie ein Vater geprüft, der zurecht weist“, die Heiden aber hat er „wie ein strenger König gestraft“. Tobits Lobgesang preist ihn als König (Tob 13,6.7.15) und als Vater (Tob 13,4). Und auch er bringt mit der Vatermetaphorik die gnädige Seite Gottes zum Ausdruck: „Er züchtigt uns wegen unserer Ungerechtigkeit, aber er erbarmt sich wiederum“ (Tob 13,5). Eine zweite Beobachtung geht von Konkretisierungen der mit dem Königsnamen verbundenen strengen Seite Gottes aus. Weil das „Königreich Gottes“ in der Jesustradition die Herrschaft des gütigen „Vaters“ ist, kommt dieses Reich friedlich. Der „Königname“ wird wahrscheinlich vermieden, weil er mit Krieg und Gewalt verbunden ist. Wenigstens finden wir eben diese Verbindung des Königsnamens mit Krieg und Gewalt in vier Gleichnissen der synoptischen Evangelien. In den ersten beiden ist dabei der im Gleichnis handelnde „König“ oder „Königsprätendent“ kein Bild für Gott, in den beiden letzten Gleichnissen weist der Königs­namen dagegen auf Gott, ist aber, wie wir gesehen haben, sekundär in das Gleichnis eingedrungen: Ȥ Das Gleichnis von Turmbau und Krieg setzt mit der Frage ein: „Welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend?“ (Lk 14,31). Die Königsmetapher gehört hier – anders als sonst – zur ursprünglichen Gleichniserzählung. Sie weist nicht auf Gott, sondern zielt auf Menschen, die sich für die Nachfolge Jesu entscheiden wollen. In diesem Gleichnis haben sich auch politische Erfahrungen niedergeschlagen: Seit dem Erscheinen der Römer im Osten hatten diese immer die stärkeren Heere.28 Ȥ Im Gleichnis von den Talenten wurden Erinnerungen an die Ambition des Herodessohn Archelaos auf das Königtum eingetragen: Es handelt sich in der lk Version (Lk 19,12–27) – anders als in der mt Version (Mt 25,14–30) – nicht nur um einen reichen Mann, der seinen Knechten den Auftrag gibt, sein Kapital zu vermehren, sondern um einem Fürsten, der in ein fernes Land zieht, um König zu werden, so wie einst Archelaos nach dem Tod Herodes I. nach Rom gezogen war, um die Königswürde zu erhalten (Jos. A.J. XVII 219–220). Seine Landsleute widersetzen sich seinen Ambitionen (vgl. Jos. A.J. XVII 299–314). Als er nach Hause zurückkommt, richtet der König im Gleichnis seine Gegner hin. Diese Unterdrückung der Opposition fehlt in der „zivilen“ Variante des

28 Vgl. Sellin 2007, 608, der die Deutung des Königs auf Gott, der zum Ziel führt, was er sich vorgenommen hat, mit Recht ablehnt. Er führt das Doppelgleichnis auf Lk selbst zurück.

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Talentengleichnisses in Mt 25. Auch hier schlagen sich in der Königs­metapher konkrete Erfahrungen nieder.29 Ȥ Im Gleichnis vom großen Abendmahl ist der reiche Gastgeber bei Matthäus sekundär zu einem König geworden (Mt 22,1–14). Er lädt viele zu seinem Gastmahl ein. Viele sagen ab. Einige töten seine Boten. Darüber erzürnt schickt der König sein Heer, um die Stadt der „Mörder“ zu vernichten (Mt 22,7). Ursprünglich handelte das Gleichnis nur von einem reichen Gastgeber wie in Lk 14,16– 24, dessen Einladungen auf Ablehnung stoßen, der aber deswegen keinen Krieg anzettelt. Die Königsmetapher kam mit der allegorisierenden Verarbeitung des jüdischen Kriegs in Mt 22,7 in das Gleichnis hinein. Der König in diesem Gleichnis meint zweifellos Gott.30 Wieder beobachten wir, dass Erfahrungen mit Macht und Gewalt mit dem Königsbild verbunden werden. Ȥ Ein vierter Beleg ist das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23–35), das nur im MtEv überliefert ist. Es handelt von einem „König“, der seinem Knecht unvorstellbar hohe Schulden erlässt. Erzürnt über dessen Rücksichtslosigkeit gegenüber einem Mitknecht geht er mit Gewalt gegen ihn vor: „Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war“ (Mt 18,34). Dass hier ursprünglich nur von einem sehr reichen Mann die Rede war, kann man vermuten, weil vom „König“ (Mt 18,23) im Laufe der Erzählung nur noch als „Herr“ die Rede ist (V. 25.27.31.32.34). Dieses Gleichnis lässt sich zwar nicht als Niederschlag einer realen Geschichte deuten. Aber die drastische Einforderung von Schulden gehörte zur Realität, besonders dort, wo sich nicht-jüdisches Recht durchgesetzt hatte.31 Eine dritte Beobachtung zur Königsmetaphorik kann diese Zusammenhänge zwischen Königsmetaphorik und Krieg und Gewalt vertiefen, wenn man fragt, gegen wen sich die Gewalt der Königsherrschaft Gottes in den frühjüdischen Texten aus dieser Zeit richtet. Die Königsherrschaft Gottes bringt einen Sieg über Israels Feinde (Jes 33,17–22; Jes 24; Sach 14; Dan 2 und 7 u. ö.). In Weish 11,10 straft Gott als „König“ die Heiden. Dieser Gegensatz zu den Heiden fehlt bei Jesus. Wir hören nichts von einem Sieg über die Feinde Israels. Im Gegenteil, in die Königsherrschaft Gottes werden Heiden aus allen Himmelsrichtungen strömen, um in ihr mit den Erzvätern Israels zu Tische zu liegen (Lk 13,28 f./Mt 8,11 f.). Könnte

29 Vgl. Münch 2007, 252: Bildspender ist auf jeden Fall das Klientelkönigtum im Römischen Reich. Die Klientelkönige mussten sich ihr Königtum in Rom bestätigen lassen. 30 Schottroff 2007 will den König nicht auf Gott beziehen, V. 7 nicht auf die Zerstörung Jerusalems, sondern auf allgemeine Gewalterfahrungen imperialer Herrschaft. 31 Vgl. Roose 2007, 445–460. Schottroff 2005, 257–266, bes. 265, deutet auch in Mt 18,20–35 den König nicht als Metapher für Gott. Hier werde vielmehr die Brutalität der Gesellschaft dargestellt um des Kontrastes willen: Gott verhalte sich anders. Dagegen argumentiert Roose 2007, 459, dass die Königsmetapher traditionell auf Gott deutet und die Bibel auch sonst anstößige Gottesbilder enthält.

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daher der Verzicht auf die Königsmetaphorik nicht auch eine andere Einstellung zu den Fremden und Heiden andeuten? Das führt zu einer vierten Überlegung. Wir hatten gesehen, dass die Königsmetapher in zwei Gleichnissen mit politischen Ereignissen assoziiert wird: mit dem Streben des Archelaos nach dem Königtum nach dem Tod des Herodes 4 v. Chr. (in Lk 19,12–27) und dem jüdischen Krieg 66–70 n. Chr. (in Mt 22,1–14). Daher liegt die Frage nahe: Könnte die Ausklammerung des Königsnamens aus dem Bildfeld der Gottesbezeichnungen bei Jesus politisch motiviert sein? Nach dem Tod des Herodes gab es Aufstände in ganz Palästina mit drei Anführern: Athronges und Simon traten in ihnen als Könige auf, Judas setzte sich dagegen für die Alleinherrschaft Gottes ein.32 In diesem „Räuberkrieg“ war nach Josephus die Sehnsucht nach einem einheimischen König lebendig. Er kommentiert: „So große Unvernunft bemächtigte sich des Volkes, weil sie keinen einheimischen König hatten, der die Menge durch Tüchtigkeit zurückhalten konnte …“ (A.J. XVII 277). Vermeidet Jesus vielleicht den Königsnamen, um sich von solch einer Aufstands- und Widerstandsbewegung zu distanzieren? Mit großer Wahrscheinlichkeit ist nämlich die Sehnsucht nach einem „König“ auch an Jesus herangetragen worden. Beim Einzug in Jerusalem akklamieren ihn die Pilger als den, der die Königsherrschaft Davids bringt (Mk 11,9). Jesus wird hier zwar nicht basileús genannt, wohl aber bringt er die basileía. Vor Pilatus wird er als basileús der Juden angeklagt (Mk 15,2). Nach dem titulus crucis wurde er als „König der Juden“ hingerichtet (Mk 15,26). Das Messiasbekenntnis des Petrus zeigt, dass die Erwartung, Jesus sei der künftige König Israels, auch in seinem Jüngerkreis lebendig war – auch wenn Jesus diese Erwartung möglicherweise deutlich zurückgewiesen hat.33 Die Zurückhaltung der Jesusüberlieferung gegenüber dem Gottesnamen basileús ließe sich dann auch dadurch erklären, dass die Stelle des basileús schon besetzt war: Die b­ asileía Gottes musste durch eine messianische Gestalt herbeigeführt werden.34 Jesus selbst vertrat wahrscheinlich eine radikaltheokratische Erwartung: Gott allein wird sein Reich herbeiführen. Damit stand er Judas Galilaios nahe. Im Unterschied zu den Rebellen im südlichen Palästina hatte Judas nicht nach der Königsherrschaft gegriffen, sondern sich allen in den Weg gestellt, die nach der Herrschaft gegriffen hatten. Er oder ein gleichnamiger Judas gründete ca. 10 Jahre nach dem Räuberkrieg eine Bewegung zur Steuerverweigerung. Hier begegnen diese radikaltheokrati32 Die Überlieferung bei Josephus ist hier freilich widersprüchlich: In der älteren Darstellung heißt es, Judas habe die angegriffen, die nach Herrschaft strebten (Jos. B.J. II 56). Hier lehnt er sich gegen alle auf, die nach der Macht greifen. In der jüngeren Darstellung wird Judas Streben nach Königsherrschaft unterstellt (Jos. A.J. XVII 272) – vielleicht in Angleichung an die anderen Rebellen. 33 Vgl. Theißen 2003b. Das Satanswort an Petrus bezieht sich wahrscheinlich ursprünglich auf das Messiasbekenntnis des Petrus. So Dinkler 1964 = Dinkler 1967, 283–312, und F. Hahn 1995, 226– 230. 34 Vgl. diese Überlegung bei Zimmermann 2011, 272: „Die βασιλεία τοῦ θεοῦ ist zentral mit der Person Jesu Christi als neuem ‚König‘ verbunden, dessen eigene Rede von Gott jedoch von der Vaterbezeichnung bestimmt ist. Insofern ist der Herrscher der von Jesus verkündigten βασιλεία nicht der König, sondern der Vater.“

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schen Ideen wieder: Wenn nur Gott über Israel herrscht, hat nur Gott das Recht, Abgaben zu fordern.35 Die daraus entstandene Widerstandsbewegung führte nach ca. 60 Jahren zum jüdischen Krieg. Im Streitgespräch über die Steuern hat sich Jesus mit ihr auseinandersetzen müssen (Mk 12,13–17). Noch eine fünfte Beobachtung sei skizziert: Die Jünger Jesu bilden eine Art Königsfamilie.36 Sie haben Gott zum Vater, der seine Königsherrschaft durchsetzt. In dieser Königsherrschaft erhalten die einen Status, die bisher nur einen geringen Status hatten. Das wird durch eine familiäre Metaphorik zum Ausdruck gebracht. „Söhne der Königsherrschaft Gottes“ sind dessen privilegierte Bewohner. Eigentlich sind es die Israeliten. Aber an ihrer Stelle werden andere ihre Position einnehmen (Mt 8,11 f.). Zu den in die Gottesherrschaft aufgenommenen Menschen gehören die Anhänger Jesu. Als „Söhne des Königs“ sind sie privilegiert und von Steuern befreit (Mt 17,24–27). Auf jeden Fall müssen alle wieder „Kinder“ werden, um in die Königsherrschaft zu gelangen (Mt 18,3). Dessen Königreich wird als großes Familienfest vorgestellt. Ihr wichtigster Inhalt ist die Mahlgemeinschaft (vgl. Mk 14,25; Lk 14,15.16–24). „Das Reich Gottes ist kein Imperium, sondern ein Dorf “37. Die gegenwärtige Mahlgemeinschaft Jesu ist ein Symbol für die Königsherrschaft Gottes: Sie wird in symbolischen Handlungen Jesu schon jetzt Realität und hat zugleich einen Mehrwert an Sinn, der in die Zukunft weist.38 Wir schließen mit einer letzten Beobachtung zur Kombination von Vaterund Königreichmetaphorik bei Jesus: Die Beziehung zu Gott als „Vater“ ist mit der Gegenwart verbunden. Der Vater ist vor allem der, der Menschen das Leben gegeben hat. Er ernährt seine Kinder (Mt 7,11). Das Vaterunser bittet in der ersten Wir-Bitte um Brot zur Ernährung, danach um Vergebung und Bewahrung vor Versuchung. All drei Bitten betreffen – entgegen der eschatologischen Deutung der Bitten – die Gegenwart.39 An Gott kann man sich in der Gegenwart als Vater im Gebet wenden. Das Königreich Gottes ist dagegen mit der Zukunft verbunden. Darum bittet das Vaterunser: „Dein Reich komme!“ Durch Kombination mit 35 Josephus lässt Mose sagen: „Aristokratie und das Leben in ihr ist das Beste. Es soll euch nicht Verlangen nach einer anderen Staatsform (politeía) ergreifen, sondern mit dieser sollt ihr zufrieden sein, in der ihr die Gesetze als Herren habt und ihnen entsprechend alles tut. Denn Gott soll euch als Herrscher (hegemón) genügen“ (Jos. A.J. IV 223). 36 Zimmermann 2011, 98–107, hat besonders für das MtEv herausgearbeitet, dass in ihm die Jünger in die Vater-Sohn-Beziehung von Gott und Jesus integriert werden. 37 Burchard 1987, 34. 38 Häufig wird der symbolische Sinn als „Liebe Gottes“ gedeutet. Jesus verkörpere in Wort und Tat die Liebe Gottes für die Menschen (vgl. Fuchs 1956). Aber Jesus spricht nie von der Liebe Gottes zu den Menschen, auch wenn die väterlichen Aspekte seines Gottesbildes als Liebe interpretiert werden können. Das Wort „Liebe“ fehlt. Jesus fordert Liebe der Menschen zu Gott und zum Nächsten. Nur an einer Stelle verbindet er die menschliche Liebe mit Gott als deren Vorbild: Feindesliebe ahmt Gott nach (Lk 6,35) und macht zu Söhnen des Vaters (Mt 5,45). Indirekt wird hier von der Feindesliebe Gottes gesprochen. Menschliche Feindesliebe ist eine imitatio dei. Insofern kann man bei Jesus von einer Verschmelzung von Macht- und Liebesmetaphorik im Gottesbild sprechen. Damit knüpft er an alte jüdische Traditionen an. 39 Zur Begründung der Gegenwartsdeutung für die Wir-Bitten vgl. Luz 2002, 432–458.

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der Vatermetaphorik wird diese Zukunftserwartung mit der Gegenwart verbunden: Die Spannung zwischen einer präsentischen und futurischen Eschatologie findet so in der Kombination der Vater- und Königreichmetaphorik ihren Ausdruck. Sie ist möglich, weil das Königreich Gottes schon in der Gegenwart einen präsentischen Anfang hat und weil das Vatersein Gottes auch in die eschatologische Zukunft weist. Was bedeuten diese neuen Akzentuierungen im Gottesbild der Jesusüberlieferung? Die Verkündigung einer bald kommenden und schon in der Gegenwart beginnenden Königsherrschaft Gottes ist Ausdruck eines radikalen Monotheismus. Hier kommt zur Vollendung, was das zentrale Axiom der jüdischen Religion ist: der Glauben an den einen und einzigen Gott, dem der Mensch mit ganzer Seele, ganzem Herzen und allen seinen Kräften verpflichtet ist. Monotheismus bedeutet, dass Gott zum wichtigsten Anliegen des Menschen wird, und gleichzeitig, dass der Mensch ihm ganz verpflichtet ist, mit all seinen Vermögen. Die Jesusüberlieferung ergänzt die drei Vermögen des Menschen, Seele, Herz und Kraft, mit denen wir Gott lieben sollen, durch die Vernunft: Auch für die Vernunft des Menschen soll Gott das wichtigste Anliegen werden.40 Wenn dieser Gott nun mit der familiären Metapher „Vater“ bezeichnet wird, gewinnt die Hingabe an Gott einen sehr persönlichen Charakter. Das ist innerhalb des Judentums im Prinzip nichts Neues, setzt aber einen besonderen Akzent in ihm. Gut dazu passt, dass in der Verkündigung Jesu die Bezüge zur politischen Geschichte des Volkes zurücktreten. Das Vaterunser, ein durch und durch jüdisches Gebet, greift nicht auf die jüdische Nationalgeschichte zurück. Der eine und einzige Gott wird zum wichtigsten Anliegen des Menschen – und dabei fällt ein Akzent auf jeden Einzelnen. Jeder Einzelne muss mit seinem ganzen Leben umkehren zu diesem Gott.

40 Nach Dtn 6,4 sollen wir Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele und unserer ganzen Kraft lieben. Jesus aber fügte hinzu, dass wir Gott auch mit unserem Verstand lieben sollen. Luthers Übersetzung von diánoia mit „Gemüt“ verdunkelt das. Die ökumenische Einheitsübersetzung übersetzt richtig: „mit allen Gedanken“ (diánoia) (Mk 12,30) und mit dem „ganzen Verstand“ (sýnesis) (Mk 12,33). Kein Einwand ist, dass in der Forderung, Gott von ganzem Herzen zu lieben, schon im Alten Testament die Forderung enthalten ist, ihn auch mit unserem Verstand zu lieben. Denn das „Herz“ ist Sitz der Urteilskraft. Aber der „Verstand“ wird nicht unmittelbar nach dem Herzen genannt, sondern ist von ihm durch die „Seele“ getrennt. Auch darf man den kleinen Zusatz des Verstandes nicht unterbewerten: Das Gebot, Gott mit allen Vermögen zu lieben, wurde von frommen Juden zweimal am Tag gebetet. Kleinste Veränderungen müssen und sollen Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ausführlicher dazu: Theißen 2003a.

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3. Veränderungen in der Pflanzenmetaphorik: Die Ausweitung der Pflanzenmetaphorik in der Verkündigung Jesu Neben dem familiären Bildfeld von Vater und Kindern begegnen schon beim Täufer Pflanzenmetaphern. Ihr Bildfeld gliedert sich in zwei Teilbildfelder, in die Bilder von Baum und Frucht sowie von Saat und Ernte. Zwischen beiden Gruppen von Bildern gibt es viele Entsprechungen, so dass man oft denselben Gedanken in beiden Bildgruppen zum Ausdruck bringen kann. Das ist das Ergebnis der Arbeit über Vegetationsmetaphorik von P. von Gemünden.41 Sie unterscheidet vier Bildkomplexe: (1) Gerichtsbilder setzen den Akzent wie beim Täufer ganz auf die im Jüngsten Gericht drohende Vernichtung der Bäume ohne Frucht bzw. der Trennung von Spreu und Weizen. (2) Entsprechungsbilder zielen darauf, dass gute Bäume gute Früchte bringen, schlechte Bäume schlechte Früchte. Vergleichbar bringt Saat in guter Erde gute Ernte hervor. (3) Ankündigungsbilder finden sich ebenfalls in beiden Teilbildfeldern: Das Knospen des Feigenbaums kündigt den Sommer an, der winzige Same ist Vorbote der großen Staude. (4) Gemeinschaftsbilder zeigen dagegen eine Besonderheit. Hier wird das Bild von Baum und Frucht auf eine Gruppe bezogen. Der Stamm bleibt, die einzelnen Zweige erneuern sich. Insofern handelt es sich um Zugehörigkeitsbilder: Der Einzelne gehört zum Volk. Dagegen finden wir in der jüdisch-alttestamentlichen Tradition keine Anwendung des Bildes von Saat und Ernte auf eine Gemeinschaft. Das war in der Jesustradition etwas Neues. Hier gab es schon immer eine Leerstelle im Bildfeld. Sie wurde nicht erst durch Jesus neu geschaffen wie beim Königsnamen in der Jesusüberlieferung, sondern in der Jesusüberlieferung zum ersten Mal besetzt, und zwar im Sinne eines Differenzierungsbildes. Das Bild dient dazu, guten und schlechten Weizen, Unkraut und Weizen zu unterscheiden. Wenn man dieses Bildfeld in einer Tabelle darstellt, fällt die Leerstelle auf:42

41 Die Ausführungen zur Pflanzenmetaphorik folgen von Gemünden 1993, 415–421. 42 Vgl. von Gemünden1993, 415 f.

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Teilbildfeld: Baum und Frucht

Teilbildfeld: Saat und Ernte

Gerichtsbilder

Der Baum mit Frucht wird gerettet; der Baum ohne Frucht wird vernichtet (Mt 3,10)

Weizen wird gerettet, Spreu wird vernichtet (Mt 3,12)

Entsprechungsbilder

Ein guter Baum bringt gute Frucht hervor, ein schlechter Baum schlechte Früchte (Mt 7,16–20; 12,33–37).

Gute Erde bringt gute Ernte, schlechte Erde bringt schlechte Ernte hervor (Mk 4,3–9)

Ankündigungsbilder

Das Knospen des Feigenbaums kündigt den Sommer an. (Mk 13,28 f.)

Der kleine Samen wird zur großen Staude (Mk 4,30–32)

Gemeinschaftsbilder

Die Zweige des Weinstocks gehören zum Weinstock, einige ohne Frucht werden entfernt (Joh 15,1–8)

Durch allegorisierende Auslegung werden Saat und Ernte auf eine in sich differenzierte Gemeinschaft gedeutet: Mk 4,13–20: Der vierfache Acker Mt 13,36–43: Unkraut und Weizen

Vergänglichkeitsbilder

Dieser Bildkomplex fehlt im NT

Die Vergänglichkeit des Grases (Jak 1,10 f.)

Tab. 1: Bildfeld der Vegetationsmetaphorik.

Diese Innovation im Bildfeldgebrauch erlaubt mehrere Beobachtungen und Deutungen. Eine erste Beobachtung ist: Nur die beiden Gleichnisse von Saat und Ernte, die sich eindeutig auf die Gemeinschaft der Jesusanhänger beziehen, werden in den synoptischen Evangelien mit einer allegorisierenden Deutung versehen: das Gleichnis vom vierfachen Acker in Mk 4,13–20, das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen in Mt 13,36–43.43 Das ist verständlich: Es gab keine Bildtradition, die den Hörern das Vorverständnis mit auf den Weg gab, bei Saat und Ernte könne es sich um eine Gemeinschaft handeln. Der Nachweis einer Innovation im Bildfeld

43 Vgl. von Gemünden 1993, 419: Im Neuen Testament wurde „mit den Differenzierungsbildern, in denen Saat und Wachstum im Hinblick auf eine Gemeinschaft und ihre Probleme verwandt werden, eine Bildfeldstelle neu besetzt. Da das Verständnis dieser Differenzierungsbilder durch keine vorgegebene Bildtradition gestützt wurde, ist es wahrscheinlich kein Zufall, daß gerade die Gleichnisse mit Differenzierungsbildern (und nur sie) eine allegorische Auslegung erfahren haben“.

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kann daher plausibel erklären, warum wir bei diesen Gleichnissen und nur bei ihnen eine „allegorisierende Auslegung“ in den Evangelien finden. Eine zweite Beobachtung hält fest, dass beim aufwachsenden Getreide viele einzelne Halme nebeneinander aufwachsen. Beim Bild vom Baum und der Frucht hat man dagegen nur einen oder wenige Bäume im Blick. In der Jesusüberlieferung wird das Teilbildfeld von Saat und Ernte daher zum Differenzierungsbild: Man kann zwischen Unkraut und Weizen, schlechter und guter Saat differenzieren. Die Verantwortung jedes Einzelnen wird dadurch herausgearbeitet. Jeder wächst unter anderen Umständen heran. Innerhalb derselben Gemeinschaft gibt es dabei große Unterschiede. Sie ist ein corpus mixtum aus Guten und Bösen – und auch diese dichotomische Unterscheidung reicht nicht aus, um die Mannigfaltigkeit innerhalb dieser Gemeinschaft zu erfassen: Das Gleichnis vom vierfachen Acker unterscheidet vier verschiedene Gruppen in ihr. Eine dritte Beobachtung erklärt die Ausweitung des Saat- und Erntebildes auf eine Gemeinschaft damit, dass die ersten Gemeinden im Bewusstsein des nahen Endes der Welt lebten. Das Reich Gottes sollte bald kommen. Bilder von Saat und Ernte lassen sich gut auf solch eine Gemeinschaft deuten. Denn die Saat wächst in kurzer Zeit, innerhalb eines Jahres, zur reifen Frucht. Bäume bleiben über viele Jahre hinweg dieselben. Jedes Jahr kommen und vergehen die Blätter. Der Beginn seines Wachsens selbst kann beim Baum ausgeklammert bleiben.44 Bei Saat und Ernte ist dagegen eine längere Zeit, in der sich eine Gemeinschaft durch Generationen wie die Blätter an einem Baum erneuert, nicht im Blick. Eine vierte Beobachtung weist darauf, dass im Bild von Saat und Ernte der Anfang einer Bewegung leichter dargestellt werden kann als mit dem Bild von Baum und Frucht. Die Aussaat gehört organisch zum Bild. Die Jesusbewegung war eine junge Bewegung. Sie stand am Anfang. Sie konnte sich im Bild der Aussaat wiedererkennen. Gerade der Fokus auf Aussaat und Wachstum, auf Anfang und Entwicklung einer Bewegung aber unterscheidet den Gebrauch der Pflanzenmetaphern bei Jesus von den Sprüchen des Täufers. Der Täufer akzentuiert das Ende: das Fällen des Baumes und die Trennung von Spreu und Weizen nach der Ernte. Die Jesustradition akzentuiert dagegen den Anfang, also die Aussaat und das ihr folgende Wachstum. Sie deutet Saat und Wachstum auf das Königreich Gottes. Bäume wären an sich ein viel näher liegendes Bild für ein Königtum.45 Wenn in der Jesusüberlieferung dagegen Saat und Ernte auf das Reich Gottes hin transparent werden, so ist das eine Innovation. Es fehlen Analogien dafür, dass ein Reich durch wachsendes Getreide dargestellt wird.

44 Man kann sich das an dem auf den ersten Blick so verwandten Gleichnis in 1 Clem 23,4 klarmachen. Hier ist von einem Baum, dem Weinstock, die Rede: „O Unverständige, vergleicht euch mit einem Baum! Nehmt einen Weinstock: Zuerst verliert er das Laub, dann entsteht ein Spross, dann ein Blatt, dann eine Blüte und hierauf ein Herling, dann eine reife Traube. Seht, wie in kurzer Zeit die Frucht des Baumes zur Reife kommt.“ Die Pflanzung des Weinstocks spielt keine Rolle und wird ausgeklammert. Ebenso wird der Winzer nicht berücksichtigt. 45 Vgl. Ri 8,7–15; Ez 17 u. ö.

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4. Veränderungen in beiden Bildfeldern: Zusammenstimmende Tendenzen in Familien- und Pflanzenmetaphorik Am Ende müssen wir die beiden untersuchten Bildfelder in der Verkündigung Jesu in Beziehung zueinander setzen und eine Zusammenfassung versuchen. Was ergibt sich aus einem Vergleich? (1) Generell gilt für die Bildfelder der Verkündigung Jesu, dass sie innerhalb unserer „Alltagsontologie“ zwei Bereiche umfassen: Pflanzen und Personen. Nur selten begegnen in den Gleichnissen Artefakte als „Akteure“. Zu nennen sind der Schatz im Acker, die wertvolle Perle, der verlorene Groschen. Nur einmal treffen wir beim verlorenen Schaf auf ein Tier. Nie werden diese „Artefakte“ und Tiere anthropomorphisiert. Sie sprechen nicht, erhalten aber manchmal einen „Stellvertreter“, der für sie spricht und handelt: Das verlorene Schaf hat seinen Hirten, der es sucht, der unfruchtbare Baum hat einen Gärtner als Fürsprecher. Die Abwesenheit von Tierbildern in den Gleichnissen ist bemerkenswert. Denn in der antiken Fabelliteratur treten sie als Akteure auf und sprechen wie Menschen. Das Fehlen von Tierbildern in den Gleichnissen ist umso erstaunlicher, als Tierbilder im Prinzip für den Täufer und Jesus belegt sind. Jesus sendet seine Jünger wie Schafe unter die Wölfe; sie sollen klug sein wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben (Mt 10,16). Er nennt Antipas einen Fuchs, als er hört, dass der ihn töten will (Lk 13,32).46 Er klagt wie der Täufer über die verlogene „Schlangenbrut“ (Mt 12,34). Dennoch dringen – abgesehen vom verlorenen Schaf – Tiere nicht in die Gleichnisse und Parabeln Jesu ein. Diese Ausklammerung des Tierbereichs in den Gleichnissen enthält indirekt eine Botschaft. In den wenigen Tierbildern in Worten Jesu sind die Tiere nämlich immer mit moralischen Bewertungen verbunden, wenn Jesus z. B. gegen Wölfe in Schafspelzen polemisiert (Mt 7,15). Abgesehen von den „Schafen“ wird mit allen Tierbildern Verhalten moralisch verurteilt. Wenn nun in den Gleichnissen Jesu mit Ausnahme des verlorenen Schafes die Tiere fehlen, so könnte darin eine Botschaft enthalten sein: Menschen sollen sich nicht wie Tiere verhalten – wie in den Fabeln, in denen sie einander übervorteilen, ungerecht behandeln und ihre Macht hemmungslos ausspielen. Die Bilderwelt Jesu erhält dadurch einen humanen Akzent.

46 Jesus kann auch eine Pflanzenmetapher polemisch verwenden: In Mt 11,7–10 meint er mit dem „schwankenden Schilfrohr“ wahrscheinlich Herodes Antipas. Vgl. Theißen, 1985 = Theißen 1989. Das Bild auf der Münze wurde von Meshorer 1967, Nr. 75, als Schilfrohr identifiziert. Wenn moderne Numismatiker es heute so deuten können, konnten es in der Antike Menschen erst recht, wenn sie damit einen Herrscher verspotten wollten. Das gilt ganz unabhängig davon, ob die Pflanze vielleicht ursprünglich z. B. einen Getreidehalm mit Ähre meinte.

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(2) Familien- wie Vegetationsbildern sind traditionelle Bildfelder. Aus ihnen schöpfen der Täufer und Jesus. Wir haben gesehen: Jesus sagt mit ihrer Hilfe etwas Neues, indem er eine Lücke im Bildernetzwerk ausfüllt. Teils fand er diese Lücke in der Tradition vor, teils hat er sie geschaffen. Bei den Bildern vom Königreich Gottes geschah das wohl bewusst: Zum Königreich gehört immer ein König. Jesus aber spricht von Gottes Königreich, ohne von Gott als König zu sprechen. Er schafft damit eine Leerstelle, die er mit der Metapher von Gott als Vater neu besetzt. Das kommende Reich ist das Reich des Vaters, der sich fürsorglich um seine Kinder kümmert. Die „Bewohner“ in diesem Reich sind dadurch nicht nur mit Gott, sondern auch untereinander eng verbunden: Sie bilden eine Familie. Die Vatermetaphorik verstärkt zweifellos gegenüber der Königsmetaphorik die soziale Bindung der Kinder. Im Bildfeld der Pflanzenmetaphern beobachten wir einen vergleichbaren Vorgang, nur dass er formal in umgekehrte Richtung verläuft: Jesus fand im Vegetationsbildfeld eine vorgegebene Leerstelle und füllte sie neu aus, indem er Saat und Ernte zum Bild für eine rasch entstehende neue Gemeinschaft machte. Ein Baum lässt sich als Solitär vorstellen. Ein Getreidefeld aber ist immer das Zusammenleben vieler Halme. Beide Bildfelder erhalten dadurch einen kommunitären Akzent. (3) Beide Bildfelder zeigen ferner eine vergleichbare Tendenz, was die Zeit angeht: Das Königreich Gottes kommt in der nahen Zukunft. Mit ihm wird das zukünftige Ziel der ganzen Geschichte angesprochen, das schon Auswirkungen in der Gegenwart hat. Auf der anderen Seite war Gott seit jeher der Vater seiner Geschöpfe, hat sie geschaffen und von Anfang ihres Lebens an erhalten. Die Vatermetaphorik beleuchtet somit einen Ursprung des Lebens, der bis in die Gegenwart nachwirkt. Sie weist auf eine aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkende Realität, die Königreichmetaphorik umgekehrt auf eine Zukunft, die in die Gegenwart hineinbricht. Ein Vergleich mit der Bilderwelt des Täufers macht diese Verschränkung der Zeiten deutlich: Der Täufer greift bei dem familiären Bild des Vaters nur den radikalen Neuanfang heraus, in den Bildern von Baum und Saat nur das drohende Endgericht. Jesus benutzt dieselben Bilder, um die gegenwärtige Zeit zu beleuchten: Als Vater umsorgt Gott das Leben in der Gegenwart, bei der Saat interessiert Jesus Aussaat und Wachstum als gegenwärtiger Prozess, mit dem Bild vom Baum plädiert er in Lk 13,6–9 sogar für eine Verlängerung der gegenwärtigen Bewährungszeit. Diese temporale Neuakzentuierung in den Bildern, die Jesus vom Täufer übernommen hat, kann kein Zufall sein. Jesu Bilderwelt hat dadurch einen präsentischen Akzent. (4) Die beiden Bildfelder beleuchten nicht nur das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft, sondern auch das Verhältnis von Gott und Mensch in einer neuen Weise. Bei der Metaphorik von Vater und Königtum steht Gottes Handeln im Zentrum, bei der Pflanzenmetaphorik menschliches Tun. Wenn Jesus innerhalb der Königreichsmetaphorik den König durch den Vater ersetzt, so nimmt er dem kommenden Königreich Gottes den Charakter einer mit Gewalt und Krieg sich durchsetzenden Macht. Zwar kennt Jesus einen „heiligen Krieg“

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zwischen Gott und Satan.47 Wenn er Dämonen austreibt, ist das Gottesreich schon angekommen (Lk 11,20). Aber in diesem Krieg in Form von Exorzismen werden Menschen von Gewalt befreit und können wieder ihr Leben selbst bestimmen. Das Königreich Gottes setzt sich demonstrativ ohne Gewalt durch. Ein Jesuswort sagt umgekehrt, dass es Gewalt leidet (Mt 11,12) – m. E. durch seine eigenen Anhänger, die in der Nachfolge Jesu Tabus brechen; aber die Deutung dieses Wortes ist umstritten.48 Die mit der Königsmetapher verbundenen Assoziationen von Gewalt und Zwang treten auf jeden Fall zurück. Der König wird durch den Vater ersetzt. Innerhalb des Vegetationsbildfeldes beobachten wir wiederum einer vergleichbaren Tendenz: Gott (oder sein Vermittler als Sämann) sorgt am Anfang für die Saat, danach wächst die Saat „von alleine“ und entwickelt sich in verschiedener Weise. Gott vertraut seine Saat der Erde an, damit sie Früchte bringt. Dafür ist die Saat selbst verantwortlich. Das Gleichnis von der „selbstwachsenden Saat“ wird zwar in der Regel anders verstanden, nämlich so, dass die „von selbst“ (automátē) wachsende Saat jede menschliche Mitwirkung ausschließt. Aber das Gleichnis muss m. E. anders verstanden werden: Bauer und Erde wirken in ihm als zwei Akteure zusammen. Hinter dem Bauern steht Gott selbst. Denn er schickt am Ende die Sichel. Er bringt das Gericht. Gott hat seinen Samen der Erde anvertraut. Er vertraut, dass sie von selbst aufgeht, wächst und Frucht bringt. Das sei zum Abschluss kurz begründet.49 Mk 4,26–29 wird zwar allgemein das „Gleichnis von der selbstwachsenden Saat“ genannt. Aber wir lesen im Lichte dieser uns so vertrauten Bezeichnung den Text an einer Stelle oft nur ungenau. Dort steht nicht: „Die Saat bringt von selbst Frucht“ (automátē hē gē karpophoreî), obwohl unmittelbar vorher von ihr gesagt wurde, dass sie „aufgeht und wächst“ (V.27). Vielmehr wechselt das Subjekt. Nicht die Saat, „die Erde bringt von selbst Frucht“, oder genauer: Als „selbstwirksame“ bringt sie Frucht hervor.50 Man kann das Gleichnis so lesen: Der Mensch streut den Samen des Wortes aus, Gott aber lässt ihn in der Erde wie von selbst aufgehen, ohne dass sich der Mensch darum sorgen muss. Erst bei der Ernte muss er wieder aktiv werden.51 Eine andere Lesart wäre: Gott hat der Erde seinen Samen anver47 Vgl. Betz, 1957. 48 Vgl. Theißen 1995 = Theißen 2003c. 49 Vgl. Theißen 1994. 50 Berger 1993, 28, überschreibt seine Auslegung daher mit Recht: „Die von selbst Frucht bringende Erde“. 51 So in Übereinstimmung mit einer breiten Auslegungstradition Dormeyer 2007, 324: „Gottes Schöpferhandeln sorgt dafür, dass die Botschaft von seiner Königsherrschaft angenommen wird und ‚von selbst‘ (automatisch) wirksam wird. Verkündet werden muss mit menschlichem Wort das Evangelium von der angebrochenen Königsherrschaft Gottes in Jesus von Nazaret. Doch für die Wirkung dieser Verkündigung übernimmt Gott zuerst die Verantwortung, wie er auch die Verantwortung für die Schöpfung trägt.“ Ein Problem dieser Auslegung ist, dass der Bauer, der am Ende die Sichel zur Ernte und zum Gericht schickt (4,29), nur Gott sein kann. Dann aber steht

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traut und diese sollen ihn jetzt „von selbst“, d. h. spontan und ohne Nötigung von außen wachsen lassen. Dabei könnte der Same wie in der Auslegung des Gleichnisses vom Sämann in Mk 4,15.16.18.20 die Menschen meinen, dann würde die von Gott durchwirkte Schöpfung in Mk 4,28–29 wie „von selbst“ Wachstum und Reifen durch Gott bewirken. Oder aber der Same meint das Wort wie am Anfang der unmittelbar vorhergehenden Auslegung des Sämannsgleichnisses, wo es eindeutig heißt: „Der Sämann sät das Wort“ (Mk 4,14). Dann wäre im folgenden Gleichnis von der selbstwachsenden Saat die Erde der Mensch, in dem das Wort wirken soll und wie „von selbst“ Frucht bringt. Wenn man näher auf die Auslegung des Gleichnisses vom Sämann schaut, sieht man: Hier wird die verschiedene Qualität der Erde so beschrieben, dass dabei verschiedene Menschentypen sichtbar werden: Die Erde wird für Menschen transparent, die keine Wurzeln in sich haben (Mk 4,17). Wenn Dornen die Saat ersticken, so sind die Menschen selbst gemeint, in denen die Dornen, die mit Sorgen und Begierden identifiziert werden, aufwachsen; innere Faktoren verhindern das Aufwachsen des Samens (Mk 4,19). Die Bilder von Samen und Erde sind also zweideutig. Der Same ist einerseits das Wort, andererseits der Mensch, der verschieden gut gedeiht. Ebenso ist die Erde die „Welt“ des Menschen, in der er sich entfaltet, und gleichzeitig der Mensch selbst, der sich in ihr verschieden entwickelt. Dann aber muss man auch im unmittelbar folgenden Gleichnis von der selbst wachsenden Saat mit einer Zweideutigkeit der Metaphern rechnen. Die Erde ist auch in ihm einerseits die Welt der Menschen, in der der Same gedeiht, andererseits der Mensch, in den der Same des Wortes gesät wurde. Der Mensch sorgt in seiner jeweiligen Umwelt „wie von selbst“ für Wachsen und Reifen. Das automáte bezieht sich dann auf den Menschen. Dass es auf göttliches Wirken zu deuten ist, ist keineswegs zwingend. Im Gegenteil, gelegentlich wird damit auch Gottes Wirken bewusst ausgeschlossen. Josephus beschreibt die Epikureer als Philosophen, welche die Vorsehung leugnen: „Gott kümmere sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten, und das Weltall … erhalte sich ohne Lenker und Beschützer von selbst (automátōs)“ (A.J. X 278). Hier wird also gerade die Eigenverursachung der Welt als automatismós (A.J. X 280) einer Lenkung der Welt durch Gott entgegengesetzt. Solche Aussagen finden sich nicht nur über religionskritische Epikureer, sondern werden von Josephus auch Moses zugeschrieben, wenn er ihn zu Gott sprechen lässt: „Deshalb zeige jetzt, dass alles durch deine Vorsehung geleitet wird und nichts von selbst (automátōs), sondern nach deinem Willen gelenkt zum Ziel gelangt.“ (A.J. IV 47).52 Es ist also

hinter dem Bauern, der am Anfang aussät, auch Gott. Es ist m. E. eine Verlegenheitslösung, wenn man deshalb den letzten Satz des Gleichnisses (V. 29) nicht für ursprünglich hält. In der markinischen Fassung muss V. 29 auf jeden Fall als Bestandteil des Gleichnisses gedeutet werden. 52 Auch Theophrast spricht von einer Spontanentstehung: Theophr. h. plant. II 1: Aus Samen und Wurzeln entstehen gleichsam spontan (hōsper gàr autómatoi) wilde Pflanzen. Sie sind ohne Eingriff des Menschen entstanden. Aristoteles verwendet auch für seine Theorie einer Spontanentstehung mancher Pflanzen und Tiere das Wort automátōs. Freilich denkt er dabei nicht an eine creatio ex nihilo, sondern deutet das Phänomen der Spontanentstehung teils epistemisch: Die wirk-

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nicht zulässig, allein in einem „von selbst“ einen Hinweis auf Gottes Wirken zu sehen. Auf Menschen angewandt bedeutet automátōs oft „freiwillig“.53 So heißt es in der Ilias: „Doch freiwillig (automátōs) erschien der Rufer im Streit.“ (Hom. Il. II 408). Wenn die „Früchte“ als traditionelle Metapher für menschliche Taten verstanden werden, so wird hier also gerade die Freiwilligkeit betont, mit der Menschen sie bringen. Wenn man diese Tendenzen bei den Familien- und Vegetationsbildern auf einen Nenner bringen will, kann man sagen: Die Bilderwelt Jesu erhält hier einen autonomen Akzent: Das Gottesreich kommt nicht als eine Gewaltherrschaft, sondern beseitigt die Gewaltherrschaft des Satans, um Menschen zu befreien. Mit ihm kommt kein König, sondern ein Vater, der seine Kinder befähigen will, ihr Leben selbst zu führen. Spontan und autonom sollen sie die Frucht bringen, die er von ihnen erwartet. Die beiden untersuchten Bildfelder erschließen den Kern der Verkündigung Jesu: Ihre bildliche Logik umschließt die Spannung zwischen Zukunft und Gegenwart, zwischen Gottes Wirken und menschlicher Freiheit. Gottes Königreich gehört denen, die freiwillig gute Früchte bringen. Gott will als Vater Kinder, die aufwachsen und als reife Menschen das Gute um seiner selbst willen tun. Winzige Veränderungen in zwei Bildfeldern zeigen diese Tendenz übereinstimmend an. Viele trauen Jesus (bzw. der frühen Jesusbewegung) solch eine „modern“ klingende Botschaft nicht zu. Aber neben der Gefahr, diese Botschaft anachronistisch zu modernisieren und an unsere Zeit anzupassen, gibt es auch eine Gefahr, sie anachronistisch zu antiquieren. Richtig ist: Diese Botschaft wird im Rahmen eines durch und durch mythischen Weltbildes vertreten. Das Gottesreich setzt sich gegen das Reich des Satans und seiner Dämonen durch. Nicht gegen diesen Rahmen, sondern in ihm vertritt Jesus eine Botschaft, die auch deshalb so lange nachwirken konnte, weil der Mythos vom hereinbrechenden Gottesreich ihren humanen Inhalt ungeheuer aufwertet hat.

lichen Ursachen entziehen sich der Erkenntnis des Menschen, teils greift er bei einer vermuteten Entstehung aus Schlamm oder Feuchtigkeit auf einen Panpsychismus zurück oder vergleicht das Zusammenkommen von verschiedener Art von Materie mit männlichem Samen und weiblichem Empfangen. Vgl. dazu ausführlich Eppstein 2017 = C. Rapp (Hrsg.), Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Bd 15: Zoologische Schriften I. Buch V, Berlin ca. 2019, 84–104. Aristoteles sagt z. B. über Pflanzen: „Die einen entstehen nämlich aus Samen, die anderen, als ob die Natur von alleine tätig würde (hōsper automatizoúsēs tēs phýseōs)“ (Aristot. gen. an. I 1.715b 25 ff.). In Aristot. part. an. I 1.640 spricht er von Dingen, die spontan (automátōs) zu entstehen scheinen“ (Eppstein 2017, 96). 53 Vgl. Liddell/Scott 1982, 281.

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Thomas Schumacher

Jüdischer König und Weltenherrscher Christologische und heilsgeschichtliche Perspektiven in der großen Inklusion des Matthäusevangeliums. Zugleich ein Beitrag zur Rezeption des Motivs der Völkerwallfahrt

In der christlichen Tradition ist die Beschäftigung mit den biblischen Texten seit vielen Jahrhunderten von einem sprachlich-philologischen Zugang geprägt. Das Christentum ist hier buchstäblich ‚Wortreligion‘, das heißt, es fokussiert sich beim Blick auf seine Grundschriften ganz auf deren formaliter verbale Verfasstheit. Hier wird gewissermaßen exklusiv vom Text her gedacht, also wenn man so will: nach dem Prinzip des sola scriptura. Und diese Tradition prägte zugleich über lange Zeit die bibelwissenschaftliche Perspektive und das Methodeninstrumentarium der Exegese. Damit ging einher, dass die Schnittstelle zwischen Text und Bild oftmals viel zu wenig Berücksichtigung fand, dass also die im Hintergrund der Texte und der Lebenswelt ihrer ursprünglichen Adressatenkreise stehenden Bildwelten für das Textverständnis kaum fruchtbar gemacht wurden. Einen Beitrag zur Schließung dieser Betrachtungslücke zu leisten, zählt zu den zentralen Forschungsanliegen von Max Küchler. Er widmet sich dabei intensiv der Frage, wie sich gängige Bildmotive der Antike als Verstehenshintergrund für biblische Texte heranziehen lassen, um damit eine tiefere und oftmals verstellte Textdeutung freizulegen. Einer seiner diesbezüglichen Arbeitsschwerpunkte richtete und richtet sich immer noch auf das ikonographische Inventar antiker und insbesondere jüdischer Münzen, die es als Deutefolie und Referenzrahmen für das Verständnis biblischer Texte fruchtbar zu machen gilt.

1. Der Stern des jüdischen Königs Um die Bedeutsamkeit dieses Anliegens deutlich zu machen, möchte ich in den folgenden Ausführungen auf einen Beitrag von Max Küchler Bezug nehmen und ausgehend davon weitere Überlegungen zu dessen exegetischen Implikationen entfalten. Es handelt sich dabei um einen kleineren Aufsatz, der im Jahr 1989 in der Zeitschrift „Bibel und Kirche“ erschienen ist und in dem Max Küchler den

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ikonographisch-motivischen Implikationen des Stern-Symbols nachgeht, um sie für die Geburtsgeschichte des Matthäusevangeliums fruchtbar zu machen.1 Denn wenn dort erzählt wird, dass jener Stern, dem die ‚Magier‘ (μάγοι) aus dem Osten gefolgt sind, schließlich über dem Jesuskind zu stehen kommt, dann wird mit dem Erzähldetail des über einem Menschen stehenden Sterns ein altes und in der Antike wohlvertrautes Bildmotiv aufgegriffen. Dieses findet sich sowohl in der griechisch-hellenistischen und römischen als auch in der jüdischen Lebenswelt und ist dabei stets imperial konnotiert: Wenn in antiken Darstellungen ein Stern über dem Haupt einer Person platziert wurde, dann war dies ein sichtbares Zeichen von Macht oder zumindest von Machtansprüchen. Und dass dieses ikonographische Motiv eine breitenwirksame Bekanntheit erfahren hat, wird gerade angesichts seiner Abbildung auf Münzen deutlich. Diese werden als Zahlungsmittel verwendet, gelangen so in die Hände und Geldbeutel sämtlicher Bevölkerungsschichten und können damit unabhängig von dem jeweiligen Alphabetisierungsgrad ihre ikonographisch gefasste Botschaft weit verbreiten. Daher können Münzen geradezu als ‚Flyer der Antike‘ angesehen werden, denn kaum ein anderes Kommunikationsmittel erlangte eine nur annähernd so große Verbreitung. Wenn also Jesus zu Beginn des Matthäusevangeliums als Nachfahre Davids und „neugeborener König der Juden“ (Mt 2,2) eingeführt und qualifiziert wird, dann dürfte angesichts dieser thematischen Ausrichtung ein über Jesus zum Stehen kommender (ἐστάθη ἐπάνω) Stern von den Erstleserinnen und -lesern dieses Evangeliums als erzählerisches Detail wahrgenommen worden sein, das die Rechtmäßigkeit der Herrschaft Jesu auf motivischem Wege bekräftigt. Ja, mehr noch: Für den zeitgenössischen Rezipientenkreis erhält die das zweite Kapitel des Matthäusevangeliums dominierende Gegenüberstellung von Jesus und Herodes dem Großen – also dem zu jener Zeit amtierenden jüdischen König – durch dessen numismatisch bezeugten Rückgriff auf die Sternikonographie und deren imperiale Dimension eine besondere Zuspitzung und ein verstärkendes Echo. Als Herodes nämlich im Jahr 40 v. Chr. von Marcus Antonius und Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, protegiert und schließlich vom Senat zum jüdischen König ernannt wurde, hatte er im heimatlichen Judäa, gelinde gesagt, mit einigen Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Denn allein schon wegen seiner idumäischen Herkunft konnte er von seinen Landsleuten kaum als geeigneter jüdischer Herrscher angesehen werden; dazu wäre eine Abstammung aus davidischer Tradition nämlich sehr viel vorteilhafter gewesen. Um diesem Makel entgegenzuwirken, versuchte er, sich als strenggläubigen Juden von bester Abstammung zu stilisieren. Als dies nicht recht gelingen wollte, änderte er seine Strategie: Er verstieß seine erste Frau Doris, ehelichte die Hasmonäerin Mariamne und heiratete damit in die jüdische Herrscher- und Priesterdynastie ein. Herodes hoffte, auf diesem Weg den entsprechenden Rückhalt vonseiten der Bevölkerung zu erfahren;

1 Vgl. Küchler 1989.

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zudem würden seine Nachfahren aus dieser Verbindung kaum mehr mit jenem Makel zu kämpfen haben, der ihm selbst anhaftete. Um diese Machtansprüche zu demonstrieren und zu visualisieren, ließ Herodes anlässlich seiner Verbindung mit Mariamne im Jahr 37 v. Chr. eine Münze prägen und in Umlauf bringen, in der er selbstbewusst einen Stern über seinem Helm – er folgt hier der jüdischen Tradition und verzichtet auf eine figürliche Darstellung seiner selbst – platziert.

Abb. 1: Münzprägung Herodes des Großen; Rv.: Tripod mit Lebes auf Podium, Datierung (Jahr 3 = 37 v. Chr.), griechische Inschrift: H[P]ΩΔΟΥ ΒΑΣΙΛΕΩΣ; Av.: Helm auf Gestell mit Stern und Palmetten; Freiburg (Schweiz), Sammlungen BIBEL+ORIENT, N1995.59.

Damit nimmt er jenes Symbol für sich in Anspruch, das einst der Urgroßvater von Mariamne, Alexander Jannäus – jener große Hasmonäer, der seine Dynastie zum Gipfel ihrer Macht führte –, aus dem hellenistischen Umfeld aufgegriffen und in die numismatische Ikonographie des Judentums eingeführt hatte. Er war es auch, der als erster den Königstitel (‫ )המלך‬auf Münzen prägen ließ2 und der damit eine motivische Verbindung dieses Titels mit dem Sternsymbol schuf.

Abb. 2: Münzprägung des Alexander Jannäus; Rv.: 8-strahliger Stern, paläo­hebräische Inschrift zwischen den Strahlen: ‫ ;המלך יהונתן‬Av.: Anker, griechische Inschrift: ΑΛΕΞΑΝΔΡΟΥ ΒΑΣΙΛΕΩΣ; Freiburg (Schweiz), Sammlungen BIBEL+ORIENT, N1995.32.

2 Vgl. Keel 2011, 113.

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Die Botschaft der herodianischen Münzprägung ist damit unmissverständlich: Herodes ist der rechtmäßige jüdische König. Und wenn nun im Matthäusevangelium von einem Stern erzählt wird, der über dem neugeborenen Jesuskind und eben nicht über Herodes steht, dann ist vor dem Hintergrund des skizzierten ikonographischen und kulturgeschichtlichen Kontextes die Botschaft ebenfalls klar: Es ist in der Sicht des Evangelisten gerade nicht Herodes, dem die Königswürde eigentlich gebührt. Ganz auf dieser Linie ist dann auch die Geschlechterliste in Mt 1 zu lesen. Hier wird Jesus in eine verwandtschaftliche Abstammung gestellt, die über David bis zu Abraham zurückreicht. Damit zählt zu den Vorfahren Jesu nicht nur jener große König, der in der jüdischen Tradition zu einer Hoffnungsgestalt geworden ist und aus dessen Geschlecht man einst den ‚Messias‘ erwartete (vgl. bes. 2 Sam 7), sondern auch der Stammvater Israels, mit dem eine umfassende und auf alle Menschen hingeordnete Segensverheißung verbunden ist (vgl. bes. Gen 12,2 f.). Neben solch einer Abstammungslinie konnte jene des Herodes nur verblassen; und dies gilt nicht nur für die bei Zeitgenossen wohlbekannte und oftmals problematisierte idumäische Herkunft, sondern auch für jene Geschlechterliste, die Herodes sich von seinem Freund und Berater Nikolaos von Damaskus hat erstellen lassen und die nachweisen sollte, dass seine Abstammung bis in die Zeit des babylonischen Exils zurückreicht.3 Wenn also das Matthäusevangelium jenem Abschnitt, der die Frage nach dem rechtmäßigen jüdischen König narrativ beantwortet, eine Genealogie voranstellt, dann darf dies ebenfalls als Echo auf die Ansprüche des Herodes gelesen werden. Vor diesem Hintergrund wird man sich davor hüten müssen, an dieser Stelle des Matthäusevangeliums bereits vorschnell sämtliche christologischen Implikationen in den Text hineinzulegen, die sich erst später mit der Konzeption des Königtums Jesu verbinden. Denn im Kontext von Kapitel 2 geht es zunächst einmal nur um die Frage nach dem rechtmäßigen jüdischen König; es wird weder das Königtum Jesu gegen ein jüdisches Königtum ausgespielt, noch wird Jesus an dieser Stelle bereits als Weltenherrscher präsentiert. Zwar finden sich zu Beginn des Evangeliums bereits verschiedene Allusionen auf eine Ausweitung des Geltungsbereichs von Jesu Königtum, doch bleiben diese im Modus des Vorausverweises, der Latenz. Dies gilt beispielsweise für den Stammbaum Jesu, der nicht nur König David einschließt, sondern bis zu Abraham zurückreicht, also bis zu jener Gestalt, die einerseits als Stammvater Israels gilt, mit der sich andererseits aber auch eine universale Verheißung für die Völker verbindet. Und auch die aus dem Osten heranziehenden Magier spielen motivisch bereits an dieser Stelle die Frage nach einer über den jüdischen Kontext hinausgehenden Bedeutsamkeit des neu-

3

Vgl. Jos. A.J. 14,9 f.; Jos. B.J. 1,123; zur Diskussion der Stellen vgl. Bernett 2007, 44–46; Vogel 2002, 210–232; Cohen 1999, 13–24; Hanson 1989, 83.

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geborenen Königs ein;4 eine Erinnerung an das alttestamentliche Motiv der Völkerwallfahrt liegt auf der Hand. Aber diese Allusionen entfalten erzählerisch noch nicht ihre volle inhaltliche Tragweite: Denn die mit Abraham angedeutete Universalität wird nicht ausbuchstabiert, sondern bleibt uneingelöst in der Schwebe. Und die Magier kehren, nachdem sie dem Jesuskind gehuldigt haben, wieder in ihr Heimatland zurück, was in politische Kategorien übersetzt gewissermaßen an den Antrittsbesuch bei einem neuen Herrscher denken lässt. Der Fokus zu Beginn des Evangeliums bleibt also ganz auf die Frage einer innerjüdischen Herrschaftslegitimation gerichtet.

2. Die universale Vollmacht des Auferstandenen Richtet man nun den Blick auf das Ende des Matthäusevangeliums, so stellt sich der Befund ein wenig anders dar. In Mt 28,16–20 wird nämlich erzählt, wie der auferweckte Jesus den elf verbliebenen Jüngern auf einem Berg in Galiläa begegnet und ihnen gegenüber den nun sehr viel weiter gefassten Bereich seiner Herrschaft kommuniziert: Sie reicht territorial deutlich über den jüdischen Kontext hinaus, denn sie umfasst sowohl den gesamten irdischen wie auch den himm­ lischen Bereich (V. 18: ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ [τῆς] γῆς). Auch wird sie qualitativ als eine uneingeschränkte Vollmacht beschrieben (V. 18: πᾶσα ἐξουσία), ja, sogar in zeitlicher Hinsicht weist sie keinerlei Grenze mehr auf (V. 20: ἕως τῆς συντελείας τοῦ αἰῶνος). Lag der Fokus zu Beginn des Matthäusevangeliums mit den Themen der davidischen Abstammung Jesu und der Frage nach dem rechtmäßigen jüdischen König noch in einer ganz innerjüdischen Perspektive, so hat dieser Kontext am Ende des Evangeliums eine radikale Ausweitung in jederlei Hinsicht erfahren: Aus dem jüdischen König ist ein mit unbeschränkter Vollmacht ausgestatteter Weltenherrscher geworden. Neben der Proklamation dieses Machtanspruchs findet sich in Mt 28,16–20 auch eine Darstellung, wie dieser Universalherrscher seine einstigen Weggefährten aussendet, um – wenn man es so formulieren möchte – das neue Herrschafts­ gebiet einzunehmen bzw. die darin lebenden Menschen für sich zu gewinnen. Deshalb sendet Jesus die verbliebenen Elf hin zu „allen Völkern“ (πάντα τὰ ἔθνη), um diesen Menschen seine Botschaft zu bringen. Sie sollen sie gewissermaßen

4

Zwar spricht das Matthäusevangelium in einer recht vagen Weise von μάγοι, doch sollte man daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen, es könne sich auch um jüdische Magier handeln; vgl. etwa Davies/Allison 1988, 229, und Sim 1999, 984–986. Dagegen dürfte nämlich bereits die eine nichtjüdische Außenperspektive andeutende Wendung „König der Juden“ (βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων) in Mt 2,2 wie auch in Mt 27,11.29.37 sprechen. Vgl. hierzu Ziethe 2018, 157 f., sowie auch Ebner 2016, 143. Zudem findet sich bei der Rückkehr der Magier in ihr Heimatland die Wendung εἰς τὴν χώραν αὐτῶν, was vor allem deshalb auffällig ist, weil γῆ in Mt 2 stets für Israel verwendet wird, während in Mt 2,12 das Nomen χώρα steht; vgl. Davies/Allison 1988, 252.

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zu „Mitjüngern machen“ (μαθητεύω), ihren neuen Status durch die Wassertaufe besiegeln und sie in der Lehre Jesu unterweisen (διδάσκοντες). Durch ihre Aussendung werden die Jünger Jesu also in den nun ausgeweiteten Herrschaftsbereich Jesu mit hineingenommen, sie partizipieren gewissermaßen an seiner universalen Vollmacht, indem sie als seine Gesandten im Bereich von πάντα τὰ ἔθνη aktiv sind. Mit der Ausweitung von Jesu Herrschaftsbereich wird zugleich auch der Handlungsradius der Jünger ausgedehnt. Mit dieser Neukonzeption der Herrschaft Jesu am Ende des Matthäusevangeliums gegenüber jener vom Anfang ist nun eine der zentralen Fragen der matthäischen Christologie aufgeworfen. Und dabei geht es nicht nur um das Verhältnis von einem israelzentrierten Königsamt Jesu zu seiner Universalherrschaft, sondern auch um die Frage, wie sich seine Sendung zu Israel zu jener verhält, die sich auf die Völker bezieht.

3. Zur erzählerischen Gesamtanlage des Matthäusevangeliums Im Zusammenhang dieser Fragestellung wird man nun auch die Bezogenheit dieser beiden Herrschaftsthemenkreise aufeinander zu bedenken haben. Zwar stehen diese durch ihre Platzierung am Anfang und am Ende des Evangeliums denkbar weit auseinander, doch führt man sich eine stilistisch-kompositorische Besonderheit des Matthäusevangeliums vor Augen – nämlich das Verfahren, thematisch zusammengehörige Themenkomplexe mithilfe von Inklusionen zu größeren Erzähleinheiten zusammenzubinden –, dann wird rasch deutlich, dass auch weit auseinanderstehende Textabschnitte durch ihre Klammerfunktion unmittelbar aufeinander bezogen sein können. Und diese erzählerische Besonderheit findet sich im Matthäusevangelium sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene. So hat der Verfasser mithilfe von wiederkehrenden Stichworten, Formulierungen oder Motiven kleinere Einheiten zu größeren zusammengefasst, er hat sein Werk aber auch mit einer Gesamtklammer, der sogenannten „großen Inklusion“ versehen, die gewissermaßen das ganze Evangelium umgreift und wie ein hermeneutischer Schlüssel für das Gesamtverständnis fungiert. Denn schließlich hat der inklusionsbildende Stil des Matthäus nicht nur eine textstrukturierende Funktion, sondern dient auch der inhaltlichen Akzentuierung und Präzisierung. Dies wird exemplarisch deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass mit Mt 24,42 und Mt 25,13 nicht nur drei thematisch verwandte Gleichnisse zusammengebündelt werden, sondern dass die Inklusion zugleich einen Verstehensschlüssel für die umklammerten Texte mit an die Hand gibt: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt“ (Mt 24,42), bzw.: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde“ (Mt 25,13). Wenn also in der großen Inklusion des Matthäusevangeliums der Name „Jesus“ unter Rückgriff auf Jes 7,14 LXX (Ἐμμανουήλ) um einen weiteren Namen – nämlich „Immanuel“ – ergänzt und im Sinne des Mit-Seins Gottes mit seinem Volk

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(μεθ᾿ ἡμῶν ὁ θεός)5 gedeutet wird (Mt 1,23), dann bildet dieses Motiv zusammen mit der Zusage, Jesus werde bis zum Ende der Zeiten bei den ausgesandten Jüngern sein (Mt 28,20), eine Inklusion, die sich um das gesamte Matthäusevangelium legt und mit dem Motiv des „Mit-Seins“ einen hermeneutischen Schlüssel für die Lektüre des Evangeliums an die Hand gibt. Mit Blick auf dieses Motiv wird man jedoch auch beachten müssen, dass in Mt 1,23 und Mt 28,20 keineswegs zwei äquivoke Aussagen vorliegen, denn schließlich wird zu Beginn des Evangeliums die Geburt und Sendung Jesu als Ausdruck des Mit-Seins Gottes mit seinem Volk gedeutet, während am Ende vom MitSein Jesu mit seinen Jüngern die Rede ist. Wie am Beispiel des Mit-Sein-Motivs sehr deutlich wird, finden wir zu Beginn und am Ende des Matthäusevangeliums Details, die sich einerseits als deutende Inklusion um die matthäische Erzählung legen, die andererseits aber auch durch ihre jeweiligen Akzente verschiedene theologische Perspektiven so zueinander in Beziehung setzen, dass diese sich wechselseitig beleuchten. Und dies gilt es auch für die beiden erwähnten Herrschaftsthemenkreise zu bedenken.

4. Problemaufriss Angesichts der intertextuellen Verknüpfung jener Textpassagen, in denen Jesus einerseits als rechtmäßiger jüdischer König und andererseits als universaler Welten- und Himmelsherrscher gezeichnet wird, stellt sich die Frage, wie diese beiden christologischen Konzeptionen zueinander in Beziehung stehen. Die verbindende Dimension zwischen beiden Motivfeldern ist fraglos die Herrschaftsthematik. Wie sich jedoch die differierenden Aspekte zueinander verhalten, gilt es im Folgenden weiter auszuleuchten. Dies betrifft zunächst die Frage nach dem Verhältnis der beiden Herrscherrollen Jesu zueinander, oder anders formuliert: Bleibt Jesus auch als Universalherrscher weiterhin jüdischer König – oder lässt das Matthäusevangelium eher an einen „Wechsel“ der Herrschaftsrollen Jesu denken? Und zugleich geht es darum, was dies für die unterschiedlichen Personenkreise, die bei den besagten Herrschaftspassagen im Blick sind, bedeutet. Damit ist die fast schon als klassisch zu bezeichnende Frage berührt, wie sich in der Perspektive des Matthäusevangeliums eine Öffnung der Botschaft Jesu gegenüber einem nichtjüdischen Adressatenkreis theologisch einordnen lässt. Muss eine solche Öffnung als Bruch mit einer binnenjüdischen Perspektive qualifiziert werden oder kann sie – in welcher Form auch immer – als deren Weiterführung gedacht werden? Es geht also letztlich um die das Matthäusevangelium und seine ursprüngliche Adressatengemeinde – ja, ver-

5

Vgl. in diesem Zusammenhang die israelbezogene Formulierung μεθ᾿ ἡμῶν ὁ θεός in Jes 8,8 (siehe auch Jes 8,10) und Jdt 13,11, welche auch in Mt 1,23 verwendet wird.

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mutlich wohl das gesamte Urchristentum – prägende Frage nach dem Verhältnis von Juden und Nichtjuden sowie nach jenem von christusgläubigen Juden und christusgläubigen Nichtjuden, also um das, was man oftmals – etwas unterkomplex – als das Verhältnis von Israel und Kirche zu kategorisieren versucht hat.

5. Die jüdische Perspektive des Matthäusevangeliums und ihre Ambivalenz Bezüglich der theologischen Verortung des Matthäusevangeliums gilt es zunächst, die binnenjüdische Perspektive im Blick zu behalten, die in der Auslegungsgeschichte immer wieder deutlich herausgestellt wurde und die sich auf ganz verschiedenen Ebenen dieses Evangeliums ausmachen lässt. Sie spiegelt sich in der grundsätzlich positiven Einstellung zur Tora wider, in den sogenannten Reflexionszitaten, mit denen die matthäische Narration an das Alte Testament rückgebunden wird, sowie in den fünf großen Reden, welche Jesus in die Tradition des Pentateuch einordnen und damit in Analogie zu Mose setzen. Und auch der Sendungsauftrag Jesu ist nach diesem Evangelium sehr deutlich auf Israel bezogen, weshalb bereits erwogen wurde, ob das Matthäusevangelium einen „judenchristliche[n] Gegenentwurf zum Markusevangelium“6 darstelle. Dies wird bereits zu Beginn des Matthäusevangeliums deutlich, wo Jesus in Mt 2,6 unter Rückgriff auf Mi 5,1.3 als „Hirt meines [sc. Gottes] Volkes Israel“ (ποιμανεῖ τὸν λαόν μου τὸν Ἰσραήλ) qualifiziert wird, und wiederum, wenn in Mt 1,21 sein sündenerrettender Auftrag allein auf Israel bezogen wird: „denn er wird sein Volk (τὸν λαὸν αὐτοῦ) von seinen Sünden erlösen (σώσει […] ἀπὸ τῶν ἁμαρτιῶν αὐτῶν)“. Dieser Sendung entsprechend meidet Jesus den Kontakt zu Heiden bzw. begegnet ihnen zunächst stets mit einer deutlichen Reserviertheit. Dies spiegelt sich eindrücklich in dem Gespräch Jesu mit einer kanaanäischen Frau wider, die ihn aufgesucht hatte, um für ihre besessene Tochter um Heilung zu bitten. Ihrem Anliegen begegnet Jesus zunächst ablehnend mit dem Hinweis, dass er „nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt“ sei (Mt 15,21). Ganz auf dieser Linie liegt auch die Aussendung des Zwölferkreises: Dabei schärft Jesus nämlich seinen Jüngern mit Nachdruck ein, dass sie „nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt 10,5) gehen, heidnische und samaritanische Gebiete hingegen meiden sollen. Im Lichte dieser Grundperspektive wird man in dem Gespräch Jesu mit dem römischen Hauptmann von Kafarnaum wohl die Formulierung von Mt 8,7 (ἐγὼ ἐλθὼν θεραπεύσω αὐτόν) eher als ablehnende Frage („Ich soll kommen und ihn

6

So der gleichnamige Beitrag von Matthias Konradt: Konradt 2016, 43–68. Vgl. hierzu auch Sim 1998; Sim 2002; Sim 2008; Theißen 2011; Wong 2012, 107–130.

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heilen?“7) denn als positive Heilungszusage lesen müssen („Ich will kommen und ihn heilen“8). Und dafür sprechen nicht nur die benannten kontextuellen Gründe, sondern auch das betont vorangestellte Personalpronomen, das, wie Matthias Konradt treffend bemerkt, „im Griechischen nicht nötig ist und also eine Betonung anzeigt, die sich bei einem Fragesatz erheblich besser erschließt.“9 Jesus würde also auch an dieser Stelle zunächst abweisend reagieren und sich zugleich „gegen die Zumutung wehren, in ein heidnisches, verunreinigendes Dorf zu gehen“10. Diese binnenjüdische Perspektive, die das Matthäusevangelium fast wie ein roter Faden durchzieht, wird aber doch mehrfach durchkreuzt und mit ambivalenten Motiven kontrastiert. Dies lässt sich beispielsweise an der Reise der Magier und an deren Ziel verdeutlichen: Von Osten kommend ziehen sie zunächst nach Jerusalem, also an jenen Ort, der fraglos als Herrschaftssitz des jüdischen Königs und als religiös-politisches Machtzentrum Israels gelten darf. Aber der Zug der Magier kommt dort noch nicht an sein Ziel, sondern er wird weitergeführt und zum Geburtsort Jesu gelenkt. Das Motiv der Völkerwallfahrt, das durch den Zug der Magier nach Jerusalem, also dem Ort von Zionsberg und Tempel, eingespielt wird,11 erfährt durch die Personalisierung auf Jesus hin somit eine motivische Brechung.12 Doch wie das Matthäusevangelium in geschickter Erzählfolge ausführt, ist Jerusalem gerade der falsche Ort, um dem rechtmäßigen jüdischen König eine Aufwartung zu machen. Denn wenn dort mit Herodes dem Großen ein Herrscher amtiert, der – jedenfalls aus der matthäischen Perspektive – kaum als legitimer Machthaber gelten kann, wird auf diese Weise eine Konkurrenzsituation angelegt, die ihren ersten Höhepunkt in dem Versuch des Herodes findet, das Jesuskind zu töten. So steht die gesamte Jesusgeschichte des Matthäusevangeliums von Anfang an unter dem Vorzeichen einer Gegnerschaft mit der Jerusalemer Machtelite. Diese jerusalemkritische Note – von einer grundsätzlichen Kritik am Judentum insgesamt kann hingegen keine Rede sein! – durchzieht nun ebenfalls das gesamte Matthäusevangelium. Sie spiegelt sich vielfach in der ablehnenden Haltung von führenden Personen des religiösen und politischen Lebens Jesus gegenüber, und zwar besonders in Jerusalem, und findet ihren traurigen Höhepunkt in der Hinrichtung Jesu.

  7 Zitiert nach Konradt 2015, 133; vgl. hierzu auch Zahn 1922, 338 f.; Klostermann 1927, 74; Gnilka 1986, 301; Luz 2016, 14; Fiedler 2006, 202; Davies/Allison 1991, 22; vgl. zudem auch die Wiedergabe von Mt 8,7 in der „Gute Nachricht Bibel“ sowie die Anmerkungen zur Übersetzung in der Einheitsübersetzung 1980/2016.   8 Zitiert nach Einheitsübersetzung 2016.   9 Konradt 2015, 133. 10 Maier 2015, 447. 11 Als Allusion auf die Völkerfahrt fungieren an dieser Stelle auch die Gaben, die in Mt 2,11 dem Jesuskind dargebracht werden, denn bereits in jenem großen Text des Jesajabuches zur Völkerwallfahrt (Jes 60,1–22) werden Gold (Jes 60,6 LXX: χρυσίον) und Weihrauch (Jes 60,6 LXX: λίβανος) als Gaben der Völker nach Jerusalem mitgeführt. Vgl. hierzu auch Sand 1986, 51; Grundmann 1973, 79; Luz 2002, 175; Konradt 2015, 214, sowie bes. Ziethe 2018, 156–164. 12 So auch Konradt 2015, 11.

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Hier lässt sich bereits eine Verarbeitungsstrategie erahnen, welche die Zerstörung Jerusalems mit der Ablehnung des rechtmäßigen jüdischen Königs in Verbindung zu bringen sucht. Es sei hier vor allem an den sogenannten „Blutruf “ erinnert, durch den jene jüdischen Protagonisten, die beim Prozess den Tod Jesu fordern, die Verantwortung für diese Hinrichtung für sich und die erste Nachfolgegeneration – man beachte, dass hier im Vergleich zu analogen sakralrechtlichen Formulierungen nur die erste Generation genannt wird13 – zu übernehmen bereit sind. Denn wenn es dort heißt: „Da rief das ganze Volk: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ (Mt 27,25), dann gilt es bei dieser strittigen Textpassage zweierlei zu beachten: Zum einen wird „das ganze Volk“ (πᾶς ὁ λαός), das diesen Satz ausruft, kaum auf das gesamte Judentum zu beziehen sein; schließlich knüpft λαός in V. 25 begrifflich an ὄχλος im vorangehenden Vers an und bringt daher den semantischen Akzent der anwesenden Menge – und eben nicht des gesamten Judentums – zur Sprache.14 Dennoch dürfte, wie Matthias Konradt zu bedenken gibt, der Wechsel von ὄχλος zu λαός nicht nur der begrifflichen Varianz geschuldet sein; „vielmehr“, so Konradt, werde „durch den Wechsel zu λαός ein neuer Akzent gesetzt, allerdings nicht der, dass die Volksmenge ganz Israel repräsentieren soll, sondern durch λαός wird angezeigt, dass es um ein Geschehen in Israel geht.“15 Und dann, so führt er weiter aus, dürfte Matthäus bei πᾶς ὁ λαός wohl am ehesten die Jerusalemer Bevölkerung im Blick haben: „Denn zum einen ist die Tötung des ‚Propheten‘ Jesus (21,11.46) durch Jerusalem mit ihrer Bezeichnung als prophetenmordende Stadt (23,37) vorbereitet. […] Zum anderen nimmt πᾶς ὁ λαὸς in 27,25 nicht nur im engeren Kontext πάντες aus 27,22 auf, sondern knüpft zugleich an 2,3 (πᾶσα Ἱεροσόλυμα) und 21,10 (πᾶσα ἡ πόλις) an.“16

Insofern sind jenes erste Erschrecken „ganz Jerusalems“ (Mt 2,3) bei der Geburt Jesu und seine endgültige Ablehnung bei der Passion am selben Ort durch das Motiv der Jerusalemkritik aufeinander bezogen. Diese Ablehnung und Verfolgung vonseiten der Jerusalemer Obrigkeit entfernt Jesus letztlich immer mehr von Jerusalem und damit von jenem Ort, der dem jüdischen König eigentlich gebühren würde. Diese Distanzierung lässt sich durch einen Blick auf die matthäische Topografie rasch umreißen. Wegen der Nachstellungen von Herodes dem Großen führt der Weg Jesu weg von Bethlehem, und zwar zunächst nach Ägypten. Von dort übersiedelt die Familie dann nach Nazareth, weil im Zuge der Nachfolgeregelung Archelaos als Ethnarch von Judäa „anstelle seines Vaters Herodes regierte“ (Mt 2,22) und eine Rückkehr zurück in die Davidsstadt 13 Vgl. hierzu exemplarisch 1 Kön 2,33 und die Wendung ‫ד־עֹול֖ם‬ ָ ‫ ַע‬bzw. εἰς τὸν αἰῶνα (LXX), für die sich im Matthäusevangelium kein Äquivalent findet; vgl. hierzu auch Frankemölle 1997, 482 f.; Gielen 1998, 386; Fiedler 2006, 411 f., Konradt 2007, 178; Konradt 2015, 435 f. 14 Vgl. hierzu etwa Frankemölle 1984, 204–211; Luz 1993, 314; Kraus 1997, 416; Fiedler 2006, 411 f. 15 Konradt 2016a, 230. 16 Konradt 2016a, 231.

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Bethlehem damit kaum ratsam war. So gelangt die Familie Jesu schließlich nach Nazareth, also in galiläisches Gebiet, und lässt sich folglich im Herrschaftsgebiet von Herodes Antipas nieder. Als dieser jedoch gegen Johannes den Täufer vorgeht und diesen inhaftieren lässt, siedelt Jesus erneut um, und zwar von Nazareth nach Kafarnaum am Nordufer des Sees von Genezareth (Mt 4,13). Dieser Grenzort am westlichen Rand des Herrschaftsgebiets von Herodes Antipas wird von Matthäus unter Rückgriff auf Jes 8,23 dabei als „Galiläa der Heiden“ (Γαλιλαία τῶν ἐθνῶν) qualifiziert, sodass Jesus durch diese theologische Topographie infolge von Nachstellungen heidnischem Terrain immer näherkommt. Es ist daher geradezu folgerichtig, wenn die erste Begegnung Jesu mit einem nichtjüdischen Protagonisten – einem römischen Hauptmann – in Kafarnaum lokalisiert wird (Mt 8,5–13). Der Verfasser des Matthäusevangeliums verortet diese Begebenheit somit innerhalb der Tetrarchie des Herodes Antipas, also in einem Gebiet mit einer fast homogenen jüdischen Bevölkerungsstruktur – der ethnisch durchmischte und nur einen geringen jüdischen Bevölkerungsanteil aufweisende Herrschaftsbereich des dritten Herodesnachfolgers, Philippus, jedoch ist nur noch einen Steinwurf entfernt. So bleibt also festzuhalten, dass das Matthäusevangelium die Verkündigung Jesu grundsätzlich als eine innerjüdische Sendung herausstellt, dass in die Erzählung aber zugleich eine Konfliktgeschichte mit Jerusalem und mit der religiös-politischen Aristokratie eingezeichnet ist, welche jedoch die Sendung Jesu zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ nicht grundsätzlich infrage zu stellen vermag. Dennoch verunmöglicht dieser Konflikt letztlich, dass die Sendung Jesu innerhalb Israels vollumfänglich realisiert werden kann.

6. Die universale Perspektive des Matthäusevangeliums Neben dieser binnenjüdischen Perspektive finden sich im Matthäusevangelium aber auch etliche Motive und Erzähldetails, die eine Öffnung der Botschaft Jesu und seine Bedeutsamkeit über den jüdischen Kontext hinaus einspielen. Dabei bedient sich der Verfasser des Matthäusevangeliums einer Erzählstrategie, die darin besteht, spezifisch jüdische Elemente aufzugreifen und motivisch zu weiten.

6.1 Zur Verwendung des βασιλεύς-Titels Dies sei zunächst exemplarisch an der Art und Weise aufgezeigt, wie Matthäus den Königstitel (βασιλεύς) zu Beginn seiner Jesusgeschichte einführt und im Verlauf seiner Erzählung semantisch-motivisch ausweitet. Wie bereits dargelegt wird der Königstitel im Matthäusevangelium unter deutlichem Rückgriff auf David – in seiner prototypischen Funktion als jüdischer König – eingeführt. Die Perspektive ist stark jüdisch geprägt und es wird, nicht zuletzt durch die skizzierte Sternallusion,

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die Frage nach dem rechtmäßigen „König der Juden“ (βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων) und dem legitimen Nachfolger Davids (υἱὸς Δαυίδ) verhandelt. Der Königstitel wird also unter Rückgriff auf spezifisch jüdische Vorstellungen und entsprechende Prätexte eingeführt. Folgt man nun jedoch dem matthäischen Erzählverlauf, dann sticht vor diesem Hintergrund ins Auge, wenn Jesus auch von Nichtjüdinnen und Nichtjuden als König qualifiziert wird. In Mt 15,22 spricht erstmals eine heidnische Person Jesus mit dem „Sohn Davids“-Titel (υἱὸς Δαυίδ) an, nämlich jene kanaanäische Frau, die sich hilfesuchend an ihn wendet. Darin drückt sich zum ersten Mal die Hoffnung aus, dass Jesus in seiner Funktion als jüdischer König auch außerhalb seines eigentlichen Herrschaftsgebietes – Matthäus lokalisiert diese Begebenheit in der „Gegend von Tyrus und Sidon“ (εἰς τὰ μέρη Τύρου καὶ Σιδῶνος) – wirkmächtig zu handeln in der Lage ist. Damit deutet sich in dieser Perikope bereits jene territoriale Öffnung an, die erst in der Schlusssequenz des Matthäusevangeliums (Mt 28,16–20) realisiert wird. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang aber auch jene Rede aus Mt 25,31–46, die vorausschauend auf das eschatologische Gericht blickt und dabei Jesus – bzw. präziser: den „Menschensohn“ – als richtenden βασιλεύς bezeichnet, dessen Herrschaft auf die Heidenvölker (πάντα τὰ ἔθνη) ausgedehnt ist. Da in dieser Perikope das Augenmerk auf ein künftiges Endgericht gelenkt ist, wird der auf Jesus bezogene βασιλεύς-Titel zugleich einer zeitlichen Entgrenzung unterzogen. Damit wird ein weiterer Aspekt jener zeitlich und räumlich umfassenden Herrschaft Jesu, wie sie in Mt 28,16–20 umrissen ist, schon im Erzählverlauf des Matthäusevangeliums vorbereitet. Angesichts dieser semantisch-motivischen Ausweitungen des jüdischen Königstitels lässt sich bereits erahnen, dass der Verfasser des Matthäusevangeliums mithilfe solcher erzählstrategischen Maßnahmen den Universalherrscher der Schlusssequenz in Kontinuität zum jüdischen König zeichnen möchte.

6.2 Zur funktionalen Rolle Abrahams Ein weiterer Erzählstrang, in dem ebenfalls eine universale Öffnung in die binnenjüdische Perspektive eingezeichnet wird, ist mit jenen Passagen verbunden, welche sich auf die Gestalt des Abraham beziehen. Hier ist zunächst der Auftakt des Matthäusevangeliums mit seiner bis zu Abraham zurückreichenden Geschlechterliste zu nennen, dann aber auch die überschriftartige Eröffnung,17 die Jesus gleicherma17 Da die Wortsemantik von βίβλος den Aspekt „Verzeichnis“, „Liste“ umfasst und mit γένεσις auch die „Vorfahren“ bezeichnet werden können, dürfte die Wendung βίβλος γενέσεως wohl am ehesten im Sinne von „Abstammungsverzeichnis“ zu lesen und damit unmittelbar auf die Geschlechterliste zu beziehen sein. Zum semantischen Spektrum von βίβλος und γένεσις vgl. Liddell/Scott/ Jones 1996, s. v.; Passow 2008, s. v.; Menge 1991, s. v.

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ßen als „Sohn Davids“ und „Sohn Abrahams“ näherbestimmt (Βίβλος γενέσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ Δαυὶδ υἱοῦ Ἀβραάμ). Auf diese Weise werden in der Person Jesu zwei Aspekte ineinander verschränkt, nämlich einerseits seine Rolle im Blick auf Israel und andererseits seine Bedeutung für die Völker. Denn dass Abraham hier nicht allein in seiner Funktion als Stammvater Israels genannt ist, wird bereits an der Erwähnung von vier Frauen (Mt 1,3.5 f.) – es handelt sich um Tamar (Gen 38), Rahab (Jos 2; 6), Rut (Rut 1–4) und „der des Urija“, also Batseba (2 Sam 11 f.) – deutlich, deren Gemeinsamkeit darin bestehen dürfte, dass es sich bei allen Vieren um Nichtjüdinnen handelt.18 Durch diese Formung der Ahnenliste Jesu signalisiert der Verfasser des Matthäusevangeliums zweierlei: (1) Zum einen gibt es innerhalb des Judentums eine lange, bis in vordavidische Zeit zurückreichende Tradition der Offenheit gegenüber Nichtjuden, deren Schwergewicht mit den drei namentlich genannten Frauen, also Tamar, Rahab und Rut, gerade auf jenem Teil der Geschlechterliste liegt, die von Abraham zu David führt. So dürfte für Matthäus bei der Nennung des Abraham die auf alle Menschen bezogene Segensverheißung deutlich mit im Blick gewesen sein. (2) Zum anderen markiert er mit diesen Frauen aber auch die positive Rolle von heidnischen Personen für den Fortbestand Israels. Die genannten heidnischen Frauen haben sich nämlich als Proselytinnen dem Glauben Israels angeschlossen und konnten so in ihrer Funktion als Mütter dazu beitragen, den Fortbestand des jüdischen Volkes zu sichern. Man könnte überspitzt formulieren, dass die matthäische Genealogie einen Argumentationsschlüssel bietet, um Heiden eine positive Bedeutung für Israel zuzuweisen – ein Aspekt, auf den im Zuge der weiteren Überlegungen noch einmal einzugehen sein wird. Damit verbindet der Verfasser des Matthäusevangeliums den Gedanken der Heilsuniversalität mit der Gestalt des Abraham. Und so verwundert es auch kaum, wenn Johannes der Täufer die Pharisäer und Sadduzäer, und damit die anwesenden Autoritäten, vor einer falschen Bezugnahme auf Abraham warnt: „Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken“ (Mt 3,8 f.). Auf diese Weise differenziert Matthäus zwischen der Zugehörigkeit zum Volk Israel und der Abrahamskindschaft. Diese ist für Matthäus nämlich mit Umkehrbereitschaft und letztlich mit einer Offenheit für die Botschaft Jesu verknüpft. So verweist das Wort des Täufers, dass Gott selbst aus Steinen Kinder Abrahams erwecken könne, bereits voraus auf jene Öffnung der Botschaft Jesu, wie sie im Fokus von Mt 28,16–20 steht. Und genau in dieser Fluchtlinie sollte man womöglich auch das Abraham-­ Logion in Mt 8,11 lesen. Dieses steht im Rahmen des Zwiegesprächs zwischen Jesus und dem Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8,5–13), dem Jesus – wie bereits angemerkt – zunächst ablehnend begegnet war, dem er jedoch angesichts seines

18 Vgl. exemplarisch Stegemann 1971, 260–266; Luz 2002, 135 f.; Wick 2003, 78; Bauer 1996, 148 f.; Davies/Allison 1988, 171; Konradt 2007, 288–290.

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großen Vertrauens in seine Vollmacht (ἐξουσία) helfend beisteht.19 Ja, mit Blick auf den Hauptmann betont Jesus gegenüber den Anwesenden sogar, dass er ein derartiges Vertrauen (τοσαύτην πίστιν) in Israel noch nie erlebt hat. Und weiter führt er aus, dass „viele vom Osten und Westen kommen werden und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen werden; aber die Söhne des Reiches werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis; dort wird Heulen und Zähneknirschen sein“ (Mt 8,11 f.). Diese Textpassage wurde und wird häufig im Sinne einer Substitution gelesen, wonach das Volk Israel von Gott verworfen und durch das Heidenchristentum, gewissermaßen die Kirche, ersetzt werde.20 Diese Deutung hängt jedoch grundlegend mit der Frage zusammen, an welche Personengruppe bei den „vielen vom Osten und Westen“ zu denken ist und worauf sich das Zu-Tische-Liegen mit Abraham, Isaak und Jakob bezieht. Was zunächst die angesprochene Personengruppe betrifft, so deutet man diese meist im Hinblick auf die Völkerwallfahrt und dementsprechend im Sinne von Nichtjuden; Ulrich Luz etwa betont: „Die Heiden von Ost und West werden sich dem Gott Israels zuwenden. Sie werden mit den Patriarchen Israels im Gottesreich zu Tisch liegen. Die Söhne des Reichs aber verlieren die βασιλεία.“21 Diese Deutung hat nun aber mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass in sämtlichen Texten, die sich auf die Völkerwallfahrt beziehen, die Erwähnung von Himmelsrichtungen fehlt. Dieses Erzähldetail ist hingegen breit in solchen Texten belegt, die die Sammlung der Exilierten aus der Diaspora zum Gegenstand haben.22 Wenn man diesen Befund erst nimmt, dann wäre der von Matthias Konradt entfaltete Lösungsvorschlag zu präferieren, dass Matthäus bei den „vielen vom Osten und Westen“ eher an das Diasporajudentum denken würde, welches er über die kontextuelle Einspielung des heidnischen Hauptmanns zugleich um die Gruppe der Heiden erweitert hätte. Und demnach werde, so Konradt, „– in Entsprechung zum Glauben des Hauptmanns – die Universalität des Heils herausgestellt, das Juden und Heiden umfasst: Zusätzlich zur eschatologischen Sammlung Israels, die Gott durch die Sendung Jesu und seiner Jünger begonnen hat […], werden auch Menschen aus den Völkern zu ‚Abrahamskindern‘ (3,9) und im Himmelreich am eschatologischen Mahl […] mit Abraham, Isaak und Jakob teilhaben.“23

Im Hintergrund dieses Logions dürften also eher Texte wie Tob 13,5–13; 14,5 f., Sach 8,23 oder TestBenj 9,2 stehen, in denen die Sammlung des zerstreuten Israels um das Motiv der hinzuströmenden Heiden erweitert ist.24

19 Vgl. v. a. Konradt 2016b, bes. 280–283. 20 Vgl. hierzu exemplarisch Schnelle 2017, 290: „Die heilsgeschichtliche Ablösung als Verwerfung Israels ist für Matthäus schon längst Realität“; vgl. zudem auch Schnelle 2016, 428 Anm. 93. 21 Luz 2016, 15. 22 Vgl. etwa Jes 43,5 f.; Sach 8,7; Bar 4,37; 1 Hen 57,1; PsSal 11,2. 23 Konradt 2015, 136 f. 24 Vgl. Konradt 2015, 137.

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In Mt 8,11 f. würde also nicht der Gedanke einer Ablösung Israels formuliert werden, sondern es ginge um eine innerjüdische Auseinandersetzung, genauer, um das Gegenüber jener palästinischen Juden, die sich der Botschaft Jesu verschlossen haben, zu all denen – und zwar Juden wie Heiden –, die ihr positiv begegnen. Im Hintergrund dieser Deutung stünde folglich auch nicht, wie meist angenommen wird, eine Gleichsetzung der Zugehörigkeit zu Israel mit der Art und Weise, wie der Verfasser hier auf die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob rekurriert. Denn für Matthäus verbinden sich diese Patriarchennamen mit dem Stammbaum Jesu, was eine spezifische und christologisch qualifizierte Form des Verbundenseins mit den genannten Erzvätern impliziert.25 Gemeint ist damit also nicht, dass jene Juden, die Jesus nicht als jüdischen Messias ansehen, in keiner Beziehung mehr zu Abraham, Isaak und Jakob stehen, sondern dass ihnen lediglich eine spezifische, den Messiasbezug einschließende Relation zu den Patriarchen fehlt. Diese hängt nämlich davon ab, wie man sich gegenüber Jesus als dem Sohn Abrahams positioniert. Die Zugehörigkeit zu Israel ist an dieser Stelle nicht im Blick. So bleibt am Ende dieser Überlegungen zur universalen Perspektive des Matthäusevangeliums festzuhalten, dass trotz der auf Israel bezogenen Sendung Jesu von Anfang an die Heiden mit im Blick sind. Im Verlauf der matthäischen Narration werden daher entscheidende Weichen gestellt, die eine Öffnung der jesuanischen Sendung auch für diese weitere Personengruppe vorbereiten. Auf diese Weise sind innerjüdische und universale Perspektive kunstvoll ineinander verschränkt und aufeinander bezogen, was auch die weiteren Überlegungen nochmals verdeutlichen sollen.

7. Zum Verhältnis von jüdischer und universaler Perspektive Nimmt man die besagten Erzähldetails zur Kenntnis, dann stellt sich die Frage, wie sich die auf Israel bezogene Sendung Jesu zu seiner universalen Bedeutung verhält. Im Zusammenhang dieser Frage wurde immer wieder nach dem Zueinander der beiden matthäischen Sendungstexte gefragt. Denn während Jesus seine zwölf Begleiter in Mt 10,5 f. „zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“ sendet und ihnen untersagt, zu Heiden zu gehen, sollen sie gemäß Mt 28,19 nun „alle Völker“ (πάντα τὰ ἔθνη) aufsuchen. Wenn man den Blutruf (Mt 27,25) oder das Doppellogion von Mt 8,11 f. sowie solche Texte wie Mt 21,43 oder Mt 22,1– 10 im Sinne einer Substitution liest, dann entsteht geradezu der Eindruck, als sei mit dem Tod Jesu die Verkündigung in einem jüdischen Kontext an ihr Ende gekommen und als richte sich die Sendung nachösterlich auf einen gänzlich

25 Eine ganz ähnliche Differenzierung findet sich auch in Röm 9–11, sofern man V. 6b des neunten Kapitels als Frage liest. Vgl. hierzu Wengst 2008, 293.295–298; Baumert 2012, 182 f.; Schumacher 2015a, 263–266.

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neuen Personenkreis, nämlich auf Nichtjuden. Doch einem solchen Zugang steht neben den bereits problematisierten Substitutionsdeutungen vor allem jener in Mt 10,23 formulierte Gedanke entgegen, dass die Sendung der Jünger zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel keinen Abbruch finden werde: „Wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt.“ Demnach lässt sich die auf πάντα τὰ ἔθνη gerichtete Mission des Elferkreises kaum mit einem Abbruch der Sendung zu Israel in Verbindung bringen. Somit tritt jener Missionsbefehl, der sich auf „alle Völker“ bezieht (Mt 28,19) in einer komplementären Weise zu jenem bereits in Mt 10,5 f. formulierten hinzu. Daher sollte die alte Debatte, ob πάντα τὰ ἔθνη in Mt 28,19 in inklusivem oder exklusivem Sinn zu verstehen sei, also ob Israel in dieser Formulierung mit eingeschlossen sei oder nicht, von der Frage freigehalten werden, ob Israel bei einer exklusiven Deutung des Syntagmas πάντα τὰ ἔθνη von der Verkündigung der Jünger ausgeschlossen sei.26 Für Matthäus stellt sich angesichts der nie endenden Sendung zum Volk Israel diese Frage nicht. Zumindest gestaltet er seine narrative Christologie nicht anhand des binären Grundparadigmas Israel versus Heiden. Und dies gilt schließlich auch für jene beiden Schlüsseltexte des Matthäusevangeliums, in denen die Öffnung der Botschaft Jesu gegenüber einem nichtjüdischen Adressatenkreis erörtert wird, nämlich die Begegnungen Jesu mit dem römischen Hauptmann in Kafarnaum (Mt 8,5–13) und mit der kanaanäischen Frau (Mt 15,21–28). Denn dort wird stets die Vorrangstellung Israels eingeräumt, zugleich aber auch – fast in einer die Schlusspassage des Matthäusevangeliums antizipierenden Weise – die über Israel hinausreichende Bedeutsamkeit des jüdischen Messias herausgearbeitet. Insofern sind jüdische und universale Perspektive des Matthäusevangeliums nicht in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander zu sehen, sie sind vielmehr bleibend aufeinander bezogen.

8. Ein erneuter Blick auf Mt 28,16–20 Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen gilt es nun erneut den Blick auf die Schlusssequenz des Matthäusevangeliums zu richten. Und dabei soll die intertextuelle Verbindung von Eröffnung und Schluss, die über das stilistisch-kompositorische Verfahren der Inklusion bewusst generiert wird, ebenso bedacht werden, wie die Verschränkung von jüdischer und universaler Perspektive. Blickt man von Mt 28,16–20 nun zurück auf den Anfang des Matthäusevangeliums, dann verbindet die Herrschaftsthematik – trotz der benannten Differenzen – fraglos die beiden Textpassagen. Und es fallen noch weitere Erzähldetails ins Auge. So findet sich in beiden Textabschnitten das Verb προσκυνέω, das zu 26 Vgl. auch Konradt 2007, 2 f.334–340.

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Beginn von den Magiern (Mt 2,2.11), am Ende von den Jüngern ausgesagt wird (Mt 28,17). Das Motiv der Proskynese fungiert damit als ein intertextueller Link, der die Magiergruppe und den Jüngerkreis in Relation zueinander setzt. Angesichts dieser personellen Bezogenheit verdienen nun wohl auch – wenn man sie so bezeichnen möchte – die jeweiligen ‚Reisebewegungen‘ beachtet zu werden. Denn sowohl bei den Magiern wie auch bei den Jüngern thematisiert das Matthäusevangelium eine Reise: Die erstgenannten legen einen langen Weg zurück, um dem jüdischen König ihre Aufwartung zu machen, die letztgenannten werden von eben diesem König gewissermaßen in die Gegenrichtung, zu den Völkern, geschickt. Durch die intertextuelle Verschränkung beider Sequenzen entsteht nun geradezu der Eindruck, als habe der Verfasser des Matthäusevangeliums diese beiden Reisen in einer invertierten Weise aufeinander bezogen: So wie einst die heidnischen Experten in religiösen Deutungsangelegenheiten dem neugeborenen König der Juden ihren Antrittsbesuch abstatteten, so erfolgt nun gewissermaßen ein Gegenbesuch vonseiten der jüdischen Gesandten dieses Königs, also gewissermaßen von den religiösen Experten der Gegenseite. Im Lichte dieser Inversion lassen sich aber noch weitere Allusionen entdecken. Wenn man nämlich bedenkt, dass der Verfasser des Matthäusevangeliums mit den Magiern wohl das zentripetale Motiv der Völkerwallfahrt aufnimmt, wäre zu erwägen, ob der Gegenbesuch der Jünger nicht als zentrifugale Inversion des Völkerwallfahrtsmotivs verstanden werden sollte. Nun wird man vielleicht entgegnen wollen, dass Jesus seine Jünger von einem Berg in Galiläa aussendet, und nicht von jenem Berg, der eng mit der Völkerwallfahrt verknüpft ist, dem Zionsberg mit seinem Tempel. Wenn man jedoch die vorher skizzierte Erzählstrategie des Matthäusevangeliums berücksichtigt, das Thema Völkerwallfahrt bereits zu Beginn seiner Jesusgeschichte motivisch zu brechen und ihr theologisches Anliegen auf Jesus hin zu personalisieren, dann wird rasch deutlich, dass sich die Frage nach dem Ort längst erübrigt hat.27 27 Im Hinblick auf das Bergmotiv ist es gewiss auffällig, wenn es in Mt 28,16 heißt: „Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte“, denn einen solchen intertextuellen Vorausverweis sucht man im Matthäusevangelium vergeblich. Insofern stellt das Stichwort ὄρος ein irritierendes Erzähldetail dar, welches die Suche nach möglichen Allusionen geradezu auslöst. Wenn man sich in diesem Zusammenhang vor Augen führt, dass der Rückverweis nach Galiläa im Markusevangelium als leselenkender Impuls für eine Relecture des gesamten Evangeliums verstanden werden darf, dann scheint die Erwähnung von ὄρος in Mt 28,16 zu einer Lektüre des Matthäusevangeliums einzuladen, die sich auf das Bergmotiv fokussiert. Durch das Verb διδάσκω in Mt 28,20 bietet sich ein Bezug zur Bergpredigt an und damit zu jener Textsequenz, in der Jesus in autoritativer Vollmacht seine Toradeutung entfaltet. Somit steht jener in Mt 28,16 erwähnte Berg – verbunden über Mt 5,1 – in Relation zum Sinai bzw. Jesus selbst wird mit Mose parallelisiert. Zu beachten ist in diesem Motivgeflecht nun außerdem, dass bei der Völkerwallfahrt die zum Zion hinaufziehenden Heiden in einer analogen Weise zu Israel göttliche Weisung empfangen werden – „Der Zion wird für sie zu einem ‚neuen Sinai‘“ (Maier 2016, 542). Damit eröffnet sich über das Stichwort ὄρος ein Allusionscluster, das den Berg von Mt 28,16 mit dem Ort der Bergpredigt, dem Sinai und dem Zionsberg verwebt. Zum Konzept der Relecture im Markusevangelium vgl. Wichelhaus 1969, Schmidt 2010, bes. 96–104; Schumacher 2015, 171–174.

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Angesichts dieser Personenkonstellation kommt den Jüngern eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf die Heilshoffnung von Heiden zu, die im Verlauf des Matthäusevangeliums ja bereits mehrfach eingespielt wurde – es sei hier noch einmal an den römischen Hauptmann (Mt 8,5–13) und die kanaanäische Frau (Mt 15,21–28) erinnert. Dabei entscheidet sich, wie auch schon in Mt 10,40, die Frage nach dem Verhältnis zu Jesus daran, wie man sich seinen Gesandten gegenüber verhält: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ Bedenkt man diese Sendung der Jünger zu den Völkern und beachtet man dabei, dass es sich bei der Personengruppe der Jünger – gerade auch in matthäischer Perspektive28 – um Vertreter des Judentums und nicht etwa um jüdische Konvertiten handelt, dann tritt noch ein weiterer Querbezug zum Beginn des Matthäusevangeliums zu Tage. Denn wenn sich gemäß der matthäischen Genealogie vier heidnische Frauen in einer positiven und den Fortbestand des jüdischen Volkes sichernden Weise Israel zugewandt haben, dann wirkt die auf Rettung abzielende Sendung jüdischer Repräsentanten zu den Heiden geradezu wie eine ‚Gegengabe‘. Die nichtjüdischen Frauen der Ahnenliste Jesu und die in Heilsangelegenheiten zu den Heiden gesandten Jünger wären als weiteres Inversionsmotiv aufeinander bezogen. Mit diesem Deuteansatz im Blick auf Mt 28,16–20 ist natürlich auch das Verständnis von πάντα τὰ ἔθνη berührt. Wenn man sich nämlich vor Augen führt, dass die Jünger – folgt man diesem Lösungsvorschlag – als Juden zu den Völkern gesandt werden, handeln sie gewissermaßen als Repräsentanten des Judentums, sodass sich das Motiv des „heiligen Restes“ geradezu aufdrängt. Damit bietet sich fraglos eine exklusive Deutung des strittigen Syntagmas πάντα τὰ ἔθνη an, bei der Israel nicht unter die Völker subsumiert wird.29 Mit dieser Entscheidung sind nun weitere Implikationen verbunden: (1) Das Heil der Völker bleibt grundsätzlich auf Israel bezogen, denn es sind ja gerade jüdische Missionare, die als Repräsentanten Israels, als erwählter Rest, zu den heidnischen Völkern gesandt werden. Der Heilsvorrang Israels steht nicht infrage. (2) Wenn Israel in Mt 28,19 von den übrigen Völkern differenziert wird, dann behält es seine Sonderstellung bei. Das Gegenteil hingegen müsste implizit vorausgesetzt werden, „sollte das bisher auserwählte Volk nur noch als eines unter anderen ἔθνη mitlaufen.“30 Zugleich müsste bei einer inklusiven Deutung von ἔθνη das Volk Israel mit dem nicht-christusgläubigen Judentum gleichgesetzt und als Zielobjekt einer Heilssendung betrachtet werden. Die heilgeschichtliche Sonderstellung Israels wäre damit obsolet. Und dies würde wiederum den Schluss nahelegen, dass der Israelbegriff als Erwählungstitel auf den christusgläubigen Zweig 28 Vgl. hierzu die auf Israel bezogene Funktion des 12er-Kreises im Matthäusevangelium; vgl. exemplarisch Fiedler 2006, 225; Klaiber 2015, 196; Konradt 2015, 160. 29 Und dies dürfte auch für Mt 25,32 gelten, was an dieser Stelle allerdings nicht weiter vertieft werden kann. Zu dieser Diskussion vgl. jedoch Luz 2016a, 521–530, bes. 528–530. 30 Luz 2002a, 450 f.

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des Judentums übergegangen wäre. Für eine solche Form der Substitution bietet das Matthäusevangelium jedoch keine Haftpunkte. (3) Ja, ohnehin ist die Sendung der Jünger zu Israel mit dem zweiten und auf die ἔθνη bezogenen Missionsbefehl nicht obsolet geworden. Denn schließlich wird, wie bereits angemerkt, die Sendung des Jüngerkreises zu Israel an keiner Stelle dieses Evangeliums zurückgenommen, sondern bleibt laut Mt 10,23 auf die Zukunft hin geöffnet: „bis der Menschensohn kommt“. Folgt man diesen Überlegungen, dann fällt auch auf das Motiv des „Mit-Seins“ (Mt 1,23; 28,20) noch ein etwas anderes Licht. Wie bereits im Rahmen der Ausführungen zur erzählerischen Gesamtanlage des Matthäusevangeliums angemerkt wurde, gilt es dieses Erzähldetail einerseits im Hinblick auf seine inklusionsschaffende Funktion zu würdigen, andererseits wird man aber auch die benannten Differenzen nicht ausblenden dürfen. Wenn also in der Eröffnungssequenz vom Mit-Sein Gottes mit seinem Volk gesprochen wird und wenn in Mt 28,20 vom MitSein Jesu mit den ausgesandten Jüngern die Rede ist, dann berührt diese Varianz unmittelbar die Frage nach dem Stellenwert und der Einschätzung jener Juden, die sich Jesus gegenüber ablehnend positioniert haben. Indem das Motiv des Mit-Seins nämlich auf das Verhältnis von Jesus zu seinen Jüngern bezogen wird, dürfte diese Gruppe stellvertretend für jenen Teil Israels stehen, der in Jesus den jüdischen Messias erkannt hat. Im Gegenzug bedeutet dies nun aber nicht, dass Gott dem Teil seines Volkes seine Gegenwart entzieht, der zu dieser Erkenntnis nicht vorgestoßen ist. Auch dieser gilt weiterhin als auserwähltes Volk Israel, steht jedoch in keiner Beziehung zu jenem Messias, den das Matthäusevangelium verkündet. Dafür spricht jedenfalls die Beobachtung, dass das Motiv des Mit-Seins aus Mt 1,23 am Ende des Evangeliums in modifizierter und auf Jesus bezogener Weise aufgegriffen wird. Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich auf der Basis der hier vorgestellten Überlegungen ein ganzes Geflecht von Querverweisen ausmachen und festhalten lässt, das sich zwischen den beiden Teilen der großen Inklusion entfaltet. In diesem intertextuellen Bezugssystem bündelt sich die Entwicklung der christologischen und heilsgeschichtlichen Perspektiven des Matthäusevangeliums, die zugleich einen Schlüssel für das sich wandelnde Zueinander von Judentum und Christentum bereitstellt.

9. Auswertung und Fazit In den beiden Teilen der großen Inklusion spiegelt sich in den gemeinsamen Motiven und in den dabei jeweils differierenden Akzentsetzungen eine der zentralen christologischen Grundfragen des Matthäusevangeliums, nämlich die Bedeutung der Sendung Jesu zu Israel und die Tatsache, dass ein großer Teil des palästinischen Judentums sich dieser Botschaft verschließt. Ein entscheidender hermeneutischer Schlüssel für das Verständnis des Zueinanders beider Erzählteile ist dabei das Motiv

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der Völkerwallfahrt: Die bisher erarbeiteten Ergebnisse lassen sich wie in einem Brennglas bündeln, wenn man sich die spezifisch matthäische Modellierung des Konzepts der Völkerwallfahrt noch einmal vor Augen führt. Überblickt man die alttestamentlichen Texte, welche die Völkerwallfahrt zum Thema haben, dann zeigt sich deutlich, dass dieses Motiv keineswegs in homogener Gestalt vorliegt. Ja, es entsteht gar der Eindruck, als würde sich die Vielgestaltigkeit dieses Themenkomplexes als plurales Rezeptionspotenzial für den Verfasser des Matthäusevangeliums anbieten, an welches er mit eigenen Deutungsschwerpunkten anknüpfen kann, um seine theologische Konzeption des Zueinanders von Israel und den Völkern zu formen. Dies spiegelt sich beispielsweise darin wider, dass schon die alttestamentlichen Prätexte eine personale Deutung vorbereiten, indem der Bezugspunkt der Völkerwallfahrt zwar motivisch eng mit dem Zion verknüpft ist, das Ziel aber „nicht einheitlich definiert“31 wird. So kann die Stadt Jerusalem, der Zionsberg, der Tempel, der Thron Gottes, aber eben auch der König Israels als Bezugspunkt des Völkerzuges im Blick sein.32 Ja, „Zion-Jerusalem ist […] nicht nur ein geographisches Ziel, eine Anhöhe, ein Tempel, eine Stadt. Es wird auch als eine weibliche Gestalt personifiziert, die denen, die zu ihr kommen, entgegentritt.“33 Das mit der Völkerwallfahrt verbundene Motivcluster stellt somit etliche jener Aspekte zur Verfügung, die im Matthäusevangelium einen Widerhall finden – angefangen von der personalen Akzentuierung auf Jesus bis hin zu der von ihm ausgehenden Bewegung auf die Völker zu. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass sich die „personifizierte Stadt-Gemeinde Zion“34 als eine weitere Figur zwischen die Völker und Gott – auf den letztlich der Völkerzug ja hingeordnet ist – schiebt. „Indem die Fremden sich ihr [sc. der personifizierten Stadt-Gemeinde] zuwenden, begegnen sie deren Gott, indem sie sich unterwerfen, huldigen sie deren Gott.“35 Das Motiv der Völkerwallfahrt bietet somit einen weiteren Deuteschlüssel, der es ermöglicht, die Rolle Jerusalems bzw. der Jerusalemer Bevölkerung in diesem heilsgeschichtlichen Drama zu reflektieren. Führt man sich nämlich vor Augen, dass die Völker erst durch den Glanz, der über Jerusalem liegt, angelockt und zum Aufbruch zum Zion bewegt werden, dann lässt sich die Mittlerrolle Jerusalems gut erahnen: Nur wenn Gott in angemessener Weise verehrt und ein Leben gemäß der Tora geführt wird, kann diese Strahlkraft sich entfalten; Norbert Lohfink spricht daher von einem „Moseamt Israels gegenüber den Völkern.“36 Die Völkerwallfahrt hängt also letztlich, wie es der Talmud in späterer Zeit formuliert, „von der Umkehr und den guten Taten ab.“37

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Maier 2016, 516; vgl. hierzu auch Schmidt 1968, 8. Schmidt 1968, 8; Maier 2016, 516 f. Maier 2016, 517. Maier 2016, 536. Maier 2016, 536. Lohfink 1994, 54. Sanh 97b.

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Vor diesem Hintergrund fällt nun weiteres Licht auf die Jerusalemkritik des Matthäusevangeliums. Indem sich nämlich Jerusalem und die religiös-politische Aristokratie gemäß der matthäischen Deutung einer Umkehr verweigert, die Tora nur in einer eher oberflächlichen Weise beachtet und sich Jesus als dem göttlichen Gesandten und rechtmäßigen Führer seines Volkes verschließt, kann Jerusalem die besagte Strahlkraft nicht entfalten. Somit rekurriert der Verfasser des Matthäusevangeliums auf jene motivische Verknüpfung, die zwischen dem Verhalten Jerusalems und der Völkerwallfahrt besteht. Im Erzählfaden des Matthäusevangeliums wird diese Dimension bereits zu Beginn eingespielt, indem der Stern – ein narrativer Code für jenen Glanz –, dem die Magier als Repräsentanten der Völker folgen, mit Jesus und eben nicht mit der Stadt Jerusalem in Verbindung gebracht wird. In dieser Fluchtlinie liegt nun aber noch ein weiterer Aspekt, der mit dem Motiv der Völkerwallfahrt eng verknüpft ist und der ebenfalls im Matthäusevangelium seinen Widerhall zu finden scheint. Denn neben dem friedlichen Zug der Völker nach Jerusalem findet sich auch das Motiv des sogenannten ‚Völkersturms‘ oder ‚Völkerkampfs‘, also die feindliche Annäherung an Jerusalem in kriegerischer Absicht. Vor allem im Jesajabuch korrelieren Völkersturm und Völkerwallfahrt deutlich miteinander, was sich in zahlreichen Einzelmotiven und Erzähldetails widerspiegelt.38 Es wurde daher bereits mehrfach erwogen, die Völkerwallfahrt als Inversion des Völkersturms zu deuten. Dementsprechend umreißt Oliver Dyma auch den Forschungsstand hinsichtlich der Verknüpfung beider Motivkreise: „Die Erwartung der Völkerwallfahrt stellt die positive Transformation des Völkersturmes dar: Nicht mehr in feindlicher, sondern in friedlicher Absicht werden die Völker zum Zion kommen.“39 Angesichts der bereits erwähnten Beobachtung, dass das Matthäusevangelium einen inneren Zusammenhang zwischen Jerusalemkritik, Ablehnung Jesu bzw. seiner Hinrichtung sowie der Zerstörung Jerusalems reflektiert, sollte man im Hinblick auf die matthäische Rezeption des Völkerwallfahrtsmotivs auch diesen Aspekt mitbedenken. Denn führt man sich vor Augen, dass zur Abfassungszeit des Matthäusevangeliums die römischen Truppen längst schon die Stadt Jerusalem erobert, den Tempel bereits niedergebrannt und geplündert hatten, dann entsteht der Eindruck, als spiele die Schlusssequenz des Matthäusevangeliums auch auf die besagten historischen Ereignisse an. Denn dieser Völkersturm unbegreiflichen Ausmaßes verunmöglichte letztlich jede Form der Völkerwallfahrt – der Zionsberg lag verwüstet da, und vom Tempel standen nur noch wenige Mauerreste. Im Lichte dieser historischen Ereignisse wird die Tragweite von Mt 28,16–20 nochmals deutlich. Denn indem erzählt wird, wie Jesus seine Jünger zu den Völkern entsendet, werden – wenn man es so formulieren möchte – die Beziehungsverhältnisse umgedreht. Das Heil gelangt nun zu den Völkern, indem sie von den ange-

38 Vgl. Maier 2016, 74–94. 39 Dyma 2013; vgl. hierzu auch Ego 2013, 131, sowie ferner die kritischen Anfragen von Maier 2016, bes. 544–546.

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messenen Repräsentanten Israels aufgesucht werden und nicht, wie es im Motiv der Völkerwallfahrt eigentlich angedacht ist, indem sie zum Zion ziehen. Und so liegt in Mt 28,16–20 genaugenommen eine doppelte Inversion vor. Denn indem die Jünger zu den Völkern – also implizit auch zu jenen, die im jüdisch-römischen Krieg in feindlicher Absicht gegen Jerusalem gezogen sind – gesandt werden, wird nicht nur das Motiv der Völkerwallfahrt invertiert, sondern auch das des Völkersturms. Die Aussendung der Jünger in die heidnische Welt wird dadurch zugleich zum Zeichen göttlicher Vergebungsbereitschaft und Barmherzigkeit. Doch was bedeutet dies nun für jenen Teil Israels, der sich gegenüber Jesus und seiner Botschaft ablehnend positioniert hat? Führt man sich im Zusammenhang mit dieser Frage noch einmal vor Augen, dass an keiner Stelle des Matthäusevangeliums die Sendung zu Israel zurückgenommen wird, dann könnte sich daraus auch die Vermutung ableiten lassen, dass sich bezüglich der immer noch ausstehenden Erneuerung Israels die Verhältnisse ebenfalls gedreht haben. Im Hinblick auf die universale Heilsperspektive wären also nicht – wie im Bild der Völkerwallfahrt – die Heiden auf Israel bezogen, sondern Israel wäre auf jenen Teil der Völker bezogen, der sich Jesus als jüdischem Messias positiv zuwendet. Man wird hier womöglich an den heidnischen Hauptmann denken dürfen, der aufgrund seines besonderen Vertrauens (τοσαύτην πίστιν) in die Vollmacht Jesu geradezu zum Vorbild für die – jüdischen! – Zeugen jenes Zwiegesprächs mit Jesus wird und der auf der narrativen Ebene auf das Ende des Matthäusevangeliums vorausverweist. Die sich hier zeigende Gesamtkonstellation erinnert nun doch sehr deutlich an die Ausführungen von Röm 9–11. Auch Paulus beschäftigt die Tatsache, dass ein Großteil Israels in Jesus nicht den verheißenen Messias erkennt, auch er reflektiert den Zusammenhang zwischen diesem „Nein“ und der Zuwendung zu den Völkern und auch er sieht in jenem Teil Israels, der sich Jesus als Messias zuwendet, einen heiligen Rest, der stellvertretend für ganz Israel agiert.40 Die matthäischen Reflexionen zum Verhältnis von Judentum, Judenchristentum und Heidenchristentum stellen somit keinen solitären Lösungsversuch zu diesem Themenkomplex innerhalb der frühchristlichen Theologie dar – und dies ist gerade deshalb von Gewicht, weil Matthäus und Paulus zwei doch sehr unterschiedliche theologische Strömungen innerhalb des frühen Christentums repräsentieren.41 Damit endet ein großer gedanklicher Bogen, der von einer kleinen Münze ausging. Sie lehrt uns, nicht sämtliche christologisch rezipierten Titel ausschließlich von ihrer christlichen Deutungsgeschichte her zu interpretieren. Solche Überlegungen angestoßen zu haben und durch seine auch in Zukunft rezeptionswürdigen Beiträge immer wieder anzustoßen, ist ein bleibendes Verdienst von Max Küchler. Lieber Max, vielen herzlichen Dank!

40 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Verhältnis von Israel und Abrahamskindschaft in Röm 9–11, die sich – liest man Röm 9,6b als Frage – als eine weitere motivische Parallele zum Matthäusevangelium darstellen würde; dazu siehe Schumacher 2015a, 266–268. 41 Vgl. Sim 1998; Sim 2002; Sim 2008; Theißen 2011; Wong 2012, 107–130; Konradt 2016, 43–68.

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Martin Ebner

Wenn Texte Bilder provozieren … Joh 13,21–30 als Quelle für Imaginationen

Wer kennt sie nicht, die Skulptur der Johannesminne? Ihre berühmteste Realisierung stammt aus der Hand des Meister Heinrich von Konstanz aus dem Kloster Katharinental in der Schweiz um 1300 n. Chr.1 Der Lieblingsjünger lehnt seinen Kopf an die Brust Jesu, gleichsam an dessen Herz, manchmal liegt sein Kopf auch auf dessen Schoß. Eng angeschmiegt an den Jünger hat Jesus seine linke Hand auf dessen Schulter gelegt und hält mit seiner Rechten dessen Linke. Kunsthistoriker sprechen von der „Christus-Johannes-Gruppe“, die ab dem 13. Jh. im schwäbisch-alemannischen Raum, vor allem in Frauenklöstern der Dominikaner, aber auch der Zisterzienser, auftaucht und bis ins 15. Jh. dort weite Verbreitung findet.

1. Die Christus-Johannes-Gruppe als Imagination von Joh 13,23 Die entscheidende Quelle für diesen Skulpturentypus ist Joh 13,23. Dort heißt es in der Version der Einheitsübersetzung von 1972: „Einer von den Jüngern lag an der Brust Jesu; es war der Jünger, den Jesus liebte.“ Die Christus-Johannes-Gruppe ist also im wahrsten Sinn des Wortes eine Imagination,2 eine Ins-Bild-Setzung dieser Bibelstelle. Dabei wird der Vers Joh 13,23 aus seinem Kontext herausgelöst. Die gesamte Kommunikationssituation von Joh 13,21–30 wird ausgeblendet: sowohl die ratlosen Schüler, die nicht wissen, über wen Jesus spricht, als er sagt: „Einer aus euch wird mich überliefern“ (Joh 13,21); als auch Petrus, der sich an den Geliebten Jünger wendet, um zu erfahren, wen Jesus damit meine (Joh 13,24); und auch Judas, mit dem Jesus in Joh 13,26 f. nonverbal sowie verbal kommuniziert. Die Skulptur fokussiert einseitig auf Joh 13,23, versucht jedoch, auch die Charakteri-

1 Grundlegend zum Folgenden: Wentzel 1960; Wentzel 1954; darauf aufbauend: Haussherr 1975, bes. 79–97. 2 Vgl. Brössel 2014, der eine narratologische Präzisierung der Wechselwirkung zwischen literarischen Texten und Filmen entwickelt.

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sierung „den Jesus liebte“ ins Bild zu setzen: durch die körperliche Nähe der beiden Figuren, die geradezu einer zärtlichen Umarmung gleicht. Abgeschaut scheint dieser ikonographische Zug sogenannten Umarmungsbildern, die Christus und die Seele darstellen, als sponsus und sponsa, als didaktische Darstellung der amor coniugum – und schließlich ab dem 13. Jh. als Illustration des Hohen Liedes. Kurz: Die Christus-Johannes-Darstellungen imaginieren die „Liebe“ zwischen den beiden Figuren in Analogie zu einem Ehebund, wie es die älteste bisher bekannte Christus-Johannes-Gruppe in einer Illustration einer Salzburger Handschrift aus dem mittleren 12. Jh. unmissverständlich vor Augen führt: Der Lieblingsjünger Johannes verlässt seine Gattin und begibt sich an die Seite Christi. Der Hymnustext auf dem Bildrahmen kommentiert: Tu leve coniugis pectus – respuisti supra pectus domini Jesus recubens.3 Vielleicht ist noch mehr Text im Bild: Der Lieblingsjünger hat sein Herz an die Brust Jesu gelegt, als horchte er es ab. In dieser Haltung könnte der in Joh 13,25 f. erzählte Dialog eingefangen sein, in dem der Geliebte Jünger von Jesus erfährt, was den anderen Schülern bisher ein Rätsel geblieben ist: wer der „Verräter“ sein wird. Der Geliebte Jünger hat also Zugang zum Geheimwissen Jesu. Wegen seiner zusätzlich geschlossenen Augen könnte dabei für die Betrachter dieses Andachtsbildes ein Link zur Mystik gesetzt sein, die im 14. Jh. insbesondere in den Dominikanerklöstern aufblüht: der Lieblingsjünger als Identifikationsfigur für die innere Gottesschau.4 Auffällig am Typus der Christus-Johannes-Gruppe ist schließlich, dass jeweils nur drei Füße zu sehen sind, die beiden Figuren optisch also einen Fuß gemeinsam haben, metonymisch betrachtet damit zu einer Einheit verschmolzen sind. Die Christus-Johannes-Gruppe wird damit zu einem Abbild für die Einheit von Vater und Sohn als Vorbild für die Einheit der Schüler untereinander (vgl. Joh 17,21: „… damit alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns sind …“). Exegeten unserer Tage verweisen dafür auf den intratextuellen Bezug zwischen Joh 13,23 und Joh 1,18.5 Methodisch werden drei Punkte augenfällig: (1) Die Christus-Johannes-Gruppe imaginiert das semantische Material von Joh 13,23 mit Bildern, wie sie im kulturellen Umfeld zur Verfügung stehen, und (2) reichert die Darstellung damit derart an, dass sie im Blick auf die theologischen Trends der eigenen Zeit entziffert werden kann. Denn in Joh 13,23 ist weder vom Händchenhalten noch von einem gemeinsamen Fuß die Rede, genauso wenig wie von einer Umarmung Jesu. (3) Dagegen fallen semantisch eigentlich eindeutige Aussagen der gewohnten Anschauung zum Opfer: Nicht nur der griechische Text, sondern auch die Vulgata sagt in Joh 13,23 unmissverständlich, dass der Geliebte Jünger (als solcher) – und nicht nur sein 3

Meditationes et Orationes Anselmi Cantuariensis/Kloster Admont, cod. 7 (289), fol. 56. In dieses Motivfeld gehört auch die dextrarum iunctio, in der Antike Zeichen für Fides und Concordia, im Mittelalter Kennzeichen für Hochzeitsdarstellungen; vgl. Haussherr 1975, 96. 4 Vgl. Haussherr 1975, 97–103; Lang 1994, bes. 75–89. 5 Vgl. als einen frühen Vertreter etwa Brown 1970, 577.

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Kopf – „liegend war“ (ἦν ἀνακείμενος/erat … recumbens) – und zwar im Schoß Jesu“ (ἐν τῷ κόλπῳ τοῦ Ἰησοῦ/in sinu Jesu). Dargestellt werden aber zwei (auf einer Bank) sitzende Figuren. Anders kann man sich im Mittelalter eine Szene beim Mahl offensichtlich nicht vorstellen.6 Die in V. 25 gegenüber der in V. 23 geschilderten Ausgangsstellung präzisierte Bewegung, wonach der Geliebte Jünger erst jetzt an die Brust Jesu hinauffällt (ἀναπεσὼν οὖν ἐκείνος οὕτως ἐπὶ τὸ στῆθος τοῦ ᾿Ιησοῦ/cum recubuisset ille supra pectus Jesu), fällt völlig unter den Tisch.7 Dafür wird diese Endposition zur Dauerstellung speziell für den Kopf des Lieblingsjüngers. Es ist also die momentan geläufige Bild-Enzyklopädie der Rezipienten, die das Material für die Imagination des Textes liefert, die ihrerseits wiederum von theologischen Interessen gesteuert wird.

2. Die durch Joh 13,21–30 ursprünglich provozierten Imaginationen Diese Vorgänge werden für die Erstrezipienten nicht anders gewesen sein. Allerdings: Wir werden schnell sehen, dass gerade diejenigen Elemente, die sich für die mittelalterliche Imagination in Form der Christus-Johannes-Gruppe als Stolpersteine erwiesen haben, (1) sich kongenial in die antike Mahl-Bilderwelt einpassen, dass (2) die wenigen semantischen Signale innerhalb der gesamten Texteinheit Joh 13,21–30 genügen, um eine komplette Mahlszene entstehen zu lassen, bei der die erzählten Kommunikationsvorgänge sogar die Positionierung der Hauptakteure innerhalb der imaginierten Sitzordnung vor Augen treten lassen – und (3) bestimmte theologische Absichten verfolgt werden; in diesem Fall aber vom Autor bzw. gesteuert durch die Textsignale, sofern sie im kulturellen Horizont entschlüsselt werden.

2.1 Antikes Triklinium und Joh 13,23 Dass jemand bei einem Mahl, so die Rahmenszenerie in Joh 13,2 (δεῖπνον) für unser Bildmotiv, im „Schoß“ (ἐν τῷ κόλπῳ) eines anderen liegt, wie es Joh 13,23 schildert, und aus dieser Position heraus (οὕτως) „hinauffällt“ (ἀναπεσών) an die Brust (ἐπὶ τὸ στῆθος) derjenigen Person, in deren Schoß er liegt, wie es V. 25 6 7

Symptomatisch ist die Übersetzung Luthers (Wittenberg 1522): „… der zu tissch saß auff (!) dem Schoß Jhesu …“ So auch in der Einheitsübersetzung 1972, genauso wie in der Lutherbibel 2017: Sowohl κόλπος („Schoß“: Liegeposition) als auch στῆθος („Brust“: Bewegung) werden gleichermaßen mit „Brust“ übersetzt.

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erzählt, ist im Rahmen eines antiken Symposions ganz einfach vorstellbar. Denn etwa ab dem 7. Jh. v. Chr. wird auch im griechischen Kulturraum die aus dem Osten, wohl insbesondere aus Phönizien, übernommene Sitte, bei Tisch zu liegen, üblich – als Ausdruck entspannter und privilegierter Geselligkeit im aristokratischen Milieu.8 Nach altgriechischer Sitte sind sieben bis elf schmale Liegen (1,80/1,90 m × 0,80/0,90 m), worauf sich ein bis höchstens zwei Gäste lagern können, in einem großen quadratischen Raum ringsum aufgereiht, vor jeder Liege ein eigener Tisch.9 Das ist nicht immer so geblieben: Ab dem 2. Jh. v. Chr. setzt sich im griechisch-römischen Kulturraum das sogenannte Triklinium durch und wird den Römern „zur alles beherrschenden Form ihrer Bankettgestaltung gemacht“10: Auf drei breiten (2,20/2,40 m × 1,20 m) Liegen, in Π-Form angeordnet, lagern im Idealfall jeweils drei Personen, gestützt auf den linken Ellbogen, sodass der jeweils „unten“ liegende im „Schoß“ (ἐν κόλπῳ/in sinu) des oberhalb von ihm Positionierten zu liegen kommt.11 Will er mit dem „über ihm“ Liegenden in Kommunikation treten, muss er sich zurückbeugen und den Kopf „nach oben fallen“ lassen (ἀναπίπτειν). Genau diese Bewegung insinuiert Joh 13,25: Aus der Liegeposition heraus (οὕτως in V. 25 bezieht sich auf ἀνακείμενος … ἐν τῷ κόλπῳ in V. 23 zurück) fällt er (mit dem Kopf) nach oben an die Brust Jesu, in dessen Schoß (also unterhalb von ihm) er liegt. Im vorausgehenden und nachfolgenden Kontext von Joh 13,23.25 finden sich eine Reihe weiterer Textsignale, die Bilder von einem solchen Triklinium-Festmahl aufsteigen lassen: An erster Stelle gehört dazu der Terminus δεῖπνον, den man am besten mit „Bankett“ übersetzen wird. Im Unterschied zu βιβρώσκειν, womit die pure Nahrungsaufnahme zum Sattwerden, also ein „Futtern“ gemeint ist, das überall im Sitzen oder im Stehen stattfinden kann, vornehmlich in einer Imbissbude – in Pompeji gab es sie an jeder Straßenecke12 –, wird mit δεῖπνον/ δειπνῆσαι ein Speisen in liegender Position in einem Triklinium assoziiert,13 das mit einem ritualisierten Ablauf verbunden ist. Dazu gehört die Fußwaschung der Gäste zu Beginn des Mahles (vgl. Joh 13,4–12) genauso wie das Eintauchen mit einem Brocken (ψώμιον)14 Brot in die mit diversen Speisen gefüllten Schüsseln; denn Besteck war nicht üblich, jeder Gast hatte ja auch nur die rechte Hand frei.15

  8 Eine frühe Kritik an dieser neuen Sitte findet sich in Am 6,4–6 (LXX: ἐπὶ κλινῶν); vgl. Usener 2017, 1461. Differenzierend: Vössing 2004, 30 f.   9 Vgl. Dunbabin 2003, 36–38; Bergquist 1990. 10 Vössing 2004, 565, mit dem instruktiven Hinweis auf IG XII 7,515 Z. 57: „die anwesenden Römer wurden, getrennt von den wohl in langen Reihen liegenden Griechen, jeweils ,zu neunt‘ (κατὰ ἐννέα) gelagert, also offenbar auf mehreren Dreibettgruppen, was als Verbeugung vor römischen Bankettsitten gedeutet werden muß“. 11 Vgl. Dunbabin 2003, 38–43; Vössing 2016, 962 f.; Vössing 2004, 224–227. 12 Vgl. Coarelli 1997, 240 f.244.270.292 f.299.300.319.373.407. 13 Vgl. Plut. symp. VII Praefatio (697C). 14 Verkleinerungsform von ψωμός. 15 Vgl. Brown 1970, 578; vgl. Joh 13,18 (Rückbezug auf ἄρτος/Brot); vgl. Balz/Schneider 2011; Marquardt 1964, 313–318.

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Außer dem Geliebten Jünger (Joh 13,23) liegen auch alle anderen zu Tisch (vgl. Joh 13,28: τῶν ἀνακειμένων), eine Haltung, die standardisiert mit ἀνακεῖσθαι geradezu bildhaft zum Ausdruck gebracht wird, weil die Gestelle der Liegen (κλίνη) „nach der Tischseite höher, nach der Außenseite niedriger“ waren, „sodass man sie von der Außenseite bestieg“16 und sich dann „nach oben legte“. Wenn die plastischen Textsignale in Joh 13 die kulturell verankerten Bilder provozieren, dann sehen die Erstrezipienten ein Triklinium mit drei Liegen zu je drei Personen vor sich, also insgesamt neun Teilnehmer am Mahl. Das ist die ideale Anzahl von Gästen, wie sie zum Teil in Gesetzestexten sogar als Obergrenze festgeschrieben wird.17 Vom spätrepublikanischen Universalgelehrten Varro stammt das Diktum, dass die niedrigste Anzahl der Gäste mit der Zahl der Grazien (drei) beginnen muss und höchstens die Zahl der Musen (neun) erreichen darf.18 „Vier oder gar fünf Gäste auf einer Liege zusammen zu trennen galt als unfein.“19 Die präzise Zwölfzahl der Teilnehmer wurde offensichtlich aus Scheu vor den zwölf olympischen Göttern bewusst vermieden.20 Dann bekommen wir aber Schwierigkeiten, sofern wir davon ausgehen, dass „die Zwölf “ mit Jesus das Abendmahl feiern.21 Natürlich sorgen kluge Überlegungen von Exegeten, die dann tatsächlich auf zwei Liegen je fünf Leute packen und Jesus auf einer Dreierliege platzieren,22 schnell für Abhilfe. Aber: Wenn es letztlich die kulturellen Sehgewohnheiten sind, die entsprechende Imaginationen der Rezipienten kreieren und steuern, dann sollen ausgerechnet bei Jesu feierlichem Abendmahl gleich zweimal fünf Leute auf eine Liege gepfercht werden? Und: Wer sagt denn, dass die joh Gesamterzählung von zwölf bzw. 13 Teilnehmern beim Mahl von Joh 13 ausgeht?

Exkurs: Waren es nicht zwölf? Auch in diesem Fall kommt es auf die Imagination der Leser an, also darauf, was vor ihren Augen auftaucht, wenn sie im Text „die Zwölf “ (οἱ δώδεκα) lesen. Denn nach einer Liste mit zwölf Namen von Personen, die von Jesus aus einer größeren Anzahl von Anhängern „ausgewählt“ (Lk 6,13) bzw. als Zwölferkorpus „gemacht“ wurden (Mk 3,14), wie bei den Synoptikern zu lesen ist, sucht der Leser des Textes des Johannesevangeliums vergebens. Die einzige Liste, die sich in Joh 21,2 findet, nennt fünf Namen samt zwei anonym bleibenden Schülern, was insgesamt sie-

16 Marquardt 1964, 302. 17 Vgl. lex Irnitana 132 (Zeit der Flavier); und dazu Vössing 2017, 1541–1543. 18 Vgl. Gell. XIII 11,2 f. 19 Egelhaaf-Gaiser 2012, 86, mit Rückbezug auf Cic. Pis. 66 f.; vgl. Vössing 2004, 247. 20 Vgl. Vössing 2004, 229, mit Bezug auf Suet. Aug. 70,1. 21 Nach dem Abgang des Judas in Joh 13,30 bleiben für die langen Abschiedsgespräche genau noch zwölf Personen übrig. 22 Vgl. Prat 1925; kritisch rezipiert von Brown 1970, 574.

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ben ergibt. Ein Gremium bilden die Genannten nicht. Weder spielen sie in dieser Zusammensetzung im Erzähltext sonst noch eine Rolle, noch gibt es für sie einen eigenen Gruppennamen; sie werden in Joh 21,1 einfach als „Schüler“ (μαθηταί) bezeichnet. Auch eine Identifizierung „der Zwölf “ mit den „Aposteln“ (vgl. Mt 10,2; Lk 6,13; vgl. Offb 21,14), findet nicht statt,23 genauso wenig wie eine Aussendung „der Zwölf “ (Mk 3,14; 6,7–13; Mt 10,1–16; Lk 9,1–6) als eines für die Verkündigung verantwortlichen Kreises. Fängt der Leser gar an, die Namen zu zählen, bringt ihn das zur schieren Verzweiflung. Zwar werden Thomas und Judas, der Sohn des Simon Iskariot, jeweils mit dem Attribut „einer aus den Zwölfen“ (εἷς ἐκ τῶν δώδεκα: 6,71; 20,24) versehen, aber die restlichen zehn Namen sucht man vergebens. Zwar findet man „alte Bekannte“: von Petrus, Andreas und Philippus ist mehrfach die Rede.24 Einmal kommt auch der sonst nur noch im lukanischen Doppelwerk genannte Judas, der Sohn des Jakobus, vor (Joh 14,22; vgl. Lk 6,16; Apg 1,13). Von den Zebedaiden ist erst in der Liste am Ende des Evangeliums in Joh 21,2 die Rede, im vorausgehenden Erzähltext spielen sie keine Rolle. Numerisch käme man damit insgesamt auf acht der in den synoptischen Namenslisten identifizierbaren Personen. Allerdings ist der Leser mit seiner Rechnung damit nicht am Ende; denn es gibt neue Namen im Johannesevangelium, die bei den Synoptikern unbekannt sind. Dazu gehört Nathanael, der in Joh 1,45 von Philippus zu Jesus geführt wird – und dann auch in der Liste von 21,2 auftaucht. Es bleibt eine offene Frage, ob auch Nikodemus in die Rechnung mit einbezogen werden soll, der sich in der Nacht zu Jesus geschlichen hat (Joh 3,1–36), im Angesicht seiner eigenen Ratskollegen für Jesus Partei ergreift (Joh 7,50–52)25 und sich schließlich zusammen mit Josef von Arimathäa, der in Joh 19,38 ausdrücklich als „Krypto-Schüler“ bezeichnet wird, der Bestattung Jesu annimmt? Und wie steht es dann mit dem durchgängig anonym bleibenden Schüler, gemäß der stereotypen Apposition „den Jesus liebte“ (ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς) gewöhnlich „Geliebter Jünger“ oder „Lieblingsjünger“ genannt? Wäre er in der johanneischen Rechnung dann der Zwölfte? Aber wie sind denn dann die beiden namenlosen Schüler in der Liste von Joh 21,2 unterzubringen? Sind sie mit zuvor Genannten zu identifizieren – oder gibt es nach Ostern nicht mehr zwölf Schüler, sondern nur noch sieben? Zu überlegen wäre auch, wie mit Lazarus und seinen beiden Schwestern zu verfahren ist (Joh 12,1–8), sowie mit Maria von Magdala, die als „Apostolin“ für die anderen Schüler fungiert (Joh 20,17 f.) usw. Für das letzte Abendmahl sind, bezieht man den Text der ersten Abschieds-

23 Ähnlich wie das Markusevangelium verweigert sich auch das Johannesevangelium der Institutionalisierung einer bestimmten Gruppe und „aktiviert“ den Apostelbegriff: Vgl. Mk 6,7.30; Joh 13,16; vgl. aber 1 Kor 15,7, wo bereits die paulinische Tradition „die Apostel“ als einen institutionellen Kreis voraussetzt. 24 Vgl. die präzise Auflistung der Stellen bei Theobald 2009, 498, wie auch sonst der dort zu findende Exkurs (498–502) alle für die Diskussion wesentlichen Daten bereitstellt. 25 Und deshalb zu den Galiläern gerechnet wird.

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rede (Joh 13,31–14,31) mit ein, insgesamt sechs Schüler identifizierbar.26 Um auf die Zahl Zwölf zu kommen, müsste man auf jeden Fall außer Andreas, den Söhnen des Zebedäus, Nathanael auch noch den Krypto-Schüler Josef von Arimathäa sowie den sonst nicht als „Schüler“ bezeichneten Nikodemus hinzurechnen. Es könnte allerdings auch sein, dass dieses – für synoptisch geschulte Leser – geradezu unendliche Verwirrspiel Absicht ist. Wer sich von den Textsignalen des Johannesevangeliums leiten lässt, wird auf eine ganz andere Spur geführt: Zum ersten Mal kommt die Zahl Zwölf in Joh 6,13 vor und bezieht sich dort auf die Anzahl der Körbe, die nach der großen Speisung eingesammelt werden können, was in Joh 6,14 als ein „Zeichen“ ausgewiesen wird. Aufgegriffen wird die Zahl Zwölf am Ende der Erzähleinheit – im Blick auf die Erwählung der Schüler, und zwar als Apposition der Angesprochenen, also derer, die bei Jesus geblieben sind, nachdem ihn viele seiner Schüler aufgrund der Brotrede verlassen haben (Joh 6,66).27 Jesus fragt: „Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt?“ (οὐκ ἐγὼ ὑμᾶς τοὺς δώδεκα ἐξελεξάμην;). Schon von daher legt sich der Gedanke nahe, dass „die Zwölf “ im Johannesevangelium symbolisch zu verstehen sind: als Codewort für die Erwählten. Dafür spricht auch „die Parallelität der vier Erwählungsaussagen im Evangelium“28, jeweils mit ἐκλέγεσθαι versprachlicht: 6,70b 13,18 15,16 15,18

Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt? Ich weiß, welche ich erwählt habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt. Ich habe euch aus der Welt erwählt.

Anders gesagt: „Die Zwölf “ kommen im Johannesevangelium lexikalisch vor, der Begriff wird aber in ein semantisches Netz eingebaut, das spezifisch anders ist als dasjenige, das die Synoptiker um dieses Lexem spinnen. Es geht nicht um das Gremium, das zwölf mit Namen präzise ausgewiesene Personen umfasst, die von Jesus dann für die Verkündigung eingesetzt werden, sondern es geht um die „Erwählten“. Nach Joh 6,37 sind das aber wiederum diejenigen, die der Vater Jesus „gibt“, was man daran sehen kann, dass sie zu Jesus kommen (und Jesus sie nicht hinauswirft).29 Jesus, der wiederum den Willen des Vaters erfüllen möchte (Joh 6,38), sieht sich in der Verpflichtung, „dass jedes, was er mir gegeben hat – ich nicht verlorengehen lasse davon, vielmehr es auferwecke am letzten Tag“ (Joh 6,39). Damit fällt auf „die Zwölf “ und die diesbezüglichen synoptischen Leerstellen im Johannesevangelium neues Licht: Von seiner Erwählungstheologie her braucht und kann es gar keine Liste der Namen eines besonderen Gremiums geben. Denn für die johanneische Gemeinde ist nicht entscheidend, ob ich zum „Zwölfer26 Außer Petrus, Judas und dem Geliebten Jünger zusätzlich Thomas (14,5), Philippus (14,8) und Judas, „nicht der Iskariot“ (14,22). 27 Präziser: nicht mehr zu seiner „Schule“ zu rechnen sind (οὐκέτι μετ᾿ αὐτοῦ περιεπάτουν). 28 Vgl. für diese Beobachtung: Theobald 2009, 500. 29 Im Gegensatz zu den Pharisäern (Joh 9,34).

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kreis“ gehöre, sondern ob ich „erwählt“ bin, das heißt von Gott zu Jesus geführt werde. Um diesen letztlich von Gott initiierten Beziehungsaufbau geht es, wenn „die Zwölf “ ins Spiel kommen. Und deshalb kann es auch keine von Jesus getroffene „Auswahl“ der Erwählten geben. Denn gemäß dem theologischen Erwählungsprogramm des Evangeliums kommen die von Gott Erwählten selbständig zu Jesus (vgl. Joh 6,37). Im gewöhnlich, aber zu Unrecht „die Berufung der ersten Jünger“30 genannten Abschnitt wird das auch erzählerisch umgesetzt: Die ersten Schüler kommen zu Jesus,31 laufen ihm nach oder werden von anderen zu Jesus gebracht.32 Wohl kann es einen Schrumpfungsprozess unter den Schülern geben, sodass sich – nachdem „viele aus den Schülern“ (ἐκ τῶν μαθητῶν) wegen der Brotrede weggegangen sind (Joh 6,60.66)33 – die eigentlich Erwählten, in Joh 6,70 in diesem Sinn „die Zwölf “ genannt, herauskristallisieren.34 Und wenn ausgerechnet Thomas und Judas mit der Apposition „einer aus den Zwölf “ (εἷς ἐκ τῶν δώδεκα) bedacht werden, dann besagt das – in johanneischer Semantik entziffert – gerade nicht, „dass der Kreis derer, die Jesus nahestehen, … nur in Krisen­situationen … [und] im Kontext der Bedrohung des Glaubens“35 genannt wird, sondern dass damit der Widerspruch zwischen Erwählung und Verhalten hervorgehoben werden soll, wie die beiden Belegstellen Joh 6,71 und 20,24 zeigen: Judas, obwohl „einer der Zwölf “/erwählt, lässt sich trotzdem vom Herrscher dieser Welt instrumentalisieren (vgl. Joh 6,71 im Vorausblick auf Joh 13.2.27: οὗτος γὰρ ἔμελλεν παραδιδόναι αὐτόν, εἷς ἐκ τῶν δώδεκα). Thomas, obwohl „einer der Zwölf “/erwählt, kehrt nach der Kreuzigung offensichtlich der Schülergruppe und damit Jesus den Rücken. Denn er ist bei der ersten Begegnung des Auferstandenen mit den Seinen nicht dabei (vgl. Joh 20,24: Θωμᾶς δὲ εἷς ἐκ τῶν δώδεκα … οὐκ ἦν μετ’ αὐτῶν ὅτε ἦλθεν Ἰησοῦς). Immerhin gilt für ihn – und in Joh 20,25– 29 wird das auch erzählt –, was Jesus in Joh 12,32 verheißen hat: „Und ich, wenn ich erhöht worden bin von der Erde, werde alle an mich ziehen.“ Ermöglicht wird

30 So auch in den neueren Kommentaren, vgl. Theobald 2009, 174; Zumstein 2016, 108.110 (für Simon und Nathanael). 31 Vgl. auch Nikodemus (Joh 3,2: οὗτος ἦλθεν πρὸς αὐτόν); die Samaritanerin (Joh 4,7: ἔρχεται γυνή) sowie die Samaritaner, die aufgrund von deren Zeugnis ebenfalls zu Jesus kommen (Joh 4,40: ἦλθον πρὸς αὐτὸν οἱ Σαμαρῖται). 32 Vgl. Joh 1,37.42.45 f. Eine Ausnahme bildet die den synoptischen Berufungserzählungen nachgestaltete „Berufung“ des Philippus durch Jesus in Joh 1,43, die eigentlich nicht zum johanneischen Erwählungsprogramm passt. Zu Recht wird ein redaktioneller Eingriff in Angleichung an die synoptischen Evangelien vermutet; vgl. Theobald 1996, 248; Theobald 2009, 188. Ohne diesen Vers ist Philippus einer der beiden Täuferjünger, der dann – analog zu Andreas, mit dem er auch sonst im Evangelium ein Paar bildet (Joh 6,5–10; 12,21 f.) – seinerseits Nathanael zu Jesus führt. 33 Von einer Vielzahl von Schülern gehen auch Joh 4,1; 7,3 aus. 34 In diesem Sinn dürfte der Term „die Zwölf “ gleichbedeutend sein mit der Definition der Glaubenden und bei Jesu Wort Bleibenden als ἀληθῶς μαθηταί μού ἐστε in Joh 8,31. Und diese Gruppe ist weder numerisch noch namentlich präzise fassbar, sondern eben nur qualitativ. Im Blick auf die Mahlszenen beobachtet Kobel 2011, 90, ein „dynamic development of the people … as an occasion to distinguish between true believers and non-believers“. 35 Zumstein 2016, 763 in Anm. 92.

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das gemäß Joh 12,31 dadurch, dass im Tod Jesu „Gericht über diese Welt“ ergeht und „der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen wird nach draußen“. Für Thomas tritt damit zumindest nach der Kreuzigung ein, was Jesus in Joh 6,39 als seinen Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters ausgibt: „… damit ich jedes, was er mir gegeben hat, nicht verderbe/verlorengehen lasse (μὴ ἀπολέσω) davon“. Gilt das auch für Judas, der in Joh 17,12 „Sohn des Verderbens (υἱὸς τῆς ἀπωλείας)“ genannt wird (vgl. 2.3.3)? Auf jeden Fall ist im Johannesevangelium „Erwählung“ ein durch Schwankungen und Brüche verlaufender Prozess. Also: Geradezu süffisant greift das Johannesevangelium das im Urchristentum wohlbekannte (vgl. 1 Kor 15,5) und bei den Synoptikern mit Namensliste und Sendungsauftrag verbundene Lexem „die Zwölf “ auf, aber füllt es in seinem semantischen Netz nicht mit einem numerischen Sinn, sondern mit einem erwählungstheologischen. Traditionsgeschichtlich orientierte Analysen kommen zu dem Ergebnis, das Johannesevangelium habe die (mündlichen) Überlieferungen, die es kannte, frei verarbeitet.36 Wird für das Evangelium die Kenntnis der Synoptiker vorausgesetzt,37 so wird man von einem bewussten intertextuellen Spiel mit der Vorstellung „der Zwölf “ rechnen müssen. Ganz unabhängig davon, welcher Hypothese wir den Vorzug geben, ergibt sich für die Anzahl der beim letzten Abendmahl – im Kopf der Rezipienten (!) – anwesenden Schüler: Sobald wir mit Lesern rechnen, die den Textsignalen und dem semantischen Netz des Evangeliums folgen, werden sie in keinem Fall präzise zwölf Schüler auf drei Liegen quetschen müssen. Denn wenn sie auf das schauen, was in Joh 13,21–30 von den Schülern und ihrem Lehrer und Herrn erzählt wird – von „Zwölf “ ist hier nirgends die Rede –, werden sie von neun Personen in einem Triklinium ausgehen. Und wenn sie auf die Kommunikation zwischen den namentlich Genannten achten, dann „sehen“ sie auf dem Hintergrund ihrer kulturellen Matrix nicht nur, wo die namentlich genannten Schüler liegen (2.2), sondern auch, was sich hinter den Buchstaben bzw. der über die Kommunikationsabläufe entzifferbaren jeweiligen Position verbirgt (2.3).

2.2 Kommunikation und Imagination Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass die Rezipienten sich aufgrund der durch das Stichwort δεῖπνον in Joh 13,2.4 angedeuteten Mahlsituation in Kombination mit ihren Sehgewohnheiten nicht nur ein Triklinium mit neun Teilnehmern vorstellen, sondern dass das auch durch den Erzähltext beabsichtigt ist, dann sehen die Rezipienten aufgrund der in Joh 13,21–30 erzählten Kommunikationsvorgänge den präzisen Liegeplatz der handelnden Personen nicht nur vor sich,38 sondern ist

36 So paradigmatisch Theobald 2009, 500. 37 Paradigmatisch Thyen 2015, 3 f. 38 Zur methodischen Reflexion vgl. Vössing 2004, 227.

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diese imaginierte Positionierung der mit Namen genannten Teilnehmer vom Text ebenfalls beabsichtigt. Das ist nicht nur choreographisch interessant, sondern hat auch Auswirkungen auf die Bild-Ekklesiologie des Evangeliums. Denn mit den Liegepositionen in einem Triklinium sind bestimmte Wertungen verbunden. Der zugewiesene oder selbst gewählte Liegeplatz lässt Rückschlüsse auf die interne Rangeinstufung bzw. die gegenseitigen Beziehungen zu.39 Schon die geprägte Terminologie für die Platzzuordnung mit infra („unterhalb“) bzw. supra („oberhalb“) von jemandem liegen bzw. „jemandem folgen“40 verweist auf die damit kombinierte Prestige-Staffelung.41 Das heißt, der oberste Platz auf der Liege, locus summus genannt (vgl. Abb. 1), war für den jeweils Ranghöchsten und Vornehmsten bestimmt. „Der dort Liegende konnte sich auf die Lehne des Speisesofas stützen und hatte es daher am bequemsten.“42 Das galt jedoch nicht für die mittlere Liege (lectus medius), auf der gewöhnlich die Ehrengäste platziert wurden. Hier war der dann insgesamt vornehmste Platz, locus consularis genannt, ganz unten, auf dem locus imus.

Abb. 1: Die Tischordnung im Triklinium (F. Strecker). 39 Vössing 2004, 253, spricht deshalb von der „Paradoxie der römischen Bankette“: Das gemeinschaftliche Genießen unter Gleichen wird zwar gepriesen, aber das gesamte Ritual ist auf die Demonstration von Rang und Prestige angelegt, vom Sitzplatz über die Reihenfolge der Bewirtung bis hin zu den Speisen, die gereicht werden. Oder in der Diktion von Schnurbusch 2011, 201: „Jedes Mitglied der römischen Gesellschaft wusste stets, wer in dieser Ordnung nach Rang vor und wer hinter ihm stand. Trotz der viel beschworenen Gleichheit der Teilnehmer eines Gastmahls blieb auch diese Form aristokratischer Interaktion von diesem Prinzip nicht ausgeschlossen: In der Regel ließ sich am Platz an der Tafel ablesen, wie viel gesellschaftliches Ansehen der darauf Liegende im Verhältnis zu den übrigen Teilnehmern des Gastmahls besaß.“ 40 Auf die Metapher des Folgens verweist ausdrücklich Vössing 2004, 228; vgl. Petron. 57,2; Iuv. 5,15–18; Gell. X 15,21; Lukian. Dialogi Deorum 15 [13],1. 41 Vgl. dazu Vössing 2004, 227–234; Schnurbusch 2011, 196–201; Schnurbusch 2008. 42 Schnurbusch 2011, 1.

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Diese Merkwürdigkeit wird von Plutarch in seinen Quaestiones Convivales (I 3) ausführlich diskutiert. Unter den von ihm angegebenen Gründen dürfte am meisten Gewicht haben,43 dass dieser Platz sich in unmittelbarer Nähe zu der Stelle befand, wo üblicherweise der Gastgeber lag: summus in imo. Plutarch führt aus: „… denn von da aus hat er, wie ein Wagenlenker oder ein Steuermann, nach rechts hin einen guten Ausgangpunkt zur Beaufsichtigung der Bedienung und ist auch nicht (zu weit) entfernt, um mit den Anwesenden freundschaftlichen Umgang zu pflegen und Gespräche zu führen. Von den allernächsten Plätzen gehört der unter ihm (ὑπ᾿ αὐτόν) entweder seiner Frau oder den Kindern; der Platz aber über ihm (ὑπὲρ αὐτόν) wurde gebührenderweise dem am meisten Geehrten unter den Geladenen gegeben, damit er dem Gastgeber nahe sei (ἵν᾿ ἐγγὺς ᾖ)“ (619D). Insofern können die beiden wichtigsten Personen des Gastmahls, der Gastgeber sowie sein Ehrengast, bestens miteinander kommunizieren, und der Ehrengast liegt zugleich „über“ dem Gastgeber, eine höfliche Reverenz, nicht ohne die beanspruchte „Nähe“ auch optisch zum Ausdruck zu bringen. Außerdem erfahren wir, dass die Liege, auf der der Gastgeber summus in imo lag, gleichzeitig als Familienliege diente. Die dritte Liege, obwohl lectus summus genannt, war dagegen den rangmäßig niedrigeren Gästen vorbehalten. Diese Positionen waren derart in der kulturellen Matrix verankert, dass Verstöße dagegen sofort wahrgenommen und entsprechend entziffert wurden.44 Wenn z. B. Kaiser Caligula seine Ehefrau auf dem locus consularis platzierte, während seine Schwestern Drusilla und Livia „unter“ ihm die Familienliege teilen durften, wurde das als Hinweis auf seine berüchtigt inzestuösen Beziehungen zu seinen Schwestern gelesen (Suet. Cal. 24,1 f.). Oder wenn Kaiser Nero seiner Mutter Agrippina demonstrativ den Platz „über ihm“ (super ipsum) angewiesen habe, als bereits die Vorbereitungen zu deren Ermordung liefen, sollte sie sich geehrt fühlen und in vorgetäuschter Sicherheit wähnen (Tac. ann. XIV 4,3 f.). Kurz: Die Platzierung im Triklinium spiegelt Rangstufen, Positionen sowie Beziehungsgeflechte – und spielt zugleich damit. Denn gewöhnlich ist es der Hausherr, der beim Eintreffen der Gäste die Platzzuweisung vornimmt. Dabei kann es vorkommen, dass ein Gast bewusst degradiert werden soll, sich gekränkt fühlt bzw. eine andere Platzierung offensiv einfordert,45 ein Phänomen, das in Rom offen thematisiert worden ist.46

43 Neben der Bewegungsfreiheit für Amtspersonen, die von dort aus leichter Boten empfangen und Anweisungen geben können, sowie dem angeblichen Prestigeverzicht der Konsuln, die ganz bewusst nicht auf den in der hellenistischen Welt bevorzugten ersten Platz bestanden hätten (619C–D). 44 Vgl. dazu Schnurbusch 2011, 201–205; Vössing 2004, 378 f.384 f. 45 Z. B. Plut. Antonius 59,1–4 (bewusste Degradierung des römischen Unterhändlers P. Iulius Geminius Marcianus durch Cleopatra 32 v. Chr.); Plut. Brutus 34,8 (Favorinus widersetzt sich dem Gastgeber). 46 Vgl. die Reflexionen von Seneca: Sen. dial. II 10,2 (Constantia Sapientis); III 37,4 (Ira); vgl. Vössing 2004, 227; Schnurbusch 2011, 204.

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Insofern werden auch die in Joh 13,21–30 namentlich genannten Personen, die ihrerseits wiederum als Typen für bestimmte Funktionen innerhalb des Schülerkreises stehen, über ihre Liegeposition wertend zueinander in Beziehung gesetzt. Für diese Analyse ist eine präzise Übersetzung des Textes nötig: 21 a Dieses gesagt wurde Jesus erschüttert im Geist und bezeugte und sprach: b Amen, Amen, ich sage euch: c Einer aus euch wird mich überliefern. 22 a Sie blickten zueinander, die Schüler, ratlos, b über wen er spricht. 23 a Es war hinaufliegend einer aus seinen Schülern im Schoß Jesu, b den Jesus liebte. 24 a Es nickt nun diesem Simon Petrus zu, um zu erfahren, b wer es sei, c über den er spricht. 25 a Hinaufgefallen nun jener so an die Brust Jesu, sagt er ihm: b Herr, wer ist es? 26 a Es antwortet Jesus: b Jener ist es, dem ich eintauchen werde den Brocken c und ihm geben werde. d Nachdem er nun den Brocken eingetaucht hatte, [nimmt er und] gibt (ihn) Judas, (dem Sohn des) Simon Iskariot. 27 a Und nach dem Bissen, dann ging hinein in jenen der Satan. b Es sagt ihm nun Jesus: c Was du tun willst, d tue schnell! 28 a Das aber erkannte keiner der Hinaufliegenden, b wozu er ihm (das) sagte. 29 a Manche nun meinten, b nachdem Judas die Kasse hatte, c dass ihm Jesus sagt: d Kaufe, was wir zum Fest brauchen – e oder: den Armen, dass er etwas gebe. 30 a Den Bissen nun genommen, ging jener sofort hinaus. b Es war aber Nacht.

Drei Kommunikationsvorgänge lassen sich beobachten: (1) Jesus taucht einen Brotbrocken in die auf einem Tischchen vor ihm stehende Schüssel, um diesen Bissen dann Judas zu reichen (V. 26 f.). Judas muss also ganz nahe bei Jesus liegen, allerdings so, dass Jesus mit der rechten Hand seinen Mund erreichen kann. (2) Der Geliebte Jünger fällt an die Brust Jesu hinauf. Das ist nur aus der Position heraus möglich, wie sie in V. 23 geschildert und in V. 25 durch οὕτως aufgegriffen wird. (3) Petrus nickt gemäß V. 24 dem Geliebten Jünger zu, das heißt: Er gibt

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mit dem Kopf ein Zeichen.47 Soll diese Kommunikation gelingen, müssen beide, gestützt je auf den linken Arm, so platziert sein, dass sich ihre Gesichter gegenseitig sehen können. Nachdem Petrus die Fußwaschung eines Schülers durch den „Herrn“ (κύριος) als unangemessen zurückweist (Joh 13,6) – für diese Dienstleistung sind eigentlich die Haussklaven zuständig48 – und Jesus diesen paradoxen Rollentausch des „Lehrers“ (διδάσκαλος) und „Herrn“ (κύριος) auch noch als bewusste Symbolgeste bestätigt (Joh 13,12–15), dürfte Jesus in der Rolle des Gastgebers und Hausherrn wahrgenommen werden49 und damit in der Vorstellung der Rezipienten auf dem obersten Platz des Familiensofas liegen (summus in imo). Dann liegt der Geliebte Jünger – „in seinem Schoß“ – unmittelbar „unter“ Jesus (medius in imo). Judas muss ebenfalls in allernächster Nähe Jesu lokalisiert werden. Nur so ist es möglich, dass Jesus ihm den eingetauchten Brocken an den Mund führen kann. Es bleibt dafür nur der unmittelbar an Jesus anschließende Platz auf dem mittleren Sofa, und zwar an unterster Stelle: imus in medio. Das aber ist der locus consularis. Petrus dagegen muss so platziert werden, dass der Geliebte Jünger sein Nicken sehen kann. Von der Blickrichtung des auf den linken Arm gestützten Geliebten Jüngers ist das nur auf dem lectus summus, also der dem Familiensofa gegenüber aufgestellten Liege, möglich, am besten dort auf dem obersten Platz (sumus in summo).50 Schematisch in die Triklinium-Ordnung eingezeichnet ergibt sich (Abb. 2):

2.3 Literarische Mahlpolitik Reale Symposien der griechisch-römischen Antike, uns samt und sonders nur noch literarisch erhalten, dienen als Plattform der Darstellung und Demonstration von Rang-Relationen und Beziehungsstrukturen, von Nähe und Distanz, die zum Teil im Kontext von Symposien auch verändert bzw. erst generiert werden können.51

47 Vgl. z. B. die Szenen in Hom. Il. IX 222 f. (Odysseus merkt, dass Ajas dem Phoinix durch Nicken ein Zeichen gegeben hat); ebd. 620 f. (ohne Worte, eben durch Nicken, gibt Achilleus dem Patroklos einen Befehl). 48 Umfassend zur Sozialgeschichte und Theologie der Fußwaschung: Mathew 2017. 49 Vgl. Tolmie 2008, 119: „… Jesus is depicted as host at the meal …“. 50 Zu dieser Liegeordnung kommt bereits auch Brown 1970, 574, allerdings ohne Auswertung der mit der Liegeposition verbundenen Wertigkeitssignale; er greift dabei auf Prat 1925 zurück, der die Symposion-Usancen bestens erklärt, aber von dreizehn Personen auf drei Liegen und dem mittleren Platz auf der mittleren Liege als Ehrenplatz ausgeht, den er dann Jesus zuweist, links (vom Betrachter aus gesehen) von ihm („in seinem Schoß“) der Geliebte Jünger, zur Rechten Jesu dagegen Petrus, der sich dann über Jesu Rücken hinweg mit dem Geliebten Jünger verständigen muss, während Judas als Schatzmeister der Gruppe auf dem Gastgeberplatz, ganz oben auf der Familienliege, platziert wird. 51 Für die griechische Literatur vgl. Hobden 2013, bes. 117–194; für die römische Zeit: Vössing 2004, 234–253; Stein-Hölkeskamp 2005, 41–57.

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Abb. 2: Die Liegeordnung nach Joh 13,21–30 (bearb. H. Judith)

So erzählt Plutarch, der jüngere Cato habe, nachdem der Gastgeber die Entscheidung, wo er sich hinlegen wolle, ausdrücklich ihm selbst überlassen habe, den Platz neben seinem engsten Freund gewählt, mit dem er sich überworfen hatte und der genau aus diesem Grund zum Gastmahl geladen worden war. Durch den selbst gewählten Platz wird die Versöhnung der beiden sichtbar eingeläutet.52 Oder: Als Lucius Licinius Sura, einer der engsten Berater Kaiser Trajans, Opfer einer Verleugnungskampagne wurde, ist der Kaiser – uneingeladen – zu ihm zum Gastmahl gekommen. Am nächsten Tag hat er in aller Öffentlichkeit von diesem Besuch berichtet. In der politischen Semantik war die Funktion dieser Botschaft völlig klar: Das gemeinsame Gastmahl sollte die ungebrochene Wertschätzung des Kaisers für seinen Berater demonstrieren.53 Oder: Als Caesar und Pompeius Cicero rieten, sich mit seinem Kontrahenten M. Licinius Crassus Dives, mit dem er in aller Öffentlichkeit lautstark in Konflikt geraten war, zu versöhnen, traf sich Cicero bei seinem Schwiegersohn mit Crassus zum Mahl. Die Versöhnungsgeste war klar. Und Cicero rechnete damit, dass sie auch bekannt gemacht würde. Er schreibt: Die Aktion habe stattgefunden, „damit unser neues Einvernehmen dem römischen Volke gleichsam handgreiflich vor Augen geführt wurde“54. Voraussetzung für diese öffentlichkeitswirksame Mahlpolitik ist, dass in unseren Augen als „privat“ erscheinende Essenseinladungen in der griechisch-römischen Antike niemals „privat“ im Sinn von „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ bzw. „unter dem Schutz der Privatsphäre“, sondern „wesentlich auf öffentliche Wirkung, auf Selbst-

52 Vgl. Plut. Cato Minor 37,7–10 und dazu Schnurbusch 2011, 202 f.; weitere Versöhnungsmähler listet Vössing 2004, 239, in Anm. 6 auf. 53 Vgl. Cass. Dio LXVIII 15,3–6. 54 Cic. fam. I 10[9],20; vgl. Ebner 2007, 68.

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darstellung ausgerichtet“55 waren. Die Architektur des Hauses, also einer domus/ Stadtvilla, war auf die Öffnung der Sichtachsen nach draußen angelegt – und der Sozialcode entsprechend: Von der Straße aus konnte und sollte man durch den tagsüber offenen, schmalen Eingang in das Haus eintreten und sich dort (mit Ausnahme der Schlafzimmer) auch umsehen – mit einer kleinen Differenzierung: Das Atrium stand prinzipiell allen offen; ins Triklinium, dem Ort der Bankette, durfte nur eintreten, wer eingeladen war.56 Aber vom Atrium aus konnte man jederzeit ins Triklinium hineinschauen – und sollte es offensichtlich auch. Im Unterschied zum – uns nicht mehr zugänglichen – Live-Erlebnis hat die literarische Darstellung den Vorteil, dass sie den lesenden bzw. hörenden Betrachtern ganz gezielt vor Augen führt, was für die Entschlüsselung der Mahlpolitik nötig ist. Lassen wir unseren Blick von dieser Intention leiten, dann können wir aus der Kommunikations-Schilderung in Joh 13,21–30 einiges über die gegenseitige Beziehung unter den namentlich genannten Personen erkennen.

2.3.1 Der Geliebte Jünger und Petrus Gemäß der Schilderung der Abendmahlsszene bilden Geliebter Jünger und Petrus keineswegs ein Gegensatzpaar,57 sondern werden einander spezifisch zugeordnet: Petrus fungiert als Sprecher der ratlosen Schüler. Als solcher liegt er summus in summo, was – wie sein Beiname Petrus/Fels, mit dem er im Johannesevangelium von anderen lediglich „genannt/gerufen wird“ (σὺ κληθήσῃ Κηφᾶς ὃ ἑρμηνεύεται Πέτρος) und der, anders als in Mt 16,18, nichts über seine Beziehung zu Jesus aussagt – zwar ebenfalls einen prominenten Klang hat, im Ranking der gesamten Tischgesellschaft jedoch nur besagt, dass er zwar eine vorgeordnete Stellung innehat, aber in weiter Distanz zu Jesus liegt. Inhaltlich-theologisch ist er auf die Auskunft angewiesen, die nur der Geliebte Jünger ihm geben kann. Und Petrus weiß das und scheint es zu akzeptieren. Sonst würde er sich mit seiner Bitte nicht an den Geliebten Jünger wenden, der im Schoß seines „Herrn“ (Joh 13,6) liegt. Petrus selbst schreibt also dem Geliebten Jünger einen unmittelbaren und exklusiven Zugang zum Wissen Jesu zu. Über die Bildwelt des Johannesevangeliums58 weiß der Leser auch, warum: Wie der Geliebte Jünger im Schoß Jesu liegt, so ist der ewige Logos – metaphorisch – im Schoß des Vaters (Joh 1,18: ὃ ὢν εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρός) positioniert. Wie der in Jesus Mensch gewordene Logos sozusagen vom Herzen Gottes her „Kunde gebracht hat“ (ἐξηγήσατο), so – und das sieht man in 55 Vössing 2004, 236; vgl. Vössing 2017. 56 Vgl. Vitr. VI 5,1; vgl. Ebner 2012, 166. 57 Wie im Blick auf das Gesamtevangelium gelegentlich behauptet; vgl. den Blick in die Forschungsgeschichte bei Schultheiß 2012, 33–37. 58 Zur sozialgeschichtlichen Entzifferung der Bildwelt des Johannesevangeliums vgl. Busse 2002, 273–401, speziell zum Geliebten Jünger ebd. 287–302.

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der Abendmahlsszene – führt der Geliebte Jünger diese Vermittlungsfunktion fort: als „Exeget“ Gottes. Diese differenzierende Zuordnung von Geliebtem Jünger und Petrus erscheint wie eine Prä-Imagination dessen, was in Joh 21,15–23 explizit versprachlicht wird: Petrus als „Hirte“ der Herde – in der „Nachfolge“ Jesu im Blick auf die Organisation und den Zusammenhalt der Glaubensgruppe (vgl. Joh 10,1–18) – und der Geliebte Jünger als (im Text des Johannesevangeliums: Joh 21,24) bleibendes Sprachrohr Jesu. In dieser Perspektive spricht viel dafür, dass die Kommunikations-Schilderung zwischen Geliebtem Jünger, Jesus und Petrus in Joh 13,23–26a einen redaktionellen Einschub darstellt59, und zwar auf der gleichen Ebene wie Joh 21, das – wie neu entdeckte Manuskriptindizien zeigen60 – zu Recht „Nachtragskapitel“ genannt werden darf.

2.3.2 Der Geliebte Jünger als Nachfolger Jesu (in der Funktion als Exeget Gottes) Auf dem Familiensofa liegen neben dem Hausherrn die ihm im Rang Folgenden, also neben ihm idealerweise der älteste Sohn des Hauses, dem damit zugleich die Erbfolge zusteht. Nach dem Tod des pater familias hat er das Anrecht darauf, diese Position zu übernehmen.61 Genau an dieser Stelle ist im Abendmahlssaal der Geliebte Jünger positioniert, für die lesenden bzw. hörenden Betrachter ein Signal für die Stellung, die ihm zugeschrieben und eingeräumt werden soll: Nachfolger Jesu zu sein – und zwar hinsichtlich der Kopie-Stellung Jesu beim Vater. In ihm soll man den zukünftigen Hermeneuten Gottes sehen, an Jesu statt. Diese in der Liegeordnung angedeutete Zukunftsstellung wird in der Kreuzesszene des Johannesevangeliums von Jesus selbst versprachlicht, wenn er in angedeuteten Adoptionsformeln62 den Geliebten Jünger zu seinem Bruder erklärt (Joh  19,26 f.),63 der dann nach antiken Vorstellungen seine Stellung übernehmen wird. Hellenistisch gebildeten Lesern könnte beim Attribut „der Schüler, den Jesus liebte“ (vgl. Joh 13,23: ὃν ἥγάπα ὁ Ἰησοῦς) zusätzlich einfallen, dass in Darstellungen von Philosophenschulen – und im Johannesevangelium finden sich diverse Signale, die die Jesusgruppe als philosophischen Zirkel ausweisen sollen64 – derjenige unter den Schülern, der als „Geliebter“ des aktuellen Schulvorstandes bezeich-

59 Vgl. Theobald 1996, bes. 227–239. 60 Vgl. Nongbri 2018. 61 Vgl. Ebner 2012, 168. 62 So erstmals vertreten von Dauer 1967, der unter anderem auf folgende Vergleichstexte verweist: Ps 2,7; Tob 7,12 LXX; Lukian. Toxaris 22. Alternative Deutungen dieser Szene typisiert Schnackenburg 1975, 325–328. 63 Von Theobald 1996, 233 f., ebenfalls der redaktionellen Schicht zugerechnet. 64 Vgl. Kramp 2016; Ebner 2012, 289; speziell zu philosophischen Mählern vgl. Käppel 2017.

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net wird,65 gleichzeitig den – sozusagen designierten – Schulvorstand-Nachfolger darstellt.66 Im Rahmen der urchristlichen Gruppierungen (vgl. Mt 16,17–19; Lk 5,1–11) wird mit der Positionierung des Geliebten Jüngers im Abendmahlssaal samt dem Attribut „den Jesus liebte“ ein nicht zu übersehender und vor allem im Willen Jesu verankerter Gegen-Anspruch erhoben.

2.3.3 Judas auf dem Ehrenplatz Dass nach unserer Rekonstruktion der Imagination antiker Hörer ausgerechnet Judas auf dem Ehrenplatz zu liegen kommt, verblüfft – und könnte gleichzeitig Auswirkung auf die verbleibende Leerstelle in der Schülerliste in Joh 21,2 und damit auf das Judasbild des Evangeliums insgesamt haben.67 Gemäß Joh 21,2 sind sieben Schüler beieinander (ὁμοῦ). Am Ende der Liste heißt es: „καὶ ἄλλοι ἐκ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ δύο (und andere aus seinen Schülern zwei)“. Wer der eine von den beiden ist, klärt sich durch die Erzählung: Es ist der Geliebte Jünger (vgl. Joh 21,7), der an dieser Stelle wiederum als Hermeneut für Petrus fungiert, allerdings ohne dass er „im Schoß Jesu“ liegt. Aber wer soll der andere Schüler sein? Besser gefragt: Wen imaginieren die Leser? Es gibt viele Möglichkeiten.68 In der Linie der Text-Imaginationen dieses Beitrags soll ein verwegener Gedanke an das Ende gestellt werden: Je nach den Textsignalen, von denen sich der Leser leiten lässt und die er in den Vordergrund rückt, könnte er in der noch verbleibenden Leerstelle von Joh 21,2 – Judas vor Augen haben. Ausgerechnet der „Sohn des Verderbens“ (Joh 17,12), das Werkzeug Satans (Joh 13,2.27), der sich vom Herrscher dieser Welt hat instrumentieren lassen (vgl. Joh 18,3), hätte zur Gruppe der Jesusschüler wieder zurück gefunden. Immerhin: Im Johannesevangelium wird weder vom Selbstmord des Judas erzählt (Mt 27,3–10) noch von einem Unglück,

65 Im Unterschied zum Johannesevangelium steht in der paganen Literatur dafür als Terminus stets ἐρώμενος – mit den entsprechenden Assoziationen. 66 Vgl. Diog. Laert. IV 19 (Xenokrates/Polemo); 21 (Polemo/Krates); 22 (Krantor/Akesilaos); vgl. van Tilborg 1993, 77–87. 67 Vgl. das düstere Judasbild, das Klauck 1987, 70–92, vom Johannesevangelium zeichnet und das in der Aussage gipfelt: „Der Betrachter kann sich nur mit Grauen abwenden“ (91). 68 Z. B. Philippus und Andreas (vgl. Joh 6,7 f.; 12,22); Andreas und Levi (vgl. EvPe 60); vgl. die Auflistung bei Brown 1970, 1068; Thyen 2015, 779 f., liebäugelt damit, in der Linie der Väter der Alten Kirche den Geliebten Jünger mit einem der beiden Zebedaiden, eben mit Johannes, zu identifizieren – und zwar aufgrund des intertextuellen Spiels von Joh 1,35–42 mit den synoptischen Berufungserzählungen der beiden Brüderpaare Andreas/Petrus und Jakobus/Johannes in Mk 1,16–20. Die beiden namenlosen Schüler hätte der Autor in Joh 21,2 hinzugefügt, um die Siebenzahl zu erreichen und „um das Rätsel um den geliebten Jünger zu komplizieren“ (779). Kritisch zur Sache: Theobald 2009, 82–90.

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das zu seinem Tod führt (vgl. Apg 1,15–20)69 – bei Kenntnis der Synoptiker eventuell ganz bewusst nicht. Das Ende des Judas bleibt im Johannesevangelium offen. Sodann: Innerhalb des gläubigen Schülerkreises scheint es ständig Verschiebungen zu geben (vgl. Exkurs). Die im Abendmahlssaal dabei sind sind nicht die Gleichen, die dann im Haus sind, als Jesus sich ihnen erstmalig zeigt (Joh 20,19– 23); denn Thomas stößt erst acht Tage später zu ihnen (Joh 20,24–29). In Joh 21,2 ist die Zusammensetzung wieder anders. Die hier genannten Namen stehen für diese offensichtlich nicht kalkulierbare Fluktuation geradezu paradigmatisch: Thomas, „einer der Zwölf “, ist zwar gemäß der Imagination der Leser im Abendmahlsaal dabei (vgl. Joh 14,4), stößt aber nach der Kreuzigung erst verspätet und zweifelnd erneut zur Schülerrunde. Petrus verleugnet nach Joh 18,17.25, dass er „aus den Schülern“ Jesu sei; erst nach einem Skrutinium, das wie die Verleugnung der Schülerschaft an einem Kohlenfeuer (ἀνθρακιά) stattfindet (Joh 18,18; 21,9), wird ihm die Hirtenaufgabe anvertraut. Die Zebedaiden schließlich, aus den Zwölferlisten der Synoptiker bestens bekannt, werden in Joh 21,2 überhaupt zum ersten Mal namentlich unter den Schülern Jesu genannt.70 Stoßen sie erst jetzt zum Schülerkreis – oder waren sie nur im Text bisher „unsichtbar“? In diese Reihe der Grenzgänger könnte der Leser auch Judas stellen. Weiterhin: Die erste Leerstelle des Evangeliums in Joh 1,35 – in der Formulierung identisch (καὶ ἐκ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ δύο) mit der letzten in Joh 21,2 –, die dadurch entsteht, dass von den beiden Täuferjüngern, die zu Jesus überlaufen, nur „der erste“71 namentlich identifiziert wird, nämlich mit Andreas, kann in einem Relecture-Vorgang mit der Gestalt des Geliebten Jüngers gefüllt werden: Er ist es, der schon immer bei Jesus „geblieben“ ist.72 Wenn nun die letzte Leerstelle des Evangeliums in Joh 21,2 in der Imagination der Leser mit Judas besetzt wird, würden die beiden Schüler, die im Abendmahlssaal Jesus am nächsten liegen, geheimnisvoll einen Ring um den Gesamt-Erzähltext legen – und zugleich die Hoffnung verkörpern, dass sich tatsächlich erfüllt, was Jesus an diversen Stellen des Erzähltextes, gedrängt aber unmittelbar vor dem Eintreffen „der Stunde“, gesagt hat: „Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von allen, die er mir gegeben hat, verliere, sondern ihn auferwecke am letzten Tag“ (Joh 6,39). „Jetzt ergeht das Gericht über die Welt, jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, dann werde ich alle zu mir ziehen“ (12,31 f.). Wer in die Leerstelle von Joh 21,2 eingesetzt wird, hängt ganz von der Imagination der Leser ab und davon, welchen Textstellen sie das Hauptgewicht geben. Letztlich ist es die Vision der Leser, die sich in der Füllung der Leerstelle spiegelt.

69 Vgl. Klauck 1987, 92–109. 70 Diese Auffälligkeit kann dadurch verdeckt werden, dass der Geliebte Jünger mit einem der beiden Brüder identifiziert wird (vgl. Thyen 2015, 779 f.). 71 Zur Textkritik in Joh 1,41 vgl. Thyen 2015, 129. 72 Vgl. Thyen 2015, 129–132.

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Martin Ebner

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Wenn Texte Bilder provozieren …

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Margareta Gruber

Lesen als epiphanisches Ereignis Zur Poetik des Johannesevangeliums. Ein Versuch mit Patrick Roth

Der Titel verrät, was der folgende Beitrag vorhat: Mit den Augen von Patrick Roth auf das Johannesevangelium zu blicken. Einen zeitgenössischen Schriftsteller dafür zu „funktionalisieren“, die Poetik eines 2000 Jahre alten biblischen Textes zu beschreiben, ist gewagt.1 Wie kann man den Graben überbrücken? Es geht mir nicht um das unverbindliche Spiel mit Texten ohne die Berücksichtigung ihrer Kontexte. Es geht mir auch nicht um eine theologische Interpretation der Werke von Patrick Roth, denn hier müsste ich Maßstäbe anlegen, die der autonomen Schöpfung eines literarischen Werkes nicht gerecht werden würden. Mein Ausgangspunkt ist, dass die Dichtung des Johannesevangeliums und die Dichtung Roths um ein gemeinsames Thema kreisen: Auferstehung. Bei Patrick Roth geschieht das jenseits postmoderner Ironie;2 im Gegenteil ist sein Ernst für die modern und historisch-kritisch trainierte Exegetin durchaus herausfordernd. „Patrick Roth fragt nicht, ob Christus auferstanden ist; er macht Auferstehung erfahrbar.“3 Was beide Texte ebenfalls verbindet: Als Erzählungen mit unerschöpflichem Sinngehalt haben die biblischen und die zeitgenössischen Gottesgeschichten dieselbe Textur. So sind es Roths ungeheuerliche Geschichten, die neues Licht werfen auf die Ungeheuerlichkeit der biblischen Geschichten. Und es ist vor allem ihre Sprache, durch die Auferstehung „erfahrbar“ gemacht wird. 1 Zur Rechtfertigung dieses Tuns kann ich immerhin auf Karl-Josef Kuschel verweisen, der sich im Vorwort seines 1997 erschienenen Buches „Im Spiegel der Dichter. Mensch, Gott und Jesus in der Literatur des 20. Jahrhunderts“ selbstkritisch fragt: „‚Funktionalisiere ich damit Literatur?‘ Ja, und warum auch nicht? So wie jeder Leser einen guten Text ‚funktionalisiert‘, wenn er ihn zu ‚seinem Text‘ macht, d. h. wenn er entdeckt, dass dieser Text ihm ein Stück Wahrheit in Wahrhaftigkeit sagt, das er braucht.“ (Kuschel 1997, 2), vgl. dazu auch Langenhorst 2005. 2 Vgl. die Dokumentation unseres Gesprächs „Was ist Auferstehung“ in Roth/Gruber 2017. Vgl. ferner das Gespräch mit Patrick Roth in Orth/Roth 2018. Für den Literaturwissenschaftler Gerhard Kaiser eröffnet die Dichtung Roths „eine andere und neue Dimension der Literatur über biblische Themen und Gegenstände, jenseits der Alternative von Säkularisation und christlicher Verkündigung“, vgl. Kaiser 2008, 156. 3 Kaiser 2008, 154.

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So habe ich mich als Leserin in seine Textwelt begeben und nach der sprachlichen Repräsentationen von „Auferstehung“ gesucht. Die Intuition von mir als (wissenschaftliche) Johannesleserin war, dass ich dadurch etwas sehen lernen könnte, was mir einen neuen Blick auf das Evangelium und seine Poetik eröffnet, also auf die Art, wie die Wirklichkeit der Auferstehung oder eher, des Auferstandenen, im Text des Johannesevangeliums zur Sprache kommt. Warum ich diese Überlegungen Max Küchler widme hat mit zwei Dingen zu tun: Zum Thema Auferstehung gehören für mich immer die entsprechenden Orte in Jerusalem, die ich mit Max Küchler verbinde. Und zweitens wird es bei der Lesereise in Patrick Roths Welt wie in Max Küchlers Welt um Bilder gehen, allerdings um sich bewegende Bilder.

1. Der entschwindende Jesus – Zwei Lese-Erfahrungen Berühmt ist das Schlussbild der „Geschichte der Leben-Jesu Forschung“ von Albert Schweitzer: „Es ist der Leben-Jesu-Forschung merkwürdig ergangen: Sie zog aus, um den historischen Jesus zu finden, und meinte, sie könnte ihn dann, wie er ist, als Lehrer und Heiland in unsere Zeit hineinstellen. Sie löste die Bande, mit denen er seit Jahrhunderten an die Felsen der Kirchenlehre gefesselt war, und freute sich, als wieder Leben und Bewegung in die Gestalt Jesu kam und sie den historischen Menschen Jesus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück.“4

Schweitzer fasst damit das Scheitern aller Versuche zusammen, an die Gestalt des historischen Jesus mit den Mitteln der historischen Forschung heranzukommen. Wie ein Pendel sich in seine Ursprungslage bewegt, so bewegt der historische Jesus sich immer wieder in seine, die vergangene Welt zurück. Ich möchte eine andere Erfahrung mit Jesus von Nazaret beschreiben, die nicht das Ergebnis historischer Forschung am Text ist, sondern Folge einer Begegnung mit dem Text oder im Text, eine Lese-Erfahrung also: Ich öffne das Buch des Johannesevangeliums und lese eine Erzählung. Die Welt des Neuen Testaments als Kulisse des Lebens Jesu tut sich auf, die Hügel Galiläas, die Schluchten der Wüste Juda, die Steine Jerusalems. Eine biblische Gestalt tritt auf, ich nähere mich ihr lesend, sie spricht und handelt in ihrer vergangenen „Welt“. Ich sehe und höre, bleibe immer über den Text gebeugt und gehe in ihn hinein. Da beginnt die Gestalt sich zu verändern, aufzulösen, etwas anderes wird sichtbar in ihr/unter ihr: größer, leuchtender, gewaltig, anziehend, furchterregend, lebendig. Ich trete lesend weiter an sie heran, versuche sie fester in den Blick zu nehmen, da – noli 4

Schweitzer 1966 (1913), 620 f.

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me tangere – tritt sie wieder hinter die Konturen der biblischen Gestalt zurück und setzt ihren Weg in der vergangenen Welt fort. In den beiden Lese-Erfahrungen zeigt sich der Unterschied zwischen einem historischen und einem literarischen Zugang zum Evangelium: Der Ansatz der Leben-Jesu-Forschung ist es, durch Abtragen späterer, gläubiger Interpretationsschichten den historischen Jesus freizulegen. Dazu wurde im Verlauf verschiedener „Quests“ ein Repertoire an Kriterien erarbeitet und angewandt. Anders verfährt ein Ansatz, der von der Lektüre des Evangelientextes ausgeht: Er leugnet nicht die Möglichkeit unterschiedlicher Schichten, die er allerdings mehr als unterschiedliche Perspektiven innerhalb ein und desselben Textes betrachtet; was daran interessiert ist die Dynamik, die unter ihnen im Lesen entsteht: die Übergänge, Auflösungen, Verschmelzungen, Reibungen, Abbrüche, Überblendungen.

2. Epiphanische Poetik im Johannesevangelium Die Poetik des Johannesevangeliums ist immer wieder beschrieben worden. Ansatzpunkte sind seine Bildlichkeit (Zimmermann5), die inszenierten Missverständnisse und ironischen Brechungen als ein ständiges Spiel mit Verhüllung und Enthüllung (Scholtissek, Rahner6), die Kunst der Wiederholung und Variation mit den literarischen Techniken der Inter- und Intraratextualität als Relecture (Dettwiler7) und Réécriture (Scholtissek8), in der sich die „Grammatik des Geistes“ (Popp9) ausdrückt. Dahinter wurde von Zumstein eine „Strategie des Glaubens“10 entdeckt und beschrieben. Die Erinnerung an den irdischen Jesus wird produktiv fortgeschrieben, wobei sich diese das Johannesevangelium kennzeichnende Kreativität den Osterereignissen verdankt: „Verwurzelt in der österlichen Gewissheit, schafft die Erinnerung eine produktive relecture der Taten und Worte des irdischen Jesus.“11 Zumstein zitiert programmatisch Paul Ricœur für seine vom Leseprozess ausgehende Exegese: „Was ich mir schließlich aneigne, ist ein Entwurf von Welt; dieser findet sich nicht hinter dem Text als dessen verborgene Intention, sondern vor dem Text als das, was das Werk entfaltet, aufdeckt und enthüllt.“12 Diese Aussage kann man auf die oben geschilderte Suche nach Jesus anwenden: Er findet sich nicht hinter dem Text in seiner vergangenen Welt, sondern vor dem Text in etwas, was dieser im Lesen „entfaltet, aufdeckt und enthüllt“.

  5   6   7   8   9 10 11 12

Zimmermann 2004. Scholtissek 1998, Rahner 1999. Dettwiler 1995, Zumstein 2004c. Scholtissek 2000a und 2000b. Popp 2001. Zumstein 2004b. Zumstein 2004c, 62. Zumstein 2004a, VII; 290, vgl. Ricœur 1974, 33.

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Ricœur beschreibt diesen Lese- und Verstehensprozess als epiphanisches Ereignis. Wenn ich nun meine eingangs beschriebene Leseerfahrung mit dem Johannesevangelium wieder in den Blick nehme, so kann diese ebenfalls ein epiphanisches Ereignis genannt werden. Die Weise, wie Jesus im Johannesevangelium präsentiert wird, sucht etwas literarisch abzubilden, es im Lesen aufleuchten zu lassen und für einen Augenblick festzuhalten, was nicht festzuhalten ist – noli me tangere –, was aber dennoch gezeigt werden muss: die Epiphanie des Auferstandenen.

3. Epiphanisches Erzählen eines zeitgenössischen Autors: Patrick Roth An dieser Stelle meiner Überlegungen überspringe ich nun den Graben und begebe mich in die Textwelt von Patrick Roth. In Roths Poetik spielt die Kategorie des Epiphanischen eine zentrale Rolle, ja, seine Texte werden „selbst zum Dokument und Zeugnis dieser Epiphanien“,13 wie der Literatur- und Filmwissenschaftler Oliver Jahraus konstatiert: „Es kommt nicht auf den Text an, es kommt darauf an, wie der Text zu einem Ereignis führt, das selbst nicht mehr als textuell klassifiziert werden kann.“14 Roth selbst greift zu biblischer Metaphorik: „Das ist das Wesen der Epiphanie: daß das Andere zu mir kommt, mit mir lebt, den Sehenden verwandelt. Und wie wird verwandelt? Indem ich erkenne, gleichwie ich erkannt bin.“15 Roth erzählt von der verwandelnden Begegnung mit der Macht, die Totes lebendig werden lässt. Seine Figuren müssen ihre Wandlung als Begegnung mit dem Unbewussten, dem Toten in ihrem Innern bestehen, und es sind imaginative Prozesse von höchster dramatischer Intensität, ein Kampf um Leben und Tod, in die die Leserin verwickelt wird. Patrick Roths Erzählungen sind hochindividuelle Seelengeschichten.16 Dabei tut es nichts zur Sache, ob diese Totenerweckungen in einer archaischen biblischen Welt oder auf den Straßen Hollywoods spielen. Roths Erzählungen sind jedoch keine bloße Illustration tiefenpsychologischer Vorgänge, sondern der Versuch, „ein transzendentes Phänomen wie Auferstehung zu thematisieren“.17 Auch sein eigener, erklärender Rückgriff auf die Tiefenpsychologie18

Jahraus 2010, 243. Jahraus 2010, 254. Roth 2002, 53. Vgl. den Titel „Seelen-Dialoge“ des Kommentars zur Christustrilogie von Michaela Kopp-Marx, Kopp-Marx 2013. 17 Roth/Gruber 2017. 18 Vgl. v. a. die vierte Frankfurter Poetikvorlesung, „Aktive Imagination“, Roth 2002, 115–139. 13 14 15 16

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kann die Grenzen zu weiteren Deutungen nicht schließen.19 Deshalb ist sein Werk inspirierend für Theologinnen auf der Suche nach einer Sprache für die religiöse Erfahrung.20 Aufschlussreich sind hier wieder die Poetikvorlesungen, denn in ihnen „wird in besonderer Weise anschaulich, semantisch rezipierbar und erfahrbar gemacht, wie Erzählstruktur und semantische Struktur zusammenhängen.“21

4. „Dissolve“ als Stilmittel revelatorischen Erzählens Eine wichtige Quelle der Poetik von Patrick Roth neben der Bibel ist der amerikanische Film, in dessen Metropole Hollywood er lange Jahre gelebt hat. Das bedeutet, dass Roths literarische Erzählkunst vom filmischen Erzählen geprägt ist, von der Kunst sich bewegender Bilder.22 Deshalb benennt Roth ein zentrales Stilmittel seiner revelatorischen Ästhetik nach einem Begriff der älteren Filmtechnik „Dissolve“, im deutschen mit „Überblendung“ wiedergegeben. Ein Dissolve ist ein langsamer und kontinuierlicher Übergang von einer Kameraeinstellung oder Szene in eine andere, die bei fotografischen Kameras durch die Abfolge von Abblenden, Rückspulen und Aufblenden mit Doppelbelichtung erreicht wird. So gehen am Schluss beide Einstellungen in einander über. Ein berühmtes Beispiel ist die Szene in Hitchcocks „Der falsche Mann“, wo sich dem Zuschauer aus dem Gebet des zu Unrecht des Mordes verdächtigten Opfers (Henry Fonda) das Bild seines Doppelgängers, des Mörders, nähert. Das Beispiel zeigt außerdem die Kraft des Dissolve, spirituelle Erfahrungen ins Bild zu setzen.23 Für Roth wird nun das filmische zum literarischen Stilmittel: „Als Schriftsteller lege ich es darauf an, diese andere – unten schon immer wartende – Schicht, Bedeutungsschicht, im Geschriebenen durchscheinen zu lassen, als hielte ich die beschriebene Handlung in einem dauernden

19 Zur Rolle der jungschen Tiefenpsychologie im dichterischen Werk Roths vgl. Kaiser 2008, 145– 156. Nach Kaiser liegt die „Hauptleistung der Tiefenpsychologie bei ihm in der innerliterarischen Bereitstellung von Ordnungsvorstellungen und Deutungsmustern“ (153). Durch sie gewinnt er „den archimedischen Punkt, von dem aus er den traditionellen dogmatischen Zusammenhang des Erzählten aufbricht. Er setzt damit eine enorme Dynamik frei. Taufe, Auferstehung, Kommunion, Erlösung, Passion, Kernbestände des Christentums gewinnen die glühende Intensität von Partikeln einer nuklearen Sprengung, aber nicht deren Zerstörungseffekt.“ Die Dichtung Roths „auf Jungs Psychologie zurückzuführen, kann zwar eine gewisse Plausibilität erreichen, aber doch nur um den Preis der Wahrnehmungsselektion […]“ (153). 20 Vgl. den Sammelband Kopp-Marx/Langenhorst 2014, ferner Backhaus 2003. 21 Jahraus 2010, 243. 22 Vgl. dazu Zwick 2013. 23 In Roths zweiter Frankfurter Poetikvorlesung findet sich eine plastische Beschreibung dieses Filmmoments, gleichzeitig ein Beispiel für die Adaption filmischer Techniken in sein Erzählen, vgl. Roth 2002, 52–53. Die Filmszene gehört für Roth zu den spirituellen Momenten Hitchcocks, vgl. Orth/Roth 2018, 17.

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oder immer wieder ansatzweise aufscheinenden Dissolve.“24 Er veranschaulicht es in seiner Poetikvorlesung am Beispiel der Erzählung „die Toten“ von James Joyce, die er in eindringlicher Weise als „Auferstehung“ des Protagonisten Gabriel wiedergibt, weil dieser mit seinem Schatten, „der über seinen Stolz, seinen Eigenwillen, sein Ego fiel, der an ihm schwärte wie eine dunkle tödliche Wunde, ans Licht geht, ihn im alltäglichen Leben annimmt und damit lebt, damit zu leben lernt“.25 So findet seine verloren gegebene Liebe einen neuen Anfang.

5. Epiphanisches Erzählen und Dissolve in der Tempelerzählung (Joh 2,13–22) Wenn ich als Exegetin wieder aus den Film- und Textwelten Patrick Roths zurückkehre in meine Textwelt des Johannesevangeliums, entdecke ich tatsächlich Momente des Dissolve als Stilmittel des epiphanischen Erzählens. Auch das Johannesevangelium kennt die Überblendung, das Auflösen und Verschmelzen von Zeiten und von Personen. Unmittelbar nach der Hochzeit von Kana, mit der Jesus im Johannesevangelium sein öffentliches Wirken beginnt, folgt die so genannte Tempelreinigung (Joh 2,13–22):26 Jesus als geschichtliche Figur der Erzählung verwüstet in einer dramatischen Aktion den Vorhof des Tempels (Joh 2,14–16). „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle“ (Joh 2,16). Bei diesem Prophetenwort, mit dem er seine Aktion selber deutet, beginnen sich die Konturen der biblischen Szenerie bereits aufzulösen. Woher spricht er? Jesus spielt auf Sach 14,21 an: Dort geht es um die endzeitliche Anbetung Gottes, der eine große Kriegskatastrophe für Jerusalem und dann ein großes Reinigungsgericht über die feindlichen Völker vorausgeht. Erscheint hier im Dissolve der Richtergott, der den Tempel zerstört? Die Reaktion der Judäer auf die Tempelaktion geht nicht auf das Prophetenwort ein; sie bleiben auf der geschichtlichen Ebene der Aktion stehen: „Welches Zeichen zeigst du uns, dass du solches tun darfst?“ (Joh 2,18). Jesus antwortet auf diese Zeichenforderung in einem Rätselwort (Tempellogion): „Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“ (Joh 2,19). Antwortet er wirklich auf seine Gesprächspartner? Wenn ich mich als Leserin nähere, beginnen die Konturen des hier im Tempel Redenden sich erneut aufzulösen. Von welchem Tempel redet er? Die Rückfrage der Judäer und ihr Missverständnis unterstreicht nur die Irritation: „In sechsundvierzig Jahren wurde dieser Tempel erbaut, und du 24 Roth 2002, 53. Der Dissolve als ein filmisches Stilmittel wird bei Patrick Roth zur Metapher für die Durchdringung von Bewusstem und Unbewusstem. Er überträgt es auf seine Art zu schreiben, aber auch auf die Art, wie er gelesen werden will, wie er in den Poetikvorlesungen ausführt. 25 Roth 2002, 71. 26 Vgl. dazu Gruber 2016.

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willst ihn in drei Tagen aufrichten?“ (Joh 2,20). Im Kommentar (Joh 2,21) schaltet sich der Evangelist ein: Jesus hatte nicht vom Tempel in Jerusalem, sondern vom Tempel seines Leibes gesprochen, dem abgebrochenen und in drei Tagen wieder aufgerichteten Leib. Erneute Auflösung der Konturen im Dissolve: Hinter dem Bauwerk tritt der Körper hervor. Auf diese Weise wird die Verbindung von Tempelaktion und Tempellogion hergestellt: Warum ist Tod und Auferstehung Jesu ein Zeichen, das Jesu Tempelaktion legitimiert? Das Rätselwort, mit dem er sich den Judäern gegenüber legitimiert, beantwortet genau diese Frage: Das Reinigungsgericht wird sich – dramatisch und gewaltsam – nicht am Bauwerk, sondern an ihm selbst vollziehen; das Bauwerk steht für seinen Leib, der in Tod und Auferstehung „aufgelöst“ und „aufgerichtet“ werden wird. Dieses Geschehen, das am dritten Paschafest des Johannesevangeliums stattfinden wird, wird in der Tempelaktion am ersten Paschafest prophetisch dargestellt und vorwegnehmend gedeutet. Eine dramatische Kategorie aufgreifend kann man von einem prophetischen Pre-enactment des Ostergeschehens sprechen. Verstehen kann man diese Dimension der Tempelaktion jedoch nur von Ostern her, wie es der Evangelist im abschließenden Kommentar konstatiert (Joh 2,22). Doch von daher, vom Ende, sieht man: Die andere, die österliche Schicht war immer unter der jetzt erinnerten geschichtlichen Schicht vorhanden und wäre zu erkennen gewesen. Unter dem geschichtlichen Jesus, der im Tempel agiert und redet, kommt im Dissolve der auferstanden Gegenwärtige hervor und wird mit ihm gleichzeitig. Der Evangelist als Erzähler will also nicht im Nachhinein etwas erklären, sondern im vergegenwärtigenden Erzählen des Erinnerten in dieser Erinnerung etwas heraufholen und zum Leben erwecken, was immer dagewesen war, aber vor Ostern nicht gesehen werden konnte: den auferstanden Gegenwärtigen in der geschichtlichen Gestalt Jesu. Um das zu erreichen setzt der Erzähler, so würde ich nun, mir Patrick Roths poetische Augen geliehen habend, sagen, als „Mittel der erzählerischen re-velation“27 den Dissolve ein. Deshalb überblendet er die Zeiten und löst die Konturen von Tempel und Körper auf. Auf diese Weise hält er die beiden Ebenen oder Schichten, die immer untereinander herlaufen, in einem ständigen Dissolve. Das ermöglicht ihm, seine Figur des geschichtlichen Jesus in der lebendigen Unschärfe zu halten, die die Augen des Lesers beständig in Bewegung versetzt und ihn dazu bringt, sich seiner Figur immer wieder neu zu nähern.

27 Roth 2002, 49.

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6. Epiphanisches Erzählen und Dissolve in der Lazaruserzählung (Joh 11,1–44) Ich möchte das Entdeckte an einem weiteren großen Text des Johannesevangeliums testen, der Auferstehung des Lazarus Joh 11,1–44. Die Brüche und Fugen im Text und seiner Handlung wurden oft analysiert28 und lange Zeit vornehmlich diachron ausgewertet.29 Kann man nicht, so frage ich, die „Brüche“ als Übergänge lesen, wie ein Dissolve? Wie also hält Johannes seine Handlung im Dissolve? Schon in der Exposition, bei der Nennung des Ortes Betanien und der drei Geschwister (Joh 11,1f) wird die Leserin unvermittelt aus der Einheit von Raum und Zeit geworfen: In erzählerischer Analepse wird an die Salbung der Maria erinnert, die jedoch erst später stattfinden und erst im folgenden Kapitel des Evangeliums erzählt werden wird (Joh 12,1–8).30 Das setzt im Kopf der Leserin einen geradezu filmischen Dissolve in Gang: Unter der erzählten Maria, der Schwester des kranken Lazarus, drängt eine andere Szene hervor, in der Maria nicht nur zum Dank für die Auferweckung ihres Bruders, sondern auch in Vorwegnahme des Begräbnisses Jesu diesen mit duftendem Öl salbt. Dissolve im Dissolve sozusagen: Die Liebestat der Salbung beim Festmahl, an das angesichts der Krankheit des Lazarus vorwegnehmend erinnert wird, lässt als weiteres Bild das Grab heraufsteigen. Die Formulierung Jesu, „sie sollte es bis zum Tag meiner Einbalsamierung“ (Joh 12,7)31 aufbewahren, blendet den Begräbnistag über das Festmahl am 28 Beschrieben wurde die „gebrochene“ Erzählweise (Welck 1994, 208), die Irritationen durch „Leerstellen und Rätselworte“ (Zimmermann 2001, 750), das Spiel mit „Verhüllung und Enthüllung, Mißverständnis und Richtigstellung“ mit der Absicht der „kalkulierten Provokation“ der Leserinnen (Frey 2000, 421). Frey sieht darin vor allem den Dialog mit den Lesern des Evangeliums, der konkreten Gemeinde, deren Glaube an die Auferstehung Jesu wie an ihre eigene und die ihrer Verstorbenen gestärkt werden soll. Das letzte Wunder ist die narrative Darstellung der ­johanneischen Eschatologie. Daran knüpft Zimmermann eine narrative Ethik, eine „erzählerische Auseinandersetzung mit dem Tod“ (Zimmermann 2013, 758). Auch für ihn werden die Leserinnen durch die „narratologischen Kunstgriffe dazu gedrängt, sich in einen immer tieferen Verstehensprozess hineinzubegeben. Besonders die offenen, unerklärten Elemente drängen die Rezipienten dazu, nach Tiefensinn zu suchen“ (750f). 29 So auch Theobald 2009. 30 In der klassischen literarkritischen Exegese (Bultmann, Schnackenburg, Brown, Becker, Theobald) wird diese Analepse im Sinn des dreistufigen Entstehungsprozesses für eine nachträgliche Glosse gehalten. Theobald 2009 (724–726) diskutiert ausführlich die unterschiedlichen Lösungen. Er vermutet, dass der Redaktor durch die Glosse an die spätere Liebestat der Maria, die „in Joh 11 völlig im Schatten ihrer Schwester steht“, erinnern wollte (726). Für Zumstein 2016 (417f) ist die Stelle das Werk des Evangelisten. Er erklärt den scheinbaren Bruch narratologisch als Spannungselement. 31 Zur Diskussion der Formulierung vgl. Moloney 1998, 357 f. Das Wort ἐνταφιασμός bedeutet nicht das Begräbnis, sondern „laying out for burial“ (vgl. Liddell/Scott 1996, 575). Also ist zu übersetzen: „Lass sie! Sie sollte es für den Tag der Vorbereitung meines Begräbnisses (den Tag meiner Einbalsamierung, der ist jetzt) aufbewahren“, so auch Theobald 2009, 765.

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Beginn der Passionswoche. Zudem wird ein sozusagen odofaktorischer Dissolve ausgelöst: Das Duftöl breitet sich (österlich) als Lebensduft in die Begräbnisszene Jesu hinein aus, verbindet diese jedoch auch wieder mit dem Verwesungsgeruch des toten Lazarus im Grab, aus dem dieser befreit werden wird. Es wurde ferner immer wieder beobachtet, dass sich die beiden von einem Stein verschlossenen Höhlengräber des Lazarus und Jesu gleichen (Joh 11,38–41; 20,1); der Erzähler lässt die Gräber im Dissolve ineinander übergehen. Das ist jedoch nur die Vorbereitung für die letzte große Szene der Erzählung, in der Jesus den Toten „mit großer Stimme“ aus dem Grab ruft (Joh 11,42) und Lazarus gebunden herauskommt. Unter dieser gewaltigen Szene drängt sich in einem neuerlichen, jetzt akustischen Dissolve eine andere empor – oder sind es zwei? Der Sohn Gottes, dessen Stimme die Toten bereits jetzt hören werden und dadurch leben (Joh 5,24), und die Stimme, die die in den Gräber hören werden und die sie aus ihren Gräbern „herauskommen“ lässt (Joh 5,28f).32 Beide Stimmen sind im Moment des Dissolve mit der Stimme des rufenden Jesus am Grab des Lazarus gleichzeitig. Das bedeutet, der Erzähler blendet einen Augenblick lang beides ineinander: die gegenwärtig-eschatologische Kraft der Stimme Jesu (Joh 5,25) und seine futurisch-eschatologische Dimension (Joh 5,28f). Beides ist gegenwärtig in der Stimme des jetzt am Grab den Lazarus herausrufenden Jesus. Das letzte Bild der Erzählung verstört noch einmal: Es kommt der bereits verwesende (vgl. 11,39) Tote aus dem Grab, aber an Füßen und Händen gebunden und mit vom Schweißtuch bedeckten Gesicht. Handelt es sich um ein schwebendes Herauskommen, ein „Wunder im Wunder“, wie frühe Ausleger wie Basilius d. Gr. meinten?33 Der Bezug zu den ausgewickelten Tüchern im Grabe Jesu ist eindeutig (Joh 20,5–7; vgl. Joh 19,40); warum aber wird dieses Bild im Dissolve heraufgeholt und dem Umwickelten für einen Moment gleichzeitig? Vielleicht deshalb, um zu verstehen, dass die „große Stimme“ dem gehört, dessen Grab leer ist?34 In den Dialogen der Perikope wird von Jesus zweimal das epiphanische Schlüsselwort des Johannesevangeliums, „Herrlichkeit“, eingeworfen, was die Gesprächspartner in der Situation jeweils überfordert: Warum die Krankheit des Lazarus „um der Herrlichkeit Gottes willen“ ist (Joh 11,4), ist für die Jünger nicht einsichtig; und wann Jesus zu Martha gesagt haben soll, dass sie glaubend „die Herrlichkeit Gottes schauen“ werde (Joh 11,40), bleibt unklar. Auch hier ist ein epiphanisches Erzählelement für den Leser zu sehen: Die „Doxa“ wird aufgeblendet, scheint plötzlich in der Dialogsituation durch und „blendet“ in einem kurzen Dissolve den Leser.

32 In Joh 5 ist vom Rufen ist nicht die Rede, sondern nur vom Hören der Stimme! 33 Vgl. Frey 2000, 443, Theobald 2009, 744. 34 Rochais 1981, 132 weist auf ein alttestamentliches Bild hin, das hier (im Dissolve) aufsteigt: Die Weissagung über den Gottesknecht (Jes 42,6f LXX; 49,9 LXX), der die Gebundenen freilässt, vgl. auch Frey 2000, 442 f.

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7. Lesen als epiphanisches Ereignis Die eben genannten Beobachtungen an der Lazarusperikope sind nicht neu. In der Regel werden sie unter dem Stichwort der Inter- oder Intratextualität beschrieben, dem komplexen Spiel von Bezügen und Anspielungen innerhalb des Evangelientextes.35 Dissolve ist insofern ein Stilmittel innerhalb der johanneischen Intra­textu­alität. Da es ein Stilmittel der Filmkunst ist, das das Verhalten bewegter Bilder beschreibt, eignet er sich in besonderer Weise, um das Schwebende des johanneischen Textes und das Ineinander von Zeiten und Bedeutungsebenen zum Ausdruck zu bringen. So entdeckt man das „Filmauge“ des biblischen Erzählers. Die Poetik des Johannesevangeliums ist so sinnlich, dass Szenen und Bilder, Stimmen, Lichtblitze (Doxa) und gar Gerüche übereinander geblendet werden und in einander übergehen. Das Beispiel der Lazarusperikope zeigt außerdem eine präzise theologische Intention, die mit dem Dissolve verbunden ist. Als Signal am Beginn der Lazaruserzählung (Joh 11,2) sagt er: In der Szene, die jetzt folgen wird, kommt etwas anderes entgegen, leuchtet etwas durch sie bereits jetzt hindurch, was am Ende erzählt und offenbar wird. Sieh sie von diesem Ende her! Das Ende ist das Begräbnis Jesu, über dem der Duft der Liebe und des Lebens liegt – Hauch der Auferstehung. Wichtig am Dissolve ist, wie gesagt, die Gleichzeitigkeit beider Bilder als Verweis auf ihre gleichzeitige Realität. Der Dissolve will also sagen: Sieh den Jesus, der sich nach Betanien aufmacht, nicht nur als den, an dem sich später Tod und Auferstehung ereignen wird. Sieh in deiner Erinnerung an das, was er in Betanien getan hat, die Kraft seiner Auferstehung aufleuchten. Der Dissolve am Schluss der Erzählung bekräftigt: Der Lebensduft geht von dem aus, der in Betanien den verwesenden Lazarus aus dem Grab ruft. Es ist der, der das Leben in sich hat“ (Joh 5,26), der an das Grab seines Freundes tritt. Wenn der Lesevorgang in dieser Weise gelingt, wird das Lesen des Johannesevangeliums zum epiphanischen Ereignis. Zusammenfassend kann ich wieder auf Roth zurückkommen, der als Lese­ anweisung für seine eigenen Erzählungen angibt: „Deshalb: Vom Ende her sehen – das hilft bei der Suche.“36 So schließt er seine zweite Frankfurter Poetikvorlesung. „Es muss dem Leser, der die ausgearbeitete Geschichte dann liest, gar nicht mitgeteilt werden, daß alles vom Ende her gesehen wird. Etwas davon teilt sich ihm ohnehin mit.“37 Um meine Entdeckung zu vertiefen und zu präzisieren, könnte und müsste ich weitere Beispiele im Evangelium untersuchen. Im Rahmen dieses Aufsatzes müssen erste Hinweise genügen: Fündig wird man besonders dann, wenn im ers-

35 Unter diesem Aspekt habe ich einige johanneische Erzählungen untersucht, vgl. Gruber 2007a; 2007b; 2008. Vgl. ferner zur Johannesoffenbarung Gruber 2012. 36 Roth 2002, 76. 37 Roth 2002, 76.

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ten Teil des Evangeliums intratextuell auf Szenen oder Bilder aus dem Kontext der Pascha-Ereignisse verwiesen wird. So etwa in der heftigen unvermittelten Reaktion Jesu auf seine Mutter bei der Hochzeit von Kana (Joh 2,4). An dieser Stelle wird die eine andere „Stunde“ aufgeblendet (Joh 12,23.27–33), um den Grund seiner Erschütterung zu erklären, nämlich die Konfrontation mit dem Willen des Vaters, die ihm in Gestalt der Bitte der Mutter entgegentritt. Auch im Dialog mit der Samariterin (Joh 4,4–42) finden sich Überblendungen, die den Dürstenden am Brunnen als die Quelle des Geistes zeigen (Joh 7,37–39), die zum Fließen kommt, indem er dürstend stirbt (Joh 19,28–30).38 Ein weiteres Beispiel ist die merkwürdige Notiz, dass die Menschen Jesus nach der Brotspeisung „in ihre Gewalt bringen“ und „zum König machen“ wollten (6,15f). Hier steigt im Dissolve der „König der Juden“ herauf, das zentrale Motiv der Pilatusszene (Joh 18,28–19,16). So kann, gestützt durch weitere intratextuelle Hinweise,39 die Abfolge von Speisung (6,1–13), Gewalt- und Königsmotiv (6,14– 15), Abwesenheit Jesu in der Finsternis (6,16f) und Erscheinen über dem Chaos des Meeres (6,18–21), das galiläische Paschafest als Pre-enactment des Jerusalemer Pascha gelesen werden. Auch hier gilt: Unter der erinnerten Schicht kommt im Dissolve die andere hervor, die österliche, die nicht zu sehen gewesen war und der erinnerten ihren österlichen Sinn gibt. In den Abschiedsreden (Joh 13,31–17,26) haben wir einen Text im Johannesevangelium, der als Ganzes die vergegenwärtigende Erinnerung in Form und Inhalt reflektiert.40 J. Rahner analysiert sehr gut das retrospektivische Erzählen, innerhalb dessen „die eigene Gegenwartssituation als Zukunftsperspektive zur Sprache“ gebracht wird.41 Auch Retroperspektive ist eine filmische Kategorie, die Rahner auf das Johannesevangelium überträgt: „Man betrachtet das Geschehen, als sähe man in einen dreifachen Spiegel. Hier wird nicht nur die je eigene Gemeinde­ situation explizit im Christusgeschehen begründet, sondern die stilistische wie erzählpragmatische und dramatische Umsetzung selbst legt nochmals Zeugnis dafür ab, dass eine authentische Begründung dieses Zeugnisses nur innerhalb die-

38 Die Leseführung ist noch komplexer, vgl. meine ausführliche intratextuelle Lektüre, Gruber 2007b, 327: „Jesus dürstet nach Menschen, die seine Gabe empfangen und an ihn glauben (4,7.10). Und er hungert (und dürstet) danach, den Willen des Vaters zu erfüllen (4,34), der sich in seinem Tod und seiner Verherrlichung vollendet (19,28). Damit der Spender des lebendigen Wassers in den Menschen die Quelle zum Sprudeln bringen kann (4,14; 7,38), muss er selbst zum Dürstenden werden (4,7; 19,28). Aus der Quelle, die dann jedoch aus den Menschen, die glauben (4,42; 19,35, 7,39), zum fließen kommt (4,14; 7,38), wird er selber wieder seinen Durst stillen können (4,7.10). Denn wenn die Menschen zu Jesus finden, von seinem Wasser trinken, von seiner Lebenshingabe das ewige Leben – den Geist – empfangen und selber zur Quelle für andere werden, so ist das die Anbetung des Vaters in Geist und Wahrheit (Joh 4,23f), die Jesus wie der Vater ‚sucht‘ (4,23.27) und die seinen Durst stillt.“ 39 Zur Intratextualität in Joh 6 vgl. auch Gruber 2007a. 40 Vgl. dazu Dettwiler 1995, Rahner 2000, Gruber 2005. 41 Rahner 2000, 80.

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ser retrospektiven Erzählung der Geschichte Jesu von Nazaret geschehen kann.“42 Mein Ansatz hebt im Erzählvorgang der bezeugenden Retrospektive die durch den Dissolve erreichte Präsenz der österlichen in der vorösterlichen Christus­ gestalt hervor. Die Abschiedsreden können als Ganze wie ein beständiger Dissolve betrachtet werden. Es ist der gleichzeitig österlich abwesende und Abschied nehmend anwesende Herr, der spricht und dabei den Agenten seiner neuen Präsenz einführt, den Parakleten.

8. Dissolve als Totenerweckung Eine weitere, hermeneutische Überlegung ergibt sich aus einem wichtigen Unterschied zwischen dem Dissolve in der johanneischen Erzählweise und den Auferstehungserfahrungen der Rothschen Figuren. Ob in den großen biblischen Erzählungen43 oder in seinen anderen, scheinbar alltäglicheren Geschichten:44 Immer ist es das Vergessene, Begrabene, Tote, das sich von unten hocharbeitet und gesehen, wiedererkannt werden will, damit es mit dem, was oben ist, in lebendig machende Übereinstimmung gebracht werden kann. Roth nennt den tiefenpsychologischen Prozess mythisch die Orpheus-Bewegung: „Der Dissolve tötet und weckt, führt hinab, führt herauf.“45 Was ich im Johannesevangelium beschrieben habe, ist eine andere Bewegung: Es ist nicht das Dunkle, sondern das Licht, das da heraufsteigt und einen Augenblick lang im Dissolve die handelnde Jesusgestalt in der Erzählung überblendet und mit ihr in Übereinstimmung gebracht werden will. Doch bei näherem Hinsehen ist auch das Wiedererkennen des Auferstandenen im erinnernd Erzählten eine „Orpheus-Bewegung“, ein Hinab- und Hinaufsteigen, denn um den Auferstandenen sehen zu können muss etwas verloren werden, sozusagen sterben. Es setzt voraus, den, den man zu kennen geglaubt hatte, erneut und noch radikaler als auf Golgota verlieren zu müssen. Wer ist der, den man Rabbi nannte (Joh 20,16) und jetzt als Kyrios und Gott (Joh 20,28) anrief? Wie ist er zu verstehen, den man zu kennen glaubte, ausgehend jetzt von der umstürzenden Erfahrung seiner Auferstehung und seiner neuen, unfassbaren Präsenz in Abwesenheit oder seiner Gegenwart in der Weise des sich-Entziehens? Auch die Begegnung mit dem Auferstandenen bedeutet also ein „Sterben“, ein Sterben aller bisherigen Erfahrungen mit Jesus und Erkenntnisse über ihn. In dieser Situation des erneuten Verlus-

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Rahner 2000, 81. Roth 2012, 2017. Roth 2013. Roth 2002, 51. Im Blick auf den schriftstellerischen Prozess sagt er: „Dieses Tote also – oder personifiziert: diese Toten – warten immer auf dem Grund des Dissolves, sind der Fund, sind der Stoff, aus dem das Neue kommt, wenn wir ihn uns bewußt aneignen können“ (72). Vgl. dazu noch einmal das in Anm. 19 Gesagte zur Rolle der Tiefenpsychologie im Werk Roths.

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tes nach Ostern kommt alles darauf an, den Jesus, den man doppelt verloren hat, wieder zu erinnern und zu vergegenwärtigen und ihn mit demjenigen in innere Übereinstimmung zu bringen, der auf neue Weise greifbar nah und doch nicht festzuhalten ist. Die literarische Repräsentation dieses Vorgangs der erinnernden Vergegenwärtigung ist der Jesus der Evangelien in seinem Ineinander des irdisch Geschichtlichen und auferstanden Gegenwärtigen, eine Gestalt im beständigen Dissolve sozusagen. Diese literarische, imaginative, wiederfindende Arbeit an der Jesusgestalt (im Evangelium), deren Frucht das Kunstwerk des Evangeliums ist, möchte ich in Roths Sprache als „Totenerweckung“ bezeichnen. Der Gekannte und Verlorene, Wiederbegegnete und nicht mehr Erkannte muss wiedererkannt werden. „Solches Erkennen ist Totenerwecken“, sagt Patrick Roth.46 Es muss der Auferstandene heraufgeholt werden um ihn in der Erinnerung an den Irdischen wiedererkennen zu können. Sonst bliebe diese Erinnerung stumm, wie die Reaktion der Judäer im Tempel und die vielen vom Erzähler kalkulierten Missverständnisse im Text es zeigen. Der Auferstandene muss in der Erinnerung an den irdischen Jesus von Nazaret erweckt werden. Dabei kann sich das ereignen, was Patrick Roth als das Wesen der Epiphanie beschreibt: „Daß das Andere zu mir kommt, mit mir lebt, den Sehenden verwandelt“.47 Für den Evangelisten geschieht solche Verwandlung durch die Begegnung mit dem lebendigen Christus, die er mit seinem Evangelium initiieren will. Er nennt die Bewegung „Glauben“ und das Ziel „ewiges Leben“.

9. Pascha-Imagination Eine letzte Reflexion der Exegetin, die in Patrick Roths Welt unterwegs war und wieder an ihren Exegetinnenschreibtisch zurückkehrt: Was habe ich erfahren? Ich bin Zeugin atemberaubender Wandlungsvorgänge geworden, die als Totenerweckung verstanden werden wollen. Die meisten Geschichten wurden mir von Ich-­ Erzählern im Text erzählt, deshalb sind sie mir so nahe gekommen. Der Zauberer hinter diesen Texten ist der Autor, Patrick Roth. Er ist einer, der die Orpheus-­ Bewegung nicht scheut, der sie seinen Figuren zumutet und sie als ihr Autor so beschreibt, dass sie mich als seine Leserin ergreift. Die Totenerweckungen in den Texten des Neuen Testaments spielen sich nicht im Bereich zwischen dem Bewussten und Unbewussten der Protagonisten ab. Sie geschehen dem Selbstanspruch der Texte nach durch das erinnernde Wirken des Geistes (Joh 14,26). Beide Bereiche müssen unterschieden werden, können aber

46 Roth 2017b, 63. 47 Roth 2002, 53.

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ineinander übergehen.48 Wir haben im Joh auch keinen Ich-Erzähler, sondern eine in Erzählung gefasste Erfahrung einer Gemeinschaft vor uns. Den Zauberer, den oder die Autoren oder Autorinnen des Johannesevangeliums, kennen wir nicht. Die Begegnung mit Patrick Roth und seinen Figuren, meinen fiktiven Zeitgenossen mit ihren totenerweckenden Wandlungserfahrungen, ermutigen mich, die Exegetin und Bibelleserin des 21. Jahrhunderts, mich in meine (heiligen) Texte hineinzuimaginieren um mich der epiphanischen Kraft der Jesusfigur auszusetzen. Und nun geht es mir ähnlich wie dem Ich-Erzähler in Patricks Roths faszinierender Erzählung „Magdalena am Grab“: Dieser entdeckt im Text einen Moment, „den die Bibel überspringt“:49 Es ist der Moment, an dem Magdalena am Gärtner vorbeigelaufen sein muss und die Frau und Jesus abgewandt voneinander stehen. „Jesus selbst, das ist so wichtig, und eben das ist an dieser Stelle ausgelassen, übersprungen worden: Jesus selbst […] wendet sich, – noch bevor Maria von Magdala sich wendet.“50 Diese Wendung Jesu setzt die vierte Wendung der Magdalena, die „Magdalenensekunde“51 des totenerweckenden Erkennens voraus. Auf ähnliche Weise wie der Ich-Erzähler Roths habe auch ich im imaginativen Hineingehen in das Evangelium etwas „Übersprungenes“ entdeckt: Die Dramatik einer Wandlung, die die Texte selber nicht beschreiben, aber im Resultat doch voraussetzen: das totenerweckende Wiedererkennen des Auferstandenen im (geistgeführten, vgl. Joh 14,26) Heraufholen der Erinnerung an den Verlorenen. Sie fordert eine dem Sterben gleichkommende Bereitschaft, erst den irdischen Jesus, aber auch den Auferstandenen immer wieder zu verlieren: noli me tangere. In den Ostererzählungen setzt sich diese Dramatik fort, denn es ist nicht nur das Erscheinen des Auferstandenen, sondern sein Sich-Entziehen, was die johanneischen Osterepiphanien kennzeichnet, und zwar nicht nur vor Magdalena am Grab.52 48 Das zeigt zum Beispiel und am deutlichsten die Bildsprache der Johannesoffenbarung, die viele ihrer Elemente aus dem Unbewussten nimmt und sie ἐν πνεύματι transformiert. Guardini hat darüber sehr Schönes gesagt: Was im Traum herrscht, „ist das Fluten des inneren Lebens; der verborgene Wille des Triebes; der innere Sinn des Daseins, von dem das wache Bewusstsein nichts weiß. Das alles arbeitet mit den greifbaren Gestalten; drückt sich, verhüllt und doch durchschimmernd, in ihnen aus“ (Guardini 1951, 576 f.). Ähnlich im Text der Johannesoffenbarung, aber die Bilder kommen nicht von innen, sondern „von oben“, von Gott: „Der Gottesgeist bemächtigt sich eines Menschen und macht ihn zum Organ für etwas, das über sein menschliches Urteilen und Wollen hinaus geht. Dieser von Gott kommende Sinn nimmt aber die Stoffe des allgemeinen Daseins wie des persönlichen Lebens des Propheten in seinen Dienst, um sich in ihnen auszudrücken; Dinge, Vorgänge, Bilder“ (ebd.). 49 Roth 2002, 109. 50 Roth 2002, 110 51 Roth 2002, 111. 52 Auch hier verdanke ich einen neuen Blick auf den Text der Auseinandersetzung eines zeitgenössischen Künstlers mit dem Thema Auferstehung, vgl. Gruber 2017. Der Komponist Mark Andre ist ein avantgardistischer Künstler, der in seiner Oper „Wunderzaichen“ nicht postmodern mit christlichen Inhalten spielt, sondern es ernst meint. Das verbindet ihn mit Patrick Roth und macht beide im zeitgenössischen Kunst- und Kulturbetreib zu gewissen Außenseitern. Ein zentrales Thema der Musik Andres ist das Verschwinden als eine besondere Art der Anwesenheit. „Wie hätte das Verschwinden Christi erklungen?“, fragt er. Für Andre hinterlässt der verschwundene Aufer-

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Die Leinenbinden im Grab sind die Spuren des Entschwundenen (Joh 20,5–10); der Glaube des Jüngers entsteht nicht trotz sondern gerade wegen dieser bestimmten Weise der Abwesenheit, für die die Tücher das Zeichen sind (Joh 20,8). Auch die Thomasperikope spielt mit der geforderten, vom Auferstandenen erlaubten und vom Erzähler dann doch nicht gezeigten Berührung der Wunden (Joh 20,24–29).53 Und noch in der letzten Ostererzählung manifestiert sich in der nicht möglichen Frage nach der Identität des Auferstandenen am See – „wer bist du?“ – das Unverfügbare der österlichen Epiphanie (Joh 21,1–14). Ich nenne diese geistgeführte und schöpferische Kraft, die es ermöglicht, den Irdischen mit dem Auferstandenen in Eins zu sehen, Oster-Imagination oder Pascha-Imagination.54 Das Ergebnis sind die epiphanischen Texte des Evangeliums, die die Kraft haben, den Christus des Glaubens zu erwecken, im ständigen Dissolve von sich entziehender Präsenz und sich vergegenwärtigendem Entschwinden.

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Karl Matthias Schmidt

Parusie-Prophetie versus Pax-Propaganda 1 Thess 5,3 und das Edikt des Claudius zur Vertreibung der Juden

Selten rekurrierte Paulus so deutlich vernehmbar auf römische Topik wie mit der Aufnahme der Begriffe εἰρήνη und ἀσφάλεια in 1 Thess 5,3.1 Dieser Beitrag fragt nach dem motivgeschichtlichen Kontext der beiden Schlagwörter, um von dieser Warte aus die religionspolitische Herausforderung zu umreißen, mit der sich Paulus im Jahre 50 n. Chr. konfrontiert sah. Denn es ist anzunehmen, dass es einen konkreten Anlass für die Auseinandersetzung mit den beiden Programmbegriffen gab. Zunächst gilt es zu zeigen, dass sich der Apostel mit ikonographischen Motiven der claudischen Münzprägung auseinandersetzte, indem er die beiden Begriffe εἰρήνη und ἀσφάλεια insoweit für sich genommen ansprach, als er mit ihnen jeweils einen claudischen Revers in Erinnerung rief. Die beiden als Zitat (ὅταν λέγωσιν) aufgerufenen Schlagwörter dienten als Beschreibung einer Position, von der sich Paulus absetzte, indem er die römischen Topoi mit Anspielungen auf das Jesaja-Buch flankierte. Die Adaption der Prophetie fungierte in Analogie zu einem Schriftbeweis als normatives Korrektiv im Gegenüber zu den Ordnungsansprüchen des Imperium Romanum. In einem zweiten Schritt wird dieses Zueinander von römischer Topik und Israels Prophetie in den Kontext der Entstehungszeit des Briefes, bald nach dem Erlass des Juden-Ediktes durch Claudius, eingeordnet. Die mit den Münzen propagierten Konzepte werden dabei als Beschreibung der öffentlichen Ordnung verstanden, die Claudius mit der Vertreibung der Juden 49 n. Chr. zu bewahren suchte. Aus Sicht des Apostels diskreditierte diese Maßnahme jedoch das Imperium Romanum.

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„Auf einem alttestamentlichen Hintergrund lässt sich das Syntagma ‚Friede und Sicherheit‘ kaum verstehen“, Schreiber 2014, 272. Vgl. dagegen etwa Nicholl 2008, 54–55, oder Holtz 1998, 215, der eine Anspielung auf römische Topik ausschließt (Anm. 364). Hoppe 2016, 294–297 (vgl. auch Hoppe 2006, 267–268), Müller 2001, 192, und Eckhart Reinmuth votieren für einen Bezug auf die Falschpropheten bei gleichzeitigem Verweis auf die römische Propaganda (vgl. Walter/Reinmuth/ Lampe 1998, 150). Zur Diskussion vgl. Malherbe 2004, 291–292.303–305, der sich selbst der Deutung im Kontext des Epikureismus anschließt (vgl. DeWitt 1954a, 85; DeWitt 1954b, 7–9.41–50), die sich jedoch nur mühevoll mit dem Kontext verbinden lässt.

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1. Imperiale Ikonographie und Schrift-Prophetie Klaus Wengst hat neben anderen eine ganze Reihe von Belegen zusammengetragen, um zu zeigen, dass die Verwendung des Ausdrucks εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια auf eine geprägte Verbindung zurückgeht, mit der zwei Konzepte zu einem übergreifenden verknüpft wurden.2 Die von Wengst und anderen angeführten Texte datieren jedoch überwiegend nach dem Ersten Thessalonicherbrief und rekurrieren nicht regelmäßig ausdrücklich auf εἰρήνη und ἀσφάλεια gemeinsam3 bzw. auf eine Verbindung analoger lateinischer Begriffe.4 Horaz besang die Abwesenheit von furor und ira. Velleius Paterculus reihte pax mit mehreren anderen Begriffen zusammen oder er verband die pax Augusta unter Rückgriff auf das Verb servo mit Ausführungen zur Freiheit von Räuberei.5 Eine Begriffsverbindung wie in 1 Thess 5,3 findet sich allerdings nicht. Einmal erwähnte er die pax immerhin in unmittelbarer Nachbarschaft zur securitas, ordnete die Konzepte formal allerdings unterschiedlichen Provinzen zu.6 Wo lateinische Analogien zu den beiden Konzepten εἰρήνη und ἀσφάλεια verknüpft werden, wird auch an anderer Stelle in Zusammenhang mit der pax häufig die securitas gepriesen. Diese Belege häufen sich allerdings erst seit Seneca.7 Mindestens in der lateinischen Literatur war das Begriffspaar um 50 n. Chr. demnach noch nicht sonderlich verbreitet.8 Auch der Verweis auf Praeneste, wo man in augusteischer Zeit neben einem Altar zu Ehren der Pax einen eben solchen für Securitas errichtete, verfängt nicht.9 Der epigraphische Befund bietet darüber hinaus vereinzelt einschlägige Parallelen. 2 Vgl. Wengst 1986, 32–34; Bammel 1960 (unter Verweis auf PsSal 8,18 [837]); Bammel 1985, 375– 378; Brocke 2001, 167–185; Donfried 1985, 344.350; Donfried 1997, 216–217; Frend 1965, 96.115; Gabrielson 2014, 151–155; Harrison 2002, 86–87; Harrison 2011, 61–62; Hendrix 1991, 112–144; Koester 1990, 449–450; Koester 1997, 161–162; Luckensmeyer 2009, 290–291; Oakes 2005, 317– 318; Schreiber 2008, 273–274; Still 1999, 262–266; Weima 2012. Weitere Literatur bei White 2013, 383–384. 3 Vgl. aber Plut. Antonius 40,4, außerdem auch etwa Jos. A.J. XIV 160.247; B.J. IV 596. 4 Vgl. Sen. epist. 73,5; 91,2; Mart. IX 70,7–8; Plin. epist. X 2,3; Tac. Agr. 3,1; hist. II 12,2; 21,2; IV 73–74; Suet. Cal. 1,2; Galba 7,1. Vgl. außerdem Jos. B.J. IV 94; A.J. XIV 156–157; XV 344–348; Dion Chrys. 32,52; Plut. mor. 317C; Aristeid. 69.100.104. 5 Vgl. Hor. carm. IV 15,17.19 sowie Hor. carm. III 14,14–16 und Vell. II 103,5; 126,3. 6 Vgl. Vell. II 98,2. 7 Vgl. Sen. epist. 91,5; Tac. hist. II 12.13; III 53,3; ann. III 44,4; Quint. decl. 348,2; Flor. epit. II 19,1. In Sen. clem. I 19,8 und Plin. paneg. 94,2 begegnen die Schlagworte in einer Reihe von Begriffen. Vgl. auch Jos. A.J. XIV 160; B.J. IV 120 sowie Jos. A.J. XIV 247; B.J. IV 596. 8 So auch White 2009, 313; White 2013, 384–395; White 2014, 499–500. White führt ἀσφάλεια auf das Selbstverständnis der griechischen Polis und dessen Rezeption zurück. Erst Paulus habe das römische mit dem griechischen Konzept verbunden, vgl. White 2014, 501–507. 9 Zu den Altären Zanker 2009, 304 (Abb. 238.239), zu deren Auswertung für die Verbreitung der Programmbegriffe Harrison 2011, 61; Weima 2012, 345–346; Gabrielson 2014, 152: „The altar to the peace and security of Augustus in Praeneste is perhaps the most notable example in the material record.“

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Gern wird auf eine von Wengst angeführte Inschrift verwiesen, die Marcus Flavius Bonus gewidmet ist.10 Christoph vom Brocke hat darüber hinaus eine Inschrift aus Ilion zu Ehren des Gnaeus Pompeius Magnus herangezogen,11 die aus dem Zeitraum 63–62 v. Chr. datiert, folglich aus der Zeit vor dem Ersten Thessalonikerbrief stammt und daher als schlagendes Argument erscheinen könnte, weil sie der paulinischen Wendung sehr nahe kommt: ὁ δῆμος κα[ὶ οἱ ν]έοι | [Γναῖον Πο]μπήιον, Γναίου [υ]ἱόν, Μάγνον, τὸ τρίτον | [Αὐτοκράτ] τορα, τὸν πάτρωνα καὶ εὐεργέτην τῆς πόλεως | [εὐσεβεία]ς ἕνεκνεν τῆς πρὸς τὴν θεὸν τὴν οὖσαν αὐτῶι | [---]ν καὶ εὐνοίας τῆς πρὸς τὸν δῆμον ἀπολύσαντα | [τοὺς μὲν ἀ]νθρώπους ἀπό τε τῶν βαρβαρικῶν πολέμων | [καὶ τῶν π]ιρατικῶν κινδύνων, ἀποκαθεστάκοτα δὲ | [τὴν εἰρ]ήνην καὶ τὴν ἀσφάλειαν καὶ κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλασσαν12

In diesem Fall korrespondiert [τὴν εἰρ]ήνην allerdings mit τῶν βαρβαρικῶν πολέμων, womit offenbar die Unterwerfung des Mithridates VI. beschrieben ist, wohingegen sich τὴν ἀσφάλειαν auf [καὶ τῶν π]ιρατικῶν κινδύνων und folglich auf Pompeius’ Sieg über die Piraten bezieht, durch die sichere und verlässliche Verkehrswege zur See infrage gestellt worden waren.13 Diese Zuordnungen erstrecken sich damit auch auf den Ausdruck κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλασσαν. Das Ideal eines Friedens zu Land und zu Wasser wurde Appianos zufolge nach dem Sieg über Sextus Pompeius auch von Octavian gefeiert, der es als Augustus über das Zeremoniell, das für einen solchen umfassenden Frieden die Schließung des Janusbogens vorsah, noch tiefer im kulturellen Gedächtnis Roms verankerte.14 Es avancierte zu einem festen Topos für den Anspruch der Hegemonialmacht Rom. Die jeweiligen Siege zu Wasser und zu Lande konnten jedoch gegen unterschiedliche Gegner errungen worden sein. Die Zuordnungen der Inschrift sprechen folglich nicht notwendig dagegen, dass mit εἰρ]ήνην καὶ τὴν ἀσφάλειαν eine fest gefügte

10 Ὁ κύριος Μ(ᾶρκος) Φλ(άβιος) Βόνος, ὁ λαμπρ(ότατος) πρώτου | τάγ(ματος) κόμ(ης) καὶ δού[ξ,] ἄρξας ἡμ(ῶ)ν ἐν εἰρήνῃ | καὶ τοὺς διοδεύοντας καὶ τὸ ἔθνος διὰ | παντὸς εἰρηνεύεσθαι ἠσφαλίσατο, OGIS 613: „Der Herr Markus Flavius Bonus, der angesehenste Comes und Dux der ersten Legion, der über uns in Frieden herrschte, hat sowohl die Durchreisenden als auch das Volk jederzeit geschützt um Frieden zu wahren.“ Vgl. neben Wengst 1986, 32, etwa Gabrielson 2014, 152, Harrison 2011, 61, Roh 2007, 50, Weima 2012, 352, oder Witherington 2006, 146–147, der konstatiert: „There were inscriptions all over the empire attributing to Rome and its army the bringing of ‚peace and security‘ on one region after another.“ (146). 11 Vgl. Brocke 2001, 179 Anm. 64, sowie Oakes 2005, 317–318, und Schreiber 2014, 274. 12 „Das Volk und die Neoi (ehren) Gnaeus Pompeius, den Sohn des Gnäus, den Großen, zum dritten Mal Imperator, den Patron und Wohltäter der Stadt, wegen seiner Gottesfürchtigkeit gegenüber der Göttin, die ihm … war (ist), und wegen seines Wohlwollens gegenüber dem Volk, weil er einerseits die Menschen von den Barbarenkriegen und den Piratengefahren befreit hat, andererseits den Frieden und die Sicherheit zu Lande und zu Wasser wiederhergestellt hat.“ Text und Übersetzung: Winter 1996, 176. SEG 1565 liest: [μὲν τοὺς ἀ]νθρώπους. 13 „Der Terminus ‚Asphaleia‘ läßt sich in epigraphischen Zeugnissen mehrfach in Zusammenhang mit der Sicherheit der Meere nachweisen“, Winter 1996, 178, mit Belegen. 14 Vgl. App. civ. V 130 (13) sowie R. Gest. div. Aug. 13.

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Form aufgerufen wurde. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die ἀσφάλεια hier im Kontext der Piratenkriege angeführt wird, weshalb Aussagen zur Verbreitung des Ausdrucks auf dieser Basis schwer möglich sind. Unstrittig ist, dass εἰρήνη und ἀσφάλεια thematisch zusammengehören und auch in anderen Kontexten aufeinander bezogen werden konnten. Nur der Frieden garantiert stabile und sichere Lebensverhältnisse. Diese Idee war aber in der frühen Kaiserzeit, soweit ersichtlich, nicht mit einem festgefügten Ausdruck verknüpft. „Die Begriffsverbindung ist nicht als typisch römische Parole bezeugt, doch begegnen beide Begriffe in Bezug auf den römischen Frieden in sachlicher Zusammengehörigkeit.“15 Dies vorausgesetzt bleibt jedoch fraglich, ob Paulus mit εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια überhaupt auf eine geprägte Wendung rekurrierte. Da Texte des ersten Jahrhunderts bekanntlich zumeist keine durchgängige Zeichensetzung aufwiesen, lassen sich die beiden zitierten Ausdrücke nämlich nicht nur als Begriffsverbindung (ὅταν λέγωσιν „εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια“) auffassen, sondern auch als einzeln angesprochene Schlagworte (ὅταν λέγωσιν·„εἰρήνη“ καὶ „ἀσφάλεια“). Zwar könnte in diesem Fall auch ein ἤ stehen; das καί war aber sinnvoll gewählt, wenn Paulus zum Ausdruck bringen wollte, dass sowohl εἰρήνη als auch ἀσφάλεια in Verlautbarungen geltend gemacht wurden. Betrachtet man die Begriffe zunächst für sich genommen, lassen sich Verbindungslinien von 1 Thess 5,3 und 1 Thess 5,8 über Typen der claudischen Münzprägung zu den Anspielungen des Ersten Thessalonicherbriefes auf das Jesaja-Buch aufzeigen.

1.1 Pax und Jes 66,7 Da εἰρήνη in der Antike einer der zentralen Programmbegriffe war und das lateinische Pendant pax durch die Aufwertung im Zuge der augusteischen Friedenspropaganda eine zusätzliche Verbreitung fand,16 drängt sich ein Rückgriff auf das claudische Münzprogramm zur Interpretation des Begriffes im Kontext des Briefes alles andere als auf. Dennoch lohnt sich ein Blick auf einen claudischen Aureusbzw. Denar-Revers. Denn der Kontext des Zitates in 1 Thess 5,3 lässt sich mit der Ikonographie im Hintergrund besser mit dem Herrenwort in 1 Thess 5,2 vermitteln. Auf den ersten Blick erscheint das Wort vom Tag des Herrn, der kommt wie der Dieb in der Nacht, nämlich vergleichsweise schlecht mit den dualistischen Ausführungen über die Kinder des Tages und jene, die der Nacht gehören, zu harmonieren (1 Thess 5,2.4–5). Das Herrenwort gilt dem fraglos spannungsreichen Vergleich eines bestimmten Tages mit dem plötzlich auftauchenden Dieb, der seine Opfer nachts unvorbereitet antrifft, aber nicht der Kontrastierung von

15 Schreiber 2014, 273. Vgl. auch Hoppe 2016, 295; Konradt 2003, 145–146 Anm. 676. 16 Vgl. etwa Longenecker 2016.

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Tag und Nacht. Das Wort über den trügerischen Frieden leitet daher zu den dualistischen Ausführungen über.

Abb. 1: Aureus, Claudius, Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18202634 (50–51 n. Chr.; Rom; Av: TI CLAVD CAESAR AVG P M TR P X IMP P P, Kopf des Claudius mit Lorbeerkranz nach rechts; Rv: PACI – AVGVSTAE. Geflügelte Pax/Nemesis nach rechts, caduceus in Linker auf Schlange rechts gerichtet, Rechte hebt das Gewand an), © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Lutz-Jürgen Lübke. http://ikmk. smb.museum/object?id=18202634.

Der abgebildete Aureus (Abb. 1) datiert aus den Jahren 50–51 n. Chr. Der Revers-Typus wurde aber bereits zu Beginn der Regentschaft emittiert.17 Er zeigt zur Umschrift PACI AVGVSTAE die Göttin Nemesis, die Tochter der Nacht.18 Setzt man für Paulus’ Darstellung in 1 Thess 5 die Abbildung der im Folgenden als „Denar“ angesprochenen Edelmetallprägung als Hintergrund voraus,19 wird besser verständlich, warum der Apostel die Thessalonicherinnen und Thessalonicher als υἱοὶ φωτός und υἱοὶ ἡμέρας (1 Thess 5,5) ansprach. Die Gemeindemitglieder gehörten im Gegensatz zu Nemesis nicht zum Einflussbereich der Nacht und der Dunkelheit: Οὐκ ἐσμὲν νυκτὸς οὐδὲ σκότους (1 Thess 5,5).20 Die Thematisierung der Finsternis wird zwar in 1 Thess 5,4 durch den Rückgriff auf den Dieb in der Nacht vorbereitet. Der Vers akzentuiert aber wie erwähnt vorrangig die angemahnte Wachsamkeit, die wegen des offenen Zeitpunkts der Parusie (1 Thess 5,1) angeraten war und in 1 Thess 5,6–8 entfaltet wurde. Die von Paulus aufgerufenen υἱοὶ ἡμέρας werden daher verständlicher, wenn man den Ausdruck als Gegensatz zur von Claudius ins Feld geführten Nemesis auffasst.

17 Vgl. RIC 9–10.21–22.27–28.38–39.46–47.51–52.57–58.61–62, Sutherland 1984. 18 Vgl. Hes. theog. 223–224; Paus. VII 5,3. 19 Der Typus wird immer wieder als Beispiel für die Pax-Propaganda herangezogen, vgl. etwa ­Brocke 2001, 177; Gabrielson 2014, 152–153; Weima 2012, 337. 20 Eine Rückbindung der Metaphorik an Vorstellungen in Qumran ist daher nicht dringlich geboten. Vgl. dagegen Koester 1990, 450: „‚Children of light‘ […] can hardly be understood without refer� ence to the Qumran literature.“ Belege zu Parallelen bietet Eduard Lohse in Wülfing von Martitz u. a. 1969, 359–360, zu Belegen außerhalb Qumrans vgl. etwa Konradt 2003, 158 Anm. 714.

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Schon dem Namen nach war die Göttin des Zuteilens (νέμω) mit dem Gericht und der Vergeltung verbunden.21 Dem mit dem Münztypus umrissenen Anspruch des Kaisers, einen durch die Vergeltung im gerechten Gericht legitimierten Frieden zu garantierten, setzte Paulus ein Gerichtswort entgegen, indem er ein Heilswort aus Jes 66,7 invertierte. Hieß es dort über Jerusalem, die Stadt sei den Wehen schon entflohen, bevor diese überhaupt einsetzten, und habe geboren,22 sagte Paulus in 1 Thess 5,3 über jene Vertreter des Imperium Romanum, die εἰρήνη proklamierten, dass ein plötzliches Verderben über sie kommen werde wie die Wehen über eine Schwangere; und aus diesen Wehen sollte es kein Entfliehen geben.23 Der von der römischen Göttin der Vergeltung verfolgte Friede war demnach ein trügerischer Friede. Die Legende des Denars durfte als unangemessen erscheinen. Während Paulus in 1 Thess 5,5 auf die Herkunft der Nemesis abhob, nahm er mit 1 Thess 5,3 möglicherweise ihre Nachkommenschaft in den Blick. Das Bild der in Wehen liegenden Schwangeren ist zwar gebräuchlich und bildet selbst einen Topos,24 die Anlehnung an Jes 66,7 könnte aber auch durch den erwähnten Revers motiviert sein. Denn Nemesis versuchte, sich Zeus’ Nachstellungen zu entziehen. Zuletzt konnte sie dem Göttervater nicht länger entfliehen, wohl aber den drohenden Geburtswehen. Nachdem sie sich, verwandelt in eine Gans, dem Zeus in der Gestalt eines Schwanes nicht erwehren konnte, brachte sie Helena mittels eines Eies und somit ohne Wehen zur Welt, um sie dann, wie angeblich schon von Phidias dargestellt, Leda anzuvertrauen.25 Der Mythos ist zwar in der Version, in der „Leda und der Schwan“ im Mittelpunkt stehen, prominenter geworden als in jener, in der Leda lediglich die Aufzucht übernahm.26 Mittelbar konnte jedoch auch bei dieser Variante dort, wo Nemesis auftauchte, zugleich die ungewöhnliche „Geburt“ der Helena konnotiert werden. Doch selbst wenn der Zusammenhang von ausbleibenden Wehen und der Weise, wie Helena das Licht der Welt erblickte, sich nicht unmittelbar erschloss und der Mythos von Paulus nicht aufgerufen wurde, könnte die Nemesis-Darstellung zumindest den Rückgriff auf das ἐκφεύγω aus Jes 66,7 veranlasst haben. In Aischylos’ Προμηθεύς δεσμώτης heißt die Göttin auch Ἀδράστεια, die Unausweichliche.27 Das auf dem Denar in Szene gesetzte Anheben des Gewandsaums mit der Rechten erinnert an den apotropäischen Brauch, zum Schutze vor der Verfolgung durch die Göttin in den Busen zu spucken.28 „Der Gestus […] wurde 21 Vgl. Anth. Gr. VII 358 [Anonym]; XII 160,5–6 [Anonym]; Catull. 50,20–21; Ov. trist. V 8,9; Paus. I 33,2; Diog. Laert. I 78, außerdem Lucius Annaeus Cornutus 13,7 sowie Hdt. I 34,1. 22 Jes 66,7: πρὶν ἐλθεῖν τὸν πόνον τῶν ὠδίνων, ἐξέφυγε καὶ ἔτεκεν ἄρσεν. 23 1 Thess 5,3: ἐφίσταται ὄλεθρος ὥσπερ ἡ ὠδὶν τῇ ἐν γαστρὶ ἐχούσῃ, καὶ οὐ μὴ ἐκφύγωσιν. 24 Vgl. Ps 48(47),7; Jes 13,8; 21,3; 26,17; 37,3; Jer 6,24; 8,21; 13,21; 22,23; 50(27),43; Hos 13,13; Mi 4,9. 25 Vgl. Apollod. III 127; Hyg. astr. II 8; Isokr. or. X 59; Paus. I 33,7–8. 26 Vgl. nur etwa Apollod. III 126. 27 Vgl. Aischyl. Prom. 936, außerdem etwa Aristot. mund. 7 (401b). 28 Vgl. Anth. Gr. XII 229,1–2 (Straton); XII 251,3 (Anonym); Mesomedes, Hymnus ad Nemesim 12. Nach Plin. nat. XXVIII 36 (7) dient das Spucken in den Gewandbausch zum Schutz bei kühnen Unternehmungen.

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in der Ikonographie auf die Göttin selbst übertragen und durch das Emporziehen des Gewandkolpos angedeutet“29. Man hatte es jedenfalls mit einer Göttin zu tun, die insbesondere Übermut bestrafte und nicht zuletzt für Glückliche furchterregend war.30 Die gebotene Zurückhaltung ließ das Imperium jedoch vermissen, indem es großspurig εἰρήνη und ἀσφάλεια proklamierte. Wer einen solchen Anspruch vortrug, agierte in seiner Hybris unbedacht, nicht zuletzt angesichts einer Göttin, die jedes ausgesprochene Wort vermerkte und unvermittelt eingreifen konnte.31 Doch während Römer wie Ovid die ira der Nemesis zuwiesen,32 war für Paulus unstrittig, dass ὀργή wie σωτηρία vom Gott Israels zugeteilt wurden. Daher sollte an jene, die εἰρήνη und ἀσφάλεια für sich in Anspruch nahmen, plötzlich das Verderben herantreten. Am Tag des Herrn, der so unvermittelt kam, wie der Dieb in der Nacht, sollten die Kinder des Tages bestehen. Das Imperium Romanum, das sich der Nemesis verschrieb, sollte dagegen wie all jene, die zur Nacht gehörten, untergehen.

1.2 Constantia und Jes 59,17 Die angeführten Überlegungen zum Zusammenhang zwischen 1 Thess 5,3 und dem Pax-Denar sind alles andere als zwingend. Gestützt werden sie aber durch den zweiten Begriff, weil möglicherweise auch das Schlagwort ἀσφάλεια die Münzprägung unter Claudius aufnahm. Wie gesehen datieren Belege für die Verbindung der beiden Konzepte „Friede“ und „Sicherheit“ überwiegend nach dem Ersten Thessalonicherbrief. Daher legt sich die Annahme, Paulus rekurriere mit ἀσφάλεια auf römische Vorstellungen der securitas, nicht notwendig nahe. Von der Wortbedeutung her, die das Fehlen eines unsicheren (σφαλερός) Untergrundes und folglich den sicheren Stand bezeichnet,33 ist eher an eine Übertragung der lateinischen constantia zu denken. Dafür könnte auch sprechen, dass der Apostel in 1 Thess 5,3 einmalig auf das Verb ἐφίστημι zurückgriff. Das baldige Verderben sollte an jene herantreten, die für sich die ἀσφάλεια in Anspruch nahmen. Wer keinen festen Stand hatte, musste dann zu Fall kommen. Zwar kann constantia auch den Bereich der securitas meinen, die Begriffe können synonym gebraucht werden. Dennoch liegt der Ton bei ihr stärker auf der Wahrung einer 29 Karanastassi/Rausa 1992, I 735. Vgl. dazu auch die Abbildungen auf II 5–6.9–10.12–15.18.48.81b– 85.116.125.127. Zu den Flügeln der Nemesis vgl. neben dem Material bei Karanastassi/Rausa auch Paus. I 33,7. 30 Vgl. App. Lib. 85 sowie Anth. Gr. V 300 [299] (Paulus Silentiarios); XI 326 (Automodon); XII 33 (Meleagros); XII 193 (Straton); XII 229 (Straton); XII 251,3 (Anonym); Catull. 66,71–74; Lucan. V 233; Macr. Sat. I 22. 31 Vgl. etwa Anth. Gr. VII 630 (Antiphilos von Byzanz); Kall. h. 6,56; Plat. leg. IV 717c–d; Soph. El. 792–793.1467; Stat. silv. III 5,5. 32 Vgl. Ov. met. XIV 694. 33 In Phil 3,1 korrespondiert ἀσφαλής entsprechend mit στήκω in Phil 4,1.

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festen Ordnung, bei securitas auf der Sorglosigkeit. Auch für die Verbindung von pax und constantia lassen sich allerdings nur vereinzelt frühe Texte anführen. Ein Beispiel bietet Sallust. „Quod si regum atque imperatorum animi virtus in pace ita ut in bello valeret, aequabilius atque constantius sese res humanae haberent, neque aliud alio ferri neque mutari ac misceri omnia cerneres.“34

Wegen der kargen literarischen Belege für die Verbindung beider Begriffe lässt sich auch bei der Erwähnung der ἀσφάλεια an die zeitgenössische Münzprägung denken. Claudische Asse zeigen auf dem Revers die Tugend Constantia (Abb. 2). Sie tragen auf dem Avers die Legende TI CLAVDIVS CAESAR AVG P M TR P IMP bzw. TI CLAVDIVS CAESAR AVG P M TR P IMP P P.35 Mindestens die aes-Stücke ohne den Titel pater patriae dürften am Beginn der claudischen Regentschaft emittiert worden sein.36 Der Revers-Typus, den Paulus folglich gekannt haben muss, lässt sich verstehen „als das an das Haus und Amt des Augustus gebundene Versprechen der Beständigkeit und unwandelbaren Ordnung des Reichs der Römer […], gerade angesichts der Unsicherheit gegen Ende der Herrschaft Caligulas.“37

Abb. 2: As, Claudius, Staatliche Museen zu Berlin, 18204656 (41–50 n. Chr.; Rom; Av: TI CLAVDIVS CAESAR AVG P M TR P IMP, Kopf des Claudius nach links; Rv: CONSTANTIAE – AVGVSTI, Constantia in Militärtracht frontal stehend, behelmter Kopf nach links. Rechte mit gekrümmtem Zeigefinger nach rechts erhoben, Linke mit Speer. Beiderseits S – C), © Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Dirk Sonnenwald. http:// ikmk.smb.museum/object?id=18204656.

34 Sall. Catil. 2,3: „Wenn aber die Geisteskraft der Könige und Imperatoren im Frieden so stark wäre wie im Krieg, hielten sich die menschlichen Verhältnisse gleichgestalteter und beständiger, weder, dass eines zum anderen kommt, noch, dass alles verändert und vermengt wird, müsste man mit ansehen.“ Text: Sallustius Crispus 2007. 35 Vgl. RIC 95.111. Zu den Edelmetallprägungen mit CONSTANTIA AVGVSTI und anderem Revers-Typus vgl. RIC 2.13–14.31–32.42–43.55–56.65–66. 36 Zur zeitlichen Einordnung der aes-Stücke vgl. Kaenel 1986, 5.220–233, der in kritischer Auseinandersetzung mit Kraay 1952, 53–54, Stücke ohne P P auf das Jahr 41 n. Chr. datiert. 37 Mannsperger 1974, 952.

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Für den Zusammenhang ist von Belang, dass Constantia in Rüstung gezeigt wird. Paulus flankierte erneut die römische Ikonographie mit einem Jesaja-Text. Während er die von Rom propagierte Pax mit einem Gerichtswort kontrastierte, das er in Anlehnung an Jes 66,7 gestaltete, fügte er in 1 Thess 5,8 mit der Einbindung von Glauben, Liebe und der Hoffnung auf Heil in das Bild eines gerüsteten Soldaten eine Anspielung auf Jes 59,17 an. καὶ ἐνεδύσατο δικαιοσύνην ὡς θώρακα καὶ περιέθετο περικεφαλαίαν σωτηρίου ἐπὶ τῆς κεφαλῆς καὶ περιεβάλετο ἱμάτιον ἐκδικήσεως καὶ τὸ περιβόλαιον ὡς ἀνταποδώσων ἀνταπόδοσιν ὄνειδος τοῖς ὑπεναντίοις.38 ἡμεῖς δὲ ἡμέρας ὄντες νήφωμεν ἐνδυσάμενοι θώρακα πίστεως καὶ ἀγάπης καὶ περικεφαλαίαν ἐλπίδα σωτηρίας·39

Auch in diesem Fall könnte eine Münze einen Anlass für die Aufnahme des Jesaja-­ Zitates geboten haben. Paulus zufolge prallten die von Rom erhobenen Ansprüche auf die in der Schrift offenbarte Wirklichkeit. Mit der Adaption von Jes 66,7 kontrastierte er den römischen Friedens- und Vergeltungsanspruch und das zuletzt maßgebliche Gericht des Gottes Israels, der über diejenigen, die selbstgefällig Friede und Stabilität reklamierten, ein plötzliches Verderben bringen würde. Über das Bild aus Jes 59,17 setzte er die Glaubensordnung gegen die Wehrhaftigkeit und Stabilität der römischen Ordnung.40 Wer Jes 59,18 mithörte, konnte auch hier einen Hinweis auf die Rache Gottes vernehmen. Paulus stellte so der Herrschaftslegitimation und dem hegemonialen Anspruch Roms die Prophetie Jesajas entgegen.41 Vielleicht ließ der Apostel beide Aspekte in 1 Thess 5,13–14 erneut anklingen. Vor dem Friedenswunsch am Ende des Briefes, der gemeinsam mit dem das Postskript beschließenden Gnadenwunsch (1 Thess 5,23.28) das χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη aus der salutatio aufnahm (1 Thess 1,1) und so die schon zuvor angesetzte Rahmung (1 Thess 1,2; 5,17–18) beschloss, forderte er die Gemeinde auf, untereinander Frieden zu halten (εἰρηνεύετε ἐν ἑαυτοῖς, 1 Thess 5,13). Die anschließende Ermahnung, diejenigen, die aus dem Glied ausscherten, zur Raison zu bringen (νουθετεῖτε τοὺς ἀτάκτους, 1 Thess 5,14), greift mit ἄτακτος einen Begriff aus dem Bereich des Militärs auf und zieht so die Linien des Bildes aus 1 Thess 5,8 weiter 38 Jes 59,17–18: „Er zog an Gerechtigkeit wie einen Brustpanzer, setzte sich einen Helm aus Rettung auf den Kopf und legte einen Mantel aus Rache um und den Umhang wie einer, der mit Vergeltung eine Schmach den Feinden vergelten wird.“ 39 1 Thess 5,8: „Wir aber, die des Tages sind, wollen nüchtern sein, wir haben angezogen einen Brustpanzer aus Glauben und Liebe, als Helm Hoffnung auf Rettung.“ 40 Míguez 2012, 149, verknüpft die Bildebene direkt mit der Macht des Imperiums: „There are other elements in this passage that seem to refer as a whole to the confrontation with the ideology of Roman power: the use of the opposition light-darkness and the image of Christian armor.“ 41 Sofern man annimmt, dass Paulus die Propaganda Roms, die nicht Israel galt, mit einer Lügenprophetie verglich, wie sie in Jer 6,14–15 oder Ez 13,10–11 (vgl. auch Jes 47,8; Zef 2,15) anklingt, führt von hier ein Weg zum Gegensatz von falscher „Prophetie“ und echter Prophetie.

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aus.42 In der Gemeinde sollte ein wahrhafter Friede herrschen und eine Geschlossenheit, durch die constantia erst möglich wurde.

2. Staatliche Maßnahmen zur Wahrung von pax und constantia Der für Paulus ungewöhnlich deutliche Rekurs auf die römischen Topoi in 1 Thess 5,3 lässt sich leichter erklären, wenn man annimmt, der Apostel habe die den claudischen Reversen entlehnten Programmbegriffe aus einem konkreten Anlass in den Diskurs mit den Gemeinden von Thessalonike und Korinth, wo der Brief geschrieben wurde, eingebracht. Dieser Anlass dürfte in der Vertreibung der Juden aus Rom zu suchen sein, wenn diese von römischer Seite als ordnungspolitische Maßnahme aufgefasst wurde. In einer knappen Auseinandersetzung mit anderen Regelungen des Kaisers, die Juden betrafen, soll dieser Möglichkeit nachgegangen werden.

2.1 Das Edikt aus dem Jahr 41 n. Chr. Die Vertreibung im Jahr 49 n. Chr. war nicht Claudius’ erste gegen die Juden Roms gerichtete Maßnahme. Wenn man eine Information, die sich bei Cassius Dio zum Jahr 41 n. Chr. findet, nicht geradewegs ignorieren oder mit den Angaben bei Suteon (Claud. 25,2) harmonisieren will, kommt man kaum umhin anzunehmen, dass Claudius bereits in seinem ersten Regierungsjahr die Juden in der Hauptstadt mit einem Versammlungsverbot belegt hatte.43 Τούς τε Ἰουδαίους πλεονάσαντας αὖθις, ὥστε χαλεπῶς ἂν ἄνευ ταραχῆς ὑπὸ τοῦ ὄχλου σφῶν τῆς πόλεως εἰρχθῆναι, οὐκ ἐξήλασε μέν, τῷ δὲ δὴ πατρίῳ βίῳ χρωμένους ἐκέλευσε μὴ συναθροίζεσθαι.44

42 Für den Rückbezug auf 1 Thess 5,3 könnte sprechen, dass in 1 Thess 5,14 andere Versatzstücke (τοὺς ὀλιγοψύχους/ἀντέχεσθε/μακροθυμεῖτε) auf Jes 57,13.15 zurückgehen dürften. Auch hier wäre dann römische Topik mit dem Jesajabuch verknüpft. Überlegungen zum Einfluss der Qumran-Schriften auf den Gebrauch von ἄτακτος bei Donfried 2002. 43 Zu Versuchen, die Angaben in Cass. Dio LX 6,6 und Suet. Claud. 25,4 zu harmonisieren vgl. die kritischen Forschungsüberblicke bei Botermann 1996, 114–123, Slingerland 1989 und Slingerland 1997, 97–110. Vgl. außerdem etwa Riesner 1994, 155–159, Álvarez Cineira 1997, 194–197, und Cook 2011, 25–27. 44 Cass. Dio LX 6,6, Text: Cassius Dio 1964–1984.

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Schwierigkeiten bereitet zunächst das Verständnis des Partizipialausdrucks πατρίῳ βίῳ χρωμένους.45 Da Ἰουδαίους wegen der Verbindung von οὐκ/μέν und δέ nicht nur zu ἐξήλασε, sondern auch zu ἐκέλευσε das direkte Objekt bildet, dürfte das Partizip die Ἰουδαίους näher qualifizieren und zwar als solche, die ihren väterlichen Sitten entsprachen, indem sie sich versammelten. Der Text ließe sich dann wie folgt übersetzen: „Den Juden, die sich wieder vermehrt hatten, sodass er sie ohne Unruhe wegen ihrer Menge schwerlich aus der Stadt ausschließen konnte, vertrieb er zwar nicht, aber er befahl ihnen, die darin vom väterlichen Lebenswandel Gebrauch machten, sich nicht zu versammeln.“46 Die Frage, ob es ein Edikt des Claudius für die oikumene oder anderweitig verbriefte Privilegien gab, die den Juden grundsätzlich die Ausübung ihrer spezifischen Gepflogenheiten ermöglichten, wird von der Einlassung nicht unmittelbar berührt.47 Denn die Partizipialwendung muss nicht den Inhalt des Ediktes wiedergeben, das wohl nicht erst durch die Übersetzung ins Griechische überformt wurde.48 Aber selbst wenn der Ausdruck auf das Edikt zurückginge, müsste er nicht notwendig auf eine kaiserliche Verordnung zur Anerkennung jüdischer Sitten Bezug nehmen. Da Helga Botermann das Partizip in das Gebot einbindet,49 in dem Sinn, dass die Juden sich nicht versammeln, gleichwohl oder gar dadurch aber ihrem väterlichen Lebenswandel folgen sollten, erblickt sie in den unterbundenen Zusammenkünften, die dem empfohlenen väterlichen Lebenswandel vermeintlich widersprachen, spezifische Versammlungen, die sie als Hinweise auf eine frühe Agitation christlicher Missionare in Rom wertet.50 Dieses Verständnis wirft allerdings nicht nur die Frage auf, warum nicht zwei Infinitive miteinander verknüpft wurden. Man muss auch unterstellen, Cassius 45 Zur Diskussion vgl. Botermann 1996, 125–127. 46 Der Akkusativ χρωμένους korrespondiert mit Ἰουδαίους und bezieht sich auf das, was die Juden tun, nicht auf das, was sie aufgrund des Gebotes tun sollen. Der Dativ bezeichnet die Sache, derer man sich bedient. Bruce, 1972, 295, übersetzt ähnlich: „he did not directly banish them, but forbade them to gather together in accordance with their ancestral way of life.“ Botermann 1996, 125, lehnt diese Übersetzung als „nicht korrekt“ ab, leider ohne eingehende Besprechung, fügt aber an, die Übersetzung entspreche „der üblichen Bedeutung von χρῆσθαι“, Botermann 1996, 126. Vgl. auch Slingerland 1997, 131–132. 47 Botermann 1996, 127–129, verknüpft die Analyse des Textes dagegen eng mit der Frage nach der Historizität der von den Römern garantierten Ausübung jüdischer Sitten. Im Ergebnis ist ihr zuzustimmen: „Der Kaiser war nicht auf das Thema der jüdischen Privilegien, sondern auf die Belange von Ruhe und Ordnung konzentriert“ (129). Die formale Echtheit der von Josephus angeführten Claudius-Edikte ist zudem mit einigen Zweifeln behaftet, vgl. dazu Hennig 1975, 326–330, außerdem etwa Slingerland 1997, 12–16, oder Schimanowski 2006, 176–182. Diese Edikte werden hier daher nicht für die Analyse der claudischen Religionspolitik gegenüber den Juden ausgewertet. 48 Auch in Cass. Dio LXV 7,2 muss der Hinweis auf die Gebräuche der Juden nicht auf die Verordnung selbst zurückgehen. 49 Vgl. auch die Übersetzung bei Cassius Dio 1964–1984: „As for the Jews, who had again increased so greatly that by reason of their multitude it would have been hard without raising a tumult to bar them from the city, he did not drive them out, but ordered them, while continuing their traditional mode of life, not to hold meetings.“ 50 Vgl. Botermann 1996, 132–140.

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Dio habe so wenig über die jüdischen Gewohnheiten gewusst, dass er annehmen durfte, die Juden könnten den väterlichen Überlieferungen Folge leisten, obwohl oder indem sie sich dem Wortsinn nach nicht versammelten.51 Philo bietet trotz aller rhetorischen Übersteigerung angesichts der durch die Aufstellung von Kaiserstatuen bedrohten Synagogen Alexandrias ein sprechendes Beispiel dafür, wie sehr die Zusammenkünfte der Gemeinden als integraler Bestandteil jüdischen Lebens verstanden wurden, ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei Josephus.52 Sich nicht zu versammeln und so den väterlichen Sitten zu entsprechen hätte für mit der Gemeinde verbundene Juden die Quadratur des Kreises bedeutet.53 Cassius Dio beschrieb mit dem Partizipalausdruck daher nicht ein Gebot des Kaisers, sondern schlicht das Faktum, dass Juden durch das ihnen auferlegte Verbot insofern in besonderer Weise getroffen wurden, als die Versammlungen ihrem althergebrachten Lebenswandel entsprachen. Die Forderung des Ediktes umfasste demnach ausschließlich ein Versammlungsverbot. Eine frühe Ansiedlung von Christus-Anhängern im Rom des Jahres 41 n. Chr. lässt sich zwar nicht grundsätzlich ausschließen, die Informationen in Cass. Dio LX 6,6 geben jedoch keinerlei Hinweis darauf. Fraglich erscheint zudem, ob von Claudius zu diesem Zeitpunkt seiner Regentschaft überhaupt eine andere Maßnahme in Erwägung gezogen wurde. Denn Cassius’ Auseinandersetzung mit der als Alternative beschriebenen Vertreibung (οὐκ ἐξήλασε) verdankt sich nicht zuletzt dem intratextuellen Zusammenhang. Der Historiker setzte die zuvor referierte Vertreibung (ἐξήλασεν) der Juden unter Tiberius voraus. Τῶν τε Ἰουδαίων πολλῶν ἐς τὴν ῾Ρώμην συνελθόντων καὶ συχνοὺς τῶν ἐπιχωρίων ἐς τὰ σφέτερα ἔθη μεθιστάντων, τοὺς πλείονας ἐξήλασεν.54

51 Für ein basales Wissen über das Judentum muss Cassius Dio nicht „als Reichsbeamter […] mit jüdischen Gemeinden befaßt“ (Botermann 1996, 129) gewesen sein. 52 Vgl. Philo Legat. 156–157 (außerdem Philo Somn. II 127; Flacc. 43.53.47; Legat. 311–313.371) sowie exemplarisch Jos. B.J. XIV 214–216. Zur Bedeutung der Synagoge für Philo bzw. Josephus vgl. darüber hinaus Schimanowski 2006, 193–199, und Krause 2017, der zu Recht notiert, dass sich die Bedeutung der Synagoge nicht allein dem Ideal jüdischer Literaten verdankte: „The emphasis on community and practice are again borne out in the material evidence of synagogues that we find from this period. […] This type of construction […] highlights the communal nature of the institution.“ (203). 53 Das deutet auch Botermann 1996, 127, an. Sie setzt aber voraus, dass sich der Hinweis auf die Versammlungen dem Edikt verdanke, was beim herkömmlichen Verständnis zu einem Widerspruch führe. Riesner 1994, 151, meint dagegen, dass der „Synagogengottesdienst […] vor 70 n. Chr. für viele Juden noch kein so unaufgebbarer Bestandteil des jüdischen Lebens“ war. Er kann daher Cass. Dio LX 6,6 wie folgt übersetzen: „Als die Juden wieder so zugenommen hatten, daß es wegen der großen Menge schwierig gewesen wäre, sie ohne Aufruhr aus der Stadt zu verbannen, hat er [Claudius] sie nicht vertrieben, sondern gebot, sich nicht zu versammeln, obwohl sie [sonst] ihr überkommenes Leben weiterführen konnten.“ Vgl. auch Álvarez Cineira 1999, 194.198–199. 54 Cass. Dio LVII 18,5a: „Da in Rom viele Juden zusammengekommen waren und sie zahlreiche der Ansässigen zu ihren Sitten konvertiert hatten, vertrieb er die meisten.“

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Cassius Dio zufolge wurde die Ausweisung unter Tiberius wegen eines verstärkten Zuzugs von Juden nach Rom und dem Missionserfolg der jüdischen Gemeinschaft veranlasst. Von Claudius heißt es sodann, dass er wegen der inzwischen wieder stark angewachsenen Zahl von Juden in Rom schlicht nicht mehr in der Lage war, die gleiche Maßnahme ohne Gefahr für den inneren Frieden durchzusetzen. Der Hinweis auf den Zuwachs erklärte zunächst, dass es trotz der früheren Vertreibung bereits wieder eine größere Gruppe Juden in der Hauptstadt gab. Mit der unterstellten Gefahr eines Aufruhrs, der wegen der Stärke der Gemeinden bei einer Vertreibung angeblich zu befürchten war, begründete der Historiker, warum Claudius im Gegensatz zu Tiberius die offenbar als angemessene Maßnahme eingestufte Vertreibung nicht umsetzte, um Nägel mit Köpfen zu machen. Beide Angaben beziehen sich daher auf den Vermerk zur vorausgehenden Vertreibung. Die jeweilige Akzentuierung eines sich ausbreitenden Judentums dürfte sich deshalb auch dem Darstellungsinteresse des römischen Historikers oder seiner Tradenten verdanken, das anscheinend nicht zuletzt dem kritisch bewerteten Prosperieren der jüdischen Gemeinden in Rom galt.55 Daher wird man sowohl die Begründung für die Ausweisung unter Tiberius als auch den Verzicht auf die angeblich früh angezeigte Vertreibung unter Claudius samt den Ausführungen zur Ursache dieses Verzichts, die den Kaiser angeblich auf die weniger weitreichende Maßnahme des Versammlungsverbotes zurückfallen ließ, mit einem Frage­zeichen versehen dürfen. Für die ausgehende Republik und die Frühe Kaiserzeit lässt sich eine verstärkte jüdische Zuwanderung nach Rom auf der Basis von Philo Legat. 155 plausibel machen.56 Die Annahme, eine Konversionsbewegung größeren Ausmaßes habe den Grund für die Vertreibung unter Tiberius gebildet, scheint historisch allerdings wenig zwingend und lässt sich mit Josephus’ Darstellung kaum vereinbaren. Der jüdische Historiker verfolgte fraglos seinerseits leitende Interessen, nicht zuletzt mit seiner romanesken Schilderung des Isis-Skandals.57 Er stellte die Vorfälle im Kern vielleicht aber gleichwohl sachgerecht dar, als er die Veranlassung einer kleineren Gruppe von Übeltätern zuwies.58 Demnach hätten vier Juden eine Vertreterin der Nobilität, die sich dem Judentum zugewandt hatte, bewogen, den Tempel in Jerusalem finanziell zu unterstützen, die Gelder dann aber veruntreut. Die von Cassius Dio behauptete um sich greifende Zuwendung der Römer zum Judentum unter Tiberius lässt sich daher leicht als Verallgemeinerung dieses oder eines vergleichbaren Vorgangs begreifen, eine Verallgemeinerung, die das Bild von einer unkontrollierten Ausbreitung des Judentums vermittelte. Ähnlich dürfte es sich mit den Angaben zu Claudius’ Maßnahme verhalten. Man muss ein Erstarken der 55 Vgl. auch die Darstellung in Cass. Dio LXVIII 32,1–3. Bemerkenswert ist das weitreichende Schweigen über die Christen. Cass. Dio LXX 3,1–2; LXXII 9,3–6; LXXIII 4,6 sind dem Historiker nicht zuzurechnen. 56 Zur jüdischen Bevölkerung Roms vgl. etwa Lampe 1989, 26–28.66–67.367–368. 57 Vgl. etwa Moehring 1959, 302–304. 58 Vgl. Jos. A.J. XVIII 81–84, außerdem Philo Legat. 161.

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Gemeinden nach der ersten Ausweisung aus der Stadt bis zum Beginn der claudischen Regentschaft nicht ausschließen. Cassius Dio setzt ausdrücklich nicht voraus, dass unter Tiberius alle Juden die Stadt verlassen mussten. Die Behauptung, die Mehrheit von ihnen wäre von der Maßnahme betroffen gewesen, mag schon eine Übertreibung sein. Sueton zufolge wurden für Zuwiderhandlungen allerdings strenge Strafen angedroht.59 Die Ausweisung dürfte das öffentliche Leben von Juden in Rom nachhaltig beeinträchtigt haben. Davon muss man zumindest ausgehen, wenn man einer Notiz bei Seneca Glauben schenkt, der zufolge Seneca Maior seinen Sohn rügte, weil dieser unter pythagoreischem Einfluss auf den Verzehr von Fleisch verzichtete und sich so der Gefahr aussetzte, den verfolgten ausländischen Religionen, gemeint war das Judentum mit seiner Abscheu gegenüber Schweinefleisch, zugerechnet zu werden. Seneca betonte zwar ausdrücklich, der Vater habe keine Verleumdung (calumnia) gefürchtet, sondern die Sorge schlicht vorgeschoben, weil er die Philosophie gehasst habe.60 Dabei dürfte es dem Sohn aber vorrangig darum gegangen sein, den Ruhm des Vaters, der als Rhetor und erfolgreicher Verteidiger angesehen war, nicht zu schmälern. Hätte grundsätzlich keinerlei Gefahr einer Verleumdung bestanden, wäre das dem Vater unterstellte vorgeschobene Argument absurd gewesen. Man darf mit einer namhaften Vertreibung jüdischer Bewohner Roms unter Tiberius rechnen, die eine später verstärkte Zuwanderung plausibel macht. Die Annahme, der Zuwachs sei so umfassend gewesen, dass eine Vertreibung nicht mehr möglich war, scheint dagegen abwegig. Selbst wenn man ein starkes Florieren der jüdischen Gemeinden im Rom der frühen Kaiserzeit unterstellt, bleibt unter der Voraussetzung der Angaben in Cass. Dio LX 6,6 zumindest erklärungsbedürftig, warum Claudius die Vertreibung im neunten Jahr seiner Regierung durchführen konnte, eine Frage, die auch Cassius Dio beantworten musste, sofern er die spätere Vertreibung erwähnte. Da dieser Teil des Werkes nur als Exzerpt vorliegt und Tacitus über die Maßnahme schweigt, sind wir auf römischer Seite auf Sueton angewiesen. „Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit.“61

Vielleicht muss man konzedieren, dass der Kaiser, der als von den Prätorianern gestützte Verlegenheitslösung gelten konnte, in seinem ersten Regierungsjahr noch nicht über den Rückhalt für eine solch einschneidende Maßnahme verfügte. Damit überschätzt man möglicherweise aber den Einfluss der jüdischen Gemeinden, die wohl vorrangig aus Sklaven und Freigelassenen hervorgegangen

59 Vgl. Suet. Tib. 36. Tacitus erwähnt eine Frist für die Abkehr vom jüdischen Lebenswandel, vgl. Tac. ann. II 85,4. 60 Vgl. Sen. epist. 108,22–23. 61 Suet. Claud. 25,4: „Die Juden, die auf Veranlassung des Chrestos ständig Tumulte erregten, vertrieb er aus Rom.“

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waren,62 und ihre Bedeutung im politischen Machtgefüge zu Beginn der neuen Regentschaft. Man mag an Agrippa I. als Fürsprecher denken. Josephus beschreibt seinen Einfluss auf Claudius nicht zuletzt im Zusammenhang mit den neuerlichen Unruhen in Alexandria.63 Der jüdische Klientelkönig könnte folglich auch frühzeitig einer Vertreibung aus Rom entgegengewirkt haben. In diesem Fall hätte aber gerade nicht die schlichte Menge der Juden in Rom den Ausschlag gegeben. Der unter anderem von Botermann beschrittene Weg, „impulsore Chresto assidue tumultuantis“ als Definition einer kleinen Teilgruppe zu verstehen, nämlich jener Juden, die sich an den Tumulten beteiligten, hat vordergründig einen Anhaltspunkt in einer syntaktisch vergleichbaren Aussage über die Juden und ihre Auffassung der alten Voraussage eines Herrschers aus dem Osten (Suet. Vesp. 4,5). Sueton wusste natürlich, dass nicht das gesamte jüdische Volk am Aufstand beteiligt war, wie auch nicht das gesamte jüdische Volk der erwähnten Interpretation des Orakels folgte. Aber es ging ihm im einen wie im anderen Fall wohl nicht um eine spezifische jüdische Teilgruppe, sondern um „die Juden“ in Abgrenzung zu anderen religiösen oder ethnischen Gruppierungen.64 Er sprach daher auch von der Vertreibung „der Juden“ aus Rom. Das impliziert nicht notwendig, dass eine systematische Ausweisung aller jüdischen Einwohner durchgeführt wurde. Die Stadt verlassen mussten vielleicht nur die führenden Köpfe oder „Rädelsführer“ einer oder beider verfeindeter Gruppen, zu denen dann auch Priska und Aquila gehört hätten. Es ist den Quellen aber nicht zu entnehmen, dass sich Claudius im Jahr 49 n. Chr. wegen einer gescheiterten Ausweisung acht Jahre zuvor mit einer kleinen Vertreibung begnügt hätte. Wenn man davon ausgehen darf, dass Claudius schon zu Beginn seiner Regentschaft eine Ausweisung der Juden durchsetzen konnte, reflektiert die Anmerkung zu einem möglichen Aufruhr (Cass. Dio LX 6,6) vorrangig den Unterschied zwischen der vermeintlich sinnvollen Vertreibung unter Tiberius und der bloßen Belegung mit dem Versammlungsverbot. Cassius Dio setzte die Vertreibung als Standard voraus. Einen Anhaltspunkt in der Historie muss die angeblich verworfene Maßnahme daher nicht haben. Der sich anschließende Hinweis, Claudius habe die von Gaius gestatteten hetaeriae respektive die collegia untersagt,65 führt zu der Frage, ob es überhaupt einen konkreten Anlass von jüdischer Seite gab oder ob der Text lediglich andeu-

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Vgl. Philo Legat. 155. Vgl. Jos. A.J. XVIII 165; XIX 236–246.264–266.274–275.277.361 sowie A.J. XIX 277–292.361. Vgl. dazu auch Slingerland 1997, 153–156. Cass. Dio LX 6,6: τάς τε ἑταιρείας ἐπαναχθείσας ὑπὸ τοῦ Γαΐου διέλυσε. Vgl. dazu Lüdemann 1980–1983, I 186, der den historischen Kern der von Cassius Dio vorgestellten Zusammenhänge darin vermutet, dass „einer Synagoge das Vereinsrecht entzogen wurde“ (Anm. 67). Lüdemann identifiziert allerdings beide claudischen Maßnahmen miteinander (186–195), vgl. dazu auch Lüdemann 1991, 292–293.

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tet, dass auch Juden von den Maßnahmen getroffen wurden, aufgrund ihrer Tradition in besonderer Weise. Für die Annahme, schon das Edikt aus dem Jahre 41 n. Chr. sei gezielt gegen Juden in Rom gerichtet gewesen, spricht aber die zugleich referierte Möglichkeit der Vertreibung, obschon diese historisch wohl keinen unmittelbaren Anhaltspunkt hat. Wären die Juden nämlich nur Opfer eines allgemeinen Verbotes, ein collegium zu besuchen, geworden, hätten sie kaum eigens Erwähnung gefunden. Die Darstellung macht folglich deutlich, dass man mit dem Versammlungsverbot versuchte, einer durch die jüdischen Gemeinden entstandenen Herausforderung zu begegnen. Sie bewahrte die Erinnerung daran, dass Claudius schon in seinem ersten Regierungsjahr ein Versammlungsverbot erließ, das sich ausdrücklich gegen die Juden richtete und implizit die althergebrachten Zusammenkünfte der Gemeinden infrage stellte. Mehr ist Cass. Dio LX 6,6 aber wohl auch nicht zu entnehmen.66

2.2 Claudius’ Brief an die Stadt Alexandria Der Brief des Kaisers Claudius an die Stadt Alexandria steht noch unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen zwischen Juden und Griechen in der Provinz Aegyptus während Gaius’ Regentschaft.67 Das Edikt des L. Aemilius Rectus, das die Publikation des Texts anordnete,68 datiert vom 14. Neos Sebastos (10. November) 41 n. Chr. und stammt folglich wie die Anweisung des über die Juden Roms verhängten Versammlungsverbotes aus dem ersten Regierungsjahr. Zunächst sei angemerkt, dass sich die unterschiedlichen Bestimmungen des Schreibens zwar den von der Gesandtschaft überbrachten Anfragen anlässlich des dies imperii verdanken, die kritische Situation in der Stadt aber auch dort berühren konnten, wo sie die Auseinandersetzungen nicht ausdrücklich thematisierten. Wenn wir Philo soweit folgen dürfen, war der zentrale Auslöser für den Pogrom in Alexandria das Ansinnen der griechischen Bevölkerung, in den Synagogen Alexandrias Statuen des Gaius aufstellen zu lassen (Flacc. 41–42; Legat. 134–137), was aus Sicht der jüdischen Bevölkerung einem Frevel gleichkam.69 Nach der Machtübernahme positionierte sich Alexandria wie viele andere Städte in den Provinzen im Gegenüber zum neuen Kaiser. Schnell wurde deutlich, dass dieser Prinzeps auf Ehrenerweise gesteigerten Wert legte. Einzelne Akteure erwarteten offenbar von allen Mitgliedern der Gesellschaft ein gleichartiges Engagement beim Wetteifern

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Vgl. auch Slingerland 1997, 131–133. Zum Brief als Reaktion auf die Kontroversen in Alexandria vgl. auch Schimanowski 2006, 165–175. P. Lond. 1912 (= CPJ 153). Der Text folgt Tcherikover/Fuks/Stern 1957–1964. Vgl. dazu auch Ritter 2015, 133–135.

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der Städte um die Gunst des Kaisers, auch von den Juden.70 Agrippas Stippvisite in Alexandria dürfte die Situation insofern eskaliert haben, als sie die Frage nach der Loyalität der Juden gegenüber der Stadt aufwarf – zumal der König beste Beziehungen zu Gaius hatte (Philo Flacc. 26–40). Alexandrinische Juden nutzten nämlich die Gelegenheit, um Agrippa die Bitte vorzutragen, er möge ihre Sache in Rom vertreten (Philo Flacc. 103; Legat. 179). Die Überbietung in Gunsterweisen gegenüber dem Kaiser verlor nach Gaius’ Ableben an Bedeutung. Claudius nahm die ihm von der Stadt Alexandria angetragenen Ehrungen zwar fast alle an, ließ aber zumindest der Form halber durchschimmern, dass ihm an übertriebenen Zuwendungen nicht gelegen war. Da er seine Zurückhaltung vor allem mit Blick auf die goldene Statue der Pax Augusta Claudiana (Z. 35) betonte, ist man versucht zu fragen, in welcher Beziehung die Statue und die vom Kaiser angedeutete Möglichkeit, sich damit zu überheben (ἀρνουμένου μου διὰ φορτικότε[ρο]ς δ[οκ]εῖ[ν], Z. 36–37), zum oben angeführten Nemesis-Denar standen. In diesem Vermerk erschöpft sich die zurückhaltende Annahme der Claudius angetragenen Ehrungen (Z. 28–48) allerdings nicht; und auch wenn sich der Ton der Kanzleisprache verdankte, dokumentierte die vor allem zu Beginn des Briefes zur Schau getragene modestia des Kaisers doch, dass er sich von seinem Vorgänger abhob und Fragen der Verehrung keinen Disput in der Bürgerschaft Alexandrias rechtfertigten. Ausdrücklich untersagte er die Einrichtung eines Kultes (ἀρχ{ι}ιερέα δ᾽ ἐμὸν καὶ ναῶν κατασκευὰς παρετοῦμε, Z. 48) zugunsten seiner Person, weil diese Ehrung für alle Zeiten den Göttern vorbehalten bleiben müsse (Z. 48–51). Gerade diese Ewigkeitsgarantie konnte als Anfrage an Gaius’ Religionspolitik gewertet werden. Wo Claudius den Juden die gewohnte Verehrung ihres Gottes zusicherte, bezog er sich ausdrücklich nur auf Augustus (Z. 85–88), nicht wie anderen Orts auch auf die Kaiser oder Herrscher vor ihm (vgl. Z. 23.58.62– 63). Auch das lässt sich als Distanzierung werten.

70 Dieses Szenario hat vermutlich einen Niederschlag in Philo Legat. 137 und Jos. A.J. XVIII 257– 258 gefunden. Vgl. aber McLaren 2005, 262–263. Gambetti 2009, 167–171, geht wegen der Zusammenkunft der Alexandriner im Theater (Philo Flacc. 41) sowie analoger Vorgänge in Jamnia (Philo Legat. 200–203) und bei der Auseinandersetzung mit dem parthischen König Artabanus (Cass. Dio LIX 27,3) von einer offiziellen Anordnung zur Verehrung des Kaisers aus, für deren Begründung sie auch die regionale Münzprägung heranzieht. Philo Legat. 201 setzt allerdings eine Eigeninitiative der Stadt Jamnia voraus; vgl. auch Pucci Ben Zeev 2012, 373. Die römische Reaktion auf den Vertragsbruch des parthischen Königs ist politisch etwas anders gelagert. Das vergleichbare Verfahren zur Loyalitätsbekundung während der Christenprozesse des Plinius („cum praeeunte me deos adpellarent et imagini tuae, quam propter hoc iusseram cum simulacris numinum adferri, ture ac uino supplicarent“, Plin. epist. X 96,5) mahnt, auch wenn dieses vom Kaiser modifiziert wurde („id est supplicando dis nostris“, Plin. epist. X 97), zur Vorsicht bei dem Versuch, die Hinzuziehung eines Kaiserbildes für die offizielle Vergöttlichung auszuwerten. Text: Plinius Caecilius Secundus 1966.

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Unter Gaius endeten die Differenzen über die angemessene Verehrung in einem Pogrom, der freilich vorrangig auf Ressentiments basierte und diese mit entfesselter Gewalt bediente. Juden wurden von Teilen der griechischen Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen. Auch die Entscheidung, der zufolge die von Freien geborenen ephebi das Bürgerrecht erhielten (Z. 52–57), betraf daher die Balance von griechischen und jüdischen Bevölkerungsanteilen in Alexandria.71 Das gilt mittelbar auch für die Bestätigung der Amtszeitbegrenzung, welche die ἄρχοντες der Stadt zu einer soliden Amtsführung anhielt (Z. 62–66), und das Gesuch, eine βουλή errichten zu dürfen, eine Entscheidung, die Claudius als Neuerung vertagte (Z. 66–72). Lediglich die Regelungen über die Wahl der νεωκόροι für den Tempel des Divus Augustus (Z. 60–62) berührten das Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsteile allenfalls rudimentär. Hinsichtlich der Konflikte in Alexandria ließ der Kaiser keinen Zweifel daran, dass der Aufruhr (ταραχή und στάσις), den er als „Krieg“ brandmarkte, nicht von Juden angezettelt worden war, es war keine Auseinandersetzung, die von beiden Seiten ausging: τῆς δὲ πρὸς ᾽Ιουδαίους ταραχῆς καὶ στάσεως, μᾶλλον δ᾽ εἰ χρὴ τὸ ἀληθὲς εἰπεῖν τοῦ πολέμου (Z. 73–74). Darüber hinaus stellte er fest, dass das Aufkeimen einer erneuten Auseinandersetzung (Z. 78) nicht auf Juden zurückging.72 Claudius war gleichwohl an einem Ausgleich interessiert und sprach beide Gruppen in ähnlicher Weise an. Er sicherte Griechen wie Juden die jeweils von Augustus gewährten Rechte zu.73 Beiden Parteien drohte er an, dass sie mit Konsequenzen zu rechnen hätten, sofern sie den erlangten Status quo infrage stellen sollten.74 Von den Juden erwartete Claudius insbesondere, dass sie nicht danach strebten, ihre Stellung in Alexandria zu verbessern. Dazu gehörte auch, von jedem Versuch Abstand zu nehmen, durch den Zuzug weiterer Juden aus anderen Regionen den Einfluss in der Bürgerschaft zu verstärken. Denn eine solche Entwicklung konnte den fragilen Frieden zwischen Griechen und Juden infrage stellen. Die Drohung gegen die Juden für den Fall der Nichtbefolgung klingt vor dem Hintergrund der Topoi eines späteren Antisemitismus alarmierend: εἰ δὲ μή, πάντα τρόπον αὐτοὺς ἐπεξελεύσομαι καθάπερ κοινήν τεινα τῆς οἰκουμένης νόσον ἐξεγείροντας.75 Der Vergleich zielt allerdings nicht auf die Juden oder das Judentum ab, sondern auf die Vernetzung der alexandrinischen Juden mit sol71 Vgl. dazu den Überblick bei Álvarez Cineira 1999, 177–183. 72 Mit τὴν ὀλέθριον ὀργὴν ταύτην (Z. 79–89) nahm der Kaiser κατὰ τῶν πάλειν ἀρξαμένων ὀργήν (Z. 78) auf. Mit der erneut angefachten ὀργή korrespondierte jedoch ἡγεμὼν φιλάνθροπος εἰς ὀργὴν δικαίαν μεταβεβλημένος (Z. 81). Die Reaktion des Kaisers drohte jenen, die sich gegenüber den Juden nicht πραέως καὶ φιλανθρόπως (Z. 83) verhielten, also von der kaiserlichen Philanthropie absahen (vgl. auch Z. 55). Diese war jedoch von allen Parteien in Alexandria gefordert (μετὰ πραότητος καὶ φιλανθροπείας τῆς πρὸς ἀλλήλους, Z. 101–102). 73 Z. 59: ὡς καὶ ὁ θεὸς Σεβαστὸς ἐβεβαίωσε. Z. 87–88: ἐπὶ τοῦ θεοῦ Σεβαστοῦ, ἅπερ καὶ ἐγὼμι διακούσας ἀμφοτέρων ἐβεβαίωσα. 74 Vgl. Z. 79–82 und Z. 98–100. 75 Z. 98–99: „Wenn aber nicht, werde ich auf jede Weise gegen sie vorgehen, wie wenn sie eine allgemeine, über den Erdkreis ausgespannte Krankheit erwecken.“

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chen aus anderen Regionen, insbesondere aus der Umgebung Alexandrias und dem Mutterland Israel, also aus der Provinz Syrien. Claudius verstand Juden als Angehörige eines anderen Volkes, die wegen der Dauer ihrer Ansiedlung Rechte genossen. Der Zuzug weiterer Juden aus anderen Regionen hätte den Konflikt aus Sicht des Kaisers aber nicht nur in Alexandria verschärfen, sondern auch in andere Gegenden der Welt tragen können. Die angesprochene Krankheit bezeichnete daher nicht die Juden, sondern mit Blick auf die oikumene Streitigkeiten, die entfacht wurden, wo angestammte Verhältnisse aus dem Gleichgewicht gerieten, weil Konflikte nicht regional begrenzt wurden. In dieser Sorge berührt sich der Brief möglicherweise mit dem für Rom erlassenen Edikt aus dem Jahr 41 n. Chr.76 Wenn man für die Hauptstadt andere Voraussetzungen zugrunde legt, lässt sich die römische Maßnahme nämlich als Reaktion auf die Ereignisse in Alexandria plausibel machen. Dort sicherte Claudius nach dem Pogrom beiden Parteien ihre Rechte zu. Das bedeutete für Juden, dass sie sich nach ihrer Gewohnheit versammeln konnten. In Rom musste es dagegen darum gehen, Zustände, wie sie Alexandria gesehen hatte, zu vermeiden. Wäre es in der Hauptstadt zu einer Konfrontation gekommen, hätte sich ein Aufstand vielleicht nur schwer eindämmen lassen. In diesem Zusammenhang mag die Größe der Gemeinde eine Rolle für Überlegungen des Kaisers gespielt haben, die mittelbar zur Darstellung in Cass. Dio LX 6,6 geführt haben können.77 Eine Vertreibung schien zum Zeitpunkt des Ediktes aber vermutlich gar nicht geboten. Auslöser des Pogroms in Alexandria war eine Infragestellung der jüdischen Versammlungsorte gewesen. An diesem Punkt setzte vermutlich die für Rom beschlossene Maßnahme an: Claudius untersagte den inzwischen wieder angewachsenen jüdischen Gemeinden das Recht, in Synagogen zusammenzukommen. Ein Versammlungsverbot dürfte zwar mindestens einige Juden aufgebracht haben, wenngleich es vielleicht nur zeitweilig gelten sollte und ähnliche Verfügungen auch andere Vereinigungen trafen. Solche Proteste waren aber weniger gravierend als eine Eskalation wie in Alexandria, die sich am Streit um die jüdischen Synagogen entzündet hatte.

76 Mit Blick auf Alexandria finden wir bei Claudius eine Befürchtung belegt, die Cassius Dio zufolge in Rom bereits unter Tiberius virulent war. Zur Absicherung von Dio LVII 18,5a lässt sich der Brief aber nicht heranziehen. Eher bot dieser einen Ansatzpunkt für spätere Darstellungen. Philo zufolge war die Ausbreitung der στάσις Flaccus anzulasten (Flacc. 43–47). Die Juden verbreiteten dagegen von Jerusalem aus das Gute über die Welt, das Gaius ihnen zunächst zuteilwerden ließ (Legat. 281–283). 77 Nebeneffekt einer Vertreibung der Juden aus Rom wäre eine Verschiebung der Bevölkerungsanteile in den Städten und Provinzen gewesen. Doch ἄνευ ταραχῆς (Cass. Dio LX 6,6) lässt sich ohne weitere Qualifizierung kaum auf andere Orte beziehen. Erwogen wurden Cassius Dio zufolge angeblich Tumulte in Rom.

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2.3 Paulus’ Reaktion auf römische Ordnungspolitik im Jahr 49 n. Chr. In Alexandria wollte der Kaiser „Ruhe und Ordnung“78. Genau darin dürfte aber auch das Ansinnen zu suchen sein, dass das erste Edikt gegen die Juden in Rom veranlasste, mit dem Unterschied, dass es als Prophylaxe fungierte,79 die als vorübergehende Maßnahme sogar von Agrippa I. goutiert worden sein könnte. Claudius schloss die Synagogen, um einem Aufruhr wegen der Versammlungen in den Synagogen den Boden zu entziehen, das umso mehr, als im gleichen Jahr in Rom konkurrierende Delegationen der Juden und Griechen aus Alexandria auftraten.80 Obwohl er selbst in Fragen der Ehrerbietung einen anderen Weg beschritt als sein Vorgänger, wollte er in Rom eine nicht grundsätzlich auszuschließende Auseinandersetzung wie jene in Alexandria tunlichst vermeiden. Der nach Alexandria gerichtete Brief dokumentiert zumindest die Sorge, der Konflikt könne sich über den Erdkreis ausbreiten (Z. 100). Claudius versuchte daher, Brennpunkte zu entschärfen, indem er die Juden mit einem Versammlungsverbot belegte, obwohl er damit gegen die Vätersitten der Juden vorging. Indem Claudius die collegia verbot, unterband er zu Beginn seiner Regentschaft politische Agitationen. Durch eine spezifische Aufhebung der Synagogengemeinschaften bedachte er die Juden mit einer besonderen Aufmerksamkeit, die sich den Ausschreitungen in Alexandria verdankte. Die Zwecksetzung des Ediktes lag ordnungspolitisch auf einer Linie mit der Vertreibung der Juden unter Tiberius, wenngleich diese offenbar eine konkrete Ursache hatte. In diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung von Interesse, die Philo hinterlassen hat. ἔγνω γάρ, εὐθέως ἔγνω μετὰ τὴν ἐκείνου τελευτήν, ὅτι τὰ κατηγορηθέντα τῶν ᾠκηκότων τὴν Ῥώμην Ἰουδαίων ψευδεῖς ἦσαν διαβολαί, πλάσματα Σηιανοῦ τὸ ἔθνος ἀναρπάσαι θέλοντος, ὅπερ ἢ μόνον ἢ μάλιστα ᾔδει βουλαῖς ἀνοσίοις καὶ πράξεσιν ἀντιβησόμενον ὑπὲρ τοῦ παρασπονδηθῆναι κινδυνεύσαντος αὐτοκράτορος. καὶ τοῖς πανταχόσε χειροτονουμένοις ὑπάρχοις ἐπέσκηψε παρηγορῆσαι μὲν τοὺς κατὰ πόλεις τῶν ἀπὸ τοῦ ἔθνους, ὡς οὐκ εἰς πάντας προβάσης τῆς ἐπεξελεύσεως, ἀλλ᾽ ἐπὶ μόνους τοὺς αἰτίους – ὀλίγοι δὲ ἦσαν –,

78 Botermann 1996, 113, vgl. auch Botermann 1996, 131, sowie Schimanowski 2006, 169. 172–174. 79 Ähnlich schon Álvarez Cineira 1997, 268–269. Für Slingerland 1997, 147–150, besteht der Zusammenhang zwischen Rom und Alexandria dagegen in der Judenfeindschaft des Kaisers. 80 So mit anderer Akzentsetzung auch Álvarez Cineira 1997, 200, der jedoch strikt zwischen der Synagogenversammlung und politischen Zusammenrottungen unterscheidet. Ob das die Perspektive Roms abbildete, scheint fraglich. Jede Versammlung konnte in eine politische Agitation umschlagen, das galt zumindest unter Trajan, der sogar eine Vereinigung zur Feuerbekämpfung ablehnte (Plin. epist. X 33; 34). Ausnahmen waren möglich, aber nicht gern gesehen (Plin. epist. X 92; 93). Die sonntäglichen Versammlungen der Christen waren von dem Verbot ebenfalls betroffen (Plin. epist. X 96,7). Auch zu Claudius’ Zeiten dürfte ein Versammlungsverbot dort, wo es über eine bestimmte Vereinigung verhängt wurde, umfassend gewesen sein.

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κινῆσαι δὲ μηδὲν τῶν ἐξ ἔθους, ἀλλὰ καὶ παρακαταθήκην ἔχειν τούς τε ἄνδρας ὡς εἰρηνικοὺς τὰς φύσεις καὶ τὰ νόμιμα ὡς ἀλείφοντα πρὸς εὐστάθειαν.81

Im Bemühen, die Verantwortung des Kaisers für die Vertreibung zu nivellieren, erklärte Philo nicht nur, Tiberius habe seinen Fehler nach dem Tod des Seianus sogleich erkannt, womit er andeutete, das Edikt sei noch zu Lebzeiten des Kaisers aufgehoben worden. Er behauptete auch, Tiberius habe zuvor seine Administration angewiesen, die friedliche Natur (ὡς εἰρηνικοὺς τὰς φύσεις, Legat. 161) der Juden und die Stabilität sichernde Funktion (ὡς ἀλείφοντα πρὸς εὐστάθειαν, Legat. 161) ihrer Gesetze zu würdigen. Dieses angebliche Lob kontrastierte Philo zufolge nun aber gerade das Verhalten derjenigen, gegen die man vorging, insbesondere in Rom, wo das Verhalten einzelner eine Vertreibung ausgelöst hatte. Auch an anderer Stelle betonte der jüdische Philosoph nicht nur Tiberius’ Wertschätzung des Judentums, sondern auch das Interesse des Kaisers an einer stabilen Ordnung. Als dieser Pilatus anwies, die in Jerusalem aufgehängten Schilde zu entfernen (Legat. 305), reagierte er auf eine Situation, die in der Darstellung der Legatio ad Gaium einen kriegsähnlichen Aufstand der Juden und des Friedens Ende heraufbeschwor.82 Dabei stellte Philo Tiberius in die Tradition des Augustus, der nicht nur einen Frieden zu Land und zu Wasser (Legat. 309) durchgesetzt, sondern auch die Statthalter der Provinzen Asiens angewiesen hatte, das Versammlungsrecht der Juden zu wahren (Legat. 311). Deren Zusammenkünfte seien nämlich keine Versammlungen zum Aufruhr, die den Frieden störten: μὴ γὰρ εἶναι ταῦτα συνόδους […] ἐπισυστάσας, ὡς λυμαίνεσθαι τὰ τῆς εἰρήνης, Legat. 312). Philo dürfte die Legatio ad Gaium, die nach Claudius’ Amtsantritt fertiggestellt wurde (Legat. 206), nicht nur mit Blick auf den Brief des Kaisers nach Alexandria verfasst haben, sondern auch unter dem Eindruck des über die Juden Roms verhängten Versammlungsverbotes.83 Er machte Augustus zum Vorbild, an dem er nicht nur Gaius, sondern auch Claudius maß. Denn in Legat. 155–158 rückte er anscheinend die antijüdischen Maßnahmen dreier Kaiser in Relation zu Augus81 Philo Legat. 160–161: „Denn der Kaiser erkannte, und zwar sofort nach Seians Tod, daß die Anklagen gegen die jüdischen Bewohner Roms falsche Verleumdungen waren, Erfindungen Seians, der das Volk vertilgen wollte. Von ihm gerade wusste er, es würde sich als einziges oder als erstes ruchlosen Anschlägen und Unternehmungen widersetzen, an der Seite des Kaisers, sollte er das Opfer eines Verrats werden. Und den allerorts eingesetzten Regierungsbeamten trug Tiberius auf, die Juden in den Städten zu beruhigen, die gerichtlichen Maßnahmen würden sich nicht gegen alle, sondern nur allein gegen die Schuldigen richten, eine geringe Minderheit. Dagegen sollten sie nicht an den überlieferten Einrichtungen rütteln, sondern zweierlei als Garantie nehmen, den jüdischen Menschen als von Natur aus friedfertigen und seine Vorschriften, die ihn zu Ruhe und Ordnung anhalten.“ Text: Philon von Alexandria 1962–1963, Übersetzung: Philo von Alexandria I–VI: 2. Aufl. 1962, VII: 1964. 82 Philo Legat. 301: „μὴ στασίαζε, μὴ πολεμοποίει, μὴ κατάλυε τὴν εἰρήνην […]“. Vgl. auch Philo Flacc. 94. 83 Einem Mann wie Philo, der über beste politische Kontakte verfügte und an einer Gesandtschaft nach Rom teilgenommen hatte, dürfte das Edikt, das Claudius zur Unterbindung der Versammlungsfreiheit in der Hauptstadt erlassen hatte, fraglos bekannt gewesen sein.

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tus’ Vorgehen. Es war Tiberius, der Juden aus Rom vertrieben hatte, auch wenn er im Verlauf der Darstellung entlastetet wurde. Der Entzug des Bürgerrechts spielt möglicherweise auf die lex Junia Norbana an, mit der freigelassenen Juden das Bürgerrecht verwehrt werden konnte.84 Gaius hatte mit den Plänen, im Jerusalemer Tempel eine Statue aufzustellen, den Zugriff auf die Synagogen in Alexandria sanktioniert und den Juden ihre Rechte innerhalb der Stadt entzogen. Aber es war Claudius, der ein förmliches Versammlungsverbot gegen die Juden erlassen hatte. Der Vergleich der späteren Kaiser mit Augustus und die Aufzählung unnötiger, verfehlter Maßnahmen mündet im Hinweis auf Tiberius’ angebliche Wertschätzung der Juden als eines dem Frieden und der Stabilität zugeneigten Volkes (Philo Legat. 161). Die Kombination der Schlagworte εὐστάθεια und εἰρήνη bzw. εἰρηνικός oder εἰρηναῖος gehört zu Philos bevorzugtem Sprachgebrauch. Die Begriffskombination spiegelt ein konkretes Konzept wieder: Die Paarung steht in Zusammenhang mit der στάσις bzw. ἀπόστασις,85 der ταραχή oder dem θόρυβος,86 also all dem, was sich einem Aufruhr in der Bürgerschaft zuordnen ließ. Sie steht außerdem im Gegensatz zum Krieg, der auch gegen Mitbürger gerichtet sein kann.87 Wo die Begriffsverbindung auf den äußeren Feind bezogen ist, wird der Zuzug in eine andere Gesellschaft angesprochen.88 In Flacc. 184 steht die Paarung im Kontext der Verbannung. Die Häufung der Begriffskombination macht zwar deutlich, dass die beiden Schlagworte für Philo nicht notwendig wie in Legat. 161 in unmittelbarer Relation zu einer Vertreibung standen. Sie zeigt aber, dass vergleichbare Konzepte sich nicht nur auf die allgemeine Friedensordnung der pax Romana beziehen müssen. Denn Philo kontrastierte εἰρήνη und εὐστάθεια zuvorderst mit der στάσις. Im Gegensatz zum Versammlungsverbot des Jahres 41 n. Chr. bildeten 49 n. Chr. offenbar Unruhen in den Reihen der Juden den Anlass für eine Intervention. Suetons Bemerkung, dass diese „Tumulte“ von Dauer waren („assidue tumultuantis“) muss nicht auf einen Vorfall acht Jahre zuvor bezogen sein. Der Biograph stellte schlicht fest, dass es sich nicht um einen einmaligen Vorgang handelte; die Gemeinde kam nicht zur Ruhe. Die konkreten Ursachen für die Vertreibung 49 n. Chr. können hier nicht verhandelt werden. Sie verdankte sich der Agitation christlicher Juden in Rom.89 Aber auch in diesem Fall ging es Claudius 84 Vgl. Lampe 1989, 67. Jedenfalls wird das Bürgerrecht in Philo Legat. 155 überhaupt nur mit Blick auf Legat. 161 aufgenommen. 85 Vgl. Philo Somn. II 166; Jos. 57; Flacc. 135; Legat. 113 bzw. Flacc. 94. 86 Vgl. Philo Somn. II 166; Legat. 90.113 und Flacc. 135; Legat. 90. 87 Vgl. Philo Post. 118; Conf. 132; Somn. II 166, außerdem Conf. 43. 88 Vgl. Philo Her. 289; Jos. 167. 89 Zum Handschriftenbefund, der keinen Raum für die Lesart „Christo“ statt „Chresto“ lässt, vgl. Boman 2011. Zur Interpretation des „impulsore Chresto“ als uninformierte Bezugnahme auf Christus vgl. etwa Botermann 1996, 57–102, außerdem Riesner 1994, 139–148, Álvarez Cineira 1997, 201–205. Slingerland 1997, 167, liest dagegen „Chrestus caused Claudius to expel from Rome the continuously rebelling Jews“ und schließt einen Bezug auf die Christen Roms damit aus.

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darum, Ruhe und Ordnung zu wahren, das heißt Friede und Stabilität, pax und constantia. David Álvarez Cineira fasst die politische Absicht konzise zusammen: „El emperador, con las medidas tomadas contra los judíos, se mantiene dentro de las coordenadas de su política religiosa y de las de su modelo Augusto: intento de revivir los antiguos cultos romanos junto con la tolerancia frente a las religiones extranjeras. Pero, cuando se trataba de la paz y el orden político, su paciencia tenía un límite. Los conflictos (religiosos) no debían desestabilizar la Pax Romana y todavía menos en el corazón del Imperio. Para mantener esa paz, el emperador tomó todas las medidas necesarias, como fue la expulsión de agentes desestabilizadores. Por tanto no se puede ver en su política religiosa ni favoritismo ni enemistad contra los judíos.“90

Man muss nicht unterstellen, Paulus habe mit dem Ausdruck εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια eine Wendung aus dem Claudius-Edikt wörtlich aufgenommen, die Friede und Stabilität versprach. Der Apostel umriss mit den Schlagworten aber vermutlich das, was Philo εἰρήνη und εὐστάθεια nannte, nämlich pax und constantia, die dem Aufruhr entgegenstanden. Die Begriffe repräsentierten damit die öffentliche Ordnung, die dort, wo diese gefährdet schien, unter anderem durch die Vertreibung der Unruhestifter abgesichert werden sollte. Die beiden Schlagworte dienten dem Apostel demnach nicht nur zur Umschreibung des claudischen Programms, das propagandistisch auf Münzen gefeiert wurde. Sie brachten auch zum Ausdruck, was das Vorgehen gegen die jüdischen Gemeinden in Rom im Jahr 49 n. Chr. bewirken sollte: Gegen vermeintliche Umtriebe, die in der Hauptstadt die Beständigkeit des Friedens gefährden konnten, wenn man sie nur lange genug gedeihen ließ, ging Claudius im neunten Jahr seiner Regierung unnachgiebig vor. Dabei mag er auch von den Ausschreitungen in Alexandria zu Beginn seiner Regentschaft geleitet gewesen sein. Die beiden Programmbegriffe pax und constantia ließen sich jedenfalls als Ausdruck einer aus römischer Sicht vermeintlich notwendigen Maßnahme zur Sicherung der öffentliche Ordnung in der Hauptstadt begreifen, die durch die Vertreibung einer religiösen Gruppe gewahrt werden sollte. Natürlich kann man die Schlagworte in 1 Thess 5,3 auch auf die Situation in Thessalonike zurückführen, auch dort fanden die claudischen Münzen Verbreitung. Doch dem globalen Kontext, den der Apostel mit den Reversen aufrief, entsprach das in der Adaption der Jesaja-Zitate verheißene universale Gericht. Das spricht eher gegen eine lokale oder regionale Perspektive. Gottes Gericht sollten Paulus zufolge gerade jene verfallen sein, die zwar pax und constantia versprachen, diese Werte aber einigen Bewohnern des Imperiums gerade entzogen hatten. Von pax und constantia konnte mit Blick auf Priska und Aquila keine Rede sein, soweit es um die Herrschaft Roms ging. Sie wurden angefeindet und verloren den sicheren Halt ihres Wohnortes. 90 Álvarez Cineira 1997, 277, vgl. auch etwa Riesner 1994, 89.150, und Theißen 2011, 33.

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Nicht von ungefähr verschob sich die Sichtweise des Apostels, sobald die Geltung des Edikts erloschen war.91 Sechs Jahre nach dem Ersten Thessalonicherbrief waren Priska und Aquila bereits in die Hauptstadt zurückgekehrt. Die Argumentation des Römerbriefes verdankt sich nicht nur dem Umstand, dass Paulus an eine Gemeinde schrieb, die ihn nicht kannte, sondern auch den Adressaten, zu deren Umkreis eine größere Gruppe jüdischer Christen gehörte. Die andere Akzentsetzung in einzelnen thematischen Bereichen lässt jedoch auch eine veränderte politische Situation erkennen.92 Das public transcript zur Obrigkeit ist unumwunden bejahend, wenngleich es durch ein hidden transcript,93 das sich aus der Vernetzung von Röm 2,1–16 und Röm 13,1–7 ergibt, korrigiert wird. Das Gerichtsszenario in Röm 2,1–16, in das der Kaiser so integriert wird, ist weitaus offener gestaltet, obschon es vielleicht nicht von ungefähr das Verb ἐκφεύγω zeigt (Röm 2,3). Es ist jedenfalls kein Zufall, dass Paulus in Röm 13,11–14 den Gedankengang aus 1 Thess 5,2–11 aufnahm, aber anders konturierte, was eine regionale Perspektive im Ersten Thessalonicherbrief fraglich erscheinen lässt. Nun sprach der Apostel unkonkret und ohne Bezug auf das Jesaja-Buch τὰ ὅπλα τοῦ φωτός an (Röm 13,12), die er nicht gegen politische Propaganda, sondern gegen ethische Verfehlungen abgrenzte (Röm 13,13–14). Eine Einlassung wie jene zur trügerischen εἰρήνη oder ἀσφάλεια (1 Thess 5,3) sucht man vergeblich. Als Paulus 1 Thess 5,3 schrieb, war die Situation eine andere. Mit dem Rückgriff auf die Schlagworte εἰρήνη und ἀσφάλεια argumentierte er politisch auf der Höhe seiner Zeit. Auf aktuelle Herausforderungen, die das Edikt aus dem Jahr 49. n. Chr. an die Missionsarbeit stellte, reagierte er mit der Ausrichtung der zeitlich bedingten Erfahrungen am eschatologischen Vorbehalt, indem er der von Rom aufgerichteten Friedensordnung pointiert die Prophetie des Jesaja-Buches entgegensetzte und damit auch die eigene jüdische Identität gegen die römische Infragestellung behauptete.

91 Für die Aufhebung des Ediktes bald nach Amtsantritt Neros spricht nicht nur, dass Nero nach Suet. Nero 33,1 viele Edikte seines Vorgängers außer Kraft setzte (vgl. auch Tac. ann. XIII 5,1), sondern vor allem, dass Priska und Aquila, die während der Abfassung des Ersten Korintherbriefes (nicht nach 54 n. Chr.) noch bei Paulus in Ephesos weilten, bereits nach Rom zurückgekehrt waren (vgl. auch etwa Álvarez Cineira 1997, 222–223), als Paulus den Römerbrief niederschrieb (56 n. Chr.). In die Zeit zwischen die Briefe fallen Claudius’ Tod und Neros dies imperii am 13. Oktober 54 n. Chr. Für Walker 2008, 491, ist der Zusammenhang mit dem Edikt in Apg 18,2 dagegen eine Erfindung des Lukas, der versuchte, dadurch die topographischen Informationen der Paulusbriefe über Priska und Aquila zu erklären. Zur Aufhebung des Ediktes im Jahr 55 n. Chr. fügt sich allerdings auch gut die Notiz in Apg 19,21, der zufolge Paulus in Ephesos eine Romreise ins Auge fasste. Damit ist nicht behauptet, dass Rom zuvor nicht in seinem Blickfeld lag. Vielmehr empfahl sich diese Reise nicht, solange das Edikt in Geltung stand. 92 Mit anderer Gewichtung Theißen 1998, 61–62. 93 Vgl. Schreiber 2005 138–140.

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Das Bild der Himmelsfrau in Offb 12 Aufnahme und Umwertung antiker Bildmotive im Kontext der frühen Kaiserzeit1

Eine Fülle von Bildern tritt uns in der Johannesoffenbarung entgegen – sie sollen die Adressat*innen ansprechen. Ihnen eignet eine eigene kognitive, affektive und persuasiv-pragmatische Kraft. Die Sprachbilder der Johannesoffenbarung stehen nicht alleine: Ihnen stehen neben der bildspendenden „Wirklichkeit“ und mythischen Erzählungen (bzw. mythischen Motiven) ikonographische Darstellungen zur Seite – z. B. Wand- oder Fußbodenbilder, Reliefs, Statuen, Münzbilder. Angesichts des hohen Prozentsatzes von Analphabeten in der Antike2 und angesichts der Sprachenvielfalt im Römischen Reich,3 kommt den ikonographischen Darstellungen im Blick auf die breite Bevölkerung eine nicht geringe Bedeutung zu: Ikonographische Bilder sind auch für Analphabeten und über Sprachgrenzen hinweg verstehbar.4 Folglich waren Münzen in der antiken Welt nicht „nur“ Zahlungsmittel, sondern auch nicht zu unterschätzende Propaganda- und Massenkommunikationsmittel, welche die Emittenten gezielt einsetzten.5 Durch die Einbindung

1 Mit diesem Aufsatz geht ein herzlicher Gruß und Dank an Max Küchler: Mit seinen inspirierenden Arbeiten hat er der neutestamentlichen Forschung ein faszinierendes Forschungsgebiet erschlossen. Herzlichen Dank auch an Sabine Fartash für ihre engagierte Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Beitrags! 2 Harris 1989, 328–330, nimmt an, dass in der griechischen Antike 5–15 % der erwachsenen Bevölkerung (inklusive Frauen und Sklaven) des Lesens mächtig waren, wobei die Lesefähigkeit der Frauen auf einem extrem niedrigen Niveau lag. In hellenistischer Zeit stieg die Lesefähigkeit an, ging im Römischen Reich aber wieder deutlich zurück, wobei regionale Unterschiede anzunehmen sind. In den römischen Provinzen konnten weniger als 5 % der Frauen lesen. 3 Harris 1989, 229 f., stellt im Blick auf die römischen Provinzen fest: „A major limitation was that a large proportion of the provincial population did not even have a grasp of spoken Latin or Greek“. 4 Hezser 2018, 4 f. Auch sprachliche Bilder überschreiten in Form von Bildfeldern interessanterweise Sprachgrenzen, wie Harald Weinrich festgestellt hat: „Die konkreten Bildfelder sind […] nicht exklusiver Besitz der Einzelsprache (Muttersprache). Sie gehören zum sprachlichen Weltbild eines Kulturkreises […] Metaphern sind folglich besser übersetzbar als Wörter“, denn „die metaphorische Analogiestiftung ist [sc. in den Nachbarsprachen, P. v. G.] identisch“ (Weinrich 1976, 287). 5 Vgl. Küchler 2009, 137. – Zur Numismatik und der neutestamentlichen Exegese, vgl. Klauck 2006, 207, und die dort genannte Literatur. Zu Münzen als Propagandamittel vgl. die Verweise bei Omerzu 2006, 189 Anm. 123.

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von Bildern in rituelle Vollzüge – z. B. von Götterstatuen in Prozessionen – wird über diese zudem ein mythisch-narrativer Rahmen evoziert und (weiter vertieft durch Gesang und Tanz) die mit der Gottheit verbundene „story“ bei den Teilnehmer*innen (Stadtbewohner*innen) eingeprägt und im persönlichen Leben angeeignet.6 Nun sind die rituellen Vollzüge, der Gesang und Tanz für uns – anders als Texte und ikonographische Darstellungen – aufgrund der historischen Distanz schwer greifbar. Ikonographische Darstellungen spielen in der neutestamentlichen Exegese aufgrund der textzentrierten Ausbildung in der biblischen Wissenschaft, aufgrund von Disziplingrenzen und bis vor kurzem auch aufgrund ungenügender technischer Möglichkeiten noch eine untergeordnete Rolle.7 Eine verstärkte Beschäftigung damit kann den modernen Leser*innen mögliche Assoziationen in der damaligen Zeit und im damaligen historischen Kontext „vor Augen stellen“, einen präziseren Blick auf die neutestamentliche Welt und ihre Bilder eröffnen und somit zu einem vertieften Verständnis des Neuen Testaments verhelfen. Bekannte Bilder – sprachliche und ikonographische – werden durch Zeiten und Räume tradiert und dabei transformiert, sie werden – wie die ihnen bisweilen unterliegenden mythologischen Stoffe motivisch „auseinandergenommen“ und neu zusammengesetzt bzw. fusioniert und je nach zeitgeschichtlichem Kontext bzw. durch diesen neu beleuchtet oder evaluiert. Affirmation und Negation, Stabilisierung und Kritik – vielfältige Konnotationen können damit verbunden sein. Dies gilt auch für das letzte Buch des neutestamentlichen Kanons, die Offenbarung des Johannes, welche ein außerordentlicher Reichtum an (sprachlichen) Bildern auszeichnet. In ihrem Zentrum8 steht in Kapitel 12 das Bild der Frau, das polyvalente Konnotationen evoziert,9 die nicht eindeutig zuzuordnen sind und im zeitgeschichtlichen Kontext im Blick auf die Adressat*innengemeinden eine eigene Couleur bekommen. Da die Bilder der Offenbarung, wie A. Y. Collins zu Recht festgestellt hat, „did not simply fall out of the sky“,10 will ich – nach einem Blick auf den Text – in einem ersten Schritt auf mögliche traditions-und religionsgeschichtliche Bezüge eingehen. So soll nach ikonographischen und narrativen Bezügen im alttestamentlich-­

  6 Vgl. zum Kult der Artemis in Patmos: Saffrey 1975, 399–417. Analoges gilt für die auch in den Provinzen beliebten Theateraufführungen: „Diese Aufführungen vermittelten der Provinzbevölkerung römische Kultur, Mythologie, und Wertvorstellungen als attraktive Freizeitunterhaltung“ (Hezser 2018, 5).   7 Vgl. Klauck 2006, 228 f.   8 Zur zentralen Stellung von Offb 12 im Gesamt der Johannesoffenbarung vgl. nur Gielen 2003, 172–175; Kalms 2001, 11 f. („Angelpunkt des ganzen Buches“); Collins 1976, 231 („midpoint“); Frey 2001, 179; Humphrey 1995, 83.90–95.100–103, bes. 100.   9 Die Polyvalenz hebt Frey 2004, 108, im Anschluss an Schüssler Fiorenza besonders hervor (vgl. insgesamt Frey 2004, 105–109, sowie Schüssler Fiorenza 1991, 81: „[…] it seems obvious that the vision intends a multivalent mythological symbolization of transpersonal divine realities“). Frey nimmt an, dass das „Bild der namenlosen Frau in Apk 12 […] absichtsvoll offen und vieldeutig“ ist (Frey 2004, 104). 10 Collins 1976, 57.

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jüdischen und „paganen“ Bereich gefragt werden. In einem zweiten Schritt soll ein besonderes Augenmerk auf die mögliche Konnotation der Bilder und Motive im zeitgeschichtlichen Kontext gelegt werden, um die möglichen Assoziationen der Leser*innen und das Profil von Offb 12 besser zu erfassen.

1. Traditions- und religionsgeschichtliche Bezüge 1.1 Hinführung: Der Text Offb 12,1 f. führt die Frau (γυνή) als großes Zeichen (σημεῖον μέγα) ein. Ihr wird in 12,3 ein anderes Zeichen (ἄλλο σημεῖον) entgegengestellt, ein Drache (δράκων). Beide werden zunächst (weitgehend im Nominalstil) beschrieben, bevor sie „in der Handlung lebendig werden“.11 Die Frau wird in 12,1 gezeichnet als „eine Frau bekleidet mit der Sonne, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen“. Sie wird sodann in Offb 12,2 als schwanger vorgestellt, als in Wehen schreiend und in der Qual des Gebärens. Der ihr opponierte Drache ist groß und feuerrot (πυρρός), er hat „sieben Köpfe und zehn Hörner und auf seinen Köpfen sieben Diademe“ (12,3), „und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde“ (12,4a). Mit der Absicht, das Kind der Frau sofort nach dessen Geburt zu verschlingen, steht er vor der Frau (12,4b). In 12,5 setzt die eigentliche Handlung ein: Der Sohn wird sofort nach der Geburt zu Gott und seinem Thron entrückt, die Frau flieht in die Wüste, wo sie Schutz und Nahrung für 1260 Tage findet. Es folgt ein Abschnitt über den Krieg Michaels und seiner Engel im Himmel mit dem Drachen, der entmachtet und mitsamt seiner Engel auf die Erde hinabgestürzt wird (Offb 12,7–12). In 12,9 wird der große Drache mit „der alten Schlange“ identifiziert, „die da heißt Teufel (Διάβολος) und Satan (Σατανᾶς), der die ganze Welt verführt“. Der Sturz des Drachen wird mit einer Akklamation abgeschlossen (12,10–12).12 Offb 12,13–18 knüpft inhaltlich an 12,1–6 an. Der auf die Erde geworfene Drache verfolgt die Frau. Ihr werden „die zwei Flügel des großen Adlers“ gegeben, um ihr den Flug in die Wüste, an ihren Schutzort zu ermöglichen, wo sie „eine

11 Schreiber 2007, 440; vgl. Kalms 2001, 36. 12 Die Frau und das Kind finden in 12,7–9.10–12 keine Erwähnung – Michael tritt nur in 12,7–9 auf den Plan. Der Kampf zwischen Michael und dem Drachen wird im Himmel lokalisiert. Die beiden Zeichen in Offb 12,1.3 werden bisweilen im Himmel situiert, mehrheitlich wird jedoch die Deutung am Himmel favorisiert (s. Bousset 1966, 335; Kraft 1974, 163). Müller 1995, 228 f., wertet 12,7–12 als „Einlage“.

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Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“13 fern der Schlange ernährt wird. Die Schlange (12,15) bzw. der Drache (12,16) speit eine Wasserflut aus, um die Frau zu ertränken, doch die Erde öffnet ihren Mund und verschlingt den Strom. Daraufhin erzürnt der Drache über die Frau und führt Krieg gegen die Übrigen ihres Samens (12,17).

1.2 Mögliche alttestamentlich-jüdische Bezüge14 Die Frau ist nach Offb 12,1 bekleidet mit der Sonne, hat den Mond unter den Füßen und einen Kranz von zwölf Sternen auf dem Haupt. Die Sonne lässt an Ps 104,2 (103,2LXX) denken, wo Gott als einer vorgestellt ist, „der sich Licht (φῶς) überwirft wie ein Gewand“.15 Das ist selbst wieder Reflex altorientalischer Götterrepräsentationen,16 und erinnert z. B. an den anthropomorphen Gott in der Flügelsonne17 und an die assyrische Ištar im Strahlenkranz/Sternennimbus.18 Sonne, Mond und Sterne können Ausdruck besonderer Erwählung bzw. Hoheitsstellung sein.19 In LAB XII 1 besiegt Mose, vom Gottesberg „herabgestie-

13 Vgl. Omerzu 2006, 173 Anm. 28, mit Verweis auf Offb 11,2.3; 13,5. 14 Da diese Bezüge schon breit untersucht wurden, fasse ich mich hier kurz. Bekannt ist, dass im Alten Testament wie im Frühjudentum auch Umwelteinflüsse zum Tragen kommen. Der Verfasser der Johannesoffenbarung ist selbst tief in der alttestamentlich-jüdischen Tradition verwurzelt. Er ist des Hebräischen mächtig, „siedelt sich“ aber „im griechischen Sprachraum an“ (Karrer 2017, 94) und steht unter dem Einfluss der Septuaginta (Karrer 2017, 45–47.94 f.). Er kennt die Alltagskultur und die übliche Religionsausübung der frühen Kaiserzeit. Da er sich an nicht­ jüdische Leser*innen wendet, sucht er „auch intensiv das Gespräch mit der griechisch-römischen Kultur“ (Karrer 2017, 160; Karrer 2013, 47, vgl. 45). 15 In Ps 104,26MT wird der Leviatan erwähnt, den JHWH gemacht hat, um damit zu spielen (vgl. Hi 40,29). Ps 103,26LΧΧ übersetzt Leviatan mit δράκων. 16 Nach P. E. Dion ist der „mantle of light“ ein „feature“ [which] „is too common in the religious li� teratures of the ancient Near East“ (Dion 1991, 62). Im Alten Testament vgl. noch Ps 15,2 („Sonne und Schild ist JHWH“; Stähli 1985, 42, verweist zu „Schild“ an das Orakel der Ištar von Arbella), sowie Dtn 33,2 („Der HERR ist … ihnen aufgeleuchtet von Seϊr her“), vgl. weiter Eisler 1910, 55–112. 17 Podella 1996, 26–31. 18 Ištar ist in der Eisenzeit IIc (= letztes Drittel des 8. Jh.s bis zum Beginn des 6. Jh.s v. Chr., Keel/ Uehlinger 2001, 322) in Palästina ikonographisch bezeugt, vgl. Abb. 287.288a–c (288b–c = http:// www.bible-orient-museum.ch/bodo/, Stichwort „Ištar“, Abruf am 11.01.2019), in: Keel/Uehlinger 2001, 333. Vgl. das assyrische Rollsiegel mit der Himmelskönigin und dem Mondgott Sin, in: Keel 2008, 48 Abb. Kat.-Nummer 43 (= Zeichnung: Keel 2008, 17 Abb. 10) sowie Podella 1996, 31–35. Maier 2010, etabliert einen direkten Zusammenhang zwischen der „Himmelskönigin“ und Offb 12,1. Doch fehlen uns leider die eindeutigen Verbindungsglieder. 19 Vgl. Gen 37,9 (vor Joseph verneigen sich Sonne, Mond und elf Sterne); JosAs 5,6 (bzw. 5,5) (auf Josephs Haupt war ein goldener Kranz, um den Kranz waren zwölf auserwählte Steine und auf den Steinen zwölf goldene Strahlen; zwölf Steine und Strahlen hat übrigens auch Helios); TestXII. Naph V 3 f. (Levi ergriff die Sonne, Juda den Mond, beide wurden mit ihnen erhöht und „als Levi wie die Sonne ist, da gibt ihm ein Jüngling zwölf Palmenzweige. Und Juda wurde glänzend wie der

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gen an den Ort, wo das Licht der Sonne und des Mondes ist“, „den Glanz der Sonne und des Mondes“.20 Der Kranz ist mit Ehre und Sieg konnotiert.21 Ein Stern auf jüdischen Münzen evoziert, wie M. Küchler gezeigt hat, – ikonographische Darstellungen ab Alexander dem Großen aufgreifend – den Königsgedanken zu Beginn des hasmonäischen Königtums, der herodäischen Dynastie und im Bar-Kochba-Krieg,22 ist also ein Herrschersymbol. Die Zwölfzahl lässt an den Zodiak (vgl. Hen(sl) [Langfassung] 21,6; 30,3–6; Sib 5,512–531) oder/und die zwölf Stämme Israels denken.23 Letzteres sowie der Umstand, dass Zion bzw. das Gottesvolk gerne als Frau bzw. Mutter personifiziert werden,24 und auch die Rede von „den übrigen ihres Samens“ in Offb 12,17 sprechen gegen die Deutung der Frau auf Maria.25 Mond, und zwölf Strahlen waren unter ihren [v. l.: seinen] Füßen“, Übersetzung Becker 1980, 102 [die v. l. suggeriert, dass Levi auf dem Mond steht], vgl. Offb 12,1, wo die Frau den Mond [und nicht „nur“ zwölf Strahlen] unter den Füßen hat). Anders als in TestXII.Naph V 3, wo Levi der Sonne verglichen ist, ist die Frau in Offb 12 mit der Sonne bekleidet. Vgl. weiter TestAbr (Rez A) 7 (Isaaks Kopf ist umgeben von Strahlen von Sonne und Mond), Ps 8,6LXX („mit Glanz [δόξα] und Ehre hast du ihn [den Menschen] bekränzt“), sowie Busch 1996, 51–53. 20 Übersetzung Dietzfelbinger 1975, 133. In SifNum 140 zu 27,20 wird der Glanz auf dem Antlitz des Mose mit der Sonne, der auf dem Antlitz Josuas mit dem Mond verglichen (Kuhn 1959, 575; vgl. McNamara 1966, 224). 21 Vgl. Grundmann 1990, 624–626.629 f. Der Kranz begegnet als Symbol des (endzeitlichen) Sieges in Offb 2,10; 3,11; 6,2, vgl. weiter 1 Kor 9,25; 2 Tim 4,8; Jak 1,12; 1 Petr 5,4. 22 Küchler 1989, 183–185. Die Münzen stellen jeweils einen achteckigen Stern da. Zu Alexander d. Gr. vgl. Weinstock 1971, 375. 23 In Philo Somn. 2,111–114 interpretiert Philo Gen 37,9–11 mit Verweis auf den Zodiak. Der Zodiak findet sich – wenn auch deutlich später – (mit Helios im Zentrum) in jüdischen Synagogen, vgl. den Mosaikfußboden von Ḥammat-Tiberias (4. Jh. n. Chr.), Naaran (4.? Jh. n. Chr.), Sepphoris (5. Jh. n. Chr.); Bet Alfa (6. Jh. n. Chr.), Beth-She’an (6. Jh. n. Chr.), Ḥusifa (6. Jh. n. Chr., nur fragmentarisch erhalten, der Helioswagen im Zentrum ist nur aus den analogen Darstellungen zu postulieren), vgl. mit Abbildungen Stähli 1988, 55–63; Keel/Küchler 1982, 556–559; Hachlili 2013, Fig. V-28; V-29; VII-5; VII-6; VII-7; VII-32, und die einschlägigen Artikel in Avi-Yonah/ Stern 1975–1978. In Jaffia (Yafia) zeigt ein nur teilweise erhaltenes Mosaik „offenbar“ den Zodiak „mit den Namen der zwölf Stämme” (Böcher 1979, 303 Z. 36 f.), vgl. auch GenR 100 (64b) (Bill. III, 214); ExR 15 (76c) (Bill. II, 116) u. ö., wo die zwölf Zeichen des Zodiaks die zwölf Stämme Israels interpretieren. 24 Vgl. die „Tochter Zions“ (Jes 1,8; 10,32; 16,1; Sach 2,11.14; 9,9 u. ö.); Israel als (Ehe)Frau (Jes 49,18; 54,1–6; Jer 3,6–10 u. ö.); Zion als Mutter (Jes 49,21 f.; 50,1; Hos 4,5), weiter 4 Esra 9,26–10,59 (und dazu Humphrey 1995, 59–83), Hermisson 1997, 19–39, sowie Kalms 2001, 37 (Lit.!); Frymer-Kensky 1992, 118–143; Stoltmann 1999, 19–78.315. Zur Personifikation Judäas bei den Römern, vgl. die Iudea-Recepta-Münze und die Iudaea-Capta-­ Münzen, die nach dem Fall Jerusalems 70 n. Chr. geprägt wurden, auf denen Judäa als trauernde Frau dargestellt wird, vgl. Eirene/Pax 2018, 119 Abb. 7; 206 Abb. 39–44, sowie die Adventusmünze, auf der die Personifikation Judäas Hadrian begrüßt (Abb. in v. Gemünden 2005, 211 Abb. 1), vgl. weiter die weibliche Personifikation Britanniens, von Kaiser Claudius besiegt, in Eirene/Pax 2018, 181 Abb. 3, und die männliche Personifikation einer Provinz unter Hadrian in Eirene/Pax 2018, 182 Abb. 4. 25 Erst im 4. Jh., als die liturgische Verehrung Marias einsetzte, wurde die Frau in Offb 12 auf Maria bezogen, vgl. Kretschmar 1985, 87; Frey 2004, 98 f. mit Anm. 13.14. Mögliche Anhaltspunkte im Text sind nur die Geburt in Offb 12,5 und die Anspielung auf Ps 2,9 (vgl. Offb 19,15). Jedoch pas-

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Ihr entgegengesetzt ist der Drache – mit δράκων übersetzt die LXX u. a. die (mythischen) Seeungeheuer Tannin26 und Leviathan27, Verkörperungen des Chaos.28 Im politischen Bereich zielt er auf Ägypten bzw. den Pharao (Ez 29,3; 32,2; vgl. Jes 51,9 [Jes 51,10 verweist auf das Meerwunder Ex 14]; s. auch Ps 74,13 f.),29 oder König Nebukadnezar (Jer 51,34MT = 28,34LXX).30 Die Identifizierung des Drachens mit der „uralten Schlange“ (ὁ ὄφις ὁ ἀρχαῖος, Offb 12,9; vgl. Gen 3,1) entspricht dem semantischen Spektrum von Tannin und Leviatan und wird gestützt durch den rekurrent synonymen Gebrauch von δράκων und ὄφις.31 Die erklärenden Benennungen „Teufel (Διάβολος)“ und „Satan (Σατανᾶς)“ verdeutlichen die negative Konnotation und bezeichnen eine widergöttliche Macht. Die Beschreibung des Drachens in Offb 12,3c evoziert Herrschersymbolik (zehn Hörner = Könige, vgl. Dan 7,7; 20,24; Sib 3,397.400; sieben Diademe = Zeichen königlicher Würde im Osten32). Sein destruktives Agieren (mit seinem Schwanz fegt er den dritten Teil der Sterne vom Himmel) erinnert an das Agieren des groß gewordenen „kleinen Horns“ (Antiochus IV. Epiphanes) in Dan 8,10(–11 f.).33 Die Einführung der Frau als σημεῖον sowie zwei wörtliche Übereinstimmungen34 erinnern an Jes 7,14LXX (vgl. Mt 1,23),35 ihre Geburtswehen haben Analogien in der prophetischen bzw. apokalyptischen Literatur.36 Hier und mittels der Anspielung auf Ps 2,937 in Offb 12,5 werden messianische Assoziationen evoziert. Der behütende, kraftspendende Adler (12,14) begegnet in Ex 19,4 (Deutung des Auszugs aus Ägypten); das Bild ist wieder aufgenommen in Dtn 32,11; Jes

sen die restlichen Textelemente nicht zu dieser Deutung und entsprechen auch nicht der ältesten überlieferten Deutung der Frau (Anfang des 3. Jh.s, Hipp., De antichristo 60 f., s. Frey 2004, 102.98; Ernst 1968, 42–44; Satake 2008, 281). Für eine kollektive Deutung im vorliegenden Kontext optiert z. B. Charles 1971, 315: „The true Israel or the community of believers“. 26 ‫ )תן( תנין‬Schlange, Drache (u. a. Hi 7,12; Ps 74,13MT/73,13LXX; Jes 27,1), vgl. dazu Heider 1999. 27 Leviathan (‫( )לויתן‬u. a. Hi 40,25; Ps 74,14MT = 73,14LXX; Jes 27,1), mehrheitlich als Schlange vorgestellt, konnte – wie Tannin (Heider 1999, 836) – auch mit dem Krokodil konnotiert werden (Uehlinger 1999, 513). 28 Uehlinger 1999. 29 McNamara 1966, 221.224; Prigent 2000, 287. 30 PsSal 2,25 verweist auf Pompeius. 31 Vgl. Jes 27,1; Heider 1999; Merkelbach 1959, 226. 32 Vgl. Mau 1903, 303. Im Westen setzt es sich erst mit Konstantin – dann als Zeichen der Kaiserwürde – durch. Karrer 1986, 229, stellt fest: „Er [sc. der Drache, P. v. G.] trägt mit den sieben Diademen eine Vollzahl von Herrschaftszeichen“. 33 Roloff 2001, 127. Vgl. Mk 13,25. Im Isis-Mythos begegnet ein ähnliches Motiv, vgl. van Henten 2006, 190. Es ist festzuhalten, dass Python/Typhon schon bei Daniel und in der jüdischen Apokalyptik in den Gottesfeind-Darstellungen eine große Rolle spielt, vgl. Kalms 2001, 120, und van Henten 1993. 34 Offb 12,1 f.5, vgl. Kalms 2001, 36. 35 Vgl. weiter Jes 66,7 f. (das καὶ ἔτεκεν ἄρσεν in Jes 66,7 erinnert an Offb 12,5); vgl. 9,5 f. Einige jüdische und frühchristliche Texte legen eine messianische Interpretation von Jes 66,7 nahe, s. Aune 1998, 688. 36 Vgl. Jes 66,7 f. u. ö.; Ernst 1968, 47 f. 37 Vgl. die Anspielung auf Ps 2,9 in PsSal 17,24.

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40,31. Die Flucht der Frau in die Wüste (ἔρημος), wo sie eine bestimmte Zeit ernährt wurde, kann an die Bewahrung des Volkes Israel in der Wüste (Manna!) und damit ebenso an die Exodusthematik erinnern.38 Die Verfolgung der Frau und ihres Kindes durch einen Drachen scheint jedoch in der Hebräischen Bibel und in parabiblischen Traditionen zu fehlen.39 Insgesamt lassen sich für das Bild der Frau „kaum alttestamentlich-früh­jüdische Modelle benennen, die das Motiv in all seinen Zügen erklären könnten“.40 Zudem wird in den alttestamentlichen Referenztexten mehrfach das Einwirken von Vorstellungen aus der altorientalischen Umwelt deutlich.

1.3 Mögliche „pagane“ Bezüge 1.3.1 Ikonographische Bezüge Die beiden Zeichen am Himmel, das der Frau und das des Drachen, lassen an Gestirnkonstellationen denken.41 Sie wurden in der Antike viel beachtet und mit astralmythologischen Vorstellungen gefüllt:42 Die Frau ist im 1. Jh. ein „wohlverständlicher Hinweis“43 auf das Sternbild der Jungfrau (παρθένος, virgo caelis).44 Dieses wurde von Sonne und Mond durchzogen, stellt das einzig „weibliche“ Sternbild im Zodiak dar und wurde mit zahlreichen antiken Göttinnen verbunden: so u. a. mit Aphrodite, Dike, Demeter, Magna Mater, Tyche, Pax, Artemis, Atargatis bzw. der Dea Syria und Isis.45 Das Sternbild der παρθένος konnte ikonographisch mit Strahlenkranz und Sternen auf den bei-

38 Vgl. die beiden Adlerbelege in Ex 19,4; Dtn 32,11 sowie McNamara 1966, 223; Beale 1999, 669. 39 So van Henten 2006, 184: „The imagery connected with the persecution of a woman with her in�fant by a dragon seems to be absent in the Hebrew Bible and parabiblical Jewish traditions“. 40 Frey 2004, 106. 41 So ausführlich Boll 1914. 42 Zu Ihrer Bedeutung im jüdischen Kontext s. o. 43 Boll 1914, 103. 44 Interessant ist, dass die παρθένος – so eine breite mythologische Tradition – „im eisernen Zeitalter in die Einsamkeit und dann an den Himmel [sc. flieht, P. v. G.], von wo sie im goldenen Zeitalter wiederkehrt“ (v. Geisai 1979, 532). Zu Letzterem vgl. auch Verg. ecl. IV 4–6. Zum Ganzen mit Verweisen Frey 2004, 107 mit Anm. 71. 45 Boll 1914, 109; Boll 1903, 208–216; Le Boeuffle 1977, 212–215; Omerzu 2006, 176; Malina 2002, 170; Gundel 1949, 1949 f. Aune 1998, 680, führt unter Verweis auf Ps.-Eratosthenes Catasterismi 9 aus: [He] „identified Virgo with various female divinities, such as Atargatis, Isis, Demeter, and Tyche. Several goddesses in the Greco-Roman world were similarly portrayed: Artemis of Ephesus, Atargatis of Syria, Isis, and Hekate“. – Gelegentlich finden sich ikonographische Darstellungen zu Aphrodite mit Stern/en (Weinstock 1971, 375 mit Anm. 3 und Taf. 25,9; 376 f. mit Anm. 14) sowie zu Venus (Weinstock 1971, 377).

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den Flügeln (zu letzteren vgl. Offb 12,14) dargestellt werden.46 Die Frau in Offb 12 wird jedoch nicht als παρθένος, sondern als γύνη eingeführt. Umstrittener ist das Zeichen des der Frau opponierten Drachens: Meint es das Sternbild des δράκων (draco), das im Kontext des Sternbilds des diesen nach der Mythologie bezwingenden „Knienden“ (Herakles/Herkules) steht?47 Oder das der Hydra?48

Die Darstellung der Frau als Himmelskönigin in Offb 12 geht über alttestamentlich-jüdische Parallelen hinaus und ist auch nicht auf eine astrale Konstellation zu beschränken.49 Sie lässt an eine Hochgöttin, an eine „cosmic queen conceived in astral categories“,50 denken. Eine solche Himmelskönigin tritt uns in einem Votiv-Relief aus Argos aus römischer Zeit entgegen:51

Abb. 1: Himmelskönigin (VotivRelief aus Argos). 46 Vgl. Furtwängler 1965, 1727. Zur Verbindung der παρθένος mit Mond und Sternen vgl. das Votiv­ relief aus Argos unten. 47 So Aune 1998, 683 (mit Belegen). 48 So Boll 1914, 102; Strobel 1987, 1097. – Für den Drachen werden auch erwogen das Sternbild des „Großen Bären“ bzw. des „Großen Wagens“ (Bergmeier 2000, 253), bzw. des „Großen“ oder „Kleinen Bären“ (= Typhon, Boll 1914, 111) und das Sternbild des „Skorpions“ (Malina 2002, 172 f.). 49 Mit Frey 2004, 107, gegen Malina/Pilch 2000, 155–157. 50 Collins 1976, 71. 51 Zeichnung aus Smith 1904, 231 Nr. 2162, Abb. 26 (Digitalisat: https://digi.ub.uni-heidelberg. de/diglit/smith1904bd3/0245). Ein Foto des Originals im British Museum findet sich unter https://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=394174&partId=1&searchText=selene+votive&page=1) (Abruf am 13.01.2019); Abbildung auch in Gundel 1992, 230 Abb. 76; vgl. dazu Smith 1904, 231 f. Vgl. dazu auch im Folgenden ­Patterson 1985. Das Relief wird in das 2.(3.) Jh. n. Chr. datiert.

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Die Mondsichel identifiziert die Himmelskönigin als Selene. Sie ist umgeben von sieben Sternen und über die Außenkante der Nische eingerahmt durch die zwölf Zeichen des Zodiaks.52 Eine kleine Tessera aus Palmyra zeigt über einer liegenden Person mit Diener zur Linken und einem kleinen Mond mit Stern zur Rechten eine nicht identifizierte Gottheit mit reichem Haar (eine Göttin? Aglibol?) auf einer Mondsichel, einen Stern über dem Kopf und zu beiden Seiten des Kopfes.53

In hellenistisch-frührömischer Zeit beobachten wir im Blick auf die Vorstellung einer „Himmelskönigin“ eine Konzentration v. a. auf Göttinnen, die besonders mit dem Mond verbunden sind: (a) die Artemis Ephesia (Dea Syria54), (b) die syrische Atargatis55 und (c) Isis.56 a. Artemis Ephesia Die Artemis Ephesia57 wurde ab dem 4. Jh. v. Chr. mit Selene konnotiert.58 Auf einigen Münzen ist sie mit Halbmond bzw. mit Halbmond und Stern(en) abge-

52 S. u. auch das Relief einer Tyche/Kybele/Artagatis mit Mondsymbol im Kranz der Zeichen des Zodiaks aus dem Tempel von Khirbet et-Tannur (Jordanien), 2. Jh. n. Chr. (Cincinnati Art Museum, Inv.Nr. 1939–233), s. https://www.cincinnatiartmuseum.org/art/explore-the-collection?id=12520475. – Spät (im 5. Jh.) lesen wir bei Mart. Cap. I 75 von der Himmelsgöttin Juno mit einer Krone mit zwölf Steinen, die auf den Zodiak hin interpretiert werden (Boll 1914, 99 i. V. m. 40 Anm. 2; Collins 1976, 72). – Mehrheitlich ist der Zodiak jedoch in der römischen Kaiserzeit mit männlichen Gottheiten verbunden, mit Zeus, Zeus-Juppiter, Helios, Sarapis-Zeus, s. Collins 1976, 72. 53 Foto in Lidzbarski 1915, Taf. V Abb. 1a; Zeichnung in Cumont 1966, 209 Abb. 39, Beschreibung Lidzbarski 1915, 34 (der Name auf der Tessera könnte nach Lidzbarski jüdischen Ursprungs sein); Cumont 1966, 208. 54 Lukian. Περὶ τῆς Συρίης θεοῦ, vgl. dazu Collins 1976, 72. 55 Sie weist eine Nähe zur Astarte (für die Griechen Aphrodite Ourania) auf, die jedoch nicht notwendigerweise eine Identifikation impliziert (Lambrechts 1954, 265). 56 So Collins 1976, 71.75. – In der Forschung wurde darüber hinaus im Blick auf die Frau in Offb 12 auch an die Göttin Roma gedacht, die in Kleinasien (ältester Tempel in Smyrna) als Himmels­ königin verehrt wurde, s. Ulland 1997, 183. 57 Sie ist als „lokale Ausformung der anatolischen ‚Großen Göttin‘“ zu verstehen und war die Stadtgöttin von Ephesus, s. Fleischer 1981, 298, näherte sich aber (ca. ab dem 4. Jh. v. Chr.) der „gemeingriechischen“ Artemis an (Witetschek 2008, 85 mit Anm. 162). Zur internationalen Bedeutung, welche die Artemis Ephesia gewonnen hat, vgl. bes. Paus. IV 31,8 und ein Dekret des Rates und des Volkes von Ephesus, das in einer Inschrift aus der Mitte des 2. Jh.s auf uns gekommen ist (I.Eph Ia.24, s. Oster 1987; engl. Übersetzung z. T. auch in Shauf 2005, 245 f.), wo es gegen Ende heißt: „[…] with the improvement of the honouring of the goddess, our city will remain more il� lustrious and more blessed for all time“ (I.Eph Ia.24; B.32 f., s. Oster 1987, 76), sowie Strab. IV 1,4 und Witetschek 2008, 86. Beachte auch die zahlreichen Münzprägungen in Kleinasien (vgl. Fleischer 1973, Karte 2, mit den Prägestätten der Münzen in Kleinasien). Nähere Informationen zur Bedeutung der Artemis für Ephesus und darüber hinaus bei Shauf 2005, 127–136.241–247. 58 So Picard 1922, 368; Collins 1976, 71. Vgl. auch für das 1. Jh. n. Chr. die Bemerkung des Scholiasten im Blick auf Ephesus: ὁ μὲν γὰρ ἥλιος Ἀπόλλων νενόμιστο, ἡ δὲ Ἄρτεμις σελήνη (Aristophanes

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bildet.59 Gelegentlich findet sich (vorwiegend auf Terrakotten) im Halsbereich der Göttin eine Lunula.60 Immer wieder ist die Lunula mit einem Diskus kombiniert.61 Häufig wird sie mit dem Zodiak als Brustschmuck dargestellt,62 jedoch erscheinen (wohl aus Platzgründen) nicht alle Zeichen des Zodiaks.63 Die Zeichen des Zodiaks heben ihre Rolle als „Beherrscherin des Kosmos“ hervor.64 Die Kombination einer Lunula mit Tierkreiszeichen ist ausgesprochen selten.65 Die Ausstattung der Göttin mit Lunula bzw. Lunula-Diskus dürfte sehr wahrscheinlich älter sein als die mit Tierkreiszeichen.66 Festzuhalten ist, dass die ephesinische Version des auf die Artemis Ephesia bezogenen Mythos von einer Angleichung an die griechische Artemis zeugt und

1982, Nr. 411). – Eine Artemis-Selene (über Okeanos, zwischen Phosphoros [Morgenstern] mit erhobener Fackel und Hesperos [Abendstern] mit gesenkter Fackel) findet sich in Müller/Wieseler 1869, Nr. 190, vgl. dazu 90 Nr. 190. 59 Picard 1922, 368, vgl. weiter Müller/Wieseler 1869, Taf. XV,163b.164a; Taf. XVI,175.177 (vgl. den geschnittenen Stein, Taf. XVI,176); Mionnet 1806, 109 Nr. 361; 115 Nr. 400, und die Münze aus der Zeit des Augustus [-Claudius?] in Sylloge 1962, Taf. 86 Nr. 2703 (Kopf der Göttin zwischen einem Stern und einem Halbmond). – (Auch die Artemis Sardiane, nach Fleischer eine „lokale Hypostase der großen anatolischen Göttin in Sardeis“ [Fleischer 1984a, 766], ist mit Halbmond und Stern abgebildet, s. LIMC II/2, 574 Nr. 2). – Der Halbmond selbst ist als Symbol älter (Picard 1922, 368). Zudem hat man den Halbmond und Sterne im Tempelschatz des Artemision gefunden (Picard 1922, 368; Fleischer 1973, 73 mit Anm. 3). 60 Vgl. Fleischer 1973, E 40 (Rom, Villa Albani Nr. 700 = Thiersch 1935, Taf. VI,1 und VII); Fleischer 1973, Taf. 33 = E 58 (Solothurn, Privatbesitz. Aus Rom oder Neapel), Taf. 44 = E 88 (Terrakotta, frühestens trajanisch-hadrianisch, Boston, Museum of Fine Arts, vgl. dazu Fleischer 1973, 27), E 96 (= Thiersch 1935, Taf. 42,4 = Nr. 48, aus Klazomenai?, Genf, Musée d’art et d’histoire 10978), vgl. auch Lichtenecker 1952, 95. Den hängenden Halbmond trägt auch die karitische Aphrodite von Aphrodisias regelmäßig, s. Lichtenecker 1952, 96. 61 Vgl. die Terrakotten E 92–94 (Genf, Musée d’art et d’histoire 9148.9149.11201), evtl. auch E 95 (Genf, Musée d’art et d’histoire 11015), sowie E 107 (Toulouse, Sammlung A. Laumonier, Erwerb in Izmir) in Fleischer 1973, s. bes. 73, Lichtenecker 1952, 95. 62 Vgl. Gundel 1992, Taf. 4 Artemis Ephesia, 2. Jh. n. Chr. (?) (Nr. 219). Vgl. dazu mit Verweisen auf weitere Statuen Gundel 1992, 151 f., sowie Fleischer 1973, Taf. 18 (E 46, neun Tierkreiszeichen) und Taf. 28 (E 47, acht Tierkreiszeichen), jeweils Statuetten aus Selçuk, sowie Taf. 34 (= E 60), Statue aus Leptis Magna, Tripolis Museum. (s. Fleischer 1973, 19) = Thiersch 1935, Taf. XXVI = Nr. 29 (Tripolis), Zeit Hadrians? (s. S. 38–51), Fleischer 1973, E 33 und E 38 (Rom, Museo Torlonia, jeweils drei Tierkreiszeichen), Taf. 7–9 (E 13, Jerusalem, ein Tierkreiszeichen), vgl. weiter die ausführliche Übersicht in Lichtenecker 1952, 98 f. 63 Die in Offb 12 genannte Zwölfzahl ist insofern ohne Pendant. 64 Fleischer 1984, 756. 65 Fleischer 1973, E 40 (Rom, Villa Albani Nr. 700 = Thiersch 1935, Artemis, Taf. VI,1 und VII, s. Thiersch 1935, 33 f.) sowie Fleischer 1973, Taf. 33 = E 58 (Solothurn, Privatbesitz. Aus Rom oder Neapel), vgl. Fleischer 1973, 73. 66 Fleischer 1973, 73, er stimmt hier Lichtenecker 1952, 97, zu. In Ephesus fanden sich schon in archaischen Schichten Mondsicheln (Lichtenecker 1952, 96, vgl. Fleischer 1973, 73 mit Anm. 3). Lich­ tenecker nimmt an, dass das Halbmond-Diskus-Zeichen, das ein „altehrwürdiges astrales Symbol des Zweistromlandes“ ist und „als Zeichen des Mondgottes Nannar“ gilt, als astrales Symbol „aus dem phönikischen Kulturkreis in das Bild der Ephesia eingegangen ist“ (alle Zitate aus Lichten­ ecker 1952, 96 f.).

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erzählt, „Leto habe Apollon und Artemis beim Koressos zur Welt gebracht“.67 Bemerkenswert im Blick auf Offb 12 ist weiter, dass eine spätantike Inschrift Patmos (wo der Verfasser der Apokalypse sich nach Offb 1,9 aufgehalten hat) als die „stolzeste Insel der Leto-Tochter“ Artemis bezeichnet.68 Die Insel beherbergte offensichtlich ein Artemis-Heiligtum69 und war in neutestamentlicher Zeit, so ist zu schließen, „mit der Leto-Artemis-Apoll-Tradition verbunden.“70 b. Atargatis Atargatis, die aufgrund von literarischen, numismatischen und inschriftlichen Zeugnissen mit der Dea Syria gleichgesetzt werden kann71 – letzteres ist die bei den Römern gängige Bezeichnung72 –, ist in einem synkretistischen Prozess „im Verlauf ihrer Begegnung mit dem griechischen und dem römischen Pantheon Verbindungen mit verwandten Göttinnen eingegangen“.73 Sie wurde z. B. mit der Ἁγνὴ Ἀφροδίτη (auf Delos) und der Μήτηρ θεῶν (in Phistyon) identifiziert.74 Atargatis war in hellenistischer Zeit eine der Hauptgöttinnen in Nordsyrien.75 In griechischen Inschriften wird sie oft „syrische Aphrodite“ genannt.76 Ihr Kult in Smyrna kann als gesichert gelten.77 In Lukian von Samosatas Περὶ τῆς Συρίης θεοῦ 32 finden wir eine Beschreibung der Kultstatue, die neben Jupiter im Tempel von Hierapolis auf einem Löwen sitzt: „Was aber die Juno (ἡ δὲ Ἥρη) betrifft, so entdeckt man, je länger man sie betrachtet, immer mehr Merkmale an ihr, wodurch sie sich von der gewöhnlichen Gestalt, in welcher sie vorgestellt zu werden pflegt, unterscheidet. Im ganzen ist sie, die Wahrheit zu sagen, unfehlbar Juno ( Ἥρη); aber sie hat doch etwas von Minerven und Aphroditen, von Selenen und Rheen, von Dianen, von der Nemesis und von den Parzen. In der einen Hand hält sie einen Szepter, in der andern einen Spinnrocken; auf dem Haupte trägt sie einen Turm und ist mit Strahlen umgeben; auch ist sie mit dem Gürtel geschmückt, der sonst der Venus Urania ausschließlich eigen ist. Außerdem ist sie über und über mit Goldblechen ­behangen, die mit sehr kostbaren weißen, wasserblauen und feuerfarben Edelsteinen besetzt sind […] Auf

Fleischer 1984, 756. Zu Leto und Apollon s. u. Merkelbach/Stauber 1998, 169 (im griechischen Text Z. 7). Saffrey 1975. Karrer 2017, 245 (Lit.!). Hörig 1979, 248. Hörig 1979, 248; Lambrechts 1954, 263. Hörig 1979, 249; Lambrechts 1954, 258–277. Hörig 1979, 249.250 f. Atargatis ist selbst wieder aus einem „Verschmelzungsprozess“ hervorgegangen, in dem Ištar (welche selbst die Funktionen anderer Göttinnen in sich vereinte) und die Verschmelzung von cAnat und cAṯtart eine Rolle spielten, sowie wahrscheinlich noch weitere Göttinnen, vgl. detaillierter Hörig 1979, 251–259. 75 Collins 1976, 72. 76 Lambrechts 1954, 264. 77 Lambrechts 1954, 264.274. 67 68 69 70 71 72 73 74

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dem Haupte trägt sie einen Stein, von seiner sonderbaren Eigenschaft die ‚Lampe‘ genannt. Dieser Stein gibt bei Nacht einen so hellen Schein von sich, daß der ganze Tempel davon wie mit Lampen beleuchtet scheint: bei Tage ist dieser Schein viel schwächer, doch behält er immer eine feuerige Gestalt“.78

Hervorzuheben ist im Blick auf die Göttin das Relief einer Artagatis/Tyche/Kybele mit Mauerkrone und Schleier aus dem Tempel von Khirbet et-Tannur (Jordanien), aus dem frühen 2. Jh. n. Chr.79 Die Göttin ist in einem Ring mit allen Zeichen des Zodiaks dargestellt. Hinter ihrer linken Schulter ragt ein von einem Halbmond bekränztes Zepter hervor, über ihrer rechten Schulter erscheint ein Halbmond. c. Isis Isis wird in den Metamorphosen des Apuleius (geb. um 125 n. Chr.) als Himmelskönigin („regina caeli“) angesprochen80 und u. a. mit Astralsymbolen beschrieben.81 Ebenso wird Isis häufig in Verbindung mit astralen Bildelementen dargestellt82 – 78 Übersetzung Wieland 1974, 186 f., Griechisch: Harmon 1925. 79 Cincinnati Art Museum, Inv.-Nr. 1939–233, s. https://www.cincinnatiartmuseum.org/art/explorethe-collection?id=12520475, vgl. dazu Glueck 1965, 284.398–400; L’Orange 1982, 96 („Kybele or some pretentious city goddess“); Hörig 1984, 1564, und Collins 1976, 73. 80 Apul. met. XI 2,1; vgl. XI 4,5: „regina manium, prima caelitum“. In Apul. met. XI 2,3 heißt es, dass sie mit ihrem „fraulichen Licht“ („luce feminea“) „jede Statt“ erhellt (Übersetzung Brandt/Ehlers 1989). (Zur Identifikation der regina caeli mit Isis vgl. Apul. met. XI 5,3 [„vero nomine reginam Isidem“]; Griffiths 1975, 114 f.; vgl. allgemein Klauck 1995, 115–118). Vgl. den Mond (= Isis, vgl. auch Plut. Is. 52 = mor. 372D) als „Mutter der Welt“ (μητέρα τοῦ κόσμου) in Plut. Is. 43 = mor. 368C. In der Isis-Inschrift von Kyme (1.–2. Jh. n. Chr.) heißt es: „[…] Ich habe den Sternen die Wege gezeigt./Ich habe den Gang der Sonne und des Mondes geordnet./[…] Ich bin in den Strahlen der Sonne./Ich beobachte den Lauf der Sonne“ (Übersetzung aus Leipoldt/Grundmann 1972, 96 Nr. 124 Z. 17 f.57 f.; vgl. Merkelbach 1995, 115–118, hier 116 f.). Collins folgert daraus: „[…] it is likely that the zodiac was considered to be under her power“ (Collins 1976, 74). 81 Vgl. Apul. Met. XI 3,4: „In seiner [sc. des Scheitels der Isis, P. v. G.] Mitte über der Stirn ließ eine runde Scheibe wie ein Spiegel, nein, wie ein Modell des Mondes, schimmerndes Licht erstrahlen […] Und […] ein Mantel, nachtschwarz und in dunklem Seidenschimmer […]. Über die angewebte Verbrämung hin und auf seiner Fläche selbst waren flimmernde Sterne verstreut, und in ihrer Mitte sprühte ein Vollmond feurige Flammen […]“ (Übersetzung Brandt/Ehlers 1989). 82 Vgl. die Isis Urania im Sternenmantel (Louvre, Paris), Abb. in Merkelbach 1995, 585 Abb. 108 und LIMC V/2, 505 Isis Nr. 73. Zum Himmelsmantel vgl. Eisler 1910 (zu Isis S. 69). Eine Isis mit liegendem Halbmond als Kopfschmuck findet sich in Eingartner 1991, Kat. 30 (= Taf. XXII) um 200 n. Chr. aus Laodikeia (!) (Nymphäum); Kat. 41 (= Taf. XXIX) um 100 n. Chr., Kat. 47 (= Taf. XXXII) 120–130 n. Chr. (die Ähren in der Höhlung des liegenden Halbmondes sind ein Symbol der Demeter); Kat. 48 (= Taf. XXXII) liegender Halbmond mit [!] Diskus in der Höhlung; 74 (= Taf. XLIX) 150–180 n. Chr. (mit Uräus und Ährenbündel in der Höhlung des Halbmondes); Kat. 78 (= Taf. LI) 200–220 n. Chr.; Kat. 79 (= Taf. LII) 70–90 n. Chr. (aus der Höhlung des Halbmondes wächst ein Lotus auf); Kat. 83 (= Taf. LIV) um 150 n. Chr. (ein Diskus steigt aus der Höhlung des Halbmondes auf, flankiert von zwei Uräen). – Schon im alten Ägypten wachsen Isis astrale Züge zu – in den Pyramidentexten lässt sich die Gleichsetzung mit Sothis nachweisen, sie rückt an ihren Sohn, den Himmelsgott Horus, heran. Sie wird mit den Himmelsgöttinnen Nut

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bisweilen mit der Sonnenscheibe (Diskus),83 mehr noch mit Stern(en) und der Mondsichel auf dem Kopf84 wie auf zwei Darstellungen aus Pompeji aus dem 1.  Jh. n. Chr.85

Abb. 2: Isis-Fortuna mit Sistrum in der rechten und Füllhorn in der linken Hand (Wandfresko aus dem Haus des Philocalus in Pompeji, Ausschnitt) © Yvonne Weber.86

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und Hathor gleichgesetzt und ist Mutter/Gattin des Sonnengottes Re. Ab dem Mittleren Reich wird sie „Herrin des Himmels“ genannt (Münster 1968, 198). – Mit Sonne und Mond verbunden ist der Bronzespiegel aus dem 3. Jh. n. Chr., der in Eleusis gefunden wurde (Abb. 3 in Daux 1964, 695). Mehrfach ist die Gleichsetzung der παρθένος des Zodiaks mit Isis, der regina caeli, bezeugt (Boll 1903, 208–216; Boll 1914, 109). Tran Tam Tinh 1971, Abb. 9–12; Die Sonnenscheibe (Diskus) zwischen Kuhhörnern als Kopfschmuck erinnert an Hathor (vgl. Roeder 1916, 2123), vgl. die Isisdarstellungen aus der römischen Kaiserzeit in Eingartner 1991, Kat. 5 = Taf. VII (120–130 n. Chr.), Kat. 16 = Taf. XV (140– 150 n. Chr.), Kat. 32 = Taf. XXIII (um 200 n. Chr.), Kat. 81 = Taf. LIII (130–150 n. Chr.). Kat. 48 (= Taf. XXXII) und Kat. 83 (= Taf. LIV) zeigen einen liegenden Halbmond mit Diskus in der Höhlung des Halbmondes. Die ursprünglich von der Hathor stammenden Rinderhörner wurden in hellenistischer Zeit offensichtlich als Mondsichel interpretiert, so Roeder 1916, 2115 Z. 60–66; 2123 Z. 8–10, vgl. Plut. Is. 52 = mor. 372D: „Isis, so erklären sie, sei nichts anderes als der Mond; wenn daher ihre Kultbilder Hörner trügen, so sei das eine Nachahmung der Mondsichel“ (Übersetzung Görgemanns 2003, 225). – Da Isis in griechisch-römischen Texten und auch ikonographischen Darstellungen breit als lunare Göttin dargestellt wurde, jedoch wenig dafür spricht, dass sie schon in Ägypten als lunare Gottheit aufgefasst wurde, folgert Collins 1976, 74, dass Isis „association with the moon was a Graeco-Roman development under the influence of the identification of Osiris-Sarapis with Helios“. Genauer: vor der Katastrophe von 79 n. Chr., Tran Tam Tinh 1964, 9. Fresko aus Pompeji, Nationalmuseum von Neapel, Inv.-Nr. 8836; Zeichnung nach https://commons. wikimedia.org/wiki/File:MANNapoli_8836_Isis_Fortune_painting.jpg (Abruf am 14.01.2019). Abbildung auch in Merkelbach 1995, Taf. VII (s. auch 577 Abb. 99), Abb. auch LIMC V/2, 513 Isis 210; Tran Tam Tinh 1964, Taf. XVII.

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Auf dem in Abb. 2 abgebildeten Fresko steht Isis Urania Panthea/Isis Fortuna vor dem Hintergrund des Sternenhimmels. Auf ihrem Kopf befinden sich die Mondsichel und darin der (Sothis-)Stern. Sie hat zwei große bläuliche Flügel und in der Rechten ein Sistrum, in der Linken ein Füllhorn und eine Blumengirlande. Ihr rechter Fuß steht auf einem Globus, an den ein Steuerruder lehnt.87 Eine ähnliche Darstellung findet sich auch auf einem weiteren Fresko in Pompeji,88 das Isis auf der linken Seite einer Nische mit Mondsichel und aus dieser „hervorwachsend“ eine Lotusblüte zeigt, über der (zwischen den Enden der Mondsichel) ein Stern steht. Sie hat zwei breit entfaltete Flügel und steht auf einem Globus. Mit dem rechten Ellbogen stützt sie sich auf einen Pfeiler, auf dem ein Sistrum liegt. In der linken Hand hält sie ein Steuerruder und in der rechten ein Füllhorn – die Attribute weisen „incontestablement“ auf Isis-Fortuna.89 Anders als in Offb 12,1, wo die Frau den Mond unter den Füßen hat, steht Isis auf Darstellungen in Italien (s. o.90) immer wieder mit einem Fuß/den Füßen (?) auf dem Globus.91 Oft wird Isis mit zwei Flügeln dargestellt92 – genau wie die Frau in Offb 12,14. Isis und die Frau in Offb 12 haben auch gemeinsam, dass jede einen Sohn gebiert. Der der Frau entgegengesetzte Drache wird zudem in Offb 12 als „rot“ (πυρρός) bezeichnet – genauso wie Seth-Typhon,93 der Gegner der Isis, der u. a. als Drache oder Schlange vorgestellt werden konnte.94 Im Blick auf die Adlerflügel in Offb 12,14 kann man weiter fragen, ob im Hintergrund evtl. die Vorstellung von Isis als Falke steht.95

87 Von links nähert sich ihr ein junger Mann auf einem Pferd (der Mondgott Μήν, Lunus?), dessen Haarpartie von einer bläulichen Aureole (einer umgekehrten Mondsichel?) umgeben ist und der in seiner rechten Hand eine Doppelaxt hält. Rechts steht sehr nahe an der Göttin ein nacktes, geflügeltes Kind (Harpokrates? Amor?) mit blauen Flügelchen, das mit beiden Händen eine Fackel hält, vgl. dazu bes. Tran Tam Tinh 1964, 148 Nr. 59. Die Zeichnung in diesem Band gibt nur die Göttin wieder. 88 Tran Tam Tinh 1964, Taf. XIV. 89 Tran Tam Tinh 1964, 147 Nr. 58. Neben der Göttin fliegt ein geflügeltes Kind, das in einer Hand eine brennende Fackel hält. Der Isis-Fortuna auf der linken Seite der Nische ist auf der rechten Seite derselben eine weibliche Figur auf einem Pferd entgegengesetzt, die mit beiden Händen eine Fackel hält (vgl. Tran Tam Tinh 1964, 147 Nr. 58). 90 Zum Kulturkontakt zwischen Italien und Kleinasien in hellenistisch-römischer Zeit bes. im Blick auf die Ikonographie, vgl. Balch 2006, 289.297. 91 S. o. Merkelbach 1995, Taf. VII = 577 Abb. 99; Tran Tam Tinh 1964, Taf. XIV (= abgedr. in Bergmeier 2000, 261, Taf. B) und XVII. 92 S. o. und Aune 1998, 674. 93 In griechisch-römischer Zeit wurde Seth mit Typhon identifiziert, s. Collins 1976, 79. Seth-Typhon ist nach Plut. Is. 22 = mor. 359Ε; 31 = mor. 363A; 32 = mor. 364B; Diod. I 88,4 πυρρός. 94 Bergmeier 2000, 254. 95 Bergmeier 2000, 255, aber umgestaltet nach alttestamentlicher Überlieferung – der Deutung des Auszugs aus Ägypten Ex 19,4 (Bergmeier 2000, 255; Kraft 1974, 170; s. o.).

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Abb. 3: Isis pharia mit Segel und Sistrum, rechts Pharos (Drachme, Hadrian, Jahr 18) © Yvonne Weber.96

Neben der Himmelskönigin Isis und der Isis lactans97 ist ikonographisch rekurrent auch das Motiv der Isis pelagia98 und der Isis pharia99 auf Münzen, Lampen, Gemmen, Reliefs und Statuen mit weiter geographischer Streuung bezeugt.100 Isis hält darauf ein Segel,101 das sich im Wind bläht, und „fliegt“ sicher über die Wogen des Meeres (und fährt im zweiten Fall dabei auf den sicheren Hafen zu).102 In

  96 Zeichnung nach http://www.wildwinds.com/coins/ric/hadrian/milne_1414.jpg (Abruf am 15.02.2019).   97 Stark verbreitet sind Bilder der Isis lactans, s. Tran Tam Tinh 1973; v. Gemünden 2003, 101 Abb. 12a und 100 f. mit Anm. 138. Das Stillen fehlt jedoch im Zusammenhang mit der Frau in Offb 12: Offb 12,2 erzählt von Schwangerschaft und qualvoller Geburt.   98 Vgl. Williams 1985, 109–122 (die Münze aus Byblos unter Antiochus IV. Epiphanes 215–163 v. Chr. [Williams 1985, Taf. 22a] stellt das erste bekannte Vorkommen dieses Bildtyps dar, vgl. weiter Williams 1985, 110; Bruneau 1963, 303 Abb. 3; Babelon 1971, 74 Nr. 575 (s. Taf. XIII Abb. 10: Isis mit Halbmond über dem Kopf, mit der rechten Hand ein geblähtes Segel haltend). Vgl. weiter Williams 1985, Taf. 23a (Münze aus Korinth unter Lucius Verus); Merkelbach 1995, 685 Abb. 229 (Münze aus Alexandria unter Hadrian 133/1 n. Chr.); 668 Abb. 240.241 (Münzen aus Kyme/Kleinasien, 2.–3.  Jh. n. Chr.). Salditt-Trappmann 1970, 39 Nr. 2; 40 Nr. 5.   99 Hier fährt Isis auf den Pharos, den Leuchtturm in ihrem Heimathafen Alexandria, zu, s. Merkelbach 1995, 684 f. Abb. 227.228 (Münzen aus Alexandria unter Hadrian 133/134). 100 Vgl. Williams 1985, 110. Isis war es ja, die die Seefahrt erfunden hat. Deshalb wurde sie als „Herrin der Winde und der Wasser“ vorgestellt, die „die Wogen des Meeres beruhigen und aufschäumen lassen kann“, Merkelbach 1995, 119. 101 Nach der Mythologie hat sie das Segel bei der Suche nach ihrem Sohn Harpokrates erfunden; s. Bruneau 1974, 335. 102 Nicht immer ist ein Schiff unter ihren Füßen skizziert. Die Isis pelagia/pharia ist auf Münzen breit unter Hadrian bezeugt (http://www.wildwinds.com/coins/greece/egypt/alexandria/i.html, dort: Hadrian Milne 1412; 1413v; 1414; 1415 [Abruf am 24.01.2019]; Kampmann/Ganschow 2008, 141 Nr. 32.546; 144 Nr. 32.586 und Nr. 32.589). – Unter Domitian sind drei alexandrinische Münzprägungen jeweils mit einer nach rechts stehenden Isis pharia mit aufgeblähtem Segel belegt, s. Kampmann/Ganschow 2008, 77 Nr. 24.105 (90/91 n. Chr.); 78 f. Nr. 24.136 und Nr. 23.158 (beide 91/92 n. Chr.). In der reichsrömischen Münzprägung erscheint die Isis pelagia/pharia jedoch erst seit Diokletian, s. Imperium der Götter 2013, 176 Anm. ad Nr. 97.

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Offb 12,14 f. fliegt die Frau mit zwei Flügeln des großen Adlers vor der Drachenschlange in die Wüste103 – die Wasserfluten, mit denen diese sie ertränken will,104 können ihr nichts anhaben.105 Die meisten ikonographischen Übereinstimmungen zur Frau in Offb 12 weist Isis auf106 – der Isiskult war in der frühen Kaiserzeit ausgesprochen weit verbreitet.107 Isis (bzw. Isis Sarapis) wurden auch in Ephesus und Pergamon verehrt.108 Folglich ist es naheliegend, dass die Leser*innen der Johannesoffenbarung vorrangig Isis mit der Frau von Offb 12 assoziierten,109 wobei man in Rechnung stellen muss, dass auch Isis aufgrund des zunehmenden Synkretismus in hellenistisch-römischer Zeit mit zahlreichen anderen Göttinnen verbunden wurde.110 Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Frau in Offb 12 keiner der vorgenannten Göttinnen eindeutig zugeordnet werden kann,111 „auch wenn es viele Anspielungen gibt“.112 Hier ist eine „Polyvalenz“ zu konstatieren – wie auch im Blick auf den „plot“, der Bedrohung des Kindes (und seiner Mutter) durch einen Drachen und schließlich die Errettung des Kindes – des künftigen Bezwingers/Überwinders der Chaosmacht.113

1.3.2 Narratologische Bezüge Zwei mythische Traditionskomplexe werden in der Forschung häufig im Blick auf Offb 12,1–6.13–18 diskutiert:114 Zum einen handelt es sich um den Isis-Horus-­

103 Die Wüste hat im „paganen“ mythologischen Kontext kein Pendant. 104 Karrer 2009, 275, sieht hier eine Reminiszenz daran, „dass Israel auf Bergen, nicht an der Küste lebte“. 105 Offb 12,16 verschlingt jedoch die Erde den Wasserstrom. 106 Vgl. auch Collins 1993, 21. 107 Vgl. Haase 1998, 1126 f.; Gigon 1991, 1412: „Sie [sc. Isis, P. v. G.] ist diejenige Gottheit, die […] unter Griechen und Römern selbst weitauf die größte Verbreitung fand“; zu Kleinasien vgl. auch Busch 1996, 80 Anm. 178. – Zur mehrfach bezeugten Gleichsetzung der Isis mit dem Sternbild der παρθένος, s. o. 108 Vgl. Koester 1998, 112.127–132.135. In Smyrna ist Isis bis jetzt archäologisch nur durch eine einzige Terrakottabüste von Sarapis und Isis belegt, zweimal wird jedoch ein Isistempel in Smyrna bei Aelius Aristides erwähnt (Koester 1998, 124). In Kyme, im Norden von Smyrna, ist der Isiskult nicht nur durch die berühmte Isis-Inschrift (s. o.), sondern auch archäologisch (Tempel) und numismatisch (Münzen mit Isis auf der Rückseite seit Hadrian) belegt, s. Koester 1998, 125. Vgl. weiter Dunand 1973. 109 Vgl. Strobel 1987, 1096. 110 Vgl. Frey 2004, 108 mit Anm. 80; Balch 2006, 287–314, zu Io/Isis/Venus in „domestic art“, vgl. Balch 2006, 297–302. 111 Ulland 1997, 183. Collins 1976, 75, stellt resümierend fest: „[…] any one of the three high goddes�ses might have served as the model for the description of the woman of 12:1“. 112 Ulland 1997, 183. 113 Vgl. Koch 2004, 141.144–150, vgl. Frey 2004, 109. 114 Der Drachenkampf in Offb 12,7–9 stellt einen eigenen Traditionskomplex dar, s. Koch 2004, 144.

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Seth(Typhon)-Mythos (a) und zum anderen um den Leto-Apollon-Python-­ Mythos (b)115 bzw. um eine Kompilation beider Mythen (c). a. Isis-Horus-Seth(Typhon)-Mythos Isis ist die Mutter eines Sohnes wie die Frau in Offb 12 – bedroht von einem Drachen. Ein geschlossener Isis-Mythos ist aus Ägypten nicht überliefert, zudem ist mit großen Überlieferungsunterschieden zu rechnen.116 Verstreute Fragmente stellen das Götterpaar Isis und Osiris und den Gegenspieler des Osiris, seinen Zwillingsbruder Seth, vor. Osiris wird von Seth umgebracht – ein Mord, den Horus (bzw. Harsiese oder Harpokrates), der Sohn von Isis und Osiris, schließlich rächt117 und selbst König wird. In griechisch-römischer Zeit fungiert Isis als Vorbild und Göttin der Gebärenden118 und erscheint oft als „Isis lactans“,119 also in der Mutter- bzw. Ammenrolle. Jedoch sind uns aus dieser Zeit weder bei Plutarch noch bei Diodorus eine Geburtsgeschichte120 oder eine Erzählung der Verfolgung der Isis und ihres Kindes durch (Seth-)Typhon überliefert.121 Erstere lässt sich gleichwohl in den Pyramidentexten des Alten Reiches nachweisen.122 Die Verfolgung der Schwangeren durch Seth wird in einem Sargspruch im Mittleren Reich angesprochen.123 Auf der sog. Metternich-Stele (ca. 350 v. Chr.) lesen wir auf deren Rückseite von der Flucht der Isis „aus dem Gefängnis, in das mein Bruder Seth mich geworfen hatte“, und auf der Oberseite des Sockels der Stele, dass Isis im Papyrusdickicht Horus, den Sohn des Osiris, gebar „und aus Furcht vor dem Mörder (?)“ verbarg.124 Die Belege bedeuten einen mehrheitlich gewaltigen Zeitsprung bis in die neutestamentliche Zeit und werfen die Frage der Transmission in diese Zeit auf.125 Haben mündliche, kultische, ikonographische Überlieferungen diese mythischen Elemente bis in die Zeit des Apokalyptikers Johannes transportiert?126 Kann die Verbindung des Leto-

115 Im Blick auf Offb 12 hat erstmals W. Bousset im Jahr 1859 auf Züge des Isismythos hingewiesen (vgl. Bousset 1966 [= ND von 61906], 354 f.); auf den Leto-Mythos Dieterich 1891, 112–122. 116 So Zingsem 1999, 285. 117 Vgl. Klauck 1995, 112; Koch 2004, 145. 118 Kalms 2001, 119. 119 S. o. und Kalms 2001, 119 mit Anm. 455. Das Motiv findet sich auch schon in Ägypten, s. Aune 1998, 673. 120 Vgl. Omerzu 2006, 181 mit Anm. 82. 121 Busch 1996, 79; Aune 1998, 673. Dies gilt auch weitgehend für die Auseinandersetzung der Apologeten mit Isis, s. Busch 1996, 79 f. 122 Belege in Busch 1996, 76 mit Anm. 172 (Isis gebiert den Horusknaben in Chemnis). 123 Vgl. den Sargspruch Nr. 148 in Busch 1996, 77. Er lässt sich für die Zeit zwischen 2100–1786 v. Chr. nachweisen. 124 Übersetzung Roeder 1915, 87 f.93, auch zitiert in Busch 1996, 78; s. auch Budge 1911, 95 f.; weiter Aune 1998, 673 f. 125 Busch 1996, 78; Frey 2004, 109. 126 Die verbreitete Darstellung der Isis lactans setzt z. B. die Vorstellung der Geburt (Geburtslegenden?) voraus, s. Kalms 2001, 119.

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Isis-Mythos bei Herodot (s. u.) als Indiz für eine Vermittlung alter Traditionen in weit entfernte Zeiten gewertet werden?127 Hier bleibt ein Stück Unsicherheit. Eine mehr als nur fragmentarisch überlieferte Darstellung des Mythos begegnet uns erst bei Diodorus Siculus (Mitte des 1. Jh.s v. Chr.)128 und – ausführlicher und etwas abweichend – bei Plutarch (Is. 12–20 = mor. 355D–358F; Beginn des 2.  Jh.s n. Chr.).129 b. Leto-Apollon-Python-Mythos Der griechische Leto-Apollon-Python-Mythos erfreute sich unter den Mythen um Leto offensichtlich großer Beliebtheit130 und war – wie literarische Zeugnisse und Inschriften zeigen – auch im westlichen Kleinasien im 1. Jh. v. Chr. und 1. Jh. n. Chr. bekannt.131 Die ausführlichste Version bietet Hyginus in seinen Fabulae, die vor 207 n. Chr. zu datieren sind:132 „1. Python, der Sohn der Erdgöttin, war ein riesiger Drache (draco). Vor Apollon pflegte er auf dem Parnass Orakelsprüche zu verkünden. Diesem war vom Schicksal bestimmt, durch einen Sohn der Leto (Latona) den Untergang zu finden. 2. Zu dieser Zeit hielt Zeus (Iouis) Beilager bei Leto, der Tochter des Polus. Als Hera (Iuno) das erfuhr, bewirkte sie, dass Leto dort gebären sollte, wo die Sonne niemals hinkommt. Sobald Python bemerkt hatte, dass Leto von Zeus (Ioue) schwanger war, verfolgte er sie beharrlich, um sie zu töten. 3. Auf Befehl des Zeus jedoch hob der Nordwind Leto auf und trug sie zu Poseidon (Neptun); jener nahm sie in seinen Schutz; um aber die Entscheidung der Hera (Iuno) nicht zu durchkreuzen, brachte er sie auf die Insel Ortygia, die er dann mit Fluten bedeckte. Als Python sie nicht gefunden hatte, kehrte er zum Parnass zurück. 4. Neptun aber ließ die Insel Ortygia wieder an die Oberfläche kommen; diese wurde nachher Delos genannt. Dort gebar Leto […] Apollon und Diana, denen Vulcanus Pfeile zum Geschenk gab. 5. Am vierten Tag nach ihrer Geburt vollzog Apollon Rache für seine Mutter: Er begab sich nämlich zum Parnass, erlegte den Python mit Pfeilen – danach hieß er dann Pythios – und sammelte seine Gebeine in einem Kessel […]“.133

127 So Kalms 2001, 120 Anm. 456fin. 128 Diod. I 21 f.; I 88,4–7. 129 Vgl. dazu Plut. Is. = mor. 351–384C (passim), Aune 1998, 672. 130 Busch 1996, 81 mit Anm. 181. 131 Vgl. Collins 1976, 70 f.; van Henten 2006, 185; Giesen 1997, 296. 132 Collins 1976, 670. Dort auch weitere Quellen für den Mythos. 133 Hyg. fab. 140 auf der Grundlage des lateinischen Textes von Boriaud 1997, 107, ins Deutsche übersetzt von Kalms 2001, 116 (Ergänzung der lateinischen Begriffe in Klammern nach Boriaud 1997 durch P. v. G.).

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Der Leto-Mythos ist dem Isis-Mythos in der Grundkonstellation „auffallend ähnlich“,134 bietet aber anders als dieser eine Geburtslegende. Der Leto-Mythos weist eine Reihe Übereinstimmungen mit Offb 12 auf: Eine schwangere Frau wird von Python/einem Drachen verfolgt, der die Kinder bzw. das Kind vernichten will, die Kinder bzw. das Kind und die Frau werden jedoch gerettet.135 Jedoch ist die Frau im Leto-Mythos, anders als die Frau in Offb 12, schon vor der Entbindung in Sicherheit.136 Ikonographische Darstellungen wie die auf einer alten griechischen Vase legen jedoch nahe, dass sich die Verfolgung „auch nach erfolgter Geburt“ von Letos Kindern „wiederholt zu haben [scheint]“.137

Abb. 4: Leto mit Apollon und Artemis, von der Pythonschlange bedroht.138

134 So Kalms 2001, 115. Der Letomythos war dem Verfasser und den Adressat*innen der Johannesoffenbarung sicher bekannt – er ist sowohl die Gründungslegende des Letoon, des Heiligtums für Leto und ihre „Kinder“ Apollon und Artemis, nahe der lykischen Metropole Xanthos, als auch die Gründungslegende des Apollon-Heiligtums auf Delos, vgl. Strobel 1987, 1094. Apollo Pythios wurde sowohl in Ephesus als auch in Pergamon verehrt, s. Collins 1976, 248–250. 135 Vgl. genauer Collins 1976, 61.66, und die Übersichten in Aune 1998, 671. 136 Ausdrücklich konstatiert von Aune 1998, 671; Omerzu 2006, 184; vgl. van Henten 2006, 186. Im Isis-Typhon-Mythos dagegen verfolgt Typhon Isis und ihren Sohn nach der Entbindung (van Henten 2006, 186 f.). 137 Vollmer 1874, 309. Vgl. auch das Relief aus dem 2. Jh. aus Ägypten, auf dem Leto und Apollo von der Python-Schlange bedroht werden: https://www.mfa.org/collections/object/relief-with-letoapollo-and-python-437185 (Abruf am 04.02.2019) und das Relief aus dem 4.–3. Jh. aus griechi�schem Kontext im Michael C. Carlos Museum, Inv.-Nr. 2003.023.006, s. Michael C. Carlos Museum Collections Online, http://carlos.digitalscholarship.emory.edu/items/show/7220 (Abruf am 06.02.2019) („Relief with Leto Escaping from Python with her Twins, Artemis and Apollo“). Seit der Zeit Hadrians wurden u. a. in Ephesus Münzen mit der vor Python mit ihren Kindern fliehenden Leto geprägt, vgl. Saffrey 1975, 413; van Henten 2006, 186; Dieterich 1891, 121. Weitere Belege bei Saffrey 1975, 413. 138 Abb. aus Vollmer 1874, 310 Abb. 198, sowie die Druckgraphik http://ruskin.ashmolean.org/col� lection/8979/object/13865 (Abruf am 04.02.2019). Rekurrent finden sich Darstellungen von Leto, die mit Apollon und Diana auf den Armen (oder nur Apollon auf dem Arm) vor Python flieht (mehrheitlich ohne Darstellung der Schlange), s. Berger-Doer 1992, 269 Punkt e. Abbildungen einer rennenden Leto mit den zwei Kindern auf den Armen in LIMC VI/2, 131 Nr. 18–20.

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Die Frau in Offb 12 flieht erst nach der Entbindung (und der Errettung des Sohnes, die durch eine Entrückung zu Gott und seinem Thron erfolgt, Offb 12,5) in die Wüste, während die schwangere Leto auf einer Insel Schutz suchte. Offb 12 erzählt von der Geburt eines Sohnes, aber nicht von der Geburt von zwei Kindern. Ein Pendant zu Artemis, der Schwester Apollons, fehlt also in der Apokalypse. Ebenso hat die Ermordung Pythons durch Apollon kein Pendant in Offb 12:139 Die Frau in Offb 12 bleibt weiter vom Drachen bedroht.140 Jedoch lässt der Leto zu Beginn ihrer Verfolgung wegtragende Nordwind (Βορέας, lat. aquilo141) an den Adler (lat. aquila142) in Offb 12,14 denken.143 Die beiden Flügel der Frau in Offb 12,14 haben keine Entsprechung im Leto-Mythos, jedoch ein Pendant in einem Osiris-Hymnus,144 wo Isis (wie oft in ikonographischen Darstellungen) mit zwei Flügeln vorgestellt wird.145 c. Kompilation beider Mythen Der Leto- und der Isis-Mythos sind schon bei Herodot (geb. zwischen 490– 480 v. Chr., gest. um 424 v. Chr.) in einer „interpretatio Graecae“146 in einer „Mythenkompilation“147 miteinander verbunden. Isis wird als Mutter des Apollon und Leto als dessen Amme vorgestellt: „Als Leto, […] in Buto wohnte, […] übergab ihr Isis den Apollon zur Verwahrung. Sie rettete ihn dadurch, daß sie ihn auf der jetzt schwimmend genannten Insel verbarg, als Typhon, der die ganze Welt durchsuchte, dorthin kam, um den Sohn des Osiris zu finden. Apollon und Artemis, sagen sie, seien die Kinder des Dionysos und der Isis, Leto aber sei ihnen Amme und Retterin geworden. Auf ägyptisch heißt Apollon Horos, Demeter Isis, Artemis Bubastis […]“ (Hdt. II 156).148

139 Hier wird der Widersacher erst am Ende von Offb 20 definitiv außer Kraft gesetzt: Durch Michael und seine Engel wird der Drache aus dem Himmel geworfen (Offb 20,7–9[10 f.]). 140 Roloff 2001, 128. 141 Van Henten 2006, 187 Anm. 24. – Im politischen Kontext des Imperium Romanum war der Adler dagegen ein Bild für das römische Reich (die Aquila [Adler] war das höchstrangige Feldzeichen der römischen Legionen). Im jüdischen Kontext konnte der Adler als Feind Israels (AssMos 10,8) oder als verfluchter König (Sib 3,611) konnotiert sein; vgl. Mucha/Witetschek 2013, 122 Anm. 101. 142 Zu beachten ist die phonetische Assoziation „aquilo“ (Nordwind) – „aquila“ (Adler). 143 Karrer 2013, 69. 144 Er ist in die 18. Dynastie (ca. 1500 v. Chr.) zu datieren, s. Aune 1998, 705. 145 Mit den zwei Flügeln sucht sie nach Osiris, s. Aune 1998, 705; zu Isis mit zwei Flügeln s. weiter Roeder 1916, 2123 Z. 28–34 (zwei Flügel sind aber auch bei der Darstellung der παρθένος belegt, s. o.). Karrer 2013, 68, weist noch darauf hin, dass das Anschwellen eines Flusses (ποταμός) bis in die Wüste (Offb 12,14 f.) besser zu Ägypten mit seinen Nilüberflutungen als zum Leto-Mythos passt, Karrer 2013, 68. 146 So Aune 1998, 672. 147 So Koch 2004, 146. 148 Übersetzung Feix 2004, 173. Nach Plut. Is. 38 = mor. 366A soll Horus in den Sümpfen Butos von Leto aufgezogen worden sein. Van Henten 2006, 188, stellt im Blick auf die Drachen fest: „In fact,

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Der Autor der Apokalypse und seine Adressat*innen waren, so können wir annehmen, mit dem Isis-Leto-Mythos in der einen oder einer anderen Form vertraut – möglicherweise wurden die beiden mythischen Traditionskomplexe im Bewusstsein des Autors oder/und seiner Adressat*innen schon als mythologische Einheit wahrgenommen.149 Als Zwischenfazit können wir festhalten: Der Autor der Apokalypse spielt mit Anspielungen und Versatzstücken nicht nur aus dem alttestamentlich-jüdischen Bereich, sondern – gerade, was die narratio angeht,150 – auch mit solchen aus der „paganen“ Umwelt. Seine Bilder überschreiten die Grenzen von Sprachen und Religionen, sie evozieren über Motive kognitive Bedeutungsgehalte und entfalten gleichzeitig emotionale Kraft. Zum Verständnis ihrer Funktion(en) ist es sinnvoll, ihren möglichen Konnotationen im zeitgeschichtlichen Kontext nachzugehen.

2. Mögliche Konnotationen im zeitgeschichtlichen Kontext Die Apokalypse des Johannes ist nach derzeitiger Mehrheitsmeinung in die Zeit Domitians,151 genauer auf die letzten Jahre Domitians (81–96 n. Chr.) zu datieren.152 Unter Domitian ist eine Intensivierung des Kaiserkultes zu beobachten.153 Auch wenn es unter Domitian, anders als früher angenommen, keine systematischen, schweren Christenverfolgungen gab,154 so ist das Verhältnis des Apokalyptikers zum Römischen Reich und zum Kaiserkult, der gerade in Kleinasien ausgeprägt war, doch angespannt.155

2.1 Artemis Ephesia, Isis und Leto und der Kaiserkult Drei der oben untersuchten Frauenfiguren waren deutlich mit dem Kaiserkult verbunden: (a) die Gestalt der Artemis Ephesia, (b) die der Isis und (c) die der Leto.

Python and Seth-Typhon may have been thought to be part of one and the same mythological cluster […]“. 149 Vgl. Omerzu 2006, 183. 150 Omerzu 2006, 183. 151 Gielen 2003, 166; Schreiber 2013, 577. 152 Vgl. Iren. haer. V 30,3; Schreiber 2007, 444; Karrer 2017, 64, d. h. in die frühen 90er Jahre (Karrer 2017, 159). Anders: Taeger 1989, 21 f.; Aune 1998, I.LVIII (Trajan, 98–117); Witulski 2007, 138 (Hadrian, Abfassungszeit zwischen 132 und 135 n. Chr.). 153 Gielen 2003, 166; Kalms 2001, 124. 154 Klauck 1992, 164; v. Gemünden 1998, 29 mit Anm. 1. 155 Omerzu 2006.

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a. Artemis Ephesia In Ephesus waren der Artemiskult und der Kaiserkult (die beiden wichtigsten Kulte in Ephesus in römischer Zeit) eng miteinander verflochten.156 So konstatiert R. Oster: „there was often joint veneration of the Emperor and the Ephesian goddess, and, significantly, the Augusteum was erected inside the peribolos of the temple of Artemis (see especially I.Eph V.1522, to be dated 6–5 BC)“.157 Aus domitianischer Zeit sind mindestens zwei Münzen belegt, die nebeneinander zwei Kulte gleicher Bedeutsamkeit für Ephesus belegen: den für Artemis Ephesia und den für den Kaiser.158 So zeigt eine Münze auf dem Avers den Kopf Domitians mit der Inschrift Δομιτιανὸς Καῖσαρ Σεβασ(τὸς) Γερμανικὸς Αὐτοκράτ(ωρ) und auf dem Revers eine Tempelfront mit zwei Säulen auf beiden Seiten und das Kultbild der Artemis Ephesia in der Mitte umgeben von der Legende Ἐφεσίων Β Νεοκόρων. Die zweite Münze zeigt auf dem Avers Domitia mit der Legende Δομιτία Σεβαστή, auf dem Revers eine Tempelfront mit dem Kultbild der Artemis Ephesia in der Mitte und der Legende Ἐφεσίων Δ[ὶς Νε]οκόρων. b. Isis Vespasian wurde in Alexandria zum Kaiser ausgerufen, danach in Rom zusammen mit seinem Sohn Titus in einem Triumphzug geehrt. Die Nacht vor dem Triumphzug verbrachten Vespasian und Titus nach Josephus im Iseum Campese.159 Zur Erinnerung daran ließ Vespasian zwei Münzen mit dem Iseum emittieren.160 Unter Vespasian vollzog sich die „Verbindung der I[sis] mit dem domus Augusta“.161 Kaiser Domitian ließ verschiedene Isis-Heiligtümer renovieren.162 So ließ er 88 n. Chr. das Iseum von Beneventum wiederherstellen oder gar vergrößern und 92 n. Chr. den Isis-Tempel auf dem Campus Martius163 – „no doubt“, so Heyob,164 eine Geste der Dankbarkeit, dass er 69 n. Chr. während des Krieges mit Vitellius als Isispriester verkleidet zwischen anderen Isispriestern seinen Feinden entkommen konnte.165 Zudem ist Domitian mit dem Titel „Horus“ epigraphisch bezeugt und unter Hadrian und Caracalla finden sich Münzdarstellungen, auf denen Horus

156 Van der Linde 2016; Oster 1987, 76. 157 Oster 1987, 76. Da Artemis als Schwester Apollons angesehen wurde, ergeben sich für die spätere Zeit Verbindungen zu Punkt c. 158 Hier und im Folgenden nach Friesen 1993, 56 f. Zu den Münzen vgl. Keil 1919, 118; Pick 1906, 236. 159 Jos. B.J. VII 123. 160 RIC II, 70 Nr. 453 (Reverse: „Tetrastyle temple [of Isis] with semi-circular pediment“), und RIC II, 78 Nr. 537 (Reverse: „Tetrastyle temple [of Isis] with semi-circular pediment“), vgl. dazu Heyob 1975, 27. 161 Haase 1998, 1130. 162 Haase 1998, 1130. Unter Kaiser Domitian und Kaiser Hadrian können wir „ein zunehmendes Interesse an ägyptischen und ägyptisierenden Gegenständen“ beobachten (Haase 1998, 1130). 163 Heyob 1975, 28. 164 Heyob 1975, 27. 165 Heyob 1975, 27.

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über Seth-Typhon triumphiert.166 Weiter ist auffallend, dass unter dem Prinzipat v. a. der Kampf zwischen Seth-Typhon und Zeus-Jupiter Beachtung findet167 – mit Letzteren identifizierten sich die römischen Kaiser besonders gern.168 Wie oben schon anklang, ist die politische Verwendung des Isis-Typhon-­ Mythos nicht neu – sie ist schon im Alten Ägypten zu beobachten,169 Antiochus IV. Epiphanes erscheint in Dan 7 als „typhonic figure“.170 c. Leto Da Apollon große Bedeutung für die römischen Kaiser hatte, kommt der Leto-­ Tradition mit der Erzählung der Gefährdung der mit Artemis und Apollon schwangeren Mutter, der Rettung und der siegreichen Überwindung des Pythondrachen durch Apollon am vierten Tag nach dessen Geburt eine herausragende Bedeutung zu. Schon Oktavian, der spätere Kaiser Augustus, hat Apollon, den Sohn der Leto, hoch geschätzt171 – Apollon nahm für Oktavian „die erste Stelle im Pantheon“ ein172 und lieferte ihm „einen umfassenden mythologischen Bezugsrahmen“.173 Darüber hinaus wollte Oktavian als Inkarnation Apollons gelten.174 So trat er nicht nur bei einem Gastmahl als Apollon auf,175 sondern hat auch „in der Bibliothek des Tempels des Apollo Palatinus eine Statue […] aufstellen lassen, die ihn habitu ac statu Apollinis darstellte“.176 Weiter zeugen zahlreiche Münzprägungen von seiner Identifikation mit Apollon.177

166 Vgl. Levi 1949, 30–38; van Henten 2006, 193. 167 Fears 1981. Gleichwohl ist zu beachten, dass nicht nur in Ephesus, sondern im gesamten westlichen Kleinasien die Zeuskinder Artemis und Apollo eine größere Rolle spielten als Zeus selbst (so Friesen 1993, 118). 168 So Caligula, Domitian und Hadrian; Belege bei Omerzu 2006, 186 Anm. 106; Friesen 1993, 118 f. 169 S. o. und Omerzu 2006, 186 f. 170 Van Henten 1993, 223–243. 171 So wurde im Jahr 28 v. Chr. ein Apollontempel auf dem Privatgelände Octavians auf dem Palatin geweiht, wobei das Haus symbolträchtig „mittels einer Rampe direkt mit dem Tempelvorplatz verbunden war“ (Zanker 1987, 59, vgl. den Plan Zanker 1987, 60 Abb. 40) sowie (mit weiteren Hinweisen) Lambrechts 1988, 88 f.; Omerzu 2006, 184 f. Anm. 93. 172 Lambrechts 1988, 89; Omerzu 2006, 184. Karrer 2012, 224 urteilt: „Durch Augustus wurde Apoll neben der kapitolinischen Trias zur bedeutendsten hellen Gottheit des 1. Jh.“. 173 So Zanker 1987, 57. Die zunehmende Bedeutung Apollons für Octavian ist auch in der Auseinandersetzung mit seinem politischen Gegner Antonius und dessen Angleichung an Dionysos begründet (s. Zanker 1987, 57). 174 Lambrechts 1988, 89. 175 Suet. Aug. 70,1 f.; Lambrechts 1988, 91. 176 Lambrechts 1988, 90, mit Verweis auf den Kommentar von Ps.-Acro I 3,17 und Serv. ecl. IV 10 (hier auch über die Gleichsetzung von Augustus mit Apollon). 177 Liegle 1941; Mattingly/Carson 1976, CXXIV; 103 (633, Pl. 15, Nr. 15); 104 (638, Pl. 15, Nr. 17), s. auch (CXXIII Anm. 1); s. auch http://www.nbeonline.de/ (s. u. RIC: Augustus 271; Abruf am 10.02.2019); Lambrechts 1988, 90, mit Anm. 7; ausgenommen ist die „republikanische Periode“: in dieser weist keine Münze (wohl aus politischen Gründen) ein Bild Apollons auf (Lambrechts 1988, 96 f.; Omerzu 2006, 185 Anm. 95).

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Auch Vergils IV. Ekloge178 und die Legende von der wunderbaren Zeugung des Augustus durch Apollon und seiner wunderbaren Geburt, die unter Rekurs auf astrale Symbolik erzählt wird,179 weisen auf das apollinische Verständnis von Augustus. Auch andere römische Kaiser – Kaiser Caligula,180 Kaiser Nero,181 Kaiser Domitian182 und Kaiser ­Hadrian183 – identifizierten sich mit Apollon (bzw. dem sol invictus).184 Der Autor der Johannesoffenbarung stellt, so können wir zusammenfassend feststellen, seinen Leser*innen die Frau in Offb 12 in einer Weise vor Augen, die Assoziationen an Frauenfiguren wie die der Artemis von Ephesus, der Isis und Leto nahelegen – Frauenfiguren, die in seiner Zeit eng mit dem Kaiserkult assoziiert werden konnten. Damit unterbreitet er seinen Leser*innen, so können wir folgern – eine schon im Alten Testament bei den Propheten geübte literarische Technik der Ironie aufgreifend185 –, implizit einen alternativen Gegenentwurf gegen den Anspruch der römischen Kaiser, mit der Gottheit eng verbunden, ja göttlich bzw. Sohn Gottes zu sein, und verweist auf den Sohn der himmlischen Frau, das Lamm Gottes.186

2.2 Kaiser Domitian und sein divinisierter Sohn Kurz nach Domitians Regierungsantritt im Jahr 81 n. Chr. wurde Domitians verstorbener Sohn divinisiert.187 82/83(84) n. Chr. wurde eine Münze sowohl als goldener Aureus als auch als silberner Denar emittiert,188 der die Divinisierung des 178 Vgl. dazu Lambrechts 1988, 95; Kalms 2001, 122 f. 179 Suet. Aug. 94,4; vgl. Kalms 2001, 123; Lambrechts 1988, 91; Omerzu 2006, 185; mittels der Legende wurde „auch Bildpropaganda betrieben“ (Zanker 1987, 58; vgl. den kleinen Glascameo Zanker 1987, 59 Abb. 39). 180 Cass. Dio 58,28,1 f. 181 Cass. Dio 63,20,5; Suet. Nero 25. Vgl. weiter van Henten 2006, 192. Unter Nero wurde in Milet eine Münze mit Apollon auf dem Avers (und auf dem Revers einem Stern über einem Löwen) emittiert, s. Burnett 1992, Taf. 117, Nr. 2717. 182 Karrer 2012, 225. 183 Karrer 2012, 225 Anm. 13, und das hadrianische Tempelfries mit u. a. Roma und Apollo (Archäologisches Museum Selçuk [Ephesus], Inv.-Nr. 713–716, vgl. http://www.philipharland.com/ Museums/EphesusuHadrianfriezeRoma.htm [Abruf am 10.02.2019]). 184 Omerzu 2006, 186 mit Anm. 101. Zur Verschmelzung Apolls mit Helios-Sol, s. Karrer 2012, 223. 185 Am 4,4 f.; Jes 14,4b–23; häufig bei Ezechiel (Ez 8,17fin; 14,4; 18,31; 26,17*; 27; 28,3–5; 33,25fin u. ö.) und O’Connel 1988. 186 Der römische Kaiser findet sich, so Kalms 2001, 125, so „in der gegensätzlichen Rolle“, der des Gottesfeindes: des Satans, Drachens, Typhons oder Pythons wieder. 187 73 n. Chr. (im zweiten Konsulatsjahr Domitians) wurde der Sohn als einziges Kind des Paares geboren (Suet. Dom. 3,1). Unklar ist, wann das Kind starb. Noch im Jahr 73 n. Chr.? Oder erst 83 n. Chr.? (vgl. dazu Klauck 2006, 209 mit Anm. 39, sowie ausführlich Desnier 1979). 188 Klauck 2006, 208; Karrer 2017, 265. Die Münzemission erfolgte in Rom, nicht reichsweit. Während Cuss 1974, 37 f., und Janzen 1994, 649 Anm. 59, davon ausgehen, dass die römischen Münzserien gleichwohl „rasch auch in Kleinasien verbreitet gewesen“ waren (Omerzu 2006, 191), ist Karrer

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Sohnes von Domitian propagiert. Auf dem Avers ist Domitia, Domitians Frau, abgebildet.189 Auf dem Revers sehen wir den Sohn von Domitian und seiner Frau als wenige Monate alten Säugling „in heroischer Nacktheit“.190 Er sitzt wie der junge Jupiter mit ausgestreckten Armen auf einer Weltkugel, die durch Bänder in Meridiane unterteilt ist. In einem Dreiviertelkreis ist das Kind in einem inneren Ring von sieben Sternen umgeben191 und scheint mit den Sternen zu spielen. Der äußere Ring bietet die das Kind identifizierende Umschrift DIVUS CAESAR IMP(eratoris) DOMITIANI F(ilius).

Abb. 5: Aureus des Domitian (Avers).192

Wenn das Kind auf der Weltkugel sitzt oder besser: thront, so symbolisiert das umfassende Weltherrschaft. Die es umgebenden Sterne heben es über die weltliche Dimension hinaus und evozieren die religiöse Dimension und weisen auf seine Unsterblichkeit hin – wie auch die Bezeichnung „divus“. Das Kind Domitians wird über die Münzprägung als Sohn eines Gottes propagiert, was eine Aussage über den Vater des Kindes – Domitian – impliziert: Domitian ist – und zwar schon zu Lebzeiten (!) – von göttlichem Status – er ist „Göttervater“!193

2017, 265, zurückhaltender: „Wir wissen nicht, ob der Autor der Apk die Münze Domitians mit dem Sternensymbol kannte“. 189 Auf einer Reihe anderer Münzen wurde Domitia als „Mutter des göttlichen Caesars“ bezeichnet, vgl. mit Belegen Omerzu 2006, 189. 190 Klauck 2006, 209. 191 Sie stehen für die sieben Planeten oder das Sternbild des Großen Bären oder die Sterne vergot­ teter Familienangehöriger, vgl. Desnier 1979, 58; Klauck 2006, 209 mit Anm. 41; Karrer 2017, 265. 192 Zeichnung v. U. Zurkinden-Kolberg nach Kent/Overbeck/Stylow 1973, Taf. 62 (Abb. 242 rechts), in Klauck 2006, 209 Abb. 7. Vgl. auch Karrer 2017, 264 Abb. 16; Abb. unter http://www.nbeonline.de (s. u. BMCRE: Domitian 62, RIC: Domitian 213; Abruf am 14.02.2019). 193 Klauck 2006, 209; Omerzu 2006, 190.

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E. P. Janzen schreibt den domitianischen Münzen und der mit ihnen verbreiteten Propaganda194 eine ganz entscheidende Bedeutung für den Autor der Johannes­ offenbarung zu: „The coins were not only source material for the wording of John’s counter claims, but in part at least, the very cause of the ideological clash in the first place“.195 In Offb 1,16.20; 2,1; 3,1 ist es gegenbildlich Christus, der sieben Sterne (ἑπτὰ ἀστέρες) in seiner Rechten hält (nicht „nur“ damit spielt bzw. spielerisch danach greift).196 Der Autor der Apokalypse beschreibt in polemischer Umkehrung der kaiserlichen Münzpropaganda nach E. P. Janzen „a different son of god“.197

2.3 Eirene und Ploutos Eine neue Konnotationsmöglichkeit hat M. Karrer in die Forschungsdiskussion eingebracht:198 Eirene, die Personifikation des Friedens, die Wohlstand (Plutos) hervorbringt:199 Kurz nach 375 v. Chr. hat nach Pausanias200 der attische Bildhauer Kephisodot die berühmte Statue der Friedensgöttin mit dem Ploutosknaben, der Personifikation des Reichtums,201 geschaffen, die in mehreren römischen Marmorkopien überliefert worden ist (das Bronzeoriginal ist verloren). Das Bild war schnell berühmt. Abbildungen finden sich auf athenischen Münzen202 und panathenäischen Preisamphoren.203 Das Motiv findet sich auch etwas modifiziert auf einer Gemme.204

194 Zu beachten sind auch die Münzen, in denen Domitia als „Mutter des göttlichen Caesars“ geehrt wird, s. o. 195 Janzen 1994, 654. 196 Karrer 2013, 59 f. 197 Janzen 1994, 653. 198 Karrer 2013, 71. 199 In der Aristophanes-Komödie Eirene hat der Kriegsgott Ares die Friedensgöttin Eirene in eine Höhlenschlucht gesperrt. Im Land ist Krieg, bis es schließlich gelingt, Eirene daraus zu befreien. Auch die Frau in Offb 12 ist zunächst (in der Wüste) verborgen. 200 Pausanias (ca. 100/10–180 n. Chr.) erwähnt den Namen des Bildhauers (Paus. IX 16,2) und auch den Aufstellungsort der Statue auf der Agora von Athen (Paus. I 8,2). 201 Anders in Aristophanes Plutos, wo letzterer als blinder alter Mann dargestellt wird (Meyer 2007, 193). 202 Abbildung in Eirene/Pax 2018, 99 Abb. 16; vgl. auch http://rpc.ashmus.ox.ac.uk/coins/4/3443/ (Ab�ruf am 14.02.2019); vgl. weiter http://rpc.ashmus.ox.ac.uk/coins/4/3444/ (Abruf am 14.02.2019). 203 360/359 v. Chr., Archäologisches Museum Eleusis, Inv.-Nr. 2670, Abb. in Eirene/Pax 2018, 99 Abb. 17. Und dazu Meyer 2007, 191 mit Anm. 24 (Lit.!). – Zum Motiv vgl. auch das Schmuckrelief aus Ton (ca. 290–310 n. Chr., Rheinisches Landesmuseum Trier, Inv.-Nr. ST 14725), Abb. in Eirene/Pax 2018, 100 Abb. 18. 204 Horster 1970, Taf. VIII Abb. 2, vgl. dazu Horster 1970, 37–39.

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Abb. 6a: Eirene des Kephisodot mit Ploutosknaben.205

Abb. 6b: Eirene mit Ploutoskind (Karneol) © Yvonne Weber.206

205 Inv.-Nr. 219, H 215 cm; © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, fotografiert von Renate Kühling (Bildrecht liegt vor). Vgl. auch den getönten Gipsabguss mit einer Teilrekonstruktion im Archäologischen Museum der WWU Münster, Inv.-Nr. 446. 206 Karneol der Sammlung Robinson, London (wohl Ende des 2. Jh.s), Horster 1970, Taf. VIII Abb. 2, so auch in LIMC III/2 540 Abb. 5.

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Nach moderner Rekonstruktion der auf Kephisodot zurückgehenden Statue griff die Personifikation des Ploutos ein mit Früchten (und Körnern) gefülltes Horn, die Verbildlichung von Fruchtbarkeit, Segen und Wohlstand.207 In römischer Zeit war das Füllhorn ikonographisch breit vertreten und vermittelte die Botschaft, dass die Pax Romana im Imperium Romanum die „Fülle des Wohlstandes“ (Philo Legat. 11) verwirklicht habe.208 Römische „Kaiser und Kaiserinnen […] zogen es an sich als wesentliches Symbol der Vergöttlichung“.209 Blickt man von dort auf die mögliche Konnotation von Offb 12 mit Eirene und Ploutos, so liegt es nahe, dass die Frau einen Widerspruch zum ideologischen Anspruch des Imperium Romanum und seiner Ideologie der Pax Romana impliziert, die de facto ein mit Blut und Unterdrückung erzwungener Friede war.210 Mit der Frau und deren Sohn ist ein Neuanfang verbunden.211 Der Wohlstand, der mit dem Frieden der Frau in Offb 12 verknüpft ist, ist ein anderer, als der, der mit ihrer Gegenfigur in der Apokalypse – der Hure Babylon in Offb 17 – verbunden ist.212 Möglicherweise wird hier auch mit der Isis-Assoziation gespielt: Wie oben dargestellt, verbrachten Vespasian und Titus die Nacht vor dem Triumphzug im Iseum Campese. Nach Josephus wird hier nicht nur der siegreiche Feldzug, sondern auch das Ende der Bürgerkriege gefeiert: „Denn diesen Tag feierte die Stadt Rom als Siegesfest für den Feldzug gegen die Feinde, darüber hinaus als Ende ihrer inneren Wirren und als Anfang der Hoffnungen, die man auf eine glückliche Zukunft setzte“ (Jos. B.J. VII 157).213

Direkt danach berichtet Josephus von der Errichtung eines Tempelbezirks für die Friedensgöttin: 207 Küchler 2009, 138 f. Reichtum wird hier als Ergebnis von Fruchtbarkeit betrachtet, vgl. Meyer 2007, 193. Zur Rekonstruktion vgl. das Foto der Kopie der Eirene der Münchener Glyptothek (mit rekonstruierenden Ergänzungen) in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik in Berlin, in Meyer 2007, 192 Abb. 7. – Auf einer Reihe von Isisdarstellungen hat Isis statt dem Knaben ein Füllhorn auf dem Arm, vgl. Isis-Fortuna Küchler 2009, 149 Abb. 10 Mitte; Küchler 2009, 150, vgl. auch Tran Tam Tinh 1971, 58–63.65 Abb. 9 (später als 1. Jh.); Abb. 10; Abb. 11 („prototype“, 2. Jh. v. Chr.); Abb. 12; Abb. 15; vgl. auch Isis bzw. Isis Fortuna (ohne Abbildungen, S. 63–68). – Darüber hinaus waren Füllhörner auch auf hasmonäischen Münzen beliebt, vgl. Ostermann 2005, 55–59. 208 Küchler 2009, 151 f. 209 Küchler 2009, 150. 210 Wengst 1986. Zur „kriegerischen Attitüde“ Domitians vgl. Karrer 2012, 233. 211 Der Drache ist im Himmel schon entmachtet. Vgl. auch den in Verg. ecl. IV 4–6 mit dem Wiedererscheinen der virgo verbundenen Neuanfang (Frey 2004, 107). 212 Den Lebensmitteln im Füllhorn stehen „Purpur, Scharlach, Gold, Edelsteine, Perlen“ (17,4) entgegen, vgl. den von Kaufleuten erwirtschafteten Reichtum (Offb 18,3.11–14, [Luxus-]Lebensmittel werden nur 18,13 f. genannt). Möglicherweise spiegelt sich hier – so der Hinweis von R. Hochschild – die prekäre Stellung des Händlers in antiken Gesellschaften nieder, vgl. allgemein Lenski 1966, bes. 249 f.256. – (Das neue Jerusalem wird aber aus Gold, Edelsteinen und Perlen erbaut sein, s. Offb 21,11.18–21). 213 Übersetzung hier und im Folgenden aus Michel/Bauernfeind 1969, 104. Für den Hinweis auf Jos. B.J. VII 157–162 danke ich G. Theißen herzlich.

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„Nachdem die Feierlichkeiten des Triumphs vorbei waren, und Vespasian die Lage im römischen Imperium vollkommen gesichert hatte, beschloß er, der Friedensgöttin (Eirene) einen Tempelbezirk auszubauen […]“ (Jos. B.J. VII 158).

Der Friedenstempel wird mit großem Aufwand mit „Werken der Malerei und Bildhauerkunst“ aus aller Welt ausgestattet, „die in alter Zeit geschaffen worden waren“ (Jos. B.J. VII 159 f.).214 In diesen Friedenstempel werden die Weihgeräte aus dem Jerusalemer Tempel gebracht (Jos. B.J. VII 161), womit Josephus evtl. ausdrücken will: Jetzt soll zwischen Römern und Juden Frieden herrschen. Er propagiert hier die Pax Romana (und feiert den römischen Kaiser). Der Verfasser der Johannesoffenbarung könnte vor diesem Hintergrund in Offb 12 eine „Gegenbotschaft“ vertreten: Der „Anfang der Hoffnungen, die man auf eine glückliche Zukunft setzte“ (Jos. B.J. VII 157) und der Friede (vgl. den Friedenstempel Jos. B.J. VII 158–162) sind gerade nicht mit dem römischen Kaiser verbunden – sie sind durch diesen gerade bedroht.

3. Fazit Die Frau in Offb 12 ist nicht eindeutig zu greifen und auch nicht eindeutig in eine bestimmte Tradition einzuordnen. Sie „schillert“ in vielen Farben und evoziert, wie wir gesehen haben, vielfältige Assoziationen, die in unterschiedlichste Richtungen gehen. Die Offenheit und Vieldeutigkeit des Bildes der Frau ist wahrscheinlich vom Verfasser der Johannesoffenbarung bewusst intendiert. Denn es fällt auf, dass gerade sie (wie auch ihr Kind) namenlos ist, während im gleichen Kapitel ihr Antagonist in 12,9 sogar mit mehreren Namen präzisiert wird und Michael in Offb 12,7 als einziger Engel in der Offenbarung des Johannes mit Namen benannt wird.215 Die Frau in Offb 12 hebt sich ob ihrer Namenlosigkeit auch von den anderen Frauen der Offenbarung ab, die alle mit Namen, die an alttestamentliche Vorbilder erinnern (sollen), bezeichnet sind.216 Dass im Zentrum der Offenbarung des Johannes das Bild dieser namenlosen Frau steht, ist sicher kein Zufall: Stärker als analoge, argumentierende Sprache können Bilder nämlich eine kognitive, affektive und pragmatisch-persuasive Kraft entfalten und eine Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Verhaltensänderung

214 Die berühmte Sammlung mit Werken der griechischen Malerei und Plastik im Friedenstempel, die Jos. B.J. VII 159 f. hervorhebt, kommentieren Michel/Bauernfeind 1969, 250 Anm. 88, folgendermaßen: „Die Tätigkeit Vespasians bekommt hier für Josephus einen hellenistisch-messianischen Zug“, „die politische und kulturelle Sendung Roms, das Zentrum der Oikumene“, ersetzt „die Welt der jüdischen Apokalyptik“. 215 Koch 2004, 160. 216 Vgl. Isebel (Offb 2,20); die Hure Babylon (Offb 14,8; Offb 17–18); die Braut, das himmlische Jerusalem (Offb 21), vgl. Koch 2004, 160.216–226.

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herbeiführen. Der Verfasser der Johannesoffenbarung zieht in Offb 12 unterschiedliche Traditionselemente heran,217 verarbeitet sie in einer „Collage- oder ‚Patchwork‘-Technik“218 und überschreitet dabei religiöse, ethnische und soziale Grenzen. Dies wird angesichts der die Sprachgrenzen überschreitenden „Internationalität“ von Sprach- und ikonographischen Bildern und Mythen erleichtert.219 Es fügt sich zudem in die religionsgeschichtlich feststellbaren synkretistischen Fusionsprozesse in hellenistisch-römischer Zeit ein220 und in die starke „Internationalisierung“, die die Zeit des Verfassers der Offenbarung prägte. Die persuasive Kraft der Bilder war auch der römischen Kaiserpropaganda bewusst und wurde von ihr konsequent und sehr bewusst genutzt,221 wie man z. B. an den Münzemissionen der römischen Kaiser beobachten kann. Janzen vermutet,222 dass sich der Verfasser der Offenbarung zumindest teilweise von diesen Münzemissionen zu seinem spezifischen Vorgehen veranlasst sah. Wie dem auch sei – fest steht, dass Bilder damals eine wichtige Rolle in der propagandistischen Auseinandersetzung spielten (und auch in unserer Zeit noch tun). Für den Verfasser der Johannesoffenbarung haben sie zudem den Vorteil der Ambiguität. Sie erlauben ihm (ganz in der apokalyptischen Tradition stehend), angesichts der politischen Übermacht des Imperium Romanum eine implizite Kritik, ja Polemik zu üben. Er zeigt nicht nur profunde Kenntnisse der alttestamentlich-jüdischen Tradition, sondern auch der „griechisch-römischen Kultur und der Götterwelt der Prinzipatszeit“.223 Daraus greift er viele Elemente auf und ermöglicht so unterschiedlichste Assoziationen (z. B. an Isis, Artemis Ephesia, Atargatis), die durchaus ausgesprochen positiv besetzt und emotional gefüllt sein können. Auch integriert er die verschiedensten „fremden“ Elemente durch eine neue Einbettung („framing“) in sein monotheistisches, dem Kaiserkult ablehnend gegenüberstehendes Anschauungssystem und zeichnet durch die neue Zusammensetzung und variatio der Bildelemente ein Bild der Frau in Offb 12, das denen der anderen Göttinnen überlegen ist. Dadurch wirkt die Frau in Offb 12 besonders attraktiv. M. Karrer fasst dies sehr anschaulich zusammen:

217 Aune 1998, 672: „the author has not used a coherent pagan myth; rather he has created a pastiche of mythological motifs“. Vgl. auch Collins 1976, 58: „the various motifs could not have derived from a single tradition […] the author of Revelation was consciously attempting to be international by incorporating and fusing traditional elements from a variety of cultures“, und Collins Bemerkung im Blick auf Offb 12: „it is clear evidence, that these Semitic mythic motifs are fused with Greco-Roman traditions“ (Collins 1977, 380). Collins fokussiert gleichwohl als Hintergrund für die Ikonographie Isis (Collins 1993, 21), für den „plot“ von Offb 12 besonders den Leto-­Mythos (Collins 1977, 67). 218 Frey 2001, 174. 219 S. o. 220 Vgl. die oben angesprochenen Fusionsprozesse im Blick auf Götter und Göttinnen, deren Darstellungen, Kulte und Mythen. 221 Vgl. Zanker 1987. 222 Janzen 1994, 645. 223 Karrer 2012, 249.

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„Nicht minder entmachtet die himmlische Frau von 12,1 den Helios […] Sie zieht ihn, heißt es, an und benützt den Mond (die astrale Repräsentation der Selene) wie einen Schemel unter ihren Füßen. Wie immer wir diese apokalyptische Frau deuten, integriert sie Symbole aus den Göttermythen der Völker und beansprucht ihre Pracht, aber als Element in der monotheistischen Darstellung; Helios hat keinen höheren Rang als eine leuchtende Wolke, und Selene wird mit Füßen getreten“.224

Wenn dabei ikonographische Repräsentationen im Inneren der Leser*innen aufsteigen, dürften diese Sprachbilder umso wirkungsvoller sein. Angesichts der Identifikationsmöglichkeiten, welche die weiter vom Drachen bedrängte und doch wunderbar bewahrte Frauengestalt den Leser*innen der Johannesoffenbarung bietet,225 kann sie diese stärker innerlich erreichen, und das heißt stabilisieren und motivieren als es eine argumentativ-analoge Sprache alleine vermocht hätte. Und möglicherweise kann es ihnen auch vermitteln: Der erhoffte Neuanfang, Friede und Wohlstand kommen nicht durch den römischen Kaiser, sondern durch Christus.

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Michael Lattke

On the Imagery of the Odes of Solomon One of my earliest preliminary studies for the commentary on the Odes of Solomon, edited by Max Küchler,1 was a paper I presented to the 19th “Jahrestagung für Symbolforschung”, which was held in October 1980 at the Dominican monastery St. Albert in Walberberg near Cologne.2 After nearly 40 years, I return to this study and congratulate my Swiss editor and friend with an updated and corrected English version of it.

1. Introduction The name of Solomon is familiar from the history and literature of Israel and there can be very few who have never heard of this ruler in the ancient Near East, the son and successor of David, who, according to the sources, lived in the tenth century B.C. and built a sumptuous palace and a temple of great splendour in Jerusalem. Many will also connect this name with the idea of legendary wisdom, which is already lauded in certain passages in the First Book of Kings. God gave Solomon very great wisdom, discernment, and breadth of understanding as vast as the sand on the seashore, so that Solomon’s wisdom surpassed the wisdom of all the people of the east, and all the wisdom of Egypt. He was wiser than anyone else […]; his fame spread throughout all the surrounding nations. He composed three thousand proverbs, and his songs numbered a thousand and five. […] People came from all the nations to hear the wisdom of Solomon; they came from all the kings of the earth who had heard of his wisdom. (1 Kgs 5:29–34)3

1

2 3

Lattke 1999; Lattke 2001; Lattke/Beyer 2005. The German commentary published in three volumes has been translated into English by Marianne Ehrhardt and appeared four years later (Lattke 2009). I sincerely thank her also for the translation of the present contribution to another Festschrift for Max Küchler. Lattke 1982. English bible quotations are taken from the New Revised Standard Version: The Holy Bible containing the Old and New Testaments with the Apocryphal/Deuterocanonical Books, New York & Oxford 1989. In the Zürcher Bibel the text quoted is 1 Kön 5,9–14.

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Even the queen of Sheba, in southern Arabia, had heard of his fame and came to Jerusalem with a great retinue to test him with difficult questions. She was astonished and rapturous: “[Y]our wisdom and prosperity far surpass the report that I had heard. Happy are your wives! Happy are these your servants, who continually attend you and hear your wisdom!” (1 Kgs 10:7–8)

This fame, elaborated and supplemented with typical oriental exaggeration in the re-telling, led to the compilation of collections of ancient, and even newly coined wisdom-style sayings under his name, like for instance the Hebrew ‫משׁלי שׁלמה בן־‬ ‫“( דוד מלך ישׂראל‬Proverbs of Solomon, the Son of David, King of Israel”), parts of which are very old; or the Greek “Sapientia Salomonis” compiled in Alexandria in the second and first centuries B.C., a work which lands us already in the midst of the denominational controversy about the so-called Apocrypha. We will have to discuss some of the problems of the biblical canon as well as of the apocrypha of the Old and New Testaments since the Odes form part of the voluminous pseud­ epigrapha attributed to Solomon.

2. Literary critical details and demarcations Since the Odes of Solomon cannot be counted among the well-known works of late-antique literature, this first section will give some indispensable information about them. This is followed by a short consideration of the form-critical category “Ode” and, finally, an explication of the concept of imagery, which will make a transition to the second section, in which specific parts of the Odes will be introduced and discussed.

2.1 The Odes of Solomon as part of the pseudepigrapha of the so-called New Testament Apocrypha The Odes of Solomon are a collection of 42 poems of very varying length. While the shortest Ode (no. 27) has only three lines, the longest has more than 40. Style criticism and terminological statistics have demonstrated a unity which allows us to refer all of the Odes to a single author, or at least to an environment restricted in space and time, although its exact placement is still the subject of scholarly debate. Two extremes may be mentioned: on the one hand, the Odes have been dated to the late third century and assigned to Syriac anti-Marcionite or even to anti-­Manichaean polemics; on the other hand, they have been placed in the temporal and intellectual neighbourhood of the Gospel of John. In that case they would

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have come into existence around A.D. 100 or in the early second century in the Greek/Syriac bilingual area of Syria and Palestine as a product of the Christian primitive Gnosis which was influenced by heterodox Jewish thinking. Perhaps a closer examination of the imagery of the Odes may shed some light into the darkness of their origin. For neither indirect nor manuscript evidence provides certainty for a positive dating. That this lost work had existed was known. The short mariological text, which the Church Father, Lactantius, quotes in Latin in the fourth book of his great apologetic work, the Divinae Institutiones, written about A.D. 310, and which he attributes to the 19th Ode of Solomon, was useless while there were no texts of the Odes available. The later reports in the Stichometry of Nicephorus and the pseudo-Athanasian Synopsis led to the conclusion that the Odes belong to the ἀντιλεγόμενα, i. e. contested, documents of the Old Testament, like the 18 Psalms of Solomon, which are textually well preserved and thus better known, and which originated in Pharisaic circles in the first century B.C. This classification in the canonical lists was reinforced in the 19th century, as the Coptic Pistis Sophia, found in a 4th century manuscript in the British Museum (now in the British Library), became gradually more widely known. “The Greek original of this work came from Egyptian Gnostics in the second half of the 3rd century.”4 For in the Pistis Sophia long quotations from five of the Odes of Solomon are preserved in Coptic and interpreted alongside some of the canonical Psalms of David. It is almost certain that the Greek author used a collection which also contained the early Jewish Psalms of Solomon, because he quotes some verses as the “19th Ode of Solomon”, which are not from the 19th but from the first Ode (in fact they may be the whole of the first Ode). This conclusion only became possible after J. Rendel Harris published the Syriac text of the Odes of Solomon in 1909, which will be discussed below. Three years later, F. C. Burkitt discovered another Syriac manuscript of the Odes in the British Museum (Codex N), which, however, only begins at Ode 17, while Codex H begins partway through Ode 3. The collection that was used, or that must be assumed to have been used, for the quotations in the Pistis Sophia contained the 18 Psalms of Solomon followed by the 42 Odes, whereas the Syriac manuscripts place the Odes first, followed by the Psalms. The latest, and so far final, textual witness, after these two Syriac codices and the quotations in the Coptic manuscript, was found in 1959 in the Greek papyrus Bodmer XI, which contains a complete and expanded text of Ode 11 with the title ᾠδὴ Σολομῶντος (“Ode of Solomon”). Although this is the shortest of the texts, the papyrus from the important collection of the Swiss Martin Bodmer occupies a key position. In the first place, one of the Odes is now available in Greek; since Ode 11 is also found in Syriac many of the terms in the other Odes can be trans4 Cf. Altaner/Stuiber 1978, 131.

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lated into Greek, which is particularly important for the theory of a Greek original. In addition there are palaeographical considerations which suggest a strong likelihood that the copy was made no later than at the end of the 2nd century and that therefore the composition of the Odes must have been earlier than that. And finally, this papyrus is extremely important for the history of the canon because it is a small part of a miscellany, bound together in one codex in the 3rd–4th century (probably for personal rather than for public use) which contains Old Testament, New Testament, Apocryphal, and Patristic texts. These brief notes on the uncertainties, but also the possibilities, of placing the Odes in their literary historical context have additionally given a glimpse of the coincidences in the story of their rediscovery. As soon as the texts were publicly available, the Odes were, correctly, separated from the Psalms of Solomon and placed with the apocrypha of the New Testament. Apart from Orientalists it was the New Testament and Patristics scholars who showed the most interest in these ancient Christian poems. The technical meaning of the ill-defined term “apocryphal” cannot simply be deduced from the Greek word ἀπόκρυφος. The idea of “hidden” secret writings is misleading about the intentions of the authors and in other ways also. In the first three centuries, Christianity, like early Judaism, was far more diverse than the later orthodox image of the church admits. This narrowing of the vision can already be seen in the second century in the emerging equation between κανονιζόμενος and ἐκκλησιαζόμενος, i. e. “canonical” and “ecclesiastical”, for the selection of Jewish and Christian writings. The later term “Apocrypha”, as antonym of the more or less fixed canon, can be considered a static replacement for the terms “extra-canonical” and “contested, contradicted” which represented a dynamic process. The word “apocryphal” is used here in a neutral sense and without intending any denigration, as an accepted term in the history of religion and literature. There is no reason to be concerned about or to criticise the authorial pseu­ donym “Solomon”, whose origins and intentions can very seldom be completely discovered. After all, many of the so-called Apocrypha and – as is less well known and much less accepted – a number of the canonical writings of the Old and New Testaments are anonymous and/or pseudepigraphical.

2.2 On the concept “Ode” as a poetic form Two brief preliminary remarks are pertinent here. a) In the first place it is necessary to avoid thinking of odes or carmina as they are known in Greek and Latin literature from Pindar to Horace. Nor is there any connection to the European literary odes written since the Renaissance and Baroque as exemplified by, for instance, the German poets Klopstock and Hölderlin, or the English authors Milton and Coleridge.

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b) On the other hand when the Psalms of David are sometimes, rather daringly, called the “first preliminary stage”5 in the writing of odes, we arrive at the only antique literary form whose technique, especially in the parallelismus membrorum, serves as a model for the Odes of Solomon; the Psalter has also had a strong influence on their content, a point that must be kept clearly in mind when interpreting the Odes. The various Hebrew words that occur in the Old Testament as titles of psalms are already more or less equivalent and interchangeable and the same is true of their Greek counterparts in the Septuagint, even though ‫ מזמור‬is generally translated by ψαλμός, ‫ שׁיר‬by ᾠδή, and the infrequent ‫ ﬨהלה‬by ὕμνος. In the New Testament, Col 3:16 – and Eph 5:19 which depends on it – lists “psalms, hymns and spiritual songs”; “which does not entitle us to speak of three completely different kinds of early Christian songs.”6 As for the Odes of Solomon, according to the Greek, Coptic, and Latin records, their title was always “Odes”. When the lists of canonical works distinguish between the Psalms and Odes of Solomon that is not a form- critical distinction but more a case of differential labelling. The two Syriac manuscripts from the 10th and 14th centuries, on the other hand, bear witness to a tradition that puts less emphasis on the name of the literary genre. Both codices number the Odes and Psalms of Solomon consecutively and in the Harris codex both the Odes and the Psalms carry the heading ‫ܙܡܝܪܬܐ‬, which is best translated simply as “song”, without abandoning the other possible terms, such as “psalm”, “hymn”, or “ode”, for the literary form. In the Anglophone area the terms “song”, “psalm”, “hymn”, and “ode”, are used quite indiscriminately in the research on this subject. Very little can be said about the rhyme and rhythm of the Odes because not much work has yet been done on the metre and strophic form of Syriac poetry, which, according to recent research, will take detailed and careful consideration and treatment.7

2.3 On the term “imagery” (Bildersprache) Since there had not yet been a thorough-going investigation of the poetic language of the Odes of Solomon as to its formation in general, and in particular as to its imagery, this was a venture into uncharted territory from two points of view. In the first place the actual texts had to be chosen and arranged. Also it was necessary for this attempt to find a term of the literary critical vocabulary that would cover the

5 Cf. von Wilpert 1969, 530. 6 Cf. Jordan 1911, 455. 7 See now Franzmann 1991.

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individual stylistic criteria, that would be general enough in the beginning, and that would prove flexible enough to allow for differentiation into a variety of forms.8 These considerations led us to choose the term “imagery”. In the meantime this choice has received support from, among others, the beautiful and instructive account in Victoria Arnold-Döben’s Die Bildersprache des Manichäismus, who writes in her introduction that the word ‘image’ is meant as an umbrella term comprehending symbol, metaphor, allegory, simile, and parable.9 The striking similarities between the imagery of the Manichaean writings, the Mandaic texts, and the Odes of Solomon can most likely be traced back to their common origin in the syncretistic Gnosticism of late antiquity. The tradition which finds its Christological expression in the figurative discourses of the Gospel of John, is probably also already on this Gnostic or, to put it more cautiously, Gnosticising trajectory.10 This has marked out the literary historical limits within which, in addition to the immanent interpretation, the imagery of the Odes of Solomon will be considered for both the history and the phenomenology of religion.

3. Selected texts, themes and motifs in the imagery of the Odes of Solomon 3.1 The term “Sign” in the Odes of Solomon This third part will not begin with any specific image but with a term in symbology, which occurs six times in the Odes themselves, namely the technical term “sign” (Syriac ‫)ܐܬܐ‬. In the difficult to interpret Ode 23 there is the tale of a letter sent down from heaven (v. 5–6) which is received by a wheel (v. 11). It goes on “and it [the letter] came upon it. And with it was a sign of kingship and of governance” (v. 11–12). Syriac grammar also admits of two possibilities for the meaning of “with it”. It can be read as “with the letter” or as “with the wheel” so that either the letter or the wheel can be considered “a sign of governance”. In two other texts what is meant is fairly clear from the start. The short Ode 27 – almost identical with the beginning of Ode 42 – reads as follows:

  8 Cf. von Wilpert 1969, 91.   9 Cf. Arnold-Döben 1978. On these and similar terms the reader may consult Gero von Wilpert’s Sachwörterbuch der Literatur, which has already been mentioned; the specific terms “sign” and “symbol” are covered in the 1978 essay by Manfred Lurker. 10 On Köster/Robinson 1971, cf. Lattke 1975, 41–45.

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I stretched out my hands and hallowed my Lord, | because the spreading out of my hands is his sign, | and my stretching [up] is the wood, which is upright/correct (27). I stretched out my hands and drew near to my Lord, | because the spreading out of my hands is his sign, | and my stretching [up] is the straight wood (42:1a–2a).

Even if the last sentence conceals Docetic-Gnostic polemics against the suffering of the Saviour, this attitude of prayer with the outstretched hands, which is also iconographically attested, points to the cross of the historical Jesus. The vertical body with the arms held sideways at right angles is a graphic image of that instrument of torture and death, and therefore “his sign”, a truly “pellucid symbol”.11 The same image occurs in the Untitled Text in the Bruce Codex, in a heavily allegorised context: The spreading out of his hands is the revelation of the cross, etc.12

Whether there is a reference to the cross in Ode 29 as well must be left undecided. In this “hymn of thanksgiving”,13 with its many allusions to the Old Testament, the poetic first person speaks of how the Lord Messiah, in saving him from the realm of the dead (Sheol), “showed his sign” and “led him by his light”. Might this, by parallelismus membrorum, refer to the Gnostic “cross of light”, found in the apocryphal Acts of John, and therefore to the redemptive “cosmic event that takes place in the cross of light, and through it (chs. 98–100), and by thus converting the earthly passion of Jesus into a symbolic representation” (Repräsentanz), thus depriving it of any individual significance?14 The final Ode to be considered is Ode 39, which, perhaps as a Gnostic interpretation of the Israelite crossing of the Red Sea, has images of bridging and fording the raging waters, by the word or by faith, tumbling over one another. About the believers it says in 39:7a–b: For the Lord is a sign on/in them [the rivers], | and the sign is the way of those who cross in the name of the Lord.

If it then continues with the injunction (v. 8; the only occurrence of the 2nd person plural or imperative instead of the 3rd person plural used in the narrative) to “put on the name of the Most High” for a safe passage over the rivers, and to recognise it as a kind of slogan, it becomes even clearer that the known name of the Lord who went before them is in some sort an efficacious soteriological password. The metaphorical use of “put on”, which is sometimes dualistically opposed by “take

11 Cf. Lurker 1978, 8. 12 Cf. Schmidt/Till 1962/1981, 336, l. 8 f. 13 Cf. Bauer 1964, 610. 14 Cf. Schäferdiek 1964, 142.

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off ”, will not be considered further here. However, it may be mentioned that “put on” usually means “take” or “receive”.

3.2 The comparison (“like … as”) as a stylistic device in the Odes Before coming to individual images or groups of images attention must be drawn to a stylistic feature that is very common in the Odes: the use of “like” (Syriac ‫ܐܝܟ‬, or ‫ ;ܐܝܟ ܕ‬Greek ὡς) in comparisons, often followed by “as” (Syriac ‫)ܗܟܢܐ‬. The use of comparison as a stylistic device, “a figure of speech to heighten and illuminate the basic concord of the associated spheres”,15 brings us right into the midst of the imagery of the Odes of Solomon, although it does not exhaust it. Some particularly prominent examples will make this clear. Ode 1:1 (and similarly 5:12): The Lord is on my head like a wreath (And he is like a wreath on my head). Ode 6:1–2: As the wind blows through the cithara | and the strings speak, | so the Spirit of the Lord speaks in my members, | and I speak by/in his love. Ode 11:12b–13: I became/was like the earth, that flourishes and laughs by/in its fruits, | and the Lord became/was to me like the sun over/upon the face of the earth. Ode 12:2: And like the flowing of water, | truth flowed from my mouth, | and my lips declared its fruits. Ode 26:12b–13: For the singers stand up in rest | like a river that has an abundant spring | and flows for the help of those who seek it. Ode 14:1: As the eyes of a son upon his father, | so my eyes, Lord, are always towards thee. Ode 18:11: And non-gnosis appeared like spray | and like the stink of the sea. Ode 29:10: And the Lord cast down my enemy by his word, | and he [viz. the enemy] became like chaff that the wind carries away. Ode 28:1–2: Like the wings of doves over their nestlings | and the beaks of their nestlings towards their beaks, | so also are the wings of the Spirit over my heart. | My heart is delighted and leaps for joy, | like the babe that leaps in its mother’s womb. Ode 31:11: I, however, stood undisturbed like the firm rock, | that is lashed by the breakers and endures. Ode 38:1a: I went up into the light of Truth like into a chariot. Ode 40:1–2: As honey drips from the honeycomb of bees, | and milk flows from the woman who loves her children, | so also my hope is on thee, my God. | As a spring gushes out its water, | so my heart gushes out praises of the Lord, | and my lips bring forth a hymn to him. And finally Ode 42: 7b–9: And I laid on them the yoke of my love. | Like the arm of the bridegroom on the bride, | so my yoke is on those who know/acknowledge me. | And like the bridal tent, pitched in the house of the bridal pair, | so my love is over those who believe in me.

15 Cf. von Wilpert 1969, 820.

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3.3 Selected fields and motifs of images 3.3.1 Criteria for selection These assorted quotations from various Odes are intended to lead to a closer examination of some of the images used in the poems. From the abundance of the images, many of them well-known, we have chosen ones that are especially vivid and characteristic for this ancient Christian hymnbook, and also intelligible and interesting for contemporary readers and listeners.

3.3.2 Soteriology as the main theme of the Odes of Solomon To avoid repetition we will put on record here that ethics has hardly any role to play in the Odes of Solomon and that the heavily symbolic mythology is not independently dominant, but firmly integrated into the more or less Gnostic soteriology. Since the whole emphasis is on the salvation which has begun, if not already been completed, C. H. Dodd’s paradoxical phrase for the Gospel of John, “realised eschatology”, may also be applied, cum grano salis, to the Odes of Solomon. A distinction, such as Victoria Arnold-Döben has drawn for Manichaeism, between “cosmological and anthropological images” and “soteriological images”16 would, however, be both artificial and questionable for our texts.

3.3.3 Images of erotic and nuptial mystique The Old Testament “Canticles”, a model of antique love poetry which also bears the pseudepigraphical heading “of Solomon”, exhibits the fullness of oriental imagery. This “Song of Songs” (‫ )שׁירהשׁירים‬was very influential even into the Middle Ages, and will certainly have suggested similes to the author of the Odes of Solomon. In contrast to the Song of Solomon, however, the images are never used explicitly but only in a transferred sense. In the Odes, the spheres of erotic and conjugal love serve only as a source of especially expressive imagery for the soteriological concept of the unity between the Redeemer and the redeemed. The “yoke of love” mentioned earlier is not intended as a symbol of oppressive slavery but, paradoxically, as the expression of the lasting connection, which is also illustrated by the extended bridal tent. “The idea of the unity of God and human like that of bridegroom and bride” was as popular 16 Cf. Arnold-Döben 1978, 7 and 108.

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among Gnostics as the allusion to the “rituals of initiation under the aspect of marriage and the bridal chamber”.17 Though these images and rituals are nowadays little more than the subjects of impersonal research in the history of religion and in anthropology, there are other, more psychological, statements that speak more directly to individual concepts and personal experiences. In the first place, the repeated references of the poet to the connection between love and the rejoicing that rises from the heart to the lips is based on the general human insight that loving and being loved brings about a complete euphoria which, in its physical excitement, demands constantly renewed verbal expression and which, in its demanding experience of I and you, elicits and frees up unsuspected creative and productive powers.18 In the second place, there is the unity of salvation, already referred to, which is represented by the love for the beloved in the fullness of its reciprocity and the driving force of its desire for unity. The best example is in Ode 3:3–5, 7: For I should not have known to love the Lord, | if he did not love me. | Who is able to understand love, | except one who is loved? | I love the Beloved, | and my soul loves him. | And where his rest is, | I am also. | … | I have been united, | because the lover has found him, the Beloved.

3.3.4 Imagery connected with the divine trinity That the Odes of Solomon originated in “New Testament” times and in “Christian” circles, of whatever hue, is clearly shown by the formulaic use of the triad Father – Son – Spirit and also by various mythological statements about the “Son” or the “Messiah” (= “Christ”; the name “Jesus” does not occur). Meanwhile we will return to the enigmatic Ode 23, the one about the heavenly letter and the wheel, which ends like this (23:21–22): But the letter became a great tablet | which was entirely covered with writing by the finger of God. | And the name of the Father was upon it | and of the Son and of the Holy Spirit, | to reign as king for ever and ever.

From this we may now suspect that the heavenly letter rather than the wheel is the “sign of governance”, especially since the letter appears not only as a “tablet” but also as a “decree” (v. 17; Syriac ‫)ܦܘܩܕܢܐ‬.

17 Cf. Bauer 1964, 624. 18 Inspired by I. P., to whom I dedicated the original German version of this article (Lattke 1982) as well as the English translation of my commentary (Lattke 2009). See especially the terms “fruits”, “heart” and “love” in the Odes of Solomon.

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But now we must turn to the “strange, indeed bizarre, image at the beginning”19 of Ode 19, the second part of which, vv. 6–11, is a hymnological Mariology in embryo. The first five verses (19:1–5) run like this: A cup of milk was offered to me, | and I drank it in the sweetness of the Lord’s kindness. | The Son is the cup, | and he who was milked, the Father, | and [the one] who milked him, the Spirit of holiness. | Because his breasts were full […] | the Spirit of holiness opened his (viz. the Father’s) bosom | and mixed the milk of the two breasts of the Father. | And she/ it gave the mixture to the world, while they did not know, | and those who receive [it] are in the pleroma of the right [hand].

Another instance of this extraordinary image can be found in the speech of revelation in Ode 8:16: I fashioned their members, | and my own breasts I prepared for them, | that they might drink my holy milk to live by it.

In Ode 35:5 the association with the image of mother and child seems to have influenced the choice of the word “milk”; the double image of “milk” = “dew” makes it clear that the author was not primarily interested in the milk. And like a child by its mother I was carried, | and it [viz. the group] gave me for milk the dew of the Lord.

These quotations (see also the Old Testament phrase “milk and honey” [Ode 4:10] and the milk of “the woman who loves her children” [Ode 40:1]) agree that the image of the giving of milk is soteriological and life-giving. Research on symbols and religion can throw light on the imagery of milk (Syriac ‫ܚܠܒܐ‬, Greek would have said γάλα); but the images of the breasts of the Father and of the mingling pose great difficulties in comprehension which neither the similar ideas of Clement of Alexandria20 nor the previous explanations can solve. The popular iconographic image of Maria lactans, based on the blessing of the breasts of Mary (Luke 11:27), obviously cannot help us further.21 The question what mythologies and cultural milieux influenced these images in the Odes of Solomon is so far unresolved. Of the three New Testament occurrences of “milk” in a transferred sense only 1 Pet 2:2 is relevant, where τὸ λογικὸν ἄδολον γάλα (“the pure, spiritual milk”) is also an image of “gnosis, which is given to Christians in the gospel”22 that will help them to grow towards salvation (εἰς σωτηρίαν).

19 Cf. Bauer 1964, 599. 20 See now Lattke 2009, 269–272. 21 See Bandmann 1968. 22 Cf. Schlier 1933, 644.

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Unlike 1 Cor 3:2 or Heb 5:12–13, the metaphor in 1 Pet 2:2 and the Odes of Solomon is not of “initial or basic teaching”,23 the milk is not the “first food for babies”.24 The simile belongs rather to the language of spiritualist mystery cults and sectarian sacramental practices in which various elements are combined: the mythological (milk as “food of the gods”), the eschatological (milk as “Paradisal food”), and the magical (milk as “transmitter of life”). Already the cult of Dionysos probably had something like a “baptism in milk”; the milk becomes a sacramental drink of rebirth and immortality, as which it has survived in the early baptismal rites of the Coptic and Ethiopic churches, and is also mirrored verbally in Gnostic texts like the Odes of Solomon.25

3.3.5 Imagery in the account of the redemption Since soteriology, as mentioned earlier, is the main theme of the Odes of Solomon, almost all of the images depict salvation or, more precisely, the reality of salvation, which, in knowledge or in life, is never merely a static condition but always bears within it the dynamic possibility of an event. Whenever this redemptive event – usually in retrospect – takes centre stage in the poem, two closely connected descriptive principles are likely to come into play: they are, on the one hand, the dualistic conflict and, on the other, the myth of deliverance; these images will now be very briefly considered. In the case of the mythological ideas we must constantly keep in mind that, in the worldview of that time and according to varying degrees of enlightenment, some of them were considered “realities”, which means that the criterion of imagery must be cautiously applied. To begin with dualism: in the Odes, as in many Gnostic and Gnosticising texts, “above” and “below” are categorically opposed as the sphere of salvation and that of inimical perdition. Where “gnosis” (knowledge) gains ground this dualism is recognised (Ode 34:4–5) and the upward path is followed, as the soul’s ascent into heaven. While the “height” is characterised by “light”, “abundance”, “truth”, and “life”, the attributes of the “depths” are “darkness”, “nothingness”, “lies” (or “error”), and “death”. These pairs of opposites, taken from the human world of appearances, have two functions. On the one hand they are sufficient, by themselves or combined (e. g. “light of truth”), to depict the corresponding realm in image, comparison, or metaphor. On the other hand they appear in the course of redemption as almost personified mediators of salvation or deceiving guides to perdition.

23 Cf. Brox 1979 (41993), 92. 24 Pace Lurker 1973, 206. 25 Cf. Schlier 1933, 645.

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According to their active or passive character they achieve their graphic power because they appear in verbal combinations and are connected to other images; here are some examples: Light opens the heart (Ode 10:1b); tracks of light form paths (Ode 7:14a; 10:6a); light battles victoriously with darkness (Ode 18:6a); light shows the way to understanding (Ode 29:7b). Truth, visualised in the fine image in Ode 9:8–11a as the victor’s crown, appears as guide and guardian, as haven of salvation, as angelus interpres showing up and interpreting error (see especially Ode 38). Eternal life, which occurs often and in various ways in the Odes, is said by the redeemed one, while he is surrounded by foes, to have embraced and kissed him (Ode 28:6; cf. the Mandaic texts). Parallel to Sheol (the realm of the dead), death itself appears in the shape of a monster from whose mouth the “I” of the poet was rescued (Ode 29:4). But he was not the only one – the Redeemer himself, in his descensus ad inferos, was vomited forth by death (Ode 42). The redemption myth of the redeemed redeemer, whose redemption enables him to redeem the elect, also occurs in the Odes of Solomon, though without any cosmogonic allusion, in the sense that knowledge (gnosis!) by itself is already proof of redemption – this myth is found only infrequently in fragmentary and not very coherent images. There is mention of the opening of prison doors, of the breaking of bars, of the melting of iron chains, of the freeing of captives (Ode 17:8–11, cf. Odes 25 and 42). The Redeemer was sent down and led back up to scatter the foes, to destroy the seven-headed serpent, to gather his own, to smooth the way, etc., etc. (Ode 10:1–6; 22:1–5). After this assortment of images, we reach the final item and the solution of the problem in a particular text.

3.3.6 A crux interpretum in the mirror-Ode Ode 13:1–4 is short enough to quote in its entirety: Behold, our mirror is the Lord. | Open the eyes and look at them in/by him, | and learn how your face is! | And declare hymns to his spirit! | And wipe [the dirt, hatred?]26 from your faces, | and love his holiness and put it on! | Then you will be always unblemished with him. | Hallelujah!

26 The word ‫( ܨܝܕܬܐ‬ṣayyāttā) in H does not make sense; see Excursus 13 in Lattke 2009, 193–195: “The crux interpretum in Ode 13:3a”. The following section is an abridged version of this Excursus. It supersedes my earlier discussion on the Manichaean “image of the hunter” (Arnold-Döben 1978, 93–95).

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Harris and Mingana consider the manuscript ‫“( ܨܝܕܬܐ‬huntress”) “meaningless” and emend it to ‫ܨܝܝܬܐ‬, which they translate as “filth,” calling it “almost certain,” although “phonetically it is more correct to read ‫ܨܐܝܬܐ‬.”27 A variant of this well-­ accepted emendation is ‫ܨܐܬܐ‬. These more or less well attested words, derived from the root ‫( ܨܐܝ‬Pa. also ‫)ܨܐܐ‬, can be used both directly and in a transferred sense to mean “dirt” and “impurity” and thus would include most of the meanings of ἡ ῥυπαρία, τὸ ῥυπαρόν or ὁ ῥύπος. Charlesworth suggests a different and also palaeographically acceptable emendation: “It is possible that [‫ ]… ܨܝܪܬܐ‬was the original form in the manuscript. This restoration would present the following meaning: ‘And wipe the paint from your face’. In favour of this translation is the minor emendation required.”28 This suggestion faces the same problem as the adjective ‫)ܨܝܝܬܐ( ܨܐܝܬܐ‬, where, as Charlesworth remarks, “a noun is needed.”29 But even if ‫ ܨܝܪܬܐ‬is to be translated as “painting”, meaning “make-up”, this conjecture makes no sense because it bears a negative connotation. Charlesworth’s concluding remark “Of course a ‘painted face’ has pejorative connotations in the Old Testament (e. g., see Ezek 23:40, 2 Kgs 9:30, and Jer 4:30)”30 cannot alter this opinion. Since the Syriac letters‫ ܨ‬and ‫ܤ‬, and ‫ ܙ‬and ‫ ܤ‬or ‫ ܙ‬and‫ ܨ‬are interchangeable, it is not necessary to limit the search for a palaeographically acceptable emendation of the Syriac to the suggestions that have already been made. So Franzmann’s suggestion “that originally ‫ ܨܝܕܬܐ‬read as ‫]…[ ܙܢܝܘܬܐ‬, being a conscious or unconscious allusion to Hos 2,4”31 certainly deserves consideration. This word is equivalent to πορνεία in the LXX. The image would have to refer to the Hebrew text, since in the Greek translation it is the Lord (κύριος) who threatens, among other things, “and I will remove her fornication out of my presence” (Hos 2:4 LXX). Therefore this emendation is rather unlikely. It is possible that Ephraem knew Ode 13. Although it would be anachronistic to interpret the “mirror”-Ode by its influence on the six so-called “Hymns (‫”)ܡܕ̈ܪܫܐ‬ ̈ and four “Sermons (‫”)�ܡܐܡܖܐ‬, which were written some two centuries later, it may be that the stereotypical moral vocabulary of the mirror image in Ephraem has preserved the desired original word from 3a. The simplest restoration of the current text would be a retransformation of ‫ ܨܝܕܬܐ‬into ‫ ܨܐܬܐ‬or ‫ܨܐܘܬܐ‬. The latter word (“dirt,” “uncleanness,” Greek commonly ῥύπος) has a number of spellings, e. g. ‫ ܨܐܝܘܬܐ‬and even ‫ܨܝܘܬܐ‬. That it caused difficulties and confusion can be seen from the reading ‫ ܨܐܘܝܘܬܐ‬in ms Y of Ephraem. So it is not far from this possible reading to the crux, just a spelling mistake (misread or perhaps misheard) from ‫ ܨܐܝܘܬܐ‬or ‫ ܨܝܘܬܐ‬to the similar

27 28 29 30 31

Harris/Mingana 1916, on this passage; 1920, 276–277. Charlesworth 1973, 64. Charlesworth 1973, 64. Charlesworth 1973, 65; these three passages refer only to eye shadow and mascara. Franzmann 1986, 282.

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outlines of ‫ܨܝܕܬܐ‬, which the Serta-script of Codex H clearly and nonsensically perpetuated as “huntress”. Ephraem’s stereotypical semantic field offers a different solution, based in literary history and tradition, starting from the well-attested confusion between Ṣādē ¯ and Semkaṯ. The emendation in my edition ‫“( ܣܢܐܬܐ‬hatred,” cf. Ode 7:20a)32 is not 33 used in any of the 10 Ephraem passages cited. The root ‫ܤܢܐ‬, however, and especially the partial synonym ‫ ܣܢܝܘܬܐ‬with the double meaning of odium (“hatred”) and deformitas (“ugliness”) clearly belongs to the morality of the mirror image in Ephraem and might probably have belonged to it as early as Ode 13. In that case, the misspelling (mishearing) in the Syriac manuscript tradition could have been the “missing link”, which gave rise to the “nonsense reading” ‫ ܨܢܐܬܐ‬or ‫ܨܢܝܘܬܐ‬, with some sort of pointing, which was finally miscorrected to the ‫ ܨܝܕܬܐ‬of the existing manuscript. It is, after all, likely that Ephraem, who appears to quote Ode 11:23a, would have known the Odes and among them Ode 13 also. It is even more likely that the mirror image was already present in pre-Ephraem Syriac metaphor and literature. Ephraem, as usual, gave a personal slant to his poetical expression of it. So it is possible that Ephraem found “dirt” in the Mirror-Ode and that he added his favourite “hatred/ugliness” to the imagery.

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32 Lattke 1979, 117. 33 See Lattke 1989.

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Geschlecht und Text

Veronika Bachmann

Mehr als „Wein, Weib und Gesang“? Zur Bedeutung der Bankettszenen in den Esterbuchversionen EstMT und EstLXX

Das Eintauchen in Text- und Vorstellungswelten der hellenistischen Zeit, der Blick über alt- und neutestamentliche Kanon-Gartenzäune hinaus und das Ernstnehmen von Geschlechterfragen in der sozialgeschichtlichen und exegetischen Forschung: All dies verbinde ich seit meiner Studienzeit mit Max Küchler. Es sind Perspektiven, die mein eigenes wissenschaftliches Arbeiten mitprägten, sei es bei der Beschäftigung mit den Anfängen apokalyptischen Schreibens, bei der das Wächterbuch (Hen[aeth] 1–36) im Zentrum stand, oder auch in Zusammenhang mit der Esterliteratur, deren Vielgestaltigkeit interessante Beobachtungen zulässt. Dass mein ehemaliger Lehrer zu den ersten gehörte, der im Zusammenhang mit dem Wächterbuch die Tücken der Vorstellung eines „ewig-männlich“ geprägten Himmels entlarvt hat, erfüllte mich mit Stolz.1 Wenn ich an Max Küchler und meine Studienjahre in Fribourg denke, tauchen zudem Erinnerungen an die damals regelmäßig gepflegte Form des Souper biblique auf. In katholisch-sinnlicher Manier verband man an diesen Abenden wissenschaftliche Inputs und Diskussionen mit gemütlichem Beisammensein. Unkompliziert hieß die biblische Fachgruppe auch interessierte Studierende zum Austausch willkommen. Hier beginnt denn auch der konkrete Bezug zur Esterliteratur, die Hauptthema des vorliegenden Beitrags ist. In der biblischen Estererzählung spielen Speis und Trank eine wichtige Rolle. Dank Erich Zengers Ausführungen zum Esterbuch in der nunmehr 9. Auflage der „Einleitung in das Alte Testament“ gehört dies inzwischen auch im deutschspra-

1

Vgl. Küchlers Votum zu den Wächterengeln, die gemäß Hen(aeth) 1–36 ihren gegen Gottes Ordnung verstoßenden Plan umsetzten, sich mit Frauen fortzupflanzen: „Ewig und echt Mann zu sein, war […] für die ‚Heiligen‘ eine gefährliche Doppelung, da es echte Frauen nur als sterb­ liche Wesen und auf der Erde gab. Das Ewig-Männliche zog die Heiligen hinab!“ (Küchler 1986, 282). Dazu, dass das Wächterbuch die Hauptverfehlung, die Gottes gute Schöpfung aus dem Lot gebracht haben soll, nicht den (irdischen) Frauen, sondern klar (himmlischen) Männern in die Schuhe schiebt, s. Bachmann 2017.

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chigen Raum zum exegetischen Allgemeinwissen.2 Blickt man genauer hin, fällt allerdings auf, dass die Bedeutung des Themas in der Forschung sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Unbestritten scheint zu sein, dass die Szenen, bei denen es um Speis und Trank geht – in der Fachliteratur gerne Bankettszenen genannt –, als wichtiges Mittel zur Textstrukturierung dienen. Weniger Einigkeit herrscht darüber, wie diese Struktur zu bestimmen ist und inwiefern der Text mittels der Thematik von Essen und Trinken inhaltliche und theologische Akzente setzt. Ferner fällt auf, dass bei der Diskussion meist die masoretische Esterbuchversion im Blick ist (im Folgenden: EstMT), also die hebräische Textfassung. Nur wenige Arbeiten beziehen auch die Erzählversion der Septuaginta (im Folgenden: EstLXX) oder weitere antike Erzählfassungen in die Überlegungen mit ein.3 Sorgfältig auszuloten, ob und wie die antiken Textversionen das Thema unterschiedlich beleuchten und gewichten, bleibt ein Desiderat. Die folgenden Ausführungen sind als Anregung zu weiteren Nachforschungen in diese Richtung gedacht. Einleitend wird es darum gehen, bisherige Tendenzen in der Interpretation der Bankettszenen zu sichten. Im Hauptteil sollen EstMT und EstLXX, die in heutigen katholischen Bibelausgaben in einer Mischform präsentiert werden, separat daraufhin befragt werden, in welcher literarisch-theologischen Funktion sie der Thematik von ‚Speis und Trank‘ Raum geben. Die Schlussüberlegungen fassen zusammen, inwiefern es gerade in Bezug auf die Bankett-­Thematik gewinnbringend ist, die unterschiedlichen Erzählversionen einzeln in den Blick zu nehmen. Im Folgenden werde ich der Konvention folgen und öfters den wenig klar definierten Begriff ‚Bankett‘ verwenden. Er wird als Sammelbezeichnung dienen für unterschiedliche Arten des Zusammenseins, bei dem getrunken oder auch getrunken und gegessen wird. Wie sich herausstellen wird, ist es sinnvoll, mit einem vagen Begriff zu arbeiten, da insbesondere EstMT inhaltlich damit spielt, Unterschiedliches ähnlich aussehen zu lassen.

1. Die Bankettszenen – bisherige Interpretationstendenzen Die Rolle der Bankett- oder Festszenen ist seit den 70er-Jahren v. a. auf den masoretischen Text bezogen ins Blickfeld gerückt. Es wurde klar, dass es nicht einfach reicht, über das (masoretische) Esterbuch zu sagen, dass es mit einem Fest beginnt – einem pompösen Fest des persischen Königs in Susa – und mit einem Fest aufhört – mit dem Purim-Fest, dessen jährliches Feiern am Ende zum Auf-

2 Vgl. Zenger 2016. Vgl. die jüngsten Esterbuchkommentare europäischer Provenienz, die dem Thema gesondert Raum geben: Macchi 2016, 85–86.105–106; Ego 2017, 16–24. 3 Auch Zenger 2016, der den Unterschieden zwischen EstMT und EstLXX grundsätzlich Beachtung schenkt, bleibt beim Thema ‚Bankettszenen‘ bei Beobachtungen zu EstMT stehen.

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trag gemacht wird. Beobachtungen zur Symmetrie und zur Verschachtelung der Bankettszenen luden seither immer wieder dazu ein, zu prüfen, wie stark sie den Aufbau der Estergeschichte prägen bzw. abbilden. Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen ‚Feiern‘ und ‚Fasten‘ (Est 4) wurde dabei immer wieder aufgeworfen. Eher jüngeren Datums sind Bemühungen darum, den inhaltlichen Gehalt der Bankettszenen nicht nur im internen Zusammenspiel, sondern auch über intertextuelle Bezüge – inner- wie außerbiblische – näher zu bestimmen.

1.1 Die Szenen als aufeinander bezogene Größen interpretiert Ende der 70er-Jahre hat Sandra Berg für EstMT wegweisend herausgearbeitet, dass die literarische Funktion der Feste am besten greifbar wird, wenn man sie gruppiert betrachtet.4 An Berg anknüpfend wurden unterschiedliche Gruppierungsmodelle entwickelt. Exemplarisch soll hier das Modell von Michael Fox aus dem Jahr 1991 näher angeschaut werden.5 In den Hauptzügen bauen viele spätere Arbeiten darauf auf. Fox zählt in EstMT zehn Bankette bzw. Feste und gruppiert sie in Paare:

Abb. 1: Gruppen von Banketten nach Fox 1991, 157.

Zur Gruppierung veranlassen ihn unterschiedliche Kriterien: Das letzte Paar steht s. E. in einer besonderen Beziehung zum ersten Paar, weil bei beiden die Unterscheidung zwischen der Bevölkerung von Susa (Feste 2 und 10) und der Bevölkerung der übrigen Gebiete des Perserreiches (Feste 1 und 9) im Blick sei. Bei den Festen 3 und 4 argumentiert Fox von der Erzähllogik her: Die Tatsache, dass Königin Waschti ihr Fest nicht verließ, um auf Geheiß vor dem König zu erscheinen, 4 Vgl. Berg 1979, insbes. 31–37. Insgesamt geht es ihr darum, ausgehend von den literarischen Hauptmotiven Schritt für Schritt die Hauptthemen, die Struktur, die Theologie und den intendierten Aussagegehalt von EstMT zu erschliessen. 5 Vgl. Fox 1991. Bei seinen Überlegungen stützt er sich explizit auf Vorarbeiten von Berg 1979, 31– 35; Meinhold 1983, 435–439; Clines 1984, 36–37.

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habe die Einsetzung Esters als Königin und das entsprechende Inthronisierungsfest ermöglicht. Bei den übrigen Festen macht er eine Verschachtelung fest. Die beiden Bankette, zu denen Ester den König und Haman einlädt (Feste 6 und 7), seien gerahmt durch zwei Freudenfeste über einen königlichen Edikt-Erlass. Tatsächlich feiert bei Fest 5 Haman mit dem König im Palast den Erlass des Ediktes, dass die judäische Bevölkerung auszurotten sei, während Fest 8 die Freude der Judäerinnen und Judäer über die dekretierte Erlaubnis zum Ausdruck bringt, sich am 13. Adar gegen angreifende Gruppen verteidigen zu dürfen. Indem Fox zehn Bankette, Feste oder Empfänge zählt, geht er zum einen davon aus, dass das Festmahl von Waschti in Est 1 ein separates Fest darstellt. Möglich wäre es auch, bei Est 1,5–12 von nur einem Fest zu reden, das geschlechtergetrennt gefeiert wird.6 Um auf zehn zu kommen, zählt er mit Fest 5 zum anderen auch eine Szene dazu, bei der zwar das Verb ‫( ׁשתה‬trinken) vorkommt, nicht aber das an den übrigen Stellen benutzte, davon abgeleitete Substantiv ‫מ ְׁש ֶּתה‬, ִ das oft mit ‚Bankett‘ übersetzt wird, sich aber grundsätzlich sehr unterschiedlich übertragen lässt (Gelage, Festmahl, Tafelrunde, Empfang …). In Bezug auf die literarische Funktion des Bankettmotivs hält Fox drei Aspekte fest: Es markiere zentrale Geschehnisse, diene als Vehikel „for the theme of power – its gain and its loss“7 und erlaube es, eine ironische Ebene einzuspielen.8 Die Art, wie Fox die Festszenen gruppiert, lässt erkennen, dass zwischen Fest 5 und Fest 8 Wesentliches passiert und dass sich zwischen Bankett 6 und 7, also zwischen Est 5 und Est 7, ein Wendepunkt festmachen lässt. In der Tat beflügelt das erste Esterbankett Haman nochmals in seinem Glauben an sich und in seiner Selbstbezogenheit, während ihn das zweite Esterbankett enttarnt, wodurch er elend fällt. Fox selbst bleibt bewusst vorsichtig, was das Festlegen einer Struktur des Esterbuches allein anhand der Bankettszenen angeht: „There is no reason to insist on a single structure in each text, a single principle of organization that can be definitively ferreted out. A text, like life in general, is organized – or organizable – into a multitude of domains. The type of organization we perceive depends on what we are looking for. […] The structures need not present neat, symmetrical, or hierarchical designs, for design is not their point.“9

In Anlehnung an Robert Alter empfiehlt er, verschiedene Strukturelemente nebeneinander zu betrachten. Feasting, wie er es nennt, sei zwar ein zentrales Motiv (major motif), daneben gelte es aber auch den thematischen roten Faden der Umkehrungen (reversal als major theme) zu beachten und natürlich die Hand6

Da sich die Geschehnisse, die zur Absetzung Waschtis führen, primär auf der ‚Männerseite‘ des Festes ereignen – der König hätte durchaus anders reagieren können! –, überzeugt eine Abspaltung des Frauenfestes der Waschti nicht. 7 Fox 1991, 158. 8 Vgl. Fox 1991, 156–158. 9 Fox 1991, 153.

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lungsfolge.10 Die meisten Arbeiten versuchen, diese grundsätzliche Mehrdimensionalität des Textes ernst zu nehmen. Da die Auswahl der Strukturelemente und deren Gewichtung variieren, ergeben sich daraus aber dennoch unterschiedliche Vorschläge zu Aufbau und auch Aussagegehalt der gesamten Schrift.11 Bisweilen sind Tendenzen zu beobachten, von einem strengen Paarschema abzukommen.12 Trotz der Mahnung von Fox, dass design nicht alles sei, ist zu beobachten, dass gewisse Arbeiten der Ästhetik der Anordnung ein sehr starkes Eigengewicht geben.13 Einige Arbeiten interpretieren die Bankettpaare im Rahmen von Themen, bei denen zurückzufragen wäre, wie stark der Text diese wirklich gewichtet.14 Für Berg lassen die Beobachtungen zur Paardynamik der Bankette sogar den redaktionsgeschichtlichen Schluss zu, dass EstMT wesentlich auf die Etablierung der Purim-Tradition hin angelegt und die Purimfeier-Verpflichtung nicht erst sekundär an die Erzählung über Ester und Mordechai angehängt worden sei.15

1.2 Fasten als Kontrapunkt zum Feiern Bereits Berg hat im Fasten ein Hilfsmotiv zur Hervorhebung des Hauptmotivs des Feierns erkannt.16 Die Liste der Bankettszenen von Fox vor Augen fügt sich das Fasten-Motiv zwischen die Bankette 5 und 6 ein.17 Zum einen erzählt Est 4,3

10 Vgl. Fox 1991, 153–163. 11 Vgl. Ego 2017, 16–24, die mehrere solcher Varianten referiert und diskutiert, um dann in Anlehnung an Steinberg 2006 ihre eigene Gliederungsstruktur darzustellen. 12 Vgl. Plietzsch 2012, 34. 13 Als Beispiel sei auf Zenger 2016, 382, verwiesen, der nur acht Bankettszenen zählt, die er in vier Paare gruppiert und streng chiastisch angeordnet sieht. Warum er Est 3,15 und Est 8,17 unbeachtet lässt, erläutert er nicht. Um den Chiasmus auch zwischen dem ersten und dem letzten Festpaar aufrecht zu erhalten (Kriterium: ganzes Reich vs. Beschränkung auf Susa), übergeht er zudem Est 9,17, wo bereits von einem Fest im ganzen Reich die Rede ist. Für eine Struktur, die nur von acht Bankettszenen ausgeht, vgl. bereits Meinhold 1983, wobei dieser andere Bankettpaare definiert als Zenger: Meinhold lässt Est 3,15, aber nicht Est 8,17 fallen, dafür zählt er die Purimfeiern nur als ein Fest. 14 So z. B. Steinberg 2006, 407–408, wenn er in Bezug auf die Feste in Est 1–2 und in Est 9 nicht nur folgert „Am Anfang feiern die Heiden, am Ende die Juden“ (Steinberg 2006, 407), sondern die Feste von Waschti (Est 1,9) und Ester (Est 2,18) im Wesentlichen als Feste interpretiert, die im Kleinen diesen Kontrast zwischen heidnisch und jüdisch vorbereiten. Damit legt er ein Dichotomie-Raster über den Text, welches die unterschiedlichen Rollen nicht-judäischer Erzählfiguren unangemessen einebnet, aber z. B. auch verhindert, das Verbindende zwischen Waschti und Ester zu sehen: Beide sind als Königinnen nicht dem ‚Heidentum‘ ausgesetzt, sondern einer Dynamik von Machtinszenierung und Machtphantasie, die Frauen darauf reduziert, schön und den Männern zu Diensten zu sein. Vgl. hierzu Bachmann 2014 (mit weiterer Literatur). 15 Vgl. Berg 1979, 167–168 sowie 47, wo sie die Purimfeier als „feast par excellence of the story“ bezeichnet. Für die Gegenposition s. z. B. Clines 1984, 50. 16 Vgl. Berg 1979, 37–39. 17 Vgl. z. B. die Graphik in Plietzsch 2012, 34.

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vom Fasten der gesamten judäischen Reichsbevölkerung als Reaktion auf das Ausrottungsedikt. Zum anderen ist in Est 4,15–17 davon die Rede, dass Ester nach ihrem Entscheid, ihr Leben zu riskieren und für ihr Volk vor den König zu treten, Mordechai und die übrigen Volksgenossinnen und Volksgenossen in Susa dazu anhält, drei Tage lang für sie zu fasten. Das Gleiche will sie zusammen mit ihren Dienerinnen tun. Numerisch gesehen fällt das Fasten zwischen die Bankette 1–5 und 6–10, also in die Mitte, was dazu verleiten könnte, in der (indirekten) Unterredung zwischen Mordechai und Ester (Est 4,4–14) auch die Mitte der Erzählung zu sehen.18 Zweifellos ist diese in die Fastenthematik eingebettete Unterredung wesentlich, denn mit ihr kommt die Erzählung nach der großen erzählerischen Komplikation – die kollektive Bedrohung durch das königliche Ausrottungsedikt – ins Rollen. Wie oben erwähnt, deutet aber vieles darauf hin, den eigentlichen Wendepunkt der Erzählung in Est 6, also zwischen den beiden Esterbanketten zu verorten. Susanne Plietzsch deutet die Gegenüberstellung von Fasten und Essen als Ausdruck dessen, dass es in der Estererzählung wesentlich ums Überleben gehe. Im Freudenfest von Est 8,17 sieht sie das Gegenstück zum Fasten, im Essen den Ausdruck von Leben.19 Wie bereits Berg nimmt sie wahr, dass es auch beim Fasten Nuancen gibt: Während das Fasten in Est 4,3 Ausdruck der Schock- und Trauerreaktion sei, wirke das Fasten als Vorbereitung auf Esters Gang vor den König (Est 4,15–17) als hoffnungsvolles Sammeln auf ihren Mut und ihre Bemühung hin, der Gefahr entgegenzutreten.20 Auf Midrasch Ester Rabba 9,4 verweisend, der die Fastenthematik im Esterbuch noch weiter ausmalt, betont sie, dass Fasten durchaus auch Ausdruck des Protestes gegen ein Todesschicksal sein könne.21 Schaut man auf die Datumsangaben in EstMT, ist auffällig, dass das Fasten von Ester und Mordechai auf die Tage der Pessachfeier fällt.22 Statt dies kritisch gegen Ester zu deuten, die damit Pessach missachten würde, gehen einige Arbeiten den Weg, darin eine beabsichtigte theologische Tiefe zu sehen.23 Jean-Daniel Macchi beispielsweise sieht im Fasten an Pessach, wo eigentlich Feiern angesagt wäre, nicht nur eine dramatisierende Betonung der radikalen Gefährdung des Volkes,

18 Vgl. Meinhold 1983, der in Est 4,13–14 die Mitte sieht. 19 Vgl. Plietzsch 2012, 35: „Surviving is the issue of this narrative and the concomitant tension is made real in the juxtaposition of eating and fasting.“ 20 Vgl. Berg 1979, 37–39; Plietzsch 2012, 35. 21 Vgl. Plietzsch 2012, 36. 22 Vgl. Macchi 2016, 128 Anm. 339–340 sowie 308 Anm. 41, für Verweise auf frühe rabbinische Kommentare, aber auch auf moderne Arbeiten, die auf die Überschneidung Bezug nehmen. 23 Den Kritikpunkt greift z. B. das mittelalterliche Werk Pirqe de-Rabbi Elieser auf, verteidigt dabei aber Ester. In einem kurzen Dialog wird sie von Mordechai kritisch auf Pessach angesprochen, vermag ihn aber vom Sinn des Fastens zu überzeugen: „Mordechai sagte zu ihr: Ist nicht der dritte Tag [der 1. Tag von] Pesach? Sie sagte zu ihm: Du bist Oberhaupt des Sanhedrin, und da sagst du dies? Wenn es Israel nicht mehr gibt, für wen soll es dann ein Pesach geben? Mordechai hörte auf ihre Worte und tat alles, was sie ihm geboten hatte […].“ (Übersetzung: Börner-Klein 2004, 692).

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sondern in Esters Gang vor den König, der s. E. auf den 15. Nisan fällt, dann auch eine Parallele zum Auszug aus Ägypten.24 Exemplarisch verdeutlichen die genannten Arbeiten, dass im Kontext der Thematik von Essen und Trinken durchaus auch auf die Fastenthematik zu achten ist. Beachtet man im Speziellen den Pessach-Bezug, gewinnen die Feste um das Fasten herum in ihrer Bedeutung an Prägnanz: Es gibt Feste, die der Sphäre der unterdrückerischen Ordnung Pharaos angehören, aber – für die Leserschaft an dieser Stelle erst zu erahnen – womöglich auch die Gegenfeste dazu, die sich mit einer Dynamik in Verbindung bringen lassen, die wahre Macht, wahres gutes Zusammenleben und wahre Weisheit greifbar werden lässt.

1.3 Blicke auf andere Texte und Erzählversionen Zwei Arbeiten seien noch erwähnt, die in Bezug auf die Bankettthematik eigene Akzente setzen. Luzia Sutter Rehmann stellt die Estergeschichte über das Thema ‚Tischgemeinschaft‘ in einen Zusammenhang mit Passagen aus den Büchern Tobit, Daniel und Judith.25 Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die These, dass Mahlzeiten in der Antike dazu dienten, Gruppenidentität symbolisch zu kodieren und zu formieren. Da ihr auffällt, dass gewisse biblische Texte das Miteinander einer Tischgemeinschaft explizit problematisieren, interessiert sie, wie bei diesen Texten die Ablehnung von Tischgemeinschaft zu verstehen ist. Beim Esterbuch konzentriert sie sich auf EstLXX. Tatsächlich findet sich eine explizite Problematisierung von Tischgemeinschaft nur dort, konkret im sogenannten Zusatz C, wo sich Ester anlässlich ihres Fastens im Gebet an Gott wendet. Ester grenzt sich dabei als Judäerin von ihrer nicht-judäischen Umgebung ab und betont, wie sie gerade in der Rolle der Königin leidet. Zum Stichwort Mahlgemeinschaft heißt es in V. 28:26 καὶ οὐκ ἔφαγεν ἡ δούλη σου τράπεζαν Αμαν καὶ οὐκ ἐδόξασα συμπόσιον βασιλέως οὐδὲ ἔπιον οἶνον σπονδῶν „Deine Magd hat nicht am Tisch Hamans gegessen, ich habe kein königliches Gelage (durch meine Anwesenheit) beehrt und habe keinen Opferwein getrunken.“

Traditionellerweise wird diese Stelle so gedeutet, dass sich Ester als fromme Jüdin ausgeben will, die sich beim Essen treu an die Reinheitsgesetze hält. Nach Sutter Rehmann deutet v. a. die ausdrückliche Erwähnung Hamans darauf, dass es um etwas anderes gehen könnte. Sie folgert, dass es nicht einfach um jüdische Rein-

24 Vgl. Macchi 2016, 128 und 308, aber auch bereits Macchi 2004, 73. 25 Vgl. Sutter Rehmann 2008. 26 Versnummerierung und Übersetzung folgen in diesem Beitrag De Troyer/Wacker 2009 (Septuaginta Deutsch).

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heitsgesetze gehe, „sondern auch darum, keine Gemeinschaft mit Verrätern, Mördern und Intriganten einzugehen.“27 Auch wenn Sutter Rehmann sich nur auf eine kleine Passage von EstLXX bezieht, verdeutlicht ihr Beitrag, dass unterschiedliche Esterversionen mittels der Thematik von Speis und Trank durchaus eigene Akzente setzten können. Er regt er dazu an, dem Symbolgehalt des Feierns und speziell der Mahlgemeinschaft differenziert Beachtung zu schenken und Vorsicht walten zu lassen bei der Deutung, worum es bei religiösen Speisegeboten geht. Auch Jean-Daniel Macchi setzt sich in einer seiner Arbeiten zur Esterliteratur mit dem Stichwort ‚Mahlgemeinschaft‘ auseinander.28 Er konzentriert sich klassisch auf EstMT, stellt seine Frage aber so, dass ebenfalls weitere biblische, aber auch außerbiblische Texte in den Blick kommen. Konkret untersucht Macchi, wie stark in EstMT reale oder auch klischierte persische, griechische oder hellenistische Bankettpraktiken Thema sind und was der Text, den er in die hellenistische Zeit datiert, daraus macht. Macchi unterscheidet in Bezug auf die Estererzählung zwischen den offiziellen königlichen Festen, den Esterbanketten mit privatem Charakter und den Purimfeiern. In Bezug auf die ersten zwei Kategorien zieht er den Schluss, dass EstMT im Kleid klischierter Vorstellungen über persische Bankette eigentlich spöttisch die hellenistische Bankettpraxis aufs Korn nehme.29 Er folgert, dass aus masoretischer Erzählperspektive judäische Leute grundsätzlich an diesen Gelagen partizipieren durften, wobei das Mitmachen eher als notwendiges Übel gewertet worden sei, um am bürgerlichen und politischen Leben zu partizipieren. Die Esterbankette machen dies s. E. besonders gut sichtbar: Ester scheint die Bankettregeln auch als Judäerin gut zu kennen, was ihr erlaubt, manipulierend einzugreifen. Mit den Purimfeiern geht EstMT nach Macchi neue Wege, denn über diese dritte Bankettklasse werde der Leserschaft modellhaft eine wahre judäische Bankettfeier präsentiert. Diese zeichne sich dadurch aus, gemeinschaftlich und egalitär zu sein. Es gebe bei dieser modellhaften Feier keinen alleinigen, protzenden Gönner, wie das bei hellenistischen Banketten üblich gewesen sei, sondern die in Est 9,22 formulierte Regel, dass man andere und insbesondere Ärmere beschenke, lasse auch an dieser Rolle alle partizipieren.30 Darüber hinaus erkennt Macchi bei der Beschreibung von Purim Bezüge zur Feier der Tora, die in Neh 8,10–12 wie folgt beschrieben ist:31

27 Sutter Rehmann 2008 (Kap. 3). Vgl. ähnlich Plietzsch 2012, 40, die in Bezug auf EstLXX C,26–28 den Schluss zieht: „Thus, when the LXX asserts that Esther observed the dietary laws, this should not be understood only as an expression of individual religiosity but also as a statement of opposition against power politics hostile to life and to God.“ 28 Vgl. Macchi 2009. 29 Vgl. Macchi 2009, 255.259. 30 Vgl. Macchi 2009, 257. 31 Vgl. Macchi 2009, 258–259; Macchi 2016, 470–471. Auch Arbeiten wie Gerleman 1973, 26, und Berg 1979, 181, erkennen einen Bezug zu Neh 8,10–12, werten ihn aber nicht wie Macchi auf den Aussagegehalt der Feiern hin aus.

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„10 Und er [Esra] sagte zu ihnen [zum Volk]: Geht, esst Fettes und trinkt Süßes und sendet Portionen [‫ ]וְ ִׁש ְלחּו ָמנֹות‬denen, für die nichts vorbereitet ist. Denn heilig ist der Tag unserem Herrn. Und seid nicht bekümmert, denn die Freude an JHWH, sie ist euer Schutz. 11  Und die Leviten beruhigten das ganze Volk, indem sie sagten: Still! Ja, der Tag ist heilig, seid nicht bekümmert! 12 Da ging das ganze Volk, um zu essen und zu trinken und Portionen zu versenden [‫]ל ַׁש ַּלח ָמנֹות‬ ְ und ein großes Freudenfest (‫דֹולה‬ ָ ְ‫)ׂש ְמ ָחה ג‬ ִ zu begehen. Denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen mitgeteilt hatte.“

Auch in der Beschreibung von Purim (vgl. Est 9,19.22) kommt das Motiv des feierlichen Essens und Trinkens vor, und es werden ebenfalls die Ausdrücke „Portionen versenden“ und „Freude“ verwendet. Dies führt Macchi zum Schluss: „En instituant les banquets de Pourim, Est 9,22 définit à sa manière ce qu’est un vrai banquet judéen, joyeux et égalitaire comme un banquet traditionnel et comme la fête de la Torah.“32

Indem Macchi Bezüge zu konkreten antiken Bankettpraktiken reflektiert, schenkt er auch den literarischen Klischees Beachtung, die sich z. B. bei Herodot oder Xenophon gut greifen lassen.33 Über die Frage nach innerbiblischen Bezügen vermag er – wie schon zum Stichwort Pessach – einen der zahlreichen kunstvoll eingearbeiteten Traditionsbezüge zu erhellen, deren Bedeutung für das Esterbuch nicht zu unterschätzen ist.34 Sichtet man die aktuellen Interpretationstendenzen, wird deutlich, dass es sich zum einen lohnt, in Bezug auf die Bankettthematik nicht nur die herkömmlicherweise genannten zehn Feste in den Blick zu nehmen. Auch das Beachten der Fastenthematik, Reflexionen über den Symbolgehalt des Feierns, der Einbezug außerbiblischer Quellen zum Thema sowie die Bezüge zu Pessach, aber auch zum Tora-Fest von Neh 8,10–12 vermögen wesentliche Aspekte des Deutehorizontes zu erschließen. Da die meisten Beobachtungen EstMT betreffen, stellt sich zum andern umso mehr die Frage, wie der Befund in EstLXX aussieht.

2. Zur Bedeutung der Bankettszenen in EstMT Zur masoretischen Esterversion ist schon Vieles zur Sprache gekommen. Im Folgenden geht es darum, die Einzelbeobachtungen zu bündeln. Begrifflich ist nochmals festzuhalten, dass EstMT für die genannten Feste praktisch durchgängig den 32 Macchi 2009, 259. 33 Vgl. für jüngere Kommentare, die den Schriften dieser Autoren zu Recht besondere Beachtung schenken, Berlin 2001; Macchi 2016; Ego 2017. 34 Vgl. für eine Untersuchung weisheitlicher Bezüge Talmon 1995, für Bezüge zur Prophetie Ego 2006. Gerleman 1973 liest EstMT stark im Licht der Exoduserzählung, geht damit aber bisweilen zu weit, was ihm Kritik eingebracht hat.

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Ausdruck ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬benutzt, der sich von der Verbalwurzel ‫( ׁשתה‬trinken) ableitet. Wie oben bereits erwähnt, bildet Est 3,15 (nach Fox Fest 5) eine Ausnahme, denn dort heißt es nur, Haman und der König seien zusammengesessen, um zu trinken (‎‫)יָ ְׁשבּו ִל ְׁשּתֹות‬. Der Begriff ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬bezeichnet im biblischen Sprachgebrauch in relativ offenem Sinn ein festliches Zusammensein. Gemäß der Wortwurzel bildet das Trinken ein wichtiges Element, in der Regel scheint man dabei aber auch gegessen zu haben (vgl. Gen 19,3; 26,30; Ijob 1,4).35 Der konsequente Gebrauch des Substantivs ist auffällig, gerade wenn man sieht, wie unterschiedlich die Feste sind, die EstMT zum Thema macht. Das Phänomen gilt es m. E. in Zusammenhang mit den Umkehrungen auf der Ebene des Plots zu begreifen, die in EstMT eine zentrale Rolle spielen. Wie in der Erzählung in weisheitlicher Manier Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden36 – am Ende sind es nicht mehr die Boshaften, die mächtig sind, sich freuen und (über-)leben, sondern den Verleumdeten, Ohnmächtigen und dem Tod Ausgelieferten ist ein Happy End vergönnt –, spielt sie auf einer tieferen Ebene mit der Ambiguität von Begriffen und dahinterliegenden Konzepten. In Bezug auf die Bankettszenen bekommt die Leserschaft in einem großen Bogen (Est 1–9) vorgeführt, dass das, was der König und seine Weisen (vgl. Est 1,13) in Form eines klischiert dargestellten persisch-höfischen Prunkgelages unter ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬verstehen, dem entgegensteht, was aus judäischer Perspektive ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬als ‚wahres Feiern‘ meint. Die Festivitäten am Ende (Est 8,17; 9) greifen zwar allgemeine Festelemente auf, wandeln die königlichen Feste aber bewusst ab. Jetzt sind es nicht mehr Feste, bei denen es um Protz, falsche Schmeicheleien und um ein Zelebrieren von männlicher Suprematie geht (vgl. insbes. Est 1–2)37 oder darum, egoistische Machtpläne zu verwirklichen und boshafte Allianzen gegen andere zu bilden (Est 3,15). Wie Macchi zurecht beobachtet,38 gibt es auch nicht mehr den einen großen Gönner, sondern wer kann, hilft mit, zu einem Fest für möglichst alle beizutragen. Feiern heißt, sich kollektiv über eine Wende zum Guten und über das Obsiegen einer Ordnung zu freuen, bei der Menschen, die einen guten Lebenswandel führen, nicht unter die Räder kommen und bei der – anders als es Haman dem König in Est 3,8 vortäuscht – tatsächlich das Gemeinwohl im Zentrum steht. Im Horizont der beiden entgegengesetzten Verständnisweisen von ‫ִמ ְׁש ֶּתה‬ gewinnen denn auch die weiteren Feste sowie das Fasten an inhaltlicher Kontur. Nimmt man in Bezug auf den Auftakt von EstMT den ironischen Ton gegenüber

35 Vgl. zum Bedeutungsspektrum Dubach 2009, 27–30. Macchi 2009, 247, erwägt, dass EstMT über den Begriff ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬bewusst vermeide, näher auf Fragen des Essens und insofern auf Fragen der Speisegebote einzugehen. Falls man EstMT allerdings in eine frühere Zeit datiert als Macchi, mag dieses Thema u. U. noch gar kein Problem dargestellt haben. 36 Vgl. Ps 7,16; 9,16; 35,7–8; 57,7; Spr 26,27; 28,10.18; Sir 27,26. 37 Zu den geschlechterpolitischen Tendenzen von Est 1–2 vgl. bereits oben Anm. 14, aber auch die weiteren Ausführungen. 38 S. oben unter 1.3.

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dem persisch-höfischen Gehabe wahr,39 ist das Fasten nicht nur als nachvollziehbare Reaktion auf die kollektive existentielle Bedrohung zu verstehen. Die Verbrüderung zwischen Haman und dem König durch das gemeinsame Trinken in Est 3,15 erscheint unter diesem Aspekt auch als Höhepunkt, was die Perversion persisch-höfischen Feierns angeht: Der König und sein höchster Beamter Haman, diejenigen also, die qua Amt für die gute Weltordnung zu sorgen hätten, trinken auf den Plan eines Genozids und damit statt auf das Leben auf den Tod. Die Reaktion des Fastens lässt sich damit auch als Distanzierungsmarker verstehen. Über das Fastenmotiv setzt der Text einen klaren Kontrapunkt gegen die Art, wie Mahlgemeinschaft von selbstsüchtigen, skrupellosen Menschen aussehen kann.40 Nimmt man die Beobachtung hinzu, dass das Datum des Fastens der judäischen Bevölkerung von Susa (Est 4,16–17) auf das Datum von Pessach fällt, kommt Hoffnung, aber auch eine Anfrage an die eigene Tradition in den Blick, was eine zusätzliche Spannung erzeugt: Wird die Dynamik von Pessach auch durch diese Krise tragen? Oder noch grundsätzlicher: Wie tragfähig ist die eigene Tradition in einer solchen neuen Bedrohungssituation? In dieser Situation der Ungewissheit kommen Esters an Haman und den König gerichteten Einladungen zu einem Empfang ins Spiel. Ester nimmt es in Kauf, mit dem Verständnis von ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬zu spielen, das ihren beiden Gästen lieb und vertraut ist: Man(n) trifft sich, trinkt, fühlt sich königlich und ist auch der Präsenz weiblicher Schönheit nicht abgeneigt. Im Nachhall zu Est 1 manifestiert sich hier in Anlehnung an biblisch-weisheitliche Statements wie Spr 31,1–5 erneut eine kritische Sicht gegenüber dem persischen König. Er agiert nicht weise, wie es einem guten König anstehen würde. In der hellenistischen Literatur, die aus griechischer Perspektive von den Verhältnissen am persischen Königshof erzählt, findet sich das Motiv des Königs, der beim Fest einer Frau, die ihm gefällt, einen freien Wunsch offeriert (vgl. Hdt. IX 108–112). Gleiches ist in Est 6,6 und 7,2 der Fall.41 In Herodots Geschichtswerk dient das Motiv dazu, den persischen König in ein lächerliches Licht zu stellen, denn in der Regel fallen die Wünsche dergestalt aus, dass der König seine im angetrunkenen Zustand an den Tag gelegte Großzügigkeit bereut.42 In EstMT zeitigt die geäußerte Bitte ebenfalls fatale Folgen, allerdings nicht für den König, son39 Die Auslegungsgeschichte zeigt, dass diese Wahrnehmung nicht nur bei christlich-allegorischen Lesarten verloren gegangen ist, sondern auch bei Nacherzählungen der Estergeschichte, welche die Königin Ester, um Ehefrauen das Vorbild einer braven Ehefrau zu vermitteln, in einen Kontrast zur unflätigen, ungehorsamen Waschti stellen, die ihren Ehemann geschädigt hat. Vgl. zu beiden Lesarten Bachmann 2014a. 40 Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn das Fasten auch in Est 9,31 nochmals betont wird – nicht als Regelung, wie es manche Übersetzungen und Kommentare verstehen, sondern als wichtiger inhaltlicher Punkt des Berichtes über die Ereignisse. Vgl. in eine ähnliche Richtung Macchi 2016, 481–482. 41 Vgl. auch Est 5,3; 9,12 (dort aber ohne Bankettkontext). Eine Ausnahme bildet Est 8,3–8. 42 Vgl. so dann auch die Verwendung des Motivkomplexes in Mk 6,21–29 in Zusammenhang mit der Hinrichtung von Johannes dem Täufer.

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dern für Haman. Die Torheit des Königs ließ also nicht nur das Vernichtungsedikt Hamans zu, sondern führt im Rahmen von Esters Empfängen ironischerweise auch dazu, dass Letzterer entlarvt und hingerichtet wird (Est 7), was ein erster wichtiger Schritt hin zu wahrem Feiern ist (Est 8,15–17). Nicht erst die Feste von Ester, sondern bereits das Festgelage, bei dem Waschti ihre Königswürde verliert, verdeutlichen, dass in der Estergeschichte Frauen eine besondere Rolle spielen. Dies ist für ersttestamentliche Hoferzählungen, die in der Fremde spielen, einmalig.43 Während bei den hellenistischen Schriftstellern die Erwähnung von Frauen tendenziell dazu dient, die persischen Herrscher despektierlich als schwach darzustellen, da sie sich von Frauen beeinflussen lassen,44 ist bei EstMT eine andere inhaltliche Stoßrichtung auszumachen, denn hier wird gewissermaßen die Geschlechterfrage selbst problematisiert. Dies beginnt bei der Haltung des Königs seiner Königin Waschti gegenüber greifbar zu werden. Trotz Beratern, die sogar weise sein sollen (Est 1,13), denkt im Prozess, den man ihr macht, niemand daran, Waschti selbst nach ihrem Beweggrund zu fragen, nicht vor die Männer zu treten. Ferner fühlen sich – zugespitzt formuliert – die all so weisen und mächtigen Männer am Hof auf einmal alle durch ihre Frauen gefährdet und benötigen ein pauschales, diskriminierendes Gesetz, um sich wieder stark zu fühlen. Auch über Esters Empfänge werden männliche Frauenbilder problematisiert. Gerade als Frau wird Ester von der Sorte Männer, die sie einlädt, schubladisiert und kaum weiter ernst genommen. Der König reduziert sie vor allem auf ihre Schönheit, Haman sieht in ihr ein Instrument, um sich vom König gebauchpinselt zu sehen (vgl. Est 5,12). Unter diesen Voraussetzungen muss sich Ester als tapfere Schauspielerin bewähren und sich – ähnlich wie Judit gegenüber Holofernes (Jdt 11–13) – gerade die klischeeverhafteten Frauenbilder der mächtigen nicht-judäischen Männer zunutze machen, um ihr Volk zu retten. EstMT entlarvt spätestens mit den Esterbanketten die Welt der Menschen, die dem Motto ‚Wein, Weib und Gesang‘ frönen, als törichte und letztlich menschenfeindliche Welt, als eine Welt, die zwar vordergründig Leben zelebriert, letztlich aber eigentlich der Sphäre des Todes zugehörig ist. Dass Ester zweimal zum Empfang lädt, lässt sich einerseits als literarisches Element verstehen, die Spannung zu erhöhen: Noch könnte für Haman alles auf-, aus judäischer Perspektive alles schiefgehen. Andererseits erlaubt die Doppelung, Haman am Ende überdeutlich im Licht des Sprichworts „Hochmut kommt vor dem Fall“ (Spr 16,18) wahrzunehmen. Am Ende, so könnte man es zusammenfassen, besiegt Ester sowohl den König als auch Haman mit deren eigenen Waffen. Den Kontrast zu den höfischen Feiern bilden, wie schon erwähnt, die Schlussfeiern, auf die der Plot hinführt. Schaut man genau hin, gehören hierzu womög43 Vgl. Dan und Tob, wo keine Frauenrolle am Hof von Bedeutung ist. In der Josefserzählung tritt allein die Frau Potifars als weibliche Figur auf (Gen 39). Bei Esra-Nehemia mag die singuläre Erwähnung der Königin in Neh 2,6 erstaunen. Vgl. allgemein zum Thema Bachmann 2014 (mit weiterer Literatur). 44 Vgl. z. B. Wiesehöfer 2015, 17–18.

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lich mehr Feiern, als die unter 1.1 genannten Listen suggerieren: die erste glückliche Reaktion auf das Gegenedikt in Est 8,15–17, das spontane glückliche Feiern der Ruhe vor den Feinden am Tag nach dem Kampf im ganzen Reich, aber auch in Susa (Est 9,17–18), sowie dann eben Purim als jährliche Feier, die jede Generation an die Zeit erinnern soll, als sich für die Judäerinnen und Judäer gemäß Est 9,22 „Not in Freude und Trauer in einen guten Tag verwandelt hat“ (‫ֲא ֶׁשר נֶ ְה ַּפְך ָל ֶהם‬ ‫ּומ ֵא ֶבל ְליֹום טֹוב‬ ֵ ‫)מּיָ גֹון ְל ִׂש ְמ ָחה‬. ִ 45 Gerade die Purim-Feier, die sich von den spontanen judäischen Feiern her etabliert, scheint dem persisch-höfischen Verständnis von ‫ ִמ ְׁש ֶּתה‬ein ideales alternatives Festverständnis entgegenzuhalten. In Kontrast zu jenem anderen Verständnis geht es um ein Fest, bei dem nicht nur im wörtlichen Sinn das Überleben gefeiert wird. So, wie die Erzählung auf Purim zuläuft, gibt EstMT zu bedenken, dass es zur Kunst richtigen Feierns gehört, nicht der Sphäre des Todes, sondern der Sphäre wahrhaftigen Lebens Ausdruck zu verleihen. Nimmt man den Bezug zum Tora-Fest von Neh 8 hinzu, ergibt sich über die Erzählung hinweg trotz oberflächlichem ‚Gottesschweigen‘ in EstMT ein klarer theologischer Traditionsbezug: Aus judäischer Warte erweisen sich der Exodus-Gott (vgl. oben zum Fasten) und seine Tora als die tragenden Säulen für wahrhaftiges Leben und Feiern. Auf textpragmatischer Ebene ist der Schritt von der erzählten Feier zur Festtradition von besonderer Bedeutung: EstMT skizziert damit nicht nur ein Ideal, welches der Erzählwelt verhaftet bleibt, sondern stößt explizit dazu an, diesem Ideal über einen Brauch im (Zusammen-)Leben der Leserschaft Raum zu geben. Da EstMT starke weisheitliche Züge aufweist, die sich u. a. in der ironischen Ausdrucksweise und in der Zurückhaltung manifestieren, direkt von Gott zu sprechen,46 lässt sich sogar erwägen, dass die Erzählung einer gelehrten Leserschaft erlaubte, hinter den persisch-höfischen Bankettfeiern Frau Torheit am Werk zu erkennen, hinter den judäischen Festen Frau Weisheit als Gastgeberin (vgl. Spr 9).47 Inwiefern das ‚weisheitliche Festmahl‘ in EstMT als für alle Völker zugänglich gedacht ist, bleibt unklar. Est 8,17 verdeutlicht, dass es – der Haltung von Haman entgegengesetzt – mindestens um ein respektvolles Akzeptieren der judäischen Bevölkerung im Rahmen des persischen Vielvölkerreiches geht. Dort findet sich die einzigartige Formulierung, dass sich angesichts des Gegenedikts viele aus den Völkern der Welt ‚jehudisiert‘ hätten (‫)מ ְתיַ ֲה ִדים‬. ִ Die Begründung lautet, dass Furcht vor den Judäerinnen und Judäern (‫הּודים‬ ִ ְ‫ד־הּי‬ ַ ‫)ּפ ַח‬ ַ auf sie gefallen sei. In weiteren biblischen Texten, insbesondere in Texten der Chronikbüchern, kann ‫ ַּפ ַחד‬die angemessene Furcht vor einer hoheitlichen Größe irdischer oder göttlicher Art

45 Dass die erste, spontane Feier nach dem Kampf häufig nicht von der danach etablierten Festtradition abgegrenzt wird, mag mit der Formulierung ‚zum Fest- und Freudentag machen‘ in Est 9,17.18 zusammenhängen, die – etwa bei Fox – bereits im Sinne eines Etablierens der Festtradition verstanden wird. Da EstMT die Etablierung ab Est 9,20 explizit zum Thema macht und Mordechai und Ester zuschreibt, ist ein solches Verständnis jedoch alles andere als zwingend. 46 Zu Weisheitsbezügen insgesamt vgl. Talmon 1995. 47 Zu Erwägungen, in Bezug auf Frau Weisheit und Frau Torheit an Ester und Hamans Frau Seresch zu denken, vgl. Wacker 2009.

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bezeichnen (vgl. 1 Chr 14,17; 2 Chr 17,10; 19,7). Dass wahre ‫ ַּפ ַחד‬in EstMT der judäischen Bevölkerung mit ihrem Verständnis von wahrer Weisheit und wahrem Feiern gebührt und nicht dem persischen König und seinen Lieblingsbeamten, fügt sich gut ins Gesamtbild.

3. Zur Bedeutung der Bankettszenen in EstLXX Obwohl es um Varianten der gleichen Geschichte geht, gelangen wir mit EstLXX im Vergleich zu EstMT in vielerlei Hinsicht in eine andere Welt. So rahmen bei EstLXX ein Traum und dessen Deutung die Erzählung (EstLXX A,1–11; F,1–10). Mahlgemeinschaft kommt hier nicht zur Sprache, vielmehr geht es um das Motiv von Bedrohung und Rettung, wobei Letztere explizit Gott zugeschrieben wird. Hinzu kommt, dass der Rahmen deutlich die Unterscheidung zwischen den Völkern und dem einen Volk von Gerechten (vgl. EstLXX A,6) zum Thema macht.48 Damit fehlt die prägnante Gegenüberstellung des persisch-höfischen und des judäischen Feierns, die sich bei EstMT als Bogen über die ganze Erzählung spannt. Zur ‚anderen Welt‘ gehören auch die griechische Sprache und der griechische Erzählstil, der nun – in der Art der Makkabäerbücher – eher dramatisch-unterhaltsam als weisheitlich-unterhaltsam daherkommt. Vom Vokabular her fällt auf, dass im Vergleich zu EstMT deutlich weniger einheitlich und weniger durchgängig von Mahlfeiern die Rede ist. Geht man der Festliste von Fox entlang (s. 1.1), wird für Fest 1 und 6 der Ausdruck δοχή benutzt, für die Feste 2–4 der Ausdruck πότος. Über Fest 7 wird als δοχή und als πότος geredet, und wenn Haman und der König zusammensitzen (Fest 5), wird ihr Trinken als Zechen bzw. Bechern (κωθωνίζομαι) bezeichnet. Auch beim Freudenfest in Reaktion auf das Gegenedikt (EstLXX 8,17) ist von κώθων/Zecherei die Rede. Was die Feier nach den Angriffstagen angeht, wird interessanterweise gar nicht von einem Festmahl gesprochen, sondern nur davon, dass Jubel (χαρά) und Freude (εὐφροσύνη) herrschten (EstLXX 9,17–18). Auch bezüglich der Phrurai-Tage, die sich als Brauch etablieren sollen, ist nicht direkt von einem Festmahl die Rede, sondern – deutlich anders als bei EstMT – von Hochzeits- und Freudentagen (EstLXX 9,22). In einem gewissen Kontrast dazu steht EstLXX E,22: Innerhalb des in EstLXX ausformulierten Gegenediktes ergeht hier die Aufforderung an die gesamte persische Bevölkerung, ein Rettungsfest in die Reihe der bekannten ἑορται/Feste aufzunehmen, und zwar als Tag mit üppigem Mahl (μετὰ πάσης εὐωχίας). Den Begriff εὐωχία benutzt schliesslich auch Mordechai in seinem Gebet (EstLXX C,10), und zwar als Bitte, Gott möge den Kummer (πένθος) der judäischen Bevölkerung in εὐωχία verwandeln.

48 Im Laufe der Erzählung greift z. B. EstLXX 4,1 diesen Topos auf, wenn Mordechai in seiner Verzweiflung und Sorge über das Hamanedikt explizit ruft: „Beseitigt wird ein Volk, das keinerlei Unrecht begangen hat!“

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Die wenigen Hinweise mögen verdeutlicht haben, dass bei EstLXX in Bezug auf die gesamte Erzählfolge eine komplexere Gesamtsituation als in EstMT vorliegt. Fiel dort auf, dass insbesondere die Festgelage als riskante Orte in Szene gesetzt werden, lauert bei EstLXX eigentlich überall Gefahr, und zwar für alle. Noch vor dem großen Prunkfest des Königs wird bereits von einem ersten Mordkomplott gegen ihn berichtet (EstLXX A,12–17). Auch die Ereignisse um Waschti reihen sich so in die Gefährdungsreihe ein: Der König muss damit rechnen, dass ihn sogar die eigene Frau im Stich lässt. Während in EstMT in Bezug auf das Verhalten der Männer am Hof Ironie greifbar ist, dominiert bei EstLXX das dramatische Geschehen. Bei genauerem Hinschauen wird offenkundig, dass EstLXX andere Aspekte in den Vordergrund rückt als EstMT.49 Es sind nicht die Festgelage wie bei EstMT, die den inhaltlichen und auch theologischen roten Faden markieren. Statt Frau Torheit und Frau Weisheit scheint bei EstLXX eher Frau Tyche ihre Hände im Spiel, aber die Kontrolle über das Spiel verloren zu haben. Die zentrale Referenzgröße bleibt der Gott Esters und Mordechais: Über die Erzählung hinweg mehrmals mit dem Titel König angeredet, sticht er als wahrer König den irdischen Perserkönig klar aus. Zurückzukommen ist auf das Heiraten als Feiermotiv. In EstMT ist dieses nur indirekt bei Fest 4, in EstLXX dagegen mehrmals Thema. Heiratstage (ἡμέραι τοῦ γάμου) sind erstmals in EstLXX 1,5 Thema, was suggeriert, dass anlässlich der pompösen königlichen Feier für die Noblen auch geheiratet wurde. Man kann dies als Indiz dafür deuten, dass es um die Hochzeitsfeier des Königs mit Waschti ging.50 Vorstellbar ist aber auch, dass es Tage des Feierns waren, die dazu dienten, die Prosperität des Reiches, den Reichtum und die Großzügigkeit des Königs auch im Rahmen von Massenhochzeiten zu zelebrieren. Auch in Bezug auf Ester und Mordechai ist Hochzeit in EstLXX ein Thema. Während EstMT davon spricht, Mordechai habe sie als Tochter angenommen, erklärt EstLXX in 2,7, er habe sich Ester „für sich zur Frau erzogen“ (ἐπαίδευσεν αὐτὴν ἑαυτῷ εἰς γυναῖκα). Die königliche Aktion, die schönsten jungen Frauen im Reich an den Hof zu bringen, durchkreuzt die Heiratspläne der beiden. Wenn EstLXX 2,18 ausdrücklich den Begriff γάμος benutzt, unterstreicht dies die Spannung. Wie bereits erwähnt, ist darüber hinaus im Rahmen der Purimfeier bzw. der Phrurai-Tage von Hochzeitsfeiern die Rede. Als Echo nicht nur auf 1,5 verstanden, sondern auch auf die vereitelten Heiratspläne von Ester und Mordechai, könnte es hier darum gehen, die Heirat der Gerechten untereinander als Ideal ins Zentrum zu rücken. Bezüglich des offenen Spannungsbogens, was die Heirat von Ester und Mordechai angeht, ist schließlich der Schluss von EstLXX brisant. In EstLXX 10,3 wird von Mordechai gesagt, dass er auf König Artaxerxes gefolgt sei: ὁ δὲ Μαρδοχαῖος διεδέχετο τὸν βασιλέα Ἀρταξέρξην. Das Verb διαδέχομαι lässt sich hier auf zwei Arten verstehen: Entweder nimmt man an, dass Mordechai – wie einst Haman – zum Zwei-

49 Für einen detaillierten Vergleich der Erzähllinien vgl. Vialle 2010. Als knappere, aber prägnante Untersuchungen mit Fokus auf EstLXX s. Ego 2014; Wacker 2004. 50 Vgl. so z. B. Breitmaier 2006, 20, die dazu auf EstLXX 1,5 und 1,11 verweist.

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ten nach dem König erhöht wurde, oder man versteht die Aussage dahingehend, dass er dessen Nachfolger wurde. Wer sich der zweiten Lesart anschließt und sich beim Lesen daran erinnert, dass Mordechai Esther einst für sich selbst zur Frau erzogen hat, kann nun das glückliche Ende erkennen: Die beiden scheinen sich doch noch gefunden zu haben, und dies sogar als judäisches Königspaar, das die Welt nun gemäß der guten Ordnung des wahren göttlichen Königs regieren kann.

4. Zusammenfassung und Ausblick Die Frage, ob es sich lohnt, EstMT und EstLXX bezüglich der Bankett-Thematik separat in den Blick zu nehmen, dürfte nach diesem Durchgang durch die beiden Erzählversionen obsolet sein. Der gängigen Meinung, dass das Festmotiv typisch und wesentlich für die Estergeschichte sei, wie es z. B. die Einleitung von Zenger suggeriert,51 ist differenzierend entgegenzuhalten, dass dies nicht für jede antike Erzählversion gilt. Für EstMT trifft dies zu, während bei EstLXX zusätzliche Motive und Themen im Spiel sind, was der Gesamterzählung eine andere Farbe und einen anderen Duktus verleiht. Deutlich konnte ferner herausgearbeitet werden, dass dennoch beide Erzählversionen über die Festthematik – ob nun Bankette oder Hochzeitsfeiern im Blick sind – literarische Akzente setzen, die theologischen Tiefgang besitzen. An diesen Befund könnte nun die Frage anschließen, inwiefern ein sorgfältiger Blick auf die Festthematik allenfalls hilfreich ist, neben der theologischen Stoßrichtung den historischen Ort der jeweiligen Erzählvariante näher zu erfassen.52 An dieser Stelle kann nur ansatzweise darauf eingegangen werden. Interessant ist etwa der Aspekt, dass sowohl über die Bankett- als auch über die Hochzeitsthematik Position bezogen wird gegenüber der Frage nach der idealen Verhältnis­ bestimmung zwischen dem judäischen Volk und den übrigen Völkern. Bei EstMT wurde greifbar, dass primär Respekt vor dem judäischen Volk eingefordert wird und dass die eigentümliche Formulierung ‫ ִמ ְתיַ ֲה ִדים‬in diese Richtung zu interpretieren sein dürfte. Dies setzt eine Vertrautheit mit Kulturkontakten voraus, die nicht grundsätzlich abgelehnt werden. Wenn das Bestehen als eigenes Volk in einem multiethnischen Kontext hintergründiges Anliegen ist, passt ein Diasporasetting als plausibler Kontext. Über die Festthematik unterstreicht EstMT, dass Fremdes grundsätzlich stehenbleiben kann, dass es aber wichtig ist, auf der Hut zu sein vor Anpassungen an destruktive Kräfte. Gegenüber den Volksgenossinnen und -genossen im judäischen Kernland setzt EstMT literarisch-kunstvoll ein Zeichen, dass judäische Existenz auch in der Ferne gut gelebt werden kann, dass auch

51 Vgl. Zenger 2016. 52 Für einen Versuch, dies für EstMT, EstLXX und den sogenannten griechischen Alpha-Text anhand der Themenkomplexe ‚Macht‘ und ‚Identität‘ durchzubuchstabieren, s. Bachmann 2019.

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die Diasporagemeinden durchaus in die Dynamik der Rettung hineingenommen sind, auf die man traditionellerweise vertraut, und dass gerade auch die Angehörigen der Diasporagemeinde Werkzeug dieser rettenden Dynamik sein können. Bezüglich der Frage, ob an eine östliche oder an die ägyptische Diaspora zu denken ist, ist m. E. aufgrund der semitischen Abfassungssprache der östlichen Dias­ pora der Vorzug zu geben. Die Art und Weise, wie EstLXX die Heiratsthematik in die Erzählung einwebt, lässt demgegenüber ein anderes Ideal aufscheinen. Hier scheint der Blick auf Fremdstämmige generell negativer zu sein. Entsprechend geht der Anspruch weiter als bei EstMT: Nicht einfach das Toleriertwerden ist Ziel, sondern alle, die aus fremder Perspektive erkennen, dass das Volk der Ιουδαῖοι das gerechte Volk ist, sind idealerweise bereit, sich Israel voll und ganz anzuschließen. Auch EstLXX 8,17 weist in diese Richtung: Neben dem Verb Ἰουδαΐζω erscheint hier zusätzlich das Verb περιτέμνω (beschneiden). EstLXX erinnert damit nicht zuletzt an das Juditbuch, bei dem Achior der exemplarische gute Fremde ist, der sich am Ende durch das Zeichen der Beschneidung integriert und damit voll und ganz dem Haus Israel zugerechnet wird (Jdt 14,10). Aussagegehalt, Sprache und Schreibstil lassen m. E. den Schluss zu, dass EstLXX das Resultat einer Jerusalemer Adaptation der Estergeschichte ist, die man, wie es das Kolophon anzeigt, für die ägyptische Diaspora angefertigt hat. Zeitlich könnte es in die makkabäisch-hasmonäische Zeit passen, als die Eigenstaatlichkeit Judas wieder als reale Option in den Blick kam.

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Markus Lau

Speichellecker? Von tyrischen Hunden, jüdischen Kindern, einer klugen Frau und einem lernenden Jesus. Beobachtungen zu einer irritierenden markinischen Perikope (Mk 7,24–30)

Ganz am Ende seiner 1986 unter dem eingängigen Titel „Schweigen, Schmuck und Schleier“ veröffentlichten Habilitationsschrift – ein im Rahmen gendersensibler Exegese im deutschsprachigen Raum frühes und noch dazu von einem katholischen Mann verfasstes Werk zur Thematik – erlaubt sich Max Küchler einen literarischen Kunstgriff und formuliert unter der Überschrift „Der unverhüllten Frauen Schmuck und Sprechen“ eine sich wohl zu einem Gutteil Schweizer Freiheitsliebe und an der Freiburger Theologischen Fakultät gelebter akademischer Weite verdankende neue Fassung der von ihm untersuchten neutestamentlichen Texte. Küchler geht es in diesem Rahmen darum, die Ursprungsintention der alttestamentlichen Texte zu erfassen, die hinter den von ihm untersuchten neutestamentlichen Traditionen stehen. Wenn man diese Hintergrundtexte von einer typisch frühjüdischen Tendenz, Frauen zu benachteiligen, befreit und diese Perspektive auf die neutestamentlichen Texte überträgt, erklingen die neutestamentlichen Texte wieder so, wie es der biblischen Ursprungsintention eigentlich gerechter wird, so der mit dieser Festschrift geehrte Jubilar. Für 1 Kor 14,33b–36 liest sich das dann so:1 „Wie in allen Versammlungen der Heiligen (so gilt auch bei euch:) Die Frauen sollen in den Versammlungen mitreden, DENN: Nicht ist ihnen gestattet zu schweigen, sondern gleichgeordnet sollen sie sein, wie es die göttliche Weisung will. Wenn sie aber ihre Kenntnisse erweitern wollen, sollen sie es daheim gemeinsam mit den Männern tun, DENN: Eine Ehre ist es für die Frau, in der Versammlung gut zu reden. Oder ist das Wort Gottes von euch Männern ausgegangen? oder allein zu euch gekommen?“

Blickt man aus dieser Warte auf die markinische Erzählung von der syrophönizischen Frau in Mk 7,24–30, die im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen soll, so könnte einem geradezu ein Paradebeispiel für ein role model und eine 1

Küchler 1986, 494.

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Markus Lau

Umsetzung dieses küchlerschen Gegenbildes zu den restriktiven Optionen der von ihm untersuchten Texte begegnen. Denn die Syrophönizierin schweigt in der Auseinandersetzung mit Jesus ganz entschieden nicht und Schleier und Schmuck sind ihr als Erzählfigur wie dem ganzen Markusevangelium offenkundig einerlei. Mehr noch: Sie wird losgelöst von jedem Mann als aktive Frau gezeichnet, die ihr eigenes Heim verlässt, in die Öffentlichkeit eintritt und sich aus eigenem Antrieb heraus zu Jesus aufmacht2 und dazu auch die Schwelle eines fremden Hauses überschreitet. All das tut sie, weil sie eine eigene und spezifische Agenda verfolgt: Die Heilung ihrer Tochter. Wahrlich keine graue Maus, die sich sittsam einem Mann unterordnen würde, wie es etwa dem Ideal der Pastoralbriefe und einer bestimmten Tendenz frühjüdischer Schriftverwendung, auf die Küchler nachhaltig aufmerksam gemacht hat, zu entsprechen scheint. Carsten Jochum-Bortfeld formuliert in diesem Sinne:3 „Die Syrophönizierin fordert den Mann Jesus in einem theologischen Disput heraus, eine für eine Frau in der Antike unmögliche Verhaltensweise. Sie verlässt die Handlungsräume, die ihr von der Gesellschaft zugestanden werden. Ihr Verhalten steht quer zu dem, was Cato d. Ä. und Valerius in der Debatte um die lex Oppia Frauen zubilligen: Eine Frau darf nicht mit einem Mann ein Streitgespräch führen. Sie hat zu bitten und muss das empfangen, was ihr der Mann zugesteht. So wie sie handelt, würde sie in den Augen der Autoren des Jesus Sirach die Ehre des Mannes mit Füßen treten.“

Markus scheint also eine aus der Perspektive geschlechtersensibler Exegese sympathische Geschichte zu erzählen, realisiert sie doch Kontraste zu restriktiven Optionen im Blick auf die Entfaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten von Frauen in antiken Gesellschaften. Alles gut also? Mitnichten! Denn trotz dieses spezifischen Auftritts der Frau erscheint die Erzählung von der Syrophönizierin alles andere als unproblematisch. Um ihre Ziele zu erreichen, muss sich die Syrophönizierin vor Jesus selbst erniedrigen, ihm vor die Füße fallen (προσπίπτω; V. 25),4 sich mit entschiedener jesuanischer Zurückweisung konfrontieren lassen und das von Jesus ihr und ihrer Tochter zugeschriebene Rollenkonzept des Hundes übernehmen, dem man ein paar Brocken Brot, gleichsam einige Heilskrümelchen, zuwirft – 2 3 4

Sie hat, so Mk 7,25, von Jesus gehört. Was genau sie gehört hat, sagt der Text nicht (vgl. ähnlich Mk 10,47). Kontextuell liegt freilich nahe, die Verkündigung der Taten Jesu, von denen zu hören ist, hier einzutragen, vgl. Mk 3,8. Die Kontraste zwischen dem aktiven Verhalten der Frau und den auch pagan bezeugten gesellschaftlichen Rollenerwartungen im Blick auf Frauen arbeitet Jochum-Bortfeld 2008, 178–183 (Zitat: 196), intensiv auf, ohne allerdings die Studie Küchlers in diesem Zusammenhang zu nutzen. Kinukawa 1995, 81, wertet diesen Gestus der Frau nicht als Form der Ehrerbietung, sondern als „gravierendes Fehlverhalten“ und als „aufdringliche Unverschämtheit“. Es komme einer Frau nicht zu, sich so vor einem ihr fremden Mann niederzuwerfen. Die Frau mache mit ihrem Verhalten Jesus Schande, der seinerseits in der Gefahr stehe, sein Gesicht zu verlieren, weil er diesem Verhalten der Frau nicht Einhalt gebiete. Eine solche Unverschämtheit vermag Jochum-Bortfeld 2008, 181, indes nicht zu erkennen. Für ihn ist der Gestus Ausdruck der inneren Notlage der Frau.

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ein fraglos wenig schmeichelhaftes Bild5 für die syrophönizische Frau. Die aktive Übernahme und Gestaltung dieses Rollenkonzepts bringt ihr zwar das Ziel ihrer Intervention bei Jesus ein, die Heilung ihrer Tochter, aber der Preis, den sie dafür bezahlt, ist ein hoher. Sie erscheint als hündische Speichelleckerin. Das fällt umso mehr auf, als es innerhalb des Markusevangeliums sehr viel besser gelingende Beziehungen zwischen Jesus und weiblichen Erzählfiguren gibt.6 Das gilt etwa für die blutflüssige Frau von Mk 5,25–34, die von Jesus ebenfalls auf ihre Initiative7 hin Heilung erfährt. Auch sie fällt zwar vor Jesus nieder (προσπίπτω), dies aber erst nach erfolgter Heilung (V. 33). Zurückweisung oder gar Schimpfworte bekommt sie nicht zu hören. Im Gegenteil: Jesus hebt ihren Glauben als entscheidendes Moment hervor, das zur Heilung geführt hat. Gerade mit dieser Formulierung bildet die blutflüssige Frau ein narratives Gegenüber zum blinden Bettler Bartimäus (Mk 10,46–52),8 der ebenfalls von sich aus aktiv wird und dem Jesus ebenso attestiert, dass es sein Glaube gewesen sei, der ihn gerettet habe. Ebenso unproblematisch fällt die Heilung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus aus. Von Selbsterniedrigung kann dabei keine Rede sein. Und auch Jairus geht Jesus, wie die Syrophönizierin, offensiv an und fällt ihm zu Füßen (Mk 5,22). Ausgesprochen gelingend ist die Beziehung Jesu zu den dienenden und ihm nachfolgenden Frauen, von denen in Mk 15,40 f. die Rede ist und unter denen man auch die Schwiegermutter des Petrus mithören darf, die in Mk 1,29–31 geheilt worden ist. Sie wird als Dienerin (Mk 1,31) und damit Nachahmerin der Engel von Mk 1,13 charakterisiert und hat als Erzählfigur möglicherweise auch in Mk 3,35 als neue Mutter Jesu im Rahmen der markinischen familia dei9 einen dezenten Auftritt. Insofern bildet sie auch ein Gegenbild zur leiblichen Mutter Jesu, die im Markus­evangelium tatsächlich keinen guten Eindruck hinterlässt.10 Dienen ist dabei – das ist entscheidend – keine spezifisch weibliche Form der Jesusnach-

  5 Zur negativen Wertung des Hundes im jüdischen Kontext und im Rahmen von Mk 7,24–30 vgl. Guttenberger Ortwein 1999, 171 mit Anm. 1; Schmidt 2010, 143 f.; Black 2011, 179; Collins 2007, 366 f.; Pokorný 1995, 323 f.; zur Sache vgl. auch Mell 2007, 348.   6 Nicht in den Blick kommen in diesem Fall die Erzählungen über die Witwe von Mk 12,41–44, über Herodias und die Tochter des Herodes Antipas in Mk 6,14–29 sowie über die Osterzeuginnen in Mk 16,1–8, weil es in diesen Fällen nicht zu einer Interaktion von weiblichen Erzählfiguren mit Jesus kommt. Vgl. generell zu Frauenfiguren im Markusevangelium Fander 1990; Kinukawa 1995; Jochum-Bortfeld 2008, 124–153.171–197.   7 Generell stellt das Markusevangelium Erzählfiguren in ein positives Licht, die selbständig handeln und von sich aus aktiv auf Jesus zugehen – und zwar auch gegen äußere Widerstände, vgl. Jochum-Bortfeld 2008, 22.   8 Marcus 2010, 466 f., notiert überdies, dass Mk 7,24–30 und Mk 5,21–43 eine inclusio bilden: Die Erzählungen von Frauen/Müttern und kranken Töchtern rahmen dabei insbesondere die im Blick auf die Charakterisierung der Frauenfiguren wenig schmeichelhafte Erzählung von Herodias und ihrer Tochter in Mk 6,14–29. Als Gegenfigur zu Herodias wertet die Syrophönizierin auch Gerber 2013, 319 f.   9 Zum Konzept der markinischen familia dei vgl. Roh 2001. 10 Vgl. zur Schwiegermutter des Petrus und ihrer Bedeutung für das markinische Konzept von Nachfolge Lau 2013.

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folge, sondern die Grundhaltung und das entscheidende Charakteristikum von Jesusnachfolge im Markusevangelium schlechthin. Insofern ist die Kombination von Dienen und Nachfolgen in Mk 15,40 f. prototypisch. Mit der Forderung, zu dienen, sehen sich auch die großen männlichen Schüler des Zwölferkreises im Rahmen des Weg-Abschnittes des Markusevangeliums (8,22–10,52) konfrontiert. Im Gegenüber zu den Frauen, denen Jesusnachfolge insofern sehr viel problemloser gelingt, haben diese männlichen Schüler mit diesem Charakteristikum von Nachfolge ihre liebe Not und scheitern regelmäßig. Die dienenden Frauen im Markus­ evangelium, die mit ihren Auftritten in Mk 1,29–31 und 15,40 f. fast eine große Inklusion um den gesamten Erzählstoff bilden, sind insofern Vorbilder für alle, die sich in der Jesusnachfolge nach Markus versuchen.11 Zugespitzt formuliert: Frauen gelingt im Markus­evangelium, woran markinische Männer allzu oft scheitern. Dieser Gegensatz prägt schließlich auch die Salbungsgeschichte von Mk 14,3–9. Die ebenfalls anonym bleibende Frau salbt Jesu Kopf mit großen Mengen kostbaren Öls. Das zieht den Verschwendungsvorwurf der übrigen Anwesenden auf sich, zu denen angesichts des unmittelbaren Anschlusses in V. 10 auch Teile oder die gesamte Gruppe der zwölf Schüler gehören. Diesem Vorwurf stellt Jesus seine passionstheologische Deutung entgegen, die die Salbung auf seinen zukünftigen Leichnam bezieht und damit der Kritik entzieht. Zum Abschluss bekommen die Frau, ihre Gegner und alle Leserinnen und Leser des Markusevangeliums zu hören, dass die Tat dieser Frau, die Jesus ohne Umschweife an sich hat geschehen lassen, Teil der weltweiten Evangeliumsverkündigung werden wird. Vor diesem Hintergrund fällt umso mehr auf, wie ungewöhnlich das ablehnende Verhalten des markinischen Jesus in Mk 7,24–30 ist.12 Natürlich: Die namenlose Frau gewinnt das Streitgespräch mit Jesus13 und kann ihr Ziel, Heilung für ihre Tochter, erreichen (zu ihrer Argumentation s. u. 3.). Aber sie zahlt dafür gemeinsam mit ihrer Tochter einen hohen Preis, nimmt sie für sich selbst doch die Rolle eines Hündchens unter dem Tisch ein. Sie erniedrigt sich damit gleichsam selbst. Das Streitgespräch gewonnen, die Ehre verloren!, so könnte man summieren. Diese Inszenierung lässt sich zwar auf den ersten Blick noch als kreative markinische Umsetzung des aus der Logientradition stammenden Mottos „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12) verstehen, denn das Positionswechselaxiom kennt auch das Markusevangelium. Markus buchsta11 Vgl. dazu ausführlicher meine Überlegungen in Lau 2015. 12 Vgl. auch Jochum-Bortfeld 2008, 181 Anm. 91, der über den Jesus dieser Perikope formuliert: „Der Kontrast zu seiner sonstigen Bereitschaft zu helfen ist bemerkenswert.“ Vgl. auch Guttenberger 2017, 179: „Die Ablehnung der Bitte einer hilfsbedürftigen Person […] ist innerhalb der Evangelientradition singulär.“ 13 Darauf wird in aller Regel und ja durchaus zu Recht verwiesen, wenn der Perikope ein guter Sinn abgewonnen werden soll, vgl. etwa Ebner 2008, 78 f.; Jochum-Bortfeld 2008, 181; Marcus 2010, 470. Gleichwohl bleibt, mit Theißen 1992, 67, gesprochen, doch das „Ärgernis“ der ursprünglichen Ablehnung durch Jesus bestehen, der in seiner Antwort an die Frau den hohen Wert der Kinder herausstellt, aber das Kind der Syrophönizierin nicht heilen will und sich damit doch letztlich in unauflösbare Widersprüche verstrickt, so Theißen.

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biert es dabei inhaltlich insbesondere im Rahmen der Charakteristika von Jesusnachfolge und der inneren (Nicht-)Hierarchisierung der Nachfolgegemeinschaft im Kontext von Mk 8,22–10,52 aus. Dazu würde passen, dass die Syrophönizierin als Hausbesitzerin (vgl. Mk 7,30) erscheint und damit durchaus nicht zur Unterschicht gehört, wie auch ihre Charakterisierung gerade als Syrophönizierin einen entsprechend hohen sozialen Status im Vergleich zur galiläischen Landbevölkerung wachruft (s. u. 2.2).14 In ihrer Antwort an Jesus und der in diesem Rahmen erfolgten Selbststigmatisierung und Subordination scheint sie also von ihrem hohen sozialen Ross herabzusteigen. Gleichwohl bleibt doch mehr als ein Unbehagen,15 denn auch diese kreative Umsetzung würde ja auf Kosten der Frau erzählt werden. Ja, ihr Positionswechsel lässt sich kaum als freiwillig bezeichnen, wie dies aber für das Positionswechselaxiom im Markusevangelium konstitutiv ist. Auch wird sie nicht nach erfolgtem Positionswechsel erhöht werden. Die sich klein machende Frau wird nicht groß gemacht und die Letzte wird nicht die Erste (vgl. Mk 10,31). In ihrer Notsituation ist sie schlechterdings natürlicherweise bereit, das Rollenangebot, auf das der markinische Jesus sie und ihre Tochter zuvor festgelegt hat, zu übernehmen. Ihr Statusverzicht folgt also letztlich einer gewissen „Um-zu-­Logik“.16 Zudem: Gerade im Gegenüber zu Jairus, der innermarkinisch in struktureller Perspektive als Stellvertreter einer hilfsbedürftigen Tochter besonders gut mit der Syrophönizierin vergleichbar ist, bleibt sie eine anonyme Erzählfigur (darin der blutflüssigen Frau im Gegenüber zu Bartimäus sehr ähnlich), hat zwar eine Stimme im Text, aber keinen Namen. Und im Horizont der markinischen Wundergeschichten ist es nur diese Frau, die zur Erlangung ihres Heilungsansinnens einen expliziten Positionswechsel vornehmen und sich in die entehrende Rolle eines Hundes begeben muss. Natürlich ist evident, dass diese markinische Perikope nicht einfach noch eine Wundererzählung zu den sonstigen Wundern Jesu hinzufügen will. Es geht dem Text also weniger um die Wunderwirkmacht Jesu. In der Perikope wird vielmehr, das ist gut bekannt und wird breit vertreten (s. u. 2.4; 5.),17 der Weg der Jesus­ 14 Vgl. zum Positionswechselaxiom im Allgemeinen Guttenberger Ortwein 1999; speziell zu Mk 7,24– 30 Guttenberger Ortwein 1999, 170–172; der Gedanke lugt auch bei Bedenbender 2013, 114, hervor; zur ökonomischen Charakterisierung der Syrophönizierin Jochum-Bortfeld 2008, 179 f. 15 Das sich aber nicht bei allen Exegeten einstellt, vgl. etwa Moloney 2002, 147, der ohne jede Einschränkung oder weitere Erklärung formuliert: the „woman accepts that she is a ‚dog‘ […] In her nothingness, she comes with a complete openness to Jesus.“ Und er schließt: „The boundaries be�tween Jew and Gentile are important. Nevertheless, they are transcended by those who come to Jesus in their nothingness, recognize that only in Jesus can God’s design be discovered, and seek it from him alone“ (148). 16 Insofern erscheint sie im Gegensatz zur Schwiegermutter des Petrus auch nicht als eine Erzähl­ figur, die intuitiv die Charakteristika von Jesusnachfolge lebt und damit zum Vorbild für die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu wird, vgl. indes Black 2011, 180: alle Elemente in der Antwort der Frau „anticipate Jesus’ definition of discipleship (9:33–37; 10:13–16), congruent with the Son of Man’s self-condescension (Mk 8:31; 10:41–45)“. Genau dieses Moment von „self-condescen� sion“ – konstitutiv für Jesusnachfolge im Markusevangelium – fehlt aber in Mk 7,24–30. 17 Zur Forschungsgeschichte vgl. in aller Ausführlichkeit Alonso 2011, 2–51.328–338.

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gemeinde zu Nichtjuden erzählerisch reflektiert. Der markinische Jesus hat damit in der Inszenierung des Markusevangeliums seine Mühe und lernt von einer Nichtjüdin, dass das Heil nicht auf die Juden beschränkt ist. Auch Nichtjuden können am in Jesus präsenten Heil partizipieren. Die Sendung Jesu geht über sein Volk also hinaus. Aber wird nicht auch diese Lektion, die Markus seiner Gemeinde in ihre Jesusgeschichte hineinschreibt, auf Kosten der anonymen Frau gelernt? Und propagiert der Text dann nicht ein Verständnis, das die jüdischen Jesusanhänger als Kinder und die nichtjüdischen als Hunde apostrophiert und letzteren damit heilsgeschichtlich einen nachgeordneten Platz und Rang zuweist? Sollen sich nichtjüdische Jesusanhänger damit in der sich selbst als Hund verstehenden Frau und ihrer Tochter wiederfinden? Stört damit diese markinische Perikope nicht letztlich doch sehr empfindlich die Wahrnehmung der in aller Regel positiv charakterisierten Interaktionen von weiblichen Erzählfiguren mit dem markinischen Jesus? Ist Mk 7,24–30 also eine Art Ausnahme im Rahmen der markinischen Präsentation von Frauen in seiner Jesusgeschichte? Auch hier lohnt es sich, nochmals genauer hinzuschauen und präzise den Details der markinischen Erzählweise nachzuspüren. Denn bei genauer Lektüre gewinnt man einen anderen Eindruck von der markinischen Perikope. Der Text erzählt, um den Ergebnissen dieses Beitrags vorauszugreifen, letztlich nicht primär auf Kosten der Frau, sondern vor allem auf Kosten Jesu und bringt das scheinbar so fein austarierte Verhältnis von jüdischen Kindern und nichtjüdischen Hunden empfindlich durcheinander. Schauen wir das genauer an, indem wir zunächst die Perikope kontextualisieren und ihre Struktur erheben und im Anschluss aus dem Text und seinen Details herleiten, welche Optionen der markinische Jesus inhaltlich vertritt, wie seine Argumentation funktioniert und welche Logiken die Gegenargumentation der Frau auszeichnen, die bei Jesus offenkundig verfängt und ihn zu einem Sinneswandel führt, bevor wir abschließend den für das Verständnis der Perikope äußerst wichtigen und von der Erzählstimme gesprochenen V. 30 in den Blick nehmen, der die scheinbar so fest austarierten, von Jesus entwickelten und von der Frau zunächst stabilisierten Rollenzuschreibungen gründlich durchkreuzt.

1. Textannäherung: Kontexteinordnung, Gliederung und Komposition Unsere Perikope steht im so genannten Galiläa-Teil des Markusevangeliums.18 Sie ist dabei eingebettet zwischen die beiden Speisungsgeschichten von Mk 6,35–44 (Speisung der 5000 Männer) und Mk 8,1–9 (Speisung der ungefähr 4000 Menschen), die häufig als Geschenkwunder für religionssoziologisch zu unterschei18 Vgl. zu diesem vielfach aufgegriffenen Gliederungsmodell v. Iersel 1993, 68–74.

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dende Gruppen, Juden und Nichtjuden, verstanden werden.19 Wird die erste westlich des Sees Gennesaret und damit im jüdischen Gebiet verortet, so die zweite auf der nichtjüdischen Ostseite des Sees. Die Rückreise per Boot auf die Westseite nach Dalmanutha wird dann in Mk 8,10 erzählt. Zwischen diesen beiden Speisungspolen finden sich mehrere Ortswechsel Jesu, die sich mit Themenwechseln verbinden lassen und den Kontext unserer Perikope bilden. Mk 6,45–52 erzählt von der versuchten Bootsfahrt der Schüler Jesu an das östliche Ufer des Sees und von der Epiphanie Jesu im Rahmen des Seewandels. Die Schülergruppe und Jesus, der zu ihnen ins Boot gestiegen ist, kommt dann freilich am Westufer, in Gennesaret, an. Der Weg nach Osten ist also fürs Erste gescheitert. Ein anschließendes Heilungssummarium fasst in geraffter Form die jesuanische Wunder­tätigkeit auf der westlichen Seite des Sees zusammen (Mk 6,53–56). Ebenfalls auf dieser Westseite und damit im jüdisch charakterisierten Gebiet findet das lange Streitgespräch Jesu mit Pharisäern und Schriftgelehrten über Fragen der Reinheit und Unreinheit statt. Diese Thematik beherrscht Mk 7,1–23. Dabei lassen sich ein öffentlicher Teil der Diskussion (V. 1–15) und ein privater Teil, der in einem Haus verortet wird (V. 17–23) unterscheiden. Im Anschluss bricht Jesus auf dem Landweg nach Norden in die Gebiete der Stadt Tyrus auf (V. 24), um sich in ein dort verortetes Haus zurückzuziehen. Damit beginnt die Erzählung von der Syro­phönizierin. Im Anschluss zieht Jesus noch weiter in den Norden, um über Sidon wieder zurück in den Südosten, genauer: in die östlich des Sees Gennesaret gelegenen Dekapolisstädte zu gehen (V. 31). Der Weg nach Sidon erscheint also deutlich als Umweg.20 In den Gebieten der Dekapolis kommt es zu einer erneuten Wunderhandlung, einer Therapie (Mk 7,31–37). Und wie im Falle der Syro­phönizierin kommen die Kranken aus eigenem Antrieb zu Jesus, werden indes jetzt umstandslos und unmittelbar von ihm geheilt. Die gegen seinen Willen erfolgende Verkündigung seiner Taten mündet schließlich in der zweiten großen Speisungsgeschichte in Mk 8,1–9. Schon dieser Kontext macht deutlich, dass unsere Perikope im Kontext der jesuanischen Auseinandersetzungen mit Juden und Nichtjuden und den Fragen nach jüdischen Identitätsmerkmalen wie den Reinheitsgeboten steht. Das wird für die Frage, warum sich der markinische Jesus zunächst dem Heilungsansinnen der Frau verweigert, von Bedeutung sein.

19 Vgl. etwa Ebner 2008, 80 f.; Schmidt 2010, 148–156; v. Iersel 1993, 149; Marcus 2010, 469. 20 Vgl. etwa die Wertung bei Black 2011, 177: „The route taken by Jesus in 7:31 is ridiculously round­ about“. Will man nicht mangelnde Geographiekenntnisse als Erklärungsmuster bemühen, dann gilt es, diese Reisewege des markinischen Jesus inhaltlich zu interpretieren (vgl. die Überlegungen zu einer in Mk 7 f. erzählerisch etwas kryptisch kombinierten Nord- und Ostreise Jesu [mit dem Boot], die von Bosenius 2014, 230–234, angestellt werden); gleiches gilt im Übrigen auch für die von Betsaida (Mk 8,22–26) aus angetretene Reise nach Jerusalem (Mk 8,22–10,52), die zunächst nach Norden, nach Cäsarea Philippi (Mk 8,27), führt, was ebenfalls zu Interpretationen herausfordert (vgl. etwa Ebner 2003, 30–32). Ganz überzeugend erscheinen mir diese Versuche, die zweifachen Abstecher nach Norden zu interpretieren, bisher nicht, ohne dass ich eine bessere Alternative vorstellen könnte.

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Unsere Perikope lässt sich in drei Segmente gliedern.21 Die V. 24–26 bilden eine längere Exposition,22 in deren Rahmen der Ortswechsel Jesu erzählt wird, alle für die folgende Geschichte notwendigen Personen vorgestellt werden und der Spannungsbogen durch die Nennung des Problems der Frau und damit ihres Anliegens eröffnet wird. Diese Exposition lässt sich dabei nochmals in zwei Einheiten untergliedern: Den Rückzug Jesu in V. 24 – ein Erzähldetail, das bereits Mk 1,35–38.45; 6,30–33 geprägt hatte, – und den Auftritt der Syrophönizierin, ihrer markanten direkten Charakterisierung und ihrer Bitte in den V. 25 f. Die V. 27–29, die im Zentrum der Perikope stehen, erzählen vom Gespräch zwischen Jesus und der Frau. Lehnt Jesus die in der Exposition von der Erzählstimme direkt formulierte Bitte der Frau in V. 27 brüsk ab, so korrigiert er diese Position in V. 29 selbst und konstatiert die bereits erfolgte Heilung der Tochter. Umschlossen wird durch diese zweifache Rede Jesu die Argumentation der Frau in V. 28, die Jesus offenkundig zum Umdenken bringt und die kompositionell im Zentrum der Perikope steht. Mit V. 30 kommt die Erzählung schließlich an ihr Ende. Die Frau tritt ab, das Problem, das sie zu Jesus geführt hat, ist gelöst. Damit endet der Spannungsbogen und die Geschichte wird durch den Abgang der Frau gerahmt (ἀπέρχομαι in V. 24a und V. 30a wirkt in diesem Sinne auch stilistisch rahmend23). Wie inhaltsschwer und keineswegs unbedeutend der V. 30 für die gesamte Perikope ist, wird uns freilich noch beschäftigen.

2. Jesus will nicht, aber warum? Inhaltliche Optionen für die Ablehnung Jesu und ihre Konsequenzen Um auf der Basis der markinischen Perikope selbst zu ergründen, welche Motive den markinischen Jesus bei seiner Ablehnung des Heilungsansinnens der Frau leiten, lohnt es sich, auf einige Erzähldetails der Perikope zu fokussieren.

2.1 Der Ort der Handlung: Tyrus und sein schlechter Ruf Leserinnen und Leser des Markusevangeliums, die alttestamentliche Traditionen und Texte gut kennen, werden bei der Lektüre von Mk 7,24–30 fraglos irritiert sein.

21 Eine alternative Gliederung findet sich bei Dschulnigg 2007, 208 (vierteilig: V. 24.25 f.27–29.30). 22 Vgl. Gerber 2013, 313 f. 23 Vgl. auch Marcus 2010, 466; Gerber 2013, 313. Rahmend wirkt auch die zweifache Erwähnung eines Hauses in V. 24b.30a.

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Denn Jesus begibt sich mit seiner auf den ersten Blick vollkommen unmotivierten Reise nach Tyrus in klassisches Feindesland für Israeliten und speziell Galiläer. Im Hintergrund steht eine lange Konfliktgeschichte zwischen den zum phönizischen Einflussbereich gehörenden Städten Tyrus und Sidon auf der einen und Israel auf der anderen Seite. Sie hat sich in einer ganzen Reihe von alttestamentlichen Texten niedergeschlagen (Sach 9,1–4; Joel 4,4–8; Jes 23,1–3.6–9)24 und findet auch bei Flavius Josephus noch ihren spezifischen Ausdruck (Jos. c. Ap. I 70): „Unter den Phöniziern sind die Leute aus Tyrus uns notorisch am feindlichsten gegenüber eingestellt.“

Diese Konflikte sind ökonomisch geprägt.25 Denn Tyrus und Sidon sind Handelsmetropolen, die durch Fernhandel und trickreiche Ausbeuterei „stinkreich“ geworden sind – und dies auch zu Lasten der Israeliten. Hinzu kommen ihre „Exportschlager“: Purpur, verarbeitetes Edelmetall sowie tyrische Silberschekel, die als antike Leitwährung und „Dollar der Antike“26 gelten und die jeder gerne durch Handel mit den Tyrern in Händen halten will, um erfolgreich am Welthandel teilnehmen zu können (oder etwa auch die Tempelsteuer, die in tyrischen Schekeln zu entrichten war, ohne Wechselverluste bezahlen zu können). Es kommt hinzu, dass Tyrus selbst auf einer relativ kleinen, der Küste vorgelagerten Insel liegt. Sein Hinterland ist überschaubar und die Möglichkeiten, Lebensmittel anzubauen und sich selbst zu versorgen, sind eher gering. Tyrus ist insofern auf den Import von Nahrungsmitteln zwingend angewiesen, kann aber aufgrund seiner ökonomischen Stärke und seiner Handelskontakte die Preise weitgehend diktieren.27 Ein Hauptlieferant für Getreide, Öl und Co. ist dabei Israel (1 Kön 5,22–25; Ez 27,17; Jos. A.J. VIII 141). Diese wechselseitige Abhängigkeit, bei der Tyrus eindeutig die mächtigere Position zukommt, führt zu ökonomisch basierten Spannungen zwischen Israel und Tyrus. Zugespitzt formuliert: Weizen wird aus dem ländlichen Galiläa auch in Zeiten knapper Ernten in die Großstadt Tyrus exportiert, um zumindest etwas Geld in harter Währung einzunehmen. In Galiläa hungert man, weil die Tyrer essen wollen und man von deren Silber nicht satt wird. Es wäre durchaus denkbar, dass der markinische Jesus im Sinne einer Retourkutsche nun seinerseits den Ausbeutern, für die dann die Frau pars pro toto stünde, eine Lektion erteilen will und sich daher der Heilungsanfrage verweigert.28 Denkt man dies weiter, dann würde ihn die Reaktion der Frau und ihre Akzeptanz der

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Vgl. auch Kinukawa 1995, 80; Jochum-Bortfeld 2008, 179. Vgl. für das Folgende Theißen 1992, 62–85, bes. 76–79. Vgl. auch Lau 2013a. Darauf weist Jochum-Bortfeld 2008, 179 f., im Anschluss an Theißen 1992, hin. Vertreten etwa bei Jochum-Bortfeld 2008, 179 f. Dabei könnte zusätzlich von Bedeutung sein, dass Tyrus in den Wirren des ersten jüdisch-römischen Krieges gegen die Juden gekämpft hat und etwa die Festung Gischala durch Truppen aus Tyrus zerstört worden ist (vgl. Marcus 2010, 471). Auch das hat aus jüdischer Sicht nicht zum guten Ruf der Stadt beigetragen. Jüdische Leserinnen und

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von Jesus äußerst kritisch vorgenommenen Rollenzuschreibung umstimmen. Die scheinbar reiche Syrophönizierin wäre von ihrem hohen Ross heruntergestiegen und hätte damit sich selbst erniedrigt, was bei Jesus zu einem Umdenkprozess geführt hätte. Zwei markinische Erzähldetails lassen diesen auf den ersten Blick instruktiven Gedanken freilich etwas fragwürdiger erscheinen, ohne ihn gänzlich ins Reich des Unwahrscheinlichen zu verbannen. Zum einen ist die Begegnung mit der Syro­ phönizierin nicht der erste Kontakt, den der markinische Jesus mit Leuten aus Tyrus und Sidon hat. Bereits in Mk 3,7–10 waren Leute aus Tyrus und Sidon zu Jesus nach Galiläa gekommen. Sie hören von seinen Taten, kommen zu ihm an den See Gennesaret, überschreiten also die Grenze in die jüdische Welt und werden von Jesus geheilt. Dieser Grenzübertritt wird im Markusevangelium als vollkommen unproblematisch erzählt und der markinische Jesus zeigt keinerlei Zurückhaltung im Umgang mit diesen scheinbaren Ausbeutern. Das passt dann aber nicht wirklich zur Konfliktgeschichte zwischen Tyrus, Sidon und Israel, wenn es diese Konflikte sein sollten, die die Heilung der Tochter der Syrophönizierin verhindern würden. Zum anderen wird die Syrophönizierin eher dezent als reiche Vertreterin ihrer Heimat gekennzeichnet. Natürlich, sie ist Hausbesitzerin (V. 30), aber genügt das schon, um sie deutlich auf die Seite der Ausbeutenden zu stellen?29 Und dies gilt umso mehr, als auch im näheren markinischen Kontext von Mk 7,24–30 eine sozial-ökonomische Perspektive nicht präsent ist, demgegenüber aber der Themenkreis Juden und Nichtjuden, die in Kontakt mit Jesus treten, dominiert. Und dem entspricht dann auch die sehr viel deutlichere direkte Charakterisierung der Frau als einer solchen Nichtjüdin.

2.2 Die Charakterisierung und der Auftritt der Frau Dem im Haus in Tyrus sich aufhaltenden Jesus macht eine namenlos bleibende Frau ihre Aufwartung. Sie wird in V. 26ab eindeutig als eine in griechischer Kultur beheimatete,30 bereits von ihren ethnisch-genealogischen Wurzeln her (V. 26b)31 pagane Frau gezeichnet,32 die eine von einem Dämon besessene Tochter hat

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Leser des Markusevangeliums, die in ihrer m. E. nach der Tempelzerstörung verfassten Jesusgeschichte von Leuten aus Tyrus lesen/hören, dürften also entsprechende negative Assoziationen diesen Erzählfiguren gegenüber mitbringen. So ganz entschieden Jochum-Bortfeld 2008, 180: „Die Frau in Mk 7,24 ff. wird damit zur Repräsentantin der feindlichen und ausbeuterischen Wirtschaftsmacht Tyros.“ V. Iersel 1993, 148, wertet die Charakterisierung „Hellenistin“ als Hinweis auf die Sprachkompetenz der Frau und ihre soziale Stellung als Oberschichtsangehörige aus (vgl. auch Leander 2013, 224). Zurückhaltend im Blick auf einen Rückschluss auf die sozialen Verhältnisse der Frau ist Gerber 2013, 316. Darauf macht Theißen 1998, 130, aufmerksam. Vgl. auch Pesch 1977, 388; Kinukawa 1995, 81.

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(V. 25) und ein Haus besitzt (V. 30) und die durch den Terminus „Syrophönizierin“ (V. 26b)33 als aus der Gegend um Tyrus und Sidon stammend charakterisiert wird.34 Jesus trifft also auf eine ethnisch wie kulturell35 als Nichtjüdin36 charakterisierte Frau – und wen sollte das in den Gebieten von Tyrus auch wundern. Diese Frau, die von Jesus gehört hat (darin im Übrigen den Leuten aus Tyrus und Sidon von Mk 3,8 vollkommen vergleichbar), nähert sich Jesus, betritt dazu, ohne dass dies im markinischen Text eigens problematisiert würde, das Haus, in dem Jesus sich befindet, fällt ihm vor die Füße und bittet um Heilung für ihre Tochter. All das ist im Rahmen des Markusevangeliums unauffällig. Auch andere Frauen werden, wie die Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29–31), von Jesus geheilt, fallen, wie die blutflüssige Frau (Mk 5,33), vor Jesus nieder und suchen bei ihm aktiv Heilung; Männer können genauso stellvertretend für ihr θυγάτριον37 bitten (Mk 5,23), wie es die Syrophönizierin für ihr θυγάτριον tut (Mk 7,25), und Exorzismen wirkt Jesus seit Mk 1,23–28 immer wieder und stets sehr erfolgreich. Auch dass der jesuanische Versuch, sich zurückzuziehen und unerkannt zu bleiben, wie es Mk 7,24 erzählt, von der Frau durchkreuzt wird, ist im Markusevangelium nicht ungewöhnlich. So ergeht es Jesus immer wieder seit Mk 1,35–38. Und stets folgt er den an ihn herangetragenen Wünschen und behebt Nöte. Ungewöhnlich sind also weder die Art der Annäherung der Frau an Jesus noch ihr Heilungsansinnen. Ungewöhnlich ist allein die sehr explizite Charakterisierung der Frau durch die Erzählstimme in V. 26ab, die noch dazu stilistisch etwas nachklappend wirkt und die Charakterisierung der Not sowie die Annäherung an den Wundertäter von der Bitte um Heilung unnötig abtrennt. Diese direkte Charakterisierung fällt im Vergleich etwa zur Charakterisierung des Jairus doch massiver aus38 – ein Indiz dafür, dass dem Markusevangelium an diesen Erzähldetails besonders liegt und dass sie sinntragend sind.

33 Im Gegensatz zum Begriff „Lybophönizierin“, der auf eine nordafrikanische Herkunft schließen lassen würde, vgl. mit Belegen Lührmann 1987, 130; Marcus 2010, 462; zu Versuchen, aus diesem markinischen Erzähldetail Hinweise für die Verortung des Markusevangeliums in Rom abzuleiten, vgl. Collins 2007, 366. 34 Zur Charakterisierung in V. 25 f. vgl. auch ausführlich Alonso 2011, 140–159. 35 Zu dieser hilfreichen Differenzierung im Rahmen von Mk 7,24–30 vgl. Guttenberger 2017, 177– 179; sie deutet sich bei Gnilka 1998, 291 f., an. 36 Für Marcus 2010, 464, ruft die markinische Charakterisierung allerdings die Möglichkeit auf, dass Markus die Frau als eine „Gerechte unter den Völkern“ und eine Gottesfürchtige vorstellen will (kritisch dazu ist Alonso 2011, 179–181). Noch weiter gehen die Überlegungen von Leander 2013, 225–230, der aus postkolonialer Perspektive fragt, ob Markus die Frau wirklich explizit als Nichtjüdin charakterisieren will und lieber von einer „hybrid identity“ (230) spricht. 37 Oder ihren Sohn, vgl. Mk 9,14–29. 38 Auch die blutflüssige Frau wird in Mk 5,25 markant direkt charakterisiert. Gleiches gilt für den Gerasener in Mk 5,2–5. Aber in diesen Fällen dient die Charakterisierung der Figur zugleich der Charakterisierung der Notlage. Das ist im Falle von Mk 7,26ab anders, denn die Beschreibung der Stellvertreterin der Hilfsbedürftigen charakterisiert nicht die Notlage der Tochter.

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2.3 Eine Fernheilung unter erschwerten Bedingungen: Gattungsfragen Diese ausführliche Charakterisierung der Stellvertreterin der Hilfsbedürftigen ist auch in gattungskritischer Perspektive auffällig, wie überhaupt die ganze Wundererzählung einige ausgesprochen untypische Züge trägt. Vergleicht man Mk 7,24– 30 mit dem Motivinventar für Wundererzählungen, wie es von Gerd Theißen39 erarbeitet und von Rudolf Pesch und Reinhard Kratz40 erweitert worden ist, dann ergibt sich: Markinischer Text

Realisierte Motive nach Pesch/Kratz

24aἘκεῖθεν δὲ ἀναστὰς ἀπῆλθεν εἰς τὰ ὅρια Τύρου. 24b καὶ εἰσελθὼν εἰς οἰκίαν 24c οὐδένα ἤθελεν γνῶναι, 24d καὶ οὐκ ἠδυνήθη λαθεῖν·

Auftritt des Wundertäters (1)

25a ἀλλ’ εὐθὺς ἀκούσασα γυνὴ περὶ αὐτοῦ,

Auftritt einer Stellvertreterin der Hilfsbedürftigen (6)

25b ἧς εἶχεν τὸ θυγάτριον αὐτῆς πνεῦμα ἀκάθαρτον,

Charakterisierung der Not (11)

25c ἐ λθοῦσα προσέπεσεν πρὸς τοὺς πόδας αὐτοῦ

Niederfallen (13)

26a ἡ δὲ γυνὴ ἦν Ἑλληνίς, 26b Συροφοινίκισσα τῷ γένει· 26c καὶ ἠρώτα αὐτὸν 26d ἵνα τὸ δαιμόνιον ἐκβάλῃ ἐκ τῆς θυγατρὸς αὐτῆς.

Bitten (15)

27a καὶ ἔλεγεν αὐτῇ, 27b Ἄφες πρῶτον χορτασθῆναι τὰ τέκνα, 27c οὐ γάρ ἐστιν καλὸν 27d λαβεῖν τὸν ἄρτον τῶν τέκνων 27e καὶ τοῖς κυναρίοις βαλεῖν.

Erschwernis (12)

28a ἡ δὲ ἀπεκρίθη 28b καὶ λέγει αὐτῷ, 28c Κύριε, 28d κ αὶ τὰ κυνάρια ὑποκάτω τῆς τραπέζης ἐσθίουσιν ἀπὸ τῶν ψιχίων τῶν παιδίων.

Argumentation (26)

39 Vgl. Theißen 1998, 82 f. 40 Vgl. Pesch/Kratz 1976 (Ausklappblatt am Ende des Bandes). Dieses Strukturmuster findet sich auch bei Ebner/Heininger 2015, 73–75.

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Markinischer Text

Realisierte Motive nach Pesch/Kratz

29a καὶ εἶπεν αὐτῇ, 29b Διὰ τοῦτον τὸν λόγον ὕπαγε,

Wunderwirkendes Wort (32a–c)? Entlassung (32e)

29c ἐξελήλυθεν ἐκ τῆς θυγατρός σου

Unauffälliger Vollzug (33)

30a καὶ ἀπελθοῦσα εἰς τὸν οἶκον αὐτῆς 30b εὗρεν τὸ παιδίον 30c βεβλημένον ἐπὶ τὴν κλίνην 30d καὶ τὸ δαιμόνιον ἐξεληλυθός.

Demonstration (39)? Konstatierung des Wunders (37)

Es ist offenkundig, dass die Vorstellung der Frau als Griechin und Syrophönizierin im Kontext der Gattung keine Rolle spielt. Ebenso fällt auf und inhaltlich ins Gewicht, dass Jesus selbst, also der Wundertäter, zur Realisierung des Erschwernismotivs wird.41 Und man fragt sich: Warum? In der Folge übernimmt die Syrophönizierin den Part der „Argumentation“,42 der sonst vom Wundertäter (wie etwa im Falle des Jairus in Mk 5,36.39) oder seinen Begleitern realisiert wird:43 Die Rollen zwischen der Frau und Jesus wirken vertauscht. Dazu passt bestens, dass das scheinbar wunderwirkende Wort in V. 29b letztlich nur ein Rückbezug auf die V. 28cd ist und damit auf die wörtliche Rede der Frau zielt. Ihre Argumentation realisiert also zugleich die im Kontext des wunderwirkenden Wortes mögliche Anrede (V. 28c bietet mit κύριε dann das Motiv 32a) und enthält auch das Heilwort (Motiv 32c), das in V. 28d gesprochen wird. Das ist verkehrte Welt und trägt nicht wenig zu den in gattungskritischer Perspektive ungewöhnlichen Zügen der Perikope bei, die als Exorzismus doch auch Momente von Streit- und Lehrgesprächen44 hat, wobei die Rollen merkwürdig vertauscht erscheinen, wirkt doch Jesus wie ein Schüler und die Frau wie eine Lehrerin. Dass überdies die allermeisten der zentralen Motive im Blick auf die Wunderhandlung selbst und auch viele der abschließenden Motive fehlen,45 verdankt sich

41 Vgl. auch Kinukawa 1995, 82; Pesch 1977, 386; Fander 1990, 68; Gerber 2013, 314. Insofern ist es nicht ganz treffend, wenn Guttenberger 2017, 176, den Dialog zwischen Jesus und der Frau als ganzen als „Erschwernis der Annäherung“ definiert. Es ist die erste Hälfte des Dialogs, die Weigerung Jesu, die die Erschwernis realisiert. 42 Vgl. zu diesem Motivbaustein Theißen 1998, 69. 43 V. 28 erscheint mir unzureichend erfasst, wenn man ihn nur als Vertrauensäußerung der Bittstellerin gegenüber Jesus versteht, so aber Pesch/Kratz 1976, 71 f. (= Motiv 16 ihres Motivinventars); vgl. Fander 1990, 68 f.; vgl. auch Theißen 1998, 64, der V. 28 als „Demuts- und Vertrauensklärung“ erfasst; treffend ist m. E. Alonso 2011, 114 f., der entschieden den Motivbaustein „Argumentation“ in V. 28 realisiert sieht. 44 So auch Jochum-Bortfeld 2008, 182 Anm. 101, der zudem notiert, dass es ohne die Frau nicht zu einer Heilung gekommen wäre (vgl. 182). Vgl. auch Gnilka 1998, 291; zur Debatte um die in Mk 7,24–30 realisierten Gattungen vgl. auch Alonso 2011, 104–117. 45 Auch notiert bei Fander 1990, 69 f.

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der Gattung Fernheilung,46 die in Mk 7,24–30 natürlich vorliegt,47 und ist insofern durchaus typisch. In Fernheilungen trifft die hilfsbedürftige Person selbst nicht auf den Wundertäter. Stellvertreter agieren für sie direkt mit dem Wundertäter. Der Wundererfolg wird aus dem „Off “ eingespielt und von den Stellvertretern daheim erlebt, während der Wundertäter selbst nicht den Ort betritt, an dem der Hilfs­bedürftige sich befindet. Im NT wird diese Gattung noch in der matthäischen Parallele zu unserer Perikope, in Mt 15,21–28, genutzt; sie findet sich zudem auch in Lk 7,1–10 par Mt 8,5–13 und in Joh 4,46–54. Diesen Texten ist gemeinsam, dass die zu heilenden Personen in einem direkt oder indirekt nichtjüdischen Kontext stehen.48 Natürlich lässt sich ein solcher außermarkinischer Befund nicht einfach in das Markusevangelium übertragen. Und doch gibt die Gattung der Fernheilung zumindest einen Fingerzeig, worin die Ablehnung Jesu begründet sein könnte. Nimmt man die weiteren bisher gemachten Beobachtungen hinzu, dann verdichtet sich doch ein gewisser Gesamteindruck.

2.4 Religionssoziologische Gründe mit ökonomischer Hintergrundmelodie: Eine Zwischenreflexion zur möglichen Perspektive Jesu Überblickt man die vorausgehenden Überlegungen, so wird man mit Blick auf die Frage, warum Jesus sich der Heilungsbitte in Mk 7,24–30 zunächst verweigert,49 sagen müssen, dass es nicht das Geschlecht der Frau ist, das Jesus das Heilungsansinnen ablehnen lässt. Jesus heilt auch andere Frauen (vgl. Mk 1,29–31) – und

46 Vgl. dazu Pesch/Kratz 1976, 70–73. 47 Vgl. nur Dschulnigg 2007, 208 f. 48 So auch Pesch/Kratz 1976, 71; Pesch 1977, 386; Gnilka 1998, 293 f.; Moloney 2002, 148; Pokorný 1995, 329, verweist zusätzlich auf die Fernheilung des Nichtjuden Naaman in 2 Kön 5. 49 Irritierend sind die Überlegungen, die Liu 2010, 253–255, vorstellt. Sie versteht die jesuanische Rede vom κυνάριον als Hinweis auf Haushunde (s. u.), folgert aus archäologischen Befunden einer Ausgrabung in Aschkelon, die einen in der Sache tatsächlich sehr erklärungsbedürftigen großen Hundefriedhof nachweisen konnte (vgl. Stager 1991), dass für Syrophönizier Hunde „‚Phoenician’s best friend[s]‘“ waren, und schließt daraus, dass Jesus letztlich gar nicht das Anliegen der Frau abweise, sondern ihr einen Platz beim eschatologischen Festmahl eröffne. Jesus habe „tender feelings“ für die Frau, „betraying his love for this Gentile woman“. Die Frau und alle Nichtjuden gehörten bereits zum Haushalt Gottes, auch wenn sie nicht den ersten Platz einnähmen. „Jesus’ words are an announcement to the woman to expect great wonders from him for her daughter“ und die Frau ihrerseits „accepts this blessing from Jesus without further pleading […] She understands his message“ (alle Zitate 254). Überzeugend erscheint diese Sicht des markinischen Textes angesichts der markinischen Erzählweise m. E. nicht, zumal die archäologischen Zeugnisse auf die Mitte des 5. Jh. v. Chr. datieren und ein Rückschluss weder auf die erzählte Zeit und Situation einer Syrophönizierin im 1. Jh. n. Chr. noch mit Blick auf die markinische Gemeinde nach 70 n. Chr. in Rom ohne weiteres möglich ist.

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auch solche, die initiativ mit ihrem Heilungsansinnen seine Nähe suchen (vgl. Mk 5,25–34). Auch der Charakter der erforderten Wundertat, ein Exorzismus, kann angesichts von Mk 1,23–28; 5,1–20 und anderen Texten kein Grund sein, der Jesu Ablehnung motiviert. Schließlich ist auch das Phänomen stellvertretender Bitte für einen Kranken kein Grund, die Heilung abzulehnen, wie Mk 5,21– 24.35–43; 9,14–29 zeigen. Vielmehr wird man schließen müssen, dass angesichts des narrativen Kontextes, in dem Mk 7,24–30 steht,50 der im Text realisierten Gattung der Fernheilung sowie der massiven direkten Charakterisierung der Frau als Nichtjüdin es nahe liegt, im nichtjüdischen Charakter der Bittenden die Motivation für die ablehnende Haltung Jesu zu erblicken und in der ganzen Perikope das Thema der umstrittenen Öffnung der Jesusgruppe für Nichtjuden verhandelt zu sehen.51 Es mag vor dem Hintergrund der ökonomischen Spannungen zwischen Tyrus und Sidon auf der einen und Israel und speziell Galiläa auf der anderen Seite hinzukommen – und dafür spricht durchaus die in der jesuanischen Antwort52 eingespielte Bildwelt des Brotes und der Aspekt des Sattwerdens –, dass es eine sozialkritische Hintergrundmelodie in der jesuanischen Ablehnung der Bitte der als Hausbesitzerin und damit potentiell Reiche gezeichneten Frau gibt. Carsten Jochum-Bortfeld formuliert instruktiv:53 „Das Bild vom Essen, das nur für das Volk Israel da ist, greift den Konflikt zwischen Tyros und Israel auf. Für die Handelsmacht, die Israel die Grundlage zum Leben nimmt, ist kein Brot da. Der markinische Jesus dreht den Spieß um: Die Ausbeuter gehen leer aus.“

Die unter Rückgriff auf die Bildwelt des Brotes ausgedrückte Ablehnung der Bitte der Syrophönizierin erweckt also auf den ersten Blick den Eindruck, dass sich der markinische Jesus offenkundig überhaupt nicht für diese nichtjüdische Frau zuständig sieht. Oder schärfer: Er propagiert eine Begrenzung seines Heilswirkens allein auf Juden, in der Bildwelt seiner Antwort: auf die Kinder. Für metaphorische tyrische Hündchen, die im Rahmen der jesuanischen Invektive für die Nichtjuden54 und damit in Opposition zu den jüdischen Kindern stehen, interessiert er sich nicht. Mit dieser metaphorischen Redeweise weist der markinische Jesus den Nichtjuden entschieden eine subalterne Position zu. Sie gleichen unreinen Hunden! Dabei kann man geradezu den Eindruck gewinnen, dass im Hintergrund der Weigerung des markinischen Jesus eine Form der ängstlichen Vermutung steht, dass

50 Vgl. auch Jochum-Bortfeld 2008, 178 f.; v. Iersel 1993, 148. 51 Das wird sehr häufig so vertreten, vgl. Pesch/Kratz 1976, 72 f.; Ebner 2008, 76 f.; Theißen 1998, 141.252 f.; Lührmann 1987, 130 f.; Kinukawa 1995, 78; Schmidt 2010, 142–148; Guttenberger 2017, 176–180; Bedenbender 2013, 160; Dschulnigg 2007, 209; Schenke 2005, 188–190; Pesch 1977, 385.387. 52 Die in ihrem begründenden Abschnitt V. 27c–e einen schönen Chiasmus inklusive Parechese angesichts der verwendeten Verben realisiert (auch beobachtet bei Gerber 2013, 314): οὐ γάρ ἐστιν καλὸν λαβεῖν τὸν ἄρτον τῶν τέκνων καὶ τοῖς κυναρίοις βαλεῖν. 53 Jochum-Bortfeld 2008, 181. 54 Das Diminutiv κυνάριον in V. 27e greift dabei das Diminutiv θυγάτριον aus V. 25b auf.

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das Brot, das metaphorisch für das Heil steht,55 tatsächlich nicht in ausreichender Menge vorhanden ist, um alle zu sättigen, zu heilen. Die jüdischen Kinder würden hungern, wenn man den nichtjüdischen Hunden das Brot der Kinder vorwerfen würde. Nach Jesu Auffassung ist offenkundig also nicht genug Brot für alle da. Die zur Verfügung stehende Menge Heil ist begrenzt.56 Es gleichsam als Hundefutter einzusetzen, wäre ein krasser Missbrauch des Heils. Den tyrischen Hündchen davon zu geben, die Tochter also zu heilen, würde aus seiner Sicht zwingend implizieren, dass jüdische Kinder leer ausgehen und gleichsam Heilshunger leiden. Und das darf, auch vor dem Hintergrund des Ausbeutungsverhältnisses zwischen Tyrus und Galiläa, nicht sein. Das Bildwort Jesu besagt insofern: Das Heilsangebot darf man den Juden nicht wegnehmen, um es den Nichtjuden zu geben! Nichtjuden und Juden sind wie Konkurrenten57 um das begrenzte Brot und Heil. So einfach freilich ist die Sache nicht, denn die jesuanische Antwort, die die Frau zu hören bekommt, lässt Raum für zumindest eine andere Nuancierung im Blick auf die jesuanische Perspektive.

2.5 Feineinstellungen temporaler Natur Die durch die Begründung in den V. 27c–e untermauerte Aufforderung Jesu in V. 27b lässt mit der Verwendung von πρῶτον tatsächlich den Gedanken aufkommen, dass auch für Nichtjuden noch Brot vorhanden sein könnte, wenn die Kinder Israels satt sind. Denn πρῶτον meint ja nicht „ausschließlich“,58 sondern „zuerst“ und lässt zumindest gedanklich eine Fortsetzung mit δεύτερον oder εἶτα erahnen.59 Auch aus der Perspektive Jesu könnte also zumindest theoretisch genug Brot für alle vorhanden sein. Aber zuerst essen die jüdischen Kinder. Und wenn diese satt sind, dann können ggf. auch die tyrischen Hündchen mit Brot rechnen. Die Syrophönizierin ist mit ihrem Anliegen bei Jesus also durchaus an der richtigen Adresse, aber sie kommt zur Unzeit, nämlich zu früh. Sie ist schlechterdings noch nicht an der Reihe. Der markinische Jesus formuliert also bei genauer Betrachtung von V. 27b keinen prinzipiellen Ausschluss der Nichtjuden vom Heils­angebot, optiert aber entschieden für eine zeitliche Vorordnung der Juden vor den Nichtjuden.60 Und von dieser Vorordnung ist er nicht bereit, abzuweichen, weil sonst den jüdischen Kindern weggenommen wird, was rechtmäßig zunächst und zuerst ihnen zusteht.

55 Vgl. z. B. Pesch 1977, 389; Gerber 2013, 317, diskutiert die Entsprechungen zwischen Sach- und Bildhälfte. 56 Treffend beobachtet auch bei Guttenberger 2017, 177. 57 Vgl. auch Gerber 2013, 315. 58 Für Lührmann 1987, 131, „klingt“ πρῶτον im Gegensatz zu Paulus (Röm 1,16) indes bei Markus „exklusiv“. 59 Das wird oft so gesehen, vgl. z. B. Pesch 1977, 388; Kinukawa 1995, 82; Guttenberger 2017, 177. 60 Vgl. auch Schmidt 2010, 149; Schenke 2005, 189.

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Dieser Gedanke einer zeitlichen Vorordnung Israels ist aus der paulinischen Briefwelt durchaus vertraut, wie Röm 1,16; 2,9 und andere Texte zeigen.61 Und auch das in der Apg erzählte Verhalten des Paulus, der bis Apg 18 in aller Regel zunächst Synagogen aufsucht und sich erst im Anschluss Nichtjuden außerhalb der Synagogen zuwendet (vgl. auch Apg 13,46), deckt sich mit diesem zeitlichen Vorrang Israels vor den Nichtjuden. Diese Option vertritt auch der markinische Jesus in Mk 7,2762 – er untermauert sie freilich mit einer in der Sache massiven Abwertung der Nichtjuden in toto, die er mit dem Label „Hunde“ belegt.

2.6 Konsequenzen für Mk 3,8; 5,1–20 und 7,24 Wenn man die Ablehnung Jesu also primär religionssoziologisch versteht und evtl. sekundär auch ökonomisch-sozial motiviert sehen will, dann hat dies entscheidende Konsequenzen für andere markinische Perikopen und Textdetails. Denn dann darf es, wenn das Markusevangelium sachlogisch konsistent erzählen will, vor Mk 7,24–30 keine Heilungen Jesu von Nichtjuden geben.63 Dann aber muss man zwingend voraussetzen, dass in Mk 3,8 Diasporajuden aus Tyrus und Sidon zu Jesus kommen. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich die jesuanische Zurückhaltung in Mk 7,24–30 verstehen, denn in Mk 3,10 heilt Jesus ohne jede Zurückhaltung auch diese Menschen aus Tyrus und Sidon. In der Folge stattet der markinische Jesus den in Mk 3,8 zu ihm Gekommenen mit Mk 7,24 nun eine Art Gegenbesuch ab, wie er dies in Mk 10,1 auch für Judäa und die Gebiete jenseits des Jordans und ab Mk 11,1 auch für Jerusalem tun wird – alles Regionen und Orte, die in Mk 3,7–10 genannt werden, weil Menschen von dort zu Jesus nach Galiläa kommen.64 Damit wäre zugleich erklärt, warum Jesus in Mk 7,31 scheinbar ohne zwingenden Grund nach Sidon in den Norden reist, um eigentlich südöstlich des Sees Gennesaret anzukommen. Auch Sidon hatte einen Gegenbesuch verdient, waren doch auch Diasporajuden von dort in Mk 3,8 zu Jesus gekommen. In der Folge muss es sich auch beim Haus, das Jesus in Mk 7,24 aufsucht und in das er sich heimlich zurückziehen will, zwingend um das Haus eines Diaspora­ juden handeln.65 Alles andere wäre angesichts der jesuanischen Zurückhaltung im 61 Vgl. Kinukawa 1995, 82; Guttenberger 2017, 180; Bedenbender 2013, 160; Dschulnigg 2007, 210; Gnilka 1998, 292; Marcus 2010, 469; Pokorný 1995, 331 f. Zum „Paulinismus“ in Mk 7,27 vgl. auch die Diskussion bei Alonso 2011, 191 f. 62 Nach Mell 2007, 350, rekurrieren die paulinische und die lukanische Tradition eines „Israel zuerst“ sogar auf „den heilsprärogativen Grundsatz von Mk 7,27“. 63 Vgl. auch Schmidt 2010, 143. 64 Lediglich die in Mk 3,8 genannte Region der Idumaia erfährt keinen Gegenbesuch. 65 An ein jüdisches Haus denken auch Guttenberger 2017, 178; Gerber 2013, 314 f. (Tyrus war auch historisch „multikulturell“ [315] geprägt); Bosenius 2014, 227 mit Anm. 117, die allerdings mit Blick auf Mk 5,1–20 ebenfalls an eine jesuanische Begegnung mit Nichtjuden denkt. Belege für eine in historischer Perspektive greifbar werdende jüdische Präsenz in den Gebieten von Tyrus

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Umgang mit Nichtjuden nicht konsequent erzählt.66 Jesus überschreitet also zwar territoriale Grenzen, wenn er nach Tyrus und Sidon reist, aber nicht religionssoziologische. Umgekehrt überschreitet die syrophönizische Frau aus Tyrus zwar keine territorialen Grenzen, sehr wohl aber eine religionssoziologische.67 Sie betritt als Nichtjüdin, das ist unstrittig, ein jüdisches Haus – mit allen Folgen, die sich etwa im Blick auf Reinheitsfragen stellen. Schließlich verändert sich in dieser Perspektive auch ganz entschieden die Wahrnehmung der Exorzismusgeschichte von Mk 5,1–20. Denn auch der von der Dämonenlegion auf die Initiative Jesu hin befreite Gerasener muss ein unter dämonisch-römischer68 Besatzung leidender Diasporajude sein, wenn die Ablehnung der gleichen Wundertat im Blick auf eine nichtjüdische Frau zwei Kapitel später konsistent erzählt sein soll.69 Zugespitzt formuliert: Der markinische Jesus kann einer paganen Frau nicht einen Exorzismus verweigern, wenn er diesen einem paganen Mann zuvor von sich aus geschenkt hat. Das wäre mit Blick auf das markinische Jesusbild nicht konsequent erzählt. In der Dekapolis muss es also in der von Markus erzählten Welt auch Diasporajuden gegeben haben.70 Insofern geht die bereits klassisch gewordene und sich auch in einigen Karten71 zur theologischen Topographie des Markusevangeliums spiegelnde Annahme, Markus erzähle entlang einer West-Ost-Achse des Sees Gennesaret von Begegnungen Jesu mit Juden (im Westen) und Nichtjuden (im Osten) nicht so glatt auf, wie man meinen könnte. Im Osten begegnet Jesus vielmehr Nichtjuden und Diasporajuden.

bietet Theißen 1992, 69 f. Etwas unscharf bleibt noch Dschulnigg 2007, 210, der den Rückzug ins Haus dahingehend versteht, dass Jesus „nicht als aktiver Verkünder und Wundertäter im nichtjüdischen Gebiet“ erscheinen will. Versteht man das Haus des Rückzuges als ein jüdisches Haus, verschärft sich diese Überlegung. 66 Gleichwohl wird das Haus zumeist als ein paganes gewertet, vgl. etwa Moloney 2002, 145 Anm. 137. 67 Zu den Grenzüberschreitungen der Frau vgl. Jochum-Bortfeld 2008, 180.182, der allerdings das Haus nicht explizit als ein jüdisches wertet, sondern es in das markinische Erzählkonzept der „Verborgenheit der Messianität Jesu“ (179) einordnet (so auch Alonso 2011, 131–140). Vgl. generell zu allen Formen der vielfältigen Grenzüberschreitungen sozial-ökonomischer, ethnischer, kultureller und sozialpsychologischer Natur im Rahmen von Mk 7,24–30 die Analysen des Lokalkolorits der Erzählung bei Theißen 1992, 69–85. 68 Zu militärisch-politischen Implikationen dieser markinischen Perikope vgl. Ebner 2013, 270–275; Klinghardt 2007; sowie Lau 2007. 69 In dieser Perspektive ist Mk 7,26b entscheidend, denn es ist dieses kleine Erzähldetail, das entschieden absichert, dass es sich bei der Syrophönizierin nicht um eine hellenistische Diaspora­ jüdin handelt (vgl. Theißen 1998, 130). 70 In der Regel wird der Gerasener als Nichtjude verstanden, vgl. etwa Annen 1976, passim. Die Schlussfolgerung, im Gerasener eine jüdische Figur zu sehen, drängt sich auch aus anderen Gründen auf, nämlich dann, wenn man Mk 5,15 als Allusion auf römische Judaea-Capta-Prägungen versteht, wofür ich in Lau 2019 argumentiere. Ebenfalls von einem Diasporajuden gehen etwa Schmidt 2010, 143; Ebner 2013, 273; Dormandy 2000, 335, aus. 71 Vgl. Ebner 2008, 176; Schreiber 2012, 17.

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3. Die Gegenargumentation der Frau im Fokus: Verhältnisbestimmungen, Rollenangebote und imaginierte Lebensräume aus der Sicht der Frau Auf die alles andere als leicht zu verdauende Antwort des markinischen Jesus hin reagiert die Syrophönizierin im Rahmen der markinischen Erzählung ausgesprochen abgeklärt und strategisch. Nach der Redeeinleitung in V. 28ab tituliert sie Jesus zunächst mit dem im Markusevangelium nur spärlich für Jesus verwendeten κύριος-Titel. Die Frau ist damit die einzige Erzählfigur im Markusevangelium, die diesen Titel auf Jesus aktiv appliziert. Im Fortgang greift die Frau in V. 28d die von Jesus gewählte Bildwelt auf, übernimmt dabei die Rollenangebote „Kind und kleiner Hund“, entwirft aber geschickt ein alternatives Szenario.72 Dabei knüpft sie an die von Jesus entwickelte temporale Perspektive des „Zuerst – Später“ an, transformiert dies aber durch die von ihr entwickelte Situation – die Hunde unter dem Tisch essen von den Brotbröckchen der Kinder, die zu Boden fallen,73 während oben am Tisch noch das Brot gegessen wird – geschickt in eine Form der Gleichzeitigkeit.74 Während die Kinder essen, fallen eben doch auch schon Krümel für die tyrischen Hunde herunter. Diese Gleichzeitigkeit wird unter Beibehaltung der kontrastierenden Rollen von Hündchen75 und Kindern durch die Einführung einer neuen und von der Frau im Rahmen eines Mahles situierten Raumachse von „Oben – Unten“ (ὑποκάτω) entwickelt, die natürlich ein deutliches Element 72 Vgl. auch Gerber 2013, 317: „Sie nimmt die Metapher auf, aber sie ‚knackt‘ das Argument, indem sie den Bildspender anders nuanciert.“ 73 Nach meinem Leseeindruck fallen die Brotbröckchen in der markinischen Inszenierung eher zufällig (so auch Pesch 1977, 389) und in Folge der Ungeschicklichkeit der Kinder zu Boden (ganz entschieden in diesem Sinne Mell 2007, 349). Anders hingegen Guttenberger 2017, 177, die vermutet, dass die Kinder die Hunde bewusst füttern und es sich um niedliche Haushunde handelt. Zwingend sind freilich weder der eine noch der andere Leseeindruck, weil V. 28d diesen Aspekt nicht präzise genug erzählt. Vgl. zur Diskussion auch Marcus 2010, 465. 74 Auch beobachtet bei Ebner 2008, 78. 75 Möglicherweise impliziert das von der Frau entworfene Szenario auch, dass es sich bei den Hunden, die sie im Blick hat, um Haushunde handelt (dass generell in der ganzen Perikope Haushunde im Blick sind, vertritt Mell 2007, 348, aufgrund des verwendeten Diminutivs. „Die Verkleinerungsform unterbindet eine pejorative Interpretation, wie sie besonders in atl.-jüd. Literatur für den vagabundierenden (Aas-) Hund anzutreffen ist“ [vgl. auch Theißen 1992, 64]; gleichwohl beinhaltet der Terminus „Hündchen“ im Gegenüber zu den Kindern auch für ihn ein starkes Moment der Subordination: Vor dem Hintergrund der antiken Ökonomik haben Haushunde zwar Anspruch auf Versorgung, aber sie haben in der „Nahrungskette“ den niedrigsten Status und erhalten die Abfälle des Hauses [348 f.]; für Marcus 2010, 463, impliziert vor dem Hintergrund des Sprachgebrauchs der Koine das Diminutiv, das synonym zur Grundform des Substantivs verwendet werden kann [vgl. auch Pokorný 1995, 324; zur Diskussion auch Alonso 2011, 175–179], keinerlei Abmilderung des pejorativen Charakters der jesuanischen Aussage, wohl aber mildert das von der Frau entworfene Setting diesen Charakter, weil sie die „Straßenköter“ zu Haushunden transformiert [470; vgl. auch Collins 2007, 367]), die drinnen, im Raum des Mahles, anzutreffen

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der Subordination enthält, wie das bereits in der jesuanischen Rollenzuschreibung „Hund“ angelegt war. Das von der Syrophönizierin entwickelte Setting76 erinnert innerbiblisch überraschenderweise an Lk 16,21, also an einen für die Charakterisierung des armen Lazarus entscheidenden Vers aus der Eröffnungssequenz der dem lukanischen Sondergut zuzurechnenden Perikope Lk 16,19–31. In beiden Fällen findet sich eine eindrückliche Motivkombination: Bei Markus wie bei Lukas geht es um die Verteilung von Speisen zwischen zwei sich im Text gegenüberstehenden Gruppen bzw. Personen; in beiden Fällen ist die Rede von Speiseresten, die vom Tisch herabfallen und die eine der beiden Gruppen gerne zu sich nehmen würde, und in beiden Fällen werden in diesem Zusammenhang Hunde genannt. Nimmt man die auch für Mk 7,24–30 zu erwägende ökonomische Perspektive eines Konflikts im Blick auf die ungerechte Verteilung von Gütern zwischen Galiläa und Tyrus als möglichen Hintergrund hinzu, dann geht es in beiden Texten um ökonomisch-­soziale Missverhältnisse, konkret um die ungerechte Verteilung von Grundnahrungsmitteln zwischen Arm und Reich. Ob im Hintergrund ein Sprichwort77 oder eine ähnliche Tradition stehen könnte, die in diesen an sich sehr ungleichen synoptischen Texten jeweils metaphorisch Verwendung findet, dabei freilich sehr unterschiedlich ausgeprägt ist?78 Oder hat sich Lukas bei der Bildung von Lk 16,21 von Mk 7,24–30 beeinflussen lassen?

Das von der Frau entworfene Szenario hat dabei tatsächlichen Anhalt in den Triklinien reicher Menschen der Antike und damit in der Mahlkultur der Oberschicht, was möglicherweise einen weiteren Fingerzeig auf die soziale Stellung der Hausbesitzerin im Rahmen der markinischen Erzählwelt gibt. Denn in manchen Triklinien der Alten Welt hat es offenkundig Mosaikfußböden gegeben, die massenhaft Speisereste ikonographisch präsentieren und auch Tiere zeigen, die sich an diesen Resten laben. Das Fußbodenmosaik einer Villa auf dem römischen Aventin,79 das in das 2. Jh. n. Chr. datiert wird, präsentiert um eine Szene am Nil vielfältige Speisereste wie Muscheln, Früchte, Fischgräten, Hühnerknochen usw. Auch eine Maus ist abgebildet, die sich einer Nussschale bemächtigt. Das Mosaik bildet dabei gleichsam auf Dauer ab, was sich konkret im Rahmen von Mählern in diesem

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sind. Das würde den despektierlichen Charakter der Zuschreibung „Hund“ für die Nichtjuden etwas reduzieren; vgl. zu diesen Überlegungen Kinukawa 1995, 84 f.; Gerber 2013, 316; kritisch gegenüber einer solchen Abmilderung ist Pesch 1977, 389. Ausführlich zur Bildwelt und zum gleichnishaften Charakter ihrer Argumentation Mell 2007, 348–350, der von „einer ‚kühnen‘ Metaphorik“ (349) spricht. Ohne Verweis auf Lk 16,21 erwägt auch Kinukawa 1995, 83 mit Anm. 32 (Literatur!), ob im Hintergrund der Titulierung der Nichtjuden als Hunde in der Antwort Jesu in V. 27 eine Art Sprichwort steht. Diese Überlegung findet sich auch bei Lührmann 1987, 131. So erscheinen die Hunde in Mk 7,28 in deutlich positiverem Licht als in Lk 16,21, wo sie die Rolle von Opponenten des Lazarus spielen, ihrerseits aber nicht selbst um die Speisereste ringen, die vom Tisch des Reichen fallen, was wiederum für Mk 7,28 konstitutiv ist. Heute im Museo Gregoriano Profano des Vatikans (Inv. Nr. 10132). Eine Abbildung findet sich bei Schottroff 2005 (zwischen den Seiten 224 und 225).

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Triklinium stets neu vollzieht und den bereits dekorierten Boden im Zusammenspiel von Bild und konkreter Füllung je neu gestaltet. Die Mosaiken präsentieren insofern den Reichtum des Mahles und damit der Mahlgemeinschaft, primär des Hausherrn, im Spiegel der Abfälle, die den Überfluss des Mahles bezeugen, bei dem mehr als genug für alle vorhanden ist. Die konkrete Mahlgemeinschaft und ihr Tun werden so in gewisser Weise Teil des Mosaiks.80 In eine solche Szene des Überflusses hinein verlagert die Syrophönizierin ihre Antwort in V. 28 und situiert damit die von Jesus bereits genannte Mahlmaterie Brot neu in einem imaginierten Raum und teilt dabei das Brot in Brot und Brotkrümel (ψιχίον) auf. Zugleich wird im Blick auf die Kinder, die oben am Tisch das Brot essen, eine kleine, aber noch zentral werdende Variation in der Wortwahl vorgenommen: Spricht Jesus in V. 27 im Gegenüber zum kleinen Hund vom τέκνον, so die Frau in V. 28 vom παιδίον im Gegenüber zum kleinen Hund. Meint τέκνον dabei zumindest in der Tendenz das genealogische,81 biologische Kind, also die aus der Perspektive der Eltern eigenen Kinder und drückt τέκνον insofern ein enges Verwandtschaftsverhältnis aus (vgl. Mk 10,29), so hat παιδίον eher das soziale Kind „in seiner gesellschaftlichen Stellung“82 im Blick, den kleinen, noch nicht erwachsenen Menschen, ja auch den kleinen Sklaven, die soziale Klasse und Schicht des Kindes. Im Gegenüber zu τέκνον ist παιδίον ein Ausdruck, bei dem etwas mehr Distanz mitschwingt. Beide Begriffe stehen in V. 27 f. freilich für Angehörige des jüdischen Gottesvolkes und im Gegenüber zu den nichtjüdischen Hündchen. Insofern könnte man diese Variation als reinweg stilistisch verstehen und mehr oder weniger ignorieren,83 würde damit aber vielleicht einen der entscheidenden Clous des markinischen Textes übersehen. Darauf werden wir zurückkommen. V. 27

V. 28

τέκνον = Juden

παιδίον = Juden

κυνάριον = Nichtjuden

κυνάριον = Nichtjuden

θυγάτριον = Tochter

θυγάτριον = Tochter

80 Im Hintergrund solcher Szenerien steht das Grundmotiv des ungefegten Hauses, das nach Plinius (nat. XXXVI 60) auf Sosos von Pergamon zurückgeht; vgl. zur Sache Donderer 1986, 39–43 mit Tafel 14 f. (das Motiv des ungefegten Hauses will die „Üppigkeit“ [43] des Mahles im Triklinium darstellen); Zettler 2000, 13 f. 81 Vgl. Pesch 1977, 388. 82 Vgl. Ebner 2002, 317, der die Unterschiede zwischen τέκνον und παιδίον aufarbeitet (317 f.). 83 Die Variation in der Wortwahl wird tatsächlich überraschend selten thematisiert, vgl. immerhin Marcus 2010, 465; Gerber 2013, 316, die zudem beobachtet, dass auch in V. 30 von παιδίον die Rede ist, diesen Befund aber inhaltlich nicht auswertet.

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Mit ihrer Antwort ist es der Frau gelungen, das jesuanische Argument unter Beibehaltung aller von Jesus entwickelten Rollenangebote aufzunehmen und fortzuführen, aber den für ihr Anliegen, die jetzt zu erfolgende Heilung der Tochter, entscheidenden Aspekt, das zeitliche Nacheinander Jesu, geschickt zu transformieren. Der markinische Jesus gibt sich entsprechend in V. 29 geschlagen, konstatiert, dass es das Wort – und in V. 29b könnte man λόγος vielleicht sogar besser mit Argument übersetzen84 – der Frau war, das für die von Jesus jetzt bereits als erfolgt (ἐξελήλυθεν im Perfekt) beschriebene Heilung des Mädchens entscheidend war, und schickt die Frau mit ὕπαγε zurück in ihr Haus. Sie selbst hat also in gattungskritischer Perspektive in gewisser Weise das eigentliche Heilwort gesprochen85 und das Streitgespräch mit Jesus als einzige Erzählfigur innerhalb des Markus­ evangeliums gewonnen. Der markinische Jesus konnte sich mithin der Faszination und der Logik des Gegenarguments der Frau nicht entziehen.86 Positiv formuliert: Jesus hat gelernt! Das Heil muss weder prinzipiell noch temporär auf Juden beschränkt sein, weil Heilsangebote an Nichtjuden nicht eine Reduktion des zur Verfügung stehenden Heils für Juden bedeuten. „Es ist genug für alle da!“87 – könnte man plakativ formulieren. Wie die Speisen in den Triklinien der Reichen im Überfluss vorhanden sind, so auch das Heil in und mit Jesus.88 Der von Jesus entwickelte und in seiner Antwort an die Frau implizit präsente Gedanke, dass ein frühzeitiges Heilsangebot an Nichtjuden einem Wegnehmen des Heils von den Juden gleichkommt, hat sich als falsch erwiesen. Diese Lektion hat ihm die Antwort der Syrophönizierin, ihr Vertrauen in die Unbegrenztheit der Heilkompetenz Jesu,89 ermöglicht. Heil ist damit auch ihrer Tochter widerfahren – dies allerdings um den Preis, dass die syrophönizische Frau und Mutter für sich selbst und ihre Tochter und letztlich für alle Nichtjuden, für die sie pars pro toto stehen, die subalterne Rolle

84 Vgl. Gerber 2013, 315; Mell 2007, 347, der angesichts des Stichworts λόγος auf die „‚logische Argumentation‘“ der Frau hinweist. 85 Vgl. auch die Überlegungen bei Alonso 2011, 220. 86 Vgl. Kinukawa 1995, 87. 87 So der Titel bei Gerber 2013. 88 Ohne Rekurs auf die antike Mahlkultur kommt Guttenberger 2017, 177, zu einem ähnlichen Ergebnis: „An die Stelle der Mangelsituation tritt eine des Überflusses.“ 89 Das kann man als Ausdruck eines Glaubensaktes verstehen und die Syrophönizierin – auch angesichts ihrer Verwendung des κύριος-Titels – als prototypisch glaubende Frau deuten (so etwa Dschulnigg 2007, 207–211; Skinner 2006, 14–21; Pesch 1977, 389 f.; Gnilka 1998, 293: die Frau als „Prototyp der gläubigen Heiden“; Fander 1990, 78–84 [zur christologischen Implikation der Titel­verwendung im Blick auf das ganze Markusevangelium]), aber es fällt eben im Rahmen des Markusevangeliums doch auf, dass das Stichwort Glaube in Mk 7,24–30 im Gegensatz etwa zu Mk 2,5; 5,34.36; 9,23 f.; 10,52 nicht verwendet wird (das Matthäusevangelium trägt das in Mt 15,28 explizit nach). Insofern bleibt m. E. ein gewisser Zweifel, ob Markus die Äußerungen der Frau mit dem Label „Glaube“ belegt wissen will; vgl. auch Gerber 2013, 318; Alonso 2011, 220 f.

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von Hunden unter dem Tisch einnimmt,90 für die Heilskrümel oben vom Tisch, vom Heilsmahl der jüdischen Kinder herabfallen. Die tyrischen Hunde naschen also gleichsam von den zufällig vom jüdischen Tisch herabfallenden Brosamen des Heils. Diese Vorstellung ruft die Bildwelt der V. 27 f. auf. Das freilich wirkt nicht nur heute defizitär und lässt die markinische Perikope etwa aus postkolonialer Perspektive in fahlem Licht erscheinen:91 Die anonyme Frau muss sich selbst marginalisieren und als Hund, geradezu als Speichellecker stigmatisieren, um Rettung und Heil für ihre Tochter zu erlangen. Das passt so gar nicht zum Markusevangelium und seinem Erzählkonzept. Denn bei Markus sind es doch oft die kleinen und eigentlich in marginalisierten Zuständen lebenden Erzählfiguren, die ins Zentrum gerückt werden und in der Begegnung mit Jesus ohne Selbststigmatisierung Freiheit und Heil erfahren.92 Das gilt letztlich für alle Heilungsgeschichten des Markusevangeliums in unterschiedlich expliziten Graden. Nur die Erzählung von der Syrophönizierin scheint diesen Rahmen irgendwie zu sprengen (s. o. die Hinführung). Stimmt das?

4. Das Kind auf dem Speisesofa: Abschließende Korrekturen der Erzählstimme in V. 30 Der die Perikope beschließende V. 30 wirkt auf den ersten Blick zwar in der Sache für Frau und Tochter erfreulich, aber letztlich irgendwie auch harmlos: 30a 30b 30c 30d

καὶ ἀπελθοῦσα εἰς τὸν οἶκον αὐτῆς Und nachdem sie in ihr Haus weggegangen war,93 εὗρεν τὸ παιδίον fand sie das Kind βεβλημένον ἐπὶ τὴν κλίνην – geworfen auf das Speisesofa – καὶ τὸ δαιμόνιον ἐξεληλυθός. und den Dämon herausgekommen.

90 Höchst passend dazu muss man mit Blick auf den markinischen Text implizit mithören, dass die Frau ihre gesamte Gegenargumentation in jener Körperhaltung vorträgt, die sie in V. 25 eingenommen hat, also kniend oder gar vor Jesus auf dem Boden liegend. Ihre Subordination wird so auch plastisch sichtbar. 91 Vgl. etwa Zirpel 2017, 270.277–282; Nehring/Wiesgickl 2013, 155–157; Leander 2013, 109–115. 92 Vgl. insgesamt Jochum-Bortfeld 2008, passim. 93 Für Skinner 2006, 19–21, zeigt sich gerade darin der Glaube der Frau an Jesu Wunderwirken, dass sie alleine und ohne jesuanische Begleitung nur auf das Wort Jesu hin zurück in ihr Haus kehrt.

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Im Licht der vorherigen Beobachtungen und Überlegungen enthält der Vers freilich mehr als nur die Konstatierung des erfolgten Wunders und seiner Demons­ tration. Auf den Punkt gebracht: V. 30 bringt das ganze in den V. 24–29 so sorgsam entwickelte personelle Koordinatensystem der von Jesus entworfenen Rollen­ zuschreibungen von jüdischen Kindern und nichtjüdischen tyrischen Hunden vollständig durcheinander und konterkariert die so defizitär wirkende Rollen­ zuweisung für Nichtjuden. Dafür ist V. 30bc entscheidend.94

4.1 παιδίον und nicht θυγάτριον Wer V. 30b aus der Warte der übrigen Perikope liest, muss zunächst verwirrt sein und an einen erzählerischen Lapsus denken. Denn die Syrophönizierin findet daheim zwar de facto ihre Tochter, aber gerade jetzt wird der bisher stets für sie verwendete Begriff θυγάτηρ bzw. θυγάτριον (V. 25b.26d.29c) nicht mehr genutzt. Vielmehr fällt erneut der bereits aus V. 28 bekannte Begriff des παιδίον. Das ist höchst irritierend und dürfte eigentlich nicht sein, denn mit παιδίον waren ja nun gerade die jüdischen Kinder am Tisch im Gegenüber zu den Hündchen unter dem Tisch gemeint, in denen sich die nun ebenfalls als παιδίον bezeichnete Tochter der Syrophönizierin spiegeln sollte. Das ist freilich gewiss nicht ein erzählerischer Lapsus,95 sondern höchst absichtsvoll und hintergründig erzählt, wird doch damit die semantische Variation zwischen V. 27 und V. 28 wieder aufgegriffen und erscheint plötzlich sehr bedeutsam.96 Denn im Licht von V. 30 ist das θυγάτριον eben auch παιδίον und nicht κυνάριον. Die gesamte semantische Opposition, die V. 27 f. ausmacht und die auf die Leserinnen und Leser des Markusevangeliums irritierend wirkt, weil sie von der Syrophönizierin eine nachhaltige Selbsterniedrigung verlangte, um Heil für ihre Tochter zu erhalten, bricht also angesichts von V. 30 zusammen und wird durch die Erzählstimme letztgültig ausgehebelt, denn im Rahmen dieser Perikope ist es die Erzählstimme, die das letzte Wort hat. Die

94 Vgl. für das Folgende auch Schmidt 2010, 144 f., der aus anderer Perspektive zu vergleichbaren Beobachtungen und Schlussfolgerungen kommt und damit dem oft wenig thematisierten V. 30 zu seinem Recht verhilft. Diese Aspekte bleiben in der ansonsten sehr instruktiven Kommentierung von Gerber 2013, übersehen, wenn sie summierend formuliert (320): „Dass die Hierarchien bestehen bleiben, die Frau den niedrigen Platz des Hundes akzeptiert, ist für moderne Ideale von Integration und Egalität anstößig. Hierin ist die Erzählung nicht paradigmatisch, sondern historisch zu lesen“. Die Korrekturfunktion von V. 30 bleibt dabei merkwürdig unberücksichtigt (vgl. ähnlich auch die überraschend knappe Kommentierung bei Collins 2007, 368). 95 Zahlreiche Handschriften zeugen davon, dass den Abschreibern, vielleicht besser: den Theologen und Schriftgelehrten, die den markinischen Text kopiert haben, diese erzählerische Inkonsequenz aufgefallen ist, insofern in einer ganzen Reihe von Textzeugen in V. 30 statt παιδίον θυγάτηρ zu lesen ist. Die Lesart παιδίον ist freilich gut bezeugt und hat – auch als lectio difficilior – beste Chancen, Teil des Ausgangstextes zu sein. Und so wird sie im Haupttext von NA28 geboten. 96 Vgl. auch Alonso 2011, 223 f.

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Tochter ist also kein tyrischer Hund, sondern ein Kind. Die defizitäre Rollenzuschreibung Jesu, die die Syrophönizierin strategisch aufgegriffen und im Sinne des Kommentars der Erzählstimme in V. 30 bereits durch eine semantische Variation transformiert hat, wird von der Erzählstimme am Ende der Perikope letztgültig durchbrochen und inhaltlich konterkariert. Das ist eine großartige markinische Inszenierung. Gegen die Stimme des markinischen Jesus, schärfer noch: Auf Kosten des markinischen Jesus, legt die Erzählstimme fest, dass Nichtjuden, für die die beiden Frauen pars pro toto stehen, mitnichten Hunde sind, die unterwürfig von Jesus ein paar Heilskrümel erbetteln, sondern mit vollem Recht Kinder sind und damit den nahezu gleichen Status haben, wie die jüdischen Kinder.97 Nur eines sind die nichtjüdischen Kinder nicht: τέκνα! Denn wenngleich die Rollenzuweisung Hund für Nichtjuden durch V. 30 gründlich korrigiert wird, so bleibt tatsächlich eine Differenz bestehen: Der ein besonderes Nähe- und Verwandtschaftsverhältnis ausdrückende Terminus τέκνον wird nicht auf die Nichtjuden appliziert, sondern bleibt im Rahmen seiner metaphorischen Verwendung98 in der markinischen Erzählwelt exklusiv für das jüdische Gottesvolk reserviert und respektiert so das besondere Näheverhältnis zwischen Gott und seinen jüdischen Kindern.99 Das ist vielleicht die markinische Art,100 auf semantische Weise jenen bleibenden Ehrenvorrang Israels auszudrücken,101 der sich auch in den bereits knapp skizzierten paulinischen Traditionen von Röm 1,16 passim und auch in der lukanischen Apostelgeschichte mit ihrer Differenzierung zwischen dem Gottesvolk Israel und dem λαὸς ἐξ ἐθνῶν (Apg 15,14)102 findet. Nichtjuden sind für das Markusevangelium zwar auch Kinder Gottes, aber eben nicht einem genealogischen Sinne.   97 Gerade mit Blick auf die Vorbereitung des Erzählerkommentars in V. 30 durch die semantische Verschiebung in V. 28 wird m. E. der Gedanke obsolet, das Mädchen werde erst durch die bewusste Subordination der Mutter Jesus gegenüber vom Hündchen zum παιδίον und die Perikope erzähle davon, wie Nichtjuden prozesshaft zum παιδίον im Haushalt Gottes bzw. Jesu werden, indem sie bereit sind, die Rolle der Hunde zu übernehmen. Markus will durch seinen massiv korrigierenden Erzählerkommentar aber nicht vermitteln wie „the puppy became a child“ (so aber Pokorný 1995, 337), sondern drückt vielmehr aus, dass Nichtjuden schlechterdings keine Hunde, sondern schon je Kinder sind! Ich lese V. 30 also als Korrektur des Vorherigen und nicht als Schlussfolgerung, die sich aus dem vorherigen Erzählverlauf und den Aktionen der Frau ergibt, weil m. E. die Kontraste, ja Widersprüche zwischen V. 30 und V. 24–29 zu massiv sind und V. 30 in V. 28 subtil vorbereitet ist.   98 Jenseits der metaphorischen Verwendung von παιδίον und τέκνον nutzt das Markusevangelium die beiden Begriffe mehrfach und ohne eine erkennbare Differenzierungsachse. So kann etwa die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus, also ein jüdisches Mädchen, mit παιδίον bezeichnet werden (Mk 5,39–41).   99 Vgl. Dschulnigg 2007, 210 Anm. 54, zum Motiv der Gotteskindschaft Israels. 100 Und zwar unabhängig davon, ob diese Kinder Gottes Jesusanhänger sind oder werden. Sie bleiben stets Kinder Gottes (vgl. Marcus 2010, 469). 101 Bedenbender 2013, 157, spricht von einer „bleibenden Sonderstellung Israels“. 102 Die genaue Bedeutung von λαός ἐξ ἐθνῶν in Apg 15,14 ist freilich Gegenstand der Debatte (vgl. die Darstellung der Diskussion in Lau 2019b). Für die Option, hier ein eigenes Gottesvolk aus den Völkern neben dem Gottesvolk Israel beschrieben zu sehen, vgl. z. B. Schaefer 2012, 246 f.

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Dessen ungeachtet macht V. 30 mehr als deutlich: Nichtjuden müssen sich nicht selbst erniedrigen, um jenes Heil zu erlangen, das ohnehin bei Jesus im Überfluss vorhanden ist und das durch Teilung zwischen Juden und Nichtjuden nicht weniger wird. Sie gleichen nicht unreinen Hunden!

4.2 Auf der κλίνη und nicht unter der τράπεζα Zu dieser ersten massiven Korrektur, die die Rollenzuschreibung der V. 27 f. berichtigt, gesellt sich in V. 30c eine zweite, die die in V. 27 f. aufgerufenen imaginierten Lebensräume der tyrischen Hunde aufgreift und ebenfalls in ein völlig neues Licht taucht.103 Denn für die Demonstration des Wundererfolgs wählt die Erzählstimme erneut ein Mahlsetting – allerdings eines, das das genaue Gegenteil zur imaginierten Positionierung der tyrischen Hunde entwirft. Denn das παιδίον befindet sich mitnichten unter dem Tisch, wie es V. 28 für die Hunde erzählt. Die Tochter liegt vielmehr auf der κλίνη, also auf dem feinen Speisesofa104 und damit am Tisch. Präziser muss man sagen, dass das παιδίον auf die κλίνη βεβλημένον/geworfen ist. Das Partizip greift mit feiner Ironie und geradezu wortspielerisch105 das vom markinischen Jesus in V. 27e verwendete βαλεῖν auf: Man könnte sagen: „Weil dem παιδίον gegen die Ursprungsintention Jesu Brot (= Heil) zugeworfen worden ist, ist sie nun geheilt auf die κλίνη geworfen und ist so zur Mahlteilnehmerin geworden.“ Sie ist wieder Teil der Mahlgemeinschaft selbst106 und isst das Brot und nicht die Brotbröckchen, die unter den Tisch fallen. Die Reintegration in die Mahlgemeinschaft im Haus ist also gelungen und die sich der Besessenheit verdankende Exklusion beendet. Als Mahlteilnehmerin hat sie vollen Anteil an allen Speisen, die am Tisch vorhanden sind. Sie kann schon jetzt von jenem Brot essen, das der markinische Jesus zunächst nur für Juden reservieren wollte. Auch in dieser Perspektive wird die defizitäre Rollenzuschreibung der V. 27 f. konterkariert und nachdrücklich korrigiert. Nichtjuden sind weder Hunde noch müssen sie sich in der Jesusgruppe mit einem Platz am sprichwörtlichen Katzentisch begnügen und auf ein paar Brosamen hoffen, die vom Mahl derjenigen, die

103 Vgl. auch Guttenberger 2017, 177 f. 104 Im Gegensatz zur Pritsche (κράβατος), von der in Mk 2,4 die Rede ist. Auch das könnte ein Indiz für die soziale Stellung der Frau und ihrer Familie sein, vgl. Jochum-Bortfeld 2008, 179; Gnilka 1998, 293; Leander 2013, 224. 105 Vgl. Alonso 2011, 225. 106 Diese Positionierung des Kindes scheint mir in ihrer inhaltlichen Tragweite nicht präzise genug erfasst, wenn man hier an einen „Heilschlaf des Mädchens“ denken will, so aber Dschulnigg 2007, 211; Pesch 1977, 390, sieht das Mädchen vor Erschöpfung nach dem Exorzismus aufs Bett geworfen.

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auf den feinen Speisesofas liegen, abfallen. Nichtjuden liegen selbst mit auf den Speisesofas der Jesusgruppe!107

5. Ergebnisse Es ist zunächst offenkundig, dass Mk 7,24–30 für die Einsicht wirbt, dass Heil und Heilung, die in und mit Jesus möglich werden, nicht auf Juden begrenzt sind. Auch Nichtjuden können Anteil am Heil erlangen. Das muss freilich der markinische Jesus selbst von der Syrophönizierin lernen, die im Verlauf der Therapie jene Motive realisiert, die klassisch mit dem Wundertäter verbunden sind, der seinerseits das Erschwernismotiv realisiert und damit zum eigentlichen Problemfall wird. Entgegen der Annahme, dass Heil nur in einem begrenzten Maße vorhanden sein könnte, hält der markinische Text fest, dass tatsächlich genug für alle vorhanden ist und es insofern keines heilsgeschichtlichen Nacheinanders bedarf (so die Option Jesu), sondern Juden und Nichtjuden gleichzeitig am Heil partizipieren können (so die Option der Frau, der Jesus letztlich folgt). Das macht das geschickt in die Perikope eingeflochtene und aus der antiken Mahlkultur stammende Bild vom Überfluss in V. 28 deutlich. Ebenso deutlich wird, dass Nichtjuden sich nicht selbst marginalisieren und stigmatisieren müssen, um in den Genuss des in Jesus präsenten Heils zu kommen. Es ist die Erzählstimme in V. 30, die alle vorauslaufenden Rollenzuschreibungen und imaginierten Lebensräume für Juden (Kinder oben am Tisch, die Brot essen) und Nichtjuden (Hündchen unter dem Tisch, die nach Krümeln schnappen) durch eine kluge narrative Linienführung gründlich durchkreuzt. Die Erzählstimme korrigiert damit nicht nur die Selbstmarginalisierung der Frau, sie leistet auch Widerstand gegen die Option ihrer eigenen Jesusfigur. Letzteres ist höchst auffällig. Hat man zunächst den Eindruck, dass die Perikope im Wesentlichen auf Kosten der Frau und ihrer Ehre vom schwierigen Weg des Heilszugangs für Nichtjuden erzählt, so muss man im Licht von V. 30 sagen, dass die Perikope mindestens ebenso auf Kosten Jesu dieses Thema verhandelt. Der Erzähler widerspricht der Hauptfigur seiner Erzählung! Diese Zähmung Jesu durch die Erzählstimme ist ungewöhnlich. Markus hätte es anders erzählen können und hätte seinen Jesus sehr viel offensiver und positiver auf das Anliegen der Frau reagieren lassen können,108 wenn er inhaltlich doch recht deutlich die Option vertritt, dass das Heil nicht auf Juden begrenzt sein muss. Er lässt seinen Jesus also gleichsam im Regen stehen, macht ihn zum lernenden Schüler, der sich 107 Übertrieben scheint mir, hinter der ganzen Perikope eine Allusion auf das eschatologische Festmahl (Jes 25; 55) zu sehen, wie dies von Liu 2010, 251–255, nachdrücklich vertreten wird. 108 Es sei denn, in der Perikope liegt für Markus erkennbar ein Wort des historischen Jesus vor, das Markus getreu überliefern (vgl. Marcus 2010, 468), dann aber selbst kritisieren will. Das ist natürlich möglich, aber schwer zu beweisen und ruft zudem die Frage auf, mit welchem Recht Markus dann am Wort Jesu Kritik übt, wenn er es als authentisches Jesuswort versteht.

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selbst korrigieren muss und in gewisser Weise hinter seine eigene Lehre zurückfällt, denn dass mehr als genug Brot für alle vorhanden ist und tragekörbeweise Brotreste übrig bleiben (Mk 6,43), war schon in Mk 6,35–44 das Thema und war dort eine Erkenntnis, die Jesus seinen ängstlichen Schülern vermitteln musste, die ihrerseits meinten, nicht genug Brot für alle zu haben.109 Diese Lektion scheint der markinische Jesus schlechterdings vergessen zu haben. Markus entwickelt also den Spannungsbogen der Perikope auf Kosten Jesu.110 Dafür muss es Gründe geben. Es liegt nahe, zu vermuten, dass diese sehr spezielle Art des Erzählens in Mk 7,24–30 mit der Geschichte und Situation der markinischen Gemeinde zu tun hat.111 Möglicherweise war genau diese Frage, ob und wenn ja wann und wie die markinische Gemeinde sich für Nichtjuden öffnet und wie dann insbesondere Tischgemeinschaft112 zwischen jüdischen und nichtjüdischen Jesusanhängern zu gestalten ist, auch in der Markusgruppe nicht so unumstritten, wie man vermuten könnte,113 auch wenn der markinische Jesus in Mk 13,10 eine in der Sachfrage entschiedene Option vertritt.114 Vielleicht erzählt Markus daher sehr subtil, wie schwierig auch für Jesus selbst der Weg zu den Nichtjuden war. Wenn dem so wäre, dann hätte Markus einen Diskussions- und

109 Auf die Stichwortverbindungen und damit die makrokontextuelle Einbindung von Mk 7,24–30 in den markinischen Erzählfaden weist Gerber 2013, 313.318, hin (Pokorný 1995, 334 f., entdeckt ebenfalls entsprechende Querbezüge). Natürlich darf man die beiden Perikopen nicht zu sehr interpretatorisch aufeinander pressen, zumal es sich bei Mk 6,35–44 um eine Speisungserzählung für jüdische Mahlteilnehmer handelt, deren Inhalt gerade deshalb nur bedingt auf Mk 7,24–30 übertragbar ist – mit der Ausnahme der Brotreste in den zwölf Körben, die übrig bleiben, nachdem alle Juden gesättigt waren (V. 42 f.), also jene Situation erreicht ist, die der markinische Jesus in Mk 7,27 implizit voraussetzt, aber als noch nicht erfüllt erachtet. Hier bleibt der markinische Jesus in der Erzählwelt hinter seinen eigenen Erfahrungen zurück, zumal die Zwölfzahl geradezu ein ideales Bild der Fülle und Überfülle entwirft. 110 Vgl. auch v. Iersel 1993, 148 f.: „Ich meine darum, daß der Erzähler Jesus nur deswegen so ungehörig, ja fast rassistisch reden läßt, um die Antwort hervorzulocken, mit der die Frau auf diese Weigerung reagiert.“ 111 Ähnlich Kinukawa 1995, 78: „So widerspiegelt das Markusevangelium die Kämpfe, die sich in der Gemeinschaft [sc. der Gemeinde des Markus, M. L.] abspielen.“ 112 Auf diesen Aspekt hebt Schenke 2005, 189 f., ab. 113 Dass die Geschichte der frühen Jesusbewegung und die dort verhandelte Frage der Öffnung der Jesusgruppe für Nichtjuden im Hintergrund der Erzählung von Mk 7,24–30 bzw. einer literarkritisch zu erhellenden Vorstufe des markinischen Textes steht, wird oft vertreten (vgl. etwa Fander 1990, 63–66.73 f.; Schenke 1974, 254–264; Pesch 1977, 390 f.; Gnilka 1998, 290; Gerber 2013, 318 f.; zur Diskussion vgl. auch Alonso 2011, 117–119), aber dass es eben auch das Markusevangelium selbst ist, dass nach 70 n. Chr. und vermutlich in Rom oder seinem Umfeld (vgl. zu den Einleitungsfragen Lau 2019a, 110–131), noch bewusst in dieser Form und damit auf Kosten Jesu diese Wundergeschichte erzählt, müsste in der Markusexegese eigentlich zu größeren Irritationen führen – zumindest, wenn man Markus als souveränen Erzähler und nicht nur als sammelnden Redaktor versteht. Solche Irritationen finden sich indes kaum in der Kommentarliteratur zum Markusevangelium – und zwar auch dann nicht, wenn man bei der Kommentierung der Perikope explizit vermutet, dass für Teile der markinischen Gemeinde die Öffnung zur nichtjüdischen Welt alles andere als unumstritten ist, vgl. Moloney 2002, 147 f. 114 Vgl. Guttenberger 2017, 179 f.

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Lernprozess der Gemeinde auf Jesus appliziert.115 Mit Jesus würde dann die markinische Gemeinde, die wir uns unter dieser Voraussetzung tendenziell in ihrer Grundprägung etwas „jüdischer“ vorstellen müssten, als das gemeinhin der Fall ist,116 selbst lernen, dass das Heil auch Nichtjuden offensteht und diese sich nicht das Heil durch Selbsterniedrigung verdienen müssen, sondern gleichberechtigt als παιδία mit den jüdischen τέκνα zu Tisch in der Jesusgemeinschaft liegen. Mk 7,24–30 würde auf diese Weise einen ganz wesentlichen Beitrag zur Ausgestaltung des innergemeindlichen Miteinanders von jüdischen und nichtjüdischen Jesusanhängern leisten und für deren Gleichberechtigung117 und letztlich auch für eine Mahlgemeinschaft zwischen diesen jüdischen und nichtjüdischen Jesusanhängern votieren. Die Zeit von entlang religionssoziologischen Grenzen getrennten Tischen ist in der Folge des Lernprozesses Jesu in Mk 7,24–30 vorbei.118 *** Jesus selbst als lernender Lernwegbegleiter für die markinische Gemeinde, der von der Syrophönizierin und der Erzählstimme korrigiert wird und etwas lernt?119 – keine Frage: Das wäre mutiges Erzählen! Markus darf man es zutrauen.

115 Vgl. Gerber 2013, 320; vgl. auch Dschulnigg 2007, 209: „Auch wenn Jesus hier nicht anachronistisch als aktiver Verkünder und Wundertäter in nichtjüdischem Gebiet dargestellt wird, hat sein beispielhaftes Tun der Mission der Völker, wie sie vom Mk intendiert und betrieben wird, doch proleptisch den Weg bereitet und sie grundsätzlich legitimiert.“ Der Grundimpuls scheint mir richtig beobachtet, allerdings missioniert der markinische Jesus nicht. Es geht nicht um Evangelisierung oder Verkündigung, auch bekehrt sich die Frau nicht zu Jesus und wird nicht zu einer Jesusnachfolgerin. In der Perikope wird die Öffnung der Jesusgruppe für Nichtjuden verhandelt, aber nicht die Frage, ob man aktiv auf Nichtjuden mit einem religiösen Angebot zugeht. Vgl. dazu auch Gerber 2013, 319. 116 Vgl. zu dieser Frage Lau 2019a, 131–140. 117 Vgl. auch Alonso 2011, 231 f. 118 Insofern fügt sich Mk 7,24–30 gut an die Reinheitsthematik von Mk 7,1–23 an und steht gewiss auch sehr bewusst zwischen den beiden Speisungswundergeschichten von Mk 6,35–44 und Mk 8,1–9 (vgl. dazu auch Alonso 2011, 301–323). Insbesondere ist Mk 8,1–9 in diesem Sinne paradigmatisch. Denn wenn es sich hier um eine Speisung für Nichtjuden handelt, dann liegt angesichts der ebenfalls vorhandenen jüdischen Mahlteilnehmer, eben Jesus und seinen Schülern, die mit ihm unterwegs in der Dekapolis sind, die Erzählung eines Festmahls der nicht religionssoziologisch getrennten Tische vor. 119 Dass Jesus in der Sache gelernt hat, kann man zumindest dann Mk 7,31–37 entnehmen (nach Black 2011, 178, sind beide Perikopen „nearly mirror images of each other“ und insofern eng verwandt), wenn man diese Dekapoliswundergeschichte als Therapie von Nichtjuden versteht. Freilich könnte es sich auch hier wieder um einen Diasporajuden wie in Mk 5,1–20 handeln. Deutliche Charakterisierungsmerkmale, die eine eindeutige Option ermöglichen würden, finden sich in Mk 7,31–37 jedenfalls nicht. Die Adressierung der nichtjüdischen Völker im Rahmen der Evangeliumsverkündigung wird freilich spätestens in Mk 13,10 deutlich ausformuliert.

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Speichellecker?

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Luc Devillers

Un homme, une femme … et le Ressuscité Emmaüs revisité (Lc 24,13–35)

1. Introduction Dans ces pages, je revisite l’identité de l’anonyme qui marche avec Cléopas vers Emmaüs, pour y voir un personnage féminin1. Cette interprétation ne dépend pas nécessairement de l’identification du Cléopas lucanien (Lc 24,18) avec le Clôpas johannique – « Marie, [femme] de Clôpas » (Jn 19,25) –, même si cette solution n’a rien d’impossible2. Mon argumentation s’articule autour de quelques idées forces : l’intérêt de Luc pour les personnages féminins, le lien lexical entre Lc 24,31 et Gn 3,7 ; enfin, les liens entre Lc 24, Lc 1–2 et 1 Maccabées, qui renforcent l’affirmation de l’unité des Écritures : « et, commençant à partir de Moïse et de tous les Prophètes … toutes les Écritures » (Lc 24,27). L’événement du salut – Passion et entrée dans la gloire du Messie – concerne toute l’humanité, hommes et femmes. J’offre cette réflexion en hommage au Prof. ém. Max Küchler, dont l’intérêt pour la topographie et pour la parité entre hommes et femmes est bien connu.

1

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Une partie de cet article a été présentée oralement lors d’un congrès de la SNTS (Amsterdam, juillet 2015). Certains éléments ont été insérés dans des livres de vulgarisation : Devillers 2014, 81–86 ; Devillers 2016, 114–118. Les citations bibliques, empruntées à la Bible de Jérusalem (19983), ont parfois été modifiées. Dans les références bibliques le sigle Lc a été omis, sauf en cas d’ambiguïté. On objecte souvent, au nom de la philologie : 1) que Cléopas est le diminutif grec de Cléopatros, comme Antipas pour Antipater, tandis que Clôpas transcrit un nom araméen (cf. Bovon 2009, 444) ; 2) que passer de Clô- à Cléo-, ou vice versa, est impossible. Mais au vu des variantes dans les manuscrits on peut douter que les scribes aient connu ces subtilités. La comparaison des codices S et V montre que le nom Cléopas pouvait s’écrire avec omicron ou oméga. Épiphane identifiait déjà Cléopas avec Clôpas (Panarion 23,6), et on lit Cléophas en Lc 24 comme en Jn 19 dans La Bible. Traduction officielle liturgique (Paris 2013).

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Luc Devillers

2. Préliminaires 2.1 Les disciples en Luc-Actes Avant d’entrer dans le vif du sujet, une remarque s’impose. Les deux marcheurs d’Emmaüs3 font partie des personnes attirées par Jésus, qui cherchent à le suivre du mieux qu’elles peuvent : ils reconnaissent en lui « un prophète puissant en œuvres et en paroles devant Dieu et devant tout le peuple » (24,19), et avaient mis en lui leur espoir (24,21). Cependant, Luc ne les appelle jamais μαθηταί. Pourquoi ? Dans son évangile, les premières mentions des μαθηταί de Jésus (5,30, puis 6,1) interviennent après l’appel de Simon (5,10b) et de son frère4, des fils de Zébédée (Lc 5,10a.11) et de Lévi (5,27–28). Bientôt (6,13) le groupe des disciples englobera celui des douze apôtres5, auxquels renvoie la dernière mention des μαθηταί dans l’évangile (22,45 ; cf. 22,14 : apôtres ; 22,39 : disciples) : lors de l’agonie de Jésus, les Onze saisis par le sommeil sont « ceux autour de lui » (22,49). Mais, après l’agonie, les disciples masculins brillent par leur absence. Seules des femmes ont vu mourir Jésus, et suivi Joseph d’Arimathie jusqu’au tombeau. Après le sabbat, certaines reviennent à la tombe : Marie la Magdaléenne et Jeanne (cf. 8,2–3), Marie de Jacques (cf. Mc 16,1) et bien d’autres, αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς (24,10). Puis elles rapportent aux Onze et à tous les autres (24,9) ce qu’elles ont vu et entendu. Par la suite, Luc mentionne encore les Douze (Lc 22,47 ; Ac  6,2 ; Onze avant l’élection de Matthias : Lc 24,9.33 ; Ac 1,26 ; 2,14) ou les apôtres (Lc 24,10 ; Ac 1,2.26 ; 2,37.42.43 ; 4,33.35.36.37 ; 5,2.12.18.29.40). Mais il y a d’autres personnes autour d’eux : τοῖς ἕνδεκα καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς (Lc 24,9) ; τινες τῶν σὺν ἡμῖν (24,24) ; τοὺς ἕνδεκα καὶ τοὺς σὺν αὐτοῖς (24,33). Les marcheurs d’Emmaüs en sont (δύο ἐξ αὐτῶν, 24,13), distingués des Onze vers qui ils reviennent (24,33). Enfin, dès le ch. 6 des Actes le terme μαθηταί désigne toute personne acquise à la foi en Jésus par la prédication des apôtres (Ac 5,40–42 ; 6,1). Autrement dit, à la charnière entre les deux tomes de son œuvre, Luc n’emploie jamais μαθηταί (Lc 23–24 et Ac 1–5). Pourtant, des amis de Jésus, hommes et femmes, y sont mentionnés : les Onze et leurs compagnons (24,9.33), auxquels apparaît le Ressuscité, devant qui il est emporté au ciel (24,36.51), et qui rentrent joyeux à Jérusalem (24,52) ; puis, au début des Actes6, « environ cent vingt frères »

Marcheurs que l’on désigne souvent comme des « pèlerins ». Voir, par ex., Bovon 2009, 440 ; Marguerat 2018, 109 ; et le titre de l’ouvrage de Sr Jeanne d’Arc, Les pèlerins d’Emmaüs (LiBi 47 ; Paris 1977). 4 Des verbes au pluriel (5,6.7.9) attestent la présence d’André dans la barque de Simon, mais curieusement Luc ne le nomme que dans ses deux listes d’apôtres (Lc 9,14 ; Ac 1,13). 5 Disciples vs Douze (6,17 ; 19,37). Mais Luc ne respecte pas toujours cette distinction (6,1.12 vs 6,14 ; 22,11 vs 22,14 ; 9,54, « les disciples Jacques et Jean »). 6 Là, Luc semble réserver l’épisode de l’Ascension aux apôtres (Ac 1,2.13). Mais la fin de l’évangile parle d’un groupe plus large : « les Onze et ceux avec eux » (Lc 24,33). 3

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(Ac 1,15), dont font partie les Onze et leurs compagnons (Lc 24,9.33), ainsi que les femmes mentionnées auparavant (Ac 1,13–14). L’Église naissante comprenait donc des hommes et des femmes, même si on n’en retient parfois que les figures masculines7.

2.2 Les disciples : seulement au masculin ? De fait, lorsque Luc évoque les conditions à remplir pour « venir à » Jésus, c’està-dire pour devenir son disciple, il mentionne comme Matthieu (cf. Mt 10,37) le renoncement à divers attachements humains, mais y ajoute le renoncement à « sa femme » (Lc 14,26). Serait-ce donc que, pour lui, la qualité de disciple est réservée à des hommes ? On aurait tort d’en tirer cette conclusion, car Luc est le seul auteur biblique à présenter une μαθήτρια (Ac 9,36) : Tabitha, membre d’une petite communauté locale (Ac 9,38). De plus, il souligne mieux que les autres que des femmes ont suivi Jésus avant sa Passion (23,49.55), et dès son ministère en Galilée (8,1–3). Il y a là probablement une donnée solide sur l’attitude du Jésus historique vis-à-vis des femmes8. Pour revenir au récit d’Emmaüs, on doit sans hésiter qualifier les deux marcheurs comme disciples de Jésus, même si le terme μαθητής manque. Tel est le cadre dans lequel on peut se demander qui, parmi les « deux d’entre eux » (Lc 24,13), se tient aux côtés de Cléopas. La réponse habituelle à cette question se fonde sur la logique la plus simple : puisque Luc vient d’évoquer un groupe de femmes qui sont allées au tombeau, mais dont les dires n’ont pas paru dignes de foi, il semble que les deux marcheurs d’Emmaüs soient des hommes9. Et pourtant, l’intérêt de Luc pour une certaine parité entre personnages masculins et féminins ne nous invitet-il pas à dépasser cette idée simpliste10 ?

  7 En Ac 11,5, le terme ἀδελφῶν est concurrencé par deux variantes : μαθητῶν et ἀποστόλων (cf. Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, Stuttgart 201228). Dans ses trois éditions, la Bible de Jérusalem (1956, 1973, 1998) ajoute deux sous-titres avant Lc 24,36 et 24,44 : « Jésus apparaît aux apôtres » ; « Dernières instructions aux apôtres ». Dans la Traduction œcuménique de la Bible (1972, 2010), un sous-titre avant Lc 24,36 dit : « L’apparition aux Onze », et une note parle d’eux en ignorant leurs compagnons ; avant Ac 1,12–14, la TOB évoque le « groupe des apôtres », et Osty de même. À propos des femmes qui prient avec Marie et les apôtres (Ac 1,14), Osty, BJ et TOB traduisent : « avec quelques femmes », alors que le grec dit : « avec des femmes ». Leur nombre n’est pas limité.   8 Cf. Meier 2006, 77–84, 420.   9 « seuls les disciples demeuraient affligés, n’osant ajouter foi aux racontars des femmes. Deux d’entre eux résolurent de regagner leur village … » (Lagrange 2017, 634) ; « Two male disciples […] Cleopas and his traveling companion » (Puig i Tàrrech 2011, 616, 620) ; « Cléopas et son compagnon » (Marguerat 2018, 109). 10 « Comme il aime à présenter côte à côte un homme et une femme (voir 1,5–38 et 15,3–10), l’évangéliste a pu imaginer que la seconde personne ait été une femme » ; « Cléopas, soutenu ici par son compagnon ou sa compagne » (Bovon 2009, 441, 444).

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3. Cléopas et sa compagne 3.1 Une proposition déjà ancienne Il y a déjà plus de cent ans, après avoir rappelé plusieurs hypothèses en faveur d’un deuxième homme11, J. Esslemont Adams avait suggéré de voir dans l’anonyme d’Emmaüs la femme de Cléopas, ou sa sœur12. On lui devrait la moitié de la réponse donnée à l’inconnu (24,21b–24) – rappel de l’absence du corps de Jésus dans le tombeau et de l’apparition d’anges –, tandis qu’à Cléopas ne reviendraient que les v. 18–21a – rappel des événements concernant Jésus et de l’espérance qu’il avait suscitée. Malheureusement cette suggestion n’est pas étayée, alors qu’un détail textuel aurait pu être sollicité. En effet, Cléopas répond le premier à Jésus (ἀποκριθεὶς δὲ εἷς ὀνόματι Κλεοπᾶς εἶπεν πρὸς αὐτόν, 24,18a), mais la longue tirade qui suit est due à un auteur pluriel : οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ […] ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν […] γυναῖκές τινες ἐξ ἡμῶν (24,19b.21a.22a). Adams s’est limitée à une version psychologisante de la scène. Quinze ans plus tard, Evelyn Charlesworth renchérissait sur la présence d’une femme. Approuvant ceux qui identifient le Cléopas lucanien avec le Clôpas johannique, elle ajoutait que sa femme Marie avait vu le tombeau vide avec d’autres (24,10) : elle ne partageait donc pas le désespoir de son mari. C’est elle qui aurait rappelé la visite des femmes au tombeau, mais Cléopas aurait ajouté : « Mais lui, elles ne l’ont pas vu ! » Cette lecture est mieux argumentée que celle de Charlesworth, mais elle se fonde toujours sur des considérations psychologisantes, et ne note pas le sujet pluriel de la longue réponse. Au vu de ces essais suggestifs mais trop brefs, faudrait-il renoncer à voir dans le deuxième personnage une femme ? Certainement pas. En effet, de meilleurs arguments plaident en ce sens, même si le texte de Luc ne permet pas de trancher définitivement.

3.2 Lien entre Lc 24,31 et Gn 3,7 Voir une femme dans l’anonyme qui accompagne Cléopas n’est certes pas une hypothèse dépourvue d’intérêt ni de fondement. Un argument en sa faveur consiste à prendre au sérieux le lien lexical fort qui unit Lc 24,31 et Gn 3,7. En effet, il s’agit

11 Dès le iie– iiie siècle, Origène (Contre Celse ii,62,68) mentionne Simon, suivi au milieu du xe siècle par le codex S. En se référant à Épiphane (Panarion 23,6), le codex V (ixe siècle) indique en note marginale que le compagnon de Cléopas était Nathanaël. Voir Metzger et al. 1971, 185. 12 Adams 1905–1906, 333.

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des deux seuls versets de toute la Bible grecque (Septante et Nouveau Testament) qui associent l’ouverture des yeux de deux personnes à un acte de connaissance ou de reconnaissance : καὶ διηνοίχθησαν οἱ ὀφθαλμοὶ τῶν δύο   καὶ ἔγνωσαν ὅτι γυμνοὶ ἦσαν

Et furent ouverts les yeux des deux,   et ils connurent que nus ils étaient   (Gn 3,7) 

αὐτῶν δὲ διηνοίχθησαν οἱ ὀφθαλμοὶ   καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν

Alors d’eux furent ouverts les yeux    et ils le reconnurent (Lc 24,31)

Il y a un contraste entre ces deux scènes : sûrs de « devenir comme des dieux » (Gn 3,5), Adam et Ève déchantent après l’ouverture de leurs yeux en découvrant leur nudité ; au contraire, les marcheurs désespérés d’Emmaüs repartent le cœur brûlant de joie (Lc 24,32). Pourtant, rares sont les lectures relevant ce parallèle, qui favorise l’interprétation féminine de l’anonyme d’Emmaüs13. Et cela ne vaut pas que pour les travaux exégétiques. Ainsi, la plupart des peintres ont représenté trois hommes à Emmaüs14. Rares sont ceux qui y ont introduit une femme. C’est le cas notamment d’une moniale de Jérusalem, qui a « écrit » une icône sur Emmaüs, et d’un artiste auteur d’une fresque murale au Vatican. Quelques auteurs ont pourtant exploité le parallèle lexical entre Gn 3 et Lc 24. Le théologien moraliste et psychanalyste Xavier Thévenot l’a fait au moyen d’une lecture psychanalytique15. Il a souligné le contraste entre la manducation du fruit défendu par le couple des origines (Gn 3,6), acte de « décréation », et le rite eucharistique de la fraction du pain (Lc 24,35), « acte de re-création »16. À chaque fois, les yeux des convives s’ouvrent : dans l’Éden, après la manducation transgressive ; à Emmaüs, dès la fraction du pain (avant toute consommation). Thévenot aurait dû ajouter une autre remarque : au moment de l’ouverture des yeux a lieu une prise de connaissance, le couple originel découvrant sa nudité, les disciples d’Emmaüs reconnaissant le Ressuscité. Cela a été bien perçu par un homme et une femme, qui ont écrit ensemble un essai de christologie lucanienne : « Luc a-t-il écouté le dialogue de ces deux pages : la dernière de son livre avec la première de l’Histoire Sainte ? On peut le croire puisque le dénouement de l’histoire de l’Eden lui sert

13 « In Luke-Acts, not much is said about the first couple except for a quick reference to Adam in Jesus’ genealogy (Luke 3:38) » (Uytanlet 2014, 36, n. 3). 14 « The evidence of letters and art is entirely for a comradeship of men » (Adams 1905–1906, 333). Voir Boespflug 2011. 15 Thévenot 1980. Dupont admet le lien entre Gn et Lc et signale la lecture de Thévenot ainsi que celle, gnostique, de Jean Magne (Dupont 1982, 185, n. 71). 16 Arthur A. Just (Just 1993) va dans le même sens, sans non plus voir dans l’anonyme une femme.

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de dénouement à Emmaüs : “Leurs yeux furent ouverts, et ils connurent.” […] Dans cette perspective, Emmaüs représente le sommet de la Révélation de Dieu17. »

Le parallèle lexical entre Gn 3 et Lc 24 convient bien à un évangéliste soucieux de souligner la miséricorde divine pour les pécheurs. Mais en tirer une lecture « inclusive » pour la scène d’Emmaüs, ne serait-ce pas dû à la mentalité contemporaine, férue d’égalité des sexes ? En réalité, il n’en est rien, car cette lecture rare n’est pas si neuve. On la repère déjà au ve siècle, dans un sermon du pape saint Léon le Grand : « À la fraction du pain, les yeux des convives s’ouvrent. Ils ont un bonheur bien plus grand, eux qui voient se manifester la glorification de leur nature humaine, que nos premiers parents qui conçoivent de la honte pour leur désobéissance18. »

Le pape Léon évoque la honte de « nos premiers parents », fruit de leur désobéissance. Du coup, il suggère que le parallèle entre convives d’Emmaüs et couple originel est une évidence : comme si, pour lui, les deux convives d’Emmaüs étaient bien un homme et une femme.

3.3 En commençant à partir de Moïse … (Lc 24,27) Mais un autre argument vient soutenir ce lien entre les deux versets. Un indice largement ignoré, alors qu’il est à portée de main : Jésus donne une leçon d’exégèse « en commençant à partir de Moïse … » (24,27). Il faut donc commencer par (les cinq livres de) Moïse, notamment par Gn 1–3 : création (Gn 1,27 ; 2,23) et péché (Gn 3) du premier couple humain. Dès le début de la Bible, Dieu parle à tous les humains, hommes et femmes. On objectera que le Jésus lucanien est censé parler ici de ce qui le concerne dans les Écritures (24,27) ; et, d’après le contexte, cela désigne précisément sa passion et sa résurrection (24,26). Quel rapport y a-t-il donc entre sa trajectoire pascale et la vocation de l’humanité ? Mais la réponse affleure au fil de l’œuvre lucanienne : Jésus est venu sauver l’humanité perdue, sa compassion vise hommes et femmes, sa mort et sa résurrection concernent toute l’humanité. Ce n’est pas pour rien que, dès sa première page, Luc met en scène un couple chargé de coopérer à la vocation d’un prophète (1,5–25), comme ce fut déjà le cas dans l’ancienne Alliance (cf. Gn 17,1–22 ; Jg 13,1–25). Ce n’est pas pour rien que, à plusieurs reprises dans sa

17 Barlet/Guillermain 2006, 159. 18 Léon le Grand, Homélie pour l’Ascension. Traduction de La liturgie des heures II. Carême – Temps pascal, Paris 1980, 700 (celle des Sources chrétiennes [n°74] est moins claire). Dans son « histoire de la réception » pourtant fouillée, Bovon ne mentionne pas Léon (Bovon 2009, 448–453).

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double œuvre, il met en valeur un couple humain, ou un homme et une femme, qui collaborent à l’annonce de la Bonne Nouvelle.

3.4 Personnages féminins et parité lucanienne En effet, dès la première page de l’évangile, Zacharie et Élisabeth coopèrent chacun à sa façon au projet de Dieu : préparer la venue de son Messie en faisant naître son précurseur. Si Zacharie seul reçoit l’annonce de la naissance de Jean-Baptiste (1,5– 23), Élisabeth y est mentionnée (1,13). À l’inverse, celle-ci intervient seule lors de la visite de Marie (1,39–45), mais Zacharie est mentionné (1,40). Pour la circoncision de Jean, les deux parents interviennent en prophètes (1,57–67) et consentent à la vocation de leur enfant : s’appeler Jean (1,60) et être « prophète du Très-Haut » (1,76). Marie et Joseph constituent la famille de Nazareth, au sein de laquelle doit naître et vivre le Messie Jésus. Souvent mentionnée dans les pages de l’Enfance, Marie y tient toujours un rôle de premier plan, tandis que Joseph reste silencieux (1,27 ; 2,4.16 ; 3,23). Mais tous deux sont solidaires l’un de l’autre, comme l’atteste la parole au pluriel de Marie : τέκνον, τί ἐποίησας ἡμῖν οὕτως; ἰδοὺ ὁ πατήρ σου κἀγὼ ὀδυνώμενοι ἐζητοῦμέν σε (2,48). Un autre bel exemple de collaboration entre un homme et une femme (ici, non mariés) est donné par Syméon et Anne : tous deux interviennent lors de la présentation de Jésus au Temple (2,25–38). Seules les paroles de Syméon sont rapportées (2,29–35), mais Anne aussi a parlé de Jésus : à « tous ceux qui attendaient la délivrance de Jérusalem » (2,38). Il est donc vrai que les « premiers chapitres de Lc […] situent immédiatement l’émergence du messie Jésus dans des histoires de couples19 ». Durant son ministère, Jésus ramènera à la vie un jeune homme (7,11–17), puis une jeune fille (8,40–56)20. Il désignera ensuite la femme courbée comme une « fille d’Abraham » (13,16), et appellera Zachée « fils d’Abraham » (19,9). Dans sa prédication, il alterne figures masculines et féminines. Il évoque la veuve de Sarepta et le général syrien Naaman (4,25–27). Il raconte l’histoire du berger qui cherche sa brebis perdue, puis celle de la femme qui a retrouvé sa drachme (15,4–10). On a déjà vu que Luc seul signale que, durant son ministère en Galilée, Jésus était accompagné non seulement par « les Douze », mais encore par plusieurs femmes (8,1–3). Le même mouvement se poursuit dans le récit des Actes. La communauté post-pascale est formée des Onze avec leurs compagnons (cf. Lc 24,33), mais aussi de la famille de Jésus et de femmes (Ac 1,13–14). Les quelque « cent vingt frères » mentionnés juste après incluent celles-ci (Ac 1,15), même si Pierre interpelle l’assemblée au masculin : ἄνδρες ἀδελφοί (Ac 1,16). Plus loin, Luc met en scène deux

19 Lefebvre 2004, 120. 20 Lefebvre 2004, 120.

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couples très actifs, pour le meilleur ou pour le pire : la tricherie d’Ananias et Saphira (Ac 5,1–11) est stigmatisée, et le zèle apostolique d’Aquilas et Priscille souligné (Ac 18,2.18–26 ; cf. Rm 16,3 ; 1 Co 16,19). Étant donné que Gn 3 évoque la complicité de l’homme et de la femme dans l’histoire du péché, et que Luc voit en Jésus le Sauveur de toute l’humanité, il serait sensé que l’enseignement donné par le Ressuscité sur la route d’Emmaüs, pour récapituler tout ce que l’Écriture dit à son sujet, soit adressé à un homme et une femme. Si Luc ne nomme que Cléopas, ce n’est pas forcément parce qu’il a reçu cette information de la tradition21, ni non plus parce que lui-même serait le second marcheur. C’est peut-être parce que, dans le contexte culturel de la Palestine, une femme se devait de rester dans l’ombre. Malgré cela, Cléopas n’est pas le seul à prendre la parole, car la longue réponse à Jésus est le fait des deux marcheurs : οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ (24,19). Ailleurs, Luc fait intervenir Marie et Élisabeth au nom de leur mari (2,48), ou contre la tradition (1,60).

3.5 Un couple en marche ? Cependant, une autre objection est soulevée contre la présence d’une femme à Emmaüs : dans la Bible, le motif de deux personnes marchant ensemble ne concernerait que deux hommes22. Dans l’Antiquité juive, il serait impensable qu’hommes et femmes aient marché ensemble. Cette difficulté n’est probablement pas si ample. Ainsi, le P. Lagrange, fondateur de l’École biblique, qui connaissait bien les mœurs des Juifs de Palestine du début du xxe siècle, guère différentes de celles de l’époque biblique, écrit : « C’est seulement dans la procession solennelle qui conduit une fiancée ou un enfant circoncis que les hommes et les femmes sont séparés23 ». Mais surtout, le fait qu’un homme et une femme puissent faire route ensemble est suggéré par Luc lui-même ! En effet, dans un épisode de l’enfance de Jésus, Joseph et Marie regagnent en couple la capitale pour y chercher Jésus (2,45.51). Et Luc écrit à leur sujet ὑπέστρεψαν εἰς Ἰερουσαλήμ (2,45), formule qu’il n’emploie que cinq fois, mais en particulier dans l’épisode d’Emmaüs24. Un parallèle s’établit alors entre la scène du Temple et celle d’Emmaüs. Et ce n’est d’ailleurs pas le seul entre début et fin de l’évangile.

21 Cf. Fitzmyer 1985, 1554–1572. 22 « [En Lc 24] les deux disciples (deux hommes marchant sur la route comme Saül et son serviteur, comme Jonathan et son écuyer) […] ont maintenant besoin de voir » ; « Les deux pèlerins d’Emmaüs qui marchent sur une route […] s’inscrivent […] dans la lignée des binômes de marcheurs et de quêteurs dont Saül et son serviteur nous ont offert un exemple frappant » (Lefebvre 2004, 363, 420). 23 Lagrange 1941, 94, ad. v. 43. 24 Cf. 24,33 ; 24,53 ; Ac 1,12 ; 12,25. Ailleurs dans la Bible, cette formule est aussi rare : 2 Ch 14,14 ; 1 Esd 5,8 ; 2 Esd 2,1 ; Ne 7,6 ; 1 M 11,51.

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3.6 Deux résolutions d’intrigue (Lc 2,45 ; 24,33) Les deux récits ont en effet bien des points en commun, et méritent d’être lus en parallèle25. De part et d’autre deux personnes font route vers un lieu (καὶ ἐπορεύοντο οἱ γονεῖς αὐτοῦ κατ᾽ ἔτος εἰς Ἰερουσαλήμ, 2,41 ; ἦσαν πορευόμενοι εἰς κώμην, 24,13). Il est question de chercher Jésus ou son corps, et de ne pas le trouver (καὶ ἀνεζήτουν αὐτὸν […] καὶ μὴ εὑρόντες, 2,44b–45a ; καὶ μὴ εὑροῦσαι τὸ σῶμα αὐτοῦ […], αὐτὸν δὲ οὐκ εἶδον, 24,23–24). Il y a donc au départ de l’angoisse (ὀδυνώμενοι, 2,48) ou du désespoir (ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν, 24,21). Puis, après trois jours (μετὰ ἡμέρας τρεῖς, 2,46 ; τρίτην ταύτην ἡμέραν ἄγει, 24,21), l’intrigue se dénoue. Jésus invoque alors le dessein divin (ἐν τοῖς τοῦ πατρός μου δεῖ εἶναί με – 2,49 ; οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ; – 24,26). Luc est de loin l’auteur du Nouveau Testament qui a le plus souvent recours à ce verbe théologique (Lc : 18 fois ; Ac : 24). La réponse de Jésus enfant constitue le premier emploi du δεῖ ; celui du récit d’Emmaüs, l’avant-dernier ; l’ensemble des δεῖ de l’évangile est couronné par le dernier emploi, concernant l’accomplissement des Écritures (δεῖ πληρωθῆναι πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προφήταις καὶ ψαλμοῖς περὶ ἐμοῦ, 24,44). Toute la vie du Messie est ainsi placée sous le signe du δεῖ divin. Sa trajectoire déconcertante, qui le fait passer par la souffrance et la mort, le conduit néanmoins à la gloire divine. C’est ainsi qu’il ouvre à tous ceux qui le suivent26 le chemin de la vie, devenant pour eux « le Prince de la vie » (Ac 3,15). Même s’il est riche, le parallèle entre les deux scènes n’a rien de mécanique. Ainsi, les trajets des voyageurs sont inversés : les parents de Jésus retournent à Jérusalem pour le trouver au milieu des docteurs de la Loi ; les marcheurs d’Emmaüs retournent à Jérusalem après l’avoir reconnu. Malgré tout, le recours à la même expression « retourner à Jérusalem » facilite le rapprochement des deux scènes. Parallèle entre la scène d’Emmaüs et celle du jardin d’Éden, liens multiples entre les scènes lucaniennes du recouvrement au Temple et d’Emmaüs : ces différentes considérations invitent à proposer que la deuxième personne qui marche avec Cléopas soit une femme. Mais le récit lucanien nous réserve d’autres surprises encore. Pour les repérer, il nous faut nous intéresser maintenant au toponyme Emmaüs.

25 Cf. Lefebvre 2004, 240–241. 26 Le chrétien emprunte le même chemin que son maître : διὰ πολλῶν θλίψεων δεῖ ἡμᾶς εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ (Ac 14,22).

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4. De l’Éden à Emmaüs 4.1 Un village sans histoire ? Sur la route, Cléopas et l’anonyme discutent vivement27, tout désemparés. C’est ce qu’ils laissent entendre à l’inconnu, évoquant l’événement tragique qui a ruiné l’espérance qu’ils avaient placée dans le prophète de Nazareth (24,19) : ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν ὅτι αὐτός ἐστιν ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ (24,21). Il faut avoir perdu toute espérance pour employer à l’imparfait le verbe qui, par excellence, parle du futur : « Nous espérions ». L’espérance des disciples n’est plus qu’un vieux rêve démenti par la brutale réalité : Jésus est mort. Malgré sa qualité dramatique, le texte de Luc contient certaines difficultés. Il y a tout d’abord un problème de critique textuelle, concernant la distance entre le village et Jérusalem. Cette difficulté a suscité diverses tentatives d’identification du lieu, à l’époque patristique, au Moyen-Âge ou de nos jours. Cependant, le souci de résoudre cette énigme est assez vain, car il n’est pas sûr que Luc se soit renseigné avec précision sur la distance entre les deux lieux, ni non plus qu’il y attache une grande importance, malgré son aspiration à l’acribie (ἀκριβῶς, 1,3). Lui-même ne connaît pas la Terre sainte : il ne peut donc que l’évoquer de façon indirecte, sans s’embarrasser de l’exactitude des détails28. Comme un historien de son temps, il vise plutôt la vraisemblance, mais pour transmettre un message de fond. Ainsi, il évoque Marie se rendant chez Élisabeth, en une ville de Judée sise « dans la région montagneuse » (1,39), mais Nazareth aussi était située sur une petite hauteur ; et, dans l’épisode du paralytique de Capharnaüm, il remplace le toit de chaume par un toit de tuiles, comme en Grèce ou en Macédoine (comparer Lc 5,19 avec

27 καὶ αὐτοὶ ὡμίλουν πρὸς ἀλλήλους περὶ πάντων τῶν συμβεβηκότων τούτων (Lc 24,14). Très curieusement, dans la Septante, ce verbe ὁμιλέω associé au pronom réciproque ἀλλήλους désigne souvent la relation sexuelle entre un homme et une femme : « Pour nous, ce serait perdre la face de laisser de côté une femme pareille sans avoir eu de relations avec elle (οὐχ ὁμιλήσαντες αὐτῇ) » (Jdt 12,12) ; ὁμιλείτω σοι (Pr 5,19 LXX, la BJ [1956] traduit « Qu’elle s’entretienne avec toi » à partir du grec) ; καὶ στάντες ἐθεωροῦμεν αὐτοὺς ὁμιλοῦντας ἀλλήλοις (Dn-Susanne 37) ; ὑπὸ τί δένδρον εἶδες αὐτοὺς ὁμιλοῦντας ἀλλήλοις (Dn TH-Susanne 54) ; ἐκεῖναι φοβούμεναι ὡμιλοῦσαν ὑμῖν (Dn LXX-THSusanne 57) ; κατέλαβες αὐτοὺς ὁμιλοῦντας ἀλλήλοις (Dn LXX-TH-Susanne 58). Mais le verbe peut aussi évoquer la fréquentation d’un milieu intellectuel, un échange d’idées : « l’homme sans éducation … ne fraie pas avec les sages » (Pr 15,12) ; « ne vous enivrez pas de vin, mais fréquentez les hommes justes, et fréquentez(-les) dans des promenades [ou : des discussions] (Pr 23,31ab) » ; « tiens-toi à ton alliance et occupe-toi d’elle, et vieillis à ton ouvrage » (Si 11,20) ; « et le roi s’entretint avec eux (ὡμίλησεν αὐτοῖς, Dn 1,19), et parmi les sages il n’en fut pas trouvé de semblable à Daniel, Ananias et Misaël ». Pour le substantif ὁμιλία : « ses droits conjugaux » (Ex 21,10, BA) ; « à force de persuasion, elle (la femme étrangère) le (le jeune homme) détourne » (Pr 7,21) ; « la fréquentation assidue de la sagesse procure un jugement avisé » (Sg 8,18) ; « la réunion étant bien avancée » (3 M 5,18). 28 « … given the problem that one has in general about Luke’s knowledge of Palestinian geography » (Fitzmyer 1985, 1562).

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Mc 2,4). De même, sur le plan chronologique, Luc cherche à donner des repères vraisemblables, qui situent le récit dans un contexte donné ; mais certaines informations sont sujettes à caution, comme celle concernant le recensement de Quirinius (2,1–2). Dans le récit des marcheurs (24,13–35), il n’est donc pas certain que la distance entre Jérusalem et la localité mentionnée relève d’un souci de précision géographique : « On peut en conclure que la distance, comme le nom du village, est un élément métaphorique qui prend son sens dans le registre non-littéral29 ».

4.2 Un lien avec le cycle de Jacob ? Le nom du village constitue justement l’autre difficulté du texte. À ce propos, on parle habituellement d’Emmaüs, et on peut s’interroger sur le choix de ce toponyme. Mais le Codex Bezae (D05) en donne un autre : Οὐλαμμαοῦς. Or, ce dernier renvoie à un épisode du cycle de Jacob : καὶ ἐκάλεσεν Ιακωβ τὸ ὄνομα τοῦ τόπου ἐκείνου Οἶκος Θεοῦ. καὶ Οὐλαμλοῦς ἦν ὄνομα τῇ πόλει τὸ πρότερον (Gn 28,19). Le texte hébreu signale que Béthel était autrefois une ville appelée Louz. La Septante a traduit Bethel par Οἶκος Θεοῦ selon l’étymologie, mais a aussi lu l’adverbe qui précède Louz (oulam, « mais ») comme une partie du toponyme. Dans l’édition de Rahlfs, on lit donc Οὐλαμλοῦς, mais certains manuscrits lisent Οὐλαμμαῦς voire Οὐλαμμαοῦς, après assimiliation du lambda au mu. Aussi les défenseurs du Codex Bezae sont-ils persuadés que Luc pensait à Béthel, alias Oulamlous/Oulammaous30. Jenny Read Heimerdinger estime ainsi que Luc emploie le toponyme Oulammaous « comme un “crochet” pour relier l’histoire des deux disciples qui rencontrent Jésus ressuscité, à l’histoire de Jacob qui rencontre Dieu31 ». Elle souligne le « parallélisme thématique » entre les deux récits. À la question cruciale de savoir pourquoi Luc agirait ainsi, elle répond que les disciples marchant vers Oulammaous ont quitté « la ville sainte » et fui « l’autorité de la Loi », comme s’ils craignaient « de subir le même sort que leur maître, soit par un jugement humain – les autorités du Temple – soit par un châtiment divin »32. Luc aurait donc délibérément multiplié les références au patriarche Jacob, dans une version « écrite d’un point de vue juif », à une « époque précédant celle où le christianisme est devenue une religion distincte du judaïsme »33.

Read Heimerdinger 2012, 603. Voir en ce sens Read Heimerdinger 1999 ; Read Heimerdinger 2012. Read Heimerdinger 2012, 603. Read Heimerdinger 2012, 604. Mais l’explication par la peur des autorités du Temple conviendrait mieux au récit johannique, où les disciples sont enfermés à double tour au soir de Pâques par peur des « Juifs » (Jn 20,19). 33 Read Heimerdinger 2012, 607. De même, le baiser de Judas répéterait celui de Jacob à son père Isaac : ἐγγίσας ἐφίλησεν αὐτόν, Gn 27,27 LXX // τὸν Ἰησοῦν, Lc 22,47 D05 (Read Heimerdinger 2012, 605). Mais ce rapprochement nous éloigne de Lc 24. 29 30 31 32

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Cette explication laisse dubitatif : pourquoi Luc, fût-ce dans une version ancienne, un « Urtext », se serait-il intéressé à l’interprétation juive d’un épisode de la vie de Jésus ? Qu’il soit un bon connaisseur de la Septante, et veille à conformer certaines de ses pages (notamment Lc 1–2) à la stylistique deutérocanonique, on en conviendra. Mais pourquoi aurait-il privilégié une version juive pour un récit majeur sur la rencontre avec le Ressuscité ? Une rencontre qui, selon cette supposée version juive, serait en réalité un demi-échec. On ne peut pas non plus penser que Luc établirait un rapport avec « Béthel », la Maison de Dieu de Gn 28, lieu idéal pour expliquer les Écritures et rompre le pain. Car, pour cela, il faudrait supposer que Luc voue son lecteur à revenir de Oulammaous à la traduction grecque de Béthel. En effet, l’ancien toponyme Louz, manifestement à l’origine de la leçon Ουλαμμαους de D05, ne signifie pas « Maison de Dieu ». Le toponyme donné par D05 sent la contamination : le début du mot est fidèle à l’adverbe hébreu, mais la fin rappelle l’Emmaüs connu de tous les autres manuscrits. Le choix par Luc de la leçon Ουλαμμαους serait alors extrêmement difficile à expliquer, sauf à recourir à une argumentation sophistiquée. Il y a donc peu de chance que D05 nous ait conservé le toponyme original. Cette leçon ne peut pas être retenue34 : c’est Emmaüs qu’il faut garder.

4.3 Un lien avec Judas Maccabée Mais alors se pose une autre question. Dans un récit où le Ressuscité insiste tant sur l’importance des Écritures, ne convient-il pas de chercher un livre biblique, qui contiendrait le toponyme Emmaüs ? Or, si l’on prend le concept de « livre biblique » dans un sens élargi35, en incluant la littérature juive de langue grecque de la Septante, un tel livre existe bien. En effet, dans le premier livre des Maccabées, que Luc semble connaître, un épisode important de l’histoire d’Israël se déroule dans une plaine autour de la ville d’Emmaüs : lorsque l’armée syrienne a menacé la troupe des Juifs, menée par Judas et ses frères, celle-ci l’a emporté contre toute espérance (1 M 3,40.57 ; 4,3). Certes, deux objections se présentent immédiatement face à cette hypothèse. Tout d’abord, l’irritante question de la distance, déjà évoquée plus haut. Puis, le fait que Luc parle d’un village, κώμη, alors que la localité connue des Maccabées était une ville importante de Judée. Pour certains, cette deuxième objection suffit

34 Oulammaous « is well-nigh inexplicable, unless it is a corruption of the ancient name of Bethel [Oulamlous] » (Fitzmyer 1985, 1561). 35 Rappelons que l’idée de canon des Écritures est à peine naissante. Depuis Ben Sira, les Écrits reçus par les Juifs sont distingués en trois catégories : la Loi, les Prophètes et les autres Écrits (Si Prol 1.8–10.24–25). Luc connaît cette répartition, qu’il exprime avec une légère différence dans le passage qui suit le récit d’Emmaüs : la Loi de Moïse, les Prophètes et les Psaumes (24,44).

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à écarter le lien entre le texte de Luc et celui de 1 Maccabées36. Mais, à nouveau, on peut douter que Luc ait eu le souci de décrire la réalité exacte d’un terrain qu’il n’a jamais fréquenté. S’il a voulu évoquer l’Emmaüs des Maccabées, c’est sans doute pour d’autres raisons qu’un souci d’exactitude géographique. C’est pourquoi il importe de repérer d’éventuels liens littéraires entre les deux récits, si différents qu’ils soient dans les événements qu’ils rapportent. En réalité, les rapprochements lexicaux entre 1 M 3–4 et Lc 24 ne sont pas rares. Outre le toponyme (Αμμαους, 1 M 4,3 ; Ἐμμαοῦς, Lc 24,13), il y a la formule « toutes les choses qui se sont passées » : περὶ πάντων τῶν συμβεβηκότων τούτων (Lc 24,14). Elle n’est employée qu’ici par Luc (avec Ac 3,10), mais se lit six fois dans la Septante, dont deux en 1 Maccabées : παραγενηθέντες ἀπήγγειλαν τῷ Λυσίᾳ πάντα τὰ συμβεβηκότα (1 M 4,26) ; διηγήσαντο αὐτοῖς ἅπαντα τὰ συμβεβηκότα τοῖς ἀδελφοῖς αὐτοῦ (1 M 5,25)37. On repère encore la forme verbale ἐπέγνωσαν (1 M 3,42 ; Lc 24,31; voir aussi v. 16), le verbe rare ἀθροίζω, « rassembler »38 (1 M 3,44, ἠθροίσθη ; Lc 24,33, ἠθροισμένους). Enfin, des expressions voisines se lisent de part et d’autre. Ainsi pour le rapport aux Écritures : καὶ ἐξεπέτασαν τὸ βιβλίον τοῦ νόμου (1 M 3,48) // ἀρξάμενος ἀπὸ Μωϋσέως […] ἐν πάσαις ταῖς γραφαῖς (Lc 24,27). Ces rapprochements lexicaux pourraient n’être que fortuits, mais leur accumulation construit un effet de miroir d’un livre à l’autre39. Cependant, le rapprochement le plus net concerne l’allusion à la délivrance d’Israël : καὶ γνώσονται πάντα τὰ ἔθνη ὅτι ἔστιν ὁ λυτρούμενος καὶ σῴζων τὸν Ισραηλ

Alors toutes les nations connaîtront qu’existe (bien) celui qui délivre et sauve Israël (1 M 4,11) 

ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν ὅτι αὐτός ἐστιν ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ

Et nous, nous espérions que lui était (bien) celui qui allait délivrer Israël (Lc 24,21)

36 « Luc qui donne le nom de πόλις [ville] aux moindres villages n’aurait pas employé κώμη [village] pour désigner Emmaüs, une des cités fortes de la Judée » (Lagrange 2017, 634, n. 12). 37 Les autres emplois sont : ἀπήγγειλαν αὐτῷ πάντα τὰ συμβεβηκότα αὐτοῖς (Gn 42,29) ; διηγήσαντο αὐτῷ πάντα τὰ συμβεβηκότα αὐτοῖς (Jos 2,23) ; διηγήσατο Αμαν πάντα τὰ συμβεβηκότα αὐτῷ (Est 6,13) ; ἤκουσαν δὲ … πάντα τὰ συμβεβηκότα αὐτῷ (Jb 42,11). 38 Ce verbe est parfois attesté dans la Septante, dont 7 fois en 1 M : Gn 49,2 ; Nb 20,2 ; 1 Rgn 7,5 ; 4 Rgn 6,24 ; 1 Ch 16,35 ; Jr 18,21 ; Ez 36,24 ; 1 M 3,13,44 ; 9,28 ; 11,1.60 ; 13,2 ; 14,30 ; 3  M  1,20 ; 6,25. Dans le Nouveau Testament, Lc 24,33 constitue un hapax. 39 « [Il y a des cas où] le renvoi intertextuel constitue un véritable dispositif narratif, puisque le fonctionnement même du récit contraint le lecteur à rechercher l’intertexte manquant » (Nihan 2000, 49).

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Même si d’autres passages évoquent le salut d’Israël (par ex., le Deutéro-Isaïe), aucun verset biblique n’est aussi proche de la plainte de Cléopas que 1 M 4,11. L’allusion à la délivrance d’Israël est faite quasiment dans les mêmes termes dans les deux livres. Pourtant, ce lien est souvent resté inaperçu40. Certes, de 1 M 4 à Lc 24, les situations sont très différentes. Cependant, les sentiments des protagonistes sont du même ordre. Ainsi, la petite troupe des Juifs est effrayée à l’idée de devoir combattre contre la puissante armée ennemie, et Judas Maccabée les exhorte à la confiance en Dieu. Il les assure de la victoire, qui ne peut venir que de Dieu. Il y voit même un test qui permettra de faire connaître la gloire du Dieu d’Israël, à la manière dont Ézéchiel annonçait le retour inespéré des exilés en terre d’Israël : « alors, toutes les nations sauront que … » (1 M 3,11a // Ez 36, 23.36 ; 37,28 ; 39,7.23). Ce que Judas annonce à ses troupes, c’est que « Celui qui délivre et sauve Israël existe bel et bien ». Cléopas, lui, se souvient d’avoir espéré avec d’autres (« nous ») que Jésus était bien « Celui qui délivrerait Israël ». Si Jésus est le Messie fils de David, Luc voit aussi en lui un nouveau Judas Maccabée : « Jésus de Nazareth, qui fut un prophète puissant en action et en parole devant Dieu et devant tout le peuple : comment nos grands prêtres et nos chefs l’ont livré pour être condamné à mort et l’ont crucifié. Et nous, nous espérions qu’il était celui qui allait délivrer Israël » (Lc 24,19–21).

5. Luc et 1 Maccabées La découverte de liens lexicaux et thématiques – la peur ou le désespoir, qui font place à l’action de grâce ou à la joie – entre le récit lucanien d’Emmaüs et 1 Maccabées ne constitue pas une exception. En réalité, Luc a établi d’autres liens lexicaux au sein de son évangile, entre le récit d’Emmaüs et les cantiques de Marie (Magnificat) et de Zacharie (Benedictus), rédigés à la manière des Septante. Or, certains auteurs ont souligné les liens entre cantiques lucaniens et récits de batailles maccabéens, notamment pour la bataille d’Emmaüs. Ainsi, Ulrike Mittmann-Richert voit dans le Magnificat « ein Danklied nach errunge�nem Schlachtensieg41 ».

40 Fitzmyer mentionne 1 M 4,11 sans insister, parmi d’autres versets bibliques (Fitzmyer 1985, 1564). Uytanlet n’indique ni 1 M 4,11 ni Lc 24,21 (Uytanlet 2014). Jantsch cite Lc 24,21, mais ne renvoie jamais à 1 M 4,11 (Jantsch 2017, 43, 298, 329, 378, 385). Beale donne 7 critères pour détecter une allusion à un passage de l’AT dans le NT (Beale 2012, 33) : les liens établis ici entre Lc et 1 M s’y conforment largement. 41 Mittmann-Richert 1996, 69 et n. 30.

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Le motif du Dieu sauveur, qui « se souvient de sa miséricorde » ou de son « serment » conclu avec les pères, traverse l’Écriture. On le rencontre en particulier dans les psaumes, dont la forme hymnique n’a pas pu ne pas influencer la rédaction des cantiques par Luc. Mais on le retrouve encore dans les écrits deutérocanoniques, et tout particulièrement en 1 Maccabées42. Cependant, Mittmann-Richert n’insiste pas sur l’Emmaüs des Maccabées, et ne fait pas davantage le lien avec celui de Luc. Une fois de plus, des liens discrets, mais réels, sont passés inaperçus. Il semble que les lecteurs de Luc soient à l’image des marcheurs d’Emmaüs : leurs yeux sont empêchés de reconnaître les liens avec les Écritures qui les précèdent (cf. Lc 24,16). De son côté, Jantsch a perçu de plus nettes connexions intratextuelles entre récit lucanien d’Emmaüs et Benedictus : « Die Heilserwartung einer „Erlösung Jerusalems43“ (Lk 24,21) – und das bedeutet: die Befreiung des jüdischen Volkes von seinen Feinden (Lk 1,71.74)44. » Or, ces liens entre passages lucaniens se déploient aussi en direction de 1 Maccabées, et de manière plus solide que pour le Magnificat : Lc 168 Εὐλογητὸς κύριος ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ, ὅτι ἐπεσκέψατο καὶ ἐποίησεν λύτρωσιν τῷ λαῷ αὐτοῦ, καὶ ἤγειρεν κέρας σωτηρίας ἡμῖν ἐν οἴκῳ Δαυὶδ παιδὸς αὐτοῦ, 70 καθὼς ἐλάλησεν διὰ στόματος τῶν ἁγίων ἀπ᾽ αἰῶνος προφητῶν αὐτοῦ, 69

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σωτηρίαν ἐξ ἐχθρῶν ἡμῶν

καὶ ἐκ χειρὸς πάντων τῶν μισούντων ἡμᾶς, 72 ποιῆσαι ἔλεος μετὰ τῶν πατέρων ἡμῶν καὶ μνησθῆναι διαθήκης ἁγίας αὐτοῦ […] 74 ἀφόβως ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ῥυσθέντας λατρεύειν αὐτῷ …

Lc 168 Béni soit le Seigneur, le Dieu d’Israël, parce qu’il a effectué sa visite et accompli la délivrance pour son peuple, 69 et nous a suscité une corne de salut dans la famille de David, son serviteur. 70 Selon ce qu’il avait déclaré par la bouche de ses saints prophètes d’autrefois : 71 un salut [qui nous libère] de nos ennemis et de la main de tous ceux qui nous haïssent. 72 Pour faire miséricorde à nos pères et se souvenir de son alliance sainte […] 74 sans crainte, libérés de la main des ennemis, lui rendre un culte …

42 Mittmann-Richert 1996, 14–15. 43 Sic ! On devrait lire : Israels. La « délivrance de Jérusalem » est mentionnée par Luc en 2,38. 44 Jantsch 2017, 329. Voir encore p. 43 : « In Lk 1,68 bezieht sich die „Erlösung“ auf die Rettung Israels von seinen Feinden durch den davidischen König, womit Gott den Bund mit den Patriarchen hält (vgl. 1,68–74) […] Auf dieser Linie liegt dann auch die Verwendung des Verbs in Lk 24,21, wo die Emmausjünger resigniert ihre enttäuschte Hoffnung ausdrücken, dass Jesus „der sei, der Israel erlösen solle“. »

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Luc Devillers

1 M 4 9 μνήσθητε ὡς ἐσώθησαν οἱ πατέρες ἡμῶν ἐν θαλάσσῃ ἐρυθρᾷ ὅτε ἐδίωκεν αὐτοὺς Φαραω ἐν δυνάμει  καὶ νῦν βοήσωμεν εἰς οὐρανόν εἰ θελήσει ἡμᾶς καὶ μνησθήσεται διαθήκης πατέρων καὶ συντρίψει τὴν παρεμβολὴν ταύτην 10

κατὰ πρόσωπον ἡμῶν σήμερον 11 καὶ γνώσονται πάντα τὰ ἔθνη ὅτι ἔστιν ὁ λυτρούμενος καὶ σῴζων τὸν Ισραηλ.

1 M 4 9 Souvenez-vous comment furent sauvés vos pères à la mer Rouge quand Pharaon les poursuivait avec puissance. 10 Et maintenant, crions vers le Ciel, s’il veut de nous. Alors il se souviendra de l’alliance des pères et il écrasera cette armée-là devant nous aujourd’hui. 11 Alors toutes les nations sauront qu’il y a quelqu’un qui délivre et sauve Israël. »

C’est donc finalement un rapport à trois termes qui s’offre à nous : liens intratextuels entre Lc 24,13–35 et Lc 1,68–79, mais aussi entre Lc 24,13–35 et 1 Maccabées, ainsi qu’entre 1 Maccabées et Lc 1,68–79. Si l’on ne veut pas complètement exclure le Magnificat, et si l’on se souvient de la marche vers Jérusalem du couple Marie-Joseph lorsque Jésus avait douze ans, on constate alors que c’est l’ensemble des récits et cantiques de l’Évangile de l’Enfance qui mérite d’être rapproché du récit lucanien d’Emmaüs, sur l’arrière-fond de 1 Maccabées.

6. Conclusion Le récit d’Emmaüs est une des pages les plus célèbres de Luc, probablement même de la Bible. Il a inspiré de nombreux peintres. Magnifiquement construit, riche en théologie, il nous révèle l’étonnante qualité de son auteur45. Il peut fort bien être lu pour lui-même, et c’est le sort qu’on lui réserve habituellement. Cependant, il s’harmonise aussi parfaitement avec les épisodes qui l’entourent : la visite des femmes au tombeau et ses conséquences (24,1–12), et l’apparition et l’enlèvement du Ressuscité au soir de Pâques (24,36–53). On peut même dire qu’il constitue le centre littéraire et théologique du ch. 24. Ce n’est pas tout : cet épisode fait écho aux premières pages de l’évangile, où Luc imite le style de la Septante. Or, à sa façon, lui aussi nous renvoie à la Septante. Non plus par le moyen d’une imitation stylistique, mais par le fait d’une inspiration

45 Pour la Formgeschichte et la Redaktionsgeschichte de cet épisode, voir Bovon 2009, 439–440. Quelle que soit la part qui revient à ses sources, Luc mérite d’être vu comme l’auteur du magistral récit actuel.

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plus large : tous les livres transmis par la Septante – de Genèse à 1 Maccabées – parlent de Jésus sauveur d’Israël et des nations. Les deux marcheurs d’Emmaüs ont reçu de la part du Ressuscité une magnifique leçon d’exégèse. Dès leur retour à Jérusalem ils racontent ce qu’ils ont vu et entendu aux onze apôtres comme à leurs nombreux compagnons. Le récit des Actes des apôtres poursuit l’histoire de la fécondité de la Parole de Dieu dans le cœur des croyants, en l’étendant sur le plan géographique jusqu’à Rome, capitale de l’oikoumenè. Mais, comme des commentateurs contemporains n’hésitent pas à le reconnaître, il n’épuise pas davantage le propos de Luc, comme si la communication de la Bonne Nouvelle aux nations ne faisait que commencer. Le récit d’Emmaüs nous invite alors à revisiter toute l’Écriture, afin d’ajuster sur elles la vie de chaque génération de croyants, hommes et femmes.

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Luc Devillers

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James M. Morgan

Marvelous Women of Prophecy in the Narrative Strategies of Herodotus’s Histories and Luke-Acts 1. Introduction In the Greek historiographical tradition, Herodotus and Saint Luke stand out in a few ways from historians of their times. One way is their inclusion of women in their histories, both quantitatively and qualitatively. Another way is their substantial inclusion of the divine sphere as a part of their descriptions of human history. This essay then explores the link between these two interests: women and the divine. For the limits of this contribution, the comparison will be on the narrative significance of women in relation to divine communication.1

1.1 Marvelous women and prophecy in the Histories and Luke-Acts? When Herodotus (484–430/420 ca. BCE) describes what he wishes to preserve from fading away in time through his ἱστορίη (inquiry, research)2, he says that it is “the great and the marvelous deeds” (ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά, Hdt. 1.praef.2– 3).3 For this, he extends his net widely, investigating deeds among the Greeks and the Barbarians. Thus, with respect to his narrative interests, the sky’s the limit! His main line of investigation, however, explores the causes of the hostility between the Greeks and the Barbarians (Hdt. 1.praef.3). This provides the overall structure and the red thread throughout the nine volumes. Yet the Histories is no pure military or political history. While he develops the central theme of conflicts between the Greeks and (primarily) the Persians, he describes on the way what is worth reporting, the great and the marvelous. In modern terms then, Herodotus does the work 1 2 3

I count it a privilege to be one of the contributors to honor our colleague Max Küchler. I hope this article, which covers in two ways much space and time, will shed some light on the study of women’s roles in antiquity. In the Histories ἱστορίη in Ionic Greek; ἱστορία in Attic Greek. References to the Greek text of the Histories are taken from Herodotus 2015 (Wilson), consulted on the site of the Thesaurus Linguae Graecae.

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of an historian and an ethnographer, as he is interested not only in events, but also in individuals within their societies. His curious mind seeks to make sense of how things work, particularly relationships, for example, among Greeks and Barbarians, men and women, nature and humans, even gods and humans. Within this rich spectrum, quite a few marvelous women appear in the Histories. This explains the spark that set off the main line of inquiry for this contribution. Yet, as the title suggests, what justifies this comparison between Herodotus and Luke’s writings? Something that may surprise modern readers is that both Herodotus and Luke – in comparison to other historians of antiquity – gave significant attention to the roles that women played in the periods they describe.4 Although 500 years lie between these fathers of historiography, a comparison of this shared interest is justified, since Luke also highlights the significant contributions of women, who, by virtue of their character and actions, merit the epithet of ‘marvelous’.5 For the present contribution, however, this comparison of marvelous women is too broad. The focus will be sharpened by exploring another aspect that these two historians have in common, namely, divine involvement in human affairs. As regards Luke’s double work (‘Luke-Acts’), this theological aspect is quite evident and requires no justification. As for Herodotus, scholars have long noticed his interest in the involvement of the divine in human and natural affairs.6 He provides several examples where the divine is perceived as influential in the human sphere. He also describes human responses to the divine through various religious rites and practices. Given that that divine and religious aspects play such an important role in the narrative strategies of both authors, their works may be qualified as theological historiography or, better, prophetic historiography.7 For these reasons, we will examine the portrayals of those women who participated in or were greatly influenced by divine communication, that is, the oracular and the prophetic. In short, we shall observe and compare marvelous women of prophecy in two different prophetic traditions. Due to the considerable amount of material, this analysis will pay special attention to the narrative significance of women and prophecy in the initial logoi in the Histories and Luke-Acts. Indeed, these two interests were shared by Herodotus and Luke: the roles of women and the role of the divine in human history. I will try to put the two together and finally consider how they intersect in history. 4

By ‘Luke’ I follow the traditional attribution of the Gospel of Luke and the Acts of the Apostles to a person named Luke. Although I think it can be argued that this Luke could have been one of Paul’s colleagues, it is not necessary to explore here the various options, since the discussion does not depend on this position. It does assume, however, that the author had an excellent understanding of Greek and Jewish customs and beliefs throughout the Mediterranean basin in the first century CE. 5 Just as Herodotus can rightly be called the “father of history” as did Cicero (Leg. 1.1.5), Luke also can be considered the father of Christian (or Messianic) historiography. 6 See, for example, Kirchberg 1965; Lachenaud 1978; Burkert 1990; Gould 1994; Harrison 2000; Mikalson 2003; Kindt 2006; and Scullion 2006. 7 Cf. Morgan 2019.

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1.2 The visibility of women in the Histories and in Luke-Acts Experienced readers of the Histories and of Luke-Acts will recognize the attention that our two authors give to women and their part in their histories. For those with less familiarity with one or the other, a brief survey is provided here for some background information, which will be expanded in later sections. It is timely to explore women and prophecy in tandem since substantial works have been published recently on both aspects. When one speaks of women’s visibility, it is generally meant in a comparative sense, that is, compared to other works of their times. In fact, it is patent that neither the Histories nor Luke-Acts are primarily about women. Their perspectives, however, are unique when compared to authors of their times and the patriarchal milieus in which they wrote. This sensitivity seems to reflect their universal outlook on human existence, which included men and women performing various roles in society. Concerning Herodotus’s narrative representation of women, John Gould remarks that Herodotus “shows himself remarkably sensitive to the full range of human experience as it is lived by women,” which underlines “the visibility of women in the world as Herodotus presents it.”8 In fact, narratively, Erwin Wolff has shown how Herodotus’s portrayal of women, at the beginning and the end of the work, offers a key to the narrative’s structure.9 This feature of the Histories stands out in general in Greek historiography, and it can be illustrated by a comparison: Herodotus mentions women and the feminine 375 times,10 while his immediate successor, Thucydides, mentions women less than fifty times.11 In Josine Blok’s analysis, “women play a salient role” in the Histories, and their “participation in the narrated historical events is thoroughly intertwined with all other aspects of the Histories.12 Indeed, as mentioned above, one of these key aspects of the Histories is the relationship between the divine and humans. Women also play a role in this regard, and an excellent example of this, as we will consider below, is the role of the Pythia, the priestess of Apollo at the Delphic Oracle. Other women are mentioned in relation to prophecy, but she is by far Herodotus’s most important woman, and thus will be the main focus of our discussion on his narrative strategies.

  8 Gould 1989, 130. In addition to studies discussed below, many others have explored aspects of the portrayal of women in the Histories: Sancisi-Weerdenburg 1983; Munson 1988; Gray 1995; Hazewindus 2004; Larson 2006; Anhalt 2006; and Rosselini/Saïd 2013.   9 Cf. Wolff 1964. 10 Cf. Dewald 2013, 152. 11 Wiedemann 1983, 163, counts less than fifty occurrences in Thucydides’s work, including references to women/wives, mothers, priestesses, etc. The comparison is approximate due to the items counted, but it does provide a good idea about the inclusion of women in the narratives of the two authors. 12 Cf. Blok 2002, 225.

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As regards Luke’s writings, recent studies demonstrate a continued interest in Luke’s portrayal of women.13 It is generally known, that, compared to the other Gospels, the third Gospel provides more information about women and their place in Jesus’s ministry and teaching.14 Alfred Plummer, for example, rightly places this element within Luke’s emphasis on the universality of God’s plan.15 Evidence for this aspect can be found in the multiple parallels of events and parables involving men and women (e. g., the annunciations of Gabriel to Zechariah and Mary; the songs of Mary and Zechariah; the praising of Simeon and Anna, etc.). Plummer signals how Luke’s Gospel gives “a prominent place” to women, as well as a good variety of types of womanhood. As in Herodotus’s times, Luke’s portrayal of women went against Jewish and Gentile perspectives on women. For these reasons, Plummer nicely describes passages highlighting women as “the Gospel of Womanhood.”16 For the specific question about women and prophecy in Luke-Acts, it is helpful to situate Luke’s writings within their principle theological inspiration, the Jewish prophetic tradition.17 Women are specifically identified as prophets in other biblical books. The Hebrew Bible mentions five: Miriam (Exod 15.20), Deborah (Judg 4.4), Huldah (2 Kgs 22.14; 2 Chr 34.22), an unnamed prophetess with whom Isaiah had a son (Isa 8.3), and Noadiah (Neh 6.14). Further, the prophets Joel (2.28/3.1) and Ezekiel (13.17) mention daughters who (will) prophesy. In the New Testament, women who are specifically qualified by ‘prophetess’ or ‘to prophesy’ are Anna (Luke 2.36–38), the four daughters of Philip (Acts 21.9), women who prophesy in Corinth (1 Cor 11.5), and, finally, Jezebel a false prophetess in Rev 2.18–28.18 Comparatively, Luke’s interest comes to the fore. This element, however, increases when other women are included who speak under the direction of the Holy Spirit (Elizabeth, Mary). Also, it is noteworthy that Luke is the only NT writer who cites Joel’s prophecy about the outpouring of the Spirit (Acts 2.17–21). This then provides the basis for this comparison between women and prophecy as related by two historians from different theological perspectives.

13 For example, Quesnell 1983; Ryan 1985; Portefaix 1988; D’Angelo 1990; Karris 1994; Seim 1994; Black 1995; Arlandson 1997; Levine 2002; Reid 2011; Spencer 2012; Forbes/Harrower 2015; and Shillington 2015, 117–138. 14 Cf. Scholer 1992, 880.885–886. Shillington 2015, 120, provides a helpful table of statistics for occurrences of men and women in the Synoptic Gospels. Luke’s Gospel has the highest number of women (80; Mark 8; Matt 16), and the lowest ratio between male and female (3.2:1 compared to 6.5:1 in Mark; 4.7:1 in Matt). Shillington rightfully indicates that Luke’s Gospel is longer than the other two: 91 pages of text compared to Matthew’s 83 pages and Mark’s 43 pages. 15 Cf. Plummer 1922, xlii–xliii; Green 1997, 317–319. 16 Plummer 1922, 528. Plummer provides there a good, but non-exhaustive, list of key passages. Talbert 2002, 93, indicates those passages concerning women that are found only in Luke. 17 For a comparison of oracular traditions in Delphi and the Near East, see Huffmon 2007. 18 The Talmud also adds Sarah, Hannah, Abigail, and Esther. See Reid 2011, 50 n. 20.

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1.3 Preliminary remarks Before proceeding with this study that covers much ground, a few preliminary remarks are in order. First, this contribution considers the stated questions from a historiographical angle rather than purely historical. In other words, the focus will be on how our two authors represent people and subjects, rather than focusing on questions of historicity, whether what they affirm is factual or not. I do recognize fully that their interrelationship is pertinent; thus, some background material is provided. The comparison explores two master narrators from two distinct world­views and time periods. It is crucial, then, to reserve judgment on their representations, and to explore each historian on their own terms, without imposing extrinsic notions. The point is that both authors make use of oracular and prophetic exempla as additional authoritative voices, or as mouthpieces for the historian.19 Second, it is essential to acknowledge that what we know about women in antiquity derives from sources written by men. In the times depicted by Herodotus and Luke, women lived primarily in patriarchal societies, and history-­writing was performed mainly by men. This means that women’s roles were generally not in leadership, and their actions, whether good or bad, were portrayed by men who had their own interests and biases. This said, I think this study, as others have shown, may help to appreciate the unusual sensitivity toward women on the part of Herodotus and Luke. Finally, of course, my account of this is colored by my own male perspective. Yet, despite this, it is hoped that something good can be gleaned from it.

2. Marvelous women of prophecy in Herodotus’s Histories 2.1 A brief history of the Delphic Oracle and the Pythia In order to appreciate the role of the Pythia in Herodotus’s Histories, we consider here briefly the history of the Delphic Oracle, which was the most famous oracular institution among the ancient Greeks (the Hellenes).20 Of all forms of divination, it was the most prestigious and influential, so much that Greeks and non-Greeks

19 I am indebted to Kindt 2006, 35.44, for these expressions. The latter of which is probably inspired by Pearson and Sandbach’s translation of Plutarch’s accusation of Herodotus in On the Malice of Herodotus (Plut. mor. 871D; not 871E as she indicates on p. 45 n. 59): “but he uses the Pythian god as his mouthpiece,” which is a creative translation of ἀλλὰ τῷ τοῦ Πυθίου προσώπῳ χρώμενος. 20 For historical sketches of the Delphic Oracle, see Fontenrose 1978, 1–10; Bowden 2005, 12–39; Scott 2014, 9–50; and Kindt 2016, 1–15.

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traveled from long distances to consult Apollo.21 In addition to Herodotus’s His­ tories, several ancient writings attest to the Delphic Oracle.22 Plutarch, for example, exalts its status as being “the most ancient in time and the most famous in repute” (Plut. mor. 414B). Its longevity is remarkable, lasting from (at least) the eighth century BCE until the end of the fourth century CE.23 Owing to its prestige for all Hellenes, it was considered a Panhellenic temple, and as such was administered by an independent governing body called the Amphiktyonic Council. Its belonging to all Hellenes meant that cities paid homage in various ways to Apollo, for example, by building houses and filling them with gifts and tributes in his honor (often called ‘treasuries’). Twenty-seven of these structures existed at the end of the fifth century.24 Therefore, by Herodotus’s times in the fifth century, Delphi had already become an inter-Hellenic center for cult and banking. Two main reasons undergird the prestige of the Delphic Oracle in Greek culture: the authoritative inspiration of Apollo and the sanctity of the site.25 Compared to other oracular centers and numerous forms of divination, Delphi’s temple was the only one linked to the voice of a god.26 Consultants were drawn to Delphi to receive Apollo’s counsel via the Pythia.27 Furthermore, two traditions anchored this site as one of the most sacred places for all Greeks. It was considered the navel (omphalos) of the earth. One legend locates it there as defined by Zeus who had sent out two eagles who collided and landed on the ancient site now called Delphi (cf. Pindar fr. 54). Another tradition, the Homeric Hymn to Apollo (lines 281–374), recounts how Apollo – in search of a location for his oracle – found the most suitable site in Crisa (often used to denote Delphi). First, however, he had to defeat the she-dragon, which he successfully accomplished. The dragon’s body then decayed from the scorching sun; hence, the name of the location Pytho, from the Greek puthein ‘to rot’.28 From this point on, a sanctuary was dedicated to Pythian Apollo. Again, the Homeric Hymn to Apollo (247–253) provides an idea about how the Greeks perceived Apollo’s purposes for the oracle, “to whom I could give unfailing advice (nēmertea boulēn) through

21 Fontenrose 1978, 1–4; Price 1985, 131. For example, Herodotus describes the fascinating inter­ action between Croesus and the Delphic Oracle (Hdt. 1.87–91). 22 As far as ancient texts that treat the question of the Delphic Oracle, the most extensive are Homeric Hymn to Apollo (hymni Homerici 3) (sixth c. BCE) and Plutarch’s The Oracles at Delphi no longer given in Verse, and The Obsolescence of Oracles (first c. CE). 23 Archeological evidence places its existence securely in the eighth century BCE. Scott 2014, 45–50. 24 Cf. Price 1985, 131. 25 Cf. Fontenrose 1979, 238–239. 26 On various types of divination in Greece such as oracles and hepatoscopy (liver divination), see Bowden 2005, 1–11. 27 The Oracle of Zeus in Dodona was also one of the most prestigious, but priests there interpreted the will of the god through the analysis of the rustling leaves of an oak tree. Sourvinou-Inwood 2012, 429. 28 Cf. Scott 2014, 31–32. See Fontenrose 1978, 1, for other sources containing the myth that Ge (earth) and Themis (her daughter) had spoken oracles at Pytho.

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the prophetic responses in the rich temple.”29 Apollo could only be consulted in the innermost sanctuary (the adyton) via his intermediary, the priestess Pythia.30 Regarding these legends, Joseph Fontenrose writes, “Whatever Delphic origin myth a Hellene accepted, he firmly believed that the Oracle had been active in the later Bronze Age.”31 Fontenrose indicates various sources that provide evidence for previous oracular activity there, but was not yet connected to the cult of Apollo whose temple was established there in the eighth century BCE.32 Based on the sanctuary’s eminent reputation, it does not seem an exaggeration to affirm that the Pythia exercised the most important role among women in the ancient Mediterranean basin. This fact is quite remarkable for two reasons: Greek culture was highly patriarchal (e. g., only men could consult the Oracle!), and it was unusual for a male god such as Apollo to have a female intermediary.33 Her essential role was to be a channel for the voice of Apollo. All this underlines the unique status of the Pythia, who, for Herodotus, was nothing less than ‘marvelous’. The Pythia (or Pythias) was completely dedicated to the Oracle’s service for life.34 The Pythia’s position could only be occupied by women from families of Delphi. The importance of the presence of Pythion (Apollo) and the Pythia in Delphi is confirmed by the quadrennial Pythian Games beginning in 586 BCE. The name of the first Pythia, Phemonoe, meaning literally “prophetic mind,” illustrates well her oracular function.35 Disagreement subsists concerning the Pythia’s role in providing responses to the Oracle’s consultants.36 Herodotus, for example, never explains how it worked and thus seems to take for granted that his readers have knowledge of it. Recent proposals about what actually happened during the “mantic session” and the Pythia’s role thereof are mainly due to a lack of information, even conflicting material, ranging from ancient sources (of various literary forms and periods) to recent geological research in and around Delphi.37 Fontenrose challenges “several cher-

29 Quotation taken from Price, 1985, 143. 30 ‘Pythia’ appears in the Greek texts as Πυθία (Xen. mem. 1.3.1) and Πυθίη (Ionic, such as Hdt. 1.13.2 and Callim. fr. 194.26 (cf. Montanari 2015). A search of both forms in the corpus of the Thesaurus Linguae Graecae yields 786 occurrences of which 64 are found in Hdt. 31 Fontenrose 1978, 1. 32 Cf. Fontenrose 1978, 4. 33 Cf. Bowden 2005, 25. 34 Plutarch (mor. 414B) informs that during its busiest times in the past the Delphi Oracle required up to three Pythias, two ordinary ones and one understudy if needed. See Scott 2014, 12. These “ordinary women” remained chaste throughout their terms of service (Sourvinou-Inwood 2012, 429). Bowden 2005, 16, and Graf 2010, 389, however, maintain that evidence is not sufficient to know exact details of her service. 35 Scott 2014, 310 n. 5. Other occurrences of Φημονόη are found, for example, in Hes. Frg. 226 and Strab. 9.3.5). 36 Scott 2014, 20; Flower 2018, 34. 37 For the procedures of the consultation, see Amandry 1950; Roux 1976, as well as Fontenrose 1978, who in Chapter 7 “The Mantic Session” (196–232) examines in detail ancient material, and he attempts to debunk several proposals. He takes into consideration research in English and French.

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ished beliefs about the Delphic Oracle,” describing this as “a kind of Delphic piety.”38 He refers in particular to those authors who maintain that the Pythia could not have spoken intelligibly, uttering instead cries – or gibberish – while in a mantic frenzy or trance, perhaps due to intoxicating vapors escaping from a chasm near the Pythia’s tripod. According to this interpretation, it was the prophets’ role to decipher the Pythia’s incoherent speech for her consultants. Yet, strains of rationalism39, even male chauvinism40, appear to lie behind the position that considers women of those times incapable of providing articulate responses in dactylic-­hexameter verse as found in ancient sources. Some of these display significant mastery of the Greek language, such as in the Histories.41 According to the detractors of the Pythia’s ability, the sources for this literary prowess must have been either occult powers or the rational work of her prophets.42 Fontenrose’s detailed work suggests that this can be explained otherwise concluding that “A close study of all reliable evidence for Delphic mantic procedures reveals no chasm or vapors, no frenzy of the Pythia, no incoherent cries interpreted by priests. The Pythia spoke clearly, coherently, and directly to the consultant in response to his question.”43 Similar to Fontenrose, other scholars assert the possibility of the Pythia’s coherent communication, albeit to various degrees and with different approaches.44 Nevertheless, geological research on Delphi has brought back the question of the influence of hydrocarbon gases escaping from a fissure in the Delphi sanctuary.45 The gases’ mild narcotic effects might have induced the Pythia into a trance-like state, thus affecting the intelligibility of her oracular speech.46 Despite the fascination of this proposal, even this recent geological research cannot resolve definitively this

See also Scott 2014, 10–12, for a summary of the difficulties in ascertaining reliable knowledge about the Delphic consultation. 38 Fontenrose 1978, xiv. 39 Cf. Price 1985, 132–133.141–142. 40 Cf. Maurizio 1985, 71; Flower 2018, 36–37. 41 Cf. Fontenrose 1978, 6. 42 Cf. Fontenrose 1978, 6 (see n. 8 and 9 for references to these positions). 43 Fontenrose 1978, 10. 44 E.g. Fontenrose 1978; Price 1985, 133.141–142; Dewald 2013, 172. Most forcefully from an anthropological approach, Maurizio 1995 and Flower 2018. Bowden 2005, 33–34, accepts the Pythia’s responses in prose, but not in hexameter. Scott 2014, 28, does not exclude the possibility a priori, but has some sympathy for the notion that the Pythia’s priests composed responses in verse by drawing from the great amount of information circulating in Delphi, a regular meeting place for people from various regions. 45 The presence of a chasm in the cave was already signaled in the first century BCE by Diodorus Siculus (Diod. 16.26.2–4). Fontenrose 1978, 198–201, considers this to be one of the myths surrounding the location of the Delphic Oracle. 46 Cf. De Boer/Hale 2000; de Boer/Hale/Chanton 2001; de Boer/Spiller 2002; and Piccardi et al. 2008. Piccardi’s study is appropriated by Ustinova 2009, 121–153. For a helpful discussion on how historians have used geological studies on Delphi, see Scott 2014, 20–24 (he does not, however, include Piccardi). For a general geological survey of Delphi, see Péchoux 1992.

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debate.47 Whatever the case may be, Greeks generally believed that the Pythia was genuinely inspired by Apollo.48 Conversely, a subject generally not debated is that the Pythia was not alone at the sanctuary and received assistance from the temple staff during the nine days of the year when full consultation of the Oracle was possible.49 All the religious personnel were Delphians. What they actually did is a bit unclear. The holy ones (hosioi), the prophets (prophetai), and the priests (hiereis, possibly the same as the prophets) probably aided the Pythia and her consultants, for example, during the elaborate process of preparation of the inquirer50, the formulation of questions, the consultation before the Pythia, and perhaps even in the subsequent interpretation of the oracle.51 Fontenrose also challenged the commonly accepted position that ambiguity was one of the Oracle’s unquestioned characteristics, calling this “wholly modern.”52 While some scholars uphold his argument, recent publications continue to assume this as an intrinsic quality of the Oracle.53 Plutarch records the famous words of Heraclitus, which seem to allude to the elusive nature of the Delphic Oracle: “The oracle neither conceals, nor reveals, but indicates.”54 Thus, from a diachronic perspective, Michael Scott proposes that the societal function of the Pythia should be underscored: “All this means that we need to understand the Pythia at Delphi not as providing a ‘fortune-telling service,’ but rather as a ‘sense making mechanism’ for the individuals, cities and communities of ancient Greece.”55 The Oracle’s greatest activity and prestige ran approximately from 580 to 320 BCE, that is, from the Amphictionic takeover following the First Sacred War to around the death of Alexander the Great.56 Its subsequent decline can be considered parallel to the deterioration of the Greek city-states during the Hellenistic and Roman periods. The Oracle’s final decline took place due to the Roman Empire’s pressure on pagan culture and cult, given that the Christian worldview was progressively assumed as the official state position. Despite attempts by Emperor Julian “the Apostate” (during 361–363 CE) to revive pagan culture, the Delphic Oracle never regained a new lease of life. Julian had sent a letter to Delphi asking for news, and he received a message that the Oracle was no longer in service. Sub-

47 Cf. Scott 2014, 24. Graf 2010, 389. 48 Cf. Mikalson 2003, 57–58. 49 On this point, Price 1985, 129–131, provides a helpful summary of “uncontroversial facts” about Delphi. Price 1985, 134, also mentions (but without references) that “extra consultations were possible at other times.” Bowden 2005, 17, is more cautious about this for lack of evidence. 50 On the preliminary rites, see Parke/Wormell 1956, 30–33, and Scott 2014, 13–18. 51 Cf. Maurizio 1985, 83.86. 52 Fontenrose 1978, 236. 53 Bowden 2005, 49–51, takes a nuanced approach recognizing the ambiguity in the stories about the Oracle, but not that this was an intrinsic feature, for which Scott 2014, 28–30, argues. 54 Plut. mor. 404D. 55 Scott 2014, 30. 56 Cf. Fontenrose 1978, 5.

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sequently, the closure of the Oracle (as well as any form of divination) took place by decree of the Roman emperor Theodosius I (around 391 CE).57 With this background information, we now turn to Herodotus’s Histories, the oldest historiographical source for the description of the Delphic Oracle. As stated, this section focuses on the place of the Pythia in the narrative strategies of Herodotus, not per se in the historicity of the Pythia and her activities.58

2.2 The Pythia’s narrative portrayal and importance in the Histories By the time Herodotus had composed his enormous project in the second half of the fifth century BCE, the Delphic Oracle had already achieved international fame. He describes events relating to the Oracle during the peak of its activity and influence (ca. 716–479 BCE). Herodotus seems to take for granted his readers’ knowledge of the Delphic Oracle. Consequently, he does not make it an object of specific analysis; hence, mentions of the Oracle and of the Pythia occur within descriptions of other topics. This generally reflects Herodotus’s religious beliefs as manifested in the Histories; “Herodotus’ polytheism was a rooted assumption.”59 Nonetheless, the frequent mentions of the Pythia (64 times) and their consistent distribution throughout the nine books (all but Book 2) draw attention to its narrative importance for Herodotus’s work.60 An anecdote illustrates this well. Guy Lachenaud tells that his doctoral supervisor reproached him for not being sufficiently persuaded that his subject was of importance and that indeed a good 57 Cf. Fontenrose 1978, 5, and his references: Cod. Theodos. 16.10.9; Cod. Justin. 1.11.2. 58 Mikalson 2003, 57–58, provides a helpful discussion of the advantages and disadvantages of Fontenrose’s classification of oracles regarding their historicity. He concludes (58), “Significantly more important for religious history is the question whether the Greeks of the time believed that Delphi issued these oracles, and, quite simply, there is no evidence that they did not. None, in classical times, is rejected as a forgery. Whatever their origins, however they may have been revised or reshaped, the Delphic oracles seem to have been accepted by the Greeks after Herodotus as Herodotus presented them. And if so, they become part of the corpus of Greek religious beliefs, whatever fact or fiction lies behind them.” See also Mikalson 2003, 210–211 n. 172, for ancient sources that show acceptance of Delphi’s oracles. On the problem of using the Histories as the main source for reconstructing activities of Delphic Oracle, see Bowden 2005, 4 and 66–73, in a helpful chapter “What did historians and philosophers say about the Delphic oracle?” (65–87). 59 Harrison 2000, 179. 60 According to Powell’s concordance, the Pythia occurs sixty-four times and always with the article (Powell, 327; the asterisk indicates occurrences found in direct speech). Book 1: 13.2; 19.3; 47.2; 48.1; 55.1; 65.2, 4; 66.2; 67.2, 3; 85.2; 91.1, 6; 167.2, 4; 174.5, 6; Book 3: 57.3; 58.2; Book 4: 15.3; 150.3; 151.1; 155.2, 3; 156.2; 157.2; 159.2; 161.2; 163.2; 164.1, 3; Book 5: 43; 63.1; 66.1; 67.2; 79.1; 82.1, 2; 90.1 bis; 92 β2*; Book 6: 34.2; 36.1; 52.5 bis; 66.2, 3; 75.3; 77.2; 86 γ1*, 2*; 123.2; 135.3; 136.1; 139.2; Book 7: 140.1; 142.2; 148.3 bis; 169.2; 171.2; 220.3; Book 8: 51.2; Book 9: 33.2. These results are confirmed by Thesaurus Linguae Graecae© Digital Library. Ed. Maria C. Pantelia. University of California, Irvine. http://stephanus.tlg.uci.edu (accessed Jan. 21, 2019). Dewald 2013, 176, indicates only 45 occurrences of the Pythia, and she provides the additional statistics under

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part of Herodotus’s historical thought could be understood through the prism of Delphi!61 In fact, based on statistics alone, the Pythia could be considered the most important woman in the Histories, accounting for 64 times out of the 375 mentions of women (concrete and abstract meanings).62 Given the multiple references to the Pythia, our discussion must also be selective and concise here. While the argument certainly holds that the Pythia is the most important woman in Herodotus’s description of the ancient world, it is also good to remember that she was Apollo’s mouthpiece and represents a sacred institution. In Herodotus’s world, she is far from being a female crusader, independent of human structures. For this reason, Carolyn Dewald may be right in placing her in the category of ‘passive women’, similar to those women portrayed by Herodotus in family contexts.63 In light of Herodotus’s portrayal, in what sense can she be considered passive or active? Dewald, in her general discussion of women in the Histories, explains that the Pythia resembles women in family contexts who represents social limits. The Pythia distinguishes herself from other ‘passive women’ who exemplify “the mortal and finite nature of family security,” because she is on the other side of the existential continuum epitomizing limits established by the gods.64 This denotation of passiveness, of course, is paradoxical, because the Pythia is presented as active in historical narratives, and not, for example, in fictional illustrations or parables. So, it seems profitable to consider, in the discussion below, the paradoxical nature of the Pythia’s role in the Histories. On the one hand, she can be considered passive as the intermediary for Apollo’s voice within an institutional framework. On the other hand, she may be considered an active individual, perhaps to some extent independent in her function65, given that “on forty-five occasions she advises kings, tyrants, aristocrats, and commoners, both Greek and barbarian.”66 This paradoxical nature may be explained through the perceived spiritual unity of Apollo and the Pythia. Thus, considering her role only as a passive character could give false impressions about her part in maintaining divine order in the Histories as a perception of the Delphic Oracle in ancient history. A study of the speaking subject of the oracles in the Histories certainly reveals the presence of the Pythia and this paradoxical aspect. She is most often considered the giver of oracles. Her name, however, is interchangeable with other expressions the category of ‘priestesses’: female founders of cults: 2.54a, 2.54b, 2.171, 2.182, 4.33.3a, 4.33.3b, 4.35.1a, 4.35.1b.; other priestesses: 1.175, 2.55.3a, 2.55.3b, 2.55.3c, 5.72, 6.134, 7.111.; and women in mixed structures: 1.31.2, 4.8–10. 61 Cf. Lachenaud 1979, i. 62 Cf. Dewald 2013, 171. Dewald indicates (151 n. 1) that this publication is a lightly modified version of her earlier article in Women’s Studies 8 1/2, 93–126, 1981. 63 Cf. Dewald 2013, 172. 64 Cf. Dewald 2013, 172. 65 Dewald 2013, 172 n. 28, signals a passage in the Histories (6.16.2) regarding “the general independence of women serving their religious functions.” She suggests a parallel with the women in sacerdotal functions in the Lysistrata of Aristophanes (explored by Foley 1982). 66 Dewald 2013, 172.

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such as “the oracle” in an institutional sense, and as “the god” as the divine source (i. e. Apollo).67 Thus, her attachment to Apollo’s service implies an active and passive facet. Dewald recalls the latter part of this complex identity: “The Pythia, we should note, is an institution rather than an individual person; she is not named [specifically] unless something odd diverts her from priestly function (6.66).”68 But this may be overstated, given that other women are unnamed in the Histories and have considerable roles in the narrative.69 Herodotus, for example, never sees the need to defend her position in Delphi. She was valuable for her unique and established role, which apparently was not available to others in that specific function. Her active side, or where she is most felt in the Histories, can be further illustrated. Jon Mikalson considers the non-technical expressions that reveal how the oracles were perceived by their consultants.70 One finds, for example, that the Pythia tells or says the oracle, but stronger words are also employed such as ‘to command’ (κελεύειν) or ‘to forbid’ (ἀπαγορεύειν, and οὐκ ἐᾶν) certain actions. “The implication in those cases is that the oracle is giving more than warning and advice. Those are commands.”71 Here the paradox of passive and active may be considered a reflection of the unity of Apollo and the Pythia, the divine and human sides of one voice. Again, the passive side of the Pythia can be explored further from various angles, for example, from the perspective of the consultants, such as the theopropoi (agents or ambassadors of an oracular mission). They seek counsel from ‘the oracle’ or from Apollo, but never from the Pythia. In this case, she appears to be viewed through her subordinate role as a prophetic intermediary. In short, “She spoke the words, but the words were Apollo’s.”72 Another example of this is found in the context of the first two oracles to the Athenians. Herodotus records that during the first consultation the Pythia commands the Athenian delegation “to leave my sanctuary,” and in the second she says “I will tell you this.” For Mikalson, the subject of “my” and “I” is simply Apollo.73 67 The Pythia (e. g., 7.148–151; 1.167.4 and 174; 3.57.3; 4.150–151); the Oracle (1.13 and 46–47; 5.80.1; 6.19.1–2); and the god (1.69.2; 4.155.3–4 and 157.2, and 5.80.1). See Mikalson 2003, 55–56.210 n. 157. 68 Dewald 2013, 177. Herodotus provides two names of the Pythia: Periallus who gets bribed by Cobon to say what Cleomenes wanted (Hdt. 6.66.2) and Aristonice was the Pythia whom the Athenians encountered and begged to provide a more favorable oracle at the time of the battle of Salamis in 480 BCE (Hdt. 7.140.4). 69 See, for example, Larson 2006 who argues that the suppression of names is a rhetorical technique used by Herodotus throughout his work, and in particular in the opening and closing logoi, for unnamed wives of Candaules and Masistes. Rather than being a disrespectful omission of their names, he protects their names by exculpating them on their husbands’ downfall, which simultaneously implies greater responsibility in their own downfall. 70 In the Histories, the most common technical terms for “to prophesy” are ἀναιρεῖν, χρᾶν, and θεσπίζειν, cf. Mikalson 2003, 55. 71 Mikalson 2003, 55. 72 Mikalson 2003, 55. 73 Cf. Mikalson 2003, 55.

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That said, it does not appear justified to underestimate the authority and presence that the Pythia projected in Delphi, and elsewhere so extensively in space and time, and thus relegate her to the status of a mere ‘mouthpiece’. There, at the center of the Delphic Temple, was a woman to whom existential questions were brought from cities and individuals. Without the Pythia, there was no voice for Apollo. Thus, in Herodotus’s thought, it represents a clear example of human and divine collaboration working toward balance in natural and human affairs, which was an enjoyable theme for Herodotus. In fact, Herodotus depicts the collaboration between Apollo and the Pythia in mantic sessions: “For Herodotus the procedure was simple and straightforward. One asked one’s question, and one got one’s answer, from Apollo.”74 In the Histories, Herodotus does not evoke “the machinations of the priests, the workshop of the poets, and the chasms, caves, vapors, and psychedelic mushrooms” that are mentioned in later sources and often evoked by modern scholars.75 Yet this procedure was not flawless, as Herodotus shows: the Pythia was bribed twice (5.63, 6.66), and once forced by Athenian theopropoi to give a more favorable oracle (7.141).76 Was this her passive side? And perhaps the fault of the temple’s personnel? Furthermore, the matters for which she is consulted emphasize her participation in and influence on Greek and non-Greek societies. Clearly, her range of influence and benefit is not restricted to one city-state. This is in itself extraordinary; she was in the service of an enormous clientele. The list below shows consultations taken only from Book 1.77 This will then be completed by a summary of other highly significant consultations in the remaining books (except Book 2 which contains no mention of Pythia). The Delphic Oracle via the Pythia is consulted by: Ȥ the Lydians concerning political strife between Gyges’s supporters and the Heraclidae, the royal line of the assassinated king Candaules (1.13); Ȥ the Lydian king Alyattes regarding his continued illness (1.19); Ȥ Lydian king Croesus whether he should attack the Persians led by Cyrus (1.46– 54); and whether his reign would be a long one (1.55); Ȥ Lycurgus the Spartan as regards the political situation of his homeland (1.65); Ȥ the Spartans about their plan of conquest of Arcadia (1.66); Ȥ the Spartans concerning which god they should honor in view of victory over Tegea (1.67); Ȥ Croesus who relates the reasons for his army’s defeat at the hands of Cyrus and the apparent betrayal by Apollo (1.90); Ȥ the Caereans (Agylla) about how to expiate the crime of the murder of their Phocaean prisoners (1.167); 74 Mikalson 2003, 56. 75 Cf. Mikalson 2003, 56. 76 Cf. Dewald 2013, 172 n. 29. Herodotus provides other parallels of other priestesses who are politically involved (Hdt. 5.72 and 6.134). 77 Bowden 2005, 168–169, provides a helpful concordance of Athenian consultations of the Delphic Oracle from various sources and periods.

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Ȥ the Cnidians in regard to the unusual injuries inflicted on the workmen of their isthmus project (1.174). The summary above highlights the intersection of religion and politics on an international level via consultations of Delphi’s priestess by various cities and formidable individuals.78 This is significant on the narrative level, because all of these consultations are related in Book 1 which orients the readers’ comprehension and experience of the rest of Herodotus’s long work. Religion, politics, and customs are intertwined from beginning to end, thus contributing to a holistic and consistent worldview developed in the Histories. The list above can be expanded by other significant consultations taken from Books 3–9, when the Greco-Persian conflicts are at their most intense point. Mikalson summarizes the importance of the Delphic Oracle in this regard as it plays “the single greatest ‘religious’ role in Herodotus’ account of the Persian Wars.”79 This is substantiated by an exceptional fact: Herodotus depicts the Pythia’s involvement (to various degrees) in “all the major battles and events of the Persian invasion, except for the battle of Marathon.”80 Mikalson provides a constructive assessment about the Pythia’s involvement in the course of events vis-à-vis various powers and situations during the Persian Wars. He sets this out in terms of positive, neutral, and negative as related to the Greek cause.81 The Pythia’s oracles appear to offer positive support in assisting Athens to become a regional power (5.63.1–3 and 5.78); and strategically, advising the evacuation of Athens (7.140.5–6), the emphasis on their navy’s strength (7.143–144), and Salamis as a key location for victory (7.142). Also, her encouragement of prayers for the winds leading to the destruction of Persian ships (7.178, 189, 191–192, and 8.13), indication of Plataea as a favorable site for battle (8.114.1–2), as well as encouragement of Tisamenus the Spartan diviner (9.33, 35), all led to the death blow of Mardonius and the Persians’ defeat in Plataea (9.62–65). On a somewhat neutral note, the Pythia gave accurate predictions about the fall of Miletus (6.19), Athens’s conquest of Aegina (5.79–81, 89), the destruction of Athens and other Greek cities (7.140), and the death of Leonidas king of Sparta (7.220). Negatively, against Panhellenic interests, the Pythia seems to discourage the Argives (7.148–152) and Cretans (7.169–171) from joining Greek resistance. Also, a manipulated oracle cost the Greeks the support of the Spartan king Demaratus (6.75.17–18 and 6.84.15–17). Later, her prediction of the destruction of Athens and enjoinder to “flee to the ends of the earth” (7.140.5) almost led to complete

78 Other examples of aristocratic families, city-states, and peoples who consulted the Delphic Oracle but are not mentioned in the list above: Alkmeonids, Apollonians, Argives, Athenians, Cretans, Delphians, Dolonci, Epidaurians, Metapontines, Pelasgians, Phocaeans, Siphnians, Thebans, Thereans. For references, see Strassler 2009, 873–874. 79 Mikalson 2003, 117. 80 Mikalson 2003, 120. 81 Cf. Mikalson 2003, 117–121.

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Athenian despair and abandonment (7.139–144). Finally, despite some modern scholars’ claim that the Delphic Oracle was compromised with the Persians, the Oracle actually achieved one of its highest points among the Greeks following Persian retreat in 479 BCE.82 As for the Persians, Herodotus never reveals that they received direct support from the Delphic Oracle. The Persian general Mardonius attempted to obtain help from Apollo Ismenios, Ptoös, and Abaios (8.133), but Herodotus does not disclose the content of the oracular responses.83 It would be wrong, however, to conclude that Apollo (or any other god) was by default on the side of the Greeks. Herodotus shows through various anecdotes and sayings that the Greek gods are not by obligation pro-Greek! It can be argued that the gods were more favorable to the Greek coalition because of the sacrileges committed by the Persians, first during Darius’s expedition and then under Xerxes. In short, the gods were ultimately interested in defending their reputation via retribution on the Persian empire as well as maintaining a balance of power among human structures. In summary, Herodotus does not depict Pythia as supporting only one Greek city. Rather, her interventions take place on an international level at the crossroads of politics and ethics. Moreover, the Delphic priestess is not limited to military conflict within established boundaries, she even gives counsel about the foundation of colonies (4.150–152)! Yet her primary societal role can be summed up this way: “She seeks to resolve conflict and correct misbehavior”84 In Book 3.38, we read that “Custom is king of all.” The Pythia is often depicted as an enforcer of customs in various regions which have a quasi-sacred status in the Histories. In this respect, Dewald is right in saying that the Pythia is “a stunning and extreme example of the nomothetic woman setting out the cultural limits and controls within which Greek society will thrive, beyond which it will perish.”85 An example of this function in society is evident in the story about Candaules, and especially his wife who greatly benefits from the Pythia’s intervention.

2.3 Other marvelous women involved in or influenced by the Pythia The link between women and prophecy can also be explored through the experiences of other women in the Histories. Despite the fact that women are never presented as consultants of the Delphic Oracle, Carmen Sánchez-Mañas’s article “Women in Herodotus’ Oracles: A Look beyond the Pythia” explores female presence (individuals and groups) within the framework of men who consult or receive

82 Cf. Mikalson 2003, 121.224 n. 35. 83 Cf. Mikalson 2003, 122. 84 Dewald 2013, 172. 85 Dewald 2013, 172.

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oracles.86 Sánchez-Mañas examines ten of the one hundred and one passages in which oracular sites are consulted and responses given. While it may be an exaggeration that “women other than the Pythia enjoy great visibility in the oracular passages of the Histories,”87 it is also fair to interpret this in light of the highly patriarchal environment in which the oracular activities took place as well as the literary milieu in which the Histories was produced. Her study reveals significant diversity among individual women and groups as well as the domestic and public situations in which they appear. Narratively, Herodotus shows how these women—who are mostly presented in family situations and have non-leadership roles—nonetheless contribute to some significant moments in history.88 To illustrate this point, we will consider an example of a woman who directly benefited from the Pythia’s counsel: the astute and courageous wife of Candaules, the last Heraclid king of Lydia (Hdt. 1.7–14). Narratively, this well-known logos in Herodotean studies is crucial because it appears at the beginning of Book 1. It belongs to the ‘plupast’ material that sets the stage for the explanation of the initial cause of the Greco-Barbarian conflicts, namely, Croesus king of Lydia, the main character of Book 1.26–92.89 A few reasons encouraged Herodotus to tell this story. First, it explains how the Heraclidae lost their dynasty in 716 BCE to the Mermnadae, the royal line whence Croesus came. Second, it is also a ‘marvelous’ story with intrigue, sex appeal, and murder. This certainly got his listeners/readers’ attention! For those unfamiliar with the story, it all begins with king Candaules’s obsession with his wife’s beauty which drove him to share it, albeit only visibly, with Gyges, his favorite officer. Despite Gyges’s resistance, the king prevailed and hatched a plot. Gyges then looked upon the queen’s naked figure, and he got caught by the queen. Yet, then and there, she says nothing to either one, until the next day. Being an extremely perceptive woman, she knows well that Candaules and Gyges’s behavior was a major infringement of custom (nomos); thus, someone must

86 Cf. Sánchez-Mañas 2018, 156. 87 Sánchez-Mañas 2018, 180. 88 Cf. Sánchez-Mañas 2018, 180. For example, the shift in royal power from the Heraclidae to the Mermnadae through the intervention of Candaules’s wife (see discussion below), who is subsequently supported by an oracle from Delphi; the story of Labda (Hdt. 5.2), mother of a son who will become king of Corinth in accordance with the Pythia’s oracle (Hdt. 5.92B); Argeia, the mother of twins who makes sure that both of her sons hold kingship in Sparta; they are protected by the Pythia’s counsel to the Spartans (Hdt. 6.52); Timo, an under-priestess of the chthonic goddesses Demeter and Persephone (Hdt. 6.135) thwarts Miltiades’s plans to desecrate the temple with the aim to weaken the Parians and conquer Paros. The Pythia defends her from charges of conspiracy. 89 Herodotus claims to know the one (Croesus) who first did unjust deeds toward the Greeks (1.5.11). The narrative proper then begins with the king who was chiefly responsible for setting in motion hostilities between Greeks and Barbarians. The material preceding this may be considered plupast material, that is, background information that helps readers to understand more fully the focus or core narrative. On the meaning and uses of ‘plupast’ in historiographical research, see Grethlein/ Krebs 2012, 1–16.

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die, either the king who planned it or Gyges who saw her nakedness.90 Neither rebuking nor consulting her husband, the queen presents an ultimatum to Gyges: either his own death or the assassination of the king with her help. Unsurprisingly, Gyges chooses the latter, and the Heraclid dynasty is shattered in 716 BCE. This harsh verdict of a death sentence is supported by a common theme in the Histories, that is, the link between the sacred and customs, whose violation is often followed by divine retribution (tisis). In Book 3, for example, Herodotus provides a more dramatic example of a violation of customs when Persian king Cambyses’s murderous acts and temple desecration in Egypt, which are followed by divine retribution on Cambyses (3.27–38). With respect to this, Herodotus cites Pindar’s axiom: “Custom is king of all” (3.38.20).91 In the case of Candaules, although Herodotus does not explicitly evoke divine judgment, it may be understood as such due to his aside that Candaules was doomed (1.8.7–8): “Not much time had gone by (for it was necessary that evil should come to Candaules), when he spoke thus to Gyges.” Candaules’s behavior had crossed the line of decency and self-control, which was a flagrant incitement to divine wrath. The principle evoked by Gyges before the act “May everyone look after his own things” (1.8.4) was violated and had to be punished.92 This interplay between nomos and tisis recurs in the Histories, as Lisa Hau writes: “The ultimate internal authority in the Histories is oracles, particularly the Delphic Oracle. When oracles predict punishment for an action (1.13) or command characters to atone for their actions, the reader has to understand that those actions were wrong – particularly as the atonement usually makes the unwanted consequences go away, thus proving them to have been brought on by the divine (e. g. 1.19 and 22).”93

At this point, Herodotus mentions the fierce reaction to the murder of Candaules, and a dispute inevitably arises about legitimate rule. A truce, however, is quickly found based on the agreement that the Oracle in Delphi (ἐκ τοῦ ἐν Δελφοῖσι χρηστηρίου, 1.13.2) must confirm or reject Gyges’s claim (1.13.1). The Oracle ordained that Gyges should occupy the throne (ἀνεῖλέ τε δὴ τὸ χρηστήριον καὶ ἐβασίλευσε οὕτω Γύγης, 1.13.7).94 Thus, the divine confirmation of royal power apparently appeased both groups, because the Pythia had spoken. Once this matter is settled, the narrative returns to a focus on male characters. The Lydian queen 90 The gravity of this action is foreshadowed in Gyges’s thoughts about the outcome of such action: “Speaking thus, Gyges resisted: for he was afraid that some evil would come of it for him” (1.9.1, trans. Herodotus 1921–1924 [Godley]). 91 The proverb νόμος ὁ πάντων βασιλεὺς θνατῶν τε καὶ ἀθανάτων comes from an unknown poem of Pindar, which is quoted in Plato’s Gorgias (Plat. Gorg. 484b). 92 Cf. Asheri/Lloyd/Corcella 2007, 82. 93 Hau 2016, 181. 94 The expression ἐκ τοῦ ἐν Δελφοῖσι χρηστηρίου (1.13.2) means the seat of the oracle in Delphi. (LSJ, 2006, s. v. χρηστήριον). Herodotus gives a summary statement (1.13.1–2) about how the Oracle confirmed Gyges’s legitimate rule, and it is elucidated in the following lines (3–7).

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had done her part, and, thanks to the Pythia’s support, it was not unfruitful as we learn in the following lines. Besides the newly established royal line, Herodotus reveals more information about the relationship between the Lydians and the Delphic Oracle. Gyges became a generous supporter of the oracle in Delphi by sending an enormous number of votive offerings (ἀναθήματα), some of which were still visible in Herodotus’s day in the Corinthian treasury (1.14). This Gyges was also the first barbarian (only after the Phrygian king Midas) who gave offerings to Delphi. This religious connection between the Lydian empire and Delphi was noteworthy for Herodotus (confirmed by many other examples), because he quickly covers Gyges’s military exploits and other deeds in a few sentences (1.15.1). In short, Gyges respected Apollo in Delphi, which was a good thing from Herodotus’s perspective. Herodotus notes that Gyges received additional information from the Pythia. The oracle contained a string attached, which stated that vengeance for the Heraclidae would be taken, not on Gyges, but on his posterity in the fifth generation (1.13.8–9). The Lydians and their kings disregarded this part of the oracle until it was actually fulfilled in Croesus’s generation. Indeed, apparently Croesus was ignorant of all this until the Pythia revealed it to him when Croesus despairingly lamented his defeat at the hands of Cyrus and wrongly accused Apollo for his lack of support (1.91). In the end, Gyges got a good deal; not so for Croesus. The dynasty of Gyges underlines the Herodotean theme of the rising and falling of men, kings, and cities. But none of this would have happened if two women had not intervened, the Pythia and the anonymous Lydian queen who knew the power of customs and of the Oracle! We will now consider other marvelous women of prophecy, but in a different prophetic tradition as presented in Luke-Acts. It will be noted how these two traditions eventually meet in the pages of Luke’s work, and later in Christian history.

3. Marvelous women of prophecy in Luke-Acts 3.1 Initial signals to the prophetic tradition in Luke-Acts To appreciate the narrative importance of marvelous women and their link with prophecy in Luke-Acts, it will be helpful to survey the prophetic orientation at the beginning of the two-volume work. This will then help us enter the dynamics of a later encounter with the two prophetic traditions. While the Greek prophetic/oracular tradition continued from Herodotus’s times until Luke’s in the first century, another prophetic tradition developed among the Jewish people in the eastern Mediterranean. Above, we looked briefly at specific occurrences of prophetesses of that tradition in the Hebrew Bible and in the New Testament. It is noteworthy that Luke-Acts does not present anything simi-

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lar to the Delphic Oracle and the Pythia’s function there. Apart from Zechariah’s encounter with the angel Gabriel, the temple of Jerusalem is mentioned several times in Luke-Acts, but not portrayed as an oracular center. Luke seems to place an emphasis on the decentralized nature of prophetic activity, performed by men and women and in various places. Luke’s literary project connects to the Jewish tradition very early in the narrative and continues throughout it (closing with a quotation of Isaiah 6.9–10 in Acts 28.25–27). The preface of Luke’s Gospel is concise, dense, and subtle (Luke 1.1–4).95 It introduces the subjects that interest him, his sources, methodology, and pragmatic aims. No element therein alerts the reader explicitly that this is a Christian (messianic) writing. Two elements allude to the prophetic tradition to which Luke is connecting his narrative. His focus (similar to Herodotus’s) is on deeds (or events).96 The expression “things accomplished among us” (Luke 1.1) could mean simply “things done.” Yet when one reads the preface from the perspective of the entire double work, Luke may also be making a claim for continuity with previous prophetic activity concerning the plan of God. In other words, the expression may be understood as a divine passive, that is, “accomplished by God,” which elicits the notion of fulfillment and thus builds on a greater theological narrative.97 Regardless, the rest of the story amply illustrates this point via anecdotes and speeches.98 Second, Luke mentions important sources for his literary project, namely, “those who from the beginning were eyewitnesses and servants of the word.” For the latter part of the phrase, one may wonder: servants about what word or whose word? Luke introduces, via an ellipse, some expressions that occur throughout his two works: “the word of God” and “the word of the Lord.” The use of the genitive here can communicate both the origin and the object of the communication, that is, a message from God/the Lord and/or about God/the Lord. These expressions evoke the notion of teaching, a transmission of knowledge.99 Thus, the “servants of the word” are presented throughout Luke-Acts as those who communicate under divine direction, either divinely inspired words or teaching about God’s interventions.

95 Much has been written about Luke’s preface. On its conciseness and density, Moles 2011 provides an outstanding elucidation from a classical historiographical perspective. 96 “Things” (English Standard Version for πραγμάτων in v. 1) is weak. Deeds or events are stronger. In Herodotus’s preface, we find first a general phrase τὰ γενόμενα ἐξ ἀνθρώπων (“that which has been done/accomplished by men”), then more specifically ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά (“great and marvelous deeds” Hdt. 1.praef.1–3). 97 Overall, the New Revised Standard Version brings out this aspect better: “an orderly account of the events that have been fulfilled among us;” rather than “a narrative of the things that have been accomplished among us” (ESV). My italics. 98 Luke relates that Jesus makes this specific claim of continuity and fulfillment in Luke 24.26, 44, which is expounded in various discourses in Acts. 99 For example, “the word of God” (Luke 5.1; 8.11, 21; 11.28; Acts 4.31; 6.2,7; 8.14; 11.1; 12.24; 13.5, 7, 46; 17.13; 18.11); “the word of the Lord” (Acts 8.25; 13.44, 48, 49; 15.35, 36; 16.32; 19.10; 20.35).

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In this sense, following the preface with its subtlety, Luke’s readers encounter a narrative of a prophetic movement. It is both initiated and guided by the God of Israel. The notion of continuity is key for Luke; the links with Israel’s past figures and Scriptures are so numerous that even readers/listeners from a non-Jewish background could have hardly missed this point. John the Baptist and Jesus, the subjects of the first two chapters of the first volume, are placed in relation to figures of Israel’s past, John with the prophet Elijah (1.17; then 9.19), and Jesus with King David (1.32). But Jesus is also proleptically called “the son of God,” as well as “savior” and “Messiah the Lord” (Luke 1.32, 35; 2.11). In addition, even the angel Gabriel who announces these revelations is known from previous Jewish literature (Dan 8.16; 9.21). By means of Luke’s narrative representation of this prophetic movement, readers then discover how Jesus accomplished those promises, and how he was received and rejected among the Jewish people and the nations. Luke offers a glimpse of how Jesus himself aligns his movement with the Jewish prophetic tradition by citing Isaiah 61.1–2 in the synagogue of Nazareth (Luke 4.18–19). The prophetic formula is clear “The Spirit of the Lord is upon me,” which is followed by his mandate (v. 18–19) and subsequent confirmation: “Today this word is fulfilled in your hearing” (v. 21). Consequently, in a broad sense, almost all of the women mentioned in LukeActs are involved in this prophetic movement of Jesus. Luke portrays them as supporting its development. The discussion below takes a narrower view of those women who actually contributed prophetically to the movement. Some of the examples are explicitly developed by Luke, while others are mentioned but not illustrated in greater detail. In fact, like the Histories, the focus is mainly, but far from exclusively, on the contribution of men to Jesus’s prophetic movement.100 Finally, it will be considered, in the section on Acts, how Luke depicts the meeting of two prophetic traditions, Greek and Jewish, and what he intends his readers to appropriate theologically and practically from those examples.

3.2 The Gospel of Luke Immediately after the preface, readers encounter a series of episodes of prophetic activity. Given that the first two chapters are a part of Luke’s Sondergut, those parts that are unique to his narrative, it is clear that he wished to include other anecdotes that gave weight to his theological narrative and thus orient readers in their interpretation and experience of it. From Chapter 3 onward, the narrative

100 This narrative focal point is certainly grounded in the masculine leadership of the movement via Jesus’s choice of twelve disciples (confirmed in Acts), and the leading role in the church of Jerusalem, Antioch, etc. Female participation in leadership is rare.

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continues with the first stories of John the Baptist and Jesus as adults. Most of the material therein is drawn from Mark’s Gospel, which is supplemented by material from other sources. As regards the first two chapters, Luke depicts three women in relation to the Jewish prophetic tradition: Elizabeth, Mary, and Anna. What is particularly significant about their contribution, along with Zechariah and Simeon’s prophecies, is that these women offer fresh prophecies, complementary to ancient ones recorded in Israel’s Scriptures. It is easy to see then that for Luke these women are nothing less than marvelous in his eyes. Despite their brief appearances here, he immortalizes them by means of his narrative. Thanks to this, their lasting influence is incalculable. We will explore briefly Luke’s presentation of their contribution to the prophetic movement. They have some characteristics in common: particular circumstances, the presence of the Holy Spirit, piety, and spiritual perception. Elizabeth’s story is told with her husband Zechariah as it relates to the initial stages of the prophetic movement. Thus, they appear only in the first chapter of the first volume. Luke provides several elements that help build a portrait of this couple. We will focus on Elizabeth, who is portrayed as being a descendant of Aaron, Israel’s first priest (lit. “of the daughters of Aaron” 1.5). She and her husband (also from the priestly class) are righteous before God on account of their devotion to the teachings of the Lord (i. e., the God of Israel, v. 6). Spiritually, then, she and her husband were in excellent standing before God. Nevertheless, she was not able to have children, and this was a cause for shame (1.25, 36). Being advanced in age, along with Zechariah, she had probably given up hope to have children (see Zechariah’s reaction in 1.18). God had heard their prayers (specifically, “his prayer” 1.13), and he had a plan for them, namely, to give birth to and raise the prophet of the Most High (1.76).101 The activity of the Holy Spirit is evident throughout the first chapter, for example, in Zechariah’s prophetic praise (1.67–79). But we will concentrate on Elizabeth’s own prophetic utterance when Mary came to visit her in a town in the hill country of Judah (1.39). Luke reports a double confirmation of the presence of Mary and her special child. Elizabeth’s baby (John) leaps in her womb, and she exclaims under the inspiration of the Holy Spirit (v. 41), “Wherefore has this matter come to me that the mother of my Lord should come to me? (v. 43). This anecdote is remarkable in that Luke reports that Elizabeth (with her baby) becomes the first witness (besides Mary) of the physical presence of the Messiah.102 One can only imagine the source of encouragement that this represented for Mary, who, shortly thereafter, would have to face peculiar circumstances around the birth of Jesus. Following this, Luke informs his readers that all was accomplished according to God’s purposes for John as the precursor of the Messiah (1.57–66, 80; 3.1–20;

101 Luke reports Jesus’s great esteem for John (Luke 7.24–28). 102 Gabriel had announced to Zechariah that his son would be filled with the Holy Spirit even from his mother’s womb (1.15).

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with confirmations by Jesus in 7.24–30; 20.3–8). In conclusion, despite the difficult circumstances before John’s birth (and perhaps also at the time of his cruel death), Elizabeth is portrayed as a model of faith and perseverance, exemplified by her piety and sacrificial role in the prophetic movement of the Messiah. Turning now to Mary’s prophetic participation, we have already seen how she and Elizabeth met while they were both with child. Mary is described as being in a very different state than Elizabeth. Mary is a young woman (or virgin, παρθένος two occurrences in 1.26) who lives in Nazareth of Galilee. She is old enough to be promised in marriage, to Joseph who (importantly) was from the family of king David (1.27). Similar to the spiritual evaluation of Elizabeth, Luke signals a form of divine approval of her life through Gabriel’s salutation: “Greetings, favored one! The Lord is with you.” (1.28).103 With this mention of the divine presence as well as the Holy Spirit’s (1.35), it can be assumed that her praise (1.46–55) is equally moved by the Spirit as that of Zechariah and Elizabeth. In this respect, her role as mother of the most important person in history (so far) is difficult to overstate. He will be “the son of the Most High” (v. 32), “the Son of God” (v. 35) and will receive “the throne of David” (v. 32). Luke reports briefly her initial reaction which reveals something of her character. First, her transparency with Gabriel about her obvious perplexity (lit. “How will this be since I do not know a man” v. 34), then her astounding readiness to be a part of this project as a “servant of the Lord” (ἡ δούλη κυρίου v. 38). Her prophetic speech (1.46–55), like Zechariah’s, evinces characteristics of Israel’s psalms.104 The focus is on giving thanks to “the Lord” (and “God my savior”) for his intervention in her life and in light of previous moments in Israel’s history. Thus, the prophetic aspect is manifest less in the announcement of future acts and more in the remembrance of the pattern of God’s mercy toward those “who fear him” and who are vulnerable (like her v. 48; and in general “the lowly,” “the hungry” 1.52–53) as well as his judgment on those who do not serve God with their means (“the proud,” “the mighty,” “the rich” v. 51–53). In short, God’s mercy toward her (“his servant” δούλης αὐτοῦ v. 48) parallels his mercy toward Israel his servant (παιδὸς αὐτοῦ v. 54). God has been, and will continue to be, faithful to his covenant people (v. 55). Her prophetic contribution then undergirds Luke’s theological project at the very beginning. In Luke’s outlook, Jesus’s movement cannot be understood or told without showing how it is embedded in God’s promises and worked out in Israel’s history. Rather than rupture, he envisages cohesion, and Mary’s song illustrates this well. As regards the third woman of prophecy, Anna, there is not much material about what she did and said (Luke 2.36–38). But there is no doubt about Luke’s

103 This can also be confirmed in Mary’s words: ὅτι ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὴν ταπείνωσιν τῆς δούλης αὐτοῦ; “for he has regarded the low estate/condition of his servant” (Luke 1.48a). For ταπείνωσις, see LSJ, 1757. 104 Multiple parallels exist between Mary and Hannah’s prayers (1 Sam 2.1–10).

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understanding of her role. The import of her example here must be gained from reading the passage concerning Jesus’s presentation at the temple (2.21–35). Although no prophetic formula is present, she is specifically described as a prophetess (προφῆτις), one of only two occurrences in the New Testament.105 Similar to the other two women of prophecy, Anna is depicted as having had some difficult experiences. One can imagine the emotional and social challenges that she faced, as she was a widow for most of her adult life (v. 37), which could be extremely difficult for women without the support of family. Also, no miraculous birth is mentioned as a part of her participation in God’s plan. However, like the other two, she does seem to have a counterpart in Simeon, though we do not know the nature of their relationship. For her vital needs, she may have received provision and protection through her attachment to the temple.106 Similar to Zechariah and Elisabeth, her piety is expressed through her devotion to Israel’s religious structures (the temple) and practices (fasting and prayer, v. 37). Unlike Elizabeth and Mary, Anna’s words are not reported; only the nature of her speech and action. Luke draws attention to her spiritual awareness by way of the timing of her arrival at the temple when Jesus is blessed by Simeon as well as through her communication of the event. She both praises God and shares this news of the Messiah with those who were expecting God’s “redemption of Jerusalem” (v. 38).107 Thus, Anna’s prophetic contribution, although limited to this passage in Luke-Acts, confirms the nature of Jesus’s prophetic movement, set in motion by God and received favorably by people of esteemed character. The fact that Anna was not the mother of an important male protagonist in God’s plan did not prohibit Luke from recording her example. Luke wishes to illustrate his accent on theological continuity by providing another example of a pious individual. That these three examples of women of prophecy were purposefully inserted in the Sondergut of Luke’s long narrative shows their pertinence for understanding the historical context and Luke’s theological project. Luke’s interest in highlighting women is certainly a reflection of his understanding of Jesus’s ministry and teaching in which one finds multiple mentions of women in stories and illustrations. In sum, these three women of prophecy merit Herodotus’s description of ‘marvelous’. Now, does Luke show other women linked to prophecy in his Gospel? Despite the number of passages which highlight the participation of women in Jesus’s ministry (i. e., in the service of the word of God) or beneficiaries thereof, it does not appear to be the case, based on the criteria of specific description such as the presence of the Holy Spirit, prophetic introductory formulas, and explicit or implicit

105 The second occurrence describes Jezabel in Rev 2.20 in a clearly negative portrayal: ἡ λέγουσα ἑαυτὴν προφῆτιν (“who calls herself prophetess”) whose teaching is deceptive and immoral. 106 Cf. Spencer 2012, 321. 107 Cf. Spencer 2012, 305–306.

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inspired speech.108 The use of Paul’s definition of prophecy in 1 Corinthians 14.3 would certainly extend the number of prophetic occurrences in Luke and Acts, but I will not follow this application here.109 Other studies cited above demonstrate how important female disciples were in support of Jesus’s ministry and as first witnesses of Jesus’s resurrection. Although they were not a part of the Twelve, they were still valued for their service.

3.3 The Acts of the Apostles Luke’s interest in showing continuity in the accomplishment of God’s plan of salvation through Jesus flows from volume 1 into volume 2. What Jesus did and said was the main object of the first volume (Acts 1.1). Thus, the object of the sequel is what Jesus’s disciples did and said about and through the resurrected Christ. In addition, the Holy Spirit continues to be mentioned as equipping people for ministry (1.2, 5, 8; 2.4; 4.8, etc.). This narrative attention on Jesus’ male disciples (especially Peter, Stephen, and Paul) is paralleled by Luke’s interest in showing the participation of women in service of “the word” (Luke 1.2). In the second pericope (Acts 1.12–14), which recapitulates the names of Jesus’s male disciples, Luke mentions the presence of Jesus’s female disciples as well as Mary his mother (1.14).110 Also, Luke uses the clause “men and women” in his description of events (in response to apostolic preaching, 5.14; and to Philip’s preaching, followed by baptism, 8.12; and in relation to persecution, 8.2; 9.2; 22.4). In sum, a part from the negative example of Ananias and his wife Saphira (Acts 5.1–11), Luke continues to show the faithful presence and participation of women.111 This background information helps to appreciate the link that Luke makes between women and prophetic activity. In Peter’s speech on the day of Pentecost, following the manifestation of the Holy Spirit on the disciples, he quotes the prophet Joel in order to demonstrate the fulfillment of God’s plan for the outpouring of his Spirit. Luke mentions that “they were all together in one place (2.1), and the subject could include both male and female disciples. In the New Testament, Luke alone cites this part of Joel’s text.112 This supports his interest in the Holy 108 An anonymous woman appears to try (Luke 11.27–28), but there is no indication of divine inspiration. What she proclaims is correct (i. e., Mary is blessed), but Jesus shifts the question of blessing on “those who hear the word of God and obey it.” 109 “On the other hand, those who prophesy speak to other people for their upbuilding and encouragement and consolation” (NRSV). 110 This is the last mention of Mary, the mother of Jesus, in the New Testament. 111 Some examples of women specifically named in Acts: Mary, mother of Jesus (1.14); Tabitha (9.36, 40); Mary, mother of John Mark (12.12); Rhoda (12.13); Lydia of Thyatira (16.14); Damaris (17.34); Priscilla (18.1, 18, 26); and groups of women are also mentioned favorably (Acts 17.4, 12; 21.9). 112 The apostle Paul cites Joel 3.5 in Romans 10.13: “For ‘Everyone who calls upon the name of the Lord shall be saved’.”

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Spirit in both volumes and the prophetic nature of Jesus’s movement, as well as his emphasis on the participation of women in prophecy. The words of Joel’s prophecy that underline the link between women and prophecy are clear: “In the last days it will happen, God says: I will pour out my Spirit upon all flesh, and your sons and your daughters shall prophesy, and your young men shall see visions, and your old men shall dream dreams, and even upon my male servants and upon my female servants, in those days I will pour out my Spirit, and they shall prophesy.” (Acts 2.17–18)

Luke certainly chose to include this passage in order to underline the Holy Spirit’s recurrent activity, and, through it, the universal impact of God’s work on all persons, regardless of sex, age, and social status. Luke describes a new phase in God’s plan as being accomplished, and all people were invited to take part in it. Here we have the prophetic confirmation of male and female servants (or slaves) of the word of God, which evokes the ellipsis “the word” in Luke’s preface (Luke 1.2). This may have been the theological inspiration for highlighting female prophetic activity in Luke 1–2. In a later passage, Luke reports an example of the realization of female prophetic activity (Acts 21.9). Without much detail on this point, Luke informs that Paul and his team came to Caesarea and stayed in the home of Philip the evangelist. In this place, significant prophetic activity seems to be taking place, because female and male prophets are mentioned. Philip, we learn, had four unmarried daughters who all prophesied.113 The use of the present participle (προφητεύουσαι) suggests the idea that these (probably young) women exercised the gift of prophecy regularly.114 During their visit, a prophet named Agabus from Judea gave a prophetic warning to Paul concerning his planned visit to Jerusalem. All those present – assuming also the four prophetesses – urged Paul to follow this exhortation, but he decided to continue his journey to Jerusalem (Acts 21.12–15). Another example that could be considered as female prophetic activity is Priscilla’s intervention (with her husband Aquila) concerning Apollos’s lack of understanding of “the way of the Lord/God” (Acts 18.24–27). It is one of the rare examples of women who actually are recorded as speaking in Acts (in either direct or indirect discourse). I hesitate to include this as prophetic, because Luke does not provide the typical markers such as the presence of the Spirit upon her nor an introductory prophetic formula.115 Above I did make an exception for the song

113 The church historian Eusebius (HE 3.31; 5.24; and 3.39) conveys a tradition (via an Ephesian church leader) about Philip and his daughters. They moved to Hierapolis in Asia Minor, where two of them stayed and remained unmarried. 114 Paul’s instructions about the gift of prophecy assume its regular implementation by women (1 Cor 11.5). 115 The expression “fervent in spirit” (ζέων τῷ πνεύματι 18.25) is debated whether it is the Holy Spirit who equips Apollos, or if it is a reference to his own enthusiasm. Additionally, this phrase qualifies Apollos and not Priscilla and Aquila.

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of Mary as a prophetic utterance based on other contextual cues. Here, however, Luke does not provide the content of their doctrinal correction. If we applied Paul’s description of prophecy (1 Cor 14.3), then Priscilla and Aquila’s intervention would certainly qualify as a prophetic utterance. But Luke does not provide a specific definition of prophecy in his two volumes; rather, it is assumed.116 Nevertheless, we can note that Apollos knew the teaching of John the Baptist about baptism (18.25), which places Apollos as a beneficiary of the prophetic tradition. Additionally, the expressions “the way of God” and “the way of the Lord” evoke ancient Jewish expressions concerning God’s will and teaching.117 Thus, Priscilla and Aquila play a crucial role by providing a fuller picture of teaching of and about Jesus. This scene is a type of mise en abyme of the pragmatic aim of Luke’s literary project stated in Luke 1.4. Subsequently, Apollos continues his teaching ministry in line with orthodox teaching (18.26) and the Jewish scriptures (18.28). In short, Apollos became “a servant of the word” thanks to Priscilla and her husband.118 An exploration of female prophetic activity in Acts cannot avoid a discussion of another female who had prophetic powers: the slave girl in Philippi (Acts 16.16). At this point in our story, the two prophetic traditions, Greek and Jewish, collide in Philippi in Macedonia. “To collide” seems the best expression to describe this encounter, for it is not a story of mutual religious edification. This anecdote is important for Luke’s narrative as he provides significant coverage of the prophetic utterance and the consequences of this encounter with Paul (16.16–40). It also illustrates Luke’s concern for demonstrating the superiority of Jesus’s power over other spiritual beings, and, consequently, the supremacy of faith in Jesus vis-à-vis pagan beliefs and practices (e. g., Acts 8.9–12; 14.8–18; 19.18–20). Jesus’s authority over the spiritual world is well documented in the first volume. Thus, Luke emphasizes continuity between Jesus and the apostle Paul who exercises Jesus’s authority over a hostile spirit. Luke describes the person as a girl (παιδίσκη) living in Philippi. She is a slave, given the mention of her owners (κύριοι 16.16, 19). She has a python-spirit (πνεῦμα πύθωνα); a detail which connects her prophetic ability with the Apollonic prophetic tradition.119 There is no mention of Delphi nor Pythia, but she is said to be connected to that source via a spirit (16.18).120 Luke explains the nature and use of this ability: she was able to prophesy or divine (μαντεύομαι). She functioned 116 Cf. Fitzmyer 1981, 430–431. 117 See Morgan 2013, 7–16; 154–160. 118 It is noteworthy that Priscilla is placed before Aquila in two occurrences (18.18, 26). Some commentators have understood this as emphasizing Priscilla’s role in the ministry. This may have bothered the scribes of the Codex Bezae, who invert the names, so that Aquila appears first. See also Acts 17.12 where ‘men’ replaces ‘women’; and 17.34 for the omission of Damaris. Cf. Marguerat 2015, 189 n. 14. 119 Manuscripts 74  A B C* D* have the more difficult reading πνεῦμα πύθωνα, while others have πνεῦμα πύθωνος (45 C3 D1 E  1739 Maj), which is probably due to scribes wishing to clarify for readers that this is “a spirit of Python,” thus a “spirit of divination.” Comfort 2008, 398. 120 For this featured passage in Acts, see Morgan 2013, 151–154, and Keener 2014, 2420–2429.

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as a seer, or fortune teller, which procured a great deal of money for her owners. How she received this power is not reported. Given the presence of a spirit which is then exercised (and in light of NT texts), the girl at some time in her life became possessed by this spirit, and this made her owners happy. Luke reports that the girl followed Paul and his missionary team for several days. But this was not a case of a girl’s curiosity; rather, she was animated by a spirit to speak repeatedly, “These men are slaves of the Most High God, who proclaim to you a (the) way of salvation” (16.17). Luke does not say what caused Paul to address the spirt possessing the girl. The best explanation is probably based on a combination of factors. The girl’s behavior was abnormal, and this simply bothered the missionaries. Local people possibly informed Paul about this girl and her commercial activity. He appears also to have recognized that this was the spirit speaking and not out of her own volition. Additionally, her words might have relativized the Christocentric message in light of the local worldview. Their message could have been understood according to local beliefs as “a way of salvation”; and their God was simply the “Most High God” (δοῦλοι τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου), who could be a great divinity like Zeus within a pantheon of gods.121 The repetition and the ambiguity of the prophetic utterance seem to have had a taunting ring to it and moved Paul to action. He and his colleagues needed no support from this Python-spirit for success.122 Subsequently, Paul spoke directly to the demon and it left the girl. Paul’s authority derived from his source: “I order you in the name of Jesus Christ to come out of her” (16.18). The young girl was now set free spiritually, which caused great anger in her owners. They saw the drachmas rolling away with this spiritual deliverance. This, in short, was the spark that caused an immediate upheaval in the local population. The collision of prophetic traditions within the social and economic spheres is manifest in their exclamation: “These men are disturbing our city; they are Jews and are advocating customs [ἔθη] that are not lawful for us as Romans to adopt or observe” (16.20–21 NRSV). One is curious to know something more about the girl’s life after this spiritual liberation, for example, what happened to her in relation to her owners, whether she was sold to others or kept and possibly mistreated because of her loss of prophetic powers. Luke, if he knew it, chose to focus on the clash between Jesus’s missionaries and a hostile crowd. In summary, this encounter between two spiritual forces is not a new feature in Luke-Acts. Unlike Herodotus’s portrayal of the spiritual world which does not describe conflicts between gods, nor does it view gods or spirits as good or bad, Luke presents any spirit that does not submit to Jesus or his followers as being antagonistic. For Luke, there is no neutral ground. This evinces Jesus’s mandate as reported by Luke (4.16–30) in which Jesus claims authority within the Jewish

121 A deity known in the Greco-Roman world as Theos Hypsistos. See Trebilco 1989, and Keener 2014. 122 Luke reports other scenes in which Jesus casts out demons who express true statements about him (Luke 4.41; 8.28).

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prophetic tradition citing Isaiah 61.1–2 in which the words are particularly illuminating: “The Spirit of the Lord is upon me,” and “he has sent me to proclaim release to the captives” and “to set free the oppressed.” Luke’s theological accent is on salvation, and this encompassed victory over evil forces. Through this example and others, Luke makes it clear that Jesus was not alone in his service, nor were his apostles. Men and women were in the service of the word of God, in word and deed.

4. Conclusion The visibility of women in the Histories and Luke-Acts displays unusual sensitivity toward women in light of the patriarchal societies of the times they describe and of the literary contexts in which they wrote. This element reflects Herodotus and Luke’s universal perspective on human existence, which included men and women performing various roles in Greek and non-Greek societies. In their own ways, they portray intricate relationships involving religion, politics, and customs. Being sympathetic to the worldviews underlying their histories, Herodotus and Luke portray women within those frameworks, which are mostly assumed and not argued. Although their historiographies represent very different theological perspectives, both authors see no apparent need to justify their beliefs in the gods or in God.123 Consequently, for both authors, oracular and prophetic exempla have a programmatic function as additional authoritative voices to support their own perspectives. By narrating prophetic utterances, these in turn become mouthpieces for our historians. In this respect, François Hartog is certainly right in describing Herodotus as having “a type of oracular authority.”124 This could equally be applied to Luke, who assembles ancient and fresh prophecies to demonstrate the realization of God’s plan. Therefore, in the narrative strategies of both authors, women of prophecy come to the fore very early, and they are placed in relation to established prophetic traditions. All these elements orient readers for the reception of their histories. What then is so marvelous about the women portrayed by Herodotus and Saint Luke? Both show women involved in divine communication that had an extensive impact in time and space. Like their worldviews, they do not justify women’s participation in their prophetic traditions. These fathers of history portray women as servants of divine communication and thus take part in the divine governance over human customs and social order. In Herodotus’s eyes, the Pythia and the Delphic Oracle were indeed directly or indirectly responsible for some of the marvelous deeds that he investigated. His narrative shows her participation in key developments among the Greeks and non-Greeks. According to Herodotus, without Apollo’s inspiration and the Pyth-

123 Cf. Morgan 2019. 124 Hartog 2000, 395.

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ia’s voice, the Greeks probably would have fallen to Persian domination. The various women who exercised the role of the Pythia were by far the most important women in those times. For this reason, the role of the Pythia within the renowned oracular institution can be understood as passive and active, a paradoxical reflection of the spiritual unity between Apollo and the Pythia. It exhibits the divine and human sides of one voice, the Delphic Oracle; an unusual collaboration working toward balance in world history. In Luke-Acts, the author introduces prophetic activity of women and men in the opening chapters, and he relates other key oracular moments throughout the two volumes. Although the temple of Jerusalem is mentioned several times in Luke-Acts, it is not depicted as an oracular center such as Delphi in the Histories. Luke envisages the decentralized nature of prophetic activity, performed by men and women and in various places. For Luke, Joel’s oracle found its fulfillment in Jesus’s prophetic movement. His interest in highlighting women in relation to divine communication confirms the fulfilment of this prophecy and bolsters his theological project that emphasizes salvation in Jesus and freedom from the oppression of evil forces among all nations, regardless of sex, age, or social class. In Luke’s eyes, women of prophecy, as true “servants of the word,” certainly deserved Herodotus’s description of ‘marvelous’. In the Histories, the Greek and Jewish prophetic traditions never meet. They do, however, cross paths in Luke-Acts. Indeed, they clash in Philippi, and only one comes out the winner. Luke reports no Christian assault on the temple of Delphi, nor a direct, verbal polemic on the Pythia. He does, however, describe the spiritual liberation of another woman of prophecy, a slave girl possessed by the Python-spirit. This episode supports Luke’s emphasis on the superiority of Jesus’s power over other spiritual beings, and, consequently, the supremacy of faith in Jesus versus pagan beliefs and practices. In light of the significant attention that Plutarch (a contemporary of the author of Luke-Acts), gives to the Delphic Oracle, it seems justifiable to consider that Luke wanted to prove something through this episode to his pagan readers as well as to encourage Christian readers from pagan backgrounds. From this seemingly insignificant event in Macedonia, who would have thought it possible that, a few centuries later, the worship of the son of Mary would provide the grounds to bring an end to the Delphic Oracle, and thus, to the role of the Pythia. But even before the empire-wide eradication of pagan practices by Theodosius I in 391 CE, things were not going well for the Oracle during the brief term of emperor Julian (361–363 CE). According to a letter from Oribasius, his quaestor, Julian is informed of what ironically appears to be Delphi’s last oracular response: “Tell the king the fair wrought hall is fallen to the ground. No longer has Phoebus [Apollo] a hut, nor a prophetic laurel, nor a spring that speaks. The water of speech even is quenched.”125 The Pythia’s voice would no longer be heard in Delphi, thus marking the end of one of the most celebrated roles for women in antiquity. 125 The quotation is taken from Scott 2014, 243. The reliability of this letter is questionable.

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Scullion 2006: S. Scullion, Herodotus and Greek Religion, in: Carolyn Dewald and John Marincola (Ed.), The Cambridge Companion to Herodotus, Cambridge 2006, 192–208. Seim 1994: T. K. Seim, The Double Message. Patterns of Gender in Luke-Acts, Edinburgh 1994. Shillington 2015: V. G. Shillington, An Introduction to the Study of Luke-Acts, London 2 2015. Sourvinou-Inwood 2012: C. Sourvinou-Inwood, Delphic Oracle, in: S. Hornblower/ A. Spawforth/E. Eidinow (Ed.), The Oxford Classical Dictionary, Oxford 2012, 428–429. Spencer 2012: F. S. Spencer, Salty Wives, Spirited Mothers, and Savvy Widows. Capable Women of Purpose and Persistence in Luke’s Gospel, Grand Rapids 2012. Trebilco 1989: P. R. Trebilco, Paul and Silas – Servants of the Most High God (Acts 16.16– 18), in: JSNT 36 (1989), 51–73. Ustinova 1983: Y. Ustinova, Caves and the Ancient Greek Mind. Descending Underground in the Search for Ultimate Truth, Corby 2009. Wiedemann 1983: T. E. J. Wiedemann, Ἐλάχιστον … Ἐν Τοῖς Ἄρσεσι Κλέος. Thucydides, Women, and the Limits of Rational Analysis, in: Greece and Rome 30, no. 2 (1983) 163–70. Wolff 1964: E. Wolff, Das Weib des Masistes, in: Hermes 92, no. 1 (1964) 51–58.

Peter Lampe

Exegetisch-hermeneutisches Plädoyer für kirchliches Trauen gleichgeschlechtlicher Paare Im Versuch, sich vom Literarsinn biblischer Traditionen zu emanzipieren, ringen die Kirchen derzeit über die Legitimität kirchlicher Segnungen und Trauungen von gleichgeschlechtlichen Paaren. Ähnlich lebhaft diskutieren die Synagogen verschiedener Couleur.1 Das biblische Erbe scheint eindeutig. Lev 18,22 und 20,13 ächten Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Männern. Mischna und Talmud bekräftigen das Tabu.2 Über lesbische Beziehungen handelt die Hebräische Bibel nicht, doch bezieht die antike jüdische Tradition die Leviticus-Stellen auch auf Frauen – ebenso wie Paulus in Röm 1,26b.3 Der Kontext der beiden Leviticus-Stellen (v. a. Lev 18,3.24 f.27.30) legt nahe, dass ihr Verbot Israel bei der Suche nach Eigenidentität von ägyptischen und kanaanäischen Sexualpraktiken abgrenzen sollte.4 Möglich ist deshalb, dass die Tabuisierung homosexuellen Verkehrs (Lev 18,22) besonders auf die aus dem kanaanäischen Fruchtbarkeitskult zuweilen auch ins Volk Israel eingedrungene (Dtn 23,18b; 2 Kön 23,7; 1 Kön 14,24) männliche Tempelprostitution abzielte. Doch änderte dies nichts an dem allgemeinen Charakter des Verbots, wie Lev 20,13 zeigt. Kategorisch fällt auch das Tabu jeglichen gleichgeschlechtlichen Verkehrs in Röm 1,26–27 aus. Daran rütteln nicht etwaige Diskussionen, ob Paulus in 1 Kor 6,9 lediglich homosexuelle Pädophilie oder homosexuelle Prostitution ächte.5 Röm 1,26–27 bleibt eindeutig.

1 Leicht zugänglich z. B. der Einblick in die innerjüdische Diskussion bei Felice-Judith Ansohn, Juden und Homosexualität: http://www.hagalil.com/deutschland/yachad/homosexual.htm (mit Lit.; 17.2.2019). 2 Vgl. mSan 7,4; bSan 54a; mQid 4,13,15; bQid 82a; bNed 51a. 3 Vgl. Sifra 9,8: 2./3. Jahrhundert n. Chr.; bYev 76a. Nicht nur zur modernen, sondern auch zur antiken Diskussion innerhalb des Judentums vgl. z. B. Felice-Judith Ansohn (s. o. Anm. 1). Selbst wenn Paulus in Röm 1,26b auch noch andere Praktiken im Auge gehabt haben sollte, z. B. Sexualverkehr während der Monatsblutung, wäre dadurch lesbischer Verkehr angesichts der Parallelität zu Röm 1,27 nicht ausgeschlossen. 4 Vgl. auch Gen 9,20–25. 5 Dagegen zuletzt nach neuem Aufrollen der Debatte und der philologischen Evidenz Cook 2019. Unspezifisch bezeichnet ἀρσενοκοίτης (auch in 1 Tim 1,10) einen Mann, der einen anderen Mann penetriert, und μαλακός den passiven Teil einer gleichgeschlechtlich-sexuellen Beziehung (was ein minderjähriger Junge sein kann, aber nicht muss).

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Auch andere Relativierungen der biblischen Stellen überzeugen wenig. So versucht z. B. der Ludwigsburger Theologe und Pädagoge Siegfried Zimmer darzulegen, dass die Ächtungen der Bibel gar nicht das beträfen, was heute zur Debatte stünde, nämlich das kirchliche Segnen von schwulen oder lesbischen Partnern, die auf Augenhöhe sich begegnen – das heißt, ohne Ausnutzung von Machtgefällen wie bei sexuellen Handlungen mit Minderjährigen – und dabei monogam leben wollen, also auch nicht gleichzeitig bisexuell sich betätigen oder zusammen mit einer Frau in einer Familie leben.6 Dergleichen Augenhöhe und monogame Ausrichtung von Schwulsein habe es in der Antike gar nicht gegeben, weshalb die Bibelstellen auf etwas anderes abzielten, als was heute zur kirchlichen Debatte stünde. Die kritischen Nachfragen folgten auf dem Fuß. Kannte die Antike Homosexualität zwischen auf Augenhöhe Gleichgestellten nicht, sondern nur die Knabenliebe eines älteren Mannes, wie Zimmer behauptet? Kannte sie keine monogame Treue zwischen Gleichgeschlechtlichen? Der antiken Gegenbelege werden mit Recht viele ins Feld geführt. Den von zum Beispiel Mario Wahnschaffe zusammengestellten7 füge ich Aristophanes Rede in Platos Symposium (Plat. symp. 189c–193d) als besonders eindrucksvollen Text hinzu, in der er homosexuelle Beziehungen nicht nur zwischen Älteren und Jüngeren, sondern auch zwischen gestandenen Männern, die Staatsämter zu bekleiden vermögen, also auf Augenhöhe sich begegnen, als besonders treu rühmt (Plat. symp. 192b[fin].c.d.e) – angeblich treuer als bei heterosexuellen Verbindungen (Plat. symp. 191d.e) – und so den verbreiteten Vorwurf der Schamlosigkeit des Schwulseins zu widerlegen sucht. Ich wähle einen anderen Weg, uns den biblischen Texten zu nähern, ohne weder ihr kategorisches Ächten zu leugnen noch ihre Treffsicherheit auf die von der Kirche zu segnenden oder zu trauenden Paare in Frage zu stellen. Zweifelsohne brechen die genannten fünf Bibelstellen (Lev 18; 20; Röm 1; 1 Kor 6; 1 Tim 1) den Stab über jedwede gleichgeschlechtliche Praxis. Dennoch sind diese fünf Textstellen innerhalb des Kanons in ihrer Normativität für uns zu relativieren – durch Sachkritik an der Bibel mit der Bibel selbst, also nicht leichter Hand mit Vorstellungen, die wir aus unserer Moderne oder Postmoderne mitbringen, um den Bibeltext als veraltet zu deklarieren. Das wäre billig. Zu billig wäre aber auch, allgemein das biblische Agape-Gebot gegen jenes biblische Verbot zu stellen – im Stile von „So lieblos können wir mit unseren schwulen und lesbischen MitchristInnen nicht umgehen; wir müssen ihnen mit liebevoller Toleranz begegnen.“ Heißt Liebe, alles gut zu heißen und zu tolerieren? Sicher nicht.8

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S. Zimmers verbreitete Rede „Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle“ ist leicht zugänglich: https://www.youtube.com/watch?v=VLf-umCdAkg (17.2.2019). 7 Vgl. die Stellungnahme: Mario Wahnschaffe, Prof. Dr. Siegfried Zimmer und die „schwule Frage“: https://www.mariowahnschaffe.de/blog/einzelpredigten/prof-dr-siegfried-zimmer-und-dieschwule-frage (17.2.2019). 8 Akzeptierendes Tolerieren unterscheidet sich vom geduldigen Aushalten (1 Kor 13,7), das nicht zuletzt geduldiges Erleiden von (nicht-akzeptiertem) Unrecht meint.

Plädoyer für kirchliches Trauen gleichgeschlechtlicher Paare

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Ich schlage vor, 1 Kor 7,3–6 in die Debatte einzuführen, Paulus nüchternes Eheverständnis, und dieses auf hermeneutische Konsequenzen auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften hin abzuklopfen. Von 1 Korinther 7 her ist Sachkritik an Paulus traditionalistischem Wiederholen jüdischer Tradition in Röm 1,26–27 (1 Kor 6,9) zu üben und zu einer Legitimation heutiger kirchlicher Trauungen von schwulen und lesbischen Paaren vorzudringen.

1. Paulus nüchternes Eheverständnis (1 Kor 7,3–6) Innerhalb der monogamen heterosexuellen Ehe (1 Kor 7,3–6) ist für Paulus das Ausleben von Sexualität nicht nur erlaubt, die Partner sind aus seiner Sicht sogar verpflichtet, die sexuellen Bedürfnisse des Gegenübers zu befriedigen. Denn jeder der Ehepartner hat Anrecht auf den Körper des anderen. Keiner kann über den eigenen Körper verfügen, ohne auf die Ansprüche des anderen auf diesen Körper Rücksicht zu nehmen (1 Kor 7,3–4). Paulus Eheausführungen überraschen an mehreren Punkten: Ȥ Die Formulierungen von 1 Kor 7,3–4 erstaunen in ihrer konsequenten Reziprozität. Jegliche Schlagseite, etwa dass nur die Frau die Lust des Mannes zu befriedigen hätte, wird vermieden. Beide Geschlechter werden gleich in ihren Anrechten und Pflichten dargestellt. Eine parallele chiastische Struktur lässt sich beobachten: Pflicht des Manns (= Recht der Frau) – Pflicht der Frau (= Recht des Manns) Recht des Manns (= Pflicht der Frau) – Recht der Frau (= Pflicht des Manns).

Statt sich selbst zu besitzen, besitzen die Ehepartner einander. Sie sind verantwortlich für das Befriedigen des anderen. Ihre Beziehung beruht auf gegenseitigem Einverstehen (1 Kor 7,5).9 Ȥ Für den, dem Gott das Charisma der sexuellen Askese nicht schenkte, ist die Ehe dazu da, den Sexualtrieb sich ausleben zu lassen, Lust zu befriedigen und so Porneia, das heißt für Paulus, jede sexuelle Begegnung außerhalb der Ehe, zu vermeiden (1 Kor 7,2.5[fin].9[fin]). Die Ehe stellt sich für den Asketen Paulus, 9

Die aus heutiger Sicht vorbildliche Reziprozität und Gleichstellung der Geschlechter in 1 Kor 7 wird in 1 Kor 11 teilweise durchlöchert, wo Paulus seinen Kulturschock über die unbedeckten Köpfe der Korintherinnen verarbeitet; in seiner Heimatstadt Tarsus liefen die Frauen burkaähnlich verhüllt herum (Dion Chrys. 33,48). In seinem Plädoyer für das Kopfbedecken der westlicheren Korintherinnen greift er auch auf die Genesis zurück und redet nun doch auch wieder traditionalistisch vom Mann als Haupt der Frau, wovon in 1 Kor 7 bei den Eheausführungen kein Wort fiel. Der Text von 1 Kor 11,2–16, theologisch-argumentativ das Schwächste, das Paulus je schrieb, kann in seiner Argumentation Schritt für Schritt dekonstruiert werden. Es bleibt am Schluss nur das Argument: Im Osten haben die Gemeinden es immer so gemacht! Siehe zu den Einzelheiten Lampe 2012.

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so ist zu folgern, als kleineres Übel dar. Von einem sakramentalen Verständnis der Ehe ist dieser Text weit entfernt. Gefolgert werden kann zudem, dass das Sexualleben in der Ehe gut sein muss, damit die Ehe ihren Zweck erfüllen kann, „satanische“ (1 Kor 7,5b) Porneia-Verlockungen von außen abzuwehren. Beide Partner sind gleichermaßen für diese Art der Pflege der Ehe verantwortlich. Dass ein derartiger ehelicher „Hedonismus“ auf der Linie der Überlegungen eines Asketen liegt, überrascht, ist aber konsequent, wenn Porneia-Vermeidung für den Asketen Paulus ein der Ehe übergeordnetes Ziel ist. Ȥ Konsequent ist dann auch, dass der Asket Paulus nicht die Frequenz des sexuellen Verkehrs in der Ehe limitiert, sondern umgekehrt die sexuelle Abstinenz in der Ehe begrenzt. Vers 5 tönt so, als würde jemand sagen: „Habt so viel Sex wie möglich in der Ehe“.10 Paulus begrenzt in 1 Kor 7,5 die Abstinenz innerhalb der Ehe, indem er jene an drei Bedingungen knüpft. (1) Sie sollte zeitlich begrenzt sein. (2) Beide Partner müssen mit ihr einverstanden sein. Sie kann nicht einseitig aufgezwungen werden. (3) Nur zum Zweck des Gebets, also zur Pflege der Christusbeziehung, sollte zeitweilig abstinent gelebt werden. Auf die Idee, dass Ehepartner Spiritualität auch gemeinsam leben könnten, kommt der unverheiratete Paulus nicht. Abstinenz in der Ehe zu begrenzen, war damals weniger sensationell, als es scheinen mag. Auch das rabbinische Judentum diskutierte leidenschaftlich über die maximal erlaubte Länge abstinenter Phasen in der Ehe, nicht etwa über eine Obergrenze der Frequenz ehelichen Geschlechtsverkehrs. Rabbi Eliezer in der Mischna (mKet 5,6) entschied: Die, die nicht arbeiten, sollen jeden Tag mit ihrer Frau schlafen, Arbeitende mindestens zweimal die Woche, Esel­treiber wenigstens einmal pro Woche und Kameltreiber einmal im Monat; Seeleute auf großer Fahrt wenigstens einmal im Halbjahr. Ȥ An keiner Stelle erwähnt Paulus Fortpflanzen als Zweck der Ehe. Nachkommen spielen für Paulus Eheverständnis keine Rolle.11

10 Der Apostel schützt sich dann freilich auch gleich gegen ein mögliches Missverstehen und fügt hinzu: Versteht mich nicht falsch; das ist jetzt keine Anordnung an alle Christen (sich zu verheiraten und dann viel Geschlechtsverkehr zu haben), sondern eine Konzession an die, die nicht wie ich die Gnadengabe haben, ehelos-asketisch zu leben (1 Kor 7,6 f.). 11 Anders als im antiken Judentum. Mischna und babylonischer Talmud basieren ihr Ablehnen von Homosexualität u. a. auf der Kinderlosigkeit, die mit ihr einhergehe, denn schließlich gelte das Fruchtbarkeitsgebot von Gen 1,28 (mYev 6,6; bYev 63b). Weitere Gegenargumente (bNed 51a): Wenn ein Mann Frau und Kinder für einen anderen Mann verlässt, werde die Familie zerstört. Oder bSan 58a: Homosexualität widerstrebe der menschlichen Natur und Schöpfungsordnung von Gen 2,24. Empirisch ist heute einzuwenden, dass sich in der „Natur“ eine Vielfalt von Möglichkeiten, Sexualität zu leben, beobachten lässt; theologisch, dass alle Menschen Abbild Gottes (Gen 1,27) sind, nicht nur die Heterosexuellen (dazu s. u.). – Wenn die Ehe Paulus zufolge der Befriedigung sexueller Lust dient und nicht allein der Proliferation, folgt für den Ethiker heute, dass auch Geburtenkontrolle auf der Linie dieses biblischen Textes liegt. Ein Argument für Abtreibung ist daraus freilich nicht zu schmieden.

Plädoyer für kirchliches Trauen gleichgeschlechtlicher Paare

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2. Hermeneutische Anwendung Wie sind die Linien des Textes hermeneutisch auszuziehen? In 1 Korinther 7 lässt Paulus den Korinthern die Freiheit, zwischen Askese und monogamer heterosexueller Partnerschaft zu wählen. Er ließ damit wenigstens eine rudimentäre Pluralität der Lebensstile zu. Zu fragen ist, ob diese Freiheitslinie hermeneutisch weiter auszuziehen ist oder ob wir eher die restriktive Linie des Textes weiterverfolgen sollen, auf der alle Formen von Sexualität außerhalb der monogamen hetero­ sexuellen Partnerschaft Porneia sind. Auf der zweiten Linie fuhren die Kirchen in der Geschichte ab, denn sie hielten sich an Paulus ethische Konklusionen als normatives Geländer, nicht an die Kriterien, die den Apostel zu solchen Konklusionen führten. Wir haben – im Gegensatz zu anderen neutestamentlichen Autoren – bei Paulus den Luxus, dass er sich oft genug müht, seine apostolischen Empfehlungen argumentativ zu begründen; nicht immer greift er traditionalistisch auf unhinterfragte Erbstücke zurück wie im Falle der Tabuisierung der Homosexualität. Halten wir uns an Paulus Kriterien hinter seinen Entscheidungen als normatives Geländer, dann könnte es sein, dass wir zu anderen Konklusionen in der Situation des 21. Jahrhunderts vorstoßen, als Paulus dies tat. Mit anderen Worten, ich schlage vor, die Kriterien und den Gedankengang, die Paulus zur Begründung der heterosexuellen Ehe benutzt, auf homosexuelle Partnerschaften anzuwenden – vorurteilslos. Ȥ Paulus hält fest: Askese wäre eigentlich die beste Option. Wem aber das „Gottesgeschenk“ (Charisma) nicht gegeben wurde, sich sexueller Aktivität zu enthalten, zu der ihn sein sexueller Impuls treibt, der soll eine monogame Partnerschaft eingehen, um Porneia zu vermeiden. Ȥ Das Zugeständnis, das Paulus hier macht, ist sowohl auf hetero- als auch homosexuelle Verbindungen anzuwenden. Denn heute wissen wir, dass Homo­ sexualität in den allermeisten Fällen auf Faktoren zurückzuführen ist, die nicht der moralischen Willenskraft unterliegen: epigenetische, pränatale und andere Faktoren – ohne dass in diese Diskussion hier einzusteigen ist. Diese Faktoren machen jene sexuelle Orientierung aus, jenen von Paulus apostrophierten sexuellen Impuls, dem niemand sich durch Willenskraft zu entziehen vermag, wenn Gott das Charisma der Askese nicht schenkte. Entgegen antik-jüdischer Tradition, die an die Willenskraft des Menschen appellierte und Homosexualität als moralisches Defizit wertete, wissen wir heute, dass homosexuelle Neigung nicht durch Willenskraft, Therapie oder heterosexuelle Ehe umorientiert wird. Der schwule Mann und die lesbische Frau nehmen sich als so geschaffen wahr. Auch die Hautfarbe ändert niemand, wenn er sich willentlich anstrengt. Ȥ Sind wir bereit, dies zuzugestehen und so dem empirischen Wissen unserer Zeit Raum zu geben, beziehen sich zwangsläufig alle Aussagen von 1 Kor 7,3–6 über die heterosexuelle Partnerschaft auch auf homosexuelle Verbindungen. Unter diesem Blickwinkel ist der Text nochmals von vorne zu lesen: Gab Gott dir die

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Askese nicht als Charisma mit, dann lebe deinen hetero- oder homosexuellen Impuls aus, mit dem du von Gott geschaffen wurdest. Lebe ihn aus – jedoch in einer Partnerschaft, in der ihr beide auf Augenhöhe mit gleichen Anrechten und Pflichten einander begegnet. Lebe ihn aus in Monogamie, damit du nicht rastlos in Unverbindlichkeiten diesem Impuls nachgehen musst. Diesen paulinischen Überlegungen entsprechend wäre der Kirchen Auftrag, solche Paare in ihrer Zweisamkeit zu stabilisieren, wenn sie dies möchten, anstatt sich der Pflege solcher Verbindungen zu entziehen oder sie gar unter Feuer zu nehmen. Ihre Aufgabe wäre, zu stabilisieren nicht nur durch Seelsorge und rituellen Segen, sondern auch durch die Trauung gleichgeschlechtlicher Kinder Gottes?12

Literaturverzeichnis Ansohn: F. -J. Ansohn, Juden und Homosexualität, unter: http://www.hagalil.com/ deutschland/yachad/homosexual.htm (17.2.2019). Cook 2019: John G. Cook, μαλακοί and ἀρσενοκοῖται. In Defence of Tertullian’s Translation, in: NTS 65 (2019) 332–352. Lampe 2012: P. Lampe, Paulus und die erotischen Reize der Korintherinnen (1 Kor 11,2– 16), in: R. Knieling/A. Ruffing/W. Bühlmann (Hrsg.), Männerspezifische Bibelauslegung. Impulse für Forschung und Praxis (BThS 36), Göttingen 2012, 196–207. Lampe 2016: P. Lampe, Die Legitimität kirchlicher Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare: Last und Chance biblischen Erbes, in: Rundbrief für den evangelischen Religions-Unterricht im Kirchenbezirk Baden-Baden und Rastatt 8 (Sept. 2016) 2–6. Lampe 2017a: P. Lampe, Die Legitimität kirchlicher Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare: Last und Chance biblischen Erbes, in: Religionsunterricht Aktuell (hrsg. vom Schul­dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Markgräflerland) 7/1 (2017) 6–10. Lampe 2017b: P. Lampe, Der Bibel treu: Mit Paulus für Trauung gleichgeschlechtlicher Paare, in: Zeitzeichen 18/1 (2017) 42–44. Wahnschaffe: M. Wahnschaffe, Prof. Dr. Siegfried Zimmer und die „schwule Frage“, unter: https://www.mariowahnschaffe.de/blog/einzelpredigten/prof-dr-siegfried-zimmer-unddie-schwule-frage (17.2.2019). Zimmer: S. Zimmer, Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle, unter: https://www.youtube.com/watch?v=VLf-umCdAkg (17.2.2019).

12 Populäre, kürzere Fassungen dieses überarbeiteten Beitrags erschienen in kirchlichen Blättern: Lampe 2016; Lampe 2017a; Lampe 2017b.

Stefan Schreiber

Wo sind die Frauen in der „Männerliste“ von 1 Joh 2,12–14?

Die im Neuen Testament gesammelten Briefe der zweiten und dritten christlichen Generation spiegeln die Herausforderung, die eigene Position innerhalb der jeweiligen städtischen Gesellschaft in der Zeit des frühen römischen Prinzipats zu finden. In dieser Situation kommt es – stärker als bei Paulus – zur Aufnahme oder Übernahme gängiger sozialer Muster und Strukturen in die Lebenswirklichkeit christlicher Gemeinden. Die Kosten solcher Prozesse sozialer Anpassung hatten nach Ausweis der Quellen nicht zuletzt die Frauen in den Gemeinden zu tragen, die aus einer Position weitgehender „Gleichstellung“ mit den Männern in den paulinischen Gemeinden1 wieder stärker in die „normalen“ gesellschaftlichen Rollen zurückgedrängt wurden.2 Max Küchler hat in seiner Habilitationsschrift „Schweigen, Schmuck und Schleier“ bereits 1986 einen wichtigen Beitrag zum Verständnis dieses Prozesses geleistet, wobei er dessen frühjüdischen Kontext ins Bewusstsein gebracht hat: die Konfrontation jüdischer Identität mit der mächtigen hellenistischen Kultur. Die Frage nach der gruppenspezifischen Rezeption kultureller Rollenbilder sensibilisiert für eine kritische Lektüre des 1. Johannesbriefes hinsichtlich der Rolle von Frauen. Auch eine Festschrift verlangt Rollenverteilungen: Und so lasse ich mich von der kritischen Kraft des νεανίσκος Max Küchler zu meinen Überlegungen inspirieren, um sie nun dem reifen Urteil des πατήρ Max Küchler anheimzustellen. Bei der Lektüre des 1. Johannesbriefes (und auch von 2/3 Joh) drängt sich der Eindruck auf, dass überhaupt keine Frauen vorkommen – weder in den Anreden der Adressaten noch in irgendwelchen Briefpassagen. Dieses Fehlen wird in 1 Joh 2,12–14 besonders deutlich, wo die Briefadressaten zwar zunächst geschlechtsneutral als „Kinder“ (τεκνία bzw. παιδία) angesprochen sind, dann aber nur noch „Väter“ (πατέρες) und „junge Männer“ (νεανίσκοι) als eigene Gruppen genannt werden. Der Plural πατέρες kann grundsätzlich auch „Eltern“ heißen, dürfte hier aber – einem patrilinearen Denken folgend – eher die „Väter“ als Träger der gruppen-

1 2

Vgl. nur Gal 3,28; 1 Kor 11,2–16; Röm 16,1–5a. Häfner/Schreiber 2016, 38–41.46.

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spezifisch geltenden Werte und Normen meinen.3 Für die männliche Semantik spricht auch die Parallele zu den νεανίσκοι, bei denen die Rezipienten durch die Verbindung mit dem semantischen Feld „siegen“ und „stark sein“ mit hoher Wahrscheinlichkeit an Männer gedacht haben, die jung und kräftig und zum Kriegsdienst tauglich sind.4 In der Forschung werden die „Väter“ und „jungen Männer“ häufig als Ausdifferenzierung der Gemeinde, die zuvor als „Kinder“ in ihrer Gesamtheit angesprochen ist, in zwei Gruppen verstanden. Man kann dabei an konkrete Personengruppen denken: Die Väter zählen schon lange zur Gemeinde, während die jungen Männer erst relativ neu dazugekommen sind.5 Oder man deutet die Differenzierung als rhetorische Variation.6 Frauen werden dabei nicht sichtbar, im Gegenteil: Sie scheinen für die Existenz der Gemeinden, an die 1 Joh schreibt, keine Rolle zu spielen. Treten sie wieder ganz hinter der öffentlichen Funktion der Männer zurück? Muss man mit Georg Strecker folgern, dass „die Männer, nicht die Frauen, die eigentlichen Träger des Gemeindelebens“ waren?7 Allerdings lohnt die konkrete Gestaltung des kurzen Textes 1 Joh 2,12–14 einen genaueren Blick, der diese prima facie gewonnenen Eindrücke auf den Prüfstand stellt.

1. Die Form des Textes 1 Joh 2,12–14 In 1 Joh 2,12–14 wird ein bewusster Gestaltungswille sichtbar. Der Text besteht aus sechs Sinnzeilen, die formal parallel aufgebaut sind: Einer Verbform, die den Schreibakt reflektiert, folgt die Anrede einer Personengruppe, nach der eine knappe 3

In 1 Joh bezieht sich πατήρ im Singular immer auf Gott. Im Plural steht der Begriff nur in 1 Joh 2,13.14. In Joh 4,20; 6,31.49.58; 7,22 (und vielen anderen Stellen im NT) stehen die „Väter“ für die Vorfahren und Traditionsträger Israels (bzw. der Samaritaner). Diese Bedeutung dürfte auch hier vorauszusetzen sein. 4 Vgl. Menge 1991, 466. Der Begriff öffnet einen weiten Spielraum des konkret bezeichneten Lebensalters; s. u. 5 So von Wahlde 2010, 71 f.74.80, unter Verweis auf die Differenzierungen innerhalb Israels in Ex 10,9; Jos 6,21; Jes 20,4; Ez 9,6; vgl. Brown 1982, 318; Schnackenburg 1984, 124.126; Yarbrough 2008, 114.116 f.; Hahn 2009, 225. Die LXX verwendet allerdings die Begriffe πρεσβύτεροι bzw. πρεσβύτης und meist werden auch Frauen genannt. Houlden 1973, 70 f., deutet als Presbyter und Diakone; Rusam 2018, 43, als „Menschengruppen, die sich durch Alter und Reife voneinander unterscheiden“; Painter 2002, 188, schlicht als „senior members“. – An konkrete Gemeindegruppen, die sich jedoch kaum differenzieren lassen, denkt Strecker 1989, 115.117 f. – Watson 1989, 99–101, erkennt die rhetorische Figur der distributio: Der Verfasser spricht zuerst die Gesamtheit der Adressaten an („Kinder“) „and then distributed it into the two constituent groups of fathers and young men“ (101). 6 Schnelle 2010, 94 f. Vgl. Lieu 2008, 87. Von „Alt und Jung in Israel“ her (Belege s. vorige Anmerkung) deutet Beutler 2000, 68, „im Sinn einer Totalität“. – Smalley 2008, 69–71, diskutiert Positionen der älteren Forschung (und sieht sowohl ältere und jüngere Gemeindeglieder als auch die spirituellen Qualitäten aller Christen angesprochen). 7 Strecker 1989, 115.

Wo sind die Frauen in der „Männerliste“ von 1 Joh 2,12–14?

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inhaltliche Prädikation (als Begründung oder eher als Inhalt des Schreibens) steht.8 Der Text erhält dadurch einen katalog- oder listenartigen Charakter. Dabei lässt sich eine Anordnung in zwei Dreiergruppen beobachten, die sich durch das Stilmittel der Anapher (dreimal „ich schreibe euch“, dreimal „ich schrieb euch“), die Wiederholung der drei Adressatengruppen und das Tempus des jeder Zeile voranstehenden Verbs ergibt: Die ersten drei Zeilen stehen im Präsens („ich schreibe“), die zweiten im Aorist („ich schrieb“), so dass zwei Strophen unterscheidbar werden. Dabei sind die Inhalte des Schreibens in der jeweils mittleren Zeile, also Zeile zwei und fünf, identisch („ihr habt erkannt den ‚von Anfang an‘“), in der jeweils letzten Zeile, also Zeile drei und sechs, teilweise identisch („ihr habt den Bösen besiegt“). Ein Akzent liegt auf der letzten Zeile, da dort die inhaltliche Bestimmung am umfangreichsten ausfällt. Auffällig ist der Tempuswechsel vom Präsens (γράφω) in 2,12 f. zum Aorist (ἔγραψα) in 2,14. Er wird noch auffälliger, wenn man wahrnimmt, dass im Kontext des ganzen Briefes das Verb „schreiben“ bis zu 2,13 immer im Präsens steht (2,1.7.8 „ich schreibe“), danach immer im Aorist (2,21.26; 5,13 „ich schrieb“). In beiden Fällen bezieht sich das Schreiben auf den vorliegenden Brief: einmal aus der Perspektive des Verfassers, der gerade schreibt, dann bereits auf die Adressaten hin formuliert, die das fertige Produkt des Schreibaktes lesen bzw. hören. Eine Bezugnahme auf den Schreibakt oder den aktuellen Brief in der Vergangenheitsform begegnet in antiken Briefen häufiger.9 Mit dem Tempuswechsel kommt ein rhetorisches Mittel zum Einsatz, das eine Wiederholung der drei angesprochenen Personengruppen erlaubt und den mit ihnen verbundenen Inhalten starkes Gewicht verleiht. Betonung und Vertiefung sind das Ergebnis. Der Abschnitt lässt eine auffällige Verdichtung metakommunikativer Äußerungen erkennen. Alle sechs Sätze beginnen mit dem expliziten Hinweis auf den Schreibakt des Verfassers und schließen daran eine direkte Anrede der Adressaten mittels Gruppenbezeichnungen an. Das Beziehungsgefüge zwischen Verfasser und Adressaten wird damit einmal durch das Medium des Schriftstückes bestimmt, was eine gewisse (räumliche) Distanz signalisiert, zum anderen durch die Differenzierung von drei Adressatengruppen, worin sich die Art und Weise, wie der Verfasser seine Adressaten wahrnimmt, spiegelt. Im Vordergrund steht dabei die Bedeutung der Botschaft, für die der Verfasser (und laut 1,1–4 die Gruppe um ihn) steht, im Leben der Adressaten.10 Das lässt schon vermuten, dass es dem Text noch

  8 Jeweils mit ὅτι eingeführt. Ich verstehe es nicht kausal, sondern als ὅτι recitativum, das eine direkte Rede (hier: den Inhalt des Schreibens) einführt (nach BDR § 4701 häufig bei Joh [und Mk]). Vgl. Klauck 1991, 133 („dass“ bzw. Doppelpunkt). Dafür spricht die aufzählende, listenartige Form der sechs Zeilen. Der Verfasser stellt mit den ὅτι-Sätzen zentrale Inhalte seines Schreibens heraus und erinnert an die gemeinsame theologische Basis.   9 BDR § 334: „Aorist des Briefstils“. Er begegnet auch in 1 Joh 2,26; 5,13. Vgl. Schnackenburg 1984, 125 f.; Brown 1982, 297; Klauck 1991, 131; Yarbrough 2008, 121; Schnelle 2010, 94. Anders sieht Strecker 1989, 113–115, einen Bezug auf einen früheren Brief, wohl 2/3 Joh. 10 Dazu Holmstrand 2004, 414.416.

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um mehr geht als „desorientierte Christen […] der Grundlagen ihres Glaubens und ihres Heilsstandes zu versichern“11.

2. Kulturelle Diskurse im Hintergrund Die Begriffe, mit denen die angesprochenen Personengruppen bezeichnet werden – Kinder, Väter, junge Männer –, erinnern an zwei verschiedene antike Diskurse, den der Ökonomik (Haustafeln) und den um die Lebensalter. Das wird bereits an den zwei griechischen Begriffen erkennbar, mit denen 1 Joh die Briefadressaten als „Kindlein“ anredet: mit den Diminutiven τεκνία in 1 Joh 2,1.12.28; 3,7.18; 4,4; 5,21 (und Joh 13,33) und παιδία in 1 Joh 2,14.18. Das entsprechende Substantiv τέκνον („das Geborene“) bezeichnet das Kind in seiner Beziehung als Sohn oder Tochter zu den Eltern und verweist auf die Themen der Ökonomik. Παῖς meint das Kind entweder hinsichtlich seiner Abstammung (Sohn, Tochter – in etwa synonym zu τέκνον) oder hinsichtlich des Alters (Knabe, Mädchen), wobei die zweite Bedeutung an die Lebensalter erinnert.12 Die Anrede der Briefadressaten mittels der Diminutivformen benutzt eine Art Kosenamen und legt so Vertrautheit, Herzlichkeit und Zuneigung in die Anrede.

2.1 Lebensalter Beginnen wir mit dem allgemeineren Diskurs um die Lebensalter. Antike Kulturen gliedern die Lebenszeit des Menschen – genauer müsste man sagen: des Mannes, der in der Regel das öffentliche Leben bestimmt – stärker als im modernen Denken üblich, wobei sie sich an den „natürlich“ zu beobachtenden Altersstufen (etwa Kindheit, Jugend, Erwachsenenzeit und Alter) orientieren.13 Eine grundlegende Möglichkeit einer solchen Gliederung nach Altersklassen bestand in einer Dreigliederung der Lebensalter, aus der sich durch weitere Differenzierungen mehrstufige Systeme ableiten ließen. Insgesamt gab es aber keine einheitliche Zuordnung von Lebensjahren und Altersstufen. Die griechische Sprache unterscheidet folgende Begriffe: (1) Als παῖδες werden Kinder bezeichnet; dazu treten Diminutivbildungen wie παιδίον für Kleinkinder;

11 Klauck 1991, 133; vgl. Hahn 2009, 227; Schnackenburg 1984, 123; Brown 1982, 318 f. 12 Das Substantiv τέκνα verwendet 1 Joh 3,1.2.10; 5,2 („Kinder Gottes“/τέκνα θεοῦ); zum Ausdruck des Verhältnisses zur Gemeinde in 2 Joh 1.4.13, zum Verfasser in 3 Joh 4. Das Substantiv παῖς fehlt. 13 Dazu Binder/Saiko 1999. – Anklänge in 1 Joh 2,12–14 an antike Einteilungen der Lebensalter hält Lieu 2008, 87, fest und erklärt das Fehlen der Frauen mit der gesellschaftlichen Konvention (vgl. Painter 2002, 188).

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(2) νέοι sind Jugendliche nach der Pubertät, wobei teilweise νεανίσκοι synonym gebraucht wird;14 die Grenze zu den ἄνδρες („Männer“) ist allerdings unbestimmt und fließend, sodass beide Begriffe Angehörige derselben Gruppe bezeichnen können; (3) für den alten Mann, die alte Frau stehen πρεσβύτης, πρεσβῦτις zur Verfügung, für den Greis, die Greisin γέρων, γραῦς. In der römischen Kultur unterscheidet z. B. Gellius (10,28,1 f. [Marshall]; 2. Jh. n. Chr.) – im Rückgriff auf angebliche politische Reformen unter dem sagenhaften römischen König Servius Tullius – eine Altersklasseneinteilung der Bürger in die Stufen des puer (bis zum 17. Lebensjahr), des iunior (bis zum 46.) und des senior (ab dem 46.). Die weite Spanne der iuniores umfasst das kriegsdiensttaug­liche Alter (zwischen 17 und 46). Generell kann als Basiseinteilung, auf der verschiedene Differenzierungen aufbauen können, gelten: infans/puer – adulescens/iuvenis/iunior – senior/senex (senex ungefähr ab dem 60. Lebensjahr). In der tatsächlichen Anwendung der Begriffe sind die Spannbreiten der Altersstufen sehr groß. Um der gesellschaftlichen Bedeutung der Altersklasseneinteilung auf die Spur zu kommen, lässt sich bei Platons Menexenos ansetzen. Die ruhmreichen Kriegstaten der Vorfahren (Plat. Mx. 239a–246a) werden zum Vorbild und zur Ermahnung an die Nachkommen, Tapferkeit und Tugend zu beweisen und die Vorfahren darin zu übertreffen (246a–247c). Leitend wird die „Ordnung der Vorfahren“ (τάξις τῶν προγόνων; 246b), woraus hervorgeht, dass die Weitergabe der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung im Fokus steht. Um Unmittelbarkeit zu erzeugen, lässt Platon die längst verstorbenen „Väter“ (πατέρες) die „Söhne“ (παῖδες) selbst ansprechen (246c–247c). Letzteren kommt die Aufgabe zu, den ererbten Schatz (θησαυρός) selbst wieder den Nachkommen weiterzugeben (247b). Das Prinzip der Nachahmung (μιμεῖσθαι; 248e) tritt in den Vordergrund.15 Eine Entsprechung bietet die hohe Wertschätzung des Alters in der römischen Gesellschaft (besonders der Elite), die in der starken gesellschaftlichen und politischen Position des pater familias gründet.16 Der Vater fungierte als Oberhaupt der Hausgemeinschaft, der Familie, und die Väter aus der Elite besaßen höchste politische Bedeutung als Senatoren, die ursprünglich patres genannt wurden. „Weisheit und Erfahrung des Alters werden als ein die Stabilität und die Traditionen der res publica wahrender Faktor angesehen“.17 Die Alten konnten so „als Garanten zuverlässiger Überlieferung“ dienen.18 Aufgabe der jungen Leute war es entsprechend, in dieses System hineinzuwachsen, ja dafür mit der Kraft der Jugend zu kämpfen, was nicht zuletzt durch die Übernahme des Kriegsdienstes geschah

14 Vgl. Wiesehöfer 2000, 823 f.; ungefähr vergleichbar mit den lateinischen iuvenes. 15 Vgl. Thuk. II 36, wo die Vorfahren, die „Väter“, als Basis für das gegenwärtige Wohlergehen Athens gerühmt werden; II 37–41 zählt die Vorzüge Athens auf, und II 42–45 stellt die heldenhaften Vorfahren, die ihrer Pflicht und Ehre folgten und ihr Leben für die Polis hingaben, den „Söhnen“ als Beispiel und Vorbild vor Augen. 16 Dazu Deißmann-Merten 1996, 558. Vgl. nur Dion. Hal. ant. II 26,1–27,2. 17 Deißmann-Merten 1996, 558. 18 Gnilka 1983, 1055 (in direktem Bezug auf Papias und Irenäus).

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(z. B. Cic. off. 2,45). Dass es sich dabei um eine störanfällige Lebensphase handelte, wird auch daran ersichtlich, dass römische Historiker Aufstände und Verschwörungen gegen die geltende gesellschaftliche und politische Ordnung meist jungen Leuten zuschrieben. Die lange andauernde Abhängigkeit der Söhne von den Vätern in Rom garantierte dagegen Stabilität. Cicero spricht von der pietas („Ehrfurcht“) der Kinder gegenüber den Eltern und der caritas („Respekt“) der Eltern gegenüber ihren Kindern (Cic. inv. 2,66; ad Brut. 20,2) und spiegelt damit die Etablierung gesellschaftlicher Wert- und Ordnungsvorstellungen, die von den Eltern auf die Kinder übergehen. Gehorsam gegenüber der väterlichen und der staatlichen Autorität wird zum Ordnungsprinzip der römischen Gesellschaft. Vergil baut die Gründung Roms auf der pietas des Aeneas gegenüber den Göttern, aber auch gegenüber seinem Vater Anchises auf.19 Idealtypisch wird diese pietas in der Szene sichtbar, in der Aeneas aus dem brennenden Troja flieht, wobei er seinen greisen Vater Anchises auf der Schulter trägt und dieser seinerseits die heimischen Götter mitführt. Dass Aeneas dabei auch noch seinen kleinen Sohn Ascanius an der Hand führt, deutet die Wirkung in die nächste Generation hinein an (Aen. 2,707–724). Wenn in einer späteren Szene Dido der Untreue des Aeneas, der sie verlässt, die besagte Rettung der heimischen Götter und des alten Vaters aus Troja gegenüberstellt (Aen. 4,598 f.), tritt die Erfüllung der Verpflichtung gegenüber dem Vater – der eigenen Familie und Tradition – sowie den Hausgöttern als oberste Norm hervor, was den pius Aeneas (Aen. 4,393) ausmacht. Die Bindung an Vater und Sohn drängt Aeneas zur Erfüllung seiner Bestimmung (Aen. 4,351–355; vgl. 6,695 f.). Sein pater Anchises, dem er später in der Unterwelt begegnet, zeigt Aeneas sowohl die Verbindung mit den Ahnen (Aen. 6,679–694) als auch in der Vorausschau die zukünftigen Nachkommen bis hin zu Caesar Augustus (6,756– 807). „Auserlesene junge Männer (iuvenes)“ (5,729 f.) soll Aeneas auf Geheiß seines Vaters nach Italien führen; sie stehen mit ihm in der väterlichen Tradition und sind zugleich als junge Männer kraftvoll (6,771), um den militärischen Anforderungen des Auftrags gewachsen zu sein. Das Bewusstsein der eigenen Abstammung gewinnt Bedeutung für die Konstruktion von Ordnungsmustern der römischen Gesellschaft. Richtiges soziales Verhalten geht aus der Orientierung an den Werten, Normen und sozialen Institutionen der Vorfahren, also der eigenen Tradition, hervor.20 Der erinnerte Aeneas wird so zum Vorbild für die treue Weitergabe römischer Normen und Werte. Seine Gestalt trägt zur Definition der römischen Identität bei. Ikonographischen Ausdruck fand dies in der im 1. Jh. bekannten Aeneas-­Statue in der nordwestlichen Exedra auf dem Augustusforum in Rom. Diese Statue ist zwar selbst nicht erhalten, eine Wandmalerei auf einer Hausfassade in Pompeji gibt aber das Ensemble der Statuengruppe wieder: Man sieht Aeneas als kriege19 Vgl. Perkell 1999, 35–37. Die pietas des Aeneas gegenüber seinem Vater hebt Verg. Aen. 6,687 f. hervor. – Zur Flucht des Aeneas vgl. auch Dion. Hal. ant. I 46,4; 48,2. 20 Vgl. in Bezug auf die Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos Wiater 2014, 23–30 (wobei Dionysios anders als z. B. Vergil gerade die griechische Herkunft der Römer betont und damit römische Identität in der griechischen verankert).

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rischen jungen Mann auf der Flucht, der den greisen Anchises auf der Schulter trägt und den kleinen Ascanius an der Hand führt (Abb. 1).21 Der fromme Greis, dessen Haupt wie bei einem Priester verhüllt ist, hält einen Schrein mit den Penaten, den heimischen Göttern, in der Hand, die geschützt und gerettet (und später im römischen Vestatempel als Garanten des Bestands Roms aufbewahrt) wurden. Aeneas, der in höchster Not pietas gegenüber dem Vater und den Göttern bewies, fungierte als Leitbild des neuen Staates unter Augustus.22 Die Aeneas-Szene vom Augustusforum lieferte eine mythologische Begründung der neuen augusteischen Staats- und Gesellschaftsideologie. Sie wurde vielfach reproduziert und verbreitet.23 Eine schöne Darstellung der Aeneas-Szene bietet eine Terracotta-Statue aus Pompeji aus dem 1. Jh. n. Chr., die das Zusammenwirken der drei Lebensalter plastisch vor Augen führt (Abb. 2).24 Auch Münzprägungen trugen zur Verbreitung der Aeneas-Szene bei. Auf dem Revers eines in den Jahren 48/47 oder 47/46 v. Chr. unter C. Julius Caesar wohl in Kleinasien geprägten Denars ist der kriegerische Aeneas mit seinem Vater Anchises auf der linken Schulter (und dem Palladium in der Rechten) bei der Flucht aus Troja abgebildet (RRC 458/1; Abb. 3). Das Motiv findet sich auch auf dem Revers eines römischen Aureus des Jahres 42 v. Chr. (Münzmeister L. Livineius Regulus), der obvers das Portrait Octavians zeigt (RRC 494/3a.b; Abb. 4). Die öffentliche Präsenz des Motivs spiegeln weitere Prägungen, so eine augusteische Münze aus Ilion in Kleinasien (RPC I 2306,2; Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Ident.-Nr. 18241404); eine unter Trajan 112– 114 n. Chr. geprägte Münze nimmt das Motiv auf (RIC II 801). Das volle Figurenensemble aus Aeneas, Anchises und Ascanius ziert sowohl eine Prägung zur Zeit Hadrians (RPC III 1570,2; Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Ident.-Nr. 18206893) als auch unter Antoninus Pius 140–144 n. Chr. (RIC III 91.615.627). Als „Gründungsvater“ Roms gibt Aeneas sein Vermächtnis an die Nachkommen weiter. Ein Fries an der Westseite der Ara Pacis Augustae in Rom, dem 9 v. Chr. geweihten Friedensaltar des Augustus, stellt den opfernden Aeneas dann selbst als pater dar, dem zwei junge Männer als Opfergehilfen gegenüber stehen und die fromme Jugend als Ideal der augusteischen Zeit verkörpern (Abb. 5).25 Bei der

21 Vgl. die Beschreibung bei Ov. fast. 5,563–566. 22 Dazu Zanker 2003, 204 f. Die patrilineare Linie tritt auch auf einem augusteischen Larenaltar um 7 v. Chr. zutage, der die Apotheose des Divus Iulius in Verbindung mit Augustus und den Prinzen Gaius und Lucius Caesar, den Enkeln des Augustus, abbildet (Zanker 2003, 224 mit Abb. 177). 23 Vgl. Zanker 2003, 212 f. – Offensichtlich erweckte die plakative Herrschaftsideologie auch Überdruss, wie eine Parodie auf die Statuengruppe zeigt: In einer Villa bei Stabiae zeigt eine Wandmalerei dieselbe Figurenkonstellation, allerdings als Affenfamilie mit Hundsköpfen und überdimensionalen Gliedern (Zanker 2003, 212 mit Abb. 162). 24 Weitere Darstellungen: Relief am Altar der Gens Augusta in Karthago (Ende 1. Jh. v. Chr./Anfang 1. Jh. n. Chr.; errichtet von P. Perelus Hedulus; Musée National du Bardo, Tunis, Inv.-Nr. 2125); Relief an einem Grabbau aus der Provinz Pannonia Inferior (Ungarn) (2./3. Jh.; Magyar Nemzeti Múzeum Budapest, Inv.-Nr. 27.1903.2). 25 Zanker 2003, 207. Zur Deutung des Aeneas-Frieses Mlasowsky 2010, 57–59. – Dionysios von Halikarnassos erzählt, man habe Aeneas nach seinem Tod in der Schlacht in Lavinium ein Heroon

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fast gänzlich zerstörten Gestalt, die hinter Aeneas noch sichtbar ist, könnte es sich um Ascanius handeln. Der mit Aeneas verbundene Gründungsmythos Roms trägt die Friedensherrschaft des Augustus. Unter Augustus wird die kaiserliche Familie zur Chiffre für die Beständigkeit und die Kontinuität Roms. Der Südfries der Ara Pacis entwirft die Fiktion der idealen, einträchtigen kaiserlichen Herrscherfamilie und bildet dazu sogar Frauen und Kinder ab.26 Die heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindliche Gemma Augustea vom Ende der Herrschaft des Augustus zeigt inmitten einer ganzen Reihe von Figuren den in göttlicher Haltung sitzenden Augustus; neben ihm steht ein junger Prinz in militärischer Kleidung, bei dem es sich vermutlich um Germanicus handelt, und als nächste Figur steigt Tiberius als militärischer Sieger von einem von Victoria gelenkten Wagen (Abb. 6). Der kaiserliche Vater wendet sich jungen Männern zu, die sein Erbe weitertragen sollen. Sein Stief- und Adoptivsohn Tiberius sollte seine Nachfolge antreten.27 Plutarch bringt in seiner Schrift De laude ipsius (Über unanstößiges Selbstlob) die drei Lebensalter dadurch miteinander in Verbindung, dass er sie auf die Tapferkeit der jungen Männer (νεανίαι bzw. νεανίσκοι) hin ausrichtet: Die alten Männer (γέροντες) blicken darauf zurück, die Knaben (παῖδες) eifern darum, sie sogar zu übertreffen, und die jungen Männer wissen sich selbstbewusst im Besitz der Tapferkeit.28 Als kulturgeschichtlicher Hintergrund dient ihm das Bild Spartas als kriegserprobter Stadt. Auf christlicher Seite spiegelt Tit 2,2–8 diese Rollen der Lebensalter. Dort werden die alten Männer (πρεσβύτης, V. 2) und alten Frauen (πρεσβῦτις, V. 3) als Vorbilder der Jüngeren gezeichnet. Speziell die alten Frauen werden aufgefordert, die jungen Frauen (νέας) anzuleiten, ihre (traditionellen) gesellschaftlichen Rollen zu übernehmen (V. 4 f.). Den jungen Männern (νεώτεροι) wird geboten, besonnen zu sein und sich „Titus“ selbst, den fiktiven Briefverfasser und damit Traditionsträger, zum Vorbild zu nehmen (V. 6–8). Das bedeutet nichts anderes, als dass die jungen Leute lernen sollen, sich – sicher unter Aufnahme der eigenen, auf Paulus zurückgeführten Lehrtradition – an der geltenden Ordnung der Gesellschaft zu orientieren, sich anzupassen, wie die Begründung der Mahnungen in V.5fin.8fin zeigt: damit man der Gemeinde nichts nachsagen kann. Auch hier geht es – unter christlichen Vorzeichen – um die Weitergabe grundlegender sozialer Werte und Rollen.29

errichtet und ihn in einer Inschrift als „Vater“ und „Gott dieses Ortes“ bezeichnet (Dion. Hal. ant. I 64,5). Aeneas wird zum göttlichen Gründungsvater stilisiert. Entsprechend ist in ihm die „edle Abkunft“ der Familie der Iulier grundgelegt (ant. I 70,4). 26 Vgl. Galinsky 2013, 152–154. 27 Dazu Galinsky 2013, 146 f. 28 Plut. De laude ipsius 15 = mor. 544E; vgl. Instituta Laconica 15 = mor. 238AB. 29 1 Petr 5,1.5 stellt den πρεσβύτεροι, die die Herde weiden, die νεώτεροι, die sich den Ältesten unterordnen, gegenüber. Ob damit nun Amtsträger bzw. jüngere Männer angesprochen sind oder auf die Dauer des Christseins referiert wird, sind auch hier gemeindliche bzw. gesellschaftliche Ordnungsmuster im Blick.

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2.2 Haustafeln und Ökonomik Die Reihe Kinder – Väter – junge Männer in 1 Joh 2,12–14 erinnert darüber hinaus an sogenannte Haustafeln, wie sie sich in Schriften der zweiten oder dritten christlichen Generation finden.30 Die Haustafeln in Kol 3,18–4,1, Eph 5,22–6,9 und 1 Petr 2,18–3,7 dienen der Regelung der grundlegenden Beziehungen innerhalb eines antiken Hauses: Ehemann – Ehefrau; Eltern/Vater – Kinder; Herr – Sklaven. Damit werden die wesentlichen Statusgruppen innerhalb des Hauses unterschieden, für die jeweils feste Rollenmuster und entsprechende ethische Weisungen gelten, die vom gesellschaftlichen Usus bestimmt sind. Dabei verwendet Kol 3,20 f. die Begriffspaare τέκνα – γονεῖς und πατέρες – τέκνα, Eph 6,1 f.4 τέκνα – γονεῖς/πατήρ/μήτηρ und πατέρες – τέκνα.31 Die genannten drei Beziehungskonstellationen bestimmten das Zusammenleben eines hellenistisch bzw. römisch geprägten Hauses (οἶκος, domus). In einer römischen (und eingeschränkt auch einer griechischen) Hausgemeinschaft besaß der pater familias, der älteste freie Mann, weitgehende Rechtshoheit über alle zur Familie gehörenden Personen sowie über Immobilien und Vermögenswerte. Neben der Ehefrau zählten die eigenen Kinder (und ggf. deren Kinder in männlicher Linie) und die Sklaven zum Haus. Dazu konnten außerdem Freigelassene und weitere Verwandte ohne eigene Familie gehören.32 Zumindest gilt dies für Familien der Elite und der wohlhabenden Schichten, während die Besitzlosen das Zusammenleben weitgehend frei, d. h. ohne Ehevertrag, gestalteten; wohlhabendere Familien regelten ihre Verhältnisse durch Rechtsurkunden.33 Die Ordnung für das geregelte Zusammenleben der einzelnen Personen oder Gruppen in einem Haus baut auf typischen Rollenmodellen auf, die die Stellung und das Verhalten der Mitglieder festschrieben. Dazu griff man in der ökonomischen Literatur auf die griechische „Hausordnung“ (Ökonomik) zurück, die die unterschiedlichen Beziehungen im Haus – zwischen Herr und Sklaven, Ehemann und Ehefrau, Vater und Kindern – beschrieb und regelte (Aristot. pol. 1253b 4–11). Die Intention bestand darin, die Beziehungen im Haus möglichst spannungsfrei zu gestalten, was der Hausgemeinschaft wirtschaftliche Vorteile und der Stadtgesellschaft Stabilität brachte. Die klassischen griechischen Werke zur Ökono-

30 Anklänge an Haustafeln, aber auch Unterschiede erkennen Klauck 1991, 132; Lieu 2008, 86 f.; Rusam 2018, 43. Strecker 1989, 115 f., und Schnelle 2010, 94, bestimmen die Form von 1 Joh 2,12–14 als „Gemeindetafel“. 31 1 Petr 2,18–3,7 beschränkt sich auf die Relationen Sklaven/Herren und der Eheleute. – In Eph 6,10– 17 folgt die Aufforderung zum Widerstand gegen die Welt, wobei militärische Bilder (Defensivwaffen) und in 6,10 das Adjektiv ἰσχύς verwendet werden. 32 Zu den römischen Rechtsverhältnissen im frühen Prinzipat vgl. Ebner 2012, 168–173. 33 Dazu Bormann 2012, 179.

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mik – erhalten sind neben anderen Texten34 der Aristoteles zugeschriebene Traktat Oeconomicus und der in Dialogform gefasste Oeconomicus des Xenophon – sind alltagsweisheitlich geprägt und stellen die wesentlichen Topoi zur Verfügung. Die Gedanken der Ökonomik wurden von lateinischen Autoren rezipiert, fanden aber auch in frühjüdischen „Haus-Ethiken“ Aufnahme.35 Wichtig ist auch hier die Funktion solcher Rollenmuster und entsprechender ethischer Anweisungen. Sie dienten der Bewahrung und Stabilisierung der üblichen gesellschaftlichen Ordnung und ihrer Einteilung in verschiedene Statusgruppen, von denen ein bestimmtes Rollenverhalten und die Unterordnung unter die jeweils Höhergestellten erwartet wurde.36 Seneca formuliert das Ziel der Ökonomik in epist. 94,1 so: Ein Teilgebiet der Philosophie gibt besondere Vorschriften jeder Person und bildet den Menschen nicht insgesamt, sondern rät dem Ehemann, wie er sich verhält gegenüber seiner Frau, dem Vater, wie er erzieht die Kinder, dem Herrn, wie er seine Sklaven anleitet.37

Rollenmuster einer patriarchalen Ordnung werden festgeschrieben, die jedoch dem Gelingen des gesamten sozialen Gefüges dienen sollen. Philo stellt diese Ordnung in De decalogo wie folgt dar, wobei Überschneidungen mit der Vorstellung der Lebensalter sicher kein Zufall sind: (166) Eltern (γονεῖς) zählen nämlich zur höheren Ordnung der Genannten, zu der Ältere (πρεσβύτεροι), Herrscher, Wohltäter, Herren gehören, Kinder (παῖδες) aber zur niedereren, zu der junge Männer (νεώτεροι), Untergebene, Empfänger von Wohltaten, Sklaven gehören. (167) Es gibt aber viele andere Bestimmungen, für die jungen Leute (νέοις) zur ehrenvollen Aufnahme des Alters, für die Älteren zur Sorge für die Jugend, und für Untergebene zum Gehorsam gegenüber den Herrschern […] und für die Diener zum Dienst aus Liebe zu ihren Herren, für die Herren aber zu Milde und Freundlichkeit, wodurch die Ungleichheit ausgeglichen wird (decal. 166 f.).

34 Philodemos, Peri oikonomias; Columella, De re rustica; Stobaeus (Fragmente). Die griechischen Quellen (mit deutscher Übersetzung) sind gut zugänglich in Audring/Brodersen 2008. 35 Cic. off. 2,87 (mit dem Hinweis, dass Cicero Xenophons Oeconomicus ins Lateinische übersetzte); Sen. epist. 94,1; clem. 3,2,1–3; Colum. im Vorwort zu Band 12. – Frühjüdisch, zum Teil im Kontext weiterer, aus dem Dekalog abgeleiteter Weisungen und unter dem Einfluss frühjüdischer Weisheitstraditionen, Philo decal. 165–167; Hypothetica 7,14; Jos. c. Ap. 2,199–206.215; Ps.-Phokylides 175–227; Musar le-Mevin (4Q416 2 iii 15 – iv 13 par 4Q418 9 17 f.; 10 1–10; dazu Stuckenbruck 2010, 162–165). – Einen Überblick bietet Richarz 1991, 15–42. 36 Vgl. Ebner 2012, 173–176; Weiser 1990, 121–129. Zum Kontext antiker Ökonomie Lührmann 1980/81, 85–90. Zur politischen Bedeutung des Hauses und den damit verbundenen Gender-­ Rollen Zamfir 2013, 76–84.91–96. 37 Vgl. Epikt. dissertationes II 14,8; Dion. Hal. ant. II 25,4 f.; 26,1.4. Ein Beispiel dafür bieten die Anweisungen für Frauen und Männer, Herren und Sklaven, Eltern und Kinder in Pseudo-Aristoteles’ Oeconomicus Buch I 3,4–6,2 (= 1344ab) (Victor) und Buch III.

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Die Haustafeln im Kolosser-, Epheser- und 1. Petrusbrief übernehmen die hellenistisch-römische Ständeordnung des Hauses und schreiben damit auf ihre Weise die relativ offene Gemeindestruktur der Paulusbriefe (1 Kor 12; Gal 3,28) fort.38 Sie ordnen die Gemeinden so stärker in die Hausstrukturen ein, die in ihrer Umwelt üblich sind. Charakteristisch dafür ist in Kol 3,18.20.22–25 die Unterordnung der Frauen, Kinder und Sklaven, die allerdings durch gleichzeitige Anweisungen an die Männer, Väter und Herren (der Sklaven) in Kol 3,19.21; 4,1 „christlich“ ausbalanciert wird.39 Leitend bleibt jedenfalls das Ordnungsprinzip, dass jede Statusgruppe zum Wohl der Hausgemeinschaft ihre Rolle und ihre Verpflichtung vorbildlich zu erfüllen hat, während die Durchlässigkeit der Rollenmuster wie auch sonst in der Gesellschaft stark eingeschränkt ist.

3. Die alternative Ordnung von 1 Joh 2,12–14 Auf den ersten Blick könnte man in 1 Joh 2,12–14 den Versuch entdecken, eine Haustafel für die Adressaten zu entwerfen. Kinder, Väter und junge Männer werden direkt angesprochen. Wenn damit zugleich die drei grundlegenden Lebensalter wachgerufen werden, scheint der Anspruch auf, das ganze menschliche Leben zu umfassen. Allerdings fehlen die Frauen, und es wird in keiner Weise sichtbar, wie diese in das Ordnungsgefüge von Kindern, Vätern und jungen Männern integriert werden sollen. Sind sie zu Statistinnen degradiert? Das ist jedoch nicht die einzige Auffälligkeit, die der Text bietet. Denn er durchbricht sowohl die Erwartungen an eine Haustafel als auch an einen Diskurs über die Lebensalter: (1) Er entwirft keine Anordnungen für das gegenseitige Sozialverhalten der jeweils angesprochenen Statusgruppen, sondern spricht ihnen „johanneische“ Prädikate und Qualifikationen zu. (2) Er stellt nicht die Statusgruppen einander gegenüber, d. h. er entwirft nicht deren Beziehung untereinander, sondern spricht sie in ihrer Haltung gegenüber Gott an. In der Beziehung zu Gott stehen alle drei Gruppen letztlich auf derselben Ebene. (3) Das deutet darauf hin, dass 1 Joh die Gruppenbezeichnungen metaphorisch gebraucht. Er verwendet „Kinder“ (τεκνία bzw. παιδία) auch an anderen Stellen

38 Dazu Lührmann 1980/81, 93–95; Weiser 1990, 136–140; Gielen 1990, 104–557; MacDonald 2011. Zur Forschung Bormann 2012, 176–178; Woyke 2000; Gielen 1990, 24–67. – Vgl. noch Did 4,9–11; aufgenommen in Barn 19,5.7. 39 Von Kompromissen spricht Bormann 2012, 185. Vgl. Woyke 2000, 58–60; MacDonald 2011, 69–72. In Kol 4,1 und Eph 6,9 werden die Herren der Sklaven daran erinnert, dass auch sie einen Herrn „im Himmel“ haben. Wenn die Männer in Kol 3,19 ihre Frauen „lieben“ (ἀγαπάω) sollen, sind Anerkennung und Engagement für die Frauen gefordert. Für die Unterordnung wird als Maßstab die Beziehung zum „Herrn“ (Christus) etabliert (Kol 3,18.20.23 f.), was die Absolutheit der Unterordnung durchbricht.

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als Anrede aller Briefadressaten – und damit auch Briefadressatinnen (2,1.18.28; 3,7; 4,4; 5,21). Nach 3,1 sind aus Gottes Liebe alle τέκνα θεοῦ. Die Adressaten sind Kinder Gottes, durch die Briefanrede erscheinen sie jedoch zugleich als Kinder des Verfassers, was ein Verhältnis der Fürsorge und Verantwortung seitens des Verfassers impliziert (zur Rolle des väterlichen Lehrers vgl. 1 Thess 2,11 f.40). Diese metaphorische Verwendung konnten die Hörerinnen und Hörer des Briefes dann auch in den Anreden „Väter“ und „junge Männer“ wahrnehmen. „Väter“ stellt alle Adressaten grundsätzlich auf eine Ebene mit den Verfassern bzw. den Traditionsträgern, die in 1 Joh 1,1–4 den Ausgangspunkt des Briefes darstellen. Sie werden damit in die Verantwortung für die johanneische Tradition hineingenommen. „Junge Männer“, die sonst in 1 Joh nicht genannt werden, stellen das Gegenüber zu den „Vätern“, den Traditionsträgern dar: junge Männer, die schon stark und kräftig sind und in der römischen Kultur bestimmte Aufgaben für das Gemeinwohl übernehmen, besonders den Kriegsdienst, aber noch nicht die Funktionen der Führung des Gemeinwesens. Sie wachsen in ihre Aufgabe, Verantwortung für das Wort Gottes zu übernehmen (2,14c), hinein. (4) Alle Briefadressatinnen und Briefadressaten können sich demnach in den Rollen von „Kindern“ (im Gegenüber zu den Briefverfassern und letztlich zu Gott), von „Vätern“ (in ihrer Verantwortung für die johanneische Überzeugung und Tradition) und von „jungen Männern“ (in ihrer Energie zum Widerstand gegen die Einflüsse des Bösen) finden.41 Die Bezeichnungen Kinder, Väter und junge Männer stehen also nicht für konkrete Gruppen, sondern für Rollen bzw. Funktionen, die mit diesen Bezeichnungen im kulturellen Denken ihrer Zeit verbunden sind. Unter diese drei Rollen fallen dann auch die eingangs vermissten Frauen, die also nicht übersehen, sondern subsumiert werden. Indirekt stehen sie so auf derselben Ebene wie die männlichen Briefadressaten, denn es werden nur einzelne Rollen unterschieden, die potentiell alle Gemeindeglieder in ihrem Leben ausüben. Die Austauschbarkeit der Sachaussagen (s. u.) spricht ebenfalls dafür, dass immer alle angesprochen sind. Aus heutiger Perspektive lässt es sich als Problem verstehen, dass die Frauen dabei nicht hörbar sind. Die genannten Rollen, die sich ja dem Gesellschaftssystem der frühen römischen Kaiserzeit verdanken, können nicht in weibliche Anreden (etwa von Müttern und jungen Frauen) übertragen werden – wie wir dies heute könnten –, weil damit ganz andere gesellschaftliche Funktionen wachgerufen würden. Das Außergewöhnliche an 1 Joh 2,12–14 besteht darin, dass auch Frauen in der sozialen Funktion von „Vätern“ und „jungen Männern“ agieren – auch wenn dies nicht explizit gesagt wird. Daher sollen nun die mit den einzelnen Gruppen verbundenen Qualitäten auf ihr Potential, auch auf Frauen zuzutreffen, überprüft werden.

40 Dazu Schreiber 2014, 144–146. 41 Vgl. Klauck 1991, 132 (mit Verweis auf Augustinus [ebd. 136] und C. H. Dodd). Yarbrough 2008, 118, sieht christliche Frauen integriert (ohne dies zu begründen).

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4. Qualitäten von johanneischen Männern – und Frauen? In zwei Strophen schreibt (bzw. schrieb) der Verfasser den drei Statusgruppen das, was ihre christliche Existenz ausmacht.42 Den „Kindlein“ (τεκνία) schreibt er in 2,12: „vergeben worden sind euch die Sünden um seines Namens willen“. Von der Vergebung der Sünden durch Gott in Jesus war bereits in 1,9 die Rede (vgl. 3,5; Joh 20,23 als Vollmacht der Gemeinde). Wer in der johanneischen Gemeinschaft lebt und bleibt, dem sind die Sünden vergeben. Er – und sie – lebt in einer neuen, unzerstörbaren Beziehung zu Gott.43 Die Formulierung im Passiv (ἀφέωνται) gibt Raum für den Gedanken an Gott als den, der Sünden vergeben kann. Bei „seinem Namen“ könnte zwar an Gottes Namen gedacht sein (vgl. Ez 20,9; 36,22), man wird aber in erster Linie an den Namen Jesu gedacht haben (vgl. Joh 1,12; 1 Joh 3,23; 5,13). Nach 1 Joh 1,7.9; 2,1 f. vergibt Gott die Sünden vermittelt durch Jesus; in seinem Namen ist Jesus ansprechbar als „Fürsprecher“ (παράκλητος) beim Vater. Dass dies für Männer und Frauen gilt, muss nicht gesagt werden und ist in der geschlechtsneutralen Anrede „Kindlein“ ohnehin enthalten. Den „Vätern“ – und damit allen Adressaten in einer anderen Funktion – gilt in 1,13: „ihr habt erkannt den ‚von Anfang an‘“. Die Formulierung „von Anfang an“ (ἀπ’ ἀρχῆς) verweist zurück auf den programmatischen Anfang des Briefes in 1,1 und das neue (alte) Gebot in 2,7, was beides auf die spezifisch johanneische Tradition und ihren Ursprung in der Geschichte Jesu rekurriert. In 2,24 und 3,11 bezieht sich ἀπ’ ἀρχῆς auf die Botschaft Jesu. Die Jesus-Tradition von ihren Anfängen an ist auch hier gemeint.44 Qua sozialer Rolle besitzen „Väter“ eine vertiefte Erkenntnis dieser Tradition und damit zugleich die gesellschaftliche Aufgabe, diese an die nächste Generation weiterzugeben. Der maskuline Artikel τόν verweist auf Jesus als den, der „von Anfang an“ in seiner Lebensgeschichte die Offenbarung Gottes verkörpert und so Urheber dieser Tradition ist.45 Dahinter steht der theologische Anspruch des Verfassers, dass in der johanneischen Überlieferung von Jesus Gott

42 Sprachlich meldet sich in 1 Joh 2,12–14 ein starkes Ich (1. Pers. Sg.) zu Wort. Der Brief beginnt in der 1. Pers. Pl., die 1. Pers. Sg. tritt in den Reflexionen auf den Schreibakt (neben 2,12–14) in 2,1.7.8 („ich schreibe“) und 2,21.26; 5,13 („ich schrieb euch“) auf. Sonst verwendet 1 Joh fast durchgehend den Wir-Stil (Ausnahme ist 5,16: „sage ich nicht“). Im Akt des Schreibens (faktisch wohl, antiker Briefpraxis entsprechend, Diktierens) tritt der Verfasser als Einzelner aus der Wir-Gruppe heraus. Darin liegt seine spezifische Funktion im Rahmen der brieflichen Kommunikation. Als Verfasser besitzt (oder beansprucht) er Autorität, die er durch den Brief zur Anwendung bringt (vgl. auch Lamb 2014, 176–183). 43 Gottes Sündenvergebung im kommenden neuen Bund kennt Jer 38,34LXX. Eine deutliche Anspielung auf diesen Text, mit der 1 Joh 2,12 die Gemeinde als Teil des neuen Bundes charakterisiert, sehe ich nicht; so aber von Wahlde 2010, 71 f.80; Smalley 2008, 72. 44 Vgl. von Wahlde 2010, 72–74; Hahn 2009, 227. Anders denken Lieu 2008, 88 f.; Smalley 2008, 73 f.; Strecker 1989, 117, an die Präexistenz Jesu. Beide Aspekte sieht Schnelle 2010, 95. 45 Bezug auf Jesus: Klauck 1991, 133 f.; Schnelle 2010, 95.

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selbst sichtbar wird (vgl. Joh 14,9; 1 Joh 2,5). Wer diese Aufgabe der „Väter“ übernimmt, bleibt offen für alle. Bei den „jungen Männern“ – einer weiteren Funktion der Adressaten – heißt es: „ihr habt den Bösen besiegt“ (2,13b.14c). Das Bild der jungen Männer auf der Höhe ihrer Kraft (s. o.), verbunden mit dem agonistischen Ideal der Antike, das die vielfältigen sportlichen Wettkämpfe – die bekanntesten sind wohl die Olympischen Spiele – prägt, stellt die Rolle der energiegeladenen, kraftstrotzenden Jugend vor Augen und überträgt sie auf das gefährdete Leben der Christen.46 Das „Siegen“ erinnert an die frühjüdisch-apokalyptische Sprache und gehört zum endzeitlichen Kampf zwischen Gut und Böse; die Kriegsrolle aus Qumran (1QM) thematisiert z. B. den Sieg der Söhne des Lichts über die Söhne der Finsternis (vgl. Offb 2,17; 6,2; 12,11). Dabei stellt der endzeitliche Widersacher eine genretypische Figur dar, die hier als „der Böse“ (ὁ πονηρός) bezeichnet wird und eine Personifizierung des Bösen bedeutet.47 Nach 1 Joh 3,10 sind die „Kinder des Teufels“ diejenigen, die nicht die Gerechtigkeit tun und nicht ihre Geschwister lieben; durch die Orientierung am Liebesgebot, und das heißt im engen Zusammenhalt der johanneischen Gruppe, wird der Böse überwunden. Nach 1 Joh 5,4 f. ist das „Besiegen der Welt“ (νικᾶν τὸν κόσμον) auf der Basis der Beziehung zu Gott in Christus – und damit für alle in der Gemeinde – möglich.48 Der kraftvolle Widerstand gegen die Einflüsse des Bösen, in 2,13.14 verkörpert in der Rolle der jungen Männer, ist Aufgabe der ganzen Gruppe – und damit auch der Frauen. Die Verben in dieser Aufzählung, mit denen die Prädikate der Statusgruppen formuliert werden, stehen alle im Perfekt (ἀφέωνται, ἐγνώκατε, νενικήκατε). Vergebung, Erkennen und Siegen sind bereits geschehen, und ihr Resultat prägt das Leben in der Gegenwart. 1 Joh erinnert also an die Wirklichkeit, in der die Adressaten bereits leben. In Anlehnung an die Funktion des Aeneas-Frieses an der Ara Pacis könnte man vom „Gründungsmythos“ der johanneischen Gemeinde sprechen. Die Intention besteht demnach darin, die Adressaten zum Bleiben in dieser neuen Wirklichkeit zu bewegen. Entsprechend heißt es in 2,14c, nun im Präsens, dass „Gottes Wort in euch bleibt“. Von Gottes Seite aus sind die Voraussetzungen geschaffen, dass die Adressaten mit ihm leben können. Zur Entscheidung steht die Haltung der Adressaten. Eine Gender-Differenzierung gerät dabei völlig aus dem Blick. Sie tritt hinter der Beziehung des Menschen, von Frauen wie von Männern, zu Gott zurück. 46 Zum Hintergrund der Wettkampf-Metaphorik vgl. Schreiber 2014, 136 (zu 1 Thess 2,2). 47 Die maskuline Form des Artikels bei τὸν πονηρόν verweist auf „den Bösen“ als personalen Repräsentanten des Bösen; vgl. 1 Joh 3,12; 5,18. Vom „Fürst dieser Welt“ spricht Joh 12,31; 14,30; 16,11, vom „Teufel“ Joh 6,70; 8,44; 13,2; 1 Joh 3,8.10, vom „Satan“ Joh 13,27. Zu dieser Figur Schreiber 2007. – Anders versteht Rusam 2018, 44–46, den Bösen als den römischen Kaiser und die siegreichen jungen Männer als diejenigen, die bei einer „Verhandlung vor einem kaiserlichen Statthalter“ (46) der Anbetung des Kaisers widerstanden hätten. 48 Auf Gegner oder Irrlehrer bezieht 1 Joh 2,13 f. das Siegen nicht. Anders zielt nach Loader 2014, 232 f., das Besiegen des Bösen bzw. der Welt auf „confessing Christ aright and not […] docetical�ly“ (232).

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Die zweite Strophe in 2,14 listet in einem zweiten Durchgang noch einmal alle drei Statusgruppen auf. Die „Kinder“ (jetzt: παιδία) haben den Vater, also Gott, erkannt. In der Beziehung zu Gott als ihrem eigentlichen Vater werden sie erst zu Kindern (vgl. 3,1).49 Die Qualifizierung der „Väter“ wiederholt die Aussage von 2,13a und verstärkt so die Rolle als Traditionsträger. Auch in Bezug auf die „jungen Männer“ wird die Aussage der ersten Strophe wiederholt, allerdings um zwei Aspekte ergänzt: „ihr seid stark (ἰσχυρός) und das Wort Gottes bleibt in euch“. Die Stärke gründet im Bleiben, in der Präsenz des göttlichen Wortes – und damit wieder in der johanneischen Überlieferung – in ihnen, was sie zum Sieg über den Bösen führt.50 Die Anrede „junge Männer“ rekurriert genau auf diese Stärke aus Gottes Wort, und diese Stärke betrifft alle Glieder der johanneischen Gemeinde, also auch Frauen. Dieses letzte Glied ist das längste beider Strophen und legt so das Achtergewicht auf das Bleiben des Wortes Gottes, das in der johanneischen Tradition greifbar wird, als grundlegend für das christliche Leben. Neu dürften all diese Prädikationen, die mit den drei Statusgruppen verbunden werden, für die Hörerinnen und Hörer kaum sein. Sie beschreiben aber stichwortartig das, was ihre Existenz als Christus-Gemeinde ausmacht. Dass diese Prädikationen mit bestimmten sozialen Rollen verbunden werden, bedeutet keine Übernahme dieser Rollen in der Gruppe, sondern bricht die üblichen sozialen Strukturen gerade dadurch auf, dass sich alle in die Pflicht genommen wissen, als Kinder Gottes zu leben, als Väter die eigene, identitätsbegründende Tradition weiterzugeben und als junge Männer Stärke zu zeigen in der Konfrontation mit der andersdenkenden Umwelt (vgl. auch 2,20.27).51 Wenn diese Rollen gleichermaßen von Männern und von Frauen übernommen werden, liegt ein konkurrierendes, alternatives Modell zur üblichen Gesellschaftsordnung vor, das allein in der Beziehung zu Gott gründet.

5. Der Kontext: Abgrenzung gegenüber der Welt in 1 Joh 2,15–17 Die unmittelbar anschließende Texteinheit 1 Joh 2,15–17 bestätigt die Deutung von 2,12–14 als alternative Gemeindeordnung. Der Texteinheit geht es nämlich um die Abgrenzung der Adressaten gegenüber der Welt, und im Zusammenhang lässt sie sich so verstehen, dass diese Abgrenzung durch die Übernahme der zuvor

49 Mit „childlike, trusting innocence“ (so Smalley 2008, 78) hat das nichts zu tun. 50 Zur Stärke junger Männer vgl. allgemein 1 Chr 12,28; 1 Makk 2,66; spezieller als Stärke aus Gottes Kraft Jes 40,30 f. – Schnelle 2010, 96, spricht von der „Immanenz der göttlichen Botschaft in der Gemeinde“. – Die Hörerinnen und Hörer werden kaum christologisch an „the Word as Jesus“ (189) gedacht haben, wie Painter 2002, 189 f., erwägt. 51 Anders, als z. B. Smalley 2008, 79 f., annimmt, geht es hier nicht nur um Fragen der theologischen und moralischen Lehre, sondern um deren soziale Konkretion im Leben der Adressaten. Das ist auch mehr als nur eine spirituelle Rückversicherung; so aber Van der Merwe 2007, 244.

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eingeschärften Rollen geschieht. Dazu baut 2,15 einen Gegensatz auf zwischen der Liebe zur Welt und der Liebe des Vaters52 – gemeint ist Gott –, die sich gegenseitig ausschließen. 2,16 zeichnet die Welt in düsteren Farben: „Jedes, das aus der Welt ist“, wird konkretisiert als die Begierde (ἐπιθυμία) des Fleisches, die Begierde der Augen und die Großtuerei mit dem Vermögen.53 „Begierde“ meint das selbstsüchtige Habenwollen in allen Lebensbereichen,54 und das „Fleisch“ (σάρξ) umschreibt das allein irdische, menschliche, vergängliche Leben. Die Begierde der Augen richtet sich nur auf das materiell Sichtbare, und die Konzentration auf das Materielle spiegelt sich besonders in der Betonung des Vermögens, das sozialen Status und Einfluss garantiert – und woran die Adressaten möglicherweise wenig Anteil hatten (wie sich aus 3,17 rückschließen lässt). Es geht also um die Grundhaltung des Lebens, die auf die Welt oder auf Gott ausgerichtet sein kann. Alles, was aus der Welt ist, ist nicht aus dem Vater.55 Welt, κόσμος, meint in 1 Joh nicht, wie im griechischen Denken, die Wohlgefügtheit, die Ordnung, gar die Schönheit des Universums und der Gesellschaft, sondern wird zum Inbegriff der Menschen und sozialen Strukturen, die von der Macht des Bösen bestimmt sind (5,19) und Gott ablehnen.56 Die Welt setzt damit auf Vordergründiges, Vergängliches; 2,17 hält fest, dass Welt und Begierde vergehen, wer aber den Willen des Vaters tut, in Ewigkeit bleibt. Die Vergänglichkeit wird zum zentralen Wesensmerkmal der Welt. Zusammen mit der Begierde wird die Welt als Sphäre der Gottferne charakterisiert, in der der Mensch nur sich selbst sucht und daher auch nur sich selbst findet. So beginnt das Vergehen bereits in der endzeitlich bestimmten Gegenwart (παράγεται im Präsens; vgl. 2,8.18). Zu dieser strikten Ablehnung der Welt und damit auch der Gesellschaftsmodelle, die sie prägen, passen die in 2,12–14 neu gefüllten Rollenmuster, die einzig und allein an der Beziehung zu Gott orientiert sind und damit die übliche gesellschaftliche Ordnung durchbrechen. 2,17 endet wieder mit dem Gedanken des Bleibens: „Wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“. Der Text fordert eine Konzentration auf das, was die Identität der Gemeinde ausmacht: ihre Beziehung zu Gott. Und diese steht Männern und Frauen ohne jeden Unterschied offen.

52 Die Genitivverbindung ἡ ἀγάπη τοῦ πατρός meint wohl den Vater als Urheber der Liebe, nicht unsere Liebe zum Vater; mit Klauck 1991, 138; Beutler 2000, 69; Painter 2002,193 f. Anders von Wahlde 2010, 75. Die Ambivalenz des Ausdrucks betont Lieu 2008, 93; vgl. Smalley 2008, 83; Schnackenburg 1984, 127. 53 Zu diesem Syntagma Klauck 1991, 140 f. Vgl. 1 Joh 4,11 f.; Joh 3,16. „Liebe“ meint Zuwendung, Engagement, Anerkennung. 54 Dazu Schreiber 2014, 218 f. Philo spec. leg. 4,84 f. charakterisiert die Begierde als Quelle aller Übel. Eine Konzentration auf sexuelles Begehren zeigt der Text nicht; gegen von Wahlde 2010, 81; S­ chnelle 2010, 97. Richtig z. B. Smalley 2008, 84. Auch in Joh 8,44, dem einzigen Beleg im Johannesevangelium, besitzt „Begierde“ umfassende Bedeutung. – Loader 2014, 224–231, deutet die Laster von 2,16 auf dem Hintergrund von „the depraved excesses of the rich at their often preten�tious ­banquets“ (231). 55 Bei der Formulierung εἶναι ἐκ handelt es sich um ein johanneisches Idiom (1 Joh 2,21; 3,19; 4,4.5; Joh 3,6.31; 8,23.44; 17,14), das Zugehörigkeit und grundlegende Bestimmung ausdrückt. 56 Zum griechischen Konzept des κόσμος und zur johanneischen Perspektive Lieu 2008, 92 f.

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6. Ergebnis Eindeutige Bezugnahmen auf einen der beiden beschriebenen Diskurse um eine Haustafel-Ethik bzw. die Lebensalter lassen sich in 1 Joh 2,12–14 nicht nachweisen, vielmehr bietet die sprachliche Gestaltung Anspielungen auf beide. Die gemeinsame Schnittmenge beider Diskurse besteht in ihrer sozialen Pragmatik. Sie zielen darauf ab, soziale Rollen bzw. Funktionen zu fixieren und die Ordnung der Gesellschaft zu beschreiben und zu stabilisieren. Durch die Anklänge an antike Diskurse um Ökonomik und Lebensalter signalisiert 1 Joh 2,12–14, eine analoge Funktion erfüllen zu wollen: die Begründung einer Gemeinschaft. Doch 1 Joh durchbricht die üblichen Ordnungsmuster und setzt die für alle geöffnete Beziehung zu Gott an ihre Stelle. Indirekt sind damit Gender-Differenzierungen aufgehoben. Dass Frauen im Text nicht explizit benannt werden, kann heute als Problem wahrgenommen werden. Ob dies auch für antike Hörerinnen von 1 Joh irritierend war, entzieht sich unserer Kenntnis. Sie haben wohl die Implikationen der sprachlichen Gestaltung leichter wahrzunehmen vermocht als wir heute. Der Text reflektiert keine Gender-Rollen und deren Aufhebung, aber er schließt von seinem Grundansatz her eine Festlegung und Über- bzw. Unterordnung von Gender-Rollen (also des sozialen Geschlechts, nicht des biologischen) grundsätzlich aus. Ob und wie das in den angeschriebenen Gruppen tatsächlich umgesetzt wurde, können wir nicht wissen, weil 1 Joh dazu keine Informationen bietet. Die Glaubwürdigkeit der theologischen Darstellung lässt sich aber ohne ein gewisses Maß an konkreter Erfahrung kaum denken. Umso deutlicher sehen wir die Festlegung bestimmter Gender-Rollen in der Kirche heute. 1 Joh liefert uns die theologische Begründung dafür, diese Rollenunterschiede endlich zu überwinden.

7. Abbildungen

Abb. 1: Wandmalerei, Haus des M. Fabius Ululitremulus, Pompeji, IX 13,5, Foto nach Zanker 2003, 205 Abb. 156a; die Malerei ist heute weitgehend zerstört (publiziert in: Notizie degli Scavi di Antichità X [1913] 144).

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Abb. 2: Terracotta-Statue aus Pompeji; mit Erlaubnis des Ministero per i Beni e le Attività Culturali – Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Inv.-Nr. 110338; Foto: Giorgio Albano und Patrizio Lamagna.

Abb. 3: Aeneas mit Anchises bei der Flucht aus Troja, Römische Republik, C. Iulius Caesar; Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Ident. Nr. 18202172, Foto: Dirk Sonnenwald, © bpk-Bildagentur.

Abb. 4: Aeneas mit Anchises bei der Flucht aus Troja, Römische Republik, L. Livineius Regulus; British Museum, Reg.-Number R.9140, © The Trustees of the British Museum.

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Abb. 5: Aeneas, der den Penaten opfert, Westfront der Ara Pacis Augustae, Rom; Museo dell’ Ara Pacis, Archivio Fotografico, © Roma – Sovraintendenza Capitolina ai Beni Culturali.

Abb. 6: Gemma Augustea, Kameo, Frühe römische Kaiserzeit; Kunsthistorisches Museum Wien, KHM-Museumsverband, ANSA IXa 79.

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Topographie und Text

Wolfgang Zwickel

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike und die am Toten Meer gelegenen Orte

Dank neuerer Bohrkerne am Toten Meer1 kennen wir mit einigen Unterbrechungen dessen Wasserstand für die letzten 10.000 Jahre relativ gut. Schon vorher war bekannt, dass zwischen 24.000 und 21.000 v. Chr. der sogenannte Lisan-See seinen höchsten Wasserspiegel bei etwa −164 m erreicht hat und damit einen riesigen See bildete, der das gesamte Jordantal einschließlich See Gennesaret und Totes Meer umfasste.2 Anschließend sank der Wasserspiegel in den folgenden gut 10.000 Jahren rapide, was in erster Linie mit der letzten Eiszeit zusammenhängt, die vor etwa 12.000 Jahren endete. Die neueren Untersuchungen, die vor allem von Migowski ausgewertet wurden, gehen davon aus, dass zu Beginn des Neolithikums der Wasserspiegel bei etwa −435 m lag, also um rund 270 m gesunken ist (Abb. 1, basierend auf Migowski 2001). Nur über diese letzten 10.000 Jahre soll hier siedlungsgeschichtlich nachgedacht werden. Im Verlauf dieser 10.000 Jahre änderte sich der Wasserstand noch einmal mit enormen Schwankungen. Es gab absolute Tiefstände wie um 5800 v. Chr. ungefähr beim Übergang vom keramischen Neolithikum zum Chalkolithikum, aber auch extreme Hochstände wie etwa um 1400 v. Chr. oder um 500 n. Chr. Da das Tote Meer keinen Ausfluss hat, bildet der Wasserstand einen wichtigen Marker für die Niederschläge, die es in den einzelnen Epochen gegeben hat. So zeichnet sich für die zweite Hälfte des 3. Jahrtausends und damit für das Ende der Frühbronzezeit ein starker Rückgang des Wasserspiegels ab. Die frühbronzezeitliche Hochkultur mit ihrer Ausrichtung auf ökonomisch besonders ertragreiche Anpflanzungen in einzelnen Gebieten und einem starken regionalen Austausch von Handelswaren scheint wegen eines starken Rückgangs der Niederschläge ihr Ende gefunden zu haben. Für die biblische Geschichte ist bemerkenswert, dass im 13. Jh. v. Chr. der Wasserstand von nahezu −370 m innerhalb sehr kurzer Zeit auf −418 m sank – der stärkste Rückschritt des Wasserspiegels in den letzten 10.000 Jahren, wenn man von den letzten 50 Jahren absieht. Der heutige Rückgang des Wasserspiegels

1 2

Migowski 2001; vgl. für den Zeitraum der letzten 70.000 Jahre Torfstein/Enzel 2017. Bartov et al. 2002.

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Wolfgang Zwickel

hat jedoch Gründe, für die die Menschheit zuständig ist und nicht die Natur. Nie lebten auch nur annähernd so viele Menschen in dem schmalen Land rechts und links des Jordans, nie waren Schwimmbäder, tägliche Duschen, grüne Gärten so sehr selbstverständlicher Bestandteil des Lebens wie heute. Dies wirkt sich nachhaltig auf den Wasserhaushalt des Landes aus und wird sicherlich in Zukunft noch zu erheblichen Problemen führen.

Abb. 1: Wasserstände des Toten Meeres in den letzten 10.000 Jahren.

Die absoluten Datierungen der Abb. 1 müssen jedoch vorsichtig betrachtet werden. Sie stützen sich im Wesentlichen auf C14-Datierungen, die wegen des möglichen Reservoireffekts einen Unsicherheitsfaktor aufweisen können. Trotzdem gibt es einige Marker, die zumindest ansatzweise die Richtigkeit der zeitlichen Ansetzungen bestätigen können: Ȥ Der Übergang vom Chalkolithikum zur Frühbronzezeit I (ca. 3700–3500 v. Chr.) wird mit einer Phase geringerer Niederschläge begründet.3 Der Wasserspiegel des Toten Meeres scheint diese Trockenphase zu bestätigen, da sich genau in dieser Zeit ein Rückgang des Wasserspiegels beobachten lässt. Ȥ Der enorme Rückgang des Wasserspiegels im 13. Jh. v. Chr. passt bestens zu den Angaben auf der sog. Israel-Stele, Israel habe kein Saatkorn mehr.4 Der Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Gesellschaft kann gut mit proble-

3 4

Vgl. z. B. Levy 1993, 241. Weippert 2010, 168–171.

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

489

matischen klimatischen Verhältnissen verbunden werden, die nicht nur in der Levante, sondern im ganzen östlichen Mittelmeerraum und in Kleinasien zu Umsiedlungsprozessen führten.5 Ȥ Schließlich besitzen wir eine ziemlich genaue Angabe des Wasserspiegels des Toten Meeres aus der Zeit des Neuen Testaments. Die Grabungen in Kallirrhoë am Ostufer des Toten Meeres erbrachten, dass die Kaimauer dort auf −395 m lag.6 Der Wasserspiegel dürfte demnach nur unwesentlich geringer gewesen sein – was ziemlich genau dem rekonstruierten Wasserspiegel um die Zeitenwende entspricht. Ȥ Möglicherweise können aber nicht nur moderne menschliche Einflüsse mit dem Wasserstand des Toten Meeres verbunden werden, sondern auch solche in der Antike. Um die Zeitenwende lässt sich ein starker, wenngleich nicht lange anhaltender Rückgang des Wasserstandes beobachten. Dieser kann möglicherweise mit den großen Dattelplantagen in Verbindung gebracht werden, die in der Umgebung von Jericho in dieser Zeit angelegt wurden. Datteln benötigen viel Wasser – Wasser, das nicht mehr in den Jordan floss, sondern von den Datteln verbraucht wurde. Anscheinend fand diese intensive Landwirtschaft, die erst durch eine Fassung der Quellen und eine Kanalisierung des Quellwassers vor allem unter Herodes dem Großen möglich wurde, um 70 n. Chr. ihr wirtschaftliches Ende, so dass sich der Wasserstand des Toten Meeres in der Folgezeit wieder normalisieren konnte. Allerdings werden auch nach 70 n. Chr. die Plantagen und die Kanäle noch weiterbestanden haben, nur wurden die Dattelpalmen nicht mehr derart intensiv gepflegt. Im Laufe der Zeit ging jedoch die Bewässerung dank mangelnder Pflege der Kanäle zu Grunde, und auch die Bäume starben nach rund 100 Jahren allmählich ab. Dem entspricht sehr gut der Wiederanstieg des Wasserstandes am Toten Meer um 200 n. Chr. Wir dürfen damit davon ausgehen, dass die Rekonstruktion des Wasserspiegels des Toten Meeres mit geringen Unsicherheiten durchaus zutreffend ist. Dank heutiger Techniken lassen sich die unterschiedlichen Wasserspiegel kartographisch darstellen.7 Die Abb. 2–10 zeigen die unterschiedliche Größe des Toten Meeres im 5 m Abstand von −375 m bis −415 m. Allerdings zeigen sich bei den zur Verfügung stehenden Daten, die auch die heutigen menschlichen Eingriffe in der Natur widerspiegeln, im Süden des Toten Meeres bei Niedrigwasser falsche Verhältnisse. Der flache Südteil des Toten Meeres war ab einem Wasserstand von −405 m trocken und wies keine natürlichen Teiche auf, die die Karten fälschlicherweise wiedergeben. Die dortigen Flächen werden heute künstlich bewässert, was zu einer Verzerrung der Kartenabbildung führt. Wasserstände unter −415 m sind mit den technischen Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen, nicht möglich.

5 6 7

Vgl. die diversen Beiträge in Fischer/Bürge 2017. Strobel/Wimmer 2003, Faltkarte 3. Ich bin Krister Kowalski sehr für die Erstellung der Karten zu Dank verpflichtet.

490

Wolfgang Zwickel

Seit etwa 20 Jahren sind auf israelischem Gebiet die unmittelbaren Zugänge zum Toten Meer bzw. zu seinen Uferzonen entlang der Landstraße im Westen größtenteils gesperrt. Inzwischen wurde auch ein beliebter Badestrand bei En Gedi geschlossen und der Straßenverlauf geändert. Grund hierfür sind unterirdische Hohlräume im Uferbereich, die ab einem bestimmten Wasserstand mit Wasser gefüllt und damit stabil sind. Fällt der Wasserstand jedoch, besteht die Gefahr, dass die Oberfläche über der Decke bei Belastung zusammenbricht. Es gibt keinen konkreten Wasserstand, ab wann dies sich ereignen kann. Dazu sind die einzelnen Höhlen schlichtweg in zu unterschiedlichen Höhen. Aber ab einem Wasserstand von etwa −410 m dürfte sich solch ein Ereignis immer wieder einmal ereignet haben. Dies könnte der erfahrungsgeschichtliche Hintergrund für die Erzählung des Alten Testaments sein, dass sich die Erde auftut und Menschen verschlingt (Num 16,30–33; vgl. Ps 55,16). Solche Naturereignisse wurden in der Antike nicht gleichermaßen als Auswirkungen natürlicher Veränderungen verstanden, sondern als göttliches Handeln interpretiert. Sollte diese Interpretation zutreffen, dann ergeben sich aber auch Hinweise für die Datierung der Erzählungen. Es ist seit langem bekannt, dass Num 16 kein einheitlicher Text ist, sondern eine ältere, vorpriesterschriftliche Datan-Abiram-Erzählung mit einer jüngeren, nachpriesterschriftlichen Korach-Erzählung verbindet.8 Auch wenn in Einzelheiten die Literarkritik umstritten ist, wird ein Grundtext von Num 16,30–33 der Datan-Abiram-­ Geschichte zugeschrieben. Wenn die theologisierte literarische Umsetzung einer Lebenserfahrung wirklich mit dem Wasserstand am Toten Meer zu verknüpfen ist, dann muss diese Erfahrung zwangsläufig mit dem Tiefstand um 1200 v. Chr. zu verbinden sein. Allerdings war auch der Wasserstand in der gesamten Eisenzeit nicht allzu hoch, so dass eine solche Geschichte sich nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt des tiefsten Wasserstandes ereignet haben muss, sondern auch aus einer etwas jüngeren Epoche stammen kann, als das Tote Meer stärker in den Horizont ökonomischer Überlegungen der Judäer kam und öfters besucht wurde. Entlang des Ufers des Toten Meeres wurden sowohl im West- als auch im Ostjordanland bei Ausgrabungen und Oberflächenuntersuchungen zahlreiche Ortslagen entdeckt, deren Relevanz noch besser erkannt werden kann, wenn man sich fragt, ob sie in den jeweiligen Siedlungsperioden unmittelbar am Meer oder doch in einem gewissen Abstand gelegen haben. In der Zusammenstellung am Ende des Beitrags sind nur diejenigen Orte aufgeführt, die irgendwann unmittelbar am Meer gelegen haben könnten; alle Orte, die etwas höher im Bergland sind, wurden nicht aufgeführt. Die Zusammenstellung beschränkt sich auf die Epochen von der Mittelbronzezeit bis zur byzantinischen Zeit. Wurden an einzelnen Orten weniger als 3 Scherben einer Periode gefunden, werden die Ortslagen nicht aufgeführt; der Scherbenbefund könnte auch durch Zufall hierhin geraten sein. Die genaue Lokalisierung der Orte stellt eine große Schwierigkeit dar, denn die Anga8

Zwickel 1990, 291–299; Seebass 2003, 165–213 (mit Literatur).

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

491

ben in den Surveyberichten sind in der Regel nur auf 100 m genau. Was bei einer größeren Siedlungsstätte unproblematisch ist, erweist sich bei den meist kleinen Orten im Uferbereich des Toten Meeres als höchst schwierig. Mit Hilfe möglichst genauer Karten und Google Earth wurde eine exakte Lokalisierung der antiken Orts­lagen versucht. Selbst bei Wasserhochstand (−375 m) lagen nahezu alle Orte, die im Bereich des Toten Meeres bekannt sind, „im Trockenen“. Lediglich die nur in römischer Zeit besiedelten Orte 3 und 4 waren bis zu einem Wasserhöchststand von −395 m unter Wasser. Dies wiederum harmoniert mit einer gewissen Ungenauigkeit gut mit dem Wasserstand in römischer Zeit, so dass es sich bei beiden Orten um Hafenstädte gehandelt haben wird. Je stärker der Wasserstand zurückging, umso weiter entfernten sich die Orte naturgemäß von der Küste des Toten Meeres. Am nördlichen Ostufer des Toten Meeres gab es im Gegensatz zur heutigen Zeit, in der sich dort einige Hotels befinden, keine Orte. Das Gelände ist hier schlichtweg zu steil für eine menschliche Präsenz, und erst die moderne Autostraße ermöglicht eine bequeme Zugangsmöglichkeit zu diesem Bereich. Ansonsten war die Küste des Toten Meeres an allen Seiten gut bewohnt. Auf der Lisan-Halbinsel gab es jedoch keine Besiedlung, wohl aber auf den etwas höher gelegenen Terrassen. Auch im Bereich des Jordaneinflusses liegen die Ortslagen auf beiden Seiten des Flusses durch die gesamte Antike hindurch auf den höher gelegenen Terrassen. Ähnliches gilt auch für das Südende des Toten Meeres. Das Nordwestufer (Orte Nummer 1–25) war besonders intensiv besiedelt, insbesondere in römischer Zeit. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Uferbereich des Toten Meeres vor allem in der römischen Zeit von großem Interesse für die damaligen Menschen war. In der Mittelbronzezeit weisen nur 4, in der Spätbronzezeit sogar nur 2 Orte menschliche Präsenz auf (= X in der Tabelle am Ende des Beitrags). In der Eisenzeit I stieg die Zahl der Orte auf 10 an, wohl auch im Zusammenhang mit dem Salzabbau, der für Juda eine wichtige Einnahmequelle bildete.9 In der Eisenzeit II erhöhte sich die Zahl der bewohnten Orte auf 24. Hintergrund ist zweifelsohne der große Bevölkerungsdruck nach der Eroberung des Nordreichs Israel 733/722 v. Chr., als viele Menschen ins Südreich Juda flohen und dort eine neue Existenz aufbauen wollten. Nun wurden auch ökonomisch nicht so interessante Gebiete wie die Uferbereiche des Toten Meeres besiedelt. Das Gebiet um En-Gedi wurde nun für Parfümherstellung genutzt.10 Mit der Eroberung Judas durch die Babylonier und dem damit verbundenen enormen Bevölkerungsrückgang wurde die Region am Toten Meer wieder uninteressanter, so dass wir in der Perserzeit keine und in der hellenistischen Zeit so gut wie keine Besiedlung haben. Die Perserzeit ist daher in der Tabelle nicht aufgeführt. Die Judäer nutzten nun nur die fruchtbareren Flächen im Bergland. Die Bevölkerungszahl in Judäa stieg in hellenistischer Zeit langsam, in römischer und dann vor allem in byzantinischer Zeit

  9 Zwickel 2015, 45. 10 Keel/Küchler 1982, 418–423.

492

Wolfgang Zwickel

stark an. Damit musste auch das Gebiet am Toten Meer wieder intensiv genutzt werden und erneut eine ökonomische Nische gefunden werden, die für dieses Territorium ideal ist. Der enorme Anstieg auf 43 Orte während der Römerzeit ist auch mit dem erneuten Anbau von Balsam- und Dattelplantagen im Bereich des Toten Meeres verbunden. Das Gebiet wurde nun intensiv landwirtschaftlich genutzt und war zudem ein Rückzugsort für die Hasmonäer und Herodianer. Deren Residenzen mussten auch entsprechend versorgt werden. Außerdem gab es nun Schifffahrt auf dem Toten Meer, die nicht nur das Ost- und das Westufer enger verband, sondern auch den Transport von Handelsgütern erleichterte. Die Wirren um 70 n. Chr. führten sicherlich zu einem Rückgang der Siedlungsaktivität in diesem Bereich, auch wenn dies in der Surveykeramik nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann. In der Bar-Kochba-Zeit war die Region mit ihren Höhlen ein beliebter Rückzugsort. In byzantinischer Zeit mit ihrem hohen Bevölkerungsanstieg sind 36 besiedelte Orte belegt. Bis heute ist die eigentlich unwirtliche Landschaft am Toten Meer übrigens eine Region, für die immer wieder ökonomische Nischen für Wirtschaftsbetriebe gefunden werden. Aktuelle Beispiele hierfür sind z. B. der Gesundheitstourismus um En Boqeq oder die Kosmetikindustrie, die die Mineralien des Meeres nutzt.

493

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike



1977. 1362

31.820428, 35.501680

3

Rugˇ m el-Baḥar

1986. 1311

31.771410, 35.512502

X

4

–14

1978. 1308

31.768852, 35.502612

X

5

Ain Feshkha

193. 126

31.719584, 35.455447

X

X

6

–16

1927. 1242

31.690418, 35.446378

X

X

7



1908. 1211

31.675493, 35.432616

X

X

8

18



1919. 1211

31.678442, 35.436621

9

–19

1910. 1208

31.672746, 35.435845

10



1915. 1208

31.672384, 35.437328

11

–21

190. 118

31.658505, 35.427387

X

12



1895. 1172

31.648725, 35.416533

X

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

13

15

17

20

22

Kochavi 1972, No. 74. Kochavi 1972, No. 76. Kochavi 1972, No. 86. Kochavi 1972, No. 87. Kochavi 1972, No. 98. Kochavi 1972, No. 103. Kochavi 1972, No. 113. Kochavi 1972, No. 110. Kochavi 1972, No. 114. Kochavi 1972, No. 115. Kochavi 1972, No. 126. Kochavi 1972, No. 128.

Byzantinisch

2

12

Römisch

31.827831, 35.513735

Hellenistisch

198. 137

Eisen II

‘Ēn Ḥagˇ lā11

Eisen I

1

Spätbronze

Koordinaten Koordinaten Palestine WGS84 Grid

Mittelbronze

Arabischer Name

X

X X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

494

Wolfgang Zwickel



1902. 1172

31.647875, 35.424149

15

–25

1894. 1158

31.639816, 35.417549

X

16

–26

1895. 1153

31.631770, 35.417309

X

17



1875. 1132

31.612233, 35.397807

X

18

Ēn et-Turābe28

1887. 1129

31.608341, 35.406409

19



187. 108

31.569427, 35.397968

X

20



187. 107

31.562394, 35.400549

X

X

21

–31

1875. 1019

31.510113, 35.394678

X

X

22



187. 098

31.480813, 35.396775

X

X

23

Tell el–Jurn33

1873. 0976

31.467852, 35.394370

X

X

24

Qasr el–Areja

1869. 0964

31.454610, 35.388699

X

X

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

27

29

30

32

34

Kochavi 1972, No. 129. Kochavi 1972, No. 130. Kochavi 1972, No. 138. Kochavi 1972, No. 139. Kochavi 1972, No. 143. Kochavi 1972, No. 145. Kochavi 1972, No. 164. Kochavi 1972, No. 171. Kochavi 1972, No. 196. Kochavi 1972, No. 206. Vogel 1975, No. 6.6A.6B.6C. Vogel 1975, No. 8.

Byzantinisch

14

24

Römisch

31.648702, 35.420267

Hellenistisch

1898. 1173

Eisen II

–23

Eisen I

13

Spätbronze

Koordinaten Koordinaten Palestine WGS84 Grid

Mittelbronze

Arabischer Name

X X

X

X

X

X

495

26

Ain Uneba

1822. 0845

31.349750, 35.352738

27

Qasr Umm Begheq/ En Boqeq37

1841. 0676

31.200285, 35.360856

28

Qasr ez-Zuweira/ Mzad Zohar38

1830. 0622

31.151150, 35.346019

29

–39

1866. 0608

31.138894, 35.385104

30

–40

1868. 0602

31.134040, 35.386325

31

El-Mawwaj

2060. 1365

31.805932, 35.604273

32

Tulelat Ghassul

2073. 1348

31.860900, 35.640500

X

33

Tell ez-Uzema43

2088. 1322

31.781462, 35.614822

X

34

Tulelat Muwes

2073. 1318

31.767391, 35.607039

35

Khirbet Suwena45

2064. 1317

31.766343, 35.604907

36

Qal’at el-Haditha

2025. 0781

31.291266, 35.539698

35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

36

41

42

44

46

X

Byzantinisch

31.453230, 35.386864

Römisch

1864. 0959

Hellenistisch

Birket el–Areja35

Eisen II

25

Eisen I

Koordinaten Koordinaten Palestine WGS84 Grid

Mittelbronze

Arabischer Name

Spätbronze

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

X

X

X X

X X

X

X

X X

X X X

X

X

X X

X

X

X X

X

X

X X

Vogel 1975, No. 7. Vogel 1975, No. 9. Vogel 1975, No. 4. Vogel 1975, No. 10. Vogel 1975, No. 3. Vogel 1975, No. 2. Yassine/Ibrahim/Sauer 1988, 193 Nr. 208. Thompson 1979, 347; Yassine/Ibrahim/Sauer 1988, 193 Nr. 216. Zwickel 1990a, 160; Thompson 1979, 347; Yassine/Ibrahim/Sauer 1988, 193 Nr. 217.219. Zwickel 1990a, 160. Zwickel 1990a, 160; Thompson 1979, 348; Yassine/Ibrahim/Sauer 1988, 193 Nr. 193. Zwickel 1990a, 116.

496

Byzantinisch

31.285586, 35.537875

X

X

X

38

El-Qasr

2005. 0767

31.281136, 35.520132

X

X

39

Mutraba

2006. 0760

31.281136, 35.520132

X

X

40

Khirbet Qasr el-Buleda50

2052. 0767

31.286421, 35.559289

X

X

41

Tawahin es-Sukkar

2001. 0747

31.254521, 35.516984

X

X

42

Umm el-Aqarib52

2005. 0730

31.249728, 35.520704

X

X

43

Bab edh-Dhra

2040. 0729

31.253928, 35.534184

44

Khirbet Isal

2015. 0710

31.231516, 35.536895

X

45

Wadi Isal55

ca. 202. 071

31.246091, 35.525537

X

46

56



2020. 0663

31.253928, 35.534184

X

47

–57

2013. 0662

31.253928, 35.534184

X

48

Rujm en-Numera/ Numera58

2005. 0605

31.134939, 35.528401

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

48

49

51

53

54

Zwickel 1990a, 116; King et al. 1987, 453 Nr. 1. Zwickel 1990a, 116; King et al. 1987, 453 Nr. 3. King et al. 1987, 453 f. Nr. 3–5. Zwickel 1990a, 116; King et al. 1987, 454 Nr. 6. Zwickel 1990a, 116; King et al. 1987, 454 f. Nr. 7 f. Glueck 1935, 6 site 1. Thompson 1979, 397. Zwickel 1990a, 99; King et al. 1987, 455 Nr. 11. Glueck 1935, 6. Zwickel 1990a, 99. Zwickel 1990a, 98. Glueck 1935, 7 site 2; Rast/Schaub 1974, 15–17.

Hellenistisch

2027. 0778

Eisen II

El-Haditha47

Eisen I

37

Spätbronze

Koordinaten Koordinaten Palestine WGS84 Grid

Mittelbronze

Arabischer Name

Römisch

Wolfgang Zwickel

X

X

X

X

497 Byzantinisch

31.029887, 35.478068

X

X

X

50

Tawahin es-Sukkar

196. 048

31.020412, 35.484840

X

X

X

51

Khirber esh-Shekh Isa61

1050. 0476

31.022559, 35.471886

X

X

52

Rujm Umm Jufna62

1972. 0395

30.936371, 35.485932

X

53

(Qasr) el-Fefa

1933. 0390

30.936489, 35.449750

X

X

X

54

Qasr Umruq64

1913. 0342

30.921469, 35.461193

X

X

X

55

(Rujm) Khanazir

1911. 0340

30.918064, 35.455326

X

X

X

56

(Qasr et-)Tilah66

1891. 0267

30.832552, 35.392789

57

Ain Hosb/ En Haseva67

1734. 0242

30.798589, 35.246072

59 60 61 62 63 64 65 66 67

60

63

65

X

Zwickel 1990a, 71; Rast/Schaub 1974, 16 f. Glueck 1935, 7 site 3; King et al. 1987, 455 f. Nr. 12. Zwickel 1990a, 71; King et al. 1987, 456 f. Nr. 13–15. Zwickel 1990a, 57. Zwickel 1990a, 57; Rast/Schaub 1974, 12.17; King et al. 1987, 457 f. Nr. 18 f. King et al. 1987, 458 Nr. 21. Zwickel 1990a, 57; Rast/Schaub 1974, 18; King et al. 1987, 458 Nr. 22. Zwickel 1990a, 52; Glueck 1935, 11–17. Cohen 1993.

Hellenistisch

1944. 0492

Eisen II

Es–Safi59

Eisen I

49

Spätbronze

Koordinaten Koordinaten Palestine WGS84 Grid

Mittelbronze

Arabischer Name

Römisch

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

X X

X

498

Wolfgang Zwickel

Abb. 2: Wasserstand Totes Meer bei −375 m.

Abb. 3: Wasserstand Totes Meer bei −380 m.

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

Abb. 4: Wasserstand Totes Meer bei −385 m.

Abb. 5: Wasserstand Totes Meer bei −390 m.

499

500

Wolfgang Zwickel

Abb. 6: Wasserstand Totes Meer bei −395 m.

Abb. 7: Wasserstand Totes Meer bei −400 m.

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

Abb. 8: Wasserstand Totes Meer bei −405 m.

Abb. 9: Wasserstand Totes Meer bei −410 m.

501

502

Wolfgang Zwickel

Abb. 10: Wasserstand Totes Meer bei −415 m.

Der Wasserstand des Toten Meeres in der Antike

503

Abb. 11: Schrägansicht des Toten Meeres bei einem Wasserstand von −375 m.

Abb. 12: Schrägansicht des Toten Meeres bei einem Wasserstand von −415 m.

Literaturverzeichnis Bartov et al. 2002: Y. Bartov et al., Lake Levels and Sequence Stratigraphy of Lake Lisan, the Late Pleistocene Precursor of the Dead Sea, in: Quaternary Research 57 (2002) 9–21 (https://web.archive.org/web/20120425093428/http://earthquakes.ou. edu/reches/Publications/lake_levels.pdf). Cohen 1993: R. Cohen, Art. Hazeva, Mezad, in: NEAEHL II (1993) 593 f. Fischer/Bürge 2017: P. M. Fischer/T. Bürge (Hrsg.), „Sea Peoples“ Up-to-Date. New Research on Transformations in the Eastern Mediterranean in the 13th–11th Centuries BCE (DÖAW 81/Contributions to the Chronology of the Eastern Mediterrean 35), Wien 2017.

504

Wolfgang Zwickel

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Ronny Reich

Three Notes Pertaining to the Fortifications and Rock-cuttings at the Gihon Spring in the City of David, Jerusalem 1. Introduction The excavations carried out by Reich and Shukron in the City of David have revealed very massive fortifications.1 These fortifications, near the spring and in relation to it and to the Canaanite water system (Warren’s Shaft System), are undoubtedly the most massive walls constructed in Jerusalem in the era predating the Herodian building projects. These remains join other remains excavated in the past, at this spot, by Warren, Parker and Vincent, Kenyon, and Shiloh.2 As is customary in archaeological research, the discovery of new components requires a new examination of the entire complex of data which were obtained in the various excavations, and if necessary, a new interpretation is called for. This was done by the author in the past.3 This was done recently by other archaeologists, currently active on the site, criticizing my discoveries which received my response.4 In the following lines several additional new insights relating to the newly excavated details are presented, which I surmise that will produce further comments and critique.

1 Cf. Reich/Shukron 2009; 2010a; 2010b; Reich 2011, 148–170.206–219.249–261. 2 Cf. Warren/Conder 1884, 355–371; Vincent 1911, 2–16; Kenyon 1974, 81–91; Shiloh 1984, 21–24. 3 E.g. Reich 1987. 4 Cf. Regev et al. 2017 and Reich 2018.

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Ronny Reich

2. The shape of the original location where water was drawn in the Warren’s Shaft System When Charles Warren discovered in 1867 the subterranean system which descends from the top of the south-eastern hill towards the spring, only the following components were known: an underground wide tunnel, a vertical, c. 13 m high, shaft, and a short narrow tunnel which connected the bottom of the shaft with the spring.5 It was understood that a person descending from the city in the tunnel reached the upper part of the shaft. Water that was accumulated at the bottom of the shaft, was drawn from this point with the help of bucket and rope, like from a well. In 1909–1911 Montague Parker and Louis Vincent exposed the first part of a rock-cut water conduit (Channel II) which led water from the spring southwards.6 At a short distance (c. 6 m) from the spring opened a short tunnel (Tunnel III) into a rock-cut wider space dubbed the ‘Round Chamber’. Between the spring, the ‘Round Chamber’ and the bottom of Warren’s Shaft was exposed an intricate maze of short rock-cut tunnels (Tunnels IV, V, VI, VII). Channel II was understood as a separate, independent, water system. The short tunnels were given short explanations by it discoverers,7 but other scholars who worked close to them, or studied the ancient water systems8 have not related to them at all. The author has ventured an explanation.9 One of these tunnels (Tunnel V) will be related to further on. The author’s excavations near the spring have revealed new components which pertain to the water system. The largest elements are: a massive fortification constructed around the spring (the ‘Spring Tower’)10 and a vast rectangular space (c. 10 × 16 m) cut in the rock to a maximal depth of 14.5 m. This rock-cutting was dubbed the ‘rock-cut pool’, although it is obvious that it was neither planned nor used as a pool aimed at storing water. This is simply because its walls and bottom were not plastered, and as the rock at that spot is fractured it will not hold water. At the eastern side of the ‘pool’ was exposed part of a rock-cut staircase descending into the ‘pool’. The ‘Round Chamber’ is located at the bottom of the ‘pool’s’ north-eastern corner. Our original suggestion saw in these two components – the ‘pool’ and the ‘Round Chamber’, parts of a single element. The interpretation was the following: the ‘pool’ and the ‘Round Chamber’ at its bottom, and not the shaft proper of Warren’s Shaft System, were the destination of the water drawers using the system. According to this explanation the people in charge of the construction of   5 Cf. Warren/Conder 1884, 369.   6 Cf. Vincent 1911, 6–8.   7 Cf. Vincent 1911, 6–11.   8 Cf. Shiloh 1987; Gill 1996.   9 Cf. Reich/Shukron 1999. 10 Cf. Reich 2011, Fig. 168.

Three Notes Pertaining to the Fortifications and Rock-cuttings

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Fig. 1: Plan of the fortifications and rock-cuttings at the Gihon Spring in the City of ­David, Jerusalem (After Reich 2011, Fig. 168).

the system started the project with the cutting of a large scale rectangular space (the ‘pool’), and were aiming with the rock-cutting to reach a level slightly lower than the level of the spring (636.30 m),11 so that they could lead the water to the bottom of the planned ‘pool’. This was a too pretentious plan, far too large in size 11 This is today the average water level at the northern end of the Siloam Tunnel.

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Fig. 2: Schematic plan of the MB II remains at the Gihon spring. Warren’s Shaft system with the suggested ancient drawing shaft – the location of Warren’s Shaft, which was not part of the system marked by an X (drawn by the author).

from what was required. At a certain point, when the bottom of the pool reached the average level of 640.0 m, they decided to minimize work in order to hasten the completion of the project. So they continued deepening the ‘pool’ only at its north-eastern corner, and thus was created the ‘Round Chamber’, with its average bottom level at 634.80 m. A supporting evidence to the notion that drawing water, indeed, took place at the ‘Round Chamber’ is the fact that at the upper edge of the northern rock wall and some 9.5 m directly above the bottom of the ‘Round Chamber’, is located a large (c. 3 m long, c. 20 cm deep) horizontal groove in the rock, which was made to take a wooden platform upon which the water-drawers stood and threw down the ropes and buckets.12 It should be emphasized that a compatible groove on the southern rock wall of the ‘pool’, which would have been necessary to take the other side of the said suggested wooden platform, does not exist there. Also the pan of the width of the ‘pool’ (here measuring c. 10 m) is too long to be bridged by the suggested wooden platform upon which the water drawers were standing. 12 Cf. Reich/Shukron 2011, Fig. 4.

Three Notes Pertaining to the Fortifications and Rock-cuttings

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At a second thought an alternative interpretation seems more plausible. It does not alter in essence the understanding of the system, but it seems to be more logical. This explanation separates chronologically between the ‘pool’ and the ‘Round Chamber’, namely that they were not cut in the rock in one continuous operation, but rather in two different periods. The part cut first was the ‘Round Chamber’. The ‘Round Chamber’ was, in fact, the lower part of a vertical deep shaft which was cut from rock surface downwards. Originally it had a depth of c. 12 m. This shaft which was some 4 m on the average in diameter, was the place within the Warren’s Shaft System of the Middle Bronze II period, were water was drawn. Suspended above it was a narrow wooden platform inserted into two rock cut grooves, enabling a person or two to stand right above the shaft, and not at its sides, and draw water with rope and bucket. This interpretation explains the difference in the rock-cutting quality of the rock walls, between the flat smooth finish of the ‘pool’s’ rock walls, and the rougher workmanship of the rock walls and bottom of the ‘Round Chamber’. In some places in the ‘Round Chamber’ it is clear that chunks of rock were dislodged with a lever by making use of the natural cracks in the rock, rather than by chiseling away the rock. In this respect the cutting workmanship of the ‘Round Chamber’ resembles more that of Channel II rock walls, rather than that of the ‘pool’. This 12 m deep shaft was cut in the Middle Bronze II period, and is related to the Warren’s Shaft system, as well as to Channel II. At a later time, most probably in the Iron Age II, the large and almost rectangular ‘pool’ was cut, as a separate water system of a totally different type (see below). The rock-cutters of the ‘pool’ included at the north-eastern part of their new project the ancient shaft, most probably to save unnecessary work (it is estimated they saved some 10 % of the work). In this cutting the upper part of the western and the southern walls of the ancient shaft were removed entirely, including the part in which the southern horizontal groove was located. The northern wall of the ancient shaft remained in its entirety, including the rock cut horizontal groove on the shaft’s northern rock wall.

3. The rock-cut ‘pool’ and some other rock-cut details – evidence to an incomplete water system in the Iron Age II? According to the interpretation suggested above, when the rock-cut ‘pool’ was cut it destroyed the upper part of a rock-cut shaft which was part of a Middle Bronze II period water system. The ‘pool’ was cut down to a certain level, in which a quite flat rock floor was left behind, with a slight gradient to south-east. The rock walls and floor are quite smooth, bearing no quarrying marks (such as quarrying channels, rock stumps left behind where stone blocks were detached from bedrock, and the like).

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Fig. 3: Schematic plan of rock-cut ‘pool’ near the Gihon spring in the Iron Age II. Tunnel of Warren’s Shaft system extended southwards and eastwards to be connected to the ‘pool’. Tunnel V under the ‘pool’ extended to the south and widened (drawn by the author).

Fixing the ‘pool’s’ date of construction faces difficulties like the dating of any water installation, as its construction cannot be dated by the artefacts found in it. These finds give, at the most, a terminus ante quem. The cutting of the rock-cut ‘pool’ predates the findings discovered in it, i. e. the late 9th century or early 8th century BCE.13 Supporting evidence for an Iron Age II date, is the smooth workmanship of the ‘pool’s’ chiseled rock walls, which resembles that of the workmanship in the Siloam Tunnel of the late 8th century BCE. The available rock-cut elements raise the question if the ‘pool’ has been cut to completion? If the answer is positive, then the questions to ask are to what purpose, and how was it used? One can understand the ‘pool’ and its staircase on the eastern side as main components of a water system typical to the Iron Age II, namely of a large rock-cut square or circular depression with a staircase at its sides that descends to water level or to its close vicinity. Such are the water systems at Hazor, Megiddo, Gibeon, and others.14

13 Cf. De Groot/Fadida 2011; Singer-Avitz 2012. 14 Cf. Shiloh 1987.

Three Notes Pertaining to the Fortifications and Rock-cuttings

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Such an attempt to create a water system should be considered as predating the cutting of the Siloam Tunnel, since when the Siloam Tunnel started to operate it captured the water from Channel II and from the ‘Round Chamber’ which went dry and ceased to be part of a water system. In relation to the ‘pool’, two additional rock-cut elements should be mentioned, which were probably meant to be connected to the ‘pool’ in some way, but their cutting was not completed: a. In the past, the present author suggested that in the late Iron Age II period, for some unknown reason, it was decided to deepen the horizontal tunnel of the Warren’s Shaft system, by cutting gradually into its hard rock bottom. It was this cutting which exposed at its side the upper part of the karstic shaft known as ‘Warren’s Shaft’.15 The cutting of the deepened part continued some 2 m southwards, beyond the point where the ‘Warren’s Shaft’ was encountered, pointing to the fact that the shaft was not the target of the rock-cutters, and that the cutting was actually halted at a random spot. It seems that the deepening and continuing southwards of the tunnel has not reached its planned destination, even if its precise destination is not known. The date of the gradual deepening of the tunnel and its cutting further to the south was set in the 8th century BCE, as attested by fragments of three pottery oillamps found in the layer of rock-chips which was found covering the tunnels floor.16 The southern edge of the deepened tunnel of Warren’s Shaft system is located some 14 m away from the north-western corner of the rock-cut ‘pool’. The question is raised whether the further cutting of the said tunnel was aiming at the ‘pool’s’ side? This could have been done by cutting further to the south, and then making a right angle turn to the left, thus reaching the western rock wall of the ‘pool’. If we extrapolate the deepened part of horizontal tunnel of Warren’s Shaft System by the same gradient, the tunnel would have reached the ‘pool’ close to its bottom level (at average level of 640.0 m). This would have required to extend the tunnel some 17 m to the south and then make a right angle turn to the east (left), cut another 7 m to the east, to meet the western rock-wall of the pool (Fig. 2). This part was not carried out. b. Tunnel V, discovered by the Parker-Vincent expedition, which is one of the short rock-cut tunnels located between the spring, the bottom of the ‘Round Chamber’ and the bottom of Warren’s Shaft, is located right under the rock floor of the ‘pool’. What was not shown in the documentations published by Vincent (1911) is the fact that contrary to all other short tunnels (III, IV, VI, VII), which are cut horizontally in the rock, the floor and ceiling of Tunnel V ascend in a steep gradient towards the bottom of the ‘pool’ which lies above it.17

15 Cf. Reich 2011, 155. 16 Cf. Reich 2011, 109. 17 Our detailed interpretation given in the past for the maze of short tunnels (Reich/Shukron 1999) did not include Tunnel V.

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Ronny Reich

The level of the ceiling of Tunnel V in its innermost part is 638.35 m. Had the rock-cutters of this tunnel continued their work in the same ascent for a few more meters, they might have soon surfaced in the bottom of the rock-cut ‘pool’ as its average bottom level is around 640.00 m. There seems no doubt that Tunnel V is an unfinished rock-cutting attempt which did not reach completion. Had the tunnel been completed and widened, it would have enabled the comfortable descend, on foot, from the ‘pool’s’ bottom directly to water level. We can offer the following understanding for these rock-cut elements as follows: At a certain time in the Iron Age II the cutting of a new water system was begun, a water system of a type current at that time in the country. This system was started by cutting a rectangular ‘pool’ with a rock-cut staircase at its eastern side. This action was not brought to completion. As much effort was already invested in it, it was decided to connect Warren’s Shaft tunnel to it from above, and the spring, through Tunnel V, from below. Also this action was halted before completion. In this way three uncompleted rock cut elements of a water system were created in the hard mizzi ahmar rock and abandoned incomplete. Why was this project halted and abandoned? One can only guess. It seems to me that a more sophisticated water system was initiated and cut to completion – the Siloam Tunnel – which made this project redundant.

4. On the possible original function of Walls 108 and 109 The fortifications which were exposed in the excavations near the spring included a vast tower which surrounds and encases the spring (the ‘Spring Tower’), and two massive parallel walls (nos. 108 and 109), constructed in a west-east line. Originally, when only their eastern stumps of these walls were visible, they were dubbed: the ‘Pool’s Tower’.18 Later, when they were traced uphill they were dubbed: ‘The Fortified Passage’.19 Both walls were inserted into the lower rock opening, or cave, of the horizontal Warren’s Shaft System tunnel, but at the same time their upper part are constructed upon the rock surface of the hill, and they climb the slope westwards. At first glance these walls seem like a gigantic fortified passage which descends from the top of the hill eastwards, and at the same time emerges from the said tunnel, and leads the water carriers in safety to the water drawing shaft dealt with above in the first part (2.). Despite the fact that these two massive walls seem to be part of a fortified passage it is not necessary that they were constructed at the same time. One should not rule out the possibility that one wall was erected first, as a fortification or city

18 Cf. Reich/Shukron 1999, 31. 19 Cf. Reich 2011, 257–261.

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Fig. 4: Schematic map of Jerusalem in the MB II period: Phase 1 including the south, with fortified spring at SE corner; Phase 2, extension to the north (drawn by the author).

wall in its own right, while the other was added at a later date in order to create the protected passage. Unfortunately, we have no stratigraphical data at our disposal to support such a relative chronology. This interpretation is based on the fact that these two walls, despite their massive nature, are not identical in thickness and nature. The northern wall (Wall 108) seems more massive (3.5–3.7 m thick) than the southern (Wall 109, c. 3 m thick). This is manifested particularly by the size of the stones of the northern wall which are considerably larger, a fact which made it to survive much higher.20 Each one of these walls, but particularly the northern one (Wall 108), has the appearance of a city-wall, rather being a fortification related to a water system. One dares to imagine that if this wall would have been discovered by itself, without any relation to a water system of any kind, inevitably it would have led to such a conclusion. The question is raised whether there is topographical sense for the location and direction of such a city-wall at the place where it was found? It seems that a city-wall in a west-east course, which ‘bisects’ the hill of the City of David in two, rather than in a north-south line following a contour at a constant level, seems at first sight quite absurd, especially as it climbs up the steep eastern slope of the hill. And yet one asks the readers to consider the following observations. 20 Cf. Reich 2011, 12, figs. 104.169–173.

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Ancient Jerusalem had a perennial source of water – the spring identified with the biblical Gihon. The spring is located at the lowest spot – in the water course of the Kidron Valley. The optimal location for a settlement from topographical and strategic considerations was on top of the hill. However, this location has no water source in its close vicinity. There is no escape from describing a fortified MB II city with the spring, fortified with the Spring Tower, at its corner. As a considerable amount of occupational deposits and finds dating from the MB II period were discovered by the Y. Shioh expedition in their Area E (some 120 m south of the spring),21 it is obvious that the built-up area of the MB II period was located on the southern half of the south-eastern hill (the so-called City of David), and Wall 108 created its northern limit. The location of this wall was determined by the location of the spring, in a way that the spring with its massive protective tower (the Spring Tower) found itself on the north-eastern corner of the town. The location of spring determined in fact the place where the northern city-wall was located upon the hill. It should be noted that K. Kenyon suggested a similar possibility for Wall NB which she exposed above the spring, namely “that it is actually the north-eastern angle of the Middle Bronze and Davidic city”22. From the southern wall of the Spring Tower emerges a massive wall which is directed southwards (Fig. 1). Unfortunately only a stretch of five large boulders could be traced within the limited space allotted for excavation. We do not know whether this is part of the eastern MB II city wall, or alternatively, a local fortification meant to surround the ancient rock-cut shaft, the bottom of which is the ‘Round Chamber’ (discussed above, in part 1 [2.]), while the southern and western sides of this local fortifications were entirely dismantled when the ‘pool’ was cut in the Iron Age II. Access to the water shaft was not gained directly by ascending the slope, but through the subterranean Warren’s Shaft system, which upper intra-mural opening was located just within the fortified city’s boundaries. In a second urban phase, still in the Middle Bronze Age II, the settlement was extended northwards to include, in part, the northern part of the hill, up to a limit not known yet. Wall 108 found itself now within the city’s boundaries and lost its function as part of the city’s fortification. Perhaps was it that at this phase Wall 109 was added parallel to Wall 108, and the fortified passage was created to replace the tunnel of Warren’s Shaft as the approach to the spring.

21 Cf. De-Groot/Bernick-Greenberg 2013. 22 Kenyon 1974, 84.

Three Notes Pertaining to the Fortifications and Rock-cuttings

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Riccardo Lufrani

An Early Hellenistic Necropolis rediscovered? The Case of the Saint-Etienne Compound Hypogea and the “Northern Necropolis”

1. Introduction The Early Hellenistic period (332–167 BC) is one of the less known periods in the history and archaeology of Jerusalem. Virtually no buildings of this time have been found so far,1 most likely because they were obliterated during the intense and energetic building program of subsequent periods.2 Nevertheless, the rich material culture dating to this period whose remains have been retrieved in the extensive archaeological activities carried out in Jerusalem, if studied alongside the texts that concern Jerusalem in the Early Hellenistic period, offers valuable information. Once time and destructions have annihilated any significant architectural remains of a historical period, focusing on burials, especially burial caves hewn into bedrock, may shed new light on the extent and the evolution of a city.3 The dating to the Early Hellenistic period of two of the most magnificent burial caves in Jerusalem, the Saint-Etienne Compound hypogea, proposed in 2019 by the present author as result of a detailed study carried out from 2010 to 2014,4 provides new and interesting insights into this less known period.

1

For a detailed list of the meager architectural remains dated to the Early Hellenistic period found in Jerusalem refer to Lufrani 2019, 287, note 1. 2 Cf. Kloner 2003, 30*; see also Grabbe 2008, 35–36. 3 For example, the estimation of the extent and importance of Jerusalem at the beginning of the Middle Bronze Age is inferred from the necropolis on the slopes of the Mount of Olives, Silwan and Bethany (cf. Lufrani 2019, 74), and the extension of Jerusalem in Roman and Byzantine times is inferred from analysis of the distribution of the necropolises (cf. Avni 2005). 4 This study has been carried out by the present author while teaching at the Ecole Biblique et Archéologique Française de Jérusalem (EBAF) and discussed as Doctoral dissertation at the University of Fribourg (Switzerland) the 25th November 2015, under the supervision of Professor Max Küchler.

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Riccardo Lufrani

This article investigates the hypothesis that the Saint-Etienne hypogea were part of an Early Hellenistic necropolis, located between the Ottoman Wall and the northern line of Josephus’ “Third Wall”.5

2. The study of the Saint-Etienne Compound Hypogea On May 6 or 7, 1885, a burial cave was discovered in the Saint-Etienne Compound in Jerusalem, which is located about 250 meters north of the Ottoman Wall6 and which had been acquired by the Dominican Order in 1882.7 After its unearthing, a large hypogeum, Hypogeum 1, aroused the interest of the many scholars and explorers who at that time were scouring Jerusalem in all directions in search of new discoveries, possibly linked to the Biblical narrative.8 Only two months later, after the clearing of the Hypogeum 1 had been completed, the Dominicans started restorations of the burial cave and began with the construction of a chapel and a cemetery for their community.9 A second large hypogeum, Hypogeum 2, located nearby the apse of the Saint-Etienne Basilica, was possibly discovered in 1926, when the first mention of the burial complex appeared in a publication.10 By that time, both hypogea had been completely cleared, alas without taking account of any stratigraphic details, and the restorations and new constructions had altered to some extent the remains of the burial complexes.11 Unfortunately, only a small portion of the material culture retrieved during the clearing of the hypogea is currently stored at the EBAF,12 while the few new

  5 For a presentation of the status quaestionis on the “Third Wall” see Lufrani 2019, 156.161–164.   6 Cf. De Vaux 1888, 33.   7 The Dominican Order finalized the purchase of the first parcel of what soon after became the Saint-Etienne Compound on December 28, 1882 (cf. Lagrange 1894, 106).   8 Cf. Rochelle 2002, 11–13, 18.   9 “Since 1st July of the present year the work of clearing away the rubbish has ceased, and forty or fifty workmen have been busily employed in erecting some sort of chapel or church over the entire space marked in the plan”, Merrill 1885, 227. 10 Cf. Lufrani 2019, 39, note 109. 11 For a detailed description of the restorations and the modern constructions in Hypogeum 1 and Hypogeum 2 see Lufrani 2019, 187–260. 12 We have only the descriptions made by Ludovic De Vaux of the Metal Box found in the recess of the flooring of the Main Chamber of Hypogeum 1 (cf. Lufrani 2019, 27, note 70). The decorations of the Metal Box described by De Vaux suggest dating this item, possibly a votive repository, to the Late Roman period (C3–4 AD) (cf. Lufrani 2019, 260). The oil lamps decorated with Jewish symbols found in Hypogeum 1 give a dating span from the Hellenistic to the Byzantine periods (cf. Lufrani 2019, 35). A fragment of a slab inscribed with a Greek epitaph, simple oil lamps with Christian symbols and the remains of a sarcophagus decorated with a Byzantine Cross were reported to be found in the Southern Extension of Hypogeum 1 (cf. lb.). As for Hypogeum 2, only

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discoveries during the 2010–2014 survey merely confirm the hypothesis that the tombs were also used during the Late Roman period.13 According to Vincent/Abel 1926, the two hypogea had similar evolutions: In the Hellenistic or Herodian periods, a quarry area was transformed into two Jewish monumental burial caves, which hosted the remains of several generations of two Jewish families. Afterwards, the two hypogea were abandoned for a long period and were finally reused during the Byzantine time.14 Throughout almost fifty years, the dating of the two hypogea to the Hellenistic or Roman periods remained unchallenged, namely until a survey was carried out in 1974–1975 by Amos Kloner and Gabriel Barkay.15 Based on the assumptions that, in the Jerusalemite region, the bench-like burial caves, which feature bone repositories and sometimes other architectural components such as headrests and cornices, were typical of the Iron Age II period (C8–6 BC),16 and that the absence of loculi, a distinctive characteristic of Hellenistic-Roman burials, Kloner and Barkay concluded that also the two hypogea in the Saint-Etienne Compound should be dated to the “time of the kingdom of Juda”.17 At first, the dating of the two burial complexes of the Saint-Etienne Compound to the time of the kingdom of Juda aroused little interest in the emergent academic community of Israeli scholars: before the popular article of Kloner and Barkay published in 1986 in the Biblical Archeological Review (BAR),18 the two hypogea were mentioned only in the previously cited publications of archaeologists Amihai Mazar, Amos Kloner and Gabriel Barkay and in an article on the burial practices in ancient Jerusalem, published by Levi Yitzhak Rahmani in 1981.19 In this article, the remains found in the “Hidden Cave” have been reported, namely, beside the human remains, two small iridescent glass vials, remains of a wooden coffin and two terra-cotta lamps decorated with a Cross (cf. Lufrani 2019, 39). 13 In July 2013, two small but decorated fragments of a lead coffin were found in Chamber 5 of Hypogeum 1; these two fragments can be dated between C3 AD and the second half of C5 AD (cf. Lufrani 2019, 261). During the same survey, in a recess on the flooring of the Main Chamber of Hypogeum 1, a coin that can be dated to the first half of C4 AD was found (cf. Lufrani 2019, 264). 14 Cf. Vincent/Abel 1926, 785–786. 15 Together with the archaeologist Amihai Mazar, the two young Israeli researchers published the result of their survey first in Hebrew (Barkay/Mazar/Kloner 1975), while more than a decade later an English version of the same article appeared in the popular Biblical Archaeological Review (Barkay/Kloner 1986). 16 The other burial caves compared in the 1975 Kloner/Barkay article are the two tombs under Sultan Suleiman Street (cf. Mazar 1976), whose dating to the Iron Age II period is based on one picture of the pottery found at their discovery in Cave 1 – the material culture being unavailable – and the burial cave of the Garden Tomb, which the authors supposed had originally been furnished with benches, subsequently transformed into sarcophagi during the Byzantine time. 17 Barkay/Mazar/Kloner 1975, 127. 18 Barkay 1986. Barkay and Kloner published a short note in English on their survey of the Saint-­ Etienne Compound hypogea in 1976 (Barkay/Kloner 1976), while, in 1980, in his PhD dissertation, Kloner hypothesized that one of the two hypogea might have been the tomb of king Uzziah (cf. Kloner 1980, 148). 19 Rahmani 1981.

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Rahmani reported the belief shared by a number of scholars “that these are late royal tombs, thus locating the Garden of Uzzah in this vicinity”.20 The connection between the Saint-Etienne Compound hypogea and the late Judahite royal burials was strongly reinforced in an article on the “Third Wall” of Jerusalem, published by Amos Kloner in 1986, when the above-mentioned BAR article was also published. This time Kloner clearly asserted the Iron Age II dating of the Saint-Etienne Compound hypogea and proposed what we can call the “Cave of the Kings” hypothesis, which attributed these burials to the late kings of Juda.21 This hypothesis, based on Kloner’s erroneous translation of the expression “spelaion basilikon” found in Josephus,22 had been previously considered and rejected by several scholars,23 and, after years of academic discussions,24 was definitively dismissed in an article published by Lufrani in 2011.25 After Kloner’s publications, the study of the Saint-Etienne Compound hypogea was renewed by anthropologist Susan Guise Sheridan, who directed the analysis of the human remains in Repository 4 of Hypogeum 1, during a 5–6 weeks survey that was carried out between 1995 and 1997 and published in 1999.26 The results of the scientific analysis of the human remains confirmed the reuse of Hypogeum 1, giving a range of dating of the bones to between mid C5 through early C7 AD.27 A second article focused on the dating of the material culture retrieved in the same repository was published in 2000.28 Unfortunately, though, the stratigraphy

20 Rahmani 1981, 234. Kloner and Rahmani seem to be caught in a circular reasoning: while Kloner 1980 suggested that one of the Saint-Etienne Compound hypogea may have been the tomb of king Uzziah, referring to the “King Uzziah Plaque” found by E. Sukenik in the small museum of the Russian Orthodox Convent of Saint Mary Magdalene on the Mount of Olives (cf. Sukenik 1931, 217), without further developing the possible connection between the plaque and the hypogea, Rahmani 1981 proposed to locate the Garden of Uzziah in the Saint-Etienne Compound because our two hypogea are believed by a number of scholars to be “late royal tombs”. Furthermore, the “King Uzziah Plaque” was most likely found on the Mount of Olives: “Unfortunately no documentation on the location of its discovery was available, because the catalogue of the collection disappeared during World War I” (cf. Albright 1931, 8). Ben-Eliahu notes that the Madrich Yerushalaim (C10 AD) tells of the tomb of Uzziah on the Mont of Olives (cf. Ben-Eliahu 2000, 158). Significantly, in a letter written in 1818 and relating a visit of Jerusalem, the redactor lists “the Monument of Manasseh in the Garden of Uzza”, together with other monuments (cf. Anonymous 1821). Cf. Lufrani 2019, 46, note 192. 21 Kloner 1986, 121–129. 22 Cf. Jos. B.J. V 147. 23 Cf. Vincent 1947, 117; cf. Avi-Yonah 1968, 121; cf. Benoit 1976, 114. 24 Kloner reiterated the “Cave of the Kings” hypothesis in two publications (Kloner 2003, 27*; Kloner/ Zissu 2007, 467), while other scholars expressed their perplexities about this hypothesis (Wightman 1993, 161–162; Küchler 2007, 981; Caillou 2008, 102). 25 Lufrani 2011. 26 Sheridan 1999. 27 Sheridan 1999, 588. 28 Bautch/Bautch/Barkay/Sheridan 2000.

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of the repository had been previously compromised,29 making possible only the dating of the few pottery fragments recovered in the repository, mostly to the Late Roman period (C3–4 AD). Finally, the two small shards wrongly attributed to the Iron Age II period30 and the Hellenistic, Ottoman and modern ones found in the repository probably originated from random intrusions.31 At that point in the history of the study of the Saint-Etienne Compound hypogea, the origin of these two major burial complexes of ancient Jerusalem was still questionable, since no conclusive evidence had ever been produced and in most cases the dating of Iron Age II burials in the region is characterized by a circular reasoning.32 Because of the historic and archaeological relevance of these two monumental burial complexes in the Northern sector of Jerusalem, a systematic and exhaustive study of the Saint-Etienne hypogea was very much needed in order to provide the academic community with a more extended and comprehensive base for the dating of the two hypogea, and the deepening of the knowledge of burial practices and of the topographical and historical evolution of ancient Jerusalem.

3. Lufrani’s Comparative Study of the Saint-Etienne Compound Hypogea: A New Dating Corroborated by the expertise of geologist Gérard Massonnat and engineer Emmanuel Moisan, the present writer carried out a thorough survey of the two hypogea, which produced new and detailed plans and 3D models of these burial caves (see fig.s 1–3).33 He also compared the Saint-Etienne hypogea to 21 other tombs, selected according to their architectural features from more than a thousand burial complexes in the Levant region.34 The analysis of the topographical distribution of the necropolises in Jerusalem coupled with the study of the evolution of burial practices in the Judea region revealed three noteworthy facts:

29 “The small size of most of the items which let them drift down toward the bottom of the repository, by the dislocation of bones and items when a new skeleton and burial goods were added in the repository, by tampering, by probable looting, rough handling and by the removal of objects during the clearing of H1 in 1885. Modern intrusions constitute another significant contributory cause of the lack of any stratigraphy of the remains in Repository 4.” (Lufrani 2019, 50, summarizing Bautch/Bautch/Barkay/Sheridan 2000, 568–570). 30 Cf. Lufrani 2019, 51, note 260. 31 Cf. Bautch/Bautch/Barkay/Sheridan 2000, 586. 32 Cf. Lufrani 2019, 56. 33 Cf. Lufrani 2019, 59–61. 34 Cf. Lufrani 2019, 63–71.

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Ȥ All the Iron Age II necropolises in Jerusalem are concentrated in three major zones adjacent to the city of that time (Silwan, Mamilla and Ketef Hinnom), while the Saint-Etienne hypogea are located at about 600 meters from the northern Iron Age II city-wall;35 Ȥ No evidence of Early Hellenistic burials in Jerusalem (either newly hewn burial caves or reusing of existing ones) has been reported;36 Ȥ The appearance of new forms of burial practices, such as loculi from the second half of C2 BC, ossuaries from the end of C1 BC and arcosolia during the last 20 years of the Early Roman period developed along with the continuous use of benches, well attested in the Judea region until the Early Roman period.37 The detailed investigation of the adjacent archaeological and topographical contexts of the Saint-Etienne Compound hypogea highlighted the following: Ȥ The only tomb possibly dated by the material culture to the Iron Age II period is Cave 1 under Sultan Suleiman Street, located about 250 meters north of the Iron Age II city-wall;38 Ȥ Even though it was crossed by a major road leading to the city, with the exception of the “Herodian Building” and the “Third Wall”,39 the area north of the Ottoman Wall seems to have been virtually void of any building or burial activity for about 600 years, beginning with the 586 BC destruction of Jerusalem, and mostly exploited for quarrying and agricultural activities;40 Ȥ After the abandonment of the projected northern expansion of Colonia Ælia Capitolina,41 beginning in the Late Roman period, this area was intensively used for burials;42 Ȥ No earlier than the second half of C5 AD, the construction of great monastic complexes associated with a large number of burials began.43 As for the geological and architectural features of the Saint-Etienne Compound hypogea, it must be mentioned that: Ȥ The hewing of the two burial complexes was well planned and ignored most of the irregularities of the meleke bedrock, following a precise style scheme;

35 Cf. Lufrani 2019, 107. 36 The Early Hellenistic period is the sole period to which no burial remains are ascribed in Jerusalem, constituting an inexplicable hiatus in the continuity of the Neo-Babylonian, Persian and Late Hellenistic periods, for example in the reuse of Iron Age II tombs in the Mamilla necropolis (cf. Reich 1994, 115–117). 37 Cf. Lufrani 2019, 102–106. 38 Cf. Lufrani 2019, 170. 39 For a status quaestionis on the “Herodian Building” see Lufrani 2019, 123–124; for the “Third Wall” see note 5. 40 Cf. Lufrani 2019, 170. 41 Cf. Lufrani 2019, 88–90. 42 Cf. Lufrani 2019, 170. 43 Cf. Lufrani 2019, 170–171.

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Ȥ Each one of the two hypogea was provided with its own small vestibule that probably lead to its own courtyard; Ȥ Both hypogea endured major transformations during the Byzantine period, when they were intensively used for burials.44 The comparative analysis of the Saint-Etienne hypogea and the 21 selected tombs leads to the following noteworthy observations: Ȥ The dimensions, the proportions of the architectural features and the units of measurement used in all the 23 tombs considered show no correlation with their dating and, therefore, do not constitute dating criteria; Ȥ The size and style of the burial benches, parapets, holes connecting to the bone repositories, headrests, right-angle cornices, rock-hewn sarcophagi and openings in the ceiling do not constitute dating criteria; Ȥ The oikos plan and decorations of Hypogeum 1 are reminiscent of the more lavish Hellenistic burial complexes in the region; Ȥ The relatively small vestibules of our two hypogea may be a transitional step between the small antechambers of some Iron Age II tombs of the Silwan Necropolis and the large vestibules typical of Late Hellenistic burial complexes.45 Based on these major observations, the location, the clear style scheme, the architectural features and the decorations of the Saint-Etienne hypogea suggest that the Iron Age II dating is incorrect and that the original hewing of the two burial caves most likely took place in the Early Hellenistic period.

4. An Early Hellenistic Necropolis in Jerusalem Rediscovered? In spite of the intensive archaeological surveying of Jerusalem in the last century and a half, the extent and characteristics of Jerusalem in the Early Hellenistic period remain obscure: As we already mentioned, no major architectural remains and, more surprisingly, not a single burial ascribed to this period have been found so far.46 Nevertheless, thanks to the material culture and the textual evidence available, it is possible to outline the evolution of Jerusalem in the period between the destruction of 586 BC and the beginning of the Hasmonean Dynasty, and to shed light on the archeological and topographical history of the area comprised between the Ottoman Wall and the “Third Wall” line.

44 Cf. Lufrani 2019, 264–265. 45 Cf. Lufrani 2019, 284–286. 46 See notes 1 and 36.

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For the Judahite world, during the Persian period (539–332 BC) Jerusalem played a central role as capital and major city of the province of Yehud, part of the fifth Persian satrapy. It was both a religious center and a center of economic activity.47 In this period, Jerusalem was most probably ruled religiously and politically by a Judahite elite of priests, scribe-sages and aristocrats, as pointed out by Levine.48 The presence of a flourishing and relatively independent elite in Jerusalem during the Persian and Early Hellenistic periods is attested by the numismatic evidence and by the more than one thousand stamped jar handles from Rhodes that were found in the city.49 Moreover, several texts on this period50 coincide with the material culture in portraying an elite consisting of priests and aristocratical families thriving in Jerusalem during this relatively peaceful period.51 The limited extent of the destructions of Jerusalem carried out by the Neo-Babylonians coupled with the reconstructions made under the Persian dominion may have bequeathed to the Ptolemaian rulers a city as large as it was at the end of the Iron Age II C time, the city-walls being restored to some extent, and the small population being mainly concentrated on the south-eastern hill.52 Jerusalem’s relevance in the Hellenistic world is also indicated by its transformation into a polis by Jason around 175 BC and by the visit a few years later by Antiochus IV Epiphanes.53 At the beginning of the Hasmonean Dynasty, Jerusalem may have been a large city, encompassed by a city-wall as extensive as in the Iron Age II C period.54 If the remains of the Persian and Early Hellenistic buildings are definitively lost, obliterated by the intense construction activity conducted in Jerusalem in the Late Hellenistic, Roman, Byzantine and even later periods,55 the absence of any Early Hellenistic burials – in new tombs or reusing older ones – is indeed extremely puzzling.56 Though hellenized, the Judahite elites most probably continued to be buried with the practices used in the previous periods, namely in rock-cut burial caves

47 The religious leadership of Jerusalem was considered authoritative and the economic activity was thriving, considering the high level of silver in the Yehud coins (cf. Finkelstein 2010, 44). 48 Cf. Levine 2002, 42. 49 Cf. Levine 2002, 54–57. 50 A summary of the texts which illustrate the life of these elites in Early Hellenistic Jerusalem is presented in Lufrani 2019, 288–289, summarizing Grabbe 2011, 88–89. 51 Cf. Hengel 1974, 12. 52 Cf. Ussishkin 2012, 125. 53 Cf. Levine 2002, 73–74. 54 Cf. Hengel 1974, 53. 55 Cf. Lipschits 2009, 5. 56 See note 36.

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with benches and bone repositories,57 practices attested to until the end of the Early Roman period,58 or in loculi, a burial practice which began in C2 BC.59 Even assuming that in the Early Hellenistic period the population of Jerusalem was small, and that the non-elite burials at that time were performed in cist tombs or in fields, which are easily obliterable, or that existing Iron Age II tombs were reused in that period without leaving any vestige, the picture of a flourishing city ruled by Judahite elites and the absence of any remains of their burials is incoherent.60 Another unanswered question is the absence of any Late Hellenistic or Early Roman burials in the area north of Jerusalem situated between the Ottoman wall and the course of the “Third Wall”, namely in the area where the Saint-Etienne hypogea are located.61 Let us consider now the evolution of the burial activities from the Iron Age II up to the Byzantine times in the northern sector of the Jerusalem. Starting from the northern city-wall of ancient Jerusalem (the “First Wall” of Josephus), which followed the same line from the Iron Age II to the beginning of the Herodian period, and going north, we find: Ȥ Only a few tombs attributed to the Iron Age II period, sparsely distributed in the Muslim and Christian Quarters, plus Cave 1 under Sultan Suleiman Street;62 Ȥ The Late Hellenistic tombs in the Holy Sepulcher;63 Ȥ The “Northern Necropolis” located between the Ottoman Wall and the “Third Wall” line, whose dating is at stake in this article, Ȥ A great number of Late Hellenistic and Early Roman tombs north of the “Third Wall” line,64 as far as four kilometers north of the ancient city-wall.65 Going forward in the timeline, it was only in the Late Roman period that burials appeared in the area comprised between the Ottoman wall and the “Third Wall”.66

57 Cf. Levine 2002, 54. 58 For the use of benches in burials see Lufrani 2019, 102–106. 59 For the use of loculi in burials see Lufrani 2019, 99–101. 60 Cf. Kloner/Zissu 2007, 139–141. 61 “To sum up, the absence of Second Temple period tombs in this area is salient” (Kloner/Zissu 2007, 470). 62 Cf. Kloner/Zissu 2007, 463–465. 63 Cf. Kloner/Zissu 2007, 462–463. 64 According to Zissu/Kloner 2007, 38 % of the about 800 “Second Temple period” tombs considered in their study are located north of the “Third Wall” line (cf. Kloner/Zissu 2007, 30). 65 Cf. Kloner/Zissu 2007, 29. 66 “During the Late Roman period, the northern area was available for burial and a large number of tombs, cist graves, burial caves and shaft tombs were constructed or dug. The largest clusters of Late Roman tombs were found in the northern area of Jerusalem: at the Karm esh-Sheikh area, today occupied by the Rockefeller museum, where 68 tombs were unearthed in the 1930’s, to which recent excavations added five tombs, and in Salah ed-Din street, north and south of the Israeli Ministry of Justice building, where a total of 83 cist graves and three burial caves dated to the Late Roman period were discovered in 1962, during the construction of the building, and during the

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Considering the burials located in this area, in several articles, Barkay, Kloner and Mazar asserted the existence of a coherent necropolis, which they named the “Northern Necropolis”, consisting of about 15–17 tombs,67 all dating to the Iron Age II period, according to the three scholars.68 However, if we analyze in detail the tombs of this “Northern Necropolis”, as Lufrani 2019 showed, with the exception of Cave 1 under Sultan Suleiman Street, though dated thanks only to one picture of the pottery found in situ,69 none of these tombs can be confidently dated to the Iron Age II period: Ȥ Two were transformed into cisterns and are impossible to date due to several incongruences in the descriptions given by Schick;70 – 2 tombs – Ȥ The Monolith and its burial cave, and two more small tombs, one badly damaged and the other transformed into a cistern in the Paulushaus Compound, are ascribed by Barkay to the Iron Age II period, without any consistent argument;71 – 3 tombs – Ȥ The Schmidt Institut hypogeum presents the same architectural features as the Saint-Etienne hypogea, and therefore must be dated to the Early Hellenistic period;72 – 1 tomb – Ȥ A Late Roman or Byzantine burial cave (nowadays inaccessible) at 138 meters north of Damascus Gate, on the west side of Nablus Road, is considered by Kloner a transformation of an Iron Age II tomb, only because it is located in the Iron Age II “Northern Necropolis”;73 – 1 tomb – Ȥ Garden Tomb is considered by Barkay a transformation of an Iron Age II tomb during the Late Roman or Byzantine times, but there is some evidence that this tomb was carved out after the hewing of Chamber 4 of Saint-Etienne Hypogeum 1, thus in the Early Hellenistic period;74 – 1 tomb – 1998–1999 excavations. A number of other Late Roman tombs have been found North of today’s city walls, in the Saint George Anglican Cathedral area, the ‘Tomb of the Kings’ area, and sparsely along the line of the ‘Third Wall’” (Lufrani 2019, 102). 67 In different publications, Barkay, Kloner and Mazar give different figures (cf. Lufrani 2019, 98, note 300). 68 Barkay/Mazar/Kloner 1975. Cf. also Barkay/Kloner 1986. 69 It is worth noting that Sultan Suleiman Street Cave 1 presents a very irregular plan and a rough hewing and, according to Mazar 1976 was probably penetrated in the Hellenistic period, while Cave 2 has a more refined style and presents headrests on the benches, showing architectural features more similar to the style of the Saint-Etienne Compound hypogea (cf. Lufrani 2019, 119–120). 70 Cf. Lufrani 2019, 120–121. 71 Cf. Lufrani 2019, 112–113. 72 Cf. Lufrani 2019, 114–115. 73 Cf. Kloner 1980, 149. 74 “One of the two inscriptions of this tomb is clearly ‘intended to prevent someone from hewing out another burial chamber beside the one visible in the outer façade, and thereby accidentally breaking into the inner chamber because he didn’t know about the inner chamber hewn beside the entrance chamber’, as Barkay 1986 reports [Barkay 1986, 52]; the Garden Tomb being at only few metres from Chamber 4bis of H1 [Saint-Etienne Compound Hypogeum 1], it seems very plausible that its second room was hewn beside the entrance chamber to avoid a possible intrusion in the neighbouring hypogeum” (Lufrani 2019, 129).

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Ȥ White Sisters’ Compound Tomb 1, Tomb 1a and two caves whose entrances are blocked by brick walls, at the north-east edge of the Knoll, near the Modern Bus Station, are also counted, even if only Tomb 1 presents burial chambers with benches, which anyway, as was already mentioned in this article, cannot be considered a specific feature of Iron Age II tombs.75 – 4 tombs – Dismissing the Iron Age II dating of all these tombs, with the exception of Cave 1 under Sultan Suleiman Street, it is worth analyzing the connections among them in order to verify in this area the presence and the dating of what can be called the “Northern Necropolis”. All of these 15–17 tombs are located in the Central Valley, today Nablus Road, some on the east, mostly abutting on the El Heidhemiyeh Hill, and some on the west, on the less impressive Knoll in the White Sisters’ Compound. For Late Hellenistic and Early Roman burial complexes, Kloner and Zissu (2007) recognize the relevance of the tombs’ visibility along the main roads, both for religious reasons76 and for the prestige of lavish family tombs,77 visible to all the passers-by on this main axis to Jerusalem.78 Indeed, the area north of the Ottoman Wall and south of the “Third Wall” line, crossed by the Central Valley and a main road coming from the north, was an ideal and prestigious place for the cutting out of burial caves,79 because of both the topography of the site and its visibility to the passers-by. This area thus constitutes a consistent necropolis that we acknowledge as the “Northern Necropolis”. As for the dating of this necropolis, the common architectural features of the acknowledgeable tombs show that: Ȥ The Saint-Etienne Compound hypogea and the Schmidt Institut hypogeum present exactly the same architectural features and approximately the same dimensions;80 Ȥ Cave 2 under Sultan Suleiman street shows a refined hewing and benches with headrests, less sophisticated, though similar to those found in the Saint-­Etienne and Schmidt hypogea;81

75 Cf. Lufrani 2019, 152–156. 76 Cf. Kloner/Zissu 2007, 24. 77 In the case of the Late Hellenistic and Early Roman burial complexes in the Cedron Valley one must also take into consideration the attractiveness of the vicinity, the “Blickkontakt”, with the temple for priestly families, as pointed out by Bieberstein 1997. 78 “The 29th April 2015, in a private communication, Max Küchler remarked that the importance, typical of former periods, to be buried in an area where there was a ‘Blickkontakt’ with the Temple (cf. Bieberstein 1997), diminished in concomitance with the increased importance of the purity laws, and was replaced with the relevance of the visibility of the burial monuments, such as the Sanhedria tombs, located along the main northern route to Jerusalem.” (Lufrani 2019, 99, note 321). 79 Cf. Kloner/Zissu 2007, 24. 80 Cf. Lufrani 2019, 114–115. 81 Cf. Lufrani 2019, 119–120.

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Ȥ Hewn in a less suitable sedimentary rock formation,82 White Sisters’ Tomb 1 has a less regular hewing pattern, but is provided with benches with similar dimensions to those found in the Saint-Etienne and Schmidt hypogea;83 Garden Tomb has rock-cut sarcophagi, found also in Chamber 4 of the adjacent Saint-Etienne Hypogeum 1, and probably was hewn after Hypogeum 1, as mentioned before.84 If we accept the dating of the Saint-Etienne Compound hypogea to the Early Hellenistic period, then the Schmidt Insititut hypogeum dates to the same period. The Garden Tomb would not have been hewn before Hypogeum 1, so if it was transformed in the Byzantine times, the tomb was probably carved out in the Early Hellenistic period. As for the other tombs, the presence of some similarities between their architectural features and those of the Saint-Etienne Compound and Schmidt Institut hypogea, coupled with their common location and their features not ascribed to the Late Roman or Byzantine times, strongly suggests dating them to the Early Hellenistic period, just as the Saint-Etienne Compound and Schmidt Institut hypogea. Indeed, the identification and dating to the Early Hellenistic period of the “Northern Necropolis” best fits the evolution of the area, which can be summarized as follows: Ȥ After the Iron Age II period (C8–6 BC) the area comprised between the Ottoman Wall and the “Third Wall” line was exploited for quarries and orchards;85 Ȥ During the Neo-Babylonian and Persian period (C6–4 BC), no major activity occurred in the area; Ȥ Progressively, in the Early Hellenistic period (C4–2 BC), a necropolis developed in the area; it included lavish hypogea and simpler burial caves, scattered without a plan on the two sides of the Central Valley, as it was typical for Jerusalem also in the Late Hellenistic and Early Roman periods;86 Ȥ During the Late Hellenistic and Early Roman periods (C2–1 BC), no new burial cave was hewn in the area, where the existing tombs continued to be used for the traditional Jewish burials on benches; the new form of burial consisting of loculi – attested in Jerusalem from C2 BC –, is found only along or north of the “Third Wall” line;87 Ȥ The continuity of Jewish burials in the area explains the absence of Late Hellenistic and Early Roman tombs; only after the abandonment of the project of expansion north of the Ottoman Wall of the new city Colonia Ælia ­Capitolina,

82 Cf. Lufrani 2019, 154, note 277. 83 Cf. Lufrani 2019, 152–156. 84 Cf. Lufrani 2019, 127–130. 85 See note 40. 86 Cf. Kloner/Zissu 2007, 31–32. 87 Cf. Kloner/Zissu 2007, 69.

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in the Late Roman period (C2–4 AD), did the hewing of new burial caves start again in this area;88 Ȥ Finally, with the building of several large monastic complexes during the Byzantine times (C4–7 AD), a great number of new tombs was realized and many of older tombs were reused, as in the case of the Saint-Etienne Compound Hypogea, as mentioned above.89

5. Conclusion Thanks to the significant research carried out by the archaeologists Barkay, Kloner and Amihai Mazar, validated by the detailed study of Lufrani published in 2019, we can assert the existence of a “Northern Necropolis” in the area between the Ottoman Wall and the “Third Wall” line. The dating of the two most magnificent burials of this necropolis, the Saint-­ Etienne hypogea, to the Early Hellenistic period proposed by Lufrani 2019, suggests dating the “Northern Necropolis” to the same period. Indeed, the dating of the “Northern Necropolis” to the Early Hellenistic period provides a more coherent interpretation of the evolution of this area in ancient times, while offering a new insight into the archaeology and the history of Jerusalem in the Early Hellenistic period.

88 See chapter 3 of the present article. 89 See chapter 3 of the present article.

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Fig. 1: Plan of Saint-Etienne Compound Hypogeum 1.

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Fig. 2: Plan of Saint-Etienne Compound Hypogeum 2.

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Riccardo Lufrani

Fig. 3: Reconstruction of the access to H1, processing Lionel Mochamps, Michele Bommezzadri and Riccardo Lufrani.

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Judaistische Anmerkungen zu einem Jerusalem-Studienreiseführer Mit fotografischen Beiträgen von Andrea Krogmann

Der deutsch-jüdische Religionsphilosoph Isaac Breuer (1883–1946) hat einmal darauf aufmerksam gemacht, dass in der jüdischen Tradition epochale rabbinische Gelehrte nach ihren Büchern benannt werden.1 Der Gründer der Preßburger Talmudhochschule Moses Schreiber (1762–1839), eine der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der jüdischen Orthodoxie im Europa des 19. Jahrhunderts, ist unter dem Namen seines Werkes bekannt, der siebenbändigen Responsensammlung „Chatam Sofer“: Er ist „der Chatam Sofer“ oder der „Baʿal Chatam Sofer“ („Verfasser des Chatam Sofer“), ebenso wie, ein anderes Beispiel, der Philosoph Bahya ben Joseph ibn Pakuda aus dem elften Jahrhundert nach seinem Hauptwerk „Die Herzenspflichten“ (‫„ )חובות הלבבות‬Baʿal Chovot Ha-Levavot“ heißt. Erhalten bei Juden Menschen die Namen ihrer Bücher, so bekommen unter Christen offenbar Bücher die Ehrennamen ihrer Verfasser. So kam es zu folgender Szene: Einen „Studienreiseführer zur Heiligen Stadt“ im Gepäck und mit seinen (gelegentlich etwas gelangweilten) Söhnen auf Sightseeing-Tour in Jerusalem, begegnete der Schreiber dieser Zeilen im Sommer 2010 am Siloa-Becken einem ihm bis dahin unbekannten Herrn, der – ebenfalls selbiges Handbuch sichtbar unterm Arm – mit seinem Assistenten unterwegs war. Die (etwas triumphierend, zur Rechtfertigung pädagogischer Bemühungen) an die Söhne gerichtete, auf das Buch gemünzte Bemerkung „der Küchler!, Seht, wir sind nicht die einzigen!“ hatte die verwunderte Nachfrage des Begleiters zur Folge: „Meinen Sie den Mann oder das Buch?“ Mein unvorsichtiger Ausruf hätte leicht fatal enden können. Der überaus gutmütige Humor und die liebenswürdige Zugewandtheit des Verfassers jenes „Handbuchs und Studienreiseführers zur Heiligen Stadt“, den ich bei dieser Gelegenheit persönlich kennenlernen durfte, nahm jeder Peinlichkeit aber gleich den Wind aus den Segeln. Es folgte ein freundlich-angeregtes Gespräch mit dem verehrten Jubilar, 1 Vgl. Breuer 2017, 11.

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der im Vorfeld einer zweiten Auflage seines Reiseführers gerade das Material sichtete. Als ich davon erzählte, mit eben „diesem Küchler“ gerade eine für den Herbst vorgesehene einwöchige Israelexkursion Tübinger Studierender vorzubereiten, bat der Verfasser mich darum, ihn auf etwaige Irrtümer in seinem Buch hinzuweisen oder sonst aus judaistischer Sicht Anmerkungen zu machen. Die „Irrtümer“, von denen in einem anschließenden Email-Wechsel zu berichten war, beschränkten sich auf inzwischen geänderte Öffnungszeiten von Museen oder Heiligen Stätten. Bei dieser Gelegenheit kam es aber auch zu einem überaus fruchtbaren Austausch über historische und methodische Probleme bei der Präsentation jüdischer Sehenswürdigkeiten in Jerusalem. Einige Einsichten, die aus diesem Austausch erwachsen sind, seien hier nachgereicht – als kleiner Kommentar zu einem Reiseführer, der in der Tat epochal ist und den Ehrennamen seines Verfassers zu Recht trägt. In seinen Ausführungen zum Herzl-Berg „im Westen der Altstadt“ von Jerusalem als „Hohem Ort des politischen Zionismus“ knüpft Max Küchler an die Topographie der Heiligen Stadt an, die er eindrücklich und einfühlsam interpretiert: „Der israelit[ische] Zion auf dem N[ord-]O[st]-Hügel, jetzt der Haram mit der Moschee und dem Felsendom, der christliche Sion auf dem S[üd-]W[est]-Hügel und dieser Hügel des Zionismus sind drei sehr unterschiedliche Arten der Rezeption und Transformation der biblischen Vorstellung vom Gottesberg als Zentrum Israels, ja der Welt.“2 Wenn die drei (bezieht man die islamische ein, vier) Interpretationen der biblischen Zionstheologie so unterschiedlich, aber eben auch vergleichbar sind: Warum schlägt sich das Gewicht des „neuesten Zion“ nicht in touristischen Besuchsprogrammen nieder? Warum gibt es vergleichsweise so wenig „Jüdisches“ zu besichtigen? Vorbildlich um Ausgewogenheit und interreligiöse Fairness bemüht, gibt Küchlers Reiseführer ausführliche und kenntnisreiche Hinweise zu den Museen im Westen der Stadt, dem Israel-Museum mit dem „Schrein des Buches“, dem Bible Lands Museum, der Holocaust-Gedenkstätte sowie zu den Chagall-Fenstern im Hadassa-Krankenhaus bei Ain Kerem. Auch das Kapitel zum jüdischen Viertel der Altstadt ist detailliert und wohlgelungen. Diese Ausführungen können (und wollen) das fühlbare Ungleichgewicht aber nicht wettmachen, zumal das letztgenannte Kapitel aus gutem Grund hauptsächlich Spuren der hasmonäisch-herodianischen Epoche und der Zeit der islamischen Vorherrschaft behandelt und daher wenig zum Verständnis der neuesten Schichten der jüdischen Zionstheologie beiträgt.3 Ob dieses Manko in der Sache begründet ist? Hat es mit der Beobachtung zu tun, dass Juden keine Kathedralen bauten, die man besichtigen kann? Schreiben sie stattdessen nur Bücher, die man lesen muss? Isaac Breuer merkte an, dass Rabbiner sich nicht künstlerisch verwirklichten. Deshalb blieben sie mit „ihrem persönlichen Entwicklungsgang“, ihren „individuellen Kämpfen“ häufig unsichtbar, so dass

2 Küchler 2007, 1042 (= Küchler 2014, 711). 3 In Küchler 2014, 372, sind auch Hinweise zum Museum des vorzionistischen Alten Yishuv (Old Jishuv Courtyard Museum) und zur sefardischen Ari-Synagoge sowie zur Or ha-Chajim-Synagoge zu Ehren eines 1742 nach Palästina eingewanderten marokkanischen Rabbiners hinzugefügt.

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das jüdische Volk nicht einmal ihre Namen kannte.4 Zu diesem Charakterzug des traditionellen Rabbinismus ins Anonyme, Unscheinbare, Wenig-Fassbare passt, dass in Synagogen traditionellerweise ein Teil der Wand unverputzt bleibt – zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr.: Solange das Jerusalemer Heiligtum verwüstet ist, darf kein jüdisches Gotteshaus vollkommen sein. Wie jüdische Gottesdienste traditionellerweise keine öffentlichen Veranstaltungen sind, die alle zur Teilnahme einladen, so stehen Synagogen auch nicht umstandslos für Sightseeing-Touren offen. Schon die traditionelle Geschlechtertrennung und rituelle Vorschriften (Kleiderordnung, Kopfbedeckung) bauen Hürden auf. Außerhalb der Gebetszeiten sind Synagogen meist auch „in Betrieb“ als Stätten der Beschäftigung mit der Tora, des Lernens (daher der altjüdische Name „Schul“); ansonsten sind sie Orte der für Juden ab dem 13. Lebensjahr vorgeschriebenen rituellen Gottesverehrung. Die von Küchler beschriebene Synagoge des Hadassa-­ Krankenhauses ist eine – sozusagen modernistische – Ausnahme: Hier werden die berühmten Fenster Marc Chagalls mit den zwölf Stämmen Israels gezeigt.5 Eine zweite Ausnahme ist die neben dem Hekhal Shlomo („Salomonspalast“), dem ehemaligen Sitz des Oberrabbinat6, gelegene „Große Synagoge“ in der Westjerusalemer King George-Straße. Das von dem deutsch-jüdischen Architekten Dr. Alexander Friedman (1905–1987) errichtete, 1982 eingeweihte repräsentative Gebäude erhebt den Anspruch, architektonisch dem ehemaligen Tempel nachempfunden zu sein. Im Eingangsbereich präsentiert es eine für die Öffentlichkeit bestimmte Ausstellung von historisch wertvollen Mesusot, den rituell nach Dtn 6,9 vorgeschriebenen Schriftkapseln an Türpfosten. Prunkstücke der Ausstellung sind aus der Zeit der Schoah in Polen gerettete Türkapseln und – als jüdische „Reliquie“ – eine aus dem Holz des ehemaligen „Königsthrons“ des chassidischen Rabbis und Mystikers Nachman von Brazlaw (1772–1810) geschnitzte Mesusa. Rabbi Nachman, ein Urenkel des Begründers des Chassidismus, des Baʿal Schem

Breuer 2017, 11. Anschließend an ein Zitat aus Dtn 33,4 f. heißt es bei Breuer im Zusammenhang (10 f.:): „Weil das Gesetz in Israel Herr war, darum gab es in Israel keine Individuen, sondern nur Typen. Das ist auch der Grund, warum sich die Großen unserer mittelalterlichen Vergangenheit so überaus schlecht zu künstlerischer Behandlung eignen. Sie sehen sich alle ähnlich. Von ihrem persönlichen Entwicklungsgang, von ihren individuellen Kämpfen und Leiden, die sie zur Höhe vollendeter Typenmäßigkeit hinangeführt, haben sie, die großen Schweiger, geschwiegen. Was dem Modernen sie gerade interessant machen würde, haben sie der Auszeichnung nicht wert befunden. Und in der Ueberlieferung des Volks leben sie alle als gleich vollendete Muster jüdischer Lebensführung weiter. Das Volk kennt ihre Namen kaum, diesen letzten Rest der Individualität. Der Name ihrer Bücher muß auch ihnen den Namen geben. Aber diese Bücher haben keine Schicksale.“ Die Anspielung auf den Grammatiker Terentius Maurus („habent sua fata libelli“) macht die klassische Bildung Breuers kenntlich, die im orthodoxen Judentum gerade atypisch war und ihn selbst paradoxerweise aus der geschilderten gesetzmäßigen Durchschnittlichkeit und „Typenmäßigkeit“ heraushebt. 5 Vgl. Küchler 2007, 1053 f. (= Küchler 2014, 720). 6 Dieses repräsentative Gebäude wurde 1958 auf Anregung des damaligen Oberrabbiners Isaac Ha-Levi Herzog (1888–1959) gebaut; benannt ist es nach dem Mäzen und Philanthropen Solomon Wolfson, dessen Spenden die Errichtung des Gebäudes ermöglichten. 4

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Abb. 1: Hekhal Shlomo; Foto: Andrea Krogmann.

Tow, ist deutschsprachigen Lesern vor allem durch Martin Bubers Erzählsammlung bekannt geworden.7 Da die Brazlawer Chassidim seine baldige Wiederkehr erwarteten (und erwarten), hatte Nachman keinen Nachfolger. Aufgrund seiner sagenumwobenen Reise ins Heilige Land (1798–1799) dient er auf ganz unterschiedliche Weise auch säkularen Israelis als Identifikationsfigur.8 Lieder mit auf ihn zurückgehenden Texten – wie das Lied, das „die ganze Welt“ mit einer „sehr engen Brücke“ (‫ )גשר צר מאוד‬vergleicht, über die man gehen muss – gehören zu den populärsten Volksliedern in Israel. Die größte Synagoge Jerusalems freilich, angeblich die größte Israels oder gar weltweit, das mit zehntausend Sitzen ausgestattete Gotteshaus der Belzer Chassidim im Stadtteil Kiryat Belz (nördlich des zentralen Busbahnhofs im Westen der Stadt), ist nicht für Sightseeing-Programme vorgesehen. Dies schon deshalb nicht, weil das mit privaten Mitteln erbaute Gebäude einer als „ultraorthodox“ geltenden Gemeinschaft angehört, die dem Staat Israel und dem Zionismus ausgesprochen distanziert gegenübersteht und nur teilweise mit staatlichen Behörden kooperiert.9 Dabei ist die im Jahre 2000 eingeweihte Synagoge, die angeblich einen zwölf Meter hohen und achtzehn Tonnen schweren Schrein enthält, der siebzig Torarollen aufnehmen kann, schon deshalb ein historisches Kuriosum, weil sie eine ins Gigantische vergrößerte Nachbildung derjenigen Synagoge darstellt, die 1843 Rabbi Scholom

7 Vgl. Buber 1906. 8 Vgl. Cunz 1997. 9 Zum Belzer Chassidismus vgl. Morgenstern 1990, 66–68.

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Abb. 2: Die „große Syna­ goge von Jerusalem“ in der King George-Straße. Foto: Andrea Krogmann.

Rokeach (1781–1855), der Begründer der gleichnamigen Dynastie des Chassidismus in der westukrainischen Stadt Belz (in der Nähe von Lemberg), gebaut hatte. Während der Schoah, in der viele Chassidim ermordet wurden, war die Bewegung der Belzer Chassiden in Osteuropa fast gänzlich zerstört worden. Dem Urenkel des Gründers, Aharon Rokeach (1877–1957) gelang aber die Flucht über Budapest nach Palästina, wo er gemeinsam mit seinem Halbbruder Mordechai das Belzer Reich neu aufbaute. Nach dem Tod Aharon Rokeachs wurde sein zu diesem Zeitpunkt nur neunjähriger Neffe Yissachar Dov Rokeach zum Nachfolger bestimmt. Dieser konnte sein Prestige erheblich vergrößern, als er im Alter von 17 (nach einigen Angaben auch 16) Jahren ein Mädchen aus einem vormals konkurrierenden chassidischen Hof von Juden aus Ungarn und der Bukowina heiratete: Sarah, die Tochter des Wischnitzer Rebben Mosche Jehoschua Hagar (1916–2012).10 In den Jahren danach entwickelte sich der Belzer Chassidismus

10 Zum Wischnitzer Chassidismus, der auf eine in der westukrainischen Stadt Wischnitza (Wischnitz) beheimatete Dynastie von chassidischen „Rebben“ zurückgeht, vgl. Morgenstern 1990, 66.

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Abb. 3: Die ursprüngliche Belzer Synagoge; Quelle: https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid= 2381271 (zuletzt abgerufen am 29.01.2019).

unter der Führung von Yissachar Dov Rokeach zu einer der dominanten chassidischen Gruppen in Israel. Durch ihre Mitarbeit in der orthodoxen Weltbewegung Agudat Israel (und in ihrem politischen Arm im israelischen Parlament, der Bewegung des „Vereinigten Torajudentums“) macht „Belz“ auch im weltlichen Bereich einen Führungsanspruch geltend. Die Belzer Synagoge bringt dies auch architektonisch zum Ausdruck. Beide Beispiele zeigen, dass der Synagogenbau im jüdischen Staat in den letzten Jahrzehnten auch im orthodoxen Bereich die Sphäre der Unansehnlichkeit verlässt. Entgegen den Angaben Isaac Breuers gehen heute auch „ultraorthodoxe“ („charedische“) Rabbiner nicht mehr grundsätzlich in ihren Büchern auf; sie setzen sich durchaus auch Denkmale. Dennoch haben wir es – auf den ersten Blick – mit einer gebremsten Sichtbarkeit zu tun, die eigentümlich mit der Tatsache kontrastiert, dass das neueste, das „zionistische Zion“ im heutigen Jerusalem ja erhebliche Spuren hinterlassen hat und fast das gesamte Stadtbild prägt. Die rasante Stadtentwicklung führte dabei dazu, dass das moderne Israel ältere und in gewisser Weise bis heute konkurrierende Zionsentwürfe in Dienst nimmt: Touristen, die die entsprechenden Stätten besuchen, tragen zum Bruttosozialprodukt bei und sichern Arbeitsplätze! Zugleich werden diese vorherigen Zionsentwürfe wissenschaftlich und infrastrukturell erschlossen. Das neueste Zionsprojekt ist auch dabei, frühere Spuren des eigenen jüdischen Lebens in der Stadt zu überformen: Was heute noch sichtbar ist, erscheint als ephemer. Ein gutes Beispiel ist der Stadtteil Rechavia im Westen Jerusalems, jener bevorzugte Wohnort deutscher Juden („Jecken“) in den 1930er Jahren, den die Dichterin Mascha Kaléko „das ‚vierte Reich‘“ genannt hat, „wo die deutschen Emigranten sich zu Israelis wandelten, beinahe Dahlemisch“.11 Inzwischen hat die Bautätigkeit der tosenden Metropole von jener ehemaligen Gartenvorstadt nicht mehr viel übrig gelassen. Auch säkulare Metamorphosen der von Breuer namhaft gemachten rabbinischen Gelehrsamkeit – Thomas Sparr nennt Martin Buber, G ­ ershom Scholem, Else Lasker-Schüler – haben vor allem Bücher hinterlassen. Sofern ihre Häuser noch stehen – Gershom Scholems Domizil in der 11 Sparr 2018, 14 (und Umschlagtext).

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Abb. 4a: Gigantischer Jerusalemer Nachbau der 1843 errichteten Synagoge der Belzer Chassidim, die von den Nazis während des Zweiten Weltkrieges zerstört wurde; Foto: Andrea Krogmann.

Abb. 4b: Detailaufnahme der Synagoge der Belzer Chassidim mit Aufschrift: Belza. ­Merkaz Olami le Tora we-Chassidut („Belz. Weltzentrum für Tora und Chassidismus“); Foto: Andrea Krogmann.

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Abarbanelstraße, die King George-Straße 33, in der Mascha Kaléko wohnte, Martin Bubers Heim in Talbiye, dem Nachbarviertel von Rechavia, die Wohnung des Schriftstellers Werner Kraft in der Alfasistraße, das Heim der Psychotherapeutin Anna Maria Jokl (1911–2001) direkt neben der Residenz des israelischen Ministerpräsidenten12 –, eignen sie sich nicht zum Touristenbesuch. Das Flair der Cafés der 1930er Jahre – etwa das Café Atara („Krone“) in der Ben-Jehuda-Straße – ist unsichtbar geworden.13 Wer sich für Spuren jüdischen Lebens in Jerusalem interessiert und diese deuten will, die nicht vor zweitausend Jahren, sondern vor zweihundert, hundert oder auch fünfzig Jahren gelegt wurden, muss häufig die Rückseite der offiziellen Besuchsorte ins Visier nehmen. Eine eindrucksvolle Perspektive erhält beispielsweise, wer auf dem Vorplatz der Westmauer in der Jerusalemer Altstadt steht und sich umwendet. Die „Klagemauer“ im Rücken, bietet sich dem Blick nach Westen ein Panorama ideologisch und „landsmannschaftlich“ unterschiedlicher Talmudanstalten, die je für sich ein besonderes Profil und eine eigene Geschichte haben. Die Porat Josef-Jeschiwa ganz auf der linken (südlichen) Seite (in Abb. 6) etwa gilt als Flaggschiff der sefardischen Orthodoxie ultraorthodoxer (charedischer) Prägung. Die Gründung der Lehranstalt im Jahre 1923 im jüdischen Viertel der Altstadt ging auf eine Anregung des Kabbalisten und Rabbiners Josef Chaim von Bagdad (1835–1909) zurück.14 Nachdem die Talmudakademie 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg zerstört (vgl. Abb. 5) und der Lehrbetrieb 1954 in einem neuen Gebäude in Westjerusalem wieder aufgenommen worden war, kehrten die Toralehrer und Schüler nach dem Sechs-Tage-Krieg (1967) in die Jerusalemer Altstadt zurück. Der von dem Architekten Moshe Safdie (geb. 1938) erstellte Neubau mit angeschlossenem Internat beherbergt (2018) 250 Zöglinge. Weiter rechts (in Abb. 6 auf der rechten Seite des Bildes) macht ein Plakat die Talmudhochschule der Chabad-­Bewegung (Lubawitscher Chassidim) kenntlich, jener Bewegung von ultraorthodoxen, (also nicht-zionistischen und insofern nicht staatstragenden) charismatischen Enthusiasten, die den Rabbiner Menachem Mendel Schneerson (1902–1994) für den Messias halten und seine baldige Auferstehung erwarten. Überhaupt hat der Unabhängigkeitskrieg (1947–1949) vielfältige Spuren im Gedächtnis der Israelis hinterlassen. Wer in Jerusalem, besonders im jüdischen 12 Vgl. Sparr 2018, 14 f.24.149. 13 Das von Sparr 2018, 14–24, beschriebene Café, in dem Gershom Scholem und David Ben-Gurion sich trafen, Aharon Appelfeld seine Romane schrieb, der hebräische Nobelpreisträger Schemuel Josef Agnon seinen Kaffee trank, in dem aber auch der spätere Premierminister Benjamin Netanyahu in seiner Jugend verkehrte, schloss zu Beginn des neuen Jahrhunderts seine Pforten, öffnete eineinhalb Jahre aber später erneut in Mevasseret Zion, einer Vorstadt im Westen Jerusalems. Vgl. https://www.makorrishon.co.il/nrg/images/stuff/404_page/404_page.html (zuletzt abgerufen am 29.01.2019). Das Café Atara ist auch der Ort, an dem es in Amos Oz’ Roman Mein Michael (1983) zur ersten Begegnung seiner Helden Michael und Hanna kommt. 14 Sein rabbinischer Ehrenname lautet nach seinem gleichnamigen Werk, eine nach den Wochenabschnitten der Tora geordnete Predigtsammlung unter dem Titel „Ha-Ben Isch Chai“ (hebräisch: „Sohn eines lebendiges Mannes“).

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Abb. 5: Das Gebäude der J­ eschiwa „Porat Josef “ unter Feuer im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947/1949; Quelle: https://he.wikipedia.org/wiki/‫ישיבת_פורת_יוסף‬ (zuletzt abgerufen am 29.01.2019).

Abb. 6: Von der „Klage­mauer“ aus Richtung Westen fotografiert: Ganz links im Bild (mit Kuppel): die heutige Porat Josef-Jeschiwa; Foto: Andrea Krogmann.

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Viertel der Altstadt, unterwegs ist, findet überall – freilich oft nur in hebräischer Sprache verfasste – Hinweise auf Ereignisse dieses Krieges. Es sind diese Orte, häufig nur Markierungspunkte in der Natur, die israelische „Binnentouristen“ am ehesten interessieren. Jüdische Reisegruppen, die die Altstadt besichtigen wollen, wählen aus diesem Grund gelegentlich den Anweg über einen steilen Naturpfad, der aus dem Hinnomtal auf den Zionsberg führt, die „Steige Bennys“ (Ma’alot Benny; vgl. Abb. 7). Dieser Weg erinnert an den arbeiterzionistischen Pionier Benny Marshaq (1906–1975), der 1929 von Westrussland nach Palästina kam und sich als Mitglied der berühmten „Stoßtruppen“ (hebr. Plugot Machatz, abgekürzt: „Palmach“) der Hagana im Unabhängigkeitskrieg einen Namen machte. Im Sechs-Tage-Krieg 1967 nahm er an den Kämpfen zur (so die israelische Sicht) Befreiung dieses Hügels teil. Der Held dieser Kämpfe ist in Israel auch deshalb ein Begriff, weil der Schriftsteller Joram Kaniuk (1930–2013) ihn in einem seiner in Israel bekanntesten Bücher literarisch verewigt hat. Als „Politruk“ – „Politruks“ waren im bolschewistisch geprägten Sowjetrussland einst die für die ideologische Erziehung zuständigen Politkommissare in der Roten Armee – spielt er dort die etwas ironisch eingefärbte Rolle eines „Erziehungsoffiziers“ (qezin chinuch) in der Armee. Marshaq nahm diese Aufgabe zu einer Zeit wahr, als der linke Arbeiterzionismus in Israel – anders als heute – noch eine Art Staatsdoktrin war. Nach 1967 wurde Marshaq zu einem Verfechter der Ganz-Israel-Ideologie und Befürworter der Siedlungsbewegung in den besetzten Gebieten. Eben dies scheint durch die Benennung dieses Pfades auf den Zionsberg zum Ausdruck zu kommen.15 Ein anderes, ebenso eher unscheinbares „Monument“ jüngerer Geschichte ist das Zimmer des Präsidenten (‫חדר הנשיא‬/„cheder ha-nasi“; vgl. Abb. 8), das sich auf dem Dach des Gebäudes auf dem Südwesthügel Altjerusalems befindet, unter dem nach mittelalterlicher Tradition König David begraben liegt.16 Dort – ein Stockwerk über der Stätte, die Christen als Ort des letzten Abendmahls verehren – soll sich der zweite Staatspräsident Israels, Jitzhaq Ben-Zvi (1884–1963), häufig aufgehalten haben. Ben-Zvi genoss dort die freie Aussicht auf die Wüste Juda, den Ölberg und Teile der Jerusalemer Altstadt.

15 Kaniuk 2013, 15–18. Kaniuk nennt Marshaq einen „lieben Irren“, einen „weltlichen Chassid, der von einem jüdischen Staat träumte, förmlich vor Sehnsucht danach triefte und Israels Feinde sogar im Schlaf noch schmähte“ (15). „Er war […] jung, kühn und fröhlich, ‚sprang über die Berge, hüpfte über die Hügel‘, um das Hohelied zu zitieren, sang aus voller Brust, und einen Moment dachte ich sogar, sein alter Schweißgeruch sei verflogen […] Benny stand stramm und wieder locker, das Haar zerzaust, und versuchte, die Hatikwa [die israelische Nationalhymne; M. M.] zu singen, brachte aber nur das erez-israelische Krächzen einer Generation heraus, die meinte, je lauter einer schreie, desto mehr sei er im Recht. Feststehend, in die Erde gepflanzt, fast ohne sich vom Fleck zu bewegen, begann er eine ungelenke und schwerfällige Hora zu tanzen, wie die Einwanderer sie aus der Diaspora mitbrachten, eine Art chassidische Hora“ (17). Aufgrund dieses Buches, das auch für die Bühne bearbeitet und im Stadttheater Haifa aufgeführt wurde, erhielt Kaniuk den renommierten Sapir-Preis für hebräische Literatur. 16 Vgl. Küchler 2014, 439.

Judaistische Anmerkungen zu einem Jerusalem-Studienreiseführer

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Abb. 7: „Benny-Steige“, südwestlich vom neuen „Zionsberg“; Foto: Andrea Krogmann.

Während der Zeit der Teilung der Stadt vor dem Sechs-Tage-Krieg (1948–1967) diente dieses Dach auch anderen Juden, denen die unter jordanischer Herrschaft stehende Westmauer des ehemaligen Tempels unzugänglich blieb, als Ersatz-Pilgerstätte. Dies war der Ort, an dem man dem ehemaligen Heiligtum am nächsten kam und sehnsüchtig hinüberschaute. Auf dem frei zugänglichen Dach befindet sich heute ein kleines Museum zur Erinnerung an Ben-Zwi, der sich durch die Erforschung der Geschichte der Juden im Nahen Osten auch als Historiker einen Namen gemacht hat.17 Das „Zimmer“, eine Art Dachhütte, wurde auch als Schutzraum vor arabischen Scharfschützen benutzt, die wenige Meter entfernt jenseits der Grenze lauerten. Dieser Ort ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich in Jerusalem bis in die Gegenwart unterschiedliche „Memorialschichten“ (das traditionell-jüdische Davidsgrab, der Abendmahlssaal der Christen, das zionistische Präsidentenzimmer) übereinander legen. Auch für die an der Ha-Gai-Straße im muslimischen Viertel der Altstadt gelegene Talmudschule Torat Chajjim („Tora des Lebens“) ist das Jahr 1967 ein entscheidender Wendepunkt. Die Jeschiwa, 1886 von den Brüdern Jitzhaq und Josef

17 Besonders am Herzen lag Ben-Zvi die Geschichte der Samaritaner; nach seiner Auffassung sollte der Zionismus langfristig zu einer Überwindung der religiösen Gräben zwischen Juden und Samaritanern führen. Ben-Zvi, der persönlich mit den Führern des Teils der samaritanischen Gemeinschaft befreundet war, die in der Stadt Cholon in der Nähe von Tel Aviv, also im Staat Israel, lebt (der andere Teil hat seinen Wohnsitz bei Nablus im Westjordanland), betrieb dieses Versöhnungsprojekt mit einer gewissen religiösen Inbrunst; zugleich war er aber ein Politiker der säkularen Arbeiterpartei und führte im persönlichen Bereich ein unreligiöses Leben.

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Abb. 8: Präsidentenzimmer auf dem Zionsberg mit Blick auf die Dormitio-Abtei; Foto: Andrea Krogmann.

Elijahu Winograd gegründet, unterschied sich von den in der Orthodoxie sonst üblichen „litauischen“ Tora-Akademien durch ihren flexiblen Altjerusalemer Lehrplan, der den Studenten Freiraum bei der Auswahl ihres Stoffes ließ. Der berühmteste der Torat Chajjim-Studenten war wohl der später als nationalreligiöser Mystiker bekannte Rabbiner Zwi Jehuda Kook (1891–1982).18 Von Jitzhaq ­Winograd (gest. 1912), der in vorzionistischer Zeit aus dem heute weißrussischen Pinsk ins Land gekommen war, heißt es, wegen seiner besonders schönen Stimme hätte er Opernsänger werden können. Winograd wollte seine Gabe aber in den Dienst der Synagoge stellen und Chazan, also Vorbeter (Kantor), werden. Die eigentliche geistige Autorität der Lehranstalt war der aus der Stadt Kojdanów (heute Dsjarschynsk in Weißrussland) eingewanderte Rabbiner Epstein (1862–1931), ein Schwager der Winograd-Brüder. Seiner Mentalität und geistigen Richtung nach eher dem vorzionistischen „Alten Jischuw“ angehörend, suchte Epstein schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wege der Verständigung mit den säkularen Neueinwanderern. Im Zuge der Jerusalemer „Nabi Musa-Unruhen“ im April 1920, während der Passahtage19, wurde die Jeschiwa teilweise zerstört und geplündert. Der Schriftsteller Schabtai Sacharja (1921–2017) berichtet in seiner Geschichte des jüdischen

18 Perl 2005, 296. Der Ausdruck Neqi’e Ha-Da’at im Titel des Buches (‫נקיי הדעת‬ – etwa: „Die Sittenreinen Jerusalems“) ist ein Zitat aus dem Babylonischen Talmud (Traktat Sanhedrin, Folio 23a). 19 Vgl. Segev 2005, 142–161.

Judaistische Anmerkungen zu einem Jerusalem-Studienreiseführer

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Abb. 9: Ateret-Jeruscha­ lajim-Jeschiwa im musli­ mischen Viertel der Altstadt auf dem Gelände der ehemaligen Talmudhochschule Torat Chajjim; Foto: Andrea Krogmann.

Jerusalem in der Neuzeit, wie in letzter Minute die Torarolle aus dem brennenden Gebäude gerettet wurde.20 Immerhin konnte das Zerstörte wieder aufgebaut werden, und der Lehrbetrieb ging weiter. Doch bereits neun Jahre später setzten die Unruhen des Jahres 1929 der Talmudschule erneut schwer zu. Im Laufe des arabischen Aufstands 1936–1939 wurde die Lehranstalt dann endgültig in die Jerusalemer Weststadt evakuiert. Den Erzählungen zufolge, wurde der Schlüssel zum Gebäude von einem arabischen Nachbarn aufbewahrt, der angeblich auch eine Mauer baute, um den Toraschrein, die Talmudfolianten und anderes Lehrmaterial zu schützen. Als Chaim Herzog (1918–1997), der spätere Staatspräsident Israels und der älteste Sohn des vormaligen aschkenasischen Oberrabbiners, der im Juni 1967 als Offizier des israelischen Secret Service seinen Dienst versah, nach der Eroberung Ostjerusalems durch die Straßen der Altstadt ging, kam dieser Nachbar auf ihn zu und übergab ihm den Schlüssel zur ehemaligen Talmudschule.21 Diese

20 Vgl. Sacharja 1998, 45 f. 21 https://he.wikipedia.org/wiki/‫( ישיבת_תורת_חיים‬zuletzt abgerufen am 29.01.2019).

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Geschichte erscheint aus heutiger Sicht schwer vorstellbar; dennoch ist sie nicht ganz unglaubwürdig. Auch aus anderen Quellen ist bezeugt, dass es im Sommer 1967 in der zuvor geteilten Stadt Situationen gab, in denen Juden und palästinensische Araber, die ja zum Teil mit der jordanischen Besetzung Ostjerusalems und des Westjordanlandes von 1948 bis 1967 alles andere als glücklich gewesen waren, mit Interesse und Wohlwollen aufeinander zugingen. Es ist bezeichnend, dass es nach der Wiedervereinigung der Stadt noch geraume Zeit dauerte, bis eine neue Jeschiwa in das Gebäude einzog. Der religiöse und messianisch inspirierte Zionismus, unter dessen Vorzeichen die Neugründung stand, nahm nach dem Junikrieg des Jahres 1967 erst langsam an Fahrt auf. Erst 1980, dreizehn Jahre nach den berühmten „drei Neins“ der arabischen Staaten vom 1. September 1967 auf ihrer Konferenz von Khartum („kein Friede, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel“), verabschiedete das israelische Parlament, die Knesset, das „Jerusalem-Gesetz“, das das vereinigte Jerusalem endgültig als israelische Hauptstadt festlegte. Die 1983 im Geist jener Jahre neu eingerichtete Jeschiwa galt nun – je nach Standpunkt – in doppelter Hinsicht als besonders radikal oder aber „avantgardistisch“. Initiator war der 1966 aus Frankreich eingewanderte Rabbiner Shlomo Aviner. 1943 in der von den deutschen Truppen besetzten französischen Stadt Lyon geboren, wo er während des Zweiten Weltkrieges mit einer falschen Identität versteckt worden war, suchte Aviner in Israel die Nähe des Rabbiners Zwi Jehuda Kook. In seinem Geist errichtete er auf dem alten Torat Chajjim-Gelände die Talmudakademie Ateret Cohanim („Priesterkrone“). Auf dieser Jeschiwa, die auch eine Abteilung für künftige Soldaten der israelischen Armee beherbergt, legt man nach einem Lehrplan für Fortgeschrittene (hebräisch „be-iyyun“ [‫]בעיון‬ – wörtlich etwa: „mit Kontemplation“) besonderes Augenmerk auf das Erlernen von Talmudvorschriften für den Priesterdienst im Tempel – im Vorgriff auf den für die messianische Zukunft erwarteten Bau des dritten Tempels. Zugleich trieb Aviner Aktionen voran, die er und seine Schüler als „Erlösung des Landes“ bezeichneten – meist verdeckt, gelegentlich aber auch offen betriebene Käufe von arabischen Häusern und Grundstücken in der Heiligen Stadt, um diese in jüdische Hände zu überführen. Um die Siedlungsaktivitäten von der institutionell betriebenen Toragelehrsamkeit zu unterscheiden, wurde die Jeschiwa 1991 in Jeschiwat Ateret Jeruschalajim („Krone Jerusalems“; s. Abb. 9) umbenannt.22 Sie gilt heute als Kristallisationspunkt der Bestrebungen ultranationalistischer und zugleich messianisch-religiöser jüdischer Siedler in der Jerusalemer Altstadt. Umso wichtiger ist es zu betonen, dass dies nicht immer so war. Nicht weit von dieser Talmudschule entfernt befindet sich ein Gedenkort, der Kundige an einen anderen jüdischen Mystiker erinnert. Das heute vom israelischen Grenzschutz („Border Police“) benutzte Gebäude am Ende der Ha-Schalschelet-Straße (arabisch Tariq Bab al-Silsila, Kettentorstraße23) beherbergte im

22 Perl 2005, 296. 23 Vgl. Küchler 2007, 267 f.

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17. Jahrhundert eine Madrasa (islamische Religionsschule) und zugleich das örtliche Gericht mit dazugehörigem Gefängnis. Hier war 1625 Rabbiner Jesaja Ha-Levi Horowitz inhaftiert, der – nach Stationen in Krakau, Lublin und vor allem in Frankfurt am Main – 1621 nach Palästina gekommen war. Benannt wird der 1565 in Prag geborene Horowitz meist nach seinem bekanntesten Werk Schene luchot ha-berit („Die zwei Bundestafeln“), abgekürzt ScheLaH (‫)של“ה‬.24 Dieses mystische Kompendium zu gesetzlichen und ethischen Fragen, das Horowitz seinen Kindern und Enkeln in Europa angesichts seiner bevorstehenden Abreise als Richtschnur und Wegweiser hinterlassen hatte, übte in der jüdischen Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts einen gewissen Einfluss aus, als in den 1930er und 1940er Jahren versucht wurde, Antworten auf die Frage nach dem Warum des jüdischen Leidens zu finden und die Katastrophe der Schoah als „Wehen des Messias“ zu deuten.25 Nach seiner Einwanderung wurde Horowitz zunächst in Jerusalem wohnhaft, wo er als einer der führenden Gelehrten der aschkenasischen Gemeinschaft galt. Legendär wurde die Erzählung von seiner Gefangennahme durch den Jerusalemer Pascha Ibn Faruk, der ihn gemeinsam mit fünfzehn weiteren Rabbinern und jüdischen Notabeln nur gegen ein Lösegeld freigeben wollte. Eine der Stationen seiner jüdischen Via Dolorosa war, so die Überlieferung, das mamlukische Gefängnis, das sich in dem als Ha-Machkema bekannten Gebäude in unmittelbarer Nähe zur Westmauer befand (vgl. Abb. 10).26 Nachdem „der ScheLaH“ gegen ein hohes Lösegeld freigekommen war, wanderte er weiter nach Galiläa und ließ sich in Safed, der Hochburg der jüdischen Mystik, nieder. Am 24. März 1630 starb er in Tiberias am See Genezareth. Seine letzte Ruhestätte, in der Nähe des Grabes von Moses Maimonides in Tiberias gelegen, ist Ziel vieler jüdisch-orthodoxer Pilger. Am westlichen Ende des muslimischen Viertels, in Richtung des christlichen Viertels, unmittelbar neben dem Goldschmiedemarkt (‫)שוק הצורפים‬, befindet sich ein ganz anderes jüdisches Denkmal, der Galizia-Hof (‫)חצר גליצוה‬. Der zwei­ stöckige Gebäudekomplex (vgl. Abb. 11) wurde bis 1936 von der Familie des Rabbiners Chaim Hirschensohn (1857–1935) bewohnt. Sein Vater Jakob Mordechai Hirschensohn war 1848 aus dem zaristischen Russland zunächst nach Obergaliläa (Safed) und 1864 nach Jerusalem gekommen. Chaim Hirschensohn schloss sich früh dem Zionismus an und nahm 1903 am 6. Zionistenkongress in Basel teil. Er war mit dem neuhebräischen Sprachpionier Eliezer Ben-Jehuda (1858– 1922) befreundet, der die hebräische Sprache wiederbeleben wollte. Zu diesem Zweck gründete Hirschensohn die Safah-Berurah-Gesellschaft („Gesellschaft für reine Sprache“). Die gemeinsam mit Eliezer Ben-Jehuda publizierte neuhebräische

24 Haarmann 2012, 80 f. 25 Zur Nachwirkung des Schene luchot ha-berit, der im 20. Jahrhundert in besonderer Weise als „Frankfurter Mystiker“ wahrgenommen wurde, in der „Frankfurter“ Religionsphilosophie Isaac Breuers vgl. Breuer 2017a, 563.565. 26 Perl 2005, 136. Der israelische Historiker Ben Zion Dinaburg (Dinur) hat vermutet, dass vor der Mamlukenzeit an dieser Stelle ein jüdisches Bet- und Lehrhaus stand (vgl. Dinaburg 1928/1929).

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Abb. 10: „Ha-Machkema“ – ehemalige ­mamlukische Madrase und osmanisches ­Gefängnis; Foto: Andrea Krogmann.

Zeitschrift Ha-Zwi („Der Hirsch“) war offenbar nach ihm benannt.27 Ben-Jehuda ärgerte sich über den für ihn bedeutungslosen Namen und versuchte, die Zeitung unter anderem Namen erscheinen zu lassen. Doch es war Hirschensohn, der die von der türkischen Regierung ausgegebene Lizenz besaß, und eine andere Zeitung wurde nicht genehmigt. Ben Jehuda tröstete sich damit, dass das Danielbuch die Bezeichnung Erez Ha-Zwi für das Land Israel als „Land des Glanzes“ kennt.28 Die Druckmaschine für die Zeitung befand sich im Keller des Hauses im Galizia-Hof. Die redaktionelle Arbeit für das Blatt leistete jedoch Eliezer Ben-Jehuda, der ganz auf den „pompösen“ Stil „der Gelehrten, die oft ganze Sätze aus dem Talmud zitier-

27 Vgl. Perl 2005, 200. Zu dieser hebräischen Zeitung, die in den Jahren 1876–1900 wöchentlich und zwischen 1908–1912 teilweise auch täglich erschien, vgl. Herlitz/Probst 1927, Tabelle I.XI; Kressel 1977, 1054 f. 28 Vgl. Dan 11,16.41; vgl. auch St. John 1985, 104–108. Ben-Jehuda schwebte der Name Ha-Or („Das Licht“) vor; das Blatt erschien auch einmal unter dem Namen Hashkafa (etwa: „Betrachtung“ oder „Weltanschauung“).

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ten“, verzichtete und stattdessen „einfach und im Unterhaltungsstil“29 schrieb. Dazu fand er einen modernen säkularen Ton, mit dem er seine sprachlichen Neuerungen propagierte.30 Starke Beachtung fanden die von ihm selbst ins Hebräische übersetzten Stücke aus der europäischen Literatur wie Victor Hugos Notre Dame de Paris oder Molières Tartuffe und seine Komödie L’Avare. Aufgrund einer Bestimmung der osmanischen Regierung ließ Ben-Jehuda die Texte anonym erscheinen und hatte auch die Titel geändert. Seine Kritiker schreiben darauf hin, er publiziere antisemitische Literatur und wolle reiche Juden lächerlich machen.31 „Das wichtigste aber war, daß jede Ausgabe des ‚Hirsch‘ mindestens ein neues hebräisches Wort enthielt, welches von Ben-Jehuda entdeckt oder neu geschaffen worden war. Auf diese Weise wurde Hebräisch von Woche zu Woche mehr zu einer Sprache, in der Frauen ihre Einkäufe und Kinder ihre Spiele machen konnten. Ja, sie konnten sich sogar Spitznamen darin geben! Und die Männer konnten die wissenschaftlichen und politischen Entwicklungen auf Hebräisch diskutieren.“32 Hirschensohns Publikationen, vor allem seine unter dem Titel Malki ba-­Qodesh (1919–1928) veröffentlichten Analysen des jüdischen Rechts (Halacha), das nach seinen Plänen in dem künftig zu gründenden jüdischen Staat Geltung haben sollte, wurden vom damaligen aschkenasischen Oberrabbiner Palästinas, Abraham Isaak Ha-Kohen Kook (1865–1935), besonders geschätzt. 1869 errichte Sara Hirschensohn, die Ehefrau Jakob Mordechai Hirschensohns, hinter dem Gebäude einen Kinderspielplatz, einer der ersten Jerusalemer Spielplätze überhaupt, auf dem die Altstadtkinder miteinander spielten.33 Die in dem Gebäudekomplex befindliche Synagoge wurde während der Unruhen des Jahres 1936 zerstört. 1982 wurde die Synagoge renoviert. Heute ist sie unter dem Namen Zion Ha-Mezujjenet („ausgezeichnetes Zion“) Gebetshaus der litauisch-„charedischen“ Jeschiwa Aderet Elijahu, die von dem in Deutschland geborenen ultraorthodoxen Rabbiner Yitzhaq Shlomo Zilberman (1929–2001) gegründet wurde. Diese Jeschiwa ist vor allem durch ihr besonderes Curriculum bekannt, das sich an der „Zilberman-Methode“ orientiert. Diese Methode, die im orthodoxen Judentum viel Aufsehen erregt hat, folgt dem Ideal der Sprüche der Väter im Talmud: Der Bibelunterricht beginnt demnach im Alter von fünf und der Mischna-Unterricht im Alter von zehn Jahren, während das eigentliche Talmudstudium zu warten hat, bis die Schüler fünfzehn Jahre alt sind.34 Von den Talmudschülern heißt es, dass sie teilweise mit den nationalreligiösen Siedlern auf der Westbank sympathisieren. Im Gegensatz zu 29 Vgl. St. John 1985, 107. 30 Zur redaktionellen Tätigkeit Ben-Jehudas vgl. St. John 1985, 104–110.132–137.171–174.185–187. 31 Vgl. St. John 1985, 135. 32 St. John 1985, 135 f. 33 http://www.jerusalem-old-city.org/164218/‫החומות‬-‫בין‬-‫ש‬-‫בירושלים‬-‫הירשנזון‬-‫מרדכי‬-‫יעקב‬-‫ר‬-‫( חצר‬zuletzt abgerufen am 29.01.2019); zu Rabbiner Kook vgl. Morgenstern 2003, 304–307. 34 Pirqe Avot (Sprüche der Väter) 5,21; Babylonischer Talmud, Traktat Shabbat 63a (‫ליגמר איניש והדר‬ ‫ ;ליסבר‬aramäisch: „ein Mensch soll zuerst [Bibel] lernen [und danach den Sinn des Gelernten im Talmud] erörtern“); vgl. auch http://www.thejewisheye.com/gedolimb58.html (zuletzt abgerufen am 29.01.2019).

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Abb. 11: Galizia-Hof mit Zion Mezujjenet-Synagoge; Foto: Andrea Krogmann.

anderen radikalen Siedlern wird von den Zilberman-Schülern aber das Areal des ehemaligen Tempelbergs nicht betreten, da sie das entsprechende Verbot35 traditionell und wörtlich auslegen. Für eine Konzeption des Judentums, die der des Galizia-Hofes diametral entgegengesetzt ist, steht der ebenfalls im muslimischen Viertel der Altstadt gelegene Diskin-Hof (vgl. Abb. 12).36 Der Gebäudekomplex befindet sich in unmittelbarer Nähe des Textilmarktes (arabisch „Suq al-Qatanin“), von dem aus das (für Nicht-Muslime nicht zugängliche) „Baumwollhändler-Tor“ auf das Gelände des ehemaligen Tempelberges führt.37 Benannt ist dieser Hof nach dem ultraorthodoxen litauischen Rabbiner Mosche Jehoschua Leib Diskin (1816/1817–1898), der 1877 oder 1878 nach Palästina emigrierte und sich in Jerusalem niederließ.38 Nach dem Kauf dieses Gebäudes wohnte Diskin, der in jiddischer Sprache „der Brisker Rav“ genannt wird, im dritten Stock in einem nach Osten gehenden Zimmer, so dass er aus dem Fenster den Ort des ehemaligen Tempels sehen konnte.39 Die Jerusalemer Jahre Diskins waren geprägt von einem unerbittlichen Kampf des Rabbiners gegen die aus Europa eindringende Moderne. Seinen besonderen Zorn

35 Da der genaue Ort des einstigen Allerheiligsten nicht bekannt ist und seine Entweihung auf jeden Fall vermieden werden soll, erachten orthodoxe Juden, die sich an die klassische Auslegung des jüdischen Religionsgesetzes halten, das Betreten des gesamten Tempelareals für verboten. 36 Perl 2005, 203. 37 Vgl. Küchler 2007, 160.270. 38 Vgl. Horowitz 1977, 74 f. 39 Sacharja 1998, 209 f.

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erregte die 1856 zum Gedenken an den jüdisch-österreichischen Großhändler und Bankier Simon von Lämel (1766–1845) in Jerusalem gegründete Lämelschule, in der – zudem in deutscher Sprache! – neben jüdisch-religiösen auch „säkulare“ Fächer unterrichtet wurden.40 Auch die von der Pariser Alliance Israélite Universelle propagierten Erziehungsmethoden lehnte Diskin ab. Diskin betonte besonders, dass die Juden vor der Ankunft des Messias die jiddische Sprache beibehalten müssten und auf die Wiederbelebung des Hebräischen zu verzichten hätten.41 Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Diskin ein zweites Mal und errichtete mit dem Geld der Mitgift seiner Braut das später nach ihm benannte Jerusalemer Waisenhaus. Sein Ziel war es, die „Jüdischkeit“ dieser Kinder vor weniger religiösen Schulen in der Stadt zu „retten“, in denen auch Fremdsprachen und vor allem das moderne Hebräisch unterrichtet wurden. Zeitweise sollen im Diskin-Hof bis zu dreihundert Waisen gelebt haben.42 Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Jitzhaq Jerucham Diskin (1839–1925) die Leitung der von seinem Vater gegründeten Einrichtung, zu der auch noch die Talmudschule Ohel Mosche (Zelt Moses) kam. Jitzhaq Jerucham Diskin war ein entschiedener und geradezu militanter Gegner des Zionismus. Er lehnte auch die von der britischen Mandatsbehörde betriebene Errichtung eines aschkenasischen Oberrabbinats für Palästina ab. Gemeinsam mit Rabbiner Josef Chaim Sonnenfeld (1848–1932) gehörte er zu den prägenden Persönlichkeiten der strengen antizionistischen Orthodoxie des Jerusalemer „Alten Jischuws“.43 Während der Zeit der Teilung Jerusalems infolge des Unabhängigkeitskrieges Israels wurde der Diskin-Hof von einem jordanischen Bevollmächtigten für jüdische Grundstücke in der Altstadt („Feind-Eigentum“) verwaltet. Nach dem Sechs-Tage-Krieg kehrte das Grundstück – paradoxerweise nun unter zionistischer Ägide! – in jüdischen Besitz zurück. Heute sind dort wieder einige jüdische Familien wohnhaft. An das Lebenswerk eines modernen jüdischen Mystikers erinnert das zu einem Museum umgebaute Haus des ersten aschkenasischen Oberrabbiners in der britischen Mandatszeit, Rabbiner Abraham Isaak Ha-Kohen Kook (1865–1935). In einem kleinen Hof zwischen der Jaffa- und der Prophetenstraße im Westteil der Stadt gelegen, ist das Rabbiner Kook-Haus (vgl. Abb. 13) über die Ha-Rav KookStraße zugänglich. Kook, der dort von 1923 bis zu seinem Tod lebte und wirkte, war ursprünglich „ultraorthodox“ und daher kein Mitglied der zionistischen Bewegung. Nach seiner Geschichtsphilosophie waren die zionistischen Jugendlichen, die als säkulare und sozialistische Pioniere das Land Israel aufbauten, aber als Teilhaber eines göttlichen Plans anzusehen, durch den das Volk Israel aus sei-

40 Zu dieser Schule vgl. St. John 1985, 209. 41 Zum Kampf zwischen den Ultraorthodoxen und der hebräischen Zeitung Ha-Zwi, der dazu führte, dass die Zeitung und ihr Redakteur religionsgesetzlich in den Bann (‫ )חרם‬getan wurden, vgl. St. John 1985, 122–124. 42 Vgl. https://he.wikipedia.org/wiki/‫ישיבת_אהל_משה‬#‫( חצר_דיסקין‬zuletzt abgerufen am 29.01.2019). 43 Zur Geschichte des Jerusalemer „Alten Jischuws“ vgl. Morgenstern 1995, 89–93. Zum Verhältnis Breuers zu Rabbiner Sonnenfeld vgl. Morgenstern 1995, 47.85.91 f.273.308 f.

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Abb. 12: Diskinhof, mus­ limisches Viertel in der ­Jerusalemer Altstadt; Foto: Andrea Krogmann.

nem zweitausendjährigen Exil erlöst werden sollte. Seine mystische Theorie gipfelte darin, dass er der irreligiösen Lebensweise der zionistischen Säkularisten einen verborgenen theologischen Sinn abgewinnen konnte. Von seinen Anhängern wird er heute als prägende Gestalt für die nationalreligiöse Bewegung und darüber hinaus für die Siedlungsbewegung in den nach 1967 von Israel besetzten Gebieten verehrt. Ein Denkmal ganz anderer Art befindet sich in der Nähe des jüdischen Marktes Mahane Jehuda („Lager Judas“), jenes 1887 im Westen der Stadt gegründeten Viertels, das nach dem jüdischen Gelehrten im osmanischen Palästina Jehuda Navon benannt ist. Fährt man auf der Jaffa-Straße von der Altstadt in Richtung Busbahnhof, so ist dieser Markt links gelegen; etwas abseits, im Gewirr kleiner Straßen und Sackgassen auf der rechten Seite der Jaffa-Straße, liegt ein Heiligtum, das sich nur Insidern als solches zu erkennen gibt. Inmitten orientalischer Häuser und teilweise etwas heruntergekommener Gebäudestrukturen steht ein Haus in osteuropäischem Backstein-Stil, das so gar nicht in die Landschaft passt: Die ehemalige Wohnstätte des Anführers der chassidischen Gemeinschaft aus Góra Kalwaria (jiddisch: Ger; hebräisch: Gur), des „Gerer Rebben“ Abraham Mordechai

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Abb. 13: Ha-Rav Kook-Haus (Westjerusalem); Foto: Andrea Krogmann.

Alter (1866–1948).44 Nachdem der Rebbe 1940 nach Palästina fliehen konnte – ein großer Teil seiner Familie wurde zusammen mit etwa 200.000 Gerer Chassiden von den Nazis in Polen ermordet – ließ er sich in Westjerusalem nieder. Seine Anhänger bauten ihm ein Haus, das nach dem Vorbild seines ursprünglichen Domizils in Osteuropa konstruiert wurde. Nach seinem Tod setzten seine drei Söhne, der „vierte Gerer Rebbe“ Israel Alter (1895–1977), der „fünfte Gerer Rebbe“ Simcha Bunem Alter (1898–1992), und Pinchas Menachem Alter (1926–1996), der „sechste Gerer Rebbe“, die Tradition des Gerer Chassidismus fort.45 Abraham Mordechai Alter wurde in seinem „polnischen“ Haus in Jerusalem begraben (vgl. Abb. 14). Seine Grabstätte in dem kleinen und engen Haus wird von Psalmen rezitierenden oder Tora lernenden Anhängern „bewacht“, Besichtigungen sind nur eingeschränkt möglich. Die besondere Pointe des Hauses (vgl. Abb. 15) und des Grabes ist, dass es zugleich als Repräsentant einer Ortschaft in der polnischen Woiwodschaft Maso44 Nach seinem gleichnamigen (postum veröffentlichten) Buch wird Alter „Der Imre Emet“ (hebräisch: „Worte der Wahrheit“) genannt. Im Hebräischen bildet dieser Buchtitel zugleich ein Akronym seines Namens. Zur Theologie und Mystik des Gerer Chassidismus, in der es zentral um die Auseinandersetzung mit der Exilserfahrung geht, vgl. Jacobson 2014. 45 Der Gerer Chassidismus ist im Staat Israel auch parteipolitisch von Bedeutung: Die Gerer Chassidim stellen die wichtigste „zentrale Fraktion“ der in der Knesset vertretenen Partei „Vereinigtes Torajudentum“ (Agudat Israel). Heute werden die Gerer von Jakob Arjeh Alter (geb. 1939), einem Sohn des fünften Gerer Rebben, angeführt. Ihr Vertreter in der Knesset war zuletzt der zeitweilige (2015–2017) Gesundheitsminister Jakob (Jenkl) Litzmann, der in den Jahren 2018–2019 auch als stellvertretender Gesundheitsminister amtierte.

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Abb. 14: Grab des Gerer Rebben in der Jerusalemer Weststadt; Foto: Andrea Krogmann.

wien fungiert, die in deutscher Übersetzung Kalvarienberg heißt. Das Städtchen Góra Kalwaria, das 1670 den Beinamen Nowa Jerozolima (Neues Jerusalem) erhielt, wurde auf Grundlage mittelalterlicher Karten Jerusalems errichtet. Vom Straßennetz dieses Ortes heißt es, dass es ein Kreuz abbilden soll. Im 17. Jahrhundert ließ der Posener Bischof dort Passionsspiele abhalten und lud unterschiedliche Mönchsorden ein, sich niederzulassen. Gleichsam in Konkurrenz zu diesem „christlichen Zion“ an der Weichsel, südlich von Warschau, kam es im 19. Jahrhundert zur Ansiedlung eines chassidischen Heiligtums, des „Hofes“ der Gerer Chassidim unter Leitung des Urahns der Bewegung, des Rebben Jitzchak Meir Alter (1798–1866).46 Will man die Präsenz dieses „polnischen Jerusalem“ in der heutigen israelischen Hauptstadt interpretieren, so fällt das entschiedene Festhalten an der aus Osteuropa importierten Frömmigkeitspraxis auf. Auch im Orient halten die Gerer Chassidim an ihrer althergebrachten Kleidung fest – den bis zu den Waden reichenden Hosen, dem Kaftan und am Sabbat der Pelzmütze. Auch ihre Gebetsriten und die Art und Weise ihres Torastudiums entspricht noch ganz

46 Der „erste Gerer Rebbe“ wird nach seinem wichtigsten Buch „Chiddushe Ha-Rim“ („Die Novellen des Rim“) benannt. „Rim“ ist das hebräische Akronym für „Rabbi Jitzhak Meir“. Der „erste Gerer Rebbe“ war Schüler des chassidischen Mystikers Menachem Mendel Morgensztern von Kozk (1787–1859); die Geschichte dieses Mystikers hat Menashe Unger (1899–1969) in seinem jiddischen Roman Pschis’che und Kotzk (1949) meisterhaft erzählt (englische Übersetzung von Jonathan Boyarin unter dem Titel „A Fire Burns in Kotsk“, 2015). Eine deutsche Übersetzung von Daniel Wartenberg erscheint 2019 mit einem Vorwort von Matthias Morgenstern im LIT-Verlag (Münster).

Judaistische Anmerkungen zu einem Jerusalem-Studienreiseführer

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Abb. 15: Außenansicht des Grabmals der „Gerer Rebben“; Foto: Andrea Krogmann.

der aus Osteuropa mitgebrachten Sitte. Regelmäßig pilgern sie zum „polnisch“ stilisierten Grab ihres Rebben im „Jerusalemer Góra Kalwaria“. Der zionistische Zionsentwurf ist nicht ihr Zion, die Ankunft ihres Erlösers steht noch aus. Wie „aus der Zeit gefallen“ wirkt auch ein anderes orthodox-jüdisches Gotteshaus, die Zoharei Chama-Synagoge (etwa: „Synagoge des Sonnenaufgangs“), die nur wenige Meter entfernt, an der Jaffastraße Nr. 92, zu bestaunen ist. Das damals noch einstöckige Gebäude wurde 1906 von dem jüdischen Schneider Shmuel Levi, einem Einwanderer aus den USA, erworben, der zwei Stockwerke darauf setzte und an der Fassade eine Sonnenuhr installieren ließ (vgl. Abb. 16).47 Diese Sonnenuhr wurde von dem aus dem ultraorthodoxen Stadtviertel Mea Shearim („Hundert Tore“) stammenden Uhrmacher Moshe Shapiro hergestellt. Von ihm heißt es, dass er das Uhrmacherhandwerk und die notwendigen astronomischen Kenntnisse durch das Studium der Schriften des mittelalterlichen Philosophen Maimonides und des jüdischen Gelehrten Elijahu ben Salomon Salman („der Vilner Gaon“) gelernt habe.48

47 Perl 2005, 281. 48 Erzählt wird, diese Uhr habe die Jerusalemer Muslime so beeindruckt, dass die für das Heiligtum auf dem Haram Al-Scharif (dem ehemaligen Tempelberg) zuständige Religionsbehörde (Wakf) Shapiro darum gebeten habe, für den Felsendom ein ähnliches Chronometer herzustellen – in diesem Fall zur Bestimmung der islamischen Gebetszeiten, die sich ebenfalls nach der Sonne richten. Shapiro habe sich vom damaligen Oberhaupt der Jerusalemer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft, Rabbiner Josef Chaim Sonnenfeld, beraten lassen und erfahren, dass eine solche Installation nach jüdischem Religionsrecht erlaubt sei. Schließlich seien die Muslime nach der

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Matthias Morgenstern

Abb. 16: Sonnenuhr mit „erez-jisraelischer Zeit“ (Jerusalemer Weststadt); Foto: Andrea Krogmann.

Die berühmte Sonnenuhr des Mahane Jehuda-Viertels hat einen Durchmesser von fünf Metern. Sie dient dem Zweck, die Beter über die täglich mit dem Sonnenlicht wechselnden Gebetszeiten zu informieren und sie zudem die religionsgesetzlich vorgeschriebenen Zeiten für das Anzünden der Sabbatkerzen wissen zu lassen. Oberhalb der Sonnenuhr sind zwei zusätzliche mechanische Uhren angebracht: rechts eine Uhr mit „europäischer“, links ein Chronometer mit „erez-israelischer“ Zeitmessung. Die letztere geht von einem Zwölfstundentag aus, der mit dem Sonnenaufgang beginnt und die Zeit bis zum Sonnenuntergang (nach dieser Berechnung um „12 Uhr“, das entspricht nach „europäischer Zeit“ je nach Jahreszeit also etwa 18 Uhr) in zwölf genau gleichlange Zeiteinheiten einteilt. Diese traditionelle talmudische Zeiteinteilung ist auch heute noch für den orthodox-jüdischen Tagesrhythmus grundlegend. Ein Teil der ultraorthodoxen Juden Jerusalems besteht darauf, diese „erez-israelische Zeit“ ganz grundsätzlich auch im Alltag zu verwenden. Auf diese Weise sind sie nicht auf „zionistische Uhren“ angewiesen und können sich von säkularen Juden unterscheiden.49 Gemeinsam ist allen hier präsentierten „Sehenswürdigkeiten“ das Ephemere und Unspektakuläre. Ist es Zögerlichkeit, sich auf den neuen Zion festzulegen? Feststellung des Maimonides keine Götzendiener, und sie beteten nicht die Sonne an. Dennoch habe Shapiro diese Uhr nicht bauen wollen; aus Furcht vor der Rache des Wakf sei er dann nach Petach Tikwa geflohen, wo er stattdessen eine andere Sonnenuhr für die große Synagoge der Stadt gebaut habe. Vgl. https://he.wikipedia.org/wiki/‫( זהרי_חמה‬zuletzt abgerufen am 29.01.2019). 49 Vgl. Levi 1988, 193.

Judaistische Anmerkungen zu einem Jerusalem-Studienreiseführer

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Wird so das Prozesshafte im Zionismus selbst betont, jener innerjüdischen Revolution, die von Jahr zu Jahr voranschreitet und weit davon entfernt ist, an ihr Ende gekommen zu sein? Soll man das Neue Testament zitieren: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr 13,14)? Man mag dies bezweifeln. Keinem Zweifel aber unterliegt die Feststellung, dass, was nicht bleibt, wohl in ethnologischen Feldstudien, aber nicht in Studienreiseführern Platz zu finden verdient und dort guten Gewissens fehlen darf. Es bleibt Anmerkung, Randnotiz. Als judaistische Randnotiz in diesem Sinne soll es dem verehrten Jubilar, der einem großen Reiseführer seinen Namen gegeben hat, an dieser Stelle eine kleine Freude machen.

Literaturverzeichnis Breuer 2017: I. Breuer, Lehre, Gesetz und Nation. Eine historisch=kritische Untersuchung über das Wesen des Judentums, in: I. Breuer, Frühe religionsphilosophische Schriften. Werkausgabe, Bd. 1. Hrsg. von M. Morgenstern/M. Hildesheimer (Texte und Studien zur deutsch-jüdischen Orthodoxie 4), Münster 2017, 1–54. Breuer 2017a: I. Breuer, Die Welt als Schöpfung und Natur, in: I. Breuer, Frühe religionsphilosophische Schriften. Werkausgabe, Bd. 1. Hrsg. von M. Morgenstern/M. Hildesheimer (Texte und Studien zur deutsch-jüdischen Orthodoxie 4), Münster 2017, 459–573. Buber 1906: M. Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, Frankfurt a. M. 1906. Cunz 1997: M. Cunz, Die Fahrt des Rabbi Nachman von Bratzlaw ins Land Israel (1798– 1799). Geschichte, Hermeneutik, Texte (TSMJ 11), Tübingen 1997. Dinaburg 1928/1929: B. Zion Dinaburg, ‫בית תפילה ומדרש ליהודים על הר הבית בימי הערבים‬ (Ein jüdisches Gebets- und Lehrhaus auf dem Tempelberg in arabischer Zeit), in: Zion 3 (1928/1929) 54–87. Haarmann 2012: J. Haarmann, Hüter der Tradition. Erinnerung und Identität im Selbstzeugnis des Pinchas Katzenellenbogen (1691–1767) (Jüdische Religion, Geschichte und Kultur 18), Göttingen 2012. Herlitz/Probst 1927: G. Herlitz/M. Probst, Art. „Presse, jüdische“, in: JL IV/1 (1927) 1102– 1110. Horowitz 1977: Y. Horowitz, Art. „Diskin, Moses Joshua Judah Leib“, in: EJ 6 (1977) 74 f. Jacobson 2014: Y. Jacobson, The Land of Israel and Canaan. A Case Study of the Spiritual World of Gur Chassidism, in: K. Berthelot/J. E. David/M. Hirshman (Hrsg.), The Gift of the Land and the Fate of the Canaanites in Jewish Thought, Oxford 2014, 202–229. Kaniuk 2013: Y. Kaniuk, 1948. Roman, Berlin 22013. Kressel 1977: G. Kressel, Art. „Newspapers, Hebrew. Erez Israel Press“, in: EJ 12 (1977) 1053–1059. Küchler 2007: M. Küchler, Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV/2), Göttingen 2007. Küchler 2014: M. Küchler, Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV/2), Göttingen 22014.

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Matthias Morgenstern

Morgenstern 1990: M. Morgenstern, Religion und Politik in Israel – Tendenzen und Hintergründe, in: M. Morgenstern (Hrsg.), Kampf um den Staat. Religion und Nationalismus in Israel (Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten 18), Frankfurt a. M. 1990, 11–147. Morgenstern 1995: M. Morgenstern, Von Frankfurt nach Jerusalem. Isaac Breuer und die Geschichte des „Austrittsstreits“ in der deutsch-jüdischen Orthodoxie (SWALBI 52), Tübingen 1995. Morgenstern 2003: M. Morgenstern, Art. Abraham Ha-Kohen Kook, in: A. Kilcher/ O. ­Fraisser (Hrsg.), Lexikon jüdischer Philosophen, Köln 2003, 304–307. Levi 1988: A. Levi, The Ultra-Orthodox (hebr.), Jerusalem 1988. Perl 2005: N. Perl, Neqi’e Ha-Da’at, Jerusalem 5765 (= 2005). Sacharja 1998: S. Sacharja, Das unbekannte Jerusalem. Aus der Geschichte der jüdischen Siedlung in der Jerusalemer Altstadt in jüngerer Zeit (‫ירושלםים הבלתי נודעת פרקים בתו�ל‬ ‫)דות היישוב היהודי בעיר העתיקה בדורות האחרונים‬, Jerusalem 1998. Segev 2005: T. Segev, Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2005. Sparr 2018: T. Sparr, Grunewald im Orient. Das deutsch-jüdische Jerusalem, Berlin 2018. St. John 1985: R. St. John, Die Sprache der Propheten. Die Lebensgeschichte des Elieser Ben-Jehuda, des Schöpfers der neuhebräischen Sprache, Gerlingen 1985.

Stellenregister Altes Testament (MT und LXX) Gen 1,11: 149 1,12: 149 1,24: 149 1,27: 410, 460 1,28: 460 2,21–22: 149 2,23: 410 2,24: 460 3,1: 300 3,5: 409 3,6: 409 3,7: 405, 408–410 3,20: 149 4,1: 149 9,20–25: 457 12,2–3: 204 14,18–20: 134 17,1–22: 410 19,3: 362 26,30: 362 27,27 LXX: 415 28,19: 415 37,9: 298 37,9–11: 299 38: 213 39: 364 40,10: 155 42,29: 417 49,2: 417 49,9: 155

Ex 3,1–15: 156 10,9: 464 14: 300 15,20: 426 19,4: 300–301, 308 21,10: 414 28: 155 32: 126 37,18: 155 Num 16,30–33: 490 17,16–26: 156 17,23: 155 20,2: 417 Lev 18: 458 18,3: 457 18,22: 457 18,24: 457 18,25: 457 18,27: 457 18,30: 457 20: 458 20,13: 457 23,40: 158, 166, 168 29,4: 176 Dtn 4,15–19: 143 6,4: 188 6,9: 537

23,18: 457 32,6: 175 32,11: 300–301 33,2: 298 33,4–5: 537 Jos 2: 213 2,23: 417 6: 213 6,21: 464 10,1: 134 10,3: 134 17,11: 29 Ri 1,27–32: 29 4,4: 426 8,7–15: 191 13,1–25: 410 17–18: 127 Rut 1–4: 213 1 Sam 2,1–10: 444 4,4: 125 7,5: 417 16,14–23: 24 31,8–13: 29

562 2 Sam 6,2: 125 7: 204 11: 140 11–12: 213 23,1–7: 153 23,30: 156 24,26–24: 140 1 Kön 2,33: 210 3,2: 346 5,9–14: 335 5,22–25: 381 5,29–34: 335 6: 141 6–7: 125, 131, 142 6,16–17: 125 6,23–24: 142 6,23–28: 133, 142 6,25–27: 142 6,27: 142 7,5: 417 7,12: 155 8,1–9: 125 8,6–9: 142 8,13: 142 8,53: 134 10,7–8: 336 12,28: 126 12,28–32: 126 14,24: 457 2 Kön 5: 386 6,24: 417 9,30: 348 17,21–23: 126 19,15: 125 22,14: 426 23,7: 457

Stellenregister

3 Kön LXX 6,16–17: 125 8,53: 134 1 Chr 12,28: 477 13,6: 125 14,17: 366 16,35: 417 20,2: 156 2 Chr 3–4: 125, 142 3,10–13: 133 4,5: 155 14,14: 412 17,10: 366 19,7: 366 34,22: 426 1 Esr LXX 5,8: 412 2 Esr LXX 2,1: 412 Neh 2,6: 364 6,14: 426 7,6: 412 8: 365 8,10–12: 360–361 8,15: 158, 168 Tob LXX 1,1: 183 7,12: 242 13,4: 183–184 13,5: 184 13,5–13: 214 13,6: 183–184 13,7: 184 13,15: 184 14,5–6: 214

Jdt LXX 11–13: 364 12,12: 414 13,11: 207 14,10: 369 15,12: 165 15,12–13: 165 Est 1: 356, 363 1–2: 357, 362 1–9: 362 1,2–4: 355 1,5 LXX: 367 1,5–8: 355 1,5–12: 356 1,9: 355, 357 1,11: 156 1,11 LXX: 367 1,13: 362, 364 2,7 LXX: 367 2,18: 355, 357 2,18 LXX: 367 3,8: 362 3,15: 355, 357, 362–363 4: 355 4,1: 366 4,3: 357–358 4,4–14: 358 4,13–14: 358 4,15–17: 358 4,16–17: 363 5: 356 5,3: 363 5,4–8: 355 5,12: 364 6: 358 6,6: 363 6,13: 417 7: 356, 364 7,1–9: 355 7,2: 363 8,3–8: 363 8,15: 156

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Altes Testament (MT und LXX)

8,15–17: 364–365 8,17: 355, 357–358, 362, 365 8,17 LXX: 366, 369 9: 357, 362 9,12: 363 9,17: 355, 357, 365 9,17–18: 365 9,17–18 LXX: 366 9,18: 355, 365 9,19: 355, 361 9,20: 365 9,22: 360, 361, 365 9,22 LXX: 366 9,31: 363 10,3 LXX: 367 A,1–11 LXX: 366 A,6 LXX: 366 A,12–17 LXX: 367: C,10 LXX: 366 C,26–28 LXX: 360 C,28 LXX: 359 E,22 LXX: 366 F,1–10 LXX: 366 1 Makk LXX 2,66: 477 3,11: 418 3,13: 417 3,40: 416 3,42: 417 3,44: 417 3,48: 417 3,57: 416 4,3: 416–417 4,9–11: 420 4,11: 417–418 4,26: 417 5,25: 417 9,28: 417 11,1: 417 11,51: 412 11,60: 417 13,2: 417

14,11: 183 14,30: 417 2 Makk LXX 6,1–7: 161 10,7: 165 3 Makk LXX 1,20: 417 2,2: 163, 164 2,8: 164 2,29: 163 5,7: 164 5,18: 414 6,2: 164, 183 6,2–15: 183 6,3: 183 6,8: 183 6,18: 164 6,25: 417 6,28: 164 6,30: 163–164 6,33: 163 6,35: 163 7,12: 164 7,12–15: 163 7,14: 164 7,16: 163 Ijob 1,4: 362 7,12: 300 15,30: 155 30,12: 155 31,36: 157 40,25: 300 40,29: 298 42,11: 417 Ps 2,7: 242 2,9: 299–300 7,16: 362 8,6 LXX: 299

9,16: 362 11: 130 11,4: 129 11,7: 128 15,2: 298 17: 129 17,1–2: 129 17,2: 129, 130 17,2b: 130 17,3–5: 129 17,4: 130 17,4b: 130 17,5: 128 17,6–8: 129 17,8: 129 17,8b: 130, 131 17,9–12: 129 17,13–14: 129 17,15: 129, 130 17,15a: 130 17,15b: 130 21,4: 156 24,7: 128 24,9: 128 27,4: 128 27,13: 128 29: 142 35,7–8: 362 42,3: 128 47,7 LXX: 272 48,7: 272 55,16: 490 57,7: 362 63,3: 128 68,25–26: 128 73,13 LXX: 300 73,14 LXX: 300 74,13: 300 74,13–14: 300 74,14: 300 80,2: 125 84,8: 128 93: 142 99,1: 125

564 103,2 LXX: 298 103,26 LXX: 298 104,2: 298 104,26: 298 110,4: 134 132,17: 153 144,12: 156 Spr 5,19 LXX: 414 7,21: 414 9: 365 15,12: 414 16,18: 364 23,31: 414 26,27: 362 28,10: 362 28,18: 362 31,1–5: 363 Hld 3,1: 157 Weish LXX 3,8: 180 6,4: 180 8,18: 414 11,10: 184–185 Sir Prol LXX 1: 416 8–10: 416 24–25: 416 Sir LXX 11,20: 414 27,26: 362 28,2: 178 45,6–22: 153 50,1–21: 153 50,6–10: 154 50,10: 151 51,1: 183 51,10: 183

Stellenregister

Jes 1,8: 299 6,1: 142 6,9–10: 441 7,14 LXX: 206, 300 8,3: 426 8,8: 207 8,10: 207 8,23: 211 10,32: 299 11,6–7: 25 13,8: 272 14,4–23: 318 16,1: 299 20,4: 464 21,3: 272 23,1–3: 381 23,6–9: 381 24: 185 26,17: 272 26,19: 129 27,1: 300 28,1–5: 157 33,17–22: 185 37,3: 272 37,16: 125 40,30–31: 477 40,31: 300–301 42,6–7 LXX: 257 43,5–6: 214 47,8: 275 49,9 LXX: 257 49,18: 299 49,21–22: 299 50,1: 299 51,9: 300 51,10: 300 54,1–6: 299 57,13: 276 57,15: 276 59,17: 273, 275 59,17–18: 275 59,18: 275 60,1–22: 209

60,6 LXX: 209 61,1–2: 442, 449 64,7: 175 65,25: 25 66,7: 270, 272, 275, 300 66,7–8: 300 Jer 3,6–10: 299 4,30: 348 6,14–15: 275 6,24: 272 8,21: 272 13,21: 272 18,21: 417 22,23: 272 23,5: 153 27,43: 272 28,34 LXX: 300 33,15: 153 38,34 LXX: 475 50,43: 272 51,34: 300 Bar 4,37: 214 Ez 8,17: 318 9,6: 464 13,10–11: 275 13,17: 426 14,4: 318 16,3: 140 17: 191 17,8: 155 17,23: 155 18,31: 318 19,6: 155 20,9: 475 23,40: 348 26,17: 318 27,17: 381 28,3–5: 318

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Neues Testament

29,3: 300 32,2: 300 33,25: 318 36,22: 475 36,23: 418 36,24: 417 36,36: 418 37,28: 418 39,7: 418 39,23: 418 Dan 2: 185, 317 7: 185 7,7: 300 8,10: 300 8,10–12: 300 8,16: 442 9,21: 442 11,16: 550 11,41: 550 20,24: 300 Hos 2,4: 348 2,4 LXX: 348

2,20: 25 4,5: 299 8,4–7: 127 8,5–6: 127 8,6: 127 10,5: 127 10,5–6: 127 11,9: 156 13,1–3: 127 13,2: 127 13,13: 272 14,9: 156 Joël 2,28: 426 3,1: 426 3,5: 446 4,4–8: 381 Am 4,4–5: 318 6,4–6: 230 8,13–14: 127

Mi 4,9: 272 5,1: 208 5,3: 208 Zef 2,15: 275 Sach 2,11: 299 2,14: 299 4,1–14: 151 4,1–16: 168 4,2–3: 155 6,11: 156 6,11–12: 155, 168 6,14: 156 8,7: 214 8,23: 214 9,1–4: 381 9,9: 299 14: 185 14,21: 254 Mal 2,10: 175

Neues Testament Mt 1: 204 1,3: 213 1,5–6: 213 1,21: 208 1,23: 207, 219, 300 2: 204, 205 2,2: 202, 205, 217 2,3: 210 2,6: 208 2,11: 209, 217 2,12: 205 2,22: 210

3,2: 184 3,7: 179 3,8: 175 3,8–9: 213 3,9: 175, 214 3,10: 175, 190 3,12: 175, 179, 190 4,13: 211 4,17: 184 5,1: 217 5,9: 182 5,21–22: 179 5,33–37: 181

5,35: 181, 183 5,45: 182, 187 6,1–18: 183 6,14–15: 183 6,26: 183 6,32: 183 7,11: 183, 187 7,15: 192 7,16–20: 190 7,17–19: 176 8,5–13: 211, 213, 216, 218, 386 8,7: 208

566 8,11: 213 8,11–12: 174, 185, 187, 214, 215 8,12–13: 182 10,1–16: 232 10,2: 232 10,5: 208 10,5–6: 215, 216 10,16: 192 10,23: 216, 219 10,29: 183 10,37: 407 10,40: 218 11,7–10: 192 11,12: 194 11,16–19: 177 12,33–37: 176, 179, 190 12,34: 179, 192 13,24–30: 179, 182 13,36–43: 182, 190 13,38: 182 13,43: 182 15,21: 208 15,21–28: 216, 218, 386 15,22: 212 15,28: 394 16,17–19: 243 16,18: 241 17,24–27: 182, 183, 187 18,3: 187 18,20–35: 185 18,23: 185 18,23–35: 181, 185 18,25: 181, 185 18,27: 181, 185 18,31: 185 18,32: 181, 185 18,34: 181, 185 19,28: 182 21,8: 165 21,10: 210 21,11: 210 21,28–32: 177 21,32: 177

Stellenregister

21,43: 215 21,46: 210 22,1–10: 181, 215 22,1–14: 185–186 22,7: 181, 185 23,12: 376 23,37: 210 24,42: 206 25: 185 25,13: 206 25,14–30: 181, 184 25,16: 181 25,31–46: 212 26,29: 182 27,3–10: 243 27,11: 205 27,22: 210 27,25: 210, 215 27,29: 205 27,37: 205 28,16: 217 28,16–20: 205, 212–213, 216, 218, 221–222 28,17: 217 28,18: 205 28,19: 215–216, 218 28,20: 205, 207, 217, 219 Mk 1,13: 375 1,16–20: 243 1,23–28: 383, 387 1,29–31: 375–376, 383, 386 1,31: 375 1,35–38: 380, 383 1,45: 380 2,4: 398, 414–415 2,5: 394 3,7–10: 382, 389 3,8: 374, 383, 389 3,10: 389 3,14: 231–232 3,35: 375

4,3–9: 179, 190 4,13–20: 190 4,14: 195 4,15: 195 4,16: 195 4,17: 195 4,18: 195 4,19: 195 4,20: 195 4,26–29: 179, 194 4,27: 194 4,28–29: 195 4,29: 194–195 4,30–32: 179, 190 5,1–20: 387, 389–390, 401 5,2–5: 383 5,15: 390 5,21–43: 375, 387 5,22: 375 5,23: 383 5,25: 383 5,25–34: 375, 387 5,33: 375, 383 5,34: 394 5,36: 385, 394 5,39: 385 5,39–41: 397 6,7: 232 6,7–13: 232 6,14–29: 375 6,21–29: 363 6,30: 232 6,30–33: 380 6,35–44: 378, 400–401 6,42–43: 400 6,43: 400 6,45–52: 379 6,53–56: 379 7,1–15: 379 7,1–23: 379, 401 7,17–23: 379 7,24: 379–380, 383 7,24–30: 373–404

567

Neues Testament

7,25: 374, 383, 387, 395– 396 7,25–26: 380, 383 7,26: 382–383, 390, 396 7,27: 380, 387–388–389, 392–393, 395–396, 398, 400 7,27–29: 380 7,28: 380, 385, 391–393, 396–399 7,29: 380, 385, 394, 396 7,30: 377, 380, 382–383, 395–399 7,31: 379, 389 7,31–37: 379, 401 8,1–9: 378–379, 401 8,10: 379 8,22–26: 379 8,22–10,52: 376–377, 379 8,27: 379 9,14–29: 383, 387 9,23–24: 394 10,1: 389 10,29: 393 10,31: 377 10,46–52: 375 10,47: 374 10,52: 394 11,1: 389 11,8: 165 11,9: 186 11,25: 178 12,13–17: 187 12,30: 188 12,33: 188 12,41–44: 375 13,10: 400–401 13,25: 300 13,28–29: 190 14,3–9: 376 14,10: 376 14,25: 187 15,2: 186

15,26: 186 15,40–41: 375–376 16,1: 406 16,1–8: 375 Lk 1–2: 447 1,1: 441 1,1–4: 441 1,2: 446–447 1,3: 414 1,4: 448 1,5: 443 1,5–23: 411 1,5–25: 410 1,5–38: 407 1,6: 443 1,13: 411, 443 1,15: 443 1,17: 442 1,18: 443 1,25: 443 1,26: 444 1,27: 411, 444 1,28: 444 1,32: 442, 444 1,34: 444 1,35: 442, 444 1,36: 443 1,38: 444 1,39: 414, 443 1,39–45: 411 1,40: 411 1,41: 443 1,43: 443 1,46–55: 444 1,48: 444 1,51–53: 444 1,52–53: 444 1,54: 444 1,55: 444 1,57–66: 443 1,57–67: 411 1,60: 411–412

1,67–79: 443 1,68–74: 419 1,68–79: 420 1,71: 419 1,74: 419 1,76: 411, 443 1,80: 443 2,1–2: 415 2,4: 411 2,11: 442 2,16: 411 2,21–35: 445 2,25–38: 411 2,29–35: 411 2,36–38: 426, 444 2,37: 445 2,38: 441, 445 2,41: 413 2,44–45: 413 2,45: 412–413 2,46: 413 2,48: 411–413 2,49: 413 2,51: 412 3,1–20: 443 3,23: 411 3,38: 409 4,16–30: 449 4,18–19: 442 4,21: 442 4,25–27: 411 4,41: 449 5,1: 441 5,1–11: 243 5,6: 406 5,7: 406 5,9: 406 5,10: 406 5,11: 406 5,19: 414 5,27–28: 406 5,30: 406 6,1: 406 6,12: 406

568 6,13: 231–232, 406 6,14: 406 6,16: 232 6,17: 406 6,35: 187 6,43–45: 179 7,1–10: 386 7,11–17: 411 7,24–28: 443 7,24–30: 444 8,1–3: 407, 411 8,2–3: 406 8,11: 441 8,28: 449 8,40–56: 411 9,1–6: 232 9,14: 406 9,19: 442 9,54: 406 10,18: 180 11,1: 177 11,2: 181 11,4: 178, 180 11,20: 180, 194 11,27: 345 11,27–28: 446 11,28: 441 12,16–21: 179 12,32: 182 13,6–9: 175, 193 13,8–9: 178 13,16: 411 13,28–29: 182, 185 13,32: 192 14,11: 376 14,15: 187 14,16–24: 181, 185, 187 14,26: 407 14,31: 184 15,3–10: 407 15,4–10: 411 15,22: 177 15,24: 177 15,32: 177

Stellenregister

16,19–31: 392 16,21: 392 18,14: 376 19,9: 411 19,12–27: 181, 184, 186 19,13: 181 19,37: 406 20,3–8: 444 21: 441 22,11: 406 22,14: 406 22,29: 182 22,39: 406 22,45: 406 22,47: 406, 415 22,49: 406 23,49: 407 23,55: 407 24,1–12: 420 24,9: 406–407 24,10: 406, 408 24,13: 406–407, 413, 417 24,13–35: 405–422 24,14: 417 24,16: 417, 419 24,18: 405, 408 24,19: 406, 408, 412, 414 24,19–21: 418 24,21: 406, 408, 413– 414, 417–419 24,21–24: 408 24,22: 408 24,23–24: 413 24,24: 406 24,26: 410–411, 413 24,27: 405, 410–411, 417 24,31: 405, 408–410, 417 24,32: 409 24,33: 406–407, 411– 413, 417 24,35: 409 24,36: 406–407 24,36–53: 420

24,44: 407, 413, 416, 441 24,51: 406 24,52: 406 24,53: 412 Joh 1,12: 475 1,18: 228, 241 1,35: 244 1,35–42: 243 1,37: 234 1,42: 234 1,43: 234 1,45: 232 1,45–46: 234 2,4: 259 2,10: 255 2,13–22: 254 2,14–16: 254 2,16: 254 2,18: 254 2,19: 254 2,21: 255 3,1–36: 232 3,2: 234 3,6: 478 3,16: 478 3,31: 478 4,1: 234 4,4–42: 259 4,7: 234, 259 4,10: 259 4,14: 259 4,20: 464 4,23: 259 4,23–24: 259 4,27: 259 4,34: 259 4,40: 234 4,42: 259 4,46–54: 386 5,24: 257 5,25: 257 5,26: 258

569

Neues Testament

5,28–29: 257 6: 259 6,1–13: 259 6,5–10: 234 6,7–8: 243 6,13: 233 6,14: 233 6,14–15: 259 6,15–16: 259 6,16–17: 259 6,18–21: 259 6,31: 464 6,37: 233–234 6,38: 233 6,39: 233, 235, 244 6,49: 464 6,58: 464 6,60: 234 6,66: 233–234 6,70: 233–234, 476 6,71: 232, 234 7,3: 234 7,22: 464 7,37–39: 259 7,38: 259 7,39: 259 7,50–52: 232 8,23: 478 8,31: 234 8,44: 476, 478 9,34: 233 10,1–18: 242 11: 256 11,1–2: 256 11,1–44: 256 11,2: 258 11,4: 257 11,38–41: 257 11,39: 257 11,40: 257 11,42: 257 12,1–8: 232, 256 12,7: 256 12,13: 165

12,21–22: 234 12,22: 243 12,23: 259 12,27–33: 259 12,31: 235, 476 12,31–32: 244 12,32: 234 13: 231 13,2: 229, 234–235, 243, 476 13,4: 235 13,4–12: 230 13,6: 239, 241 13,12–15: 239 13,16: 232 13,18: 230, 233 13,21: 227 13,21–30: 227, 229, 235, 238, 240–241 13,23: 227–228, 229– 231, 238, 242 13,23–26: 242 13,24: 227, 238 13,25: 228, 230, 238 13,25–26: 228 13,26–27: 227, 238 13,27: 234, 243, 476 13,28: 231 13,30: 231 13,31–14,31: 233 13,31–17,26: 259 13,33: 466 14,4: 244 14,5: 233 14,8: 233 14,9: 476 14,22: 232–233 14,26: 261, 262 14,30: 476 15,1–8: 190 15,16: 233 15,18: 233 16,11: 476 17,12: 235, 243

17,14: 478 17,21: 228 18,3: 243 18,17: 244 18,18: 244 18,25: 244 18,28–19,16: 259 19,25: 405 19,26–27: 242 19,28: 259 19,28–30: 259 19,35: 259 19,38: 232 19,40: 257 20,1: 257 20,5–7: 257 20,5–10: 263 20,8: 263 20,16: 260 20,17–18: 232 20,19: 415 20,19–23: 244 20,23: 475 20,24: 232, 234 20,24–29: 234, 244, 263 20,28: 260 21: 242 21,1: 232 21,1–14: 263 21,2: 231–232, 243–244 21,7: 243 21,9: 244 21,15–23: 242 21,24: 242 Apg 1,1: 446 1,2: 406, 446 1,5: 446 1,8: 446 1,12: 412 1,12–14: 407, 446 1,13: 232, 406 1,13–14: 407, 411

570 1,14: 407, 446 1,15: 407, 411 1,15–20: 244 1,16: 411 1,26: 406 2,4: 446 2,14: 406 2,17–18: 447 2,17–21: 426 2,37: 406 2,42: 406 2,43: 406 3,10: 417 3,15: 413 4,8: 446 4,31: 441 4,33: 406 4,35: 406 4,36: 406 4,37: 406 5,1–11: 412, 446 5,2: 406 5,12: 406 5,14: 446 5,18: 406 5,29: 406 5,40: 406 5,40–42: 406 6,1: 406 6,2: 406, 441 6,7: 441 7,46: 441 8,2: 446 8,9–12: 448 8,14: 441 8,25: 441 9,2: 446 9,36: 407, 446 9,38: 407 9,40: 446 11,1: 441 11,5: 407 12,12: 446 12,13: 446

Stellenregister

12,20: 155 12,24: 441 12,25: 412 13,5: 441 13,7: 441 13,44: 441 13,46: 389 13,48: 441 13,49: 441 14,8–18: 448 15,35: 441 15,36: 441 16,14: 446 16,16: 448 16,16–40: 448 16,17: 449 16,18: 448, 449 16,19: 448 16,20–21: 449 16,32: 441 17,4: 446 17,12: 446, 448 17,13: 441 17,34: 446 18: 389 18,1: 446 18,2: 290, 412 18,11: 441 18,18: 446, 448 18,18–26: 412 18,24–27: 447 18,25: 447–448 18,26: 446, 448 18,28: 448 19,10: 441 19,18–20: 448 19,21: 290 20,35: 441 21,9: 426, 446–447 21,12–15: 447 22,4: 446 28,25–27: 441

Röm 1: 458 1,16: 388–389, 397 1,26: 457 1,26–27: 457, 459 1,27: 457 2,1–16: 290 2,3: 290 2,9: 389 9–11: 215, 222 9,6b: 215, 222 10,13: 446 13,1–7: 290 13,11–14: 290 13,12: 290 13,13–14: 290 16,1–5a: 463 16,3: 412 1 Kor 6: 458 6,9: 457, 459 7: 459, 461 7,2: 459 7,3–4: 459 7,3–6: 458–459, 461 7,5: 459–460 7,6–7: 460 7,9: 459 9,25: 299 11: 459 11,2–16: 459, 463 11,5: 426, 447 12: 473 13,7: 458 14,3: 446, 448 14,33b–36: 373 15,5: 235 15,7: 232 16,19: 412 Gal 3,28: 463, 473

571

Neues Testament

Eph 5,19: 339 5,22–6,9: 471 6,1–2: 471 6,4: 471 6,9: 473 6,10: 471 6,10–17: 471 Phil 3,1: 273 4,1: 273 Kol 3,16: 339 3,18: 473 3,18–4,1: 471 3,19: 473 3,20: 471, 473 3,21: 471, 473 3,22–25: 473 3,23–24: 473 4,1: 473 1 Thess 1,1: 275 1,2: 275 2,2: 476 2,11–12: 474 5: 271 5,1: 271 5,2: 270 5,2–11: 290 5,3: 267–268, 270, 272– 273, 276, 289–290 5,4: 271 5,4–5: 270 5,5: 271, 272 5,6–8: 271 5,8: 270, 275 5,13: 275 5,13–14: 275 5,14: 275, 276 5,17–18: 275

5,23: 275 5,28: 275 1 Tim 1: 458 1,10: 457 2 Tim 4,8: 299 Tit 2,2: 470 2,2–8: 470 2,3: 470 2,4–5: 470 2,6–8: 470 Hebr 5,12–13: 346 13,14: 559 Jak 1,12: 299 1 Petr 2,2: 345–346 2,18–3,7: 471 5,1: 470 5,4: 299 5,5: 470 Jak 1,10–11: 190 5,12: 181 1 Joh 1,1: 475 1,1–4: 465, 474 1,7: 475 1,9: 475 1,13: 475 2,1: 465–466, 474–475 2,1–2: 475 2,5: 476

2,7: 465, 475 2,8: 465, 475, 478 2,12: 466, 475 2,12–13: 465 2,12–14: 463–483 2,13: 464–465, 476– 477 2,13–14: 476 2,14: 464–466, 474, 476 2,15–17: 477–478 2,16: 478 2,17: 478 2,18: 466, 474, 478 2,20: 477 2,21: 465, 475, 478 2,24: 475 2,26: 465, 475 2,27: 477 2,28: 466, 474 3,1: 466, 474, 477 3,2: 466 3,5: 475 3,7: 466, 474 3,8: 476 3,10: 466, 476 3,11: 475 3,12: 476 3,17: 478 3,18: 466 3,19: 478 3,23: 475 4,4: 466, 474, 478 4,5: 478 4,11–12: 478 5,2: 466 5,4–5: 476 5,13: 465, 475 5,16: 475 5,18: 476 5,19: 478 5,21: 466, 474

572 2 Joh 1: 466 4: 466 13: 466 3 Joh 4: 466 Offb 1,9: 305 1,16: 320 1,20: 320 2,1: 320 2,10: 299 2,17: 476 2,18–28: 426 2,20: 323, 445 3,1: 320 3,11: 299

Stellenregister

6,2: 299, 476 11,2: 298 11,3: 298 12: 295–333 12,1: 297–299, 308 12,1–2: 297, 300 12,1–6: 297, 310 12,2: 297, 309 12,3: 297, 300 12,4: 297 12,5: 297, 299–300, 314 12,7: 323 12,7–9: 297, 310 12,7–12: 297 12,9: 297, 300, 323 12,10–12: 297 12,11: 476 12,13–18: 297, 310 12,14: 300, 302, 308, 314

12,14–15: 310, 314 12,15: 298 12,16: 298, 310 12,17: 298–299 13,5: 298 14,8: 323 17: 322 17–18: 323 17,4: 322 18,3: 322 18,11–14: 322 18,13–14: 322 19,15: 299 20: 314 20,7–9: 314 21: 323 21,11: 322 21,14: 232 21,18–21: 322

Weitere antike Quellentexte 1 Clem 23,4: 191

Act. Joh. 98–100: 341

App. civ. 5,130 (13): 269

1 Hen 57,1: 214

Aischyl. Prom. 936: 272

App. Lib. 85: 273

4 Esra 9,26–10,59: 299

Anth. Gr. 5,300: 273 7,358: 272 7,630: 273 11,326: 273 12,33: 273 12,160,5–6: 272 12,193: 273 12,229: 273 12,229,1–2: 272 12,251,3: 272–273

Apul. met. 9,2,1: 306 9,2,3: 306 9,3,4: 306 9,4,5: 306 9,5,3: 306

Apollod. 3,126: 272 3,127: 272

Aristot. mund. 7 (401b): 272

1QM 12,7: 180 12,8: 180 4Q403 3: 180 5: 180 7: 180 8: 180 14: 180 31: 180 32: 180

Aristeid. 69: 268 100: 268 104: 268

573

Weitere antike Quellentexte

Aristot. pol. 1253b 4–11: 471

16,26,2–4: 430

AssMos 4,2: 180 10,1: 180 10,8: 314

63,20,5: 318 65,7,2: 277 68,15,3–6: 240 68,32,1–3: 279 70,3,1–2: 279 72,9,3–6: 279 73,4,6: 279

Barn 19,5: 473 19,7: 473

Catull. 50,20–21: 272 66,71–74: 273

Dion Chrys. 32,52: 268 33,48: 459

bBer 11b: 183

Cic. ad Brut. 20,2: 468

bJYev 63b: 460 76a: 457

Cic. fam. 1,10[9],20: 240

Dion. Hal. ant. 1,46,4: 468 1,48,2: 468 1,64,5: 470 1,70,4: 470 2,25,4–5: 472 2,26,1: 472 2,26,1–27,2: 467 2,26,4: 472

bNed 51a: 457, 460 bQid 82a: 457 bSan 23a: 546 54a: 457 58a: 460 bShab 63a: 551 bSuk 3: 158, 168 5: 158, 168 Cass. Dio 44,49,2: 183 57,18,5a: 278, 285 58,28,1–2: 318 59,27,3: 283 60,6,6: 276, 278, 280– 282, 285

Cic. inv. 2,66: 468 Cic. leg. 1,1,5: 424 Cic. off. 2,45: 468 2,87: 472

Diog. Laert. 1,78: 272 4,19: 243 4,21: 243 4,22: 243

Epikt. dissertationes 2,14,8: 472 Epiphanius, Panarion 23,6: 405, 408

Cic. Pis. 66–67: 231

Eur. Phoen. 638–652: 167

Cod. Iust. 1,11,2: 432

Eus. HE 3,31: 447 3,39: 447 5,24: 447

Cod. Theod. 16,10,9: 432 Did 4,9–11: 473 Diod. 1,21–22: 312 1,88,4: 308 1,88,4–7: 312

EvPe 60: 243 Flor. epit. 2,19,1: 268

574 Gellius 10,15,21: 236 10,28,1–2: 467 13,11,2: 231 13,11,3: 231 Hdt. 1 praef. 1–3: 441 1 praef. 2–3: 423 1 praef. 3: 423 1,5,11: 438 1,7–14: 438 1,8,7–8: 439 1,9,1: 439 1,13: 435, 439 1,13,1: 439 1,13,1–2: 439 1,13,2: 429, 432, 439 1,13,3–7: 439 1,13,7: 439 1,13,8–9: 440 1,14: 440 1,15,1: 440 1,19: 435, 439 1,19,3: 432 1,22: 439 1,26–92: 438 1,31,2: 433 1,34,1: 272 1,46–54: 435 1,47,2: 432 1,48,1: 432 1,55: 435 1,55,1: 432 1,65: 435 1,65,2: 432 1,65,4: 432 1,66: 435 1,66,2: 432 1,67: 435 1,67,2: 432 1,67,3: 432 1,85,2: 432 1,87–91: 428

Stellenregister

1,90: 435 1,91: 440 1,91,1: 432 1,91,6: 432 1,167: 435 1,167,2: 432 1,167,4: 432 1,174: 436 1,174,5: 432 1,174,6: 432 1,175: 433 2,54: 433 2,55,3: 433 2,156: 314 2,171: 433 2,182: 433 3,8: 161 3,27–38: 439 3,38: 437 3,38,20: 439 3,57,3: 432 3,58,2: 432 4,8–10: 433 4,15,3: 432 4,33,3: 433 4,35,1: 433 4,150–152: 437 4,150,3: 432 4,151,1: 432 4,155,2: 432 4,155,3: 432 4,156,2: 432 4,157,2: 432 4,159,2: 432 4,161,2: 432 4,163,2: 432 4,164,1: 432 4,164,3: 432 5,2: 438 5,43: 432 5,63: 435 5,63,1: 432 5,63,1–3: 436 5,66,1: 432

5,67,2: 432 5,72: 433, 435 5,78: 436 5,79,1: 432 5,79–81: 436 5,82,1: 432 5,82,2: 432 5,89: 436 5,90,1: 432 5,92: 432, 438 6,19: 436 6,34,2: 432 6,36,1: 432 6,52: 438 6,52,5: 432 6,66: 434–435 6,66,2: 432, 434 6,66,3: 432 6,75,3: 432 6,75,17–18: 436 6,77,2: 432 6,84,15–17: 436 6,86,2: 432 6,86γ1: 432 6,134: 433, 435 6,135: 438 7,111: 433 7,139–144: 437 7,140: 436 7,140,1: 432 7,140,4: 434 7,140,5: 436 7,140,5–6: 436 7,141: 435 7,142: 436 7,142,2: 432 7,143–144: 436 7,148–152: 436 7,148,3: 432 7,169–171: 436 7,169,2: 432 7,171,2: 432 7,178: 436 7,189: 436

575

Weitere antike Quellentexte

7,191–192: 436 7,220: 436 7,220,3: 432 8,13: 436 8,51,2: 432 8,114,1–2: 436 8,133: 437 9,33: 436 9,33,2: 432 9,35: 436 9,62–65: 436 9,108–112: 363 Hen(aeth) 1–36: 353 Hen(sl) 21,6: 299 30,3–6: 299 Herakl B 14: 159 Hes. fr. 226: 429 Hes. theog. 223–224: 271 Hom. hymn. 3: 428 3,247–253: 428 3,281–374: 428 Hom. Il. 2,408: 196 9,222–223: 239 Hor. carm. 3,14,14–16: 268 4,15,17: 268 4,15,19: 268

Hyg. astr. 2,8: 272 Hyg. fab. 140: 312 Iren. haer. 5,30,3: 315 Isokr. or. 10,59: 272 Iuv. 5,15–18: 236 jBik 3,2: 152 JosAs 5,5: 298 5,6: 298 Jos. A.J. 2,266: 156 3,159–178: 155 3,172–178: 155 3,345: 158 4,47: 195 4,65: 156 4,223: 187 8,136: 158 8,141: 381 10,278: 195 10,280: 195 12,75: 158 12,78–82: 158 14,9–10: 204 14,156–157: 268 14,160: 183, 268 14,247: 268 15,344–348: 268 15,348: 183 17,219–220: 184 17,272: 186

17,277: 186 17,299–314: 184 18,81–84: 279 18,165: 281 18,257–258: 283 19,236–246: 281 19,264–266: 281 19,274–275: 281 19,277: 281 19,277–292: 281 19,361: 281 Jos. B.J. 1,123: 204 2,56: 186 4,94: 268 4,120: 268 4,596: 268 7,123: 316 7,157: 322–323 7,157–162: 322 7,158: 323 7,158–162: 323 7,159–160: 323 7,161: 323 14,214–216: 278 Jos. c. Ap. 1,70: 381 2,53–54: 163 2,199–206: 472 2,215: 472 jSot 9,16: 152 Kall. fr. 194.26: 429 Kall. h. 6,56: 273 Lucan. 5,233: 273

576 Lucius Annaeus ­Cornutus 13,7: 272 Lukian. de Syria Dea 32: 305–306 Lukian. Dialogi Deorum 15[13],1: 236 Lukian. Toxaris 22: 242 Macr. Sat. 1,22: 273 Mart. 9,70,7–8: 268 Mart. Cap. 1,75: 303 Mesomedes Hymnus ad Nemesim 12: 272 Midrasch Ester Rabba 9,4: 358 mKet 5,6: 460 mQid 4,13: 457 4,15: 457 mSan 7,4: 457 mYev 6,6: 460

Stellenregister

Od. Sal. 1: 337 1,1: 342 3: 337 3,3–5: 344 3,7: 344 4,10: 345 5,12: 342 6,1–2: 342 7,14a: 347 7,20a: 349 8,16: 345 9,8–11a: 347 10,1–6: 347 10,1b: 347 10,6a: 347 11: 337 11,12b–13: 342 11,23a: 349 12,2: 342 13: 348, 349 13,1–4: 347 13,3a: 347, 348 14,1: 342 17: 337 17,8–11: 347 18,6a: 347 18,11: 342 19: 337, 345 19,1–5: 345 19,6–11: 345 22,1–5: 347 23: 340, 344 23,5–6: 340 23,11: 340 23,11–12: 340 23,17: 344 23,21–22: 344 25: 347 26,12b–13: 342 27: 336, 340–341 28,1–2: 342 28,6: 347 29: 341

29,4: 347 29,7b: 347 29,10: 342 31,11: 342 34,4–5: 346 35,5: 345 38: 347 38,1a: 342 39: 341 39,7a–b: 341 39,8: 341 40,1: 345 40,1–2: 342 42: 340, 347 42,1a–2a: 341 42,7b–9: 342 Origenes, Contra ­Celsum 2,62,68: 408 Ov. fast. 5,563–566: 469 Ov. met. 14,694: 273 Ov. trist. 5,8,9: 272 Paus. 1,8,2: 320 1,33,2: 272 1,33,7: 273 1,33,7–8: 272 4,31,8: 303 7,5,3: 271 9,16,2: 320 Petron. 57,2: 236 Philo Conf. 132: 288

577

Weitere antike Quellentexte

Philo Decal. 165–167: 472 166–167: 472 Philo Flacc. 26–40: 283 41: 283 41–42: 282 43: 278 43–47: 285 47: 278 53: 278 94: 287–288 103: 283 135: 288 Philo Her. 218–220: 165 289: 288 Philo Hypothetica 7,14: 472 Philo Jos. 57: 288 167: 288 Philo Legat. 11: 322 90: 288 113: 288 134–137: 282 137: 283 155: 279, 281, 288 155–158: 287 156–157: 278 160–161: 287 161: 279, 287, 288 179: 283 200–203: 283 201: 283 206: 287 281–283: 285 301: 287

305: 287 309: 287 311: 287 311–313: 278 312: 287 371: 278 Philo Mos. 2,179–180: 156, 165 Philo Plant. 4: 164 Philo Post. 118: 288 Philo Somn. 2,111–114: 299 2,127: 278 2,166: 288 Philo Spec. Leg. 4,84–85: 478

191e: 458 192b: 458 192c: 458 192d: 458 192e: 458 Plin. epist. 10,2,3: 268 10,33: 286 10,34: 286 10,92: 286 10,93: 286 10,96,5: 283 10,96,7: 286 10,97: 283 Plin. nat. 28,36(7): 272 36,60: 393 Plin. paneg. 94,2: 268

Pind. fr. 54: 428

Plut. Antonius 40,4: 268 59,1–4: 237

Plat. Gorg. 484b: 439

Plut. Brutus 34,8: 237

Plat. leg. 4,717c–d: 273

Plut. Cato Minor 37,7–10: 240

Plat. Mx. 239a–246a: 467 246a–247c: 467 246b: 467 246c–247c: 467 247b: 467 248e: 467

Plut. de laude ipsius 15: 470

Plat. symp. 189c–193d: 458 191d: 458

Plut. instituta laconica 15: 470 Plut. Is. 12–20: 312 22: 308 31: 308 32: 308

578 38: 314 43: 306 52: 306–307 Plut. mor. 218A: 183 238AB: 470 317C: 268 351–384C: 312 355D–358F: 312 359E: 308 363A: 308 364B: 308 366A: 314 368C: 306 372D: 306–307 404D: 431 414B: 428–429 544E: 470 619C–D: 237 671C–672C: 162 697C: 230 871D: 427 Plut. symp. 1,3: 237 4,6: 162 7 praef.: 230 Ps-Aristoteles, ­Oeconomicus 1,3,4–1,6,2: 472 Ps-Eratosthenes, ­Catasterismi 9: 301 Ps-Phokylides 175–227: 472 PsSal 2,25: 300 8,18: 268 11,2: 214

Stellenregister

17,1: 180 17,3: 180 17,24: 300 17,34: 180 17,46: 180 Quint. decl. 348,2: 268 Sall. Catil. 2,3: 274 Sen. clem. 1,19,8: 268 3,2,1–3: 472 Sen. dial. 2,10,2: 237 3,37,4: 237 Sen. epist. 73,5: 268 91,2: 268 91,5: 268 94,1: 472 108,22–23: 280 Serv. ecl. 4,10: 317 Sib 3,397: 300 3,400: 300 3,611: 314 3,767: 180 3,807: 180 5,512–531: 299 Sifra 9,8: 457 Soph. El. 792–793: 273 1467: 273

Stat. silv. 3,5,5: 273 Strab. 4,1,4: 303 9,3,5: 429 Suet. Aug. 70,1: 231 70,1–2: 317 94,4: 318 Suet. Cal. 1,2: 268 24,1: 237 24,2: 237 Suet. Claud. 25,2: 276 25,4: 276, 280 Suet. Dom. 3,1: 318 Suet. Galba 7,1: 268 Suet. Nero 25: 318 33,1: 290 Suet. Tib. 36: 280 Suet. Vesp. 4,5: 281 Tac. Agr. 3,1: 268 Tac. ann. 2,85,4: 280 3,44,4: 268 13,5,1: 290

579

Weitere antike Quellentexte

14,4,3: 237 14,4,4: 237 Tac. hist. 2,12: 268 2,12,2: 268 2,13: 268 2,21,2: 268 3,53,3: 268 4,73–74: 268 TestAbr 7: 299 TestXII.Ben 9,1: 180 9,2: 214 10,7: 180

TestXII.Naph 5,3: 299 5,3–4: 298 Theophr. h. plant. 2,1: 195 Thuk. 2,36: 467 2,37–41: 467 2,42–45: 467 Vell. 2,98,2: 268 2,103,5: 268 2,126,3: 268 Verg. Aen. 2,707–724: 468 4,351–355: 468

4,393: 468 4,598–599: 468 5,729–730: 468 6,679–694: 468 6,687–688: 468 6,695–696: 468 6,756–807: 468 6,771: 468 Verg. ecl. 4,4–6: 301, 322 Vitr. 6,5,1: 241 Xen. fr. 17: 159 Xen. mem. 1,3,1: 429

Autorinnen und Autoren

Veronika Bachmann (*1974), Dozentin am Religionspädagogischen Institut (RPI) Luzern und Lehrbeauftragte für Altes Testament an der Universität Luzern:  [email protected] Luc Devillers OP (*1954), Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Universität Freiburg (Schweiz): [email protected] Martin Ebner (*1956), Professor für die Exegese des Neuen Testaments an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: [email protected] Petra von Gemünden (*1957), Professorin für Biblische Theologie an der Universität Augsburg: [email protected] Margareta Gruber OSF (*1961), Professorin für Neues Testament und Biblische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, Koblenz: [email protected] Andrea Krogmann (*1977), Journalistin und Fotografin, ­Nahostkorrespondentin der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Jerusalem: [email protected] Peter Lampe (*1954), o. Professor für Neutestamentliche Theologie an der Universität Heidelberg, Honorarprofessor an der University of the Free State, ­Bloemfontein, Südafrika: [email protected] Michael Lattke (*1942), Emeritus Professor of New Testament and Early Christianity, The University of Queensland, Brisbane, Australia: [email protected] Markus Lau (*1977), Oberassistent für Neues Testament am Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz): [email protected]

582

Autorinnen und Autoren

Stephan Lauber (*1970), Professor für Altes Testament an der Theologischen Fakultät Fulda: [email protected] Florian Lippke (*1983), Diplomassistent für Altes Testament am Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz) und Kurator Vorderasien/Levante am BIBEL+ORIENT Museum der Universität Freiburg (Schweiz):  [email protected] Riccardo Lufrani OP (*1965), Professor of Moral Theology, LUMSA Rome (Italy): [email protected] James Maurice Morgan (*1965), Lecturer of Biblical Greek at the Université de Fribourg ([email protected]) and Professor of New Testament at the Haute école de théologie (St-Légier): [email protected] Matthias Morgenstern (*1959), Professor für Religionswissenschaft und Judaistik am Institutum Judaicum der Universität Tübingen:  [email protected] Ronny Reich (*1947), Professor for Classical Archaeology, University of Haifa, [email protected] Karl Matthias Schmidt (*1970), Professor für Bibelwissenschaft mit dem Schwerpunkt Neutestamentliche Exegese an der Justus-Liebig-Universität Gießen: [email protected] Stefan Schreiber (*1967), Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg:  [email protected] Thomas Schumacher (*1966), Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz): [email protected] Katja Soennecken (*1982), Archäologin und Theologin, von 2011–2017 Assistentin am Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem, Promotion im Fach Biblische Archäologie, seit 2009 Mitarbeit am Gadara-Region-Project: [email protected]

Autorinnen und Autoren

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Thomas Staubli (*1962), Oberassistent für Altes Testament am Departement für Biblische Studien der Universität Freiburg (Schweiz): [email protected] Gerd Theißen (*1943), Professor für Neutestamentliche Theologie 1978–1980 an der Universität Kopenhagen, 1980–2008 an der Universität Heidelberg:  [email protected] Dieter Vieweger (*1958), Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes, Jerusalem und Amman (DEI); Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel; Gastprofessor an der Privaten Universität Witten-Herdecke: [email protected] Wolfgang Zwickel (*1957), Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie, Evangelisch-Theologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität Mainz: [email protected]