Spiel mit Grenzen: Zur Geschlechterdifferenz in mittelhochdeutschen Verserzählungen 9783050060613, 9783050052670

Die kulturwissenschaftlich orientierte Studie untersucht die literarischen Konstruktionen von Geschlechterdifferenz in m

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Spiel mit Grenzen: Zur Geschlechterdifferenz in mittelhochdeutschen Verserzählungen
 9783050060613, 9783050052670

Table of contents :
NEU Juli 0.1 Inhaltsverzeichnis.pdf
NEU Juli 0.2 Vorwort
NEU Juli Kapitel 1
NEU Juli Kapitel 2
NEU Juli Kapitel 3
NEU Juli Kapitel 4
NEU Juli Kapitel 5
NEU Juli Kapitel 6
NEU Juli Kapitel 7

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Spiel mit Grenzen

Deutsche Literatur. Studien und Quellen Band 7 Herausgegeben von Beate Kellner und Claudia Stockinger

Andrea Schallenberg

Spiel mit Grenzen Zur Geschlechterdifferenz in mittelhochdeutschen Verserzählungen

Akademie Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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978-3-05-005267-0 978-3-05-006061-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ................................................................................................................

9

1

Einleitung .........................................................................................................

11

1.1

Thema, Aufbau und Fragestellung .......................................................................

11

1.2

Forschungsüberblick ............................................................................................ 1.2.1 Die poetologische Forschung zur mittelhochdeutschen Verserzählung ... 1.2.2 Die Forschung zur Geschlechterdifferenz in der mittelhochdeutschen Verserzählung ...............................................

14 14

2

Körperzeichen – Semiotik der Geschlechterdifferenz ........................

47

2.1

Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘ als Paradigma der Geschlechterdifferenz .................................................................................... 2.1.1 Die ,Zähmung der Widerspenstigen‘ als Akt der Kultivierung ................ a. Der Stricker: Das wilde Ross (Moe 57) .............................................. b. Sibote: Frauenerziehung (FB 121) ..................................................... c. Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) ............................................. d. Jörg Zobel: Die faule Frau (FB 147a) ................................................ e. Heinrich der Teichner: Die Rosshaut (FB 57) .................................... 2.1.2 Die Bedrohung der kulturellen Ordnung durch weibliche Sexualität ...... a. Aristoteles und Phyllis (FB 6) ............................................................. b. ,Reiten‘ als erotisches Motiv ...............................................................

47 51 51 55 68 74 78 81 82 97

Zeichen und Schrift – Der geschlechtliche Körper als Medium .......................... 2.2.1 Der entblößte Körper ................................................................................ a. Der entblößte Körper als Signum des Narren ..................................... b. Der entblößte Körper als Ausdruck von Askese ................................. c. Der entblößte Körper als Corpus Delicti des Ehebruchs .................... d. Der Stricker: Der nackte Ritter (FB 127o) ......................................... e. Der Stricker: Der nackte Bote (FB 127a) ...........................................

100 105 109 113 116 119 125

2.2

33

6

Inhaltsverzeichnis f. Der männliche Körper als Agent von êre ........................................... g. Der Ritter im Hemde (FB 103) ........................................................... h. Die Entblößung des weiblichen Körpers ............................................ 2.2.2 Der bezeichnete Körper ............................................................................ a. Die Einfärbung des Körpers ................................................................ b. Die zwei Maler (FB 81) ...................................................................... c. Johannes von Freiberg: Das Rädlein (FB 64) ..................................... d. Das Kreuz (FB 75) .............................................................................. e. Die Entwertung der Zeichens oder: Das Gesetz der Serie ..................

132 135 139 144 145 149 154 163 166

3

Hierarchien – Geschlechterdifferenz und soziale Identität ............... 171

3.1

Gender und Class – Geschlecht und Stand .......................................................... 3.1.1 Weibliche Mobilität innerhalb der sozialen Ständeordnung .................... a. Der Bürger im Harnisch (FB 17) ........................................................ b. Das Häslein (FB 50) ........................................................................... 3.1.2 Jungfräulichkeit als Movens weiblicher Mobilität ................................... a. Jungfrau, Frau und Witwe (FB 65) ..................................................... b. Der Guardian (FB 48) ........................................................................ c. Der betrogene Blinde (FB 16) ............................................................ 3.1.3 Virtuelle Mobilität in Verserzählungen des Strickers .............................. a. Der Stricker: Der Gevatterin Rat (FB 127i) ....................................... b. Der Stricker: Die eingemauerte Frau (FB 127g) ................................

171 179 179 182 192 192 195 197 200 200 212

3.2

Geschlecht und Ökonomie ................................................................................... 3.2.1 Liebesgaben .............................................................................................. a. Das Almosen (FB 3) ............................................................................ b. Heinrich Kaufringer: Der Zehnte von der Minne (FB 67n) ................ c. Sociabilis (FB 122) ............................................................................. 3.2.2 Käufliche ,Liebe‘ ...................................................................................... a. Heinrich Kaufringer: Der zurückgegebene Minnelohn (FB 67g) ....... b. Ruprecht von Würzburg: Die Treueprobe (FB 108) ........................... c. Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) ..........................................................

225 236 240 245 249 256 261 270 277

4

Entgrenzungen – Überschreitung der Geschlechterdifferenz ........... 285

4.1

Maskeraden .......................................................................................................... 4.1.1 Männliches Cross-Dressing ...................................................................... a. Der Schreiber (FB 117) ...................................................................... b. Hans Rosenplüt: Der Knecht im Garten (FB 105e) ............................

285 292 294 298

Inhaltsverzeichnis

4.2

7

c. Schweizer Anonymus: Der Koch (FB 4b) .......................................... d. Varianten des männlichen Cross-Dressing ......................................... e. Männliches Cross-Dressing als Order Trouble .................................. 4.1.2 Weibliches Cross-Dressing ...................................................................... a. Beringer (FB 15) ................................................................................. b. Ritter Alexander (FB 102) .................................................................. c. Dietrich von der Glesse: Der Gürtel (FB 24) ..................................... d. Der vertauschte Müller (FB 89) ......................................................... e. Varianten des weiblichen Cross-Dressing .......................................... f. Weibliches Cross-Dressing – Reorganisation von Ordnung? ............

302 306 311 313 314 324 330 343 346 351

Geschlechtertausch ............................................................................................... 4.2.1 Die Effeminierung des männlichen Körpers – Männliche Schwangerschaft und andere Deformationen des corpus virilis .............. a. Hans Folz: Der falsche Messias (FB 30m) ......................................... b. Der schwangere Müller (FB 88) ......................................................... c. Der Zwickauer: Der Mönches Not (FB 149) ...................................... d. Die Geschichte von Kaiser Nero im Moriz von Craûn (FB 87) ......... e. Männliche Schwangerschaft und Homosexualität .............................. 4.2.2 Weiblicher Waffenkampf ......................................................................... a. Das Nonnenturnier (FB 93) ................................................................ b. Exkurs – Heinrich von Landshut: Der Traum am Feuer (FB 55) ...... c. Das Frauenturnier (FB 39) ................................................................. d. Wortgewalt – Die Waffe der Frau? .....................................................

354 355 358 360 363 371 374 378 380 393 395 401

5

Resümee ............................................................................................................ 405

6

Literaturverzeichnis ....................................................................................... 411

6.1 6.2 6.3 6.4

6.5

Abkürzungen ........................................................................................................ Verzeichnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen ...................................... Werke – Editionen, Faksimiles, Übersetzungen .................................................. Indizes, Lexika, Wörterbücher ............................................................................. 6.4.1 Indizes ....................................................................................................... 6.4.2 Lexika ....................................................................................................... 6.4.3 Wörterbücher ............................................................................................ Forschungsliteratur ...............................................................................................

7

Register ............................................................................................................. 471

411 413 426 428 428 429 429 430

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2009 an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation eingereicht; der Text wurde für die vorliegende Druckfassung weitgehend unverändert übernommen und mit einem Register versehen; wissenschaftliche Literatur findet dementsprechend Berücksichtigung bis August 2009. Ein kleinerer Teil der Arbeit wurde vorab bereits als Aufsatz veröffentlicht und bildet in überarbeiteter und stark erweiterter Form die Grundlage für Kap. 3.2 des Textes (vgl. S. 225, Anm. 204). Die Dissertation wurde ermöglicht durch die langjährige und großzügige Förderung von Prof. Dr. Elke Brüggen, welche die Studie als Erstgutachterin initiiert und engagiert betreut hat und an deren Lehrstuhl ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin forschen durfte. Ihr danke ich in ganz besonderer Weise für das entgegengebrachte Vertrauen, die stets warmherzige Unterstützung, ihre Aufgeschlossenheit und die exzellente wissenschaftliche Inspiration in einer Vielzahl von Seminaren und Gesprächen, welche das inhaltliche Profil der Arbeit nachhaltig und grundlegend geprägt hat. Prof. Dr. Karina Kellermann danke ich für die unkomplizierte Übernahme des Koreferats und ihre wertvollen Hinweise und Anmerkungen zum Text. Frau PD Dr. Irmgard Rüsenberg danke ich für die Bereitschaft, als Mitglied der Prüfungskommission zu fungieren, sowie für inspirierende Gespräche im Laufe der Jahre. Ein besonderer Dank gilt auch meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Helmut J. Schneider, der den Prüfungsvorsitz im Promotionsverfahren übernommen hat; in seinen neugermanistischen Lehrveranstaltungen, in denen stets Offenheit für mediävistische Themen herrschte, habe ich theoretische Grundlagen und Fragestellungen kennengelernt, ohne die diese Untersuchung in ihrer gedanklichen Anlage nicht hätte entstehen können. Den mediävistischen und sonstigen Wegbegleitern Prof. Dr. Thomas Bein, Marcus Breyer, Dr. Moritz Burgmann, Heike Fitzler, Dr. Susanne Flecken-Büttner, Prof. Dr. Franz-Josef Holznagel, Stefan Krüger und Dr. Doris Walch-Paul danke ich für ihre je eigene Unterstützung und Anteilnahme. Für die Aufnahme in die vorliegende Reihe gilt mein Dank den Herausgeberinnen Prof. Dr. Beate Kellner und Prof. Dr. Claudia Stockinger; für die sorgfältige Betreuung seitens des Akademie Verlages Dr. Katja Leuchtenberger. Ein herzlicher Dank gilt schließlich meiner Familie und den Freundinnen und Freun-

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Vorwort

den, die das Entstehen der Arbeit mit viel Geduld und Empathie begleitet und mich auf vielfältigste Weise unterstützt haben. Lisa Henke danke ich für praktische Hilfe; für die Lektüre des Textes und seine stets kritischen Anfragen und Anregungen bin ich Dr. Roland W. Henke zu großem Dank verpflichtet. Ihm, meinen Eltern sowie Ina, Lisa und Benno sei die Arbeit gewidmet. Bonn, im Juli 2012

Andrea Schallenberg

1

Einleitung

1.1 Thema, Aufbau und Fragestellung Die Untersuchung der literarischen Darstellung des Geschlechterverhältnisses hat in der Forschung zur mittelhochdeutschen Verserzählung eine lange Tradition, erfuhr aber mit der kulturwissenschaftlichen Wende in der Mediävistik sowie der Ausschärfung der Geschlechtertheorie zu einem literaturwissenschaftlichen Analysemodell etwa seit Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine besondere Konjunktur.1 So liegen inzwischen zahlreiche Einzeluntersuchungen zur Geschlechterthematik in den mittelhochdeutschen Verserzählungen vor, welche von jüngeren Ansätzen der gender-Forschung inspiriert sind. Es existiert bislang jedoch noch keine breiter angelegte Studie, die versuchen würde, unterschiedliche Gesichtspunkte im Hinblick auf das gesamte Genre zu bündeln und wechselseitig zu beleuchten. Allererst auf einer solchen Grundlage kann indes die Frage gestellt werden, ob und inwiefern sich für diesen besonderen literarischen Texttyp spezifische Formen und Strategien von Geschlechterdarstellungen ausmachen lassen. Die vorliegende Arbeit setzt es sich somit zum Ziel, die (dem ersten Anschein nach eher divergenten) Geschlechterbilder in den mittelhochdeutschen Verserzählungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu untersuchen. Darüber hinaus soll – sofern diesbezüglich generalisierende Aussagen möglich sind – ausgelotet werden, ob die ermittelten Geschlechterdarstellungen mit spezifischen poetologischen Merkmalen

1

Einen weiteren entscheidenden Impuls erhielt die Auseinandersetzung mit der mittelhochdeutschen Verserzählung durch die Novellistik-Edition von Klaus GRUBMÜLLER in der „Bibliothek deutscher Klassiker“; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters [1996]. Neuerdings liegt zudem ein entsprechender Motiv-Index vor; vgl. Helmut BIRKHAN / Karin LICHTBLAU / Christa TUCZAY, Motiv-Index of German Secular-Narratives, Volume 4 [2006]. – Zur besseren Übersicht werde ich in diesem einleitenden Kapitel mit Forschungsüberblick an geeigneter Stelle die vollständigen Titel und Erscheinungsjahre der zitierten Publikationen mit angeben; in den Hauptkapiteln werde ich dagegen auf die verwendete Literatur lediglich unter Angabe von Verfassernamen und Kurztitel verweisen. – Bei mittelhochdeutschen Zitaten, zu deren Kennzeichnung ich im Folgenden eine kursive Schrift verwende, werden Ligaturen in aufgelöster Form wiedergegeben, d. h. æ = ae, œ = oe, um eine bessere und eindeutige Lesbarkeit sicherzustellen.

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Einleitung

des Texttyps, i. w. S. der literarischen Gattung2, korrelieren und in ihrer eigentümlichen Ausprägung durch diese beeinflusst sind. Als Arbeitshypothese setze ich damit implizit voraus, dass „literarischen Gattungsstrukturen […] spezifische Geschlechtsmuster eingeschrieben“3 sind. Im folgenden Forschungsüberblick mache ich es mir vor dem Hintergrund der kontroversen Gattungsdiskussion der vergangenen vier Jahrzehnte zunächst zur Aufgabe (Kap. 1.2.1), darzulegen, inwiefern sich – zumindest in Form eines heuristischen Konstrukts – von einem spezifischen literarischen Texttyp der mittelhochdeutschen Verserzählung sprechen lässt, so dass es gerechtfertigt erscheint, überhaupt die Frage nach genrespezifischen Darstellungsinhalten und -weisen an dieses in seinem Gattungsstatus so umstrittene Korpus zu stellen. Dabei werde ich einige elementare Grundzüge der Verserzählungen herausarbeiten, um so eine narratologische Verstehensfolie für die textanalytischen Untersuchungen im Hauptteil zu gewinnen. Von besonderer Bedeutung wird für mich die vielfach diskutierte Frage nach dem exemplarischen Anspruch der Verserzählungen sein sowie der darauf aufruhenden These, dass die Reflexion von Ordnung und Ordnungsstrukturen ein genuines Anliegen der Verserzählungen darstelle. Hierbei interessieren insbesondere solche Ansätze, die den exemplarischen Anspruch der Texte eher relativieren und verstärkt auf den innovativen erzählerischen Charakter zumindest eines Großteils der kleinepischen Stücke abheben, damit also den Fokus eher auf narratologische bzw. kulturwissenschaftliche Fragestellungen legen. In dieser poetologischen Eigenart, ihrem innovativen erzählerischen Potential, bietet sich eventuell ein Anknüpfungspunkt, um die Konstanz bzw. Varianz von tradierten Ordnungsmustern, die den Geschlechterdiskurs in der erzählten Welt regulieren, genauer zu verstehen. Im Anschluss an den Forschungsbericht zur Poetologie der mittelhochdeutschen Verserzählung gebe ich einen Überblick über die bisherige Forschung zur Geschlechterdifferenz im nämlichen Textkorpus (Kap. 1.2.2), wobei ich mich im Wesentlichen auf die germanistischen Arbeiten beschränke, da die Überfülle der romanistischen und anglistischen gender-Forschung zur mittelalterlichen Novellistik auf Interpretationsvoraussetzungen basiert, die auf die mittelhochdeutschen Texte nicht ohne Einschränkungen übertragbar sind. Der Hauptteil der Arbeit wird sich sodann in drei großen Querschnitten mit jeweils zwei Themenschwerpunkten der Analyse einzelner mittelhochdeutscher Verserzählungen widmen. In einem ersten Schritt werde ich in Kapitel 2 unter Rückgriff auf kultursemiotische und kulturanthropologische Theorieansätze für den Texttyp charakteristische Grundzüge einer imaginären Geschlechterordnung sowie ihrer symbolischen Repräsentationsformen herausarbeiten. Dabei wird es zum einen um die Versinnbildlichung der Geschlechterhierarchie in Form eines ,Natur‘-,Kultur‘-Gegensatzes gehen, 2 3

Auf die Problematik des Gattungsbegriffs hinsichtlich des Textkorpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen komme ich im folgenden Verlauf der Einleitung ausführlicher zu sprechen. Sigrid WEIGEL, Geschlechterdifferenz und Literaturwissenschaft, S. 23.

Forschungsüberblick

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zum anderen um die Verhandlung der Geschlechterdifferenz am Medium des menschlichen Körpers. Es soll gezeigt werden, wie die Texte anhand der Metaphorisierung des Körpers eine je spezifische Bildsprache von ,Männlichkeit‘ und ,Weiblichkeit‘ entwickeln. In Kapitel 3 möchte ich die soziokulturellen Bezüge der fiktionalen Geschlechterdarstellung in der erzählten Welt aufzeigen, indem ich zum einen die ständischen, zum anderen die ökonomischen Funktionszusammenhänge beleuchte, die den Geschlechterdiskurs in den literarischen Texten jeweils regulieren. Im Mittelpunkt steht hier die geschlechtliche Codierung pragmatischer Organisations- und Kommunikationsformen sowie, umgekehrt, deren Bedeutung für die Konstitution geschlechtlicher Identität. Der letzte Untersuchungsbereich in Kapitel 4 lenkt den Blick auf geschlechtliche Grenzüberschreitungen, die für die literarische Motivik der mittelhochdeutschen Verserzählungen in besonderer Weise spezifisch sind; dazu zählen etwa gegengeschlechtliche Verkleidungen, Anklänge an bzw. Erscheinungsformen von ,Homosexualität‘, männliche Schwangerschaft und weiblicher Waffenkampf. In Kapitel 5 soll in einem Resümee die Frage nach einer genrespezifischen Darstellung der Geschlechterdifferenz abschließend knapp reflektiert werden. Um dem methodischen Dilemma der älteren Forschung zu entgehen, die durch eine klassifikatorisch-typologisierende Vorgehensweise häufig nur zu summarischen Ergebnissen gelangt ist, möchte ich meine Untersuchung auf eine überschaubare Anzahl von exemplarischen Textanalysen konzentrieren, um so eine größere Tiefenschärfe bei der Lektüre gewinnen zu können. Die interessierenden thematischen Aspekte sollen in Einzeltextanalysen paradigmatisch herausgearbeitet werden; ausgewählte Texte bzw. Textpassagen aus dem Gesamtkorpus werden dort, wo es sinnvoll erscheint, vertiefend und kontrastierend hinzugezogen. Der entwickelte theoretisch-methodische Zugriff wird die Text(vor)auswahl leiten; im Einzelnen wird es sich hierbei nicht vermeiden lassen, nach subjektiven Kriterien vorzugehen – eine Orientierungshilfe kann dabei der Stellenwert bieten, der einzelnen Erzählungen innerhalb des literaturgeschichtlichen Kanons sowie aktuellen Forschungsdiskussionen zugemessen wird.

Einleitung

14

1.2 Forschungsüberblick 1.2.1 Die poetologische Forschung zur mittelhochdeutschen Verserzählung Die mittelhochdeutsche Verserzählung firmiert in der germanistischen Mediävistik unter einer Vielzahl von Termini – Märe4, Novelle, Kurzerzählung u. a. –5, die auf divergierenden literaturwissenschaftlichen Konzeptionen dieses Texttyps gründen und über deren jeweilige Geltung bislang kein einhelliger Konsens erzielt werden konnte. Gemeint sind weltliche kleinepische Reimpaartexte des späten 12. bis frühen 16. Jahrhunderts, die zumeist in größeren Sammelhandschriften überliefert sind, ohne dabei jedoch eine homogene, in sich geschlossene Textgruppe zu bilden.6 Bis auf wenige Ausnahmen – zu nennen wären hier in erster Reihe der Stricker, der die mittelhochdeutsche Tradition der Verserzählung mit begründet hat, Heinrich Kaufringer, Hans Rosenplüt und Hans Folz – ist die Überlieferung der Verserzählungen weitgehend anonym.7 Die gattungspoetologischen Überlegungen8 zur mittelhochdeutschen Verserzählung, welche die Forschung zu diesem literarischen Texttyp traditionell dominiert haben9, kreisen in ihren Anfängen um zwei grundlegende Fragestellungen: Zum einen geht es, gleichsam aus einer synchronischen, teilweise auch komparatistischen Perspektive, um den systematischen Standort der mittelhochdeutschen Verserzählung innerhalb der literarischen Landschaft des deutschsprachigen bzw. europäischen Spätmittelalters. Zum anderen steht, aus einer eher diachronisch geprägten Sichtweise, ihr Verhältnis zur neuzeitlichen Literatur, insbesondere zur neuzeitlichen Novellistik10, sowie die gattungsge-

4 5 6

7

8

9 10

Zur Wortgeschichte des Begriffs vgl. Jürgen LENERZ, Zum Beispiel mære. Zur Terminologie vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 21–23. Jüngere literaturwissenschaftliche Kurzdefinitionen, die den Stand der Forschung widerspiegeln, bieten etwa Klaus GRUBMÜLLER, [Art.] Maere [1993]; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Märe [1993]; Klaus GRUBMÜLLER, [Art.] Märe [1997]; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Maere [2000]; Jürgen SCHULZ-GROBERT, Verserzählung [2002]; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], S. 21f., 25–28, 30f. – Hier wie im Folgenden werde ich bei Aufzählungen von Forschungsarbeiten in den Anmerkungen keine alphabetische, sondern eine chronologische Reihung vornehmen, jeweils beginnend mit den älteren Arbeiten. Eine Zusammenstellung der prominenten Autoren liefert Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 138–219. – Zur Frage der literaturgeschichtlichen Kanonisierung der Verserzählungen vgl. neuerdings Johannes KELLER, Mittelalterliche Kurzgeschichten zwischen Kanon und Ausgrenzung; Andrea MOSHÖVEL, Kanon und mhd. Märendichtung. Zur Problematik von Gattungsgeschichte im Allgemeinen sowie hinsichtlich der mittelalterlichen Literatur im Speziellen vgl. im vorliegenden Kontext Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 11–21. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. grundlegend dazu Hans-Jörg NEUSCHÄFER, Boccaccio und der Beginn der Novelle [1969], darüber hinaus Joachim HEINZLE, Märenbegriff und Novellentheorie [1978]; Jan-Dirk MÜLLER, Noch

Forschungsüberblick

15

schichtliche Binnenentwicklung des Texttyps zur Debatte. Je nachdem, welcher Fragestellung der Vorzug gegeben wird, lassen die entsprechenden Positionen einen eher systematisierenden oder einen stärker historisierenden Zugriff erkennen.11 Neuere Arbeiten sehen in der Tendenz von generalisierenden Aussagen über den Gattungsstatus ab und lenken stattdessen den Blick in ausdifferenzierender Weise auf narratologische Teilaspekte des literarischen Texttyps. Methodologisch lässt sich dieser zentrale Bereich der Forschung zur Poetik der mittelhochdeutschen Verserzählung mit Timo REUVEKAMP-FELBER vorläufig als „Resultat einer strikt textbezogenen Binnenanalyse novellistischer Dichtung“12 kennzeichnen, der „von einer über allgemeinen Erwägungen zu christlich-pragmatischen Normensystemen weiter ausgreifenden kulturellen Kontextualisierung“13 weitgehend absieht. Wie noch zu zeigen sein wird, ist der stetige Rückbezug auf den im christlichen Mittelalter omnipräsenten theologischen Wertekosmos jedoch ein nicht zu unterschätzender Eckpfeiler in der letztlich offenen Diskussion um den exemplarischen Charakter der Texte. Die unterschiedlichen Schwerpunktbildungen, die in der Forschungsgeschichte zur Poetologie der mittelhochdeutschen Verserzählung erkennbar werden, möchte ich im Folgenden anhand einiger zentraler Positionen skizzieren, um auf dieser Grundlage die narrativen Voraussetzungen für die anschließenden Textanalysen einholen zu können. Dabei richte ich mein Augenmerk zum einen auf die schon älteren, aber immer noch grundlegenden Arbeiten von Hanns FISCHER, Joachim HEINZLE und Hans-Joachim ZIEGELER, zum anderen auf wesentliche Beiträge der jüngeren Forschung seit Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Auf einen Gesamtüberblick kann hier verzichtet werden, da aktuelle Forschungsberichte vorliegen, so etwa zur germanistischen Forschung zur mittelalterlichen Novellistik von Timo REUVEKAMP-FELBER14 sowie in komparatistischer Perspektive von Klaus GRUBMÜLLER15, in Teildarstellungen z. B. von Udo FRIEDRICH16, Franz-Josef HOLZNAGEL17 oder Monika SCHAUSTEN18. Bei der fol-

11

12 13 14 15 16

einmal: Maere und Novelle [1984]; Hans-Joachim ZIEGELER, Boccaccio, Chaucer, Mären, Novellen [1988]; Rüdiger SCHNELL, Mittelalter oder Neuzeit? [1989]; Walter HAUG, Boccaccio und die Tradition der mittelalterlichen Kurzerzählung [2002; dt. 2003]; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], S. 257–271. Auf diese Grundopposition innerhalb der Forschungsdiskussion hat bereits ZIEGELER hingewiesen; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 14f. Er bezieht diese zwar nur auf die gegensätzlichen Positionen von Hanns FISCHER („synchronisch“) und Joachim HEINZLE („diachronisch“), aber auch jüngere Ansätze lassen sich diesen beiden Polen, wie zu zeigen sein wird, subsumieren. Timo REUVEKAMP-FELBER, Einleitung: Mittelalterliche Novellistik im kulturwissenschaftlichen Kontext [2006], S. XV. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext [2006]; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], S. 31–39. Vgl. Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie [2006], S. 48–54.

16

Einleitung

genden Darstellung werde ich weitgehend chronologisch vorgehen, um die Entwicklung der einschlägigen Diskussionen besser verständlich machen zu können. Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein war die germanistische Forschung zur mittelhochdeutschen Verserzählung, die etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzte, im Wesentlichen geprägt durch editorische und textkritische Tätigkeiten, durch biographische, sprachlich-stilistische, überlieferungsgeschichtliche19 sowie stoffund motivgeschichtliche Untersuchungen, die sich zumeist auf einzelne Texte oder Detailaspekte bezogen.20 Eine neue Basis erhielt die Forschung mit den bahnbrechenden „Studien zur deutschen Märendichtung“ von Hanns FISCHER (1968), welchen das Verdienst zukommt, die mittelhochdeutsche Verserzählung systematisch aus einer gattungspoetologischen Perspektive in den Blick zu nehmen.21 Im Zentrum der Arbeit steht die inzwischen klassisch gewordene Definition der mittelhochdeutschen Verserzählung als einer dem Grunde nach eigenständigen literaturgeschichtlichen Gattung, die den Angelpunkt für alle nachfolgenden terminologischen und gattungstheoretischen Erörterungen bildet: Nach unseren Beobachtungen und Überlegungen ist das Märe eine in paarweise gereimten Viertaktern versifizierte, selbständige und eigenzweckliche Erzählung mittleren (d. h. durch die Verszahlen 150 und 2000 ungefähr umgrenzten) Umfangs, deren Gegenstand fiktive, diesseitig-profane und unter weltlichem Aspekt betrachtete, mit ausschließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge sind.22

Mit Hilfe dieser, auf dem Prinzip eines Ausschlussverfahrens basierenden Gattungsdefinition, gelingt es FISCHER, aus dem Gesamtbestand der kleinepischen mittelhochdeutschen Überlieferung ein Korpus von ca. 220 Texten zu extrahieren, das er, z. T. mit neuen Titeln versehen, in alphabetisierter Form in einem „Gesamtverzeichnis der Mären“ präsentiert.23 44 weitere Texte, die als Grenzfälle deklariert werden, markieren das literarische Umfeld des zusammengestellten Inventars.24 17 18 19 20

21 22 23

Vgl. Franz-Josef HOLZNAGEL, Verserzählung – Rede – Bîspel [2003], S. 291–296. Vgl. Monika SCHAUSTEN, Wissen, Naivität und Begehren [2006], S. 170–175. Hervorzuheben ist in diesem Kontext die Arbeit von Arend MIHM, Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter [1967]. Als eine prägende Arbeit der früheren Zeit ist insbesondere Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle [1969], zu nennen. Zur älteren Forschungsgeschichte bis 1968 vgl. den präzisen Überblick bei Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 1–26. Ich stütze mich hier und im Folgenden auf die 2. Auflage von 1983, die von Johannes JANOTA durchgesehen und erweitert worden ist. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung [1968; ²1983], darüber hinaus DERS., [Art.] Novellistik, mittelhochdeutsche [1965]. DERS., Studien zur deutschen Märendichtung, S. 62f. Vgl. ebd., S. 65–71. – Die im Folgenden verwendeten Siglen zur Kennzeichnung der einzelnen Verserzählungen beziehen sich auf die Nummerierung in der Forschungsbibliographie von FISCHER (Teil B); vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 305–433. Bei der Titulierung der einzelne Texte folge ich indessen den Angaben in der 2. Aufl. des „Verfasserlexikons“

Forschungsüberblick

17

Dem Terminus ,Märe‘, den FISCHER zur Bezeichnung der Textgruppe verwendet, kommt im Rahmen seines gattungstheoretischen Ansatzes eine doppelte argumentatorische Funktion zu: Zum einen dient er der Abgrenzung von der neuzeitlichen Novelle25, zum anderen soll er als Beleg für die These fungieren, dass es bereits in der Zeit des Mittelalters Ansätze zur Abgrenzung der Verserzählung als einer eigenständigen Gattung gegeben habe. Letzteres schließt FISCHER aus seinem Befund, dass das Wort maere in einer Vielzahl von Erzählungen in gattungsterminologischer Bedeutung verwendet worden ist.26 Um die entwickelte „Gattungsvorstellung weiter zu vervollkommnen und zu präzisieren“27, widmet sich FISCHER in einer „Wesensanalyse und Wesensbeschreibung der Gattung“28 u. a. Thematik und Personal als „zwei Faktoren, die ganz offenkundig einen entscheidenden Anteil an der Prägung des Gattungsprofils haben.“29 Diese Untersuchung bietet ihm zugleich die Grundlage für eine Binnengliederung des Textkorpus. In einem ersten Schritt unterteilt FISCHER die Texte – nach letztlich subjektiven Kriterien – in zwölf Themenkreise, deren Wirkmächtigkeit sich darin zeigt, dass in Forschungsbeiträgen zur Verserzählung heute noch immer vielfach darauf Bezug genommen wird: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

24 25 26

27 28 29 30

Listiges Arrangement des Ehebetrugs Schlaue Rettung aus drohender Gefahr Geglückte Entdeckung und Bestrafung des Ehebruchs Eheliche Kraft- und Treueproben Verführung und erotische Naivität Priapeia Verspottung von Liebhabern und Rache der Verspotteten Schelmenstreiche und schlaue Betrügereien Komische Missverständnisse Ritterliche Aventiure Treue Minne Demonstration allgemein-menschlicher Laster.30

(VL²), die von den Titeln bei FISCHER punktuell abweichen. Angaben zu den von mir verwendeten Editionen finden sich im Verzeichnis der untersuchten Verserzählungen in Kap. 6.2 der vorliegenden Arbeit. Hier finden sich auch weitere Erläuterungen zur Zitierweise. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 72–77. Vgl. ebd., S. 30–32. Vgl. ebd., S. 78–88. Des Weiteren gelten FISCHER die gattungsorientierten Schwerpunktbildungen in den Sammelhandschriften als Hinweis auf die Existenz eines mittelalterlichen Gattungsbewusstseins, mit der er seine These vom Gattungsstatus der mittelhochdeutschen Verserzählung zu untermauern trachtet; vgl. ebd., S. 89–92. Ebd., S. 93. Ebd., S. 27. Ebd., S. 93. Vgl. ebd., S. 94–100.

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Einleitung

Diese zwölf Themenkreise bilden die Basis für eine typologische Strukturierung in drei ideale Grundtypen: das schwankhafte Märe (Grundtyp 1: Themenkreise 1 bis 9), dessen erzählerische Intention die Unterhaltung darstelle, gefolgt vom höfisch-galanten Märe (Grundtyp 2: Themenkreise 11 und 12), das sich auf die Profilierung der höfischen Tugenden von Ritterschaft und Minne konzentriere, sowie dem moralisch-exemplarischen Märe (Grundtyp 3: Themenkreis 12), das in erster Linie auf eine Unterweisung der Rezipienten abziele.31 Des Weiteren führt FISCHER als Wesensmerkmal der Gattung ihre Tendenz zur Typisierung an, die sowohl die Erzählschemata als auch die Zeichnung der Figuren betreffe.32 Dieses durchgängig zu beobachtende Stilmittel diene als eine „Form der vereinfachenden Abstraktion“33 der Darstellung des Außergewöhnlichen und Unwahrscheinlichen, das wiederum dem jeweiligen Ziel des Textes, nämlich der Unterhaltung, der Bewährung höfischer Tugenden bzw. der Didaxe, untergeordnet sei.34 Im Anschluss an die klassifikatorischen Bemühungen FISCHERS entwickelte sich in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung, die im Wesentlichen von den Einlassungen der wissenschaftlichen Kontrahenten Joachim HEINZLE und Hans-Joachim ZIEGELER geprägt war. Während Letzterer an die Thesen FISCHERS anknüpft, diese modifiziert und weiterführt, profiliert sich Joachim HEINZLE hingegen als Kritiker der „Studien zur deutschen Märendichtung“. Die erstmalig in seinem Aufsatz „Märenbegriff und Novellentheorie. Überlegungen zur Gattungsbestimmung der mittelhochdeutschen Kleinepik“ (1978)35 formulierte Kritik, die in der Forderung gipfelt, „den FISCHERschen Märenbegriff aus unserem gattungspoetologischen Instrumentarium zu streichen“36, bezieht sich kritisch u. a. auf folgende Eckpfeiler des FISCHERSCHEN Theoriemodells: zum Ersten auf den klassifikatorischen Charakter seiner

31

32 33 34 35

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Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 101–116. – Eine aktuelle literarhistorische Applikation dieser drei Typen findet sich bei Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], in dessen Darstellung der Geschichte der mittelhochdeutschen Verserzählung sich die von FISCHER erarbeiteten Grundformen in Ansätzen noch wiedererkennen lassen. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 116–128. Ebd., S. 131. Vgl. ebd., S. 130f. Vgl. Joachim HEINZLE, Märenbegriff und Novellentheorie. Es handelt sich hierbei um die erwieterte Fassung eines Vortrages, der 1976 auf dem Schweinfurter Kolloquium der Wolfram-vonEschenbach-Gesellschaft gehalten wurde und später unter dem Titel „Boccaccio und die Tradition der Novelle. Zur Strukturanalyse und Gattungsbestimmung kleinepischer Formen zwischen Mittelalter und Neuzeit“ (1979) erschienen ist; vgl. DERS., Märenbegriff und Novellentheorie, S. 121. Vgl. ebenso die späteren Veröffentlichungen des Autors, die, mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, den gleichen gedanklichen Ansatz verfolgen: DERS., Vom Mittelalter zum Humanismus [1981]; DERS., Kleine Anleitung zum Gebrauch des Märenbegriffs [1988]; DERS., Altes und Neues zum Märenbegriff [1988]; DERS., [Rez. zu:] Hans-Joachim Z i e g e l e r , Erzählen im Spätmittelalter [1988]; DERS., Vom Mittelalter zur Neuzeit? [1992]; DERS., Schule des Lebens – Schule der Liebe [1993]; DERS., [Rez. zu:] Klaus Grubmüller, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2009]. Joachim HEINZLE, Märenbegriff und Novellentheorie, S. 134.

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Gattungstheorie37, zweitens auf seine (in den Augen HEINZLES widerspruchsbehaftete) kategoriale Abgrenzung der mittelalterlichen Verserzählung von der neuzeitlichen Novelle38, drittens auf FISCHERS Infragestellung eines exemplarischen Anspruchs der Verserzählung im Sinne eines für den Texttyp konstitutiven Elements. Mit diesem Punkt – auf eine ausführliche Erörterung der ersten beiden Aspekte verzichte ich an dieser Stelle, da sie für uns nur von randständigem Interesse sind – fokussiert Joachim HEINZLE die Problematik des Verhältnisses von Komik und Didaxe, von Unterhaltung (delectatio) und Belehrung (utilitas), von exemplarischem und autonomem Erzählen, mithin die Frage nach der Intentionalität der mittelalterlichen Verserzählung. Im Gegensatz zu FISCHER, der nur den von ihm sog. moralisch-exemplarischen Mären einen dominant exemplarischen Anspruch zuschreibt, ist für HEINZLE das Prinzip des exemplarischen Erzählens ein charakteristisches Merkmal aller Verserzählungen.39 Ein taugliches Kriterium für eine Gattungsdifferenzierung kann er folglich hierin nicht finden, da sich der Texttyp in seinem exemplarisch-didaktischen Anspruch von anderen Formen mittelalterlicher Kleinepik keineswegs unterscheide.40 Im Umkehrschluss wird somit auch die von Hanns FISCHER vorgenommene Binnengliederung der Textgruppe hinfällig, die ja auf der Annahme divergierender Erzählintentionen basiert.41 Neben FISCHERS „Studien“ gilt die Monographie von Hans-Joachim ZIEGELER, „Erzählen im Spätmittelalter. Mären im Kontext von Minnereden, Bispeln und Roma37 38 39

40 41

Vgl. ebd., insbesondere S. 123–128. Vgl. ebd., S. 126–128. Vgl. ebd., insbesondere S. 131–134. Zwar spricht auch HEINZLE der Verserzählung eine unterhaltende Funktion bzw. eine Tendenz zum ästhetisch autonomen Erzählen nicht gänzlich ab, betrachtet diese jedoch nicht als dominant. Vgl. zu diesem Untersuchungskomplex ebd., S. 128–134; überdies DERS., Vom Mittelalter zum Humanismus, S. 19f. Einteilungsversuche der mittelhochdeutschen Verserzählung sind insbesondere in literaturgeschichtlichen Darstellungen unternommen worden: Von einem Funktionszusammenhang zwischen delectatio und utilitas geht DITTMANN für die Verserzählung aus, der hierin einen Ansatzpunkt sieht für ein mögliches Gliederungsmodell nach den jeweiligen Problemorientierungen der Texte, d. h. ihrer thematisch-didaktischen Intentionen; vgl. Wolfgang DITTMANN, Märendichtung [1982], S. 160–166. Einen anderen Gliederungsversuch unternimmt in ihrer sozialhistorisch orientierten Überblicksdarstellung Erika KARTSCHOKE, die zwischen standesspezifischen Kurzerzählungen, die im Interesse einer adlig-laikalen Selbstreflexion entstanden seien, sowie ständeübergreifenden Erzählungen mit einem moraldidaktischen Anliegen unterscheidet; vgl. Erika KARTSCHOKE, Kleinepik [1988], S. 292–302. Eine erweiterte Typologie bietet darüber hinaus Johannes JANOTA im Rahmen einer literaturgeschichtlichen Darstellung zur Kleinepik des frühen Spätmittelalters von 1250 bis 1350. Die Ordnungskriterien dieser Typologie werden nur ansatzweise erläutert, so werden genannt: Höfische Erzählungen, Moralische Erzählungen, Anekdotische Erzählungen, Erotische Erzählungen, Erzählungen von Frauentreue, Die boshafte und die treulose Frau; vgl. Johannes JANOTA, Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart [1997], S. 220– 249.

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nen“ (1985)42, als das zweite große Standardwerk dieses germanistisch-mediävistischen Forschungszweiges. ZIEGELER führt die gattungspoetologischen Thesen von Hanns FI43 SCHER mit dem Ziel fort, sie im Detail zu präzisieren und zu revidieren. Ausgehend von einer Kritik an den Thesen HEINZLES, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzt und hier im Detail nicht weiter interessieren muss44, unterstreicht ZIEGELER erneut die Relevanz eines synchronischen Zugriffs auf die Textgruppe, die mittels eines diachronischen Zugangs, wie er von HEINZLE favorisiert werde, nicht adäquat erschlossen werden könne.45 Seine leitende Fragestellung lautet hingegen, auf welche objektivierbaren literarischen Konstituenten sich der allseits vorhandene ungefähre Eindruck zurückführen läßt, es existiere so etwas wie das Märe oder eine deutschsprachige Versnovellistik des Mittelalters.46

In seinem methodischen Vorgehen folgt ZIEGELER dem von FISCHER praktizierten erzähltheoretischen Ansatz einer „sog. morphologischen Poetik“47, indem er die erzählerischen Organisationsprinzipien und Gestaltungstechniken der Verserzählungen untersucht und mittels eines Exklusionsverfahrens von den verwandten epischen Gattungen Minnerede, Bispel und Roman narratologisch abgrenzt.48 Als Textgrundlage dienen ihm zu diesem Zweck nicht nur die 219 von FISCHER inventarisierten Texte, sondern auch diejenigen 44 Stücke, die von FISCHER als Grenzfälle ausgesondert werden sowie fünf weitere, von diesem als Bispel klassifizierte Texte.49 Nach ZIEGELERS Auffassung handelt es sich dabei um „eine Art ,Rest‘ der mittelalterlichen deutschen Literatur“50, „eine relativ bunte Textsammlung“51, die mit einer „gattungstheoretisch inadäquaten Definition“52 versehen worden sei: Die von FISCHER zusammengestellte Menge von Texten ist allein dadurch definiert, daß in ihr eine Reihe von Textgruppen nicht enthalten ist, die nach bestimmten Kriterien ausgeschlossen worden sind. FISCHERs Textkorpus ist demnach weder eine Gattung in dem von ihm positiv definierten Sinn noch erst recht eine Gattung in HEINZLEs Verständnis, sondern eine Text-

42

43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter [1985]. Vgl. weiterführend auch die folgenden Publikationen des Autors zu diesem Themenkomplex i. w. S.: DERS., Das Vergnügen an der Moral [1985]; DERS., Boccaccio, Chaucer, Mären, Novellen [1988]; DERS., Geld, Liebe und Verstand [1987]; DERS., [Art.] Märe [1993]; DERS., Kleinepik im spätmittelalterlichen Augsburg [1995]; DERS., [Art.] Maere [2000]. Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 7. Vgl. ebd., S. 5–28. Vgl. ebd., S. 14f. Ebd., S. Vf. Ebd., S. 3. Ebd., S. 3f. Vgl. ebd., S. 29. Ebd. Ebd., S. 32. Ebd.

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sammlung relativ heterogener Provenienz, deren einzelne Gruppen sich in bezug auf e i n Merkmal von jeweils einer der ausgesonderten Gattungen unterscheiden.53

Anders als Hanns FISCHER geht Hans-Joachim ZIEGELER in der Konsequenz auch nicht von einem eigenen Gattungsstatus der Textgruppe aus, so dass er den Terminus ,Märe‘ lediglich im Sinne eines unspezifischen Sammelbegriffes verwendet.54 Stattdessen geht es ihm um die Darstellung einer eigenständigen ,Erzählform‘, die als solche vom Rezipienten klar erkennbar sei und die Grundlage dafür bilde, die betreffenden Texte als eine von anderen mittelhochdeutschen Erzähltypen abgrenzbare Gruppe wahrzunehmen.55 Indem ZIEGELER nun „die erzählerische Organisation der fraglichen Texte für den Leser“56 in den Blick nimmt, gelingt es ihm, der ,Textsammlung‘ eine literaturgeschichtliche Kontur zu verleihen. Durch die Abgrenzung der Verserzählung von Minnerede (1), Bispel (2) und Roman (3) gewinnt er drei narratologische Kriterien, die das märentypische Erzählen zu charakterisieren vermögen und eine Grundlage für eine positive Definition des Texttyps liefern können: die auktoriale Erzählhaltung (im Gegensatz zur Minnerede [1])57, das Bestreben, „bestimmte, meist in einem allgemeinen Bewußtsein vorgegebene Thesen, Erfahrungsregeln, Maximen o. ä. durch die Erzählung“58 zu beweisen, und zwar, indem der „,Beweis‘ über die Identifikation des Lesers mit dem (oder den) Protagonisten zu führen“59 gesucht wird (im Gegensatz zum Bispel [2]), schließlich der Einsatz von narrativen Verfahren, die zugleich eine Distanznahme des Lesers ermöglichen, damit er nicht Gefahr laufe, sich angesichts der Identifikation mit dem Protagonisten in der erzählten Welt zu verlieren, so dass die Beweisführung möglicherweise scheitern würde (im Gegensatz zum Roman [3])60: In dem Bemühen, auf dem schmalen Grat zwischen dem bispelhaften, auf einen „Beweis“ zielenden erzählerischen Verfahren und dem romanhaften, auf Identifikation mit dem Protagonisten gerichteten Erzählen die Balance zu wahren, sehe ich das für die Mären konstitutive Problem schlechthin.61

Mit dem dominierenden auktorialen Erzählverhalten – im Gegensatz zur personal geprägten Ich-Erzählform in den erzählenden Minnereden – gehe eine typische Informationsverteilung einher, insofern der auktoriale Erzähler den Rezipienten Informationen vermittele, die einzelne Protagonisten auf der Handlungsebene erst zu einem späteren

53 54 55 56 57 58 59 60 61

Ebd. Vgl. ebd., S. 5, 33, 45. Ebd., S. 46–48. Ebd., S. 37. Vgl. ebd., S. 36f. Ebd., S. 38. Ebd. Vgl. ebd., S. 38f. Ebd., S. 39.

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Zeitpunkt erhalten würden. Das hieraus resultierende Wissensgefälle versetze den Rezipienten gegenüber den Protagonisten in eine überlegene Situation.62 Wenn es in den Verserzählungen darum gehe, einen ,Beweis‘ zu führen, so geschehe dies, anders als in den Bispeln, die nach ZIEGELER ebenfalls durch eine überwiegend auktoriale Erzählhaltung sowie ihre didaktische Intention geprägt seien, indem sich der Leser mit einem der Protagonisten identifiziere; diese Identifikationsmöglichkeit werde im Wesentlichen dadurch herbeigeführt, dass ihr Verhalten erzählerisch motiviert sei oder durch die besonderen Umstände plausibel gemacht werde63: Während sich die Bispel von einem strikt auf bestimmte Schemata bezogenen Erzählen, von einem mit der Erzählung geführten Beweis Erfolge versprechen, versuchen die Mären, diesen Beweis dadurch anzutreten, daß sie dem Rezipienten Figuren vorführen, die zur Identifikation einladen. Damit wächst den Texten natürlich ein gewisses Maß an Unterhaltung, oft auch an Komik zu, das den Bispeln mangelt – ihre didaktisch-exemplarische Intention wird dadurch aber grundsätzlich nicht beeinträchtigt, vielmehr wird Erkenntnis durch Vergnügen (oder Mitleid) gestiftet. Es gibt unter den deutschsprachigen auktorialen Vers-Erzählungen des Mittelalters keine gattungskonstitutive Opposition von Lehre und Unterhaltung oder von Komik und Ernst. Aber es gibt eine Opposition von allgemeinem und besonderem Fall, von Gewinn an Erkenntnis einerseits und Gewinn an Erkenntnis durch Identifikation andererseits. Wir können die Erzählformen Bispel und Märe unterschieden.64

Mit HEINZLE stimmt ZIEGELER so in der Annahme der grundsätzlichen Exemplarität aller Verserzählungen überein. Eine neue Wendung erfuhren die definitorischen Bemühungen um den gattungspoetologischen Status der mittelhochdeutschen Verserzählungen zuletzt durch die Arbeiten von Franz-Josef HOLZNAGEL, dem es im Anschluss an die Arbeiten ZIEGELERS gelingt, die Definition des Texttyps der mittelhochdeutschen Verserzählung weiter zu präzisieren, indem er die Art und Weise beleuchtet, wie der exemplarische Anspruch in einem Teil der zugehörigen Textstücke erzählerisch realisiert wird. Sein Augenmerk liegt dabei auf dem Problem der Abgrenzung der Verserzählung mit Epimythion vom Bispel einerseits und von der zweiteiligen Gleichnisrede andererseits. Überzeugend legt er dar, dass dieser spezielle Typus der Verserzählung sich durch zwei Merkmale spezifisch kennzeichnen lässt: Erstens unterschieden sich narratio und Epimythion durch die divergente Verwendung von erzählenden und besprechenden Tempora, zweitens erfolge im Epimythion eine Generalisierung der in der Verserzählung vorgeführten Lehranwendung (im Gegensatz zu einer Analogisierung bei der zweiteiligen Gleichnisrede bzw. einer Mischung beider begrifflicher Figuren beim Bispel), insofern ein in der narratio dargestellter Einzelfall hierin eine Verallgemeinerung erfahre.65 62 63 64 65

Vgl. ebd., S. 87, 92–94. Vgl. ebd., S. 100, 209f. Ebd., S. 237. Vgl. Franz-Josef HOLZNAGEL, Verserzählung – Rede – Bîspel [2003], hier insbesondere S. 296f. sowie S. 301–303. Vgl. weiterführend zur mittelhochdeutschen kleineren Reimpaardichtung DERS.,

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Neue Impulse erhielt die poetologische Diskussion um die mittelalterliche Verserzählung zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts durch die teilweise kontroversen Positionen von Walter HAUG und Klaus GRUBMÜLLER, deren gemeinsame Basis die Vorstellung bildet, dass Ordnungsreflexion ein genuines Anliegen der Verserzählungen darstelle. Damit knüpfen zwar beide Mediävisten an den Diskussionsstrang um die Exemplarität der Verserzählungen an, perspektivieren diesen jedoch neu, indem sie sich nicht vorrangig auf die Form, sondern stärker auf die Inhalte des erzählten Geschehens und immanente Strukturen der narratio konzentrieren. Bei dieser Herangehensweise stellen sie die Frage nach den explizit didaktischen Elemente wie Pro- und Epimythion sowie didaktisierenden Erzählerkommentaren zunächst einmal hintan.66 Beide Autoren sind gleichermaßen bestrebt, ihre Forschungen in einen größeren literaturgeschichtlichen, auch komparatistischen Rahmen zu stellen, so dass ihre Zugriffsweise im oben beschriebenen Sinne als historisierend gewertet werden kann. Den Angelpunkt in Walter HAUGS komplexem „Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung“ (1993)67, mit dem er implizit an Theoreme seiner früheren Arbeiten etwa zur Symbolstruktur im höfischen Roman anknüpft68, indem er ein Gegenmodell zu diesem literarischen Texttyp entwickelt, bietet der Befund, dass sich die mittelalterlichen Verserzählungen in den volkssprachlichen Literaturen nicht zeitgleich etabliert haben, sondern – je nach Beschaffenheit der jeweiligen literarischen Landschaft – früher oder später zu entstehen begannen. Daraus zieht HAUG den Schluss, dass der Verserzählung eine bestimmte Funktion eigne, die für den Zeitpunkt der Verschriftlichung dieser Erzählform innerhalb einer literarischen Kultur verantwortlich zeichne;

66

67 68

Der Wiener Codex 2705 [1999]; DERS., Autorschaft und Überlieferung [1998]; DERS., ,Autor‘ – ,Werk‘ – ,Handschrift‘ [2002]; DERS., Bîspel [2002]; DERS., Von diabolischen Rechtsbrechern und gesetzestreuen Teufeln [2003]; DERS., Gezähmte Fiktionalität [2006]. – Kritisch gegenüber dieser klassifikatorischen Vorgehensweise äußert sich ohne nähere Erläuterung Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 33, Anm. 157. – Zur Unterscheidung des Bîspels vgl. weiterführend Kap. 2.1.1.a der vorliegenden Arbeit. Vgl. ähnlich auch Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 50f. – Jüngere Arbeiten, die sich explizit mit der Funktion des Epimythions beschäftigen, sind von Victor MILLET, Märe mit Moral? [2000], sowie Christopher YOUNG, At the end of the tale [2006], vorgelegt worden. Auch Hedda RAGOTZKY hat in ihren gattungspoetologischen Arbeiten zur mittelhochdeutschen Verserzählung immer wieder die Frage nach ihrer inhärenten Normativität sowie der Funktionalität des Epimythions gestellt; vgl. zuletzt Hedda RAGOTZKY, Die ,Klugheit der Praxis‘ und ihr Nutzen [2001; zu Verserzählungen des Strickers]; vgl. zudem DIES., Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers [1981]; DIES., Das Märe in der Stadt [1985; zu Heinrich Kaufringer]; DIES., ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘ [1998]; Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Zur Funktion exemplarischer triuwe-Beweise in Minne-Mären [1988]. Vgl. zuletzt schließlich auch das Postskript von Walter HAUG in DERS., Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten [2006], S. 25–27. Vgl. Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung [1993]. Vgl. DERS., Die Symbolstruktur des höfischen Epos [1971].

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zugleich konstituiere diese literaturgeschichtliche Funktion den Gruppencharakter des Texttyps: Diese historisch-geographische Ausdifferenzierung ist nicht zuletzt deshalb bedenkenswert, weil das Literarisch-Werden der Kurzerzählung für den narrativen Gesamthaushalt einer Zeit und Gesellschaft eine bedeutende Rolle gespielt haben dürfte. Dieser Aspekt führt nun aber doch und kaum vermeidbar zu der Frage nach einem denkbaren Gruppencharakter dieser Erzählungen in bestimmten Zeiträumen. Denn nur wenn man einen solchen Charakter zu fassen vermag, besteht die Möglichkeit zu fragen, welche Funktion die betreffende Gruppe in einem bestimmten literarhistorisch-gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang erfüllt haben könnte.69

Der beschriebene Gruppencharakter ist für HAUG jedoch keineswegs mit einem Gattungsstatus gleichzusetzen; im Gegenteil, Verserzählungen seien „kleinere narrative Stücke, die nicht einer definierbaren Gattung zugerechnet werden können“70. Aus dieser Negativbestimmung – deren Argumentationsstrategie letztlich nichts anderes darstellt als eine Inversion der FISCHERSCHEN Gattungsdefinition, die ja ebenfalls mit dem Prinzip des Exklusionsverfahrens arbeitet – zieht HAUG weitreichende Schlüsse: Ist die Kurzerzählung […] dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht als literarische Gattung bestimmbar ist, so heißt das anders ausgedrückt, daß man es hierbei mit einem Erzählen im gattungsfreien Raum zu tun hat. Damit ist konkret gesagt, daß dieses Erzählen mit keinerlei Vorgaben operiert, die es dem Dichter und dem Publikum ermöglichen würden, Sinn zu konstituieren bzw. zu erkennen, oder die zumindest auf einen Sinnhorizont verweisen würden. Erzählen unter Gattungsbedingungen heißt ja immer, daß es prinzipiell in einen je spezifischen sinnstiftenden Zusammenhang eintritt. […] Erzählen im gattungsfreien Raum impliziert demgegenüber e contrario einen programmatischen Verzicht auf jede prägnante Sinnvorgabe.71

Worin liegt aber demzufolge das Tertium Comparationis, das die einzelnen Texte zu einer konsistenten Gruppe verbindet? Weil die Verserzählung aufgrund ihrer unspezifischen formalen Gestaltung, so HAUG, keinen Sinn transportiere, fungiere sie als Anwältin des Sinnlosen und nehme somit eine Oppositionsrolle gegenüber den etablierten Gattungen ein, denen je spezifische Sinnstrukturen (im Sinne von Symbolstrukturen) inhärent seien72: Er [d. i. der Sinn der Sinnlosigkeit] hängt offensichtlich damit zusammen, daß dieses Erzählen einen Freiraum im System der übrigen gattungs- und damit sinngebundenen narrativen Formen schafft. Es ist ein Freiraum, der es gestattet, gegen vorgegebene Ordnungen anzugehen. […] Die eigentlichen literarischen Entwicklungsmöglichkeiten der Kurzerzählung ergeben sich daraus, daß sie vorgegebene Ordnungen schon deshalb in Frage stellen muß, weil sie sie unter den Bedingungen, unter denen sie erzählt, gar nicht greifen kann. Ordnungen sind für die gattungsfreie Kurzerzählung somit prinzipiell leer. […] Die narrative Chance der Kurzerzählung besteht in der Lizenz zum Negativen, die ihr durch die Ordnungslosigkeit der Ausgangssituation gewährt wird. Diese negative Freiheit ist für den kulturpsychologischen Haushalt von 69 70 71 72

DERS., Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 3. Ebd., S. 6. Ebd., S. 6f. Ebd., S. 6–8.

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der größten Bedeutung. Sie bietet ein Gegengewicht zu allem Geordneten, das immer in Gefahr steht zu erstarren. In dieser Oppositionsrolle liegt zweifellos die primäre Funktion der Kurzerzählung mit ihrer konstitutionellen Sinnlosigkeit.73

Wenn HAUG also in dieser Hinsicht von der ,Funktion‘ der Textgruppe spricht, so bezieht er sich damit auf einen grundlegend anderen Funktionsbegriff als Joachim HEINZLE. Es geht ihm nicht länger um die (exemplarische, lehrhafte) Intention der Verserzählungen im Hinblick auf eine erwünschte Rezeptionssteuerung, sondern vielmehr um die Idee einer systemischen Funktion innerhalb eines als in sich geschlossen vorgestellten literarischen Kosmos. Die Bedeutung der exemplarischen Elemente der Verserzählung reduziert HAUG dabei auf eine ausgleichende Rolle: Als Sinnstiftungselemente, die dem ästhetisch-narrativen Potential der Geschichten nachgeordnet seien, habe die „explizit angehängte Lehre“74 lediglich einen „sekundär-kompensatorischen“75 Charakter; sie würden die Aufgabe erfüllen, das entstandene Sinndefizit aufzufangen und für die Rezipienten in seinen existentiellen Ausmaßen zu mildern.76 Bei der literaturwissenschaftlichen Textarbeit könnten sie dementsprechend – zumindest bei einer ersten Annäherung an den Text – auch ganz ausgeblendet werden: Methodisch überzeugend kann nur ein Vorgehen sein, das zunächst die Kurzerzählungen nach ihrem autonom-narrativen Potential beschreibt, um erst in einem zweiten Schritt zu zeigen, in welchem Maße dieses Potential in eine lehrhafte Funktion eingespannt, d. h. in bestimmter Richtung entwickelt oder reduziert werden kann […].77

Diese Konzeption, der zufolge die lehrhaften Elemente in das textuelle Gewebe der Kurzerzählungen gleichsam von außen eingepflanzt werden, wendet sich dagegen, dem exemplarischen Anspruch der Verserzählung eine besondere Prävalenz einzuräumen78, wie es sowohl HEINZLE als auch ZIEGELER unternehmen. Das Fehlen von sinnstiftenden Erzählstrukturen in den Verserzählungen findet nach HAUG seine inhaltliche Entsprechung in dem Vorkommen von vier Darstellungsmodi des Sinnlosen, nämlich Zufall, Gewalt, Lust und Intellekt, die entweder alleine oder in kombinierter Form die narrativen Gestaltungsräume des Texttyps abstecken würden.79 Die dargestellten Faktoren richteten sich gegen die menschliche Vernunft, die für die Schaffung sinnhafter Ordnungsstrukturen verantwortlich sei und die Aufgabe habe, „ein Regelgefüge zu entwerfen, das ein durchschaubar-sinnvolles gesellschaftliches Leben auf allen Ebenen ermöglicht.“80 Diese elementare Bestimmung liefert HAUG die Grund-

73 74 75 76 77 78 79 80

Ebd., S. 33. Ebd. Ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 8f. Ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 9 und S. 9, Anm. 17. Vgl. hierzu resümierend ebd., S. 21. Ebd., S. 19.

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lage für die Konstruktion eines Erzählschemas, das in seiner basalen Form der Mehrzahl der Texte eingeschrieben sei: So mache sich die Verserzählung diejenigen Leerstellen zu eigen, die dann entstünden, wenn die – prozessual gedachte – Sinnstiftung innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnungsform aussetze: Wo diese Aktualisierung ausbleibt, degeneriert das soziale Regelsystem zu einem Arsenal leerer Verhaltensformen. Die Kurzerzählung, auf das Sinnlose ausgerichtet, sieht die Ordnung entsprechend unter dem Aspekt dieser leeren Form. Und sie vermittelt diese Leere, indem sie die Ordnung als Deckmantel jener Kräfte darstellt, die ihr grundsätzlich entgegenwirken: der Gewalt und der Begierde.81

Entscheidend für die Funktionsfähigkeit dieses narrativen Musters sei es, dass keine übergeordnete Instanz die destruierte Ordnung wiederherstellen könne.82 Am Beispiel des Ordnungsmodells ,Ehe‘ demonstriert Walter HAUG anschaulich dessen Wirkungsweise: […] die Ausgangssituation ist eine Ehe, die sich als leere Form enthüllt, indem einer der beiden Partner sich anderweitiger Lust oder dem Haß überläßt. Die Antwort des dadurch diffamierten Ehegatten besteht in einem Begierde- oder Gewaltakt, der den ersten in seinem Raffinement und / oder seiner Brutalität überbietet. Es versteht sich von selbst, daß die damit wechselseitig zerstörte Ordnung der Ehe nicht wieder geheilt und erneuert werden kann. Die Replik, der das Hauptinteresse der Erzählung gilt, genügt offenbar sich selbst. Die Beteiligten verwandeln sich nicht, sondern sie leben mit der leeren Form, und das heißt in harter oder resignierter Ernüchterung weiter.83

Die Grundform des für die Kurzerzählung charakteristischen Erzählschemas vom „Typus der lizenziert ins Lustvoll-Brutale ausgespielten Replik auf eine brüchig, leer oder verlogen erscheinende Ordnung“84 könne variiert werden, indem es in einem Text seriell wiederholt oder in einem komplexeren Handlungsgefüge mit einer mehrstufigen Replik aufgehoben werde. Die Artifizialität des Erzählens zeige sich in den Kurzerzählungen durch die Raffinesse, mit der die Grundelemente von Ordnung, Ordnungsbruch und Erwiderung miteinander kombiniert und variiert würden.85

81 82 83 84 85

Ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Ebd., S. 17. Ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 21–24. – HAUG erweiterte seinen Theorieansatz in den Aufsätzen „Die Lust am Widersinn. Chaos und Komik in der mittelalterlichen Kurzerzählung“ sowie „Schwarzes Lachen. Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren“ um den Aspekt des Komischen; vgl. Walter HAUG, Die Lust am Widersinn [1995]; DERS., Schwarzes Lachen [1996]; vgl. weiterführend auch DERS., Die niederländischen erotischen Tragzeichen [2004]; DERS., Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten [2006]. In letzterem Aufsatz erprobt HAUG mögliche Kriterien für die Bewertung der literarisch-ästhetischen Qualität von mittelhochdeutschen Verserzählungen – eine Fragestellung, welche die Perspektive der vorliegenden Arbeit nicht unmittelbar tangiert.

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Ausgehend von diesem „Entwurf“ hat Klaus GRUBMÜLLER die Poetologie des Texttyps in mehreren Beiträgen mittels einer gattungsgeschichtlichen Herangehensweise weiterentwickelt, und zwar grundlegend in seinem Beitrag „Das Groteske im Märe als Element seiner Geschichte. Skizzen zu einer historischen Gattungspoetik“ (1993).86 Essentiell für seine Auffassung ist die Vorstellung von „der Gattung als historischer Größe […], also als literarischer Konvention, wie sie uns in Textreihen entgegentritt, literarische Produktion anleitet und literarische Ordnungsmuster anbietet.“87 Die mittelhochdeutsche Verserzählung versteht er so als „Textreihe[ ] in sich selbst fortschreibender Bezugnahme“88. GRUBMÜLLER erläutert die poetologische Eigenart der Verserzählung, indem er ihre innere Entwicklung beobachtet und beschreibt, die er als eine Ablösung von der genuin exemplarischen Tradition der Verserzählung kennzeichnet89: Am Anfang stünden die für die Gattungsentwicklung prägend wirkenden strickerschen Verserzählungen, die erzählerisch nach dem Dreischritt ,Ordnung‘ – ,Ordnungsbruch‘ – ,Wiederherstellung der Ordnung‘ organisiert seien. Diese Stücke würden auf der Vorstellung gründen, dass eine funktionierende göttliche Weltordnung existiere, die zu demonstrieren und zu erwiesen sich die lehrhaften Erzählungen anheischig machten.90 Thema sei „das richtige Verhalten des Menschen gemäß der von Gott gesetzten Ordnung der Welt.“91 Am Beispiel des Autors Heinrich Kaufringer erörtert GRUBMÜLLER sodann erste Auflösungserscheinungen dieses Schemas und seine Übersteigerung ins Groteske durch eine „Verselbständigung von Erzählelementen“92, insofern die verhandelten Ordnungsstrukturen nicht länger in der Idee einer von Gott gelenkten Weltordnung verankert seien, sondern 86

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88 89

90 91 92

Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Das Groteske im Märe [1993]; vgl. weiterführend zur Verserzählung auch DERS., Tiere, Bauern, Pfaffen [1989]; DERS., [Art.] Maere [1993]; DERS., Wider die Resignation [1993]; DERS. (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters [1996]; DERS., „Kaiser Lucius’ Tochter“ [1996]; DERS., Schein und Sein [1996]; DERS., Der Tor und der Tod [1996]; DERS., [Art.] Märe [1997]; DERS., Gattungskonstitution im Mittelalter [1999]; DERS., Boccaccio und Hans Schneeberger [2000]; DERS., Wolgetan an leibes kraft [2002]; DERS., Erzählen und Überliefern [2003]; DERS., Wer lacht im Märe [2005]; DERS., Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext [2006]; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006]; DERS., Zum Verhältnis von ,Stricker-Märe‘ und Fabliau [2006]. Klaus GRUBMÜLLER, Gattungskonstitution im Mittelalter, S. 195. – GRUBMÜLLER setzt diesen Gattungsbegriff gleich mit der Definition des Genres als „historisch begrenzte literarische Institution“ durch Harald FRICKE; vgl. ebd., S. 195 sowie S. 194, Anm. 9 (vgl. Harald FRICKE, Norm und Abweichung, S. 132f.). Klaus GRUBMÜLLER, Gattungskonstitution im Mittelalter, S. 209. Insofern erscheint es ein wenig überspitzt, wenn Udo FRIEDRICH davon ausgeht, dass GRUBMÜLLER „im Exemplarischen die zentrale Funktion der Gattung“ (Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 50) sehe. Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Das Groteske im Märe, S. 40–47. Vgl. kritisch dazu Hedda RAGOTZKY, Die ,Klugheit der Praxis‘ und ihr Nutzen. Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Gattungskonstitution im Mittelalter, S. 202. DERS., Das Groteske im Märe, S. 48.

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von einem einzelnen Individuum innerhalb der erzählten Welt geschaffen bzw. erhalten werden könnten: Damit ist der Verweiszusammenhang auf die in objektiven Prinzipien und Mechanismen verbürgte Ordnung der Welt gelöst, Erzählen konstituiert Sinn aus sich, der Erzähler bannt das Chaos (das er zugleich anzeigt), und das macht die Modernität Heinrich Kaufringers aus.93

In späten Texten, etwa bei Hans Rosenplüt, sieht GRUBMÜLLER eine Steigerung dieser Tendenz zur grotesken Verzerrung gegeben, insofern sich die dargestellten Geschehnisse einer Ordnungsrestitution nun gänzlich entzögen und so nur mehr auf die innere Zerrissenheit, die Widersinnigkeit und Abstrusität der existierenden Welt verweisen würden.94 Klaus GRUBMÜLLER negiert somit die These Walter HAUGS, dass es eine Gattung ,Märe‘ nicht gäbe, aber er ergänzt und erweitert seinen Ansatz nun dahingehend, dass er das Sinnlose nicht als Konstituens der Verserzählung betrachtet, sondern davon ausgeht, daß seine Verselbständigung in der Geschichte der Gattung den Moment bezeichnet, in dem sie vor der durch den Stricker geprägten Aufgabe versagt, die gerechte Ordnung der Welt zu demonstrieren, und stattdessen nur noch (oder endlich) deren krude Abstrusität vorzeigt.95

Kennzeichnend sei für das Ende der Gattungsentwicklung hingegen der Verlust des Exemplarischen und Sinnhaften, der sich u. a. in einer Überlagerung von Sinnperspektiven, inneren Widersprüchen, Ironie oder der Darstellung von Tabubrüchen96 bzw. „Zufall, Bosheit und Gewalt“97 zeige. Die Vorstöße von HAUG und GRUBMÜLLER haben naturgemäß widerstreitende Reaktionen nach sich gezogen; entsprechende Arbeiten versuchen folglich die Sinnhaftigkeit und den didaktischen Anspruch der Verserzählungen erneut stark zu machen. Die umfassendste und detaillierteste Kritik an HAUGS Ansatz ist dabei durch Rüdiger SCHNELL (2004) formuliert worden. SCHNELL greift vor allem dessen These von der Sinnlosigkeit als konstitutionellem Element der Verserzählung harsch an; sein wohl gravierendster Vorwurf betrifft den Umstand, dass HAUG – so SCHNELL – lediglich produktionstheoretisch argumentiere und den wichtigen Aspekt der literarischen Rezeption und seine Bedeutung für Prozesse von Sinnkonstitution weitgehend vernachlässige.98

93

Ebd., S. 49; vgl. S. 47–49. Vgl. ebd., S. 49–54. 95 Ebd., S. 51. 96 Vgl. DERS., Gattungskonstitution im Mittelalter, S. 202f. 97 Vgl. DERS., Der Tor und der Tod, S. 347. 98 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘ [2004], insbesondere S. 367–372; er räumt allerdings ein, dass HAUG in seinem späteren Aufsatz „Die Lust am Widersinn“ (1995) partiell auf dieses Problem eingehe, wenngleich nicht in für ihn zufriedenstellender Weise; vgl. ebd., S. 371. – Vgl. zur Auseinandersetzung mit HAUGS Thesen außerdem Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten [2001].

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Forschungsüberblick

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SCHNELL selbst entwickelt demgegenüber kein eigenständiges Interpretationsmodell, dass er HAUG seinerseits entgegengehalten könnte. Er verweist lediglich darauf, dass die Verserzählungen von menschlichen Unzulänglichkeiten erzählten, welche die Ordnung der Welt zwar als unvollkommen, nicht jedoch als in ihrem Kern sinnlos zeigten: Nicht das Sinnlose herrscht am Ende der Kurzerzählungen, sondern die Gewißheit: „Die Welt ist eben so, wie sie ist: stets unvollkommen, oft ungerecht, zuweilen rätselhaft, selten ,in Ordnung‘“. Insofern zielen die Kurzerzählungen keineswegs auf die Darstellung des Sinnlosen, sondern sie bedienen meist vorhandene Ordnungsmuster (Geschlechterentwürfe, Menschenbilder, Gottesvorstellungen, sprichwörtliche Alltagserfahrungen), die für alles Ungerechte, Zufällige, Irritierende eine Erklärung parat haben.99

Mithin gehe es den Verserzählungen, so Rüdiger SCHNELL, um eine Form von literarischer „Weltbewältigung“100. Ähnliche u. a. Argumente gegen HAUG haben so auch Max SCHIENDORFER101, Victor MILLET102 und Udo FRIEDRICH103 vorgebracht. Auch wenn Walter HAUG im Anschluss an einige Kritikpunkte seinen Entwurf später um eine „Theorie des exempelhaften Erzählens“104 ergänzt hat105, behält er seine Thesen im Grundsatz dennoch bei.106 Einen weiteren Aspekt beleuchtet Michael WALTENBERGER, wenn er „Überlegungen zur pragmatischen Dimension des Erzählens“ (2005) anstellt und zur Diskussion stellt, ob nicht Rezeptionssituation und Überlieferungszusammenhang eine besondere Rolle bei dem Verständnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen spielen sollten. Trotz dieser vereinzelt kritischen Stimmen lässt sich indes resümieren, dass die Forschungstendenzen, die sich mit HAUG und GRUBMÜLLER grosso modo durchzusetzen beginnen, nämlich die offenen, nicht-linearen, antifunktionalistischen und spielerischen Elemente als Signum der Verserzählungen hervorzuheben, in der aktuellen (gattungs)poetologischen Debatte überwiegen. Darin dominiert zudem der konzise Blick auf den singulären Text, wohingegen pauschalisierende Aussagen – nicht zuletzt im Hinblick auf einen typischen Gattungscharakter – zunehmend an Bedeutung verlieren. Bedingt z. T. durch den Einfluss poststrukturalistischer Literaturtheorien unterstreichen viele Autorinnen und Autoren auf unterschiedliche Art und Weise den experimentellen Charakter der Texte sowohl im Hinblick auf die je spezifische Formgestalt als auch in Bezug auf die literarische Binnenentwicklung der Textgruppe. So benennt beispielsweise Hans-Joachim ZIEGELER in seinem Artikel im „Reallexikon der deutschen Lite99

Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 402. Ebd., S. 403. 101 Vgl. Max SCHIENDORFER, ,Frouwen hulde – gotes hulde‘ [1999], S. 471f., 485 und passim. 102 Vgl. Victor MILLET, Märe mit Moral? [2000], S. 276 und Anm. 6. 103 Vgl. Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie [2006], S. 49f., 58. 104 Walter HAUG, Vorbemerkung [2003]. 105 Vgl. DERS., Das Böse und die Moral [2001]; DERS., Boccaccio und die Tradition der mittelalterlichen Kurzerzählung [2002]. 106 Vgl. ebd. 100

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raturwissenschaft“ zum Stichwort ,Maere‘ (2000) als Proprium der Verserzählung „ein variables und variantenreiches Durchspielen tradierter Schemata“107: Die Vielfalt der Themen, Typen und Erzählverfahren läßt zwar verschiedene Tendenzen, kaum aber eine einsinnige literarhistorische Entwicklung beobachten. Vielmehr scheint die eigentliche Leistung des Maere (im Zusammenspiel mit den ihm verwandten Texten) in seiner Komplexität begründet, die das Durchspielen, Bestätigen und In-Frage-Stellen von Normen und Werten gestattet.108

Klaus GRUBMÜLLER attestiert der Verserzählung „eine gattungsprägende Kombinationslust bei der Verfertigung der Texte selbst“109 und kennzeichnet die „Variation“110 von festen Bausteinen des Erzählens als ihre „raison d’être“111. Ingrid KASTEN beschreibt den Texttyp als „Feld für experimentelles Erzählen“112 und wertet die Bedeutung der Exemplarität als entscheidendes Differenzkriterium zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Erzählen ab113, Udo FRIEDRICH untersucht die narrativen Strukturen in Texten von Heinrich Kaufringer (1996)114 und arbeitet die auf unterschiedlichen Ebenen greifbar werdenden „Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen“ (2005) heraus115; in einer späteren Arbeit (2006) spricht er von einer „komplexen Kombinatorik“116 als stilistisch-rhetorischem „Produktionsprinzip“117 der Verserzählungen, die sich auf zahlreichen Ebenen der Texte ereigne: „Die Bausteine der geistlichen und höfischen Literatur sind als Spielmaterial in der Unterhaltungskultur angekommen, und ihr Sinnpotential wird zur Diskussion gestellt.“118 Auch andere Arbeiten zielen in diese Stoßrichtung, so etwa wenn Michael EGERDING sich kritisch mit Normativität beim Stricker auseinandersetzt (1998)119, Johannes KEL120 LER das Verhältnis von Komik und Normativität beleuchtet , Sebastian COXON im

107

HANS-JOACHIM ZIEGELER, [Art.] Maere, S. 518. Ebd., S. 519. 109 Klaus GRUBMÜLLER, Erzählen und Überliefern, S. 493; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 28. 110 Ebd. 111 Ebd. 112 Vgl. Ingrid KASTEN, Erzählen an einer Epochenschwelle [1999], S. 167. 113 Vgl. ebd., S. 168–175, 186. 114 Vgl. Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer [1996]. 115 Vgl. DERS., Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen [2005]. 116 DERS., Trieb und Ökonomie [2006], S. 58. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Vgl. Michael EGERDING, Probleme mit dem Normativen in Texten des Strickers [1998]. 120 Vgl. Johannes KELLER, Norm – Lachen – Gewalt [1999; am Beispiel von Hans Rosenplüts Erzählung Der fünfmal getötete Pfarrer (FB 105f)]; vgl. auch DERS., Dekonstruierte Männlichkeit [2003; zum Begrabenen Ehemann des Strickers (FB 127c)] sowie DERS., Comique et violence [2005; zu den Drei listigen Frauen (B) von Heinrich Kaufringer (FB 67e)]; DERS., Mittelalterliche Kurzge108

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Anschluss an Michail BACHTIN das Karnevaleske in schwankhaften Verserzählungen untersucht (2006)121 oder Monika SCHAUSTEN spezifische Einsatzverfahren von Intertextualität in den Blick nimmt, um so eine textanalytische Methodik zu stärken, welche ästhetisch-narrative Elemente in den Mittelpunkt stellt (2006).122 Selbst Positionen wie diejenige von Christopher YOUNG, der für eine erneute Aufwertung und Würdigung der didaktisierenden Epimythien plädiert (2006)123, weist diesen nicht mehr bloß normativaffirmierende, sondern überdies spielerisch-dynamisierende Effekte zu, denn sie spielten „a central role in marshalling the play of the texts“124. All diese Ansätze hat Christian KIENING zusammenfassend gebündelt, indem er ihr analytisches Verständnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen weiterführend unter den zentralen Begriff einer ,doppelten Logik‘ gestellt hat. Die Ergebnisse der jüngsten Forschungsgeschichte zur mittelhochdeutschen Verserzählung beschreibt er wie folgt: Zunehmend bewusst wurde, dass […] auch die narrativ schlicht gestrickten und sprachlich wenig anspruchsvollen Mären komplexe Strukturen und Texturen besitzen. Man entdeckte den Reichtum spielerischer Elemente und paradoxaler Formen. Man stieß auf die Abgründigkeit von Konstellationen und Beziehungen. Man erkannte die Bedeutung von Objekten und Körperteilen. Man wurde aufmerksam für ein Erzählen, das vorhandene Muster je neu kombiniert und zu thematischer oder rhetorischer Variation nutzt.125

schichten zwischen Kanon und Ausgrenzung [2008; zu Heinrich Kaufringers Unschuldiger Mörderin (FB 67i)]. – Weitere jüngere Arbeiten (ab 1990) zur Funktion des Komischen i. w. S. in den mittelhochdeutschen Verserzählungen – außer den bereits erwähnten Arbeiten von Walter HAUG und Klaus GRUBMÜLLER – sind die im Folgenden benannten: Joëlle FUHRMANN, Les différentes causes, formes et fonctions du rire dans les Mären de l’Allemagne du Moyen Age tardif [1990]; Sieglinde HARTMANN, Ein empirischer Beitrag zur Geschichte des Lachens im Mittelalter [1990 (1992); zum Stricker]; Hartmut KUGLER, Grenzen des Komischen in der deutschen und französischen Novellistik des Spätmittelalters [1998]; Ralf-Henning STEINMETZ, Komik in mittelalterlicher Literatur [1999; zum Helmbrecht von Wernher dem Gärtner (FB 139)]; André SCHNYDER, Zum Komischen in den Mären Heinrich Kaufringers [2000]; Tanja WEBER, Die Vergeltung im Werk des Schweizer Anonymus [2000]; Hans Rudolf VELTEN, Text und Lachgemeinschaft [2005]; Michaela WILLERS, Schwankmuster und deren Funktionalisierung in den Texten Heinrich Kaufringers [2005]; Sebastian COXON, der werlde spot [2006]; Johannes Klaus KIPF, Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz [2005]; Sebastian COXON, Keller, Schlafkammer, Badewanne [2008]; Bianca FROHNE, Narren, Tiere und grewliche Figuren [2008], S. 24–33; Hans Jürgen SCHEUER, Schwankende Formen [2009]. 121 Vgl. Sebastian COXON, das geschach zu ainer fasnacht [2006]. 122 Vgl. Monika SCHAUSTEN, Wissen, Naivität und Begehren [2006]. 123 Vgl. Christopher YOUNG, At the end of the tale [2006]. 124 Ebd., S. 46. – Weiterführend ließe sich hier ergänzen, dass die Diskussion der Lehrhaftigkeit der Verserzählungen sich ebenso auf Promythien (vgl. auch Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 403, Anm. 102) und didaktisierende Erzählerkommentare beziehen müsste, zumal nur ein gewisser Teil der in Rede stehenden Texte überhaupt ein Epimythion aufweist. Letztlich lassen sich hier kaum generalisierende Aussagen treffen, insofern jede einzelne Verserzählung für sich beurteilt werden muss. 125 Christian KIENING, Verletzende Worte – Verstümmelte Körper [2008], S. 325.

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Darüber hinaus hebt KIENING als ein besonders aufschlussreiches Untersuchungsfeld das Verhältnis zwischen den in den Texten angelegten historisch-kulturell bedingten diskursiven Vernetzungen, d. h. ihren sozialen Bezügen i. w. S., sowie ihrer poetologisch-narrativen Verfasstheit hervor, welche sich insbesondere in einem spielerisch-experimentellen Umgang mit Sprache, Körperlichkeit und Gewalt manifestiere; er nennt dies das „Verhältnis von Welt- und Selbstreferenzen“126. Die narrative Eigenart der Verserzählungen, die sich in einem fortwährenden Changieren zwischen gegensätzlichen Polen, eigentlichen und uneigentlichen Bedeutungen, semantischen Polyvalenzen etc. verdichte, bilde die Grundlage für die „doppelte Logik der Kurzerzählungen“127; diese zeige sich im fiktionalen Kosmos der Texte in einem oszillierenden „Spiel, das Moral zugleich bestätigt und untergräbt, das Ordnung zugleich entwirft und verzerrt, das Kippfiguren schafft […]“128. Einen Schlusspunkt hinsichtlich der Frage nach dem Gattungscharakter der Verserzählungen markiert aktuell die von Klaus GRUBMÜLLER verfasste „Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter“ mit dem Titel „Die Ordnung, der Witz und das Chaos“ (2006), in welcher er die europäischen Entwicklungszusammenhänge des Genres versucht zusammenfassend darzustellen. Seine früheren kleineren Arbeiten zum Texttyp der mittelalterlichen Verserzählung aufnehmend und teilweise ausbauend, möchte er hierin systematisch die Grundlagen für eine „historische Gattungspoetik“129 entwickeln, welche die Zugehörigkeit eines Textes zu einer literarischen Gruppe flexibel anhand des Grades seiner Prägung durch charakteristische Merkmale bestimmt, ohne dabei ein festes Set an Kriterien verbindlich machen zu wollen; es gehe dabei, mit anderen Worten, um die Teilhabe an literarischen Traditionen innerhalb bestimmter „,Gattungsdomänen‘“.130 Erneut unterstreicht er seine These von der signifikanten Binnenentwicklung der Gattung, die im 15. Jahrhundert in einer „Karnevalisierung des Märe“131 gipfele.132 Durch seinen Gesamtüberblick wird noch einmal in besonderer Weise deutlich gemacht, dass alle Texte der europäischen Novellistik des Mittelalters auf einem Repertoire an Erzählmustern basieren, die kulturübergreifend verbreitet waren und auch mit dem asiatischen Kulturraum in einer engen Verbindung standen.133

126

Ebd. Ebd., S. 326. 128 Ebd.; vgl. ebd., S. 335. Besonders deutlich werde das benannte poetische Spezifikum der mittelhochdeutschen Verserzählungen im Kontext des Diskurses der Gabe (vgl. ebd., S. 326), wie er in der vorliegenden Arbeit in Kap. 3.2 behandelt wird. 129 Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], S. 15. 130 Ebd., S. 14; vgl. S. 13–15. 131 Ebd., S. 241; vgl. S. 241–247. 132 Die prinzipiellen Probleme einer solchen Art von Literaturgeschichtsschreibung diskutiert der Autor in einem späteren Text; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Prinzipien einer Geschichte des Märe [2009]. 133 Vgl. ebd., S. 17–21, hier insbesondere S. 18. – Von den bislang vorliegenden Rezensionen befasst sich am ausführlichsten und differenziertesten Joachim HEINZLE mit dem vorliegenden Werk, wo127

Forschungsüberblick

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1.2.2 Die Forschung zur Geschlechterdifferenz in der mittelhochdeutschen Verserzählung Bereits früher als die germanistische Mediävistik hat sich die romanistische Mittelalterforschung mit Arbeiten zur Geschlechterdarstellung in der Novellistik beschäftigt; diese haben jene teilweise beeinflusst, im Einzelnen kann an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden.134 Bei dem folgenden Überblick über die germanistischen Studien soll es schwerpunktmäßig darauf ankommen, Schneisen in das Dickicht der relevanten Forschung zu schlagen und methodische wie thematische ,Forschungsinseln‘ auszumachen. Nicht immer lassen sich die vorgestellten Arbeiten dabei eindeutig einem einzigen Forschungsstrang zuordnen. Außerdem darf die hier vorgestellte Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit beanspruchen, insofern die Geschlechterthematik explizit oder implizit in einer nahezu unüberschaubaren Fülle von Einzeluntersuchungen angeschnitten wird, wenngleich teilweise auch nur am Rande. In den folgenden Kapiteln des Hauptteils werde ich in Bezug auf die jeweiligen Fragestellungen inhaltlich noch konkreter auf einzelne Problemstellungen der geschlechterbezogenen Forschung eingehen. Die sich gegenwärtig abzeichnende Stagnation im Bereich einer primär gattungspoetologisch orientierten Forschung zur mittelhochdeutschen Verserzählung135 mag u. a. in der kulturwissenschaftlichen Neuausrichtung der Mediävistik gründen136, die sich in vielen einschlägigen Publikationen der jüngeren Zeit widerspiegelt. Als anthropologische Konstante bildet die Geschlechterdifferenz für die kulturwissenschaftliche Forschung zur europäischen Novellistik des Mittelalters natürlicherweise ein sehr breites Untersuchungsfeld von zentralem Interesse.137 Die Vorzüge einer solchen kulturwissenschaftlichen Herangehensweise hat gerade im Hinblick auf das von uns zu untersuchende Genre unlängst Udo FRIEDRICH stichhaltig hervorgehoben: Ein kulturwissenschaftlicher Ansatz bietet […] die Chance, die Kontextbezüge von Texten selbst zum Thema zu machen, indem er die Komplexität des kulturellen Zusammenhangs zu fassen sucht, in dem Texte entstehen und rezipiert werden. […] Die Kohärenz des narrativen Zusammenhangs kann sich je nach Komplexität zugleich aus ganz unterschiedlichen Kontexten aufbauen. Der Begriff Kontext bezieht sich auf produktionsästhetische Verfahren (Rhetobei er an mehreren Stellen sehr kritisch ansetzt; vgl. Joachim HEINZLE, [Rez. zu:] Klaus Grubmüller, Die Ordnung, der Witz und das Chaos. 134 Vgl. hierzu jüngst den kurzen Forschungsüberblick von Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], S. 34–36. – Für die französischen Fabliaux vgl. etwa Lesley JOHNSON, Women on top [1983]; Howard R. BLOCH, The Scandal of the Fabliaux [1986]; E. Jane BURNS, Bodytalk [1993]; Simon GAUNT, Gender and genre in medieval french literature [1995]. 135 Vgl. ebenso Hedda RAGOTZKY, Die ,Klugheit der Praxis‘ und ihr Nutzen, S. 49. 136 Vgl. ebenso Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie [2006], S. 51. 137 Vgl. z. B. Judith KLINGER, Gender-Theorien, S. 267. – Zur feministischen Literaturwissenschaft und Geschlechterforschung allgemein vgl. Lena LINDHOFF, Einführung in die feministische Literaturtheorie [1995; ²2003]; Jutta OSINSKI, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft [1998]; Franziska SCHÖßLER, Einführung in die Gender Studies [2008].

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Einleitung rik, Poetik), auf das jeweilige literarische System mit seinem Formenrepertoire (Gattungsmuster), auf epochenspezifische Wahrnehmungsbedingungen (historische Semantik, Mentalitäten, Zeichenordnungen etc.) und auf pragmatische Funktionszusammenhänge (soziale Ordnungen, Diskurse). Die mittelalterliche Kurzerzählung ist nicht nur in Gattungskontexten zu verorten, sondern in komplexeren Rahmenbedingungen, die Form und Funktion des Erzählens beeinflussen. Der Begriff des Kontextes nimmt dabei ganz unterschiedliche Bedeutungen an, konfiguriert sich jeweils anders.138

Unter Berufung auf die i. w. S. sozial- und kulturgeschichtlich ausgerichteten Beiträge von Jan-Dirk MÜLLER, der sich bereits in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts insbesondere in seinem wegweisenden Aufsatz zur Verserzählung von der Halben Birne (1984/85) für eine Einbeziehung kultureller Kontexte in die Untersuchung von Verserzählungen ausgesprochen hat139, legt Udo FRIEDRICH nachfolgend dar, dass die Erzählungen wesentlich durch kulturelle Bilder und Muster konstituiert werden, die als „Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses […] eigenständige Organe der Sinnstiftung bilden“.140 Auch wenn die gegenwärtige kulturwissenschaftliche Ausrichtung der Mediävistik das Interesse an einer Auseinandersetzung mit der literarischen Darstellung von Geschlechterdifferenz sicherlich bestärkt hat, so liegen die Ursprünge ihrer Erforschung in den mittelhochdeutschen Verserzählungen jedoch weiter zurück. In ihrem Forschungsbericht „Die Germanistische Mediävistik und das Geschlechterverhältnis“ (1999) kennzeichnet Birgit KOCHSKÄMPER das rege Interesse, das man der Darstellung der Geschlechterdifferenz in der mittelalterlichen Verserzählung entgegengebracht hat, als ein überaus traditionelles: Das literarische Feld der M ä r e n , insbesondere der Schwänke, ist aufgrund der hier dominierenden Thematik der satirisch auf den Kopf gestellten ehelichen Ordnung (des gottgewollten ordo der Vorherrschaft des Mannes) immer schon im Kontext des Geschlechterverhältnisses gesehen worden.141

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Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 51. Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Noch einmal: Maere und Novelle [1984]; DERS., Die hovezuht und ihr Preis [1984/85]; DERS., Der Widerspenstigen Zähmung [2000]. 140 Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 53. 141 Birgit KOCHSKÄMPER, Die germanistische Mediävistik und das Geschlechterverhältnis [1999], S. 331. – Weitere Forschungsberichte zur Geschlechterforschung in der germanistischen Mediävistik bieten Ursula PETERS, Frauenliteratur im Mittelalter? [1988]; Ingrid BENNEWITZ, Vrowe/maget/ ubeles wîp [1990]; DIES., Feministische Literaturwissenschaft und Mediävistik [1992]; Ann Marie RASMUSSEN, Feminismus in der Mediävistik in Nordamerika [1992]; Ingrid BENNEWITZ, Frauenliteratur im Mittelalter oder feministische Mediävistik? [1993]; DIES., Mediävistische Germanistik und feministische Literaturwissenschaft [1993]; Ann Marie RASMUSSEN, ,Gender Studies‘ als Konzept disziplinärer Öffnung [1995]; Ursula PETERS, Zwischen New Historicism und Gender-Forschung [1997]; Judith KLINGER, Ferne Welten, fremde Geschlechter [1999]; Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur? [1999]; Heidi BEUTIN, „Frau, Frauenliteratur, Weiblichkeit, Feminismus“ [2000]; Ingrid BENNEWITZ, Zur Konstruktion von Körper und Ge139

Forschungsüberblick

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Untersucht habe man, so KOCHSKÄMPER, zunächst die auffällige Profilierung eines dichotomischen Frauenbildes, das sich im literarischen Topos der bösartigen Frau (,übel wîp‘) zum einen und der idealisierenden Darstellung einer gutartigen und reinen vrouwe zum anderen ausgezeichnet habe greifen lassen.142 Auf diese Weise konnten die Verserzählungen zu einem privilegierten Objekt der sog. Frauenbildforschung werden, welche die Anfänge der feministisch orientierten Literaturwissenschaft in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts entscheidend prägte.143 Zu dieser Forschungsrichtung zählen in paradigmatischer Weise die in ihrer Zeit grundlegenden Studien von Monika LONDNER, „Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung“ (1973)144, sowie von Monika JONAS, „Idealisierung und Dämonisierung als Mittel der Repression. Eine Untersuchung zur Weiblichkeitsdarstellung im spätmittelalterlichen Schwank“ (1986).145 Während es LONDNER noch darum geht, im Sinne eines Rekonstruktionsprozesses Weiblichkeitsrepräsentationen in der Literatur zu recherchieren und mit Hilfe ihrer rechtlichen, sozialen wie theologischen Grundlagen zu verstehen, geht die feministisch inspirierte Studie von JONAS bereits einen Schritt weiter und befragt die aufgefundenen Frauendarstellungen in den mittelhochdeutschen Verserzählungen ideologiekritisch auf ihre Funktion im Hinblick auf bestehende hierarchische Geschlechterstrukturen im zeitgeschichtlichen Kontext. Ausgehend von dem Befund eines aus heutiger Sicht zumeist unvorteilhaften Frauenbildes, arbeitet JONAS die Wechselbeziehungen zwischen negativen und positiven Weiblichkeitsstereotypen in den schwankhaften Verserzählungen heraus und versucht diese in ihrer Genese sozialhistorisch, vor allem aber auch sozialpsychologisch zu erläutern. Sie entwickelt ein Interpretationsmodell, nach dem die drastischen Bilder von Sexualität und Gewalt, die in einer Vielzahl insbesondere der späteren Verserzählungen ansichtig werden, als Zeichen männlicher Angst- bzw. Wunschphantasien gedeutet werden können, die von einer destabilisierten männlichen Identität zeugen würden. schlecht in der Literatur des Mittelalters [2002]; Judith KLINGER, Gender-Theorien [2002]; Silke WINST, Gender Studies in der literaturwissenschaftlichen Mediävistik [2002]; Martin BAISCH [u. a.], Vorwort [2003]; Elisabeth LIENERT, Gender, Gewalt und mittelalterliche Literatur [2005]. 142 Vgl. Birgit KOCHSKÄMPER, Die germanistische Mediävistik und das Geschlechterverhältnis, S. 331. 143 Während die Wahrnehmung des dichotomischen Frauenbildes in der mittelalterlichen Literatur bereits um 1900 genau beschrieben wurde, so etwa von Franz BRIETZMANN in seiner Abhandlung über „Die böse Frau in der deutschen Litteratur [sic!] des Mittelalters“ (1912), erfolgte eine ideologiekritische Bewertung dieser Darstellungsform erst am Ende des 20. Jahrhunderts; vgl. hierzu beispielsweise die einschlägigen Arbeiten und Studien von Barbara BECKER-CANTARINO, „Frau Welt“ und „Femme Fatale“ [1983]; DIES., Die Böse Frau [1986]; Brigitte SPREITZER, Fallstrick Frau [1998]. 144 Vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung [1973]. 145 Vgl. Monika JONAS, Idealisierung und Dämonisierung als Mittel der Repression [1986]; die Ergebnisse dieser Studie fußen auf der grundlegenden Untersuchung der Autorin zu den schwankhaften Verserzählungen; vgl. DIES., Der spätmittelalterliche Versschwank [1987].

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Einleitung

Der methodische Ansatz der sog. Frauenbildforschung wird bis heute verfolgt und findet sich in unterschiedlicher Ausprägung beispielsweise in den Arbeiten von Hannelore CHRIST146, Albrecht CLASSEN147, Ann Marie RASMUSSEN148, Joëlle FUHRMANN149, Małgorzata CHOJNACKA150, Hartmut KUGLER151, Martin PRZYBILSKI152, und René WET153 ZEL , aber auch in den erzähl- wie geschlechtstheoretisch ambitionierten Studien von Karina KELLERMANN und Renate STAUF154 sowie von Edith WENZEL, die jeweils an das Theoriekonzept von Silvia BOVENSCHENS Publikation „Die imaginierte Weiblichkeit“ (1979)155 anschließen. Die hier genannten Arbeiten verfolgen einen gemeinsamen Grundansatz, insofern sie die literarische Darstellung der Geschlechterdifferenz in engen Bezug zur historischen Realität setzen und den Erzählungen entweder eine kompensatorische Funktion im oben erläuterten Sinne oder aber eine utopische Komponente zuschreiben, indem die Texte als Gegenentwurf zu außerliterarischen Geschlechterdiskursen gelesen werden. Gleichsam parallel zu diesem Methodenansatz bestand und besteht bis heute eine Forschungslinie, die traditionell hermeneutisch oder sozialgeschichtlich vorgehend Themenkomplexe untersucht, die für die Thematik des Geschlechterverhältnisses zwar von unmittelbarer Relevanz sind, dabei jedoch nicht von einem wie auch immer gearteten feministischen Erkenntnisinteresse geleitet sind. Neben wichtigen Arbeiten zur Motivik der Sexualität in den mittelhochdeutschen Verserzählungen156, auf die ich an späterer 146

Vgl. Hannelore CHRIST, Frauenemanzipation durch solidarisches Handeln [1976; zu der Verserzählung Das erzwungene Gelübde des Strickers (FB 127h)]. 147 Vgl. u. a. Albrecht CLASSEN, Misogyny and the Battle of Genders in the Stricker’s maeren [1991]; DERS., Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Unterdrückung und Sexualität [2000]; DERS., Gender Conflicts, Miscommunication, and Communicative Communities in the Late Middle Ages [2003]; DERS., A Woman Fights For Her Honour [2006]. 148 Vgl. Ann Marie RASMUSSEN, Bist du begehrt, so bist du wert [1993]. 149 Vgl. Joëlle FUHRMANN, Le rôle de la femme dans les Maeren [1989]; DIES., L’habit masculin chez les personnages féminins de quelques Mären [1993]; DIES., Les différentes aspects de la femme diabolique dans la „nouvelle“ allemande [1994]; DIES., La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif [1996]. 150 Małgorzata CHOJNACKA, Die deutsche Märendichtung des Mittelalters und das weibliche Schönheitsideal [1993]; DIES., Frauengestalten in der Märendichtung [1997]. 151 Vgl. Hartmut KUGLER, Emanzipation im Negativ [2002]. 152 Vgl. Martin PRZYBILSKI, Kuppelmessen [2004]. 153 Vgl. René WETZEL, Così fan tutte in Würzburg und Florenz [2004; zu Ruprecht von Würzburgs Treueprobe (FB 108)]. 154 Vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung [1999; schwerpunktmäßig zum Häslein (FB 50)]. 155 Vgl. Silvia BOVENSCHEN, Die imaginierte Weiblichkeit [1979]. 156 Vgl. David BLAMIRES, Sexual comedy in the Mären of Hans Rosenplüt [1976]; Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung [1978]; John MARGETTS, Die Darstellung der weiblichen Sexualität in deutschen Kurzerzählungen des Spätmittelalters [1985]; Joachim HEINZLE, Schule des Lebens – Schule der Liebe [1993]; Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers

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Stelle noch ausführlicher eingehen werde, zählen hierzu insbesondere Studien, die sich mit dem in vielen Texten prominenten Motivkomplex von Liebe, Ehe und Ehebruch auseinandersetzen. Hier lassen sich neben der frühen Arbeit von Bruno BARTH157 insbesondere Darstellungen von Stephen L. WAILES158, Daniel ROCHER159, Otfrid EHRIS160 161 162 163 MANN , Rüdiger KROHN , Johannes JANOTA , Michael SCHILLING , Jean-Marc 164 165 166 167 PASTRÉ , Walter BLANK , Wolfgang SPIEWOK , John MARGETTS , Marie-Sophie MASSE168 und André SCHNYDER169 einordnen, die in besonderer Dichte in den achtziger und neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Um deren Argumentationsstrategien beispielhaft zu verdeutlichen, seien an dieser Stelle zwei Positionen exemplarisch herausgegriffen: Walter BLANK etwa liest die Verserzählungen als Spiegel veränderter Gesellschaftsstrukturen des späten Mittelalters, die durch eine verstärkte soziale Mobilität und den Aufstieg des Bürgertums gekennzeichnet gewesen seien; dabei werde in den literarischen Texten die Realität nicht unmittelbar wiedergegeben, vielmehr reflektierten Verserzählungen die sozialhistorisch – auch im Hinblick auf die Lebensräume von Frauen und Männern – greifbar werdenden neuen Freiräume, „die offene Situation in ihrer Ambivalenz“.170 MARGETTS wiederum erklärt die motivische Häufung des Ehestreits im Rückgriff auf zeitgenössische, realhistorische Diskussionen zur rechtli-

[1987; zu Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24)]; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität [1990]; Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo [2001]; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden [2001]; Gerd DICKE, Mären-Priapeia [2002]; Hans Rudolf VELTEN, Groteske Organe [2004]; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil [2005]. 157 Vgl. Bruno BARTH, Liebe und Ehe im altfranzösischen Fablel und in der mittelhochdeutschen Novelle [1910]. 158 Stephen L. WAILES, Students as Lovers in the German Fabliau [1977]. 159 Vgl. Daniel ROCHER, Le discours contradictoire du Stricker sur les femmes et l’amour [1980]; DERS., Du droit de la femme dans le mariage [1992]. 160 Vgl. Otfrid EHRISMANN, der tîvel brâhte mich ze dir [1984; zu den Verserzählungen des Strickers]. 161 Vgl. Rüdiger KROHN, Die Entdeckung der Moral [1986/87; zu Kaufringers Suche nach dem glücklichen Ehepaar (FB 67m)]. 162 Vgl. Johannes JANOTA, Liebe und Ehe bei Hans Folz [1987]. 163 Vgl. Michael SCHILLING, Liebe und Gesellschaft [1989]. 164 Vgl. Jean-Marc PASTRÉ, Par dela le bien et le mal [1984]; ebenso DERS., Les composantes du bonheur conjugal dans les fabliaux allemands du moyen âge [1990], und DERS., Droit matrimonial et loi naturelle dans les fabliaux allemands [1993]. 165 Vgl. Walter BLANK, Zur Paarbeziehung in deutscher Märendichtung [1991]. 166 Vgl. Wolfgang SPIEWOK, Der betrogene Ehemann in der altdeutschen Novellistik [1994]. 167 Vgl. John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters [1996; zentral zu Sibotes Frauenerziehung (FB 121)]. 168 Vgl. Marie-Sophie MASSE, Mariage et adultère dans les Maeren de Heinrich Kaufringer [1996]. 169 Vgl. André SCHNYDER, er zoch hin, so zoch sie her [1997; zu Heinrich Kaufringers Suche nach dem glücklichen Ehepaar (FB 67m)]. 170 Walter BLANK, Zur Paarbeziehung in deutscher Märendichtung [1991], S. 85; vgl. S. 68, 84–87 und passim.

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chen Besserstellung der Frau in der Ehe; die männliche Angst vor einem Machtverlust habe die Verbreitung dieses literarischen Motives weithin forciert.171 Auch im 21. Jahrhundert hat der Themenkomplex ,Liebe und Ehe‘ das Interesse der Forschung erneut auf sich gezogen: Zuletzt untersuchte Rüdiger SCHNELL „Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten“ (2001)172 im Hinblick auf den Ehebruch, Mark Robert BIALAS entfaltete den rechtshistorischen Hintergrund entsprechender Darstellungskonventionen (2001)173, Silvan WAGNER analysierte u. a. geschlechtsspezifische Aspekte von literarischen Gottesbildern in höfischen Mären (2009)174 und James A. SCHULTZ (2006) Konzepte von ,Liebe‘ in den mittelhochdeutschen Verserzählungen bzw. in der mediävistischen Forschung über diese Texte. SCHULTZ arbeitet dabei heraus, dass sexuelle Aktivitäten nicht einem inneren Impetus der Figuren folgen, sondern vielmehr von außen, durch einen äußeren Anreiz, angestoßen würden.175 Hinsichtlich der dargestellten Reaktionen der Figuren auf solche Stimulationen trifft er dabei eine interessante Unterscheidung zwischen der Motivation der männlichen und weiblichen Protagonisten: In men these responses are immediate: as soon as the opportunity presents itself, they want to have sex; as soon as the image enters the eyes, they are prisoners of love. In women the responses are more complicated: the opportunity to make love is at the same time the opportunity to get something in exchange for sex, and often this exchange must be negotiated; the impression of the potential lover that impinges on a woman may be tested over time to determine is true worth before she allows it to take possession of her heart.176

Während die feministisch inspirierte Frauenbildforschung darauf abzielte, Stereotype geschlechtsspezifischer Bilder in den literarischen Texten aufzusuchen, betonen insbesondere jüngere Arbeiten das Potential der mittelhochdeutschen Verserzählungen, neuartige Geschlechterkonzepte hervorzubringen, die nicht in einen unmittelbaren Bezug zur historischen Realität gesetzt werden müssen.177 Diese Arbeiten sind zum einen durch die Wendung der feministischen Literaturwissenschaft zur gender-Forschung beeinflusst, welche den Konstruktionscharakter der Geschlechterdifferenz betont und die fiktionalen Spielräume in der Darstellung von Geschlechterbildern und des Geschlechterverhältnisses in Kunst und Literatur fokussiert. Zum anderen legen diese Texte zu-

171

Vgl. ebd., S. 226–228. Die Spiegelung von Angst in der Darstellung von Gewalt zwischen den Geschlechtern betont u. a. auch Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 468, 477–480. 172 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten [2001]. 173 Vgl. Mark Robert BIALAS, Wachte die Herkunftssippe einer verheirateten Frau über deren ordnungsgemäße Behandlung durch den Ehemann? [2001]. 174 Silvan WAGNER, Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters [2009]. 175 Vgl. James A. SCHULTZ, Love without desire in Mären of the thirteenth and fourteenth centuries [2006]. 176 Ebd., S. 144. 177 Vgl. Ingrid KASTEN, Erzählen an einer Epochenschwelle, S. 186 und Anm. 63.

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meist einen größeren Akzent auf die Literarizität, die poetisch-textuelle Konstruktion und die ästhetische Qualität der Verserzählungen. In diesem Sinne wendet sich auch Mireille SCHNYDER in ihrem kurzen Forschungsüberblick über „Märenforschung und Geschlechterbeziehungen“ (2000)178 kritisch gegen die Gefahren einer rein sozialgeschichtlich argumentierenden Forschung, deren Erkenntnisinteressen nicht in erster Linie literaturwissenschaftlich geprägt, sondern vielmehr durch historiographische Implikationen bestimmt seien: Die Idee, daß das Märe an die Alltagswelt des Publikums anknüpfe, ist […] zählebig und stark. Bei aller methodischen Vorsicht und Bewußtheit der Differenz zu einer wie auch immer gearteten ,Realität‘, werden Mären nicht selten als Quellen und exemplarische Beispiele für Fragen im Bereich einer Geschichte der Frauen oder der Frau in der Geschichte, also sozial-, alltags- und mentalitätsgeschichtliche Fragen, herangezogen.179

Eine Wende zu einer genuin literaturwissenschaftlichen Betrachtung der Verserzählungen erfolge aber letztlich, so SCHNYDER, durch den neuerlichen Einfluss der Narratologie.180 In ihren eigenen Untersuchungen widmet sich Mireille SCHNYDER dementsprechend einer poetologischen Lektüre von Weiblichkeitsentwürfen in den mittelhochdeutschen Verserzählungen. In ihrem Aufsatz „Die Entdeckung des Begehrens“ (2000) über die Konrad von Würzburg zugeschriebene Halbe Birne (A) (FB 74) erarbeitet SCHNYDER u. a. die innerliterarische Funktion von Sprache auf der Handlungsebene der Texte zur Profilierung einer ambivalenten Frauendarstellung, die zwischen sexuellem Aufbegehren und Unterordnung unter bestehende Machtverhältnisse changiere.181 Desgleichen widmet sich ihr Aufsatz „Märenforschung und Geschlechterbeziehungen“ (2000) eben diesem Thema, in dem die Mediävistin anhand der Erzählung Konni von Heinz dem Kellner (FB 58) die Wechselwirkungen des literarischen Spiels zwischen Sprachkunst der weiblichen Hauptfigur sowie der Sprachgewalt des Erzählers beleuchtet182, um im Fazit die „Geschlechterbeziehungen“183 als „ein poetologisches Problem“184 der Verserzählungen zu kennzeichnen. Diesen Analyseansatz entwickelt sie weiter in ihrem Aufsatz „Schreibmacht vs. Wortgewalt“ (2006), in dem sie anhand des Rädleins von Johannes von Freiberg (FB 64) die männlich codierte Schriftkompetenz, wie sie nicht nur auf der Handlungsebene sichtbar werde, sondern ebenso dem (männlichen) Erzähler / Autor und seiner Schrifthoheit eigne, einer weiblich codierten Sprachgewalt gegenüberstellt:

178

Vgl. Mireille SCHNYDER, Märenforschung und Geschlechterbeziehungen [2000], hier S. 123–125. Ebd., S. 123f. 180 Vgl. ebd., S. 124. 181 Vgl. DIES., Die Entdeckung des Begehrens [2000]. 182 Vgl. DIES., Märenforschung und Geschlechterbeziehungen, S. 126–134. 183 Ebd., S. 133. 184 Ebd., S. 133f. 179

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Einleitung Die Poetik der Mären ist somit eine Poetik, die mit der medialen Verfasstheit der Sprache spielt und die Differenz zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit nicht nur zu einer Hierarchisierung der Geschlechter einsetzt, sondern auch zur Selbstinszenierung des mit Deutungsmacht ausgestatteten Erzählers.185

Weiterführend befasst sie sich am Beispiel des Rädleins (FB 64) auch in ihrer Studie „Schriftkunst und Verführung“ (2006) mit eben diesem thematischen Komplex.186 In beiden Texten, insbesondere aber in ihrem Aufsatz „Schreibmacht vs. Wortgewalt“ setzt sie sich kritisch mit dem vergleichbaren Versuch einer poetologischen Lektüre dieser Verserzählung durch Judith KLINGER187 auseinander, in welcher diese ebenfalls die textuellen Inszenierungen von weiblicher Sexualität und Subjektivität als „sexuelle Poetik“188 des Textes untersucht.189 Auf beide Positionen werde ich an gegebener Stelle näher eingehen. Schließlich lassen sich die neueren Arbeiten von Susanne REICHLIN190 und teilweise auch von Andrea MOSHÖVEL191 dieser literaturwissenschaftlichen Richtung zuordnen. Auch wenn es nicht ganz leicht fällt, hier konkrete Zuordnungen vorzunehmen, da sich die einzelnen Beiträge nicht trennscharf den von mir beschriebenen Forschungssträngen zuweisen lassen, würde ich auch die folgenden Publikationen in den uns interessierenden methodischen Zusammenhang einreihen wollen: Bereits 1989 entfaltete Sarah WESTPHAL-WIHL den engen Zusammenhang von Ehe, Sexualität und Ehre für das Frauenturnier (FB 39), bei dem sie u. a. die Handlung auf die Bildung von Strukturen weiblichen Gemeinschaftssinns untersucht.192 Jutta EMING knüpft an die kulturwissenschaftlich-theologischen Arbeiten von Caroline Walker BYNUM an, um für Die eingemauerte Frau des Strickers (FB 127g) die Widerständigkeit literarischer Weiblichkeitsentwürfe anhand eines von ihr entwickelten Konzeptes von „Subversion through Affirmation“ (1999)193 aufzuzeigen.194 Claudia BRINKER-VON DER HEYDE widmet sich anhand der sexuell konnotierten Reiter- und Pferdmotivik literarischen Symbolisierungsweisen von Herrschaftsstrukturen im Geschlechterverhältnis (1999)195. In ihrer Vorgehensweise unterscheiden sich die genannten Texte von den eher in hermeneutischer Tradition stehenden Arbeiten von Christa ORTMANN und Hedda RAGOTZKY, de-

185

Vgl. DIES., Schreibmacht vs. Wortgewalt [2006], S. 108. Vgl. DIES., Schriftkunst und Verführung [2006]. 187 Vgl. Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt [2001]. 188 Ebd., S. 211. 189 Vgl. weiterführend Kap. 2.2.2.c der vorliegenden Arbeit. 190 Vgl. Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte [2008]; DIES., Gescheiterte Liebeserziehung [2008]. 191 Vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man [2009; u. a. zu den mittelhochdeutschen Verserzählungen]. 192 Vgl. Sarah WESTPHAL-WIHL, The Ladies’ Tournament [1989]. 193 Vgl. Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau [1999]. 194 Vgl. hierzu Kap. 3.1.3.b der vorliegenden Arbeit. 195 Vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft [1999]. 186

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ren Analysen von fiktionalen Geschlechterentwürfen zwar ebenfalls auf deren Literarizität abheben, jedoch kein i. w. S. ideologiekritisches Anliegen dabei verfolgen: In mehreren Beiträgen bilden hier konventionalisierte literarische Topoi von Minne und Ehe, wie sie in der höfischen Kultur entwickelt worden sind, die interpretatorischen Verstehensfolien für die literaturgeschichtlich späteren Verserzählungen.196 Während sich die literaturwissenschaftliche Geschlechterforschung im Allgemeinen zunächst lediglich mit der Untersuchung von literarischen Frauenbildern und Weiblichkeitsentwürfen auseinandersetzte, wandte sich die Philologie – und mit ihr die Mediävistik – mit der Akzentverschiebung von der Frauen- zur Geschlechterforschung seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend auch der Untersuchung von literarischen Männerbildern und Männlichkeitsentwürfen zu.197 Für die mittelhochdeutschen Verserzählungen untersuchte erstmalig Rüdiger KROHN in seinem Aufsatz „Zeugnisse des Niedergangs“ (1991) den „Wandel des Ritterbildes“; er beleuchtet darin den Figurentypus des Ritters, dessen allmähliche Depotenzierung im Verlaufe der Entwicklung des Genres er konstatiert; diese möchte KROHN mit dem sozialhistorischen Bedeutungsverlust des Rittertums im Verlaufe des Spätmittelalters korreliert wissen.198 In seiner Untersuchung über „Verlachte Männlichkeit in Mären aus dem 15. Jahrhundert“ (1998)199 geht Hans-Jürgen BACHORSKI einen Schritt weiter, wenn er zu dem Schluss kommt, dass in den Verserzählungen dieser Zeitphase „ein durchaus offenes Spiel in der Konstruktion von Geschlechteridentität“200 vorherrsche. Er zeigt anhand von vier Texten Hans Rosenplüts und Heinrich Kaufringers auf201, dass weder die hierarchische Ordnung zwischen Mann und Frau noch die Identität der beiden Geschlechter in Form einer fixen Dichotomie festgelegt werde, sondern vielmehr beweglich und 196

Vgl. Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Zur Funktion exemplarischer triuwe-Beweise in Minne-Mären [1988; zu Herrand von Wildonie, Die treue Gattin (FB 61b), Konrad von Würzburgs Herzmaere (FB 73b) sowie zur Frauentreue (FB 38)]; Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘ [1998]; DIES., Minneherrin und Ehefrau [1999; zu Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24)]; vgl. ähnlich bereits Ingrid STRASSER, und sungen ein liet ze prîse in einer hôhen wîse [1980; zu „den Ehestandsmaeren des Strickers“]. 197 Vgl. allein für die germanistische Mediävistik z. B. die folgenden Sammelbände und Monographien (die Vielzahl der einzeln erschienenen Aufsätze kann hier nicht angeführt werden): Martin BAISCH [u. a.] (Hrsg.), Aventiuren des Geschlechts [2003; zu Männlichkeitsmodellen in der Literatur des 13. Jahrhunderts]; Claudia BENTHIEN / Inge STEPHAN (Hrsg.), Männlichkeit als Maskerade [2003]; Ruth WEICHSELBAUMER, Der konstruierte Mann [2003; zur didaktischen Literatur des Mittelalters]; Susanne HAFNER, Maskulinität in der höfischen Erzählliteratur [2004]; Johannes KELLER / Norbert MECKLENBURG / Matthias MEYER (Hrsg.), Das Abenteuer der Genealogie [2006; zu Vater-Sohn-Beziehungen in mittelalterlicher Literatur]; Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man [2009]. 198 Vgl. Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs [1991]. 199 Vgl. Hans-Jürgen BACHORSKI, Das aggressive Geschlecht [1998]. 200 Ebd. S. 266. 201 Er bezieht sich auf folgende Texte: Hans Rosenplüt, Die Wolfsgrube (FB 105l); Hans Rosenplüt, Spiegel und Igel (FB 105h); Heinrich Kaufringer, Die drei listigen Frauen (B) (FB 67e); Hans Rosenplüt, Der Barbier (FB 105a).

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variant erscheine; insbesondere die männliche Identität sei dabei vielfältigen Gefährdungen ausgesetzt.202 Generell erweise sich die Geschlechterdarstellung in den Verserzählungen somit als derart komplex, dass sie sich nicht auf die simplifizierende Vorstellung einer Negation tradierter Geschlechternormen im Sinne einer ,verkehrten Welt‘ reduzieren lasse.203 Zum gleichen Schluss gelangt auch Ralf SCHLECHTWEG-JAHN in seinem Aufsatz „Geschlechtsidentität und höfische Kultur“ (1999), indem er anhand einiger priapeischer204 Texte205, u. a. der Verserzählung vom Nonnenturnier (FB 93), erläutert, wie zerbrechlich sich die in der höfischen Kultur gegebene männliche Dominanz im Texttyp der Verserzählungen erweise. Desgleichen beschreibt Johannes KELLER Depotenzierung und Destruktion von Männlichkeit im Rahmen von Verserzählungen über das Eheleben.206 Andrea MOSHÖVEL untersucht Formen von ,Effeminierung‘ u. a. in mittelhochdeutschen Verserzählungen.207 Andere Untersuchungen in diesem Umfeld beschäftigen sich mit dem männlichen Blick208 oder literarischen Konzepten und Rollenentwürfen männlicher Ritterlichkeit.209 Gegen Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde, dem neuen (dekonstruktivistischen) Paradigma in der feministischen Literaturwissenschaft folgend, wiederholt versucht, die Thesen Judith BUTLERS210 und die Idee eines one-sex-Modells nach Thomas LAQUEUR211 für die Lektüre der Verserzählungen fruchtbar zu machen212, so etwa von Ralf SCHLECHTWEG-JAHN213, Matthias MEYER214 oder neuerdings von An202

Vgl. ebd., S. 276. Vgl. ebd., S. 278. – Bereits in früheren Veröffentlichungen hat sich BACHORSKI mit den mittelhochdeutschen Verserzählungen befasst und diese These der Ausgestaltung des Komplexes ,schwacher Männlichkeit‘ als eine thematisch-motivische Eigenart dieses literarischen Texttyps gleichsam vorbereitet; vgl. Hans-Jürgen BACHORSKI, Ehe und Trieb, Gewalt, Besitz [1994]. 204 Vgl. Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur [1999]. 205 Vgl. hierzu Kap. 4.2.2.a und 4.2.2.b der vorliegenden Arbeit. 206 Vgl. Johannes KELLER, Dekonstruierte Männlichkeit [2003; zum Begrabenen Ehemann des Strickers (FB 127c) und zu den Drei listigen Frauen (B) von Heinrich Kauringer (FB 67e)]. 207 Vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man [2009], S. 155–316. 208 Vgl. Daniela HEITZMANN, Blick – Affekt – Handlung [2002; zu Konrad von Würzburgs Heinrich von Kempten (FB 73a)]. 209 Vgl. Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling [1985], hier insbesondere S. 103–114; Beate KELLNER, Der Ritter und die nackte Gewalt [2002; zu Konrad von Würzburgs Heinrich von Kempten (FB 73a)]; Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft [2002]; Nicole JEHLY, Die Demontage des Ritter- und MinneIdeals im Moriz von Craûn [2002]; Horst WENZEL, Rittertum und Gender-Trouble im höfischen Roman (Erec) und in der Märendichtung (Beringer) [2003]. 210 Judith BUTLER, Das Unbehagen der Geschlechter [1990; dt. 1991]; DIES., Körper von Gewicht [1993; dt. 1997]. 211 Thomas W. LAQUEUR, Auf den Leib geschrieben [1990; dt. 1992]. 212 Vgl. dazu allgemein Brigitte SPREITZER, Störfälle [1999]. 213 Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur [1999]. 214 Matthias MEYER, Speculum narrationis [2004].

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drea MOSHÖVEL215. In der Regel konnten durch diese Beiträge, die insbesondere die Körperthematik fokussieren, zwar neue Perspektiven auf die Geschlechterthematik eröffnet werden, der konkrete Transfer der theoretischen Positionen, die gerade nicht aus der Auseinandersetzung mit literarischen Texten des Mittelalters erwachsen sind, auf die mittelhochdeutschen Verserzählungen blieb aber häufig äußerlich und führte mitunter zu recht eigenwilligen Interpretationsergebnissen.216 Andere Mediävistinnen und Mediävisten, die sich mit Erscheinungsformen von Körperdarstellungen in den Verserzählungen auseinandersetzen und sich der Thematik offener annähern, wie etwa Marc CHINCA, André SCHNYDER, Karina KELLERMANN, Bettina BILDHAUER oder Klaus GRUBMÜLLER, gelangen hier regelmäßig zu wesentlich differenzierteren Ergebnissen.217 Inspiriert durch die Theoreme des dekonstruktvistischen Feminismus sowie der Queer Studies rückten im gleichen Jahrzehnt zunehmend fiktionale Formen von Grenzüberschreitungen und Verunsicherungen im (zwischen)geschlechtlichen Bereich in das Zentrum des Forschungsinteresses. So hat sich etwa Edith FEISTNER in ihrer Studie „Manlîchiu wîp, wîplîche man“ (1997) mit dem Kleidertausch beschäftigt218, André SCHNYDER, Martin BLUM und Andreas KRAß mit Erscheinungsformen gleichgeschlechtlicher ,Liebe‘ (Homosexualität).219 In diesem Zusammenhang hat sich eine Diskussion über die Frage nach dem Subversionspotential der mittelhochdeutschen Verserzählungen entsponnen, wobei jedoch zumeist ihr affirmativer und normativer Charakter hervorgehoben wird. Ute VON BLOH220, die Darstellungen weiblichen Kampfes sowie 215

Vgl. Anm. 207 des vorliegenden Kapitels. Vgl. so z. B. die kuriose Entwicklung eines dreiteiligen Geschlechtermodells und die Nutzbarmachung des one-sex-Modells durch SCHLECHTWEG-JAHN für die Analyse des Nonnenturniers (FB 93), vgl. Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur, S. 92–97; vgl. hierzu auch Kap. 4.2.2.a der vorliegenden Arbeit. – Kritisch setzten sich mit einer Applikation der Thesen von BUTLER und LAQUEUR auf die mittelalterliche Literatur in ihren Arbeiten u. a. Ricarda BAUSCHKE (vgl. „,[sic!]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“ [1999]) sowie Brigitte SPREITZER oder Ursula PETERS auseinander. 217 Vgl. Mark CHINCA, The body in some Middle High German Mären [1994]; André SCHNYDER, Frauen und Männer in den Mären Heinrich Kaufringers [1999]; Karina KELLERMANN, Der Uterus als Edelstein oder das Geschlecht als Kopfgeburt? [2003; zu Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24) und Spiegel und Igel von Hans Rosenplüt (FB 105h)]; Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed? [2006; schwerpunktmäßig zu Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66)]; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], Kap. 9.2, „Partialisierung: Die Isolierung des Körpers“, S. 201–212, und Kap. 9.3, „Der Körper als Objekt: Die Lust am Gemeinen“, S. 213–241. 218 Vgl. Edith FEISTNER, Manlîchiu wîp, wîplîche man [1997]; vgl. ebenfalls mit einer implizit das Geschlechterverhältnis betreffenden Fragestellung DIES., Kulinarische Begegnungen [2000]. 219 Vgl. André SCHNYDER, „Des Mönches Not“ [1987]; Martin BLUM, Queer Desires and the Middle High German Comic Tale [1998]; Andreas KRAß, Das erotische Dreieck [2003, zu Dietrich von der Glesses Borte (FB 24)]. 220 Vgl. Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe [1999]; DIES., Die Sexualität, das Recht und der Körper [2001]; vgl. weiterführend – allerdings nicht in erster Linie im Hinblick auf die mittelhochdeutsche Verserzählung auch DIES., Gefährliche Maskeraden [2002]. 216

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gegengeschlechtlicher Verkleidungen untersucht, kommt dabei ähnlich wie Mireille SCHNYDER zu dem Urteil, dass die Verserzählungen zwar hinsichtlich der Geschlechterdarstellung häufig nach einer „Logik des Falschen“221 strukturiert seien, der dargestellte Kampf zwischen Männern und Frauen aber keinerlei Zweifel über die tatsächlichen Machtverhältnisse, d. h. die faktische Vorrangstellung des Mannes, aufkommen ließen. Ebenso konzediert Jan-Dirk MÜLLER in seinem Aufsatz von „Der Widerspenstigen Zähmung“ (2000)222, dass „die Gattung Maere […] einen Spielraum des Erzählens, in dem anerkannte Positionen im Geschlechterverhältnis bis an die Grenzen des Absurden ausgereizt werden können“223, eröffne, welche letztlich jedoch systemstabilisierende Effekte zeitigten: „Die Fiktion läßt Konstellationen zu, die aus der gesellschaftlichen Praxis ausgeschlossen sind, um eben diese Praxis zu bestätigen.“224 Die Aufgabe der folgenden Untersuchungen wird es sein, dieser Frage anhand einzelner thematischer Querschnitte eingehender nachzuspüren. Mit der eingangs formulierten erweiterten Zielsetzung, nach der Korrelation der Konzepte ,Gattung‘ bzw. ,Genre‘ und ,Geschlecht‘ in den mittelhochdeutschen Verserzählungen zu fragen, greife ich wiederum eine Thematik auf, die in der Mediävistik vor allem von Simon GAUNT für die Romanistik225 und von Rüdiger SCHNELL für die Germanistik mit ihren Arbeiten zum Verhältnis von Gattung und Geschlechterdiskurs auf unterschiedliche Weise verfolgt worden sind. Rüdiger SCHNELL hat in zahlreichen Publikationen die Bedeutung der je spezifischen Textfunktionen für die Konstitution divergenter literarischer Geschlechterdiskurse hervorgehoben.226 In diesen Zusammenhang lassen sich schließlich Arbeiten einreihen, die, beeinflusst vom Forschungskontext der New Philology, insbesondere in der US-amerikanischen Mediävistik entstanden sind. So ist von Sarah WESTPHAL und Ann Marie RASMUSSEN der Blick auf geschlechtsspe-

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DIES., Heimliche Kämpfe, S. 216; DIES., Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 77. Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung [2000]. 223 Ebd., S. 469. 224 Ebd. 225 Vgl. Simon GAUNT, Gender and genre in medieval french literature [1995]. – Für die englische Kurzerzählung des Mittelalters hat Angela Jane WEISL in ihrer Studie „Conquering the Reign of Femeny: Gender and Genre in Chaucer’s Romance“ [1995] die Verknüpfungen zwischen den Konzepten gender und Genre untersucht. 226 Vgl. z. B. Rüdiger SCHNELL (Hrsg.), Text und Geschlecht [1997], darin DERS., Text und Geschlecht [Einleitung], sowie DERS., Geschlechtergeschichte und Textwissenschaft; DERS., Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs [1998]; DERS. (Hrsg.) Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen [1998], darin DERS., Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen [Probleme und Perspektiven]; DERS., Geschlechtergeschichte, Diskursgeschichte, Literaturgeschichte [1998]; DERS., Frauenlied, Manneslied und Wechsel im deutschen Minnesang [1999]; DERS., Darstellung und Bewertung des Ehebruchs in der mittelalterlichen Literatur [2000]. – Auch andere Autoren gehen selbstverständlich von einer gattungs- bzw. genrespezifischen Ausformung von literarischen Geschlechterbildern in der mittelalterlichen Kultur aus, vgl. z. B. Silke WINST, Gender Studies in der literaturwissenschaftlichen Mediävistik, exemplarisch auch Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 47–54. 222

Forschungsüberblick

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zifische Varianzen und Sammlungstendenzen in spätmittelalterlichen Handschriften gelenkt worden, welche gerade auch im Bereich der kleinepischen Texte in besonderer Wiese sichtbar werden.227 Derartige Untersuchungen können im Folgenden aufgrund der Größe des zu untersuchenden Textkorpus aber allenfalls punktuell geleistet werden. Überblickt man resümierend die aktuelle Forschung zur Geschlechterdifferenz in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, so wird deutlich, dass gegenwärtig unterschiedliche methodische Ansätze nebeneinander praktiziert werden und die Forschungssituation durch die Koexistenz durchaus konkurrierender Modelle und Verfahrensweisen geprägt ist: Neben thematisch relevanten Studien, die den traditionellen Interpretationsverfahren der philologischen Hermeneutik verpflichtet sind, stehen andere mit einem ausgewiesen ,feministischen‘ bzw. geschlechterkritischen Erkenntnisinteresse; neben eher sozial- und kulturwissenschaftlich interessierten Studien finden sich solche, die ihr Augenmerk vorrangig auf die Poetizität und Literarizität der untersuchten Geschlechterentwürfe richten. Bei aller Vielfalt der methodischen Ansätze zeichnet sich jedoch, so meine ich, die Tendenz ab, die spielerische und experimentelle Qualität der mittelhochdeutschen Verserzählungen im Umgang mit Geschlechterkonstruktionen hervorzuheben. Vielleicht, dies mag die vorliegende Arbeit erweisen, könnte diese als genrespezifisches Signum des literarischen Texttyps bewertet werden.

227

Die Kategorie gender als „compilational principle“ (Ann Marie RASMUSSEN, Thinking through Gender in Late Medieval German Literature) wird in folgenden Arbeiten verdeutlicht: Sarah WESTPHAL-WIHL, Pronoun Semantics [1989]; Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500 [1993]; Ann Marie RASMUSSEN, Thinking through Gender in Late Medieval German Literature [2002]; DIES., Gender und Subjektivität im Märe Die zwei Beichten (A und B) [2005].

2

Körperzeichen – Semiotik der Geschlechterdifferenz

2.1 Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘ als Paradigma der Geschlechterdifferenz In der westlichen Tradition wird die Differenz der Geschlechter häufig durch die Gegenüberstellung von (weiblich codierter) Natur und (männlich codierter) Kultur symbolisiert.1 Das Natur-Kultur-Paradigma2, auf dem dieses Konzept basiert, hat im Sinne einer „regulativen Fiktion“3 seine Wurzeln u. a. in der ethnologischen Anthropologie und geht im Besonderen zurück auf die strukturalistischen Arbeiten Claude LÉVISTRAUSS’ und seine Theorie der binären Oppositionen. In diesem Wissenskontext gilt das Paradigma ursprünglich als ein elementares und universales, d. h. kulturinvariantes Interpretationsschema, das die Funktion hat, der Welt Struktur und Sinn zu verleihen.4 Formallogisch betrachtet markiert die Polarität von Natur und Kultur hier einen Gegensatz, der neben der Geschlechterdifferenz grundsätzlich eine Vielzahl von Oppositionsverhältnissen zu symbolisieren vermag. Heute wird der universalistische Geltungsanspruch des Paradigmas zunehmend in Frage gestellt und stattdessen die Verhaftung der 1

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Zur „Dichotomie von (weiblicher) Natur und (männlicher) Kultur“ (S. 107) vgl. Renate HOF, Die Grammatik der Geschlechter, S. 107–112, sowie Astrid DEUBER-MANKOWSKY, Natur / Kultur; einen Abriss der theoretischen Grundlagen der Geschlechterdualismen im abendländischen Denken bietet Cornelia KLINGER unter dem Stichwort ,Geschlechtersymbolismus‘ in ihrem Artikel „Beredtes Schweigen und verschwiegenes Sprechen“, S. 38–51. Dessen Aktualität zeigt beispielhaft das Thema des Deutschen Germanistentages 2007: „Natur – Kultur. Universalität und Vielfalt in Sprache, Literatur und Bildung“; vgl. zu ersten Veröffentlichungen den Überblick von Beate KELLNER / Christian KIENING, Einleitung: Körper – Kultur – Literatur (1200–1800). Systematisch analysiert das Begriffspaar Albrecht KOSCHORKE, Zur Epistemologie der Natur/Kultur-Grenze; vgl. auch Udo FRIEDRICH, Menschentier und Tiermensch, S. 9–17. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. Michael CARRITHERS, [Art.] ,nature and culture‘, S. 394f. – Zu weiteren wissenschaftshistorisch relevanten Theoretisierungen des Natur-Kultur-Paradigmas vgl. zuletzt Udo FRIEDRICH, Grenzmetaphorik, S. 27f., mit weiterführenden Literaturangaben. Der Autor untersucht in seinem Aufsatz unterschiedliche Oppositionsbildungen im Modus des Natur-Kultur-Gegensatzes am Beispiel des menschlichen Körpers in mittelalterlichen Diskursen.

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Körperzeichen

Natur-Kultur-Dichotomie im hierarchisch strukturierten abendländischen Denken betont.5 Die metaphorische Zuordnung von ,Frau‘ zu ,Natur‘ sowie ,Mann‘ zu ,Kultur‘ erfolgt auf der Basis geschlechtsspezifischer Zuschreibungen von Wesensmerkmalen, aus anthropologischer Sicht wird vor allem die Nähe der Frau zur Natur mit der biologischen Tatsache der weiblichen Gebärfähigkeit in Verbindung gebracht, gleichsam ex negativo resultiert aus dieser Denkfigur die Ableitung der kulturellen Einflusssphäre als männliches Terrain.6 Das Natur-Kultur-Paradigma bezeichnet insofern nicht bloß einen strukturierenden Gegensatz, sondern beschreibt gleichfalls ein Verhältnis der Asymmetrie7, insofern ,Kultur‘, die unter allen natürlichen Lebewesen allein dem Menschen zukommt, als die entwickeltere und somit der ,Natur‘ überlegene Existenzweise gedacht wird. Demzufolge versinnbildlicht die geschlechtliche Markierung der Opposition von ,Kultur‘ und ,Natur‘ ein soziales Gefälle, eine Hierarchie zwischen dem übergeordneten Mann und der untergeordneten Frau.8 Auch wenn die geschlechtliche Ausdeutung des Natur-Kultur-Paradigmas erst in der Geschlechterforschung des 20. Jahrhunderts eingehend theoretisch reflektiert wurde9, so ist doch unleugbar, dass die Konzeptualisierung von Weiblichkeit als ,Natur‘ und von Männlichkeit als ,Kultur‘ auch kulturellen Entwürfen früherer Epochen zugrunde liegt.10 Am Anfang der abendländischen Geistesgeschichte findet sich dieser Geschlech5

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Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem von ihm sog. phallogozentrischen Denken findet sich vor allem in den dekonstruktivistischen Schriften Jacques DERRIDAS; vgl. z. B. Lena LINDHOFF, Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 90f.; Franziska SCHÖßLER, Einführung in die Gender Studies, S. 83–85. Umgekehrt erfolgt die Begründung der Geschlechterdifferenz durch die Vorstellung ihrer Naturgegebenheit. Vgl. Beate KELLNER / Christian KIENING, Einleitung: Körper – Kultur – Literatur (1200–1800), S. 3. Vgl. Renate HOF, Die Grammatik der Geschlechter, S. 109. Eine kritische Reflexion dieses Zusammenhangs erfolgte erstmals in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, grundlegend von der Ethnologin Sherry B. ORTNER 1974 in ihrem Aufsatz „Is Female to Male as Nature Is to Culture?“, in dem sie der Frau aufgrund der attribuierten Nähe zur Natur und ihrer gleichzeitigen Eingebundenheit in die menschliche Kulturgesellschaft eine ambige Zwischenstellung zuweist; vgl. ebd., S. 83–87; der universalistische Anspruch dieses Theoriekonzepts wurde schon bald einer vehementen Kritik unterzogen, insbesondere in dem 1980 publizierten Sammelband von Carol MACCORMACK / Marilyn STRATHERN (Hrsg.), Nature, Culture and Gender, in dem in mehreren Beiträgen nicht nur die Natur-Kultur-Dichotomie selbst, sondern ebenso ihre geschlechtliche Codierung als spezifische Eigenart des westlichen Denkens nachgewiesen wurde; vgl. zusammenfassend Renate HOF, Die Grammatik der Geschlechter, S. 107–112; Brigitta HAUSER-SCHÄUBLIN, Von der Natur in der Kultur und der Kultur in der Natur, S. 15f.; aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl. weiterführend Sigrid WEIGEL, Zum Verhältnis von ,Wilden‘ und ,Frauen‘ im Diskurs der Aufklärung. Zum angemessenen Verständnis dieses kulturanthropologischen Ansatzes ist es wichtig, zu unterstreichen, dass das Natur-Kultur-Schema im Sinne einer symbolischen Repräsentationsform unabhängig von der jeweiligen historischen Ausprägung der Begriffe ,Natur‘ und ,Kultur‘ zu betrachten

Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘

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terdualismus in der aristotelischen Philosophie11, die im mittelalterlichen Denken (insbesondere bei Thomas von Aquin) mit christlich-jüdischen Vorstellungen, u. a. der biblischen Genesisüberlieferung, verquickt wird und sich mit anderen zeitgenössischen theologischen, philosophischen, juristischen und medizinischen Wissenstraditionen verbindet, welche die gottgewollte Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau postulieren.12 Die mittelalterliche Literatur, in der die binäre Opposition von ,Natur‘ und ,Kultur‘ im Sinne einer symbolischen Repräsentationsform eine zentrale Kategorie literarischer Sinnkonstitution darstellt, wie die mediävistische Forschung hinlänglich aufgewiesen hat13, macht sich die Bildlichkeit des Natur-Kultur-Paradigmas wiederum zunutze14, um das asymmetrische Verhältnis der Geschlechter in Kunst und Literatur zu illustrieren.15 Dieser semiotisch-symbolische Zusammenhang gilt unabhängig davon,

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ist. Deshalb ist es für unseren Zugriff unerheblich, wenn in geistesgeschichtlicher Perspektive die für das neuzeitliche Denken fundamentale begriffliche Scheidung von ,Natur‘ und ,Kultur‘ im späteren Mittelalter noch nicht vollends ausgeprägt war und – mehr noch – der Begriff ,Kultur‘ in unserem heutigen Verständnis noch gar nicht existierte; erst allmählich begann sich dieser begriffliche Gegensatz zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert im Spätmittelalter auszuschärfen; vgl. Alan ROBERTSHAW / Gerhard WOLF, Vorwort, S. VII; Klaus GRUBMÜLLER, Natûre ist der ander got, S. 3, 16f.; Udo FRIEDRICH, Die Ordnung der Natur, S. 74. – Zum Begriffsverständnis von ,Natur‘ in Vormoderne und christlich geprägtem Mittelalter (das nicht zwischen ,Natur‘ und ,Kultur‘ unterscheidet, weil beide Existenzformen gleichsam als Emanationen Gottes gelten) vgl. zusammenfassend und mit weiterführenden Literaturhinweisen Klaus GRUBMÜLLER, ebd., passim; zu Naturkonzepten in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. Udo FRIEDRICH, Die Ordnung der Natur. Vgl. hierzu Prudence ALLEN, The Concept of Woman. An dieser Stelle soll darauf verzichtet werden, die Überfülle historischer Studien, die inzwischen zu diesem Themenkomplex vorliegt, aufzuführen. Zur semiotischen Erforschung des Natur-Kultur-Paradigmas oder ähnlich strukturierender Schemata in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. beispielhaft die Studien von Bernhard WALDMANN, Natur und Kultur im höfischen Roman um 1200; Horst WENZEL, Ze hove und ze holze; DERS., Wilde Blicke; Armin SCHULZ, dem bûsant er daz houbt abe beiz; vgl. zudem die Aufsätze in den Sammelbänden von Alan ROBERTSHAW / Gerhard WOLF (Hrsg.), Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters, sowie Peter DILG (Hrsg.), Natur im Mittelalter; vgl. des Weiteren Mireille SCHNYDER, Der Wald in der höfischen Literatur; einen Forschungsbericht bis in die Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts liefert Christian KIENING, Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur, S. 44–55. Daneben werden auch viele andere Dualismen geschlechtsspezifisch ausdifferenziert. Dazu gehören etwa die binären Oppositionen von Leib und Seele, Körper und Geist, Passivität und Aktivität, Immanenz und Transzendenz u. v. a.; vgl. Cornelia KLINGER, Beredtes Schweigen und verschwiegenes Sprechen, S. 39, 43; Maria E. MÜLLER, Naturwesen Mann; Caroline WALKER BYNUM, Men’s Use of Female Symbols, S. 277f. WALKER BYNUM legt für ihren Untersuchungsbereich der religiösen Literatur dar, wie und warum sich männliche und weibliche Autoren des Mittelalters diesen Geschlechtersymbolismus in je spezifischer Art und Weise angeeignet hätten. Da wir es bei den mittelhochdeutschen Verserzählungen aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit männlichen Autoren zu tun haben, spielen solche Fragestellungen für uns indes keine Rolle. Vgl. zur Verflechtung von Natur-Kultur-Paradigma und Geschlechterdifferenz in der mittelalterlichen Literatur Christian KIENING, Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur, S. 75:

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Körperzeichen

dass in der höfischen Kultur des europäischen Hochmittelalters adligen Frauen, die vielfach gebildeter waren als ihre männlichen Standesgenossen, programmatisch eine kultivierende Funktion zugeschrieben wurde.16 In den mittelhochdeutschen Verserzählungen dient, wie wir sehen werden, der Dualismus von ,Natur‘ und ,Kultur‘ aber nicht nur der Unterteilung des erzählten Raumes in geschlechtsdifferente Bereiche, wie zunächst einmal zu vermuten stünde. Er findet zudem in zahlreichen Texten Eingang in die Handlungsführung selbst, und zwar im Sinne dessen, was Jan-Dirk MÜLLER als eine „karnevaleske[ ] Konkretisierung moralphilosophischer und alltäglicher Metaphorik“17 bzw. als „buchstäbliche[ ] Verkörperung des Symbolischen“18 bezeichnet hat. Augenfällig wird dieses eigentümliche poetische Verfahren, das im Folgenden noch öfter begegnen wird, im Hinblick auf das Natur-KulturParadigma in einer Reihe von Texten, die auf der syntagmatischen Ebene Gegensätze zwischen Tieren und Menschen konstruieren, welche auf einer paradigmatischen Ebene als Antagonismen innerhalb der imaginären Geschlechterordnung erscheinen; teilweise werden diese Konflikte – zumeist im Kontext von Erziehungsdiskursen – auf der Handlungsebene zwischen den Protagonisten Mann und Frau ausagiert. Unterschiedliche Implikationen des Natur-Kultur-Paradigmas, die anhand des Gegensatzes von Tier und Mensch veranschaulicht werden können, haben in diesen Erzählungen die Funktion, Aspekte des Geschlechterverhältnisses in lehrhafter oder auch parodistischer Absicht erzählerisch auszugestalten.19 Eine konkrete Variante dieser Konfiguration von Mensch und Tier als „Einschreibefläche symbolischer Sinnstiftung […] für die anthropologische Selbstreflexion“20 findet sich in dem für das Mittelalter prominenten Motivkomplex von Pferd und Reiter.21 Die-

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„dort, wo der feministische Blick auch ein anthropologischer wird, kann er komplexe Beziehungen zwischen den oppositionellen Mustern ,Mann‘/,Frau‘ – ,Kultur‘/,Natur‘ aufdecken“; vgl. überdies zu diesem thematischen Komplex Caroline WALKER BYNUM, Men’s Use of Female Symbols, S. 278; Alan ROBERTSHAW / Gerhard WOLF, Vorwort, S. VII; Vivien HACKER, Die Konstruktion der weiblichen Natur als Domestizierung der Frau. Anders Judith KLINGER, die den Natur-Kultur-Gegensatz eher als spezifisches Signum des neuzeitlichen Geschlechterverhältnisses betrachtet und auf Unterschiede zu mittelalterlichen Diskursen verweist; vgl. Judith KLINGER, Gender-Theorien, S. 279–284. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 475. Ebd., S. 479. Vgl. ebenso Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 240. DERS., Der Ritter und sein Pferd, S. 246. Zum Motiv von Pferd (und Reiter) in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. Friedrich OHLY, Die Pferde im ,Parzival‘ Wolframs von Eschenbach; Beate ACKERMANN-ARLT, Das Pferd und seine epische Funktion im mittelhochdeutschen ,Prosa-Lancelot‘; Dietmar PESCHEL-RENTSCH, Pferdemänner; Ingrid BENNEWITZ, Die Pferde der Enite; Alexander LASCH / Béatrice LIEBERG, schoene rede sunder zil; Irmgard GEPHART, Enite und die Pferde. Vgl. aber insbesondere Udo FRIEDRICH, Der Ritter und sein Pferd; FRIEDRICH geht zwar auf eine Fülle von „Semantisierungsstrategien“

Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘

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se Figuration war jedoch nicht nur für den ritterlich-höfischen Diskurs von Relevanz; sie wurde ebenso in theologisch-philosophischen Kontexten eingesetzt, um die Überlegenheit des Menschen über die animalische Natur zu demonstrieren; in politischen Zusammenhängen rekurrierte man auf diesen Bildkomplex, um Herrschaftsansprüche zu markieren, wobei der Akt des Reitens und die Zügelung des Pferdes als Zeichen herrschaftlicher Kompetenz gedeutet wurden.22 In der fiktionalen Literatur erfolgte darüber hinaus, wie oben skizziert, eine Gleichsetzung von ,Natur‘, ,Pferd‘ und ,Frau‘ zum einen sowie von ,Kultur‘, ,Reiter‘ und ,Mann‘ zum anderen.23 Dieses Schema, das einen zentralen motivischen Bestandteil zahlreicher mittelhochdeutscher Verserzählungen bildet, möchte ich im Folgenden exemplarisch untersuchen. Um zu differenzierten Ergebnissen zu gelangen, sollen dabei auch andere geschlechtsspezifische Bezugnahmen zwischen Mensch und Tier, die mit dem Bildkomplex von Pferd und Reiter kongruieren, näher beleuchtet werden.

2.1.1 Die ,Zähmung der Widerspenstigen‘ als Akt der Kultivierung a.

Der Stricker: Das wilde Ross (Moe 57)

Einsichtiger noch als in den mittelhochdeutschen Verserzählungen wird die geschlechtsspezifische Funktionalisierung des Bildes von Pferd und Reiter – und daher möchte ich das Kapitel mit der Besprechung eines Textbeispiels eröffnen, das nicht den mittelhochdeutschen Verserzählungen zuzurechnen ist – in dem verwandten kleinepischen Texttyp des Bîspels, das sich etwa zeitgleich mit der Verserzählung zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der deutschen Literatur etabliert. Die größere Einprägsamkeit des Bildes liegt hier begründet in einer formalen Besonderheit dieses gleichnisartigen zweiteiligen Erzähltypus, insofern das im ersten Teil eines Bîspels, der narratio, Darge-

22 23

(ebd., S. 245 u. ö.) dieses Symbolkomplexes ein, nicht jedoch auf geschlechtsspezifische Muster (vgl. neuerdings auch zum gleichen Thema DERS., Menschentier und Tiermensch, S. 230–249). Vgl. DERS., Der Ritter und sein Pferd, S. 250–253, 260–264, 266f. Beispiele für Geschlechtersymbolismus in Bezug auf Pferd und / oder Reiter in der mittelhochdeutschen Literatur (außerhalb des Texttyps der Verserzählung) finden sich z. B. bei Ingrid BENNEWITZ, Vom rechten Umgang mit Steinen, Pferden und Frauen, S. 386–391; Gaby HERCHERT, „Acker mir mein bestes Feld“, S. 213; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 52–54; Irene ERFEN, Phyllis, S. 774; Ingrid BENNEWITZ, Die Pferde der Enite, S. 1–6, 15–17; Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 240–242; Karin CIESLIK, Sinnkonstitution und Wissenstradierung im spätmittelalterlichen Märe, S. 182f. – BENNEWITZ betont im Hinblick auf die mittelalterliche Lieddichtung (ebd., S. 4) die Diskursivierung der Geschlechterbeziehung in Kategorien männlicher Alltagserfahrung (etwa dem Umgang mit Pferden, dem Reiten) und Männlichkeitskonstitution (im Nachweis der einschlägigen reiterlichen Kompetenz) und damit verbundener Besitzansprüche und Verfügungsmacht (des Reiters auf / über das Pferd).

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Körperzeichen

stellte im zweiten Teil eine Auslegung in Form einer verallgemeinernden Analogisierung erfährt24: so auch in dem zwischen 1220 und 1250 entstandenen strickerschen Bîspel Das wilde Ross (Moe 57)25, in dem ,Mann‘ und ,Reiter‘ sowie ,Frau‘ und ,Pferd‘ durch einen Analogieschluss in einen unmittelbaren Sinnzusammenhang gerückt werden.26 24

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Hier und im Folgenden schließe ich mich den Ausführungen von Franz-Josef HOLZNAGEL an. Zur narrativen Organisation des Bîspels als Texttyp vgl. Fanz-Josef HOLZNAGEL, Der Wiener Codex 2705, S. 19–27; DERS., Bîspel, S. 57–63; DERS., Verserzählung – Rede – Bîspel, S. 7f., 10–12, 17; DERS., Gezähmte Fiktionalität. – Franz-Josef HOLZNAGEL definiert Bîspel als „Texte, die sich durch eine Analogisierung von Grund- und Vergleichssphäre bei gleichzeitiger Verallgemeinerung eines narrativ entwickelten, fiktiven und singulären Kasus auszeichnen“ (DERS., Bîspel, S. 59). Der Text ist in drei Handschriften mit jeweils 132 Versen überliefert: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. 2705 (A 61); Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 341 (H 174); Cologny-Genève, Bibliotheca Bodmeriana, Cod. Bodmer 72 (K 183 [165]). Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Wilfried MOELLEKEN / Gayle AGLER-BECK / Robert E. LEWIS (Hrsg.), Die Kleindichtung des Strickers, Bd. 3, Nr. 57, S. 94–99. – Zu Autor und Werk vgl. einführend Karl-Ernst GEITH / Elke UKENA-BEST / Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Der Stricker; zur Überlieferung seiner kleinepischen Werke ferner Franz-Josef HOLZNAGEL, Autorschaft und Überlieferung; den Stand der Forschung spiegelt der Sammelband von Emilio GONZÁLEZ / Victor MILLET (Hrsg.), Die Kleinepik des Strickers. Bislang hat sich allein Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, wenngleich in knapper Form und ohne weiterführende Ergebnisse, zusammenhängend mit dem Wilden Ross (Moe 57) auseinandergesetzt, indem sie den Text, ebenso wie wir im Folgenden, in eine Reihe mit Sibotes Frauenerziehung (FB 121) und der Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) stellt, um daran ebenfalls die geschlechtsspezifische Codierung des Bildes von Pferd und Reiter zu veranschaulichen; vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 48f.; vgl. im Anschluss daran neuerdings zu den gleichen Texten Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 240–242, der in diesem Zusammenhang überdies ebenfalls – allerdings nur andeutungsweise – auf Jörg Zobels Faule Frau (FB 147a) sowie Die Rosshaut (FB 57) Heinrichs des Teichners eingeht. – Warum Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, Das wilde Ross (Moe 57) als exemplarisches Märe auffassen will (vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 48), bleibt letztlich im Dunkeln; mit Bezugnahme auf Hanns FISCHERS „Studien zur deutschen Märendichtung“ konstatiert sie: „Das ,wilde Ross‘ ist von ihm nicht aufgenommen. Die Grenze zum bîspel ist aber in diesem Fall bereits überschritten, so dass die Zuordnung zum Märe sinnvoll erscheint.“ (ebd., S. 48, Anm. 4). Diese Zuordnung würde aber nur dann Sinn machen, wenn man Märe und Bîspel wie FISCHER nach ihrem Versumfang unterscheiden wollte; eine eindeutige Zuordnung ließe sich aufgrund dessen allerdings auch nicht vornehmen, da der Text mit 132 Versen genau in den von FISCHER angesetzten Grenzbereich von 90–100 und 150 Versen fiele; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 59–63. Dass das Kriterium der Länge zur Unterscheidung von Bîspel und Verserzählung (mit längerem Epimythion) grundsätzlich als untauglich gelten muss, haben indessen Hans-Joachim ZIEGELER mit seiner Studie zum „Erzählen im Spätmittelalter“ (zur Differenzierung von Bîspel und Märe vgl. ebd., S. 95–237) und Franz-Josef HOLZNAGEL in seinen Arbeiten zur Gattungstypologie der mittelhochdeutschen Kleinepik (vgl. Anm. 24 des vorliegenden Kapitels; zur Kritik an einer quantitativen Kategorisierung insbesondere DERS., Bîspel, S. 60, Anm. 10; DERS., Verserzählung – Rede – Bîspel, S. 5f.) nachgewiesen. – Unrichtig ist im Übrigen auch BRINKER-VON DER HEYDES Datierung der weiteren

Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘

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Der Darstellungsteil dieses Bîspels (Moe 57, V. 1–94 bzw. 96)27 handelt von einem angesehenen Herrn, der ein prachtvolles Ross erhält und sich aufgrund seiner Freigebigkeit (vgl. Moe 57, V. 5) sogleich bereit erklärt, das Pferd an einen der an seinem Hof weilenden Ritter, die ihn eindringlich darum bitten, zu verschenken. Er ordnet jedoch zunächst an, dass das Pferd vom besten Ritter des Hofes geprüft werden solle, um Kenntnis darüber zu erlangen, von welcher Beschaffenheit es sei – keiner der Anwärter soll über den wahren Zustand des begehrten Pferdes im Unklaren gelassen werden (vgl. Moe 57, V. 6–17). Bereits nach kurzem Ritt wird der auserwählte Proband jedoch abgeworfen, und ebenso ergeht es im Folgenden allen anderen Reitern, die versuchen, das Pferd zu bändigen (vgl. Moe 57, V. 18–53). Nachdem sich das ,Geschenk‘ auf diese Weise selbst „unwert“ (Moe 57, V. 55) gemacht hat, wird es von den bloßgestellten Rittern allerdings verschmäht: Sie begegnen der gleichermaßen empfundenen „scham“ (Moe 57, V. 50) psychologisch dadurch, dass sie sich nunmehr von dem Pferd distanzieren (vgl. Moe 57, V. 56–58) und es aufgrund seiner „wnderlichen“ (Moe 57, V. 61) Art in die Nähe des Dämonischen rücken: „do sprach dirre und der: / ,der tivel muzzez furen hin!‘“ (Moe 57, V. 64f.). Nur der „tumbest“ (Moe 57, V. 66) unter den Rittern findet noch Gefallen an dem ungebärdigen Pferd, da er glaubt, es durch einen Trick zähmen zu können. Doch weit gefehlt: Indem er sich auf dem wilden Tier festbindet, kann er zwar tatsächlich einen Abwurf verhindern, wird aber stattdessen mit dem stürzenden Ross gemeinsam zu Boden gerissen, so dass beide den Tod finden (vgl. Moe 57, V. 66– 94). Im Auslegungsteil (Moe 57, V. 95 bzw. V. 97–132) wird die Beziehung zwischen Pferd und Reiter, wie sie sich im vorliegenden fiktiven Fall individuell gestaltet, auf das Geschlechterverhältnis zwischen Frau und Mann im Allgemeinen übertragen.28 Das wilde Ross, dessen Schönheit (vgl. Moe 57, V. 4; 95) nicht zu seinem übermütigen und zornigen Wesen (vgl. Moe 57, V. 29; 87; 90; 96) passen will, wird vom Ich-Sprecher in einer für den Texttyp charakteristischen Vergleichsformel mit einer edlen Frau vergli-

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von ihr behandelten Texte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (vgl. ebd., S. 48): Dem allgemeinen Forschungskonsens zufolge ist Sibotes Frauenerziehung (FB 121) vermutlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden, Aristoteles und Phyllis (FB 6) ist sogar mit Sicherheit am Ende des 13. Jahrhunderts zu datieren. M. E. können die Verse 95 und 96 („daz ros, daz was vil schone / und was unmazzen ho(e)ne.“) sowohl der narratio als auch der Auslegung zugewiesen werden; Letzteres erscheint allerdings inhaltlich betrachtet plausibler. Dieser Transfer wird in den späteren Versionen noch verstärkt durch die Überschriften, die dem Text in den Handschriften H und K vorangestellt sind, in A hingegen fehlen. Im Gegensatz zum neuhochdeutschen Titel Das wilde Ross beziehen sich die beiden identischen Überschriften inhaltlich bereits auf den Auslegungsteil und steuern so die Rezeption der narratio: „Ditz it von vnteten wiben / Die chvnnen vrevde vstriben“ (Wilfried MOELLEKEN / Gayle AGLER-BECK / Robert E. LEWIS (Hrsg.), Die Kleindichtung des Strickers, Bd. 3, S. 94). – Zur besonderen Art und Weise der Ausgestaltung des Verhältnisses von Erzählung und Auslegung vgl. Ralf-Henning STEINMETZ, Fiktionalitätstypen in der mittelalterlichen Epik, S. 94f.

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chen29, deren Schönheit, Herkunft, Jugend und Besitz (vgl. Moe 57, V. 98f.) mit einem „unstaeten mut“ (Moe 57, V. 100) gepaart seien. Wie das wilde Ross seine Reiter abwirft – so ließe sich die Auslegung ergänzen –, entledige sich eine solche Frau skrupellos all ihrer Verehrer und bringe sie gleichsam zu Fall, nachdem sie zunächst eine Annäherung erlaubt habe: „swer ir minne erwirbet, / des wille verdirbet; / si behaltet ir deheinen.“ (Moe 57, V. 111–113). Der dümmste Ritter aber, der sich an das Pferd bindet, um es auf diese Weise zu bändigen, verhält sich – so der unausgesprochene Analogieschluss – wie ein törichter Mann, der sich durch eine Eheschließung an eine ,wilde‘ Frau binden wolle – und zwar in dem Fehlglauben, es erginge ihm dadurch besser als allen anderen Männern, die zuvor abgewiesen worden sind (vgl. Moe 57, V. 114–121). Eine unbeständige Frau sei jedoch nicht dazu in der Lage oder etwa willens, ihr Verhalten, „ir gwonheit“ (Moe 57, V. 122), zu ändern. Dies führe dazu, dass schließlich beide Ehepartner in Verruf gerieten und ihr Ansehen verlören (so wie Reiter und Pferd in der narratio den gemeinsamen Tod erleiden würden); habe man sich einmal auf eine unstaete Frau eingelassen, gelänge es nicht mehr, sich von ihr zu lösen (vgl. Moe 57, V. 122–132). Die misogyne Lehre des Wilden Rosses (vgl. Moe 57, V. 131f.), die sich eindeutig an ein männliches Publikum richtet, geht dementsprechend in der Warnung auf, sich bei der Eheschließung nicht von den äußeren Vorzügen einer Frau blenden zu lassen, zumal ein missliebiger Charakter nicht veränderbar sei.30 Die semantischen Implikationen, die das narrative Bild von Reiter und Pferd in sich trägt, werden im Auslegungsteil nicht weiter erörtert, sondern stillschweigend vorausgesetzt31:  die Hierarchie, die mit der Differenz Mensch / Tier gegeben ist,  die prinzipielle Nutzlosigkeit, aber auch Gefährdung, die von einem wilden Pferd für den Menschen ausgeht,  die diffizile Aufgabe des Reiters, das Pferd zu bändigen,  die Funktion des kultivierten Pferdes, dem Menschen zu dienen,  der Wert des Pferdes für seinen Besitzer, der sich an dem Grad seiner Domestizierung bemisst usw. All dies wird von der Grundsphäre des Bîspels auf die Vergleichssphäre im zweiten Teil unausgesprochen übertragen und somit analog für das Verhältnis von Mann und Frau eingefordert, das somit im gleichen Zuge als ein Erziehungsverhältnis bestimmt 29

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In HK wird dahingehend verdeutlicht, dass es sich um eine unverheiratete Frau handelt, denn das Attribut „edel“ (Moe 57, V. 97) ist hier durch „ledick“ ersetzt (vgl. Wilfried MOELLEKEN / Gayle AGLER-BECK / Robert E. LEWIS (Hrsg.), Die Kleindichtung des Strickers, Bd. 3, S. 98). Vgl. Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 62, ähnlich Hanns FISCHER, Strickerstudien, S. 161. BÖHM rechnet diesen Text den misogynen Dichtungen des Strickers zu, die in seinem Oeuvre jedoch nur einen geringen Teil ausmachen würden; vgl. Sabine BÖHM, ebd., S. 138f. HOLZNAGEL beschreibt diese Art der Übertragung semantischer Merkmale als eine zentrale Erzählstrategie des Texttyps; vgl. Fanz-Josef HOLZNAGEL, Bîspel, S. 61.

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wird.32 Selbst die muntrechtliche Stellung der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaft spiegelt sich in diesem Bîspel in der strukturellen, wenngleich ebenfalls nicht im Detail ausgeführten Analogie zwischen dem Landesherrn, der über das geschenkte Pferd als Besitz verfügt, und dem Vater, der seine Tochter, die ihm von seiner Ehefrau gleichsam geschenkt worden ist, als Braut an einen Ehemann vergeben kann. b.

Sibote: Frauenerziehung (FB 121)

Es wird nun danach zu fragen sein, in welcher Weise die in dem Bîspel vom Wilden Ross (Moe 57) einsichtig entfalteten Grundzüge dieses Geschlechtersymbolismus in den mittelhochdeutschen Verserzählungen aufgegriffen und variiert werden. In der Geschichte von der Frauenerziehung33 (FB 121) des weitgehend unbekannten Autors Sibote34, einer Verserzählung, die vermutlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist35, verbindet sich das verbreitete literarische Motiv von ,Der Widerspens-

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Dementsprechend kann Hedda RAGOTZKY das Bîspel als Beleg für das in der strickerschen Kleinepik dominante Thema des Geschlechterverhältnisses (in der Ehe) werten, „das von exemplarischer Bedeutung für das Funktionieren des von Gott gesetzten Ordnungsentwurfs“ sei; vgl. dazu Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 109 (und Anm. 30). Die Verserzählung ist mit sieben bzw. acht Textzeugen relativ gesehen sehr breit überliefert. Es ist auffällig, dass zwei der Handschriften, die eng miteinander verwandten Codizes H (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 341) und K (Cologny-Genève, Bibliotheca Bodmeriana, Cod. Bodmer 72), ebenfalls Das wilde Ross (Moe 57) des Strickers enthalten. Insgesamt lassen sich, HansJoachim ZIEGELER folgend, zwei Redaktionen unterscheiden: HKK² sowie die jüngere Fassung widl (Cornelie SONNTAG unterscheidet noch drei Fassungen: 1. HKK², 2. wid, 3. l); vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Sibote, Sp. 1135; zu Überlieferung und Varianten vgl. Wilhelm STEHMANN, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, S. 122–124; Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 15–63. – Die hier zugrunde gelegte Ausgabe von Cornelie SONNTAG bietet einen kritischen Text im Sinne einer normalisierten Version, auf den die Forschung stets zu referieren pflegt; zur Problematik dieser Edition vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 468, Anm. 12; vgl. ebenso Helen KURSS, Die Novelle von der „Zähmung der Widerspenstigen“, die sich zuletzt mit der Überlieferungssituation des Textes auseinandergesetzt hat. Eine Autornennung findet sich im Promythion: „Ditz maere tihte Sîbote“ (FB 121, V. 16). Zu Autor und Überlieferung vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 180f.; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Sibote, Sp. 1134. – Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei dem Autor um jenen Sibote von Erfurt handele, der am Hof König Manfreds († 1266) als Künstler tätig gewesen zu sein scheint (vgl. zu dieser nicht abzusichernden These Edward SCHRÖDER, Erfurter Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, S. 154–156), spekuliert MARGETTS darüber, ob sich der Text kritisch auf die Schwäche des sizilianischen Herrschers in seiner Rolle als Ehemann bezogen haben könnte; vgl. John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 230–232. Generell in Zweifel zieht eine solche Identifizierung des Autors mit besagtem Sibote von Erfurt Joachim BUMKE, Mäzene im Mittelalter, S. 286 und S. 448, Anm. 261. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 180f.; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 88.

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tigen Zähmung‘36, das in dem strickerschen Bîspel bereits angeklungen ist, mit einem Rekurs auf das narrative Bildfeld der Pferdezucht. Diese Art der Verknüpfung gilt als charakteristisch für die deutschsprachigen Zeugnisse des literarischen Motivs.37 Anders als im Wilden Ross (Moe 57) erscheint der Vergleich zwischen Mann und Reiter bzw. Frau und Pferd, bedingt durch die narrativen Merkmale des Texttyps38, jedoch nicht in Form einer rhetorischen Analogisierung; vielmehr wird sie in figürlicher Darstellung auf der Handlungsebene des Textes selbst in Szene gesetzt39, während Pro- und Epimythion die Quintessenz der Erzählung in generalisierender Absicht aufgreifen.40 Die didaktische Zielrichtung der Verserzählung von Sibote wird bereits innerhalb des Promythions (vgl. FB 121, V. 1–30) durch die Titulierung „,der vrouwen zuht.‘“ (FB 121, V. 6) avisiert41: Adressiert werden Männer, die „ein übel wîp“ (FB 121, V. 7) haben und diesen Zustand nicht länger erdulden wollen. Ironisierend schließt sich der Erzähler in den Adressatenkreis mit ein, wenn er darauf verweist, dass er selbst eines Rates bedür36

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Vgl. AaTh 901; Mot T 251.2; TIE 4354; zu unterschiedlichen Ausformungen des Stoffes bis hin zu Shakespeares The Taming of the Shrew vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 225– 250; Dietz Rüdiger MOSER, Schwänke um „Pantoffelhelden“; Elfriede MOSER-RATH, [Art.] Ehefrau: Die widerspenstige Ehefrau. Vgl. Franz BRIETZMANN, Die böse Frau in der deutschen Litteratur [sic!] des Mittelalters, S. 228. Frauke FROSCH-FREIBURG hat weitreichende inhaltlich-motivische Korrespondenzen zwischen Sibotes Frauenerziehung (FB 121) und dem altfranzösischen Fabliaux La dame escoillée (NF 44) herausgearbeitet (erstmals, aber ungenau, unternommen von Ernst STRAUCH, Vergleichung von Sîbotes „Vrouwenzuht“), wobei sich die Quellenfrage letztlich nicht klären lässt; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 87–95; vgl. des Weiteren Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 240f.; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 221–224; HansJoachim ZIEGELER, [Art.] Sibote, Sp. 1135; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 148; zum Vergleich mit der orientalischen Motivtradition vgl. Alev TEKINAY, Materialien zum vergleichenden Studium von Erzählmotiven in der deutschen Dichtung des Mittelalters und den Literaturen des Orients, S. 199–201. Ich beziehe mich hier wiederum auf Typologie und Terminologie HOLZNAGELS; vgl. zu den texttypenspezifischen Merkmalen der Verserzählung Franz-Josef HOLZNAGEL, Der Wiener Codex 2705, S. 19–21; DERS., Bîspel, S. 58–62; DERS., Verserzählung – Rede – Bîspel, S. 7f., 12–18. Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 474. Die folgenden Ausführungen knüpfen inhaltlich an die Überlegungen von Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, sowie Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, an. – In ihrem Ergebnis recht eigenwillig, zumal ohne Einbeziehung eines großen Teils der einschlägigen Forschungsliteratur, mutet die ebenfalls geschlechtsspezifische Aspekte aufgreifende Interpretation von Silvan WAGNER an, welche sich, einen marginalen Aspekt aufgreifend, auf die Herausarbeitung des der Erzählung inhärenten Gottesbildes konzentriert; vgl. Silvan WAGNER, Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters, S. 155–192. Die Überschriften wiederum akzentuieren unterschiedlich und lauten in den einzelnen Handschriften wie folgt: „Ditz bvch ist daz vbel weip / Der tevfel kvm noch in ir allsr leip“ (H), „Ditz ist von einem vbelen wibe / Die selten gvt wart bi ir libe“ (K), „Von der frawen zucht“ (w, i), „von dem zorn bratten“ (d), „Ein Ritter dr zwa bös Weiber zwang“ (l; in dieser Handschrift fehlt die interne Titulierung in V. 6); Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 74, 124, 155.

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fe, da er seine Ehefrau derart bezwungen habe, dass sie ihm permanent Widerworte gebe: „Spriche ich ,swarz‘, sî sprichet ,wîz‘, / dar an kêret sî ir vlîz / und tuot daz sêre wider gote.“ (FB 121, V. 13–15). Als Positivexempel gegenüber den ,übelen wîben‘, deren ,Erziehung‘ in der narratio thematisch werden soll, betrachtet der Erzähler die „vrouwen“ (FB 121, V. 17) des Publikums, deren „site“ (FB 121, V. 18) ihn „guot“ (FB 121, V. 18) dünke. Hierbei handelt es sich allerdings um eine höchst vordergründige Abgrenzung, denn indem der Erzähler sein weibliches Publikum dazu anhält, eine etwaige Identifikation mit den widerspenstigen Protagonistinnen, die sich bei der Rezeption der Erzählung einstellen könnte, keinesfalls preiszugeben, um sich nicht zu verraten, unterstellt er bereits, dass sich auch im Kreis der Zuhörerinnen bzw. Leserinnen ,übel wîp‘ befänden (vgl. FB 121, V. 17–29).42 Dementsprechend formuliert das Epimythion (vgl. FB 121, V. 799–806) einen generalisierenden Rat, der sich nicht länger an die männlichen Zuhörer richtet, sondern nunmehr in warnender Absicht allein an das weibliche Publikum appelliert: Alle „vrouwen“ (FB 121, V. 799) sollten ihre „hêrren“ (FB 121, V. 800) besser behandeln als jene, von denen die Geschichte erzähle.43 Die bereits im Promythion sichtbar werdende Vermischung didaktischer und komischer Elemente44 setzt sich in der Ausgestaltung der narratio fort. Sie thematisiert, wie Jan-Dirk MÜLLER präzise formuliert hat, einen Grundkonflikt (und eine fundamentale Angst) in den patriarchalischen Gesellschaften Europas […]: den Versuch der Frau im Geschlechterkampf die Oberhand über den Mann zu gewinnen.45

Dieser Grundkonflikt ist bei Sibote kennzeichnend für die Paarbeziehungen zweier Generationen, die in der Frauenerziehung (FB 121) kontrastiv gegenübergestellt werden: Gleichsam als Interpretationsfolie fokussiert der Text zunächst die aus den Fugen geratene Ehe eines ritterlichen Paares, in der die widerspenstige Ehefrau eine übermächtige Position gewonnen hat; vor diesem Hintergrund rückt im Verlauf der Handlung die nach mittelalterlichen Ordnungskategorien normgerechte Ehebeziehung der Tochter zunehmend ins Blickfeld, die von der Dominanz des Ehemannes geprägt ist. Die Präsentation konkurrierender Modelle ehelicher Praxis bildet den Rahmen für die Auserzählung des zentralen Motivs der Frauenerziehung (FB 121). Diese sei – so die Botschaft 42

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Zum Promythion vgl. ebd., S. 255–257; eine Analyse unter stilistisch-rhetorischen Gesichtspunkten unternimmt Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 71–73, der die Intention des Promythions hervorhebt, einer möglichen Entfremdung zwischen Autor und Publikum entgegenzuwirken, etwa indem sich der Erzähler ironisierend in den Kreis der betroffenen Männer mit einbinde; vgl. zu diesem Punkt auch John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 223f.; Sebastian COXON, The Presentation of Authorship in Medieval German Narrative Literature 1220–1290, S. 186f. Damit verändert sich die didaktische Zielrichtung gegenüber dem Wilden Ross (Moe 57), das sich vorrangig an ein männliches Publikum zu wenden scheint. Vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 35f. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 468.

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an der Textoberfläche – notwendig, um die weibliche Dominanz in der Ehe zu brechen und die rechtmäßige Überlegenheit des Mannes zu garantieren bzw. wiederherzustellen.46 Sowohl Mutter als auch Tochter müssen eine solche Erziehungsmaßnahme durchlaufen, so dass die narratio in zwei nahezu gleichwertige Handlungsstränge zerfällt (FB 121, V. 31–481: Zähmung der Tochter, V. 482–798: Zähmung der Mutter).47 Den Ausgangspunkt der Erzählung bildet das prekäre Beziehungsgefüge einer ritterlichen Kleinfamilie. Der Ehemann, ein angesehener und wohlhabender Ritter, vermag sich über 30 Jahre hinweg nicht gegenüber seiner boshaften, launischen und widerspenstigen Ehefrau durchzusetzen (vgl. FB 121, V. 31–82); auch durch massive körperliche Strafen (vgl. FB 121, V. 54; 59–63; 295–300) gelingt es ihm nicht, das ,übel wîp‘ „guot“ (FB 121, V. 63) zu machen.48 Ebenso wenig kann sich der Ritter gegenüber seiner Tochter behaupten, die in ihrer Verhaltensweise ihrer Mutter zu gleichen scheint, diese sogar noch in dreifacher Weise übertrifft (vgl. FB 121, V. 89–94). Offenbar im Gegensatz zu der Mutter – der Text trifft keine expliziten Aussagen über deren äußeres Erscheinungsbild49 – zeichnet sich die Tochter jedoch durch große Schönheit und besondere Stärke aus (vgl. FB 121, V. 95–102; 286f.). Trotz dieser Qualitäten ist es zum Leidwesen des Vaters bislang nicht geglückt – wiewohl zur Zufriedenheit der widerspenstigen Tochter – einen adäquaten Bräutigam für die Zwanzigjährige zu finden (vgl. FB 121, V. 103–112). Das übellaunige Wesen der Tochter erhellt anhand zweier Dialoge mit ihren Eltern, die sie jeweils in unterschiedlichem Licht erscheinen lassen.50 Das erste Gespräch mit ihrem Vater (vgl. FB 121, V. 113–210) ist geprägt von ihrem prinzipiellen Widerwillen, 46

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Monika JONAS fasst die in diesem Kapitel behandelten oder zumindest erwähnten Verserzählungen (Die böse Adelheid (FB 1), Der Bürger im Harnisch (FB 17), Die Rosshaut (FB 57) von Heinrich dem Teichner, Sibotes Frauenerziehung (FB 121), Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) und Die faule Frau (FB 147a) von Jörg Zobel)), Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 96f., folgend, unter den Schwanktypus der ehelichen Kraftprobe, bei der die Frau dem Mann unterliege; vgl. Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 84–86. Häufig wird zu diesem Komplex, der sich aus stoff- und motivgeschichtlicher Perspektive mit dem unscharfen Kreis der ,übel-wîp‘-Geschichten überschneidet, u. a. auch Die eingemauerte Frau (FB 127g) des Strickers gerechnet, ebenfalls basierend auf einer Zuordnung zum Themenkreis der ,Ehelichen Kraftund Treueproben‘ mit siegreichem Ausgang für den Mann (sog. Frauenzucht-Geschichten); vgl. z. B. Hanns FISCHER, ebd. Zur Gliederung und formalen Gestaltung der weitgehend parallel aufgebauten Partien vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 251–255. Vgl. zu der für das Genre typischen Drastik in der Darstellung von Gewalt zwischen den Geschlechtern in der Frauenerziehung (FB 121) vor allem Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 478f. Die Gewaltsamkeit in der Darstellung wird in diesem Text allerdings durch vielfältige ironische Brechungen herabgemindert; vgl. dazu Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Sibote, Sp. 1137. Im Gespräch mit ihrer Tochter verweist die Mutter lediglich darauf, dass sie in ihrer Jugend kleiner gewesen sei als diese (vgl. FB 121, V. 29). Zur Dialogführung vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 266–273.

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sich irgendeinem Mann unterzuordnen. Der mehrfachen Warnung vor möglichen Schlägen und anderen Strafen eines künftigen Ehemannes (vgl. FB 121, V. 116–121; 146– 148; 165f.; 172–175) will sie deshalb kein Gehör schenken. Auch die metaphorische Androhung ihres Vaters, dass ihr Ehemann sie „under sich dar nider“ (FB 121, V. 192) werfen und mit Sporen reiten werde (vgl. FB 121, V. 193), vermag sie nicht von ihrer widersetzlichen Gesinnung abzubringen. Geschweige denn ist sie dazu zu bewegen, von der „site“ (FB 121, V. 89; 113; 142) und dem „râte“ (FB 121, V. 122) ihrer Mutter abzulassen – und angesichts der erfolglosen Züchtigungsmaßnahmen ihres Vaters, auf die sie sich in ihrer Argumentationsführung mehrfach zurückzieht (vgl. FB 121, V. 129– 133; 153–157; 200f.), entbehrt diese Haltung nicht der logischen Konsequenz. Sich den „senften muot“ (FB 121, V. 144) des Vaters (vgl. FB 121, V. 42) anzueignen, lehnt sie indes kategorisch ab: „[,]Ich vân billîcher nâch dem künne / dan ich nâch dem künege vê.[‘]“ (FB 121, V. 158f.). Während die junge Frau also im Gespräch mit dem Vater halsstarrig und unbeugsam auftritt51, erweist sie sich im Gespräch mit der Mutter als überaus gehorsam und anpassungswillig (vgl. FB 121, V. 264–304). Handelt es sich bei dem Vater-Tochter-Dialog um ein Streitgespräch mit wechselnden, nahezu ausgewogenen Redeanteilen52, worin sich die Unversöhnlichkeit der geschlechtlich markierten Positionen spiegelt, so erfolgt die in Rede stehende Szene in Form eines kurzen Appells, bei dem die Mutter Befehle erteilt (vgl. FB 121, V. 264), welche die Tochter bereitwillig entgegennimmt.53 Unter Androhung der Todesstrafe zwingt jene ihr den eigenen Widerstandsgeist gegenüber einem potentiellen Ehemann auf: Es sei besser, wie sie aus eigener Erfahrung wisse, den Schlägen eines Mannes für einen kurzen Zeitraum zu trotzen, als ihn sich für immer zum „meister“ (FB 121, V. 275) werden zu lassen. So heikel sich die familiäre Situation auch darstellen mag – die Schönheit der Tochter ist nach dem in der mittelalterlichen Literatur geltenden Prinzip der Korrespondenz von äußerer und innerer Verfassung einer Person ein Indiz für die prinzipielle Wandelbarkeit ihrer Wesensart und damit Anknüpfungspunkt für die Lösung des familiären Konflikts. Initiiert wird ihre ,Zähmung‘ durch einen mutigen Ritter aus der Nachbarschaft, der von der Schönheit der jungen Frau hört und sie deshalb zu heiraten beabsichtigt (vgl. FB 121, V. 217–226).54 Der Bewerber zeichnet sich nicht bloß durch 51

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Dementsprechend bezeichnet der Vater sie als „übeliu Kriemhilt“ (FB 121, V. 163). – WATANABE macht sich die Verserzählungen Frauenerziehung (FB 121) und Die eingemauerte Frau (FB 127g) des Strickers für eine Interpretation der Kriemhild-Figur im Rosengarten zu Worms (A) zunutze; vgl. Noriaki WATANABE, Kriemhild als Widerspenstige. Während die direkte Rede des Vaters 49 Verse beinhaltet, beträgt der Redeanteil der Tochter demgegenüber 47 Verse. Bezeichnenderweise umfasst dieser zweite Dialog nur etwa halb so viele Verse wie der vorherige; die Redeanteile markieren die Dominanz der Mutter (35 Verse) gegenüber der Tochter (4 Verse). Zum sozialhistorischen Hintergrund dieser Eheschließung haben sich geäußert Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, hier vor allem

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Reichtum aus, sondern – im Gegensatz zu der schwächlichen, um nicht gar zu sagen effeminierten Vaterfigur – insbesondere durch seine ausgeprägt ,männlich‘-beherzte Gesinnung (vgl. FB 121, V. 211–216).55 Bedarf es demnach „manlîches muotes“ (FB 121, V. 214), um „der vrouwen zuht“ (FB 121, V. 6) zu bewerkstelligen, so wird verständlich, worin die Umkehrung der Machtverhältnisse innerhalb der ritterlichen Familie wurzelt: Nicht allein die von Mutter wie Tochter kultivierte Widerspenstigkeit zeichnet hierfür verantwortlich, sondern gleichermaßen der unmännliche Habitus des Vaters, der sich aufgrund seines senften muotes, dessen sich eigentlich das weibliche Geschlecht befleißigen sollte, als Familienoberhaupt nicht recht in Positur setzen kann. Obgleich die Tochter bei der Übergabe an den Bräutigam ihrer Mutter noch einmal verspricht, sich niemals einem Mann beugen zu wollen (vgl. FB 121, V. 323–331), muss sie schon bald einsehen, dass sie dem männlich-mutigen Ritter nichts entgegenzusetzen hat: Mit einer ausgefeilten List, die auf einer psychischen Einschüchterungsstrategie basiert, führt dieser in kürzester Frist die Umerziehung des ,übelen wîbes‘ zu einer gehorsamen, d. h. ,guten‘ Frau durch. Sie erfolgt an einem Ort von hoher symbolischer Bedeutung, denn der Ritter schlägt auf dem Heimweg bewusst einen verborgenen Pfad in unwegsames Gelände ein. Es handelt sich bei der Wildnis (vgl. FB 121, V. 338), in die das Paar daraufhin gelangt, darstellungstechnisch um einen unzivilisierten, nichtöffentlichen Raum, der in Bezug auf die Braut ein naturbelassenes Niemandsland darstellt, positioniert zwischen den kulturellen Einflusssphären des verlassenen Elternhauses und des künftigen Ehestandes. Im Sinne der Ritualtheorie Arnold VAN GENNEPS, nach der sich soziale Übergangsriten in drei Phasen untergliedern lassen56, könnte die-

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S. 127–129, und Michael SCHRÖTER, „Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe …“, insbesondere S. 19–24, 118f., 135–138 und passim (vgl. Register). Vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 261. – Das Bedeutungsspektrum des mittelhochdeutschen Adjektivs ,manlîch‘ umfasst im Neuhochdeutschen die Eigenschaften „dem manne geziemend, männlich, mutig, tapfer“ (LEXER, Bd. 1, Sp. 2033). Der Begriff der Männlichkeit impliziert hier also mit Mut und Tapferkeit bereits bestimmte Grundeigenschaften, die mit dem in rechtlicher Hinsicht grundlegenden Differenzkriterium für die Unterscheidung der Geschlechter in der mittelalterlichen Gesellschaft korrespondieren, des Näheren der im germanischen Recht verankerten Auszeichnung des Mannes zu Wehr- und Waffenfähigkeit (vgl. hierzu Kap. 4.2.2 der vorliegenden Arbeit), zu deren vorbildlicher Ausübung es eines entsprechend mutigen Charakters bedarf. Vgl. Arnold VAN GENNEP, Les rites de passage, S. 14. Zum Schwellenmotiv in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. Christian SCHMID-CADALBERT, Der wilde Wald, S. 40–43; zur Symbolik des Waldes vgl. auch Mireille SCHNYDER, Der Wald in der höfischen Literatur. – Das in dieser Szene sichtbar werdende Prinzip der Liminalität kann als prägend für die Handlungskonstitution zahlreicher mittelhochdeutscher Verserzählungen gelten. Insbesondere in den Initiationsgeschichten ist eine derartige symbolische Konstellation von eminenter Bedeutung für die Sinnkonstitution, wie etwa in der Verserzählung vom Sperber (FB 125), in der eine Klostermauer die Grenzschwelle zwischen Kultur und Natur (als Sphäre der Sexualität) bildet: Die zu initiierende Protagonistin, eine jungfräuliche Nonne, geht auf dieser Mauer spazieren und begibt sich damit buchstäblich aus eigener Initiative in einen Schwellenzustand (vgl. FB 125, V. 75–78; 253–256); die Mauer wird von ihr

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ser Naturraum auf einer Metaebene als ein Ort des Schwellenzustandes beschrieben werden, der durch räumliche Separierung symbolisch markiert ist. Aber auch inhaltlich spielt die Einbindung der Erziehungsmaßnahme in eine naturhafte Umgebung eine gewichtige Rolle.57 Das planvolle Vorgehen des Ritters setzt damit ein, dass er ein Exempel statuiert an den drei Tieren, die er mit sich führt: neben dem standesgemäßen Pferd einen Habicht und einen Windhund, kostbare und prestigeträchtige Insignien ritterlich-adliger Jagdkultur (vgl. FB 121, V. 307–317), in denen sich der männliche Herrschaftsanspruch exorbitant spiegelt. Trotz ihres materiellen wie ideellen Wertes scheut er nicht davor zurück, alle drei zu töten, und zwar unter dem Vorwand (vgl. FB 121, V. 384f.), dass die domestizierten Tiere ihm nicht gehorcht hätten.58 Die Willkür seiner Vorgehensweise zeigt sich darin, dass sich die Tiere aufgrund ihrer natürlichen Wesensart nicht anders hätten verhalten können, als sie es de facto tun: So richtet der Habicht – seiner „site“ (FB 121, V. 340) gemäß, wie der Erzähler bemerkt – seinen natürlichen Jagdinstinkt auf ein Beutetier, so dass er die Flügel nicht stillhalten kann; weil er nicht mehr „sanfte“ (FB 121, V. 350) lebt, wie befohlen, wird er von dem Ritter kurzerhand erwürgt (vgl. FB 121, V. 339–358). Der Jagdhund hingegen vermag wegen der Enge des Weges nicht länger neben dem Pferd zu gehen, so dass er seitlich ausweichen muss und seinen Herrn an der Leine zieht, woraufhin dieser ihm den Kopf abschlägt (vgl. FB 121, V. 359– 373). Weil das Pferd niemals gelernt hat, im Pass zu gehen, behauptet der Ritter, es schwanke und stolpere über den Weg, um es ebenfalls zu enthaupten (vgl. FB 121, V. 382–406).59 Wenn der Ritter die Verhaltensweisen seiner Tiere als „boese site“ (FB 121, V. 357) bezeichnet und darauf insistiert, dass sie aus freiem Willen (vgl. FB 121, V. 354; 391) und selbstverantwortlich (vgl. FB 121, V. 354; 369f.; 402–406) gehandelt hätten, so schreibt er ihnen damit menschliche Motive zu; es erfolgt eine Anthropomorphisierung. Die Unverhältnismäßigkeit seines Handelns wird dadurch gesteigert, dass es sich in allen drei Fällen um nichts weiter als ein „zücken“ (FB 121, V. 345; vgl. V. 365)60 oder

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im weiteren Handlungsverlauf, in deren Mittelpunkt ihre Defloration steht, zweifach in beide Richtungen überschritten (vgl. FB 125, V. 150–157; 198f.; 261–273; 317). Überdies könne sich der Bräutigam eine Desavouierung seiner Frau in der Öffentlichkeit nicht leisten, so Maria E. MÜLLER, Böses Blut, S. 151. Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 472: „die natura ist noch nicht voll domestiziert (nutritura), und das zieht drei drastische Strafen nach sich“. Illustriert wird die Willkür des ritterlichen Vorgehens durch ein Sprichwort, das der Erzähler einfügt: „Sô man den hunt wil senken, / man sprichet, er sî ein ledervrâz, / der doch nie keines gâz.“ (FB 121, V. 386–388). Der Text spielt wiederholt mit den etymologisch verwandten Wörtern ,zuht‘ und ,zücken‘: „zücken ist Intensivum von ziehen, die übertrieben heftige, daher unhöfische Bewegung, die der zuht (aus dem gleichen Stamm) widerspricht. Die Verfehlung lenkt also schon auf das eigentliche Thema, die Erziehung (zuht) der Frau.“ (Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 471f.); vgl. zu

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eine falsche Bewegung (vgl. FB 121, V. 391) handelt, welche die Aggression herausfordert. Die Strafen selbst werden aber nicht nur ungerechtfertigt und mit überzogenem Maße vollstreckt, sie gehen überdies mit einer systematischen Herabwürdigung der Tiere einher, wenn der Jagdvogel erwürgt wird wie ein einfaches Huhn (vgl. FB 121, V. 352), der schnelle Windhund als gemeiner „hovewart“ (FB 121, V. 369) verunglimpft wird und das Reitpferd wiederum als „gurre“ (FB 121, V. 389; 402).61 Die Skrupellosigkeit, die der Ritter in seinem Gebaren an den Tag legt, führt zu einer massiven Einschüchterung der jungen Frau, die zuletzt selbst das Opfer der ritterlichen Willkür wird. Nachdem das Pferd enthauptet ist, fordert der Ritter, dass seine Braut es ersetzen solle, da er nicht gewöhnt sei, zu Fuß zu gehen (vgl. FB 121, V. 413–418). Zutiefst verunsichert (vgl. FB 121, V. 374–379) folgt die junge Frau nunmehr kleinlaut seinen Anweisungen und lässt sich bereitwillig von ihm reiten, nachdem sie anfänglich noch versucht, Widerstand gegen das Satteln zu leisten: Dô satelte er sie an der stunt und leite irn zoum in den munt und hiez sie diu gegenleder ze beiden sîten ietweder vaste haben in der hant. Ûf saz der wîgant und reit sie eine wîle, minner dan eine mîle. (FB 121, V. 433–440)62

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eben diesem Wortspiel im Promythion (vgl. FB 121, V. 19f.) John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 224, sowie Anm. 81 des vorliegenden Kapitels. In der Fassung HKK², auf der die normalisierte Textedition von SONNTAG basiert, handelt es sich um ein minderwertiges Pferd, das der Ritter eigens zum Zweck der Exekution angeschafft hat (vgl. FB 121, V. 307–309); in l wird das Pferd demgegenüber als schön und somit kostbar beschrieben; vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 37, 52. Diese Variation mag als Ausdruck eines ethischen Dilemmas gedeutet werden, das die mittelalterlichen Rezipienten angesichts der eigenwilligen Handlungsweisen der Ritterfigur empfunden haben könnten. Bis auf die mindere Qualität des Pferdes in HKK² wird jedoch an keiner Stelle die Minderwertigkeit der Tiere behauptet, wie BRINKER-VON DER HEYDE aus dem Text herauslesen will; vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 50. Die sexuelle Doppelbödigkeit der Reitszene, die bereits in der literarischen Tradition der Antike verwurzelt ist, wird noch deutlicher, so MÜLLER, in den Plusversen 455–458 in K (analog in wid, V. 549–552): „Si was zv riten also niht gvt / het er gehabet minen mvt / vnd anders manges mannes siten / er hette sie anders geriten“ (Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 98; vgl. S. 141); an dieser Stelle symbolisiert der Reitakt unzweifelhaft, und dies ist nicht unwichtig für das Verständnis der Verserzählung, die Entjungferung der Braut und ihre Überführung in den Stand der Ehefrau; vgl. zu diesem Aspekt der Erzählung Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 278; John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 219, Anm. 9; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 58–60, mit weiterführenden Textbeispielen; JanDirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 470, Anm. 20, und S. 474f.; allgemein Wolfgang STAMMLER, Der Philosoph als Liebhaber, S. 32f.; Susan L. SMITH, The Power of Women, S. 119f.;

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Bereits nach kurzer Strecke („drîer spêre lanc“; FB 121, V. 444)63 ist sie gezwungen, ihr Tempo zu verlangsamen, da sie „ze langer reise kranc“ (FB 121, V. 443), also zu schwach ist. Als der Ritter ihr befiehlt, sich im Passgang fortzubewegen, erklärt sie voller Angst, von einem Pferd ihres Vaters das „zelden“ (FB 121, V. 457) gelernt zu haben, so dass sie nun „sanfte und ebene gân“ (FB 121, V. 458) könne und verspricht schließlich: „[,]Ich wil iu sagen daz vür wâr: / solden wir leben tûsent jâr, / ich tuo swaz iu liep is[‘]“ (FB 121, V. 463–465) – und hat damit bereits das Versprechen gebrochen, das sie kurz zuvor ihrer Mutter gegeben hat: „,Muoter, ich sage iu vür wâr: / und solde ich leben tûsent jâr, / ich enlâze mich niht affen‘“ (FB 121, V. 301–303). Mit diesem Gesinnungswandel, der eben zu jener Sanftmut und inneren Ruhe führt, die der Vater ihr vergeblich abverlangt hat, ist die Erziehungsmaßnahme abgeschlossen. Das neue Ehebündnis wird symbolisch besiegelt, indem der Ritter absteigt und seine Frau mit einer Schutzgeste in seinen Mantel hüllt (vgl. FB 121, V. 467f.). Ihr Wille ist nun endgültig gebrochen und sie erweist sich fortan als „daz aller beste wîp / diu ie mê gewan den lip“ (FB 121, V. 477f.), da sie sich ihrem Ehemann zu fügen bereit zeigt (vgl. FB 121, V. 481). Auf der Folie des eingangs skizzierten Natur-Kultur-Paradigmas ergibt sich für die zentrale Reitszene abschließend folgende Lesart: Ist es den Tieren unmöglich, das ihnen abverlangte menschliche Handlungsmuster zu befolgen, begibt sich die junge Frau vice versa in einen tierähnlichen Status, um sich von ihrem Mann dressieren zu lassen. Anders als Vogel, Hund und Pferd, die aufgrund ihrer mangelnden Erziehbarkeit der Sphäre der Natur verhaftet bleiben müssen, wird die Frau, die den Tieren in dieser Hinsicht überlegen ist, als „halbzivilisiertes Naturwesen“64 domestiziert und in einen der Ehefrauenrolle adäquaten kultivierten Status überführt.65 Nach der Lösung dieses Teils des familiären Grundkonflikts bleibt eine Art von narrativem ,Problemüberhang‘ in Gestalt der Mutterfigur übrig. Der zweite Teil der Erzählung handelt dementsprechend von ihrer ,Zähmung‘, die ebenfalls von dem jungen

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Irene ERFEN, Phyllis, S. 773f. – In der entsprechenden Fabliaux-Fassung La dame escoillée (NF 44) fehlt die signifikante Reitszene; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 91 und Anm. 4. Ausführlicher komme ich auf die sexuellen Implikationen des Motivkomplexes noch an späterer Stelle (vgl. Kap. 2.1.2.b der vorliegenden Arbeit) zu sprechen. Versteht man den spêr (vgl. FB 121, V. 444) im Rahmen des sexuellen Subtextes als Phallussymbol, so handelt es sich hier um die nur wenig verklausulierte Formulierung eines dreimaligen Geschlechtsaktes; vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 60. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 472. In vergleichbarer Weise setzt NEECKE das ,übel wîp‘ in Analogie zur außerhöfischen ,wilde‘ im höfischen Roman; vgl. Michael NEECKE, Hierarchie und Liebe, S. 44. Anders als in dem von Sherry B. ORTNER formulierten Theoriekonzept (vgl. Anm. 9 des vorliegenden Kapitels) hat die Frau, obgleich sie eine ambige Stellung zwischen Natur und Kultur einnimmt, hier keinerlei eigene Anteilnahme am Prozess der Kulturalisierung; vgl. Sherry B. ORTNER, Is Female to Male as Nature Is to Culture?.

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Ritter, und zwar nicht nur durch psychische66, sondern nunmehr auch durch physische Gewalt ins Werk gesetzt wird. Die Handlung setzt erneut ein mit einem Besuch der Eltern im Hause des Schwiegersohnes, sechs Wochen nach der Hochzeit, bei dem sich die Mutter als noch genauso unbequem geriert wie zuvor. In einem zweiten ausgedehnten Mutter-Tochter-Dialog (vgl. FB 121, V. 494–558)67 muss sich die Tochter nun nämlich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, dass sie ihren Mann zu ihrem „meister“ (FB 121, V. 498) habe werden lassen. Die Warnungen der Tochter vor dem Zorn ihres Ehemanns schlägt die Mutter indes in den Wind, da sie sich vor der angedrohten „zuht“ (FB 121, V. 556) nicht fürchtet; stattdessen beginnt sie, ihr Kind unflätig zu beschimpfen. Auf Bitten seines Schwiegervaters (vgl. FB 121, V. 570–577) schickt sich der junge Ritter dennoch an, nun auch noch die Mutter seiner Ehefrau zu ,zähmen‘. Die beiden Kontrahenten, Schwiegersohn und Schwiegermutter, die sich als „Eckehart“ (FB 121, V. 609) bzw. „Isengart“ (FB 121, V. 610) ansprechen68, liefern sich in einer ersten Begegnung ein scharfes Wortgefecht (vgl. FB 121, V. 607–692) (mit durchaus humoristischen Zügen), aus dem die Frau zunächst als Siegerin hervorzugehen scheint, indem sie darauf beharrt, ihren Ehemann weiterhin unterdrücken zu wollen: „Ich wil sîn meister iemer sîn“ (FB 121, V. 656). Sie begründet dies mit ihrer familiären Tradition, denn die Widerspenstigkeit sei ein Erbe ihrer eigenen Mutter (vgl. FB 121, V. 622f.), von dem sie keineswegs abrücken wolle.69 Das Gespräch nimmt allererst eine Wendung, als der Ritter dieser Deutungsperspektive eine gleichsam natürliche Erklärung entgegensetzt, der zufolge die Ursache ihrer 66

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MARGETTS spricht bezüglich der ,Zähmung‘ der Tochter pointiert, wenngleich vielleicht nicht ganz treffend, von einer „Pawlowschen Konditionierung“ (John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 219f.). Nunmehr sind die Redeanteile – die direkte Rede der Mutter umfasst 29, die der Tochter 24 Verse – nahezu ausgeglichen; die Machtverhältnisse sind nicht länger asymmetrisch. Die Titulierungen der Mutter lauten in den Handschriften „wisengart“ (H, V. 470), „ysengart“ (K, V. 642), „ysinhart“ (K²); „eisengart“ (wid, V. 730), „wiszhart“ (l, V. 744); neben ,Eckehard‘ erscheinen „Eberhart“ (d, V. 729) und „engelhart“ (l, V. 743); vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 110f., 147, 174. Hans-Joachim ZIEGELER verweist in Bezug auf den Namen „Eckehart“ auf Hermann von Sachsenheims Mörin (V. 28 und passim); vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Sibote, Sp. 1137. Stellt man die erwähnten Namen gegenüber, könnte es sich um ein (womöglich sexuell konnotiertes) Sprachspiel ohne weiterführende literarische Bezüge handeln, zu übersetzen wären die sprechenden Namen dann etwa mit „scharfe Klinge“ vs. „eiserne Gerte“; vgl. LEXER, Bd. 1, Sp. 507, 740, 1265, 1454. Bei diesem weiblichen Erbe, das in der Familie jeweils von Mutter an Tochter weitergegeben wird, scheint es sich eher um eine anerzogene site als um eine angeborene art zu handeln; dies ließe die Erziehbarkeit der Frauen plausibel erscheinen. Zweifelhaft erscheint mir daher die Lesart Claudia BRINKER-VON DER HEYDES, Weiber – Herrschaft, S. 56, die das Verhalten der Frauen als „genetisch bedingt“ (ebd.) auffasst; Jan-Dirk MÜLLER hingegen, der sich ebenfalls kritisch gegen diese Lesart wendet, versucht dem dialektischen Umgang des Textes mit der vermeintlichen ,Natürlichkeit‘ der weiblichen Widerspenstigkeit stärker gerecht zu werden; vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 478.

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Boshaftigkeit aus einer anatomischen Deformation resultiert: Sie hätte nämlich zwei „zornbrâten“ (FB 121, V. 668)70 in ihren Schenkeln, die verhindern würden, dass sie jemals gut werden könne (vgl. FB 121, V. 668–677). Der beißende Spott darüber, dass sie „brâten“ (FB 121, V. 690) trüge wie ein wilder Eber (vgl. FB 121, V. 691)71, währt jedoch nicht lange. Denn die Mutter wird sogleich von vier Knechten ergriffen und niedergeworfen, so dass ihr der Schwiegersohn mit einem Messer eine fingerlange Wunde zufügen kann. Nachdem er „von eime schâfe zwêne niere“ (FB 121, V. 601) genommen hat, wirft er ihr eines der Organe vor die Füße (vgl. FB 121, V. 599–604) und erklärt, dies wäre einer der ,zornbrâten‘, den er soeben operativ entfernt hätte (vgl. FB 121, V. 693–710).72 Angesichts dessen vollzieht nun auch die Mutter einen Gesinnungswandel: Aus Angst vor einem weiteren Schnitt geht sie auf das Sprachspiel des Ritters ein und bittet ihn, auf eine zweite Operation zu verzichten (vgl. FB 121, V. 711–724). Während die Tochter darauf insistiert, auch den zweiten ,zornbrâten‘ zu entfernen, damit er keinen Nachwuchs bekomme (vgl. FB 121, V. 725–734; 741–753), ist der Ritter bereit, von seiner Schwiegermutter abzulassen, als sie Gehorsam verspricht und beteuert, fortan einen „senften muot“ (FB 121, V. 759) anzunehmen (vgl. FB 121, V. 754–767). Zum Verständnis dieser Szene ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, welche Bedeutung die ,nieren‘ des Schafes haben, die in dem altfranzösischen Pendant der Verserzählung durch Stierhoden ersetzt sind.73 Zum Neuhochdeutschen hin hat bei diesem Wort eine Bedeutungsverengung stattgefunden, denn im Mittelhochdeutschen kann ,der niere‘ (swstm.) sowohl für das innere Ausscheidungsorgan als auch für den Hoden stehen, dementsprechend galten die Nieren dem Mittelalter auch als Sitz des Geschlechtstriebs.74 Übertragen auf Sibotes Erzählung würde dieser Befund dann bedeuten, dass

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Mehrfach wird der ,zorn‘ als Untugend der Mutter angesprochen (vgl. FB 121, V. 52; 489; 493; 722). – Die Spekulationen von Dietrich HUSCHENBETT darüber, ob sich hinsichtlich der im Text erwähnten ,brâten‘ Bezüge zum Jüngeren Titurel herstellen ließen, vermögen nur bedingt zu überzeugen; vgl. Dietrich HUSCHENBETT, Pelaie und Lohrangrin, S. 315f. Wie der Tochter wird nun auch der Mutter die Rolle eines Tieres zugewiesen. Dies wird ebenso in den Worten des Vaters deutlich, wenn er dem Schwiegersohn zugesteht, er könne seine Frau „villen oder schern / oder brâten ûf den koln“ (FB 121, V. 592f.); vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 473 und Anm. 25. – Der Eber ist gewählt, weil er im Mittelalter als Sinnbild des Zorns galt; vgl. Klaus SPECKENBACH, Der Eber in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 442f. In den einzelnen Versionen gibt es im Hinblick auf die Vorbereitung und Durchführung der ,Operation‘ Varianten im Detail, die hier nicht von Interesse sind. So ist in H beispielsweise die Rede davon, dass der Schwiegersohn zwei ,braten‘ (V. 466), d. h. Fleischstücke, bereitlege; in K² ist nicht von einem Schaf, sondern von einem Rind die Rede; vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 108f. – BILDHAUER verweist in diesem Kontext auf die Funktion der (blutigen) Operation, die männliche Dominanz visuell und körperlich zu manifestieren; vgl. Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed?, S. 150f. Vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 92. Vgl. H[ans] H. LAUER, [Art.] Niere; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 57; Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 473f., Anm. 27.

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hier als Ursache allen Übels die (weibliche) Sexualität – nach mittelalterlicher Auffassung mithin die Naturnähe der Frau75 – kenntlich gemacht wird. Die Entfernung des ,zornbrâten‘ ähnelt aber zugleich, bedenkt man die männliche Zugehörigkeit des in Rede stehenden Geschlechtsorgans, einer symbolischen Kastration76, mit der die dominante Stellung der Mutter in der Ehe gebrochen werden soll. Die schwankhafte Gedankenfigur, die dieser fingierten Konstruktion zugrunde liegt, geht von dem männlichdominanten Habitus der weiblichen Figur aus, von dem auf eine männliche Anatomie geschlossen wird, die ausgemerzt werden müsse, damit ihre Sanftmütigkeit als adäquater weiblicher Wesenszug wieder zum Vorschein kommen kann.77 Vorausgesetzt wird also in dieser Imagination ein Konnex von sex und gender, der jedoch weder in der Realität noch in der Fiktion – denn es handelt sich ja nur um die Sprachregelung des jungen Ritters – de facto gegeben ist.78 Um lineare Kohärenz auf syntagmatischer Ebene, so viel wird hier deutlich, geht es der bildmächtigen Geschichte in erster Linie nicht. Zur Diskussion steht in Sibotes Frauenerziehung (FB 121), soweit lässt sich resümieren, nur die Ebene des sozialen Geschlechts79, wobei sich der Blick sowohl auf das normgerechte Verhalten der Frau als auch – und dies scheint mir ein Aspekt zu sein, den die bisherige Forschung eher vernachlässigt hat – auf dasjenige des Mannes richtet. Allerdings kann die ,Erziehung‘, die bei den Frauen eine Verhaltensänderung bewirkt,

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Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Natûre ist der ander got, S. 9f. In der französischen Fassung wird der widerspenstige Stolz der Mutter von dem jungen Ritter explizit darauf zurückgeführt, dass sie die Hoden eines Mannes habe; anders als in der mittelhochdeutschen Fassung werden beide ,zornbrâten‘ entfernt, so dass die Szene hier noch deutlicher als imaginäre Kastrationsszene zu verstehen ist; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 92–94; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 366; John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 222; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 57. Frauke FROSCH-FREIBURG bemerkt zu Recht, dass dieser Kontext in der mittelhochdeutschen Erzählung zwar abgeschwächt sei, aber noch präsent gehalten werde (vgl. ebd., S. 94); anders Jan-Dirk MÜLLER, der keine Verharmlosung gegenüber der französischen Fassung sehen will; vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 473f., Anm. 27. – DICKE verweist auf drei weitere Beispiele der „angedrohten oder fingierten Kastration“ (Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 269) in mittelhochdeutschen Verserzählungen, und zwar im Spiegel (FB 126) sowie in der entsprechenden Fassung Hans Rosenplüts, Spiegel und Igel (FB 105h), wo allerdings weibliche Genitalien im Mittelpunkt stehen, sowie im Verklagten Zwetzler (FB 148) (vgl. ebd.). Vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 56. – M. E. bringt es keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, bei der Erläuterung der Textstelle auf die Thesen Thomas LAQUEURS zum one-sex-model zurückzugreifen, wie es Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 475f., unternimmt. Auch Maria E. MÜLLER geht davon aus, dass weder auf der verbalen Ebene noch durch physische Gewalt in der vorliegenden Verserzählung maßgebliche Wirkungen gezeitigt werden, denn hier spiele vor allem die Kraft der Imagination eine entscheidende Rolle; vgl. Maria E. MÜLLER, Böses Blut, S. 150f. Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 478; mit anderer Akzentuierung Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 56–58.

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bei männlichem Fehlverhalten offenkundig nicht greifen.80 Der Akt des ,Erziehens‘, wie er in der zentralen Reitszene ansichtig wird, erstreckt sich nur auf das weibliche Geschlecht und mündet letztendlich in seiner Unterwerfung unter die männliche Vorherrschaft. Das Besondere in der Darstellungsweise dieser ,Frauenerziehung‘ ist, wie einführend bereits erwähnt, die Art und Weise, in der Formen abstrakten Wissens zunächst metaphorisch aufgegriffen, dann aber auf der Handlungsebene wörtlich genommen und erzählerisch ausgestaltet werden. Abschließend soll diese von Jan-Dirk MÜLLER beschriebene poetische Verfahrensweise der mittelhochdeutschen Verserzählungen für Sibotes Frauenerziehung (FB 121) noch einmal anhand des zentralen Begriffs der ,Unterwerfung‘ illustriert werden. Der Begriff wird zunächst in einem metaphorischen Sinne verwendet, wenn der Vater die Tochter vor dem Durchsetzungsvermögen eines Ehemannes mit den Worten warnt, „[,]er wirfet dich under sich dar nider / und rîtet dich mit den sporn[‘]“ (FB 121, V. 192f.), und die Mutter ihr einschärft, sich mit allen Kräften dagegen zu wehren, wenn er sie „dar nider“ (FB 121, V. 291) werfe. Diese Metaphorik wird in der zentralen Reitszene zum einen in eine konkrete Handlung überführt, wenn der Bräutigam seine Tiere niederstreckt (vgl. z. B. den Tod des Vogels: „Er würgete in als ein huon / und warf in nider ûf daz gras.“ (FB 121, V. 352f.)), was die Unterwerfung der Tochter in einem übertragenen Sinne zur Folge hat. Bei der Mutter liegen gleichsam verschärfte Bedingungen vor, so dass sie erst nach einer buchstäblichen ,Unterwerfung‘ ihrer eigenen Person und der sexuellen ,Natur‘ in ihr bezwungen werden kann: „Dô griffen sî [d. s. die Knechte] die vrouwen ane / unde wurfen sie dar nider“. Erst nachdem sie so realiter „under“ (FB 121, V. 711) den operierenden Ritter zu liegen kommt, erfolgt der erwünschte Gesinnungswandel, der in einem Akt der Selbstdisziplinierung gipfelt: „Ir boeser kriec der was sô vast, / den warf sî under sich dar nider“ (FB 121, V. 770f.).81 80

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Vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, ebd., S. 62. – Wenn man von einer symbolischen Kohärenz der Erzählung ausgeht, so müsste dem in der Frauenerziehung (FB 121) versagenden Vater in Anlehnung an den Subtext der Reitszene eine mangelnde sexuelle Potenz attestiert werden; dem würde dann seine effeminierte Wesensart korrespondieren. Eine ähnliche poetische Verfahrensweise findet sich, wenn die noch unverheiratete Tochter ihrem Vater androht, dass sie in einer Ehe „daz lenger mezzer“ (FB 121, V. 140) führen wolle, und im zweiten Teil ihr Ehemann, der junge Ritter, analog ein reales Messer dazu nutzt, um seine Schwiegermutter zu kurieren (vgl. FB 121, V. 696–701), indem er ihr „ein wunden vingers tief und lanc“ (FB 121, V. 701) schneidet. Ist man bereit, sich darauf einzulassen, das Messer psychoanalytisch als Phallussymbol zu deuten, so erweist sich auch in dieser Form der Bildlichkeit die imaginäre Rückbindung der Vorherrschaft in der ehelichen Beziehung an das männliche Geschlecht; der imaginären Kastration der Mutter entspräche dann eine imaginäre ,Vergewaltigung‘, die wie diese die Funktion hätte, den begrenzten Handlungsspielraum des weiblichen Geschlechts zu definieren. Ergänzend könnte man in diesem Kontext auf das bare Schwert verweisen, mit dem der Ritter im Wald agiert (vgl. FB 121, V. 380). In beiden Fällen würde die ,Zähmung‘ der Frauen demnach mittels eines sexuellen oder zumindest sexuell konnotierten Zugriffs erfolgen. Zur sexuellen Symbolik

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Das breite Bedeutungsspektrum, das der mittelhochdeutsche Titel der Verserzählung, „der vrouwen zuht“ (FB 121, V. 6), impliziert, spiegelt sich so auf der Handlungsebene in unterschiedlichen Facetten von ,zuht‘, umfassend sowohl ,Erziehung‘ und ,Züchtigung‘ als auch ,Selbstdisziplinierung‘ und ,innere Bildung‘.82 Die Machtachse verlagert sich im Geschlechterkampf der Frauenerziehung (FB 121) somit von einer vertikalen, matrilinearen Linie (Weitergabe der Widerspenstigkeit jeweils von Mutter zu Tochter, welche durch die Zähmungen des jungen Mannes durchbrochen wird) hin zu einem horizontalen, patriarchalen System, in dem die ordnungsgemäße Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau in der Ehe realisiert ist.83 Der Wandel ist möglich, weil der persönliche Habitus eine ,site‘ ist, die durch ,zuht‘ manipuliert werden kann.84 Die ,Zähmung der Widerspenstigen‘ erweist sich somit als ein Akt der Kultivierung. c.

Die gezähmte Widerspenstige (FB 141)

Eine ähnliche List wendet ein Ehemann in der motivverwandten, wenngleich weitaus weniger raffiniert erzählten Geschichte von der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) an, um seine unbotmäßige Ehefrau zu unterwerfen (vgl. FB 141, V. 4f.).85 Wie bei Si-

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von Schneidewerkzeugen in der mittelalterlichen Novellistik vgl. Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 117; vgl. des Weiteren auch Johannes MÜLLER, Schwert und Scheide, S. 79–82; Gaby HERCHERT, „Acker mir mein bestes Feld“, S. 208; Stefan ZEYEN, … daz tet der liebe dorn, S. 70. – Das gleiche Verfahren erstreckt sich über die narratio hinaus auf das Promythion, denn hier richtet sich der Erzähler unter Rückgriff auf das Verb ,zücken‘ (vgl. FB 121, V. 20) warnend an das weibliche Publikum; analog taugt das ,zücken‘ der Tiere, wie dargelegt, dem männlichen Ritter als Vorwand, um sie zu töten. Von Interesse ist dabei der gleiche Wortlaut, der als Signal auf der Textoberfläche fungiert; das divergente Bedeutungsspektrum des Verbs ist nur von untergeordneter Bedeutung. Vgl. dazu auch John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 227, der dem Verständnis von ,Dressur‘ den Vorzug geben will. Ähnlich wird der Handlungsverlauf von Ingrid BENNEWITZ gedeutet: „Der Familienfriede ist (wieder)hergestellt, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sind geregelt, die Koalition zwischen Mutter und Tochter macht der freundschaftlichen Verbindung zwischen den beiden Männern, Vater und Schwiegersohn, Platz. Die nächste Generation kann in ,geordnete‘ Verhältnisse hineingeboren werden […]“ (Ingrid BENNEWITZ, „Frauen“-Gespräche, S. 21f.); ähnlich zudem Ann Marie RASMUSSEN, Bist du begehrt, so bist du wert, S. 27. Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 472f. und Anm. 24. MÜLLER betrachtet den Begriff ,site‘ neben ,zuht‘ als Schlüsselbegriff der Erzählung, akzentuiert jedoch stärker seine Qualität als Kulturwert im Gegensatz zum naturhaften Verhalten der Tiere. Es gilt als Konsens der Forschung, dass zwar eine stoffliche Nähe, nicht jedoch eine unmittelbare Abhängigkeit zwischen beiden Texten bestehe; so wurde gemutmaßt, dass der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) und dem ersten Teil von Sibotes Frauenerziehung (FB 121) eine gemeinsame Quelle zugrunde gelegen haben könnte (FROSCH-FREIBURG); auch wurde erwogen, dass Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) als der jüngere Text einzelne Elemente aus Sibotes Erzählung isoliert übernommen habe (SONNTAG); vgl. zu diesem Fragenkomplex Wilhelm STEHMANN, Die mit-

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bote wird auch in der jüngeren Erzählung ein Tier instrumentalisiert, um das gewünschte Ziel zu erreichen: Der gebeutelte Ehemann demonstriert zunächst die Treue und Willfährigkeit seines Hundes mit dem sprechenden Namen Willebreht durch eine „ite niu“ (FB 141, V. 12), indem er den Hund dazu auffordert, die „kunt“ (FB 141, V. 21) zu erlernen, wie ein Pferd zu „zelten“ (FB 141, V. 22), d. h. sich im Passgang fortzubewegen. Durch diese Provokation86 entbrennt ein Streit zwischen den Eheleuten, in dessen Verlauf die Ehefrau selbst in die Rolle eines Reitpferdes gezwungen und auf diese Weise ,gezähmt‘ wird. Anders als in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) spielen familiär-genealogische oder ständische Aspekte keine Rolle. Es handelt sich bei der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) um die einzige mittelhochdeutsche Verserzählung, in der ein Tier selbst als handelnde bzw. sprechende Figur auftritt (vgl. FB 141, V. 9–26).87 Der Hund, der sich verhält „als ein guoter kneht / der inem herren it getriu“ (FB 141, V. 10f.), erfüllt die Funktion eines Positivexempels, gegenüber dem sich das Verhalten der Ehefrau umso deutlicher negativ abheben muss. Einsichtig wird diese Funktion durch eine Äußerung des Hundes, die als Anspielung auf Hartmann von Aues Verserzählung Der arme Heinrich gelesen werden kann: Denn der Hund Willebreht bekräftigt seine Ergebenheit mit der Versicherung, er begebe sich für seinen Herrn sogar nach Salerno (vgl. FB 141, V. 17–19). Dies erinnert unweigerlich an die außergewöhnliche Opferbereitschaft des Mädchens im Armen Heinrich, das bereit ist, für seinen Herrn auf sein Leben zu verzichten.88 Befreit von dem religiösen Deutungshorizont, der diesem Handeln in der legendenhaften Erzählung Hartmanns eine besondere Sinnhaftigkeit verleiht, wirkt die literarische Anspielung im schwankhaften Kontext der Verserzählung lediglich komisch und wirft darüber hinaus – möglicherweise – ein fragwürdiges Licht auf das Ansinnen des Ehemannes.

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telhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, S. 124f.; Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 242–245; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 88, 93; Ulla WILLIAMS, [Art.] ,Die gezähmte Widerspenstige‘, Sp. 42. – Weiterführend betont SCHIRMER gegenüber der Frauenerziehung (FB 121) die stärkere Tendenz zur Exemplarität sowie die Verlagerung der Geschichte in ein unhöfisches Milieu; vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 12f. Vgl. Ulla WILLIAMS, [Art.] ,Die gezähmte Widerspenstige‘, Sp. 42. Von diesem Befund ausgehend erwiese sich das von FISCHER behauptete Unterscheidungsmerkmal der vorhandenen bzw. nicht-vorhandenen Anthropomorphisierung von Tieren in Fabel und Märe als nicht ganz stichhaltig; vgl. hierzu Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 54f. Es ließe sich nur einwenden, dass der Hund keine handlungstragende Figur ist. Vgl. u. a. folgende Verse bei Hartmann von Aue, Der arme Heinrich (V. 1049–1051): „Sus vuor engegen Salerne / vroelich und gerne / diu maget mit ir herren.“ (zit. nach: Hermann PAUL (Hrsg.), Der arme Heinrich [2001]). – Weitere literarische Anspielungen, die ebenfalls komische Effekte erzielen, beziehen sich auf die heldenepische Figur Dietrichs von Bern (vgl. FB 141, V. 57), den Riesen Asprian (vgl. FB 141, V. 59) aus dem König Rother, dem Rosengarten zu Worms und / oder dem Dukus Horant, den biblischen Samson (vgl. FB 141, V. 63) sowie den Wolf Isengrin (vgl. FB 141, V. 74) aus dem Reinhart Fuchs.

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Gegenüber der mit Eigennamen und Bewusstsein ausgestatteten Hundefigur erscheint die Ehefrau als unvernünftig, ungehorsam und ungebärdig, und der großen Aufopferungsbereitschaft des Hundes korrespondiert umgekehrt ihr Unwille, sich ihrem Mann unterzuordnen: [,]e ich mich lieze twingen, ich wolt e von iu ſpringen in einen grozen tiefen ſe, 89 e ich taet iuwern willen me.‘ (FB 141, V. 79–82)

Der Gegensatz zwischen dem Verhalten des kultivierten Hundes und dem unzivilisierten Verhalten der Frau, das der Ehemann als „gemeit“ (FB 141, V. 20) bzw. „ungemeit“ (FB 141, V. 94) kontrastiert, wird auf der Grundlage eines Mensch-Tier-Vergleichs verdeutlicht, der auf der Handlungsebene von den Figuren als solcher erkannt und realisiert wird.90 Das dem Mensch-Tier-Vergleich zugrunde liegende Kultur-Natur-Paradigma erhält in diesem Kontext eine doppelte Funktion: Es verbildlicht zum einen, wie bereits in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) aufgezeigt, die ontologische und soziale Hierarchie zwischen Mann und Frau, die durch die jeweilige Zuordnung zu den Sphären von Kultur und Natur symbolisiert wird. Zum anderen jedoch – und insofern geht Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) über die Darstellung in Sibotes Verserzählung hinaus – resultiert aus dem Vergleich im vorliegenden Fall eine Verkehrung der Positionen zwischen dem (weiblichen) Menschen und dem (hier als männlich imaginierten) Tier innerhalb der im christlichen Mittelalter geltenden ontologischen Stufenfolge der Lebewesen.91 Abgeleitet wird diese Verschiebung innerhalb der Hierarchiestufen in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) aus dem unterschiedlichen Grad der Zivilisierung oder Domestizierung, der sowohl Hund als auch Frau jeweils zugesprochen wird – „ich 89

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Eine ähnliche Reaktion wird in der Verserzählung Die böse Adelheid (FB 1), die ebenfalls dem Typus der ,übel-wîp‘-Geschichten zuzuordnen ist, von der Protagonistin in Szene gesetzt, wenn sie sich aus purem Eigensinn in einen Fluss stürzt und dort ertrinkt (vgl. FB 1, V. 132–146). Vgl. hierzu folgende Selbsteinschätzungen der beiden Protagonisten – des Ehemannes: „[,]ir int betoubet / der inne, des bedünket mich, / daz ir so gar vlizeclich/ widerredent min gebreht. / daz tet mir nie Willebreht. / er was triu und gehoram / zallen ziten mir. alam / oltent ir gehoram in.‘“ (FB 141, V. 66–73) – sowie der Ehefrau: „,ir int her Iegrin. / gelichent ir mich iuwerm hunt, / o wil ich iu von herzen grunt / chelten unde vluochen.[‘]“ (FB 141, V. 74–77). BRINKER-VON DER HEYDE beschreibt, wie sich in den Texten, die mit einem geschlechtlich codierten Pferd-Reiter-Diskurs arbeiten, aus der dreistufigen Ontologie von ,Mann – Frau – Tier‘ eine duale Hierarchie zwischen dem ,Mann‘ auf der einen und ,Frau‘ respektive ,Tier‘ auf der anderen Seite entwickelt: „Der Mann steht an der Spitze, die Frau ist die schlechtere Kopie des Mannes, das ,tierische Tier‘ die schlechtere Kopie von Mann und Frau. Eine Parallelisierung der Frau mit dem Pferd verändert aber diese dreifach gestufte Hierarchie zu einem dualen System, in dem Mann mit Mensch und Frau mit Tier gleichgesetzt wird.“ (Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 55). In der vorliegenden Erzählung gewinnt die Verschiebung einen noch weitaus höheren Komplexitätsgrad.

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verkeren / alliu dinc ze dirre zit“ (FB 141, V. 34f.), so kommentiert die Ehefrau selbst die eingetretene Situation. Der Fokus des Vergleichs liegt jedoch eindeutig auf der Abqualifizierung des weiblichen Verhaltens als tierhaft und damit als nicht-human. Wie in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) bildet die Stigmatisierung der Frau als unkultiviertes Naturwesen den Ausgang für ihre ,Zähmung‘, deren mitunter burlesker Darstellung sich hier, eingebettet in ein rhetorisch aufwendig gestaltetes Streitgespräch, mehr als drei Viertel des Textes widmen: Nach einem Disput über die Behandlung des Hundes (vgl. FB 141, V. 27–35), der in einer lautstarken und gewalttätigen Auseinandersetzung mündet, ereilt die aufsässige Ehefrau, die sich um keinen Preis beugen möchte, das gleiche Schicksal wie Willebreht, denn sie soll nun ebenfalls auf allen vieren „zelten“ (FB 141, V. 43; vgl. V. 98; 140). Bei der widerwilligen Ehefrau bedarf es allerdings strengerer Maßnahmen als bei dem unterwürfigen Hund (vgl. FB 141, V. 24–26), damit sie bereit ist, sich in den Passgang zu begeben: Zunächst wird sie in Seile gespannt (vgl. FB 141, V. 94– 102), sodann mit einer Gerte angestachelt (vgl. FB 141, V. 113–116) – erneut bemüht der Erzähler in diesem Kontext einen Tiervergleich, wenn er das Gebaren der Frau als das eines bockigen Widders beschreibt (vgl. FB 141, V. 117–119) – und schließlich wie „ein wildez ros“ (FB 141, V. 148) aufgezäumt (vgl. FB 141, V. 148f.), so dass sich der Ehemann auf ihren Rücken setzen und sie mit seinen Sporen antreiben kann: er nam zwene pitze porn an ine nelle vüeze. hei wie gar unüeze er uf daz übel wip pranc! ir was diu kurzewile lanc. (FB 141, V. 156–160)

Aus Sorge um ihr Ansehen (vgl. FB 141, V. 175f.) gibt sie schließlich klein bei.92 Die domestizierte Frau, deren prinzipielle Zivilisierbarkeit damit abermals unter Beweis gestellt zu sein scheint, ist somit wiederum in die Sphäre der (männlich dominierten) Kultur überführt. Von besonderem Interesse ist des Weiteren eine Szene, auf die ich hier nur am Rande eingehen möchte. Sie ist im unmittelbaren Vorfeld der eigentlichen ,Zähmung‘ angesiedelt und beschreibt, wie der Ehemann seine Frau mit einer Gerte zum zelten antreiben will: 92

Im Unterschied zu Sibotes Frauenerziehung (FB 121) erfolgt die Zähmung allein aufgrund körperlicher Gewaltanwendung, durch die der Wille der Ehefrau gebrochen wird; Angst scheint den Gesinnungswandel nicht zu motivieren; vgl. Cornelie SONNTAG, Sibotes „Frauenzucht“, S. 243. Auch hier ist wiederum das Bluten der Frau körperliches Zeichen ihrer Unterordnung; vgl. Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed?, S. 150. – Gemeinsam ist hingegen beiden Reitszenen die zusätzliche Herabwürdigung der Frau, dadurch dass sie jeweils mit einem besonders minderwertigen Pferd verglichen wird; dies zeigt sich in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) sowohl in der Figurenrede (vgl. FB 141, V. 184) als auch (ironisierend) in der Rede des Erzählers: „mit zelten i in gewerte / als ein pfärit daz da kumt / umb zehen marc“ (FB 141, V. 164–166).

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72 Do nam er chiere inen gart und tipfete vrou Liugart; zelten wolt er wien mit einem gartien. (FB 141, V. 113–116)93

Auffällig ist diese Passage, weil sich in der mitunter Konrad von Würzburg zugeschriebenen Verserzählung Die halbe Birne (A) (FB 74), entstanden etwa um 1300, eine ganz ähnliche Stelle findet, die dankbare Anschlussmöglichkeiten für das hier entfaltete Pferd-Reiter-Motiv bietet, da sie in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) augenscheinlich aufgegriffen wird.94 In jener Verserzählung, in der Sexualität thematisch wie handlungslogisch eine zentrale Rolle spielt95 und der Kultur-Natur-Gegensatz in der Bildlichkeit der Nahrungsaufnahme auserzählt wird96, schildert der Erzähler folgende Begebenheit: Der als Narr verkleidete Ritter Arnold verweigert einer Königstochter, in deren Kemenate er nach einer vergeblichen Werbung inkognito Einlass gefunden hat, die von ihr ersehnte Zuwendung. Eine Zofe namens Irmengard soll den Mann durch ihre „zuht“ (FB 74, V. 358) mit einer Gerte dazu bewegen: „,stüpfa, maget Irmengart[‘]“ (FB 74, V. 385)97, fordert die Prinzessin ihre Vertraute eindringlich auf: dannoch lac er unde grein als ein alter hovewart, biz diu frouwe Irmengart einen stap erkripfete und mit der gerten stüpfete. […] si menete und gupfete si stach, und schupfete (FB 74, V. 368–392).

Bemerkenswert sind hier neben dem in beiden Versionen vorkommenden Requisit der Gerte bzw. des Stabes vor allem die ähnlich lautenden Namensformen „Liugart“ (FB 141, V. 114) und „Irmengart“ (FB 74, V. 299 u. ö.) – ergänzend und stützend ließe sich hier auf die Anrede „Isengart“ (FB 121, V. 610) in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) verweisen – sowie die identische Verwendung des nicht eben häufig belegten

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Der handschriftlichen Überlieferung zufolge lautet diese Textstelle nach NGA: „Do nam er inen gart / und tüpfet fro lugart / zelten wolt er i bewien / mit einem gartien“ (S. 37). Für unsere Argumentation ist dabei wichtig, dass sich im Donaueschinger Codex 104, der sog. ,Liedersaal-Handschrift‘ (l), dem einzigen Überlieferungsträger von der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141), ebenfalls eine Version der Halben Birne (A) (FB 74) findet, die vollständig in insgesamt vier weiteren Textzeugen überliefert ist; zu Datierung und Überlieferung des Textes vgl. Norbert Richard WOLF, [Art.] ,Die halbe Birne A‘. Vgl. Mireille SCHNYDER, Die Entdeckung des Begehrens; aus psychoanalytischer Perspektive vgl. Irmgard GEPHART, Halbe Birnen und sonstige Lustbarkeiten. Vgl. Edith FEISTNER, Kulinarische Begegnungen. Lediglich in den Handschriften S und l taucht in diesem Vers das Verb stüpfen auf; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1093.

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mittelhochdeutschen Verbs stipfen bzw. stüpfen.98 Offenkundig werden in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) somit zwei thematisch-motivische Vorlagen (Nötigung zum Geschlechtsverkehr und Ritt der widerspenstigen Frau zwecks ,Zähmung‘) miteinander assoziiert und verknüpft. Scheint sich in dieser Erzählung auf den ersten Blick eine Verschiebung hinsichtlich der geschlechtlichen Rollenverteilung abzuzeichnen, insofern nun nicht mehr der Mann, sondern die Frau die unterlegene Position einnimmt, so müsste eine weiterführende Lektüre den hierarchischen Status der Figuren in der Halben Birne (A) (FB 74) näher beleuchten.99 Deutlich wird anhand der literarischen Übernahme jedenfalls, welch eminente Bedeutung dem Aspekt der (weiblichen) Sexualität, die hier als Proprium des Animalischen vorgestellt wird, bei der Darstellung des Geschlechterkampfes in den mittelhochdeutschen Verserzählungen zukommt. In der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) ist dies allerdings nicht das Thema an der Textoberfläche. Entsprechend bedienen sich die beiden Kontrahenten in der letzten Phase ihres Streitgesprächs (vgl. FB 141, V. 169–202) einer euphemistischen Spielmetaphorik, die der Auseinandersetzung den Anschein eines intellektuellen Wettstreits verleiht; im Ergebnis sind sich Mann und Frau einig: „,ich han gewunnen[‘]“ (FB 141, V. 169), so der Kommentar des Mannes, „[,]er hat mir prochen chach und mat[‘]“ (FB 141, V. 191) – lautet das Urteil der Frau über den Ausgang des Wettkampfes. Auf diese Weise stellt sich mit Sieg des Ehemanns und Unterordnung der Ehefrau ein harmonischer Einklang her, der in einem utopisch-verklärenden Gegensatz zu der mitunter recht drastischen Darstellung der Handgreiflichkeiten zwischen den Ehepartnern steht. Diese eheliche Eintracht stilisiert das Epimythion (vgl. FB 141, V. 203–214) zum Ideal, wobei als Voraussetzung für den Frieden zwischen Frau und Mann erneut das weibliche Wohlverhalten, verstanden als „zühte“ (FB 141, V. 208), angemahnt wird.100 In diesem Punkt folgt Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) ganz der Argumentationsführung der Frauenerziehung (FB 121). 98

Vgl. LEXER, Bd. 2, Sp. 1274. – Damit wird nicht behauptet, dass sich alle Übernahmen unmittelbar auf die Version der Halben Birne (A) (FB 74) in der Handschrift l beziehen müssen, so dass hier auf einen Vergleich der Varianten im Einzelnen verzichtet wird. Nach den von GRUBMÜLLER in seiner Edition verzeichneten Abweichungen erscheinen die beiden aufgeführten Wortparallelen ebenfalls in l; vgl. dazu Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1091–1093. 99 Dabei müsste berücksichtigt werden, dass sich der Ritter Arnold in diesem höchst dialektischen Text sehr bewusst in die Rolle des kulturlosen Narren begibt, um die Königstochter bloßzustellen, und dass er sich am Ende durch seine Triebbeherrschung gleichwohl als der Überlegene erweisen soll; vgl. Mireille SCHNYDER, Die Entdeckung des Begehrens, S. 271–278 und S. 273f., Anm. 17. 100 Weniger spielerisch erscheint die Beurteilung der Zähmung in dem 26 Verse umfassenden Schluss der Erzählung, den Heinrich NIEWÖHNER in seiner Ausgabe des Textes einfach gestrichen und in den Apparat verbannt hat. Erneut wird hier, nach einer Apostrophe der böswilligen Frauen, die Effizienz männlicher Züchtigung beschworen (vgl. FB 141, V. 214a–aa); ein gewisses Vergnügen an der Darstellung von Gewalt lässt sich nicht verhehlen, wenn der Sprecher beispielsweise detailliert auf die notwendige Beschaffenheit einer Rute als Züchtigungsinstrument (einer Haselgerte mit unreifen Früchten) eingeht.

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d.

Jörg Zobel: Die faule Frau (FB 147a)

Eine weitere, verschärfte Variante des Motivs der ,Zähmung der Widerspenstigen‘101 findet sich in der jüngeren Verserzählung Die faule Frau (FB 147a) von Jörg Zobel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts102, in der ebenfalls mit einem doppelten Tiervergleich operiert wird. Die Handlung ist zentriert um eine junge Frau aus adligem Hause (vgl. FB 147a, V. 1), die aus der Art schlägt, insofern sie sich von ihren beiden vorbildlichen Schwestern, die als „tugentlich und schün“ (FB 147a, V. 13) gelten, wesenhaft unterscheidet. Während diese beiden Schwestern „züchtenklich“ (FB 147a, V. 7) erzogen werden und „an alles arg“ (FB 147a, V. 9) aufwachsen, so dass der Vater sie verheiraten kann und „nach irem wilen versorgt“ (FB 147a, V. 18), lässt sich für die dritte Tochter, die als „ungeschlacht“ (FB 147a, V. 11; vgl. V. 73), „böse“ (FB 147a, V. 21; vgl. V. 41; 73; 102), „verhit“ (FB 147a, V. 41), d. h. niederträchtig, faul und träge (vgl. FB 147a, V. 22) bezeichnet wird, kein adäquater Ehemann finden (vgl. FB 174a, V. 20–23). Nicht einmal mit Gewaltanwendung glaubt der Vater einen erzieherischen Erfolg erzielen zu können: [„]solt ich si schlachen mit ainem schit, ich müst si schlachen, das si stürb, e das si immer gütig würd.“ (FB 147a, V. 42–44)

In seinem Gram über die missratene Tochter verfällt der Vater schließlich auf einen Nachbarn als potentiellen Schwiegersohn, der auch rasch in eine Heirat einwilligt (vgl. FB 147a, V. 30–68). Es handelt sich bei dem Bräutigam um einen angesehenen und wohlhabenden „rostüschel“ (FB 147a, V. 32), einen Pferdehändler, der in dem Ruf steht, allein durch Worte (vgl. FB 147a, V. 33) so auf Pferde einwirken zu können, dass er jedes böswillige Pferd „tugentlich“ (FB 147a, V. 35) mache (vgl. FB 147a, V. 33– 35). Dieser Berufsstand ist natürlich kein Zufall, denn der Text assoziiert mit der Pferdezähmung offenkundig den bekannten Kontext der ,Zähmung‘ einer Frau, wobei das ,Reiten‘ in diesem Fall keine Rolle zu spielen scheint. Folgerichtig erhofft sich der gewitzte Vater aufgrund der besonderen Fähigkeiten des Pferdehändlers – und hier setzt der Frau-Pferd-Vergleich in Jörg Zobels Erzählung an –, dass er auch seine widerspenstige Tochter „gezämen“ (FB 147a, V. 39) möge und sie „nach sim wilen züg“ (FB 147a, V. 40). Dass mit der Heirat für die unliebsame Tochter ein sozialer Abstieg verbunden

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Hier findet es sich in Kombination mit dem Motiv der ,Faulen Frau‘ (AaTh 1370); vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Zobel, Jörg, Sp. 1574. 102 Vgl. zu Autor und Werk Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 176; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Zobel, Jörg. – Auch hier kann über eine Abhängigkeit zu den motivverwandten mittelhochdeutschen Verserzählungen nur gemutmaßt werden. Ein direkter Einfluss von Sibotes Frauenerziehung (FB 121) auf Die faule Frau (FB 147a) wird nicht angenommen; vgl. Gerhard EIS, Jörg Zobels „Zähmung der Widerspenstigen“, S. 362.

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ist103, wird von dem „edelman“ (FB 147a, V. 1) nur zu gerne in Kauf genommen, da er sich so schnellstmöglich von dem „unhail“ (FB 147a, V. 26) befreien kann, das ihm seine Tochter beschert. Dem literarischen Schema gemäß erfolgt die ,Zähmung der Widerspenstigen‘, die sich auch im Haus des Pferdehändlers als aufsässig erweist und überdies auch noch als faul, da sie ihre Haushaltspflichten vernachlässigt (vgl. FB 147a, V. 77–117), in einer mehrstufigen, sich steigernden Vorgehensweise, denn erst nach zweimaliger Warnung (vgl. FB 147a, V. 94–96; 121–124) führt der Ehemann eine erzieherische Strafmaßnahme durch. Anders als in den zuvor behandelten Verserzählungen erfolgt die Dressur der Protagonistin jedoch nicht durch eine Degradierung zum Reitpferd. Die Abrichtung erfolgt stattdessen auf indirektem Weg über das Medium einer Katze. Der Pferdehändler verfolgt hier eine doppelbödige Strategie: Zunächst behandelt er seine Frau trotz ihres provokanten Verhaltens zuvorkommend und freundlich, denn er will ihr „zucht und er erzögen“ (FB 147a, V. 67), damit sie gar nicht erst einen Grund zum Streiten findet (vgl. FB 147a, V. 68).104 Weil diese Strategie erwartungsgemäß erfolglos bleibt, vollzieht der Hausherr die schemagemäße ,Zähmung‘ zuerst exemplarisch an der Hauskatze, die aber zugleich dazu benutzt wird, um die Frau durch körperliche Gewaltanwendung gefügig zu machen. In einem fingierten Gespräch mit der unverständigen Katze fordert der Pferdehändler, dass sie, die Katze, für die Zubereitung der Mahlzeiten Sorge tragen möge und droht mit körperlicher Bestrafung, falls dies nicht geschehe (vgl. FB 147a, V. 90–97; 120–124). Da dieser Auftrag unerfüllt bleiben muss – im Gegensatz zu dem Hund in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) vermag die Katze nicht wie eine menschliche Figur zu agieren –, ist die Bestrafung gleichsam vorprogrammiert. Die Züchtigung der Katze dient dem Hausherrn auf diese Weise als Vorwand, um seine Frau zu drangsalieren, ähnlich wie bei Sibote, wo die Tiere aufgeopfert werden, um die Erziehungsmaßnahme einzuleiten. Diese erfolgt bei Jörg Zobel auf folgende Weise: Der rostüschel fertigt eine Rute an, setzt seiner Frau, die immer noch unbekleidet im Bett liegt, die Katze auf den Schoß und erläutert ihr, warum er ein Exempel an ihr statuieren müsse (vgl. FB 147a, V. 133– 139). Er befiehlt seiner Frau, das Tier festzuhalten, damit es nicht fliehen könne, andernfalls werde er sie selbst an seiner Stelle schlagen (vgl. FB 147a, V. 142–150). Auf brutale Weise prügelt er sodann auf die Katze ein, die natürlich kratzend und beißend heftigen Widerstand leistet und die Frau auf diese Weise so stark verletzt, „das si nit was aim menschen glich“ (FB 147a, V. 156). Als sich die misshandelte Katze befreien 103

Der rostüschel hält die Aufforderung des edelman aus diesem Grund zunächst für einen schlechten Scherz und fühlt sich verspottet (vgl. FB 147a, V. 53–56). 104 Zugleich erfolgt dadurch eine Sympathielenkung der Rezipientinnen und Rezipienten zugunsten des scheinbar friedliebenden rostüschels, denn das weibliche Fehlverhalten kann so als alleinige Ursache des Konflikts dargestellt werden.

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kann, droht der zornige Ehemann, die gleiche Strafe nunmehr an seiner Frau zu vollstrecken. Nur weil sie ihre Unschuld beteuert und ihren Mann um Vergebung bittet, lässt er unter dem Vorbehalt künftigen Gehorsams von ihr ab (vgl. FB 147a, V. 151–180). Der Erfolg der Zähmung zeigt sich schließlich darin, dass die Frau aus Angst vor der Katze (vgl. FB 147a, V. 194f.; 222) beschließt, nun stets früh aufzustehen und die häuslichen Pflichten selbst zu übernehmen.105 Fortan erscheint sie wie ausgewechselt und wird „gemach und […] zam“ (FB 147a, V. 223), „gut und tugendlich“ (FB 147a, V. 217; vgl. V. 204) wie ihre vorbildlichen Schwestern. Das tradierte Motiv der ,Zähmung der Widerspenstigen‘ erfährt in der Erzählung von Jörg Zobel eine entscheidende Umbesetzung, indem der Text nicht nur das semantische Feld der Pferdezucht ausschöpft, um die Beziehung zwischen Mann und Frau als Erziehungs- oder Züchtigungsverhältnis zu symbolisieren, sondern darüber hinaus den Vergleich von Frau und Katze bemüht, um insbesondere die Protagonistin in ihrer charakteristischen Eigenart zu konturieren. Insofern die Katze im Mittelalter in den überwiegenden Kontexten als negativ besetzte Figur gilt106, etwa als Bild von Faulheit und Unersättlichkeit, spiegeln sich in diesen Zuschreibungen die Eigenschaften der Ehefrau, die arbeitsunwillig ist und auf Kosten ihres Ehemannes ein angenehmes Leben zu führen trachtet. Neben der Analogie der Faulheit steht das Kratzen und Fauchen der eigensinnigen Katze als Entsprechung für das ungehobelte Verhalten der Frau gegenüber ihrem Mann, so wie ihre Boshaftigkeit auf die mittelalterliche Deutung der Katze als Figuration des Teufels oder, im späteren Mittelalter, als Verkörperung der Hexe verweist.107 Welchen Aussagewert hat nun diese Tiersymbolik im Gesamtgefüge der Erzählung? Welchen Unterschied macht es, wenn die widerspenstige Frau nicht mit einem Pferd, sondern mit einer Katze verglichen wird? Gemäß der vorgeführten Argumentationslo105

Somit gelangen wie in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) psychische wie physische Wirkungsfaktoren bei der ,Zähmung‘ zum Einsatz. 106 Vgl. Gertrud BLASCHITZ, Die Katze, insbesondere S. 596–615. – Robert DELORT führt aus: „Die K[atze] gilt als unbezähmbar, grausam, aggressiv, wollüstig, träge, gefräßig, heuchlerisch, undankbar. […] In ihrer vermeintl[ichen] Lüsternheit und Verschlagenheit steht sie auch für das (negative) Bild der Frau und repräsentiert in einer von männl[ichen] (adligen, kirchl[ichen]) Werten geprägten Kultur das Verabscheuungswürdige schlechthin.“ (R[obert] DELORT, [Art.] Katze, Sp. 1079). Nicht zuletzt durch die Figur der Katze erhält die vorliegende Erzählung auch einen sexuellen Subtext. 107 Die Tendenz zur Verteufelung und Dämonisierung der Frau teilt Zobels Erzählung, wie wir gesehen haben, mit dem strickerschen Wilden Ross (Moe 57), aber auch mit den Reitszenen in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) und in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141), wenngleich sie hier ungleich auffälliger erscheint. Bereits STAMMLER hat auf die magische Symbolik des Reitens, etwa den Ritt von Gespenstern, Dämonen und des Teufels, hingewiesen; vgl. Wolfgang STAMMLER, Der Philosoph als Liebhaber, S. 31f. BRINKER-VON DER HEYDE bringt darüber hinaus die Zähmung der Frau mit exorzistischen Praktiken bei (dem Volksglauben zufolge auf Besenstielen reitenden) Hexen in Verbindung, die durch das Überwerfen von Zaumzeug als solche entlarvt worden seien; vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 56.

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gik, so ist zunächst festzuhalten, lässt sich eine Ehefrau ebenso wenig unterwerfen wie eine eigensinnige, unbezähmbare Katze – ganz abgesehen davon, dass eine solche Domestizierung, im Gegensatz etwa zu derjenigen eines Pferdes, weitgehend nutzlos wäre. Somit ist durch die Einbindung der Katzenfigur in die Motivtradition eine Tendenz zur Dämonisierung der weiblichen Protagonistin zu verzeichnen. Gegenläufig dient diese Neuerung zugleich der Profilierung ihres männlichen Widerparts: Wenn nämlich die Zähmung des Pferdes eine zwar aufwendige, jedoch prinzipiell zu bewältigende Aufgabe darstellt, dann unterstreicht die Gleichsetzung von Frau und Katze die Schwierigkeit, Frauen zu ,zähmen‘ und in einen kultivierten Status zu überführen. Sollte dies, wie in der vorliegenden Geschichte, paradoxerweise trotzdem gelingen, so muss der Erfolg erst recht von den Fähigkeiten des erzieherisch geschickten Mannes zeugen.108 Die Katzenfigur wird bei Jörg Zobel darüber hinaus noch durch eine weitere spiegelbildliche Dopplung nutzbar gemacht, um die moralische und intellektuelle Überlegenheit des männlichen Protagonisten hervorzuheben: Während die Katze, wie gezeigt, auf einer imaginären Ebene als Stellvertreterin der Frau fungiert, wird sie auf der Handlungsebene als Instrument eingesetzt, um diese zu zähmen; dabei nimmt aber die Ehefrau gegenüber der Katze eben jene Opferrolle ein, die ansonsten ihrem Ehemann zufällt. Mit anderen Worten: In einer Inversion der alltäglichen ehelichen Verhältnisse erfährt die Frau, die nun selbst von der Katze als ihrem Spiegelbild bedroht wird, am eigenen Leib, was es bedeutet, mit einem widerspenstigen Lebewesen umgehen zu müssen. Mittels dieses erzwungenen Perspektivenwechsels, der aber nur einen symbolischen Stellenwert hat, da er auf der Figurenebene nicht reflektiert wird, vermag der Pferdehändler die verkehrte Geschlechterhierarchie wieder ins rechte Lot zu rücken.109 Im Fazit lässt sich mit der Einführung der Katze eine neue Spielart der geschlechtsspezifischen Mensch-Tier-Analogie in der mittelhochdeutschen Verserzählung erkennen. Denn weder erfolgt die Bezugnahme von Frau und Tier hier im Rahmen eines realen Substitutionsverhältnisses (Frau ersetzt Pferd auf der Handlungsebene) noch durch einen unmittelbaren Vergleich (Frau und Hund konkurrieren auf der Handlungsebene um die überlegene Verhaltensweise). Sie erscheint vielmehr in Form einer imaginären Gleichsetzung von Mensch und Tier (die Katze symbolisiert die Frau) – und dies nicht nur auf einer metaphorischen Ebene, sondern ebenso auf der Figurenebene des Textes, insofern diese Ersetzung entsprechende Handlungskonsequenzen nach sich zieht (der Mann behandelt die Katze so, als ob sie die Frau wäre):

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In der Erzählung wird dies bestätigt durch den abschließenden Dialog zwischen dem Vater und dem Rosshändler, in dem der Vater sich erstaunt über die Wandlung der Tochter zeigt und den „tochtermann“ (FB 147a, V. 228) ausdrücklich für seinen Erfolg lobt (vgl. FB 147a, V. 226–257). Eine derartige männliche Übereinkunft ist den bislang behandelten Handlungsschlüssen fremd. 109 Prinzipiell kommt der Aspekt der Rolleninversion natürlich auch bei den zuvor behandelten Reitszenen zum Tragen; durch die bei Zobel dominante Spiegelungstechnik fällt sie jedoch wesentlich stärker ins Auge.

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Die Katze steht metaphorisch und metonymisch für die Frau, sie spiegelt deren Eigenschaften und vertritt sie als Objekt der Erziehung. Der kulturelle Kontext der Domestizierung, der dem Erziehungsgedanken im Mittelalter zugrunde liegt, scheint durch die Chiffre der Katze deutlich auf.110

Im Gegensatz zur Gezähmten Widerspenstigen (FB 141), wo der Hund Willebreht als Positivexempel fungiert, dient die Katze als Negativexempel, ebenso wie das Dreigestirn von Jagdvogel, Windhund und Pferd in der Frauenerziehung (FB 121). Deren vermeintlicher Ungehorsam korrespondiert bei Sibote in ganz ähnlicher Weise mit der Widerspenstigkeit der jungen Ehefrau, wohingegen die Symbolhaftigkeit dieser Konstellation wesentlich schwächer ausgeprägt ist als in der Faulen Frau (FB 147a). Im Hinblick auf die lehrhafte Aussage führt die Identifizierung von Frau und Katze schließlich zu einer gravierenden Akzentverschiebung, denn sie betont die mangelnde kulturelle Zurichtungsfähigkeit der Frau, wohingegen ihre naturhaft-animalischen Wesenszüge in besonderem Maße herausgestrichen werden. Dementsprechend richtet sich die banale Lehre des Epimythions wie in den motivverwandten Erzählungen ausschließlich an das weibliche Geschlecht: „die frauen die sond selber kochen / und willig sin hür und ferd.“ (FB 147a, V. 260f.). Geschehe dies nicht, so bliebe letzten Endes nur, die Katzen – d. h. die ,übelen wîp‘ – mit der Rute aus dem Haus zu jagen, wie im Epimythion lakonisch und mit warnendem Unterton konstatiert wird (vgl. FB 147a, V. 262f.). e.

Heinrich der Teichner: Die Rosshaut (FB 57)

Von einer eher indirekten Form der ,Züchtigung‘ erzählt Die Rosshaut (FB 57), die einzige Verserzählung im umfangreichen Werk von Heinrich dem Teichner, die etwa im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts entstanden sein muss.111 In der kurzen Geschichte handelt es sich lediglich um eine einzelne Untugend, die es auszutreiben gilt, und zwar den „ber mt“ (FB 57, V. 3; 69) bzw. die „hochvart“ (FB 57, V. 78; 81; 102; vgl. V. 24), die hier einem umfassenden weiblichen Wohlverhalten aus „zucht“ (FB 57, V. 89; 100; vgl. V. 77; 97) kontrastiert wird.112

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Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 241. Zu Autor und Werk vgl. Ingeborg GLIER, [Art.] Heinrich der Teichner. Die vorliegende Verserzählung ist wie die übrigen Werke des Autors in einer Vielzahl von (in diesem Falle elf) Handschriften überliefert; die inhaltlichen Varianten betreffen weder die Handlungsführung noch den Kern der didaktischen Aussagen des Textes. – Zur Darstellung von Weiblichkeit in den Reden des Autors vgl. Angelika KÖLBL, Der Blick auf die Frau. 112 In einem thematischen Zusammenhang steht die anonym und unikal überlieferte Verserzählung Der Bürger im Harnisch (FB 17), die in der Nürnberger Handschrift des Valentin Holl (Germanisches Nationalmuseum, Hs Merkel 2° 966) der Rosshaut (FB 57) unmittelbar nachfolgt; vgl. HansJoachim ZIEGELER, [Art.] ,Der Bürger im Harnisch‘. In Kap. 3.1.1.a der vorliegenden Arbeit werde ich auf diesen Text näher eingehen. 111

Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘

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Die Frau eines adligen, wenngleich armen Lehnsmannes besteht darauf, das gleiche Kleid zu tragen wie die reiche Herzogin, die Ehefrau ihres Lehnsherrn (vgl. FB 57, V. 1–8).113 Mit der Forderung eines unstandesgemäßen Kleidungsstücks erweist sie sich nicht nur als habgierig und maßlos, sondern verstößt darüber hinaus (vgl. FB 57, V. 22– 25) – und dies ist entscheidend – gegen die Grenzziehungen der mittelalterlichen ordoLehre, die sich u. a. in standesspezifischen Kleiderordnungen manifestiert. Um sie von ihrem Hochmut zu kurieren, schlachtet der Ehemann ein kostbares Pferd, dessen hoher Wert von 100 Pfund exakt dem Wert des neuen Prachtgewandes entspricht, das die Herzogin sich gerade hat anfertigen lassen (vgl. FB 57, V. 14–16; 28–36). Sodann zwingt der Ehemann seine Frau dazu, die „haut russein“ (FB 57, V. 53) mit den herabhängenden „rozz zagel“114 (FB 57, V. 64) in der Kirche neben der Landesherrin zu tragen, um mit ihr gleichsam konkurrieren zu können (vgl. FB 57, V. 40f.; 62f.). Solchermaßen bloßgestellt wird sie zum Gespött der Leute und legt aufgrund dieser schmerzvollen Erfahrung ihren hochmütigen Stolz unverzüglich ab (vgl. FB 57, V. 66–69; 77–79).115 Die Bedeutung des Erziehungsaspekts wird in der Erzählung dadurch hervorgehoben, dass der Herzog, gleichsam als Belohnung für den Erfolg, nicht nur das Pferd seines Lehnsmannes durch ein gleichwertiges ersetzt, sondern darüber hinaus der düpierten Frau nun seinerseits ein Kleid schenkt, das demjenigen der Herzogin ebenfalls in nichts nachsteht (vgl. FB 57, V. 70–75). Durch diesen nach mittelalterlichen Ordnungsvorstellungen legitimen Akt fürstlicher Freigebigkeit, der die hierarchische Vorrangstellung des Herzogspaares noch einmal sinnfällig werden lässt, ist die soziale Ordnung wiederhergestellt. Das mit 25 Versen etwa ein Viertel des Textes umfassende Epimythion der Erzählung116, wie es in den ältesten Textzeugen überliefert ist (vgl. FB 57, V. 80–104)117, ent113

Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ,Kleidung und Mode‘ findet sich in zahlreichen Textstücken des Autors; vgl. hierzu den Überblick von Joanny CLERC, La mode dans les poemes de Heinrich der Teichner. 114 Sofern das Wort ,zagel‘ im Plural erscheint, darf auch dieser Verserzählung eine zumindest punktuelle erotische Doppelbödigkeit attestiert werden. Vgl. hierzu den entsprechenden Wortgebrauch in der Verserzählung Der Striegel (FB 128), in der von der Schwanzlosigkeit eines Pferdes auf das mangelnde Genitale seines Besitzers geschlossen wird (vgl. FB 128, V. 94f. (k)). 115 Einen ähnlichen Fall finden wir in der Verserzählung Die drei Wünsche des Strickers (FB 127p), in der sich die weibliche Protagonistin ein ihrem sozialen Status nicht angemessenes Kleidungsstück aneignet und schließlich diesem Akt von Hochmut und Habgier zum Opfer zu fallen droht. 116 Hierin spiegelt sich die relative Dominanz des Didaktischen in dieser Verserzählung, eine Tendenz, die charakteristisch ist für das Werk des Teichners; vgl. z. B. Eberhard LÄMMERT, Reimsprecherkunst im Spätmittelalter, S. 245. 117 Es handelt sich hierbei um vier der elf Überlieferungsträger, die Wiener Codices 2901 (A) und 2819 (B), sowie die späteren Handschriften, Cod. Vindob. 2848 (C) und Cod. Add. 24946 (K), British Library, London. In den Handschriften H, J, O, sowie in den Mischhandschriften h, i, k, l sind die Verse 83 bis 103 durch einen lapidaren Vers ersetzt, der die Meisterschaft des Ehemannes über seine Frau beschwört; vgl. Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.), Die Gedichte Heinrichs des Teich-

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faltet ein zwiespältiges Lehrangebot, indem es sich im ersten Teil an die Männer hochmütiger Frauen wendet, wobei in bekannter Manier die Vorbildlichkeit der erzieherischen Tätigkeit des Ehemannes betont wird (vgl. FB 57, V. 80–83). Schwerpunktmäßig richtet sich die Lehre jedoch wiederum an das weibliche Publikum (vgl. FB 57, V. 84–104): Den nach äußerlichen Werten wie prachtvoller Kleidung und gesellschaftlichem Rang strebenden Frauen wird die innere Tugendhaftigkeit des rechtschaffenen biderwîbes (vgl. FB 57, V. 84; 101) gegenübergestellt, welche als wahres Kriterium moralischer Güte allgemein geachtet werde. Nur aus purer Höflichkeit („zucht“; FB 57, V. 89) ließe man eine Frau, die sich aus mangelnder Selbsterkenntnis unrechtmäßig vordränge, gewähren; eine übervorteilte Frau hingegen, die darauf verzichte, eine solche Anmaßung zu vergelten und für ihre rechtmäßige Vorrangstellung zu kämpfen, erfahre durch „ir zucht“ (FB 57, V. 100) und „ir pider art“ (FB 57, V. 101) allgemeine Anerkennung.118 Im Gegensatz zu den Geschichten vom Typus des ,übelen wîbes‘, die Widerspenstigkeit oder Boshaftigkeit als weibliche Grundeigenschaften brandmarken, steht in der anders gelagerten Rosshaut (FB 57) mit der ,hochvart‘ eine spezifische Untugend zur Disposition, die in anderen Verserzählungen ebenso männlichen Protagonisten attribuiert wird und insofern grundsätzlich als geschlechtsunspezifisch einzuordnen ist.119 Auffällig ist jedoch, dass auch in dieser Situation das auf dem Natur-Kultur-Paradigma basieners, Bd. II, S. 110 und 410. LÄMMERT hält das Epimythion für „eine vermutlich angeflickte Ermahnung“ (Eberhard LÄMMERT, Reimsprecherkunst im Spätmittelalter, S. 244). 118 Anders als in der narratio steht im Epimythion, dessen Lehren sich mit den Inhalten der Handlung nicht vollständig verrechnen lassen, nicht mehr die Kleidungsfrage als Beispiel für hochmütiges Handeln im Mittelpunkt; denn mit der Frage nach der richtigen Rangfolge beim Besuch der Messe liegt der Akzent nunmehr auf einem Problem der Proxemik. Die angestellte Diskussion um den Vortritt beim Kirchgang (vgl. FB 57, V. 85f.; 90f.) kann, wie gesagt, nur bedingt auf die vorliegende narratio bezogen werden, die zwar die soziale Nivellierung von Lehnsherrin und Lehnsfrau thematisiert, nicht jedoch explizit einen Streit um eine hierarchische Vorrangstellung behandelt. Daher scheint es näher zu liegen, diese Akzentverschiebung mit einem prominenten mittelalterlichen Text in Verbindung zu bringen, in dem ebenfalls der Kirchgang zweier Frauen mit ihrer gesellschaftlichen Rangfrage verkoppelt wird, auch wenn sich dieser Befund nicht weiter textuell absichern lässt: Gemeint ist natürlich die entsprechende Irritation im Nibelungenlied, wenn Kriemhild vor der burgundischen Königin Brünhild in den Wormser Dom tritt (vgl. Karl BARTSCH / Helmut DE BOOR (Hrsg.), Das Nibelungenlied [1988], Str. 843,1–3: „Kríemhilt niht lánger lie: / vor des küniges wîbe inz münster si dô gie / mit ir ingsinde“). Dieser symbolträchtige Schritt verdichtet nicht unmaßgeblich die Spannungen im sog. Königinnenstreit und bildet einen wesentlichen Mosaikstein im Handlungsgefüge des ersten Teils des Nibelungenliedes, das den Humus für die endgültige Katastrophe bildet. Die Evokation des nibelungischen Katastrophenszenarios könnte in der Rosshaut (FB 57) dazu genutzt worden sein, um zu veranschaulichen, wie gravierend das monierte weibliche Fehlverhalten ist, insofern es eine substantielle Gefährdung der sozialen Ordnung nach sich ziehen kann. 119 Als einschlägiges Beispiel kann hier der Helmbrecht (FB 139) von Wernher dem Gärtner genannt werden, in dem ebenfalls die Kleidungsfrage eine entscheidende Rolle spielt.

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rende Bildfeld der Pferdezucht bemüht wird, um das Handeln der weiblichen Protagonistin zu qualifizieren: Abermals erfolgt der erzieherische Akt der Kultivierung durch eine symbolische Degradierung der unbotmäßigen Protagonistin zu einem naturhaften Wesen, herbeigeführt von ihrem Widerpart, dem moralisch wie intellektuell überlegenen Ehemann. Die Verbindung von ,Frau‘ und ,Natur‘ wird jedoch nicht über eine Imitation einer tierhaften Verhaltensweise o. ä. gestiftet, sondern durch einen äußerlichen Gestaltwechsel, der durch eine Verkleidung erzielt wird. Das Tragen der Pferdehaut symbolisiert dabei zum einen die moralische Deklassierung, die aus der weiblichen hochvart resultiert, zum anderen spiegelt sich die Widernatürlichkeit, die dem Überschreiten der ordo-Grenzen anhaftet120, zeichenhaft in dem öffentlichen Ausschluss der Ehefrau aus ihrer genuinen sozialen (menschlichen) Rolle. Durch den Ehrverlust, den sie durch den öffentlich zur Schau gestellten Mensch-Tier-Vergleich erleidet, sowie die daraus resultierende Scham gibt die Frau ihren Hochmut schließlich aus eigenem Antrieb und innerer Einsicht preis.

2.1.2 Die Bedrohung der kulturellen Ordnung durch weibliche Sexualität Das Natur-Kultur-Paradigma dient in zahlreichen Verserzählungen dazu, die ontologische und soziale Hierarchie der Geschlechter zu illustrieren. Das Reiter-Pferd-Motiv wurzelt in diesem Bildfeld und eröffnet über die deskriptive Symbolisierung der Geschlechterdifferenz hinaus die Möglichkeit zu einer geschlechtsspezifischen Didaxe. Mit seiner Hilfe wird demonstriert, dass die naturverhaftete Frau der Erziehung und Kulturalisierung seitens des bereits zivilisierten Mannes bedarf. In der Tendenz zielen all diese Erzählungen darauf ab, die symbolische Ordnung der Geschlechter zu affirmieren und zu stabilisieren.121 Außer Acht gelassen wird der erzieherische Aspekt hingegen in anderen Texten, die sich ebenfalls des Natur-Kultur-Schemas zur Darstellung der Geschlechterdifferenz bedienen, dabei jedoch die Gefährdung der kulturellen Ordnung durch die Naturverbundenheit der Frau betonen. Der Fokus liegt hier jeweils auf der weiblichen Sexualität122, die, wie Klaus GRUBMÜLLER aufgezeigt hat, dem schöpfungstheologischen Naturkonzept des Mittelalters zufolge als konkrete Manifestation von ,Natur‘ gedacht werden kann. Natur nach mittelalterlichem Verständnis, so GRUBMÜLLER, 120

Vgl. komplementär auch die Verserzählung von dem Bürger im Harnisch (FB 17); vgl. dazu Kap. 3.1.1.a der vorliegenden Arbeit. 121 Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Der Widerspenstigen Zähmung, S. 480. 122 Die bisherigen Überlegungen zur Rolle der weiblichen Sexualität in der mittelhochdeutschen Verserzählung basieren zumeist auf unterschiedlichen Adaptionen von Theoremen der klassischen Psychoanalyse; vgl. Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, hier zusammenfassend S. 314–347; John MARGETTS, Die Darstellung der weiblichen Sexualität in deutschen Kurzerzählungen des Spätmittelalters; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität.

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materialisiert sich im Menschen und in allen Lebewesen in ihrer Fortpflanzungsfähigkeit. […] Es handelt sich bei den entsprechenden Verwendungsweisen von nâture […] um Konkretisierungen der Grundbedeutung im Kontext der Rede von Sexualität.123

Diesen Bedeutungszusammenhang will ich im Folgenden an einer besonders prominenten und qualitativ kunstvollen Verserzählung, nämlich Aristoteles und Phyllis (FB 6), erläutern. In diesem Text misslingt eine ,Zähmung‘, weil der Protagonist der erotischen Verführungskunst einer Frau unterliegt und deshalb daran gehindert wird, seine meisterschaft aufrechtzuerhalten. Der artikulierte didaktische Anspruch, über dessen textimmanente Relevanz noch zu diskutieren sein wird, erschöpft sich dabei auf den ersten Blick in der Illustration eines Negativexempels. Die Lehre scheint auch hier geschlechtsgebunden, da sie sich nicht länger an ein weibliches, sondern, ähnlich wie im Wilden Ross (Moe 57) des Strickers, nunmehr an ein männliches Publikum wendet. a.

Aristoteles und Phyllis (FB 6)

Der Motivkomplex von Pferd und Reiter erfährt in der höfisch stilisierten Verserzählung von Aristoteles und Phyllis124 (FB 6) eine geschlechtliche Umbesetzung, insofern die Rolle des Pferdes dem männlichen Protagonisten und die Aufgabe des Reitens der weiblichen Protagonistin zugewiesen werden.125 Aus dieser Verkehrung schöpft der 123

Klaus GRUBMÜLLER, Natûre ist der ander got, S. 9. – JONAS weist darauf hin, dass in den mittelhochdeutschen Verserzählungen Sexualität als weibliches Wesensmerkmal, das in der Natur der Frau begründet sei, ausgelegt werde; vgl. Monika JONAS, Idealisierung und Dämonisierung als Mittel der Repression, S. 78. – Karina KELLERMANN und Renate STAUF haben in ihrem Aufsatz über „Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung“ die Kontinuität dieser Zuschreibung an Beispielen der mittelhochdeutschen Verserzählung und der neuzeitlichen Literatur (hier insbesondere an Friedrich Schlegels Lucinde) aufgewiesen; vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung. 124 Abgesehen von der Überschrift „Aritotiles und fillis“ in r lenken die übrigen mittelhochdeutschen Titulierungen in Überschrift oder Schlusswort der drei Handschriften, in denen der ganze Text überliefert ist, den Blick ganz auf die männlichen Hauptfiguren: „Di seit von allexander und aletotiles“ (S), „Von dem weyen aritotiles“ (k) bzw. „Aritotiles“ (V. 554l (r); V. 554b (k)); NGA, S. 234, 243; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1191. 125 Diese Konstellation lässt sich einreihen in die internationale Motivtradition des Weisen, der sich von einer Frau unterwerfen lässt und dadurch bloßgestellt wird; vgl. AaTh 1501; Mot T 337. Ursprünglich stammt dieses Motiv, das erst in der europäischen Tradition mit dem Philosophen Aristoteles und seinem Schüler Alexander dem Großen verbunden worden ist, aus dem asiatischen und vor allem orientalischen Raum; erster Beleg ist eine buddhistische Erzählung aus dem China des 6. Jahrhunderts. Die bekanntesten mittelalterlichen Fassungen sind, neben der deutschen Erzählung, die mittellateinischen Exempelfassungen von Jacques de Vitry und anderen sowie das Fabliau Le Lai d’Aristote von Henri d’Andeli (NF 4) aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts; vgl. hierzu die allgemeinen Überblicksdarstellungen von Rolf Wilhelm BREDNICH, [Art.] Aristoteles und Phyllis (AaTh 1501), Sp. 787f.; Hellmut ROSENFELD, [Art.] ,Aristoteles und Phyllis‘, Sp. 435; vgl. weiterführend Joachim STOROST, Zur Aristoteles-Sage im Mittelalter, S. 305–348; Susan L. SMITH, The Power of Women, S. 66–102, 218–226; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittel-

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alemannische Text, der zwischen 1280 und 1300 zu datieren ist, seinen erzählerischen Reiz.126

alters, S. 1188f.; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 79, S. 110, Anm. 120. Zum Vergleich zwischen Fabliau und Verserzählung vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 96–104; zum Vergleich mit der orientalischen Tradition neben Joachim STOROST, ebd., vgl. Alev TEKINAY, Materialien zum vergleichenden Studium von Erzählmotiven in der deutschen Dichtung des Mittelalters und den Literaturen des Orients, S. 195–197. – Die mittelhochdeutsche Verserzählung erfuhr eine Dramatisierung in dem mittelhochdeutschen Text Aristotiles und die Königin; vgl. Eckehard SIMON, [Art.] ,Aristotiles und die Königin‘; vgl. weiterführend Otto SPRINGER, A Philosopher in Distress; DERS., Ein unveröffentlichtes Spiel von ,Aristotiles und der Königin‘; Sibylle JEFFERIS, Das Spiel ,Aristoteles und die Königin‘. – Des Weiteren wurde der Stoff aufgegriffen in drei Fastnachtspielen: Das Aristotelesspiel (um 1460), Meister Aristoteles (um 1490), Aristoteles der Heide von Vigil Raber (1510). Eine übergreifende Untersuchung der deutschen Bearbeitungen bieten Bernhard SOWINSKI, Aristoteles als Liebhaber in den deutschen Dichtungen des Spätmittelalters, sowie Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 283–301, und Marija JAVOR BRIšKI, Eine Warnung vor dominanten Frauen oder Bejahung der Sinnenlust?, S. 37–59. – Auch in der bildlichen Kunst des Mittelalters, häufig im Rahmen von sog. Minnesklaven-Darstellungen, erfreute sich das Motiv größter Beliebtheit; vgl. hierzu Wolfgang STAMMLER, [Art.] Aristoteles; DERS., Der Philosoph als Liebhaber; Friedrich MAURER, Der Topos von den „Minnesklaven“, S. 224–231, 234f., 239–242, 246–248; Pietro MARSILLI, Reception et diffusion iconographique du conte de „Aristoteles et Phillis“; zusammenfassend Norbert H. OTT, Minne oder amor carnalis?; Cornelie HERRMANN, Der „Gerittene Aristoteles“, insbesondere S. 11–17, 30–42, 67–101, 107–111, 121–123, 126–130, 136–144, 148, 151–283; Susan L. SMITH, The Power of Women, insbesondere S. 137–190, 236–248; Irene ERFEN, Phyllis, S. 770– 774; in Bezug auf profane Tragezeichen in dem Sammelband von Johan H. WINKELMAN / Gerhard WOLF (Hrsg.), Erotik, aus dem Dreck gezogen: Wolfgang BEUTIN, „Das nerrisch tut vil manig man, / der sich des schamt ein ander zeit.“, S. 21f.; Walter HAUG, Die niederländischen erotischen Tragzeichen, S. 70, 87–89; Gaby HERCHERT, Wer trägt des Pfaffen Schandʼ am Hut?, S. 101; Marija JAVOR BRIšKI, Eine Warnung vor dominanten Frauen oder Bejahung der Sinnenlust?, S. 37, 59–64; Norbert H. OTT, Zwischen Literatur und Bildkunst, S. 198; Stefanie STOCKHORST, Offene Obszönität, S. 218; Gerhard WOLF, Phallus am Grillspieß und Vulva auf Stelzen, S. 289, 296, 303f. 126 Zu Entstehung und Überlieferung vgl. Hellmut ROSENFELD, [Art.] ,Aristoteles und Phyllis‘, Sp. 434f., sowie Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1185–1187. Da von den drei vollständig überlieferten Textzeugen (S, r, k) nur noch der jüngste erhalten ist (k = Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. 408; zwischen 1430 und 1435), erweist sich die Textkonstitution laut GRUBMÜLLER als schwierig. – Als stoffliche Grundlage der alemannischen Erzählung gilt die stark abweichende rheinfränkische, sog. Benediktbeurer Fassung, die evtl. bereits um 1200 entstanden ist, allerdings nur in zwei Fragmenten überliefert wurde; vgl. hierzu Hellmut ROSENFELD, Aristoteles und Phillis (mit Textwiedergabe, S. 326–330); Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 77–79. Als wesentlicher Unterschied zwischen beiden Fassungen wird die stärkere sprachlich-stilistische und teilweise auch inhaltliche Ausrichtung der jüngeren Verserzählung an der höfischen Epik insbesondere Gottfrieds von Straßburg sowie Konrads von Würzburg betont; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1187; Hellmut ROSENFELD, Aristoteles und Phillis, S. 332; Letzterer betont überdies die Tendenz der jüngeren Version, die Bloßstellung des im 12. Jahrhundert zunehmend rezipierten Philosophen Aristoteles abzuschwächen. – Abweichend von Hellmut ROSENFELD datiert Sibylle JEFFERIS die Entstehung

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Zum inhaltlichen wie formalen Aufbau des Textes gilt es, Folgendes zu sagen: Die Handlungsführung konstituiert sich auf der Grundlage eines figuralen Dreiecksverhältnisses zwischen den beiden Liebenden Alexander (dem Großen) und der Zofe seiner Mutter, der schönen Phyllis127, sowie dem weisen Aristoteles, dem alternden Lehrer des jungen Königssohnes128; Schauplatz der Handlung ist der Hof des griechischen Königs Philippus, Alexanders Vater. Aristoteles ist von Philippus an den Hof geholt worden, um Alexander zu unterrichten und zu erziehen (vgl. FB 6, V. 40–57). In formaler Hinsicht sind zwei Exkurse zum Geschlechterverhältnis bemerkenswert (vgl. FB 6, V. 300– 374 und 422–464), in denen sich neben dem kurzen Epimythion (vgl. FB 6, V. 548– 554) die lehrhaften Elemente der Erzählung in besonderer Weise konzentrieren. Der handlungstragende Konflikt entwickelt sich aus einem Konkurrenzverhältnis zwischen dem alten „meister“129 Aristoteles und der jungen Phyllis, die beide um die Gunst des jungen Königssohnes buhlen. Zunächst nimmt der Unterricht bei dem weisen Philosophen Alexanders vollständige Aufmerksamkeit in Anspruch: daz tet im an dem êrsten wê, als ez noch tuot den jungen,

der Benediktbeurer Fassung auf 1230/50, da sie sowohl das Fabliau von Henri d’Andeli als auch Gottfrieds Tristan voraussetze; JEFFERIS rekonstruiert ausgehend von diesem Befund die Überlieferungsgeschichte mit einer gemeinsamen Vorstufe der beiden deutschen Versionen, auf der auch die Spielfassung Aristotiles und die Königin basiere; vgl. dazu Sibylle JEFFERIS, Das Spiel ,Aristoteles und die Königin‘, S. 166, 181; DIES., The Fabliau or Maere „Aristoteles und Phyllis“; DIES., „Aristoteles (and Phyllis)“. Diese in den Jahren 1989 und 1990 publizierte These ist bislang in der Forschung weder aufgegriffen noch diskutiert worden. Lediglich Hedda RAGOTZKY – offenkundig jedoch ohne Kenntnis des Ansatzes von JEFFERIS – gibt zu Bedenken, dass die ROSENFELDSCHE Datierung der Benediktbeurer Fassung um 1200 aus gattungsgeschichtlicher Perspektive einen sehr frühen Zeitpunkt festlege und daher überprüft werden müsse; laut ihrer Befragung von Karin SCHNEIDER (Bayerische Staatsbibliothek, München) sei eine Datierung der überlieferten Handschriftenfragmente ebenfalls einige Jahrzehnte später möglich, als von ROSENFELD angegeben (ROSENFELD = zweites Viertel des 13. Jahrhunderts); vgl. Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 283, Anm. 6. Da die Datierungsfragen für unser Erkenntnisinteresse von untergeordneter Bedeutung sind, sollen sie hier nicht weiter erörtert werden. 127 Die in der mittelalterlichen Dichtung variable Rolle der weiblichen Protagonistin ist erstmals in den mittelhochdeutschen Fassungen mit diesem Namen und dieser sozialen Funktion ausgestattet. Mit der Übernahme der gleichermaßen verführerischen wie klugen Figur aus der antiken Liebesdichtung erfahre der Stoff, so GRUBMÜLLER, eine Akzentverschiebung gegenüber den nicht-deutschsprachigen Fassungen: „So verschiebt sich der Akzent von einer Demonstration der Macht der Minne zu der weiblichen List und ,berechtigter‘ Rache, der sogar der Philosoph als Inbegriff der Klugheit zum Opfer fällt“ (Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1189). Über diese These wird an späterer Stelle noch zu diskutieren sein. 128 Es handelt sich bei dem Philosophen nicht um einen Kleriker, wie Sebastian COXON, der werlde spot, S. 112, Anm. 33, meint. 129 Aristoteles wird nicht weniger als siebzehnmal in seiner Eigenschaft als ,meister‘ benannt (vgl. FB 6, V. 41; 44; 64; 69; 77; 147; 169; 225; 341; 357; 360; 366; 377; 391; 395; 469; 521).

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die dâ sint betwungen mit schuole meisterschefte. (FB 6, V. 72–75)

Als er sich jedoch in die schöne Phyllis verliebt, wird er von seinen Studien abgelenkt (vgl. FB 6, V. 98–120). Das neu erwachte Liebesgefühl beschäftigt ihn schon bald in weitaus höherem Maße als sein Unterricht, so dass er sich in einem Widerstreit zwischen „schuole“ (FB 6, V. 75) und „minne“ (FB 6, V. 112; 116 u. ö.) befangen findet: swen nû minne twinge, der merke, wie im waere: Alexander, der martelaere, enweste, wie gebâren. diu minne in tûsent jâren getwanc nie sô sêre eines mannes herze mêre, als er von ir betwungen was. (FB 6, V. 112–117)

Auch Phyllis wird schließlich von einem großen Liebesverlangen ergriffen: „er was betwungen, sî noch baz“ (FB 6, V. 129); und da der Königssohn nach ihr „tobet[ ]“ (FB 6, V. 133), kommt es rasch zu einem ersten Stelldichein im königlichen Baumgarten130, dem weitere folgen (vgl. FB 6, V. 134–145). Als Aristoteles bemerkt, dass Alexander seine Studien zunehmend vernachlässigt, sieht er sich aufgefordert, die Liebesbeziehung zu unterbinden (vgl. FB 6, V. 146–168); er führt deshalb Klage bei König Philippus, nachdem er zuvor vergeblich versucht hat, unmittelbar auf den unverständigen Alexander einzuwirken. Aber auch die Beschwerde bei seinem Vater fruchtet nur wenig, denn als man Phyllis vor dem Hof zur Rede stellt, beschwört sie solange ihre Unschuld, bis sie von der Königin in Schutz genommen und entlastet wird (vgl. FB 6, V. 170–184). Aristoteles kann lediglich erwirken, dass durch die höfische „huote“ (FB 6, V. 191) weitere Treffen des Liebespaares verhindert werden; Alexander und Phyllis ergehen sich daraufhin in Liebesschmerz und verlieren all ihre Lebensfreude (vgl. FB 6, V. 185–226). Um den Geliebten wiederzusehen – und hier setzt nun der zentrale Handlungsstrang ein –, ergreift Phyllis schließlich die Eigeninitiative: Sie beabsichtigt, Aristoteles zu verführen und öffentlich bloßzustellen, um sich an ihm zu rächen (vgl. FB 6, V. 294– 296; 378–380; 506–509; 518f.). Dies gelingt ihr besonders leicht aufgrund ihrer außerordentlichen Schönheit, mit der sie, so der Erzähler, stets die Blicke aller Männer auf sich zu ziehen pflegt (vgl. FB 6, V. 84–92).131 Um ihre Ausstrahlungskraft noch zu steigern, stattet sich Phyllis mit strahlend heller Kleidung aus und schlüpft in ein leichtes

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Zum Motiv des Gartens in mittelhochdeutschen Verserzählung allgemein vgl. Jean-Marc PASTRÉ, Le jardin dans les fabliaux allemands. 131 Korrespondierend tritt Alexanders Liebeskummer immer dann besonders stark hervor, wenn er Phyllis nicht sehen kann (vgl. FB 6, V. 106–109). Als die „huote“ (FB 6, V. 191) ein Wiedersehen mit Phyllis verhindert, erscheint er i „in sîme sinne / erblendet von der minne“ (FB 6, V. 201f.).

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Seidengewand mit einer langen Schleppe (vgl. FB 6, V. 230; 288) – einem modischen Accessoire der Zeit, das wegen seiner als unnötig erachteten Opulenz insbesondere von der Kirche kritisch beäugt wurde.132 Dazu legt die Zofe leuchtenden Schmuck an (s. u.), um sich vor Aristoteles gleichsam ins rechte Licht setzen zu können. Die Darstellung ihres Äußeren133 ist in dieser Handlungssequenz durch eine auffällige Lichtmetaphorik gekennzeichnet: Phyllis erscheint wie die „liehte sunne“ (FB 6, V. 228; 292) selbst, trägt einen weißen Hermelin, der ihr einen „blanken schîn“ (FB 6, V. 235) verleiht, dazu einen goldenen Haarreif mit glänzenden Edelsteinen (vgl. FB 6, V. 239–252). Ihre Füße lässt sie unbedeckt (vgl. FB 6, V. 263), so dass ihre Beine, die weißer als ein Hagelkorn (vgl. FB 6, V. 264) und vollkommen „blanc, ân alle swerze“ (FB 6, V. 266), erscheinen, deutlich sichtbar werden.134 Aufrecht wie eine Licht spendende „kerze“ (FB 6, V. 265) stolziert sie in dieser Aufmachung gemessenen Schrittes vor Aristoteles’ Behausung auf und ab. Um sich von ihrem Erscheinungsbild zu überzeugen, prüft Phyllis ihr Aussehen zuvor noch einmal in einem Spiegel: si nam ein liehtez spiegelglas: an lîbe unde ouch an varwe beschoute si sich vil garwe, ob kein dinc ir möhte missestân, daz bezzerunge solte hân. (FB 6, V. 254–256)

In dieser Schlüsselszene, in der Phyllis betrachtetes Objekt wie sehendes Subjekt zugleich ist, legt sie die Rolle der rein passiven schönen Frau als „daz minneklîche bilde“ (FB 6, V. 285), auf das sich die männlichen Blicke richten, ab. Sie bleibt zwar eine „vröudenschouwe“ (FB 6, V. 95) – mit diesem signifikanten Hapaxlegomenon wird sie vom Erzähler einführend charakterisiert135 –, instrumentalisiert diese Eigenart nun aber für ihre Zwecke und tritt so über die Grenzen ihres alten Handlungsspielraumes hinaus. Der Rollenwechsel vom passiven Handlungsobjekt zum aktiven Handlungssubjekt wird in den Vogelvergleichen und der Jagdmetaphorik der folgenden Szene fortgeführt:

132

Vgl. Elke BRÜGGEN, Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, S. 89f., 165. Eine weitere Steigerung erfährt die erotische Inszenierung dadurch, dass zur Beschreibung des Kleides die Diminutivform „swenzelîn“ (FB 6, V. 230, 288; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1193, Kommentar zu V. 230) verwendet wird, was den Eindruck eines eher knappen Kleides entstehen lässt. 133 Die Darstellung ist angelehnt an Isoldes Beschreibung in Gottfrieds Tristan; vgl. hierzu Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 80, sowie Anm. 162 des vorliegenden Kapitels. 134 Diese Zurschaustellung soll eine weitere Steigerung erfahren, wenn Phyllis ihr Kleid später bis über die Knie anhebt (vgl. FB 6, V. 288f.). 135 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1192, Kommentar zu V. 95. In den mittelalterlichen Handschriften lautet das Wort „froeide frowen schowe“ (S) und „freüde frawe schawe“ (k); vgl. ebd., S. 1186.

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Phyllis erscheint vor Aristoteles Fenster „ûfreht und offenbaere“ (FB 6, V. 275) wie ein Sperber, herausgeputzt wie ein Papagei (vgl. FB 6, V. 277) und lässt ihre Blicke umherschweifen wie „ein valke ûf dem aste“ (FB 6, V. 279).136 Nicht mehr sie selbst ist nun die begehrenswerte ,Beute‘ männlicher Blicke, nicht das Wild, das gejagt wird, wie in der erotischen Jagdmetaphorik des Mittelalters üblich137, sondern sie sucht nun ihrerseits als aktive ,Jägerin‘ ihr Opfer ins Visier zu nehmen (vgl. FB 6, V. 280–284).138 Diese Bildlichkeit wird sowohl im ersten der beiden Exkurse, die das Geschlechterverhältnis explizieren, wie auch in der Schlusssequenz der Verserzählung aufgegriffen. Der erste Exkurs thematisiert in warnender Absicht die überragenden Jagdkünste der Frau: „ein wîp kan ûf der verte jagen, / daz sich vor ir listen / nieman kan gevristen“ (FB 6, V. 302–304). Das männliche Opfer wird demgegenüber als freier Vogel (vgl. FB 6, V. 310) vorgestellt, der sich in einer ausgelegten Falle – „dem stricke / von wîbes ougen blicke“ (FB 6, V. 321f.) – verfangen muss (vgl. FB 6, V. 305–321).139 In der Schlusspassage der narratio wird dieselbe Erkenntnis in einem Traktat von Aristoteles, über das der Erzähler zu berichten weiß, reformuliert: und swer sich an si kêret, der wirt von ir gevangen, als der visch an dem angen und als der vogel in dem stricke. ir lâge, ir ougenblicke vâhent sam der agestein. (FB 6, V. 542–547)

Entgegen der konventionellen Zuschreibung wird die unterlegene Natur hier bezeichnenderweise als männlich, die überlegene Kultur aber weiblich semantisiert – wenn auch nur im Sinne eines tunlichst zu vermeidenden Schreckensszenarios. Doch zurück zum Handlungsgang: Weil sich Phyllis „wilde“ (vgl. FB 6, V. 286) und aufreizend zur Schau stellt, kann sie bald die Aufmerksamkeit des alternden Meisters auf sich ziehen. An dieser Stelle wechselt die dominierende Blickrichtung noch einmal, wenn „der alte meister“ (FB 6, V. 341) die junge Zofe durch ein „vensterlîn“ (FB 6,

136

Bereits zuvor hat der Erzähler das Ausmaß des Liebesglücks von Aristoteles und Phyllis mit der Höhe eines Adlerflugs verglichen (vgl. FB 6, V. 166–168). 137 Vgl. Gaby HERCHERT, „Acker mir mein bestes Feld“, S. 205–207. 138 Vgl. Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 287; Karin CIESLIK, Sinnkonstitution und Wissenstradierung im spätmittelalterlichen Märe, S. 184. CIESLIK arbeitet in ihrer Analyse des Textes die Unterschiede in der Darstellung Phyllis’ zum Frauenideal in Thomasin von Zerklaeres Welschem Gast heraus; vgl. ebd., S. 182–186. – Auffällig ist, dass die Bildlichkeit der Jagd, indem sie an das Bild des Raubvogels gebunden wird, ebenfalls auf den Naturbereich bezogen bleibt; zur Realisierung eines geschlechtsspezifischen Natur-Kultur-Ge-gensatzes in Aristoteles und Phyllis (FB 6) vgl. Michael SCHILLING, Liebe und Gesellschaft, S. 3f. SCHILLING vergleicht den Text überdies mit der Halben Birne (A) (FB 74); vgl. ebd., S. 5–8, 12f. 139 Der Verfasser greift hier auf das Leimrutenbild aus Gottfrieds Tristan zurück, auf das ich an späterer Stelle ausführlicher eingehe.

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V. 340) erblickt; dieser Perspektivenwechsel bleibt jedoch vordergründig, da Phyllis dieses Verhalten des alten Mannes bewusst herausgefordert hat. Indem sie Blumen in sein Zimmer wirft und ihm verheißungsvolle Versprechungen macht (vgl. FB 6, V. 334–365), gelingt es ihr, den Philosophen vollends für sich einzunehmen. Phyllis hat ihr Ziel dann endgültig erreicht, als er sie anfleht, in sein Zimmer zu kommen (vgl. FB 6, V. 366–376), und ihr zwanzig Mark Gold und mehr dafür anbietet, die Nacht mit ihm zu verbringen (vgl. FB 6, V. 382–393). Während sie sich äußerlich darüber empört (vgl. FB 6, V. 394–397), triumphiert sie innerlich darüber, Aristoteles bezwungen zu haben: „dô begunde sî wol kiesen, / daz er an sî vereffet was“ (FB 6, V. 398f.). Als Preis für eine gemeinsame Nacht begehrt Phyllis jedoch keine materiellen Güter; sie verlangt vielmehr, dass sich Aristoteles als Reitpferd zur Verfügung stellt und sie durch den Baumgarten des Königshofes trägt (vgl. FB 6, V. 402–415; 418–421). Nach anfänglichem Zögern ist Aristoteles auch tatsächlich dazu bereit: er sprach: „schoenez vröuwelîn, ich wil dir undertaenic sîn unt tuon, swaz dû gebiutest, daz dû mich niuwen triutest.“ (FB 6, V. 471–474)

Gemäß Phyllis’ Wunsch lässt er sich auf alle viere nieder, so dass sie ihm einen Sattel140 auflegen und ihn mit einem seidenen Gürtel141 aufzäumen kann (vgl. FB 6, V. 475–481): diu schoene, missewende vrî nam den zoum in die hant unde saz ûf den wîgant unde reit in vil schône. in eime süezen dône sanc si ein süezez minneliet. (FB 6, V. 484–488)

Beglückt kriecht der „alte gouch“ (FB 6, V. 475) mit Phyllis auf dem Rücken, angespornt von einem blühenden Rosenzweig (vgl. FB 6, V. 482f.), durch den Baumgarten der Burganlage (vgl. FB 6, V. 490–495).142 Doch seine Freude währt nicht allzu lange, denn Phyllis, die gar nicht daran denkt, ihr Versprechen zu erfüllen, entlässt den Philosophen nach kurzem Ritt mit beißendem

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In der Benediktbeurer Fassung sind – neben weiteren Anspielungen auf diesen Text – deutliche Anleihen an die Beschreibung des Sattels von Enites Pferd in Hartmann von Aues Erec erkennbar; vgl. Hellmut ROSENFELD, Aristoteles und Phillis, S. 335f. 141 BRINKER-VON DER HEYDE deutet den Gürtel „als Symbol für den Verlust ihrer Jungfräulichkeit als auch für eine Penetration des Aristoteles“; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 58f. 142 Unschwer ist auch hier die sexuelle Konnotation der Szene zu erkennen; vgl. dazu wiederum Kap. 2.1.2.b der vorliegenden Arbeit. – GRUBMÜLLER betont die Bildhaftigkeit dieser Szene; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 161.

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Spott.143 Wichtig für das Gelingen ihres Vorhabens ist es, dass die Königin und ihre Hofdamen Zeugen des Schauspiels werden, so dass sich das „unbilde“ (FB 6, V. 515) in kürzester Zeit am Hof herumsprechen muss (vgl. FB 6, V. 496–519). Aristoteles bleibt am Ende nichts anderes übrig, als heimlich die Flucht zu ergreifen und sich im Schutz der Nacht auf die Insel Galicia zu begeben, um sich der Schande und dem allgemeinen Spott des Hofes zu entziehen (vgl. FB 6, V. 520–535). Anhand der sprachlichen Darstellung der prominenten Reitszene wird deutlich, dass ein intertextueller Zusammenhang zwischen der Frauenerziehung (FB 121), der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) sowie Aristoteles und Phyllis (FB 6) bestehen muss. Ohne die lexikalischen Bezüge im Einzelnen zu erläutern, soll dies die nachstehende Synopse (vgl. Folgeseite) sichtbar werden lassen. Aufgrund von Überlieferungsverlusten und Datierungsschwierigkeiten wird es kaum möglich sein, die Abhängigkeitsverhältnisse der Fassungen und Überlieferungszeugen vollständig zu rekonstruieren. Mit einiger Sicherheit lassen sich aber die Parallelen in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141), einem Text, der zahlreiche literarische Anspielungen enthält, als Übernahmen aus den bekannteren und früheren Verserzählungen ausweisen144: Während Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) in einem engen motivischen Kontext mit Sibotes Frauenerziehung (FB 121) steht, deuten insbesondere die lexikalischen Bezüge auf ihren textuellen Zusammenhang mit Aristoteles und Phyllis (FB 6) hin. Weitaus schwieriger zu beantworten ist jedoch die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Verserzählungen untereinander.145 Nicht nur das aus dem heldenepischen Sprachgebrauch entnommene Wort ,wîgant‘, das in beiden Textszenen Verwendung findet146, sondern ebenso der gemeinsame Verweis auf die weibliche Schwäche sowie die Entfernungs-

143

Diese Szene wird in einem Dialog in der Grasmetze Heinrichs von Sachsenheim aufgegriffen: „sú spräch: ,[…] / knúw nider, ich můß ritten dich! / du bist ain törohtz schmal vih; / wiltu kiffen haber ströw?‘ / ich spräch: ,min hört, des bin ich fröw; / was du begerst, des bin ich berait. / ich waiß wol das ain fröwe rait / den wisen Aristoteleß. / dem bin ich laider ungemeß / an kúnsten und an hochen witzen. / wol her, wol her, wilt uff mich sitzen, / ich trab und zelt dir wie du wilt. […]‘ sú sprach: ,[…] / wol uff, wol uff, du rechter trensel, / ich mag nit ritten grawú pfert!‘“ (vgl. Gerhard THIELE (Hrsg.), Mittelhochdeutsche Minnereden, Bd. 2, S. 100–106, V. 192–213); vgl. dazu den Hinweis bei Wolfgang STAMMLER, Der Philosoph als Liebhaber, S. 33; zu dieser Minnerede zuletzt Otto NEUDECK, Erzählerische Selbstinszenierung zwischen Kultur und Natur. 144 Während Sibotes Frauenerziehung (FB 121) ebenfalls in der sog. Laßbergschen Liedersaal-Handschrift mit der Sigle l (Donaueschingen, Fürstl. Fürstenbergische Hofbibliothek, Cod. 104), dem einzigen Überlieferungszeugen der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) enthalten ist, trifft dies für Aristoteles und Phyllis (FB 6) nicht zu. 145 Die aufgewiesenen Bezüge lassen sich nicht auf die sog. Benediktbeurer Fassung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) übertragen, in der die relevanten Textpassagen ebenfalls überliefert sind, wenngleich in einem gänzlich anderen Sprachduktus als in der jüngeren Version; vgl. Fragment B II, V. 1–68 (Hellmut ROSENFELD, Aristoteles und Phillis, S. 328–330); zu den wenigen wörtlichen Übereinstimmungen zwischen beiden Versionen vgl. ebd., S. 331. 146 Vgl. Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 51.

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angabe von einer Meile deuten darauf hin, dass wenigstens einer der beiden Verfasser oder zumindest Schreiber Kenntnis des jeweils anderen Textes gehabt haben muss.147 Sibote: Frauenerziehung (FB 121)

Aristoteles und Phyllis (FB 6)

Die gezähmte Widerspenstige (FB 141)

Nû mac ich übele gegân, wan ich ez selten hân getân, swie ich mîn dinc ane vienc, daz ich nie eine mîle gienc. (V. 413–418)

„hei“, dâht er, „wie minneclich, […] ist daz minneclîche wîp! (V. 344–347)

hei wie gar unsüeze er uf das übel wip spranc! ir was diu kurzewile lanc. (V. 158–160)

ûf saz der wîgant und reit sie eine wîle, minner dan eine mîle. (V. 438–440)

„[…] und möht ich iu gemêren vröude unde kurzewîle, darumbe ich eine mîle wolte gân, wie kranc ich sî.“ (V. 362–365)

sî was ze langer reise kranc, er reit sie drîer spere lanc. (V. 443–444) „Des endunket mich niht ze vil. Ich wil iu sagen daz vür wâr: solden wir leben tûsent jâr, ich tuo swaz iu liep ist. Des sît sicher und gewis.“ (V. 462–466) „Genâde, vrou ver Isengart“ (V. 610)

147

„Do nam er schiere sinen gart und stipfete vrou Liugart;“ (V. 113f.)

si sprach: „ich wil iuch

bereiten vil schône und eben als ein pfert; sô sît ir mir denne wert, und wil tuon, swaz iu liep ist.“ (V. 418–421) diu schoene, missewende vrî nam den zoum in die hant unde saz ûf den wîgant unde reit in vil schône. in eime süezen dône sanc si ein süezez minneliet. (V. 484–490)

Eine weitere mittelhochdeutsche Verserzählung, die auf die Reitszene von Aristoteles und Phyllis (FB 6) Bezug nimmt, ist Heinrich Kaufringers Verserzählung Die zurückgelassene Hose (FB 67f). Der Rekurs erfolgt im Epimythion der Erzählung (vgl. FB 67f, V. 82–116), in der es thematisch um die Vertuschung eines weiblichen Ehebruchs geht, und zwar nach der Aufzählung der alttestamentarischen Gestalten Samson, Salomon und David, die ebenfalls von einer Frau betrogen worden sind (vgl. hierzu auch Anm. 157 des vorliegenden Kapitels): „es ist gar ain altes gelt: / wir mügen ietzo in der welt / pillich all gelaichet werden / von den frawen auf der erden, / seit von natur den weisen man / Aristotilem gewan / ain weib listig und gemait, / das si in gesporet rait / und in machet nach ir zam“ (FB 67f, V. 97–105). Nach FISCHER handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine direkte Anspielung auf die Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6); vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 228, Anm. 24.

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Für unser Interesse mag der Aufweis genügen, dass die Reitszene in Aristoteles und Phyllis (FB 6) im literarischen Diskurs des Spätmittelalters mit dem Motiv von ,Der Widerspenstigen Zähmung‘ durch das literarische Bild des Rittes in Verbindung gebracht wurde (oder auch umgekehrt). Es erscheint daher nicht unplausibel, die weitaus komplexere Reitszene in Aristoteles und Phyllis (FB 6) als eine Parodie zu lesen148, wobei die parodistischen Effekte vornehmlich durch die Verkehrung der zugeschriebenen Geschlechterrollen erzielt werden. Im Vergleich zu den vorgestellten Erzählungen, in denen die Frau dem Mann im Geschlechterkampf unterliegt, hat der Ritt hier – abgesehen von der „gleichen Funktion als Zeichen der Unterwerfung“149 – allerdings eine grundlegend andere Bedeutung innerhalb des Handlungsgefüges.150 Während in jenen Erzählungen eine Ehefrau von ihrem Ehemann in aller Heimlichkeit geritten wird, um sie zu domestizieren, findet das Reiten in Aristoteles und Phyllis (FB 6) im Rahmen einer (letztlich nicht-existenten, weil phantasmatischen) außerehelichen Beziehung statt, in der es nicht den ehelichen Gehorsam zu verhandeln gilt, sondern erotische bzw. sexuelle Belange und Interessen. Im Gegensatz zu den ordnungsstiftenden Domestizierungsgeschichten vollzieht sich der anstößige Akt des Reitens nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern wird, im Gegenteil, bewusst vor den Augen des gesamten Hofes in Szene gesetzt. Dies ist von zentraler Bedeutung für die Handlungsmotivation der Protagonistin, die ihr Ansehen rehabilitieren und den gerittenen Philosophen ins Unrecht setzen will. Von größerer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch die motivische Umbesetzung der tradierten Geschlechterrollenklischees in Aristoteles und Phyllis (FB 6).151

148

BRIETZMANN gibt hingegen zu bedenken, ob die Reitszene bei Sibote als „bewußte Umkehrung der Geschichte von Aristoteles u. Phyllis“ gedeutet werden könnte; Franz BRIETZMANN, Die böse Frau in der deutschen Litteratur [sic!] des Mittelalters, S. 228; vgl. ebenso Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] Sibote, Sp. 195. 149 Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 91, Anm. 3. 150 STOROST entfaltet in Bezug auf die Reitszene in Aristoteles und Phyllis (FB 6) allein zehn Sinnaspekte, deren aus meiner Sicht wichtigste hier aufgeführt seien: „1. Allgemein kann reiten bedeuten: beherrschen; sich reiten lassen: sich fügen, gehorchen, dienen […]. 2. In altfranz. und span. Epen und in geschichtlichen Werken begegnet nicht selten, daß ein Ritter als Zeichen der Unterwerfung, aber auch um einen Freund oder Retter zu ehren, ihm auf allen Vieren entgegengeht (auch mit einem Sattel am Hals […] [sic!]. 3. Daher kann das Reiten auch zur Zähmung widerspenstiger Weiber benutzt werden […]. 4. Tiere gehen auf allen Vieren; bei Aristoteles, Thomas und vielen anderen wird der Mensch zum Tier, wenn er seinen Gelüsten nachgeht […]. 5. Luxuria wird […] meist reitend dargestellt – mulier super bestiam […]. 6. Vor allem in italienischen Fassungen unserer Sage steht zentral die obszöne Doppelbödigkeit von cavalcare, die auch schon das lat. equitare hatte […]. 7. […] So tut die Frau etwas Unerlaubtes, maßt sich eine Rolle an, die ihr nicht zukommt, fügt sich nicht der Natur, der Bibel, der mittelalterlichen […] Sitte, wenn sie anders handelt [d. i. als sich dem Mann zu unterwerfen]“ (Joachim STOROST, Zur Aristoteles-Sage im Mittelalter, S. 301–303). 151 Vgl. hierzu auch Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 51f.

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Durch die öffentliche Demontage des alten Lehrers, der mit seiner großen Lebenserfahrung und Weisheit seinem Schüler Alexander eigentlich als Vorbild dienen soll, sich nun aber selbst wie ein törichtes Kind benimmt (vgl. FB 6, V. 510f.), gelingt die Auflösung des handlungstragenden Konflikts (vgl. FB 6, V. 496–519). Indem sich Aristoteles verführen lässt, zeigt er eine Schwäche, verliert die Kontrolle über sich selbst und seine ,Natur‘ und überantwortet sich ganz der Verfügungsgewalt der schönen Phyllis, die ihre Stärke aus ihrer Schönheit und ihren weiblichen Verführungskünsten zieht. Indem sie seine Zügellosigkeit provoziert, kann sie den männlichen meister unterwerfen, so dass in dieser Erzählung gleichfalls ein Akt der Domestizierung vonstattengeht. Insgesamt zeigt sich im Hinblick auf die soziale Ordnung, hier durch den Hof repräsentiert, jedoch eher eine destabilisierende als eine konsolidierende Wirkung. Die naheliegende Deutung der Geschichte als Negativexempel, das – in Analogie zu den Erzählungen, die auf dem Motiv der ,Widerspenstigen Zähmung‘ gründen – die Gefährdung der männlichen Vorrangstellung durch die Boshaftigkeit oder Hinterlist der Frau thematisiert152, scheint insbesondere durch drei besondere Erzählpassagen, nämlich den Schluss der Erzählung (1) sowie die beiden Exkurse (2, 3), zunächst bestätigt zu werden. (1) Bevor der Erzähler in einem kurzen Epimythion ein eigenes Fazit zieht, überlässt er dem düpierten Aristoteles das Wort: In seinem Exil habe dieser ein Buch über die gefährlichen Verführungskünste der schönen und untreuen Frau verfasst153, verbunden mit einer Warnung, sich auf eine solche einzulassen (vgl. FB 6, V. 536– 547).154 Auch die beiden Exkurse zielen in diese Richtung, wenn sie ebenfalls das Bild der hinterlistigen Frau beschwören155: (2) Im ersten Exkurs (vgl. FB 6, V. 300–332)

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Vgl. etwa Monika JONAS, Idealisierung und Dämonisierung als Mittel der Repression, S. 76–78, welche die Gefährlichkeit in der Darstellung von Phyllis durch die Kombination von Schönheit und Intellekt begründet sieht. – Ein entsprechendes sozialpsychologische Deutungsmuster vertritt Cornelia HERRMANN, die von einer politisch wie sozialökonomisch gestärkten Position der Frauen im Spätmittelalter auf die Beliebtheit des Motivs im 13. bis 15. Jahrhundert schließt. Sie sieht darin einerseits einen Ausdruck männlicher Ängste vor dem Erstarken der Frauen, andererseits eine Beruhigungsstrategie, insofern die Unfähigkeit der Frauen zur Herrschaft dargestellt werde; vgl. Cornelia HERRMANN, Der „Gerittene Aristoteles“, S. 105f., 113f.; vgl. ähnlich Monika JONAS, Idealisierung und Dämonisierung als Mittel der Repression, S. 76–78, welche die Gefährlichkeit in der Darstellung durch die Kombination von Schönheit und Intellekt begründet sieht. 153 Die in der Forschung immer wieder unternommenen Versuche, die Handlung der fiktionalen Verserzählung mit den historischen Werken des griechischen Philosophen inhaltlich in Verbindung zu bringen, halte ich für wenig plausibel. 154 Damit bleibt Aristoteles „auf dem Niveau üblicher Schwänke, das aus der Perspektive dieses Märes minderwertig erscheint“; Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 289. 155 Diese lehrhaften Exkurse sind für den Texttyp der Verserzählung ungewöhnlich; vgl. Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 77; zu ähnlichen Beispielen in anderen mittelhochdeutschen Literaturgattungen vgl. Norbert H. OTT, Minne oder amor carnalis?, S. 111.

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wird im Rückgriff auf Gottfrieds Tristan am Bild des Vogels, der durch eine Leimrute gefangen wird, die Stärke weiblicher Verführungskunst illustriert: Kein Mann, der sich in die Gesellschaft einer Frau begebe, könne sich weiblicher List entziehen. Da weder Alter, Weisheit noch Durchtriebenheit davor schützten (vgl. FB 6, V. 305f.; 323), gebe es als einzigen Ausweg nur die Möglichkeit, die Gesellschaft von Frauen vollständig zu meiden (vgl. FB 6, V. 324–332).156 (3) Auch der zweite Exkurs (vgl. FB 6, V. 422–464) betont, dass die Männer den negativen Einflusskräften einer schönen und klugen Frau nichts entgegenzusetzen hätten; aufgrund ihrer Verführungskünste könne sie mit ihnen machen, was immer sie wolle (vgl. FB 6, V. 424–445).157 Dieser Deutungsansatz kann aber nur ein vorläufiges Ergebnis bleiben. Denn abgesehen davon, dass auf der Handlungsebene Phyllis vor der Öffentlichkeit des Hofes Recht behält, wohingegen Aristoteles ins Unrecht gesetzt wird, entfaltet sich auch auf der Darstellungsebene ein Diskurs, welcher der scheinbar misogynen Quintessenz des Textes entgegensteht. Zunächst manifestiert sich dies in der Tatsache, dass die weibliche Pro156

Der Verfasser funktioniert hier nach WACHINGER das Bild, das im Tristan die Schicksalhaftigkeit und Unausweichlichkeit der Liebe demonstrieren soll, im Hinblick auf die Macht weiblicher List um; vgl. Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 81; dagegen Alan DEIGHTON, diu wip sint alliu niht also, S. 144f., der m. E. zu Recht die Ambivalenz des Bildes betont und vor einer allzu vereinseitigenden Deutung warnt. 157 Als Kronzeugen dafür, dass „wîbes kunst […] âne zil“ (FB 6, V. 446) sei, werden in diesem Kontext die biblischen Gestalten Adam, Samson, David und Salomon (vgl. FB 6, V.449f.) angeführt, die ebenfalls der weiblichen Schönheit bzw. weiblicher Verführungskunst zum Opfer gefallen seien; sie galten dem Mittelalter neben anderen Figuren der heidnischen Antike topisch als ,Minne‘- bzw. ,Frauensklaven‘; vgl. hierzu z. B. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1195, Kommentar zu V. 449f.; Cornelia HERRMANN, Der „Gerittene Aristoteles“, S. 21–25. – Birgit BEINE verweist auf ähnliche Litaneien in der Verserzählung Der Pfaffe mit der Schnur (B) (FB 4e) des Schweizer Anonymus (Salomon, Samson und Alexander; vgl. FB 4e, V. 178–183) sowie in Heinrich Kaufringers Zurückgelassener Hose (FB 67f) (Samson, Salomon und David; vgl. FB 67f, V. 91–95); vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 308f., außerdem Anm. 147 des vorliegenden Kapitels. In beiden Fällen geht es darum, die Auswirkungen weiblicher Hinterlist exemplarisch zu dokumentieren. Hiervon zu unterscheiden ist die Erwähnung von Samson in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141), wenn die Figur als Bild männlicher Stärke aufgerufen wird (vgl. FB 141, V. 63). – Kritisch setzt sich mit dem vereinheitlichenden Begriff des ,Minnesklaven‘, demzufolge die betreffenden Männerfiguren der Minne zum Opfer fallen, Rüdiger SCHNELL, Causa amoris, S. 475–505, auseinander. Seiner Auffassung nach sei für die schwankhaften Verserzählungen – so auch für Aristoteles und Phyllis (FB 6) (vgl. ebd., S. 476, Anm. 554, und S. 501) – der Begriff des ,Frauensklaven‘ angemessener, demzufolge die Opfer durch weibliche List versklavt würden: „Dieser Frauensklaven-Topos besitzt seinen geistigen Ursprung in der Genesisexegese und der traditionellen klerikalen Frauenfeindlichkeit. Deshalb treten die Beispielfiguren Adam, Salomon, Samson usw. immer als negative exempla auf. Es geht dabei immer um die Macht und den Sieg der Frau(en), nicht um die Macht der Liebe!“ (ebd., S. 490). – Kritisch zu dieser strikten Absonderung der beiden Begriffe äußern sich folgende Wissenschaftlerinnen: Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500; Susan L. SMITH, The Power of Women, S. 44– 47, 216; Irene ERFEN, Phyllis, S. 75.

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tagonistin durch den Erzähler durchgängig positiv158 und ihr männlicher Widerpart, Aristoteles, zumindest im Umfeld der Reitszene, stets negativ beurteilt wird.159 Überdies hebt insbesondere der letzte Teil des zweiten Exkurses noch einmal die Güte der meisten Frauen hervor: Die Existenz böswilliger Frauen sei deshalb notwendig, damit man die Makellosen unter ihnen erkennen könne (vgl. FB 6, V. 452–464). Indem Phyllis im Folgenden selbst als Makellose (vgl. FB 6, V. 484) bezeichnet wird, rechtfertigt der Erzähler offensichtlich ihr Verhalten. Diese Form der Sympathielenkung zugunsten der jungen Phyllis160 ist aber nicht die einzige narrative Strategie, die einer eindimensionalen Deutung der Verserzählung widerstrebt. Eine weitere Relativierung der misogynen Aussagen erfolgt dadurch, dass die Verantwortung für die Geschehnisse wiederholt einer übergeordneten Instanz zugewiesen wird, nämlich der machtvollen minne, die der Erzähler in personifizierter Form gar als „der sinne […] rouberinne“ (FB 6, V. 468) bezeichnet. Diese „gewaltige minne“ (FB 6, V. 209; 467) ist es, die sowohl Alexander (vgl. FB 6, V. 82–84; 110; 114–117; 165; 201f.) als auch Phyllis (vgl. FB 6, V. 129; 165; 207–213) bezwingt und ihnen die notwendige „mâze“ (FB 6, V. 213) raubt. Ebenso fällt ihr der meister Aristoteles zum Opfer: „diu minne tet im manigen schâch / und machte in zeime kinde.“ (FB 6, V. 352– 353; vgl. V. 467–470).161 Darüber hinaus findet sich dieses Deutungsschema im ersten Exkurs, wo in Anlehnung an die Liebeskonzeption in Gottfried von Straßburgs Tristan162 erneut die Gewalt der minne beschworen wird, deren Wirken sich niemand ent158

Vgl. die uneingeschränkt positiven Epitheta, hier ohne Unterscheidung zwischen Erzählerrede und Figurenrede: „schoene“ (FB 6, V. 86; 90; 92; [173]; 205; 237; 253; 259; 345; [471]; 477; 484), „lobebaere“ (FB 6, V. 92), „reine“ (FB 6, V. 119; 192; 222; 355; 375), „guote“ (FB 6, V. 119; 192; 222), „minneclîche“ (FB 6, V. [126]; 232; [269]; [285]; [344]; 347; 367; 400; 477; [495]), „zart“ (FB 6, V. 131; [346]; [494]), „wolgetâne“ (FB 6, V. 185; 336), „klâre“ (FB 6, V. 205), „süeze“ (FB 6, V. 95; 222; 232; [284]; 355; 367; 375; [431]; [488]; [495]; 518), „gehiure“ (FB 6, V. 345), „hêrlîche“ (FB 6, V. [501]), „fîne“ (FB 6, V. 518); Phyllis sei überdies „alles wandels eine“ (FB 6, V. 356; 376) und „missewende vrî“ (FB 6, V. 484). 159 Aristoteles wird zweimal mit einem Kind verglichen (vgl. FB 6, V. 352f.; 510f.), als alter Mann (vgl. FB 6, V. 295) oder bloß als „der alte“ (FB 6, V. 416) bezeichnet, schließlich zweimal als „alter gouch“ (FB 6, V. 506; vgl. V. 475) tituliert und somit also mehr oder weniger als unzurechnungsfähig dargestellt. 160 Vgl. Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 82; Alan DEIGHTON, diu wip sint alliu niht also, S. 139–144. 161 Vgl. Alan DEIGHTON, ebd., S. 140f. Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 288f., verweist darauf, dass das märentypische List-Schema, das mit einer Negativzeichnung der Frau einhergehe, hier von dem dominanten Minne-Motiv überlagert sei. Stützen lässt sich dies durch die parallele Konstruktion der Verse 82 bis 84 und 382f.: „doch wart er [d. i. Alexander] leider gepfant / an witzen unde an sinne; / daz tet diu strenge minne“ – „er [d. i. Aristoteles] sprach: ,ich bin an witzen / unde an sinnen gephant‘“. 162 Nachdem die mehrfachen Übernahmen aus Gottfrieds Tristan bereits von John L. CAMPION, Aristoteles und Phillis, S. 356–360, und Gisela JOSEPHSON, Die mittelhochdeutsche Versnovelle von Aristoteles und Phyllis, S. 51–55, zusammengestellt worden sind, hat sich Burghart WACHINGER

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ziehen könne: „sô stark sint minnen krefte.“ (FB 6, V. 328). Wenngleich sich hierin eine parodistische Absicht vermuten lässt163, so ändert dies doch nichts an der entlastenden Wirkung für die Zeichnung der Protagonistin. Auffällig ist schließlich, dass der weise und doch genarrte Aristoteles in der Verserzählung eben nicht das letzte Wort behält, sondern nur als vorletzte Stimme gehört wird.164 Der Erzähler indes legt die Aussagen seines Buches im Epimythion165 dahingehend aus, dass jeder Mann, der ohne Schrecken leben wolle, die Einflusssphäre von Frauen zu meiden habe (vgl. FB 6, V. 548–554).166 Dass dieser ironische Rat167 jeglisystematisch mit ihrer inhaltlichen Bedeutung befasst; vgl. Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 77–82. Insbesondere geht er dabei auf die vier Textblöcke ein, die ohne besondere Kennzeichnung als Zitate aus Gottfrieds Tristan eingeflochten sind. Es handelt sich dabei um folgende Verse (zit. nach folgender Ausgabe: Karl MOROLD (Hrsg.), Tristan [1969]): V. 207–220 (= Tristan, V. 959–971), V. 238–252 (= Tristan, V. 10962–10976), V. 270–284 (= Tristan, V. 10988–11002), V. 310–319 (= Tristan, V. 844–853). Vgl. weiterführend Alan DEIGHTON, diu wip sint alliu niht also; Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 284–290; zu weiteren möglichen Parallelen zu anderen mittelhochdeutschen Texten, u. a. auch zu Der halben Birne (A) (FB 74), vgl. überdies Gisela JOSEPHSON, Die mittelhochdeutsche Versnovelle von Aristoteles und Phyllis, S. 55–61. 163 WACHINGER zufolge würden die Einfügungen aus dem Tristan die in Gottfrieds Roman greifbar werdende literarische „Tradition der irrationalen Minneleidenschaft“ parodieren; Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 82; dagegen indes Alan DEIGHTON: „Having established that the writer of Aristoteles und Phyllis did not view women merely as the means of man’s destruction, we must consider the reasons for his having expounded his attitudes by linking them with Tristan. […] In the uses of quotations from Tristan the poet ist not parodying Gottfried’s work but making serious comments which indicate an interest in the work which, far from remaining superficial, reaches down into the centre of the problems it raises.“ (Alan DEIGHTON, diu wip sint alliu niht also, S. 145 und 148). Gemeint ist hier der Konflikt zwischen individueller Liebe und den ihr widerstreitenden gesellschaftlichen Anforderungen, die in beiden Werken zum Tragen kämen; vgl. ebd., S. 146f. – Ausführlich geht auch RAGOTZKY auf die Deutung der Tristan-Stellen ein, wobei sie jedoch stärker auf die Gattungsspezifik des Märes abheben will; vgl. Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 284–290. 164 Anders Hellmut ROSENFELD, [Art.] ,Aristoteles und Phyllis‘, Sp. 435. WACHINGER geht davon aus, dass zumindest vordergründig die Lehre des Erzählers und die von Aristoteles formulierte Lehre identisch seien, insofern die Inhaltsangabe von Aristoteles’ Schrift und das Epimythion nahtlos ineinander übergingen. Allerdings betont er zugleich eine Distanznahme des Erzählers von Aristoteles’ misogyner Position; vgl. Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 77, 82; vgl. ebenso Susan L. SMITH, The Power of Women, S. 97, 225. 165 In grammatischer Hinsicht ist unklar, wo das Referat des Erzählers über die Inhalte von Aristoteles’ Buch endet und wo das Epimythion beginnt, nämlich in Vers 542 oder in Vers 548. Es ließe sich auch diskutieren, ob der gesamte Schlussteil ab V. 538 als Paraphrase von Aristoteles’ Schrift verstanden werden könnte. Ich tendiere dazu, den Beginn des Epimythions mit V. 548 anzusetzen, in dem der Abschluss der narratio durch das „ich“ (FB 6, V. 548) der Erzählerrede markiert ist. 166 Die Benediktbeurer Fassung verzichtet auf einen ausführlichen Schluss: Nach der Abreise des Philosophen wird nur noch von der Fortsetzung der Liebesbeziehung von Aristoteles und Phyllis be-

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chen Realitätsbezug vermissen lässt, muss nicht weiter erläutert werden. Letzten Endes bleibt die Geschichte von Aristoteles und Phyllis (FB 6) als eine Form der Darstellung des Topos der ,verkehrten Welt‘168 in ihrer Aussage somit zumindest ambivalent.169 Wie dieser Befund im Rahmen einer Poetik der Verserzählung gewertet werden kann – denn bezeichnenderweise erscheint das Motiv des gerittenen Meisterdenkers in der mittelhochdeutschen Literatur (abgesehen von der späteren Gattung des Fastnachtsspiels) einzig und allein in diesem epischen Texttypus – soll an späterer Stelle im Rahmen anderer Beispiele geschlechtlicher ,Ordnungswidrigkeiten‘ weiterführend erläutert werden.170 richtet. Das kurze Epimythion verweist darauf, dass Frauen häufig „Riuwe, kumber vnde not“ (B II, V. 92; Hellmut ROSENFELD, Aristoteles und Phillis, S. 331) verursachten. Mit dieser plakativen Lehre erweist sich der exemplarische Anspruch des Textes (Warnung vor der stets überlegenen weiblichen Verführungskunst) als dominant; vgl. Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 284, 290. 167 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 108 und Anm. 136. 168 In Bezug auf die bildlichen Darstellungen des Motivs hat Norbert OTT herausgestellt, dass die wenigsten Bildzeugnisse eindimensional als Warnung vor Sexualität und weiblicher Verführungskunst verstanden worden seien: „Vielmehr war Travestie angezeigt, ist es das Sowohl-Als-auch, der spielerische Umgang mit Zitaten und signalhaft verwendeten, mehrdeutigen Motiven, auf die das Publikum sich bezieht.“ (Norbert H. OTT, Minne oder amor carnalis?, S. 124f.); zum Topos der „verkehrten Welt“ allgemein vgl. Natalie Zemon DAVIS, Women on Top; Susan L. SMITH, The Power of Women, S. 99f.; im Hinblick auf die stoffverwandten Fastnachtsspiele vgl. hierzu Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 297, 300. 169 Die These einer Ambivalenz vertreten die Mehrzahl der Interpreten: Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 196 und S. 303, Anm. 513; Burghart WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds von Straßburg im 13. Jahrhundert, S. 77, 82; Bernhard SOWINSKI, Aristoteles als Liebhaber in den deutschen Dichtungen des Spätmittelalters, S. 327f.; Michael SCHILLING, Liebe und Gesellschaft, S. 4f.; Susan L. SMITH, The Power of Women, S. 95–97; Marija JAVOR BRIšKI, Eine Warnung vor dominanten Frauen oder Bejahung der Sinnenlust?, S. 47f., 59; Karin CIESLIK, Sinnkonstitution und Wissenstradierung im spätmittelalterlichen Märe, S. 181f. Während SCHNELL und GRUBMÜLLER in seiner Novellistik-Edition in besonderer Weise die misogyne Grundrichtung des Textes betonen (vgl. Rüdiger SCHNELL, Causa amoris, S. 501; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1189), votieren DEIGTHON, RAGOTZKY und HAUG eher für eine Phyllisfreundliche Lesart; vgl. Alan DEIGHTON, diu wip sint alliu niht also, passim; Hedda RAGOTZKY, Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst, S. 290 („Das Exempel wird neu gedeutet, es geht nicht mehr um die Warnung vor Weiberlist, sondern um einen Kasus, der das Recht der Minne vorführt und deren Sieg feiert.“); Walter HAUG, Das Böse und die Moral, S. 380. Gegenüber RAGOTZKY hebt Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 168 und S. 168f., Anm. 45, die Seriosität des Textes gegenüber der Philosophenfigur hervor, die durch ihren Rückzug eine adäquate Lebensform finde. DEIGHTON hat gezeigt, dass in r (vermutlich 14. Jahrhundert) gegenüber der früheren Version in S (um 1330/1350) eine Akzentverschiebung stattgefunden habe, insofern durch unterschiedliche Tilgungen die Schuldhaftigkeit der listigen Phyllis neu in den Vordergrund gerückt worden sei; vgl. Alan DEIGHTON, diu wip sint alliu niht also, S. 145. 170 Vgl. hierzu Kap. 4 der vorliegenden Arbeit.

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b.

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,Reiten‘ als erotisches Motiv

Bei der Untersuchung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) ist sichtbar geworden, dass in dieser Erzählung das literarische Bild von der Domestizierung der weiblichen Natur und ihrer Unterwerfung unter die männliche Kultur buchstäblich auf den Kopf gestellt wird, ohne dabei jedoch zur Gänze in der Funktion eines Negativexempels aufzugehen. Denn der ironische und parodistische Text reduziert seine Lehre – sofern er denn eine solche hat – gerade nicht darauf, vor einer Gefährdung der kulturellen Ordnung durch die Naturhaftigkeit der Frau, mithin durch die weibliche Sexualität, zu warnen. Vielmehr offeriert der Text – entgegen einer ersten vordergründigen Einschätzung, wie wir sie zu Beginn dieses Unterkapitels vorgenommen haben – eine Lesart, die der Sphäre der ,Natur‘ einen eigenen (Spiel-)Raum gegenüber der kulturellen ,Sphäre‘ des Hofes und seinen Autoritäten zubilligt. Die lehrhaft-affirmativen Züge des Textes treten damit deutlich hinter die unterhaltenden Partien zurück, und auch das artikulierte didaktische Anliegen ist, im Gegensatz zum Wilden Ross (Moe 57), in dem vornehmlich männliche Rezipienten angesprochen werden, sowie den eingangs behandelten Domestizierungsgeschichten, in denen eine Belehrung des weiblichen Auditoriums angemahnt wird, in seiner Zielrichtung letztendlich nicht mehr eindeutig bei einem weiblichen oder männlichen Publikum zu verorten. So stellt sich nun abschließend die Frage, ob das Natur-Kultur-Paradigma, dessen Symbolizität für die Geschlechterdifferenz anhand des Pferd-Reiter-Motives hinreichend plausibel gemacht werden konnte, in den mittelhochdeutschen Verserzählungen stets an die asymmetrische Grundstruktur gebunden bleibt, die diesem Schema innewohnt und die Basis für die Interpretation des Geschlechterverhältnisses als Erziehungsverhältnis bildet, oder ob sie auch andere Darstellungsmodi von ,Natur‘ und ,Kultur‘ realisieren, die dazu geeignet erscheinen, die hierarchische Struktur der symbolischen Geschlechterordnung zu relativieren. Unter diesem Blickwinkel sollen die folgenden Lektürebeispiele den Abschluss dieses einführenden Kapitels zur Semiotik der Geschlechterdifferenz bilden. Den Ausgangspunkt bildet dabei der Aspekt der Sexualität, der, wie bereits punktuell erörtert, mit dem Pferd-Reiter-Motiv – und folglich mit dem Natur-Kultur-Paradigma – auf das Engste verknüpft ist. Die sexuelle Bedeutungsebene des Pferd-Reiter-Komplexes wird, so lässt sich rekapitulieren, sowohl in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) wie in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141), aber auch in der Faulen Frau (FB 147a) und in der Rosshaut (FB 57) assoziiert und übernimmt in der höfischen Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) darüber hinaus die Funktion eines Handlungsmovens. Kulturhistorisch ließ sich ergänzen, dass es sich bei dieser Bildlichkeit nicht erst um eine mittelalterliche Errungenschaft handelt, sondern dass der Begriff des ,Reitens‘ bereits in der Antike gebräuchlich war, um sexuelle Handlungsweisen zu verbrämen, häufig auch im Rekurs auf die im christlichen Mittelalter verpönte Stellung der mulier supra virum, wie sie in

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der Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) zur Darstellung gelangt.171 Der sexuelle Bedeutungshorizont knüpft sich aber nicht nur an den eigentlichen Akt des Reitens, sondern verbindet sich überdies mit der Vorstellung, durch eine Gerte o. Ä. zum Reiten angespornt zu werden, so dass das Motiv zuweilen auch als Zeichen eines sadomasochistischen Interesses gedeutet werden konnte.172 Die erotische Verwendung des literarischen Motivs lässt sich beispielhaft an zwei weiteren Verserzählungen erhärten, in denen sich jeweils unterschiedliche Realisierungen der sexuellen Ausdeutungsmöglichkeiten des narrativen Bildes finden: dem Rädlein (FB 64) von Johannes von Freiberg aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts173 sowie der anonym überlieferten Verserzählung Sociabilis (FB 122)174 aus dem beginnenden 15. Jahrhundert. In diesen beiden Texten hat sich die erotische Komponente gleichsam aus dem Motivkomplex herausgelöst und teilweise verselbstständigt, so dass die Funktion, die Differenz der Geschlechter zu symbolisieren, in den Hintergrund tritt oder vielleicht sogar ganz verloren geht. Eine eindeutig erotische Kontextualisierung erfährt die in Rede stehende Reitszene in der Erzählung Sociabilis (FB 122), ohne dass dabei ordnungsstabilisierende oder ordnungsgefährdende Gesichtspunkte zur Diskussion gestellt würden: Eines Nachts träumt der Ritter Sociabilis von der Tochter eines Grafen, die er heimlich liebt. Als sie im Traum Abschied nehmen will, bietet er ihr an, ein Pferd für sie bereitstellen zu lassen, was die junge Frau jedoch ausschlägt. Daraufhin erneuert er sein Angebot, indem er kommentarlos vorschlägt, er selbst könne ihr Pferd sein175, aber auch dies lehnt die 171

Im Mittelalter wurde diese Sexualpraktik aufgrund medizinischer wie theologischer Vorbehalte seitens der Kirche strengstens abgelehnt und ikonographisch infolgedessen der Sphäre des Ehebruchs zugerechnet; zur sexuellen Metaphorik des Reitens allgemein vgl. Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 184–202; Johannes MÜLLER, Schwert und Scheide, S. 119f.; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 214; Gaby HERCHERT, „Acker mir mein bestes Feld“, S. 213; Stefan ZEYEN, … daz tet der liebe dorn, S. 60; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, Weiber – Herrschaft, S. 58. 172 Vgl. Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 100, 102. 173 Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 180; Rolf Max KULLY, [Art.] Johannes von Freiberg, Sp. 603f. In Kapitel 2.2.2 (c) werde ich ausführlicher auf diesen Text eingehen. 174 Wilhelm STEHMANN, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, S. 124f., Anm. 1, nennt den Text im Zusammenhang mit seiner Untersuchung von Sibotes Frauenerziehung (FB 121). Der Text wurde vermutlich von einem schwäbischen Autor verfasst und ist unikal überliefert im Karlsruher Cod. 408, der ebenfalls eine Version von Aristoteles und Phyllis (FB 6) beinhaltet; vgl. einführend Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Sociabilis‘, zudem Kap. 3.2.1.c dieser Arbeit. 175 HOVEN verweist für diese Stelle auf die Nähe der Szene zum Motiv der reitenden Frau in Aristoteles und Phyllis (FB 6); vgl. Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 217; vgl. ebenso Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 216 und Anm. 18; Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 27 und Anm. 24. Zu weiteren literarischen Bezügen dieser Erzählung zum Komplex der Pferd-Reiter-Geschichten werde ich an späterer Stelle eingehen.

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Traumgestalt ab (vgl. FB 122, V. 62–72). Eingebettet ist dieser Dialog in die erotischen Traumphantasien des Ritters (vgl. FB 122, V. 13–86), deren Höhepunkt der imaginierte Kuss der nächtlichen Besucherin ist. Das Rädlein (FB 64) Johannes’ von Freiberg erzählt nicht bloß von einem imaginierten, sondern von einem realen Ritt eines Mannes auf dem Rücken einer Frau, der wiederum völlig frei von erzieherischen Zwängen gezeichnet wird. Auf den hippologischen Hintergrund deutet die Szene indes nicht mehr: Ein Schreiber kann durch eine List ein junges Mädchen, das im gleichen Haushalt arbeitet wie er selbst, dazu verführen, ihn mit in ihre Kammer zu nehmen. Damit sie sich nicht durch ein Geräusch verraten, schlägt das Mädchen vor, ihren Liebhaber auf dem Rücken zu transportieren. Dieses ,erschlichene‘ Angebot nimmt der Schreiber freudig an und lässt sich von ihr ins Bett tragen (vgl. FB 64, V. 335–393).176 Der Erzähler schmückt diese heiter-frivole, teilweise auch parodistische Passage mit einer Vielzahl weiterer Tiervergleiche aus177, die wiederum den ,naturnahen‘ Charakter der Szenerie wie auch die ,Naturnähe‘ der Protagonistin insinuieren. Somit ist das anklingende Pferd-Reiter-Motiv hier – zumindest auf den ersten Blick – auf seine erotischen Implikationen reduziert. In beiden Verserzählungen wird deutlich, dass der Modus des Erotischen, der auf der sexuellen Bedeutungsebene des Pferd-Reiter-Motives gründet, einen fiktionalen Raum eröffnet, in dem die implizite Vorstellung von Herrschaft und Dominanz zurückgedrängt wird oder nur noch eine spielerische Bedeutung hat. Weder obsiegt hier die ,Kultur‘ über die ,Natur‘ in einem Akt der Zivilisierung noch triumphiert die (sexuelle) ,Natur‘ über eine anerkannte Kulturinstanz wie in Aristoteles und Phyllis (FB 6). Indem Differenz und Asymmetrie der Geschlechter im erotischen Spiel aufgehoben erscheinen, wird deutlich, dass das Natur-Kultur-Paradigma, konkretisiert im narrativen Bild von Pferd und Reiter, in den mittelhochdeutschen Verserzählungen nicht nur dazu beiträgt, die gesellschaftlich sanktionierten Geschlechternormen im fiktionalen Raum zu perpetuieren. Es hat darüber hinaus Anteil an der Antizipation einer poetischen Welt, in der sich Mann und Frau (im Modus des Erotischen oder, vorsichtig formuliert, in einer Utopie der Liebe) auf gleicher Ebene begegnen. So heißt es im Rädlein (FB 64) nach dem gemeinsamen ,Ritt‘:

176

Es handelt sich hier um das „Motiv der Emma Portatrix, von Karls des Großen Tochter in einer Lorcher Chronik des 12. Jahrh. erzählt“; Bruno BARTH, Liebe und Ehe im altfranzösischen Fablel und in der mittelhochdeutschen Novelle, S. 27, Anm. 1. Zu weiteren Beispielen dieses literarischen Motivs vgl. Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 57; bezüglich der mittelhochdeutschen Verserzählungen verweist er hier auf Sibotes Frauenerziehung (FB 121) (vgl. ebd., Anm. 3); vgl. des Weiteren Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1231. 177 Genannt werden „huon“ (FB 64, V. 372), „zige“ (FB 64, V. 378), „hase“ (FB 64, V. 383) und „rêch“ (FB 64, V. 390). Einen – m. E. wenig ergiebigen – Versuch der Kommentierung bietet Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 221, Anm. 34.

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sie lâgen gar unverdrozzen zu ein ander geslozzen und mit armen umbevangen; wer über si waer ergangen, der möhte niht gemerken han, welchez waer wîp oder man. (FB 64, V. 411–416)

Ob dies die ganze Wahrheit der Geschichte darstellt, werden wir im folgenden Kapitel näher in den Blick nehmen müssen.

2.2 Zeichen und Schrift – Der geschlechtliche Körper als Medium Im vorherigen Kapitel konnte am Beispiel des Natur-Kultur-Paradigmas aufgezeigt werden, wie die Geschlechterdifferenz in den mittelhochdeutschen Verserzählungen als asymmetrisches Beziehungsverhältnis versinnbildlicht wird. In diesem Zusammenhang ist implizit deutlich geworden, dass der Darstellung des Körpers für die Symbolisierung des Geschlechterverhältnisses ein zentrales Gewicht zufällt, insofern ihm die Eigenschaft zukommt, die zeichenhafte Schnittstelle der binären Opposition von Natur und Kultur zu markieren.178 Nun handelt es sich bei dieser Darstellungspraxis aber nicht nur um ein Spezifikum der mittelhochdeutschen Verserzählung; sie entspricht vielmehr der Signifikanz des Körpers als Medium von Symbolisierungsprozessen in der mittelalterlichen Literatur generell. Darüber hinaus verweist sie zugleich auf die immense Bedeutung des Körpers als Kommunikationsmedium in einer Gesellschaft, die noch weitgehend durch Mündlichkeit geprägt und erst in Ansätzen von den Modalitäten der Schriftkultur bestimmt ist, wie sie sich in Mitteleuropa – im Übrigen parallel zur Entwicklung des Texttyps der spätmittelalterlichen Verserzählung – erst seit dem 13. Jahrhundert nach und nach in einem breiteren Rahmen zu entfalten und durchzusetzen beginnt.179 Das weit gefächerte Thema des literarischen Körpers180 hat von daher der mediävistischen Forschung, insbesondere etwa seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts, entscheidende Impulse verleihen können und inzwischen eine kaum mehr zu überschauende Fülle von Veröffentlichungen gezeitigt, deren Aufzählung hier notwendig lücken178

Vgl. Udo FRIEDRICH, Grenzmetaphorik, S. 40; Beate KELLNER / Christian KIENING, Einleitung: Körper – Kultur – Literatur (1200–1800), S. 4f.; Albrecht KOSCHORKE, Zur Epistemologie der Natur/Kultur-Grenze, S. 20. 179 Vgl. zu diesem Komplex aus historischer Sicht etwa die Forschungen von Gerd ALTHOFF, exemplarisch z. B. Gerd ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter [1997]; DERS., Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters [1997]. 180 Zum Körper als ästhetischer Kategorie allgemein vgl. Dietmar KAMPER, [Art.] Körper.

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haft bleiben müsste; neben dem ,höfischen‘ wurden so u. a. der ‚heroische‘, der ,heilige‘, der ,juristische‘, der ,politische‘, der ,soziale‘, der ,kosmische‘, der ,fremde‘, der ,komische‘, der ,groteske‘ sowie der (durch Hässlichkeit, Krankheit, Misshandlung, Entblößung, Verletzung, Tötung, Fragmentierung usw.) ,versehrte‘ Körper betrachtet. Des Weiteren sind die literarischen Darstellungsmuster einzelner Körperteile und Körperfunktionen, von körpersprachlicher Interaktion sowie aus medientheoretischer Sicht das Verhältnis von ,Körper‘ und ,Schrift‘ in den Blick genommen worden.181 Richtungsweisend waren für die Germanistik neben letzteren, an die interdisziplinär geführten Diskussionen um Mündlichkeit und Schriftlichkeit angelehnten Arbeiten182 vor allem die Beiträge von Joachim BUMKE183 und insbesondere von Horst WENZEL184 zur Konzeptualisierung des höfischen Körpers, die gleichermaßen auf die „Lesbarkeit von Körperzeichen“ (Horst WENZEL) als Konstituens adliger Herrschaftsrepräsentation in der höfischen Kultur um 1200 abheben. Allenfalls partiell ist in diesem Forschungsfeld auch untersucht worden, ob die attestierte ,Lesbarkeit‘ des Körpers in der höfischen Literatur für männliche und weibliche Figuren in gleicher Weise geltend gemacht werden kann oder ob diesbezüglich signifikante Unterschiede nachzuweisen sind.185 181

Nur beispielhaft und um einige Stationen der Forschung zu dokumentieren, sei hier auf einige wenige für die germanistische Mittelalterforschung einschlägige Sammelwerke verwiesen; sie verbinden mit der Körperthematik zumeist auch geschlechtsspezifische Fragestellungen und beinhalten jeweils weiterführende Literaturangaben: Hedda RAGOTZKY / Horst WENZEL (Hrsg.), Höfische Repräsentation [1990]; Klaus SCHREINER / Norbert SCHNITZLER (Hrsg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen [1992]; Helmut BRALL / Barbara HAUPT / Urban KÜSTERS (Hrsg.), Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur [1994] (vgl. hierin zur Raum-Körper-Relation in mittelhochdeutschen Verserzählungen Hartmut KUGLER, Über Handlungsspielräume im Artusroman und im Maere); Sarah KAY / Miri RUBIN, Framing medieval bodies [1994]; Katrin KRÖLL / Hugo STEGER (Hrsg.), Mein ganzer Körper ist Gesicht [1994]; Jan-Dirk MÜLLER (Hrsg.), ,Aufführung‘ und ,Schrift‘ in Mittelalter und Früher Neuzeit [1996]; Horst WENZEL (Hrsg.), Gespräche – Boten – Briefe [1997]; Ingrid BENNEWITZ / Helmut TERVOOREN (Hrsg.), manlîchiu wîp, wîplîch man [1999]; Ingrid BENNEWITZ / Ingrid KASTEN (Hrsg.), Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter [2002]; Klaus RIDDER / Otto LANGER (Hrsg.), Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur [2002]; Karina KELLERMANN (Hrsg.), Der Körper [2004; mit einer aspektreichen Einleitung und einer umfassenden Auswahlbibliographie]; Kristin MAREK [u. a.] (Hrsg.), Bild und Körper im Mittelalter [2006]; Friedrich WOLFZETTEL (Hrsg.): Körperkonzepte im arthurischen Roman [2007]. Eine zusammenhängende Monographie zum Thema ist von der romanistischen Mediävistik vorgelegt worden: Jacques LE GOFF / Nicolas TRUONG, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter. 182 Vgl. z. B. grundlegend Jan-Dirk MÜLLER, Der Körper des Buchs [1988]; DERS., Visualität, Geste, Schrift [2003]; Walter HAUG, Die Verwandlungen des Körpers zwischen ,Aufführung‘ und ,Schrift‘ [1996]. 183 Vgl. insbesondere Joachim BUMKE, Höfischer Körper – Höfische Kultur [1994]; vgl. weiterführend mit einer exemplarischen Textanalyse auch Elke BRÜGGEN, Inszenierte Körperlichkeit [1996]. 184 Vgl. zentral u. a. Horst WENZEL, Partizipation und Mimesis [1988]; DERS., Hören und Sehen – Schrift und Bild [1995]; DERS., Höfische Repräsentation [2005]. 185 Vgl. z. B. Ingrid BENNEWITZ, Der Körper der Dame [1996]; Trude EHLERT, Ein vrowe sol niht sprechen vil [1998]; Ingrid BENNEWITZ, Zur Konstruktion von Körper und Geschlecht in der Litera-

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Vor diesem Forschungshintergrund macht es sich das folgende Kapitel zur Aufgabe, die spätmittelalterliche Verserzählung daraufhin zu befragen, inwiefern sich in ihrem Textkorpus geschlechtsspezifische Implikationen in der Körperdarstellung erkennen lassen. Dabei soll sich der Blick zunächst jedoch nicht auf die Naturhaftigkeit oder Sexualität des (weiblichen) Körpers richten, wie dies im vorausgegangenen Kapitel geschehen ist, sondern vielmehr auf die Funktion des Körpers in seiner Eigenschaft als kultureller Bedeutungsträger.186 Die in Rede stehende Zeichen- oder Symbolfunktion

tur des Mittelalters [2002]; Renate KROLL, Verführerin mit Herrschaftsstatus [2002]; Karina KELDer Uterus als Edelstein oder das Geschlecht als Kopfgeburt? [2003]. 186 Im Hinblick auf die Körperthematik in der mittelhochdeutschen Verserzählung, die in zahlreichen Publikationen am Rande angesprochen wird (vgl. explizit zuletzt bei Stephan FUCHS-JOLIE, Von der Fee nur der Fuß [2009]), soll wegen ihrer grundlegenden Perspektive die komplexe und inspirierende Studie „The body in some High Middle German Mären: taming and maiming“ von Mark CHINCA [1994] hervorgehoben werden (vgl. kritisch hierzu, jedoch nur bedingt nachvollziehbar Albrecht CLASSEN, Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Unterdrückung und Sexualität [2000], S. 19f.). In einigen Punkten lässt sich an diese im weitesten Sinne sozial- wie kulturgeschichtlich argumentierende Studie zur Körperdarstellung in der mittelhochdeutschen Verserzählung anknüpfen, die sich im Unterschied zu unserem Ansatz jedoch nicht in systematischer Hinsicht mit dem Verhältnis von ,Körper‘ und ,Geschlecht‘ in der mittelhochdeutschen Verserzählung auseinandersetzt. – CHINCA versucht, die in den Verserzählungen exponierten Körperbilder mit produktions- und rezeptionsästhetischen Faktoren divergierender sozialer Erfahrungen in Verbindung zu bringen. Er formuliert die These, „that the bodily style of the Mären is a code by which men at the centre express their perception of women on the social periphery“ (Mark CHINCA, The body in some Middle High German Mären, S. 188). – Wie ist dies zu verstehen? Zentral für CHINCAS Argumentation ist die Vorstellung von der prinzipiellen Zeichenhaftigkeit des kulturellen Körpers und seiner grundlegenden Bedeutung für Signifizierungsprozesse unterschiedlichster Art (vgl. z. B. ebd., S. 198). Mit Mary DOUGLAS betont er die kulturinvariante Kongruenz von physischem und sozialem Körper, die innerhalb einer Kultur ein wechselseitiges Symbolisierungsverhältnis auf der Grundlage analoger Verhaltens- und Wahrnehmungsstrukturen ausbilden würden: „Not only are perceptions of the body socially conditioned […], ideas of society are based on the physical body, which is a ready source of metaphors for the social organism. The two levels of experience, of the physical and the social body, influence one another reciprocally.“ (ebd., S. 199). Die analoge Konzeptualisierung von individuellen und sozialen ,Körperstilen‘ würden sich zu kulturspezifischen „bodily codes“ (ebd., S. 200) verdichten, wobei innerhalb eines Gesellschaftssystems unterschiedliche Codes miteinander konkurrieren könnten – je nach der Eigenart der sozialen Erfahrungen, welche die Individuen im Zentrum oder am Rande des sozialen Gefüges machen würden (vgl. ebd., S. 200). Für die Verserzählungen erhelle daraus, so CHINCA, der Befund, dass körperliche Mobilität bzw. semiotische Flexibilität stets den weiblichen Figuren attribuiert würde, wohingegen die männlichen Figuren durch eine weitgehende Immobilität und Starrheit gekennzeichnet seien: „wives manipulate signs; their language is not fixed to the truth […]; the mobile and tactical use of signs […] is shown to accompany and facilitate mobility in the life of bodies“ (ebd., S. 190f.). Dies laufe letztlich auf eine Destabilisierung der traditionellen männlichen Vorherrschaft über das weibliche Geschlecht hinaus, die auf einer Fixierung und Festlegung von Frauen sowie ihren Aufgabenbereichen gründete (vgl. ebd., S. 191). Die Unterschiede in der literarischen Darstellung der Geschlechter in den mittelhochdeutschen Verserzählungen resultierten aus der in der historischen Realität LERMANN,

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des Körpers wird in den mittelhochdeutschen Verserzählungen auf überaus vielfältige Weise genutzt: „Von Anfang an […] ist im Märe der Körper […] Darstellungs- und Diskussionsmedium. An ihm werden Sinnzuschreibungen und Rollenkonzepte sichtbar gemacht.“187 Auf dieser Grundlage scheint es geboten, die formulierte Fragestellung für unseren Untersuchungszusammenhang weiter zu konkretisieren: Sieht man einmal davon ab, dass die Zeichenfunktion des Körpers in den mittelhochdeutschen Verserzählungen zumeist dergestalt in Erscheinung tritt, dass den Körpern der Protagonisten (oder Teilen davon) eine handlungstragende Funktion zufällt, so lassen sich weitere thematische Felder abstecken, in denen die Körperdarstellung eine besondere Valenz entfaltet. Neben der häufigen Thematisierung von einzelnen Körperteilen188, der Partialisierung des Körverankerten Wahrnehmung von „men at the centre“ (ebd., S. 202) „that women are not as fixed in the social system as they are“ (ebd., S. 201). Damit jedoch nicht genug: Der marginale Status von Frauen in der spätmittelalterlichen Gesellschaft werde in der ehelichen Gemeinschaft zuweilen aufgehoben, so dass Männer in diesem konkreten sozialen Raum Frauen durchaus nicht immer als „peripheral“ (ebd., S. 204) erführen. Diese Ambiguität innerhalb der Ehe werde in den Verserzählungen vielfach thematisch; die zunächst uneindeutigen ehelichen Machtverhältnisse würden hier entweder dahingehend geklärt, dass die dominant männliche Ordnung durch Zähmung („taming“) und / oder Verstümmelung („maiming“) des männlichen Körpers subvertiert werde, oder aber dadurch, dass der männliche Part seine Herrschaftsposition behalte (vgl. ebd., S. 204f.), indem er beispielsweise seinen weiblichen Widerpart der Möglichkeit beraube, (sprachliche) Zeichen zu manipulieren (vgl. ebd, S. 206f.). CHINCA resümiert: „Taming and maiming are bodily code [sic!] for the creation of hierarchy in the place of ambiguity. […] taming and maiming […] are concrete and embodied categories for expressing and working out the troubling experience of the lack of definition of marital roles. Bodily style […] is therefore not simply a static reflection of the social body; the code has a dynamic.“ (ebd., S. 205). – Ohne dass ich im Folgenden auf einzelne Gedankenfiguren aus diesem Beitrag rekurrieren möchte, wird sich der Stellenwert, welcher der Codierung des Körpers für die Problematik des Geschlechterverhältnisses hier beigemessen wird, in den folgenden Textanalysen möglicherweise bestätigen. Im Detail müsste allerdings noch geklärt werden, ob die Befunde CHINCAS weiter auszudifferenzieren sind. 187 Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft [2002], S. 207. GRUBMÜLLER bezieht diese Aussage zwar zunächst auf die Figur des Ritters, aus dem Kontext erhellt jedoch, dass sie sich nicht auf diese beschränken muss. 188 Prominente Körperteile in der mittelhochdeutschen Verserzählung sind beispielsweise  der Schädel in Heinrich Kaufringers Suche nach dem glücklichen Ehepaar (FB 67m);  die Stirn in Virgils Zauberbild (FB 132);  die Haare in der in vier Fassungen überlieferten Verserzählung vom Pfaffen mit der Schnur – anonym überliefert sind die Fassungen A (FB 95) und C (FB 96), namentlich bekannt hingegen die Autoren von B (Schweizer Anonymus; FB 4e) und der vierten Fassung mit dem Titel Der betrogene Gatte (Herrand von Wildonie; FB 61b) – sowie in Der Reiher (FB 101);  der Kopf bzw. die Stirn im Kreuz (FB 75) und in Der Dieb von Brügge (FB 23);  das Auge, das eine herausgehobene Funktion in zahlreichen Verserzählungen hat, wie in dem Text Das Auge (FB 7) und Herrand von Wildonies Die treue Gattin (FB 61b), in Der betrogene Blinde (FB 16), Frauenlist (FB 37), Der blinde Hausfreund (FB 51), Das Kerbelkraut (FB 68), Der Liebhaber im Bade (FB 79), Der Wirt (FB 144);

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pers189, von Genitalien in der Subgruppe der ,Priapeia‘190 sowie der Entstellung des Körpers durch mehr oder weniger unspezifische Einfärbungen, die mit Hilfe etwa von Ruß, Kohle, Asche, Schimmel, Farbe, Tinte oder Safran vorgenommen werden kön  

der Bart in Konrad von Würzburgs Heinrich von Kempten (FB 73a); der Mund in Hans Rosenplüts Disputation (FB 105c); der (gezogene) Zahn, der eine Kastration symbolisiert, in Heinrich Kaufringers Fassung der Drei listigen Frauen (B) (FB 67e) sowie in seiner Verserzählung Die Rache des Ehemannes (FB 67k), des Weiteren in der anonym tradierten Verserzählung vom Zahn (FB 145); Zähne bzw. Zahnschmerzen erscheinen überdies in Heinrich Kaufringers Der zurückgegebene Minnelohn (FB 67g), Zähne im Ritter Alexander (FB 102);  die Zunge in Heinrich Kaufringers Rache des Ehemannes (FB 67k);  das Herz in Konrad von Würzburgs Herzmaere (FB 73b);  der Arm in der Treuen Magd (FB 80);  die Hand – häufig als pars pro toto des juristischen Körpers – in Hans Rosenplüts Disputation (FB 105c), in der strickerschen Verserzählung Das heiße Eisen (FB 127f), in Ruprecht von Würzburgs Treueprobe (FB 108) und im Helmbrecht von Wernher dem Gärtner (FB 139);  die Finger in Johannes von Freibergs Verserzählung Das Rädlein (FB 64), Hans Rosenplüts Disputation (FB 105c), in Ruprecht von Würzburgs Treueprobe (FB 108), in der ein Finger als „wortzeichen“ (FB 108, V. 909) fungiert, sowie in Virgils Zauberbild (FB 132);  der Bauch im Rädlein (FB 64) des Johannes von Freiberg, dem Kreuz (FB 75), in Hans Rosenplüts Disputation (FB 105c) und in den Drei Wünschen des Strickers (FB 127p);  das Gesäß im Beringer (FB 15), in Hans Folz’ Der arme Bäcker (FB 30a) sowie im Nackten Boten des Strickers (FB 127a);  der Fuß in den vier Fassungen des Pfaffen mit der Schnur (s. o.), im Peter von Staufenberg von Egenolf von Staufenberg (FB 26), in Heinrich Kaufringers Chorherr und Schusterin (FB 67c), in Der Schreiber (FB 117) sowie im Helmbrecht von Wernher dem Gärtner (FB 139). 189 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 201–212. 190 Die sog. Priapeia, in denen die – gegebenenfalls auch anthropomorphisierende – Darstellung von Genitalien einen besonderen Raum einnimmt, bilden eine Sondergruppe: „Gemeinsames Kennzeichen der wenigen hierher gehörigen Erzählungen ist die zentrale, manchmal sogar personhafte Rolle, die dem Genitale zugewiesen wird.“ (Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97); ausführlich zu diesem Themenkreis zuletzt Gerd DICKE, Mären-Priapeia [2002]; vgl. zudem Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos [2006], S. 223–238; exemplarisch auch Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden [2001]. – Neben den von Hanns FISCHER beispielhaft aufgeführten Texten Der Preller (FB 97), Der Striegel (FB 128), Der verklagte Zwetzler (FB 148), Das Nonnenturnier (FB 93) und Der Traum am Feuer von Heinrich von Landshut (FB 55) (vgl. Hanns FISCHER, ebd.), könnte auch die folgende Auswahl zumindest in die Nähe dieser Textgruppe gerückt werden: Der Pfaffe im Käskorb des Schweizer Anonymus (FB 4d), Der Gärtner Hod (FB 44), Der Herrgottschnitzer (FB 62) sowie die Hans Rosenplüt zugeschriebene Fassungsvariante Der Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b), Drei listige Frauen (B) (FB 67e) und Die Rache des Ehemannes (FB 67k) von Heinrich Kaufringer, Die Kohlen (FB 71), Die halbe Birne (A) (FB 74), die Hans Rosenplüt zugeschriebene Erzählung Spiegel und Igel (FB 105h) und ihre Fassungsvariante Der Spiegel (FB 126), des Weiteren von Hans Rosenplüt die Texte Der Hasengeier (FB 105d), Der fahrende Schüler (FB 105g) und Die Wolfsgrube (FB 105l), Die Nonne im Bade (FB 111a) von Peter Schmieher, Tor Hunor (FB 131), schließlich Jörg Zobels Untergeschobenes Kalb (FB 147b).

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nen,191 sind in diesem Zusammenhang zwei weitere motivische Komplexe bemerkenswert, in denen die Körperthematik in besonderer Weise sinnfällig wird: Es handelt sich dabei zum einen um die Darstellung des nackten, entblößten Körpers, der sich in unterschiedlichen Bedeutungskontexten präsentiert, zum anderen um die buchstäbliche Bezeichnung eines Körpers, der von einer anderen Figur mit einem Bild oder einem Zeichen bemalt bzw. beschriftet wird. Da beide Darstellungsvarianten im Textkorpus der Verserzählungen wiederholt aufgegriffen werden, möchte ich mich im Folgenden auf diese beiden Themenschwerpunkte konzentrieren: Anhand der Aspekte von ,Nacktheit‘ und ,Be-Zeichnung‘ soll zum einen der Frage nachgegangen werden, in welchem Grade bzw. in welcher Weise die männlichen und weiblichen Körper in den mittelhochdeutschen Verserzählungen zu Trägern kultureller Einschreibungen avancieren, zum anderen soll die Frage verfolgt werden, ob die in den einschlägigen Textbeispielen zur Darstellung gelangenden Prozesse von Bedeutungszuschreibung ihrerseits geschlechtlich codiert sind.

2.2.1 Der entblößte Körper Vergegenwärtigt man sich die ethisch-ästhetische Bewertung von Nacktheit im christlichen Mittelalter192, so steht außer Frage, dass der entblößte Körper im religiös geprägten Denken der Zeit in der Regel negativ bewertet wurde. Die biblische Anthropologie und insbesondere der Mythos vom Sündenfall bildeten die Grundlage für die pejorative Beurteilung des nackten Körpers, der gemeinhin als Sinnbild von Verführung und Sexualität galt (vgl. Gen. 3,7); er verwies so auf die conditio humana der Sündhaftigkeit und evozierte vielfältige Gefühle von Unwohlsein und Scham.193 Diese abwertende Ein-

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Vgl. hierzu den Exkurs in Kap. 2.2.2.a der vorliegenden Arbeit. Vgl. aus kulturwissenschaftlicher Sicht zum Thema ,Nacktheit‘ zuletzt den interdisziplinären Sammelband von Kerstin GERNIG (Hrsg.), Nacktheit [2002], mit einer Zusammenstellung einschlägiger Literaturangaben sowie die eher essayistisch-historische Studie von Jean-Claude BOLOGNE, Nacktheit und Prüderie [1999; dt. 2001]; vgl. zudem aus mediävistischer Erkenntnisperspektive den Beitrag von Robert JÜTTE, Der anstößige Körper [1992], den romanistischen Sammelband „Le Nu et le Vêtu au Moyen Age“ [2001] sowie den Tagungsband von Stefan BIEßENECKER (Hrsg.), „Und sie erkannten, dass sie nackt waren.“ [2008]. 193 Vgl. hierzu Klaus SCHREINER, Si homo non pecasset … , S. 59–68, 80–84; Kerstin GERNIG, Bloß nackt oder nackt und bloß?, S. 8, 11f.; Andreas KRAß, Geschriebene Kleider, S. 38–45. Zur Konstituierung von Scham in der früh- und hochmittelalterlichen Literatur vgl. grundlegend David N. YEANDLE, ,schame‘ im Alt- und Mittelhochdeutschen bis um 1210. – Die mittelalterliche Abwertung des nackten Körpers spiegelt sich beispielsweise in den zahlreichen mittelalterlichen Kleiderordnungen, die exakt festlegten, in welchem Ausmaß der Körper bekleidet sein musste, um nicht dem Verdikt der Schamlosigkeit anheimzufallen. – Aus Gründen der Vollständigkeit sei an dieser Stelle auf die wissenschaftshistorisch einflussreiche Debatte zwischen Norbert ELIAS und Hans-Peter DUERR über den Stellenwert von Nacktheit und Scham in der Vormoderne verwiesen (auf die 192

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schätzung prägte auch die spezifische Wahrnehmung des nackten Körpers im weltlichen Alltag: „Der Entkleidete entbehrte persönlicher Identität. Nacktheit, wie sie im sozialen und rechtlichen Leben des Mittelalters vorkam, bedeutete Entehrung und Strafe.“194 Dieser grundsätzliche Befund darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass man dem nackten Körper in bestimmten Kontexten auch durchaus positiv gesehen hat. Eine affirmative Bewertung konnte etwa in einem religiösen Bezugsrahmen erfolgen, wenn der entblößte Körper – wiederum in Anklang an die biblische Sündenfallgeschichte oder im Sinne einer imitatio Christi – als Sinnbild menschlicher Unschuld, als Zeichen einer asketischen, jenseitsorientierten Welthaltung oder als Symbol der Demut vor Gott inszeniert und gedeutet worden ist.195 Aber auch in intimen erotischen Situationen vermochte der entblößte Körper naturgemäß auf weitaus weniger Ablehnung zu stoßen als in anderen Zusammenhängen. Je nach Sinnkontext knüpften sich demzufolge unterschiedliche Assoziationshorizonte an das kulturelle Phänomen der Nacktheit.196 Jean-Claude BOLOGNE in seiner Monographie über „Nacktheit und Prüderie“ (vgl. ebd.) unverständlicherweise nicht eingeht). Ging es in diesem Disput um die Frage, ob die Geschichte der Nacktheit als zivilisatorischer Fortschrittsprozess zu bewerten sei, der u. a. an einer allmählichen Ausbildung eines Schamgefühls erkennbar werde (ELIAS), oder aber auf anthropologischen Konstanten basiere (DUERR), so ist unser Erkenntnisinteresse anders gelagert: In der vorliegenden Untersuchung soll es allein um eine Bestandsaufnahme narrativer Inszenierungen von Nacktheit im Korpus eines spezifischen literarischen Texttyps gehen, ohne daran anthropologische oder geschichtsphilosophische Reflexionen knüpfen zu wollen. Zur Debatte selbst vgl. Norbert ELIAS, Über den Prozeß der Zivilisation [1939]; Hans-Peter DUERR, Der Mythos vom Zivilisationsprozeß [1988–2002], hier insbesondere Bd. 1, Nacktheit und Scham [1988]. DUERR dient u. a. die Verserzählung über den Nackten Boten des Strickers (FB 127a), auf die wir unten näher eingehen werden, zur Demonstration seiner These von der Existenz eines ausgeprägten Schamgefühls in der mittelalterlichen Kultur; vgl. ebd., S. 31f. 194 Klaus SCHREINER, Gregor VIII., nackt auf einem Esel, S. 182; vgl. ebd. zur Entblößung als entehrendem Strafritual, insbesondere S. 181–190, sowie Jean-Claude BOLOGNE, Nacktheit und Prüderie, S. 155–184, 439–442; Andreas KRAß, Geschrieben Kleider, S. 202–205. 195 Vgl. z. B. Jean-Claude BOLOGNE, Nacktheit und Prüderie, S. 155f., 344–359, 374–382, 456–458; Andreas KRAß, Geschriebene Kleider, S. 193–202. 196 Rüdiger SCHNELL verweist für die mittelalterliche Gesellschaft auf folgende mögliche Bezugspunkte: „Nacktheit konnte assoziiert werden mit Armut (Bettler), mit Selbsterniedrigung (Eremiten, Asketen, Heilige), mit Schönheit und erotischem Begehren (Walthers von der Vogelweide Lied ,Under der linden‘), mit Schändung und Entehrung (vor allem bei Vergewaltigungen), mit Unzivilisiertheit und Animalität (Hartmanns Iwein), mit Gefährdung der öffentlichen Ordnung (Nürnberger Polizeiordnungen), schließlich mit Lasterhaftigkeit und Normwidrigkeit (Isidor, Etym. VIII 7,7).“ (Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 280f.). – Im Übrigen bot bereits die mittelalterliche Allegorese vier unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten von Nacktheit: Neben der negativ bewerteten nuditas criminalis im oben erläuterten Sinne sündhafter Blöße kannte sie die nuditas naturalis, den unschuldigen Zustand des Menschen vor dem Sündenfall, die nuditas temporalis, verstanden als asketischen Akt der Entsagung, sowie die nuditas virtualis, der von der Frau allegorisch verkörperten Reinheit; vgl. Kerstin GER-

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Der skizzierten Ambivalenz in der Wahrnehmung des entblößten Körpers entspricht die überaus komplexe ästhetische Codierung von Nacktheit in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, wie sie in der mittelalterlichen Kunst197 und Literatur198 generell sichtbar wird. Neben ethischen und religiösen Bedeutungsaspekten werden hier u. a. komische199, erzieherische200, erotische oder auch obszöne Assoziationen erweckt. Nicht NIG, Bloß nackt oder nackt und bloß?, S. 13, sich beziehend auf Gill SAUNDERS, The Nude, S. 9. Auf die Divergenz der Erscheinungsformen von Nacktheit im Mittelalter verweist auch Andreas HAMMER, Nacktheit an der Grenze. 197 Aus ikonographischer Perspektive vgl. O[skar] HOLL, [Art.] Nacktheit. 198 Die Anzahl der Publikationen zum Thema ,Nacktheit in der mittelalterlichen Literatur‘ ist nichtsdestotrotz als eher geringfügig einzuschätzen, erst in jüngster Zeit hat sich die Forschung diesem Thema zunehmend gewidmet; vgl. zur höfischen Epik – interpretatorisch sehr ergiebig – Andreas KRAß, Geschriebene Kleider, S. 209–231, neuerdings auch Kai LORENZ, da von er so hart enkam, das er nackend usz dem sloſſe sprang (zu Heinrich von dem Türlîns Diu Crône), sowie Silke WINST, Körper und Identität, und Friedrich WOLFZETTEL, Der defiziente arthurische Körper. Als inhaltlich wenig aussagekräftig erweist sich der Überblick über das Motiv der Nacktheit in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literatur bei Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 439–448; kaum ergiebiger ist die entsprechende Zusammenstellung bei Danielle BUSCHINGER, Le „nu“ dans quelques textes médiévaux allemands; BUSCHINGER streift hier, ohne weiter zu systematisieren, folgende Verserzählungen: Chorherr und Schusterin von Heinrich Kaufringer (FB 67c), Jacob Appets Der Ritter unter dem Zuber (FB 5), Der Pfaffe im Käskorb des Schweizer Anonymus (FB 4d), Drei listige Frauen (A) (FB 36), Der Herrgottschnitzer (FB 62) sowie den Nackten Boten (FB 127a) und den Nackten Ritter (FB 127o) des Strickers; vgl. ebd., S. 77–80, 84f. In einen größeren Theoriekontext stellt seine Überlegungen Albrecht CLASSEN, Naked Men in Medieval German Literature and Art, u. a. auch zum Nackten Boten (FB 127a) und zum Nackten Ritter (FB 127o). Maurice SPRAGUE, Erinnerungen an das Paradies, die Versuchung und den Sündenfall, geht unter dem Aspekt der Nacktheit in seiner Untersuchung auf Aristoteles und Phyllis (FB 6) ein sowie auf Die halbe Birne (A) (FB 74); bei diesen beiden Texten wird m. E. jedoch nicht Nacktheit i. e. S. thematisch. – Zur Darstellung der Nacktheit in den Fabliaux vgl. Marie-Thérèse LORCIN, Le nu et le vêtu dans les fabliaux. In einem teilweise übertragenen und eingeschränkten Sinne bezieht Karina KELLERMANN, Entblößungen, den verwendeten Titelbegriff auf literarische Tugendproben in der höfischen Epik. – Bemerkenswert ist, dass sich nicht in allen Genres der mittelhochdeutschen Literatur Darstellungen des nackten Körpers finden; in der höfischen Lyrik z. B. wird diese Darstellungsform nahezu gänzlich ausgespart; vgl. Stefan ZEYEN, … daz tet der liebe dorn, S. 180. 199 Als Belege für eine schwankhafte Verwendung des Motivs nennt SCHIRMER Die Martinsnacht des Strickers (FB 127m), Der Wiener Meerfahrt (FB 41), Drei listige Frauen (A; B; C) (FB 36; 67e; 30f), Der Pfaffe in der Reuse Heinrichs von Pforzen (FB 56) und Der Herrgottschnitzer (FB 62); vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 19. – In Der Wiener Meerfahrt des Freudenleeren (FB 41) allerdings ist nur in einem metaphorischen Sinne die Rede von einer Entblößung (vgl. FB 41, V. 56–64). 200 David BLAMIRES, Sexual comedy in the Mären of Hans Rosenplüt, S. 104 und S. 113, Anm. 40, verweist auf die Funktion von „nakedness as a punishment“ in folgenden Verserzählungen: Der fahrende Schüler (FB 105g), Der Herrgottschnitzer (FB 62), Der Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b), Drei listige Frauen (A; B; C) (FB 36; 67e; 30f), Des Hausknechts Rache (FB 52), Der Pfaffe in der Reuse (FB 56), Der Ritter im Hemde (FB 103), Der nackte Bote (FB 127a) und Der nackte Ritter (FB 127o).

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selten dient der entblößte – seiner kulturellen Einkleidung gleichsam beraubte201 – literarische Körper auch der Exemplifizierung des Natur-Kultur-Gegensatzes, wodurch er eine zentrale ordnungsstrukturierende Funktion erhält.202 Überblickt man die Darstellung von Nacktheit in der mittelhochdeutschen Verserzählung aus einer narratologischen Perspektive, so lassen sich zwei Textgruppen unterscheiden203: Es handelt sich zum einen um solche Texte, die das Motiv der Entblößung zum zentralen Sujet erheben, zum anderen um Texte, in denen das Motiv des nackten Körpers nur von nebensächlicher Bedeutung ist. Zur ersten Gruppe zählen mit dem Nackten Boten (FB 127a) und dem Nackten Ritter (FB 127o) zwei Texte des Strickers (der in immerhin dreien seiner sechzehn Verserzählungen204 einen entblößten Körper in Szene setzt), des Weiteren Der Ritter im Hemde (FB 103) aus dem 15. Jahrhundert, in dem das Motiv in ähnlicher Intensität zur Geltung gelangt. Nur eine einzige Verserzählung, in der ein weiblicher Körper nackt dargestellt wird, nämlich Des Hausknechts Rache (FB 52), dürfen wir zu dieser ersten Textgruppe rechnen; auch hier erhält das Motiv des entblößten Körpers eine handlungstragende Funktion. Die zweite Textgruppe, in der die Erwähnung des nackten Körpers vollständig auf den Status einer (zumeist unterhaltsamen) Marginalie reduziert wird, lässt sich, mit Ausnahme des Heinrich von Kempten (FB 73a) Konrads von Würzburg, wiederum in drei thematische Untergruppen aufgliedern: Nacktheit wird in diesen Verserzählungen entweder zur Demonstration von 201

Im Gegenzug spielt in zahlreichen Verserzählungen die Kleidung des Körpers als Bekleidung oder Verkleidung eine außerordentlich große Rolle; Beispiele werden in Kap. 4.1 der vorliegenden Arbeit genannt. 202 Im Hinblick auf die höfische Literatur um 1200 gilt der nackte Körper als literarisches „Symbol des Außerhöfischen“ (Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 19). SCHIRMER verweist in diesem Zusammenhang für die Verserzählungen u. a. auf den Bussard (FB 18), den Nackten Boten des Strickers (FB 127a) sowie Konrad von Würzburgs Heinrich von Kempten (FB 73a); vgl. ebd. – Am plausibelsten erscheint dieser Deutungsansatz wohl für die zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandene höfische Verserzählung Der Bussard (FB 18). Hier verfällt der englische Thronfolger aus Verzweiflung darüber, dass er sich im Wald verirrt hat und seine Geliebte, die mit ihrem Einverständnis entführte Tochter des französischen Königs, dort zurücklassen muss, kurzzeitig dem ,Wahnsinn‘: „Sîn leit, sîn jâmer was al[sô] stark, / da im hirn’ unde mark / Verswant, da er von sinnen kam.“ (FB 18, V. 605–607). Infolgedessen legt er seine Kleider ab und degeneriert zu einem tierhaften Wesen, dass sich auf allen vieren durch den Wald bewegt und mit der Zeit ein zottiges Haarfell entwickelt, später jedoch wieder zivilisiert und humanisiert werden kann (vgl. FB 18, V. 609–617; 769–822). Vgl. zu diesem Text in jüngerer Zeit Dirk MATEJOVSKI, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, S. 184–196, 354–356; Armin SCHULZ, dem bûsant er daz houbt abe beiz, insbesondere S. 442f., 446f.; allgemein zum Bussard (FB 18) Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] ,Der Bussard‘. 203 Nicht zu dieser Gruppe zählt aus gattungstypologischen Erwägungen indes Der nackte Kaiser von Herrand von Wildonie, den Christiane WITTHÖFT mit einer Reihe anderer kleinepischer Texte unterschiedlichster Gattungszugehörigkeit in meinen Augen leicht irreführend der ,Märendichtung‘ zurechnet; vgl. Christiane WITTHÖFT, Ritual und Text, S. 224–310. 204 Bei dem dritten Stück handelt es sich um Die Martinsnacht (FB 127m).

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Narrheit funktionalisiert (1), sie figuriert in parodistischer Absicht in religiösen Kontexten (2) oder sie wird eingesetzt, um Ehebruchszenen einen erotischen und / oder komischen Anstrich zu verleihen (3); diese drei Darstellungsmodi seien vorab kurz vorgestellt, bevor ich anschließend auf die einschlägigeren Verserzählungen eingehe. Bemerkenswert ist schließlich, dass bei nahezu allen aufgeführten Darstellungsvarianten205 das Thema der Nacktheit an den Körper der männlichen Protagonisten gebunden bleibt, wie wir noch sehen werden. Auf die wenigen Sonderfälle innerhalb der Texttradition, in denen der weibliche Körper als Objekt der Entblößung begegnet, richtet sich daher unser besonderes Augenmerk am Schluss dieses Kapitels. a.

Der entblößte Körper als Signum des Narren

In der Ikonographie des Narren, der sich mittelalterlichem Glauben zufolge durch seine Gottesferne auszeichnet, ist seit dem 13. Jahrhundert Nacktheit vereinzelt als Zeichen der Sündhaftigkeit belegt.206 Einschlägig für diese Verwendungsweise, bei der Nacktheit Torheit und Einfalt symbolisiert, ist im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen die in drei Fassungen überlieferte Erzählung von den Drei listigen Frauen (A (FB 36); B von Heinrich Kaufringer (FB 67e); C von Hans Folz (FB 30f)), bei der es sich laut Klaus GRUBMÜLLER um den „erfolgreichsten Stoff innerhalb der deutschen Märenliteratur“207 handelt. Es geht in diesem Text um drei Ehefrauen, die sich darin zu übertreffen versuchen, ihre Männer zum Narren zu halten.208 Die letzte von drei ausgeführten Listen besteht jeweils darin, dass eine der Frauen ihrem Ehemann weismachen will, er habe Kleider an, obwohl er de facto nackt ist; es gelingt ihr, ihn dazu zu bewegen, sich nackt in die Öffentlichkeit209 zu begeben, und zwar ausgerechnet in die Kirche des Dorfes (vgl. FB 36, V. 243–404; FB 67e, V. 399–542; FB 30f, V. 78–143); in allen Fällen – und hiermit geht die dritte List in der narratio der Fassungen B und C in einen ausdifferenzierten Schlussteil über – wird der übertölpelte Ehemann zum Gespött der Allgemeinheit.210 205

Die zur Gruppe der ,Priapeia‘ gehörenden Verserzählungen (vgl. Anm. 190 des vorliegenden Kapitels), zu der sich teilweise inhaltliche Überschneidungen ergeben, werde ich aufgrund ihrer spezifischen Thematik und Poetik hier nicht eigens berücksichtigen. 206 Vgl. W[erner] MEZGER, [Art.] Narr, Sp. 1024; zum Körper des Narren im Mittelalter allgemein vgl. Hans Rudolf VELTEN, Komische Körper. 207 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1292. 208 FISCHERS Einteilung zufolge gehören die Erzählungen zum Themenkreis der ehelichen Kraft- und Treueproben; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 96f. 209 Zur divergierenden Funktionalisierung von Öffentlichkeit in den unterschiedlichen Versionen der Verserzählung vgl. Corinna LAUDE, Manipulierte Öffentlichkeit in spätmittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 117–120. 210 MEINERS, RAAS und GRUBMÜLLER stellen dieses Motiv (Mot. J 2312), das in den drei Verserzählungen mit weiteren Motivbausteinen kombiniert wird, in einen engen Zusammenhang mit der Verwechslungsgeschichte von Des Kaisers neuen Kleidern, wie sie als Märchen von Hans Christian

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In der anonym und unikal überlieferten Fassung A aus dem Karlsruher Codex 408211 kann die Ehefrau ihren Mann davon überzeugen, dass sie sich darauf verstehe, einen überaus feinen und transparenten Stoff zu wirken, der nicht erkennbar sei (vgl. FB 36, V. 255–258); nachdem sie den Ehemann auf diese Weise neugierig gemacht hat, verspricht sie, so aufsehenerregend feingewirkte Kleider für ihn zu besorgen, dass nicht einmal er selbst sie sehen könne; er werde damit in der Kirche großen Eindruck schinden können (vgl. FB 36, V. 273–287; 304–314). Am nächsten Morgen verlangt sie von ihm, dass er seine alten Kleider ablegen möge und simuliert das Anlegen der neuen ,federleichten‘ Gewänder, die, so versichert sie ihm, nicht einmal durch Wind oder Regen spürbar wären (vgl. FB 36, V. 340–361; 377–382). Der eitle Ehemann folgt der Aufforderung seiner Frau letztlich nur allzu gern (vgl. FB 36, V. 362–370; 373; 383f.; 386– 390)212 und schreitet, nackt wie er ist, wenngleich „schamelich“ (FB 36, V. 395), vor aller Augen bis hin zum Altar (vgl. FB 36, V. 391–395; 399f.); die Kirchenbesucher nehmen dies übel auf (vgl. FB 36, V. 396), weichen vor ihm zurück (vgl. FB 36, V. 401) und verachten ihn hinfort als einen „unwisen man / der sinn noch witze nie gewan“ (FB 36, V. 403f.). Die um 1400 entstandene B-Fassung stammt von Heinrich Kaufringer und ist wie alle dreizehn Verserzählungen dieses Autors in dem vermutlich 1472 entstandenen Mün-

Andersen weithin bekannt ist; unmittelbare Parallelen sind allerdings nicht auffindbar; vgl. Irmgard MEINERS, Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, S. 66f.; Francis RAAS, Die Wette der drei Frauen, S. 236; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1293. – Weder in den motivverwandten Fabliaux Les trois Dames qui troverent l’Anel (NF 52) sowie Les trois Dames qui troverent l’Anel au conte II von Haiseau (NF 53) noch in der mittelhochdeutschen Verserzählung Drei buhlerische Frauen (FB 35) erscheint der in Rede stehende Motivbaustein von der unentdeckten Entblößung; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 177, 183, 185. – Zum Vergleich der unterschiedlichen Versionen der Drei listigen Frauen vgl. neben der umfassenden motivhistorischen Studie von Franics RAAS, Die Wette der drei Frauen, in chronologischer Folge Karl EULING, Studien über Heinrich Kaufringer, S. 83f.; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 177–192; Stephen L. WAILES, Social Humor in Middle High German Mären, S. 138–140; Jan-Dirk MÜLLER, Noch einmal: Maere und Novelle, S. 292–306, 308–311; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 228f., 329; Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 86–94; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1294–1296; Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 144–146; Klaus GRUBMÜLLER, Erzählen und Überliefern, S. 487–492; Gert HÜBNER, Hans Folz als Märenerzähler, S. 268–272; Corinna LAUDE, Manipulierte Öffentlichkeit in spätmittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 117–120; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 496–505. 211 Vgl. hierzu Karl-Heinz SCHIRMER, [Art.] ,Drei listige Frauen A‘. GRUBMÜLLER vermutet als Entstehungszeit die Mitte des 14. Jahrhunderts; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1292. Eine ausführliche Interpretation dieses Textes findet sich bei Francis RAAS, Die Wette der drei Frauen, S. 119–144. 212 Jan-Dirk MÜLLER interpretiert die Bereitwilligkeit des Bauern, seiner Frau entgegen der eigenen Wahrnehmung zu folgen, als unstandesgemäßes Streben nach Ehre; vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Noch einmal: Maere und Novelle, S. 296.

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chener Codex Cgm 270 unikal überliefert (vgl. FB 67e).213 In dieser Version wird die aberwitzige Intrige noch gesteigert – und zwar insofern, als die Bäuerin, die ihren Mann durch ihre bloßen Überredungskünste214 von seiner Nacktheit zu überzeugen versteht (vgl. FB 67e, V. 409–449), in der Kirche die Hoden des Nackten mit einem Messer abtrennt; motiviert wird dies dadurch, dass er sich in dem Glauben wägt, es würde sich dabei um seinen Geldbeutel handeln, den zu öffnen ihm nicht gelänge (vgl. FB 67e, V. 457–477).215 Der kastrierte Mann tobt vor Schmerz (vgl. FB 67e, V. 478–483; 491– 495), „sam er hett sein sinn verlorn“ (FB 67e, V. 481), so dass das trügerische Szenario einer Totenmesse, das in der Kirche von den drei Frauen in Szene gesetzt worden ist, sich in ein allgemeines Chaos auflöst. Die drei genarrten Männer flüchten aus der sozialen Gemeinschaft in den unzivilisierten Wald (vgl. FB 67e, V. 480–542), womit die narratio endet und abbricht. Insgesamt zeichnet sich die relevante Passage bei Kaufringer durch einen weitaus zielgerichteteren und deutlich weniger an äußerer Motivierung interessiertem Erzählduktus aus, denn es fehlt hier beispielsweise das Detail der transparenten Gewänder. Zugleich zeigt sie sich jedoch stärker um eine realistische Psychologie bemüht, wenn etwa die Entscheidung des Ehemannes, das Haus nackt zu verlassen, u. a. auch mit Zeitmangel und Furcht vor seiner Frau begründet wird (vgl. FB 67e, V. 418f.; 433; 444f.).216

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Zu Heinrich Kaufringer allgemein vgl. Paul SAPPLER, [Art.] Kaufringer, Heinrich; zum schriftlichen Überlieferungsverbund seiner Verserzählungen zuletzt Jana SANDER, Ohne Zweifel von dem Verfasser des Vorherigen, passim. Zum Textverständnis vgl. grundlegend Francis RAAS, Die Wette der drei Frauen, S. 144–169. 214 Vor dem Hintergrund der Sprechakttheorie untersucht Maria E. MÜLLER, Böses Blut, S. 154–156, die vorliegende Erzählung. 215 BACHORSKI sieht – vielleicht ein wenig unscharf – in dieser Kastration eine Steigerung dessen, was mit der Entkleidung und den Listen der anderen beiden Frauen bereits symbolisch erfolgt sei, nämlich „zu amputieren, was Zeichen – oder spezifische Qualität – von Männlichkeit sein könnte. […] Was hier vollzogen […] wird, sind alles Schritte zum biologischen wie zum sozialen Tod des Mannes“ (Hans-Jürgen BACHORSKI, Das aggressive Geschlecht, S. 272f.). Auf diese Leitmotivik sowie auf den bemerkenswerten Befund, dass in der breiten Stofftradition der Drei listigen Frauen die Kastrationsszene ausschließlich bei Heinrich Kaufringer erscheint, verweist ebenso Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 271f.; zur Kastrationsszene als der einzigen in unserem Textkorpus, in der kein Geistlicher von einer anderen Person kastriert wird, vgl. ferner Susan TUCHEL, Kastration im Mittelalter, S. 265–269; Albrecht CLASSEN, Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Unterdrückung und Sexualität, S. 17–19; André SCHNYDER, Zum Komischen in den Mären Heinrich Kaufringers, S. 65– 67; WILLERS hingegen hebt in diesem Kontext auf die Parallelität von Nacktheit und Erkenntnislosigkeit sowie sozialer Ortlosigkeit ab; vgl. Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 140f. und Anm. 219 sowie Anm. 220. Zuletzt hat Johannes KELLER, Comique et violence, insbesondere S. 204–209, die Szene ausführlich unter dem Aspekt des Komischen analysiert. 216 Vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Noch einmal: Maere und Novelle, S. 299. Allerdings sehe ich, anders als MÜLLER, kein Indiz für eine Trunkenheit des Mannes; vgl. ebd. – Mit der mangelnden Erkenntnis der wahren Geschehensvorgänge seitens der Öffentlichkeit arbeitet LAUDE einen weiteren Diffe-

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In der C-Fassung bei Hans Folz217 schließlich, dem insgesamt achtzehn Verserzählungen zugeschrieben werden, ist die entsprechende Episode wiederum verkürzt218, und die drei Ehemänner klären einander am Schluss gegenseitig über ihre Dummheit auf. Das auslösende Moment für die wechselseitige Selbsterkenntnis ist der Griff des Nackten an sein „geschyrr“ (FB 30f, V. 114), nachdem er dort – wie bei Heinrich Kaufringer – vergeblich seinen Geldbeutel gesucht hat (vgl. FB 30f, V. 110–120). Die drei Männer bezeichnen sich daraufhin wechselseitig als „narr“ (FB 30f, V. 119) oder aber als „dor“ (FB 30f, V. 140). Symbolisiert die Entkleidung eines Menschen und seine Reduzierung auf den nackten Körper in diesen Verserzählungen den Verlust seines Verstandes, so geht mit dieser motivischen Verwendung eine assoziative Verknüpfung von Kleidung, Geist und Kultur auf der einen und Entkleidung, Körper und Natur auf der anderen Seite einher, ohne dass damit jedoch schon eine geschlechtsspezifische Codierung insinuiert würde. Entscheidend ist vielmehr die doppelte narrative Funktion, welche die Inszenierung des nackten Körpers hier zu erfüllen hat: Denn zum einen bestätigt und aktualisiert die Präsentation des nackten Körpers symbolisch die Dummheit der Ehemänner, zum anderen konstituiert sie gesellschaftlich allererst ihren Narrenstatus durch ihre öffentliche Zurschaustellung. Die ,semiotische Flexibilität‘, die in diesen zeichenhaften Entblößungsszenen sichtbar wird, obliegt in allen Fassungen, entsprechend der von Mark CHINCA erstellten genretypischen Regel, den agierenden Frauen219, die hier als alleinige Handlungssubjekte auftreten. Wenn in den Drei listigen Frauen solchermaßen der nackte Körper in Szene gesetzt wird, um einen anderen Menschen zum Narren zu halten, kann sich die selbstgewählte

renzpunkt zu Kaufringer heraus; vgl. Corinna LAUDE, Manipulierte Öffentlichkeit in spätmittelalterlichen Verserzählungen, S. 119f. 217 Zum Autor vgl. Johannes JANOTA, [Art.] Folz, Hans; zu seinen Verserzählungen vgl. ebd., Sp. 782– 784; Rüdiger KROHN, Hans Folz; zu seinem Erzählkonzept zuletzt Gert HÜBNER, Hans Folz als Märenerzähler. – Die C-Version der Drei listigen Frauen (FB 30f) liegt in zwei gedruckten Fassungen vor (1. Auflage: um 1480/81; 2. Auflage: um 1488), für deren Drucklegung Hans Folz selbst verantwortlich zeichnete (zu Hans Folz’ Tätigkeit als Drucker vgl. Ursula RAUTENBERG, Das Werk als Ware; John L. FLOOD, Hans Folz zwischen Handschriftenkultur und Buchdruckerkunst). Ich beziehe mich hier auf die längere Erstfassung, die zudem in einer weiteren handschriftlichen Version vorliegt; die Zweitredaktion kürzt erheblich, verändert aber den uns interessierenden Teil der Geschichte nicht sinngemäß; zu weiteren Abweichungen vgl. Jan-Dirk MÜLLER, Noch einmal: Maere und Novelle, S. 301–304, 310f.; Jörn REICHEL, Hans Folz als Bearbeiter eigener Märendrucke, passim; zur Textinterpretation vgl. schließlich Francis RAAS, Die Wette der drei Frauen, S. 169–196. 218 Die Ehefrau macht ihrem Mann die Nacktheit dadurch plausibel, dass sie behauptet, er hätte sich in betrunkenem Zustand mit seinen Kleidern ins Bett gelegt, was er wegen seiner Schlaftrunkenheit nur nicht realisieren würde; überdies tut sie so, als ob sie ihm die Bettfedern von seinem Gesäß streichen würde (vgl. FB 30f, V. 80–103). 219 Vgl. Mark CHINCA, The body in some Middle High German Mären, S. 195f., sowie Anm. 186 des vorliegenden Kapitels.

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Entblößung umgekehrt als ein probates Mittel erweisen, um sich selbst zum Narren zu stilisieren.220 Besonders sinnfällig wird dies in der Konrad von Würzburg zugeschriebenen Halben Birne (A) (FB 74)221: Hier verkleidet sich der Protagonist als Narr, um sich an der von ihm vergeblich umworbenen Prinzessin für eine öffentliche Bloßstellung (!) seiner Person zu rächen. Zur Kostümierung dieses ,künstlichen‘ Narren222 bzw. ,verstellten Narren‘223 gehören ein lediglich knielanges Gewand (vgl. FB 74, V. 181) sowie der Verzicht auf Schuhe und Unterwäsche (vgl. FB 74, V. 259); dies reicht dazu hin, um von den Damen des Hofes, an dem er sich aufhält, als blôz, d. h. nackt, wahrgenommen zu werden (vgl. FB 74, V. 232).224 Die Nacktheit erscheint hier also in der Funktion eines konventionalisierten Zeichens, das einen Narrenstatus, welcher der fiktionalen Realität nicht entspricht, lediglich vortäuschen soll. b.

Der entblößte Körper als Ausdruck von Askese

Der zweite Bezugsrahmen, in dem sich männliche Nacktheit in den mittelhochdeutschen Verserzählungen als Nebenmotiv findet, ist ein religiös-theologischer Denkhorizont. 220

Zum Motiv des verstellten Narren in der mittelalterlichen Literatur vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1096. 221 Vgl. hierzu Kap. 2.1.1.c der vorliegenden Arbeit. 222 Die Unterscheidung zwischen ,künstlichen‘ Narren, die bloß eine Rolle übernehmen, und ,natürlichen‘ Narren, denen der Narrenstatus dauerhaft zugeschrieben wird, entspricht mittelalterlichen Gepflogenheiten. Als ,natürliche‘ Narren ließen sich so die übertölpelten Männer in den Drei listigen Frauen (A; B; C) (FB 30f; 67e; 36) bezeichnen; vgl. W[erner] MEZGER, [Art.] Narr, Sp. 1024. 223 Es handelt sich hierbei um ein tradiertes literarisches Motiv; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1096. 224 Wenn es im weiteren Handlungsverlauf zu einer sexuellen Begegnung zwischen dem Ritter und der von ihm umworbenen Prinzessin des Hofes kommt (vgl. FB 74, V. 262–395), so überlappt sich die Funktion des literarischen Motivs des Nacktheit, eine Figur als Narren auszuweisen, mit seiner erotischen Indienstnahme. – GRUBMÜLLER hebt für die betreffende Szene die Bedeutung der körperlichen Attraktivität des Ritters hervor, die zuvor bereits im Rahmen des Turnierkampfes deutlich geworden sei; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 205f. Aus dieser Sicht gewönne die Präsentation des nackten Körpers sogar einen positiven Nebensinn im Hinblick auf die in dieser Verserzählung problematisierte Identitätskonstitution des männlichen Ritters. – In der späteren B-Fassung des Textes von Hans Folz, Die halbe Birne (B) (FB 30c), ist der Ritter in der Narrenrolle offensichtlich weitaus weniger leicht bekleidet, denn die Königstochter muss ihn zuerst entkleiden, bevor sie sich mit ihm vergnügen kann (vgl. FB 30c, V. 139). – In der fragmentarisch überlieferten Verserzählung Der arme Bäcker (FB 30a), ebenfalls von Hans Folz, liegt indes eine ganz ähnliche Erzählkonstellation vor wie in der Halben Birne (A) (FB 74): Ein Bäcker schlüpft in die Narrenrolle, um sich an einer Adligen zu rächen, die ihn zuvor gedemütigt hat; vor den Frauen des Hofes lüpft er sein Gewand, unter dem er weitgehend entblößt zu sein scheint (vgl. FB 30a, V. 47–87). Da der Schluss des Textes fehlt, ließe sich über einen Fortgang der Handlung nur spekulieren. – Vergleichbar wäre in gewisser Hinsicht auch die entsprechende Entblößungsszene im Bussard (FB 18); vgl. hierzu Anm. 202 des vorliegenden Kapitels.

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Ganz ähnlich wie in der Halben Birne (A) (FB 74) liegt der Fall in der Verserzählung Die Martinsnacht des Strickers (FB 127m), wenn ebenfalls eine Entblößung des eigenen Körpers gezielt dazu eingesetzt wird, um eine andere Person hereinzulegen. In dieser Erzählung entschließt sich ein Dieb spontan dazu, seine Kleider abzulegen (vgl. FB 127m, V. 31–35), um dem betrunkenen225 Bauern, in dessen Stall er in der Martinsnacht eingedrungen ist, weiszumachen, er sei der heilige Martin. Die Entblößung ist dabei nur ein Teil einer Gesamtinszenierung (vgl. FB 127m, V. 34–72), die der Eindringling vollzieht, um sich die Aura des Heiligen zu verleihen. Durch seine List gelingt es dem Dieb, dem vertrauensseligen Bauern glaubhaft zu machen, er sei der heilige Martin; darüber hinaus animiert er ihn dazu, das von ihm veranstaltete Trinkgelage weiter auszudehnen, so dass er selbst ungeschoren entkommen kann. Weil er dem Bauern versichert, seinen Stall durch seinen Segen vor Dieben zu schützen, vermag er noch in der gleichen Nacht mit seinen Gefährten einen Großteil der Tiere des Bauern unbehelligt zu stehlen (vgl. FB 127m, V. 171–175).226 Mehrere Faktoren tragen in dieser strickerschen Verserzählung zu einer Marginalisierung der Entblößungsszene bei, so dass das Motiv letztlich in seiner Brisanz entschärft wird:  Bedeutsam ist zunächst, dass die Präsentation der Nacktheit, insofern sie in einen – wenngleich fingierten – religiös-theologischen Kontext eingebettet ist, in dem Blöße als Zeichen von Armut und Askese gelten kann, nicht notwendig als anstößig empfunden werden muss; dies gilt umso mehr, als sie hier mit der Vorstellung von Mildtätigkeit und Barmherzigkeit in Verbindung gebracht wird.227  Des Weiteren erhält die Szene aufgrund ihres quasireligiösen Charakters zumindest aus der Perspektive des Bauern ein visionäres Gepräge.  Relativierend kommt hinzu, dass die eigentümliche Begegnung im Stall, die in einem bäuerlichen und damit außerhöfischen Milieu angesiedelt ist, nur unter vier (männlichen) Augen und somit gleichsam unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

225

Die Trunkenheit des Bauern kann mit dem bereits für das Mittelalter bezeugten Brauch, am Martinstag zu Ehren des Heiligen Wein zu trinken (,Minnetrinken‘), in Verbindung gebracht werden; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 298; ferner U[lrich] MATTEJIET, [Art.] Minnetrinken. – Zum Motiv der Trunksucht in den kleinepischen Texten des Strickers allgemein vgl. Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 113–116. 226 Die Martinsnacht (FB 127m) liest sich damit partiell als eine Parodie der Martinslegende, die davon handelt, dass der heilige Martin von Tours einem nackten Armen die Hälfte seines Mantels abtritt und in der darauffolgenden Nacht eine Christuserscheinung hat; die verschenkte Mantelhälfte wird nun von Christus selbst getragen; vgl. Hiltgart L. KELLER, Reclams Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten, S. 418f. Auf diese hagiographische Entblößungsszene will Birgit BEINE die entsprechende Passage bezogen wissen; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 299 und Anm. 67; vgl. ebenso Michael WALTENBERGER, Situation und Sinn, S. 307, Anm. 44. 227 Vgl. zu diesem mittelalterlichen Deutungsmodell Robert JÜTTE, Der anstößige Körper, S. 119.

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 Schließlich befindet sich der Bauer aufgrund seines alkoholisierten Zustandes selbst in einer so desolaten körperlichen Verfassung, dass der Makel der Nacktheit demgegenüber kaum ins Gewicht fällt. All diese Faktoren führen im Ergebnis dazu, dass der Entblößungsszene in der Martinsnacht (FB 127m) nahezu jeglicher soziale Zündstoff genommen wird228; infolgedessen bleibt sie für den Fortgang der Handlung weitgehend unerheblich.229 Dies gilt zunächst einmal unabhängig von der Komik, die auf der Erzähl- und Rezeptionsebene des Textes durch die fast schon groteske Szenerie erzeugt wird.230 Als Zeichen von Demut, und insofern ebenfalls mit einem religiös-theologischen Kontext assoziiert, erscheint Nacktheit darüber hinaus in der unikal im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts überlieferten Verserzählung Die zwei Beichten (B) (FB 13)231, die Hanns FISCHER zum Themenkreis „,Eheliche Kraft- und Treueproben‘“232 zählt. Eingebettet in eine dialogische Erzählstruktur beichten sich zwei Ehepartner in dieser Verserzählung einander ihre ,Liebessünden‘: Weil die Ehefrau ihren Mann davon überzeugen kann, dass sie sich auf immerhin zwölf Liebhaber nur zu seinem eigenen Nutzen eingelassen habe (vgl. FB 13, V. 19–138), erteilt er ihr nach ihrer Beichte, die schier nicht enden zu wollen scheint233, seine persönliche ,Absolution‘ (vgl. FB 13, V. 139– 146). Im Gegensatz dazu stellt die Ehefrau als Buße für die nur unbedeutende ,Sünde‘ ihres Mannes, die Hand der Magd ergriffen und dabei Lust empfunden zu haben (vgl. FB 13, V. 149–154), einen umfangreichen Bußkatalog auf234, der jedoch schließlich auf

228

Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass die Szene keine entsprechende Wirkung auf die mittelalterlichen Rezipienten gezeitigt hätte. 229 Interessant zu untersuchen wäre freilich, ob eine solche Darstellung im Hinblick auf eine weibliche ,Heilige‘ ebenfalls denkbar gewesen wäre; mangels entsprechender Textbeispiele muss diese Frage jedoch unbeantwortet bleiben. 230 Vgl. hierzu Sebastian COXON, das geschach zu ainer fasnacht, S. 201–203; Walter HAUG, Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten, S. 15f.; dieser verurteilt aus ästhetischer Sicht das überflüssige Epimythion; ebenso führt Hedda RAGOTZKY an, dass die im Epimythion formulierte Warnung vor Dieben (vgl. FB 127m, V. 199–214) dem poetischen Anspruch des Textes nicht gerecht werde; vgl. Hedda RAGOTZKY, Die ,Klugheit der Praxis‘ und ihr Nutzen, S. 59. 231 Vgl. Alwine SLENCZKA, [Art.] ,Die zwei Beichten‘ B, Sp. 1616. – Für unser Erkenntnisinteresse ist die Erzählung Die zwei Beichten (A) (FB 12) nicht weiter von Belang, da der Aspekt der Entblößung darin keine Rolle spielt; vgl. hierzu Werner SCHRÖDER, [Art.] ,Die zwei Beichten‘ A. – Eine ausführliche Analyse der Fassungen und Varianten unter geschlechtsspezifischer Perspektive bietet Ann Marie RASMUSSEN, Gender und Subjektivität im Märe Die zwei Beichten (A und B). 232 Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 96. 233 Zur Erzähltechnik vor allem in der A-Version vgl. W[erner] SCHRÖDER, Additives Erzählen in der Mären-Überlieferung, S. 187f., 195–202; kritisch hierzu Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 458f., Anm. 5; zur rhetorischen Finesse der Argumentation vgl. ferner Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 236. 234 Zuerst fordert die Frau von ihm als spiegelnde Strafe das Abhacken seiner Hand (FB 13, V. 156), dann eine Pilgerfahrt nach Rom (FB 13, V. 177f.).

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die Forderung reduziert wird, dass sich ihr Mann nackt vor dem Kruzifix ausstrecken solle, damit sie ihn züchtigen könne: „für das kreuz leg dich dimütiklich / nacket, so wil ich schlahen dich.“ (FB 13, V. 191f.). Erst als der Ehemann seine tiefe Reue bekundet und sich im Sinne einer imitatio Christi bereit erklärt hat, alle geforderten Leiden auf sich zu nehmen (vgl. FB 13, V. 193–196), lässt die Ehefrau von ihrem Ansinnen ab. Die Entblößung und Geißelung des Körpers235, die hier zugleich als Entehrung und Bestrafung erscheinen, werden folglich nur angedroht, nicht jedoch erzählerisch ausgestaltet. Wenn die Erzählung sodann abrupt mit ,Segen‘ und Absolution der Ehefrau endet (vgl. FB 13, V. 197–204)236, wird der spielerische Einsatz der Geschichte wieder vollständig eingeholt. c.

Der entblößte Körper als Corpus Delicti des Ehebruchs

Wie bei den ersten beiden Darstellungsvarianten erweist sich das Motiv des nackten männlichen Körpers, sofern es in eine Ehebruchhandlung eingebettet ist, ebenfalls als ein für den Handlungsfortgang entbehrliches bzw. mehr oder minder beliebig austauschbares narratives Element. In Jacob Appets Verserzählung Der Ritter unter dem Zuber (FB 5)237, die hier beispielhaft angeführt werden kann, muss sich etwa ein Ritter im Hause seiner verheirateten Liebhaberin nackt unter einem Bottich verstecken (vgl. FB 5, V. 175–182)238, um nicht in flagranti beim Ehebruch ertappt zu werden. Erst als der Ehemann und seine Brüder, abgelenkt durch ein künstlich gelegtes Feuer, das Haus verlassen haben, kann die Ehefrau den Ritter unbemerkt durch die Hintertür hinausmanövrieren, nachdem sie ihm zuvor noch seine Kleider in die Hand gedrückt hat (vgl. FB 5, V. 384–390).239 Der Reiz der Fabel liegt hier in der Auserzählung der spannungs-

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Ähnlich der Züchtigungsthematik im Rahmen der Pferd-Reiter-Geschichten, die wir in Kap. 2.1 besprochen haben, eignet dieser Strafmaßnahme ebenfalls ein sexueller Subtext, der dem erotischen Grundthema der Verserzählung entspricht. 236 Die zwei Beichten (A) (FB 12) endet damit, dass die Frau ihren Mann blutig schlägt, woran sich in den drei Handschriften, in denen der Text überliefert ist (klw5), jeweils unterschiedliche Schlüsse anfügen; vgl. Werner SCHRÖDER, [Art.] ,Die zwei Beichten‘ A, Sp. 1615. 237 Der Text ist wohl vor 1300 im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 185f.; Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] Appet (Abt), Jakob, Sp. 414; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1203f. Vgl. weiterführend zu diesem Text die philologischen Untersuchungen von Russell Wieder GILBERT, Jacob Appet, Der Ritter underm Zuber. 238 In dem motivverwandten französischen Fabliaux Le Cuvier (NF 43) wird nicht klar, ob der Liebhaber zu diesem Zeitpunkt noch nackt ist oder nicht; es ist hierin lediglich davon die Rede, dass die Frau sich ankleidet; vgl. Russell Wieder GILBERT, Jacob Appet, Der Ritter underm Zuber, S. 98, Anm. zu V. 77; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 164, Anm. 6. 239 GRUBMÜLLER interpretiert diese Szene als unwürdigen Auftritt, insofern die Kleider zeichenhaft den höfischen Status des Ritters markieren würden; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 204; vgl. ebenso Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 268.

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vollen Situation, dass der nackte Ritter in seinem Versteck jederzeit aufgefunden werden kann.240 Eine nicht gerade seltene Fallkonstellation innerhalb des vorliegenden Textkorpus, auf die es deshalb an dieser Stelle eigens einzugehen gilt, stellt die Entblößung eines ehebrecherischen Pfaffen dar. Beispielhaft mag hierfür die in acht Handschriften vollständig und damit recht breit bezeugte Verserzählung Der Pfaffe in der Reuse (FB 56) von Heinrich von Pforzen aufgeführt werden, die vermutlich aus dem 14. Jahrhundert stammt.241 In dieser Erzählung flüchtet sich ein Kaplan vor dem betrogenen Ehemann in eine Reuse über dem Herd (vgl. FB 56, V. 151–165), als er beim Ehebruch mit einer Fischersfrau entdeckt zu werden droht, während seine Liebhaberin seine Kleidung in einer Truhe versteckt (vgl. FB 56, V. 166–170). Als der Fischer, der Ehemann, das Herdfeuer schürt, muss der nackte Pfaffe in seinem Versteck förmlich Höllenqualen erdulden (vgl. FB 56, V. 192–221). Anders, als dies bei weltlichen Ehebrecherfiguren die Regel zu sein pflegt, wird er jedoch am nächsten Tag aufgefunden und von dem wütenden Fischer zu ihrem gemeinsamen Herrn gebracht (vgl. FB 56, V. 222–331). Dieser hatte dem Fischer aus weiser Voraussicht zuvor aufgetragen, die Reuse über dem Herd aufzuhängen (vgl. FB 56, V. 34–97). Als der Fischer seinen ,Fang‘ auf einem Karren zur Burg fährt, duckt sich der rußbedeckte Pfaffe vor Scham darauf zusammen: „ein hant luoc er vür die cham; / diu ander was der ougen dach. / dem pfaffen nie o leit gechach“ (FB 56, V. 336–338). Erst nachdem er dem Herrn und seinem Gefolge zum Gespött vorgeführt worden ist, erhält er von der Burgherrin seine Kleider zurück, muss als Strafe jedoch seinen Besitz aufgeben und das Land verlassen (vgl. FB 56, V. 342–378).

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Eine ganz ähnliche Konstellation findet sich in Heinrich Kaufringers Verserzählung Die zurückgelassene Hose (FB 67f), in der ein Mann während eines nächtlichen Stelldicheins das Haus seiner Geliebten plötzlich verlassen muss, als der Ehemann unerwartet zurückkehrt. Der Liebhaber kommt nicht mehr dazu, seine Hose anzuziehen, und muss deshalb ohne Beinkleider aus dem Fenster entfliehen (vgl. FB 67f, V. 1–17). Durch eine List gelingt es der geschickten Ehefrau schließlich, ihren misstrauisch gewordenen Mann so weit zu beruhigen, dass sie dem Geliebten die Hose hinterherwerfen kann; dieser nimmt sie vor dem Fenster fröhlich in Empfang (vgl. FB 67f, V. 51– 56). Der Umstand seiner Nacktheit wird jedoch nicht weiter expliziert. – In der Hose des Buhlers von Hans Folz (FB 30g) hingegen gibt ebenfalls nur das Requisit einer zurückgelassenen Hose Zeugnis von einem begangenen Ehebruch, wohingegen die Figur des Liebhabers selbst in dieser Erzählung gar nicht erst in Erscheinung tritt (vgl. FB 30g, V. 29 u. ö.). – Zum Vergleich beider Texte, die laut FROSCH-FREIBURG keine Verwandtschaft untereinander aufweisen, vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 223f.; vgl. weiterführend Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 81–86; Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 132f. 241 Vgl. Johannes JANOTA, [Art.] Heinrich von Pforzen; zu den philologischen Grundlagen vgl. weiterführend die Erläuterungen in der Edition von Klaus WOLLENWEBER, Zwei Mären des Spätmittelalters, Bd. 1, S. 105–165; inhaltlich zuletzt Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 345–352.

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In dieser wie in allen weiteren Verserzählungen, in denen ein Geistlicher beim Ehebruch ertappt wird242, zieht die unfreiwillige Entblößung aufgrund des zölibatären Status der Betroffenen eine ungleich größere Schmach nach sich, als dies bei weltlichen Figuren der Fall zu sein scheint.243 Folglich ist diese Form der Darstellung von Nacktheit, die häufig mit einer körperlichen Besudelung der Pfaffenfigur einhergeht244, nicht bloß auf ihre schwankhafte Unterhaltungsfunktion zu reduzieren, sondern birgt überdies ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftskritisches Potential. Die Nacktheit eines Geistlichen steht symbolisch für die Bloßstellung eines ganzen Standes, indem sie seine Vertreter als leicht zu übertölpelnde Narren kennzeichnet, die ihre geistliche Autorität und damit ihr gesellschaftliches Ansehen leichtfertig verspielen.245 Das Problem der identitätskonstituierenden êre, das – wie hier deutlich geworden ist – bei der Darstellung des nackten Körpers stets mitschwingt, soll uns bei den folgenden Lektüren beschäftigen. 242

Die Nacktheit des Pfaffen wird im Herrgottschnitzer (FB 62) im Kontext einer fingierten Ehebruchszene zwar nicht explizit benannt, erscheint jedoch aus dem Handlungskontext rekonstruierbar (vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 292; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 146); der Verweis darauf, dass der Pfarrer nach dem (inszenierten) Aufdecken seines Vorhabens flieht und neben „sins guotes“ „der stet und ouch des landes, / und ouch sins guoten gewandes“ (vgl. FB 62, V. 220–222) verlustig gehe, ließe sich hinsichtlich der aufgegebenen Kleidung sowohl auf die vorausgegangene Ehebruchszene beziehen (vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 109, Anm. 2) als auch auf seinen zukünftigen Besitzverlust (vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 74). GRUBMÜLLER verweist darauf, dass der Text in einem Teil der Überlieferung ,zensiert‘ worden ist, indem die brisanten Stellen im Manuskript verstümmelt worden seien; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 150f. – In gleicher Weise kann die entsprechende Szene im motivverwandten Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b) gedeutet werden, wo allerdings nicht auf einen Kleiderverlust verwiesen wird, da sich der Geistliche hier durch eine Geldzahlung von einer wieteren Verfolgung freikaufen kann (vgl. FB 105b I / II, V. 113–124); dennoch gilt: „Here we have again the motifs of nudity as a punishment and of dirtying as a degradation.“ (David BLAMIRES, Sexual comedy in the Mären of Hans Rosenplüt, S. 105). – Vgl. zudem Hans Rosenplüts Fahrenden Schüler (FB 105g I, V. 145f.; II, V. 141f.), Heinrich Kaufringers Rache des Ehemannes (FB 67k, V. 232–235), den Pfaffen im Käskorb des Schweizer Anonymus (vgl. FB 4d, V. 55–57). 243 Vgl. zur häufigeren Straflosigkeit des Ehebruchs Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 273. 244 Vgl. zu weiteren Beispielen Kap. 2.2.2.a der vorliegenden Arbeit. 245 Vgl. zu diesem Interpretationsansatz ausführlicher Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 311– 313; vgl. auch ebd., S. 147, wo die Verfasserin im Hinblick auf den Herrgottschnitzer (FB 62) – auf der Basis von Bernhard SCHIMMELPFENNIG, Die Degradation von Klerikern im späten Mittelalter – zudem auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der literarischen Entblößung und der spätmittelalterlichen kirchenrechtlichen Strafmaßnahme für einen Zölibatsbruch und ähnliche Vergehen verweist. Es handelt sich hierbei um die Degradation, bei der die Rückversetzung eines Priesters in den Laienstand mit einer symbolischen Entkleidung einhergegangen sei; durch sein unwürdiges Verhalten, so BEINES These, führe der Pfaffe im Herrgottschnitzer (FB 62) seine Degradation gleichsam selbst herbei; vgl. ähnlich auch Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 450.

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d.

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Der Stricker: Der nackte Ritter (FB 127o)

Thema dieser kurzen sechsfach überlieferten Verserzählung im Umfang von nur ca. 100 Versen, die wie alle kleinepischen Texte des Strickers nicht genauer datiert werden kann als im Zeitraum zwischen 1220 bis 1250246, ist auf der Textoberfläche das richtige Verhalten von Gast und insbesondere Gastgeber nach Maßgabe höfischer Werte und Normen. Ein angesehener Ritter, dem sein ausgezeichneter Ruf vorauseilt (vgl. FB 127o, V. 6), findet auf einer Fahrt Unterkunft bei einem ihm unbekannten Gastgeber (vgl. FB 127o, V. 1–7), über dessen gesellschaftlichen Status weiterhin keinerlei Aussagen getroffen werden.247 Dieser nimmt den Ritter – vielleicht nicht ganz uneigennützig, wie der Text insinuiert248 – äußerst zuvorkommend auf, worüber sich der durchnässte und frierende Reisende als überaus dankbar erweist (vgl. FB 127o, V. 8f.). Der Hausherr beauftragt seinen Koch, ein vorzügliches Abendessen herzustellen (vgl. FB 127o, V. 14f.), zudem lässt er eigens für den Fremden ein wärmendes Feuer in der Stube entfachen (vgl. FB 127o, V. 16f.; 22–26); ferner erweist er dem Gast seine besondere Ehrerbietung dadurch, dass er ihn von seiner Familie mit Begrüßungsküssen höflich empfangen lässt (vgl. FB 127o, V. 12f.), um ihm sodann die Gesellschaft seiner drei schönen Töchter zu schenken, die ihn gut unterhalten sollen (vgl. FB 127o, V. 18–21).249 In dieser zunächst unkompliziert erscheinenden Situation kommt es zu einer ersten Irritation, als das Kaminfeuer die Stube so sehr erhitzt, dass allen Anwesenden „vor hitze der sweiz / von dem houbete“ (FB 127o, V. 28f.) herabströmt. Mit diesem mehr oder weniger unverschuldeten Fauxpas aber muss ein Makel auf die Gastgeberschaft fallen. So wie das Feuer seinen intendierten Zweck über Gebühr erfüllt, strapaziert deshalb nun auch der Hausherr seine Gastfreundschaft über die Maßen, um den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Seine wohlmeinende Fürsorge gereicht dem Gast jedoch nur zum Nachteil: Um der unerträglichen Hitze abzuhelfen, lässt sich der Hausherr nämlich den Rock abnehmen und fordert daraufhin auch den fremden Ritter um der Be246

Vgl. hierzu Kap. 2.1.1.a der vorliegenden Arbeit. Otfrid EHRISMANNS Übersetzung von mhd. ,wirt‘ (vgl. FB 127o, V. 3) mit nhd. ,Burgherr‘ scheint mir daher zu stark interpretierend zu sein; vgl. Otfrid EHRISMANN (Hrsg.), Der Stricker, S. 115, 119. Ebenso wenig wird die gegenteilige Aussage von Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling, S. 107, dass der „Wirt“ dem „niederen Volk“ zuzuordnen wäre und sich „eher als bäurischer Tölpel“ darstellen würde, durch den Text gestützt. John MARGETTS differenziert dahingehend, dass es sich zwar um einen Ritter handele, dass sich dieser jedoch nicht im Besitz einer eigenen Burg befinde; vgl. John MARGETTS, Der Stricker und Verhaltensnormen für angehende Gastgeber, S. 32f. 248 Dies stützt folgender Erzählerkommentar: „dâ von [d. i. weil er „kalt unde naz“ (FB 127o, V. 8) ist] was er [d. i. der fahrende Ritter] des wirtes vrô. / ouch was der wirt des gastes sô“ (FB 127o, V. 9f.). 249 Zur Bedeutung guter Gastgeberschaft und höfischer Tischetikette in der ritterlichen Kultur des Mittelalters vgl. zusammenfassend Elke BRÜGGEN, Von der Kunst, miteinander zu speisen. 247

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quemlichkeit willen auf, es ihm gleichzutun (vgl. FB 127o, V. 30–39). Denn es ist dem aufmerksamen Gastgeber keineswegs entgangen, dass sein Gast offensichtlich ebenfalls sehr stark schwitzt, da seine Locken durch den herabrinnenden Schweiß bereits völlig deformiert sind (vgl. FB 127o, V. 38f.). An diesem Punkt kommt es nun zu einem gravierenden Missverständnis: Obwohl sich der Ritter energisch weigert, insistiert der rührige Hausherr auf seinem „gebot“ (FB 127o, V. 44) zu „gemach“ (FB 127o, V. 31; 45; vgl. V. 35; 59), da er sich in dem Glauben wägt, dass sich der Fremde lediglich aus purer Höflichkeit zieren würde, seinen Rock abzulegen. Er als Gastgeber, so seine unerschütterliche Meinung, könne es jedoch nicht hinnehmen, dass sein Gast bloß wegen seiner „zühte“ (FB 127o, V. 56), d. h. wegen seines vorbildlichen höfischen Auftretens, einen Schaden erleide: […] „nu lât den strît. ich weiz wol, daz ir hövisch sît. […] ir soldet mich dar umbe schelden, lieze ich iuch hie haben ungemach.“ (FB 127o, V. 53–59)

Nachdem er ihn auf diese Weise dreimal vergeblich aufgefordert hat, den Rock auszuziehen, befiehlt er heimlich seinen knechten, ihm das Kleidungsstück ohne Vorwarnung vom Leibe zu reißen (vgl. FB 127o, V. 40–63). Hätte der Gastgeber indes die Worte seines Gastes nicht missachtet, der ihn zuvor eindringlich darum gebeten hatte, ihm die „unzuht“ (FB 127o, V. 49) zu ersparen, seinen Rock abzulegen, anstelle derer er lieber – hitzebedingt – krank daniederliegen wolle (vgl. FB 127o, V. 46–52), würde es nicht zu dem nun folgenden Eklat kommen; denn es soll sich herausstellen, dass der fremde Ritter unter seinem Rock splitterfasernackt ist: er saz, dô er wart âne roc, als ein beschelder stoc âne bruoch und âne hemde; diu wâren im beidiu vremde. (FB 127o, V. 67–69)250

Erst „durch die grôzen minne“ (FB 127o, V. 65) des Gastgebers, seine ambitionierte Auslegung der Gastgeberrolle, die ihn dazu gemahnt, das höfliche Verhalten des Gastes noch zu übertrumpfen, kommt es zu der peinlichen Entblößung. Gerade weil der Hausherr glaubt, dem Gast jeglichen Wunsch von den Augen ablesen zu können und ihm ein entsprechendes Verhalten oktroyiert, schlägt die rigorose Form der Gastfreundlichkeit, die er – wenngleich unbeabsichtigt251 – praktiziert252, in eine Art von Wettstreit um. 250

Das Bild des geschälten Stocks zeigt gleichsam die Widernatürlichkeit an, die der Verbindung von Nacktheit und Öffentlichkeit anhaftet. 251 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 276. 252 MARGETTS betont die „übertriebene Befolgung des Vorschriften eines (ritterlichen) Verhaltenskodex […], der starr geworden ist“ (John MARGETTS, Die erzählende Kleindichtung des Strickers,

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Der Text demonstriert so anhand der zeichenhaften Nacktheit des Körpers die Unangemessenheit eines dominierenden Handelns, das die Belange des Betroffenen völlig ignoriert253, weil voreilig von falschen Voraussetzungen ausgegangen wird. Mit der Entblößung des Körpers ist zudem eine symbolische Bloßstellung des fahrenden Ritters verbunden: „dô wart der gast beroubet / […] / der êren und der sinne.“ (FB 127o, V. 64–66). Insofern Ansehen und Verstand die soziale Identität des Ritters verbürgen, kommt die Entkleidung einem existentiellen Identitätsverlust gleich. Die Kleidung erfüllt in diesem Zusammenhang die Funktion, den höfischen Status des Gastes zu markieren.254 Die entscheidende Szene für das Verständnis der Verserzählung ist aber vielleicht gar nicht die eigentliche Enthüllung, sondern die Schilderung der Wirkungen, die dieses skandalöse Ereignis auf die betroffenen Personen hat. Es handelt sich im Einzelnen um die Reaktionen der anwesenden Frauen, des Gastgebers sowie des Gastes selbst, die nacheinander erörtert und kommentiert werden.255 Die Reaktionen fallen zwar unterschiedlich aus, allen Beteiligten ist aber gemeinsam, dass sie gleichermaßen einen gewaltigen Schrecken erleiden (vgl. FB 127o, V. 79), wofür unterschiedliche Gründe angeführt werden: Steht bei den Frauen der Anblick eines nackten Mannes im Vordergrund (vgl. FB 127o, V. 71–73), fühlt sich der Hausherr demgegenüber „vor schanden“ (FB 127o, V. 78) unangenehm berührt. Mehr noch als die Frauen (vgl. FB 127o, V. 74)

S. 331), vgl. im Anschluss daran ebenso aus historiographischer Sicht WITTHÖFT, welche die mangelnde Flexibilität des Gastgebers ins Zentrum ihres Textverständnisses stellt; vgl. Christiane WITTHÖFT, Ritual und Text, S. 296–298; ähnlich hebt auch Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 89, die Missachtung des Willens des Gastes sowie das gewaltsame Durchsetzen des eigenen Willens des Gastgebers kritisch hervor. Albrecht CLASSEN, Naked Men in Medieval German Literature and Art, S. 163, betont ein höfisches Benehmen als Fokus des Textes. 253 Vgl. ähnlich Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 79; AGRICOLA spricht in diesem Kontext von „zudringlicher Höflichkeit“ und „Starrköpfigkeit“ (Erhard AGRICOLA, Die Prudentia als Anliegen der Strickerschen Schwänke, S. 299). 254 Vgl. wiederum Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 204, und Anm. 239 des vorliegenden Kapitels. 255 Der ,Aufarbeitung‘ des Skandalons ist immerhin ein Drittel des Gesamttextes gewidmet; vgl. zur Dreiteilung der narratio Heinz RUPP, Schwank und Schwankdichtung in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 47. – Für diese Einschätzung spricht im Übrigen auch, dass in den sechs Überlieferungszeugen exakt für diese Textpassage die meisten Varianten vorliegen – auf ein adäquates Verständnis wurde folglich großer Wert gelegt. Insbesondere in B und in E wird die Scham deutlich herausgehoben, welche die Gastgeberfamilie bei der Erscheinung des nackten Ritters empfindet: „Do schemtē sie [d. s. die Frauen] sich fr den (fürn B) gast“ (FB 127o, nach V. 72 BE); und auch der Hausherr erschrickt sich hier nicht vor „schanden“ (FB 127o, V. 78), sondern vor „scham“ (BE). Auch die „scham“ des nackten Ritters wird in BE noch einmal gegenüber seiner „schande“ (FB 127o, V. 82) betont. Schließlich endet die Verserzählung in B nach Vers 100 mit den Worten: „Hie wil daz mer ain end han / Behüt vns got vor alls scham“. Vgl. zu diesen Varianten Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 129–131.

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zeigt sich jedoch der nackte Ritter selbst bestürzt256; weil seine bisherige Lebensführung ganz von „hövischeite“ (vgl. FB 127o, V. 76) geprägt war, fürchtet er nun, sein Ansehen niemals wieder vollständig rehabilitieren zu können (vgl. FB 127o, V. 74–77; 80f.). Angesichts dieses irreversibel erscheinenden Ehrverlustes ist sogar von gewaltsamer Rache die Rede: im tet diu schande sô wê, daz er den wirt haete erslagen, trûwete er, daz in getragen daz ros dannen möhte hân (des enhaete ez aber niht getân). (FB 127o, V. 82–86)

Es lässt sich an dieser Stelle allerdings nicht verhehlen, dass die Begründung für den letztlich unterbleibenden Racheakt vor dem Hintergrund der zumeist von einem positiven Ende motivierten Texte der höfischen Epik, die den Interpretationshorizont für die vorliegende, an ritterlich-höfische Wertmaßstäbe anknüpfende Verserzählung bildet, nur ein geringes Maß an erzählerischer Plausibilität aufweisen kann. Neben dem Gastgeber muss so auch die Figur des unbekannten Ritters in ein fragwürdiges Licht rücken: Nicht nur, dass sein Racheverzicht auf mangelnden Mut hinzudeuten vermag, auch der wohl ironisch gemeinte Fingerzeig des Erzählers auf die Langsamkeit seines Pferdes könnte auf ein bereits vorhandenes Defizit des Ritters verweisen257 – ganz abgesehen davon, dass es ohnehin merkwürdig anmuten muss, dass ein Ritter, der sich in besonderer Weise durch hövischeite auszeichnet, ohne jegliche Unterbekleidung unterwegs ist.258 Dieser Lesart entspräche schließlich die zornige Flucht des fahrenden Ritters, die

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Dies widerspricht der von Robert JÜTTE aus kulturhistorischer Sicht für das Mittelalter formulierten These: „Nicht der Nackte ist es, der sich in erster Linie schämt, sondern der ungewollt zum Voyeur gewordene Augenzeuge“ (Robert JÜTTE, Der anstößige Körper, S. 110). 257 Dies gilt auch, wenn man zugesteht, dass es der exemplarischen Geschichte durchaus nicht um eine realistische Darstellung geht. – In ethischer Hinsicht unproblematischer, vom Wortsinn her allerdings auch nicht unbedingt verständlicher erscheint demgegenüber die Variante in HK, durch welche die Rechtmäßigkeit eines Racheaktes angezweifelt und zudem die moralische Integrität des Ritters betont wird: „im tet diu schande wê / daz er den wirt haete erslagen / trûwete er daz hin getragen / daz recht dannen möhte hân / des enhaete er aber niht getân“ (FB 127o, HK V. 82–86) [Unterstreichung der abweichenden Lesarten durch A. S.]; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 130. 258 Warum dem so ist, lässt der Text offen. M. E. kommt dieser narrativen Leerstelle keine relevante Bedeutung zu, denn wichtig ist allein die Tatsache der Entblößung als einer ehrverletzenden und die ritterliche Identität destabilisierenden Handlung. – Nicht zu überzeugen vermag daher in meinen Augen die These von VOGT, nach welcher der entblößte Gast in erster Linie als Negativexempel eines unsittlich gekleideten Ritters fungieren würde; vgl. Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling, S. 108f.; vgl. ähnlich John MARGETTS, Der Stricker und Verhaltensnormen für angehende Gastgeber, S. 31f., der die These vertritt, dass es sich bei dem Besucher um einen sozialen Aufsteiger handele. Fraglich erscheinen des Weiteren der sozialkritische Ansatz von EHRISMANN, der behauptet, dass die fehlen-

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den allzu fürsorglichen Gastgeber deutlich verstimmt (vgl. FB 127o, V. 87–90). Eine Versöhnung ist erzählstrategisch wohl nicht möglich, da der Akt der Entblößung durch den Hausherrn willentlich herbeigeführt wird.259 Im Epimythion formuliert der Erzähler eine generalisierende Lehre, die sich ausschließlich auf das Fehlverhalten des Hausherrn konzentriert260: Ein Gastgeber solle sich stets nach den Wünschen seines Gastes richten; es könne problematisch sein, ihm einen Dienst erweisen zu wollen, den er gar nicht begehre; wenn ein Dienst nicht wunschge-mäß erfolge, schade er mehr, als dass er nutze (vgl. FB 127o, V. 91–100).261

den Kleidungsstücke sowie die Langsamkeit des Pferdes auf die Armut des Gastes hindeuten würden; die Botschaft des Textes wäre daher in einer Hofkritik zu sehen, die zum einen den fahrenden Ritter beträfe, der sich einen unstandesgemäßen Lebenswandel anmaßen würde, zum anderen aber die oberflächliche „Welt“, die diese Anmaßung nicht durchschaute; vgl. Otfrid EHRISMANN (Hrsg.), Der Stricker, S. 258. Ähnlich argumentiert KROHN, indem er den Nackten Ritter (FB 127o) als sozialhistorischen Beleg für eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit „der beklagenswerten Situation des Ritterstandes und namentlich des niederen Adels“ (Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 262) im 13. Jahrhundert verstehen will; auch die Wehrlosigkeit des Ritters verleihe dieser Stoßrichtung Ausdruck; vgl. ebd., S. 262–265. Noch weiter geht die marxistisch inspirierte These SPIEWOKS, der in der (seiner Auffassung nach dem Rittertum kritisch gegenüberstehenden) Verserzählung „bewußte Aufnahme und Vertretung bürgerlich-plebejischer Ideologie“ sieht (Wolfgang SPIEWOK, Der Stricker – Durchbruch zu neuen Formen und Inhalten, S. 324). 259 Vgl. hierzu Rüdiger SCHNELL: „Der Wirt im ,Nackten Ritter‘ handelt aus voller Überzeugung und aus freien Stücken, allein von dem Wunsch getrieben, dem Gast einen Gefallen zu tun und selbst als perfekter Gastgeber zu erscheinen. Deshalb bleibt es ihm nach der für ihn und den Gast peinlichen Situation versagt, den ganzen Vorgang als ein Versehen, als ein Mißverständnis herunterzuspielen. Beide Figuren […] verfügen offensichtlich nicht (mehr) über die Interaktionskompetenz, die Konsequenzen des Fehltritts – die Schande auf beiden Seiten – aufzuheben. Die Entehrung auf seiten des Ritters ist zu gravierend, als daß eine versöhnende Geste möglich wäre. Und das hartnäckige Vorgehen des Gastgebers, der keinen Einspruch des Gastes duldet, verhindert die Möglichkeit einer Entschuldigung und somit eine nachträgliche Versöhnung.“ (Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 277). 260 Die tradierten Überschriften fokussieren indes nicht die Figur des Hausherrn, sondern diejenige des nackten Ritters: „Ditz ist ein selzen vart / Wie ein Ritter entnacket wart“ (H), „Hie wart entnacket ein Ritter / Daz saget vns der stricker“ (K), „V eime ritter“ (E), „Von des wirts gaste“ (B); vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 126. 261 PRITZ betont, dass dies die einzige mittelhochdeutsche Verserzählung sei, die explizit das Problem der Gastfreundschaft behandele; vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 134. – Zur texttypologischen Bewertung des Epimythions vgl. Franz-Josef HOLZNAGEL, Verserzählung – Rede – Bîspel, S. 13f., der sich skeptisch im Hinblick auf die Kongruenz zwischen der im Epimythion formulierten Lehre sowie der Kontur der narratio zeigt. Vgl. im Gegensatz dazu Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 123, sowie Christopher YOUNG, At the end of the tale, S. 35–40. Christopher YOUNG betont, dass das vorliegende, auf den ersten Blick irritierende, Epimythion die erzählte Geschichte exakt aufgreife, indem es die Rezipientinnen und Rezipienten dazu auffordere, die Geschichte zu überdenken, deren Aussage es vordergründig widerspreche. Auf diese Weise mahne das Epimythion das Gleichgewicht in der höfischen Interaktion

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Abgesehen von den manifest komischen sowie den latent erotischen262 Zügen der Erzählung, die von der unterhaltenden Zielsetzung des Textes zeugen263, steht im Nackten Ritter (FB 127o) nichts weniger als die Frage nach êre bzw. öffentlichem Ansehen und damit verbunden die Thematik ritterlicher bzw. höfischer Identität im Mittelpunkt. An der jeweiligen körperlichen Verfassung des Protagonisten lässt sich dabei ablesen, wie es um den Status seiner Identität bestellt ist, so dass dem männlichen Körper hieraus die Funktion eines symbolischen Gradmessers erwächst. Die Pflicht ritterlicher Gastgeberschaft, einer elementaren Tugend innerhalb des höfischen Verhaltenskodex des frühen 13. Jahrhunderts, sowie die Frage ihrer adäquaten Umsetzung bilden dabei den konkreten Rahmen für die Diskussion des zentralen ethischen Problemzusammenhangs.264 Um diese Wertediskussion zu exemplifizieren, bedarf es eines Handlungssubjekts, das die in Rede stehenden Werte adäquat zu verkörpern vermag. Dies ist die entscheidende Bedingung dafür, dass der Protagonist dieser Verserzählung nicht nur dem

des Gebens und Nehmens an, den höfischen Respekt gegenüber dem anderen und eine sensible Wahrnehmung der verborgenen Bedeutungen in der höfischen Sprache zu wahren. 262 Hinzuweisen wäre hier auf die Doppelsinnigkeit einiger exponierter Verse. Beispielsweise kann die Beschreibung der Hitzeentwicklung in der Stube (vgl. FB 127o, V. 22–26) nicht nur auf die konkreten Auswirkungen des Feuerbrandes, sondern darüber hinaus in einem metaphorischen Sinn auf die zuvor erwähnte Annäherung zwischen dem Gast und den Töchtern des Hauses (vgl. FB 127o, V. 18–21) bezogen werden. Genauso entbehrt auch die Bezeichnung des nackten Ritters als „ein beschelder stoc“ (FB 127o, V. 68) nicht einer gewissen erotischen Doppelbödigkeit. – Deutlicher noch wird der erotische Kontext, wenn man sich die entsprechende Szene in der Halben Birne (A) (FB 74) in Erinnerung ruft, in welcher der als Narr verkleidete Protagonist sich Einlass in das Gemach der von ihm zuvor vergeblich umworbenen Prinzessin verschafft und sich spätestens, nachdem man „den blôzen“ (FB 74, V. 232) am wärmenden Feuer platziert hat, herausstellt, dass der ritterliche Gast unter seinem Gewand weitgehend nackt ist: „dô waren im vil tiure / schuohe unde lînwât, / und swaz geruochlîche stât, / des gienc er alles irre. / sîn vil lanc geschirre / daz hienc im in die aschen.“ (FB 74, V. 258–263). 263 FISCHER ordnet den Text dementsprechend seinem neunten Themenkreis der ,Komischen Missverständnisse‘ zu; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 98; eine ähnliche Einschätzung zeigt sich (desgleichen für den Nackten Boten des Strickers (FB 127a)) bei Jean-Marc PASTRÉ, La distinction des styles, S. 192f., sowie bei Danielle BUSCHINGER, Le „nu“ dans quelques textes médiévaux allemands, S. 79. – Demgegenüber betont Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 38f., die besondere Ernsthaftigkeit des Textes in seiner Eigenschaft als moralisch-exemplarisches Märe, was sich u. a. in der gerafften Erzählweise sowie in dem stark moralisierenden Epimythion äußere. Auch SCHNELL betont, dass der unversöhnliche Schluss der narratio aus der dominant lehrhaften Absicht des Textes resultiere; vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 280. – Kritisch gegenüber einer solchen Engführung zeigt sich ZIEGELER, der m. E. zu Recht die unterhaltende und didaktische Doppelfunktion des Textes hervorhebt; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 165 und Anm. 128. 264 Diese These ließe sich bestätigen durch den Deutungsansatz von MARGETTS, der in der Erzählung die Konfrontation zweier gesellschaftlicher Aufsteiger und ihrer sozialen Defizite dargestellt sieht; vgl. John MARGETTS, Der Stricker und Verhaltensnormen für angehende Gastgeber, S. 31–34.

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höfisch-ritterlichen Milieu, sondern überdies auch dem männlichen Geschlecht zugehören muss, an dessen Identitätskonstitution die illustrierten Normen und Werte gebunden sind. e.

Der Stricker: Der nackte Bote (FB 127a)

Ebenfalls dem höfischen Milieu zuzurechnen ist die zweite Verserzählung des Strickers, die explizit das Thema der ,Nacktheit‘ aufgreift, nämlich Der nackte Bote (FB 127a).265 In zwei nahezu gleich lange Sequenzen untergliedert, agieren hier drei männliche Protagonisten – erstens ein „herre“ (FB 127a, V. 2 u. ö.), zweitens sein „man“ (FB 127a, V. 6), ein „ritter“ (FB 127a, V. 48 u. ö.), der in der Funktion als „wirt“ (FB 127a, V. 14 u. ö.) in Erscheinung tritt, sowie drittens der „kneht“ (FB 127a, V. 3 u. ö.) und „knappe“ (FB 127a, V. 91) des Herrn in der Rolle eines Boten. Erzählt wird von einer freiwilligen Entblößung und ihrer unfreiwilligen Entdeckung (1. Teil: FB 127a, V. 1–121) sowie dem Versuch, dieses Missgeschick zu ahnden und wiedergutzumachen (2. Teil: FB 127a, V. 122–206). Der Reaktion auf die Zurschaustellung des nackten Körpers wird dabei in der Tendenz ein noch größeres Gewicht beigemessen als in der Verserzählung vom Nackten Ritter (FB 127o). Wie dort folgt auch hier ein Epimythion (vgl. FB 127a, V. 207–224), das neben einer Deutung der narratio (vgl. FB 127a, V. 207– 212) eine generalisierende Lehre (vgl. FB 127a, V. 213–224) über den „wân“ (FB 127a, V. 212; 213; 216; 221; vgl. V. 217)266 formuliert. Ein Herr, so setzt die Erzählung ein, schickt auf einer Reise seinen Knappen voraus, um bei einem seiner Gefolgsleute ein Nachtquartier vorbereiten zu lassen (vgl. FB 127a, V. 1–7). Als der Knappe am Hof des Ritters eintrifft, findet er das Tor weit geöffnet und erhält von einem Kind die Auskunft, dass sich der Hausherr im geheizten Badezimmer befinde (vgl. FB 127a, V. 8–17). Da der Bote annehmen muss, dass er sich dort zum Zweck der Körperpflege aufhält, beschließt er pragmatisch, seine Botschaft bei einem gemeinsamen Bad zu überbringen (vgl. FB 127a, V. 18–29). Auf der Stelle zieht er sich aus und überlässt Kleidung und Pferd der Obhut des folgsamen, wenngleich geistig nicht allzu regen Kindes (vgl. FB 127a, V. 30–40). Der Knappe kann nicht wissen, dass die beheizte Badestube im Herbst auch von der Familie des Ritters und von seinem Gesinde als „wercgaden“ (FB 127a, V. 63) genutzt 265

Die Erzählung ist bezeichnenderweise in den gleichen Handschriften überliefert wie Der nackte Ritter (FB 127o), zusätzlich noch im Wiener Codex 2670 (b). In den Handschriften A (Sigle nach Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung: W), H und K geht die Verserzählung Der nackte Bote (FB 127a) dem Nackten Ritter (FB 127o) unmittelbar voraus. Mit sieben Überlieferungszeugen liegt eine relativ breite Überlieferung vor; vgl. Hanns FISCHER, ebd., S. 278. Die Narrationsstrategie beider Texte vergleicht Michael WALTENBERGER, Situation und Sinn, S. 304–306. 266 SCHIRMER betont die auffälligen Wiederholungen dieses Wortes als besonderes stilistisches Mittel eines funktionalistischen und auf Exemplarität bedachten Erzählens; vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 52.

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wird; denn, so führt der Erzähler einigermaßen umständlich aus, die ,gute Stube‘ (vgl. FB 127a, V. 47) ließe der um „hövischheit“ (FB 127a, V. 55) bemühte Ritter in der Übergangsperiode noch nicht erwärmen, um bis zum Einbruch des Winters die Stube frei von Fliegen zu halten (vgl. FB 127a, V. 41–63).267 Ein weiterer Zufall muss jetzt noch hinzutreten, damit das Unglück seinen Lauf nehmen kann: Als der nackte Bote von einem scharfen Wachhund angegriffen wird, erweist sich seine Verteidigung mit einem „wedel“ (FB 127a, V. 67; vgl. V. 73) als so ineffektiv – gemeint ist hier zunächst wohl ein büschelartiges Badeutensil, das im Mittelalter u. a. dazu genutzt wurde, um die Schamgegend zu verdecken268 –, dass dem Boten nichts anderes übrig bleibt, als sich „al nacket“ (FB 127a, V. 65), wie er ist, rücklings in den Aufenthaltsraum der Familie zu flüchten (vgl. FB 127a, V. 64–80).269 Diese Szene entbehrt insofern nicht einer gewissen Pikanterie, als das mittelhochdeutsche Wort ,wedel‘ bzw. ,wadel‘ sekundär auch das männliche Genitale zu bezeichnen vermag270; somit evoziert die Darstellung des nackten Knappen, der sich „mit dem wadel“ (FB 127a, V. 73) des Hundes zu erwehren versucht, das Bild einer drohenden Kastration, die erst im allerletzten Moment verhindert werden kann.271 267

Anders als im Nackten Ritter (FB 127o), in dem die ungewöhnliche Tatsache, dass der Ritter unter seinem Rock unbekleidet ist, nicht weiter erklärt wird, sind hier die Verhaltensweisen aller Beteiligten plausibel motiviert. Damit wird nicht nur, wie Hans-Joachim ZIEGELER betont, das Verhalten des Boten, sondern ebenso dasjenige des ritterlichen Hausherrn entschuldigt; vgl. zu den Motivierungen im Nackten Boten (FB 127a) Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 143, 167f. – Eine ironische Volte gegen die Knauserigkeit des Ritters (vgl. Walter KÖPPE, Ideologiekritische Aspekte im Werk des Stricker, S. 176; Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 265f.) oder seine vermeintlich niedrige Standeszugehörigkeit (vgl. Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling, S. 111f.) vermag ich hierin indes nicht zu erkennen. An keiner Stelle des Textes findet sich ein expliziter Hinweis auf eine missliche ökonomische Lage des Hausherrn oder eine etwaige unstandesgemäße Lebensführung. 268 Vgl. BMZ, Bd. 3, S. 454f. 269 Darstellungstechnisch hat dieses amüsante Detail einen doppelten Effekt: Zum einen lässt sich dadurch motivieren, dass der Knappe trotz der Anwesenheit der Familienmitglieder in die Badestube tritt, zum anderen wird die ohnehin schon entehrende Tatsache seiner Nacktheit noch um ein Vielfaches gesteigert. Eine ähnliche Gestik findet sich, wie in Anm. 188 des vorliegenden Kapitels schon angedeutet, in der mittelhochdeutschen Verserzählung Beringer (FB 15) sowie im Armen Bäcker von Hans Folz (FB 30a), vgl. dazu auch Anm. 329 des vorliegenden Kapitels. – Die entsprechende Gebärde einer bewussten Entblößung des Hinterteiles war im Mittelalter als Spottgeste bekannt und wurde im Mittelhochdeutschen als blecken bezeichnet; vgl. Katrin KRÖLL, Der schalkhaft beredsame Leib als Medium verborgener Wahrheit, allgemein zu dieser Gebärdenform ebd., S. 239–243, zu literarischen Darstellungsvarianten ebd., S. 276–294; hier allerdings bezieht sich die Verfasserin für die mittelhochdeutschen Verserzählungen ausschließlich auf die Gruppe der Priapeia und im Besonderen auf Das Nonnenturnier (FB 93). 270 Vgl. LEXER, Bd. 3, Sp. 627. 271 Diese Ausdeutungsmöglichkeit ist zurückgenommen in B und E, wo von einem „kosten“ (vgl. FB 127a, BE V. 67; 73), d. h. von einem Badequast, die Rede ist; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der

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Der unfreiwillige (vgl. FB 127a, V. 76) Affront ruft wie im Nackten Ritter (FB 127o) ganz unterschiedliche Reaktionen bei den Beteiligten hervor. Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich der Blick des Erzählers zuallererst auf die anwesenden Frauen, d. h. die Hausherrin, ihre Töchter und das weibliche Gesinde (vgl. FB 127a, V. 59; 62), richtet: Diese schrecken „vor schanden“ (FB 127a, V. 83)272 zusammen und bedecken sogleich ihre Augen mit den Händen (vgl. FB 127a, V. 81–84). Nicht nur in den tradierten Überschriften273, sondern ebenfalls auf der Handlungsebene wird dieser Umstand weiblicher Augenzeugenschaft als das eigentlich Intrikate des ganzen Vorfalls betont, so auch seitens des irritierten Gastgebers, wenn er seinem Herrn rückblickend über das dubiose Ereignis Bericht erstattet: „herre“, sprach er [d. i. der Hausherr], „merket daz: er [d. i. der nackte Bote] gie in die batstuben, dâ ich saz bî mînen tohtern und mînem wîbe, und enhâte an sînem lîbe niht mêre, denne er iezuo hât, und tet noch mêrer missetât: er kêrte daz hinderteil hin vür, dô er ingie zuo der tür.“ (FB 127a, V. 147–154)

Voller „haz“ (FB 127a, V. 87) beklagt der Hausherr dementsprechend den Verlust seiner „êre“ (FB 127a, V. 106; 109), den er durch die „unzuht“ (FB 127a, V. 103) des Eindringlings erlitten habe (vgl. FB 127, V. 81–89). Weil er glaubt, dass der Fremde ihn bewusst habe schädigen wollen (vgl. FB 127a, V. 109; vgl. V. 172–176; 203f.), erscheint ihm eine strenge Vergeltungsmaßnahme – er denkt daran, ihn zu „erslagen“ (FB 127a, V. 199) – gänzlich unverzichtbar, um den entstandenen Schaden auszugleichen (vgl. FB 127a, V. 107). Als nicht minder ehrverletzend empfindet jedoch auch der nackte Bote die unselige Situation274 und reagiert seinerseits mit einer überstürzten Flucht; hastig ergreift er seine

Stricker, I, S. 114. – Eine Illustration dieser bemerkenswerten Szene findet sich in i (Bl. 63v); vgl. hierzu die entsprechende Faksimileausgabe von Norbert Richard WOLF, Sammlung kleinerer deutscher Gedichte, und Johannes JANOTA (Hrsg.), Der Stricker, S. 31. 272 In BE wird dies eindeutiger noch in Bezug auf den Knappen formuliert: „von sein [Hervorhebung durch A. S.] schanden“ (FB 127a, BE V. 83); vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 115. 273 Die Überschriften in H und K pointieren die besondere Brisanz des Geschehens, die durch die weibliche Augenzeugenschaft hervorgerufen bzw. verstärkt wird: „Hie ist wie ein kneht ane vie / V nacket vur vrowen in ein stvben gie“ (H); „Hie gienc ein knecht vr vro wen nacket in ein stvben“ (K). Wesentlich neutraler formulieren B und E: „Ain mer von des herren kneht / Vnd von der pad stuben“ (B); „Von eime hsren“ (E); vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 110. 274 In der Münchener Parzivalhandschrift G (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 19) findet sich eine Nacherzählung des Nackten Boten (FB 127a), in der eigens betont wird, dass die in der Badestube Anwesenden im Gegensatz zu dem Knappen bekleidet sind (vgl. V. 23; 33); vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 125f. – Michael SCHILLING, Poetik der Kommunikativität in den

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Kleidung und verlässt mit seinem Pferd unverrichteter Dinge den Hof (vgl. FB 127a, V. 90–102). Sowohl das schandhafte „laster“ (FB 127a, V. 92; 171) als auch die Angst vor Vergeltung (vgl. FB 127a, V. 96) motivieren diesen blitzartigen Rückzug des Knappen; an seiner Lauterkeit lässt der Erzähler hingegen keinen Zweifel, wenn er lakonisch betont, dass die Flucht vor der ritterlichen Familie aus der Badestube heraus ungleich schneller vonstattengegangen sei als seine vorherige Flucht vor dem Hund in eben diese Badestube hinein (vgl. FB 127a, V. 94f.). In voller Rüstung und mitsamt seinem Gefolge nimmt der Gastgeber die Verfolgung des Boten auf (vgl. FB 127a, V. 110–121). Der zweite Teil der Geschichte setzt mit einem Orts- und Perspektivenwechsel ein, insofern der flüchtende Bote sowie sein Verfolger nacheinander auf den herbeireitenden Herrn treffen. Während der nach wie vor unbekleidete Knappe (vgl. FB 127a, V. 150f.) an ihm vorbeisprengt und jegliche Auskunft verweigert (vgl. FB 127a, V. 122–130), unterbricht der Ritter seine Jagd und klagt den Knappen bei seinem Herrn an, dass er ihm „vröude und […] êre“ (FB 127a, V. 137) geraubt habe, was allein durch eine gezielte Rachehandlung vergolten werden könne (vgl. FB 127a, V. 134–139). Noch bevor er Näheres über den Vorfall erfahren hat (vgl. FB 127a, V. 148–154), verspricht der Herr, der Forderung seines Lehnsmannes nach Rache stellvertretend Genüge zu tun, indem er seinen Tod fordert (vgl. FB 127a, V. 140–146). Unverzüglich nimmt er deshalb die Verfolgung des Knappen auf, um ihn in kürzester Frist zu stellen (vgl. FB 127a, V. 155–160). Ohne ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich für sein seltsames Verhalten zu rechtfertigen, greift er den erfolglosen Boten voller Zorn an den Haaren und wirft ihn zu Boden, um ihn zu bestümbeln (vgl. FB 127a, V. 165) – mehr noch, er droht sogar mit seiner Blendung (vgl. FB 127a, V. 179). Erst auf sein Bitten und die Intervention des Ritters hin lässt der Herr von ihm ab und gibt dem Knappen Gelegenheit, die Ereignisse aus seiner Sicht darzustellen (vgl. FB 127a, V. 170–176). Als der Ritter auf diese Weise schließlich den wahren Grund für die „unzuht“ (vgl. FB 127a, V. 196) bzw. die mangelnde „zuht“ (FB 127a, V. 192) des Boten erfährt, erfolgt die unverhoffte Lösung des Konflikts, indem er ihm anträgt, sein „vriunt“ (vgl. FB 127a, V. 201) zu werden. Am Ende ist es so der Ritter, der sich bemüßigt fühlt, sein voreiliges Urteilen und Agieren zu rechtfertigen, indem er seinen Befürchtungen Ausdruck verleiht, man habe ihm schaden wollen (vgl. FB 127a, V. 203f.). Weil der Missgriff unbeabsichtigt erfolgt und auf einer Verkettung von Zufällen gründet, wird – ganz im Gegensatz zum Nackten Ritter (FB 127o) – ein versöhnliches Ende narrativ ermöglicht.275 Der beiden Widersachern hierarchisch übergeordnete Lehnsherr spielt für die Lösung des Konfliktgeschehens keine weitere Rolle.

kleineren Reimpaartexten des Strickers, S. 43f., diskutiert mögliche Begründungen für das hier fehlende Epimythion. 275 Vgl. Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 25; DERS., Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten, S. 23; Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 273.

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Obwohl die Figur des nackten Boten wiederholt als einfältig charakterisiert wird (vgl. FB 127a, V. 20; 104)276, wohingegen der gastgebende Ritter – handlungslogisch sein Kontrahent – eher positiv gezeichnet ist, nimmt die Lehre des Epimythions277 eine überraschende Wendung, die sich im Schlussgefüge der narratio jedoch bereits abzeichnet. Es ist nämlich nicht allein, wie vielleicht zu erwarten stünde, der nackte Bote, der wegen seiner Naivität und Unbedachtheit ins Kreuzfeuer der exemplarischen Kritik gerät; vielmehr wird hier ganz allgemein vorschnelles Urteilen und Handeln gebrandmarkt: Waere dem kneht ein leit geschehen, wir solden niemer gejehen, daz er unschuldic waere. er solde diu rehten maere bedaehticlîche ervarn hân. dô liez er sich an einen wân. (FB 127a, V. 207–212)

In der Forschung herrscht große Uneinigkeit darüber278, auf welchen der drei Protagonisten sich das Personalpronomen „er“ in Vers 209 und damit die Lehre des Epimythions beziehen soll. Während Erhard AGRICOLA279 und Hanns FISCHER in seiner Übersetzung des Nackten Boten (FB 127a) das Personalpronomen allein auf „den Herren“280 beziehen, wollen Dieter VOGT281 und Rüdiger KROHN282 hierin die Schuldhaftigkeit des ritterlichen Hausherrn bezeichnet wissen. Und in der Tat rekurriert die abschließende Lehre über den trügerischen wân zunächst explizit auf das Motiv des Ehrverlustes, das in der Verserzählung hauptsächlich mit der Figur des Ritters verbunden ist: der wân betriuget manigen man. swer daz niht wol bedenken kan,

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Diese Attribuierung spiegelt sich in der Figur des unwissenden Kindes, das als „arm / der sinne und des guotes“ (FB 127a, V. 18f.) eingeführt wird. Dementsprechend übersetzt Hanns FISCHER den Erzählerkommentar „ouch was er tumbes muotes“ (FB 127a, V. 20) mit den Worten, „aber er selbst war auch ein Einfaltspinsel“; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Schwankerzählungen des Mittelalters, S. 274. 277 Zu handschriftlichen Varianten im Epimythion vgl. die Bemerkungen von Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 275. 278 Einen Teil der verwickelten Diskussion fasst bereits Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 122, zusammen. 279 Er betrachtet die „unbeherrschte Haltung“ sowie den unbegründeten „Zorn“ des Herrn als wesentlichen Bezugspunkt des Epimythions; vgl. Erhard AGRICOLA, Die Prudentia als Anliegen der Strickerschen Schwänke, S. 299; dagegen bereits Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 165, Anm. 130. An späterer Stelle verweist Erhard AGRICOLA wiederum auf den wân des Gastgebers; vgl. ebd., S. 308. 280 Hanns FISCHER (Hrsg.), Schwankerzählungen des Mittelalters, S. 278. 281 Vgl. Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling, S. 113. 282 Vgl. Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 266.

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der mac sich lîhte verlân sô sêre an etelîchen wân, daz er von dem wâne wirt sîner êren âne oder gewinnet sô getânen schaden, dâ mit er sêre wirt geladen. (FB 127a, V. 213–220)

Eine Bezugnahme auf den Ritter scheint hier also mindestens ebenso plausibel, wenn nicht gar plausibler als ein Rekurs auf den Lehnsherrn selbst. Doch die Deutungsmöglichkeiten des Epimythions werden durch die auf diese Stelle folgenden Verse noch komplexer: Wer sich ohne Not dem trügerischen Schein hingebe, so lautet das abschließende Fazit, sei selbst schuld, wenn er einen Schaden erleide (vgl. FB 127a, V. 221–224) – diese nun folgende Lehranweisung lässt sich jedoch nicht bloß auf Herrn und / oder Ritter, sondern ebenso auf den Knappen beziehen – und möglicherweise sogar auf die Figur des Kindes selbst. Eine dritte und gleichermaßen überzeugende Interpretationsmöglichkeit kann dementsprechend von Stephen L. WAILES283, Hans-Joachim ZIEGELER284, Hartmut KUGLER285 und Rüdiger SCHNELL286 geltend gemacht werden, welche die Verse 209 bis 212 in erster Linie auf das Fehlverhalten des Knappen beziehen, der sich leichtfertig auf die missverständliche Aussage des Kindes verlassen habe: er vrâgete ez [d. i. das Kind] niht vürbaz und wânde [Hervorhebung durch A. S.], der wirt umbe daz in der batstuben waere, daz er sich badete und schaere.“ (FB 127a, V. 21–24)287

Mir scheint es abschließend nicht notwendig, im Hinblick auf die hier diskutierte Textstelle einen bloß eindimensionalen Bezug zu einer einzigen Figur der narratio herzu-

283

Vgl. Stephen L. WAILES, Stricker and the Virtue Prudentia, S. 145–147. Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 165; kritisch hierzu Joachim HEINZLE, Altes und Neues zum Märenbegriff, S. 288f. 285 KUGLER stellt die für den Boten nicht mehr zu bewältigende Komplexitätssteigerung der Situation heraus und bezieht die Lehre des Epimythions so wohl vornehmlich auf dessen Fehlverhalten; vgl. Hartmut KUGLER, Grenzen des Komischen in der deutschen und französischen Novellistik des Spätmittelalters, S. 361f. 286 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 274f. SCHNELL geht in der Konsequenz so weit, eine unaufhebbare Diskrepanz zwischen narratio, in der das Verhalten des knechtes entschuldigt werde, und Epimythion, in welchem ihm wiederum der Hauptvorwurf gelte, zu behaupten. Tatsächlich äußert sich SCHNELL sogar erstaunt darüber, dass der Vorwurf der Unbedachtsamkeit lediglich gegenüber dem Boten erhoben werde; vgl. ebd., S. 275, Anm. 18. – Auch Albrecht CLASSEN, Naked Men in Medieval German Literature and Art, S. 162, hebt in seiner Lektüre auf den Fehler, voreilige Schlüsse zu ziehen, als Kern der Lehre der Geschichte ab. 287 Vgl. ebenso FB 127a, V. 185f.: „dô wânde [Hervorhebung durch A. S.] ich, / daz er dar inne badete sich“.

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stellen.288 Versteht man das Anliegen der strickerschen Verserzählungen mit EGERDING als den Versuch, die Problemlösungskompetenz der Rezipientinnen und Rezipienten unmittelbar anzuregen289, so ließe sich hier von einer bewussten Offenheit des Textes ausgehen.290 Auffällig ist ja gerade, dass allen Protagonisten ohne Ausnahme exakt der gleiche Fehler unterläuft, der sich durch die narrative Strategie von Wiederholung und Variation als der eigentliche Fokus der Verserzählung herauskristallisiert. Sich einem wân zu überlassen291, so ließe sich weiterführen, ist eine allgemeinmenschliche Untugend, vor der niemand, welchem Stand oder welchem Lebensalter er auch immer angehören mag, sei er nun kint, kneht, ritter oder herre, grundsätzlich gefeit ist292; dies demonstriert schlussendlich die geschickt konstruierte und zugleich unterhaltsame Geschichte. Gleichviel, welches Gewicht und welche Stoßrichtung man dem lehrhaften Anspruch des Textes beimessen möchte, deutlich geworden ist jedenfalls, dass das Thema der ,Nacktheit‘ in dieser strickerschen Verserzählung nur als eine Art eye- oder besser vielleicht ,earcatcher‘ funktionalisiert wird, als ein narratives Vehikel, das dazu dient, um dem Erzähler eine komplexe ethische Konfliktsituation zur Verfügung zu stellen.293 Wie im Nackten Ritter (FB 127o) fungiert der männliche Körper auch hier als Zeichenträger, anhand dessen ein bestimmter Problemzusammenhang plakativ gemacht wird. Sieht man einmal von dem eigenwilligen Resümee des Epimythions ab, so konturiert das abrupte Ende der narratio noch einmal in besonderer Weise diese ethische Bedeutungsebene des Textes: Mit dem Ehrverlust, der durch unzuht droht, steht wiederum die Frage höfischer Standards zur Diskussion.

288

Auch PRITZ bezieht die Lehre gleichermaßen auf den Herrn wie den Knappen, lässt jedoch dabei die Figur des Ritters außer Acht; vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 133f. KÖPPE wiederum betrachtet Herrn und Ritter als die Angesprochenen; vgl. Walter KÖPPE, Ideologiekritische Aspekte im Werk des Stricker, S. 176. 289 Vgl. Michael EGERDING, Probleme mit dem Normativen in Texten des Strickers, hier insbesondere S. 140. 290 Auch BÖHM hält eine intendierte Offenheit des Textes an dieser Stelle für möglich; vgl. Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 122, 128 und Anm. 371. 291 RAGOTZKY interpretiert diese Untugend konkreter als „das Fehlen situationsspezifischen Interpretations- und Handlungsvermögens“; Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 103. 292 Vgl. ebenso Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 165f., der zugleich auf die Identifikation der Rezipienten mit der Figur des Boten abhebt; vgl. des Weiteren Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling, S. 114; Michael WALTENBERGER, Situation und Sinn, S. 304. 293 Daneben gilt hier natürlich ebenso wie für den Nackten Ritter (FB 127o), dass die komischen und erotischen Aspekte des Themas für die unterhaltsame Würze der Verserzählung sorgen; so erfolgt auch in diesem Falle die entsprechende Einordnung FISCHERS in den Themenkreis der ,Komischen Missverständnisse‘; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 98, 102.

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Betroffen sind von dem Ansehensverlust, für den der entblößte Körper symbolisch einsteht, ebenso wie in der Verserzählung vom Nackten Ritter (FB 127o) ausschließlich die männlichen Handlungssubjekte294, wohingegen den höfischen Damen in beiden Erzählungen eine bloß katalysatorische Funktion zukommt: Ihre Augenzeugenschaft stellt sicher, dass auch die Rezipientinnen und Rezipienten das laster der Nacktheit als ein gravierendes Fehlverhalten wahrnehmen.295 Darüber hinaus gründet der männliche Ehrverlust gerade darin, dass das Vermögen des Haushaltsvorstandes, seine Schutzverpflichtung gegenüber den weiblichen Mitgliedern des Hauses in entsprechender Weise wahrzunehmen, in beiden Texten in Zweifel gezogen wird. f.

Der männliche Körper als Agent von êre

Der in den strickerschen Verserzählungen sichtbar gewordene Symbolzusammenhang zwischen der Verfasstheit des männlichen Körpers und der Repräsentation von männlicher êre lässt sich abschließend durch ein weiteres Textbeispiel erhärten. Es handelt sich um eine Szene aus dem Heinrich von Kempten (FB 73a), der letzten von drei Verserzählungen Konrads von Würzburg296, entstanden im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts, die erst in jüngster Zeit wieder ein verstärktes Forschungsinteresse auf sich gezogen hat.297

294

Sowohl der Bote als auch der Hausherr sind davon unmittelbar betroffen; vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 273f. Insofern der Knappe der Schutzbefohlene seines Herrn ist, trägt auch dieser bis zu einem gewissen Grade die Mitverantwortung und muss so einen Ehrverlust verschmerzen. – Anders als SCHNELL beurteile ich den Betroffenheitsgrad der anwesenden Frauen; m. E. droht ihnen zwar nicht unmittelbar, wie SCHNELL ausführt, ein „Ansehensverlust“ (ebd., S. 274), jedoch scheint ihre Reputation zumindest gefährdet. 295 Eine ähnliche narrative Funktion wie die weiblichen Figuren erfüllt diesbezüglich der Hund (vgl. FB 127o, V. 69–80), denn durch seine Beteiligung kann sich der Affront allererst in seinem ganzen Ausmaß entfalten. 296 Neben einem Fragment liegt uns dieser Text in sechs vollständigen Überlieferungszeugen vor, wovon eine Textversion eine Abschrift einer spätmittelalterlichen Handschrift aus dem 17. Jahrhundert darstellt. Aufschlussreich erscheint, dass sich wiederum vier Textzeugen in Sammelhandschriften (HKIw) befinden, die ebenfalls die drei bekannten Entblößungsgeschichten des Strickers, (Der nackte Bote (FB 127a), Die Martinsnacht (FB 127m) und Der nackte Ritter (FB 127o)), beinhalten. 297 Vgl. zu Überlieferung und Stoffgeschichte André SCHNYDER, Beobachtungen und Überlegungen zum ,Heinrich von Kempten‘ Konrads von Würzburg, zur narrativen Struktur Otto NEUDECK, Erzählen von Kaiser Otto, S. 266–300, zu Inhalt und Interpretationsansätzen die Überblicksdarstellungen von Rüdiger BRANDT, Konrad von Würzburg [1987], S. 117–122; DERS., Konrad von Würzburg [2000], S. 89–100; vgl. darüber hinaus die jüngeren Aufsätze von Daniela HEITZMANN, Blick – Affekt – Handlung; Beate KELLNER, Der Ritter und die nackte Gewalt; DIES., Zur Kodierung von Gewalt in der mittelalterlichen Literatur, mit jeweils weiterführenden Literaturhinweisen. Zum Autor vgl. grundlegend Horst BRUNNER, [Art.] Konrad von Würzburg.

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Erzählt wird die Geschichte des Ritters Heinrich, der beim Kaiser in Ungnade fällt, weil er – ich verkürze stark – es sich herausgenommen hat, ihn in einer gewaltsamen Auseinandersetzung am Bart über eine reich gedeckte Festtafel zu ziehen; Heinrich beabsichtigt damit seinen ungehinderten Rückzug zu erzwingen (vgl. FB 73a, V. 250– 382), nachdem der Kaiser ihm in einer vorherigen Konfliktsituation geschworen hat, ihm das Leben zu nehmen (vgl. FB 73a, V. 231–256). Auf einer Heerfahrt, die der Ritter zehn Jahre später aus lehnsrechtlichen Verpflichtungen begleiten muss, obwohl er nach wie vor dem kaiserlichen Bannspruch unterliegt, gerät der Kaiser unbewaffnet in einen Hinterhalt; dies wird von Heinrich beobachtet, während er sich gerade badet. Kurzerhand springt der Ritter „reht als ein ûzerwelter degen / […] ûz dem zuber tief“ (FB 73a, V. 576f.), bewaffnet sich mit Schwert und Schild und stößt nackt zu dem Kaiser, um ihm das Leben zu retten, indem er sämtliche Angreifer erschlägt (vgl. FB 73a, V. 529–595). Nachdem seine Aufgabe erledigt ist, läuft „der ritter zühtec“ (FB 73a, V. 596) unverzüglich zurück zu seinem Zuber, um sein Bad unbeirrt fortzusetzen (vgl. FB 73a, V. 596–603).298 Als der Kaiser erfahren hat, um wen es sich bei dem mutigen Lebensretter handelt, schenkt er Heinrich schlussendlich wieder sein Wohlwollen, söhnt sich mit ihm aus und beschenkt ihn reichlich (vgl. FB 73a, V. 662–743).299 Wie im Nackten Boten (FB 127a) und im Nackten Ritter (FB 127o) dient das Motiv der Nacktheit hier ebenfalls als Vehikel, um eine ethische Position zu verdeutlichen.300 298

Weitere prominente Badeszenen finden sich in den mittelhochdeutschen Verserzählungen Bürgermeister und Königssohn (FB 67b; vgl. hier V. 258–292) sowie Chorherr und Schusterin (FB 67c; vgl. hier V. 10–108) von Heinrich Kaufringer, Der Liebhaber im Bade (FB 79; vgl. hier V. 19–65), Der Preller (FB 97; vgl. hier V. 409,4–10; 409,15–410,8) und Die Nonne im Bade von Peter Schmieher (FB 111a; vgl. hier V. 8–36). Abgesehen von den letzten beiden Texten, die zu der Gruppe der Priapeia zählen, handelt es sich jeweils um Ehebruchszenen. Im Begrabenen Ehemann des Strickers (FB 127c) zwingt eine Frau ihren Mann dazu, ein kaltes Vollbad zu nehmen, um ihn sich gefügig zu machen (vgl. FB 127c, V. 109–125). 299 Das Motiv des nackten Ritters ist keine Erfindung Konrads von Würzburg, sondern war dem Verfasser offenkundig aus historiographischen Quellen bekannt (evtl. aus den Schriften Gottfrieds von Viterbo), wie die Forschung einhellig bemerkt. 300 Der instrumentelle Charakter des Motivs beweist sich nicht zuletzt dadurch, dass die Szenerie – man stelle sich bildlich vor: Ein Ritter beobachtet aus seinem Badezuber, wie der Kaiser in einen militärischen Hinterhalt gerät – jeglichen Realismus’ in ihrer Darstellung entbehrt. – In der Forschung ist die Szene unterschiedlich bewertet worden: Während Wolfgang BEUTIN die Nacktheit psychoanalytisch als Zeichen einer symbolischen Sohnschaft Heinrichs gegenüber dem Kaiser deutet (vgl. Wolfgang BEUTIN, Psychoanalytische Kategorien bei der Untersuchung mittelhochdeutscher Texte, S. 263), versteht André SCHNYDER die Nacktheit des Protagonisten als Zeichen seiner Schutzlosigkeit und sozialen Isolation (vgl. André SCHNYDER, Beobachtungen und Überlegungen zum ,Heinrich von Kempten‘ Konrads von Würzburg, S. 279f.); Helmut BRALL setzt sie indes in Beziehung zur Schutzlosigkeit des Kaisers; auf der Basis dieser Korrespondenz gehe es darum, das gesellschaftliche Ideal der Kooperation stark zu machen; vgl. Helmut BRALL, Geraufter Bart und nackter Retter, S. 50; auf die innere Paradoxalität der Szene verweist Silvan WAGNER, Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters, S. 140f.

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Bei Konrad von Würzburg geschieht dies jedoch gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen, insofern der nackte Körper vom Protagonisten selbst in Szene gesetzt wird. Der entblößte Ritter präsentiert sich freiwillig den Blicken der Öffentlichkeit, obgleich er um seine Nacktheit weiß; wissentlich nimmt er dadurch nicht nur ein großes Risiko in Kauf, um das Leben des Kaisers zu retten, da er ohne Rüstung ja gänzlich schutzlos ist301, sondern muss darüber hinaus auch noch einen hohen persönlichen Ansehensverlust einkalkulieren. Wenn er trotzdem unbekleidet und ungerüstet zur Tat schreitet, beweist dies wiederum seine unverbrüchliche triuwe, die es dem Kaiser ermöglicht, ihm erneut seine Huld zu schenken. Dass sich Heinrich bewusst dafür entscheidet, nackt zu kämpfen, unterscheidet ihn deutlich von dem entblößten Ritter, insbesondere aber von der unglücklichen Figur des nackten Boten, der sich zwar aus eigenen Stücken entkleidet, demgegenüber aber nur zufällig und unfreiwillig in das Licht einer begrenzten Öffentlichkeit gerät. Während beim Stricker die Darstellung des nackten Körpers dazu dient, um Fragen ritterlich-männlicher êre und damit indirekt Fragen höfischer Identitätskonstitution zu thematisieren, steht im Heinrich von Kempten (FB 73a) letztlich der höfische Wert der triuwe zur Disposition, der gegen den Wert der êre ausgespielt wird, um diesen gleichsam zu überflügeln: Denn die soziale triuwe-Bindung Heinrichs zum Kaiser obsiegt über sein individuelles Interesse an êre, das er situativ hinter seine Treueverpflichtung zurückstellt.302 Die von ihm praktizierte „nackte Gewalt“303, die zum Tod der hinterlistigen Gegner führt, orientiert sich dabei keineswegs am Kodex höfischer Werte, sondern stellt sich als ungezügelte Affekthandlung dar; mithin versinnbildlicht das Zeichen der Nacktheit an dieser Stelle einmal mehr den Zustand einer mangelnder Zivilisiertheit: […] es handelt sich um quasi heroische Formen von ,unbeherrschter Gewalt‘, für welche die höfischen Standards von zuht und mâze gerade keine Richtschnur bilden. Stets geht es darum, im entscheidenden Moment ohne lange Vorüberlegung einfach loszuschlagen […]: Umstandslose und unkontrollierte Anwendung von Gewalt, sozusagen nackte Gewalt ist das besondere Kennzeichen dieses Handelns, welches die Rolle des Ritters in Richtung des Heros überschreitet.304

301

Hierin demonstrieren sich die besondere Tapferkeit und der aggressive Kampfeswille des Ritters; vgl. dazu Hubertus FISCHER / Paul-Gerhard VÖLKER, Konrad von Würzburg, S. 122; Rosemary E. TURNER-WALLBANK, Tradition und Innovation in Konrads von Würzburg ,Heinrich von Kempten‘, S. 268; Daniela HEITZMANN, Blick – Affekt – Handlung, S. 101. 302 Vgl. ähnlich auch Beate KELLNER, Der Ritter und die nackte Gewalt, S. 380, die betont, dass in dieser Szene Heinrichs „Antrieb […] das abstrakte Prinzip der triuwe gegen Kaiser und Reich“ sei, „zu welcher er durch seine institutionelle Einbindung als Lehns- und Gefolgsmann im Kriege verpflichtet ist“; vgl. hier und im Folgenden auch DIES., Zur Kodierung von Gewalt in der mittelalterlichen Literatur, S. 94f. 303 DIES., Der Ritter und die nackte Gewalt, S. 380. 304 Ebd.

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Gleichwohl gelingt es Heinrich dadurch, dass er seine triuwe unter Beweis stellen kann, seine êre zu rehabilitieren.305 Dank dieser dialektischen Schleife wird sein Ansehen schließlich doch noch gerettet. Sowohl seine heroische Selbstvergessenheit als auch seine Integrität verhindern eine erotische oder obszöne Einfärbung der Szene, wie wir sie in den strickerschen Verserzählungen beobachten konnten – allenfalls komisch-parodistische Züge306 lassen sich auch bei Konrad von Würzburg nicht gänzlich verhehlen. g.

Der Ritter im Hemde (FB 103)

Die in vier Handschriften307 anonym überlieferte Verserzählung, die sich nur vage in die zweite Hälfte des 13. oder die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datieren lässt308, schließt sich thematisch eng an den Nackten Ritter (FB 127o) und den Nackten Boten

305

Gegen eine solche Deutung spricht sich indes, ohne grundlegend überzeugende Argumente anzuführen, Rosemary E. TURNER-WALLBANK, Tradition und Innovation in Konrads von Würzburg ,Heinrich von Kempten‘, S. 270, aus: Da Heinrich ihrer Auffassung nach gar keinen Ehrverlust erleiden würde, bräuchte er sein Ansehen auch nicht wiederherzustellen. 306 Vgl. zur Komik der Szene Stephen L. WAILES, Konrad von Würzburg and Pseudo-Konrad, S. 105– 107; Beate KELLNER, Der Ritter und die nackte Gewalt, S. 370f., 376f., 380. 307 In den Sammelhandschriften w (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2885; 1393) und i (Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Cod. FB 32001; 1456) sind ebenfalls Der nackte Bote (FB 127a) und Der nackte Ritter (FB 127o) des Strickers überliefert. – Da für den Ritter im Hemde (FB 103) bislang keine kritische Ausgabe vorliegt, stütze ich mich hier auf den längsten und zweitältesten Textzeugen in k, auf den sich alle Zitate, sofern nicht anders gekennzeichnet, beziehen (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Codex Karlsruhe 408; ca. 1430–1435; hier in der Ausgabe von Ursula SCHMID); auf diese Fassung rekurriert in der Regel die Forschung, insofern die älteste Edition durch Adelbert VON KELLER (vgl. Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften, S. 674f.) ebenfalls auf diese Handschrift zurückgreift. Auch der nunmehr durch Hanns FISCHER etablierte neuhochdeutsche Titel der Erzählung, Der Ritter im Hemde, ist dieser Handschrift entlehnt, der da lautet „Der ritter mit dem hemede“ (Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Karlsruhe 408, S. 160); die übrigen mittelhochdeutschen Titelversionen verwenden statt ,hemede‘ das Wort ,niderwat‘ (vgl. Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Vindobonensis 2885, S. 92; Paula HEFTI (Bearb.), Codex Dresden M 68, S. 67; Norbert Richard WOLF, Sammlung kleinerer deutscher Gedichte, S. 37, Faksimile S. 13v). – Nicht zu verwechseln ist diese Geschichte mit der Fabel einer Gruppe von kleinepischen Texten, die das Motiv eines Kleidertausches zwischen Mann und Frau als Liebesprobe auserzählen und zuweilen unter gleichlautenden Titeln firmieren; in diesen Erzählungen trägt ein Ritter als Liebesbeweis das ,Hemd‘ seiner Dame im Turnier und verzichtet dabei auf seine Rüstung; nachher legt die verehrte Dame wiederum als Beweis ihrer Liebe das selbe blutbefleckte Kleidungsstück in der Öffentlichkeit an; vgl. hierzu Raymond Graeme DUNPHY, Der Ritter mit dem Hemd, passim. Auf die höfische Verserzählung von der Frauentreue (FB 38), in der dieses Motiv lediglich variiert erscheint (der Ritter trägt hier ein selbst ausgewähltes ,Hemd‘ im Kampf, an dem er schließlich stirbt; die von ihm verehrte Dame, eine Bürgerin, opfert ihre Kleidung an seiner Bahre und verstirbt ebenfalls; vgl. hierzu auch Anm. 156 des vorliegenden Kapitels), geht DUNPHY bewusst nur am Rande ein; vgl. ebd., S. 1. 308 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, [Art.] ,Der Ritter im Hemde‘, Sp. 100.

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(FB 127a) an. Da sie sich durch ihre eindrückliche Kürze auszeichnet309, ist der Inhalt rasch zusammengefasst: Ein Ritter erblickt bei einem Tanz die Dame seines Herzens und begibt sich unverzüglich in ihre Nähe (vgl. FB 103, V. 9–17). Just in diesem Moment hat sich jedoch sein verschwitztes Untergewand in den Nacken geschoben, worauf ihn sein knecht in aller Heimlichkeit aufmerksam macht: Das unappetitliche Hemd sei, so der knecht, schwarz, unangenehm und widerwärtig anzuschauen (vgl. FB 103, V. 18–26). Als der Ritter ihn nun darum bittet, das Hemd wieder zu richten, passiert ein Malheur, denn der ungeschickte Diener zieht an Stelle des Oberteiles versehentlich die „brúch“ (FB 103, V. 37) des Ritters, d. h. eine Art (Unter-)Hose, bis zu dessen Knien herab (vgl. FB 103, V. 27–38).310 Da das Obergewand – der aktuellen Mode gemäß – vorne und hinten mit einem Schlitz versehen ist (vgl. FB 103, V. 1–8), bietet der Anblick des nunmehr halbentblößten Mannes311 den Damen Anlass zu großer Erheiterung: Die fraúwen sahen e alle Vnd begónden iren schýmpff machen Vnd wúrden sere lachen. (FB 103, V. 40–42)

Obgleich die anwesenden Damen über den Ritter spotten, erweisen sie sich gegenüber dem Diener, der durch das unbeabsichtigte Fehlverhalten Schande auf sich gezogen hat, als überaus nachsichtig: 309

Die Version in der Handschrift d (Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. M 68; 1447) stellt den kürzesten Text innerhalb der Überlieferung der mittelhochdeutschen Verserzählung überhaupt dar; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 456, Anm. 3. 310 Diesem Detail tragen die Titulierungen in w, d und i Rechnung (vgl. Anm. 130 in diesem Kapitel). 311 Es stellt sich die Frage, wie weitgehend man sich die Entblößung des Ritters nach dem Herabziehen der bruoch vorzustellen hat. Gemäß den mittelalterlichen Kleidungsgepflogenheiten ist davon auszugehen, dass der Ritter unter seinem Obergewand – dem „roc“ (FB 127o, V. 33; 37; 41; 51; 62; 67; 87), dem ja im Nackten Ritter (FB 127o) eine zentrale Bedeutung zukommt –, das gewöhnlich bis zu den Knien oder zu den Waden reicht, ein Untergewand („hembde“; FB 103, V. 19; 24; 33; 36; 58) trägt und darunter eine kurze Hose bzw. ein Unterkleid oder eine Unterhose („brúch“; FB 103, V. 37, bzw. „niderwat“ w, V. 35; d, V. 33; i, V. 35), woran in der Regel strumpfartige Beinkleider (hosen) befestigt waren. Die zu Beginn der Erzählung ausführlich erläuterte Tatsache, dass das Obergewand des Ritters nach einer vormaligen Mode vorne und hinten geschlitzt sei (vgl. FB 103, V. 1–8), bezieht sich wohl auf die Kleidungsgebräuche der ritterlich-höfischen Kultur um 1200, für die ein solcher Schnitt, der eine hinreichende Beinfreiheit zu gewährleisten vermochte, durchaus charakteristisch war. Da sich das Untergewand des Ritters hochschiebt, ist also davon auszugehen, dass zumindest der Unterkörper des Ritters entblößt und teilweise durch die Schlitze des Obergewandes sichtbar ist. Dementsprechend scheint es also gerechtfertigt, die Verserzählung mit dem Nackten Ritter (FB 127o) und dem Nackten Boten (FB 127a) in eine thematische Reihe zu stellen. Vgl. zur Kleidung des höfischen Ritters Elke BRÜGGEN, Kleidung und Mode in der epischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, S. 100–105, 210, 223, 225. – Unverständlich erscheint der Erklärungsversuch HEFTIS für den geschlitzten Schnitt des Rockes: „Das Gewand hinten und vorne offenlassen meint wohl, es ausziehen, weil es bei den Erntearbeiten verschwitzt würde. Zum Tanz zieht der Ritter kein frisches Hemd an und wird deshalb ausgelacht.“ (Paula HEFTI (Bearb.), Codex Dresden M 68, S. 67, Anm. zu V. 7).

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Doch gewúnnen sye húlde Dem knecht vmb die schúlde, Dye er het begangen da. (FB 103, V. 43–45)312

Ausdrücklich betont der Erzähler in diesem Zusammenhang die gute Absicht des knechtes, dem Herrn Schande ersparen zu wollen313, sowie die Tatsache, dass er, der knecht, hinfort stets richtig gehandelt habe (vgl. FB 103, V. 46–52). Weniger der Ehrverlust des Ritters, sondern vielmehr derjenige des Knappen steht hier also im Mittelpunkt der Darstellung, wobei auch dessen Fehlgriff seitens des Erzählers deutlich relativiert, ja nahezu entschuldigt wird.314 Das Epimythion (vgl. FB 103, V. 53–58) bietet eine äußerst pragmatische – um nicht zu sagen „recht hausbackene“315 – Lehre an: Man solle sein Aussehen überprüfen, bevor man zum Tanzen geht. Indem abschließend das Handeln des Ritters und nicht mehr dasjenige des Dieners ins Zentrum gestellt wird, zeigt sich erneut die für den Texttyp 312

Dieses wichtige Detail, dass den Frauen an dieser Stelle eine handlungstragende Funktion zugewiesen wird, findet sich in d nicht explizit. In w und i scheint das ,Vergehen‘ des knechtes indes auf weniger Nachsicht zu stoßen: „Die frawen lachten alle / Vnd gewunnen dem knechte huld / Vil chawm [Hervorhebung durch A. S.] vmb div chuld.“ (FB 103 w, V. 38–40; vgl. i, V. 38–40). Hanns FISCHER und mit ihm Rüdiger SCHNELL interpretieren diese Szene dahingehend, dass die „Damen […] den kompromittierten Tänzer [Hervorhebung durch A. S.] um Nachsicht für den Knappen“ (Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 503; dito Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 278) bäten; SCHNELL fügt hinzu, dass dies in w und i nicht [Hervorhebung durch A. S.] („Vil chawm“) gelinge und die entsprechende Stelle in d – sie lautet: „Dez lachoten i all, / Vnd gewunnen dez knechtez huld / Vil leut vmb die elben chuld.“ (vgl. FB 103 d, V. 36–38) – unklar bleibe (vgl. ebd., S. 278 und Anm. 26, S. 279). Mir scheint es hier vor allem angesichts der Unklarheit von d zumindest fraglich, ob diese engführende Interpretation in solcher Ausschließlichkeit formuliert werden sollte. 313 Kryptisch bleibt in diesem Zusammenhang die sentenzhafte Aussage des Erzählers, „Wan dan ein ding geschícht, / So ist e halp ver rícht.“ (FB 103, V. 49f.). Ursula SCHMID schlägt folgende Deutung vor: „wenn nur eines geschieht, so ist ein Ding erst halb vollbracht; d. h. erst denken, dann handeln“ (Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Karlsruhe 408, S. 161). 314 Anders stellt sich das Geschehen allerdings in den Texten der Handschriften w, d und i dar, wenn dort die Folgen des Malheurs jeweils wesentlich stärker gerafft dargestellt werden (vgl. hierzu auch den kurzen Hinweis von Sebastian COXON, der werlde spot, S. 113). Es sind drei Aspekte, in denen sich diese Tradition von k unterscheidet: Erstens spielt die Tatsache weiblicher Augenzeugenschaft hier eine weniger bedeutende Rolle als in k; zweitens wird zusätzlich von einer Flucht des Ritters erzählt, die motiviert ist durch die Schande (vgl. FB 103 w, V. 42; d, V. 40), die er auf sich geladen hat (vgl. FB 103 w, V. 41–43; d, V. 36–41; i, V. 41–43); Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 278, übersieht, dass dieses Element in k fehlt. Drittens wird in w, d und i auf eine Verteidigung des knechtes durch den Erzähler weitgehend verzichtet. Aus letzterem Befund schließt HEFTI – m. E. wenig überzeugend –, dass der Knecht seinen Herrn absichtlich habe lächerlich machen wollen; vgl. Paula HEFTI (Bearb.), Codex Dresden M 68, S. 68, Anm. zu V. 39–40. 315 Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 279.

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zuweilen deutlich zu beobachtende Inkongruenz zwischen der jeweiligen Zielrichtung von narratio und Epimythion.316 Hinzufügen lässt sich, dass im Gegensatz zu den strickerschen Epimythien im Nackten Ritter (FB 127o) und im Nackten Boten (FB 127a) die Schuldhaftigkeit des Entblößten selbst auf dem Prüfstand steht.317 Der zunächst auffälligste Unterschied zu den strickerschen Enthüllungsgeschichten ist jedoch die Tatsache318, dass die anwesenden Frauen im Ritter im Hemde (FB 103) – so zumindest in k – keineswegs mit Scham, sondern vielmehr mit Vergnügen auf die Enthüllung reagieren.319 Dies mag zum einen damit zusammenhängen, dass der männliche Körper hier nicht vollständig entblößt wird, wie im Nackten Ritter (FB 127o) und im Nackten Boten (FB 127a). Zum anderen bleibt der Hergang der Entblößung für die Zuschauerinnen nachvollziehbar, so dass sie die peinliche Situation entsprechend einordnen können. Von vornherein bleibt unstrittig, dass sie sich nicht in entehrender Absicht vollzieht, wie Rüdiger SCHNELL treffend pointiert: Die Schockwirkung eines Fehltritts bleibt hier […] aus, weil die Entstehungsgeschichte und die Unabsichtlichkeit des Fehltritts offen zutage liegt. Die Frauen amüsieren sich über den Fehltritt, weil sie sich als Zuschauer, nicht als Betroffene fühlen.320

Entscheidend ist ferner, dass keine weiteren männlichen Beobachter zugegen sind, so dass die Situation beim Tanz einen nahezu intimen Charakter gewinnt.321 Der Kreis der Anwesenden bildet augenscheinlich nicht ein derartiges Forum, in dem Verstöße gegen den (höfischen) Ehrenkodex auf fruchtbaren Boden fallen könnten. Anders als beim

316

In w und i wird im letzten Vers noch einmal explizit der Aspekt der Scham angesprochen: „Got vńs alle cham wend.“ (FB 103 w, V. 52; i, V. 52). 317 KROHN verweist ganz richtig auf die differierende Intention des Textes gegenüber dem Nackten Ritter (FB 127o), da im Ritter im Hemde (FB 103) mit der Mahnung, sich ordnungs- und standesgemäß zu kleiden, eine Lehre gegeben sei, die auch für den Nackten Ritter (FB 127o) sinnvoll hätte formuliert werden können; vgl. Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 264, Anm. 32. Überbetont scheint mir bei KROHN in diesem Zusammenhang allerdings die Bedeutung des ständischen Aspekts. 318 Auf die strukturelle Gleichheit der drei Verserzählungen verweist Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 232 (vgl. auch S. 233): „Zu diesem Typus gehören all die Mären, die als zentrale Figur einen Protagonisten herausstellen, der zwar auf spezifische Weise unwissend ist, aber durch sein Handeln selbst oder durch die Motivierung seiner Unwissenheit die Sympathien des Lesers besitzt, wobei das Verhältnis von Distanz und Sympathie labil ist.“ – Dies betrifft m. E. letztlich gleichermaßen sowohl den Gastgeber wie den Ritter im Nackten Ritter (FB 127o), den Boten, den Gastgeber und den Herrn im Nackten Boten (vgl. FB 127a) sowie schließlich den ungeschickten knecht und seinen Herrn im Ritter im Hemde (FB 103). 319 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 278. 320 Ebd., S. 278f. 321 Anders SCHNELL, der die Öffentlichkeit der Situation betont und damit die Notwendigkeit der Flucht für den entblößten Ritter begründet, wobei die Flucht allerdings nur in w, d und i dargestellt wird; vgl. ebd. , S. 278.

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Stricker sowie in Konrad von Würzburgs Heinrich von Kempten (FB 73a) rücken die komischen und erotischen Aspekte des Sujets somit stärker in den Vordergrund322, wenngleich das lehrhafte Moment der erzählten Geschichte durchaus präsent gehalten wird. Verschiebt sich somit in der narratio der Verserzählung vom Ritter im Hemde (FB 103) das Interesse von der Zeichenhaftigkeit des entblößten Körpers auf das Fehlverhalten desjenigen, der die Entblößung herbeiführt, so mag dies als ein Schritt zur Desymbolisierung des Körpers gelesen werden, die sich in der Entwicklung des Texttyps hier vielleicht andeutet. In der deutlich späteren Verserzählung ist der symbolische Zusammenhang zwischen der Bekleidung des Protagonisten und seinem Identitätsstatus nahezu vollständig gelöst, wohingegen für die Verserzählungen des Strickers und Konrads von Würzburg, die noch viel stärker in der Tradition der höfischen Epik stehen, von einer prinzipiellen – wenngleich störanfälligen – Kongruenz zwischen Zeichen (bekleidetem bzw. unbekleidetem Körper) und Bezeichnetem (ausgeprägter bzw. mangelnder ritterlich-höfischer Identität) ausgegangen werden kann. Die höfische Integrität des ritterlichen Protagonisten im Ritter im Hemde (FB 103) wird durch seine Entblößung im Grundsatz demgegenüber nicht angetastet, weil der nackte Körper hier nicht mehr zwangsläufig als symbolisches Zeichen für einen Verlust an Ehre und Ansehen einstehen muss. h.

Die Entblößung des weiblichen Körpers

Überblickt man die Darstellung des nackten Körpers in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, so ist nicht zu verkennen, dass es sich nahezu ausschließlich um männliche Körper handelt, die ganz oder teilweise entblößt werden. Entgegen der Annahme, dass insbesondere der weibliche, in der europäischen Kultur mit Passivität und Naturhaftigkeit konnotierte Körper gleichsam prädestiniert sei für eine Darstellung von Nacktheit323, wird er in den mittelhochdeutschen Verserzählungen von dieser signifikanten Form der Bloßstellung weitgehend ausgenommen.324 Oberflächlich ist dies da322

ZIEGELER betont für den Ritter im Hemde (FB 103), dass das Thema der Nacktheit „zum Uraltbestand von Witz- und Schwankmotiven“ (Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 230) gehöre; vgl. ebd. und Anm. 40. Auch SCHNELL hebt die andersgeartete Funktionalität dieser Verserzählung gegenüber den strickerschen Texten hervor; vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 279. 323 Vgl. z. B. Kerstin GERNIG, Bloß nackt oder nackt und bloß?, S. 12, 14–16. 324 Ähnlich verhält es sich in den französischen Fabliaux; LORCIN macht darauf aufmerksam, dass sich lediglich in Les deux Changeors (NF 21) eine längere Textpassage der Schilderung des nackten weiblichen Körpers widme; vgl. Marie-Thérèse LORCIN, Le nu et le vêtu dans les fabliaux, S. 236. Zum entblößten (weiblichen) Körper in der mittelalterlichen Literatur der Romania vgl. weiterführend Renate KROLL, Verführerin mit Herrschaftsstatus, passim. – Auf eine vermeintlich geschlechtsdifferente Darstellung von Nacktheit in der Badeszene zwischen Prinz und Bürgermeisterfrau in Heinrich Kaufringers Verserzählung Bürgermeister und Königssohn (FB 67b) hat André

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mit zu erklären, dass Nacktheit von Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft generell als weitaus anstößiger empfunden wurde als diejenige von Männern und insofern noch viel weniger zu einem literarischen Sujet taugte als diese.325 Allerdings bietet dieser eher unspezifische Erklärungsversuch noch keine befriedigende Begründung für das Ausbleiben dieser Darstellungsform in einem literarischen Texttyp, der in anderen Bereichen Provokation und Tabubruch keinesfalls scheut.326 Richten wir daher den Blick auf die wenigen einschlägigen Beispiele im zugrunde liegenden Textkorpus. Die Entblößung des weiblichen Körpers findet sich zunächst in einer Gruppe von mittelhochdeutschen Verserzählungen, die paradoxerweise dazu angetan ist, gerade von der Absenz des nackten weiblichen Körpers zu zeugen. Es handelt sich nämlich um sog. cross-dressing-Geschichten327, in denen sich die Protagonistinnen jeweils als Männer verkleiden: Nur in der andersgeschlechtlichen Rolle eröffnet sich für sie der Spiel- und Handlungsraum für eine Entblößung – sei es, um durch eine obszöne und erniedrigende Geste wie das Entgegenstrecken des entblößten Gesäßes auf die Lebensführung ihres

SCHNYDER hingewiesen (vgl. André SCHNYDER, Frauen und Männer in den Mären Heinrich Kaufringers, S. 114f. und Anm. 18.): Als der Bürgermeister seine Frau mit dem Prinzen in flagranti bei einem gemeinsamen Bad ertappt, verschließt er die Kleider der beiden Badenden und verriegelt die Tür der Badestube, um ihnen einen Schrecken einzujagen; nach kurzer Zeit gibt er die Kleidung jedoch wieder zurück (vgl. FB 67b, V. 264–313). Während die Nacktheit des Mannes explizit in den Blick genommen werde (vgl. FB 67b, V. 287), so André SCHNYDER, verliere der Erzähler hingegen kein Wort über die Nacktheit der Frau. Dies ist zwar richtig, lässt sich jedoch mit der Strategie des Hausherrn erklären, den für ihn potentiell gefährlichen Aktionsradius seines Kontrahenten durch das Wegschließen der Kleidung zu begrenzen: „der wirt mocht da wol sicher sein / vor dem gast, wann er was plos“ (FB 67b, V. 286f.). Mit der Geschlechterdifferenz der beiden Ertappten hat die unterschiedliche Sichtweise des Erzählers hier also nicht unbedingt etwas zu tun. 325 Vgl. Robert JÜTTE, Der anstößige Körper, S. 117f. 326 Dies gilt umso mehr, als in der weitaus konservativeren Gattung der höfischen Epik die Präsentation des entblößten weiblichen Körpers als Objekt männlicher Begierde durchaus keine Seltenheit darstellt. In den einschlägigen Fällen steht zumeist die erotische Signalwirkung einer nur notdürftigen oder gänzlich fehlenden Kleidung im Vordergrund – erinnert sei hier beispielsweise an die zerrissenen Kleider Enites und Laudines in Hartmann von Aues Artusromanen Erec und Iwein (vgl. Erec, V. 323–338; Ausgabe: Albert LEITZMANN (Hrsg.), Erec [2006]); Iwein, V. 1331f.; Ausgabe: G[eorg] F[riedrich] BENECKE / K[arl] LACHMANN (Hrsg.), Iwein [1968]), die freizügige Darstellung Jeschutes in Wolfram von Eschenbachs Parzival (vgl. Parzival, V. 130,3–25; Ausgabe: Karl LACHMANN (Hrsg.), Parzival [1998]) oder an den Extremfall des namenlosen Mädchens im Armen Heinrich von Hartmann von Aue, das sich splitternackt dem voyeuristischen Blick ihres Lehnsherrn und künftigen Ehemannes aussetzt (vgl. Der arme Heinrich, V. 1187–1280d; Ausgabe: Hermann PAUL (Hrsg.), Der arme Heinrich [2001]); vgl. zu diesem thematischen Kontext neuerdings Silke WINST, Körper und Identität. – Letzteres Textbeispiel aus dem Armen Heinrich lässt sich wiederum mit einer religiös-theologischen Indienstnahme der Nacktheit als Zeichen von Demut in Verbindung bringen, wie wir sie in Kap. 2.2.1.b aufgezeigt haben; zur Entkleidung des Mädchens im Armen Heinrich vgl. Andreas KRAß, Geschriebene Kleider, S. 215–220. 327 Vgl. hierzu systematisch Kap. 4.1 der vorliegenden Arbeit.

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männlichen Widerparts einzuwirken – wie in den Verserzählungen Beringer (FB 15)328 und Der arme Bäcker von Hans Folz (FB 30a)329 –, sei es, um die eigene Identität anhand der anatomischen Beschaffenheit des weiblichen Körpers unter Beweis zu stellen – so wie in der späten Verserzählung Ritter Alexander (FB 102).330 Einen weiteren Sonderfall stellt die unschuldige Mörderin in Heinrich Kaufringers gleichnamiger Verserzählung Die unschuldige Mörderin dar (FB 67i).331 Sie gerät in eine ,Notlage‘ dadurch, dass eines ihrer Hoffräulein nicht mehr von der Seite ihres Ehemannes weichen will, nachdem sie diese in der Hochzeitsnacht dazu verpflichtet hat, ihren eigenen Platz im Brautbett einzunehmen332; sie möchte auf diese Weise verhindern, dass der Verlust ihrer Jungfräulichkeit, den sie kurz zuvor durch eine indirekte Vergewaltigung erlitten hat (vgl. FB 67i, V. 229–261), nicht ruchbar wird (vgl. FB 67i, V. 469–576). Gleichsam als Beweis dafür, dass sie selbst bei ihrem schlafenden Ehemann gelegen habe, entledigt sie sich ihrer Kleider und präsentiert sich ihm „nacket unde plos“ (vgl. FB 67i, V. 597), bevor sie ihn aus dem Raum lotst, um ihre schlafende Dienerin skrupellos darin verbrennen zu lassen (vgl. FB 67i, V. 576–616).333 328

Eine Frau, die ihren Ehemann inkognito zu einem besseren Lebenswandel bewegen möchte, versucht in dieser Verserzählung ihrem Mann u. a. dadurch Furcht und Respekt einzuflößen, dass sie ihn in der Verkleidung eines Ritters dazu erniedrigt, ihr entblößtes Gesäß zu küssen (vgl. FB 15, V. 197–201). Der Text lässt sich vage gegen Ende des 14. Jahrhunderts datieren (vgl. Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Beringer‘, Sp. 722), letztendlich scheint eine Entstehung im späten 13. oder im 15. Jahrhundert jedoch nicht auszuschließen zu sein; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1107. 329 Eine ähnliche ,Strafe‘ wie im Beringer (FB 15) fordert in Hans Folz’ Verserzählung Der arme Bäcker (FB 30a) eine als Mann verkleidete Adlige von einem Bäcker, der dafür büßen soll, dass er in ihrem Wald Holz gestohlen hat (vgl. FB 30a, V. 29–34). 330 Die Protagonistin, die sich im Rahmen einer Ehebruchgeschichte als Mann verkleidet, präsentiert vor Gericht ihre Brüste (vgl. FB 102, V. 202f.). In der gleichen Erzählung findet sich ein weiterer Verweis auf eine weibliche Entblößung, die jedoch im Kontext der entscheidenden Liebesszene steht (vgl. FB 102, V. 148). Zur Datierung des Textes in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vgl. Frieder SCHANZE, [Art.] ,Ritter Alexander‘, Sp. 94. – In der cross-dressing-Geschichte Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) ist am Rande von einer Entkleidung der Protagonistin die Rede (vgl. FB 66, V. 39f., 243), ohne dass auf ihre Nacktheit eingegangen würde; dies steht jedoch nicht in einem Zusammenhang mit ihrer späteren Verkleidung als Mann; vgl. dazu weiterführend Kap. 3.2.2.c sowie 4.1.2.e der vorliegenden Arbeit. 331 Vgl. hierzu zuletzt Michaela WILLERS, Schwankmuster und deren Funktionalisierung in den Texten Heinrich Kaufringers; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 176–179. 332 Motivgeschichtlich betrachtet handelt es sich dabei um das Motiv der ,untergeschobenen Braut‘; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1290. 333 Schließlich ist auf eine weitere Entblößung einer weiblichen Figur in der Verserzählung Frauentreue (FB 38) zu verweisen. In dem betreffenden Text folgt eine Bürgersfrau dem von ihr geliebten Ritter, der tot in der Kirche aufgebahrt ist, um dort selbst dem Liebestod zu erliegen. Sie opfert zuvor „mantel und sukkenîe“ (FB 38, V. 359), sodann ihr „gewant“ (FB 38, V. 363), so dass sie nur noch ihren „rocke“ (ebd.) trägt; schließlich opfert sie auch diesen, wobei sie „vor leide gar der scham“ (FB 38, V. 366) vergisst. – Diesen Text können wir jedoch weitgehend außer Acht lassen,

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Körperzeichen

Die einzige weibliche Figur, deren Nacktheit in der mittelhochdeutschen Verserzählung indes den Angelpunkt einer Handlungskonstellation bildet, ist die Figur einer Magd in der auffällig misogyn anmutenden Verserzählung Des Hausknechts Rache (FB 52). Sie ist lediglich unikal und nur in Fragmenten im ,Augsburger Liederbuch‘ aus der Mitte des 15. Jahrhunderts überliefert.334 Folgende Geschichte wird erzählt: Eine Hausmagd, die sich den Annäherungsversuchen des Hausknechts Heinrich zunächst brüsk verweigert (vgl. FB 52, V. 11–42), begibt sich eines Nachts, getrieben von „nachthunger“ (FB 52, V. 52) und „min“ (ebd.), schließlich doch noch zum Bett des Knechts. Wie ein Hund kriecht sie auf allen vieren und ohne Bekleidung zu dem Objekt ihrer Begierde (vgl. FB 52, V. 54–59). Motiviert wird die eigentümliche Gangart der Magd durch die besonderen Räumlichkeiten des Bauernhofes, denn sie muss ein schmales Dielenbrett überqueren, um zu der hoch gelegenen Schlafstätte des Knechtes zu gelangen (vgl. FB 52, V. 44–48). Aufgrund ihrer unförmig-grotesken Körpergestalt und ihres gelösten Haares wird sie von Heinrich im Mondlicht zunächst für ein zottiges Tier gehalten (vgl. FB 52, V. 62–77). Erst nachdem sich die Magd dem völlig verängstigten Knecht zu erkennen gegeben hat (vgl. FB 52, V. 78–80), nutzt dieser die Gunst der Stunde, um sich für ihre frühere Missachtung zu rächen (vgl. FB 52, V. 121–124): Heinrich ruft ihren Herrn, den „gevatter Hainzman“ (FB 52, V. 148), unter dem Vorwand, dass ein Tier aus dem wilden Wald ins Haus gekommen wäre (vgl. FB 52, V. 81–86). Dieser stürzt nun, mit Panzer und Axt versehen, herbei, als er von dem Knecht unter großem Getöse erfährt, dass es sich nicht, wie von ihm vermutet, um Marder oder Iltis, sondern vielmehr um ein ganz ungewöhnliches

da die Protagonistin bis zuletzt noch von einem Hemd bekleidet zu sein scheint, sich also nicht gänzlich nackt präsentiert (vgl. so zumindest Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 172f.; Kurt RUH, Zur Motivik und Interpretation der ,Frauentreue‘, S. 259, 262, 264; Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Zur Funktion exemplarischer triuwe-Beweise in Minne-Mären, S. 101; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik, S. 1183, Kommentar zu V. 365, anders dagegen Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 304f., der ohne Angabe von Gründen von der Nacktheit der Frau ausgeht; BURCHARDT verweist in seiner Edition auf einige sachliche Unstimmigkeiten bezüglich der entscheidenden Textstelle in den sechs Überlieferungszeugen des Textes; er interpretiert diese Differenzen dahingehend, dass die Protagonistin in keiner der Fassungen ihr ,Hemd‘ ablegt, mit Ausnahme allerdings der späten Fassung in l, also der Laßbergschen ,Liedersaal-Handschrift‘; aufgrund der getroffenen Wortwahl müsse davon ausgegangen werden, dass die Protagonistin sich in dieser Version des Textes vollständig entkleide; vgl. zu den Details Kurt BURCHARDT, Das mhd. Gedicht von der „Frauentreue“, S. 68). Zur Frauentreue (FB 38) ganz allgemein, die wohl um 1300 entstanden ist, vgl. K[urt] RUH, [Art.] ,Frauentreue‘. – Eine weitere Ausnahme bildet schließlich Das Rädlein (FB 64), in dem der nackte Körper eines jungen Mädchens aus einer voyeuristischen Perspektive beschrieben wird (vgl. FB 64, V. 119–136); vgl. hierzu Kap. 2.2.2.c der vorliegenden Arbeit. 334 Vgl. Johannes JANOTA, [Art.] ,Des Hausknechts Rache‘, Sp. 554. – Zur besonderen Konturierung der Erzählerrolle in dieser Verserzählung vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 77, Anm. 10, S. 78–80, 85–88, 329, Anm. 112.

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Tier von weißer Farbe handeln soll, das auf seinem Hinterteil sitze (vgl. FB 52, V. 87– 115). Ebenso wenig wie sein Knecht weiß dann auch Hainzman mit der merkwürdigen Erscheinung etwas anzufangen: „ich waiß nit, wem es ist genoß. es hat zwen füß als ain per und zwen sek, die send schwer, und zwai hornen als ain wider. wen es greift, den stoßt es nider.“ (FB 52, V. 130–134)

Unter Anwesenheit der (männlichen) Nachbarschaft wird schließlich das Licht entzündet, so dass alle erkennen müssen, dass es sich bei dem vermeintlichen Ungetüm bloß um die Hausmagd handelt. Die Verserzählung bricht mit den verächtlichen Spottreden zweier Nachbarn ab335, die auf Nacktheit und Hässlichkeit des entblößten Körpers Bezug nehmen sowie auf den provozierenden Umstand seiner fehlenden Bekleidung (vgl. FB 52, V. 135–152). Es scheint kein Zufall zu sein, dass die einzige Frauenfigur, deren Nacktheit in den mittelhochdeutschen Verserzählungen explizit thematisiert wird, innerhalb der mittelalterlichen Ständehierarchie eine deutlich untergeordnete Position einnimmt. Dieser Befund wiegt umso schwerer, als der Gruppe des Dienstpersonals ohnehin nur in sehr wenigen Beispielen dieses literarischen Texttyps eine Protagonistenrolle zufällt.336 Ebenso scheint es kein Zufall zu sein, dass die Entblößung nur schemenhaft skizziert wird und mehr oder weniger in den Schleier nächtlichen Dunkels gehüllt bleibt, während die Kommentierung des identifizierten Frauenkörpers – gleichsam Distanz schaffend – durch Figuren- und nicht durch Erzählerrede erfolgt. Insgesamt zeichnet sich in dieser Verserzählung, in der wiederholt mit Frau-Tier-Vergleichen operiert wird337, eine überaus negative und degradierende Zeichnung der Protagonistin ab, die in erster Linie wohl in dem Umstand ihrer zur Schau gestellten Nacktheit gründet. Der zivilisatorische Aspekt der (höfischen) Scham ist in Des Hausknechts Rache (FB 52) hingegen weder für die Figur der entblößten Frau noch für die männlichen Augenzeugen von besonderer Relevanz. Resümierend lässt sich an dieser Stelle ein erstes Ergebnis bezüglich der Geschlechtsspezifik in der Darstellung von Nacktheit respektive der unterschiedlichen Funktionalisierung von männlichen und weiblichen Körpern in der mittelhochdeutschen Verserzählung formulieren. Es scheint so, als ob die Zeichenfunktion, die dem nackten männlichen Körper innewohnt und auf ganz unterschiedliche Bedeutungskontexte be335

Es folgen darauf lediglich zwei unspezifische Verse, in denen die Magd wiederum das Wort ergreift (vgl. FB 52, V. 153f.). 336 Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 124. 337 Es handelt sich konkret um Vergleiche mit Hund (vgl. FB 52, V. 57), Affe (vgl. FB 52, V. 95), Bär (vgl. FB 52, V. 131) und Widder (vgl. FB 52, V. 133) sowie Bezugnahmen auf hühnermordenden Marder (vgl. FB 52, V. 91f.) und Iltis (FB 52, V. 93).

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zogen sein kann (Narrheit, Heiligkeit, Sexualität, êre, ritterliche Identität), für den weiblichen Körper gänzlich ausgeschlossen wird. Entweder verweist der nackte weibliche Körper gleichsam zirkulär auf sich selbst, wie in einer kleinen Gruppe von crossdressing-Geschichten (Beringer (FB 15), Hans Folz’ Der arme Bäcker (FB 30a), Ritter Alexander (FB 102)) sowie in Heinrich Kaufringers Unschuldiger Mörderin (FB 67i), oder aber er wird von vornherein als etwas anderes wahrgenommen, als er ist – nämlich als tierischer Körper in Des Hausknechts Rache (FB 52), womit er jedoch die Fähigkeit, etwas zu symbolisieren, vollständig einbüßt. Auf der Basis des behandelten Textmaterials lautet daher meine abschließende Hypothese, dass in den mittelhochdeutschen Verserzählungen ausschließlich der männliche Körper – selbst noch in der Darstellungsform seiner Nacktheit – als Bedeutungsträger erscheint.338 Dies gilt auch, wenn sich im Einzelfall, wie etwa in der Verserzählung vom Ritter im Hemde (FB 103), Abweichungen von dem Prinzip der Symbolizität des Körpers ergeben mögen. Aus seiner genuinen Symbolbestimmtheit resultiert, dass der männliche Körper erzählstrategisch von primärem Interesse ist. Dem weiblichen Körper wird, so weit wir sehen, dahingegen jegliche Zeichenfunktion abgesprochen. Er fungiert, so lässt sich umgekehrt schließen, in der mittelhochdeutschen Verserzählung – ungeachtet seiner weitreichenden thematischen Prominenz – letztendlich als eine semantische Leerfläche. 2.2.2 Der bezeichnete Körper Kommt der weibliche Körper einer semantischen Leerfläche gleich, so können ihm beliebige Bedeutungen zu- und eingeschrieben werden. Tatsächlich handeln drei mittelhochdeutsche Verserzählungen exakt von einer solchen Bezeichnung oder Beschriftung eines weiblichen Körpers, nämlich Die zwei Maler (FB 81), Das Rädlein von Johannes von Freiberg (FB 64) sowie Das Kreuz (FB 75). Lediglich in einem einzigen Fall, nämlich im Dieb von Brügge (FB 23), erfolgt eine explizite Bezeichnung eines männlichen Körpers. Alle vier Verserzählungen lassen sich jedoch, wenngleich in unterschiedlichem Maße, mit dem in der internationalen Erzählliteratur verbreiteten Motiv „Painting on wife’s stomach as chastity index“339 in Verbindung bringen. Sie unterscheiden sich

338

Zu einem anschließbaren Ergebnis gelangt Silke WINST in Bezug auf von ihr untersuchte Texte der höfischen Epik (Hartmann von Aues Erec und Iwein, Wolfram von Eschenbachs Parzival und Wirnt von Grafenbergs Wigalois). Sie arbeitet auf der Grundlage der These, dass Nacktheit im höfischen Diskurs stets an die Frage von Identitätskonstitution geknüpft sei, eine Differenz hinsichtlich des männlichen und weiblichen Geschlechts heraus; sie hebt jedoch primär Unterschiede in der Quantität eines möglichen Identitätsverlustes heraus, welcher durch die Nacktheit markiert werde und in vollem Ausmaß nur die männlichen Figuren betreffe; vgl. Silke WINST, Körper und Identität, S. 351–354. 339 Mot. H. 439.1.1; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1230; HansJoachim ZIEGELER, [Art.] ,Die zwei Maler‘, Sp. 1620.

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nicht zuletzt aufgrund dieser gemeinsamen motivgeschichtlichen Grundlage wesentlich von einer größeren Anzahl von Verserzählungen, in denen ein Körper nicht mit einer exakten Bezeichnung versehen, sondern im Ganzen bemalt oder stellenweise eingefärbt wird. Um die uns interessierenden Text noch einmal deutlich von dieser Gruppe abzugrenzen, möchte ich eine kurze Überschau über die entsprechenden Textpassagen bieten, die von einer weitgehend unspezifischen Einfärbung des Körpers handeln, bevor ich im Anschluss daran auf die Darstellung des bezeichneten Körpers i. e. S. eingehen werde.340 a.

Die Einfärbung des Körpers

Verschaffen wir uns zunächst also einen Überblick über die einschlägigen Stellen in unserem Textkorpus, die eine Einfärbung eines Körpers literarisch darstellen:  Im Pfaffen in der Reuse Heinrichs von Pforzen (FB 56) wird, wie wir bereits gesehen haben, ein Pfaffe eingeschwärzt, der sich in einer Reuse über dem Herd versteckt hat, und zwar durch aufsteigenden Rauch (vgl. FB 56, V. 194–245)341: ruozic und ungechaffen was er von rouche worden gar. reht als ein kole warz gevar was in wizer tolzer lip worden, als ein iechez wip diu von einer üht ertanden it. (FB 56, V. 240–245)

340

Der Themenkomplex der Bezeichnung des Körpers ist für die mittelhochdeutsche Literatur bislang vornehmlich im Hinblick auf den ,gezeichneten‘ Körper in der geistlichen Dichtung untersucht worden, wo „Wundmale, Narben, Zeichen, auch Tätowierungen […] nach dem Vorbild Christi auch auf dem Körper charismatisch auserwählter Menschen“ (Urban KÜSTERS, Narbenschriften, S. 81) erscheinen. Wenn in der christlichen Kultur des 13. Jahrhunderts ein gesteigertes Interesse an der Bezeichnung des Körpers zu erkennen ist, so liegen die Wurzeln sowohl in der alttestamentarischen Tradition (göttliche Offenbarung) wie auch in Antike (Besitzkennzeichnungen von Sklaven) und Frühchristentum (Kultpraxis); vgl. Urban KÜSTERS, Auf den fleischernen Tafeln des Herzens, S. 252. Es scheint nicht untypisch für die spätmittelalterliche Zeichenpraxis zu sein, dass mit den Schriftzeichen einzelne Körperteile in den Mittelpunkt gerückt werden (vgl. ebd., S. 259). Insgesamt benennt KÜSTERS vier Funktionsaspekte der „inkorporierten Schrift“ (Urban KÜSTERS, Der lebendige Buchstabe, S. 107) im Mittelalter: „Kultsignierungen – Leidensmarken – Herzensschriften – Straf-, Buß- und Schutzzeichen“ (ebd.). – Hauptsächlich hat sich auf diesem Forschungsgebiet Urban KÜSTERS mit mehreren Beiträgen hervorgetan; vgl. Urban KÜSTERS, Späne, Kreuze, Initialen [1996]; DERS., Zeichen auf der Haut in der religiösen Kultur des Mittelalters [1997]; DERS., Narbenschriften [1999]; DERS., Der lebendige Buchstabe [2001]; DERS., Ebenbild und Spur [2002]; DERS., Auf den fleischernen Tafeln des Herzens [2002]. – Aus interdisziplinärer Perspektive vgl. zudem auch Bettine MENKE / Barbara VINKEN (Hrsg.), Stigmata [2004]; Henriette HERWIG (Hrsg.), Zeichenkörper und Körperzeichen im Wandel von Literatur- und Sprachgeschichte [2005]. 341 Zur Deutung als Brandmarkung seiner Sündhaftigkeit vgl. Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 347.

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 Mit roter Farbe wird ein Pfaffe, der die Ehefrau eines Malers vergeblich bedrängt, im Herrgottschnitzer (FB 62) angestrichen, nachdem sie den unliebsamen Verehrer im Atelier ihres Mannes an ein Kreuz gelehnt hat: i [d. i. die Malersfrau] trackt in an ein criuze hin nu hete zuo der tunde ein hübchen lit gevunden und was zuo der bühen komen und hete varwe druz genomen und hete inen lip geroet, als in die juden heten getoet (FB 62, V. 118–124).342

 Weniger provokant und drastisch343 erscheint die gleiche Szene in den beiden späteren, Hans Rosenplüt zwar zugeschriebenen, vermutlich jedoch nicht von ihm stammenden344 Fassungsvarianten des Bildschnitzers von Würzburg (FB 105b), in denen ein ehebrecherischer Propst von der Ehefrau eines Malers aufgefordert wird, sich entkleidet zwischen den Holzfiguren des Ateliers zu verstecken und bunt anmalen zu lassen. Anders als im Herrgottschnitzer (FB 62) findet sich hier kein blasphemischer Hinweis auf die Kreuzigung Christi, und zumindest in der zweiten rosenplütschen Fassung wird explizit betont, dass der Propst schließlich noch in Unterhosen gekleidet ist: si sprach: „gut rat wil ich euch geben. so zihet ab die eurn wot. ich wil euch verben geel und rot ich wil euch maln weiß und pla. so steet ir zu den gotten da.

342

sie sprach: „gut rat wil ich euch geben. nu zicht ab palde alle euer wot, so wil ich euch verben gel und rot und wil euch malen weiß und pla. so stet ir zu den götzen da und mischt euch under sie an die want,

Obgleich SCHIRMER, BEINE und TANNER davon sprechen, dass ihm „die Wundmale Christi auf den Körper“ (Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 292f.; mit gleichem Wortlaut Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 146; Ralph TANNER, Sex, Sünde Seelenheil, S. 448; vgl. auch Karl-Heinz SCHIRMER, [Art.] ,Der Herrgottschnitzer‘, Sp. 1147) gezeichnet würden, muss wohl davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei aufgrund des unspezifischen Verbs ,roeten‘ eher um eine durchaus großflächige Bemalung handelt; vgl. ebenso Dora KURZ, Verluste auf dem Gebiet der mittelhochdeutschen höfischen Erzähldichtung, S. 213; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 110f., unter Einbeziehung der entsprechenden Motivik in der altfranzösischen Fabliauxtradition. Dass diese Art der Darstellung als blasphemisch betrachtet werden konnte, bezeugt die Verstümmelung der mittelalterlichen Handschriften an den einschlägigen Stellen; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1322. 343 Vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 111; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1323; Nicola ZOTZ, [Art.] ,Der Bildschnitzer von Würzburg‘, Sp. 258. 344 Vgl. Jörn REICHEL, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 97; Nicola ZOTZ, [Art.] ,Der Bildschnitzer von Würzburg‘, Sp. 256f.

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ir seit dem maler unbekant.“

so seit ir meinem man unbekant.“

(FB 105b I, V. 68–73)

der probst zog sich ab piß auf ein pruch. […] sie streich dem probst die varb an und stelt in an der götzen zeilen (FB 105b II, V. 66–77).

 Im Fahrenden Schüler (FB 105g), ebenfalls von Hans Rosenplüt und wiederum in zwei Fassungen überliefert, hilft ein reisender Student einem ehebrecherischen Pfaffen aus seiner misslichen Lage, indem er ihn sich entkleiden lässt und als „teufel“ (FB 105g I, V. 85; II, V. 83) maskiert: der pfaff zoch sich nacket ab. die pruch er im auch darzu gab. er bescheiß den pfaffen wol mit ruß von dem haubt piß auf den fuß. er macht in schwarz als ie kein rab.

der pfaffe zog sich nacket ab. er sprach: „die bruch muß auch herab.“ da bescheiß er den pfaffen wol mit ruß von oben herab biß auf den fuß und macht in swarz als ie kein rab.

(FB 105g I, V. 145–149)

(FB 105g II, V. 141–145)345

 In Hans Folz’ Verserzählung Der Schinkendieb als Teufel (FB 30p) wird ein Dieb für den Teufel gehalten (vgl. FB 30p, V. 47f; 58–60), weil er sich mit Kohle und Ruß bestreicht, um einen Einbruch zu vertuschen, nachdem er unverhofft entdeckt worden ist346: Des rempt er sich der küchenthür Und machet zu den pfannen sich. Hend und antlicz er mit bestrich, Pis er gleich einem morn erschein; Nams maul vol koln und keüt die clein. (FB 30p, V. 38–42) Der dip sein maul fast weyt auffreiß, Zung und der gum vor swercz als gleiß Allein von den zukeüten koln. (FB 30p, V. 53–55)

 Die einzige weibliche Protagonistin, die in den mittelhochdeutschen Verserzählungen ,eingefärbt‘ wird, ist die Geliebte eines Mönchs in Hans Rosenplüts Text von

345

BLAMIRES betont für beide Texte Rosenplüts, den Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b) wie den Fahrenden Schüler (FB 105g), den hohen Symbolwert, den die dargestellten Einfärbungen in sich bärgen: „The smearing with soot is an obvious degradation of the priest and symbolizes the moral filth which his action represents in the story.“ (David BLAMIRES, Sexual comedy in the Mären of Hans Rosenplüt, S. 104; vgl. ebd., S. 105). 346 Sebastian COXON, das geschach zu ainer fasnacht, S. 199, bringt diese Verkleidung mit zeitgenössischen Fastnachtsbräuchen in Zusammenhang; zur weiteren Ausdeutung vgl. Alwine SLENCZKA, Der Teufel als ,Vater der Lüge‘, S. 57f.; DIES., Mittelhochdeutsche Verserzählungen mit Gästen aus Himmel und Hölle, S. 167f.

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der Tinte (FB 105i), die sich in dessen Kammer mit Rosenwasser erfrischen will, aus Versehen jedoch in das falsche Gefäß greift: das selbig voller tinten was. do wurd sie fra, da sis vant, und goß der tinten vol ir hant und pestraich sich damit auf der vart, das sie eim teufel gleich sehen wart (FB 105i, V. 70–74).

Weil sie „schwerzer denn ie kain mor“ (FB 105i, V. 91) ist, wird sie von den Brüdern des Konvents für den Teufel gehalten (vgl. FB 105i, V. 86; 92). Erst zu Hause entdeckt sie in ihrem Spiegel, wie sie sich selbst verunstaltet hat. Bezeichnenderweise wird in Bezug auf eben diese weibliche Protagonistin geschildert, wie sie die Einfärbung eigenhändig wieder entfernt (vgl. FB 105i, V. 100–104).347 Auffällig ist weiterhin, dass sich die Frau nicht nackt aus dem Kloster entfernt, sondern sich davor sittsam in „ain leilach“ (FB 105i, V. 96) wickelt.  Nicht nur der Teufel, sondern auch der Narr kann „geswerzet als ein môr“ (FB 74 V. 180) erscheinen, wie in Der halben Birne (A) (FB 74) deutlich wird, wenn sich der ritterliche Protagonist auf Rat seines Knappen als Narr verkleiden soll: [„]nach tobelichen sinnen lâzet iu vermüseln mit râme und mit üseln antlitz und varwe, daz iuwer lîp vil garwe swarz als ein erde sî.[“] (FB 74, V. 148–153)

Im Gegensatz zu den Bauern- und Pfaffenfiguren wird auch hier, wie bei der weiblichen Protagonistin in der Tinte (FB 105i), im Verlauf der Handlung explizit die Reinigung „von râme vnd ouch von schimele“ (FB 74, V. 109) geschildert.  Schließlich seien noch die beiden Fassungen von Hans Folz’ Drei listige Frauen (C) (FB 30f) erwähnt, in denen eine Ehefrau ihren Ehemann mit Ruß und Safran bestreicht, um ihn glauben zu machen, dass er gestorben sei:

347

Pald eylet sie und mischt zusamen Saffran und rus in einen swamen. Die selbig farb sie im anstreich Und macht in allen swarcz und pleich.

Ruß und saffran sie im anstreich Und macht in allen swarcz und pleich.

(FB 30f I, V. 11–14)

(FB 30f II, V. 9f.)

Ingeborg GLIER, Hans Rosenplüt als Märendichter, S. 149, weist zudem auf den ironischen Umstand hin, dass gerade eine weibliche Figur durch Tinte (und nicht durch Ruß o. Ä.) zum Teufel stilisiert wird. SLENCZKA deutet die Szene im Hinblick auf die mittelalterliche Vorstellung, dass sich der Teufel in eine Frau verwandeln könne, um die Mönche in Versuchung zu führen; vgl. Alwine SLENCZKA, Der Teufel als ,Vater der Lüge‘, S. 56f.; DIES., Mittelhochdeutsche Verserzählungen mit Gästen aus Himmel und Hölle, S. 167f.

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Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu wollen, bestätigt die Aufstellung unseren Befund von der narrativen Symbolhaftigkeit des männlichen Körpers in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen. Eine besondere Gruppe nehmen dabei Geistliche ein, deren Sündhaftigkeit durch die Einfärbung zeichenhaft markiert wird. Eine Ausnahme bestätigt die Regel, dass lediglich männliche Körper bezeichnet werden, denn allein in Hans Rosenplüts Tinte (FB 105i), also einem relativ späten Vertreter des Genres, wird einer weiblichen Figur eine symbolhafte Einfärbung zuteil. Zugleich liefert dieser Text – und dies ist in meinen Augen kein Zufall – das einzige Beispiel für eine unbewusst vorgenommene, also nur zufällig sich einstellende Einfärbung eines Körpers, die schlicht auf einer Verwechslung beruht. Es handelt sich bei der irregulären Codierung des weiblichen Körpers in der Tinte (FB 105i) somit im doppelten Sinne um eine Form von ,Versehen‘. Wenden wir uns nun aber mit der Bezeichnung des Körpers unserem eigentlichen Untersuchungsschwerpunkt zu und betrachten, inwiefern sich hier ein anders akzentuiertes Rollenbild des weiblichen Körpers herauskristallisiert. b.

Die zwei Maler (FB 81)

Um die Überlieferungslage der Zwei Maler (FB 81), einer wohl moselfränkischen Verserzählung, deren Entstehungszeit um 1300 angenommen werden darf, ist es nicht gerade zum Besten bestellt: Der Text ist lediglich einfach und zudem bloß fragmentarisch in 287 Versen überliefert, wobei der komplette Schlussteil der Erzählung im Umfang von ca. 144 Versen fehlt; die zur Zeit – mangels einer besseren – maßgebliche Edition Adelbert VON KELLERS basiert wiederum lediglich auf einer Abschrift dieses Fragments durch Franz ROTH.348 Die Erzählung hebt an mit einem inhaltlich recht allgemein gehaltenen Promythion (vgl. FB 81, V. 251,3–252,6)349, das die Zielsetzung der narratio vorwegnimmt, „Den hübschen jvngelingen“ (FB 81, V. 251,6) sowie „Den megeden vnd den frawen“ (FB 81, V. 251,8)350 die außerordentliche „behendekeit der wibe“ (FB 81, V. 251,10) zu 348

Die Kloßsche Handschrift (f) aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts, in welcher der Text überliefert ist, beinhaltet neben den Zwei Malern (FB 81) und weiteren Texten unterschiedlichster Gattungszugehörigkeit noch die beiden Verserzählungen Der Schüler zu Paris (A) (FB 118) sowie (fragmentarisch) den Schwanritter Konrads von Würzburg (FB 73c). Zu Datierung und Überlieferung des Textes vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Die zwei Maler‘; zur Edition vgl. Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften, S. 251, Anm. 1. Wohl irrtümlich datiert GRUBMÜLLER den Text gegen Ende des 14. Jahrhunderts; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1231. 349 Da die zugrunde liegende Edition VON KELLERS die Verse nicht durchlaufend zählt, beziehen sich die Zahlenangaben vor dem Komma hier wie im Folgenden jeweils auf die Seitenzahl der Edition, die Angaben nach dem Komma auf die Verszählung auf der entsprechenden Seite dieser Ausgabe. 350 ZIEGELER akzentuiert, dass im Promythion eine „Warnung der jungen Männer vor der List der Frauen“ formuliert werde (Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Die zwei Maler‘, Sp. 1620). M. E. sind hier sowohl Männer wie auch Frauen adressiert.

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demonstrieren.351 Die weibliche List werde vorzüglich dazu eingesetzt, um Männer zu betrügen: Obgleich hinlänglich bekannt sei, dass Frauen lügen würden, fielen Männer gleichwohl immer wieder darauf herein; dies entspräche nun einmal ihrem Charakter (vgl. FB 81, V. 252,2–6).352 Erzählt wird in dem epischen Text von zwei erfolgreichen Malern, die ihre Wohnung sowie alles andere miteinander teilen und sich einander in Freundschaft verbunden fühlen (vgl. FB 81, V. 252,7–17). Als einer der beiden Maler heiratet, bahnt sich ein Konflikt an, weil sein Freund und seine Frau sich ineinander verlieben, ohne dass beide zunächst von der minne des jeweils anderen wissen (vgl. FB 81, V. 252,18–253,10). Nachdem der verheiratete Maler eines Tages einen Auftrag in einer sieben Meilen weit entfernten Stadt erhält, der ihn für längere Zeit dort binden soll, entschließt er sich in weiser Vorausahnung zu einer außergewöhnlichen Maßnahme, um einer etwaigen Untreue seiner Ehefrau und seines Kompagnons vorzubeugen (vgl. FB 81, V. 253,11–38): Er beschließt, seiner Frau ein Bild „züschen ire beine / […] über ir figiure“ (FB 81, V. 254,3f.) zu malen. Darauf soll ein Lamm zu sehen sein, vor dessen Maul sich ein Büschel Gras befindet (vgl. FB 81, V. 254,5–8). Am Zustand des Gemäldes und der Frische der Farbe will er später erkennen, ob seine Frau ihm während seiner Abwesenheit treu geblieben ist oder nicht, Vf daz die frauwe würde Behuot von dem gemele, 351

Nach ZIEGELER sind in der handschriftlichen Fassung zwei Verse doppelt aufgezeichnet, wohingegen ein Vers fehle; vgl. ebd., Sp. 1619f. Aufgrund reimtechnischer, syntaktischer und inhaltlicher Erwägungen wird ersichtlich, dass es sich bei dem ersten der überzähligen Verse um V. 251,7 handeln muss, der als V. 251,9 wiederholt wird. So würde die entsprechende Passage des Promythions nach Tilgung von V. 251,7 folgendermaßen lauten: 251,3 Dvrch bezeichen vnd dorch lere 251,4 Wil ich dyse mere 251,5 Hie zuo tyhte brengen 251,6 Den hübschen jvngelingen, 251,8 Den megeden vnd den frawen, 251,9 Daz sie dar ane schauwen (FB 81, V. 251,3–251,9) usw.

Der anders lautende Vorschlag VON KELLERS, das Vers 251,6 zu tilgen wäre, bleibt unverständlich; vgl. Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften, S. 251. – Der zweite zu tilgende Doppelvers ist V. 255,6, dessen Entsprechung, V. 255,8, zudem ein überzähliges, da verdoppeltes Reimwort enthält; vgl. ebd., S. 255. 352 Es bleibt offen, auf welches der Geschlechter sich diese Aussage bezieht. – Auffällig ist die poetologische Implikation des Promythions, wenn der Erzähler damit einsetzt, dass er „Dvrch bezeichen vnd dorch lere / […] dyse mere / Hie zuo tyhte brengen“ (FB 81, V. 251,3–5) wolle. Wie FISCHER erläutert, betone der Autor / Erzähler hier die Tatsache, dass er einen „,(Roh)stoff‘“ (Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 81, Anm. 188) zu einer Dichtung ausgestalte; vgl. ebd., S. 80f. und Anm. 188. Gleichsam selbstreferentiell greift der Erzähler überdies das zentrale Motiv der narratio auf, wenn er den Begriff des bezeichenens (vgl. FB 81, V. 250,3) ebenfalls für das eigene Tun in Anschlag bringt.

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Vnd wie do yman hele In ir duphus sliche, Daz die farwe dan verbliche Von dem lamme, daz da fuore. Zuo huoden stont der duore Vor den fremden gesten gar, Vnd daz auch dan wurde gewar Von der farwen glantzer, Daz sie yn mit gantzer Triuwe behalden hede. (FB 81, V. 254,9–20)

Als der Maler seiner Frau von dem Auftrag berichtet und ihr seinen Plan eröffnet, ihr „[e]ine huode kleine“ (FB 81, V. 256,15; vgl. V. 253,34; 254,10; 254,15; 256,2; 257,20; 257,34) als ,virtuellen‘ Keuschheitsgürtel353 zwischen ihre „wyszen bein“ (FB 81, V. 256,16) zu zeichnen, zeigt sie sich zunächst nicht besonders angetan von dieser Idee und versucht eindringlich, ihren Mann durch wiederholte Treueschwüre davon abzubringen (vgl. FB 81, V. 254,21–256,22). Schließlich bleibt ihr jedoch nichts anderes übrig, als sich dem Wunsch ihres Ehemannes zu fügen (vgl. FB 81, V. 256,23–28) und sich „lamp vnd gras“ (vgl. FB 81, V. 256,35) aufzeichnen zu lassen: Sinen pinsel vnd sine farwe Muoste sie yme reichen. Do malet er ir daz zeichen Für der schamen düre (FB 81, V. 256,29–32).

Der Maler schließt seine Vorkehrungen ab, indem er zusätzlich seinem Freund das Treueversprechen abnimmt, während seiner Abwesenheit nichts zu unternehmen, was ihm schaden würde oder Schande einbrächte (vgl. FB 81, V. 257,12–37). Doch kaum hat der Ehemann das Haus verlassen (vgl. FB 81, V. 258,3f.), machen die beiden Daheimgebliebenen Anstalten, sich einander anzunähern (vgl. FB 81, V. 258,5–27). Obwohl die Ehefrau keineswegs abgeneigt scheint, den Wunsch des befreundeten Malers nach „der süzzen mynnen fruht“ (FB 81, V. 259,7) zu erfüllen, muss sie sein Begehren zurückweisen, da – so der Erzähler – ihr „minnen schryn“ (FB 81, V. 259,9) durch das Bildnis ihres Ehemannes verschlossen worden ist: Züschen meinen beinen Vor des schrinz slozze Vnd vor des waszers flozze Do hat er mir gestrichen Ein schaf, do by sin fuoder. Wie mir der mynnen ruoder Kweme dar in zwyschen, So moht ez verwüschen (FB 81, V. 259,15–22).

353

Vgl. Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 64f.

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Obwohl der nun folgende Teil der Erzählung nicht mehr überliefert ist, lassen sich dennoch anhand motivverwandter Erzählungen aus der romanischen Literatur Überlegungen zum Schluss des Textes anstellen. In den entsprechenden Werken findet der betrogene (,gehörnte‘) Ehemann nach seiner Rückkehr statt eines einfachen Lammes oder Widders einen Widder mit Hörnern vor, statt eines ungesattelten einen gesattelten, d. h. also einen ,gerittenen‘ Esel usw.354 Gemeinsam ist diesen Geschichten der „Wechsel in der Form des aufgemalten Zeichens“355: In der Gruppe der Novellen vom ,Maler von Würzburg‘ […] handelt es sich […] stets darum, daß dies Zeichen verwischt und in irgend einer Weise geändert oder entstellt von neuem aufgemalt wird.356

Hieraus ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten zur Gestaltung des Schlussteiles, wie etwa die Verspottung des Ehemannes oder die Bestrafung der Ehefrau und / oder ihres Liebhabers. Lenken wir nun jedoch den Blick auf den uns interessierenden Akt der Bezeichnung in den Zwei Malern (FB 81). Betrachtet man zunächst die inhaltliche Gestaltung der Körperzeichnung, so fällt auf, dass sich die beiden Ehepartner auf unterschiedliche Weise darüber äußern: Während die euphemistische Wortwahl des Ehemannes mit ,Lamm‘ (vgl. FB 81, V. 254,5; 254,7; 254,14; 256,35), ,Gras‘ (vgl. FB 81, V. 254,8; 256,35) und ,Taubenhaus‘ (vgl. FB 81, V. 254,12) der verblümten Naturmetaphorik eines poetischen Liebesdiskurses zuzuordnen ist, dominiert bei der Ehefrau eine eher landwirtschaftlich-ökonomisch geprägte Sichtweise, wenn bei ihr stattdessen von „schaf“ (FB 81, V. 259,19), „fuoder“ (vgl. FB 81, V. 259,19) und „schryn“ (vgl. FB 81, V. 259,9; vgl. V. 259,19) die Rede ist. Noch deutlicher wird dies in einem direkten Vergleich der verwendeten Bilder:  Symbolisiert das Lamm Reinheit und Unschuld, steht das Schaf demgegenüber für das erwachsene Tier, das seine Unschuld bereits verloren hat – ganz wie die Ehefrau selbst, die zunächst als „luter als ein glas / An farwen vnd an libe“ (FB 81, V. 252,22f.) und mehrfach als „reine“ (FB 81, V. 253,4; 254,2; 254,27) charakterisiert wird, dann aber doch bereitwillig dem Liebesbegehren des befreundeten Malers nachgibt.  Das Requisit des Grases ist indes fester Bestandteil des topischen Natureingangs, wie wir ihn insbesondere im Minnesang finden: Besteht dort eine assoziative Kongruenz zwischen der emotionalen Disposition des liebenden Ich und der sommerlich 354

Vgl. ebd., S. 59–63; Dora KURZ, Verluste auf dem Gebiet der mittelhochdeutschen epischen Erzähldichtung, S. 217–220, Teil II, S. 16f.; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1230f.; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Die zwei Maler‘, Sp. 1620. Einen konkreten Vorschlag für eine mögliche Gestaltung des Schlusses unterbreitet Edward SCHRÖDER, ,Der Maler von Würzburg‘, S. 37. 355 Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 63. 356 Ebd.

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erblühenden Natur357, so entspricht hier in einer Inversion dieses Bildes das gleichsam abgetötete Gras der Vergänglichkeit von Liebe und Treue zwischen den Ehepartnern.358 In einem konkreteren Sinne könnte das Gras symbolisch auf den weiblichen Genitalbereich hindeuten – wie sich anhand anderweitiger literarischer Beispiele bestätigen ließe359 –, während das Lamm in dieser Deutungsperspektive Zeichen der gleichsam konsumierenden Position des Mannes wäre. Weiterführend ließe sich in dieser Bildkonstellation eine profanierende Parodie des Topos der gebrochenen Blumen erkennen, der in der literarischen Konvention die Defloration der Frau zu versinnbildlichen pflegt.360 Der agrarisch geprägte Begriff des ,Futters‘ hingegen, wie ihn die Ehefrau verwendet, verweist auf den Verwertungszweck des abgemähten Grases als bloßer Nahrung.  Assoziiert das Bild des offenen Taubenschlags, bezogen auf eine Vielzahl potentieller Liebhaber, ein stetiges Kommen und Gehen, vergegenwärtigt die Metapher des Schreins demgegenüber Abgeschlossenheit und Separation.361 Die unterschiedlichen Zuschreibungen, welche die Gegenstände der Zeichnung erfahren, resultieren aus den unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven der beiden Ehepartner. Für den Ehemann bedeutet das Bild eine Art von „Besitzmarkierung“362, mit dem der Status quo, d. h. die Treue der Ehefrau, festgeschrieben werden soll. Einerseits symbolisiert die Zeichnung dabei ihre bisherige Reinheit und Unschuld, andererseits hat sie eine konstitutive Funktion, da sie ihre Treue auch zukünftig garantieren soll. Mit dem Wandel von der treuen Ehefrau zur untreuen Ehebrecherin363 erfolgt eine Veränderung des Bildes durch den zweiten Maler, wie wir sie für den nicht überlieferten Schlussteil der Erzählung im Rückgriff auf die Motivtradition unterstellen dürfen. Gehen wir also von einer ähnlichen Schlussgestaltung aus, so würde die veränderte Zeichnung den neuen Status der Protagonistin symbolisieren, hätte aber wiederum den Stellenwert einer ,Besitzmarkierung‘, indem die Frau in einem Austausch nunmehr zum

357

Vgl. R[icarda] BAUSCHKE, [Art.] Natureingang, Sp. 1044. Die höfische Minneterminologie findet sich darüber hinaus z. B. in dem zentralen Begriff der huote (s. o.) sowie im Zwiegespräch der beiden Liebhaber; hier verweisen beispielsweise die Selbststilisierung des Malers zum „dynest knehte“ (FB 81, V. 258,34) und seine Forderung nach dem „süzzen lon der mynnen“ (FB 81, V. 258,36) auf den höfischen Liebesdiskurs. 359 Vgl. zu diesem Bild Johannes MÜLLER, Schwert und Scheide, S. 36–38. 360 Vgl. hierzu z. B. Stefan ZEYEN, … daz tet der liebe dorn, S. 31–38. 361 Dieser Sexualmetaphorik entspricht in Bezug auf das männliche Genitale die Rede von Pinsel (und Farbe) des Malers (vgl. FB 81, V. 256,29) sowie von „der mynnen ruoder“ (FB 81, V. 259,20); das mittelhochdeutsche Wort ruoder, stm., geht zurück auf truoder mit der Bedeutung „latte, stange, daraus gemachtes gestell oder verzäunung“ (LEXER, Bd. 2, Sp. 1548; vgl. ebd., Sp. 546). 362 Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 217, Anm. 19. 363 Dass dieses Faktum zumindest innerhalb der narratio nicht moralisierend bewertet wird, erhellt insbesondere daraus, dass „frau minne mit irre kraft“ (FB 81, V. 252,32) als Urheberin der außerehelichen Liebesbeziehung namhaft gemacht wird. 358

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,Besitzobjekt‘ des befreundeten Malers geworden wäre. Die Handlungsrollen sind bei beiden Bezeichnungsprozessen eindeutig geschlechtsspezifisch verteilt: Während die beiden konkurrierenden Männer nicht nur symbolische Zeichen setzen, sondern diesen auch Taten folgen (bzw. vorausgehen) lassen, ist die Aufgabe der Frau darauf beschränkt, ihren Körper zur Verfügung zu stellen – und zwar nicht nur als Einschreibefläche, sondern desgleichen zur sexuellen Befriedigung der beiden Maler. c.

Johannes von Freiberg: Das Rädlein (FB 64)

„Jôhannes von Vrîberc“ (FB 64, V. 1), ein Autor sächsischer oder böhmischer Herkunft, über dessen Identität in der Forschung Uneinigkeit herrscht, hat Das Rädlein (FB 64; vgl. hier V. 524) in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in ostmitteldeutscher Sprache verfasst364; weitere Werke des Autors sind nicht überliefert.365 Es handelt sich bei dieser Verserzählung um einen der Texte des Korpus, der gerade in der jüngsten Zeit das besondere Interesse der an der Frage der Geschlechterdifferenz interessierten mediävistischen Forschung auf sich gezogen hat. Auch in diesem Text ist die zentrale Figur berufsmäßig damit befasst, etwas i. w. S. zu bezeichnen: In einem wohlsituierten bürgerlichen Haushalt (vgl. FB 64, V. 12–33)366 lebt ein „schrîbaer“ (FB 64, V. 35 u. ö.)367, der – erfolgsorientiert und zielgerichtet –

364

Vgl. zusammenfassend Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 181f.; Rolf Max KULLY, [Art.] Johannes von Freiberg, Sp. 603; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1228–1230. 365 In Bezug auf das Korpus der Verserzählungen ergeben sich jedoch sprachlich-stilistische Berührungspunkte insbesondere zur Heidin (B) (FB 54) sowie zum Schüler zu Paris (A) (FB 118); vgl. grundlegend dazu Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 34–38. 366 Zur Transponierung der in der Darstellung an der höfischen Artusepik geschulten Liebesgeschichte in ein bürgerliches Milieu vgl. Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 110f.; DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 520. 367 Es wurde vielfach darüber diskutiert, was sich hinter dieser Berufs- oder Standesbezeichnung verbärge: Die Annahme von Stephen WAILES, dass es sich um einen Geistlichen i. e. S. handeln würde, scheint keineswegs zwingend; vgl. Stephen L. WAILES, The Title of Das Rädlein by Johannes von Freiberg, S. 52f. Anders äußerte sich schon Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 26, Anm. 7: „Unter ,schrîbaere‘ ist hier keinesfalls ein Student zu verstehn […]. Hier handelt es sich vielmehr um eine Art Rechnungsführer, der in einem Gasthofe beschäftigt ist.“ Neuere Arbeiten nehmen eine vermittelnde Position ein: Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 220–236, untersucht umfassend die Figur des Weltgeistlichen und sein Umfeld in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, zu dem sie auch den Schreiber im Rädlein (FB 64) rechnet (vgl. ebd., S. 225f., 228). Laut Klaus GRUBMÜLLER handelt es sich um einen Studenten, der kurzfristig eine Sekretärstätigkeit übernommen habe; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1232, Kommentar zu V. 35. Differenziert zur Figur des Schreibers in der mittelhochdeutschen Verserzählung hat sich zuletzt geäußert Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, passim. COXON hebt für die mittelhochdeutsche Verserzählung die positiv kon-

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um die Gunst der Frauen bemüht ist (vgl. FB 64, V. 38–48). Aktuelles Objekt seiner Begierde ist ein liebreizendes, makellos schönes und äußerst begehrenswertes Hausmädchen (vgl. FB 64, V. 55–71; 119–136), das sein Liebeswerben allerdings immer wieder harsch zurückzuweisen pflegt (vgl. FB 64, V. 72–92). Der Erzähler beschreibt den ,Krieg‘ (vgl. FB 64, V. 93) zwischen den beiden Hausbediensteten exakt mit den gleichen stilistisch-rhetorischen Mitteln, die in den übel-wîp-Geschichten der Darstellung des Kampfes zwischen Ehemann und widerspenstiger Ehefrau vorbehalten sind (vgl. überdies FB 64, V. 515f.).368 Mireille SCHNYDER pointiert treffend: Da, wo das Wort der Frau ins Spiel kommt, entzieht sie sich dem im Auge der Schreiber (Autor, Protagonist, Rezipient) entstehenden Ideal und erfüllt den Typus des übel wîp […]. Das gesprochene Wort zerstört das ideale, über die literarische Konvention in der Vorstellung geschaffene Bild.369

Dass er immer wieder abgewiesen wird, bedrückt den Schreiber, den Protagonisten, allzu sehr (vgl. FB 64, V. 50–54). Eines Tages, als das „meitîn“ (FB 64, V. 49; 55; vgl. 363) nach einem arbeitsreichen Sonntag auf der Ofenbank in tiefen Schlaf fällt, bietet sich ihm aber schließlich doch noch die Gelegenheit, seinem Ziel näherzukommen (vgl. FB 64, V. 93–107): Er hebt das Kleid der Magd unbemerkt bis zu ihrem Kinn hoch (FB 64, V. 116–118) und zeichnet, nachdem er ihren nackten Leib eingehend und voller Vergnügen betrachtet hat370, ein „redel“ (FB 64, V. 139), ein kleines Rad, „mit swarzem notierte Figur des Schreibers, Sekretärs oder Studenten deutlich vom Stand der Geistlichen ab, insofern kontextuell allein seine Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, zu seiner Typisierung hinreiche; vgl. ebd., S. 20f. 368 Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die Bildlichkeit des Schwarz-Weiß-Gegensatzes, die in der Verserzählung in zweifacher Hinsicht deutlich zum Tragen kommt: „sprach er ,jâ‘, sie sprach ,nein‘, / alsô hullen si in ein. / sprach er ,swarz‘, sie sprach ,wîz‘, / dar an legte si iren vlîz“ (FB 64, V. 87–90). Diese Passage, die den Ausgangskonflikt zwischen Schreiber und Magd charakterisiert, wird im Epimythion noch einmal aufgegriffen (vgl. FB 64, V. 516) und mit dem Hinweis auf den Sieg des Mannes und die Niederlage der Frau verbunden. Der Autor / Erzähler greift hier ein Verspaar auf, das in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) im Promythion verwendet wird, um – im Vorgriff auf die Ehethematik der narratio – die Beziehung des Erzählers zu seiner eigenen Ehefrau zu charakterisieren: „Spriche ich ,swarz‘, sî sprichet ,wîz‘, / dar an kêret sî ir vlîz“ (FB 121, V. 13f.). In dem ältesten Überlieferungszeugen H folgt das insgesamt zweimal vollständig (in Hk) und einmal fragmentarisch überlieferte Rädlein (FB 64) (354ra–357rb) fast unmittelbar auf Sibotes Frauenerziehung (FB 121) (339vb–343vb). Zum Zweiten ist „wîz“ (FB 64, V. 59; vgl. V. 143; 146) im Rädlein (FB 64) die Haut des Mädchens, die als Beschreibstoff dient, swarz die Farbe, mit welcher der Schreiber die Zeichnung anfertigt (vgl. FB 64, V. 146; 236). – Allzu schematisch scheint mir in diesem Zusammenhang die Subsumtion des Rädleins (FB 64) und anderer Verserzählungen unter die Rubrik „Konflikte zwischen Unverheirateten“ (S. 48) durch Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 48–53. 369 Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 110; vgl. DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 518. 370 Rhetorisch wiederholt der Erzähler hier die detaillierte Schönheitsbeschreibung des Mädchens nach dem top-to-toe-Prinzip, die zunächst den traditionellen Regeln der rhetorischen Konvention folgt

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râme ûf ir wizez vel“ (FB 64, V. 146), genau zwischen ihr „rôsenbüschelîn“ (FB 64, V. 137) und ihren Bauchnabel (vgl. FB 64, V. 137–146).371 Er begnügt sich vorläufig damit, dem Mädchen einen Kuss zu geben (vgl. FB 64, V. 152) und verbringt die folgende Nacht in verzehrender Liebesqual allein in seiner Kammer (vgl. FB 64, V. 153– 180).372 Am nächsten Morgen macht der Schreiber der Magd weis, dass sie sich ihm in der vergangenen Nacht bereitwillig hingegeben habe; als „zeichen“ (vgl. FB 64, V. 208) dafür habe er ihr ein Rad auf den Bauch gemalt, da er bereits mit ihrer Ungläubigkeit gerechnet habe (vgl. FB 64, V. 181–230).373 Als die Magd seine Aussage überprüfen will, muss sie zu ihrem großen Entsetzen feststellen, dass tatsächlich ein schwarzes Rad auf ihren weißen Körper gezeichnet worden ist; eilfertig zieht die „juncvrou“ (FB 64, V. 98; 100; 249; 282; 356; 382; 428; vgl. V. 104; 116; 181; 238; 285; 293; 335; 358; 421; 523) daraus den Fehlschluss, dass auch die zweite Aussage des Schreibers, dass er ihre „êre“ (FB 64, V. 247; 298) und ihr „meittuom“ (FB 64, V. 256; 262; 281) geraubt habe, zutreffend wäre (FB 64, V. 231–292).374 Da sie sich nicht vorstellen kann, wie dies geschehen sein sollte, bietet ihr der Schreiber an, es ihr noch einmal zu demonstrieren, worauf sich die Magd, die nun wie ausgewechselt erscheint, bereitwillig einlässt (FB 64, V. 293–356). Nach einem gemeinsamen ,Ritt‘375 in ihr Zimmer (vgl. FB 64, V. 357–398) erfolgt eine gleich siebenmalige (vgl. FB 64, V. 492f.) Demonstration des Schreibers, ob derer die Magd in völlige Verzückung gerät (vgl. FB 64, V. 399–500). Als „Glanzpartie“376 des Textes bildet eine po-

(FB 64, V. 55–71), nun aber auf die unbekleidete Schönheit des Mädchens abhebt (vgl. FB 64, V. 119–136); vgl. Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 24f. 371 Anders als in den Zwei Malern (FB 81) vermag ich hierin keine ,Besitzmarkierung‘ zu erkennen so wie Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 214, 216, 217, Anm. 19. 372 Die erotische Spannung, die der voyeuristischen Szene innewohnt, wird durch den Erzähler auf unterschiedliche Weise hervorgehoben. Zur Veranschaulichung sei hier nur beispielhaft auf eine besonders raffinierte sprachliche Verknüpfung hingewiesen: Der Erzähler vergleicht die beiden „brüstelîn“ (FB 64, V. 119) des Mädchens zunächst mit „zwei pardîsepfelîn“ (FB 64, V. 120) und schildert dann an späterer Stelle die Tantalusqualen des Schreibers, der sich fühlen müsse wie ein Mensch, der drei Tage nichts zu essen bekommen habe und dann in einen Obstgarten voller Früchte gelange, die er sich nicht zu pflücken traue (vgl. FB 64, V. 156–164). 373 Wie in den Zwei Malern (FB 81) kann auch hier die Berufszugehörigkeit des Protagonisten mit der zentralen Thematik des Textes in Verbindung gebracht werden, insofern der Akt der Bezeichnung des Frauenkörpers mit dem Finger (vgl. FB 64, V. 111; 138) bereits einem symbolischen Liebesakt gleichkommt; vgl. ähnlich auch Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 217; Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 112f.; DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 522. 374 BEINE sieht hierin eine Anspielung auf die christliche Vorstellung der unbefleckten Empfängnis Marias; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 291f. 375 Vgl. hierzu Kap. 2.1.2.b der vorliegenden Arbeit. 376 Rolf Max KULLY, [Art.] Johannes von Freiberg, Sp. 604.

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etische und emphatische Lobeshymne des Mädchens auf die Freuden der Liebe377 den Schlusspunkt der narratio, bevor sich „der werde degen“ (FB 64, V. 500; vgl. V. 43) von dem Mädchen mit zahlreichen Küssen verabschiedet (vgl. FB 64, V. 497–500). Auch in Bezug auf diesen Text ist primär zu reflektieren, welche Symbolik mit der männlichen Zeichnung einhergeht. Vielleicht aufgrund ihrer attestierten Naivität oder ihrer mangelnden Bildung denkt die Protagonistin gar nicht erst darüber nach, ob die Zeichnung des Rädleins auf ihrem Leib eine bestimmte Bedeutung haben soll.378 In der Forschung hat das Bild indessen unterschiedliche Interpretationen erfahren: Während SCHIRMER es im Sinne einer räumlichen Umgrenzung als jungfräuliches „Symbol der Unverletzbarkeit eines durch den Kreis umschlossenen Bezirks“379 deutet, das der Schreiber durchschreiten möchte, interpretieren WAILES – nur bedingt überzeugend, wie Klaus GRUBMÜLLER bereits konstatiert hat380 – und weitaus plausibler argumentierend – unlängst COXON das „redelîn“ (FB 64, V. 271) als Glücksrad der Fortuna: „just as the rota Fortunae turns and circumstances change […], so too will the girl change her mind and comply with the clerk’s wishes, thereby transforming his fortunes.“381 Dabei dient 377

Zu den (teilweise parodistischen) literarischen Bezügen dieses Lobeshymnus und weiterer Textpassagen vgl. Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 31–33; Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 212 und Anm. 201; Stephen L. WAILES, The Title of Das Rädlein by Johannes von Freiberg, S. 53. – Die These Judith KLINGERS, dass sich in der Thematisierung sexueller Erfahrung eine quasiemanzipatorische Form weiblicher Subjektkonstitution der Protagonistin spiegele, vermag nur bedingt zu überzeugen, zumal mit dieser Denkfigur das literarische Stereotyp der sexuell unersättlichen Frau, das die Autorin in ihrem Aufsatz implizit wiederholt zurückweist, erneut heraufbeschworen wird; vgl. Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 212f., 218f., 222–224. In diesem Sinne kritisiert auch Mireille SCHNYDER das Textverständnis von KLINGER, insofern jene nicht die Darstellung positiv erlebter weiblicher Sexualität, sondern in überzeugender Weise den Sieg des männlichen Schreibers über die weibliche Sprecherin, von Schrift über Sprache, in das Zentrum ihrer Lektüre rückt; vgl. Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, passim (hierin zu KLINGER S. 11, Anm. 4; S. 120, Anm. 22; 24; 25); DIES., Schriftkunst und Verführung, insbesondere S. 526–531 (zu KLINGER S. 522f., Anm. 9, S. 530, Anm. 27). SCHNYDER macht in ihren glänzenden Analysen klar, dass der Unsagbarkeitstopos, der das Ende der Lobeshymne der jungen Frau markiert, einen signifikanten Sprachverlust bedeute, durch welchen der Protagonistin die Verfügungsgewalt über die Geschehnisse entzogen werde. Substituiert werde die weibliche Stimme durch das Sprachrohr des Erzählers, die männliche Schrift, welche die männlichen Bilder der Frau im Text fixiert; vgl. DIES., Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 119–121; DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 526–531. 378 Vgl. Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 27f. 379 Karl-Heinz SCHIRMER, Motiv- und Stiluntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, hier S. 258, Anm. 53. 380 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1236, Kommentar zu V. 524. 381 Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 28; vgl. ebd., S. 27 und Anm. 23; vgl. zudem Stephen L. WAILES, The Title of Das Rädlein, S. 53f. Beide verweisen in diesem Zusammenhang auf eine weitere Belegstelle für das auffällige Bild von „des gelückes rat“ im Studentenabenteuer (A) (FB 129, V. 470). – Zur mittelalterlichen Symbolik des Rades, das, zurückgehend auf anti-

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die Zeichnung jedoch nicht nur, wie COXON ganz richtig bemerkt, auf der Darstellungsebene des Textes als symbolische Vorausdeutung von des Schreibers „gelücke“ (vgl. FB 64, V. 360; 364; 365).382 Überdies hat es, wie bereits Mireille SCHNYDER in ähnlicher Weise entwickelt hat, m. E. auf der Handlungsebene den konkreten Zweck, das Liebesbegehren des Schreibers zu realisieren: An Stelle Gottes oder Fortunas lenkt nämlich er selbst den Lauf der Dinge und nimmt sein Glück im wahrsten Sinne des Wortes in die eigene Hand: „Die Kunst der Schreiber tritt an die Stelle der Wunder Gottes.“383 Überdies legt die Mediävistin eine Lesart des Radsymbols als rhetorisches Instrument der „,Rota Virgilii‘“384 vor, welches den Übergang der imaginären Aktion des Schreibers hin zur körperlich-sexuellen Handlung, die aus der Initiative der Frau hervorgehe, markiere.385 Eine weitere Interpretationsmöglichkeit des Zeichens bietet sich im Rekurs auf die Forschungen Urban KÜSTERS, der die mittelalterliche Funktion des Kreuzzeichens als Echtheitssiegel bei der Unterzeichnung von Urkunden, Briefen und anderen Schriftstücken für die literaturwissenschaftliche Analyse fruchtbar gemacht hat.386 Neben dem häufiger verwendeten Kreuz kam ebenfalls dem Radkreuz (rota) seit der Mitte des 11. Jahrhunderts eine zunehmende Bedeutung als Beglaubigungszeichen zu, und zwar insbesondere in päpstlichen Urkunden.387 Der gleiche Zweck eignet nun aber der Zeichnung im Rädlein (FB 64): Denn ebenso wie das Unterschriftszeichen des Radkreuzes die Echtheit des entsprechenden Schriftstücks verbürgen soll, sucht der Schreiber mit seiner Bezeichnung des weiblichen Körpers, der ihm gleichsam als jungfräuliche tabula rasa dient, die Authentizität seiner lügenhaften Geschichte zu beglaubigen. Die Aufgabe, welche die Bezeichnung des weiblichen Körpers in den Zwei Malern (FB 81) erfüllen soll, nämlich Authentizität zu bewahren und Sexualität zu verhindern, wird dabei im Rädlein (FB 64) in ihr Gegenteil verkehrt: „Die ,Erzählung‘ erzwingt ihre eigene Realisierung, die Täuschung erzeugt Wahrheit.“388 kes Gedankengut, seit dem späten 11. Jahrhundert in bildlicher Form zumeist in der Bedeutung eines Glücksrades verwandt wurde, vgl. U[lrike] LIEBE, [Art.] Rad; J[oachim] POESCHKE, [Art.] Rad. 382 Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 119, Anm. 21, weist darauf hin, dass es sich hier wie in anderen Verserzählungen im Gegensatz zum Artusroman um ein kontingentes und profanes Glück des Zufalls handele, dass nicht in einen übergeordneten Heilszusammenhang eingebunden sei; vgl. auch DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 529, Anm. 26. 383 Vgl. Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 114; DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 525. 384 DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 526. 385 Vgl. ebd., S. 526f. 386 Vgl. Urban KÜSTERS, Späne, Kreuze, Initialen, S. 77–79, 84. 387 Vgl. ebd., S. 79f. 388 Klaus GRUBMÜLLER, Schein und Sein, S. 250; vgl. zur These der Motivumkehr des Weiteren Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 63–65; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1230f.

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Wie in den Zwei Malern (FB 81) bleibt es also auch hier dem männlichen Part vorbehalten, Zeichen zu setzen, während die weibliche Gegenspielerin weitgehend auf ein reagierendes, passives Verhalten festgelegt wird, auch wenn sie die treibende Kraft bei der vollzogenen sexuellen Annäherung ist. An Brisanz gewinnt die Umgestaltung des konventionellen Motivs im Rädlein (FB 64) dabei zusätzlich durch die Tatsache, dass es sich bei der weiblichen Protagonistin nicht um eine Ehefrau, sondern um eine junge Frau handelt, die offensichtlich noch keine sexuellen Erfahrungen gemacht hat.389 Anders gewendet, könnten wir mit Mireille SCHNYDER formulieren, dass durch die Imagination des Schreibers und die Autorität seiner Zeichen letztendlich eine Verwirklichung seiner sexuellen Wünsche initiiert wird, deren Realisierung allerdings der begehrten Frau in ihrer einnehmenden Körperlichkeit obliegt; die Rolle als (geistiger) Schöpfer charakterisiert dabei die hierarchische Vorrangstellung des Mannes über die kulturell-zivilisatorisch unterlegene, auf ihre eigene Sinnlichkeit zurückgeworfene Frau.390 Auf einer Metaebene zeichnet sich dadurch aber auch der dominante Status des Erzählers / Autors ab, der in dem Moment, in dem der weibliche Redefluss auf der Handlungsebene versiegt, mit seiner Schriftkompetenz in Erscheinung tritt: Der Sieg über die widerspenstige Frau […] ist der Sieg des fiktionalen und schriftlichen Erzählens über die sich mündlich artikulierende physische Tatsächlichkeit. Als Beschriftung des Körpers ist das tihten Prägung der Welt durch die Imaginationszeichen der Schreiber.391

Diesen zentralen Gedanken wollen wir im Folgenden noch weiter entfalten. Eine um Vollständigkeit bemühte Analyse darf zunächst die didaktischen Elemente der Erzählung nicht unterschlagen. Leichtlebigkeit und Verführbarkeit der Frauen, wie sie in der narratio exemplarisch vorgeführt werden, bilden nicht nur die Stoßrichtung des Epimythions (vgl. FB 64, V. 501–524), sondern ebenso die Zielrichtung zweier bzw. dreier Sentenzen, die in die Figuren- und in die Erzählerrede eingeflochten sind: Sie heben seitens des Schreibers auf Widerspenstigkeit, Wankelmut, Beeinflussbarkeit und mangelnde Geradlinigkeit392 der Frauen ab (vgl. FB 64, V. 219–224) sowie auf ihre Dummheit und (geistige) Schwäche seitens des Erzählers: die vrouwen habent langez hâr und kurz gemüete, daz ist wâr. alsô sprach her Vrîdanc: der vroun gemüete daz ist kranc. (FB 64, V. 289–292) 393

389

Vgl. Walter BUSKE, ebd., S. 65. Vgl. Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 114–119; DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 524–530. 391 Ebd., S. 120f. 392 Das fehlende ,Rückgrat‘ der Frauen versinnbildlicht die Bereitschaft der Protagonistin, ihren Geliebten auf dem gebeugten Rücken zu transportieren (vgl. FB 64, V. 517–520). 393 Zu diesen Sprichwörtern in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1234, Kommentar zu V. 289f., S. 1235, Kommentar zu V. 291. 390

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Körperzeichen

Versteht man den Ausgangskonflikt zwischen dem Paar dementsprechend als eine Form des Geschlechterkampfes, wie er ansonsten vornehmlich im Typus der übel-wîp-Geschichte beheimatet ist, so erscheint das Rädlein (FB 64) als eine besondere Spielart dieses Texttyps, insofern es nicht um eine Ehe-, sondern um eine Liebesbeziehung geht, nicht um die häusliche Vormachtstellung, sondern um die Verfügbarkeit weiblicher Sexualität. Anders als etwa in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) oder in der Gezähmten Widerspenstigen (FB 141) erfolgt die Unterjochung des weiblichen Widerparts allerdings nicht durch einen groben Gewaltakt des männlichen Protagonisten, sondern vielmehr durch eine raffinierte List. Durch diese charakteristische Variation wird das Rädlein (FB 64) wiederum der Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) vergleichbar, die ja i. w. S. ebenfalls von „schrîbaere unde von […] juncvröuwelîn“ (FB 64, V. 522f.) handelt – und in der Tat finden sich bei einer näheren Textbetrachtung auffällige Korrespondenzen und Parallelen394, auf die ich kurz eingehen möchte. Identisch ist zunächst die Ausgangssituation beider Texte: Wenn in der Erzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) „diu siuze reine“ (FB 6, V. 222; 355; 375) Phyllis den alternden Greis Aristoteles durch ihre Reize schier zur Verzweiflung bringt, so tut dies, wenngleich unbewusst, auch „diu süeze reine“ (FB 64, V. 475) Magd im Rädlein (FB 64) in Bezug auf den Schreiber. Entsprechend der Warnung des überlisteten Philosophen, mit der die Geschichte von Aristoteles und Phyllis (FB 6) endet, dass nämlich ein Mann wie ein Fisch an der Angel von einer Frau gefangen werden könnte (vgl. FB 6, V. 542–544), vergleicht der Erzähler im Rädlein (FB 64) die Liebesqualen des Schreibers mit denjenigen eines Fisches, der kein Wasser mehr um sich habe und an Land vertrocknen müsse (vgl. FB 64, V. 173–175).395 Auf dieser Grundlage bilden sich im Weiteren aber zwei gegensätzliche Handlungskonstellationen aus, insofern in Aristoteles und Phyllis (FB 6) die weibliche Protagonistin als Handlungssubjekt ihren männlichen Widerpart überlisten kann, im Rädlein (FB 64) hingegen der männliche Protagonist durch eine List über sein weibliches Gegenüber triumphiert; kann Phyllis ihr „magetuon“ (FB 6, V. 396; vgl. FB 64, V. 256; 262; 281) bewahren, so gelingt dies dem unwissenden Mädchen im Rädlein (FB 64) keineswegs. Sinnfällig wird dieser gravierende Unterschied in der Darstellung der Protagonistinnen noch einmal in den jeweiligen Gartenszenen, die in beiden Texten eine zentrale Position einnehmen: Während sich Phyllis im Garten der Burg in aller Öffentlichkeit präsentiert, selbstbewusst ihr Kleid hebt, um ihre weißen Beine, die „blanc, ân

394 395

Die Texte sind in der Handschrift k gemeinsam überliefert. Judith KLINGER kontextualisiert das Bild des vertrocknenden Fisches im Gegensatz zu dem in der Minnetopik allgemein gebräuchlichen Bild vom Fisch an der Angel in der ironisierenden Neidharttradition; vgl. Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 220f., Anm. 32; Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 112 und Anm. 7, verweist hier i. w. S. auf die traditionelle Differenz des Kultur-Natur-Paradigmas in Form des Gegensatzes von Natur und Triebkontrolle, von Körper und Geist; vgl. DIES., Schriftkunst und Verführung, S. 522 und S. 522f., Anm. 9.

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alle swerze“ (FB 6, V. 266) sind, vorzuzeigen (vgl. FB 6, V. 261–299), geht auch die Hausmagd in den Garten, tritt dort jedoch verschämt hinter einen Baum, um ihr Kleid in aller Heimlichkeit zu lüften und sodann zu ihrem Entsetzen die schwarze Zeichnung auf ihrer weißen Haut vorzufinden (vgl. FB 64, V. 231–237).396 Will man diesen Faden weiterspinnen, so ließe sich das in ein bürgerliches Milieu transponierte Rädlein (FB 64) als Replik auf die höfische Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6) lesen: Als Pendant zu der gewitzten Phyllis fungiert hier der kecke Schreiber und repräsentiert einen Männertypus, der aufgrund seines Intellekts der unterstellten List und Tücke der Frauen durchaus etwas entgegenzusetzen hat. Damit wird zugleich das derangierte Männerbild des zwar gelehrten, jedoch lebensuntüchtigen Philosophen, der ja i. w. S. ebenfalls der schreibenden Zunft zuzurechnen ist, korrigiert. Den bloßen „worten“ (FB 6, V. 431) der Frauen – in Aristoteles und Phyllis (FB 6) prototypisch durch Phyllis verkörpert –, „von den gar verlischet / mannes kunst, swie wîse er ist“ (FB 6, V. 434f.), wird im Rädlein (FB 64) das männliche (Schrift-)„zeichen“ (vgl. FB 64, V. 208) gegenübergestellt397, mit dessen Hilfe es gelingt, die weibliche Sprachgewalt zu bannen. Wenn der Philosoph in seinem Buch die – in Aristoteles und Phyllis (FB 6) wiederholt beschworene (vgl. FB 6, V. 300; 303; 324; 422; 436) – List der Frauen beklagt und darüber sinnt, „waz wunderlîche liste kann / daz schoene ungetriue wîp“ (FB 6, V. 538f.), so lautet die (weibliche) Antwort auf diese Einsichten im Rädlein (FB 64) resignierend und schlicht: „schrîber kunnen liste vil“ (FB 64, V. 253; vgl. V. 255).398 Die These Mark CHINCAS, dass die weiblichen Figuren in den 396

Zur Bedeutung des Schwarz-Weiß-Gegensatzes in dieser Verserzählung vgl. Anm. 191 des vorliegenden Kapitels. – Ein weiterer Bezugspunkt ließe sich dahingehend zu Aristoteles und Phyllis (FB 6) ziehen, dass Phyllis gegenüber Aristoteles vorgibt: „ich gan iu wol / gelückes unde êren“ (FB 6, V. 360f.). Diese Textstelle könnte vage das Argument stützen, dass die Zeichnung auf dem Bauch der Hausmagd im Rädlein (FB 64) ein Glücksrad symbolisieren soll. 397 Auch KLINGER verweist auf den Sieg des Schreibers „über das rebellische weibliche Geschwätz, das in Mären und Ehetraktaten immer wieder als zentrale Gefahr für die ordnungsgemäße Geschlechterhierarchie apostrophiert wird“, ohne dabei jedoch auf Aristoteles und Phyllis (FB 6) einzugehen; vgl. Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 214, 226. 398 So wie sich in Aristoteles und Phyllis (FB 6) ein ambivalentes Frauenbild findet, wird allerdings auch in Bezug auf die parallele Figur des Schreibers im Rädlein (FB 64) eine doppelbödige Lesart angeboten, insofern diese Aussage des Mädchens (vgl. FB 64, V. 255) von einer späteren Aussage ihrerseits relativiert wird, nach der sinngemäß sich die Schreiber eben nicht darauf verstünden, die Freuden des Liebesspiels adäquat darzustellen (vgl. ähnlich auch Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 219, 222, 224f.): „,daz kan nieman vol lesen, / noch vol schrîben, / diser minne trîben. / und waer daz mer tinte / und der himel perminte / und aller sterne dar ane, / beidiu sunne und mâne, / gras, griez unde loup / dar zu der kleine sunnen stoup, / daz daz waeren schrîbaere: / den waer iz allen ze swaere, / daz sie vol schrîben und vol lesen / konden wie sanft mir ist gewesen.[‘]“ (FB 64, V. 438–450) Dieser von dem Mädchen in seinem Hymnus an die Liebe in Bezug auf die Zunft der Schreiber formulierte Unsagbarkeitstopos wird allerdings auf einer Metaebene erneut ad absurdum geführt, insofern ja gerade die Darstellung der Verzückung des Mädchens angesichts seines Liebesglücks als selbstreferentieller Beweis für die Kunstfertigkeiten

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Körperzeichen

mittelhochdeutschen Verserzählungen in semiotischer Hinsicht stets überlegen seien399, vermag insofern nicht länger uneingeschränkt Geltung zu beanspruchen.400 Sie muss vielmehr dahingehend differenziert werden, dass die weiblichen Figuren den männlichen zwar in sprachlicher Hinsicht überlegen sind, nicht jedoch den Bereich der Schriftlichkeit dominieren, der in diesem Texttyp offenkundig männlich codiert ist. Zahlreiche Indizien deuten so darauf hin, dass dem Verfasser des Rädleins (FB 64) die etwa zeitgleich entstandene Erzählung Aristoteles und Phyllis (FB 6) nicht unbekannt war. Mehr noch, es scheint sogar möglich, dass der Verfasser implizit darauf rekurriert, und zwar dergestalt, dass er die exorbitante Umkehrung der Geschlechterhierarchie, die in diesem literarischen Text zur Darstellung gelangt, mit seinem narrativen Gegenentwurf zu kommentieren und gleichsam zu annullieren trachtet. Im Bild der gerittenen Frau wird im Rädlein (FB 64) sodann plastisch fassbar, dass die konventionelle Geschlechterordnung wieder ins rechte Lot gerückt ist. Die Inversion der Inversion ist perfekt.401 der Schreiber gewertet werden kann – und zwar konkret der besonderen Befähigung des Autors der vorliegenden Verserzählung, Johannes von Freiberg. Das Rädlein (FB 64) gehört mit dieser poetologischen Passage also zu den literarisch komplexeren Vertretern des Texttyps. – KLINGER wird dieser selbstreferentiellen Fügung nur bedingt gerecht, wenn sie die Auffassung vertritt, dass der Autor seine Erzählerkompetenz gleichsam an die Figur des Mädchens übergebe (vgl. ebd., S. 225). 399 Vgl. zu den Thesen Mark CHINCAS Anm. 9 des vorliegenden Kapitels. 400 Vgl. ebenso Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt, S. 113, Anm. 9, im Hinblick auf die Darlegungen von CHINCA: „Bei dem vorliegenden Text […] ist es nicht die rhetorisch versierte Frau, die hier Tatsachen schafft, sondern der kunstvoll Zeichen setzende Schreiber/Erzähler […]“. 401 Wenig überzeugend ist daher m. E. der Ansatz von Judith KLINGER, die im Rädlein (FB 64) subversive Textstrategien zu erkennen können glaubt, die auf eine Depotenzierung des männlichen Protagonisten sowie des (männlichen) Erzählers und seiner „grobschlächtigen Handlungskommentierung“ (Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 224) hinausliefen. In diesem Sinne verweist Judith KLINGER etwa auf den Vergleich des sexuell konnotierten Fingers mit einer kleinen Made (vgl. FB 64, V. 137–141), die körperliche Überlegenheit der Frau in der vorliegenden Reitszene, insbesondere aber auf die weibliche Selbstreflexion und ,Selbst-Beschreibung‘, die das männliche Begehren überschatte und dominiere (vgl. ebd., S. 216–219, 222–225): „Der sexuelle Akt verwandelt sich in einen poetischen Schöpfungsakt. […] Im Diskurs der Lust existiert nur noch ein weibliches Subjekt […]. Die anfängliche Homologie von Schrift/Zeichen-Kompetenz und sexueller Kompetenz, über die sich männliche Identität konstituierte, ist damit aufgehoben.“ (ebd., S. 219.) – Wenn KLINGER im Folgenden (vgl. ebd., S. 219–223) mehr oder weniger explizit mit dem KulturNatur-Paradigma als Interpretationsschema arbeitet und dieses vor dem Horizont eines Diskurses sexuellen Begehrens entfaltet, unterstellt sie dem Text eine Dialektik von solcher Komplexität, dass die Plausibilität ihrer Gedankenführung nur noch bedingt nachvollzogen werden kann. Dies gilt m. E. in gleicher Weise für ihre Schlussthese, dass im Rädlein (FB 64) die Geschlechterhierarchie und ihre impliziten Machtstrukturen instabil würden und dass eine Fluktuation geschlechtsspezifischer Attribuierungen zu verzeichnen wäre (vgl. ebd., S. 224–226). Allenfalls dahingehend stimme ich mit ihr überein, dass die Geschlechterdifferenz hier in gewisser Weise im Sinne einer Differenzen überwindenden Utopie der Liebe aufgehoben wird (vgl. hierzu bereits Kap. 2.1.2.b der vorliegenden Arbeit.

Zeichen und Schrift

d.

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Das Kreuz (FB 75)

Nur unwesentlich besser als bei den Zwei Malern (FB 81) stellt sich die Überlieferungslage eines dritten Textes dar, der das Motiv der Bezeichnung eines weiblichen Körpers aufgreift. Es handelt sich um Das Kreuz (FB 75), entstanden vermutlich um 1400, von dem nur der Schlussteil überliefert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die entsprechenden Handschriftenfragmente aus der Mitte des 14. Jahrhunderts verschollen sind und heute nur noch ein Abdruck des handschriftlichen Originals existiert.402 Die Forschung betont zwar die motivischen Ähnlichkeiten zwischen dem Kreuz (FB 75) und dem Rädlein (FB 64), insofern es „mit ihm das Grundelement der Umkehrung des scheinbaren Beleges für vergangenen Beischlaf zum Anlaß des neuen“403 teile, sieht jedoch bis dato keine unmittelbare Abhängigkeit zwischen beiden Texten gegeben, ohne dass diese Frage jedoch endgültig geklärt wäre.404 Das Fragment setzt damit ein, dass die Protagonistin, eine „frowe“ (FB 75, V. 2 u. ö.)405, aus dem Schlaf erwacht, woraufhin sich der Protagonist, ein „pfaffe“ (FB 75, V. 8 u. ö.), flugs bei ihr einfindet (vgl. FB 75, V. 1–6). Seinem zielgerichteten Liebeswerben406 begegnet die umworbene Frau – offenbar nicht zum ersten Mal (vgl. FB 75, V. 19f.) – mit deutlicher Ablehnung und wüsten Beschimpfungen (vgl. FB 75, V. 17– 37). Angesichts dieses Misserfolges ändert der Pfaffe seine Werbungsstrategie, indem er nunmehr behauptet, er werde sie „Solche zeichen lazen sehen“ (FB 75, V. 51), die be402

Veröffentlicht wurde das niederalemannische Fragment von dem ehemaligen Besitzer der zwei erhaltenen Doppelblätter, die darüber hinaus einen Teil der Konrad von Würzburg zugeschriebenen Verserzählung Die halbe Birne (A) (FB 74) enthalten, nämlich dem Bibliothekar Ludwig MÜLLER. Das Fragment (heute: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Cod. 42531) war vermutlich Teil einer Sammelhandschrift mit kleinepischen Texten, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts zu datieren ist. Vgl. zu Überlieferung und Datierung Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Das Kreuz‘; Reinhard BLECK, Eine Kleinsammlung mittelhochdeutscher Reimpaardichtungen, passim; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1083. 403 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), ebd., S. 1231. 404 Vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 224; Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Das Kreuz‘, Sp. 364; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1231. Während L[udwig] MÜLLER, Bruchstücke einer mhd. Erzählungshandschrift, im Kreuz (FB 75) noch „eine plumpe Nachahmung“ (ebd., S. 57) des Rädleins (FB 64) gesehen hat, erörterte Walter BUSKE, Die mittelhochdeutsche Novelle „Das Rädlein“ des Johann von Freiberg, S. 54f., die Möglichkeit einer gemeinsamen französischen Vorlage beider Texte. Im Hinblick auf die narrative Gestaltung gilt Das Rädlein (FB 64) gemeinhin als die weitaus raffiniertere, umfänglichere und besser motivierte Erzählung; vgl. Walter BUSKE, ebd., S. 50–54; Werner WILLIAMS-KRAPP, ebd., Sp. 364. – FROSCH-FREIBURG erwähnt im Rahmen dieser Abhängigkeitsdiskussion die Nähe der mittelhochdeutschen Verserzählung zu dem Fabliau La Damoiselle qui sonjoit (NF 58), in dem jedoch die für uns entscheidende Zeichensetzung fehlt; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, ebd. 405 Auch hier handelt es sich vermutlich um eine Jungfrau; vgl. Dora KURZ, Verluste auf dem Gebiet der mittelhochdeutschen höfischen Erzähldichtung, S. 222f. 406 Hier wie im Folgenden bedient er sich einer höfischen Minnerhetorik; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 104 und Anm. 135 sowie S. 171.

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Körperzeichen

legen könnten, dass er sie bereits ,geritten‘ (vgl. FB 75, V. 43) habe; sie könne dies an den Kreuzen407 erkennen, die er ihr unbemerkt mit Kohle sowohl auf den „wizen buch“ (FB 75, V. 54) als auch auf die Stirn gezeichnet habe (vgl. FB 75, V. 38–61). Als sich die Frau davon überzeugt hat, dass sie tatsächlich besagte Zeichen auf dem Körper trägt, schließt sie, ebenso wie die Magd im Rädlein (FB 64), von der Existenz dieser Zeichen auf die Wahrheit der Aussage des Pfarrers (vgl. FB 75, V. 62–75) und bezichtigt ihn infolgedessen, ihr mittels Zauberei die „ere“ (FB 75, V. 80) geraubt zu haben (vgl. FB 75, V. 76–80). Nachdem der Pfaffe jedoch beteuert hat, dass keinerlei Zauberei oder sonstige Listen im Spiel gewesen seien und er überdies nur aus verzweifeltem Liebesverlangen gehandelt habe (vgl. FB 75, V. 81–99), gelobt die Frau, sich resignativ in ihr vermeintliches Schicksal ergebend, ihm hinfort willig zur Verfügung zu stehen (vgl. FB 75, V. 100–115; 124–127).408 Unverzüglich schreitet der begierige Pfaffe daraufhin zur (sexuellen) Tat, nachdem er die Umworbene zuvor noch einmal um ihre Zuwendung gebeten hat (vgl. FB 75, V. 120–123): „Der pfaffe sie vf das bette swang / Als ein vil kner man / Der minne er mit ir began.“ (FB 75, V. 128–130). Angesichts der neuartigen, für sie offenkundig sehr beeindruckenden körperlichen Aktivität wundert sich die Frau sehr darüber, dass sie die vorgeblich erste Liebesbegegnung gar nicht bemerkt habe; auch dies vermag sie sich wiederum nicht anders als mit Zauberei zu erklären (vgl. FB 75, V. 131–151). Der Pfaffe allerdings – „vil gemeit“ (FB 75, V. 157), nachdem er sein Ziel endlich erreicht hat (vgl. FB 75, V. 152–154), – präsentiert seiner Geliebten nun aufgeräumter Stimmung des Rätsels Lösung: Tatsächlich habe gerade ihre erste sexuelle Begegnung stattgefunden; die Zeichen seien von ihm nur deshalb aufgetragen worden, um sie zu überlisten. Die Frau ist darüber keineswegs erbost, sondern zeigt sich, im Gegenteil, noch darüber erleichtert, dass sie nicht einer Zauberlist zum Opfer gefallen ist, sondern nur der „behendekeit“ (FB 75, V. 150; 156) des Pfaffen.409 Nach Art eines Ehegelöbnisses410 versprechen sich beide schlussendlich wechselseitige Treue als Bettgefährten (vgl. FB 75, V. 155–190). Die 407

Anders als in den beiden zuvor analysierten Verserzählungen könnte sich die Symbolik des Zeichens hier möglicherweise auf die (geistliche) Standeszugehörigkeit des Liebhabers beziehen; vgl. z. B. Judith KLINGER, Aus der Haut gekritzelt, S. 217, Anm. 19; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 398f., deutet die Kreuze etwas umständlich als antichristliche Symbole. – WAILES’ These, dass auch das Rädlein in der gleichnamigen Verserzählung (FB 64) auf die Standeszugehörigkeit seines Zeichners verweise, vermag hingegen nicht zu überzeugen; vgl. Stephen L. WAILES, The Title of Das Rädlein by Johannes von Freiberg, S. 54. M. E. erscheint es ohnehin wahrscheinlicher, dass Kreuz wie Rad(kreuz) die Funktion eines Beglaubigungszeichens haben, wie ich im Hinblick auf Das Rädlein (FB 64) bereits erläutert habe. 408 Anders als im Rädlein (FB 64) spielt der Aspekt der erotischen Naivität hier nur eine untergeordnete Rolle. 409 In der mangelnden psychologischen Motivierung, die an dieser Stelle sichtbar wird, mag eine literarische Schwäche des Textes gesehen werden. 410 Vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 119f., die hierin den zeitgenössischen Wunsch von Geistlichen nach Ehe und sozialer Absicherung gespiegelt sieht.

Zeichen und Schrift

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narratio schließt sodann mit einem Verweis auf die Liebesfreuden des heimlichen Paares bis an ihr Lebensende (vgl. FB 75, V. 191–194). Das Epimythion der Erzählung (vgl. FB 75, V. 195–209) richtet sich in warnender Absicht an „megde vnd […] frowen“ (FB 75, V. 204), die sich ein Beispiel an der Geschichte nehmen sollen (vgl. FB 75, V. 203): Die pfaffen alle kunnen Michels me den leysch man […]. Ir sult nit getrwen Den kunsten richen pfaffen. Wan sie wol kunnen schafen Daz mzent ir torin sin (FB 75, V. 201–208).

Damit entwickelt der Text gegenüber den motivverwandten Erzählungen von den Zwei Malern (FB 81) und dem Rädlein (FB 64)411 aber eine neue didaktische Perspektive: Wie im Rädlein (FB 64) erschleicht sich zwar auch hier ein intellektuell überlegener Mann die erotische Hingabe einer von ihm begehrten Frau, indem er durch seine Zeichnung eine Realität vorspiegelt, die zunächst nur seinem Wunschdenken entspricht. Im Kreuz (FB 75) steht jedoch die Auflösung des Betruges auf der Handlungsebene im Vordergrund, die im Rädlein (FB 64) gänzlich unterbleibt. Damit kann sich folgerichtig die Zielsetzung des Epimythions verändern, die nicht die männliche Wahrnehmungsperspektive des erfolgreichen Liebhabers bestätigt, sondern den erzählten Kasus vielmehr zum Anlass nimmt, um Frauen vor der Hinterlist der Geistlichen zu warnen412 – einer Figurengruppe, die im Gegensatz zum Typus des Schreibers genregemäß ein eher negativ konnotiertes Männlichkeitskonzept repräsentiert.413 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang schließlich ein Vergleich mit der Verserzählung von den Zwei Malern (FB 81), in deren Promythion junge Männer, Mädchen und Frauen dazu aufgefordert werden, sich vor der „behendekeit der wibe“ (FB 81, V. 251,10) vorzusehen, mit der sie Männer zu betrügen suchten (vgl. FB 81, V. 251,11– 252,6). Wenn Das Kreuz (FB 75) demgegenüber parallel vor der „behendekeit“ (FB 75, V. 150) der Pfaffen warnt, bestätigt dies erneut die skizzierte Veränderung in der didaktischen Zielsetzung des etwa 100 Jahre jüngeren Textes, die m. E. vornehmlich aus der Neubesetzung der männlichen Protagonistenrolle mit der Figur eines Geistlichen resultiert. 411

Ein ausführlicher Vergleich beider Texte findet sich bei Dora KURZ, Verluste auf dem Gebiet der mittelhochdeutschen höfischen Erzähldichtung, S. 221–225, Teil II, S. 17. 412 Nicht verständlich ist, wieso BLECK die Aussage des Epimythions als Ironie betrachtet und allein das männliche Publikum angesprochen sieht; vgl. Reinhard BLECK, Eine Kleinsammlung mittelhochdeutscher Reimpaardichtungen, S. 293f. – BEINES sozialpsychologischer Interpretation zufolge tritt an dieser Stelle die Angst der zeitgenössischen Ehemänner vor geistlichen Konkurrenten zutage; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 142. 413 Vgl. Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 21f.

Körperzeichen

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e.

Die Entwertung des Zeichens oder: Das Gesetz der Serie

Die einfach überlieferte mittelniederdeutsche414 Verserzählung Der Dieb von Brügge (FB 23) aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts415 bildet in unserem Textkorpus das zeitlich späteste Beispiel für die Bezeichnung eines Körpers. Es handelt sich, wie eingangs bereits erwähnt, um die einzige Verserzählung, in der ein männlicher Körper von einer weiblichen Hand mit einem Zeichen markiert wird. Wie wir sehen werden, geht diese geschlechtliche Umbesetzung jedoch mit gravierenden Veränderungen in der Konzeptualisierung und narrativen Ausgestaltung des Motivs einher. Das betreffende Handlungselement ist Bestandteil des letzten Schelmenstücks in einer Reihe von Streichen, die der Meisterdieb von Brügge dem französischen König spielt, nachdem sein Konkurrent und Mitstreiter, der Meisterdieb von Paris, bei einem gemeinsamen Einbruch in das Schatzhaus des Königs sein Leben hat lassen müssen.416 Nachdem es dem Meisterdieb daraufhin immer wieder aufs Neue gelungen ist, sich den Nachstellungen der Regierung zu entziehen und seine ordnungsstörenden Machenschaften fortzuführen, ist der französische König schließlich bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um dem Dieb das Handwerk zu legen. Die uns interessierende Episode setzt an diesem Punkt des Handlungsgeschehens ein. In einer Besprechung mit seinem Ratgeber (vgl. FB 23, V. 581–626) fällt der König den weitreichenden Entschluss, die Jungfräulichkeit seiner Tochter aufzuopfern, um den Dieb endgültig dingfest machen zu können; der königliche Berater weiß keinen anderen Ausweg mehr, als seiner über die Vorliebe für schöne Frauen, seiner einzigen Schwach-

414

Neben dem Dieb von Brügge (FB 23) liegt mit dem Fragment Die Frau des Seekaufmanns (FB 34) – wie dieser unikal überliefert im Stockholmer Codex Vu 73 (vgl. hierzu Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] ,Die Frau des Seekaufmanns‘; Loek GEERAEDTS, Die Stockholmer Handschrift Cod. Holm. Vu 73, S. 57–59) – in unserem Textkorpus nur noch eine weitere mittelniederdeutsche Verserzählung vor; hinzugerechnet werden muss noch das Fragment Probra mulierum (FB 150h); von der Treuen Magd (FB 80) existieren zwei mittelhochdeutsche und eine mittelniederdeutsche Version. Vielleicht liegt in der besonderen sprachlichen Herkunft dieser Texte begründet, dass die Forschung sie bislang weitestgehend außer Acht gelassen hat. Hanns FISCHER hat sie ohne weiteren Kommentar in sein mittelhochdeutsch dominiertes Märenkorpus und seine Märenedition integriert. 415 Vgl. zu den philologischen Grundlagen, Autor und Überlieferung Lars-Erik AHLSSON, De deif van Brugghe; S. 77–85; Jürgen MEIER, Die mittelniederdeutsche Verserzählung „De deif van Brugge“, S. 12–34, 87–181; DERS., [Art.] ,Der Dieb von Brügge‘, Sp. 86; Loek GEERAEDTS, Die Stockholmer Handschrift Cod. Holm. Vu 73, S. 52–57. 416 Der zugrunde liegende Stoff findet sich erstmalig bereits bei Herodot und ist im Mittelalter weit verbreitet, wobei die vorliegende Variation wahrscheinlich auf einer mündlichen Überlieferungstradition fußt; vgl. Jügen MEIER, Die mittelniederdeutsche Verserzählung „De deif van Brugge“, S. 35–86; DERS., [Art.] ,Der Dieb von Brügge‘, Sp. 86f.; Loek GEERAEDTS, Die Stockholmer Handschrift Cod. Holm. Vu 73, S. 53f.; vgl. zu Stofftradition und Motivik weiterführend Christa TUCZAY, Meisterdieb, passim. TUCZAY wie FROSCH-FREIBURG verweisen darüber hinaus auf das ähnlich geartete Fabliau Barat et Haimet von Jean Bodel (NF 7); vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 220f.; Christa TUCZAY, ebd., S. 636.

Zeichen und Schrift

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stelle, habhaft zu werden (vgl. FB 23, V. 584–589). Der Alte rät dem König deshalb, seine Tochter als Lockvogel einzusetzen, worauf sich der König ohne zu zögern einlässt (vgl. FB 23, V. 596–597; 626). Er schlägt konkret vor, 60 Betten in einem Saal aufstellen zu lassen und einen Aufruf zu erlassen, dass jeder, der in einem der Betten übernachte, sich der jungfräulichen Königstochter annähern könne; der Meisterdieb werde unzweifelhaft der Erste sein – da ist sich der Ratgeber sicher –, der von diesem Angebot Gebrauch machen werde: „van der maget maket he ein wif“ (FB 23, V. 610). Dabei solle ihn „de junkvrouwe fin“ (FB 23, V. 14) „mit einen kleinen kruzelin“ (FB 23, V. 613) versehen, das sie ihm mit Farbe auf „sin hovet“ (FB 23, V. 614) zeichnen möge. Man solle den Saal verschließen, damit in der Nacht niemand entfliehen könne. Am nächsten Morgen verrate sich der Dieb sodann durch das Zeichen auf seiner Stirn und könne endlich am Galgen aufgeknüpft werden. Der Meisterdieb von Brügge reagiert auf den königlichen Aufruf ganz wie erwartet; mit einem Fass Wein und elegant gekleidet betritt er den Saal und platziert sich wie die übrigen 59 Herren auf einem Bett ganz in der Nähe der Königstochter (vgl. FB 23, V. 630–648). Nachdem das Licht gelöscht worden ist, begibt er sich unmittelbar zum Bett der Prinzessin, um sich mit ihr im „vrouden spil“ (FB 23, V. 655) zu ergehen (vgl. FB 23, V. 649–655). Diese jedoch greift zu einer Büchse mit roter und weißer Farbe, um den Kopf des Diebes mit einem Zeichen zu versehen (vgl. FB 23, V. 656–661). Der schlaue Dieb bemerkt dies natürlich sogleich: „,dit macht nicht afgan.‘“ (FB 23, V. 664). Schnell setzt er eine Gegenlist ins Werk: Er macht zuerst die Prinzessin betrunken, so dass sie einschläft, stiehlt ihr den Farbbehälter, flößt dann den übrigen Anwärtern Alkohol ein, so dass auch diese in festen Schlaf fallen. Sodann zeichnet er jedem Einzelnen ein Kreuz auf die Stirn – „do weren se getekent alle“ (FB 23, V. 687). Er stellt die Büchse wieder zurück und legt sich zum Schlafen nieder, so als sei nichts geschehen (vgl. FB 23, V. 665–682). Am nächsten Morgen will der begriffsstutzige König seinen eigenen Augen nicht trauen: „,eia, wo is dit togekomen? / hebben se alle kruze nomen / van miner dochter? des were to vil.‘“ (FB 23, V. 688–690). Sein Mentor durchschaut die neue List des Meisterdiebes hingegen blitzartig und erklärt seinem Herrn, was vorgefallen sein muss (vgl. FB 23, V. 692–702). Obwohl dieser verständlicherweise „der meren unvro“ (FB 23, V. 703) ist, muss er sich nun seinerseits geschlagen geben. Er fordert den Dieb auf, sich unter der Menge der anwesenden Herren zu erkennen zu geben, damit er ihm seine Tochter zur Frau geben könne (vgl. FB 23, V. 704–714). Das Happy End ist damit besiegelt: Der Dieb gibt seine Identität preis, heiratet die Königstochter und lebt fortan mit ihr in gesellschaftlichem Ansehen, Macht und Wohlstand (vgl. FB 23, V. 715–734). Die Erzählung, die weitgehend frei ist von eingreifenden Erzählerkommentaren417, kehrt, wie eingangs bereits erläutert, somit eine Handlungssituation um, die in der lite-

417

Vgl. Jürgen MEIER, [Art.] ,Der Dieb von Brügge‘, Sp. 87.

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Körperzeichen

rarischen Tradition der Verserzählungen offenkundig geschlechtsspezifisch besetzt ist, indem nunmehr eine Frau einen männlichen Körper bezeichnet und nicht mehr umgekehrt. Abgesehen davon, dass die Königstochter ohnehin nur als Handlangerin ihres Vaters agiert, ist jedoch entscheidend, dass die Bezeichnung ihr Ziel hier eindeutig verfehlt: Das Zeichen hat, ähnlich wie wohl im Rädlein (FB 64) und im Kreuz (FB 75), keinen eigenen semantischen Wert, sondern dient bloß als kennzeichnende Markierung. Es dient dem Zweck, eine Person zu identifizieren, d. h. Authentizität zu verbürgen, nicht jedoch dazu, ihre Identität bzw. ihren sozialen Status manipulativ zu verändern, wie dies im Rädlein (FB 64) und im Kreuz (FB 75) gleichsam der Fall ist, wenn dort mit Hilfe einer Markierung eine juncvrouwe zu einem wîp gemacht wird.418 Wie in den übrigen drei Verserzählungen, die in diesem Unterkapitel behandelt worden sind, erweist sich somit auch im Dieb von Brügge (FB 23) das männliche Geschlecht als dasjenige, das effektiv mit schriftlichen Zeichen umzugehen weiß. Sinnfällig wird diese Befähigung insbesondere in der herbeigeführten Entwertung des Zeichens durch seine serielle Vervielfältigung: Indem der Dieb den an ihm selbst vollzogenen Akt der Bezeichnung in potenzierter Form wiederholt, bewirkt er, dass die Zeichenfunktion des Kreuzes vollständig aufgehoben wird. Er entzieht sich damit zugleich der weiblich codierten Rolle eines bezeichneten Objekts, die ihm von Seiten des Hofes aufgezwungen wurde, und setzt sich selbst wieder in den Stand eines handelnden, d. h. in diesem Falle bezeichnenden Subjekts ein. Mit der Schrift übernimmt er die Herrschaft, die zuvor vom weiblichen Geschlecht usurpiert zu werden drohte. Und so scheint es, als widersetze sich der männliche Körper einer von außen kommenden Bedeutungszuschreibung im literarischen Kosmos der Verserzählungen ein für alle Mal. Für alle vier Verserzählungen, die von einer Bezeichnung eines Körpers handeln, gilt schließlich gleichermaßen, dass das zentrale Motiv stets mit einer männlichen Inbesitznahme des weiblichen Körpers verbunden ist, welche die sexuelle Integrität der Protagonistin berührt. Dies trifft nicht nur auf die Zwei Maler (FB 81), das Rädlein (FB 64) und das Kreuz (FB 75) zu, in denen der Akt der Bezeichnung den Geschlechtsakt symbolisch vorwegnimmt, sondern ebenso auf den Dieb von Brügge (FB 23), wenn der Geschlechtsakt nicht mehr den Zweck, sondern Voraussetzung und Mittel für eine Bezeichnung (des männlichen Körpers) darstellt; denn die namenlose Königstochter muss in dieser Erzählung zuerst ihre Jungfräulichkeit preisgeben, um überhaupt ein Zeichen setzen zu können. Da sich dieses Vorgehen im weiteren Handlungsverlauf als wenig erfolgreich erweist, zeigt sich auch hier erneut die männliche Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper. Bezieht man abschließend die Ergebnisse der beiden Untersuchungskomplexe zur Körperthematik in der mittelhochdeutschen Verserzählung aufeinander, nämlich die Darstellung von Nacktheit und die Bezeichnung des Körpers, so wird deutlich, dass die

418

Letzteres vollzieht sich gleichermaßen im Dieb von Brügge (FB 23).

Zeichen und Schrift

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Befunde einander komplementär ergänzen. Unsere erkenntnisleitenden Fragestellungen, in welchem Grade bzw. in welcher Weise sich – erstens – männliche und weibliche Körper in den mittelhochdeutschen Verserzählungen als zeichenhaft erweisen und inwiefern – zweitens – Symbolisierungsprozesse, sofern sie auf der Handlungsebene der Texte zum Tragen kommen, geschlechtlich codiert sind, können wir auf der Grundlage unserer Textanalysen – wenngleich mit aller gebotenen Vorsicht angesichts unseres exemplarischen Vorgehens – nunmehr beantworten. Zur ersten Frage: Während der männliche Körper einen symbolischen Eigenwert besitzt, wohnt dem weiblichen Körper ein solches Potential zur ,Lesbarkeit‘ in den mittelhochdeutschen Verserzählungen nicht unbedingt inne. Versinnbildlicht das äußere Erscheinungsbild des männlichen Körpers den sozialen Status der betreffenden Person, so wird umgekehrt der (soziale) Stand einer weiblichen Figur durch ihre körperliche Verfasstheit allererst konstituiert, wobei das Kriterium ihrer sexuellen Verfügbarkeit, auf das wir noch zurückkommen werden, eine wesentliche Rolle zu spielen scheint. Zur zweiten Frage: Wenn sich zeigt, dass die kulturelle Errungenschaft, symbolisch wirken zu können, in den mittelhochdeutschen Verserzählungen an den männlichen Körper gebunden ist, so gilt dies in einem doppelten Sinne, insofern auch die Kompetenz, Zeichen setzen zu können und damit Bedeutung zu stiften, dem männlichen Personal des literarischen Texttyps vorbehalten bleibt: Der ,Lesbarkeit‘ des männlichen entspricht somit vice versa die ,Beschreibbarkeit‘ des weiblichen Körpers. Der einzige Versuch einer weiblichen Figur, qua Schrift auf eine männliche Figur Einfluss zu nehmen, wie im Dieb von Brügge (FB 23) gesehen, läuft daher vollständig ins Leere. Allerdings haben wir (die Thesen von Mireille SCHNYDER bestätigend und ergänzend) auch gesehen, dass sich die männliche Zeichen- oder besser: Bezeichnungskompetenz wesentlich auf den Bereich der i. w. S. schriftlichen Kommunikation stützt, nicht jedoch notwendigerweise die mündliche Kommunikation beinhaltet. Zusammenfassend bestätigt sich in der geschlechtsspezifischen Funktionalisierung des Körpers in der mittelhochdeutschen Verserzählung auf einer symbolischen Ebene die geschlechtliche Codierung des Kultur-Natur-Gegensatzes, wie wir sie in unserem grundlegenden ersten Kapitel erörtert haben. Einen spielerischen Umgang mit der in Rede stehenden Zeichenkompetenz finden wir in Bezug auf die Konzeptualisierung des geschlechtlich markierten Körpers indes vorläufig nicht. Mehr noch, insofern die inhaltliche Thematisierung von Schriftlichkeit stets auf den medialen Charakter der überlieferten Verserzählungen selbstreferentiell verweist, zeugt sie möglicherweise von einem Selbstverständnis der Autoren, in dem die männliche Überlegenheit das Geschlechterdenken einhellig prägt.

3

Hierarchien – Geschlechterdifferenz und soziale Identität

3.1 Gender und Class – Geschlecht und Stand Seit jeher hat die Forschung die stereotype und typisierende Zeichnung der Figuren in den mittelhochdeutschen Verserzählungen als charakteristischen Zug hervorgehoben.1 Insbesondere die Standeszugehörigkeit hat dabei eine große Rolle gespielt, wohingegen spezifischeren (z. B. beruflichen) Zuordnungen nur ein untergeordnetes Gewicht beigemessen worden ist.2 Nach wie vor grundlegend für einen solchen methodischen Zugriff ist die von Hanns FISCHER entwickelte Klassifizierung der Stände in den mittelhochdeutschen Verserzählungen3, die sieben Gruppierungen umfasst:

1 2 3 4 5

A. Soziale Stände:

1. 2. 3. 4. 5.

Ritterlicher Adel Pfaffen und andere Geistliche Studenten (angehende Geistliche) Bauern Bürger4

B. Soziale Randgruppen:

1. Dienstboten 2. Sonstige.5

Vgl. z. B. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 116–119; Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 182–186; Klaus GRUBMÜLLER, Tiere, Bauern, Pfaffen, passim. Vgl. Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 166f. Vgl. hier und im Folgenden Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 119–124. Hierzu zählt FISCHER „nichtritterliche, nichtklerikale und nichtbäuerliche Personagen“ (ebd., S. 123). Dazu zählen in einer merkwürdig anmutenden Mischung laut FISCHER: Landstreicher, Bärenführer, Prostituierte und Juden. – Einen allgemeinen Überblick über die Ständethematik in den mittelalterlichen Verserzählungen liefert Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Ständeordnung, Sp. 1157f.; zu einzelnen sozialen Ständen liegen übergreifende oder systematische Untersuchungen vor, vgl. so beispielsweise zu Gruppe A. 1, „Ritterlicher Adel“: Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs; Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft; zu A. 2, „Pfaffen und andere Geistliche“, sowie A. 3, „Studenten (angehende Geistliche)“: Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte; Ralph TANNER, Sex, Seele, Sündenheil, zu den Fabliaux zuletzt Karin BECKER, Der Priester als Garant des Gelächters; zu A. 3, „Studenten (angehende Geistliche)“, i. w. S.: Stephen L. WAILES, Students as Lovers

172

Hierarchien

Jeweils ein Drittel des gesamten Personals werden dabei – mit leichtem Übergewicht des Adels6 – von Rittertum und Bürgertum gestellt, nur ein Sechstel hingegen vom niederen Stand der Bauern.7 Sofern sich in den mittelhochdeutschen Verserzählungen eine soziale Dynamik zeige, folge diese, so Hanns FISCHER, den Gesetzen einer dem Texttyp inhärenten fiktionalen Rangfolge: In dem von der Märendichtung abgebildeten sozialen Gefüge genießt […] der Adel das höchste Ansehen; ihm folgt im Rang die Scholarenschaft und das gehobene Bürgertum. Zwischen diesem und den unteren Schichten, dem Kleinbürger- und Bauernstand, rangiert der Klerus, der sich hier also keineswegs der Achtung erfreut, die er nach der Konzeption der mittelalterlichen Ständeordnung erwarten dürfte.8

Wenn die Ständehierarchie im Texttyp der mittelhochdeutschen Verserzählung ihren eigenen spezifischen Regeln folgt, so unterscheidet sie sich damit punktuell von anderen literarischen wie außerliterarischen Gliederungsmodellen der Zeit9; gleichwohl aber bleibt die für das Mittelalter grundlegende funktionale Dreiteilung zwischen Klerus, Adel und Bauern10 auch hier deutlich sichtbar. Bot die reale mittelalterliche Gesellschaft nur relativ wenig Spielraum für vertikale Mobilität innerhalb der bestehenden Ständehierarchie – allerdings lässt sich diese in his-

6

7 8 9 10

in the German Fabliau; Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘. Von den genannten sozialen Randgruppen ist lediglich am Rande die Darstellung der Juden bei Hans Folz (vgl. Der falsche Messias (FB 30m) und Die Wahrsagebeeren (FB 30r)) sowie bei Hans Rosenplüt (Die Disputation (FB 105c)) in einzelnen Untersuchungen in den Blick genommen worden; vgl. zuletzt zu Hans Folz Matthias SCHÖNLEBER, der juden schant wart offenbar, zu Hans Rosenplüt Alessandro ZIRONI, La ,Disputatio‘ di Hans Rosenplüt; Manuela NIESNER, Christliche Laien im Glaubensdisput mit Juden; Christiane WITTHÖFT, An den Grenzen symbolischer Kommunikation. Zur Darstellung von Tugenden und Lastern bei einzelnen Ständen vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 201–242, zum Motiv des Ehebruchs in ständespezifischer Hinsicht vgl. Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters, S. 453–456. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 119f. – Im Hinblick auf die Ständefrage unterscheidet Erika KARTSCHOKE für die mittelhochdeutsche Verserzählung zwischen einer kleineren Textgruppe, die intentional an den ständespezifischen Interessen des Adels orientiert sei, und der Mehrzahl der Texte, die standesübergreifende Themen behandeln; vgl. Erika KARTSCHOKE, Kleinepik, S. 292–302. Als Beispiele für standesspezifische Texte, die der Selbstreflexion des Adels dienten, nennt sie den Helmbrecht von Wernher dem Gärtner (FB 139) sowie die Rittertreue (FB 142) (vgl. ebd., S. 293, 296f.). In meinen Augen erscheint diese Trennung allerdings künstlich, denn auf einer Metaebene diskutieren diese Erzählungen ebenfalls ständeübergreifende Problemkonstellationen. Vgl. Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 166. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 126. Einen problematisierenden Überblick aus historischer Sicht bietet z. B. Otto Gerhard OEXLE, Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Vgl. R[alf] MITSCH, [Art.] Stand, Stände, -lehre, Sp. 46f.

Gender und Class

173

torischen Zeugnissen durchaus belegen11 –, so erweist sich die fiktionale Welt der Verserzählungen demgegenüber weitaus offener für soziale Experimente. Hansjürgen LINKE hat im Hinblick auf mögliche Formen der Durchlässigkeit sozialer Schranken für das zugrunde liegende Korpus drei signifikante Modi herausgearbeitet:  die Austauschbarkeit des sozialen Milieus in den unterschiedlichen Fassungen eines Textes,  die temporäre oder anhaltende Überschreitung von Standesgrenzen im Rahmen von zwischengeschlechtlichen Verbindungen,  die Überschreitung gesellschaftlich normierter Geschlechterrollen. Zu Recht betont LINKE, dass die ständische Zuordnung der Protagonisten sowohl bei der ersten Variante, bei der zumeist Konflikte zwischen den Geschlechtern oder den Generationen im Mittelpunkt stünden, als auch bei der zweiten Variante, sofern es sich bloß um temporäre Grenzüberschreitungen im Kontext von Ehebruchgeschichten handele, nur von untergeordneter Bedeutung seien; denn in beiden Fällen würden Probleme von ständeübergreifender Relevanz das Handlungsgeschehen bestimmen.12 Nur bei dau11 12

Vgl. ebd., Sp. 47. LINKE hat seine Thesen in einem späteren Aufsatz erweitert, in dem er auf die Thematik der Standesgrenzen im Kontext der Ehebruchmotivik in spätmittelalterlichen Verserzählungen eingegangen ist und entsprechende Beispiele benannt hat; vgl. Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters, hier S. 453–456. Er kommt dabei u. a. zu folgenden zentralen Ergebnissen:  Im Gegensatz zu den männlichen Ehebrecher-Figuren werde bei den weiblichen Ehebrecherinnen der soziale Stand in den Texten fast immer markiert.  Bäuerinnen würden Ehebruch mit sozial niedriger stehenden Personen, aber auch mit dem Adel, begehen, adlige Ehefrauen indes stets mit Personen gleichen Standes. Ehebruch zwischen bürgerlichen Personen komme nicht vor; bürgerliche Ehebrecherinnen hätten entweder Partner, die niedriger, vornehmlich aber solche, die höher stünden.  Der Ehebruch einer Frau mit Klerikern, Studenten etc. finde sich bei allen Standesgruppierungen (Bäuerinnen, Bürgerinnen, Adlige).  Die Aktivität zum Ehebruch gehe eher von Frauen als von Männern aus; männliche BürgerFiguren seien davon gänzlich ausgeschlossen. Diese geschlechtsspezifischen Beobachtungen lassen sich nach meinen Recherchen auf diese Weise weiter ergänzen: In der übergroßen Mehrzahl erfolgt der Ehebruch, sofern ein sozialer Rangunterschied zwischen beiden Partnern zu verzeichnen ist – was die Regel darstellt –, zwischen einem höherrangigen Mann sowie einer in Relation dazu sozial niedriger stehenden Frau, z. B. zwischen einem Pfaffen und einer Bäuerin oder einem Ritter und einer Bürgerin usw. (vgl. etwa – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – FB 4d; FB 4e; FB 5; FB 14; FB 30n; FB 40; FB 47; FB 56; FB 62; FB 67b; FB 67c; FB 67d; FB 67m; FB 67n; FB 72; FB 80; FB 82; FB 83; FB 86; FB 89; FB 94; FB 95; FB 96; FB 103; FB 105b; FB 105g; FB 109; FB 127c; FB 127k; FB 138; FB 144). Nur in wenigen Texten wird dieses dominante Schema umgekehrt – zunächst einmal ungeachtet dessen, ob der in Rede stehende Ehebruch nur angedeutet, erfunden, tatsächlich realisiert oder erzwungen ist, ob er entdeckt oder bestraft wird –, und zwar in Der Koch des Schweizer Anonymus (FB 4b), Der arme Bäcker (FB 30a) und Der Köhler als gedungener Liebhaber (FB 30i) von Hans Folz, in

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Hierarchien

erhaften Verbindungen durch Heirat13 oder Liebestod14 komme der Überschreitung der Standesgrenzen eine zentrale erzählstrategische Funktion zu.15 Der dritte von LINKE be-

13

den drei Versionen der Drei listigen Frauen (A: FB 36; B: 67e; C: 30f), Die Suche nach dem glücklichen Ehepaar von Heinrich Kaufringer (FB 67m), Der Knecht im Garten von Hans Rosenplüt (FB 105e), Der Mönch als Liebesbote (C) von Hans Schneeberger (FB 112), Schondochs Königin von Frankreich (FB 116) und Die Wette (FB 140). – In anderen Verserzählungen ist nicht immer eindeutig zu bestimmen, wie ein vorhandener Standesunterschied interpretiert werden soll, wie etwa bezüglich der Ehebrüche zwischen einem Geistlichen und der adligen Frau eines Ritters in Die Rache des Ehemannes von Heinrich Kaufringer (FB 67k) sowie dem Hasengeier (FB 105d) und der Wolfsgrube (FB 105l) von Hans Rosenplüt. Nicht ganz einfach erscheint m. E. auch die Bewertung des Ehebruchs einer Bürgerin mit einem Studenten, Scholaren oder Schreiber (z. B. in der Frauenlist (FB 37), in den beiden Fassungen des Studentenabenteuers (A: FB 129; B: FB 107), in Der Student von Prag von Peter Schmieher (FB 111b), Der Schreiber (FB 117) sowie Fünfzig Gulden Minnelohn von Claus Spaun (FB 124)). – Eine besondere Spielart des Ehebruchs stellt der Zölibatsbruch eines Mönches oder einer Nonne dar, sofern er nicht mit einem Ehebruch des Sexualpartners verbunden ist, wie im Gänslein (FB 43), im Guardian (FB 48) und im Sperber (FB 125). – Besonders außergewöhnlich ist die Ehebruchkonstellation in der Erzählung Die zwei Beichten (B) (FB 13), in der die Protagonistin – gleich einem Totentanz – mit zwölf Partnern unterschiedlichster Standeszugehörigkeit einen Reigen an Ehebrüchen eröffnet; darunter sind „des dorfs hirte[ ]“ (FB 13, V. 20), „des herrn pot“ (FB 13, V. 33), „der pfaff“ (FB 13, V. 46), der „richter“ (FB 13, V. 58), der „kellner und des herrn koch“ (FB 13, V. 81), „der alt hirt“ (FB 13, V. 93), sodann ihres „nachpern sun“ (FB 13, V. 105) sowie drei seiner „gesellen“ (FB 13, V. 106) und schließlich „der meßner“ (FB 13, V. 117). In der gleichnamigen A-Fassung (FB 12) hat die Ehefrau hingegen nur drei, und zwar gleichermaßen höherrangige, Sexualpartner aufzuweisen, nämlich zunächst den „jungen herren“ (FB 12, V. 21), seinen „ambetman“ (FB 12, V. 25) und den „lantrihtaere“ (FB 12, V. 33). Umgekehrt buhlen in der Erzählung Der Wettstreit der drei Liebhaber von Hans Rosenplüt (FB 105k) „pfaff“ (FB 105k, V. 9 u. ö.), „edelman“ (FB 105k, V. 17 u. ö.) – seines Zeichens ein „junker“ (FB 105k, V. 99 u. ö.) – und schließlich „ein pauer stolz und gerat“ (FB 105k, V. 33) – ein „pauerknecht“ (FB 105k, V. 145 u. ö.) – um die Gunst einer Bäuerin. Der Bauer gewinnt den Wettstreit, da es nur ihm gelingt, mit der Bäuerin vor den Augen ihres Ehemannes zu schlafen (vgl. FB 105k, V. 145–214). Bei der standesübergreifenden Heirat spielen für LINKE neben sozialen auch ökonomische Faktoren eine entscheidende Rolle; vgl. Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 172. Zu denken wäre hier beispielsweise an die Verheiratung einer armen Bürgerin mit einem reichen Mann im Frauenturnier (FB 39), die erst durch die großzügige Spende eines Gönners ermöglicht wird (vgl. FB 39, V. 367–393). LINKE hat übersehen, dass ökonomische Faktoren auch für die Ehebruchkonstellationen im zugrunde liegenden Textkorpus von Belang sein können, so etwa, wenn in Hans Rosenplüts Hasengeier (FB 105d) eine reiche Adlige den Ehebruch mit einem reichen Pfaffen dem Ehebruch mit einem armen Adligen vorzieht (vgl. FB 105d I + II, V. 15–36). – Für das Motiv der unstandesgemäßen Heirat führt LINKE keine Beispiele an; es wird jedoch schnell ersichtlich, dass die ständeübergreifenden Hochzeiten bis auf eine Ausnahme, auf die wir im Folgenden noch ausführlicher eingehen werden, stets zu einem sozialen Aufstieg der männlichen Protagonisten führen. Anders gesagt: Im Regelfall heiratet ein auf der sozialen Stufenskala niedrig stehender Bräutigam eine sozial höher gestellte Braut und nicht umgekehrt. Dieser Umstand lässt sich erzählfunktional erklären, da den betreffenden Verserzählungen zumeist das Erzählschema der Brautwerbung zugrunde liegt (vgl. zur Struktur des Werbungsschemas und den

Gender und Class

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nannte Aspekt kann hier weitgehend außer Acht gelassen werden, da ihn der Verfasser isoliert betrachtet und mit der Frage nach sozialständischen Grenzüberschreitungen letztlich nicht in Verbindung bringt.16 Die Ergebnisse der Forschung zur Ständeproblematik im Texttyp der mittelhochdeutschen Verserzählung17, wie ich sie hier kurz skizziert habe, mögen uns als Ausgangspunkt für die Frage dienen, inwieweit die ständischen Differenzen, die bei der Konfiguration der Handlungsszenarios offensichtlich keine unwesentliche Rolle spielen, mit der Darstellung geschlechtlicher Differenzen kongruieren bzw. interferieren.18 Für diese Fragestellung, die bislang weder für das Textkorpus der mittelhochdeutschen Verserzählung noch für andere Typen und Gattungen mittelhochdeutscher Literatur hinreichend reflektiert worden ist, lässt sich weiterführend an eine für die mediävistische Forschung wegweisende Studie aus der romanistischen Philologie anknüpfen. Gemeint sind die grundlegenden Beobachtungen, die der Romanist Simon GAUNT in seiner Untersuchung über „Gender and genre in medieval french literature“ (1995) in Bezug auf die altfranzösischen Fabliaux angestellt hat. Simon GAUNT geht davon aus, dass Mutabilität und Mobilität zentrale narrative Motivationskategorien der mittelalterlichen Novellistik darstellen19:

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Formen seiner Poetisierung in der mittelhochdeutschen Verserzählung Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 251–334), in dessen klassischer Realisation der Werber stets männlichen Geschlechts ist (vgl. ebd., S. 252). Dies gilt für den Dieb von Brügge (FB 23), die beiden Fassungen der Halben Birne (A: FB 74; B: FB 30c), Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), Der Striegel (FB 128), Rittertreue (FB 142) und Wilhalm von Orlens (FB 143). Besonders ausgeprägt ist der Standesunterschied bei der Heirat eines Bauerntölpels und einer Königstochter in der Erzählung Konni von Heinz dem Kellner (FB 58), die durch die Schlagfertigkeit des Brautwerbers in einem Wettstreit zustande kommt. LINKE nennt als Beispiele für den gemeinsamen Tod von zwei Liebenden unterschiedlicher ständischer Herkunft die Frauentreue (FB 38) sowie die drei verschiedenen Versionen des Schülers zu Paris (A: FB 118; B: FB 119; C: FB 120); vgl. Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 172. M. E. ist die Ständethematik, die bei dem Liebestod in Hero und Leander (FB 59), Konrad von Würzburgs Herzmaere (FB 73b) sowie Pyramus und Thisbe (FB 98) – damit sind die insgesamt sieben Verserzählungen genannt, die das Motiv des Liebestodes auserzählen – definitiv keine Rolle spielt, in diesen Verserzählungen nicht von zentraler Bedeutung. Vgl. Hansjürgen LINKE, ebd., S. 174f. Die Ausführungen zur letzten Kategorie sind überdies eher vage und begrifflich mitunter unscharf, so dass wir auf eine weitere Erörterung an dieser Stelle verzichten können. Erschwerend kommt hinzu, dass LINKE in seinem Aufsatz jeglichen Nachweis schuldig bleibt. Ergänzend muss in diesem Kontext auf die Studien von Sarah WESTPHAL hingewiesen werden, die im Hinblick auf die literarische Interessenbildung, wie sie in Sammelhandschriften spätmittelalterlicher Kleinepik sichtbar wird, ebenfalls enge Bezüge zwischen class und gender nachweisen kann; vgl. Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500, S. 113, 138. Unsere Untersuchungsperspektive soll sich dabei jedoch nicht allein auf das von LINKE herausgestellte Motiv der unstandesgemäßen Heirat beschränken. GAUNT stützt sich insbesondere auf Vorarbeiten von Gabrielle LYONS und Charles MUSCATINE; vgl. Simon GAUNT, Gender and genre in medieval french literature, S. 235; 328f.

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Hierarchien

The principal preoccupation of the genre is, rather, an impulse to overturn perceived hierarchical structures of all kinds, to reveal them as artificial and susceptible to manipulation.20

Die Mobilisierungs- oder Destabilisierungstendenzen der Fabliaux, die sich formal in ichrer außerordentlich breiten Überlieferungsvarianz spiegeln würden21, bezögen sich ebenfalls auf die hierarchisch strukturierte Geschlechterdifferenz22, wie sie in diesem literarischen Genre zur Darstellung gelange.23 GAUNT weist nach, dass in unterschiedlichen Überlieferungsvarianten oder Fassungen eines Fabliau zwar die „social classes“24 der Protagonisten wechseln oder an Bedeutung verlieren könnten – und dieser Befund geht konform mit den entsprechenden Forschungen von FISCHER, LINKE und Monika JONAS zur mittelhochdeutschen Verserzählung25 –, nicht aber deren „gender roles“26: Thus, in the transmission of a text class may be unstable, but gender will be stable, and the relationship between class and gender may consequently vary from version to version.27

Ausgehend von diesem Befund ließe sich nun untersuchen, ob Ähnliches auch für die Fassungsvarianten mittelhochdeutscher Verserzählungen festgestellt werden kann. Ergiebiger erscheint mir allerdings die Frage, ob sich im Rahmen einzelner Texte oder auch Textfassungen Verschiebungen innerhalb der Geschlechterhierarchie nachweisen lassen, die durch Veränderungen der Standeszugehörigkeit der handelnden Figuren bedingt sind. Inwiefern eine Veränderung der Geschlechtszugehörigkeit, wie sie in den sog. cross-dressing-Geschichten imaginiert wird, umgekehrt den sozialen Status einer literarischen Person zu beeinflussen vermag, soll uns hingegen erst im letzten Teil unserer Studie beschäftigen. Im Folgenden betrachten wir vornehmlich solche Fälle, in denen Frauenfiguren soziale Grenzen überschreiten, wohingegen wir männliche Bemühungen um einen sozialen Aufstieg oder soziale Veränderung weitgehend unberücksichtigt lassen wollen. Dieses selektive Vorgehen ist darin begründet, dass lediglich ein weiblicher Statuswechsel, der naturgemäß weitaus brisanter erscheinen muss als derjenige einer männlichen Person, die bestehende Geschlechterhierarchie destabilisieren kann, während die normative Vorrangstellung des männlichen Geschlechts durch soziale Veränderungen einer männlichen Figur nicht weiter tangiert wird, auch wenn eine Form von Unterordnung zu beobachten ist.

20 21 22 23 24 25 26 27

Ebd., S. 235; vgl. auch ebd., S. 236f., 238. Vgl. ebd., S. 275f. Vgl. ebd., S. 236, 239, 275 u. ö. Vgl. zur Beeinflussung der Darstellung der Geschlechterhierarchie durch die grundlegenden Mobilisierungstendenzen in den Fabliaux ebd., S. 275–285, 333f. Ebd., S. 276. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 125; Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 182. Simon GAUNT, Gender and genre in medieval french literature, S. 276. Ebd., S. 277.

Gender und Class

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Wenn das vorliegende Kapitel also in erster Linie darauf abzielt, aufzuzeigen, wie sich in den mittelhochdeutschen Verserzählungen soziale Differenzen, die sich mit den Kategorien ,gender‘ und ,class‘ kennzeichnen lassen, wechselseitig beeinflussen und wie sich variierende Verhältnisse von class und gender auf die Konturierung der Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit auswirken, so scheint es vorab erforderlich, den Begriff ,class‘ noch einmal historisch zu kontextualisieren. Zum Ersten gilt es dabei klarzustellen, das mit dem Begriff class, wie wir ihn verwenden, nicht der ökonomische Begriff der ,Klasse‘ nach Karl MARX gemeint ist, sondern vielmehr eine literatur- und kulturwissenschaftliche Analysekategorie, die neben den Konzepten von ,gender‘ und ,race‘ dazu dienen kann, soziale Differenzen als kollektive Faktoren der Identitätsbildung zu beschreiben.28 Dass sich die drei genannten Differenzmodi zumindest in fiktionalen Texten wechselseitig beeinflussen, gilt inzwischen als Gemeinplatz der genderForschung und muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Das zunächst unspezifische Konzept von ,class‘ muss für jeden Untersuchungsbereich inhaltlich neu definiert werden. In dem für uns relevanten soziokulturellen Kontext der spätmittelalterlichen Gesellschaft entspricht dem Begriff ,class‘ weitgehend der Begriff des ,Standes‘ als der für das Mittelalter in sozialer und rechtlicher Hinsicht grundlegenden Ordnungskategorie. Diesem als gottgegeben und unantastbar gedachten Ordnungsmodell folgend, richtete sich die gesellschaftliche Stellung eines Menschen in der mittelalterlichen Gesellschaft im Wesentlichen nach der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand, der durch Geburt und Herkunft festgelegt wurde. Aufgrund spezifischer Kriterien grenzte er sich von anderen Ständen ab und bildete den Rahmen für die Identitätskonstitution des Individuums: Der Bezug der einzelnen Männer und Frauen auf diesen Verband bestimmte wesentlich ihre soziale Position, machte sie als einzelne identifizierbar und war erste Instanz ihrer Selbstdefinition.29

Der soziale Status der Frau wurde – sofern er überhaupt wahrgenommen wurde30 –, vom Stand des jeweiligen Vormundes31 abgeleitet, d. h. in der Regel von ihrem Vater oder ihrem Ehemann. Daraus folgt, dass der weibliche Sozialstatus vom Prinzip her Veränderungen eher offen stand als der männliche, insofern eine Heirat zumindest theoretisch einen Statuswechsel nach sich ziehen konnte. Wie wir noch sehen werden, war

28 29 30 31

Vgl. zusammenfassend S[ven] S[TRASEN], [Art.] Klasse, S. 260; ebenfalls Franziska SCHÖßLER, Einführung in die Gender Studies, S. 11f. Heide WUNDER, Geschlechtsidentitäten, S. 133. Vgl. Doreen FISCHER, Witwe als weiblicher Lebensentwurf in deutschen Texten des 13. bis 16. Jahrhunderts, S. 32. Vgl. zur muntrechtlichen Stellung der Frau im Mittelalter und ihren Veränderungen z. B. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 3–13, 66–92.

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mit der Heirat aber neben dem sozialen immer auch ein weiterer Statuswechsel verbunden, der den Familienstand der Frau, nicht aber denjenigen des Mannes betraf. In Ergänzung zu dem von FISCHER, LINKE und GAUNT zugrunde gelegten literarhistorischen Ständemodell, dessen Differenzkriterium eine Mischung aus Herkunft und Berufszugehörigkeit darstellt, bedarf es für unsere Zwecke folglich einer systematischen Erweiterung, die einen Gesichtspunkt einführt, den die bisherige Forschung zur mittelalterlichen Novellistik weitgehend unberücksichtigt gelassen hat. Es muss darum gehen, die vielfältigen Möglichkeiten ständischer Differenzierung, über welche die mittelalterliche Kultur verfügte und die ihren Niederschlag insbesondere in der sog. Ständeliteratur fand, möglichst umfassend in die folgenden Textanalysen mit einzubeziehen. Neben Ordnungsfaktoren wie der herrschenden oder dienenden Stellung einer Person im Lehnsverband, ihrer ökonomischen Situation, ihrer Zugehörigkeit zu einem weltlichen bzw. geistlichen Stand, ihrer Generationszugehörigkeit oder einfach nur ihrem Lebensalter zählte dazu insbesondere auch die persönliche Lebenssituation eines Individuums, die dazu beitrug, seinen sozialen Status festzuschreiben.32 Dieser Befund gilt zumal für die Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft: „women do not fit easily into the hierarchy of orders, estates, and corporations that structures male society“33. Insbesondere für das weibliche Geschlecht spielte die Kategorisierung der individuellen familialen Position insofern also eine nicht unerhebliche Rolle – und in dieser Hinsicht war die bisherige Forschung zur Ständeproblematik in der mittelhochdeutschen Verserzählung gleichsam blind für die Geschlechtsspezifik, die diesem Themenkomplex innewohnt. Während sich der männliche Status in der mittelalterlichen Kultur nahezu ausschließlich über die sozialständische Herkunft konstituierte, hatte der Familienstand für die gesellschaftliche Stellung einer Frau, wie bereits angedeutet, eine weitaus prägendere Bedeutung. Für die weibliche Lebenspraxis spielte es eine immense Rolle, ob die Frau juncfrouwe und ledig, wîp, d. h. verheiratet, oder witewe, also verwitwet, war, während Entsprechendes für die soziale Identitätsbildung des mittelalterlichen Mannes nahezu bedeutungslos blieb.34 Während die geläufige, um 400 n. Chr. entstan-

32

33 34

Vgl. im Überblick zur Komplexität ständischer Differenzkriterien in der mittelalterlichen Gesellschaft und Literatur R[alf] MITSCH, [Art.] Stand, Stände, -lehre; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Ständeordnung. Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500, S. 154. Vgl. so auch Caroline WALKER BYNUM, Men’s Use of Female Symbols, S. 281. – Auch die uns heute geläufige vierte Variante des Familienstandes, nämlich geschieden zu sein, ist für die mittelalterliche Gesellschaft bereits anzusetzen. In dem von uns untersuchten Textkorpus behandelt das Ehescheidungsgespräch des Strickers (FB 127d) diese Lebensform. – Zur Klassifizierung des Jungfrauen- und Witwenstandes in der mittelhochdeutschen Literatur vgl. Susanne BARTH, Jungfrauenzucht; Doreen FISCHER, Witwe als weiblicher Lebensentwurf in deutschen Texten des 13. bis 16. Jahrhunderts; zum Stand der Ehefrau – der in einer Fülle von Untersuchungen abgehandelt worden ist – speziell in der mittelhochdeutschen Verserzählung Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, passim.

Gender und Class

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dene frühchristliche Dreiteilung von ,Jungfrauen‘, ,Witwen‘ und ,Eheleuten‘35 zunächst eine rein theologische Funktion besaß und – unabhängig von der sprachlichen Verwendung der weiblichen Form – im Sinne von „Leistungsklassen“36 im Hinblick auf das jenseitige Leben für beide Geschlechter in Anschlag gebracht werden konnte, diente die selbe Formel vom 12. bzw. 13. bis hin zum 15., 16. Jahrhundert ausschließlich der ständischen Einteilung der weiblichen Bevölkerung im Sinne von spezifischen Lebensformen, der Frauen jeglicher sozialer Herkunft und Standeszugehörigkeit subsumiert werden konnten.37 Bei den folgenden Untersuchungen wird es daher erforderlich sein, das soziale Gliederungsmodell der Ständehierarchie in der mittelhochdeutschen Verserzählung um die geschlechtsspezifische Komponente des Familienstandes und gegebenenfalls weitere ständische Differenzkriterien zu erweitern sowie eventuelle Überschneidungen zwischen konkurrierenden Strukturschemata zu berücksichtigen.

3.1.1 Weibliche Mobilität innerhalb der sozialen Ständeordnung a.

Der Bürger im Harnisch (FB 17)

Die einfach überlieferte Verserzählung Der Bürger im Harnisch (FB 17) aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts38 mag als typisches Beispiel einer Verserzählung gelten, die das Thema der Überschreitung von Standesgrenzen behandelt. Im Mittelpunkt des Textes steht eine ambitionierte Bürgersfrau, welche den Ehrgeiz entwickelt, in Erscheinungsweise und Auftreten dem Adel gleichzukommen und dabei dem standesgemäßen bürgerlichen Verhaltensrepertoire zuwiderhandelt. Auf der exemplarischen Ebene des Textes ist mit diesem Themenschwerpunkt eine Warnung vor dem Laster der superbia verbunden. Einem wohlsituierten Bürger (vgl. FB 17, V. 1), der selbst „ersam und auch bider“ (FB 17, V. 4) ist, missfallen die anspruchsvolle Lebenshaltung und das anmaßende Gebaren seiner Ehefrau (vgl. FB 17, V. 1–3). An einem Streit der beiden Eheleute über die Anzahl der Hausmägde wird dieser eheliche Dissens deutlich gemacht: Während der Hausherr die Meinung vertritt, dass eine einzige Magd hinreiche, um seine Ehefrau zu begleiten, besteht die Hausherrin darauf, nicht weniger als zwei Mägde um sich zu scha-

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38

Innerhalb dieses Modells rangieren an der Spitze der Jungfrauenstand, danach folgen Witwen- und Ehestand; vgl. Doreen FISCHER, ebd., S. 30f. Bernhard JUSSEN, ,Jungfrauen‘ – ,Witwen‘ – ,Verheiratete‘, S. 99. Vgl. Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500, S. 154f.; Bernhard JUSSEN, ,Jungfrauen‘ – ,Witwen‘ – ,Verheiratete‘, passim; Doreen FISCHER, Witwe als weiblicher Lebensentwurf in deutschen Texten des 13. bis 16. Jahrhunderts, S. 30–32. – Im Rahmen mittelhochdeutscher Ständedidaxe wurden jedoch auch differenziertere Einordnungen des weiblichen Geschlechts vorgenommen; vgl. Sarah WESTPHAL, ebd., S. 154. Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Der Bürger im Harnisch‘, Sp. 1129.

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Hierarchien

ren. Sie begründet dies mit dem wenig substantiellen Argument, dass sie sich von der Frau eines Handwerkers, die in der Regel nur eine Magd bei sich hätte, in besonderer Weise äußerlich abgrenzen müsse (vgl. FB 17, V. 5–16). Der Hausherr fügt sich den Wünschen seiner Ehefrau nach diesem von ihm als übertrieben bzw. ökonomisch unvernünftig empfundenen Statussymbol ohne weiteren Kommentar (vgl. FB 17, V. 17– 19). Nach einem halben Jahr entzündet sich der Konfliktstoff erneut (vgl. FB 17, V. 17– 21), als die Mägde eines Sonntags der Anordnung ihres Herrn, das Essen zu richten, nicht nachkommen, weil sie stattdessen ihre Herrin von der Kirche abholen sollen (vgl. FB 17, V. 22–28). Mit diesem Vorfall gewinnt der Konflikt eine neue Dimension, insofern die männliche Vorherrschaft in der Ehe durch das dünkelhafte Verhalten der Hausherrin in Mitleidenschaft gezogen werden würde, wenn die Mägde ihrem Wunsch folgten. So kommt es, dass der Hausherr den Dienstmägden untersagt, seine Frau abzuholen, und verfügt, gemeinsam auf ihre Rückkunft zu warten (vgl. FB 17, V. 29–31). Doch das Warten ist vergeblich, denn die Frau in der Kirche denkt „vor scham“ (FB 17, V. 44) gar nicht daran, ohne die in ihren Augen standesgemäße Begleitung das Gotteshaus zu verlassen (vgl. FB 17, V. 32–36). Als sich die Mahlzeit auf diese Weise mehr und mehr hinauszögert und auch die bittenden Einwürfe der Hausmägde nicht verfangen (vgl. FB 17, V. 38–46), beschließt der „burger“ (FB 17, V. 1 u. ö.) kurzum, seine Frau nun selbst von der Kirche abzuholen. In seinem Zorn dreht er die missliche Situation so, dass er unterstellt, seine Frau erschiene aus dem Grunde nicht, weil sie ängstlich und schutzbedürftig wäre – wohl wissend, dass dem keineswegs so ist. Wenn er vorgibt, seiner Frau zu Hilfe kommen zu müssen, um ihr höchstpersönlich ein schützendes Geleit durch die Stadt angedeihen zu lassen (vgl. FB 17, V. 47–61), so ist dies natürlich ironisch gemeint, denn es scheint abwegig, dass sie am helllichten „suntag“ (FB 17, V. 21) auf dem Kirchgang irgendeiner Gefahr ausgesetzt sein könnte. Der Ehemann verlässt das Haus nicht eher, bis er sich von seinem Knecht seinen „guten harnäsch“ (FB 17, V. 52), sein „schwert“ (FB 17, V. 53) – beides Insignien ritterlicher Wehrfähigkeit und Kennzeichen adliger Standeszugehörigkeit39 – sowie seine „hellenparten“ (FB 17, V. 53) hat bringen lassen. In dieser Montur, die ihm einen ritterlichen Anschein verleiht, marschiert er erregt zur Kirche: Mit zorn er zum haus auß schrait. zur kirchen er vast einhin lief. mit zorn er vast schrai und rief. hin durch das volk tet er vast tringen. der harnäsch der tet an im klingen. die leut erschraken alle gar. das ain lef hin, das ander dar. das gschrai ward in der kirchen groß. (FB 17, V. 62–69)

39

Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, S. 224, 226f.

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Vor Ort zückt er sein Schwert, schlägt damit „mörtlich“ (FB 17, V. 86) um sich und stürzt wild gestikulierend auf seine Frau zu (vgl. FB 17, V. 70–74). Lautstark fordert er, den- bzw. diejenigen zu benennen, die ihr ein Leid zufügen wollten, worüber sich natürlich alle Anwesenden höchst erstaunt zeigen, da niemand etwas derartiges beabsichtigt (vgl. FB 17, V. 74–90). Es gelingt dem Ehemann so, die Aufmerksamkeit auf seine Frau zu lenken, um den Boden für ihre öffentliche Bloßstellung vorzubereiten, auf die seine ganze Inszenierung abzielt.40 Die gekränkte Bürgersfrau sieht in diesem Moment keinen anderen Ausweg – und damit beginnt der Plan des Ehemanns aufzugehen –, als ihrem ,Retter‘ weinend einzugestehen, dass sie lediglich deshalb nicht allein habe heimgehen wollen, weil sie partout von ihren beiden Mägden abgeholt und begleitet werden wollte (vgl. FB 17, V. 91–96). Für dieses Eingeständnis ihrer „schand“ (FB 17, V. 96) erntet sie den Spott und das Gelächter der Anwesenden (vgl. FB 17, V. 97f.). Doch damit nicht genug: Der Hausherr setzt seiner entwürdigenden Strafmaßnahme noch die Krone auf, indem er die nun einsetzende Hetzjagd des Volkes (vgl. FB 17, V. 100) dazu nutzt, um seine Frau erneut in aller Öffentlichkeit zu demütigen. Unter der Vorgabe, sie retten zu müssen, packt er sie vor der aufgebrachten Menge am Mantel, versetzt ihr einen Schlag gegen den Kopf und schleift sie, ohne Rücksicht auf ihre „scham“ (FB 17, V. 109) zu nehmen, durch den Dreck bis nach Hause, immer gefolgt von der Menge der Schaulustigen; erst dort finden „schand und spott“ (FB 17, V. 115) schließlich ein Ende (vgl. FB 17, V. 99–114).41 Zu guter Letzt zeigt sich die Hausherrin doch noch einsichtig (im Sinne ihres Ehemannes), wenn sie einer der Hausmägde „urlob“ (FB 17, V. 116) gibt, was ein Abrücken von ihrem Standesdünkel versinnbildlicht, und die zweite Magd anweist, Essen zuzubereiten (vgl. FB 17, V. 117), worin sich ihr Wille, künftig ihrem Mann zu gehorchen, manifestiert. Ihre Reputation hat sie aber eingebüßt, insofern sie hinfort nur noch „die burgerin im harnasch“ (FB 17, V. 120) genannt wird (vgl. FB 17, V. 116–120). Einen Hinweis für das Verständnis des Textstücks liefert uns seine Positionierung im einzigen Überlieferungszeugen, der Nürnberger Handschrift des Valentin Holl (n²), in der es Der Rosshaut von Heinrich dem Teichner (FB 57) unmittelbar folgt42: Wie dieses behandelt es in Zusammenhang mit der hoffart (v. 2) der Frauen, die als eine dem sozialen Rang unangemessene Form des Auftretens in der Öffentlichkeit interpretiert wird, das Frauenzucht-Thema.43

40 41

42 43

Vgl. Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 86; Sebastian COXON, der werlde spot, S. 113–115. LAUDE betont die negativ konnotierte Darstellung von Öffentlichkeit im Gegensatz zur Privatsphäre, die hier deutlich wird; während die Frau auf der einen Seite dem ,Volkszorn‘ ausgeliefert sei, instrumentalisiere der Ehemann die anwesende Öffentlichkeit zugleich als Bühne für seine Strafaktion; vgl. Corinna LAUDE, das fremd volk das plib alts herauß, S. 317f. Vgl. hierzu Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Der Bürger im Harnisch‘, Sp. 1130. Ebd; vgl. auch Monika JONAS, Idealisierung und Dämonisierung als Mittel der Repression, S. 80.

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In beiden Verserzählungen steht im Zentrum das Laster der superbia, das dem Mittelalter als typisch weibliche Untugend gilt.44 Darauf deuten in Der Bürger im Harnisch (FB 17) bereits die Eingangsverse hin: „Ain reicher burger hett ain weib, / die zoch auf hoffart iren leib.“ (FB 17, V. 1f.). Hier wie dort konkretisiert sich die Untugend der hoffart dahingehend, dass die Protagonistin einen Lebenswandel anstrebt, der ihrem sozialen Rang nicht entspricht (Die Rosshaut (FB 57)) oder sie in übertriebener Weise von einem niedrigeren Stand abhebt (Der Bürger im Harnisch (FB 17)). Weil die Bürgerin die konventionellen Verhaltensnormen ihrer Standes, dem sie angehört, überschreitet, ist es nach mittelalterlicher Denkungsart plausibel, dass ihr Begehren als missliebig und lasterhaft gebrandmarkt und – ebenso wie in der Rosshaut (FB 57) – durch ihren Ehemann geahndet wird. Dazu setzt der wohlhabende Bürger seiner Frau gleichsam einen Spiegel vor, indem er sich vor den Augen der Stadtbevölkerung als Ritter in Szene setzt. Das Schimpfwort von der ,Bürgerin im Harnisch‘ veranschaulicht ihre hybride Gesinnung, wobei sich die vollzogene Grenzverletzung darin noch einmal verdoppelt, insofern sie nicht nur als Frau eines Ritters, sondern darüber hinaus sogar selbst in der Rolle eines wehrhaften Mannes45 imaginiert wird. In dieser Erzählung ist mit der Überschreitung von Standesgrenzen demnach die Missachtung der männlichen Vorherrschaft in der ehelichen Ordnung verbunden, die in gleicher Weise sanktioniert wird wie jene. Die Grenzen weiblicher Mobilität innerhalb der sozialen Ständeordnung werden in Der Bürger im Harnisch (FB 17) auf diese Weise eindrücklich vor Augen geführt. b.

Das Häslein (FB 50)

Das „abentmaerlîn“ (FB 50, V. 7) „von dem heselin“46 – einer alemannischen Verserzählung, entstanden frühestens am Ende des 13. Jahrhunderts47 –, gehört zu einem Kreis von Geschichten, denen das Motiv von unwissentlichem Kauf und ,Rückkauf‘ der minne eines jungfräulichen, erotisch unerfahrenen Mädchens zugrunde liegt. Neben dem Häslein (FB 50) zählen innerhalb des in Rede stehenden Textkorpus Der Sperber (FB 125) und das Fragment Dulciflorie (FB 25) zu diesem Typus.48 Im Unterschied 44 45 46

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48

Vgl. hierzu Kap. 2.1.1.e der vorliegenden Arbeit. Zu dieser Form der Überschreitung sozialer Grenzen vgl. Kap. 4.2 der vorliegenden Arbeit. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 590; so die Titulierung nach der Abschrift des Handschriftentextes durch Christoph Heinrich MYLLER; vgl. ebd., S. 1221f. und Kommentar, S. 1223. Zu Datierung, Lokalisierung, Überlieferung und Textgestalt vgl. zusammenfassend Johannes JANOTA, [Art.] ,Das Häslein‘; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1221–1222. Der Text ist lediglich einfach in dem heute nicht mehr existenten ehemaligen Codex A 94 aus der Straßburger Johanniterbibliothek (S) überliefert. – Zur Rekonstruktion des Autornamens aus den Versen 2f. vgl. Helmut DE BOOR, Zum Häslein V. 1–4; dazu kritisch Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 194f. Vgl. Hanns FISCHER, ebd., S. 97. Des Weiteren zählen die beiden Fabliaux La Grue von Garin (NF 76) und Le Heron (NF 78) zu diesem Motivkreis; zur Motivik vgl. ebenso Heinrich NIEWÖH-

Gender und Class

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zum Sperber (FB 125), in dem eine junge Nonne das Verführungsopfer darstellt, das nach seinem kurzen Liebesabenteuer weitgehend unbeschadet wieder im Schoß der klösterlichen Gemeinschaft aufgenommen wird, endet Das Häslein (FB 50) mit einer Heirat zwischen dem jungen Mädchen und einem Ritter, der sie verführt. Dies hat für die Protagonistin einen dauerhaften Statuswechsel zur Folge.49 Bemerkenswert ist dabei, dass es sich bei dem Häslein (FB 50) um die einzige mittelhochdeutsche Verserzählung handelt, die mit einer unstandesgemäßen Hochzeit endet50, bei der nicht der Bräutigam, sondern die Braut einen höheren Status gewinnt.51 Einem kunstvoll gestalteten Promythion (FB 50, V. 1–20)52 lässt der Erzähler, inspiriert von „vrou Venus“ (FB 50, V. 18) und „durch kurze wîle“ (FB 50, V. 5), wie er vor-

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NER, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, S. 132–171; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1213–1216; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 132f., 141. – Unmittelbare Abhängigkeitsverhältnisse zwischen diesen Erzählungen lassen sich nicht mehr rekonstruieren, auch wenn die Kenntnis des früheren Sperbers (FB 125), der mit elf Überlieferungszeugen neben Konrad von Würzburgs Herzmaere (FB 73b) die mit am breitesten überlieferte mittelhochdeutsche Verserzählung darstellt, für das Häslein (FB 50) als wahrscheinlich gilt; Vers 8 des Promythions, in dem der Autor / Erzähler davon spricht, „tiutschlîchen“ (FB 50, V. 8) reimen zu wollen, deutet möglicherweise auf eine französische Vorlage hin; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 249, Anm. 10, S. 270; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 34–36, 42; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1214; zu einem ausführlichen Vergleich der fünf Versionen vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, ebd., S. 23–42; zum Vergleich von Sperber (FB 125) und Häslein (FB 50) vgl. insbesondere Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 141f. – In sprachlich-stilistischer Hinsicht sind die vielfältigen Übernahmen des Textes aus Gottfrieds Tristan bemerkenswert; vgl. hierzu die Anmerkungen von Heinrich NIEWÖHNER, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, S. 70–75 sowie ebd., S. 89f.; Albert LEITZMANN, Zu von der Hagens Gesamtabenteuer, S. 259; Helmut DE BOOR, Zum Häslein V. 1–4, S. 200; Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 227f., Anm. 23; Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 100; den Kommentar von Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1223–1227, passim; Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 49–51; Maurice W. SPRAGUE, Down the Rabbit-Hole, passim; wesentlich zurückhaltender äußert sich diesbezüglich Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 238, Anm. 1a. – Weiterführende Bezüge zu Hartmann von Aues Der arme Heinrich führt neben Albrecht CLASSEN, The Fourteenth-Century Verse Novella Dis ist von dem Heselin, S. 264, außerdem Maurice W. SPRAGUE, Down the Rabbit-Hole, auf; er versteht Das Häslein (FB 50) stilistisch als Parodie des Tristan von Gottfried von Straßburg und inhaltlich als Satire des Armen Heinrich (vgl. ebd., S. 315). Im Gegensatz dazu erzählt Dulciflorie (FB 25) vice versa von der Heirat eines Ritters mit einer Königstochter. Nur in legenden- und schwankhaften Erzählungen finden sich laut BUMKE innerhalb der mittelhochdeutschen bzw. höfischen Epik unstandesgemäße Hochzeiten; vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, S. 509. Vgl. hierzu im Überblick Anm. 13 des vorliegenden Kapitels. Zum Prolog vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 63–65.

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gibt, die narratio folgen. Diese wiederum wird durch eine Vorgeschichte eingeleitet, die den Protagonisten als einen nach höfischer Maßgabe vorbildlichen Ritter präsentiert. Dieser Ritter „wol gebârende“ (FB 50, V. 21), der sich durch „milte“ (FB 50, V. 23) ebenso wie durch „vrümekeit“ (FB 50, V. 23) auszeichnet, befindet sich auf der Jagd und verfolgt während der Getreideernte mit einem Sperber und zwei Jagdhunden „ein jungez heselîn“ (FB 50, V. 29). Einer seiner Leute fängt den Hasen im Kornfeld, wohin sich der Hase geflüchtet hat, und übergibt ihn dem Jäger, dem die Beute von Rechts wegen zusteht (vgl. FB 50, V. 21–38). Der adlige „beizaere“ (FB 50, V. 28) beschließt, den Hasen einer von ihm begehrten „maget“ (FB 50, V. 45) zu schenken, die sich ihm bislang versagt hat, um sie sich auf diese Weise gewogen zu stimmen (vgl. FB 50, V. 42–50). Motiviert scheint dieser Plan durch die Überlegung zu sein – so ruft der Erzähler in Erinnerung –, dass man das Zutrauen von Kindern leicht mit Tand gewinnen könne, der sie oft mehr beeindrucke, als Gegenstände von tatsächlichem Wert (vgl. FB 50, V. 51–55). Diese Einsicht soll sich unmittelbar bestätigen, denn nach kurzer Wegstrecke trifft der Ritter an einer Laube auf „ein juncvröuwelîn, / edel, schoene unde fin, / der jâre ein kint und ouch einvalt“ (FB 50, V. 61–63), das sich sehr für seinen Hasen interessiert.53 Es möchte das „tierlîn wilder art“ (FB 50, V. 67) gerne besitzen und schlägt daher einen Tauschhandel vor (vgl. FB 50, V. 61–82). Der Ritter, der sein eigentliches Ziel aus den Augen verloren zu haben scheint, schlägt sogleich in den Handel ein und fordert die „minne“ (FB 50, V. 84; 104) des Mädchens als Gegenwert für den Hasen. Da „diu junge magt“ (FB 50, V. 69) nicht weiß, was das Wort ,minne‘ bedeutet, da es sich dabei offensichtlich um etwas handelt, das außerhalb ihres Erfahrungsbereiches liegt, möchte sie den Hasen auf andere Weise bezahlen. Sie bietet alle materiellen Gegenstände, die sich in ihrem Besitz befinden, als Tauschobjekte an. Drei Pfund Ringe, zehn Würfel und ein perlenbestickter Seidengürtel54 sind alles, was sie aufzubieten hat. Der Ritter besteht allerdings auf einer Bezahlung mit ihrer minne, die er schon bei ihr finden werde, wenn er nur suchen könne – vorausgesetzt, sie sei allein zu Hause (vgl. FB 50, V. 84–113). Es fügt sich, dass sich die Mutter des Mädchens mit dem Gesinde in der Kirche aufhält, so dass sich der Ritter unverzüglich ans Werk begeben und seine Suche nach der minne beginnen kann: Er entledigt sich seines Sperbers und seines Pferdes, übergibt dem Mädchen den Hasen und bemächtigt sich ihrer, „als im sîn wille dô gebôt“ (FB 50, V. 142), um sich die ihm seiner Auffassung nach zustehende Bezahlung anzueignen

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Es handelt sich hierbei nicht, wie es Stephen L. WAILES für möglich hält, um die zuvor begehrte „maget“ (FB 50, V. 45), welcher der Ritter ursprünglich seine Jagdbeute hat schenken wollen; vgl. Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 93, 94, Anm. 6; vgl. Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 220, Anm. 741. Der Gürtel darf hier als Symbol ihrer Jungfräulichkeit gedeutet werden (vgl. FB 50, V. 317), denn, so wird an späterer Stelle ausgeführt: „der borte ist der megede reht.“ (FB 50, V. 329).

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(vgl. FB 50, V. 114–156). Dies treibt er so weit, „biz daz diu maget wart ein wîp“ (FB 50, V. 156).55 Das Mädchen findet daran so viel Gefallen, dass sie ihn ein zweites und drittes Mal auffordert, die minne bei ihr zu suchen.56 Um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, nimmt ihr Tausch- und Sexualpartner jedoch nach dem zweiten Mal vorsichtshalber Abschied (vgl. FB 50, V. 159–186). Der Fang des Hasen und die Eroberung des Mädchens sind in der Erzählung parallel konstruiert, wobei der Ritter jeweils in der Rolle des Jägers auf Beutefang firmiert. Dies geht zunächst aus einer sprachlichen Analogie hervor, die beide Szenen aufs Engste miteinander verknüpft, denn dem Ritter gelten beide Inbesitznahmen gleichermaßen als „ein âventiure“ (FB 50, V. 41 sowie V. 263; 271; 346).57 Wenn er sich dabei lediglich – und noch dazu ohne Erfolg – in der harmlosen Jagd auf Niederwild sowie in sexuellen Abenteuern mit Halbwüchsigen ergeht, wird das Aventiurekonzept der höfischen Epik, das hier als Referenzpunkt dient, ins Lächerliche gezogen und ironisiert.58 Auf einer symbolischen Ebene wird die Verbindung zwischen dem Hasen und dem Mädchen durch das tertium comparationis seiner sexuellen Unersättlichkeit hergestellt, denn der Hase galt in der mittelalterlichen Kultur aufgrund seiner eminenten Fruchtbarkeit als Sinnbild ungebändigter Liebeslust.59 Auf der Handlungsebene wird dieser Assoziationshorizont darüber hinaus dadurch zementiert, dass der Hase bis zum Schluss des Mädchens ständiger Begleiter bleibt (vgl. z. B. FB 50, V. 192f.; 276f.; 344; 350; 365; 390–392; 463f.; 493f.). Dabei erscheint er in seinem Besitz aber weniger als ein Beutestück60, sondern vielmehr als Zeichen seiner kaufmännischen Begabung.

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Die metaphysisch überhöhende Deutung dieser Passage durch Hedda RAGOTZKY betont, dass der körperliche Verlust der Jungfräulichkeit hier keine Bedeutung hätte; allein die Reinheit ihrer Sinneshaltung würde bewirken, dass die junge Frau maget bliebe; vgl. Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 44. An das Motiv der erotischen Naivität ist hier, wie auch im Rädlein (FB 64), das Motiv der sexuellen Unersättlichkeit angeschlossen; vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 219. Weitere Belege des Wortes ,âventiure‘ im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen hat Ingrid STRASSER zusammengestellt; vgl. Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 287f., Anm. 953. Vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 159 und Anm. 40. Zu dieser Parallele, die in ähnlicher Weise auch in Der Pfaffe in der Reuse von Heinrich von Pforzen (FB 56) zwischen einem gefangenen Hasen und dem lüsternen Pfaffen in der Reuse gezogen wird (vgl. FB 56, V. 327f.), vgl. ausführlich Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, passim. WAILES weist überdies darauf hin, dass sich Das Häslein (FB 50) signifikant von den motivverwandten altfranzösischen und mittelhochdeutschen Erzählungen unterscheide, insofern allein in diesem Text kein Vogel, sondern ein Häschen als Tausch- bzw. Kaufobjekt fungiere; der Sperber sei in der vorliegenden Erzählung lediglich auf die Funktion eines adligen Statussymbols reduziert; vgl. ebd., S. 93–96 und Anm. 12. Vgl. zur Rolle des Mädchens als Jägerin ebd., S. 96.

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Auf dieser Basis sind die beiden entsprechenden Szenen jedoch im Detail konträr zueinander ausgestaltet: Während der Hase entflieht, bietet sich das Mädchen dem Ritter freiwillig dar; wird der Hase von einem Landarbeiter gefangen, gelingt es dem Ritter ohne fremde Hilfe, das Mädchen für sich zu gewinnen. Entscheidend ist aber, dass dem Ritter seine Jagdbeute als adligem Landbesitzer rechtmäßig zukommt, wohingegen die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Mädchen, die sich der Ritter anmaßt, aus ethischer Sicht natürlich nicht unproblematisch ist. In einem weiteren Punkt divergieren schließlich die Handlungsstränge in der Vorund Hauptgeschichte: Übergibt der Landarbeiter dem Ritter den Hasen freiwillig, widersetzt sich die Mutter, die in der Haupthandlung strukturell betrachtet an dessen Stelle tritt, der Übergabe ihrer Tochter mit aller Kraft. Als ihr das Mädchen die Geschichte von seinem Kaufhandel berichtet, bekommt es den Zorn der Mutter mehr als deutlich zu spüren (vgl. FB 50, V. 187–204). Wenn es daraufhin selbst wie ein Beutetier mit großen Sprüngen entflieht (vgl. FB 50, V. 203), erscheint die Mutter ihrerseits in der Perspektive der Jägerin, während die Jägerrolle des Ritters dahinter zunehmend verblasst. Bedrückt über „der minne verlüste“ (FB 50, V. 207), kommt es dem Mädchen deshalb sehr zupass, als der Ritter drei Tage später wieder auftaucht und es die Gelegenheit erhält, die minne ,zurückzukaufen‘ und ihr „martellîchez leben“ (FB 50, V. 226), das ihr die Mutter bereitet, zu beenden; es ist glücklich, als ihm der Ritter obendrein den Hasen überlässt (vgl. FB 50, V. 205–280). Umso erstaunter ist das Mädchen, als sich der Zorn der Mutter erneut über seinem Haupt ergießt, auch wenn sie diesmal ihre Mitschuld am Ehrverlust ihrer Tochter eingesteht. Allzu gern fügt sich diese schließlich dem mütterlichen Vorschlag, den Mantel des Schweigens über das Vorgefallene zu breiten, den Verlust der Jungfräulichkeit zu verheimlichen und weiterhin den „borten stolz“ (FB 50, V. 317) als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit zu tragen (vgl. FB 50, V. 281–320).61 Doch alles entwickelt sich anders als erwartet, weil sich der Ritter etwa ein Jahr später mit einer begüterten „juncvrouwen“ (FB 50, V. 323) adliger Herkunft62 vermählen will und es ihm plötzlich in den Sinn kommt, auch das Mädchen mit seinem Hasen zur Hochzeit einzuladen (vgl. FB 50, V. 321–350). Aus Angst davor, dass er die ganze Angelegenheit öffentlich machen könne, sagt die Mutter zu, nachdem der Ritter persönlich erschienen ist, um die Einladung zu überbringen (vgl. FB 50, V. 352–382). Als ob sie 61

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In dem Bestreben der Mutter, den Verlust der Jungfräulichkeit zu verschleiern, einen besonderen Akt weiblicher Solidarität sehen zu wollen, wie dies Ann Marie RASMUSSEN getan hat, scheint mir nicht ganz angemessen zu sein; vgl. Ann Marie RASMUSSEN, Bist du begehrt, so bist du wert, S. 25. Ebenso wenig überzeugt die gegenteilige Lesart, nämlich dass der Tauschhandel einem Befreiungsschlag von der Mutter gleichkomme; vgl. Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 114. Die Indizien für diese Annahme hat Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 99, zusammengetragen; vgl. des Weiteren Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 157f.; Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 45.

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eine Vorahnung gehabt hätte, soll es bei der Hochzeit dann aber doch noch zu einer Aufdeckung des delikaten Vorfalls kommen. Auslöser dafür ist der ungebärdige Lachanfall des Ritters, als er sich an den „wehselkouf“ (FB 50, V. 397) erinnert, den er kaum unter Kontrolle zu bringen vermag (vgl. FB 50, V. 384–408).63 Angesichts der Drohung seiner vorwitzigen Braut, die Hochzeit platzen zu lassen, gibt er ihr gegenüber das Geheimnis des Hasen schließlich preis (vgl. FB 50, V. 409–437). Lauthals macht sich nun die Braut, die sich wie das Mädchen zu Unrecht mit einem „schappelîn“ (FB 50, V. 327) als Zeichen ihrer Unberührtheit schmückt (vgl. FB 50, V. 317 und V. 327f.), über dessen Dummheit lustig, seiner Mutter von seinem Liebesabenteuer erzählt zu haben; sie selbst sei wesentlich klüger vorgegangen, denn sie habe ihrer Mutter niemals erzählt, dass sie wohl einhundertmal mit dem Kaplan geschlafen habe (vgl. FB 50, V. 438–448). Mit dieser Offenbarung begeht die Braut unwissentlich zwei gravierende Fehler: Sie verkennt zum einen die gesellschaftlich sanktionierte Doppelmoral, die einer Frau, auch wenn sie adligen Standes ist, im sexuellen Bereich keineswegs die gleichen Zugeständnisse macht wie einem Mann bzw. Ritter, dessen Liebesaffären als Kavaliersdelikte wenig ernst genommen werden. Zum anderen unterschätzt sie die Ausstrahlungskraft der jugendlichen Konkurrentin, die im Wesentlichen auf ihrer kindlichen „einvalt“ (FB 50, V. 63) beruht64 und dem Ritter offensichtlich keine Ruhe mehr lässt – auch wenn er sich oberflächlich noch über sie lustig macht (vgl. FB 50, V. 394–403; 466). Voller Zorn setzt der Gastgeber nämlich angesichts dieser Äußerung seiner Braut die Kindfrau mit dem Hasen an seine Seite und legt der höfischen Festgesellschaft kontrastierend die Vorgeschichte beider Frauen dar (vgl. FB 50, V. 449–482). Seine Vertrauten sollen nun darüber urteilen, welche von beiden besser als seine Ehefrau tauge. Als das Urteil erwartungsgemäß zugunsten des ,unschuldigen‘ Mädchens ausfällt, folgt der Ritter dem Spruch und schickt seine ursprüngliche Braut kurzerhand wieder nach Hause – zurück zu ihrem Liebhaber, wie der Erzähler lakonisch konstatiert (vgl. FB 50, V. 483– 501). Aus welchen Gründen seine „vriunde“ (FB 50, V. 485) eingedenk dessen, „waz billich waere und êre“ (FB 50, V. 497), für das junge Mädchen votieren, lässt der Text

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GRUBMÜLLER deutet dieses Lachen u. a. als Zeichen der emotionalen Angespanntheit des Ritters in der Konfrontation zwischen der höfischen Öffentlichkeit und einem daraus ausgegrenzten höchst privaten Erfahrungsbereich; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Wer lacht im Märe, S. 113–116, ähnlich Johannes Klaus KIPF, Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz, S. 116–120, der zudem die Einzigartigkeit der Funktion des Lachens als Handlungsmovens hervorhebt; vgl. dagegen Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 66, welche den spöttischen Charakter des Lachens betont. Vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 158, 160–163. Dementsprechend wird die Figur des Mädchens weder als Opfer dargestellt noch dämonisiert, im Gegenteil, unterstrichen wird nur die engelgleiche (vgl. FB 50, V. 128) Unschuld der „maget reine“ (FB 50, V. 114); vgl. ebd., S. 156f.; Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 710.

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offen – sei es, weil sie es im Gegensatz zu seiner Gegenspielerin als ehrenhafter einstufen, sei es, weil sie es als eine moralische Verpflichtung des Ritters ansehen, sich der Verantwortung gegenüber dem Mädchen nicht zu entziehen, für dessen Ehrverlust er selbst verantwortlich zeichnet. Letzteres scheint mir allerdings die unwahrscheinlichere Variante, da die Verserzählung in erster Linie die Figur des Mädchens und nicht sozialkritisch die Verhaltensweisen des Ritters fokussiert. Ein Weiteres kommt hinzu: Die Einhelligkeit des Urteilsspruchs mutet umso erstaunlicher an, als es in rechtlicher Hinsicht für den Ritter nicht unbedingt verpflichtend gewesen wäre, das verführte Mädchen zu ehelichen, zumal ein Standesunterschied nach mittelalterlichen Rechtsgepflogenheiten durchaus einen Ehehinderungsgrund hätte darstellen können.65 Geht man indes von einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Mädchen und dem Ritter aus, so wäre der sexuelle Zugriff sogar durch seinen Herrenstatus rechtlich legitimiert.66 Wenden wir unseren Blick nun auf die narrative Gestaltung des Handlungsschlusses, der die Interpretinnen und Interpreten in der Summe z. T. ein wenig ratlos zurückgelassen hat. Das neutral sich gebende Epimythion, das einen fatalistischen Grundton anschlägt67, mag zur Ausdeutung der Erzählung kaum etwas beizutragen (vgl. FB 50, V. 502–506; 339–342). Handelt es sich bei dem Häslein (FB 50) mangels einer expliziten Schlusslehre daher um eine für den höfischen Adel konzipierte unterhaltsame Farce auf Kosten der unteren Stände?68 Oder unterstützt der Schluss womöglich den (moralisch oder höfisch) exemplarischen, keinesfalls jedoch parodistisch zu verstehenden Charakter der Erzählung?69 Ist der Text in seiner Aussage ambivalent70 – diese Lesart scheint der artifiziellen Narrativik der Verserzählung m. E. wohl am ehesten beizukom-

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Vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 134–140, hier insbesondere S. 138 und Anm. 1. Vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 159. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 107. Vgl. Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 92, 100f. Vgl. Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 195; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 295, Anm. 991; Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 49. Vgl. Erika KARTSCHOKE, Kleinepik, S. 299. Karina KELLERMANN / Renate STAUF lesen das Ende der Erzählung als Absage an das Prinzip der feudalständischen Ehepraxis des Adels und der Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung, in der Liebe und Sexualität in der Ehe zunehmend Raum zugebilligt werde (vgl. ähnlich auch Albrecht CLASSEN, The Fourteenth-Century Verse Novella Dis ist von dem heselin, S. 269f., 272); zugleich zeige das Ende jedoch auch restriktive Züge, insofern die weibliche Sinnlichkeit im System der Ehe gebändigt sei; vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 162f., 180f. Inwiefern man in Bezug auf die Mädchenfigur weiterführend eine Darstellung von weiblicher Subjektivität und Autonomie sehen kann, eine Verabschiedung der literarischen Weiblichkeitsbilder der asketischen Jungfrau sowie dem Bild des verführten Sexualobjekts, ist abhängig von der Einschätzung eines i. w. S. emanzipatorischen Potentials mittelhochdeutscher Texte; vgl. ebd., S. 182f., 185.

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men –, oder bietet er gar in idealisierender Perspektive eine versöhnliche Schlussutopie?71 Will man die Intention des Textes nicht in erster Linie als Demonstration moralischen Handelns seitens des Ritters verstehen72, bietet sich überdies eine intertextuelle Lesart der Schlusspassage an, die in der Hochzeit eine karikierende Variante der motivverwandten Erzählschlüsse sieht, so dass sich darin mit Klaus GRUBMÜLLER die „Fähigkeit zum ironisch-distanzierten Umgang mit den Erzählschemata“73 finden ließe. Unabhängig von den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten, welche die Schlusssequenz des Textes anbietet, scheint mir ein anderer Aspekt der Erzählung besonders zentral für ihr Verständnis zu sein, und dies ist die Frage des Statuswechsels, den das Mädchen mit dem Hasen im Verlaufe der Handlung unzweifelhaft vollzieht.74 So hat die Forschung fast einhellig die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Heirat um eine unstandesgemäße Hochzeit handele75, insofern das Mädchen dem Ritter hinsichtlich seines sozialen Standes untergeordnet sei.76

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Vgl. Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 47; Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 709–711; Johannes Klaus KIPF, Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz, S. 120. Vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 138f.; Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 158. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1215. Dass sich durch diesen Wandel die Protagonistin in ihrem Wesen allerdings nicht substantiell verändere, ist ein weiterer bemerkenswerter Aspekt; vgl. so Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit, S. 161. – Auf die Virulenz der Ständethematik im Häslein (FB 50) deutet am Rande eine Bemerkung des Erzählers, die mir in ihrer Aussage inhaltlich nicht weiter erklärlich ist. Im Zusammenhang mit der Defloration des Mädchens betont er, dass ihn dies, bei seinem „orden“ (FB 50, V. 157), außerordentlich wundere (vgl. FB 50, V. 157f.). Hierin sehen Hanns FISCHER (Hrsg.), Schwankerzählungen des Mittelalters, S. 316, und Johannes JANOTA, [Art.] ,Das Häslein‘, Sp. 545, einen Hinweis darauf, dass es sich bei dem Verfasser um einen Berufsdichter gehandelt haben müsste; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 327, findet in dieser Stelle – ohne nähere Begründung – einen Hinweis auf einen geistlichen Autor; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1225, distanziert sich in seinem Stellenkommentar zu V. 157 von allzu engführenden Interpretationen dieser Äußerung des Erzählers. Eine Ausnahme bietet DE BOOR, worauf bereits WAILES hingewiesen hat; vgl. Helmut DE BOOR, Zum Häslein V. 1–4, S. 274; Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 99f., Anm. 19. SCHIRMER konstatiert beispielsweise, dass es sich bei der Protagonistin um die Figur „eines Landmädchens niederen Standes“ (Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 212) handele; vgl. ebd., S. 313, Anm. 54; vgl. zuvor bereits Heinrich NIEWÖHNER, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, S. 85f. Vgl. ähnlich auch LONDNER, die ebenfalls keine Standesgleichheit zwischen dem Ritter und dem „standesniederen“ „Landmädchen“ (Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 136) ansetzen möchte (vgl. ebd., S. 135, 137; vgl. ebenso Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 92f.), das wiederum von RAGOTZKY als „Dorfmädchen“ (Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 41), von BEINE als „einfaches Mäd-

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Für diese Einschätzung sprechen insbesondere das ländliche Setting der Eingangsszene, die Nähe des Wohnhauses zur bäuerlichen Bevölkerung sowie das überlegene Auftreten des Ritters gegenüber Mutter und Tochter. Es muss allerdings festgehalten werden, dass der Text für diese Suggestion, der ich mich hier anschließen möchte, tatsächlich nur sehr vage Anhaltspunkte bietet. Entgegen dem unangefochtenen Forschungskonsens bleibt nämlich festzuhalten, dass sowohl die anfängliche Charakterisierung des Mädchens als „ein juncvröuwelîn, / edel, schoene unde fin“ (FB 50, V. 61f.)77 als auch die Tatsache, dass es über einen geringfügigen Besitz an Wertgegenständen verfügt, die nicht unbedingt auf eine bäuerliche Herkunft schließen lassen, gegen seine inferiore ständische Einordnung sprechen oder – vorsichtiger formuliert – darauf hindeuten, dass der sozialständischen Zugehörigkeit des Mädchens zumindest kein besonderer Wert beigemessen wird. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, dass es sich nicht um eine realistische, sondern um eine in hohem Maße stilisierte Darstellung einer Ständetypik handelt, die sich in erster Linie an literarischen Mustern und nicht unbedingt an realhistorischen Gegebenheiten orientiert.78 Daher scheint es m. E. auch nicht ausreichend zu sein, den Statuswechsel des Mädchens, der sich im Häslein (FB 50) vollzieht, auf den sozialständischen Aspekt zu beschränken. Bei genauer Betrachtung wird nämlich deutlich, dass das Mädchen durch die Liebesbegegnung und Eheschließung mit dem Ritter in mindestens zweifacher, wenn nicht gar in dreifacher Hinsicht einen Statuswechsel vollzieht.79 Die unterschiedlichen Ebenen, die hierbei eine Rolle spielen, müssen exakt voneinander getrennt werden: Erstens wird die Protagonistin durch die Entjungferung von einer maget zu einem wîp gemacht, zweitens übernimmt das kint mit der Hochzeit die Erwachsenenrolle einer Ehe-

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chen“ (Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 103) sowie von SEIDEL als „Bauernmädchen“ (Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 709) bezeichnet wird. Besonders Stephen L. WAILES hebt in seiner Interpretation des Textes auf diesen Umstand ab: Im Häslein (FB 50) seien mit Ritter und Verlobter auf der einen Seite und Landarbeiter, Mädchen und Mutter auf der anderen Seite „two social levels“ (Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 99) einander gegenübergesetzt und „a sensible difference of class between the knight and the girl“ (ebd.) dargestellt; vgl. ebd., S. 92, 98–102. Desgleichen messen KELLERMANN / STAUF der Kontrastierung zweier Ständen eine zentrale Bedeutung zu; vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 157–163, passim. Vgl. hierzu Anm. 75 des vorliegenden Kapitels. Daraus darf aber nicht zwingend geschlossen werden, dass Abweichungen von einer ,realistischen‘ Darstellung, deren Grundlagen heute ohnehin nicht mehr erschöpfend nachzuvollziehen sind, als parodistische oder unterhaltenden Elemente interpretiert werden müssten, so wie WAILES dies vorschlägt; vgl. Stephen L. WAILES, The Hunt of the Hare in „Das Häslein“, S. 94f., 100f. Damit widerspreche ich der Interpretation des Textes als höfischer Schwankerzählung von Hedda RAGOTZKY. Für sie ist die ständische Perspektive nur von nebensächlicher Bedeutung, da sie die Figurendynamik lediglich als Resultat einer rein literarischen Integration konträrer Elemente des Schwanks und des höfischen Minnediskurses betrachtet; vgl. Hedda RAGOTZKY, ,Der Sperber‘ und ,Das Häslein‘, S. 46, 48 und passim.

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frau, drittens erfährt es – so weit der Text erlaubt, darüber Aussagen zu treffen – einen ständischen Aufstieg in ein adlig-höfisches Milieu. Alle drei Faktoren greifen bei der sozialen Dynamik, die im Häslein (FB 50) zur Darstellung gelangt, ineinander. Dass die jungfräuliche maget gleichsam prädestiniert ist, baldmöglichst ein wîp zu werden, erhellt aus dem Erzählerkommentar im Kontext der Schilderung des ersten Tauschhandels, der die Schönheit und „site“ (FB 50, V. 129) des Mädchens als diejenigen eines „wîbes“ (FB 50, V. 129; vgl. V. 125) beschreibt. Sein sozialer Aufstieg scheint durch den Beischlaf mit dem Ritter bereits besiegelt, denn als sei sie durch eben diesen Akt geadelt, wird die zuvor als maget titulierte Protagonistin mit dem Zeitpunkt ihrer Entjungferung in Bezug auf die Ritterfigur konsequent als „juncvrouwe“ (vgl. FB 50, V. 159; 166; 168; 350; 354; 365) bezeichnet80, wobei in diesem konkreten Falle wohl auch eine ständische Komponente mitschwingt. Diese Bezeichnungspraxis ändert sich nicht (vgl. insbesondere FB 50, V. 272), nachdem der Entjungferungsvorgang – zumindest aus der subjektiven Perspektive des Mädchens – wieder ,rückgängig‘ gemacht worden ist: Sus wart von eime wîbe maget. daz ist doch selten mê gesaget, ich mein’z alsus, nû merkent daz: si wânde sîn, als’s ê des was, ein maget wider worden âne megetlîchen orden. (FB 50, V. 253–258)

Wenn die familienständische Grenzüberschreitung der sozialständischen hier vorgängig ist, so mag diese Reihenfolge als charakteristisch angesehen werden für die weibliche Identitätskonstitution in der fiktionalen Welt der Verserzählung. Spielräume für die prinzipiell begrenzte weibliche Mobilität innerhalb der sozialen Ständehierarchie werden hier eröffnet durch das Faktum sexueller Verfügbarkeit: Erst über den Umweg des familienständischen Statuswechsels von einer maget zu einem wîp wird für die Protagonistin im Häslein (FB 50) der Wechsel in einen sozial höherrangigen Stand ermöglicht. Für männliche Figuren, für welche die familienständische Kategorie bzw. das Faktum der Jungfräulichkeit keinerlei Relevanz hat, ist ein solcher Weg naturgemäß nicht gangbar. Und die Versuche weiblicher Figuren, die sozialständischen Grenzen der fiktionalen Erzählwelt der Verserzählungen unmittelbar, d. h. ohne den Umweg über einen familienständischen Statuswechsel, zu überschreiten, sind demgegenüber ebenfalls zum Scheitern verurteilt, wie wir anhand der Analyse des Bürgers im Harnisch (FB 17) und der Rosshaut (FB 57) beispielhaft haben verdeutlichen können.81

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Daneben wird sie durchgängig als „kint“ (vgl. FB 50, V. 63; 75; 140; 284; 300; 307; 346; 359; 390; 477; vgl. V. 313; 462) oder „tohter“ (FB 50, V. 189; 194; 202; 296; 368; 373; 396; 434) bezeichnet bzw. angesprochen. In weiteren Verserzählungen wird das unstandesgemäße Verhalten von Männern oder Paaren thematisiert, die wir hier nicht näher untersuchen, da die Frage des Geschlechterverhältnisses darin

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Damit verändern sich im Fazit aber nicht notwendigerweise die Machtstrukturen innerhalb des Geschlechterverhältnisses. Wie in Der Bürger im Harnisch (FB 17) steht der Ritter im Häslein (FB 50) am Schluss nach wie vor an der Spitze des hierarchisch strukturierten sozialen Ordnungssystems und „profitiert doppelt von der bestehenden Ordnung, als Adeliger und als Mann“.82 Auch wenn es dem Mädchen gelingt, qua Heirat in den Adelsstand aufzurücken und ihrem zukünftigen Ehemann in dieser Hinsicht somit ebenbürtig zu werden, so unterliegt es doch nach wie vor seiner eheherrlichen Vormundschaft und schuldet ihm gemäß der normierten Rollenerwartungen als untergeordnete Ehefrau ergebenen Gehorsam.

3.1.2 Jungfräulichkeit als Movens weiblicher Mobilität a.

Jungfrau, Frau und Witwe (FB 65)

Die Virulenz von Jungfräulichkeit als ständischem Faktor und Movens bzw. Ausgangsbasis weiblicher Mobilität, wie wir sie in der Untersuchung des Häsleins (FB 50) haben herausarbeiten können, soll uns im Folgenden eingehender beschäftigen. Zentral ist in diesem Zusammenhang zunächst die nur 81 Verse umfassende Verserzählung von Jungfrau, Frau und Witwe (FB 65), auf die wir an dieser Stelle aber nur kurz eingehen können. Der einzig im Karlsruher Codex 408 (k) mit der Überschrift „Von eyner jungfrawen“83 überlieferte Text thematisiert den frommen Wunsch einer jungen Frau, ein gottgefälliges Leben zu führen, um nach ihrem Tode dafür von Gott belohnt zu wer-

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keine oder zumindest keine wesentliche Rolle spielt. Wie in der Rosshaut (FB 57) und dem Bürger im Harnisch (FB 17) ist das Streben nach einem ständischen Aufstieg auch in diesen Texten zum Scheitern verurteilt:  In den Drei Wünschen des Strickers (FB 127p) streben sowohl Mann als auch Frau danach, ihren durch Armut gekennzeichneten Lebensstandard zu heben; die Lehre konzentriert sich hier allgemein auf die Akzeptanz und Unveränderlichkeit der gottgewollten Ständehierarchie; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1047f.  In Der Sohn des Bürgers (FB 123) wird die Verschwendungssucht eines reichen Bürgersohnes angeprangert, der sich am Lebensstil seiner adligen Freunde orientiert.  Ein unstandesgemäßer Lebenswandel ist ebenfalls Thema der strickerschen Verserzählung von Edelmann und Pferdehändler (FB 127b); hier geht es jedoch nicht um ein anmaßendes Handeln i. e. S., vielmehr ist vice versa der Geiz (vgl. FB 127b, V. 2) des adligen Protagonisten Anzeichen einer Lebensführung, bei der die Normen einer adligen Existenzweise gleichsam unterschritten werden.  Wernher der Gärtner hat mit dem Helmbrecht (FB 139), der von den Bestrebungen eines Bauernsohnes erzählt, ein Ritter zu werden, sicher die eindrücklichste und vielleicht auch kritischste Schilderung eines sozialen Aufstiegsversuchs innerhalb der mittelhochdeutschen Literatur verfasst. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 159. Vgl. Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Karlsruhe 408, S. 522.

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den. Die Erzählung demonstriert eindrücklich das idealtypische Spektrum weiblicher Lebensformen, das in der mittelalterlichen Gesellschaft außerhalb des klösterlichen Lebens für Frauen zur Verfügung stand und nimmt dabei in besonderer Weise die Bedeutung des Jungfrauenstandes in den Blick. Der Text untergliedert sich in drei Szenen, denen stets die gleiche Handlungssituation zugrunde liegt – die junge Protagonistin hört jeweils eine Predigt und verständigt sich im Anschluss daran mit ihrem Beichtvater darüber, wie sie die priesterlichen Empfehlungen segensreich in ihr Leben integrieren könne (vgl. FB 65, V. 1–20; 49–56; 57– 69). Variiert wird diese Grundsituation durch die jeweils anders gelagerte inhaltliche Ausrichtung der drei Predigten, in denen nacheinander die Vorzüge eines Lebens als Jungfrau (vgl. FB 65, V. 9–12), als Ehefrau (vgl. FB 65, V. 21–30) oder als Witwe (vgl. FB 65, V. 57–61) in religiöser Hinsicht verhandelt werden. Die Pointe der Geschichte besteht nun darin, dass die Protagonistin, die sich zunächst ermutigt fühlt, ihr jungfräuliches Leben wie gewohnt fortzusetzen (vgl. FB 65, V. 18f.), die neuen Angebote für eine vorbildliche christliche Lebensführung, die ihr in der zweiten und dritten Predigt offeriert werden, allzu wörtlich nimmt, denn sie möchte sie ohne Umschweife sogleich für sich selbst in Anspruch nehmen, ohne dabei allerdings ihre konkrete Bedeutung ermessen zu können. So setzt sie sich in den Kopf, ihre bestehende Jungfernschaft (vgl. FB 65, V. 2; 4–7) zugunsten des Ehestandes aufzugeben (vgl. FB 65, V. 33–35; 40f.), um diesen sodann wiederum für eine Witwenschaft einzutauschen (vgl. FB 65, V. 63– 65). Ihr Beichtvater, ein weiser Mönch (vgl. FB 65, V. 42), der für die junge Frau eine unangefochtene geistliche Autorität darstellt, begegnet ihrer Naivität, indem er sich gar nicht erst bemüht, ihr Missverständnis aufzuklären. Im Gegenteil, er bestärkt sie sogar noch in ihren Wünschen nach einem Wandel, indem er sie zunächst zu seiner heimlichen „wirtin“ (FB 65, V. 45; vgl. V. 42–47), später dann zur Witwe erklärt: […] „hab vrlaup, wirtein! Du solt ein wytwe sein, Daß dir got geb zu lon Jn himel die ewig kron.“ (FB 65, V. 66–69)

So gelingt es ihm bildhaft, das Unmögliche möglich zu machen, nämlich dass sie jungfräulich bleibt, zugleich einen Ehemann erhält (vgl. FB 65, V. 53f.) und obendrein den Witwenstatus erlangt. Die junge Frau, die sich währenddessen stets in dem Glauben wägt, tatsächlich ihren Stand gewechselt zu haben, zeigt sich äußerst zufrieden darüber, etwas für ihr Seelenheil bewirkt zu haben (vgl. FB 65, V. 48–52).84 84

Es ist indes keineswegs die Rede davon, dass der „lüsterne“ Geistliche de facto „die schlechte Absicht“ hätte, die junge Frau „mit Hilfe der Beichte zu seiner Bettgefährtin zu machen“ und nur deshalb „nicht an sein amouröses Ziel“ (Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 90) gelangen würde, bloß weil die Inhalte der dritten Predigt dem gleichsam im Wege stünden, wie Birgit BEINE interpretiert (vgl. ebd. sowie S. 119, Anm. 175, S. 168, 248f.). Zwar ermöglicht die Erzählung gerade in

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In einem abschließenden Passus (vgl. FB 65, V. 70–81) berichtet der Erzähler über den kurzfristigen Tod der Jungfrau (vgl. FB 65, V. 71) und stellt Mutmaßungen über ihr glückseliges Leben im Himmelreich an (vgl. FB 65, V. 72–76), das er sich selbst ebenfalls sehnlichst herbeiwünsche (vgl. FB 65, V. 77–79). Der Text endet mit einem Stoßgebet des Erzählers an Jesus Christus (vgl. FB 65, V. 80f.).85 Da die Predigtsituation für die Handlungsführung im Mittelpunkt steht, wurde die Vermutung angestellt, dass die Quellen der Erzählung in der Predigtliteratur zu suchen seien.86 Als Bezugspunkt wurde eine neutestamentliche Passage aus dem ersten Korintherbrief in Anschlag gebracht, auf die sich die Verserzählung inhaltlich beziehen könnte.87 Dies ist insofern nicht unwahrscheinlich, als die betreffende Paulus-Stelle (1 Kor. 7,1–40) die einzige biblische Referenz für die mittelalterliche Ständelehre darstellt.88 Sie behandelt nicht nur die ehelichen Pflichten (vgl. 1 Kor. 7,1–7) sowie die Vorzüge des enthaltsamen Lebens von Unverheirateten und Witwen (vgl. 1 Kor. 7,8f.; 25–38; 39f.), sondern darüber hinaus die religiöse Pflicht, gottgefällig in eben dem Stand zu verharren, in den man hineingeboren worden ist (vgl. 1 Kor. 7,17–24). Diese Zusammenhänge werden in Jungfrau, Frau und Witwe (FB 65) in parodistischer Weise aufgegriffen89, wobei sowohl die pastorale Abgebrühtheit des Mönches, dessen Rat-

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Kenntnis einer entsprechenden Motivik in anderen Verserzählungen einen solchen Assoziationshorizont durchaus, auf der reinen Textbasis bieten sich mir für eine solche Lesart letztlich jedoch keinerlei konkrete Anhaltspunkte (vgl. hierzu auch Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 140, 142). Überdies habe ich nicht den Eindruck, dass mit diesem Verständnis, das auf eine Sozialkritik der Geistlichkeit abhebt, der Kern des nach meinem Dafürhalten in erster Linie parodistischen Textes getroffen wäre. Auch der Schluss dieser Verserzählung entbehrt nicht einer gewissen erotischen Doppelbödigkeit, wie wir sie schon mehrfach für die mittelhochdeutschen Verserzählungen haben nachzeichnen können. Im vorliegenden Falle liegt es nahe, die seitens des Erzählers ersehnten himmlischen Freuden mit den weltlichen Freuden der (ehelichen) Sexualität zu parallelisieren. So erinnert diese Passage an einen Erzählerkommentar im Häslein (FB 50), wenn dort im Rahmen der Schönheitsbeschreibung der Protagonistin davon die Rede ist, dass Gott das schöne Mädchen selbst gerne bei sich im Himmel gesehen hätte (vgl. FB 50, V. 131–133). Vgl. Rolf Max KULLY, [Art.] ,Jungfrau, Frau und Witwe‘, Sp. 931; zur mittelhochdeutschen Ständepredigt vgl. übergreifend Alfred J. HUBLER, Ständetexte des Mittelalters, S. 107–139. Vgl. Rolf Max KULLY, ebd., Sp. 931. Vgl. Alfred J. HUBLER, Ständetexte des Mittelalters, S. 12. Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 9. ZIEGELER wendet sich mit der Einschätzung, dass es sich um einen parodistischen Text handele, gegen die von Joachim HEINZLE vertretene Beurteilung des Textes als einer ,Frommen Welterzählung‘ im Sinne von Hanns FISCHER, als die er aufgrund seiner geistlichen Thematik gelten könnte; vgl. Joachim HEINZLE, Märenbegriff und Novellentheorie, S. 127. In eine ähnliche Richtung weisen auch die Äußerungen von Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 114, und Rolf Max KULLY, [Art.] ,Jungfrau, Frau und Witwe‘, Sp. 931, wenn sie von der moralisch-exemplarischen bzw. moralisch-didaktischen Güte des Textes sprechen. – Fraglich erscheint mir der Hinweis von Birgit BEINE, dass sich die Erzählung der Bevorzugung des Jungfrauenstandes in der christlichen Lehre entgegenstelle, insofern durch die drei Predigten die Gleichrangigkeit der drei weiblichen Stände insinuiert würde; vgl. Bir-

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schläge dem Gebot, den eigenen Stand als gottgegeben hinzunehmen, diametral widersprechen, als auch der glühende Gotteseifer und die Weltferne des naiven Mädchens90, das diesem fundamentalen Gebot ebenso zuwiderhandelt, aufs Korn genommen werden. Für unser Erkenntnisinteresse ist die Erzählung aus zwei Gründen von Belang: Erstens wird hieran noch einmal deutlich, was wir bereits bei der Untersuchung des Häsleins (FB 50) gesehen haben, dass nämlich der Familienstand für die Identitätskonstitution weiblicher Figuren offenkundig eine größere Bedeutung hat als ihre herkunftsbedingte Standeszugehörigkeit. Dies erhellt nicht zuletzt daraus, dass den Rezipientinnen und Rezipienten gänzlich verschlossen bleibt, welchem sozialen Stand die Protagonistin zuzurechnen ist. Darüber hinaus zeigt sich, zweitens, dass die familienständische Rubrizierung, wie sie in Jungfrau, Frau und Witwe (FB 65) im Rekurs auf die paulinische Gesellschaftslehre für das weibliche Geschlecht vorgenommen wird, für das Individuum einen festen Handlungsrahmen vorgibt, der dem Grunde nach indisponibel ist. Dieses Wissen bietet den Ansatzpunkt für die Komik des Textes, die aus der Diskrepanz erwächst, dass es der naiven Protagonistin fälschlicherweise so erscheint, als wären die drei Existenzweisen von Jungfrau, Ehefrau und Witwe ganz nach Gusto frei wähl- und adaptierbar. Dass dies jedoch mitnichten der Fall ist, stellt den gemeinsamen Wissensvorsprung von Mönch, Erzähler, Rezipientinnen und Rezipienten dar, aus dem sich die Unterhaltungsfunktion des Textes im Wesentlichen speist.91 b.

Der Guardian (FB 48)

Jungfräulichkeit und die daraus abgeleitete Tatsache sexueller Verfügbarkeit einer Frau motivieren in der unikal und lückenhaft aus dem 15. Jahrhundert überlieferten oberdeutschen Verserzählung Der Guardian (FB 48)92, die von Hanns FISCHER in seinen „Studien“ dem Themenkreis von ,Verführung und erotischer Naivität‘ zugeordnet worden ist93, i. w. S. den Wechsel vom weltlichen in den geistlichen Stand.

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git BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 168, Anm. 290. Der fiktionale Text verfügt m. E. frei über Elemente des christlichen Gedankengutes, die in erster Linie nach Maßgabe der narrativen Strategie arrangiert werden, ohne dass sich darin schon ein Interesse an normativen theologischen Aussagen manifestieren würde. Vgl. Birgit BEINE, ebd., S. 168. Nicht zu überzeugen vermögen deshalb auch die Erwägungen von Joëlle FUHRMANN, dass der Text sich mittels Ironie und Satire kritisch gegen theologische Debatten seiner Zeit und die besondere Stellung der Predigt in der Kirche richten wollte; vgl. Joëlle FUHRMANN, La répresentation de la femme dans la nouvelle allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 143. Vgl. einführend Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Der Guardian‘. – Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500, S. 163–165, geht auf den handschriftlichen Status des Textes näher ein und erörtert, ob sich die Handlung möglicherweise in Nürnberg situieren lasse; vgl. ebd., S. 164, Anm. 1. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97. – Frauke FROSCH-FREIBURG hat auf Gemeinsamkeiten des Guardians (FB 48) mit dem französischen Fabliau Frere Denise von

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Ein Guardian – gemeint ist der Vorsteher eines Franziskanerkonvents94 – kann eine Witwe dazu überreden, ihre älteste Tochter ,Gott zu weihen‘ und ins Kloster zu schicken (vgl. FB 48, V. 15–80). Auch die Erwählte kann unkompliziert dazu bewogen werden, Braut Christi95 zu werden: Wenn sie ihm willfährig sei, so der Guardian zweideutig, wolle er sie zur Schar der Engel führen (vgl. FB 48, V. 52f.); und wolle sie Ansehen erringen, solle sie, statt eines weltlichen Bräutigams, Jesus Christus zum Mann nehmen (vgl. FB 48, V. 66–68). Diese Argumentation leuchtet der Mutter unmittelbar ein: „[,]nim zu einem man Jhesum; / der ist ob allen mannen frum.‘“ (FB 48, V. 77f.). Nachdem die Tochter zugestimmt hat (vgl. FB 48, V. 79f.), schneidet ihr der Guardian kurzerhand die Haare ab und kleidet sie in eine Nonnentracht (vgl. FB 48, V. 81–88), damit sie, so seine Erläuterung, nicht mehr von Laien belästigt werde (vgl. FB 48, V. 91–93) und stattdessen ihm und seinen „genossen“ (FB 48, V. 94) angenehm sei (vgl. FB 48, V. 94–96); er fordert sie weiterhin auf, sich künftig von „leien“ (FB 48, V. 92; 96), „allen werltlichen mannen“ (FB 48, V. 98), „ritteren“ (FB 48, V. 99) und „knechten“ (FB 48, V. 99) fernzuhalten sowie „schuler und auch schreiber“ (FB 48, V. 104) zu meiden; nur noch „schulmaister oder pfaffen“ (FB 48, V. 102) und „frauen“ (FB 48, V. 105) sollten hinfort ihr Umgang sein. Sodann bringt er sie im Kloster in einem separaten „heuslein“ (FB 48, V. 113) unter (vgl. FB 48, V. 111–116). Ein knappes Jahr später, nachdem der alte Guardian als „ain rechter irrer“ (FB 48, V. 255) aus dem Kloster vertrieben worden ist (vgl. FB 48, V. 117–123), weil er die junge Frau geschwängert hat (vgl. FB 48, V. 251–258), wiederholt sich die selbe Szene, wenn der neue Guardian die Witwe besucht, um auch die jüngere Tochter für das Klosterleben respektive seine sexuellen Machenschaften zu gewinnen. Das Mädchen wundert sich naiverweise darüber, dass nun auch ihr selbst Jesus Christus als Bräutigam angetragen wird, da doch bereits ihre ältere Schwester mit einem Mann solchen Namens verheiratet sei, von dem sie sogar ein Kind erwarte (vgl. FB 48, V. 124–172). Als die Mutter auf diese Weise von der Schwangerschaft ihrer älteren Tochter erfährt, will sie die Hiobsbotschaft zunächst nicht wahrhaben und schickt ihr jüngeres Kind aus, um die ältere Schwester nach Hause zu holen. Der Guardian hat sich derweil bereits heimlich davongemacht, nachdem er bemerkt hat, in welches Wespennest er mit seinem Antrag unwissentlich gestochen hat (vgl. FB 48, V. 173–220). Den Vorwürfen der Mutter entgegnet die junge Nonne, dass sie dem Guardian zu Willen gewesen sei, um die Last ihrer Sünden zu verringern; mit jedem Mal sei sie seinen Worten zufolge „heiliger“ (FB 48, V. 248) geworden (vgl. FB 48, V. 241–250;

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Rutebeuf (NF 72) hingewiesen, die jedoch nicht so distinkt seien, dass man von einem Abhängigkeitsverhältnis ausgehen könne; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 222f. Vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 246, 250 und Anm. 143, S. 258, 265. Vgl. hierzu ausführlicher ebd., S. 278, sowie Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 269.

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290–296). Erst nach seiner Vertreibung habe sie schließlich erfahren, dass sie nicht sein einziges Opfer gewesen sei (vgl. FB 48, V. 259–282; V. 297–300) und in Wahrheit „sünd und schand“ (FB 48, V. 282) auf sich geladen habe. Empört sich die Jüngere zuerst noch darüber, dass ihre Schwester sich ihren Mann ,Jesus‘ nicht habe genügen lassen (vgl. FB 48, V. 284–289), erkennt sie nun zögerlich, dass auch sie selbst fast dem neuen Guardian zum Opfer gefallen wäre (vgl. FB 48, V. 301–312). Die narratio schließt mit der Warnung der Mutter, „gotes scheflein“ (FB 48, V. 328) „vor dem wolf, der in schwarzen kutten gat“ (FB 48, V. 326) zu warnen (vgl. FB 48, V. 313–332).96 Das kurze Epimythion beschwört demgegenüber wieder einmal mehr die tumpheit der Frauen (vgl. FB 48, V. 333–336), welche die narratio implizit genauso demonstriert wie die Ruchlosigkeit der als wölfisch gebrandmarkten Mönche. Der im Guardian (FB 48) geschilderte Statuswechsel von einer maget zu einem wîp wird erschlichen, indem die betroffene Frau dazu überredet wird, vom weltlichen in den geistlichen Stand überzutreten. Zwar begibt sich die junge Frau mehr oder weniger aus freien Stücken in die männlich dominierte Klosterwelt; die Freiräume, die ihr die vermeintlich weltabgeschiedene Lebensweise hätte ermöglichen können, realisieren sich jedoch nicht – im Gegenteil, mit ihrer Schwangerschaft und dem damit verbundenen Ansehensverlust geht der Entschluss der jungen Frau letztendlich eindeutig zu ihren eigenen Lasten. Der erzwungene Statuswechsel bringt somit keinerlei Gewinn mit sich, denn die Hinwendung zu einer religiösen Lebensführung führt für die junge Frau in eine Sackgasse; anders als etwa im Häslein (FB 50) ist ein versöhnlicher Ausgang für die schwangere Novizin im Guardian (FB 48) keinesfalls denkbar. Auch in der Verserzählung vom Guardian (FB 48) wird somit unzweifelhaft ersichtlich – wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen –, dass der weibliche Sozialstatus aufgrund seiner Abhängigkeit von der sexuellen Integrität der betreffenden Figuren deutlich labiler ist als der männliche Sozialstatus, der von diesem Faktor weitgehend unberührt bleibt. c.

Der betrogene Blinde (FB 16)

In dieser kurzen, „fast facetienhaften Wortwitz-“97Erzählung entwickelt sich ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Mann und Frau, weil unterschiedliche ständische Kriterien und Werte wie Besitz, Herkunft und körperliche Unversehrtheit gegeneinander ausgespielt werden. 98 Der Grundkonflikt entsteht durch eine gegenläufige Ausgangssi96

Zur negativen Darstellung des Ordenslebens in dieser Verserzählung vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 67, 87f., 90, 96, 153–159, 248, 258f., 273f., 287, 303, 319. 97 Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 99. 98 Zur vielfältigen Überlieferung des Textes in fünf Handschriften des späten 14. und des 15. Jahrhunderts vgl. Hedwig HEGER, [Art.] ,Der betrogene Blinde‘, Sp. 837, zur Rezeptionsgeschichte vgl. Hans-Jörg UTHER, [Art.] Einäugiger heiratet. Neben der längeren Verserzählung liegt eine weitere, 28 Verse umfassende Kurzfassung vor, die in NGA unter dem Titel Der betrogene Blinde I firmiert (vgl. NGA, Nr. 6, S. 49) und in der Forschungsdiskussion im Wesentlichen dazu genutzt wurde, um

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tuation, die einen begüterten, daher angesehenen, aber in seinem Wesen zugleich vermessenen99 Mann (vgl. FB 16, V. 1–7) einer armen Frau adliger Herkunft (vgl. FB 16, V. 8–15) gegenüberstellt. Die Armut ihres Vaters, „ein edel ritter ane guot“ (FB 16, V. 9), erzwingt es, sie, die in jeder Hinsicht präsentable und noble Tochter, dem reichen Mann zur Frau zu geben (vgl. FB 16, V. 16–23).100 Neben seiner defizitären Herkunft – der Bräutigam zeichnet sich dem Wortlaut des Textes zufolge lediglich durch seinen Besitz aus, nicht jedoch durch eine wie auch immer geartete Standeszugehörigkeit101 – weist der reiche Kandidat im wahrsten Sinne des Wortes allerdings noch einen weiteren Schönheitsfehler auf, insofern er nämlich auf beiden Augen erblindet ist; dieser Umstand, „daz der blinde was o blint“ (FB 16, V. 21), hindert den Ritter indes nicht daran, eine Heirat anzustreben. Es nimmt nicht wunder, dass Braut und Bräutigam höchst unterschiedlich auf die Hochzeit reagieren: Während der blinde Mann in jeder Hinsicht mit seiner Frau zufrieden ist – nicht zuletzt aufgrund ihrer wunschgemäßen Figur – (vgl. FB 16, V. 29–48), zeigt sich seine junge Gattin über sein unvollkommenes „angeiht“ (FB 16, V. 28) keineswegs erfreut (vgl. FB 16, V. 24–28). Doch diese ungleichen Voraussetzungen haben nicht lange Bestand, denn schon in der Hochzeitsnacht muss der frischgebackene Ehemann zu seinem übergroßen Leidwesen überraschender Weise entdecken, „daz er an ir / betrogen was“ (FB 16, V. 48f.), da ihm zugesichert worden war, „daz i dannoch

daran die Abgrenzung von Verserzählung und Bîspel zu explizieren bzw. zu problematisieren; vgl. umfassend dazu sowie zur erzählerischen Qualität beider Versionen Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 225–231. 99 Im Textzeugen d, dem Dresdener Codex M 68, ist explizit von der „hoffart“ des Aspiranten die Rede (vgl. FB 16 d, V. 7); vgl. NGA, S. 50. 100 Die Problematik einer i. w. S. unstandesgemäßen Ehe wird im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen mehrfach thematisiert:  In der Treueprobe (FB 108) verzichtet ein reicher und einflussreicher Bürger darauf, seine Tochter mit einem Grafen oder Herzog zu verheiraten, da er fürchtet, dass sie in einer solchen Verbindung letztlich verachtet würde (vgl. FB 108, V. 106–120; vgl. hierzu auch Kap. 3.2.2.b der vorliegenden Arbeit).  In Der Herr mit den vier Frauen (FB 60) erzwingt die Armut eines Adligen die Verheiratung seiner Tochter mit einem reichen Adligen, obwohl bekannt ist, dass dieser seine drei vorherigen Ehefrauen, die zwar begütert, aber untreu waren, umgebracht hat und kein anderer Ritter mehr bereit ist, ihm seine Tochter zur Frau zu geben (vgl. FB 60, V. 1–224).  In Hans Schneebergers Der Mönch als Liebesbote (C) (FB 112) wird der Ehebruch einer Adligen (vgl. FB 112, V. 6) motiviert (vgl. FB 112, V. 4–16) durch die lediglich bürgerliche Abkunft ihres Ehemanns, den „nie adels zucht perurt“ (FB 112, V. 10); sie leidet darunter, „wiwol er het der pfenning vil“ (FB 112, V. 11).  In der Faulen Frau von Jörg Zobel (FB 147a) bedingt nicht Armut, sondern die Widerspenstigkeit der Tochter die unstandesgemäße Heirat mit einem Pferdehändler; vgl. hierzu Kap. 2.1.1.d der vorliegenden Arbeit. 101 HEGER wie KROHN gehen davon aus, dass er bürgerlicher Abkunft sein müsse; vgl. Hedwig HEGER, [Art.] ,Der betrogene Blinde‘, Sp. 837; Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 270.

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waere maget“ (FB 16, V. 50): Er stellt fest, dass seine Gattin aus seiner Perspektive ebenfalls einen gravierenden körperlichen Defekt aufweist, insofern sie ihre Jungfräulichkeit bereits ganz verloren hat (vgl. FB 16, V. 49–54), und zwar an „einen ritter werde / der vriuntchaft an i gerde“ (FB 16, V. 53f.), wie der Erzähler seinem Publikum zu berichten weiß. Scheint das Verhältnis von Geben und Nehmen zunächst unausgewogen, insofern dem Defizit der Armut der Braut mit der defizitären Herkunft sowie der Blindheit des Bräutigams gleich zwei Defizite gegenüberstehen, so herrscht nach dieser neuen Erkenntnis nun wieder eine Pattsituation vor. Als der Blinde seiner jungen Frau ihren „chaden“ (FB 16, V. 56; 69; 72; vgl. V. 59) empört zum Vorwurf macht (vgl. FB 16, V. 55–59), kontert sie schlagfertig, dass er durchaus recht gehe in der Annahme, dass ein „chade“ (FB 16, V. 59) vorliege, wie man unschwer daran erkennen könne, dass er beide Augen verloren habe (vgl. FB 16, V. 60–62). Seinen Einwand, dass sie sich nicht darüber lustig machen solle, da ihm dieser schade von Feinden zugefügt worden sei (vgl. FB 16, V. 63–66), lässt sie wiederum nicht gelten und macht ihn mit dem gewitzten Argument mundtot, dass bei ihr immerhin Freunde den zu verzeichnenden schaden zu verantworten hätten (vgl. FB 16, V. 67– 72). Damit bringt sie ihn endgültig zum Schweigen und verhindert sogar, dass er ihren ,Makel‘ in die Öffentlichkeit trägt (vgl. FB 16, V. 73–77). Aufgrund ihres Wortwitzes geht die Frau so schließlich als Siegerin aus der Situation hervor. Diese Einschätzung bestätigt auch das Epimythion, wenn es davor warnt, einen anderen zu tadeln, wenn man selbst nicht makellos sei, da „chadechimpf“ (FB 16, V. 85) viel Leid erzeugen könne (vgl. FB 16, V. 78–86). Es stellt sich somit auf die Seite der düpierten Frau, deren Handicap in dieser Verserzählung keinerlei moralisierende Negativbewertung erfährt.102 Das soziale Ungleichgewicht, das sich durch die unstandesgemäße Heirat einstellt, die wiederum durch die materielle Notlage der ritterlichen Familie bedingt ist – ebenfalls ein nichtstandesgemäßes Defizit, das die Erzählung aber nicht weiter problematisiert103 –, wird im Fortgang des Handlungsverlaufs kompensiert, indem das männliche Standesdefizit, keine adlige Herkunft aufzuweisen104, durch den spezifisch weiblichen Makel, die Jungfräulichkeit eingebüßt zu haben, strukturell aufgehoben wird. Jungfräulichkeit, die wir bislang als den entscheidenden Mobilitätsfaktor im Hinblick auf eine 102

Vgl. Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 184; Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 228f. 103 Hansjürgen LINKE formuliert treffend: „Mesalliancen sind in den Mären zweideutig motiviert. Der bürgerliche Part heiratet jeweils sozial, der adelige dagegen ökonomisch hinauf. Die soziale Mobilität hat also nicht nur eine gesellschaftliche, sondern wesentlich auch eine wirtschaftliche Komponente.“ (Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 172). 104 Dies sieht auch Hanns FISCHER: „Weiter ist hier an das Märe vom ,BETROGENEN BLINDEN‘ zu erinnern, in dem der blinde Freier neben seinem Gesichtsmangel offenbar – obwohl der Text das nicht völlig deutlich macht – auch durch Unebenbürtigkeit seiner adeligen Braut gegenüber deklassiert ist.“ (Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 126, Anm. 73).

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soziale Dynamik weiblicher Figuren in der mittelhochdeutschen Verserzählung kennengelernt haben, ist hier in ihrer herausragenden Bedeutung nivelliert, indem sie mit anderen ständischen Kriterien als verrechenbar dargestellt wird. Im Resultat tangiert der Verlust der Jungfräulichkeit die Überlegenheit der Frau gegenüber ihrem Mann in dieser Erzählung nicht.105 Dessen Blindheit symbolisiert zum einen seinen inferioren sozialen Status, der durch Besitz und Reichtum nicht aufgewogen werden kann, auf einer Metaebene versinnbildlicht seine fehlende Sehfähigkeit zugleich seine Dummheit und verweist toposgemäß wohl auch auf eine mangelnde sexuelle Potenz.106 Dass der Verlust von Jungfräulichkeit im Betrogenen Blinden (FB 16) kompensiert und somit der Sozialstatus der jungen Frau weitestgehend bewahrt werden kann, ermöglicht ausschließlich die Tatsache, dass ihr männlicher Widerpart ein gravierendes körperliches Defizit aufzuweisen hat. Einzig und allein aufgrund dieser Voraussetzung erweist sich der Jungfräulichkeitsverlust hier als schadlos und bestätigt somit ex negativo die Relevanz der sexuellen Integrität für den sozialen Status der Frauenfiguren in der mittelhochdeutschen Verserzählung. Jungfräulichkeit als Sozialstatus erweist sich im zugrunde liegenden Textkorpus somit zwar indirekt als Movens von Mobilität im positiven Sinne, wie wir insbesondere im Häslein (FB 50) haben sehen können – einer Form der Mobilität, von der die männlichen Figuren, wie gesagt, naturgemäß ausgeschlossen sind –, zum anderen offenbart sie sich aber auch als ein Faktor, der die Entfaltung weiblicher Mobilität in Schranken weist oder gar zu verhindern vermag.

3.1.3 Virtuelle Mobilität in Verserzählungen des Strickers a.

Der Stricker: Der Gevatterin Rat (FB 127i)

In der sechsmal überlieferten strickerschen Verserzählung von Der Gevatterin Rat (FB 127i)107, die zu den acht sog. Ehestandsmären oder Ehemären des Autors zählt, gelingt es einer verheirateten Frau, mit Hilfe einer Vertrauten dadurch die aus den Fugen geratenen Machtverhältnisse in ihrer Ehe umzukehren und die Oberhand über ihren Ehemann zu gewinnen, dass sie kurzfristig ihren sozialen Status wechselt. 105

Vgl. Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 84. Als Gegenbeispiel führt JONAS an dieser Stelle Jörg Zobels Faule Frau (FB 147a) an, in welcher der ständisch unterlegene Pferdehändler seine Ehefrau adliger Herkunft ,zähme‘. 106 Vgl. Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 270 und Anm. 53, verweisend auf Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 161 und Anm. 62. 107 Als stofflichen Hintergrund hat HAGBY unlängst eine mittellateinische Erzählung aus einer orientalischen Vorstufe des Directorium Humanae Vitae von Johannes de Capua namhaft gemacht; vgl. Maryvonne HAGBY, man hat uns fur die warheit … geseit, S. 62–69; DIES., parturiunt montes, et exit ridiculus mus?, S. 36, Anm. 8; vgl. kritisch zu dieser These Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 94f.; DERS., Zum Verhältnis von ,Stricker-Märe‘ und Fabliau, S. 177f.

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Die explizit im bäuerlichen Milieu angesiedelte Verserzählung (vgl. z. B. FB 127i, V. 1) unterbreitet in einer Exposition (FB 127i, V. 1–50) das konfliktäre Zusammenleben eines Ehepaares als den zentralen Ausgangskonflikt des Textes. Gemäß zeitgenössischer Normvorstellungen übt der Ehemann zwar die ihm obliegende Herrschaftsgewalt in der Ehe aus, überschreitet seine ehelichen Befugnisse allerdings dahingehend, dass er seine Ehefrau, die er für „boese“ (FB 127i, V. 15) hält, ohne Maß und Ziel misshandelt. Aus vollkommen unerfindlichen bzw. für die Rezipientinnen und Rezipienten nicht einsichtig gemachten Gründen (vgl. FB 127i, V. 36–45) ist sie ihm völlig verhasst (vgl. FB 127i, V. 2–15) – und hierin liegt die eigentliche Crux des Konfliktes, denn tatsächlich hat sich die Ehefrau stets vorbildlich und rollenkonform verhalten, ohne „sîn gebot“ (FB 127i, V. 66) jemals zu überschreiten (vgl. FB 127i, V. 39–45; 63–69; 506).108 Er jedoch behandelt sie „âne mâze“ (FB 127i, V. 29) und „vuoge“ (FB 127i, V. 30) und macht ihr das Leben zur Hölle: Nicht nur, dass er sie mit hypertrophen Verbalinjurien traktiert und ihr den Tod herbeiwünscht (vgl. FB 127i, V. 16–22; 28), mehr noch, er fügt ihr immer wieder massive körperliche Gewalt zu, die sie zum Teil lebensgefährlich verletzt (vgl. FB 127i, V. 23–35; 42f.; 46–48; 73–75; 81f.).109 Keineswegs aus einer moralischen Verpflichtung heraus, sondern nur um der öffentlichen Meinung Genüge zu tun, verzichtet er darauf, sie gänzlich zugrunde zu richten (vgl. FB 127i, V. 8–10). Auf diese Weise entsteht bei der unschuldigen Ehefrau der allzu verständliche Wunsch, das erbärmliche Leben an der Seite ihres maßlosen und unbeherrschten Mannes beenden zu wollen (vgl. FB 127i, V. 39–42; 49–52; 78–84).110 Die unmissverständliche Sympathielenkung zugunsten der malträtierten Ehefrau, wie sie in der Exposition durch die drastische Schilderung der brutalen und hemmungslosen Gewalttätigkeit des Ehemannes vorbereitet wird, findet ihre Fortsetzung darin, dass der weitere Handlungsverlauf ganz aus weiblicher Perspektive geschildert ist111: Zur Konfliktlösung bedarf es einer außenstehenden Person, die in Gestalt einer gemeinsamen Vertrauten des Paares eingeführt wird: Es handelt sich um „ein ir gevater“ (FB 127i, 108

Vgl. hierzu Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 180; Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 104. 109 Wenn AGRICOLA konstatiert, dass „dem zeitgenössischen Zuhörer […] die Aufzählung der Prügelim [sic!] Eingang der [sic!] Märe schon ein herzhaftes Lachen abgewonnen haben“ (Erhard AGRICOLA, Die Komik der Strickerschen Schwänke, S. 25) und „daß allein jede etwas kräftiger gezeichnete Wirklichkeit bereits als komisch empfunden wurde und daß offen geäußerte Schadenfreude an der Tagesordnung war“ (ebd., S. 26), so scheint diese Einschätzung aus heutiger Sicht doch sehr zweifelhaft. 110 Überzeugend hat Monika LONDNER – sozialhistorisch argumentierend – bereits frühzeitig herausgestellt, dass die Verserzählung mit der männlichen Willkürherrschaft in der Ehe eine (aufgrund unterschiedlicher religiöser und sozialer Veränderungen hinsichtlich der rechtlichen Stellung der Frau im 13. Jahrhundert) für die Zeitgenossen des Strickers problematische Thematik behandelt; vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 313; 317–321. 111 Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 333.

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V. 55), „ein wîp volliu rîcher sinne“ (FB 127i, V. 188), die für diese Aufgabe in besonderer Weise geeignet scheint, da sie selbst lange ohne Mann gelebt hat und mit dieser Lebenssituation so zufrieden ist, dass sie keinerlei Anstalten macht, etwas daran zu ändern (vgl. FB 127i, V. 189f.).112 Die Gevatterin erweist sich zwar einerseits als unparteiisch, da sie nicht nur der Ehefrau helfen, sondern ebenso das Ungemach des Mannes lindern möchte (vgl. FB 127i, V. 159–163); aufgrund der fortdauernden Perspektivierung beider Frauenfiguren im Handlungsverlauf erscheint sie nichtsdestotrotz in erster Linie als Verbündete der gequälten Ehefrau. So stellt sie ihr in Aussicht, ihren Ehemann zu bekehren, so dass er künftig „gehôrsam“ (vgl. FB 127i, V. 60) sein und alles tun werde, was immer sie wolle (vgl. FB 127i, V. 59–62; 86–92). Für dieses Angebot ist die rechtschaffene Ehefrau überaus dankbar, auch wenn sie von ihrem Mann, dem sie trotz seines Fehlverhaltens nach wie vor in Treue zugeneigt ist (vgl. FB 127i, V. 76f.), nichts wieter verlangen möchte, als dass er seinen „zorn“ (vgl. FB 127i, V. 78) aufgeben und von seinen Schlägen ablassen möge (vgl. FB 127i, V. 78–80; 93–98). Um ihren Plan ins Werk zu setzen, befiehlt die Gevatterin der Ehefrau, sich krank zu stellen (vgl. FB 127i, V. 107–109), während sie selbst den Ehemann darauf vorbereiten will, dass sie in Kürze sterben müsste. Der Bauer reagiert zunächst ungläubig ob dieser Nachricht (vgl. FB 127i, V. 110–113; 118–131), dann jedoch voller Überschwang und bietet der Gevatterin einen hohen Lohn dafür, den Tod seiner Frau zu beschleunigen; jedweden Preis wolle er dafür bezahlen, dass sie schnellstmöglich begraben werde – egal, ob tot oder lebendig (vgl. FB 127i, V. 132–158). Mit diesem Ergebnis eilt die Gevatterin zu der Ehefrau zurück und trägt ihr auf, ihr „beste lîngewant“ (FB 127i, V. 170) sowie allen Besitz, den sie vor ihrem Mann habe verstecken können113, „silber, kleider, pfenninge“ (FB 127i, V. 173), einzupacken und mit sich zu nehmen (vgl. FB 127i, V. 164–179; 184–186). Sie schafft sie heimlich in ein „slâfgaden“ (FB 127i, V. 195) „mit guoten laden“ (FB 127i, V. 196) – wohl einer Art Alkoven oder Schlafraum – in ihrem Haus und kehrt zur Wohnstätte des Paares zurück (vgl. FB 127i, V. 195–198). Im dortigen Hof findet sie ein „bloch“ (FB 127i, V. 201; 205; 208)114, das in Größe, Gestalt und Gewicht einem Menschen gleicht; diesen Holzblock drapiert sie so mit

112

Hierin vermag John MARGETTS, Persona, S. 543, nicht ganz zu Unrecht eine Art von emanzipatorischem Potential zu erkennen. – Ähnliche weibliche Ratgeberfiguren, aus der sich die Figur der Kupplerin entwickelt haben könnte, erscheinen in Der Ritter unter dem Zuber von Jacob Appet (FB 5), in Schampiflor (FB 109), Der Reiher (FB 101) und Das erzwungene Gelübde des Strickers (FB 127h); vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 205–207; vgl. zu dieser Figur überdies Kap. 3.2.2 der vorliegenden Arbeit. Weiterführend könnte hier auch noch Die Treueprobe von Ruprecht von Würzburg (FB 108) angeführt werden; vgl. hierzu Kap. 3.2.2.b der vorliegenden Arbeit. 113 Dieser Zug ist der einzige Schatten, der auf die Ehefrau fällt; vgl. Teresa Ann REILLY, The Problem of Guot in the Works of the Stricker, S. 166–168. 114 Der Holzblock wird in allen mittelhochdeutschen Überschriften der Erzählung fokussiert; lediglich in E steht die Figur des Bauern im Zentrum; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 66.

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Kleidern, dass er aussieht wie die Leiche der Ehefrau (vgl. FB 127i, V. 200–213). Sodann eilt sie auf kürzestem Wege zum Dorfpfarrer, um ihn zu einem raschen Begräbnis zu bewegen. Dies ist für das Gelingen ihres Planes sehr wichtig, damit der Ehemann keinen Verdacht schöpft und nicht an dem vermeintlichen Tod seiner Ehefrau zu zweifeln beginnt. Die Bedenken des Pfarrers kann sie leicht zerstreuen, indem sie ihn mit einem Pfand in Höhe von zwei Pfund besticht, so dass der korrupte Geistliche das bloch ohne unangenehme Nachfragen bestattet (vgl. FB 127i, V. 214–259).115 Auf die großzügige Belohnung, die ihr der Ehemann für die Todesnachricht zukommen lassen will, verzichtet die Gevatterin, um ihn indessen auf seine „hulde“ (FB 127i, V. 280) zu verpflichten, bei einem erneuten Heiratswunsch eine Braut ihrer Wahl zu akzeptieren (vgl. FB 127i, V. 260–302). Bereits fünf Wochen später lässt das anfängliche „hôchgemüete“ (FB 127i, V. 303) des Strohwitwers nach, und mit der gleichen Ungeduld, mit der er sich seiner Frau hat entledigen wollen116, geht er nun die Gevatterin an, ihm unverzüglich eine neue Gefährtin zu besorgen, denn er könne es keinen einzigen Tag länger alleine aushalten (vgl. FB 127i, V. 303–322). Die Gevatterin verspricht, ihn innerhalb von sechs Tagen (vgl. FB 127i, V. 341) zufriedenzustellen. Mit rhetorischem Geschick versteht sie es, ihm ihre Kandidatin als eine überaus begehrenswerte Partie, ja als einen einmaligen ,Glücksfall‘ schmackhaft zu machen (vgl. FB 127i, V. 323–348). Dies hat zum Ergebnis, dass sich der begierige Bauer, völlig entgegen seiner einstigen Manier, seiner Gevatterin nahezu devot unterwirft, wobei er den männlichen Herrschaftsanspruch völlig aus den Augen verliert: „gevater, ich bin iuwer vrô. ir sult gebieten über mich. swie ir welt, sô wil ich. mit worten und mit muote, mit lîbe und mit guote diene ich nâch iuwern hulden. ich bin von iuwern schulden ein vröudenrîche, saelic man.“ (FB 127i, V. 350–357)

Gleich einem ritterlichen Minnediener verlässt der Ehemann sodann „mit urloube“ (FB 127i, V. 358) seine Ratgeberin (vgl. FB 127i, V. 358f.). Damit ist endlich die Voraussetzung geschaffen, ihm die alte Ehefrau in neuer Aufmachung zu präsentieren. Nach dieser rasanten Geschehnisabfolge pausiert der Handlungsgang vorläufig, und die Erzählung fokussiert den Wandel, bei dem aus einer „gebûrinne“ (FB 127i, V. 393) eine „vrouwe“ (FB 127i, V. 434) nach höfischem Vorbild entsteht, den die Gevatterin nunmehr in Szene setzt. Die Schilderung des Transformationsprozesses, der sich in dem

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Zur Figur des bestechlichen Pfaffen vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 76, 83f.; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 330, 438, 559, 567, 572, 582, 584, 612f., insbesondere S. 473f. 116 Vgl. Gabriele SCHIEB, Das Bloch, S. 424.

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gaden vollzieht, liest sich als Parodie des alttestamentarischen Schöpfungsmythos nach dem Bericht der Priesterschrift (vgl. Gen. 1,1–2,4)117, wobei die Gevatterin die Rolle des Schöpfergottes einnimmt. Bereits im Vorfeld der Szene weisen mehrere Textsignale auf die quasigöttliche Funktion der Gevatterin hin, die sich auf ihre „meisterschaft“ (FB 127i, V. 101) beruft und dem Bauern in ihrer scheinbaren Allmacht später „lieber denne got“ (FB 127i, V. 302) ist118 – denn sie bringt zuwege, was Gott ihm nicht hat geben können oder wollen, nämlich ihn von seiner Frau zu erlösen (vgl. FB 127i, V. 16); aus diesem Grund unterstellt er sich völlig ihrem „gebot“ (FB 127i, V. 301). Der erste Hinweis im Text findet sich für diese Lesart jedoch bereits, wenn die Ehefrau in einem Klageruf Gott darum bittet, sie zu erlösen wie Daniel in der Löwengrube (vgl. FB 127i, V. 70–72; vgl. Dan. 14,31–42)119, die Rettung auf der Handlungsebene aber gerade nicht durch göttliches Eingreifen, sondern allein durch das höchst irdische Handeln der Gevatterin erfolgt. Ebenso verspricht diese dem Bauern, ihm eine Frau vorzuführen, diu einen wunniclîchen lîp von gotes meisterschefte hât, der allez daz ze wunsche stât, daz man an vrouwen loben sol (FB 127i, V. 326–329)120,

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Auf mögliche Parallelen zur Minnegrottenszene in Gottfried von Straßburgs Tristan verweist insbesondere Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 172–175. 118 Zur Blasphemie dieser Textstelle vgl. Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 48. 119 Würde man die symbolischen Bezüge strukturell durchspielen, welche die biblische Geschichte von Daniel in der Löwengrube für die Verserzählung anbietet – allerdings lassen sich die Figuren- und Handlungskonstellationen beider Geschichten nicht absolut deckungsgleich in Einklang bringen –, so ergäbe sich ein bemerkenswertes Szenario: Wenn die Ehefrau die Position Daniels einnimmt, entspräche der Rolle des Ehemannes diejenige der Löwen, die Daniel fressen sollen (vgl. Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 169); verantwortlich für diese Situation wäre entsprechend der Funktion des babylonischen Königs in der biblischen Geschichte aber der christliche Gott, der nach mittelalterlichem Denken für die Ordnung der Welt zuständig ist; die Erlösungsfunktion, die im Alten Testament dem jüdischen Gott Daniels zukommt, wird beim Stricker auf der Handlungsebene indes teilweise der Gevatterin zugeschrieben (so auch Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 169), teilweise jedoch gar nicht erst eingelöst; zugleich erinnert die Gevatterin aber auch an die Figur des Propheten Habakuk, der von Gott geschickt wird, um Daniel in der Löwengrube zu unterstützen. – Zwei weitere mögliche Reminiszenzen an die biblische Daniel-Geschichte verbinden sich mit der Figur des Ehemannes. Erstens scheint er seine Ehe wie eine Löwengrube zu empfinden, wenn er gegenüber der Gevatterin davon spricht, dass er sie für ihre Hilfe reich belohnen wolle, selbst wenn er (wie Daniel in der Löwengrube) nur noch sieben Tage leben würde (vgl. FB 127i, V. 134); als er der Gevatterin später schwört, bei einer künftigen Heirat ihrem Ratschlag folgen zu wollen, bekräftigt er, zweitens, seinen Schwur mit der Aussage, dass ihn die Wölfe (!) verschlingen sollten (vgl. FB 127i, V. 294), gesetzt den Fall, er würde eidbrüchig. 120 Es handelt sich bei dieser exponierten Textpassage annähernd um die kompositorische Mitte des Textes; vgl. Hans EGGERS, Zahlenkomposition und Textkritik, S. 82f. Zur Gliederung der Verserzählung vgl. ferner Gabriele SCHIEB, Das Bloch, S. 423–426; 428f.

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während sie selbst als die „meisterinne“ (FB 127i, V. 178; 187; 260; 273; 421) bezeichnet wird, die den begehrenswerten lîp der Frau „meisterlîche“ (FB 127i, V. 361) kreiert. Einen dritten Anhaltspunkt bietet schließlich die Zahlensymbolik des Textes, denn die irdische Schöpferin in Gestalt der Gevatterin benötigt wie Gottvater exakt sechs Tage (vgl. FB 127i, V. 341) für ihr Werk.121 Später wird der beglückte Ehemann dementsprechend „sîner gevater unde gote“ (FB 127i, V. 489) gleichermaßen danken und „ir zweier gebote / […] mit groezer staete“ (FB 127i, V. 490f.) befolgen wollen. Die Bäuerin, die während des Schöpfungsprozesses das gaden nicht verlassen darf (vgl. FB 127i, V. 363) und auf einem Bett lagert, das vor Ungeziefer und Staub gut geschützt ist (vgl. FB 127i, V. 366–371), darf auf Geheiß der Gevatterin nichts anderes tun als „ezzen, slâfen unde baden“ (FB 127i, V. 364). So wie Gott am dritten Tag die Erde mit Pflanzen begrünt (vgl. Gen. 1,11–13), dekoriert die meisterinne das ganze Zimmer mit Gras, Laub und üppigem Blumenschmuck (vgl. FB 127i, V. 372–377; 455f.), so dass sich die Ehefrau fühlt, als wäre sie „in dem paradîse“ (FB 127i, V. 379). Ähnlich der Fürsorge Gottes, der für die Nahrung des Menschen sorgt (vgl. Gen. 1,29– 30), kümmert sich auch die Gevatterin um die vorzüglichsten Speisen (vgl. FB 127i, V. 380–387), so dass ihr Schützling „einen sô schoenen lîp“ (FB 127i, V. 389) erhält, „daz man ein sô schoene wîp / in der gegende niender vant“ (FB 127i, V. 390f.). Sie beendet ihr Schöpfungswerk, indem sie ihre Schutzbefohlene mit kostbaren Kleidern prächtig ausstaffiert, die sich durch Farbgebung, Material und Schnitt von der bäuerlichen Einheitskleidung deutlich abheben (vgl. FB 127i, V. 392–413): „dem si ê was wol bekant, / dem wart si nu vremde“ (FB 127i, V. 402f.). Mit der neu gewonnenen Leiblichkeit, deren künstlicher Charakter durch die Schöpfungsparodie hervorgehoben wird, erhält die Ehefrau eine neue soziale Identität auf Zeit, die ihr aufgrund ihres sozialen Standes als „gebûrinne“ (FB 127i, V. 393) eigentlich nicht zustünde. Durch die Verkleidung als „vrouwe“ (FB 127i, V. 434) wird aber nicht nur eine soziale Standesgrenze überschritten, sondern darüber hinaus die fiktionale Grenze zwischen Realität und Imagination, insofern sich die Maskerade in ihrer Zielrichtung an literarischen Vorbildern orientiert, die ihren genuinen Ort in der höfischen Epik und Minnelyrik haben.122 Diese Strategie einer buchstäblichen Realisierung literarischer Muster auf der Handlungsebene wird sich im Folgenden in Wahrnehmung und Verhalten des Ehemannes fortsetzen, wie noch zu zeigen sein wird. Am siebten Tag trifft der Brautwerber, von der Gevatterin entsprechend vorbereitet, heimlich in dem künstlich errichteten locus amoenus ein (vgl. FB 127i, V. 417–446). Als er seine verkleidete Ehefrau erblickt, sie aber nicht wiedererkennt, werden für ihn die süßen „maere“ (FB 127i, V. 316) wahr, die ihm zuvor „von wîbes güete“ (FB 127i, V. 317) zu Ohren gekommen sind. Das Idealbild einer liebenswürdigen vrouwen, das er 121

Insgesamt verstreichen zudem sechs Wochen (vgl. FB 127i, V. 388; 417) von dem fingierten Todesfall bis zur Wiederbegegnung beider Ehepartner. 122 Vgl. Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 175.

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in ihr zu sehen bereit ist, entspricht dabei ebenso wenig einer realitätsnahen Einschätzung ihrer Person wie das dämonisierte Bild eines übelen wîbes, das er sich während ihres Ehelebens von ihr zurechtgelegt hat. Wiederum versucht er, die Irritation, welche die Begegnung mit dem anderen Geschlecht bei ihm auslöst, durch eine Form des körperlichen Zugriffs zu bewältigen: In der paradiesischen Umgebung erscheint ihm die schöne Fremde bei einem gemeinsamen Mahl so begehrenswert, dass er sich nichts sehnlicher herbeiwünscht, als „ir lîbes / gewaldic“ (FB 127i, V. 484f.) zu werden (vgl. FB 127i, V. 453–502). Doch erst nachdem der Ehemann gegenüber seiner Gevatterin einen Eid geleistet hat, die schöne Frau, die sogar ein adliger „herre“ (FB 127i, V. 526) gerne als Braut nähme, besser zu behandeln als seine vormalige Ehefrau, gestattet sie ihm, die Nacht bei ihr zu verbringen; am anderen Morgen werde sich dann erweisen, ob er für tauglich befunden worden sei oder nicht (vgl. FB 127i, V. 503–548). Nach gemeinsam verbrachter Nacht123 ist der Mann dem „zouber“ (FB 127i, V. 583) seiner neuen Geliebten vollends verfallen (vgl. FB 127i, V. 549–567), so dass er in seiner Verzückung wähnt, Gott – und nicht die Gevatterin – habe ihm „rehte her abe / ein himelrîche gegeben“ (FB 127i, V. 562f.), was er später überall verkünden lässt (vgl. FB 127i, V. 586–592). In seiner bekannten Maßlosigkeit und Verblendung führt der Bauer von diesem Zeitpunkt an ein Leben wie im Paradies, so als ob er keinerlei irdische Pflichten zu erfüllen hätte und sich ohne Konsequenzen dem süßen Nichtstun hingeben könnte.124 Die Darstellung seiner utopischen Lebensführung orientiert sich dabei wiederum an einem literarischen Rollenmuster125, wenn er sich ganz wie der höfische Ritter Erec in Hartmann von Aues Roman (vgl. Erec, V. 2924–2973)126 bei seiner Ehefrau verligt und dadurch seine standesgemäßen, in diesem Falle allerdings bäuerlichen Pflichten, vollständig vernachlässigt.127 Anders als Erec (vgl. Erec, V. 2974–3105) schert ihn indes die Reaktion 123

In der Forschung ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass sich hier die typische Morgensituation des Tageliedes parodiert findet; vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Verserzählung, S. 213f.; Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 49; Ingrid STRASSER, und sungen ein liet ze prîse in einer hôhen wîse, S. 89–94; Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 107; Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 181–187; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 284–287. 124 Diese neue Erfahrungswelt steht in einem diametralen Gegensatz zur Wahrnehmung seiner Ehe, in der er seine Ehefrau und ihre Mutter als Gaben des Teufels verunglimpft (vgl. FB 127i, V. 21f.). 125 Vgl. Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 174f. 126 Vgl. hier und im Folgenden Albert LEITZMANN (Hrsg.), Erec. 127 Vgl. hierzu Clair BAIER, Der Bauer in der Dichtung des Strickers, S. 69, Anm. 81; Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 273f.; Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 125; Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 319; Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 48f.; Ingrid STRASSER, und sungen ein liet ze prîse in einer hôhen wîse, S. 78–82; Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und

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der anderen Leute wenig, so dass es ihm völlig gleichgültig ist, dass sich „sîne vriunde“ (FB 127i, V. 575) bei ihm einfinden, um ihm den Rat zu erteilen, sich doch eine geeignetere Gefährtin zu suchen und von seinem lotterhaften Lebenswandel abzulassen (vgl. FB 127i, V. 568–585). Als sein Vermögen so weit aufgezehrt ist, dass dem Bauern – so will es die holzschnittartige Handlungsführung der Verserzählung – der baldige Hungertod droht, wird das Paar von der profanen Realität des Alltags wieder eingeholt: Erst nachdem der Bauer seiner Ehefrau wieder mit Haut und Haaren verfallen ist und ihr eingestanden hat, dass er lieber den Tod auf sich nehmen wolle, als auf ihre permanente Anwesenheit zu verzichten, zieht sie endlich einen Schlussstrich und beendet die Farce, da sie ihrerseits keineswegs dazu bereit ist, das Leben für ihren Mann aufzuopfern (vgl. FB 127i, V. 593–608). Sie enthüllt ihre wahre Identität, so dass dem Bauern die Scheinhaftigkeit seines ,Paradieses‘ nunmehr offenbar wird (vgl. FB 127i, V. 609–618).128 Der greifbare Besitzmangel als Konsequenz der undisziplinierten Lebensführung des Bauern wird motivisch unterfüttert durch die wiederholte Thematisierung des Besitzes bzw. des Nichtbesitzes von materiellem guot129, auf die ich hier kurz eingehen möchte. In diesem Punkt zeigen sich in Der Gevatterin Rat (FB 127i) grundlegende Unterschiede bezüglich der Handlungsweisen bei männlichem und weiblichem Geschlecht: Die Ehefrau legt auf materiellen Besitz offenkundig keinerlei Wert (vgl. FB 127i, V. 93– 96), denn für sie zählen immaterielle Werte wie triuwe (vgl. FB 127i, V. 65) weitaus mehr. Dementsprechend erhebt sie auch keinerlei Einwände, als die Gevatterin ihr ganzes Hab und Gut, das sie in ihrer Ehe hat beiseite legen können, für ihre Verwandlung in eine vrouwen ausgibt (vgl. FB 127i, V. 171–173; 177–179; 184–186; 383–386).130 In gleicher Weise lehnt wiederum die Gevatterin die Gaben, die ihr von beiden Ehepart-

Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 107f.; Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 176–181; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 284. 128 Zu kurz greift die These von Joachim THEISEN, dass die Erzählung darauf hinausliefe, die im mittelalterlichen Denken verankerte Korrespondenz von äußerer und innerer Schönheit zu unterlaufen und eine Sichtweise zu kritisieren, der zufolge unreflektiert vom Schein auf das Sein geschlossen werde; vgl. Joachim THEISEN, Die Welt unterm Seziermesser, S. 112. Denn die vorhandene Güte der Ehefrau wird in Der Gevatterin Rat (FB 127i) durch ihre besondere Präsentation für den uneinsichtigen Ehemann ja gerade noch einmal plakativ gemacht; ein Widerspruch zwischen ihrer äußeren und inneren Disposition im Hinblick auf ihre ethischen Qualitäten ist indes nicht gegeben. 129 Zur formalen Einbindung des Lohnmotivs, dem im zweiten Teil das Motiv des Eides entspricht, vgl. auch Gabriele SCHIEB, Das Bloch, S. 424–426; ausführlich zur Besitzthematik und ihrer Bedeutung für die Zeichnung der Figuren in dieser Verserzählung vgl. Teresa Ann REILLY, The Problem of Guot in the Works of the Stricker, S. 159–178, 267–271, deren eher negative Einschätzung der beiden Frauenfiguren ich allerdings nur bedingt nachzuvollziehen vermag. 130 Insofern geht der Ansatz von HAGBY fehl, wenn sie sich fragt, wie die Gevatterin die wochenlange Versorgung der Ehefrau habe finanzieren können und diese vermeintliche Inkohärenz des Textes mit seiner Orientierung an orientalischen Vorbildern erklären will; vgl. Maryvonne HAGBY, man hat uns fur die warheit … geseit, S. 68, Anm. 1.

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nern angeboten werden, aufs Energischste zurück (vgl. FB 127i, V. 100; 274–276): Ihr Engagement sei allein durch ihre persönliche Verbundenheit motiviert, durch ihre triuwe (vgl. FB 127i, V. 86) und „der liebe kraft“ (FB 127i, V. 102; vgl. V. 277), die sie auch von dem Ehemann einfordert (vgl. FB 127i, V. 280–284).131 Zugleich beharrt sie dabei aber auf ihrer Unabhängigkeit, wenn sie sich dem letztlich verpflichtenden Charakter der Gaben132 entzieht. Anders hingegen der männliche Akteur der Verserzählung: Während der Ehemann zwar nicht gerade an seinem Besitz klebt, so zeugt doch seine Vorstellung, vielerlei mit Geld erkaufen zu können, von seiner im Grunde materiell ausgerichteten Gesinnung.133 Zehn Pfund will der Bauer der Gevatterin als „botenbrôt“ (FB 127i, V. 136) für die Nachricht über den Tod seiner Frau übergeben (vgl. FB 127i, V. 132–136), und auch dem Pfarrer will er für den gleichen Zweck ein „pfant“ (FB 127i, V. 143) in beliebiger Höhe auszahlen, wie er der Gevatterin nicht weniger als dreimal versichert (FB 127i, V. 142–158); schließlich bietet er ihr als nachträgliche Belohnung sein Ochsengespann und, falls dies nicht ausreiche, die Hälfte seines gesamten Besitzes (vgl. FB 127i, V. 264–268). Diesen verschwenderischen Wesenszug scheint die Gevatterin nur allzu gut zu kennen, wenn sie seine Reaktionen auf die neue vrouwe vorausahnt: „haete er des keisers golt, / daz gaebe er iuwerm lîbe / ê denne deheinem wîbe“ (FB 127i, V. 90– 92).134 Später wird der Bauer der Gevatterin dreimal sein „lîp unde guot“ (FB 127i, V. 300; vgl. 354; 498f.) versprechen, und auch Gott, den er für den Schöpfer seines Liebesparadieses hält, will er „mit dem guote und mit dem lîbe“ (FB 127i, V. 567) belohnen. Diese übertriebene Freigebigkeit korrespondiert mit seiner ziellosen Verausgabung in seiner neuen Liebesbindung, die schließlich dazu führt, dass ihm „nieman ein brôt / weder lîhen noch geben“ (FB 127i, V. 598f.) will, so dass er sich in den finanziellen Ruin getrieben sieht. Seine Verletzung ständischer Pflichten konkretisiert sich in diesem Punkt, insofern milte, d. h. Freigebigkeit, im Mittelalter eine genuin herrschaftliche Tugend darstellt.135 Auf einer Metaebene kann seine Unfähigkeit, vernünftig mit seinem Besitz zu wirtschaften, aber auch als Indiz für sein mangelndes Urteilsvermögen gelten; in diesem Sinne formuliert die Gevatterin sentenzhaft: „würde dem tôren goldes iht, / ezn möhte in doch gehelfen niht“ (FB 127i, V. 545f.). Die Vergeudung des Ehe131

Es leuchtet daher nicht ein, wenn ihr AGRICOLA kupplerische Neigungen attestiert; vgl. Erhard AGRICOLA, Die Komik der Strickerschen Schwänke, S. 26. 132 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 3.2 der vorliegenden Arbeit. 133 In gesteigerter Form findet sich ein materielles Denken bei der Figur des käuflichen Pfaffen, der gegen ein entsprechendes Entgelt, dessen Höhe er selbst auf zwei Pfund festlegt, zu einer regelwidrigen Bestattung der Bäuerin bereit ist (vgl. FB 127i, V. 222–224; 236–238; 250f.; 257–259). 134 Hedda RAGOTZKY sieht hierin eine Evokation des überhöhten Frauenkonzepts aus dem zeitgenössischen Minnesang; vgl. Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 104; kritisch dazu Otfrid EHRISMANN, der tîvel brâhte mich ze dir, S. 39, Anm. 36. 135 Vgl. hierzu ebenfalls Kap. 4.2 der vorliegenden Arbeit.

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manns steht dabei im diametralen Gegensatz zu der fürsorglichen Sparsamkeit seiner Ehefrau, die nicht zuletzt in diesem Punkt ihre triuwe gegenüber ihrem Mann erweist. Die strickersche Paradieserzählung gipfelt dann – und hiermit kehre ich zum Handlungsgang der Verserzählung zurück –, in einer Inversion der Sündenfallgeschichte (vgl. Gen. 3,1–24), die in der Ernährungsmetaphorik, die den Text fast leitmotivisch durchzieht136, bereits narrativ vorbereitet worden ist. Aber nicht die weibliche Protagonistin ist es, die beim Stricker den symbolischen Apfel pflückt und ihren Mann verführt (vgl. Gen. 3,6), um so eine besondere Verantwortung für die begangene Sünde zu übernehmen; in Der Gevatterin Rat (FB 127i) fällt vielmehr dem Mann die Hauptschuld zu, weil er gegen das göttliche Gebot verstößt, indem er seine Arbeit vernachlässigt und seine Frau ebenfalls zum Nichtstun verleitet, so dass beide nicht einmal mehr Brot zum Essen haben – geschweige denn Äpfel. Während dem Menschen im biblischen Schöpfungsbericht die Erkenntnis von Gut und Böse zuteil wird (vgl. Gen. 3,5), tritt beim Stricker die gegenteilige Folge zutage, nämlich dass es dem Ehemann an Erkenntnisfähigkeit mangelt, wie aus dem unmittelbaren Vorwurf seiner Frau erhellt: […] „ez ist diu wârheit. ich starp niht, ich lebe noch und hân dich underwîset doch, daz du ein vil tumber man bist und enweist, waz übel oder guot ist.“ (FB 127i, V. 619–622)

In der gleichen Weise, wie Adam und Eva schließlich ihr Geheimnis vor Gott verstecken wollen (vgl. Gen. 3,8), versucht auch unser Paar, sein Geheimnis zu verbergen, um „der lantliute spot“ (FB 127i, V. 624) zu verhindern. Spätestens mit der Entdeckung des Geheimnisses, das sich innerhalb von zwölf Tagen in der ganzen Gegend verbreitet, ist der Verlust des Liebesparadieses endgültig besiegelt. Der bloßgestellte Ehemann wird wegen seiner „tumpheit“ (FB 127i, V. 645), die im Epimythion neben der Klugheit der beiden Frauen noch einmal angemahnt wird (vgl. FB 127i, V. 647–650; vgl. ebenso V. 188; 479)137, zum Gespött der Öffentlichkeit und bleibt es zeitlebens. Seine Frau lässt der Bauer fortan ganz in Ruhe (vgl. FB 127i, V. 629–646): „die entorste er schelden noch loben, / man naemez anders vür ein toben“ (FB 127i, V. 643f.). Die Verblendung des Mannes, der dem weiblichen zouber verfällt, ohne darauf zu achten, was sich hinter dem schönen Schein verbirgt – oder anders gesagt: „die Offenle-

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Dem Ehemann bietet sich seine Eheleben „bitter und sûre“ (FB 127i, V. 2) dar, wohingegen er „süeze“ (FB 127i, V. 316) Geschichten über das Wesen der Frauen vernimmt. Die Wiederbegegnung beider Ehepartner wird mit einer gemeinsamen Mahlzeit eingeleitet (vgl. FB 127i, V. 478– 481). Schließlich jedoch droht beiden der Hungertod (vgl. FB 127i, V. 595–608). 137 Zu diesem im Hinblick auf die übliche Geschlechtsspezifik im Texttyp der mittelhochdeutschen Verserzählung eher außergewöhnlichen Kontrast vgl. Gabriele SCHIEB, Das Bloch, S. 427f.; Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 170–172.

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gung seines miserablen Urteilsvermögens“138 –, zieht die Figur des Bauern in der vorliegenden Verserzählung deutlich in Misskredit. Die beiden Frauen gehen aus dem ehelichen Machtkampf demgegenüber als Siegerinnen hervor, denn durch die Stilisierung der Ehefrau zur höfischen vrouwe nach literarischem Vorbild gelingt es, die für sie unerträgliche Situation des Ehelebens zu beenden. Die Frauenfiguren agieren dabei in unterschiedlicher Rollenverteilung, wobei sie sich komplementär ergänzen: Die Gevatterin handelt gleichsam stellvertretend für die Ehefrau, deren positiv gezeichnetes Bild, zu dem normativ bedingt u. a. Passivität und Unterwürfigkeit gehören, nicht angetastet wird; aus Gründen der Sympathielenkung ist dieser Aspekt von nicht unerheblicher erzählstrategischer Bedeutung. Die Gevatterin hingegen setzt der männlichen Körpergewalt ihre Sprachgewalt139, der mangelnden Erkenntnisfähigkeit des Ehemannes ihre Klugheit entgegen. Die Lücke, die durch das irrationale Handeln des Mannes entsteht, kann sie füllen, in dem sie sich genuin männliche (und teilweise sogar göttliche) Handlungskompetenzen zu eigen macht und sich als meister geriert, der alle Handlungsfäden in der Hand behält. Sie übernimmt die Funktion, so könnte man sagen, den Widerspenstigen, der in diesem Falle männlichen Geschlechts ist, dauerhaft zu zähmen.140 Durch diese Rollenverteilung können die für die Handlungsführung notwendigen, jedoch männlich codierten Eigenschaften wie Aktivität, Durchsetzungsvermögen usw. gegen den männlichen Protagonisten eingesetzt werden, ohne das intakte Bild der vorbildlichen Ehefrau zu beschädigen. Ist die Ehefrau in ihrer Rolle als wîp ihrem Ehemann untergeordnet und seinen gewaltsamen Eskapaden schutzlos ausgeliefert, so ermöglicht ihr die idealisierte Rolle der Minnedame, die konventionelle Geschlechterhierarchie kurzfristig auszuhebeln und das zerrüttete Ordnungsgefüge in der Ehe wieder zu stabilisieren.141 Aufgrund ihrer neu erworbenen sozialen Überlegenheit – und daher ist es für die narrative Strategie der Erzählung eminent wichtig, dass die Protagonisten dem Bauernstand angehören, der einen sozialen Aufstieg überhaupt erst narrativ ermöglicht142 – kann sie sich seinen gewalttäti138

Klaus GRUBMÜLLER, Das Groteske im Märe, S. 44. Vgl. Helmut BRALL, Höfische Ideologie und feudale Herrschaftsgewalt, S. 123, der in diesem Zusammenhang von „einer Form gewaltloser Konfliktregulierung“ (ebd.) spricht; vgl. ferner Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 197; Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 138. 140 Vgl. zur Rolle der Gevatterin als „shrew-tamer“ (S. 169) Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 168f. 141 „Die […] aufgerufene Fiktion der einzigartigen vrouwe […] kann […] bei mangelndem Erkenntnisvermögen zur Verkehrung des normativen Machtgefälles in der Ehe führen.“ (Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 104); vgl. überdies Ingrid STRASSER, und sungen ein liet ze prîse in einer hôhen wîse, S. 95; vgl. ähnlich Sebastian COXON, der werlde spot, S. 105–108, 115. 142 Nicht zu überzeugen vermag hingegen die Annahme CLASSENS, dass die Bauernrolle deshalb gewählt wäre, weil so das irrationale Verhalten des Ehemannes unproblematischer hätte kritisiert werden können; vgl. Albrecht CLASSEN, Misogyny and the Battle of Genders in the Stricker’s maeren, 139

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gen Zugriffen sogar dauerhaft entziehen. Zum Schluss ist die Ehe zwar äußerlich wiederhergestellt, dem Einflussbereich ihres Mannes bleibt die Ehefrau aufgrund der sozialen Kontrolle, die auf ihm lastet, jedoch weitgehend entzogen. Insofern ist Walter HAUG zuzustimmen, wenn er für Der Gevatterin Rat (FB 127i) konstatiert, dass aufgrund der mangelnden „wîsheit“ (FB 127i, V. 646) und der anhaltenden Schande des Protagonisten die zerstörte eheliche Ordnung schlussendlich nur äußerlich wieder gekittet sei und das Ende der Erzählung zumindest offen ausdeutbar bleibe.143 Selbst wenn der fingierte oder anders gesagt: der virtuelle dreifache Statuswechsel der Protagonistin von der Ehefrau zur Jungfrau, von der Bäuerin zur Adligen sowie von der literarischen Imagination des übelen wîbes hin zum Idealbild der hêren vrouwen nur ein Intermezzo darstellt, so verändert er das Eheleben doch nachhaltig zu ihren Gunsten. Mit diesem Resultat erweist sich aber die sozialständische Zugehörigkeit in Der Gevatterin Rat (FB 127i) gegenüber der Geschlechtszugehörigkeit als der wirkmächtigere Einflussfaktor. Weil die Ordnungskategorie ,gender‘ gegenüber der Ordnungskategorie ,class‘ gleichsam von nachrangiger Bedeutung ist, ermöglicht ein Wechsel des sozialen Standes, selbst wenn dieser nur virtueller Natur ist, hier eine Umkehrung der Geschlechterhierarchie.144 S. 114. Denn bis auf Die eingemauerte Frau (FB 127g), in welcher der Protagonist gleich zu Beginn der Erzählung als „ritter“ (FB 127g, V. 1) eingeführt wird, ist die ständische Zuordnung in keinem anderen der sog. strickerschen Ehestandsmären explizit ausgewiesen. Negative Aspekte in der Darstellung von Männerfiguren finden sich jedoch auch in anderen Vertretern dieser Textgruppe. 143 Vgl. Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 17; DERS., Die Lust am Widersinn, S. 355; DERS., Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten, S. 15, 24; auch in diesem letzten Aufsatz betont HAUG die aussichtslose Niederlage des Mannes in dieser strickerschen Verserzählung; vgl. ähnlich Michael WALTENBERGER, Situation und Sinn, S. 297f., der allerdings darauf abhebt, dass die weibliche Intrige so angelegt worden sei, dass sie eine echte Versöhnung der Eheleute möglicherweise von vornherein unmöglich mache. – HAUG wendet sich damit nicht zuletzt gegen die affirmative Lesart des Textes durch Hedda RAGOTZKY (vgl. Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 104–108); vgl. Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 17, Anm. 27. Eine stärker exemplarische Stoßrichtung des Textes betont hingegen Klaus GRUBMÜLLER, Das Groteske im Märe, S. 44f.; DERS., Zum Verhältnis von ,Stricker-Märe‘ und Fabliau, S. 174; sehr kritisch hat sich gegenüber HAUGS Interpretation zudem Rüdiger SCHNELL geäußert, der von einer vollständigen Wiederherstellung der (ehelichen) Ordnung ausgeht; vgl. Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 377–379. – Davon, dass die Ehe „schließlich zu einer fast über die Maßen glücklichen wird“ (Gabriele SCHIEB, Das Bloch, S. 422), kann jedenfalls mit Sicherheit keine Rede sein; vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 318–320. 144 M. E. wird man der in der Verserzählung inszenierten Überkreuzung von Stände- und Geschlechterhierarchie nicht in vollem Maße gerecht, wenn man hier lediglich ein konfligierendes Verhältnis von stilisierter Minnebindung und Ehebindung ansetzen will, wie dies Hedda RAGOTZKY unternimmt; vgl. Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, z. B. S. 111.

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Im Hinblick auf den Autor bleibt somit festzuhalten: „[…] the Stricker once again shows his tendency to experiment with and reverse traditional gender roles“145. Die These, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Besonderheit der strickerschen Erzählkunst handelt, können wir im Folgenden anhand der Eingemauerten Frau (FB 127g) erhärten. b.

Der Stricker: Die eingemauerte Frau (FB 127g)

Auf den ersten Blick gleicht die Ausgangskonstellation in der Eingemauerten Frau (FB 127g) derjenigen in Der Gevatterin Rat (FB 127i), denn auch hier setzt der Text mit Szenen eines durch Streit und Zwistigkeiten bestimmten Ehealltages ein, wobei wiederum die Ehefrau das Opfer hausväterlicher Gewaltanwendung darstellt. In zwei Punkten zeigen sich jedoch wesentliche Unterschiede: Anders als in Der Gevatterin Rat (FB 127i) ist das Geschehen erstens in einem ritterlichen Milieu situiert (vgl. FB 127g, V. 1)146, zweitens wird das gewalttätige Vorgehen des Ehemanns mit der penetranten Widerspenstigkeit und dem Ungehorsam der Ehefrau, die stets ihren eigenen Willen durchsetzen möchte (vgl. FB 127g, V. 3f.), plausibel motiviert.147 Diese beiden zunächst geringfügig erscheinenden Veränderungen gegenüber der Erzählung Der Gevatterin Rat (FB 127i) sind für die weitere Handlungsführung von großer Bedeutung. Auch wenn die Sympathie des Erzählers zunächst bei dem „ritter tugende rîche“ (FB 127g, V. 1) zu liegen scheint, erweisen sich die Sympathielenkungsstrategien der Erzählung im Folgenden weitaus verzwickter und komplexer148 als in Der Gevatterin Rat (FB 127i). Dies liegt darin begründet, dass auch der Ehemann nicht frei von Makeln

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Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Märe, S. 181. Vgl. entsprechend auch die Überschrift in E, einem von insgesamt vier Überlieferungsträgern: „Von eime ritter v v siner frauw“ (vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 50). 147 Letzteres ist ausschlaggebend für die Einordnung der Verserzählung in den Kreis der sog. übel-wîpbzw. Frauenzucht-Geschichten, was sich stützen lässt durch die Titulierung der Erzählung in B, „Von ainem vbeln weib“ (vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 50; vgl. ähnlich die Überschrift in I, „Von ainem beln pen alten weib / Als vngelckh gee an jren leib“; vgl. Wilfried MOELLEKEN / Gayle AGLER-BECK / Robert E. LEWIS (Hrsg.), Die Kleindichtung des Strickers, Bd. 4, S. 91); vgl. zu dieser Zuordnung z. B. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97; Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 321–332; Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 206; Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 136–140; John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 226, 229; Otfrid EHRISMANN (Hrsg.), Der Stricker, S. 261; Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 214f. – Der Stricker greift in dieser Verserzählung kombinierend auf unterschiedliche Erzählmotive zurück, gestaltet aber eine neue Geschichte; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 104. 148 Vgl. Daniel ROCHER, Inwiefern sind Strickers ,maeren‘ echte ,contes à rire‘?, S. 142; Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 142, 150f. 146

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ist149 und zudem im Laufe der Erzählung immer mehr aus dem Blickfeld der Rezipientinnen und Rezipienten verschwindet. Er drangsaliert seine Ehefrau fast noch heftiger als sein bäuerlicher ,Leidensgenosse‘ in Der Gevatterin Rat (FB 127i), nachdem seine verbalen Appelle und Drohungen keinerlei Wirkung zeitigen (vgl. FB 127g, V. 5–10)150 und der Konflikt angesichts ihrer zunehmenden Provokationen eskaliert: Er versetzt ihr einen „vûstslac“ (FB 127g, V. 11), zerreißt ihr Kleid (vgl. FB 127g, V. 14), drischt mit einem Knüppel voller Zorn auf sie ein, bis er keine Kraft mehr hat (vgl. FB 127g, V. 15–20) und von ihrem Leib nur noch „zebrochen hût und bluot“ (FB 127g, V. 23) übrig bleiben. Auch wenn damit ein symbolisches Exempel seines patriarchalen Herrschaftsanspruches statuiert ist – das (zer)brechen (vgl. FB 127g, V. 14; 21; 23; 32) von „gewant“ (FB 127g, V. 14), „sîte“ (FB 127g, V. 21) und „hût“ (FB 127g, V. 23) dient hier als eine Art spiegelnder Strafe für ihre Zerstörung des ehelichen Ordnungsgefüges151 –, macht die Ehefrau keinerlei Anstalten, sich der Herrschaft ihres Mannes zu fügen, wie ihre anhaltenden Widerworte deutlich signalisieren (vgl. FB 127g, V. 24–35). Im Gegenteil, indem sich der Ehemann zu der „tumpheit“ (FB 127g, V. 31) hinreißen lässt, seine „zuht“ (FB 127g, V. 32) zu vergessen, hat sie bereits einen Teilsieg über ihn errungen. Mit seinem Kontrollverlust hat er sich „selbe erslagen“ (FB 127g, V. 33), indem er die einem Ritter gebührende zuht an ihr „zebrach“ (FB 127g, V. 32).152 Nach diesem expositorischen Zerstörungswerk setzt die Erzählung gleichsam an einem Nullpunkt wieder neu an und handelt in den folgenden beiden Teilen der narratio (FB 127g, V. 36–234 und V. 235–395) von der Wiederherstellung des zerrütteten Ordnungsgefüges der Ehegemeinschaft. Dieser Wiederherstellungsversuch soll aber ebenso wenig wie in Der Gevatterin Rat (FB 127i) in die Restitution einer Ehe mit normgerechter Vorrangstellung des männlichen Ehepartners einmünden. Weil dem weiblichen Missverhalten weder mit verbaler noch physischer Gewalt beizukommen ist, greift der verzweifelte Ehemann nun zu einem psychischen Druckmittel, um seine Frau zu bekehren, indem er sie in Isolationshaft nimmt. Er mauert sie mit dem vordergründigen Argument, dass sie seine „vriuntschaft“ (FB 127g, V. 41) und seinen „dienest“ (ebd.) ohnehin verschmähe (vgl. FB 127g, V. 40–47), isoliert in ein „gaden“ (FB 127g, V. 36) ein, das lediglich über ein Fenster den Kontakt zur Außenwelt ermög-

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Diese Einschätzung wird in B und E besonders sichtbar, wenn der Priester nicht davon spricht, dass der Ehemann seiner Frau „gezürnet“ (FB 127g, V. 193), sondern dass er ihr gegenüber „Gesndet“ habe (vgl. FB 127g BE, V. 193; Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 57). 150 In A ist die steigernde Darstellung zurückgenommen, insofern der Ehemann von Beginn an „slege“ (FB 127g A, V. 7) einsetzt, um seine Frau zu erziehen; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 50. 151 Später wird die Ehefrau dies selbst bestätigen, wenn sie ihrem Ehemann eingesteht, dass sie ihr „reht“ (FB 127g, V. 204) gegenüber ihm „zebrach“ (ebd.). 152 GEPHART analysiert den Konflikt psychologisch als Problem von Affektkontrolle; vgl. Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 172f.

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licht (FB 127g, V. 36–39).153 Eventuell orientiert sich der Stricker bei dieser Darstellung an der zeitgenössischen Praxis des Inklusentums, d. h. der religiös motivierten freiwilligen Einmauerung einer Person, wie sie in der mittelalterlichen Hagiographie und Historiographie vielfach bezeugt ist und im Spätmittelalter laut einschlägiger Quellen insbesondere von Frauen angestrebt wurde, die später oft den Status einer Heiligen erlangten.154 Die Gefangennahme kann indessen textimmanent wiederum als spiegelnde Strafe verstanden werden, welche die Außenseiterstellung der aufmüpfigen Protagonistin, die aus ihrem destruktiven Verhalten resultiert, symbolisch reflektiert.155 Emanzipatorisch gewendet ließe sich die Einmauerung auch als eine Zitation und Überbietung ihrer bisherigen Lebenssituation als Ehefrau ausdeuten, in der sie ja ebenfalls in einem festgefügten Rollenkorsett gleichsam ,eingesperrt‘ worden ist.156 In dem gaden wird die Ehefrau unter unerfreulichsten Bedingungen gefangen gehalten: Als Nahrung erhält sie schwarzes Brot, das ansonsten nur den Hunden zum Fraß vorgeworfen wird (vgl. FB 127g, V. 48–53); „noch ein groezer leit“ (FB 127g, V. 54) fügt ihr der Ehemann aber dadurch zu, dass er die Kommunikation mit der Gefangenen 153

Lediglich in E scheint der Verschlag doch eine Tür zu haben (vgl. FB 127g E, V. 236; Hanns FI(Hrsg.), Der Stricker, I, S. 59). – Zur Bildlichkeit der Mauern vgl. umfassend Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 175–177. 154 Vgl. Stephen L. WAILES, Immurement and Religious Experience in the Stricker’s „Eingemauerte Frau“, S. 79–86; WAILES betrachtet den ersten Teil der Erzählung als parodistische Inversion der Darstellung religiösen Inklusentums: „Until the moment of conversion, the Stricker’s story is an earnest parody of the life of a religious incluse, based on the compositional principle of ironic reversals.“ (ebd., S. 94; vgl. hierzu S. 86–94). Vgl. ferner zur Nachahmung der Inklusenliteratur in der Eingemauerten Frau (FB 127g) Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 143– 145. Während WAILES, wie bereits THAMERT bemerkt (vgl. ebd., S. 157, Anm. 181), einen stark kulturhistorischen Zugriff auf den Text entwickelt, bezieht dieser selbst die entsprechenden Anspielungen des Textes eher auf die literarische Figur der Inkluse. Kritisch hat sich mit dem Deutungsansatz von WAILES zuletzt Jutta EMING auseinandergesetzt; vgl. EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 218–221. – Zur Inklusion aus historischer Sicht vgl. Gaby SIGNORI, Ohnmacht des Körpers; A[nneke] B. MULDER-BAKKER, [Art.] Inklusen. 155 Vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 328. 156 Alternativ hat Wernfried HOFMEISTER für die Einmauerung einen möglichen Bezug zur mittelalterlichen Praxis des Bauopfers vorgeschlagen, ohne dies jedoch näher auszuführen; vgl. Wernfried HOFMEISTER, Rebellion und Integration in Strickers „Eingemauerter Frau“, S. 73 und S. 77, Anm. 14. STRASSER versucht – ebenfalls nur bedingt überzeugend – die Einmauerung mit dem Motiv der Gefangenschaft im Lanzelot-Roman, speziell in Chrétien de Troyes Le chevalier de la charrette in Verbindung zu bringen; vgl. Ingrid STRASSER, und sungen ein liet ze prîse in einer hôhen wîse, S. 82–84, 106. Wenig überzeugend erscheint der Ansatz von FUHRMANN, welche die Einmauerung mit einer deutlich späteren Strafpraxis in Zusammenhang bringt, die im Rahmen der Hexenverfolgung auf Frauen angewandt worden sei; sie nimmt den Text psychologisch zu ernst, wenn sie betont, die Ehefrau erfahre deshalb eine so harte Strafe, damit sie die Schwere ihres Fehlverhaltens einsehe; vgl. Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 304; Bd. 2, S. 143. SCHER

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gänzlich einstellt und auf ihre Worte nicht mehr reagiert, sich stattdessen sogar vor ihren Augen in Geselligkeit und Gastfreundschaft übt und demonstrativ mit einer Geliebten verkehrt, die er mit kostbaren Kleidern beschenkt (vgl. FB 127g, V. 55–69). Dieser höfische Lebensstil bringt ihm nicht nur „vröuden alle zît“ (FB 127g, V. 70), sondern verschafft ihm auch das „lop […] von der werlde breit“ (FB 127g, V. 71). Schließlich kann er durch unterschiedliche Gunstbezeigungen (vgl. FB 127g, V. 72; 103–105) auch noch ihre „mâge“ (FB 127g, V. 73) und „vriunde“ (FB 127g, V. 107; vgl. V. 78; 87) auf seine Seite ziehen (vgl. FB 127g, V. 72f.; 100–107). Aufgrund der notorischen Übellaunigkeit seiner Frau (vgl. FB 127g, V. 81–86; 98f.) gelingt es ihm leicht, ihre Verwandten, die sich zunächst noch als Fürsprecher für sie einsetzen, dazu zu bewegen, von ihr abzulassen und den Kontakt mit ihr abzubrechen, so dass sie schließlich „alters eine“ (FB 127g, V. 108) in ihrem gaden bleibt. Der Ehemann stellt dies sehr geschickt an, denn er fordert den jeweiligen Besitz ihrer vriunde als Pfand für den Fall, dass sie nach ihrer Freilassung immer noch ein „übel wîp welle sîn“ (FB 127g, V. 93). Auf einen solchen Handel möchte sich jedoch keiner von ihnen einlassen. Erst angesichts dieser höchst hoffnungslosen Lage157 kommt es bei der Inhaftierten zu einem Gesinnungswandel, der gleichsam als narrative Leerstelle in Form einer religiösen Bekehrung zur Darstellung gelangt, so dass die Einmauerung retrospektiv nahezu den Stellenwert eines Exorzismus gewinnt: dô si vernam den untrôst, daz si niemer würde erlôst, dô vuoren die tîvel von dem wege, die si hâten in ir pflege. dô quam der heilige geist und brâhte ir sînen volleist. ir grôziu übele diu verswant. dô viel ir hôchvart zehant. ir übele und ir boeser muot diu zergiengen, si wart alsô guot, daz si mit rehten triuwen ir sünde begunden riuwen. (FB 127g, V. 113–124)

An diesem zentralen Wendepunkt des Textes blendet der Erzähler zwei divergierende Perspektiven auf die Protagonistin ineinander: Zum einen entschuldigt die Passage ihre Bosheit dadurch, dass sie als Resultat dämonischer Wirkkräfte hingestellt wird. Zum anderen wird durch die metaphysische Überhöhung des gesamten Geschehens ein realer Grund für die Widerspenstigkeit der Frau, der möglicherweise im Verhalten des Mannes begründet sein könnte, verschleiert. Als Schnittstelle des Transformationsprozesses 157

Zunächst kann sich die Ehefrau noch der Hoffnung hingeben, dass ihre Verwandten sie rächen würden; vgl. Wernfried HOFMEISTER, Rebellion und Integration in Strickers „Eingemauerter Frau“, S. 74, 76; Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 224.

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fungiert wie in Der Gevatterin Rat (FB 127i) ein gaden, in dem sich die Wandlung wie in einer Art Blackbox vollzieht, wobei der rein äußerlichen Veränderung der gebûrinne hier ein innerer Gesinnungswandel der adligen vrouwen entspricht. In beiden Fällen wird indes durch die Transformation ein Frauenbild produziert, das den nur teilweise divergierenden Wunschvorstellungen der jeweiligen Ehemänner vollständig entspricht. Analog zur Figur der Gevatterin wird in der Eingemauerten Frau (FB 127g) ein Pfaffe als Vermittlungsinstanz zwischen den Ehepartnern eingeführt158, den die Frau zu sich ruft, um bei ihm für ihr Seelenheil zu bitten (vgl. FB 127g, V. 125–128). Auf ihr Schuldeingeständnis (vgl. FB 127g, V. 131–138), das sie kniender Weise vor ihm ablegt (vgl. FB 127g, V. 130), rät ihr der Pfarrer eindringlich, von ihrer „übele“ (FB 127g, V. 144) abzulassen und „ein vil guot wîp“ (FB 127g, V. 142) zu werden (vgl. FB 127g, V. 139–147). Die reuige Ehefrau beteuert ihm, dass sie bereits vollständig bekehrt sei und Gottes Geboten von nun an stets ehrfürchtig folgen wolle; wenn ihr Mann ihr wieder „sîne hulde“ (FB 127g, V. 153) gewähre, wolle sie für den Rest ihres Lebens in dem gaden bleiben, um dort ihre Schuld abzubüßen und ihrerseits um „gotes hulde“ (FB 127g, V. 156) beten (vgl. FB 127g, V. 148–176). Da sie, wie der Pfarrer dem Ehemann daraufhin beteuert, nur wegen ihres Seelenheiles und nicht um der Verbesserung ihrer Haftbedingungen willen seine hulde ersuche (vgl. FB 127g, V. 189–191)159, erklärt sich dieser bereit, sich persönlich zu dem gaden zu begeben. In kniender Position wiederholt die Eingemauerte ihm gegenüber ihr Schuldeingeständnis und bittet ihn erneut darum, fortan für „gotes hulde“ (FB 127g, V. 217) in der Klause bleiben zu dürfen (vgl. FB 127g, V. 197–218).160 Doch dies ist ganz und gar nicht im Sinne des erfreuten Ehemannes, der sogleich nach ihren und seinen „vriunden“ (FB 127g, V. 222) schicken lässt, um sich öffentlich mit seiner Frau zu versöhnen (vgl. FB 127g, V. 220–234). Auf ihren Wunsch geht er dabei mit keinem Wort ein. Als man die Mauern des gadens einreißt, sträubt sich die Ehefrau dementsprechend heftig, ihre Zelle zu verlassen. Selbst dem Gebot des Pfarrers, Gottes Willen zu folgen und ihrem Mann gehorsam zu sein, widersetzt sie sich inständig, so dass es eine ganze Weile dauert, bis man sie zur Aufgabe ihres Inklusentums bewegen kann (vgl. FB 127g, V. 235–247). Die Entschuldigung ihres Mannes, die von seinen Verwandten unterstützt wird, will sie ebenfalls nicht akzeptieren, indem sie erneut darauf pocht, alle Schuld für sich zu beanspruchen (vgl. FB 127g, V. 248–259). Letztendlich zeigt sie da158

Wie in Der Gevatterin Rat (FB 127i) hat die vermittelnde Person auch hier das gleiche Geschlecht wie die Figur, die unter dem Fehlverhalten des Ehepartners zu leiden hat. Zur Pfaffenfigur in der Eingemauerten Frau (FB 127g) vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 188, 201, 206; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, insbesondere S. 508–513. 159 Diese Befürwortung ist in E und B ersetzt durch eine Anschuldigung des Ritters (vgl. 127g BE, V. 191–193; Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 57). 160 Jutta EMING weist auf die übertriebenen Züge in den wiederholten Selbstbezichtigungen der Ehefrau hin; vgl. Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 221f.

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mit erneut ihre alte Widerspenstigkeit, die sie immer noch gegen all das opponieren lässt, was ihr von einer patriarchalen Instanz oktroyiert wird. Rein formal betrachtet legt sie damit auch nach ihrem religiösen Gesinnungswandel die gleichen Wesenszüge an den Tag wie zuvor.161 Weil man der Ehefrau nicht gestattet, Gott in aller Abgeschiedenheit zu dienen, dreht sie nun gleichsam den Spieß um und verkündet, dass sie ihre Bußfertigkeit und Reue stattdessen durch ihr missionarisches Engagement in der Öffentlichkeit162 unter Beweis stellen wolle: [„]welt ir mich niht dar inne lân, daz ich gestille gotes haz, sô erloubet mir doch hie ûze daz, daz ich got dâ mit êre, und übeliu wîp bekêre, daz kan ich nu wol geschaffen.“ (FB 127g, V. 260–265)

Aus eigener Erfahrung wisse sie, wie man „von übelen wîben / ir übele wol vertrîben“ (FB 127g, V. 271f.) könne; deshalb sollten alle, die ein „übel wîp“ (FB 127g, V. 274) hätten, ihre Hilfe aufsuchen; sie werde sie dadurch bekehren, dass sie die Betreffenden ihren Platz einnehmen ließe (vgl. FB 127g, V. 270–282). Mit dieser neuen Rolle, die sie sich selbst zulegt, überschreitet sie aber nicht nur die konventionellen Handlungsgrenzen einer gehorsamen Ehefrau, sondern durchkreuzt darüber hinaus die topischen Interaktionsmuster der literarischen Figur der Widerspenstigen, indem sie nun ihrerseits die männlich codierte Rolle des bzw. der Zähmenden einzunehmen gedenkt.163 Spätestens mit diesem Umschwung greift schließlich auch eine Veränderung in der Sympathielenkung des Textes164, die sich auf der Handlungsebene darin manifestiert, dass sich ihr nach dieser Ankündigung „beide leien unde pfaffen“ (FB 127g, V. 0266) zu Füßen werfen (vgl. FB 127g, V. 267), in ein freudiges Gelächter ausbrechen (vgl. FB 127g, V. 292f.)165 und sie als „heilic wîp“ (FB 127g, V. 285) titulieren. Damit verändert sich 161

Zu Recht stellt Irmgard GEPHART die Frage, warum sich bei der Ehefrau nunmehr keinerlei Anzeichen von Wut oder Aggression gegen den Ehemann zeigen; vgl. Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 177f. 162 Zur Funktion der „Öffentlichkeit als Garant der sozialen Normen“ (S. 114) sowie ihrer impliziten Infragestellung in der Eingemauerten Frau (FB 127g) vgl. Corinna LAUDE, Manipulierte Öffentlichkeit in spätmittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 114–116. 163 Vgl. Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 147f., 156–158. 164 Vgl. ebd., S. 151. 165 Sieglinde HARTMANN deutet das Lachen positiv als Zeichen der Erleichterung darüber, dass die eheliche Ordnung wiederhergestellt sei; vgl. Sieglinde HARTMANN, Ein empirischer Beitrag zur Geschichte des Lachens im Mittelalter, S. 121; vgl. dagegen Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 208, der das Lachen m. E. zu Recht als textuelle Inkohärenz auffasst; vgl. ebenso Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 222, Anm. 24; Sebastian COXON, der werlde spot, S. 105, 111, 116, schreibt dem Lachen negative (spöttische) Aspekte zu.

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schlagartig die Art und Weise, wie ihr männlich dominiertes Umfeld ihr entgegentritt: Nicht mehr die demütige Ehefrau ist nun diejenige, die sich in einem devoten Kniefall den Autoritätsinstanzen der patriarchalisch geordneten Welt (Ehemann, Priester) unterwirft, sondern sowohl ihr Mann als auch die Verwandten sollen sich fortan willfährig nach ihren Wünschen richten und sich ihrem Gebot vollständig beugen. Gleichwohl vermag diese Szene letztlich nicht über den Eindruck hinwegzutäuschen, dass ihr Vorhaben zunächst nicht recht ernst genommen und von den Anwesenden vielmehr spöttisch belächelt würde (vgl. z. B. FB 127g, V. 288–291).166 Im Rahmen des Festes, das der Ehemann im Anschluss an die Freilassung zu ihren Ehren ausrichtet, wird sie dementsprechend auch nur als vortreffliche „hûsvrouwe“ (FB 127g, V. 67; 304; vgl. V. 228) wahrgenommen (vgl. FB 127g, V. 294–315), die durch ihre neu gewonnenen „tugenden“ (FB 127g, V. 311) zu einem „biderben wîbe“ (FB 127g, V. 302) geworden zu sein scheint. Doch dies entspricht nicht der Rolle, welche die ehemalige Inkluse ihrerseits einnehmen möchte.167 So propagiert sie ihr missionarisches Vorhaben noch einmal öffentlichkeitswirksam, als sich das Fest dem Ende nähert: Sie stellt sich zu diesem Behufe auf eine Bank (vgl. FB 127g, V. 317) und verkündet aus dieser erhöhten Position heraus wie ein Prediger auf der Kanzel der versammelten Festgemeinde erneut ihre Reue und ihren Dank. Im Anschluss fordert sie die Gäste auf, sie „der werlde“ (FB 127g, V. 334) zu zeigen (vgl. ebd.) und ihr viele übele wîp (vgl. FB 127g, V. 339) zu schicken, damit sie diese bekehren könne (vgl. FB 127g, V. 318–344). Das wird ihr von allen Anwesenden, insbesondere von den „pfaffen“ (FB 127g, V. 351), nur allzu gerne zugestanden (vgl. FB 127g, V. 345–358). So wie in Der Gevatterin Rat (FB 127i) der männlichen Körpergewalt die weibliche Sprachgewalt entgegengesetzt wird, nutzt auch die befreite Ehefrau in der vorliegenden Erzählung nach ihrer Einmauerung die Kraft ihrer Worte, um sich in ihrer männlich dominierten Umwelt neu zu positionieren.168 Mit der symbolträchtigen Geste, von einer Bank herab zu predigen, erobert sie sich einen öffentlichen Sprachraum, der in der mittelalterlichen Gesellschaft normalerweise nur dem männlichen Geschlecht vorbehalten ist.169 Diese weibliche Sprachgewalt spiegelt sich auch in der formalen Gestaltung des Textes, wie anhand der Redeanteile der beiden Protagonisten deutlich wird: Während die direkte Rede im ersten Teil des Textes bis zur Einmauerung der Frau (FB 127g,

166

Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, ebd., S. 208; Jutta EMING, ebd., S. 223; vgl. dagegen Sebastian COXON: „Verlacht werden jene Gäste, die so tun, als ob sie selbst ein übel wîp hätten, und die sich spielerisch […] als Pantoffelhelden charakterisieren.“ (ebd., S. 111). 167 Vgl. Jutta EMING, ebd., S. 222f. 168 Vgl. ähnlich auch Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 151, 158. 169 Vgl. Silke TAMMEN, „Einer Frau gestatte ich nicht, daß sie lehre“, S. 313f. TAMMEN untersucht in ihrem Beitrag die Ikonographie predigender weiblicher Heiligenfiguren, wie sie insbesondere in der spätmittelalterlichen Kunst durchaus präsent waren. – Zur Aneignung von Sprachgewalt in der vorliegenden Verserzählung vgl. zuletzt Maria E. MÜLLER, Böses Blut, S. 156–161.

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V. 1–35) zwischen beiden Ehepartnern nahezu ausgewogen ist170, nimmt die Rede des Mannes während der Phase der Einmauerung (FB 127g, V. 36–234) um die Hälfte ab171, um im letzten Drittel der Erzählung nach Freilassung der Frau (vgl. FB 127, V. 235–395) völlig zu verstummen.172 Und mehr noch: Dem Ehemann wird nicht nur das Wort abgeschnitten, er verschwindet sogar ganz aus dem Blickfeld des Erzählers, der, wie geblendet vom Charisma der Ehefrau, seinen Fokus nur noch auf diese und ihr religiöses Wirken richtet. Ironischerweise erübrigt sich die zivilisatorische Tätigkeit der Ehefrau jedoch, weil sich die neue Nachricht von ihrem Vorhaben wie ein Lauffeuer zu einem „lantmaere“ (FB 127g, V. 359) verdichtet. Es bedarf schließlich gar keiner Bekehrungsmaßnahmen mehr, denn alle Frauen, die sich als „übel wîp“ (FB 127g, V. 375) angesprochen fühlen, geben ihr widerspenstiges Verhalten „vor vorhten“ (FB 127g, V. 385)173 mehr oder weniger freiwillig auf, als sie von der ungemütlichen Einmauerung hören, die ihnen droht. Auf diese Weise kommt es dazu, „daz man niender ein wîp vant / in dem lande, diu übel waere“ (FB 127g, V. 386f.). Auf dieses Fundament gründet sich sodann die Verehrung, die der gezähmten widerspenstigen Ehefrau zeit ihres Lebens zuteil werden soll: durch daz vil guote maere wart diu vrouwe sô genaeme, daz er sich dûhte widerzaeme, der si niht solde schouwen. man hiez si die heiligen vrouwen und suohten si als ein heilictuom. daz grôze lop und den ruom behielt diu vrouwe unz an ir tôt. (FB 127g, V. 388–395)

170

Sechs Versen männlicher (FB 127g, V. 12f., 24, 30–32) stehen sieben Verse weiblicher Rede (FB 127g, V. 25–29; 33–35) entgegen. Ein leichtes Übergewicht gewinnt hier die Frau dadurch, dass sie das letzte Wort behält. 171 Nunmehr stehen exakt der Hälfte, nämlich 26 Versen des Ehemannes (vgl. FB 127g, V. 40–47; 90– 96; 197–200; 228–234), 52 Verse der Ehefrau gegenüber (vgl. FB 127g, V. 131–138; 148–176; 204–218). Das Gewicht verschöbe sich noch mehr, wenn man die Redeanteile des Pfaffen, der als ihr Fürsprecher agiert, zu ihren Gunsten hinzurechnen würde. 172 Die Ehefrau behält ihren dominanten Redeanteil mit 53 Versen indessen ungebrochen bei (vgl. FB 127g, V. 253–265; 270–283; 318–344). 173 Erstmalig hat WAILES diesen zentralen Aspekt hervorgehoben und aufgezeigt, dass die Bekehrung der übel wîp eben nicht durch die Wunderkräfte der Ehefrau hervorgerufen wird; vgl. Stephen L. WAILES, Immurement and Religious Experience in the Stricker’s „Eingemauerte Frau“, S. 97f. – In der gleichen Passage sieht MARGETTS, der die Verserzählung in die Nähe der Frauenerziehung Sibotes (FB 121) rückt, den zentralen Fokus des Textes, indem er die Funktionalisierung von Angst als Erziehungsmittel kritisiere; vgl. John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 226, 229; DERS.; Persona, S. 542. – EMING kritisiert WAILES dahingehend, dass die Bekehrung der Protagonistin und der übelen wîp nicht unterschiedlich motiviert seien; auch die Bekehrung der Ehefrau sei rein pragmatischer Natur, insofern sie ebenfalls aus ihrer Angst resultiere; vgl. Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 224f.

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Im Epimythion wird ihre Wirkungskraft, „übeler wîbe meisterschaft“ (FB 127g, V. 399) zu bannen, ausdrücklich als nachahmenswert begrüßt (vgl. FB 127g, V. 396–400).174 Die Forschung hat erkannt, dass sich die Darstellung der Heiligkeit der Protagonistin inhaltlich wie formal am Vorbild der Legendendichtung orientiert.175 Die Art und Weise der Bezugnahme auf die Hagiographie wurde allerdings ganz unterschiedlich bewertet: Teilweise wurde die vermeintliche Fähigkeit der Ehefrau, widerspenstige Frauen bekehren oder zähmen zu können, als eine besondere Gabe Gottes, die ihr durch ihre eigene religiöse Bekehrung zuteil geworden wäre, ernst genommen und somit der exemplarische Anspruch des Textes betont.176 Auch andere Ansätze, die von einer religiösen Deutung des Textes absehen und das Verhalten der Frau psychologisch mit einer Internalisierung männlicher Wertvorstellungen177 oder auch als Ausdruck männlicher Wunschvorstellungen178 lesen, gehen von der faktischen Unterordnung der Frau unter ihren Ehemann aus und betonen dementsprechend die Exemplarität des Textes im Hinblick auf die Wiederherstellung einer gestörten Ordnungsstruktur. Als Infragestellung gewaltsamer Formen männlicher Herrschaftspraxis wird der Text demgegenüber eher selten verstanden179, eindeutig kommentiert allerdings Irmgard GEPHART die Zerrüttung der ehelichen Ordnung:

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Bekräftigt wird dies durch den Wunsch, „Got mach vns mt gut weib alt“, der in B und E als letztem von zwei Zusatzversen die Erzählung beendet; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker, I, S. 65. 175 Zur Grundlegung des zweiphasigen legendarischen Erzählmodells, in dem einer Phase der Sündhaftigkeit eine Phase der Wundertaten des oder der Heiligen folgt, die durch die Zäsur der göttlichen Bekehrung voneinander geschieden sind, und seiner Variation in der Eingemauerten Frau (FB 127g) vgl. umfassend Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 206–209. 176 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 235f., 317; Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 187. Lediglich den exemplarischen Charakter der Verserzählung betonen überdies Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97, 114; Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 330f.; Dieter VOGT, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling, S. 105f. Schließlich wurde dieser Ansatz der Interpretation noch einmal forciert von Wernfried HOFMEISTER, Rebellion und Integration in Strickers „Eingemauerte Frau“, hier insbesondere S. 72f., 76, sowie von Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 303, die ausführt: „L’épouse désobéissante […] devient, grâce à l’aide de Dieu, une épouse modèle […]“. 177 Vgl. dazu Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 135; des Weiteren Helmut BRALL, Höfische Ideologie und feudale Herrschaftsgewalt, S. 123; Albrecht CLASSEN, Misogyny and the Battle of Genders in the Stricker’s maeren, S. 108f. Insgesamt attestiert CLASSEN den strickerschen Verserzählungen jedoch eine für seine Zeit ungewöhnlich ausgewogene Darstellung des Geschlechterverhältnisses; vgl. ebd., S. 117f. 178 Vgl. Otfrid EHRISMANN, der tîvel brâhte mich ze dir, S. 29; Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 173f. 179 Vgl. John MARGETTS, Ehezwist in deutschen Kurzerzählungen des Mittelalters, S. 229; auf die Darstellung von männlicher Gewalt heben ab, ohne jedoch deren Brandmarkung als Intention des Tex-

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Patriarchale Ordnungsvorstellungen tragen mit diesem Ende also den Sieg davon, wenngleich es die Frau ist, die sich in der Aura des Ruhms sonnen darf. Die sogenannte moralische Botschaft ist von daher, wie so oft beim Stricker, nicht eindeutig. Das Prügeln hat zwar ein Ende gefunden, aber daß sich Mann und Frau nach dieser Kur noch einmal erotisch näherkommen könnten, erscheint absurd. Weniger ein Ideal ehelicher Gemeinschaft als vielmehr Vorstellungen von Entsagung und Separierung besetzen als unsichtbare Mauern den poetischen Raum.180

Auch eine Betrachtung unter dem rein formalen Aspekt seiner Schwankhaftigkeit stellt eher eine Ausnahme dar.181 Am überzeugendsten erscheinen jedoch die polyperspektivischen Lesarten, welche die ironischen Züge des Textes besonders hervorheben, wie ansatzweise bei Stephen L. WAILES182 geschehen, programmatisch in den jüngeren Arbeiten von Mark Lee THAMERT183 formuliert, moderater von Hans-Joachim ZIEGE184 185 186 LER , zuletzt von Jutta EMING , Irmgard GEPHART und Sabine BÖHM, welche Die Eingemauerte Frau (FB 127g) wie den Nackten Boten (FB 127a) als „Texte, die in der scheinbar klaren Auslegung aufbrechen und mehr als eine Sichtweise vor Augen führen“187, charakterisiert. Dies hat sicher umso mehr für das mittelalterliche Publikum gegolten, dem sich die Erzählung in Abhängigkeit von der jeweiligen Aufführungssituation und den je spezifischen Erkenntnisinteressen der Rezipientinnen und Rezipienten in unterschiedlicher Weise dargeboten haben muss, wie THAMERT klar ausgeführt hat: Since the narrator does not assume the task of relating the various viewpoints and moments of ideality that are presented in the work, the thirteenth-century listener […] becomes the agent who must combine all the elements in the Stricker text.188

Deutlich wird die Ambivalenz der Erzählung insbesondere hinsichtlich der Schlusspassage. Im letzten Teil der narratio, die mit dem Austritt der Frau aus ihrem gaden an-

tes zu benennen: Elisabeth LIENERT, Gender, Gewalt und mittelalterliche Literatur, S. 55; Walter HAUG, Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten, S. 13f., 23f. 180 Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 170. GEPHART liest den Text aus einer psychoanalytischen Perspektive als Darstellung des Umwandlungsprozesses des Menschen in seiner Eigenschaft als Triebwesen in ein soziales Wesen: „Es geht um destruktive Affekte und ihre Regulation durch Zwang, um die personale Aneignung normativer Vorgaben und ihre Verinnerlichung und um die Gewinnung eines gemeinschaftlichen Vorbilds.“ (ebd., S. 180f.). 181 Vgl. Jean-Marc PASTRÉ, La distinction des styles, S. 192; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 73. 182 Vgl. Stephen L. WAILES, Immurement and Religious Experience in the Stricker’s „Eingemauerte Frau“, S. 99f. 183 Vgl. Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, hier insbesondere S. 150–152, 158– 165. 184 Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 207–209. 185 Vgl. Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 227. 186 Vgl. Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 170, 180f. 187 Sabine BÖHM, Der Stricker, S. 128; vgl. ebd. und Anm. 371 und 372; vgl. ähnlich auch Otfrid EHRISMANN (Hrsg.), Der Stricker, S. 263. 188 Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 164.

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hebt, liegt ein nicht unerhebliches Maß an Ironie verborgen. Zwar soll nicht bezweifelt werden, dass die Ehefrau der Darstellung gemäß tatsächlich einen Gesinnungswandel vollzieht und so den Zwängen, die aus der Situation ihrer Einmauerung resultieren, auf der Handlungsebene Rechnung getragen wird. Der Verlust ihrer sozialen Identität189 als Ehefrau eines höfischen Ritters verhilft ihr jedoch dazu, eine neue Identität auszubilden, die ihr den Brückenschlag ermöglicht, einen zugleich gesellschaftskonformen und doch selbstgesteuerten Lebensentwurf zu entwickeln. Denn wie wir zeigen konnten, ist sie weit davon entfernt, sich mit der Rolle einer gehorsamen Ehefrau zu begnügen, indem sie sich zu einer Heiligen stilisieren lässt bzw. sich selbst zu einer Heiligen stilisiert. Dass es sich bei dem merkwürdigen Prozess der Heiligsprechung im Wesentlichen um eine sich wechselseitig beeinflussende Mischung aus Selbstinszenierung und Zuschreibung durch ihr Umfeld handelt, hat Stephen WAILES plausibel dargelegt190: Denn zum einen nimmt die falsche Heilige eine Fähigkeit in Anspruch, die für ihre eigene Bekehrung, die ja als Eingriff des Heiligen Geistes in den Bereich des Numinosen gerückt wird, keineswegs ausschlaggebend ist.191 Zum anderen ist es schließlich gerade nicht ihre religiöse Aura, sondern einzig das „lantmaere“ (FB 127g, V. 359) und die daraus resultierende Angst, die für die ,Bekehrung‘ weiterer Frauen verantwortlich zeichnet.192 Anders als WAILES, der hieraus den Schluss zieht, dass der zweite Teil der Verserzählung im Sinne eines Negativexempels vornehmlich darauf abziele, götzendienerische Fehlformen zeitgenössischer Heiligenverehrung, wie sie teilweise im Umfeld der Inklusen entstanden sind, sozialkritisch anzuprangern193, möchte ich den Schwerpunkt für das Verständnis des Textes eher auf die Profilierung der weiblichen Protagonistin und das Spiel der Verserzählung mit geschlechtsspezifischen Verhaltenskodizes legen, wie dies bereits THAMERT194 und zuletzt EMING195 versucht haben. Jutta EMING hat den zentralen Vorgang der Verserzählung in meinen Augen treffend als Figur einer „Subversion through Affirmation“196 bezeichnet: 189

Vgl. Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 135. Vgl. Stephen L. WAILES, Immurement and Religious Experience in the Stricker’s „Eingemauerte Frau“, S. 96–99. Erstmalig ist von WIERSCHIN auf die ironischen Züge dieser Passagen hingewiesen worden; vgl. Martin WIERSCHIN, Einfache Formen beim Stricker?, S. 129. 191 Vgl. Stephen L. WAILES, ebd., S. 96f. 192 Vgl. Hedda RAGOTZKY, Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, S. 135f.; Walter HAUG, Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten, S. 13f., 23f., allerdings kritisch gegen RAGOTZKYS Gesamtverständnis argumentierend. 193 Vgl. Stephen L. WAILES, Immurement and Religious Experience in the Stricker’s „Eingemauerte Frau“, S. 97–102; DERS., Studien zur Kleindichtung des Stricker, S. 234. Eine andere Akzentuierung findet sich bei EMING, wenn sie religiösen Pragmatismus als mögliche Zielscheibe der Kritik anführt; Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 226. 194 Vgl. z. B. Mark Lee THAMERT, The Medieval Novellistic Maere, S. 146–149. 195 EMING geht in ihrer Arbeit nicht auf die differenzierte Lesart des Textes von THAMERT ein; vgl. Jutta EMING, Subversion through Affirmation in the Stricker’s Eingemauerte Frau, S. 215. 196 So lautet der Titel ihres Aufsatzes; Jutta EMING, ebd., S. 213, 226, 228. 190

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She wins her freedom by affirming her status as a sinner and as a wife obliged to obedience. But in this very affirmation lies a route to renewed dominance. She ,submittedʻ so totally and so radically, that she crossed over the line into subversion. Since she is now a saint who converts other women to virtuous ways, it is no longer possible for her husband to oppress her.197

Die Idealvorstellungen, die an ihre neue Identität als „heilic wîp“ (FB 127g, V. 285) geknüpft sind, macht sich die Frau dabei gleichsam zu eigen und gewinnt so neue Freiheiten und Handlungsspielräume.198 Wenn die Ehefrau die Zähmungsmaßnahmen ihres Mannes gleichsam über Gebühr erfüllt, so gleicht sie in gewisser Hinsicht der „emblematischen Figur“199 der körperfeindlichen Hysterikerin, die seit der feministisch inspirierten Literaturtheorie der achtziger und neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts einen prominenten Bezugspunkt für unterschiedliche Theorieansätze bietet200: Die Hysterikerin wiederholt in überzogener Weise das, was ihr angetan wird. Man ,lähmtʻ sie, und sie antwortet mit einer Lähmung, man bringt ihre Wünsche zum Schweigen, und sie verliert die Sprache oder Stimme […] Sie hält ihrer Umgebung damit einen Spiegel vor; aber ihr Protest bleibt der Instanz, gegen die sie protestiert, hoffnungslos verhaftet. Das hysterische Leiden entspringt einer Unfähigkeit, sich in die weibliche Rolle einzufügen und ist zugleich eine Übererfüllung dieser Rolle. Es ist eine unfreiwillige Parodie, eine Karikatur der ,normalenʻ weiblichen Existenz. Sie läßt das Künstliche, Gewaltsame, Krankhafte der weiblichen Rollenzuweisung sichtbar werden, das die patriarchalische Ordnung hinter dem Anschein von Natur zu verbergen trachtet.201

197

Ebd., S. 223f. Allerdings scheint es widersprüchlich, wenn sich EMING in einer Fußnote dahingehend absichert, dass es wohl nicht der Intention des Strickers entsprochen habe, die Position der Ehefrau zu verteidigen oder gar die Rechte der Frau zu unterstützen; vgl. ebd., S. 226, Anm. 29. EMING müsste so zumindest erläutern, in welcher Hinsicht sie von einem subversiven Charakter des Textes ausgeht. – Kritisch wendet sich gegen EMINGS Interpretation Klaus GRUBMÜLLER, Warum wir das Interpretieren nicht lassen können, S. 125f.; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 84, Anm. 29; in Ansätzen auch Irmgard GEPHART, Das Gehäuse des Selbstzwangs, S. 171, Anm. 5. 198 In vergleichbarer Weise ermöglicht eine ,Heiligung‘ im weitesten Sinne auch in drei anderen Verserzählungen des Strickers eine punktuelle Erweiterung der Handlungsspielräume der Protagonisten, und zwar in der Martinsnacht (FB 127m) – wie bereits gesehen –, im Durstigen Einsiedel (FB 127e), wenn sich ein „luoderaere“ (FB 127e, V. 1), nachdem er sein gesamtes Hab’ und Gut vertan hat (vgl. FB 127e, V. 3–8), dazu entschließt, ein „riusaere“ (FB 127e, V. 60) und Einsiedler zu werden, was letztlich dazu führt, dass er zumindest zeitweilig doch wieder seiner Trunksucht frönen kann. Im Erzwungenen Gelübde (FB 127h) schließlich erreicht eine Ehefrau durch die Aufforderung, dass sie und ihr Ehemann sich in ein Kloster begeben sollten (FB 127h, V. 135–148), nicht nur, dass ihr Mann von dem zuvor geäußerten Gebot, dass sie nach seinem Tod keinen anderen Mann mehr nehmen möge (vgl. FB 127h, V. 2–10), Abstand gewinnt, sondern erstreitet darüber hinaus, dass sie sich sogar zu Lebzeiten einen Liebhaber nehmen darf (vgl. FB 127h, V. 206–219). 199 Lena LINDHOFF, Einführung in die feministische Literaturtheorie, S. 138. 200 Vgl. übergreifend ebd., S. 138–158. 201 Ebd., S. 143.

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Im Rahmen dieses – sicherlich nicht unproblematischen202 und nicht zur Gänze auf die mittelalterliche Gesellschaft übertragbaren – Interpretaments ließe sich die übersteigerte Selbstinszenierung der eingemauerten Frau zur Heiligen auf ihre eingeschränkten Handlungsspielräume zurückführen und so als Verweigerungshaltung gegenüber den patriarchalen Zwängen lesen, denen sie in ihrer Ehe ausgesetzt ist. Allerdings sind es hier weniger körperliche, sondern eher ,seelische‘ Symptome, in denen ihre Verweigerungshaltung zum Ausdruck gelangt. Indem sich die Protagonistin unmittelbar in den Dienst Gottes203 stellt und somit fingiert, von einem weltlichen in einen geistlichen Stand überzuwechseln, erringt sie – ganz anders als die junge Frau im Guardian (FB 48) – einen unantastbaren Status, der sie als unberührbare Inkluse bzw. Heilige der Verfügungsgewalt ihres Mannes weitgehend entzieht. Ebenso wie in Der Gevatterin Rat (FB 127i) steht damit auch in dieser strickerschen Verserzählung am Ende keineswegs die Wiederherstellung der ehelichen Geschlechterordnung mit einer Durchsetzung des männlichen Herrschaftsanspruchs, wie von der Forschung in der Vergangenheit einhellig angenommen. Ist die Grundlage dafür in Der Gevatterin Rat (FB 127i) eine Stilisierung einer gebûrinne zu einer ständisch höhergestellten vrouwen nach höfisch-literarischem Vorbild, so bietet in der Eingemauerten Frau (FB 127g) die Inszenierung eines adligen wîbes als heilige vrouwe die Möglichkeit, den normativen Horizont der hausfräulichen Rolle zu überschreiten. Bei beiden Statuswechseln spielt der Aspekt der Jungfräulichkeit i. w. S. als mobilisierender Faktor eine zentrale Rolle – in Der Gevatterin Rat (FB 127i) trägt diese Idee dazu bei, die sexuelle Attraktivität der Ehefrau für ihren Ehemann zu steigern und eine erneute Annäherung der Ehepartner zu ermöglichen, in der Eingemauerten Frau (FB 127g) erlaubt die Keuschheit als charakteristische Eigenschaft einer Frau, die sich einem religiösen Lebenswandel verschreibt und dem irdischen Leben weitgehend entzieht, sich von den körperlichen Zugriffen des Ehemannes zu befreien. In beiden Fällen sind es insofern weniger handgreifliche gesellschaftliche Veränderungen, die eine Überschreitung sozialer Grenzen ermöglichen und infolgedessen auch eine Neuordnung der Geschlechterhierarchie bewirken; sie sind vielmehr dadurch bedingt, dass sich die Protagonistinnen imaginäre Weiblichkeitsmodelle aneignen und diese für eine neue Lebensgestaltung nutzbar machen. Aufgrund dessen lässt sich diese Form der Mobilität, die als charakteristisches Signum der strickerschen Verserzählungen angesehen werden kann, auch als virtuelle Mobilität bezeichnen. Wie wir zeigen konnten, handelt es sich dabei um die einzige Möglichkeit weiblicher Bewegungsfreiheit in der mittelhochdeutschen Verserzählung, welche die Geschlechterordnung in ihren hierarchischen Strukturen nachhaltig zu beeinflussen vermag.

202 203

Vgl. kritisch etwa Jutta OSINSKI, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 164. Zum Gottesbild des Textes vgl., vom methodischen Ansatz her nur bedingt überzeugend, neuerdings Silvan WAGNER, Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters, S. 341–369.

Geschlecht und Ökonomie

225

3.2 Geschlecht und Ökonomie Bei der Ausgestaltung des sozialen Bezugsrahmens, in den die symbolische Geschlechterordnung in der fiktionalen Welt der mittelhochdeutschen Verserzählung eingebettet ist, sind neben gesellschaftsprägenden Faktoren wie etwa der Standes- oder Generationszugehörigkeit ökonomische Aspekte i. w. S. von herausgehobener Bedeutung. Diese werden in den Texten insbesondere in den literarischen Motiven von Geld und Gabe konkret greifbar. Insofern die Interaktionsformen des Gabentausches sowie des Geldhandels in jeder Kultur grundlegend zur Konstitution sozialer Beziehungsgefüge beitragen, haben sie zwangsläufig auch einen entscheidenden Anteil an der Konfiguration der Geschlechterbeziehung. Beispielhaft soll so im Folgenden der diskursive Einfluss, den Geld und Gabe auf die poetische Entfaltung des Geschlechterverhältnisses in der mittelhochdeutschen Verserzählung ausüben, anhand exemplarischer Textanalysen ausgelotet werden.204 Werden in der höfischen Literatur um 1200 – in einer Zeit, in der zwischen ,Gabe‘, ,Geschenk‘, ,Kauf‘ oder ,Tausch‘ unserem heutigen Verständnis entsprechend noch kaum hinlänglich unterschieden wurde205 – ökonomische Gesichtspunkte allenfalls am Rande behandelt, kommen sie tatsächlich im größten Teil der spätmittelalterlichen Verserzählungen, und dies in auffälliger Häufung, unmittelbar oder zumindest mittelbar zur Sprache.206 So erlangen materielle Grundlagen beispielsweise Relevanz im Rahmen

204

Die Ergebnisse des vorliegenden Kapitels 3.2 sind von mir in Teilen bereits als Aufsatz veröffentlicht worden: vgl. Andrea SCHALLENBERG, Gabe, Geld und gender. Textliche bzw. inhaltliche Übernahmen betreffen insbesondere folgende Teilkapitel: Einleitung (Kap. 3.2), „Liebesgaben“ (Kap. 3.2.1), „,Das Almosen‘ (FB 3)“ (Kap. 3.2.1.a), „Heinrich Kaufringer: ,Der Zehnte von der Minne‘ (FB 67n)“ (Kap. 3.2.1.b), „Käufliche ,Liebe‘“ (Kap. 3.2.2), „,Kaiser Lucius’ Tochter‘ (FB 66)“ (Kap. 3.2.2.c). – Noch nicht zugänglich war mir zum Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit die Dissertation von Susanne REICHLIN, Ökonomien des Begehrens, Ökonomien des Erzählens. 205 Vgl. Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 14; Hermann KAMP, Geld, Politik und Moral im hohen Mittelalter, S. 335f. Der im Folgenden noch öfter zitierte Aufsatz von KAMP ist in gekürzter Fassung ein zweites Mal publiziert worden, vgl. Hermann KAMP, Gutes Geld und böses Geld; auf diesen werde ich mich im Weiteren nicht mehr beziehen. 206 Zur Geldmotivik – einem in der Neugermanistik überaus präsenten Thema – liegen für die mittelhochdeutsche Literatur bislang erst wenige Beiträge vor; vgl. Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters [2006], hier S. 456–473; übergreifend auch Albrecht CLASSEN, The Role of Wealth and Money in Medieval and Late-Medieval German Literature [2000]; Albrecht CLASSEN geht bezüglich der Verserzählungen nur auf den Moriz von Craûn (FB 87) ein, unterstreicht jedoch die zunehmende Bedeutung der Geldthematik in der Literatur des Spätmittelalters; vgl. ebd., S. 428; vgl. außerdem den allgemeinen Überblick von Dieter KARTSCHOKE, Regina pecunia, dominus nummus, her phenninc [2005]. – Zur Geldmotivik in einzelnen mittelhochdeutschen Verserzählungen vgl. ferner Hans-Joachim ZIEGELER, Geld, Liebe und Verstand [1987], zu Hermann Fressants Der Hellerwertwitz (FB 40); Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer [1996]; André SCHNYDER,

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der Thematisierung von Armut und Reichtum207, Quacksalberei208, Diebstahl209, der Entlohnung von Dienstboten210 oder auch nur aufgrund der Situierung des Personals in einem kaufmännischen Milieu.211 Hansjürgen LINKE verweist in diesem Sinne darauf, dass sich das Geld aufgrund seines ,neutralen‘ Charakters in vielfältiger Weise für das literarische Erzählen funktionalisieren lasse212; für die mittelhochdeutschen Verserzählungen weist er eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten nach, in welchen sich seiner Auffassung nach der ökonomische Wandel der Zeit spiegele213: So könne Geld bzw. materieller Besitz etwa  eine ökonomische Inkongruenz in der Ehe begründen,  die ökonomische Basis für die allgemeine, insbesondere aber die ritterliche Lebensführung bilden,  unstandesgemäße Ehen motivieren,  die Grundlage von Verschwendungssucht darstellen,  bei Mangel zu Armut und damit zu sozialer Ächtung bis hin zum Ehehindernis und der Abkehr der Familie führen,  Mittel umsichtigen und besonnenen Handelns sein,  zum Erreichen von Zielen (u. a. Sexualität, ständischer Konsolidierung) instrumentalisiert werden, u. U. auch in Form von Korruption und Betrug,  als Gegenwert für das Erbringen bestimmter Leistungen genutzt werden, ggf. auch im Sinne einer Belohnung oder Bestrafung, Abenteuer, Liebe, Geld [1997], zu Heinrich Kaufringers Der zurückgegebene Minnelohn (FB 67g); Sonja ZÖLLER, Triuwe gegen Kredit [1997], zur Rittertreue (FB 142). – Zum Thema ,Geld im Mittelalter‘ allgemein vgl. den Sammelband von Klaus GRUBMÜLLER / Markus STOCK (Hrsg.), Geld im Mittelalter [2005], hierin insbesondere die Einleitung von Klaus GRUBMÜLLER, Geld im Mittelalter; zur Terminologie des Wortes ,Geld‘ im Mittelhochdeutschen vgl. ebd. Markus STOCK, Von der Vergeltung zur Münze. 207 Vgl. hierzu insbesondere die beiden strickerschen Verserzählungen Der arme und der reiche König (FB 127l) sowie Die drei Wünsche (FB 127p), darüber hinaus Die Rosshaut von Heinrich dem Teichner (FB 57). 208 Vgl. Der Quacksalber (FB 30o) und Die Wahrsagebeeren (FB 30r) von Hans Folz. 209 Vgl. Der Dieb von Brügge (FB 23), von Hans Folz Der Kuhdieb (FB 30k) sowie Der Schinkendieb als Teufel (FB 30p), Bürgermeister und Königssohn von Heinrich Kaufringer (FB 67b), Der gestohlene Schinken (FB 110), von Hans Schneider Dieb und Henker (FB 115). 210 Vgl. Das schlaue Gretlein (FB 47), Knecht Heinrich (FB 69) und das Fragment Probra mulierum (FB 150h). 211 So etwa in den Verserzählungen Die Bärenjagd (FB 9), Die Frau des Seekaufmanns (FB 34), in Hermann Fressants Der Hellerwertwitz (FB 40), Die bestrafte Kaufmannsfrau von Hans Meißner (FB 83), Die Treueprobe von Ruprecht von Würzburg (FB 108), in den beiden Versionen des Schneekindes (A: FB 113; B: FB 114), in der strickerschen Erzählung Edelmann und Pferdehändler (FB 127b) sowie in Jörg Zobels Fauler Frau (FB 147a). 212 Vgl. Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters, S. 470, 473. 213 Vgl. ebd., S. 458, 463.

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 durch Handel o. ä. erwirtschaftet werden, ggf. auch durch Aufnahme eines Kredits,  als Schmerzensgeld oder Pfand dienen,  durch die Nennung eines bestimmten Betrages einen Maßstab für die moralische und ideelle Qualifikation einer Handlung abgeben. Die auch in dieser Zusammenstellung deutlich werdenden thematische Virulenz ökonomischer Fragen im Texttyp der Verserzählung ist aus historischer Sicht nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass sich – zeitlich in etwa parallel zum Beginn seiner literaturgeschichtlichen Entfaltung – zwischen der Mitte des 11. und dem Ende des 13. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum wie andernorts in Europa gänzlich neuartige Wirtschaftsstrukturen etablierten. Grundlegend hierfür waren die Ablösung der Naturalwirtschaft, die noch auf dem Prinzip des Gütertausches basierte, durch den marktwirtschaftlich orientierten Geldhandel sowie der allmähliche Übergang von einer Subsistenz- zu einer Profitwirtschaft.214 Die Ausbreitung des Geldwesens wirkte sich aber nicht nur auf die wirtschaftlichen Gepflogenheiten aus, sondern beeinflusste desgleichen Politik, Gesellschaft und Selbstverständnis des spätmittelalterlichen Menschen in nachhaltiger Weise.215 Entscheidend ist bei diesem Wandlungsprozess, dass das personale Moment in ökonomischen Tauschbeziehungen in den Hintergrund tritt und sich nunmehr jedes Individuum – gleich welcher Herkunft, Geschlechts- oder Standeszugehörigkeit – solange es nur über Geld verfügt, in den Zirkulationsprozess des allgemeinen Warentausches einzubringen vermag, der nach Maßgabe des abstrakten Tauschwertprinzips funktioniert. Es handelt sich bei dieser Umbruchszeit mithin um eben jene historische Epoche, in der sich die Grundlagen zur Profilierung des homo oeconomicus, wie ihn Max WEBER als typischen Charakter der Neuzeit herausgearbeitet hat, zumindest in Ansätzen zu entfalten beginnen.216 Der materiell fundierte und im spätmittelalterlichen Wirtschaftssystem verankerte Diskurs des Geldes verquickt sich in den mittelhochdeutschen Verserzählungen indes mit einem fundamentaleren Diskurs der Gabe, der als anthropologisches Faktum erstmalig im französischen Denken des 20. Jahrhunderts theoretisiert wurde. Es ist hier nicht der Ort, diese vielgestaltige Forschungsdiskussion im Einzelnen nachzuzeichnen217; nichtsdestotrotz sei kurz auf die beiden wichtigsten Positionen hingewiesen, die heute Anfang und (vorläufiges) Ende dieser Debatte markieren. Zunächst ist es den Einsichten des Ethnologen Marcel MAUSS, die er in seinem „Essai sur le don“ (1923/24)218 niedergeschrieben hat, zu danken, dass die Gabe als eine 214

Vgl. Hermann KAMP, Geld, Politik und Moral im hohen Mittelalter, S. 329; Klaus GRUBMÜLLER, Geld im Mittelalter, S. 9, 11. 215 Vgl. Hermann KAMP, ebd., S. 329–334. 216 Vgl. zur literarischen Etablierung dieses Typus die Studie von Joseph VOGL, Kalkül und Leidenschaft. 217 Eine Darstellung der französischen Diskussion bietet Ulla HASELSTEIN, Poetik der Gabe. 218 Vgl. in der deutschsprachigen Ausgabe Marcel MAUSS, Die Gabe.

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grundlegende menschliche Kommunikationsform überhaupt in den Blick der modernen Kulturanthropologie gerückt ist. Auch wenn der Ansatz von MAUSS in seinen einzelnen Prämissen, Detailanalysen und Schlussfolgerungen heute zunehmend skeptisch betrachtet werden mag219, so kommt dem Ethnologen dennoch das Verdienst zu, durch seine Grundlagenforschung das vielschichtige kulturhistorische Phänomen der Gabe ins Blickfeld der heutigen kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschung gerückt zu haben.220 Etwa seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigt sich in dieser Tradition auch die Mediävistik zunehmend ausführlicher mit diesem vielschichtigen Themenkomplex221, wobei nicht immer klar zwischen Konzepten von Gabe unterschiedlicher Genese geschieden wird. Zuletzt hat Jacques DERRIDA in „Donner le temps I: La fausse monnaie“ (1991)222 die paradoxale Grundstruktur der Gabe neu vermessen; er beschreibt die unmögliche Struktur der im Prinzip unverfügbaren Gabe, die sich in dem Moment selbst aufhebe, in

219

Einen kritischen Überblick hierzu bieten Klaus-Peter KÖPPING, Gabe; Maurice GODELIER, Das Rätsel der Gabe. – Aus Sicht der gender-Forschung hat nachfolgend die Studie „Les structures élémentaires de la parenté“ (1949) von Claude LÉVI-STRAUSS eine besondere Bedeutung erlangt, die an die Erkenntnisse von Marcel MAUSS anknüpft. Er beschreibt hierin den Frauentausch als wesentliches Konstituens männlich dominierter sozialer Beziehungssysteme in exogamen Kulturen; vgl. in deutscher Übersetzung Claude LÉVI-STRAUSS, Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft. 220 Inzwischen ist eine Fülle von Studien zu diesem Thema in nahezu allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen veröffentlicht worden. Beispielhaft sei an dieser Stelle nur auf die soziologische Monographie von Helmuth BERKING, Schenken [1996], hingewiesen, den ethnologischen Sammelband von Gert DRESSEL / Gudrun HOPF (Hrsg.), Von Geschenken und anderen Gaben [2000], sowie den interdisziplinären Sammelband von Mark OSTEEN (Hrsg.), The Question of the Gift [2002]. Einen umfassenden und aktuellen Forschungsüberblick in interdisziplinärer Perspektive, jedoch von einem mediävistischen Standpunkt ausgehend, bietet Jan HIRSCHBIEGEL, Étrennes [2003], S. 9–21. 221 Vgl. hierzu den – an der angloamerikanischen Mediävistik ausgerichteten – geschichtswissenschaftlichen Forschungsbericht zum Gabentausch von Arnoud-Jan A. BIJSTERVELD, The Medieval Gift as Agent of Social Bonding and Political Power [2001], S. 123–156. Ergänzend wäre hier auf die früheren Arbeiten aus der deutschsprachigen Mediävistik von Richard M. MEYER, Zur Geschichte des Schenkens [1898], und später Jürgen HANNIG, Ars donandi [1988], hinzuweisen; vgl. aus jüngster Zeit die Studien von Jan HIRSCHBIEGEL, Gabentausch als soziales System? [1997]; Benjamin SCHELLER, Rituelles Schenken an Höfen der Ottonenzeit [1997]; Petra EHM, Der reisende Hof und die Gabe [1997]; Ulf Christian EWERT / Jan HIRSCHBIEGEL, Gabe und Gegengabe [2000]; Valentin GROEBNER, Gefährliche Geschenke [2000]; Hermann KAMP, Geld, Politik und Moral im hohen Mittelalter [2001]; Jan HIRSCHBIEGEL, Étrennes [2003]; Gadi ALGAZI / Valentin GROEBNER / Bernhard JUSSEN (Hrsg.), Negotiating the Gift [2003]. – Zur Geschichte des Gabenbegriffs im Mittelalter vgl. ferner Gabriele VON OLBERG, Gebe, gift, gabe [1986]; sie zeigt auf, dass sich erst mit dem Ausgang des Mittelalters die Verben nhd. tauschen (aus mhd. tiuschen) und mhd. / nhd. handeln in seiner heutigen Bedeutung herausbildeten, wohingegen in früherer Zeit mhd. geben und mhd. koufen die entsprechenden Vorgänge bezeichneten; vgl. ebd., S. 633–638. 222 Vgl. wiederum in deutscher Übersetzung Jacques DERRIDA, Falschgeld; weiterführend DERS., Wenn es Gabe gibt.

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dem sie als Gabe in Erscheinung trete: „Jedesmal, wenn es eine Rückgabe oder Gegengabe gibt, wird die Gabe annulliert.“223 Mit dieser Aussage bezieht er sich kritisch auf die Verknüpfung von Gabenbegriff und Reziprozitätsprinzip bei Marcel MAUSS: „Gabe, wenn es sie gibt, gibt es nur in dem, was das System unterbricht und das Symbol zerbricht, in einem rückkehrlosen Aufbruch“224. Im Moment des zeitlichen Aufschubs allein, der sich zwischen Gabe und Gegengabe einstelle, könne das System der allgemeinen Zirkulation für einen kurzen Moment durchbrochen werden.225 Von diesem Standpunkt aus muss es einleuchten, dass DERRIDA der ,Gaben‘-Theorie von MAUSS zum Vorwurf macht, dass sie gar nicht von der Gabe im eigentlichen Sinne handele, sondern lediglich „von der Ökonomie, dem Tausch und dem Vertrag (do, ut des)“226. Um vor diesem weitreichenden theoretischen Hintergrund eine handhabbare Interpretationsfolie für das in Rede stehende Textkorpus der mittelhochdeutschen Verserzählung zu entwickeln, bleibt vorab zu klären, in welcher Weise sich der Gabendiskurs speziell in der mittelalterlichen Kultur und Literatur manifestiert, wobei der Geldhandel, der ja nur eine spezifische Form des Gebens und Nehmens repräsentiert, hier vereinfachend als monetär geprägte Subspezies des Gabendiskurses angesehen werden soll.227 Für die ausstehenden Erläuterungen, in denen vier unterschiedliche Formen des Gabendiskurses herausgearbeitet werden, kann eine zeitgenössische Definition des Schenkens als Ausgangs- und Verständigungsbasis dienen: Schenken, verstanden als reziproker und nicht-agonaler sozialer Tausch, ist eines der fundamentalen Prinzipien sozialer Kohäsion und eine anthropologische Konstante, die ihre individu-

223

DERS., Falschgeld, S. 23. Ebd., S. 24. 225 Vgl. z. B. ebd., S. 58f. 226 Ebd., S. 37. 227 Wie zur Geldmotivik liegen auch zur Gabenthematik in der mittelhochdeutschen Literatur bislang erst relativ wenige Studien vor, die zumeist einen speziellen Schwerpunkt haben; vgl. Margrit DÉSILLES-BUSCH: Doner un don – sicherheit nehmen [1970]; Walter MERSMANN, Der Besitzwechsel [1971]; Hedda RAGOTZKY, Die kunst der milte [1980]; Harald HAFERLAND, Höfische Interaktion [1989]; Elisabeth SCHMID, Obilot als Frauengeber [1991]; Irmgard GEPHART, Geben und Nehmen im „Nibelungenlied“ und in Wolframs von Eschenbach „Parzival“ [1994]; Ulrich FÜLLEBORN, Besitzen als besäße man nicht [1995], S. 59–77, 324; Günter SCHOPF, Fest und Geschenk in mittelhochdeutscher Epik [1996]; Otfrid EHRISMANN, Überlegungen zur Gabe im Nibelungenlied [1998]; Jan-Dirk MÜLLER, Spielregeln für den Untergang [1998], S. 348–360; Beate KELLNER / Peter STROHSCHNEIDER, Die Geltung des Sanges [1998]; Marion OSWALD, ,Kunst um jeden Preis‘ [2001]; DIES., Gabe und Gewalt [2004]; Josephine DRILLER, „O du gießender Gott in deiner Gabe!“ [2005]; Berenike KRAUSE, Die milte-Thematik in der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung [2005]. – Zur mittelhochdeutschen Verserzählung vgl. bis dato lediglich Werner RÖCKE, schade und market [1988] (zum Moriz von Craûn (FB 87), zum Feigen Ehemann (FB 67d) von Heinrich Kaufringer und Niemands Drei Mönchen von Kolmar (FB 92)); Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie [2006], insbesondere S. 61–75; Siobhán Catherine GROITL, Er ist ze milte, sie ist ze karc [2006], zu Heinrich Kaufringers Suche nach dem glücklichen Ehepaar (FB 67m). 224

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ellen Kennzeichen nach Profil und Inhalt in Entsprechung zu den jeweils herrschenden historisch-sozialen Rahmenbedingungen gewinnt.228

Für das früh- und hochmittelalterliche feudal organisierte Gesellschaftssystem hat die historische Forschung in diesem Sinne konstatiert, dass es in seinen Grundzügen durch das archaische Prinzip der reziproken Schenkung, d. h. einen zielgerichteten Güteraustausch, organisiert ist, dessen Funktionsweise und Ubiquität Marcel MAUSS in seiner ethnologischen Abhandlung über die Gabe in Bezug auf den Gabentausch in traditionalen Gesellschaften theoretisiert hat229: Als fait social total präge das Prinzip des reziproken Gabentausches, dem zufolge eine Gabe ihren Empfänger verpflichte und stets eine Gegengabe fordere, das gesamte soziale Leben traditionaler Systeme. Im Unterschied zum vornehmlich neuzeitlichen Verständnis des ,Geschenks‘, wie es oben expliziert ist, beinhaltet die Gabe nach MAUSS ein agonales Moment, das in der wechselseitigen Überflügelung beim Gabenaustausch greifbar wird. Dieser archaische Gabendiskurs lässt sich für das feudale Mittelalter mit römischen, christlichen, vor allem aber mit germanischen Rechtsvorstellungen in Verbindung bringen230 und bestimmt neben dem rechtlichen Diskurs politische, soziale, ökonomische und religiöse Beziehungen in gleicher Weise.231 Nur auf einige wenige signifikante Beispiele sei an dieser Stelle hingewiesen:  Eine besondere Bedeutung kommt der Gabe für die politische und juristische Organisation des Gemeinwesens zu, das nicht, wie in der Neuzeit, durch einen institutionalisierten Staat, sondern durch das labile Gefüge eines Personenverbandes getragen wird. Im Rahmen einer solchen Formation werden sowohl familiale als auch herrschaftliche Bindungen durch wechselseitige Gaben und Geschenke gestiftet bzw. konsolidiert.232 228

Ulf Christian EWERT / Jan HIRSCHBIEGEL, Gabe und Gegengabe, S. 5. Vgl. zum feudalen Gabendiskurs im deutschen Mittelalter und seinen reziproken Strukturen grundlegend Jürgen HANNIG, Ars donandi. Vgl. ferner neben Marcel MAUSS, Die Gabe, sowie aus jüngerer soziologischer Sicht Helmuth BERKING, Schenken, S. 63–91, die Publikationen von Irmgard GEPHART, Geben und Nehmen im „Nibelungenlied“ und in Wolframs von Eschenbach „Parzival“, S. 8–14; Ulrich FÜLLEBORN, Besitzen als besäße man nicht, S. 66, 69; Werner WUNDERLICH, [Art.] Gabe, Sp. 626f.; I[ngo] SCHNEIDER, [Art.] Gabe; Arnoud-Jan A. BIJSTERVELD, The Medieval Gift as Agent of Social Bonding and Political Power, S. 124–126 (zur Applizierung dieses Theorems in der – vornehmlich angloamerikanischen – Geschichtswissenschaft vgl. ebd., S. 126–137); Ulf Christian EWERT / Jan HIRSCHBIEGEL, Gabe und Gegengabe, S. 12f.; Hermann KAMP, Geld, Politik und Moral im hohen Mittelalter, S. 333. 230 Vgl. Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 13f. 231 Vgl. insbesondere ebd., S. 13–17. 232 Vgl. ebd., S. 17. – Im Früh- und Hochmittelalter bediente sich die politische Führungsschicht zwar schon monetärer Transferleistungen; dieser Geldverkehr erstreckte sich jedoch ausschließlich auf „Feinde, Fremde, Übeltäter oder Personen minderen Ranges, von denen man Geld nahm oder denen man es gab“ (Hermann KAMP, Geld, Politik und Moral im hohen Mittelalter, S. 333) und schloss die Anbahnung sozialer Beziehungen nahezu aus. Mit vertrauten Personen interagierte man 229

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 Entsprechend basieren Grundherrschaft und Lehnswesen auf der wechselseitigen Vergabung von Land und herrschaftlichem Schutz, von Abgaben sowie der Bereitschaft zu consilium et auxilium.233  Der rituelle Austausch von Geschenken, etwa bei Herrschertreffen, bildet eine wesentliche Grundlage der mittelalterlichen Diplomatie – die souveräne Beherrschung politischer Interaktionsstrategien zur Konfliktbeilegung und Friedenssicherung wird als ars donandi, Kunst des Schenkens, hoch geschätzt.234  Das Prinzip der reziproken Schenkung dominiert darüber hinaus Handel und Wirtschaft, bis es im Spätmittelalter allmählich durch das Tauschwertprinzip abgelöst wird.235  Almosen und andere religiös motivierte Stiftungen, die für das eigene Seelenheil oder das eines Verwandten gespendet werden, folgen ebenfalls der skizzierten Reziprozitätslogik – lediglich mit dem Unterschied, dass an Stelle eines menschlichen Gegenübers Gott als tauschender Interaktionspartner imaginiert wird.236 Von diesem zielgerichteten, durchgängig auf dem Prinzip der Reziprozität237 basierenden feudalen Diskurs des Gabentausches (1), der im frühen 13. Jahrhundert fast schon anachronistisch zu werden beginnt, lässt sich analytisch ein zweiter Gabendiskurs abheben, der sich in der Ethik der höfischen Kultur um 1200 herauskristallisiert und in historischen wie literarischen Quellen gleichermaßen greifbar wird. Ich werde ihn im Folgenden als höfischen Gabendiskurs (2) von seiner archaisch-feudalen Variante unterscheiden. Die Gabe löst sich in der höfischen Kultur von dem bis dato dominanten Prinzip der Reziprozität und erfährt in der neuen Ethik des ritterlichen Adels eine ideologische Aufwertung. Uneigennützige Freigebigkeit (lat. largitas, mhd. milte), die sich vom Prinzip der Gegengabe völlig unabhängig wissen möchte, wird zum zentralen programmatischen Begriff und arriviert zur obersten Herrschertugend. Bei diesem idealisierten Konzept der Gabe geht es nicht bloß darum, einen konkreten Zweck zu erreichen oder eine Gegenleistung zu vergüten, sondern – ganz im Gegenteil – um ein absichtsloses Verteilen von Gaben und Geschenken, das zumindest vordergründig gerade nicht auf den Gewinn einer (materiellen) Gegengabe ausgerichtet ist. Diese Form herrschaftlicher milte, bei der die Gabe zum Selbstzweck wird, ist laut Jan-Dirk MÜLLER demgegenüber mittels des Austausches von Gaben unterschiedlichster Natur, der zur Festigung persönlicher Bindungen beitragen sollte: „Jene indes, die zum eigenen Gefolge, die zum Hof gehörten, mit denen man sich beriet, an deren Seite man in den Krieg zog, mit denen man an der Tafel saß und aus deren Kreis die Schwiegertöchter und Schwiegersöhne kamen, mit denen verkehrte man weithin ohne Geld, tauschte Geschenke, Dienste und rituelle Ehrenbezeugungen aus.“ (ebd.). 233 Vgl. Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 14f., 16. 234 Vgl. ebd., S. 11f., 16. 235 Vgl. ebd., S. 17. 236 Vgl. ebd., S. 15. 237 Vgl. zu diesem Begriff im Kontext der mediävistischen Literaturwissenschaft Harald HAFERLAND, Höfische Interaktion, S. 35–55, 306–309; weiterführend ebd., S. 121–206, 315–330.

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ungerichtet, weder auf ein Ziel noch auf bestimmte Empfänger eingeschränkt; sie äußert sich gegenüber den eigenen Gefolgsleuten, um sie fester zu binden, wie gegenüber anderen, um sie geneigt zu machen; sie ist selbstbezogen, steigert Selbstgefühl und Ansehen dessen, der gibt.238

Dieser ethische Kern der Freigebigkeit findet sein ästhetisches Pendant in der auf Sichtbarkeit angelegten Kultur der höfischen Repräsentation, in der die ostentative Zurschaustellung von Luxuswaren und die demonstrative Verteilung von Reichtümern bis hin zu ihrer Verschwendung als Kennzeichen wahrer Freigebigkeit gelten.239 Ein handgreiflicher Gewinn stellt sich dabei nicht unmittelbar ein; der freigebige Adlige profitiert jedoch indirekt davon, indem er durch seine milte sein Ansehen stärken, seine Autorität und sein herrschaftliches Prestige unter Beweis stellen kann: Diese Logik zielt nicht mehr auf die einfache Entsprechung von Geschenk und Gegengeschenk, von Leistung und Gegenleistung, sondern auf die Etablierung von Anerkennungsverhältnissen: es geht um Ehre und Prestigezuweisungen240.

In den verteilten Geschenken – die höfischen Gaben können bereits „als Vorboten moderner Auffassungen vom Schenken gelten“241 – manifestiert sich der adlige Selbstanspruch in besonderer Form.242

238

Jan-Dirk MÜLLER, Spielregeln für den Untergang, S. 348. Hermann KAMP konnte in diesem Zusammenhang nachweisen, dass der feudale Gabendiskurs im 12. und 13. Jahrhundert durch das aufkommende Geldwesen nicht nachhaltig angetastet wurde. Er stellt, im Gegenzug, fest, dass sich das Aufblühen der Geschenkkultur, die ich hier als höfische Kultur der Gabe bezeichne, historisch sogar dem zunehmenden Geldverkehr verdanke: Denn zum einen seien die Herrschenden politisch dazu gezwungen gewesen, sich den neuen Erfordernissen der Geldökonomie anzupassen, zum anderen habe ihnen dadurch aber ein Prestigeverlust gedroht, da sich ihr monetäres Interesse mit der traditionellen Herrschertugend der Freigebigkeit schlechterdings nicht vertragen habe. Um sich nicht dem Vorwurf der Habgier auszusetzen, habe der Adel sodann die Strategie einer Ethik der Gabe entwickelt, in verschwenderischer Weise seine Freigebigkeit zur Schau zu stellen; vgl. Hermann KAMP, Geld, Politik und Moral im hohen Mittelalter, S. 344–347. 240 Ulf Christian EWERT / JAN HIRSCHBIEGEL, Gabe und Gegengabe, S. 14. 241 Ebd. 242 Zur mittelalterlichen Tugend der Freigebigkeit sowie zur Gabe als höfischer Interaktionsform vgl. Harald HAFERLAND, Höfische Interaktion, S. 150–159, 319–321; Jean STAROBINSKI, Gute Gaben, schlimme Gaben, S. 27, 31f.; Irmgard GEPHART, Geben und Nehmen im „Nibelungenlied“ und in Wolframs von Eschenbach „Parzival“, S. 14–16; Helmuth BERKING, Schenken, S. 185–206; JanDirk MÜLLER, Spielregeln für den Untergang, S. 348f.; Beate KELLNER / Peter STROHSCHNEIDER, Die Geltung des Sanges, S. 150, 155; Jan HIRSCHBIEGEL, Étrennes, S. 16–19; 123–131. – Jürgen HANNIG subsumiert die adlige Freigebigkeit m. E. undifferenziert dem reziproken Gabentausch in traditionalen Gesellschaften; vgl. Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 17. – Skeptisch gegenüber der These eines eigenständigen höfischen Gabenkonzepts, das den Gedanken der Nicht-Reziprozität programmatisch ideologisiere, zeigt sich Otfrid EHRISMANN, Überlegungen zur Gabe im Nibelungenlied, S. 366f.; auch er konzediert jedoch für das literarische Leben um 1200 die Existenz einer „,gâbe‘-Semantik […], die situationsspezifisch zwischen Rechtszwang, Sitte und Freiwilligkeit

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Das agonale Moment, das auch die Kultur höfischer Repräsentation unzweifelhaft in sich birgt, erinnert zwar an die von MAUSS beschriebenen Formen von ruinöser Verausgabung, die für ihn mit dem reziproken Gabentausch aufs Engste verknüpft sind.243 Das höfische Ideal der Freigebigkeit lässt sich m. E. aber nicht ohne Weiteres mit diesem Theorem fassen, insofern das agonale Moment im höfischen Gabendiskurs in quasi domestizierter Überformung erscheint244: Sinnfällig wird dies beispielsweise darin, dass der Wert der milte häufig mit dem Ideal der mâze in Verbindung gebracht wird, das sich deutlich gegen die irrationale Verausgabung eines Herrschers wendet.245 Darüber hinaus wird das Konfliktpotential der Gabe dadurch entschärft, dass ihre Bedeutung von einem materiellen in einen ideellen Bereich verlagert wird: De facto erwartet der höfische Gabendiskurs zwar eine Reaktion des Nehmenden, die intendierte Gegengabe in Form von Dankbarkeit oder einer inneren Verpflichtung ist jedoch stets immaterieller Natur und wird überdies nur dann als werthaft angesehen, wenn sie völlig freiwillig erfolgt. Nach außen hin wird die Erwartungshaltung einer Gegengabe dabei gänzlich negiert.246 Von dem feudal-archaischen (1) und dem höfischen (2) Gabendiskurs sowie dem auf ökonomischem Tausch gründenden und durch das Medium des Geldes247 geprägten pekuniären Diskurs des Gebens und Nehmens (3) – anders formuliert: dem kommerziellen Gelddiskurs –, die sich idealtypisch der früh- (1), hoch- (2) und spätmittelalterlichen (3)

bzw. Höflichkeit akzentuierbar war“ (ebd., S. 369). – Im zugrunde liegenden Textkorpus problematisiert die strickersche Erzählung von Edelmann und Pferdehändler (FB 127b) das Fehlen von milte als Defizit eines Adligen. 243 Zum agonalen Überbietungsprinzip sowie anderen Irritationen, welche die Interaktion des reziproken Gabenverkehrs in der mittelalterlichen Kultur beeinflussen können, vgl. etwa Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 19–26. 244 Vgl. ebd., S. 20. 245 Vgl. Harald HAFERLAND, Höfische Interaktion, S. 156f.; Irmgard GEPHART, Geben und Nehmen im „Nibelungenlied“ und in Wolframs von Eschenbach „Parzival“, S. 12f. 246 Die inhärente Problematik dieses höfischen Ideals veranschaulicht die zeitgenössische Epik in sog. rash-boon-Geschichten, in denen ein freigebiger Herrscher, nachdem er um eine Gabe gebeten worden ist, ein Blankoversprechen gibt, das sodann gegen ihn selbst gerichtet wird; vgl. Gerd DICKE, gouch Gandin, insbesondere S. 123–132, mit Textbeispielen und weiterführenden Literaturangaben; Marion OSWALD, ,Kunst um jeden Preis‘, S. 130, 143–147. – Indirekt wird die Problematik herrschaftlicher Verausgabung auch in der strickerschen Verserzählung Der junge Ratgeber (FB 127n) diskutiert; hier verteilt ein junger Ratgeber den Besitz seines Königs, um das Volk in einer zweijährigen Hungersnot zu retten, was ihm anschließend von einer Gruppe von Neidern zum Vorwurf gemacht wird. Des Weiteren werden eine verschwenderische Lebensform in der Rittertreue (FB 142) oder – in Bezug auf ein unstandesgemäß bürgerliches Verhalten – im Sohn des Bürgers (FB 123) problematisiert. 247 Udo FRIEDRICH sieht dieses neben Ehre und Moral als ständisch geprägtes ,symbolisches Kommunikationsmedium‘ in den Verserzählungen, das er wohl dem Stand der Kaufleute zuordnet; vgl. Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 58.

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Zeit zuweisen lassen248, in der Entstehungszeit des Textkorpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert jedoch unzweifelhaft koexistieren249, möchte ich schließlich eine vierte Erscheinungsform der Gabe namhaft machen. 248

In einigen Studien zur Gabenthematik ist versucht worden, eine explizit diachronische Perspektive einzunehmen; vgl. zusammenfassend Jan HIRSCHBIEGEL, Étrennes, S. 12–16. So gehen etwa Jürgen HANNIG, Helmuth BERKING und Arnoud-Jan A. BIJSTERVELD gleichermaßen davon aus, dass sich die Gabe vom Mittelalter zur Neuzeit charakteristisch verändert habe; vgl. hierzu Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 26; Helmuth BERKING, Schenken, S. 16f., 207–229; Arnoud-Jan A. BIJSTERVELD, The Medieval Gift as Agent of Social Bonding and Political Power, S. 123, 143–152. – BIJSTERVELD setzt die Übergangsperiode bereits zwischen 1050 und 1200 an, in der sich die europäische Kultur der Gabe aufgrund ökonomischer, sozialer, religiöser, politischer und rechtlicher Veränderungen gewandelt habe. Konkret benennt er in diesem Zusammenhang fünf Punkte von zentraler Bedeutung: 1. die Entwicklung der Markt- und Geldwirtschaft; 2. die Ausweitung des Privilegs, etwas zu vergeben, vom alteingesessenen Adel auf Angehörige unterschiedlicher sozialer Stände und Gruppierungen (Ministerialen, Ritter, Mitglieder der städtischen Eliten, Kaufleute, Künstler); 3. den politischen Bedeutungsverlust der Klöster, die vormals häufig als Objekt von Zuwendungen profitiert hätten; 4. die zunehmende Zentralisierung, Institutionalisierung und Bürokratisierung der politischen Macht, die eine expansive Vergabepraxis zu politischen Zwecken überflüssig machte; 5. die Rezeption des römischen Rechts, die Ausweitung der Schreib- und Lesefähigkeit und ihre Auswirkungen auf die mittelalterliche Rechtspraxis; schließlich benennt BIJSTERVELD die agrarische Entwicklung sowie das Bevölkerungswachstum als weitere relevante Einflussfaktoren. Folge dieses Umbruchs sei eine Aufweichung der feudalen Reziprozitätslogik gewesen sowie die politische Relativierung der Gabe, die zunehmend Ausdrucksmittel individueller Zuneigung geworden sei und zunehmend der Steigerung des persönlichen Ansehens gedient habe: „In late medieval times the exchange of gifts did not operate to the same degree as a ,social glue‘, binding people together and thus creating social, political, and religious order in a world perceived as chaotic.“ (Arnoud-Jan A. BIJSTERVELD, The Medieval Gift, S. 151); „The mechanism of do ut des […] remained effective into the late Middle Ages (and possibly later still), […] but on a more modest scale.“ (ebd., S. 151.). – Jürgen HANNIG begründet den sozialen Bedeutungsverlust der Gabe in der Neuzeit ähnlich „mit der Entstehung von dauerhaften und expandierenden Marktbeziehungen, der Durchsetzung transpersonaler Herrschaftsformen und der Spiritualisierung und ,Theologisierung‘ einer primitiveren, auf dem Prinzip des ,do-ut-des‘ aufgebauten Religiosität“ (Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 26); des Weiteren hätten „die demographische Expansion, die Intensivierung der Agrarwirtschaft und der Wiederaufschwung des Handels“ (ebd., S. 32) die entsprechenden Entwicklungen beeinflusst. – Der Soziologe Helmuth BERKING hebt mit HANNIG und in Anlehnung an die Zivilisationstheorie von Norbert ELIAS hervor, daß sich unsere heutige Geschenkkultur allererst in der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts durch die endgültige Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit etabliert habe; vom Mittelalter zur Neuzeit zeichne sich so eine „systematische Desymbolisierung der Interaktionsform“ (Helmuth BERKING, Schenken, S. 212) der Gabe ab und zugleich ihre „Funktionalisierung“ (ebd.) bzw. „Rationalisierung“ (ebd., S. 213) durch das strategisch vorgehende Individuum. Spätestens in der bürgerlichen Gesellschaft sei die sozialintegrative Kraft der Gabe endgültig verloren gegangen: „Auf dem zivilisationsgeschichtlichen Weg, den die Gabe zum Geschenk zurückgelegt hat, entfaltet und differenziert sich der volle Bedeutungsgehalt der ursprünglichen Form. Dieser Weg führte von der totalen sozialen Tatsache des Gabentausches über die Klassenmoral aristokratischer Freigebigkeit zunächst in jene mit der Durchsetzung kapitalistischer Märkte und der ihnen eigenen Handlungslogik des individuellen Interesses

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Diese hat ihren genuinen Ort im literarischen Diskurs und ihren Ursprung im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen wie Liebe und Freundschaft. Es handelt sich um eine Verkehrsform, bei der die nicht-reziproken Elemente des höfischen Gabendiskurses in gesteigerter Form zur Geltung kommen: Gemeint sind rein anökonomisch geprägte Handlungen, wie sie vor allem im Kontext der Darstellung von Liebesgeschichten imaginiert werden und sich beispielsweise in der erotischen Hingabe oder der persönlichen Verausgabung für den Liebespartner manifestieren können; in der Vorstellung einer Verschmelzung zweier Individuen finden sie schließlich ihre utopische Steigerung.250 Dieser explizit anökonomische Gabendiskurs (4) steht den feudalen Reziprozitätsregeln ebenso wie den neuen Gesetzen des Marktes diametral entgegen, so dass er ein idealisiertes Gegenmodell zu diesen beiden, ihren Grundlagen nach letztlich ökonomisch strukturierten Gabendiskursen bildet; auf einer abstrakteren Ebene nähert sich diese Vorstellung dem Verständnis von Gabe an, wie es von Jacques DERRIDA expliziert worden ist: Wenn es Gabe gibt, darf das Gegebene der Gabe […] nicht zu dem Gebenden zurückkehren […]. Die Gabe darf nicht zirkulieren, sie darf nicht getauscht werden, auf gar keinen Fall darf sie sich, als Gabe, verschleißen lassen im Prozeß des Tausches, in der kreisförmigen Zirkulationsbewegung einer Rückkehr zum Ausgangspunkt. Wenn die Figur des Kreises für die Ökonomie wesentlich ist, muß die Gabe anökonomisch bleiben.251

Bei den folgenden Lektüren sollen die genannten vier Codierungen der Gabe, die sich in den mittelhochdeutschen Texten teilweise überlagern und überkreuzen, sich analytisch jedoch in aller Regel voneinander trennen lassen, gleichermaßen Berücksichtigung finden. Sie sind, so lässt sich resümieren, abstrakt auf zwei konkurrierende Grundpositionen, zwei Prinzipien des Gebens zu reduzieren, insofern die feudale Gabe, die eine Gegengabe fordert, ebenso wie die spätmittelalterliche Geldwirtschaft dem ökonomiverbundenen Diskreditierung des Schenkens als einer von den gesellschaftlichen Reproduktionszwängen abgespaltenen und insofern unbedeutenden Interaktionsform.“ (ebd., S. 215). – Wie Helmut J. SCHNEIDER anhand der lessingschen Dramatik aufgezeigt hat (vgl. Helmut J. SCHNEIDER, Schenken und Tauschen, passim), kann sich das Schenken in einem allgemeineren Sinne jedoch ebenfalls durch eine besondere Art und Weise von Reziprozität auszeichnen: „Diese besteht nicht in der kalkulierten Erwartung der Gegengabe, im Prinzip des ,do ut des‘, vielmehr in der grundsätzlichen Bedürftigkeit auch des Schenkenden, der selbst auf Gaben angewiesen ist. […] Menschliches Geben muß sich im Nehmen als seiner anderen, komplementären Seite wiedererkennen.“ (ebd., S. 463). 249 Vgl. z. B. Jürgen HANNIG, Ars donandi, S. 36f. 250 Vgl. Michael WETZEL, Liebesgaben, insbesondere S. 223–229. WETZEL hebt als besondere (literarische) Antwort auf die Liebesgabe die Gabe des Todes hervor, die sich, obgleich Gegengabe, einer Reziprozitätslogik gänzlich entziehe; vgl. ebd., S. 245f. – Des Weiteren kann die Figur der anökonomischen Gabe auch in der ,begabten‘ künstlerischen Darstellung greifbar werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie einen performativen Charakter aufweist und somit unwiederbringlich ist; vgl. Marion OSWALD, ,Kunst um jeden Preis‘, S. 144f.; vgl. weiterführend Lewis HYDE, Die Gabe. 251 Jacques DERRIDA, Falschgeld, S. 17.

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schen Prinzip eines zirkulären Tauschsystems gehorchen, wohingegen die Idee einer anökonomische Gabe im Sinne einer luxurierenden Verausgabung, die sich historisch teilweise mit dem höfischen Wert der milte252, literarisch mit dem Motiv der erotischen Hingabe in Verbindung bringen lässt, eben dieses Prinzip einer fortlaufenden Zirkulation durchbricht: Überschuss, Gnade, Unverfügbarkeit – so lauten die Abstrakta, die der anökonomischen Gabe attribuiert werden müssen. Auch wenn die beschriebenen Analysekategorien aus disparaten methodischen Ansätzen erwachsen und somit auch unterschiedliche Konstitutionsebenen der literarischen Texte betreffen, so rechtfertigt dieses polyperspektivische Vorgehen doch der Befund, dass sie im literarischen Texttyp der Verserzählung zusammenwirken und je auf ihre Weise zur komplexen Konfiguration des fiktionalen Geschlechterverhältnisses beitragen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, näher hin darzulegen, welcher Ort dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht innerhalb der divergenten Geld- und Gabendiskurse in der mittelhochdeutschen Verserzählung zugewiesen wird. Es gilt darauf zu achten, welche Figuren als Träger respektive Handlungssubjekte der unterschiedlichen Gabendiskurse erscheinen, in welcher Weise demgegenüber die Objekte des Gabentausches – vorstellbar sind hier nicht nur materielle Gegenstände i. w. S., denn es müssen für die noch nicht naturrechtlich organisierte Gesellschaft des Mittelalters ebenso Personen als Tauschobjekte in Betracht gezogen werden253 – geschlechtlich codiert sind und welche sozialen Folgen sich daraus für die Beteiligten ergeben. Auf einer höheren Abstraktionsebene wird die Frage nach der geschlechtlichen Codierung sodann an die beiden gegensätzlichen Prinzipien der ökonomischen wie der anökonomischen Gabe zu richten und ihr jeweiliger Einfluss auf die Gestaltung der imaginären Geschlechterordnung zu reflektieren sein.

3.2.1 Liebesgaben Die in der mittelhochdeutschen Verserzählung am häufigsten praktizierte Form der Gabe zwischen Mann und Frau stellt die Liebesgabe dar. Gemeint ist hiermit zunächst einmal in einem vorkritischen Sinne jegliche Art der Gabe, die innerhalb einer erotischen oder platonischen Liebesbeziehung überreicht wird. In philosophischer Betrachtung bezeichnet sie zudem eine Handlung frei von ökonomischem Anspruchsdenken, der es allein darum zu tun ist, die Grenzen der Subjektivität zu überschreiten und mit dem bedachten Liebespartner eine symbiotische Einheit zu bilden. Michael WETZEL formuliert diese Idee präzise im Anschluss an Georges BATAILLE und Jacques DERRIDA:

252

Auf die anökonomischen Züge der höfischen milte verweisen – unter Bezugnahme auf DERRIDAS Kritik an Marcel MAUSS – Beate KELLNER / Peter STROHSCHNEIDER, Die Geltung des Sanges, S. 155 und Anm. 39; Marion OSWALD, ,Kunst um jeden Preis‘, S. 144f. und Anm. 49. 253 Vgl. Gert DRESSEL, Gedanken zu einer Historischen Anthropologie des Gebens, S. 22f.

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Liebe will geben, ohne über das Gegebene mehr Besitzerrechte auszuüben, d. h. ohne zu tauschen, – und doch ist jeder Liebende von dem ausdrücklichen oder geheimen Wunsche beseelt, (wieder)geliebt zu werden. Das, was die Leidenschaftlichkeit der Liebe ausmacht, liegt aber in der Rückhaltlosigkeit des Gebens, weniger in der Großzügigkeit, als vielmehr in einer Souveränität des Gebens, die sich durch die Überschreitung jeglicher ökonomischen Grenze von Nutzen und Nachteil auszeichnet […]. Implizit läuft Liebe damit, wenn sie nicht dem Tauschprinzip und der Rückkehr der Ökonomie gehorcht, auf das Paradox hinaus, gerade nicht Liebe zu wollen […]. In der Liebe kommt es also nicht auf das Nehmen an, sondern auf das Verausgaben; die anökonomische Gabe der Liebe bestünde darin, statt im Geben und Nehmen sich abzuwechseln, vielmehr das Unmögliche eines gleichzeitigen und nicht erwiderten bzw. sich nicht erwidernden, nicht-reziproken Gebens zu versuchen […].254

Konkretere Ausformungen der Liebesgabe, wie die sexuelle Hingabe oder das Geschenk eines Liebespfandes, das als besonderes Zeichen der Liebe diese vergegenwärtigen und erinnern soll, rücken nach WETZEL bereits in die Nähe eines ökonomischen Denkens, insofern mit derartigen Akten Fixierungen vorgenommen würden, die dem anökonomischen Moment einer rückhaltlosen Verausgabung deutlich entgegenstreben.255 Für die höfische und nachhöfische Literatur des Mittelalters und die ihr zugrunde liegenden Liebeskonzeptionen sollte hier ergänzend das Dienstkonzept der höfischen Liebe als Analyseparameter benannt werden, das einen möglichen Anknüpfungspunkt für entsprechende Themenstellungen in den Verserzählungen bieten könnte. Es ist – ohne hier auf Details und Varianten eingehen zu können – geprägt von dem Grundgedanken einer langwierigen Dienstleistung eines (ritterlichen) Mannes gegenüber einer ihm zubzw. übergeordneten (adligen) Frau, wobei insbesondere in der Lyrik die Vorstellung einer sich verzehrenden Hingabe, dem Verzicht auf Erfüllung und die mangelnde Aussicht auf einen angemessenen Minnelohn das ästhetisch-ideologische Programm entscheidend prägen.256 Wenngleich die in diesen literarischen Kontexten übliche ,Dienst-‘ und ,Lohn‘-Terminologie auf den ersten Blick ein ökonomisches Verständnis von Liebe suggeriert, so lässt sich in der benannten Distanzierung einer reziproken Beziehung zwischen Mann und Frau doch möglicherweise eine Hinwendung zu einem anökonomischen Verständnis von Liebe erkennen.257 Welche Bedeutung kommt nun aber den Liebesgaben im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählung zu und wie sind sie literarisch gestaltet? In einigen der als höfisch kategorisierten Verserzählungen, die Hanns FISCHER seinem zehnten Themenkreis der

254

Michael WETZEL, Liebesgaben, S. 223f. Vgl. ebd., S. 227f. 256 Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, S. 507–516. 257 Zur paradoxen Verbindung von Reziprozität und Freigebigkeit in der höfischen Liebe vgl. Harald HAFERLAND, Höfische Interaktion, S. 179–191, 323–326. Zu ,Liebesgaben‘ bei Wolfram von Eschenbach und in Gottfried von Straßburgs Tristan vgl. konkreter Walter MERSMANN, Der Besitzwechsel, S. 143–152, 168–171, 192–195. 255

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,Treuen Minne‘ zuordnet258, bezeugt ein wechselseitiger Austausch von Gaben die Beständigkeit eines bestehenden (ehelichen bzw. außerehelichen) Liebesverhältnisses:  Im Auge (FB 7) und in der motivverwandten Erzählung Herrands von Wildonie, Die treue Gattin (FB 61b), sticht sich eine Ehefrau ihr Auge aus, um das entsprechende körperliche Defizit ihres Mannes – der ohnehin schon hässliche Ehemann verliert sein Auge im Kampf und fürchtet, dadurch die Achtung seiner Frau zu verlieren – auszugleichen, um damit ihre unverbrüchliche Liebe und Treue zu demonstrieren.  Eine Steigerung findet diese Handlungsweise in der Liebestod-Geschichte von Pyramus und Thisbe (FB 98), in der die beiden Liebespartner gar ihr Leben hingeben angesichts des vermeintlichen bzw. realen Todes der bzw. des anderen.259  In besonderer Eindrücklichkeit begegnet das Motiv der Liebesgabe schließlich in Konrad von Würzburgs Herzmaere (FB 73b)260, dem mit zwölf Überlieferungsträgern am häufigsten tradierten Text innerhalb der mittelhochdeutschen Novellistik261: Durch die notwendige Trennung von seiner Geliebten, einer verheirateten Ehefrau, empfindet ein Ritter so großen Schmerz, dass er seinen baldigen Tod fürchten muss. Seinem Knappen trägt er daher auf, der Geliebten nach seinem Ableben ein ganz besonderes Präsent zu übermitteln: swenne ich sî verdorben unde ich lige erstorben durch daz keiserlîche wîp, sô heiz mir snîden ûf den lîp und nim dar ûz mîn herze gar, bluotic unde riuwevar; daz soltu denne salben mit balsam allenthalben,

258

Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 99; vgl. weiterführend zur Minnethematik in Mären jetzt Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 153–174. 259 Zur Motivik des Liebestodes vgl. ebenso Anm. 250 des vorliegenden Kapitels. Die weiteren einschlägigen Beispiele scheiden hier aus, da nur in Pyramus und Thisbe (FB 98) der Tod von den Protagonisten bewusst gewählt wird. – Zum Motiv des Liebestodes in der mittelhochdeutschen Novellistik vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Tod und das Chaos, S. 163–167, zur Poetik des Motivs in der mittelalterlichen Literatur vgl. jüngst Christian KIENING, Ästhetik des Liebestods. 260 Vgl. zu Inhalt und Interpretationsansätzen die Überblicksdarstellungen von Rüdiger BRANDT, Konrad von Würzburg [1987], S. 105–110; DERS., Konrad von Würzburg [2000], S. 75–88; weiterführende Literatur findet sich verzeichnet bei Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1127f.; darüber hinausgehend vgl. zuletzt Edith FEISTNER, Kulinarische Begegnungen; Bruno QUAST, Literarischer Physiologismus; Barbara FEIX, … mit minneclichen ougen; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 153–156 u. ö.; Katja ALTPETER-JONES, Gewaltige Bilder, insbesondere S. 55–62; Christian KIENING, Ästhetik des Liebestods, S. 185–191; Florian KRAGL, Wie man in Furten ertrinkt; Helmut BRALL-TUCHEL, Das Motiv des gegessenen Herzens in der mittelalterlichen Novellistik. 261 Vgl. zu Überlieferung und Textkonstitution Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1120–1124.

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durch daz ez lange frisch bestê. vernim waz ich dir sage mê: frum eine lade cleine von golde und von gesteine, dar în mîn tôtez herze tuo, und lege daz vingerlîn dar zuo daz mir gab diu frouwe mîn [ ] (FB 73b, V. 295–309).

So geschieht es auch – nur dass das Kästchen zunächst dem Ehemann seiner Geliebten in die Hände fällt, der „daz cleinoete“ (FB 73b, V. 406) von seinem Koch zu einer ganz besonderen Speise zubereiten lässt und seiner Ehefrau als „ein cleine sundertrahte“ (FB 73b, V. 411), eine sehr erlesene Delikatesse, kredenzt, die sie tatsächlich vollständig verzehrt. Als der Ehemann die Herkunft der Speise aufdeckt, führt dies zu ihrem Tod, gleichsam als Äquivalent und gleichgewichtige Gegengabe für die Gabe des Geliebten, so dass auf diese Weise beide an gebrochenem Herzen sterben: Hie mite gap diu junge ein ende ir süezen lebene und widerwac vil ebene mit eime swaeren lôte swaz ir dâ vor genôte ir friunt geborget haete. si galt mit ganzer staete und ouch mit hôhen triuwen ime. Got welle, swaz ich dinges nime, daz ich wider geben daz müeze sanfter unde baz dann ir vil reinez herze tete. (FB 73b, V. 522–533)

Man könnte zunächst den Eindruck gewinnen, dass es sich in diesen vier Texten um anökonomische Liebesgaben in dem von WETZEL formulierten Sinne handelt. Ein Argument für eine solche Einschätzung wäre, dass die Gaben aus der Wahrnehmungsperspektive der Figuren, d. h. auf der Handlungsebene des Textes, möglicherweise als Liebesgaben erscheinen. Insofern das Prinzip der Reziprozität jedoch in allen Fällen die narrative Grundkonzeption der Erzählung bestimmt, auf der Basis eines wechselseitigen Gebens und Nehmens offenkundig ein reziprokes Tauschverhältnis die Beziehungen der Liebespaare organisiert, würde ich einer solchen Lesart tendenziell widersprechen wollen. Im Folgenden soll der Blick indessen auf eine weniger eindeutige Konstellation des Austauschs von ,Liebes‘-Gaben262 gelenkt werden, wie sie in einem buchstäblichen Sin-

262

Ich verwende den Begriff der ,Liebes‘-Gabe dabei in einem sehr weiten – und durchaus übertragenen – Sinne, d. h. eingedenk der für den Texttyp häufigen Gleichsetzung von minne und Sexualität, und stelle die Frage, auf welchem Konzept von Liebe die in Rede stehenden mittelhochdeutschen

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ne im Almosen (FB 3) – einer Erzählung, die hier exemplarisch auch für ähnlich strukturierte Texte stehen kann, die das Motiv des Minnekaufs thematisieren263 – sowie in Heinrich Kaufringers Zehntem von der Minne (FB 67n) deutlich werden. Sodann soll am Beispiel der Verserzählung Sociabilis (FB 122) in den Blick genommen werden, unter welchen Bedingungen das weithin auf Reziprozität basierende mittelalterliche Denken die Darstellung anökonomischer, d. h. Grenzen sprengender – und letztlich auch die Grenze der Geschlechterdifferenz überschreitender – Liebesgaben in der fiktionalen Welt der Literatur dennoch ermöglicht. a.

Das Almosen (FB 3)

Das sieben- bzw. achtmal überlieferte Almosen (FB 3)264, dessen überschaubarer Versbestand zwischen 116 und 177 Versen schwankt265, weist eine große Varianz auf, die jedoch im Hinblick auf das Gesamtverständnis des Textes keine wesentlichen inhaltlichen Verschiebungen erkennen lässt.266 Der Titel rekurriert auf die religiöse Pflicht und sozialethische Norm der mittelalterlichen Gesellschaft, Bedürftigen durch Spenden und Zuwendungen materiell beizustehen.267 Diese Praxis zielte zum einen auf die notwendige Versorgung der Armen mangels eines staatlich verankerten Sozialsystems, zum anderen aber auch auf die eigene seelische Vorsorge sowie auf die Fürsorge für das Seelenheil der Angehörigen, denn – so die mittelalterliche Sicht – „das A[lmosen] bietet eine Möglichkeit, für begangene Sünden Genugtuung zu leisten“268; auf der Basis des reziproken do-ut-des-Prinzips sollte das Almosen somit letztlich dem Spender selbst zuTexte bzw. die jeweiligen Prämissen der diesbezüglichen Forschung fußen, heuristisch zurück; zu mittelalterlichen Konzeptionen von Liebe grundsätzlich vgl. Rüdiger SCHNELL, Causa amoris. 263 Hierzu zählen Dulciflorie (FB 25), Das Häslein (FB 50) sowie Der Sperber (FB 125); vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97. 264 Eine Handschrift ist heute verschollen (i1), eine weitere unvollständig. Obwohl w³ Heinrich den Teichner als Autor nennt, ist diese Zuschreibung doch wohl höchst zweifelhaft; vgl. Hanns FISCHER, ebd., S. 143, Anm. 13, S. 166, Anm. 107, S. 306; Hedwig HEGER, [Art.] ,Das Almosen‘, Sp. 255. Aufgrund des Alters der Überlieferungsträger muss der Text spätestens zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstanden sein. – Zur Stoff- und Motivgeschichte vgl. Lutz RÖHRICH (Hrsg.), Erzählungen des späten Mittelalters, Bd. 2, Kommentar zu Nr. 9, Das Almosen, S. 474–486; DERS., [Art.] Almosen der Minne, Sp. 330–333. 265 Vgl. Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.), Neues Gesamtabenteuer, S. 53; Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 23; anders Hedwig HEGER, [Art.] ,Das Almosen‘, Sp. 255: „134 (bzw. 114 bis 175)“ Verse. 266 Der Varianz des Textes wird die Textkonstitution durch Heinrich NIEWÖHNER nicht ganz gerecht. Nur im Ansatz ergeben sich allerdings Ausdifferenzierungen hinsichtlich des Textverständnisses; vgl. hierzu Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 386, 398, Anm. 87, 400. 267 Nicht geht es hingegen um das Gebot der christlichen Nächstenliebe, wie Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 130, annimmt. 268 J[ohannes] GRÜNDEL, [Art.] Almosen, 451.

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gute kommen.269 Thematisch-motivisch verhandelt die Verserzählung vom Almosen (FB 3) indes einen Ehekonflikt270, der sich an der Aneignung der hausfraulichen Schlüsselgewalt271 durch den Hausherrn entzündet. Das zentrale Problem des Plots ist der ausgeprägte Geiz des Ehemannes, der ihn dazu treibt, sich der häuslichen Schlüsselgewalt zu bemächtigen, die rechtmäßig seiner Ehefrau zustünde. Indem er alle Vorräte vor ihr wegschließt, so dass ihr nicht einmal mehr Nahrungsmittel in ausreichender Menge zur Verfügung stehen (vgl. FB 3, V. 1–16), gelingt es ihm, die Haushaltsführung vollständig zu kontrollieren.272 Weil es ihr selbst am Notwendigsten mangelt, kann die Hausfrau daher auch nicht mehr ihrer moralischen Pflicht nachkommen, Armen durch mildtätige Gaben zu helfen. Sie gerät in eine prekäre Lage, als ihr Mann sich eines Tages außer Hauses befindet und ein Bettler erscheint, um bei ihr ein Almosen zu erbitten: Weder Fleisch noch Brot habe sie in der Hand, so die abschlägige Antwort der Hausfrau; als Einziges, was sie vergeben könne, sei ihr die minne verblieben (vgl. FB 3, V. 17–33).273 Der ungläubige Gast nimmt dieses außergewöhnliche Almosen nur zu gerne an, lässt sich von ihr verführen und rühmt die große Ehrerbietung, die ihm auf diese Weise zuteil wird. Er kommt sogar gleich zweimal in den Genuss der Liebesfreuden, da es sich seine Gönnerin nicht nehmen lässt, ihm sowohl für Brot als auch für Fleisch eine Ersatzleistung darzubieten (vgl. FB 3, V. 34– 64).274 Dieses entzückt den Bettler über alle Maßen: er prach: ,herre ant Michele, vergilt ez irre ele! und daz i mir darzuo gap, daz vergeld irz heilge grap! 269

Vgl. ebd., Sp. 450f. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 96, der das Almosen (FB 3) zum Kreis von Verserzählungen zählt, in denen eheliche Kraft- und Treueproben thematisch werden. 271 Vgl. zu diesem fundamentalen Recht der Hausfrau Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 309f. Gemeint ist die begrenzte Geschäftsfähigkeit der Ehefrau in Angelegenheiten der Haushaltsführung, die indes die männliche Vorrangstellung in der ehelich-häuslichen Gemeinschaft nicht tangiert. 272 Zu dieser Form männlichen Fehlverhaltens im Almosen (FB 3) und ähnlichen Konstellationen in anderen Verserzählungen vgl. ebd., S. 313–321. 273 Hierbei handelt es sich nach SCHIRMER um die parodistische Wiederholung einer rhetorischen Figur aus dem höfischen Liebesdiskurs, nach der die höfische Dame zu einem „Ersatz von caritas durch amor“ (Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 293) überzeugt werden soll; vgl. ebd. – Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 389–394, sieht in diesem Punkt die Grundlage für sein Verständnis der Verserzählung als Veranschaulichung des in den zeitgenössischen theologischen Diskussionen erörterten Dilemmas, ob eine Ehefrau ohne Wissen des Mannes Almosen geben dürfe. 274 Das Motiv der sexuellen Unersättlichkeit steht hier zwar im Hintergrund (vgl. Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 130), begründet diese Ausschmückung aber nicht im Kern; m. E. resultiert sie vielmehr aus der konsequenten Applikation des Almosendiskurses auf den Liebesdiskurs. 270

242

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mir enwart bi allem minem leben ulh almuoen nie gegeben.‘ (FB 3, V. 65–70)275

Im selben Moment, als der Bettler mit diesen Dankesworten das Haus verlassen will, stößt er auf den heimkehrenden Ehemann, der seine Frau sofort danach befragt, was sie denn dem Fremden gegeben habe. Zunächst antwortet sie ausweichend und entgegnet, dass sie ihm gar nichts gegeben habe, da sie ja gar nichts besitze, was sie hätte geben können (vgl. FB 3, V. 71–84). Es bedarf schließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, um ihr die Wahrheit zu entlocken (vgl. FB 3, V. 85–88): ,nu weiz ich doch ein dinc wol: wer ze himele komen ol, der muoz in almuoen geben. ich han die el und wil niht leben als ein ander heideninne. ich gap im mine minne ze elegeraete, wan ich anders niht enhaete vür iuwer ünd und vür die min. der lon ol uner beider in.‘ (FB 3, V. 89–93)

Mit dieser versöhnlichen Aussage gelingt es der klugen Ehefrau schließlich, ihren Mann von seinem Zorn abzubringen. Er erkennt seine Mitschuld an dem Geschehen an, so dass er das „later“ (FB 3, V. 100; 106) lauthals beklagt und die Verantwortung für ihren Ehrverlust teilweise auf sich nimmt. Reumütig sieht er ein, dass seine Frau anders hätte handeln können, wenn er ihr nur größere Handlungsspielräume zugestanden hätte. Nun jedoch, so der Ehemann, seien sie beide gleichermaßen schuldig geworden; fortan möge sie frei über alle Lebensmittel verfügen, wenn sie sich nur daran halten wolle, ihre Spendentätigkeit in einem ehrwürdigeren Rahmen fortzusetzen als bislang (vgl. FB 3, V. 99–118).276 Auf diese Weise kann die Ehefrau „den gewalt und die lüzzel“ (FB 3, V. 120) in ihre Obhut nehmen, fortan ein bequemes Leben führen und so viele Almosen verteilen, wie es ihr eben gefällt (vgl. FB 3, V. 119–122)277; die gestörte Ordnung in der Ehe ist obendrein wieder instand gesetzt.278 Augenzwinkernd279 lobt der Erzähler im Epimythion (FB 3, V. 123–134) solche ,warmen‘280 Almosen, die „durch got 275

Der heilige Michael wird vermutlich deshalb angerufen, weil es nach biblischer Tradition u. a. zu seinen Aufgaben beim Jüngsten Gericht gehört, die Toten zu erwecken; des Weiteren soll er die Seligen im Paradies empfangen; vgl. Hiltgart L. KELLER, Reclams Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten, S. 431f. Darüber hinaus gilt der Erzengel dem Mittelalter als Mittler guter Werke der Menschen zu Gott; vgl. K[arl]-H[einrich] KRÜGER, [Art.] Michael, Erzengel, Sp. 594. 276 Rüdiger SCHNELL betont, dass das Geständnis des Ehemannes in der vorliegenden Form äußerst bemerkenswert sei; vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 286f. 277 Zur möglicherweise erzählstrukturellen Bedingtheit des versöhnlichen Schlusses vgl. ebd., S. 286. 278 Vgl. Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 154.

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von himelriche“ (FB 3, V. 130) gegeben würden und spekuliert abschließend darüber, ob es sich bei einer solchen Gabe tatsächlich um eine Sünde handele oder nicht. Ihren spielerischen Reiz gewinnt diese Erzählung durch die Verquickung des Liebesdiskurses mit dem sozialethischen Gabendiskurs der Almosenspende, oder, um mit Udo FRIEDRICH zu sprechen, durch „Interferenz und Widerspruch von sexueller und karitativer Ökonomie, d. h. durch die Überlagerung zweier Kontexte: durch ein metaphorisches Verfahren.“281 Die Gabe der minne, die hier auf die sexuelle Hingabe des weiblichen Körpers reduziert ist und somit keine Liebesgabe in einem rein anökonomischen Sinne darstellt, erfolgt vollständig nach den Regeln der feudalen Reziprozitätslogik, die auch das religiöse Denken des Mittelalters tiefgreifend prägt. Dem ökonomischen Prinzip von Gabe und Gegengabe folgend, sollen sowohl die Almosenspenderin als auch ihr Ehemann (vgl. FB 3, V. 97f.) von dem Almosen der minne profitieren, wobei Gott als Tauschpartner firmiert, der die Gabe mit einer Gegengabe („lon“; FB 3, V. 8) vergilt, wohingegen der Bettler als Medium bzw. Stellvertreter im Prozess des Gabentausches nur eine untergeordnete Rolle einnimmt. So oder ähnlich müsste jedenfalls eine oberflächliche Lesart des Textes lauten, die der Sprachregelung der Protagonistin unvoreingenommen folgen wollte. Welche Rollen kommen nun aber den beiden Protagonisten, Ehemann und Ehefrau, bei dem dargestellten Gabenverkehr tatsächlich zu? Indem der Ehemann sich der häuslichen Schlüsselgewalt bemächtigt, grenzt er seine Frau aus der Sphäre der allgemeinen Zirkulation aus und beraubt sie jeglicher Handlungsspielräume; damit überzieht er seine Befugnisse als Haushaltsvorstand bei Weitem, und in der Kritik eines solchen Verhaltens, so ließe sich weiterführen, liegt eine didaktische Stoßrichtung der Verserzählung begründet.282 Die Ehefrau antwortet auf den unrechtmäßigen Ausschluss damit, dass sie

279

Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 108f. und Anm. 139; Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 197f. Eine ausführliche Deutung des Epimythions bietet Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 397–401. 280 Vgl. entsprechend die Überschriften in HKk; vgl. Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.), Neues Gesamtabenteuer, S. 53. 281 Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 239; vgl. ähnlich Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 396f., der eine Überlagerung von Handlungsebene (religiöse Dimension) und Erzählerebene (erotische Dimension) herausarbeitet. 282 Vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 313–315; Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 285; Karina KELLERMANN / Renate STAUF, Exzeptionelle Weiblichkeit und gestörte Ordnung, S. 154; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 116. Monika LONDNER, ebd., beschreibt ausführlich die Missachtung des weiblichen Schlüsselrechts als eigentlichen Fehler des Mannes. – Andere Interpretationsansätze, die auf den didaktischen Charakter des Textes abheben, betonen den Geiz des Mannes als untugendhafte Haltung, m. E. aber nicht in hinreichendem Maße die hier bedeutsamere rechtliche Komponente des Vorgangs; vgl. so etwa

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– ebenfalls unrechtmäßig – ihren Körper als Gabe in den sozialen Kreislauf einspeist, auf dessen ,Besitz‘ normalerweise ausschließlich ihr Ehemann einen Anspruch erheben kann. Sexualität erscheint im Almosen (FB 3) somit als eine genuin weibliche Form der (,Liebes‘-)Gabe, die es der Protagonistin erlaubt, sich als Handlungssubjekt in den sozialkonstitutiven Prozess des Gabentausches zu (re-)integrieren – allerdings, so ließe sich einwenden, zu dem hohen Preis, den eigenen Körper zugleich zum Tauschobjekt degradieren zu müssen. Eine solche, den weiblichen Körper objektivierende Perspektive wird jedoch dadurch fragwürdig, dass die Erzählung den Eigenwert der sexuellen Begegnung sowohl in Bezug auf den Bettler als auch im Hinblick auf die Ehefrau selbst keineswegs verkennt und auch deren erotisches Begehren durchgängig präsent hält. Dies gilt zumal, da sich mit der exponierten karcheit des Ehemannes (vgl. FB 3, V. 7; 27; 99) leicht die Vorstellung assoziiert, dass dieser sich auch hinsichtlich der Erfüllung seiner ehelichen Pflichten nicht gerade als besonders großzügig erweisen wird.283 Demnach wäre die religiös begründete Argumentation der Ehefrau nur vorgeschoben, damit sie ungestraft der Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse nachkommen kann. Wie nicht selten der Fall im Texttyp der mittelhochdeutschen Verserzählung, oszilliert die narratio284 damit zwischen – mindestens – zwei möglichen Sichtweisen auf die weibliche Handlungsträgerin, worin schließlich die literarische Qualität der Verserzählung mit ihrem komplexen Sinngehalt gründet285: Zum einen wird die Protagonistin als naive Hausfrau dargestellt, die ihre religiöse Pflicht, den Armen mit Almosen zu helfen, Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Verserzählung, S. 131, Anm. 20; Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 197f.; Lutz RÖHRICH, [Art.] Almosen der Minne, Sp. 331; Hedwig HEGER, [Art.] ,Das Almosen‘, Sp. 255; Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 201. – Den Ehemann als fehlerbehaftete Figur fokussiert entsprechend die Überschrift in w³, „Von dem karchgen man“ (Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.), Neues Gesamtabenteuer, S. 53), wohingegen die übrigen Titulierungen (in HKwii1k) das Themenobjekt des Almosens in den Mittelpunkt stellen (vgl. ebd.). – Komplementär zum Almosen (FB 3) handelt Die böse Adelheid (FB 1) von einem weiblichen Missbrauch des Schlüsselrechts, denn in dieser Verserzählung erweist sich die Ehefrau als so geizig ihrem Mann gegenüber, dass dieser sich aufgerufen fühlt, sich mittels einer ruinösen Verausgabung seines angesparten Vermögens seiner Frau zu entledigen. 283 Zur Vermischung der Motivik von Nahrungsaufnahme und Sexualität in der mittelhochdeutschen Verserzählung vgl. Hans-Jürgen BACHORSKI, Ehe und Trieb, Gewalt, Besitz, S. 6, der sogar von der „sexuellen Impotenz des Ehemanns“ (ebd.) ausgeht; vgl. zudem Rüdiger SCHNELL, Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘. 284 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Verserzählung, S. 217 und Anm. 212. 285 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 286, Anm. 38; DERS., Erzählstrategie, Intertextualität und ,Erfahrungswissen‘, S. 395f., 399, der sogar vier verschiedene Frauenbilder in dem Text angelegt sieht, die einander überlagern würden: „Das ,Almosen‘ besitzt mehrere Sinnangebote, aus denen jeder Rezipient die ihm gefällige Deutung auswählen kann“ (ebd., S. 401).

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allzu wörtlich nimmt286, zum anderen aber auch als kluge Ehefrau, die trotz der Einschränkungen, die sie durch ihren Ehemann erfährt, ihre persönlichen Interessen zu realisieren weiß, ohne dafür belangt werden zu können. Sie macht sich mit der Almosenspende gleichsam eine konventionalisierte Form der sozialen Gabenpraxis zunutze, um sich das zu nehmen, was ihr Ehemann ihr zu geben nicht bereit ist. b.

Heinrich Kaufringer: Der Zehnte von der Minne (FB 67n)

Ganz ähnlich wie im Almosen (FB 3) wird auch in Heinrich Kaufringers Erzählung Der Zehnte von der Minne (FB 67n)287 eine konventionalisierte Form des reziproken Gabentausches umgemünzt, um ein sexuelles Abenteuer zu verbrämen. Auch hier handelt es sich bei der im neuhochdeutschen Titel avisierten Liebesgabe also gerade nicht um eine anökonomische Form personaler Verausgabung, sondern vielmehr um eine ,Liebes‘Gabe im übertragenen und zugleich buchstäblichen Sinne des Wortes. Den kulturhistorischen Hintergrund bildet hier neben dem religiösen Diskurs das rechtlich-politische System des Lehnswesens, das in noch weitaus stärkerem Maße der Reziprozitätslogik des do-ut-des-Prinzips verpflichtet ist als jener.288 Als wolle die Verserzählung an das Almosen (FB 3) anknüpfen, beschwört das Promythion (FB 67n, V. 1–18 bzw. 29) das für den Texttyp charakteristische Stereotyp von der „gescheidkait“ (FB 67n, V. 3; 16), „list“ (FB 67n, V. 7; 22; vgl. V. 11) und Klugheit (vgl. FB 67n, V. 11) der Frauen, die es stets verstünden, ihre einfältigen Männer (vgl. FB 67n, V. 4) an der Nase herumzuführen. Gleichsam um diese Regel zu bestätigen, werde sich, so der Erzähler, die folgende Geschichte allerdings mit der einzigen Ausnahme einer einfältigen Frau beschäftigen (vgl. FB 67n, V. 14–18). Ganz so dumm scheint die Protagonistin, eine Bäuerin, aber nun auch wieder nicht zu sein, denn bereits in der Exposition wird sie als eher ambivalente Figur mit hauptsächlich positiven Eigenschaften289 vorgestellt: Sie ist „schön“ (FB 67n, V. 20), „züchtig“ (FB 67n, V. 20), „tuget vol“ (FB 67n, V. 21), „böser list hol“ (FB 67n, V. 22), „trew“ (FB 67n, V. 23), „kluog und minecleich“ (FB 67n, V. 25) – und bei all dem lediglich ein kleines bisschen

286

So die eindimensionale Deutung von Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 197: „Der Witz besteht darin, daß die Frau aus religiös-sittlichen Motiven eine größere Schuld auf sich geladen hat, um einer minderen zu entgehen.“ Die – m. E. ebenso eindimensionale – gegensätzliche Auffassung, dass es der Verserzählung allein um eine Verherrlichung der Liebe gehe, vertritt JeanMarc PASTRÉ, Bedeutung und Funktion der Moralitäten in den Schwankmären, S. 73f. – Damit verkennen beide die narrative Strategie der Erzählung, zwei widersprüchliche Diskurse des Gebens und Nehmens in einem metaphorischen Verfahren (Udo FRIEDRICH) zu harmonisieren. 287 Zu Autor und Überlieferung vgl. Kap. 2.2.1.a der vorliegenden Arbeit. 288 Zur motivischen und stofflichen Genese der Handlungskonstellation vgl. Karl EULING, Studien über Heinrich Kaufringer, S. 84–86. 289 Vgl. hierzu auch Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 98f.; Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 282.

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„ainfaltig“ (FB 67n, V. 21); zudem hat sie einen weiteren bedeutenden Vorzug, den sie ist „des guotes reich“ (FB 67n, V. 26). Ob der Dorfpfarrer aus eben diesem Grunde „gar grosse lieb“ (FB 67n, V. 31) zu der verheirateten Bäuerin entwickelt, lässt der Text offen (vgl. FB 67n, V. 30–36).290 Um sich ihr ungestraft sexuell annähern zu können, nutzt der Pfarrer ihre Naivität wie seine geistliche Autorität, indem er ihr einredet, ihre Gaben an Gott, ihre „opfer“ (FB 67n, V. 56) und „almuosen“ (FB 67n, V. 57), wären noch nicht ausreichend genug, um in den Himmel zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste sie auch noch ihren Zehnten vollständig abgeben, andernfalls, so droht der durchtriebene Pfaffe, käme sie in die Hölle und müsste dort schlimmste Qualen erdulden. Die Unterweisung läuft schließlich darauf hinaus, dass sie ihm den Zehnten von ihrer minne abgeben solle (vgl. FB 67n, V. 37–83); Großmut simulierend, beschränkt sich der Pfarrer dabei auf eine rückwirkende Abgabe für ein halbes Jahr (vgl. FB 67n, V. 84–97). Auf der Grundlage der Selbstaussage der Bäuerin, dass sie im vergangenen Jahr ca. dreißigmal mit ihrem Mann geschlafen habe (vgl. FB 67n, V. 98–102), errechnet der Pfarrer somit einen Zins von „drew minnen“ (FB 67n, V. 104), den er bereits am nächsten Tag von der gottesfürchtigen Bauersfrau einfordert und auch prompt erhält, da die Frau den Zorn Gottes sehr fürchtet (vgl. FB 67n, V. 103–131). Während sich der Bauer auf seinem Acker befindet, trägt seine Frau sodann Sorge für die ihr notwendig erscheinenden Abgaben: „si lies da den zehenden lesen / in dem acker wol erpawen“ (FB 67n, V. 126f.).291 Der Text lässt keinen Zweifel an der grundlegenden Naivität, Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit der Bäuerin (vgl. z. B. FB 67n, V. 67; 78; 99; 112; 121)292, die nicht davor zurückschreckt, ihrem Ehemann nach vollbrachter Tat Vorwürfe dafür zu machen, dass er sie nicht früher auf ihr Versäumnis hingewiesen habe.293 Genauso leichtgläubig, wie sie sich gegenüber dem Pfarrer gezeigt hat, verhält sie sich gegenüber ihrem Ehemann, der sie über ihren Fehltritt aufklärt und kurzerhand einen Racheplan ersinnt (vgl. FB 67n, V. 132–209). Die Rache des düpierten Ehemannes erfolgt dabei als invertierende Strafe, indem er nun seinerseits dem Pfarrer eine unfreiwillige Gabe aufzwingt. Wie der Pfarrer das normative Regelsystem religiöser Praktiken missbraucht, so beruft sich der Bauer zu diesem Zweck auf die verpflichtenden Regeln der Gastfreundschaft: Er lädt den Pfarrer zum Essen ein und offeriert ihm einen Wein „von guotem stam“ (FB 67n, V. 249); tatsächlich befindet sich in dem entsprechenden Weinfass jedoch der Urin seiner Frau, den der Pfarrer nichts ahnend zu sich nehmen muss, um als Gast nicht

290

Zur impliziten Kritik des Textes an der Figur des Pfaffen vgl. Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 376–386. 291 Zum im Diffusen belassenen Raumkonzept der Erzählung vgl. Sebastian COXON, Keller, Schlafkammer, Badewanne, S. 185. 292 Vgl. so auch Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 376. 293 Dazu kommt es, weil der Ehemann, ebenso wie im Almosen (FB 3) bei seiner Heimkunft auf den Pfarrer trifft (vgl. FB 67n, V. 132–142).

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unhöflich zu erscheinen (vgl. FB 67n, V. 200–209). Nachdem er getrunken hat, geschieht ein Malheur, indem er sich erbricht (vgl. FB 67n, V. 250–264). Hintersinnig weist der Bauer die folgenden Anwürfe des Pfarrers zurück, denn es handele sich um keinen anderen Wein, als denjenigen aus der Weinrebe, von der er zuletzt seinen Zehnten erhalten habe. Der vollkommene Weinberg, d. h. seine Ehefrau, von der bzw. dem ihm bereits viel Gutes zuteil geworden sei und aus dem diese Rebe stamme, sei sein „aigen und […] nit lehen“ (FB 67n, V. 280). Niemand habe etwas darin zu schaffen außer ihm allein, und niemals habe jemand den Zehnten dafür eingefordert (vgl. FB 67n, V. 265–290).294 Schlussendlich kommt es nach einem Schuldeingeständnis des Pfaffen und seiner Dienstverpflichtung gegenüber dem Bauern (vgl. FB 67n, V. 291–318) zu einer Versöhnung der beiden Männer, wohingegen die Stimme der Ehefrau in der Schlusspartie des Textes vollständig ausgeblendet bleibt (vgl. FB 67n, V. 319–328). Wie auch im Almosen (FB 3) wird im Zehnten von der Minne (FB 67n) die sexuelle Preisgabe des weiblichen Körpers verhandelt. Neu ist bei Heinrich Kaufringer, dass im Mittelpunkt der Darstellung die sexuelle Nötigung durch die Figur des Liebhabers steht, welche die frivole Darstellung vom Almosen der minne – ebenso wie in vergleichbaren Erzählungen vom Minnekauf295 – in ein zwielichtiges Licht rücken lässt.296 Sind es in dieser Textgruppe die gute Tat, die Verhandlung oder der Tausch, die das sexuelle Abenteuer als ein ökonomisch ausgewogenes Unternehmen erscheinen lassen, das auf einer reziproken Interessenbasis erfolgt und von beiderseitigem Nutzen ist, so desavouiert die Perspektivierung des Verführers bei Kaufringer das Ungleichgewicht von Geben und Nehmen, das dieser Motivik de facto innewohnt. Er entlarvt das schwankhafte Konzept sexueller Naivität und Unschuld in Der Zehnte von der Minne (FB 67n) als Wunschphantasie, indem er sie auf das factum brutum der Übervorteilung – und damit indirekt auf die Aspekte von Zwang, Herrschaft, Unterdrückung und Gewalt – reduziert, das in den motivverwandten Verserzählungen durch die inszenierte Freude aller Beteiligten an der sexuellen Begegnung kaschiert wird. Von Gewicht ist hierbei der Befund, dass im Zehnten von der Minne (FB 67n) allein völlig ausgeblendet wird, wie die verführte Protagonistin die sexuelle Begegnung wahrnimmt oder bewertet; anders formuliert: der Text trifft an keiner Stelle eine Aussage da294

Zum Einsatz dieses Gleichnisbereichs in der mittelhochdeutschen Verserzählung vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 304–306. Sie bringt das Bild des Weingartens im Zehnten von der Minne (FB 67n) mit dem Gleichnis vom anvertrauten Geld (Lk 19,21) in Verbindung sowie die Zehntforderung des Pfaffen mit der entsprechenden Stelle des Alten Testaments (Deut. 14,22–27); vgl. ebd., S. 305f. und Anm. 87 wie 88. WILLERS verweist im Zusammenhang mit dem Weingar-tenbild indes auf folgende Bibelstellen: Ps 128,3; Hld, hier insbesondere 7,3; 7,8; 7,10; vgl. Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 155, Anm. 230. Zur impliziten Sexualmetaphorik vgl. ebd., S. 155. 295 Vgl. Anm. 263 des vorliegenden Kapitels. 296 Die Ehebruchsthematik scheint mir in dieser Erzählung dagegen weniger dominant zu sein.

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rüber, ob sie ihre Dienstleistung positiv einschätzt oder doch zumindest als nicht völlig unangenehm empfindet.297 Hinzu kommt ferner, dass bereits auf der Handlungsebene geklärt wird, dass der erhoffte Gegenwert für die sexuelle Preisgabe des weiblichen Körpers keineswegs auf dem eingeschlagenen Weg erlangt werden kann, die Bäuerin bei dem zweifelhaften Handel letztlich also leer ausgehen wird. Wenn die beiden Männer zum Schluss über das Objekt ihrer Begierde wie über einen Weinberg verhandeln298, so ist damit abschließend noch einmal die Position der Frau als Objekt sozialer Tauschprozesse symbolisch markiert. Die Erzählung arbeitet auf diese Weise die verdeckt hierarchische Struktur heraus, die den ,Liebesgaben‘ innewohnt, wie sie in den Erzählungen vom Almosen der minne oder vom Minnekauf von zentraler Bedeutung sind. Anhand der Analysen vom Almosen (FB 3) und Heinrich Kaufringers Zehntem von der Minne (FB 67n), so lässt sich vorläufig resümieren, konnte gezeigt werden, in welcher Weise der weibliche Handlungsspielraum in den mittelhochdeutschen Verserzählungen dadurch beschränkt werden kann, dass Frauen als männliches aigen angesehen und als Handlungssubjekte aus unterschiedlichsten Prozessen des Gebens und Nehmens ausgeschlossen werden. Der Gabenverkehr, der hier die sozialen Beziehungen auf der Handlungsebene strukturiert, bleibt vornehmlich dem feudalen Prinzip der Reziprozität verhaftet und zeitigt in den behandelten Texten im Wesentlichen den Effekt, die hierarchische Geschlechterordnung zu affirmieren. Denn nur auf dem Weg der Preisgabe ihres Körpers respektive ihrer Sexualität vermögen die Protagonistinnen ihre Teilhabe an der sozialen Interaktion zu sichern. Diese Möglichkeit ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass sie sich in den Status eines Tauschobjektes versetzen müssen; sie werden damit, pointiert ausgedrückt, selbst zu einer Gabe. Eine subversive Kraft entwickelt hier allein die narrative Textgestaltung von Kaufringer, in der diese Konstellation auf einer Metaebene sichtbar gemacht wird.

297

Betrachtet man beispielhaft die Verserzählungen, die Fischer seinem fünften Themenkreis ,Verführung und erotische Naivität‘ (vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97) explizit zuordnet – dies sind Dulciflorie (FB 25), Der Sperber (FB 125), Das Häslein (FB 50), Das Rädlein (FB 64), Der Guardian (FB 48), Die Nonne im Bade (FB 111a), Des Teufels Ächtung (FB 130), Der hohle Baum (A: FB 11; B: FB 29), Das Gänslein (FB 43), Des Mönches Not (FB 149), Der schwangere Müller (FB 88), Tor Hunor (FB 131) (vgl. ebd.) –, so fällt auf, dass die Darstellung in allen Texten dieser Gruppe, in denen es zum Geschlechtsverkehr kommt – dies trifft nicht zu in Des Mönches Not (FB 149), Der schwangere Müller (FB 88) und in Tor Hunor (FB 131) –, darauf abhebt, wie positiv die oder der Verführte die sexuelle Begegnung erlebt. 298 FRIEDRICH verweist darauf, dass in dieser Erzählung der von den Männern ausgetragene ständische Konflikt im Vordergrund stehe; vgl. Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 60; zur rhetorischen Figur der Metaphorisierung vgl. DERS., Spielräume metaphorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen.

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c.

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Sociabilis (FB 122)

Weitaus komplexer als in diesen kurzen Erzählungen stellt sich der Gabenverkehr in der Verserzählung Sociabilis (FB 122) dar. Sie ist unikal im Karlsruher Codex 408 überliefert, schwäbischer Herkunft und trägt den mittelhochdeutschen Titel „von dem ritter sociabilis“299. Der relativ späte Text aus dem frühen 15. Jahrhundert300 erzählt die Liebesgeschichte von einem schwäbischen Ritter (vgl. FB 122, V. 1f.; 290; 644) namens Sociabilis und der Tochter eines am Bodensee ansässigen Grafen (vgl. FB 122, V. 20f. u. ö.).301 Die weibliche Handlungsträgerin gewinnt hier einen weitaus größeren Handlungsspielraum als in den zuvor behandelten Texten, indem es ihr gelingt, den Bannkreis männlich codierter Tauschprozesse bis zu einem gewissen Grade zu durchbrechen. Der Ritter, ein rechter Haudegen, der sich gerne auf Turnieren aufhält, wiewohl er von der Bevölkerung seines Landes den Auftrag erhalten hat, sein Land zu beschützen (vgl. FB 122, V. 1–12), hat eine ,Schwachstelle‘, und diese rührt von seiner erotischen Zuneigung zu der Tochter eines reichen Grafen. Eines Nachts träumt der „jüngeling“ (FB 122, V. 24), dass ihn die junge Frau, geschmückt mit einer goldenen Krone (vgl. FB 122, V. 58), in seiner Schlafkammer besuche und ihm unzweideutige Avancen machen würde (vgl. FB 122, V. 26–28). Die Begegnung geht dann über ein nebulöses Zwiegespräch nicht wesentlich hinaus, in dem ihn das Traumbild u. a. dazu auffordert, sich bei seinen Turnierfahrten zu mäßigen (vgl. FB 122, V. 50f.), ihn daran erinnert, dass „stete liebe“ (FB 122, V. 53) mehr wiege als „silber oder golt“ (FB 122, V. 55)302, und ihn auffordert, „seltsam verrätselt, um etwas zu werben“303 (vgl. FB 122, V. 79– 82). Die sexuellen Wunschphantasien des Ritters, die sich in diesem Traum offenbaren, werden indessen nur teilweise eingelöst: Die Grafentochter bedrängt ihn nämlich, bei ihrem Vater um sie zu werben, wenn er weiter gehende Wünsche habe (vgl. FB 122, V. 32–39); „zu steur“ (FB 122, V. 40), um ihn zu motivieren und zu unterstützen, hinterlässt sie ihm allerdings „ein kleinot“ (FB 122, V. 41) als Vorgeschmack, indem sie ihm „zu letz“ (FB 122, V. 49), als „Abschiedsgeschenk“304, einen Kuss gewährt (vgl.

299

Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 1. Neben dem handschriftlichen Titel findet sich ebendort als Vorschrift „v d ritts sociabilis ein gt sprch“ (ebd.). 300 Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Sociabilis‘, Sp. 9. 301 Zu den zugrunde liegenden Erzählschemata, ,Werbung‘ sowie ,Trennung und Wiedervereinigung von Liebenden‘, vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 114; Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 255, 258f., 287–296, 441; DERS., [Art.] ,Sociabilis‘ Sp. 9f. 302 Diese Ratschläge verweisen auf den im höfischen Roman vielfach diskutierten ritterlichen Konflikt zwischen dem Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung und persönlichem Liebesbegehren angemessen abzuwägen, wie er etwa in den Artusromanen Hartmanns von Aue thematisiert wird. 303 Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Sociabilis‘, Sp. 9. 304 Rolf Max KULLY / Heinz RUPP (Hrsg.), Der münch mit dem genßlein, S. 109, Anm. zu V. 49; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 527, Kommentar zu V. 49.

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FB 122, V. 59f.). Dieses Geschenk nimmt der Ritter sehr gerne an (vgl. FB 122, V. 42f.; 61). Ihren raschen Abschied kann er zu seinem Leidwesen nicht verhindern (vgl. FB 122, V. 62–84); sein – traumanalytisch leicht zu durchschauendes – Angebot, ihr als Pferd zu dienen (vgl. FB 122, V. 67)305, wird von der nächtlichen Besucherin harsch zurückgewiesen (vgl. FB 122, V. 68–72). Das Traumgesicht verfehlt seine Wirkung nicht, denn als der Ritter erwacht, beschließt er unverzüglich, seinem Liebesbegehren nachzugeben und sogleich um die Grafentochter zu werben. Das imaginierte Geschenk ihres Kusses ist ihm dabei Verpflichtung und Antrieb zugleich; binnen eines Jahres, so schwört er, wolle er sie ganz für sich gewinnen. Auf einem Turnier, das am Bodensee von ihrem Vater veranstaltet wird306, möchte er die Frau seiner Träume wiedertreffen (vgl. FB 122, V. 85–109). Mit einem an seiner Lanze befestigten Brief, in dem er sein Liebesleid beschwört und einen Kuss als Zeichen ihrer Geneigtheit fordert, begibt er sich zum Turnierkampf. Sein Vorhaben lässt sich gut an, denn die Grafentochter ist bei dem Turnier als Zuschauerin anwesend (vgl. FB 122, V. 111–140). Die junge Frau kann ihren Vater dazu überreden, den turnierenden Ritter zusammen mit anderen Gästen auf seine Burg einzuladen (vgl. FB 122, V. 141–178). Bereits beim abendlichen Tanz bietet sich Sociabilis die Gelegenheit, sich ihr zu offenbaren: Als er von seinem Traum berichtet, erschreckt sich die junge Frau zunächst sehr, da sie eine missliebige Reaktion ihres Vaters fürchtet; gleichwohl zeigt sie sich überaus angetan von der Vorstellung, sich mit dem Ritter zu verbinden; wie schon im Traum geschehen, insistiert sie auch in der Realität darauf, dass Sociabilis bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten müsse: „ir müßt an meinem vater erwerben, / das er mich euch zu aigen geb“ (FB 122, V. 204f.; vgl. V. 179–210). Nach einer vorzüglichen Bewirtung durch den Grafen (vgl. FB 122, V. 211–235) nimmt die junge Frau am kommenden Tag Abschied von Sociabilis (vgl. FB 122, V. 236–278). Anders als im Traum ist nun er derjenige, der ihr einen Kuss schenkt (vgl. FB 122, V. 239f.); im Anschluss daran kommt es zu einem Austausch von Abschiedsgeschenken, Minnepfändern oder – Liebesgaben: sie schankt im ein vingerlein, das was rot güldein, und sie gab ims uf der vart. der ritter ir lop nicht spart. er gab ir ein güldein fürspan. (FB 122, V. 245–249)

Darüber hinaus stellt die Grafentochter dem Ritter noch ein Stelldichein im Baumgarten ihres Vaters in Aussicht (vgl. FB 122, V. 231–236). Bereits kurze Zeit später lässt Sociabilis Boten bei dem Grafen vorsprechen und diese fragen, 305 306

Vgl. zur sexuellen Metaphorik dieses Bildes Kap. 2.1.2.b der vorliegenden Arbeit. Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Sociabilis‘, Sp. 9.

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ob er im wölt geben die dochter sein. er schickt der grefin ein fingerlein. (was er der jungfrauwen sant, das ist mir nicht wol erkant.) (FB 122, V. 281–284)

Obwohl er durch sein Geschenk die Mutter des Mädchens als Fürsprecherin gewinnen kann, antwortet der Graf sogleich abschlägig, da er seine Tochter mit einem Herzog, d. h. einem Adligen höheren Ranges, verheiraten möchte (vgl. FB 122, V. 279–313). Den Boten von Sociabilis überreicht er zum Abschied eine Gegengabe: „er sant im [d. i. dem Ritter Sociabilis] ein gülden vingerlein / und sein freuntschaft damit. / also was der herren sit“ (FB 122, V. 314–316). Von der selbstständig agierenden307 Tochter des Hauses erhalten die Boten zudem einen Brief für ihren Herrn zugesteckt, in dem sie den Empfänger an das Stelldichein im Baumgarten erinnert (vgl. FB 122, V. 317–326). Als der Ritter „kleinot und brief“ (FB 122, V. 333) erhalten hat, nimmt er allerdings nur die Botschaft der Grafentochter zur Kenntnis (vgl. FB 122, V. 327–344), woraus sich schließen lässt, dass ihm weniger an einer Heirat gelegen ist als vielmehr an der kurzfristigen Befriedigung seiner sexuellen Wünsche (vgl. FB 122, V. 73–75; 131–133; 198–200): „Ziel des Werbers ist es, die minne der Tochter […] zu erringen, und d. h. […], daß minne allein in der sexuellen Vereinigung angestrebt wird, in der sie ihre Erfüllung findet.“308 Dementsprechend reicht die Aussicht auf das nächtliche Stelldichein vollkommen hin, um sein Liebesleid gänzlich zu zerstreuen (vgl. FB 122, V. 340–344). Als Sociabilis am Bodensee angekommen ist, wiederholt sich die Traumszene der Eingangspassage unter umgekehrten Vorzeichen, indem nun die Grafentochter – die übrigens genau wie im Traum eine Krone trägt (vgl. FB 122, V. 362) –, nachdem sie im Park eingeschlafen ist, glaubt, der nahende Ritter sei eine Traumerscheinung (vgl. FB 122, V. 345–358). Was diesem an Liebesfreuden in seinem Traum versagt geblieben ist, soll sich nun im locus amoenus des Baumgartens erfüllen (FB 122, V. 359–391), in dem schließlich „ir paider wille volbracht“ (FB 122, V. 374) wird. Die Liebesbegegnung basiert auf wechselseitigem Einvernehmen: „kus wart wieder kus geben“ (FB 122, V. 384). Wieder ist es der Ritter, der seiner Geliebten ein Abschiedsgeschenk gewährt: Sociabilis der degen trug ein vingerlein an der hant, das gab er der frauwen zuhant, das sie an in gedecht, ob in got zu lande precht. (FB 122, V. 394–398)

Die Geliebte gibt ihm zum Abschied ihren Segen (vgl. FB 122, V. 404).

307

Vgl. entsprechend Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 168f.; Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 128. 308 Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 288; vgl. Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 218.

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Nach der Abreise des Ritters (FB 122, V. 405f.) vergeht eine Zeitspanne, bis die Grafentochter entdeckt, dass sie schwanger ist. Während sich ihre Mutter solidarisch verhält, bewirkt ihr Vater ihre Enterbung sowie die Verbannung mitsamt dem neugeborenen Kind an das gegenüberliegende Ufer des Bodensees (vgl. FB 122, V. 407–556).309 Wie es der erzählerische Zufall will, landet die Tochter nach einer stürmischen Überfahrt in einer Stadt, in die sich eines Tages der Ritter Sociabilis begibt, um dortselbst an einem Turnier teilzunehmen. Zwar hat er von ihrer Schwangerschaft erfahren, verharrt jedoch untätig in der Annahme, dass sie sich noch bei ihren Eltern aufhalte (vgl. FB 122, V. 363–365). An dem „kleinot“ (FB 122, V. 586), das er an seiner Lanze trägt, sowie an seinem Wappenschild erkennt ihn die Grafentochter im Turnierkampf, woraufhin sie das von Sociabilis als Geschenk erhaltene „vingerlein“ (FB 122, V. 606f.) mit zwei Kannen Wein in seine Herberge bringen lässt (vgl. FB 122, V. 557–609). Nachdem der Ritter dieses „kleinot“ (FB 122, V. 612) in Empfang genommen hat, begibt er sich unverzüglich zur Grafentochter und führt sie mit sich heim. Es kommt zu einem Happy End, denn der Ritter heiratet schlussendlich die Grafentochter; beide herrschen fortan über Schwaben und überwinden – so der Erzähler – ihre Armut (vgl. FB 122, V. 610–645).310 Wenn der Protagonist den lateinischen Namen ,Sociabilis‘ trägt, was so viel bedeutet wie ,vereinbar, gesellig, verträglich‘311, so lässt sich diese Namensgebung mit diesem versöhnlichen Ausgang der narratio in Verbindung bringen.312 Wie unschwer zu erkennen, bildet der ausgeprägte Gabendiskurs das Rückgrat des Handlungsgeschehens, bei dem es im Wesentlichen darum geht, das Zustandekommen eines neuen sozialen Beziehungsgefüges zu verhandeln.313 Obgleich die in einem länd-

309

Sachlich falsch ist hingegen folgende Zusammenfassung der Szene von Ann Marie RASMUSSEN: „Hier gelingt es der listigen Mutter trotz väterlicher Verbote, die Tochter samt unehelichem Kind in den sicheren Hafen einer Ehe mit dem Verführer und Kindesvater zu bringen.“ (Ann Marie RASMUSSEN, Bist du begehrt, so bist du wert, S. 26). 310 Es bleibt unklar, warum an dieser Stelle von ihrer Armut die Rede ist. Ich bin geneigt, hier eine erzählerische Schwäche des Textes anzunehmen, auf dessen eher sorglose Ausgestaltung bereits Hanns FISCHER und Hans-Joachim ZIEGELER hingewiesen haben; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, Anm. zu V. 295–300, S. 527; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Sociabilis‘, Sp. 9. – Zur freiwilligen Konsensehe, die das Paar eingeht, vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 165–169; Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 124–130. 311 Vgl. Karl Ernst GEORGES, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Sp. 2701. 312 Anders ZIEGELER, der die Wahl des Namens in seiner Zielsetzung als unklar einstuft; vgl. HansJoachim ZIEGELER, [Art.] ,Sociabilis‘, Sp. 10. 313 Selbst noch im Epimythion (FB 122, V. 646–664) findet sich eine Rede über die Gabe, und zwar in einem theologischen Verständnis, wenn der Erzähler Gott darum bittet, den Menschen seinen Segen zuteil werden zu lassen (vgl. FB 122, V. 650) und ihnen zu vergeben, wie er es bei der Grafentochter getan habe (vgl. FB 122, V. 660); vgl. zuvor bereits den Wunsch des Ritters gegenüber

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lich-höfischen Milieu situierte Verserzählung relativ spät, zu Beginn des 15. Jahrhunderts, anzusetzen ist, spielt das Geldwesen darin keinerlei Rolle. Welche Konzeptualisierungen von ,Gabe‘, so ist daher zu fragen, liegen den unterschiedlichen Akten des Gebens und Nehmens in dieser Verserzählung zugrunde? Lassen wir zunächst die unterschiedlichen Vergabungen, die in Sociabilis (FB 122) in den Blick geraten, noch einmal Revue passieren: 1. Im Traum des Ritters schenkt die Grafentochter Sociabilis einen Kuss (vgl. FB 122, V. 40–61). 2. Nach dem Turnier am Bodensee beschenken sich Ritter und Grafentochter gegenseitig: Er erhält von ihr einen rotgoldenen Ring, sie von ihm eine goldene Spange (vgl. FB 122, V. 245–249). 3. Der Ritter lässt anlässlich seiner Werbung der Gräfin einen Ring schenken und übersendet vermutlich auch der umworbenen Grafentochter ein Werbungsgeschenk (vgl. FB 122, V. 282–284). 4. Der Graf übergibt den Boten des Ritters einen goldenen Ring für ihren Herrn, nachdem er seine Werbung zunächst abgelehnt hat (vgl. FB 122, V. 313–315). Diesen Ring erhält Sociabilis zusammen mit einem Brief der Grafentochter (vgl. FB 122, V. 333). 5. Nach ihrem nächtlichen Stelldichein im Baumgarten schenkt Sociabilis der Grafentochter einen Ring, den er zuvor an der Hand getragen hat (vgl. FB 122, V. 395f.). 6. Den gleichen Ring lässt die Grafentochter mit zwei Kannen Wein zu Sociabilis bringen, als sie ihn später in der Stadt wiederfindet (vgl. FB 122, V. 604–610). 7. Daraufhin übergibt der Ritter dem Boten der Grafentochter ein Gewand als Botenlohn (vgl. FB 122, V. 614). Eine besondere Stellung nimmt dabei die erste Geschenkszene (1) ein, insofern sie der Traumphantasie des Ritter zugehört. Sein Wunschdenken ist auf die erotische Hingabe der Grafentochter ausgerichtet, die er in der Imagination ihres Kusses antizipiert. Der geschenkte Kuss hat eine stimulierende Wirkung, insofern Sociabilis in Folge seines Traumerlebnisses beginnt, seine Wunschvorstellungen in der Wirklichkeit zu realisieren. Im Motiv der gegenseitigen Hingabe scheint ein anökonomisches Gabenkonzept auf, das in der nächtlichen Baumgartenszene abermals zum Tragen kommt: Indem sich die beiden Liebenden aus freien Stücken ihrem jeweiligen Partner hingeben, wird die Idee einer Gabe antizipiert, die sich frei von jedem Anspruchsdenken weiß und dennoch nicht einseitig bleibt. Außerhalb der irrealen Traum- und Nachtwelt erweist sich das Konzept einer nichtreziproken, anökonomischen Liebesgabe allerdings als nur wenig tragfähig. Bereits bei seinem Traumbild, „(das euch got gebe heil!)“ (FB 122, V. 64), den Wunsch des Grafen für die Boten des Ritters, „,got müß euch beleiten / und gebe euch sein segen‘“ (FB 122, V. 322f.), sowie den Segen der Grafentochter gegenüber Sociabilis zum Abschluss des Stelldicheins im Baumgarten: „sie gab im iren heilgen segen“ (FB 122, V. 404).

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dem ersten realen Gabentausch zwischen den beiden Protagonisten (2) handelt es sich um einen reziproken Akt, der ihr wechselseitiges Liebesversprechen besiegelt und die Bindung, die beide einzugehen bereit sind, symbolisch bekräftigt. Sowohl der geschlossene Kreis des Ringes, der traditionell als Symbol für das Versprechen von Liebe und Treue gilt314, als auch die Spange in ihrer charakteristischen Funktion, etwas zusammenzuhalten, erscheinen in diesem Zusammenhang als Minnepfänder von hoher symbolischer Aussagekraft. Es ist jedoch vermutlich eben dieser Ring315, den Sociabilis nach dem Turnier von der Grafentochter geschenkt bekommen hat und den er an seiner Hand trägt, als es zu dem Wiedersehen im Baumgarten kommt (5). Wenn er den Ring nach gemeinsam verbrachter Nacht zurückgibt, so mag dies als ein Zeichen der Auflösung der Liebesbeziehung gedeutet werden, deren sexueller Zweck ja nunmehr erreicht ist. Gegenüber der entjungferten Grafentochter beteuert der Ritter allerdings, sie solle den Ring als Memorialzeichen behalten, „ob in got zu lande precht“ (FB 122, V. 398). Ihre sexuelle Hingabe, welche die Grafentochter mit ihrer Schwangerschaft bitter bezahlen muss, wird durch die (Rück-)Gabe des Ringes gleichsam vergolten. Tatsächlich zeigt der Ritter nämlich kein Interesse mehr daran, sich nach der Absage des Grafen und der Erfüllung seines Liebesbegehrens weiterhin um die Grafentochter zu bemühen; selbst nachdem er um ihre Schwangerschaft weiß, macht er von sich aus zunächst keinerlei Anstalten mehr, sich ihr erneut anzunähern.316 Anders die Grafentochter, die den Ring mit in die Verbannung nimmt und als Erkennungszeichen zum Einsatz bringt (6), wodurch zu guter Letzt doch noch eine eheliche Verbindung gestiftet wird. Ist auf diese Weise die Interaktion zwischen den Protagonisten durchgängig durch ein Moment von Reziprozität gesteuert317, so zeigt sich insbesondere die Erwartungshaltung der jungen

314

Lediglich FUHRMANN ist oberflächlich auf die Funktion des Ringes in der Verserzählung Sociabilis (FB 122) eingegangen, dem sie unterschiedliche Bedeutungsnuancen attestiert. Ihrer Auffassung nach symbolisiere der Ring in Bezug auf das junge Paar Liebe und Treue und bezeugt Ehrerbietung und Höflichkeit in Bezug auf die Eltern; vgl. Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 129f. – Sigrid WEIGEL hat generell darauf hingewiesen, dass die Symbolizität des Ringes auch in der Gabentheorie von MAUSS eine entscheidende Rolle spiele: „Für diesen Kreislauf [gemeint ist derjenige von Gabe und Gegengabe (Anm. von A. S.)] steht in MAUSS’ Darstellung die Figur des Rings, der das Verschwinden der Gabe im Tausch und in der Zirkulation symbolisiert.“ (Sigrid WEIGEL, „Shylock“ und „Das Motiv der Kästchenwahl“, S. 119). 315 Nähere Indizien bietet der Text hier allerdings nicht. 316 Als eine Art von Inkohärenz des Textes erscheint daher die Tatsache, dass der Ritter nach wie vor „sein kleinot“ (FB 122, V. 586) – den Liebesbrief an die Grafentochter? – auf Turnierfahrten mit sich führt. 317 Eine besondere Rolle spielen in diesem Kontext auch die Briefe, die als Gaben zwischen dem Ritter und der Grafentochter fluktuieren und neben der Zirkulation der Ringe dazu beitragen, soziale Bindung zu stiften. Auch hier kommt es zu einem Austausch zwischen dem Liebespaar: Der Ritter erweckt die Aufmerksamkeit der Grafentochter dadurch, dass er bei dem Turnier einen Liebesbrief an seine Lanze bindet (vgl. FB 122, V. 125–140). In einem Erinnerungsschreiben, das sie später

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Grafentochter durch diesen Anspruch geprägt, wohingegen sich der Ritter dem Reziprozitätsprinzip nicht in gleichem Maße verpflichtet zu fühlen scheint. Auf dem Gedanken der Reziprozität basiert des Weiteren die Beziehung zwischen dem Ritter und dem Grafen. Das Geschenk bzw. die Geschenke, die Sociabilis anlässlich seiner Brautwerbung offeriert (3), stellen nichts anderes dar als einen symbolischen Gegenwert für die Gabe, die er als Werbender von der beschenkten Grafenfamilie erwartet – nämlich das Geschenk ihrer Tochter, die ihm der Vater „zu aigen“ (FB 122, V. 205) geben soll: Die Tochter fungiert in unserem Erzählzusammenhang selbst als Gabe, die mit einer Gegengabe erworben werden muss. Es ist dabei strategisch äußerst geschickt, wenn der Ritter nicht dem Grafen, sondern seiner Ehefrau das Werbungsgeschenk zukommen lässt und somit der hierarchischen Strukturierung eines jeden Schenkungsaktes gerecht zu werden sucht: Insofern es der höher rangigen Person zusteht, Geschenke zu verteilen, und der niedriger stehenden, Geschenke anzunehmen – besonders sinnfällig wird dies in Sociabilis (FB 122) anhand der Entlohnung des Boten (7) –, umgeht der Ritter einen gesellschaftlichen Fauxpas, wenn er seine Gabe nicht unmittelbar dem Grafen selbst übermittelt, wodurch er sich symbolisch deutlich über diesen stellen würde. Dessen soziale Überlegenheit demonstriert sich wiederum an anderer Stelle durch seine höfische Freigebigkeit, die er dem Ritter und auch den anderen Gästen bei dem Turnier in Form einer vollkommenen und großzügigen Bewirtung angedeihen lässt (vgl. FB 122, V. 164–178; 211–229), die nicht in erster Linie auf Reziprozität ausgerichtet ist. Wenn der Graf sodann, an Stelle seiner Tochter, als Antwort auf das Werbungsgeschenk (3) einen Ring an Sociabilis zurückschickt (4), so deutet sich zwar auch hierin seine herrschaftliche Generosität an, zugleich unterscheidet sich dieser Gabenakt aber kategorial von seinen vorherigen Akten höfischer Freigebigkeit im Rahmen des Turnierfestes. Indem der Graf die Gabe des Ritters mit einer gleichwertigen Gegengabe vergilt, distanziert er ihn, da er sich von der Verpflichtung, die er mit der Annahme der Werbungsgaben (3) eingegangen ist, gleichsam wieder freikauft. Hätte er indes die ritterlichen Geschenke von Sociabilis vollständig zurückgewiesen, so hätte dies als sozialer Affront aufgefasst werden können und insbesondere auch seinem Ethos als freigebigem Herrscher widersprochen. Begegnet der Graf auf diese Weise aber der Gabe mit einer Gegengabe, bleibt sein sozialer Statusanspruch gegenüber dem Ritter aus Schwaben gewahrt; der Ring kann als pazifizierendes Freundschaftszeichen gewertet werden, das die Intaktheit der sozialen Beziehung zwischen beiden Männern symboli-

den Boten von Sociabilis heimlich mitgibt, fordert die Grafentochter den Ritter auf, sich mit ihr zu treffen (vgl. FB 122, V. 317–320, 333–344). Wenn die Grafentochter den Ritter Sociabilis sodann in der Verbannung wiedererkennt, weil er „sein kleinot“ (FB 122, V. 586) im Turnierkampf mit sich führt (vgl. FB 122, V. 583–588), so könnte es sich dabei wiederum um den gleichen Brief handeln, den er bei dem ersten Turnier am Bodensee als Zeichen seiner Liebe an die Lanze gebunden hat.

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siert, auch wenn – oder vielmehr: gerade weil – eine familiäre Bindung nicht zustande gekommen ist.318 Abgesehen von der imaginären Liebesszene im Traum und der realen im nächtlichen Baumgarten ist der komplizierte Gabenverkehr, der die sozialen Beziehungen in der Verserzählung Sociabilis (FB 122) auf der Handlungsebene strukturiert, im Wesentlichen dem feudalen Prinzip der Reziprozität verhaftet. Auffällig ist schließlich, dass der Gabendiskurs, sofern er von sozialer Relevanz ist, im Sociabilis (FB 122) wiederum zu weiten Teilen von Männern getragen wird, während die Frauenfiguren in erster Linie als Empfängerinnen von Gaben in Erscheinung treten oder selbst den Status einer Gabe innehaben.319 Eingedenk der hierarchischen Strukturierung des Gabenakts spiegelt sich hierin die mittelalterliche Konzeption der Geschlechterhierarchie unmittelbar wieder. Nur im Rahmen jenes anökonomischen Gabendiskurses, in dem die Geschlechterdifferenz im Akt der erotischen Liebe punktuell aufgehoben ist, eröffnet sich für die Protagonistin zunächst die Möglichkeit, als Gebende aufzutreten. Im Unterschied zum Almosen (FB 3) und dem Zehnten von der Minne (FB 67n) kann sie jedoch zumindest später durch symbolische Gaben in der Realität eine soziale Bindung stiften. Aber auch hier gibt es wieder eine Einschränkung, denn erst nachdem sie den Wirkungskreis väterlicher Herrschaft verlassen hat, gelingt es ihr, aus eigener Initiative und als handelndes Subjekt in das männlich codierte Netzwerk reziproker Gabenstrukturen einzugreifen.

3.2.2 Käufliche ,Liebe‘ Eine weitere Spielart sozialer Tauschbeziehungen zwischen Mann und Frau stellt in den mittelhochdeutschen Verserzählungen die ,käufliche Liebe‘ dar, d. h. eine sexuelle Beziehung, die auf einer materiellen Basis gründet, wobei es zunächst einmal unerheblich ist, ob das Verhältnis in einer Eheschließung mündet oder nicht.320 Im Unterschied zu 318

Geht diese Deutung davon aus, dass es sich insgesamt um drei Ringe handelt, die getauscht werden – einen Ring, den Sociabilis von der Grafentochter erhält, der zwischenzeitlich an sie zurückfällt und von ihm schließlich wieder angenommen wird (2, 5, 6), einen zweiten Ring, den die Gräfin als Werbungsgeschenk erhält (3), und einen dritten Ring, den der Graf als Absage der Brautwerbung an Sociabilis zurücksendet (4) –, so ließe sich auf der Basis des Textes eine weitere Lesart anführen, welche die Symbolizität des Ringtausches stärker hervorhöbe und davon ausginge, dass lediglich ein einziger Ring zwischen den Figuren der Handlung zirkulieren würde. Dies wäre m. E. aber die weniger plausible Variante. 319 Als symbolisches Zeichen für eine partielle Umkehrung dieser Hierarchiestruktur im Rahmen der beiden Liebesbegegnungen des Paares mag die Tatsache gelten, dass die Grafentochter in beiden Situationen eine Krone trägt (vgl. FB 122, V. 58; 362). 320 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur deutschen Versnovelle, S. 205f.; Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 321–323. Während SCHIRMER die negative und ablehnende Darstellung dieses Motivkomplexes hervorhebt (vgl. ebenso Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 146), wendet sich HOVEN hier m. E. zu Recht gegen SCHIR-

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den geschlechtlichen Beziehungen, die auf der Grundlage einer sexuellen Gabe entstehen, werden diese also auf der Grundlage von Geld gestiftet. Wie jede andere Form außerehelicher und nicht auf Fortpflanzung hin ausgerichteter Sexualität galt eine solche Verbindung im christlichen Mittelalter als illegitim, konnte jedoch unter bestimmten Bedingungen durchaus toleriert werden.321 Generell war die Haltung gegenüber dem Phänomen der ,käuflichen Liebe‘ ambivalent: Wurde sie seitens der Kirche einesteils als notwendiges Übel hingenommen, meistenteils aber kriminalisiert, waren Prostituierte demgegenüber in die städtische Gesellschaft de facto integriert, wenngleich sie als Randgruppe nicht selten sozialer Diskriminierung ausgesetzt waren.322 Die Thematisierung ,käuflicher Liebe‘ in den mittelhochdeutschen Verserzählungen ist daher nicht notwendigerweise auf eine poetische Lizenz des Texttyps zurückzuführen, sondern entspricht dem relativ liberalen Umgang mit Prostitution in der historischen Zeitspanne, in der die Verserzählungen entstanden sind: Der weitgehenden Ausgrenzung der Prostitution im frühen und hohen Mittelalter folgte deren relative Integration im 14. und 15. Jahrhundert; diese wurde in der frühen Neuzeit durch eine kollektive repressive Einstellung abgelöst, die sich noch bestimmend auf die bürgerliche Doppelmoral des 19. Jahrhunderts auswirkte.323

Einschränkend muss an dieser Stelle sogleich vermerkt werden, dass in der mittelhochdeutschen Verserzählung auf die Darstellung von Prostitution i. e. S. nahezu gänzlich verzichtet wird, so dass für den aktuellen Zusammenhang der Begriff der ,käuflichen Liebe‘ demjenigen der ,Prostitution‘ vorgezogen werden soll. Doch in welchen Fällen finden sich überhaupt Ansätze zu einer Darstellung von Prostitution in den behandelten Texten? Nach zeitgenössischem Verständnis war, der Definition des römischen Rechtsgelehrten Ulpian folgend, Prostitution gegeben, wenn eine sexuelle Handlung „zum Zweck des Erwerbs pecunia accepta, bei raschem Partnerwechsel sine dilectu“324 erfolgte, wobei als der schwerwiegendere Bestimmungsgrund das Faktum einer umfänglichen Kundschaft über einen längeren Zeitraum galt.325 Dieses Kriterium kann im Hinblick

MERS These, dass das höfische Personal des Texttyps von solchen Konstellationen ausgeschlossen sei; das in ca. zwanzig Prozent der von ihm, HOVEN, untersuchten Texte erscheinende Motiv diene allerdings zuweilen der komischen Herabsetzung hochstehender Figuren. – Zum seltenen Thema der Prostitution und ihrer Spielarten in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literatur vgl. die (unvollständige) Zusammenstellung bei Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 320–328. 321 Vgl. Annette LÖMKER-SCHLÖGELL, Prostituierte, S. 58. LÖMKER-SCHLÖGELL gibt in ihrem konzisen Beitrag einen umfassenden Überblick über alle relevanten Aspekte der Prostitution im christlichen Mittelalter. Vgl. weiterführend auch Gertrud BLASCHITZ, Das Freudenhaus im Mittelalter, zur Institution des Bordells. 322 Vgl. ebd., S. 77–86. 323 Ebd., S. 85f. 324 Ebd., S. 58. 325 Vgl. ebd., S. 58–60.

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auf das vorliegende Textkorpus lediglich für das Fragment Der Landstreicher im Hurenhaus (FB 150e) in Anschlag gebracht werden sowie eventuell für die Erzählungen Der Hellerwertwitz (FB 40) und Liebesabenteuer in Konstanz (FB 77). Während der Handlungsort in erstgenannter Verserzählung ein „hurenhaus“ (FB 150e, [A] V. 14; 16; 18)326 in Speyer (vgl. FB 150e, [A] V. 6) darstellt327, wie es als Vorläufer des heutigen Bordells in vielen spätmittelalterlichen Städten institutionalisiert war, so ist in Der Hellerwertwitz (FB 40) lediglich die Sprache von zwei „ledegen wîben“ (FB 40, V. 51)328, die sich von einem begüterten Kaufmann zum Leidwesen seiner Ehefrau aushalten lassen, solange sie davon ausgehen können, dass er in hinreichendem Maße solvent und liquide ist. Sie leben mit ihm „in einer Art Konkubinat“329, wenigstens eine der beiden unterhält darüber hinaus jedoch eine Beziehung zu mindestens einem weiteren Mann (vgl. FB 40, V. 120f.)330, so dass die Dreiecksverhältnisse durchaus in die Nähe der Pro-

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In V. 16 ist das Wort mit „frauenhaus“ (FB 150e, V. 16) überschrieben; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 421. 327 In der Erzählung, die aufgrund ihrer Frivolität fast komplett „der Hand des Purifikators zum Opfer gefallen ist“ (Hanns FISCHER (Hrsg.), ebd., S. 552), wird davon erzählt, wie ein mittelloser Mann „mit der hurn“ (FB 150e, [B] V. 4) Geld verdient, „wann die frauen […] / […] geltent oft aim die min“ (FB 150e, [B] V. 14f.). Näheres zum Inhalt lässt sich nicht rekonstruieren. Es steht jedoch zu vermuten, dass in dieser Geschichte die übliche Konstellation, nach der Männer Frauen für Liebesdienste bezahlen, umgekehrt und ironisiert wird. 328 Dabei handelt es sich um einen „nach Ausweis der Wörterbücher merkwürdig verallgemeinernden ,Euphemismus‘ der Zeit für Prostituierte“ (Hans-Joachim ZIEGELER, Geld, Liebe und Verstand, S. 9). 329 Ebd., S. 129. 330 In dieser Verserzählung aus dem 2. Viertel des 14. Jahrhunderts findet sich ein beeindruckender Erzählerkommentar, der mittels zahlreicher literarischer Anspielungen, u. a. auf die höfische Literatur, gegen die Käuflichkeit und die materielle Gesinnung von „unreinen“ (FB 40, V. 657) Frauen polemisiert, denen lediglich der Besitz eines Mannes etwas bedeute, nicht jedoch seine Werte und Tugenden (vgl. FB 40, V. 580–662); vgl. zu Datierung und literarhistorischer Einordnung HansFriedrich ROSENFELD, [Art.] Fressant, Hermann. – Ähnliches finden wir auch im Epimythion (FB 24, V. 827–888) der früheren Erzählung Der Gürtel von Dietrich von der Glesse (FB 24), entstanden etwa zwischen 1270 und 1290; vgl. DERS., [Art.] Dietrich von der Glesse (Glezze), Sp. 137–139. Im Rahmen einer laudatio temporis acti wird hier beklagt, dass die Welt vom Besitzdenken regiert werde und sich niemand mehr um die minne kümmere; der Erzähler spricht demgegenüber lobend „von den reinen wiben“ (FB 24, V. 866) und Männern, die sich dem Frauendienst verschreiben. – Gehen wir noch weiter in der literarhistorischen Tradition des Texttyps zurück, so finden wir die gleiche Klage bereits im Epimythion von Konrad von Würzburgs Herzmaere (FB 73b, V. 530–588), das vielleicht um 1260 entstanden ist (vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1123): Der einstigen Wahrhaftigkeit und Reinheit der Liebe wird ihre gegenwärtige Schwäche gegenübergestellt, die aus ihrer Geringschätzung durch die Leute resultiere, so dass die Liebe sogar käuflich (vgl. FB 73b, V. 562) geworden sei. Interessanterweise ist die Kritik am Untergang der Liebe hier noch nicht geschlechtsspezifisch ausdifferenziert, wohingegen sie in den jüngeren Texten deutlich auf die weiblichen Figuren (und Rezipientinnen) abzielt. – Auf zwei weitere Stellen zur Kritik an der ,käuflichen Liebe‘ verweist Heribert HOVEN, Studien

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stitution rücken, präziser aber doch als eine Art von Polygamie eingestuft werden sollten. Schließlich müsste in diesem Kontext, wie zuvor gesagt, noch auf das Liebesabenteuer in Konstanz (FB 77) verwiesen werden: In dieser Geschichte kommt ein Liebeshandel nicht zustande, weil sich die entsprechende „schmollerein“331 (FB 77, V. 76), obgleich sie bereits für ihre Liebesdienste entlohnt worden ist, kurzfristig auf das lukrativere Angebot eines Pfarrers einlässt, anstatt die zuvor von einem Laien bezahlten Leistungen zu erbringen.332 Im Hinblick auf den Aspekt der Gewerblichkeit, der als zweites Definitionskriterium einem Prostitutionsverhältnis zugrunde liegen muss, wird man bei dem Figurentypus der betagten Kupplerin fündig, die mehr oder weniger geschäftsmäßig, i. d. R. jedoch gegen „miete“ (vgl. FB 72, V. 19), außereheliche Beziehungen stiftet, ohne selbst in sexuelle Handlungen involviert zu sein.333 Im Gegensatz zum Landstreicher im Hurenhaus (FB 150e) handelt es sich in Erzählungen, in denen eine Kupplerin eine Rolle spielt, nicht um institutionalisierte, sondern um freie Prostitution, ebenso wie in Der Hellerwertwitz (FB 40). In den meisten der einschlägigen Textbeispiele, welche Formen von ,käuflicher Liebe‘ thematisieren, sind die Geschlechterrollen klar verteilt: In aller Regel bezahlt ein Mann für die sexuellen Dienstleistungen einer Frau oder stellt eine derartige Bezahlung durch Geschenke bzw. eine Geldsumme zumindest in Aussicht334; der umgekehrte Fall,

zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 326, nämlich im Moriz von Craûn (vgl. FB 87, V. 377–386) und in Der enttäuschte Liebhaber von Johannes Werner von Zimmern (vgl. FB 146, V. 763f.). 331 Laut FISCHER ist dies die euphemistische Bezeichnung für eine Prostituierte; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung im 15. Jahrhundert, S. 550. 332 Im entsprechenden Artikel des Verfasserlexikons wird die Frauenfigur explizit als Prostituierte bezeichnet; vgl. Kurt ILLING, [Art.] ,Liebesabenteuer in Konstanz‘, Sp. 785. 333 Es handelt sich um die Erzählungen Das Kerbelkraut (FB 68), Frau Metze von dem armen Konrad (FB 72), Die Kupplerin (FB 76), Die Meierin mit der Geiß (FB 82) und Schampiflor (FB 109). Die mittelhochdeutschen Bezeichnungen für die Kupplerin lauten in diesen Texten „vüegaerinne“ (FB 68, V. 93 u. ö.; vgl. FB 82, V. 126; vgl. FB 109, V. 101), „werbaerinne“ (FB 72, V. 24; vgl. FB 82, V. 60), „kupplerin“ (FB 72, in der Überschrift in n²; vgl. NGA, S. 70) und „vrou Metze kouflerin“ (FB 72, V. 238). Zur Figur der Kupplerin in der spätmittelalterlichen Literatur vgl. George Fenwick JONES, The Bawd in 15th Century German Literature, und in der mittelhochdeutschen Verserzählung Martin PRZYBILSKI, Kuppelmessen. 334 So geschieht es in Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24), Frau Metze des armen Konrad (FB 72) und Schampiflor (FB 109) durch Geschenke, durch Geldzahlungen hingegen in Die Frau des Seekaufmanns (FB 34), in Hermann Fressants Der Hellerwertwitz (FB 40), Der Herrgottschnitzer (FB 62), Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), Heinrich Kaufringers Bürgermeister und Königssohn (FB 67b) und Der zurückgegebene Minnelohn (FB 67g), Liebesabenteuer in Konstanz (FB 77), Niemands Drei Mönche von Kolmar (FB 92), dem Hans Rosenplüt zugeschriebenen Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b), Ruprecht von Würzburgs Treueprobe (FB 108), Claus Spauns Fünfzig Gulden Minnelohn (FB 124) und Des Mönches Not von dem Zwickauer (FB 149). Hinzufügen ließen sich, ohne dass hier unmittelbar eine i. e. S. materielle Leistung erbracht würde, Aristoteles und

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dass ein Mann Zuwendungen von einer Frau erhält, findet sich hingegen weitaus seltener, womit die Erzählungen in der Tendenz dem mittelalterlichen Tabu männlicher Prostitution folgen, die nach christlichen Moralvorstellungen eine Todsünde darstellt und infolgedessen historisch kaum bezeugt ist.335 Gleichwohl finden sich im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählung einige Texte mit einer Konstellation einer derartig ,verkehrten Welt‘336, wobei die weiblichen Bemühungen nicht selten vergeblich bleiben. Es handelt sich um folgende Beispiele:  Der Liebeshandel, der in Hans Folz’ Text Der Köhler als gedungener Liebhaber (FB 30i) von einer Ehefrau initiiert wird, kommt nicht zustande und wird bestraft.  Ebenso wenig von Erfolg gekrönt ist letzten Endes die Liebesbegegnung in Heinrich Kaufringers Bürgermeister und Königssohn (FB 67b), die durch das Erscheinen des Ehemannes unterbrochen wird; nur indirekt spielt hier der Aspekt der Käuflichkeit allerdings eine Rolle.337  In Hans Rosenplüts Barbier (FB 105a) indes sind die sexuellen Bestrebungen einer Frau erfolgreich, wenn sie einen Mann zur Ausübung von sexuellen Handlungen gegen Bezahlung animieren kann. Die betreffende Person erhält für ihre Liebesdienste jedoch nicht das versprochene „gelt“ (FB 105a I, V. 62; II, V. 76) und „gut“ (ebd.) in Höhe von „hundert pfund“ (FB 105a I, V. 103) bzw. „hundert kron“ (FB 105a II, V. 95), sondern lediglich „ain narrenkapp“ (FB 105a I, V. 175; II, V. 159) mit einer entsprechend spöttischen Aufschrift.338 Phyllis (FB 6), Die zwei Beichten in zwei Versionen (A: FB 12; B: FB 13) sowie Egenolf von Staufenbergs Peter von Staufenberg (FB 26). – Eine Sondergruppe bilden die Verserzählungen, in denen die weiblichen Figuren sich aufgrund ihrer sexuellen Unerfahrenheit gar nicht erst darüber bewusst werden, dass sie ihre ,Liebe‘ verkaufen (vgl. Dulciflorie (FB 25), Das Häslein (FB 50) und den Sperber (FB 125)). – Auszuschließen sind in diesem Zusammenhang ferner jene Verserzählungen, in denen nach dem Brautwerbungsschema eine junge Frau i. w. S. als ,Preis‘ ausgesetzt wird, wie im Dieb von Brügge (FB 23), der Halben Birne in der Fassung von Hans Folz (B: FB 30c) sowie in der Konrad von Würzburg zugeschriebenen Fassung (A: FB 74) sowie dem Preller (FB 97), oder solche Texte, in denen sich die Protagonistin gar selbst als Preis in Szene setzt wie in Konni von Heinz dem Kellner (FB 58), in den Verspotteten Liebhabern (FB 78), im Moriz von Craûn (FB 87), im Striegel (FB 128) und in der Rittertreue (FB 142). Vgl. ausführlicher zur Kategorisierung unterschiedlicher Typen von Werbungserzählungen die Übersicht bei Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 255–257. 335 Vgl. Annette LÖMKER-SCHLÖGELL, Prostituierte, S. 58, 70–72. – Bezeichnenderweise existiert bis heute keine männliche Form des Wortes ,Prostituierte‘. 336 Dies konstatierte bereits Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 322. – Teilweise kongruieren diese Texte mit der Gruppe von Verserzählungen, die Hans-Joachim ZIEGELER als Typ 4 der Werbungserzählungen unter dem Stichwort ,Die Dame als Werber‘ zusammengefasst hat; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 257. 337 Vgl. hierzu Anm. 360 des vorliegenden Kapitels. 338 Wenn in der Version I des Stückes ergänzt wird, dass die Kappe neben zwei Ohren mit zwei gelben Federn geschmückt ist (vgl. FB 105a I, V. 177f.), so könnte die Farbgebung hier eine Anspielung auf die städtischen Kleidervorschriften für Prostituierte sein, denn diese wurden oftmals dazu ver-

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 Auffällig ist schließlich der Komplex der drei Versionen des Mönchs als Liebesbote in der anonym überlieferten Version sowie den Varianten von Heinrich Kaufringer und Hans Schneeberger (A: FB 86; B: 67h; C: FB 112). In dieser Textgruppe wird ein Mönch von einer begüterten Dame als Vermittler missbraucht, um einen jungen Mann als Liebhaber zu dingen: es geht in allen dreien um die Cleverness, mit der die Frau es versteht, ihren Wunsch nach einem Rendezvous und die Einzelheiten der Planung (Wegbeschreibung) dem unwissenden Erwählten zukommen zu lassen, ohne die Etikette zu verletzen.339

Während die Begegnung in den um 1400 entstandenen Versionen A (FB 86) und B (FB 67h) durch einen fingierten Austausch von symbolischen Geschenken zustande kommt, kann die Protagonistin in der ca. 100 Jahre später entstandenen C-Version von Hans Schneeberger (FB 112) das Objekt ihrer Begierde u. a. durch eine verdeckte Geldzahlung (vgl. FB 112, V. 120–179) für ihre Zwecke gewinnen. 340 Im Folgenden möchte ich mich exemplarisch auf drei Versionen des typischen Falls konzentrieren, bei dem ein Mann sich willens zeigt, für die Liebesdienste einer Frau, bei der es sich jedoch nicht um eine Prostituierte handelt, mit Geld zu bezahlen. a.

Heinrich Kaufringer: Der zurückgegebene Minnelohn (FB 67g)

Einen Text, der ebenfalls zur Thematik der ,Liebes‘-Gaben hätte ausgewählt werden können, stellt Heinrich Kaufringers Zurückgegebener Minnelohn (FB 67g) dar. Zwar geht es hier weniger um ,käufliche Liebe‘ i. e. S., da jedoch das Geldmotiv in dieser Verserzählung einen breiten Raum einnimmt, scheint es geboten, sie vornehmlich im vorliegenden Zusammenhang zu besprechen.341 Ein in jeder Hinsicht vortrefflicher, junger und insbesondere hoch motivierter Ritter von „manlichem muot“ (FB 67g, V. 34) – „hochgemuot“ (FB 67g, V. 13), „edel und tugenthaft, / wolgetaun an leibes kraft“ (FB 67g, V. 15f.), „stark und darzuo muotes frei“ (FB 67g, V. 51; vgl. V. 59), von „zucht und adel“ (FB 67g, V. 52) und „aller eren wert“ (FB 67g, V. 20) – ist in seinem Aktionsradius dadurch stark eingeschränkt, dass es ihm an Vermögen mangelt, da seine Vorfahren den Besitz der Familie vollständig pflichtet, die Zugehörigkeit zu ihrem Gewerbe durch ein gelbes Kleidungsstück zu kennzeichnen; vgl. Annette LÖMKER-SCHLÖGELL, Prostituierte, S. 75. 339 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1198. 340 In der Verserzählung Der Schüler zu Paris (A) (FB 118) findet sich ebenfalls die Figur eines Mönches in der Vermittlerrolle. 341 Zu den motivischen und stofflichen Hintergründen der Erzählung vgl. Karl EULING, Studien über Heinrich Kaufringer, S. 65–69. EULING bringt den Text mit dem Häslein (FB 50) und dem Sperber (FB 125) in Verbindung, in denen ebenfalls der kostenfreie Liebesgenuss eines Ritter thematisch werde; stets sei die Frau die Betrogene, da der Liebhaber gar nicht zahle oder seinen Lohn zurückerhalte; vgl. ebd., S. 67. Wie zu zeigen sein wird, kann diese These für den vorliegenden Fall nur bedingt Geltung beanspruchen.

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aufgezehrt haben (vgl. FB 67g, V. 17; 19; 23). Sein sehnlichster Wunsch ist es, auf Aventiurefahrt (vgl. FB 67g, V. 67) zu gehen und sich im ritterlichen Kampf zu erproben, was ihm jedoch aufgrund seiner angespannten finanziellen Lage nicht vergönnt ist (vgl. FB 67g, V. 21–25; 48f.; 60–62)342, so dass er sich stattdessen zum „verligen“ (FB 67g, V. 35; vgl. V. 47) gezwungen sieht.343 Aus Mitleid und um der eigenen Standesehre willen möchte ein wohlhabender älterer Ritter aus der Nachbarschaft (vgl. FB 67g, V. 26f.; 39), der als „frumm und milt“ (FB 67g, V. 27; vgl. V. 40) charakterisiert wird, hier Abhilfe schaffen, weil er sich noch gut an sein eigenes ritterliches Engagement in der Jugendzeit erinnern kann. Großzügig stattet er seinen jungen Standesgenossen angesichts von dessen „armuot und notikait“ (FB 67g, V. 37) mit den notwendigen ritterlichen Utensilien aus, „sam er sein guoter fraind wär“ (FB 67g, V. 41): Er überlässt ihm zwei Pferde im Wert von mindestens 60 Gulden (FB 67g, V. 87), Rüstung, Lanze, Schild, einen ergebenen Dienstknecht sowie ein Kostgeld in Höhe von weiteren 60 Gulden (vgl. FB 67g, V. 26–56; 84–96). Das geliehene Geld (vgl. FB 67g, V. 65) – gemeint ist damit offenkundig die gesamte Leihgabe, nicht nur das Bargeld, das der junge Ritter erhält – soll er ihm später zurückerstatten, sofern er dazu in der Lage sei. Denn wenn Gott ihn glückhaft agieren lasse, so die Idee, werde auch seine eigene Investition vergolten, andernfalls möge der junge Freund von einer Rückzahlung befreit sein (vgl. FB 67g, V. 63–82). Nicht nur materielle Unterstützung wird dem hoffnungsvollen Ritter aber auf diese Weise zuteil, er erhält darüber hinaus auch noch einen Hinweis auf ein höfisches Turnier, das in einer Stadt abgehalten wird, zu dem er sich unmittelbar begeben soll (vgl. FB 67g, V. 97–109). Bevor der junge Ritter dorthin gelangt, verliert er bei einem Liebesabenteuer seine gesamte Reisekasse in Höhe von 60 Gulden. Dies ereignet sich folgendermaßen: Bei einer nächtlichen Rast lässt der Ritter seinen Knecht bei den Pferden zurück (vgl. FB 67g, V. 110–122), weil er „aubentür […] in dem tan“ (FB 67g, V. 122) suchen

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Zum Klischee des verarmten Ritters im Texttyp der Verserzählung vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 306, 391–393. 343 Zum Umgang des Verfassers mit tradierten Erzählschemata – hier etwa im Rekurs auf den klassischen Artusroman hartmannscher Prägung – sowie strukturellen Parallelen zur späteren Verserzählung von Claus Spaun, Fünfzig Gulden Minnelohn (FB 124), vgl. grundlegend Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 306–310; zu letzterem Vergleich ebenso Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 370f.; Hedda RAGOTZKY, Das Märe in der Stadt, S. 120, Anm. 14; Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 48–58; Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 17; Michaela WILLLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 76–79; Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 63–70. – Wenig überzeugend ist m. E. der Versuch, den Text nach Maßgabe des Doppelwegschemas des klassischen Artusromans strukturieren zu wollen; vgl. André SCHNYDER, Abenteuer, Liebe, Geld, S. 399f. Wie zuletzt Udo FRIEDRICH gezeigt hat, stellt sich das literarische Spiel mit Gattungselementen des Aventiureromans in dieser Verserzählung weitaus komplexer dar; vgl. Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 17–25, 27.

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will.344 Der Weg führt ihn zufällig, und insofern dem literarischen Aventiureschema gemäß, zu einer Burg, wo er Zeuge einer merkwürdigen Szenerie wird, denn die Burgherrin irrt – vorgeblich wegen ihrer Zahnschmerzen345, tatsächlich jedoch in Erwartung ihres Liebhabers – im dunklen Burggarten umher, während ihr Ehemann ihr von der Burg herab mit einem Licht dazu leuchtet (FB 67g, V. 123–150). Sogleich nutzt der junge Ritter die Gunst der Stunde, sucht nach einem Eingang zum Burggarten346 und tut so, als sei er selbst der erwartete Liebhaber (vgl. FB 67g, V. 151–171). Aufgrund der Dunkelheit erkennt die Dame zu spät, dass sie der falsche Ritter „[…] gar still und leis / in irs lieben puolen weis“ (FB 67g, V. 311f.) „beslafen“ (FB 67g, V. 185) hat (vgl. FB 67g, V. 172–177). Ihren Jammer darüber kann der Ritter jedoch leicht damit beruhigen, dass er ebenfalls ein ansehnliches Exemplar des ritterlichen Standes sei, „ain ritter guot“ (FB 67g, V. 190), der „aubentüre“ (FB 67g, V. 191) an Ort und Stelle gesucht und gefunden habe, wie er sich nun auch ganz dem Frauendienst verschreiben und dafür seinen „werden leib“ (FB 67g, V. 195) „verzeren“ (ebd.) wolle (vgl. FB 67g, V. 178–196). Mit dieser – nach den Anforderungen des ritterlichen Standesethos etwas zweifelhaften, da lediglich auf amouröse Abenteuer ausgerichteten – Auskunft gibt sich die Burgherrin zufrieden, fordert jedoch als Abschiedsgeschenk, „ze letz“ (FB 67g, V. 201), irgendetwas, woran sie erkennen könne, ob er tatsächlich von „zucht und adel“ (FB 67g, V. 202) sei, wie der Fremde behauptet.347 Da der Ritter nichts anderes bei sich hat, ver344

Zur Fragwürdigkeit des hier und im Folgenden entfalteten Konzepts von âventiure vgl. Marga STESchreiben in der Krise, S. 50; Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 18–22; Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 196; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 207. 345 Zur sexuellen Codierung der Zähne, die in mehreren Verserzählungen thematisch werden (vgl. hierzu auch Kap. 2.2 der vorliegenden Arbeit), vgl. etwa Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 10 und Anm. 33; Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 195, Anm. 3; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 18, Anm. 64, S. 185, Anm. 21. 346 Wenn er dabei lange am Gartenzaun herumstreicht und schließlich durch eine kleine Tür hereintritt, so kann diese Darstellung als bildliche Vorausdeutung der folgenden sexuellen Begegnung im Garten gelesen werden; vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 255 und Anm. 41; André SCHNYDER, Frauen und Männer in den Mären Heinrich Kaufringers, S. 117, Anm. 28. 347 Diese Anforderung durch die Geldgier der Dame motiviert zu sehen, bedeutet in meinen Augen eine sehr weitreichende Interpretation; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 307; André SCHNYDER, ebd., S. 120; vgl. dagegen Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 20; Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 196; Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 63f., die ihren Wunsch dadurch motiviert sehen, dass sie einen entsprechenden Beweis für die Standeszugehörigkeit des Liebhabers erbracht wissen möchte. Wie WILLERS hier zu Recht bemerkt, handelt es sich jedenfalls nicht um ein Liebespfand im Sinne eines Memorialzeichens (wie dies etwa in der Verserzählung Sociabilis (FB 122) der Fall ist). Treffend scheint mir überdies die differenzierte Auslegung der DE,

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langt sie sein Kostgeld von 60 Gulden, das er ihr nun wohl oder übel überlassen muss (vgl. FB 67g, V. 197–209). Dass es sich dabei keineswegs um ein ritterliches Standesattribut handelt, stört die Burgherrin wenig. Das Gegengeschenk, das der junge Ritter daraufhin „ze pfant“ (FB 67g, V. 470) einfordert, entspricht dem schon eher, denn es ist ein rotgoldener Ring, der zwar durchaus wertvoll ist, in Relation zu der Gabe des Ritters jedoch minderwertig, denn er hat nur einen Wert von 8 Gulden, so dass „der wechsel ungeleich“ (FB 67g, V. 216) bleibt (vgl. FB 67g, V. 210–217). All dies geschieht, während der Hausherr weiterhin leuchtet, um seiner Frau, vermeintlich wegen „iren bösen zänen“ (FB 67g, V. 225), beizustehen (vgl. FB 67g, V. 218–233). Wenn im Promythion (FB 67g, V. 1–12) das Glück eines jeden Ehemannes gepriesen wird, der eine treue Ehefrau habe, bei der „sein er und guot“ (FB 67g, V. 7) in bester Obhut sei, so wird spätestens hier deutlich, dass in der vorliegenden Geschichte allenfalls ein Negativ-Exempel eines solchen Falles geschildert wird.348 Der junge Ritter lässt sich unterdessen durch das Gottvertrauen seines Knechtes über den schlechten Tausch, den er gemacht hat, hinwegtrösten: die aubentür ist pesser vil, die also mit der minne spil ainem werden ritter zuogat, dann als sein guot und was er hat. (FB 67g, V. 253–256)

Es fügt sich, dass der Knecht noch etwas Geld bei sich hat, das für einen Tag reichen soll (vgl. FB 67g, V. 234–282), und so setzen sie ihren Weg zum Turnier fort. Szene durch Marga STEDE: „Minne ist hier gegenüber dem höfischen Ideal zum Tauschgeschäft verkommen. Nachdem der Ritter sich in betrügerischer Weise die ,Ware‘ erschlichen hat, fordert die ,Warenbesitzerin‘ einen überhöhten Preis; indem er ein weiteres Tauschobjekt einfordert, versucht der ,Käufer‘ seinen Verlust so gering wie möglich zu halten. […] Sarkastisch kommentiert der Erzähler das Geschehen […] und reduziert so den Diskurs über Ehrverlust und Ausweis adeliger Herkunft auf seine materielle Dimension: die Frau hat den Ritter erfolgreich überʼs Ohr gehauen.“ (Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 51). – Ähnlich argumentiert auch Udo FRIEDRICH: „Durch ein Geschenk (60 Gulden) kann der Ritter seinen ,Dienst‘ retten. Und erneut werden in der Reaktion der Frau heterogene Größen, materielles Kalkül und Minnediskurs, aneinander gekoppelt […]. Umgekehrt wird ihr Pfand, der Ring, vom Ritter als Minnepfand aufgefaßt […], vom Erzähler dagegen materiell gegengerechnet […]. Das moralische Problem wird in ein standesethisches abgebogen, das sich seinerseits materiell regulieren läßt.“ (Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 20). 348 Hierin kann m. E. ein Anknüpfungspunkt für ein didaktisches Anliegen des Textes begründet liegen, was von André SCHNYDER, Abenteuer, Liebe, Geld, S. 412, bestritten wird. Gleichwohl würde ich ihm dahingehend beipflichten wollen, dass die didaktische hinter der unterhaltenden Zielsetzung des Textes deutlich zurücksteht; vgl. ebd., S. 411f. Damit wendet sich SCHNYDER kritisch gegen die übermäßige Betonung eines didaktischen Anspruchs durch Hedda RAGOTZKY, Das Märe in der Stadt, S. 120 und passim (einen ähnlichen Ansatz vertritt Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 76, 78f.). Gegen RAGOTZKYS Analyse (vgl. hierzu auch Anm. 153 der vorliegenden Arbeit) wenden sich des Weiteren Udo FRIEDRICH, ebd., S. 24, Anm. 62; Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 202f., Anm. 19.

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In einem Gasthaus treffen sie auf einen älteren, bereits ergrauten (vgl. FB 67g, V. 500) Ritter, der das gleiche Ziel hat wie sie. Dass es sich dabei um eben jenen Burgherrn handelt, mit dessen Frau er in der Nacht ein unverhofftes Stelldichein hatte, erkennt der junge Ritter nicht.349 Die beiden Männer schließen einen Freundschaftsvertrag: „si lobten da die gesellschaft baid; / was ir ainem beschähe laid, / das solt in baiden geschehen sein“ (FB 67g, V. 337–339). Der ältere Ritter besiegelt diesen Bund damit, dass er für „fuoter, kost und auch den wein / und was sie hetten da verzert“ (FB 67g, V. 340f.) die komplette Rechnung übernimmt (FB 67g, V. 283–346). Auch in der Stadt, in der das Turnier stattfindet, wird der junge Ritter von seinem betuchten Gönner weiterhin ausgehalten; er sorgt für seine Unterkunft genauso wie für eine vorzügliche Ausrüstung mit „ziug und harnasch allerlai“ (FB 67g, V. 359) und stellt ihm überdies „ain guot stechros wolgetaun“ (FB 67g, V. 362) zur Verfügung (vgl. FB 67g, V. 347–364). In Begleitung seines neuen Mentors, der ihn zwischenzeitlich sogar in seiner Kampfeswut zügeln muss (vgl. FB 67g, V. 376f.), erringt der junge Ritter, seinen greisen Freund im Kampf symbolisch vertretend350, den höchsten Preis im Turnier (vgl. FB 67g, V. 365–406). Als „lon“ (FB 67g, V. 498) gewinnt der Sieger jedoch keineswegs eine Frau, wie in einem höfischen Kontext zu erwarten stünde, vielmehr übernimmt die Stadt lediglich beider Aufenthaltskosten (vgl. FB 67g, V. 485–504), so dass der junge Ritter sich auf diese Weise zumindest teilweise351 revanchieren kann. Nach dem Turnier erhält die Männerfreundschaft einen Riss. Eines Abends wird der junge Ritter in geselliger Runde von seinem Freund aufgefordert, es ihm und den anderen Gästen gleich zu tun und eine Geschichte zu erzählen (vgl. FB 67g, V. 407–421). In weinseliger Stimmung (vgl. FB 67g, V. 410f.) erzählt der junge Mann daraufhin von seinem jüngsten Liebesabenteuer, ohne zu wissen, dass der betroffene Ehemann in Gestalt seines Freundes mit am Tisch sitzt (vgl. FB 67g, V. 422–474). An dem Ring, den er auf Verlangen vorzeigt, erkennt der Ältere, dass es sich bei der Ehebrecherin um sei349

Dieser zweite ältere Ritter ist m. E. nicht identisch mit dem ersten älteren Ritter, der in der Rahmenhandlung auftritt. Große Teile der Textinterpretation von Klaus GRUBMÜLLER in seinem Aufsatz „Wolgetan an leibes kraft. Zur Fragmentierung des Ritters im Märe“ (vgl. ebenso DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 206) werden dadurch fraglich, dass er von einer Identität beider Ritterfiguren ausgeht und handlungslogische Brüche, die aus diesem Verständnis herrühren, mit Befunden erklärt, die sich bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig erweisen; dies erhellt beispielsweise aus den beiden folgenden Äußerungen (neben weiteren, die auf dieses Missverständnis hindeuten): „Der [d. i. der junge Ritter] übergibt ihr […] die sechzig Gulden, die er als Ausstattung für seine Kavalierstour von seinem Sponsor geliehen bekommen hatte. Der erweist sich nun überraschend als identisch mit dem Ehemann der Dame. […] sie hatten bis dahin nur über Boten verkehrt, erkennen sich also nicht.“ (Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 196); „Das Geld, mit dem der junge Ritter seine ständische Würde verbürgt, ist dafür ohnehin ein fragwürdiges Mittel, ganz besonders aber, weil es nicht das seine ist, sondern das des (betrogenen) Gatten.“ (ebd., S. 202). 350 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 197, 200. 351 Vgl. Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 69.

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ne eigene Ehefrau gehandelt haben muss (vgl. FB 67g, V. 475–484). Mit dieser Erkenntnis verlagert sich der Wissensvorsprung strukturell auf die Figur des älteren Ritters.352 Da es keinerlei Anlass für ihn gibt, sich in aller Öffentlichkeit als düpierter Ehemann zu erkennen zu geben, er die Sache jedoch auch nicht auf sich beruhen lassen möchte, lädt er seinen jungen Freund auf seine Burg ein, um ihn dort mit seiner Ehefrau zu konfrontieren. Beide werden von der Burgherrin „mit gar hofelichem sitt“ (FB 67g, V. 563) empfangen und der Gast großzügig bewirtet (vgl. FB 67g, V. 505–529; 559–573); sogar einen Hirschen, den der Hausherr eigens zu diesem Zweck erlegt353, kredenzt man dem Gast mit Wein und anderen vorzüglichen Speisen (vgl. FB 67g, V. 574–594; 631–655). Natürlich hat der junge Ritter den Ort seines nächtlichen Stelldicheins wiedererkannt. Sein Knecht kann ihn angesichts seiner verständlichen Sorge dahingehend beruhigen, dass der Burgherr „ain piderman“ (FB 67g, V. 552) sei, der die Gebote höfischer Gastfreundschaft vermutlich befolgen und ihm daher kein Leid zufügen würde (vgl. FB 67g, V. 530–558). Am nächsten Tag, während sich der Hausherr auf der Hirschjagd befindet, unterhält die Burgherrin ihren Gast bei einem Brettspiel und erkennt dabei ihren Ring wieder, den der junge Ritter nun am Finger trägt. Als der Gast seine Identität preisgegeben und eingestanden hat, dass auch ihr Ehemann über die entsprechenden Ereignisse informiert sein müsse, bricht sie in großes Klagen aus, da sie befürchtet, ihr Mann könne ihr nun Gewalt antun (vgl. FB 67g, V. 595–630). Damit täuscht sie sich jedoch gewaltig: Zwar dauert es nicht lange, bis der Burgherr seine Ehefrau in Anwesenheit des Gastes zur Rede stellt, woraufhin diese zunächst alles abstreitet. Als sie jedoch die Frage nach dem Verbleib ihres Ringes, bei dem es sich, wie nun deutlich wird, sogar um ihren Ehering handelt, nicht beantworten kann, sieht sie sich zu einem Geständnis sowie der Übergabe der 60 Gulden gezwungen (vgl. FB 67g, V. 656–693). Der Hausherr reagiert anders als erwartet: Er nimmt die Münzen auf, teilt sie in drei gleiche Teile zu je 20 Gulden und übergibt jedem Mitwirkenden an dem „spil“ (FB 67g, V. 697) sein Kontingent – dem jungen Ritter dafür, dass er die Würfel „in das pret“ (FB 67g, V. 711) „gesprengt“ (ebd.) habe, der Frau zum „sold“ (FB 67g, V. 716) für ihren Dienst, sich als Spielbrett zur Verfügung gestellt zu haben, und sich selbst „ze lon“ (FB 67g, V. 721) für sein Leuchten354 (vgl. FB 67g, V. 694–722).355 Dem jungen Ritter bleibt nichts anderes zu tun übrig, als um ihrer „gesellschaft“ (FB 67g, V. 734) 352

Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 306, 308. Zu weiteren Spekulationen über dieses Motiv vgl. André SCHNYDER, Abenteuer, Liebe, Geld, S. 406, Anm. 45. 354 FRIEDRICH hat aufgewiesen, dass es sich hierbei um eine Verbildlichung einer sprichwörtlichen Redensart zur Bezeichnung fragwürdiger Hilfsdienste handelt; vgl. Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 24 und Anm. 64. 355 Zur ähnlich gelagerten Spielmetaphorik in Heinrich Kaufringers Rache des Ehemannes (FB 67k) vgl. ebd., S. 10–12. 353

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willen das Wohlwollen seines Freundes gegenüber seiner Ehefrau zu erbitten, was dieser ihm schließlich zugesteht (vgl. FB 67g, V. 723–752). Mit dem Verzicht auf Rache356 endet die kaufringersche Geschichte wie Der Zehnte von der Minne (FB 67n) „in Form eines friedlichen Interessensausgleichs“357 und der Utopie358 einer allgemeinen Freundschaft und Versöhnung, die es dem älteren Ritter ermöglicht, sich von der Rolle des betrogenen Ehemannes zu distanzieren.359 Vollendet wird der versöhnliche Ausgang dadurch, dass der junge Ritter nach der Rückkehr auf seine Burg die Leihgaben seines ersten Gönners vergütet, nachdem er selbst êre und guot hat vermehren können (vgl. FB 67g, V. 753–766).360 356

Begründet wird der Verzicht auf Rache von KROHN mit dem eigensüchtigen finanziellen Interesse des Gastgebers (vgl. Rüdiger KROHN, Die Entdeckung der Moral, S. 262f., 268), von der Mehrzahl der Mediävistinnen und Mediävisten dagegen mit der bestehenden Freundschaft (sowie ihren sozialen und rechtlichen Implikationen) zwischen den beiden adligen Männern; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 309f.; Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 57f.; Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 25; André SCHNYDER, Abenteuer, Liebe, Geld, S. 411; Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 301f., 304; Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 73–75; Ralf-Henning STEINMETZ, Heinrich Kaufringers Selbstbewußte Laienmoral, S. 69f. Letzterer betont überdies die körperliche Unterlegenheit des älteren Ritters (vgl. ebd.). Allein Hedda RAGOTZKY betrachtet das freundschaftliche Verhalten in diesem Zusammenhang als standesunspezifischen Wert von allgemeinmenschlicher Bedeutung; vgl. Hedda RAGOTZKY, Das Märe in der Stadt, S. 119f. – Weiterführend sieht Klaus GRUBMÜLLER in dieser zentralen Szene des Textes eine symbolische Reintegration des fragmentierten Ritterbildes in einen körperlichen und einen ideellen Part, das durch die Ritterfiguren der Erzählung repräsentiert werde; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 202; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 209–212. In diesem Sinne deutet er das Ende des Textes als einen metaphorischen Hinweis auf die wechselseitige Abhängigkeit beider (bzw. aller drei) Teile voneinander; vgl. ebd., S. 212. 357 Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 58. 358 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten, S. 304f. 359 Vgl. Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 24. 360 Ganz ähnlich endet Heinrich Kaufringers Erzählung Bürgermeister und Königssohn (FB 67b), in welcher der betrogene Ehemann, der Bürgermeister von Erfurt, seine Frau mit ihrem Liebhaber in flagranti ertappt und bei einer Mahlzeit zu dritt den vermeintlich geforderten Liebeslohn des Liebhabers selbst übernimmt; er ist sogar bereit, ihn allwöchentlich zu bezahlen, wenn der Liebhaber sein Haus nur künftig meiden wolle (vgl. FB 67b, V. 341–355). Dieser entpuppt sich – nahezu märchenhaft – als Sohn des französischen Königs, der dem Bürgermeister einen Handelsbrief für sein Land ausstellt, wodurch dieser zu großem Reichtum gelangt (vgl. FB 67b, V. 356–451). – In der motivverwandten Erzählung Fünfzig Gulden Minnelohn von Claus Spaun (FB 124) gibt der betrogene Ehemann den Liebeslohn in Höhe von 50 Gulden, den seine Ehefrau von einem Studenten erhalten hat, zurück, zieht jedoch davon zuvor eine Summe von 24 Pfennig ab, darin eingerechnet das Dreifache des ortsüblichen Tarifs für Liebesdienste (vgl. FB 124, V. 334–341), mit dem er seine Frau ausbezahlt. Im gleichen Kontext wird ihre Magd bezichtigt, „kupplerei“ (FB 124, V. 331) be-

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Damit greift der Schluss der Erzählung, die kein Epimythion aufweist, noch einmal eine zentrale Thematik des Textes auf, nämlich das „Verhältnis von Ehre und Geld“361, ich möchte ergänzen: das Verhältnis von weiblicher Ehre (sexueller Treue) und männlicher Ehre (ritterlicher Bewährung) sowie Geld und Besitz. Überblickt man wiederum die einzelnen Gabenakte, von denen die Verserzählung berichtet, kristallisieren sich folgende Konstellationen heraus: 1. Ein reicher älterer Ritter stattet seinen jüngeren Nachbarn aus freien Stücken standesgemäß aus, fordert aber eine spätere Vergeltung, sofern möglich. Erscheint diese Gabe zunächst als uneigennütziger Akt ritterlicher Freigebigkeit, so weist sie nach höfischen Gesichtspunkten einen Makel auf, insofern die Rückerstattung des Gegebenen zumindest in den Raum gestellt wird und dann ja auch tatsächlich „trewlich“ (FB 67g, V. 765) erfolgt.362 Das implizite Abhängigkeitsverhältnis, das durch die Gabe zwischen beiden Rittern entsteht, wird auf diese Weise wieder aufgelöst. Die Rahmenhandlung zeigt so, wie die soziale Beziehung zwischen Gebendem und Nehmendem, sofern sie ständisch gleichrangig sind, idealerweise reziprok und freundschaftlich gestaltet sein kann. Dies gilt zumindest oberflächlich, da der ältere Ritter nichts von dem eigentlichen Missbrauch der 60 Gulden erfährt, die der junge Ritter in einer Liebes-âventiure als Liebesgabe verspielt. 2. Insbesondere vor diesem Hintergrund, der als Kontrastfolie dient, nimmt sich sodann die ähnlich strukturierte Bindung zwischen dem jungen und dem zweiten der beiden älteren Ritter, der als Doppelgänger des ersten Gönners fungiert363, weithin problematischer aus. Das Verhältnis erweckt den Anschein, als ,sponsere‘ der Ältere den Jüngeren, damit dieser das leiste, was jener aus Altersgründen nicht mehr zu leisten imstande sei. Dies betrifft zunächst den ritterlichen Kampf, darüber hinaus aber insbesondere auch die ehelichen Pflichten des älteren Ritters, die der jüngere unwissend für ihn übernimmt.364 Diesen Zusammenhang verdeutlicht der Text durch die Strukturanalogie von Liebeskampf und Turnierkampf, die im literarischen Wissen der Zeit einen topischen Charakter aufweist.365 Das Bestreben des Älteren, die Triebhaftigkeit des Jüngeren zu zügeln, zeigt sich im Rahmen des Kampfgesche-

trieben zu haben. Daraus lässt sich schließen, dass das Liebesabenteuer von dem betrogenen Ehemann in die Nähe der Prostitution gerückt wird. 361 Udo FRIEDRICH, Metaphorik des Spiels und Reflexion des Erzählens bei Heinrich Kaufringer, S. 17f. 362 Vgl. Michaela WILLERS, Heinrich Kaufringer als Märenautor, S. 61f. Das Defizit liegt hingegen nicht in „einer adeligen Verschwendungsmentalität“ (Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 49; vgl. ebd. und S. 58), mit der Sinn und Zweck höfischer Freigebigkeit durchaus falsch verstanden wären. 363 Vgl. André SCHNYDER, Abenteuer, Liebe, Geld, S. 404, Anm. 33. 364 Vgl. ebd., S. 402. 365 Zur Parallelisierung von Turnierkampf und Liebesszene vgl. André SCHNYDER, Frauen und Männer in den Mären Heinrich Kaufringers, S. 119.

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hens366 und wird auf einer symbolischen Ebene noch einmal durch das Erlegen des Hirsches, der als traditionelles Symbol für überbordende männliche Sexualität gelesen werden kann, demonstriert. Auch die Verwendung des Verbs ,sprengen‘ (vgl. FB 67g, V. 711) für den spielerischen Einsatz des jungen Ritters verweist in doppelter Konnotation sowohl auf den Liebesakt als auch auf den Akt des ritterlichen Kampfes.367 3. Wie in der Verserzählung Sociabilis (FB 122) ist der Liebesakt auch hier der Anlass für einen Austausch von Geschenken. Es spielt hier jedoch eine pekuniäre Komponente mit hinein, insofern der Ritter 60 Gulden verschenkt und der Wert des Ringes ebenfalls mit einer exakten Preisangabe von 8 Gulden beziffert werden kann. Aufgrund dieser Darstellung wird der ökonomische Charakter der sexuellen Begegnung hervorgekehrt, zumal die Rezipientinnen und Rezipienten später erfahren, dass es sich bei dem vergebenen Ring sogar um das Hochzeitsgeschenk des Ehemannes handelt, das die Ehefrau ohne Not veruntreut. Im Gegensatz zum Almosen (FB 3) und dem Zehnten von der Minne (FB 67n) ist hier die weibliche Figur diejenige, die aus der sexuellen Begegnung zunächst einmal den größeren Profit zieht. 4. Wenn sich der in doppelter Hinsicht – von seiner Ehefrau wie von seinem Gefährten – betrogene Ehemann die Geldsumme, die seine Frau gleichsam als Bezahlung für ihren Liebesdienst erhalten hat, aneignet, um sie unter allen der Dreiecksbeziehung zugehörigen Personen gleichmäßig aufzuteilen, so setzt er dem ökonomisierten Liebeshandel einen Akt höfischer Generosität und Freigebigkeit entgegen, in dem alle ,Mitspieler‘ auf das gleiche Niveau zurückgesetzt werden.368 Sein anökonomisches, durch die Treue bzw. Liebe zu seiner Frau, insbesondere aber durch die Freundschaft zu seinem Gast motiviertes Handeln setzt einen moralischen Kontrapunkt, der die ruinöse Verausgabung seines jüngeren Standesgenossen ethisch kompensiert. Betont wird dieser Aspekt erzählerisch durch die Dopplung der im mittelalterlichen Verständnis ,freundschaftlichen‘ Beziehungen, die der jüngere Ritter zu zwei älteren Standesgenossen unterhält.

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So lautet ein Verspaar im Rahmen der Darstellung des Kampfgeschehens: „der alt ritter mit eile / zämpt den jungen ritter guot“ (FB 67g, V. 376f.). 367 Auffälligerweise finden wir eine ganz ähnliche, vielleicht noch komplexere Doppelgängerkonstellation in der Rittertreue (FB 142), die ebenfalls unter dem Titel Der dankbare Widergänger firmiert: Der Protagonist ist wie bei Heinrich Kaufringer ein verarmter junger Ritter, der allerdings aufgrund seiner verschwenderischen Lebensart zum Nichtstun verdammt ist. Mittels einer von seinem Vater entliehenen Starthilfe gelingt es ihm, in einem Turnier eine Frau zu erringen; zuvor verausgabt er jedoch sein Geld, indem er einen verschuldeten, bereits verstorbenen Standesgenossen auslöst, der als Gespenst wiederkehrt, um ihm zu einem Sieg zu verhelfen, für den er allerdings die Hälfte von dem Siegespreis für sich einfordert usw. 368 STEDE liest diese Stelle wie folgt: „[…] der Ehemann läßt sich darauf ein, daß der Minnedienst der Frau durch Geld vergolten wird, zugleich negiert er den Geschäftscharakter der Leistung, indem er die Bezahlung in Form von Belohnung vornimmt“ (Marga STEDE, Schreiben in der Krise, S. 58).

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b.

Ruprecht von Würzburg: Die Treueprobe (FB 108)

Die Treueprobe (FB 108) von Ruprecht von Würzburg, einem Autor, der nur im vorliegenden Zusammenhang bezeugt ist (vgl. FB 108, V. 940)369, kann ihrem Entstehungskontext nach im städtischen Patriziat des frühen 14. Jahrhunderts, eventuell im Umfeld des Michael de Leone, situiert werden.370 Im einzigen Überlieferungszeugen firmiert der Text unter dem mittelhochdeutschen Titel „Von zwein kafma“371, handelt aber in der Hauptgeschichte372 von der ,Treueprobe‘ einer jungen Ehefrau373, die auch im Epimythion der Verserzählung in den Vordergrund gerückt wird. Hier werden „beide wip unde maget“ (FB 108, V. 933) dazu aufgefordert, „daz i ir muot wilde / zemen mit kiuchlichen iten“ (FB 108, V. 935f.). Anders als in den meisten Verserzählungen mit dieser Motivkonstellation374 ist die Treueprobe nicht mit einer Kraftprobe zwischen den Eheleuten verbunden; sie wird 369

Dem entspricht die ausführliche captatio benevolentiae im Promythion (FB 108, V. 1–24): Hier entschuldigt der Verfasser seine dichterische Unfähigkeit damit, dass er nur selten dichte (vgl. FB 108, V. 22). Zum Promythion dieses Textes allgemein vgl. Christoph GUTKNECHT, Die mittelhochdeutsche Versnovelle Von zwein koufmannen des Ruprecht von Würzburg, S. 139–147; 233– 237; Winfried FREY, Tradition und bürgerliches Selbstverständnis, S. 106f. 370 Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 201f.; Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] Ruprecht von Würzburg, Sp. 418f., zu den philologischen Grundlagen weiterführend Günter HAHN, Ruprecht von Würzburg, S. 1–24, 52–69; Christoph GUTKNECHT, ebd., S. 1–46; 229–232. – Möglicherweise hat dem Verfasser zumindest für den Hauptteil der narratio eine französische Vorlage zur Verfügung gestanden; vgl. Christoph GUTKNECHT, ebd., S. 149f. – Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 80–82, vergleichen die Erzählung mit Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24) und der Wette (FB 140), René WETZEL, Così fan tutte in Würzburg und Florenz, vergleicht sie mit der Variante in occaccios Decamerone, Novella di Zinefra, der neunten Erzählung des zweiten Tages. 371 Vgl. Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.), Neues Gesamtabenteuer, S. 255. Ein Faksimile des Textbeginns findet sich im Ausstellungskatalog von Horst BRUNNER / Hans-Günther SCHMIDT (Hrsg.), Vom Großen Löwenhof zur Universität, S. 53. 372 Zur Struktur des Textes vgl. Günter HAHN, Ruprecht von Würzburg, S. 45–49; Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 93f., 96f. 373 Zur zugrunde liegenden Motivik und verwandten Fassungen vgl. Josef RAITH, Die Historie von den vier Kaufleuten, S. 1–123; Günter HAHN, Ruprecht von Würzburg, S. 66–69; Christoph GUTKNECHT, Die mittelhochdeutsche Versnovelle Von zwein koufmannen des Ruprecht von Würzburg, S. 167–190; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 228. 374 Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 96. – FISCHER attestiert dem Text neben seiner dominierenden Schwankhaftigkeit höfische sowie moralisch-exemplarische Züge, wohingegen SUCHOMSKI das Überwiegen einer didaktischen Intention betont; vgl. dazu Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 179–181, 198; Hanns FISCHER, ebd., S. 114. Die Exemplarität des Textes hebt auch ZIEGELER hervor: „In der ,Treueprobe‘ wird demonstriert, daß die Bewahrung ehelicher Treue auch gegenüber höchstem Gewinn heil (937) mit sich bringt“ (HansJoachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 301), vgl. zudem Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, der den Text zwar in die exemplarische Märentradition stellt (vgl. ebd., S. 113–115), jedoch aufzeigt, wie seine Beweiskraft aufgrund seiner narrativen Überkom-

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demgegenüber motiviert durch das Misstrauen eines Dritten gegenüber dem starken Vertrauen des Ehemanns zu seiner Ehefrau. Anlass dafür bieten die missgünstigen Geschichten, die in einer Runde von begüterten Fernhandelskaufleuten in Provins, einer Handelsstadt in der Champagne, auf Bitten des reichen Wirts Hogier375 (vgl. FB 108, V. 300) zum Besten gegeben werden (vgl. FB 108, V. 315–354). Der geschäftstüchtige Bertram, ein junger Kaufmann aus Verdun, hat sich dorthin begeben, um auf dem Jahrmarkt Waren im Wert von etwa 10.000 Mark feilzubieten, die er zwischenzeitlich in einem Speicher des Gastwirts eingelagert hat (vgl. FB 108, V. 249–264; 292–314). Alle Anwesenden äußern sich sehr negativ über ihre Ehefrauen, u. a. bezeichnen sie diese als Teufel (vgl. FB 108, V. 328), witzeln in Stammtischmanier über ihre sexuelle Untreue (vgl. FB 108, V. 337–341) oder auch ihren Hang zum Alkoholismus (vgl. FB 108, V. 347f.)376; damit schaden sie letztendlich aber nur ihrem eigenen Ansehen, wie der Erzähler treffend kommentiert (vgl. FB 108, V. 354). Eine Ausnahme bildet Bertram, der ganz darauf verzichtet, sich an dem fragwürdigen Gespräch der Männer zu beteiligen (vgl. FB 108, V. 355–359). Durch seine loyale Haltung hebt er sich in der Runde deutlich hervor. Als Hogier ihn schließlich auffordert, ebenfalls ein „maerelin“ (FB 108, V. 363) von seiner Ehefrau zu erzählen, stimmt Bertram stattdessen eine Lobeshymne an, in der er seine Frau Irmengard, ihre Schönheit, Gesinnung, insbesondere aber ihre Aufrichtigkeit und Treue in höchsten Tönen preist und würdigt (vgl. FB 108, V. 360–388; 392– 395).377 Der Wirt vermag darin nichts anderes als ein Zeugnis geistiger Verwirrung (vgl. FB 108, V. 389f.) bzw. jugendlicher Naivität (vgl. FB 108, V. 396–400) zu sehen und fordert ihn daher zu einer Wette heraus: Er, Hogier, wette, dass er es binnen eines halben Jahres schaffe, „mit ir ze bette“ (FB 108, V. 402) zu gehen; dem Gewinner der Wette solle schließlich das gesamte Hab und Gut des Verlierers zufallen (vgl. FB 108, V. 401–421). Weil Bertram von der Standhaftigkeit seiner Gattin überzeugt ist, lässt er sich ohne zu zögern auf die riskante Wette ein (vgl. FB 108, V. 422f.). Um Hogier das Feld zu bereiten, lässt Bertram seiner untröstlichen Ehefrau die Nachricht übermitteln, dass er länger ausbleiben werde, um seine Geschäftsreise nach Venedig auszudehnen (vgl. FB 108, V. 422–449). Unterdessen bricht der „vil tolze her Hogier“ (FB 108, V. 452) auf, um die in Verdun verbliebene Strohwitwe zu verführen. plexität herabgesetzt wird (vgl. ebd., S. 118f.); ebenso weist Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 71, auf die Komplexität der Erzählung hin, wertet diese jedoch eher positiv. 375 Der Name ,Hogier‘ verweist auf die Figur des Ogier von Dänemark, die ihren Ursprung in den französischen chansons de geste hat. 376 Damit evoziert der Text das Bild des übelen wîbes, das hier als Gegenbild zur vorbildlichen Protagonistin Irmengard fungiert; vgl. Wolfgang DITTMANN, Märendichtung, S. 177; René WETZEL, Così fan tutte in Würzburg und Florenz, S. 130. 377 Er stilisiert das Bild einer höfischen Dame nach literarischem Muster; vgl. Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 81 und Anm. 25; René WETZEL, Così fan tutte in Würzburg und Florenz, S. 128.

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Dabei geht er äußerst planvoll vor: Zunächst quartiert er sich gegenüber ihrem Wohnhaus ein, verfolgt das Objekt seiner in erster Linie finanziellen Begierde auf Schritt und Tritt und erzwingt durch unermüdliche Höflichkeitsbezeigungen ihre Aufmerksamkeit (FB 108, V. 454–458). Er sendet ihr „kleinotes vil und manegen gruoz“ (FB 108, V. 472) und besticht, als dies nicht verfängt, ihr Dienstpersonal, um sich auf diese Weise Fürsprache bei ihr zu erkaufen (vgl. FB 108, V. 479–493). Nachdem auch dies erfolglos bleibt, wendet sich Hogier unmittelbar an Irmengards Vertraute und Lieblingsdienerin Amelin, die gerne bereit ist, sich für einen Botengang ein Zubrot zu verdienen. Hogier schiebt ihr „[…] zer elben tunt / in ir buosen wol ein pfunt“ (FB 108, V. 528f.) und stellt ihr eine noch größere „miete“ (FB 108, V. 530) in Aussicht, wenn sie ihre Herrin nur dazu bringe, ihm für 100 Mark zu Willen zu sein (vgl. FB 108, V. 512–536). Amelin, „der miete geil“ (FB 108, V. 538), trägt Irmengard Hogiers Ansinnen vor, erhält jedoch eine abschlägige Antwort, so dass sich Hogier gezwungen sieht, seinen Preis zuerst auf 200 Mark, dann sogar auf 1.000 Mark zu erhöhen (vgl. FB 108, V. 537– 557). All diese Angebote vermögen Irmengard jedoch weder zu überzeugen noch anzufechten; sie reagiert, im Gegenteil, mit deutlicher Ablehnung und zunehmend verärgert auf die aufdringlichen Offerten des Wirtes und bleibt weit davon entfernt, sich ihm hinzugeben (vgl. FB 108, V. 473–478; 494–501; 543–547; 551; 569–571; 587–599): Ihr Sinn stehe keineswegs danach, ihn „ze koufenn“ (FB 108, V. 497), da sie in ausreichendem Maße über eigenen Besitz verfüge und ihre Ehre keinesfalls um des Geldes willen zu veräußern beabsichtige (vgl. FB 108, V. 546f.). Dabei geht Irmengard wie selbstverständlich davon aus, dass ihre vriunt in dieser Angelegenheit so denken wie sie (vgl. FB 108, V. 477; 570); sie muss sich jedoch eines Besseren belehren lassen, denn einer nach dem anderen plädiert im Folgenden dafür, das ,unmoralische Angebot‘ doch anzunehmen. Als Erste verwendet sich Amelin für Hogier mit dem Argument, dass es nur in Bertrams Sinne sein könne, wenn Irmengard 1.000 Mark einnehme; sie müsse damit rechnen, dass er es ihr verübele, wenn sie auf dieses leicht zu verdienende Geld verzichte, da er auf seinen Reisen kaum einen Gewinn in solcher Höhe einbringen könne (vgl. FB 108, V. 558–566; 572–586). Ebenso wirken ihre Tante (vgl. FB 108, V. 600–613), ihre Eltern (vgl. FB 108, V. 614–635) und sogar ihre Schwiegereltern (vgl. FB 108, V. 636–652) mit ähnlichen Argumenten massiv darauf hin, dass sie in den Handel einschlägt; ihr eigener Vater sogar droht ihr mit Blendung (vgl. FB 108, V. 635), und von ihrer Tante bekommt sie zu hören, dass ein einmaliger außerehelicher Beischlaf wohl keinen Schaden ausrichten werde: o er nu von dir kere, o laz du dine choze nider, o bit du aber danne wider diu elbe diu du e waere. (FB 108, V. 610–613)

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Selbst in einer öffentlichen Versammlung378, die Irmengard in ihrer Verzweiflung anberaumen lässt, rücken ihre Verwandten nicht von ihrem rein ökonomisch motivierten Ratschlag ab.379 Vor dem Hintergrund dieses unwahrscheinlichen Szenarios nimmt sich Irmengards aufrechte Gesinnung, in der sich Bertram also keineswegs getäuscht hat, nur umso größer aus. Da sie fest entschlossen ist, ihre Treue zu bewahren380, greift sie nun zu einer List und schlägt ihre Ratgeber gleichsam mit ihren eigenen Mitteln: Sie dingt nämlich jetzt ihrerseits – auf einen Rat Gottes hin (vgl. FB 108, V. 689–692) – die geldgierige Dienerin Amelin, damit sie für 100 Mark an ihrer Stelle mit Hogier schläft. Sie lässt Hogier ausrichten, dass sie sein Angebot annehme und er von Amelin in das Haus gelassen werde (vgl. FB 108, V. 684–712). Tatsächlich tauschen die beiden Frauen jedoch zuvor ihre Kleider aus und Irmengard empfängt den „koufman“ (FB 108, V. 725), während die für den Liebesdienst abgestellte Amelin im Bett auf ihn wartet (vgl. FB 108, V. 713–772). Als er freundlich empfangen wird, lässt es sich Hogier nicht nehmen, Irmengard, die er für Amelin hält, erneut zu belohnen: „er choup der vrouwen in ir kleit / aldo zuo der elben tunt / mere danne zehen pfunt“ (FB 108, V. 732–734). Der Verwechslungskomödie folgt nun die in der komischen Rhetorik des Liebeskampfes geschilderte381 sexuelle Begegnung zwischen Hogier und Amelin, die daran durchaus Gefallen findet (FB 108, V. 746–785). Die Morgensituation des Tageliedes parodistisch verkehrend382, werden die beiden am nächsten Tag von Irmengard geweckt (vgl. FB 108, V. 786–792). Die Zusammenkunft endet dann allerdings wenig erfreulich mit einer gewaltsamen Verletzung, wenn Hogier der Dienerin als „wortzeichen“ (FB 108, V. 909) einen Finger abschneidet.383 Dazu kommt es, weil sie seiner vordergründigen

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Unter den Aspekten von Öffentlichkeit und Privatheit respektive Heimlichkeit untersucht Rüdiger BRANDT, Enklaven – Exklaven, S. 87–98, 329f., die vorliegende Erzählung. 379 An dieser Konstellation macht Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung der Witz und das Chaos, S. 118f., u. a. eine mangelnde Qualität des Textes fest: Die Erzeugung einer dilemmatischen Situation, in der die Protagonistin von ihrer Familie etc. unter Druck gesetzt werde, verunklare die motivische Grundidee einer Probe weiblicher / ehelicher Treue und Standhaftigkeit. 380 Es kann indes keine Rede davon sein, dass sie sich in einem „Gewissenszwiespalt“ (Hans-Jürgen BACHORSKI, Ehe und Trieb, Gewalt, Besitz, S. 20) befände. 381 Vgl. Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 276; Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 72. 382 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 213f. 383 Der abgeschnittene Finger ist motivgeschichtlich mit dem Beweis weiblicher Treue verbunden; vgl. Christoph GUTKNECHT, Die mittelhochdeutsche Versnovelle Von zwein koufmannen des Ruprecht von Würzburg, S. 166; zu Unterschieden in der Motivtradition vgl. jedoch Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 119; er betrachtet es als literarische Schwäche des Textes, dass diese zweifelhafte Folge des Plans letztlich als Ergebnis von Gottes Rat dargestellt wird; vgl. ebd., S. 118f.; anders dagegen Winfried FREY, Tradition und bürgerliches Selbstverständnis, sowie Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 72, die diese Passage als Form von Ironie deuten. – Psy-

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Bitte um ein Minnepfand nicht nachkommen kann bzw. will; Hogier benötigt jedoch einen unbezweifelbaren Beweis dafür, dass er die junge Ehefrau verführt und somit seine Wette gewonnen hat (vgl. FB 108, V. 793–802). Nach Provins zurückgekehrt, fordert der Wirt von dem ungläubigen Bertram, der nun ernsthaft um seine Ehre fürchtet (vgl. FB 108, V. 816), dessen Besitz als Einlösung seiner Wettschuld (vgl. FB 108, V. 803–825). Gemeinsam begeben sie sich nach Verdun, wo Bertram ein großes Fest veranstaltet, um den Ausgang der Treueprobe öffentlich feststellen zu lassen (vgl. FB 108, V. 826–837; 851–862). Noch bevor das Fest beginnt, erfährt der zwar nicht vollends zweifelnde, jedoch einigermaßen verunsicherte Bertram von seiner Frau, die seine „jameruht“ (FB 108, V. 872) bemerkt hat und ihm abnötigt, sich ihr zu offenbaren, dass er keinen Grund zur Sorge habe; an ihren Worten hegt der erleichterte Ehemann dann auch keinerlei Zweifel (vgl. FB 108, V. 838–850; 863–893). Gelassen kann er somit zusehen, als Hogier auf dem Fest den Finger von Amelin zum Beweis für seine Verführungskünste und die vermeintliche Untreue von Irmengard aus seiner Tasche zieht und der Öffentlichkeit präsentiert (vgl. FB 108, V. 894–909). Zu Hogiers großem Verdruss und zur Überraschung ihrer Anverwandten kann Irmengard jedoch ihre unversehrten Hände herzeigen, womit ihre Treue vor aller Augen erwiesen ist (vgl. FB 108, V. 910–919). Gleichwohl endet die Geschichte für alle Beteiligten mit einem mehr oder weniger glücklichen Ende: Bertram fordert von Hogier seinen Gewinn, gibt seinem Widersacher jedoch Amelin zur Frau und schenkt dem Paar die 100 Mark, die sie zuvor erhalten hat (vgl. FB 108, V. 920–931).384 Mit der Erzählung von der Treueprobe (vgl. FB 108, V. 315–931) ist die narratio allerdings noch nicht erschöpft. Ihr vorgeschaltet ist eine ausführliche Schilderung der Umstände, unter denen die Ehe zwischen Bertram und Irmengard zustande gekommen ist (FB 108, V. 25–314).385 Dass diese Vorgeschichte für das Verständnis des Textes nicht unwichtig ist, belegt allein die Tatsache, dass sie etwa ein Drittel der gesamten narratio umfasst. Auch in diesem Teil der Erzählung spielen einerseits ökonomische Aspekte eine zentrale Rolle, insofern beide Ehepartner aus betuchten Kaufmannsfamichoanalytisch betrachtet symbolisiert er das Resultat einer Kastration; vgl. Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 361f. 384 Insgesamt erhält sie damit 200 Mark: 100 von Hogier und 100 von Irmengard und Bertram. 385 Zur Vorgeschichte allgemein vgl. Christoph GUTKNECHT, Die mittelhochdeutsche Versnovelle Von zwein koufmannen des Ruprecht von Würzburg, S. 147–154. Es scheint mir allerdings nicht angemessen, diese auf eine bloß expositorische Funktion zu reduzieren, wie es GUTKNECHT tut; vgl. ebd., S. 149 (vgl. ganz ähnlich Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 181). Udo FRIEDRICH erläutert in seiner Lektüre des Textes die Spannung, die sich aus Vor- und Hauptgeschichte entwickelt: „Herrschen in der Familiengeschichte Ordnung, Eintracht und Wohlstand, so offenbart sich im zweiten Teil mit einer bestechlichen Dienerschaft und einer geldgierigen Verwandtschaft auch die Fragilität des engeren sozialen Gefüges.“ (Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 72f.). – René WETZEL, Così fan tutte in Würzburg und Florenz, S. 123–127, untersucht den historischen Hintergrund im Hinblick auf das städtische Milieu Würzburgs als Entstehungskontext der Verserzählung.

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lien stammen (vgl. FB 108, V. 25–31). Andererseits kontrastiert die kaufmännische Herkunft mit der lauteren Gesinnung ihrer Väter, Gilot und Gillam – auf diese Figuren rekurriert vermutlich die polyseme mittelhochdeutsche Überschrift „Von zwein kafma“386 –, die sich „mit taetes herzen innen“ (FB 108, V. 34) und in innigster vriuntchaft (FB 108, V. 35) zugetan sind, so dass einer für den anderen alles aufopfern würde. Viel Zeit verbringen die beiden Männer, die sich „ere minnen“ ( FB 108, V. 33), getrieben von „der liebe gart“ (FB 108, V. 56), miteinander (vgl. FB 108, V. 32–40; 53–56). Trotz der überaus engen freundschaftliche Bande, die sie pflegen, sind sich die beiden Kaufleute nicht ebenbürtig: Denn Gilot, der Vater der schönen und vernünftigen Irmengard (vgl. FB 108, V. 50–52; 57–59), ist wesentlich reicher als Gillam, der Vater des tüchtigen Bertram (vgl. FB 108, V. 49; 60–64), der Gilot „undertan“ (FB 108, V. 45) ist, „reht als er waer in eigen man“ (FB 108, V. 46) und ihm „an alle cham“ (FB 108, V. 47) dient (vgl. FB 108, V. 41–48). Gemeinsam beherrschen die beiden Kaufleute die Stadt (vgl. FB 108, V. 65–67), und um ihre Machtposition zu befestigten, beschließt Gilot, Gillam durch eine Verheiratung seiner Tochter mit dessen Sohn Bertram noch enger an sich zu binden (vgl. FB 108, V. 68–81; 88–94), wan zweiunge deheine möht in der tete uf getan, ob i zeamen wolten gan mit vriuntlicher taete. (FB 108, V. 76–79)

Zwar ist Gilots Ehefrau von diesem Einfall keineswegs begeistert, da sie ihre Tochter lieber mit einem der Grafen oder Herzöge verheiratet sähe, wie sie bereits um Irmengard geworben haben (vgl. FB 108, V. 95–111); doch von einer solch unstandesgemäßen Verbindung hält der reiche Kaufmann gar nichts: Er könne es nicht ertragen, wenn man sie wegen ihrer mangelnden adligen Abkunft wie ein Rind verschmähe; er wolle sie deshalb nur einem Mann zur Frau geben, der ihr vollkommen ebenbürtig sei (vgl. FB 108, V. 112–120). Auch Gillam hält zunächst nichts von dieser Idee, da er sich aufgrund seiner Armut Gilot als „diener“ (FB 108, V. 145) unterlegen fühlt (FB 108, V. 143–148). Doch Gilot als der Mächtigere setzt sich durch, und sogleich wird die Hochzeit anberaumt und mit großem Prachtaufwand gefeiert (vgl. FB 108, V. 149– 218). Aufrichtige Zuneigung und Beständigkeit, welche die Verbindung zwischen den beiden Kaufmännern prägt387 – vergleichbar im übrigen der ritterlichen Verbundenheit 386

NGA, S. 255. – Zu anderen Ausdeutungsmöglichkeiten – gemeint sein könnten ebenso Bertram und Hogier sowie Hogier und Irmengard – vgl. Christoph GUTKNECHT, ebd., S. 153–157; 239f. – BEUTIN verweist in seiner psychoanalytischen Lesart des Textes auf die Aufspaltung der Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder in der Treueprobe (FB 108) in jeweils eine ,treue‘ und eine ,triebhafte‘ Figur; vgl. Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 383. 387 Anders Winfried FREY, Tradition und bürgerliches Selbstverständnis, S. 107f., der das politische Machtgefälle zwischen beiden Kaufmännern betont und die Heirat als Instrument der Pazifizierung betrachtet; vgl. ebenso Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters, S. 457f.

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in Kaufringers Zurückgegebenem Minnelohn (FB 67g) –, entwickelt sich dann ebenso in der unzertrennlichen Zweisamkeit zwischen den jungen Eheleuten, die mehr als zehn Jahre in Eintracht zusammenleben (vgl. FB 108, V. 219–248; 265–291), bis ihre Liebe durch die besagte Treueprobe auf den Prüfstand gestellt wird. Beiden Paaren stehen als drittes Paar Hogier und Amelin gegenüber, deren Verbindung allein durch materielles Besitzstreben begründet worden ist. Es wäre zu einfach, die zentrale Geld- und Gabenmotivik des Textes damit abzutun, dass es sich dabei lediglich um Reflexe „einer typisch bürgerlichen Weltanschauung“388 handele, zumal der Text in vielerlei Hinsicht den literarischen Spielregeln und ethischen Werten der höfischen Literatur verpflichtet ist, wie man bereits an der wiederholten Darstellung herrschaftlicher Freigebigkeit erkennen kann.389 Dementsprechend wurde das Geldmotiv mehrfach zum Ausgangspunkt einer avancierteren Interpretation des Textes gemacht. Gegen den ideologiekritischen Ansatz von FREY, der – gleichsam Interpretamente der sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Forschung zum 18. Jahrhundert auf spätmittelalterliche Verhältnisse übertragend – das Insistieren auf dem möglichen Einklang von Kapital und Ehre sowie Gottes hulde in der Treueprobe (FB 108) als ideologisches Kampfmittel des materiell orientierten Bürgertums gegenüber dem Adel betrachtet390, wendet sich vor allem Wolfgang DITTMANN. Dieser sieht in der Verserzählung vornehmlich die neue ökonomische Position der Ehe- und Hausfrau im 13. Jahrhundert verhandelt: Ausgehend von der These, dass der Geldbesitz in dieser Verserzählung keineswegs negativ konnotiert sei, greift er die bemerkenswerte Wendung des Textes auf, dass die Protagonistin das unmoralische Angebot nicht einfach ablehnt, um ihre Ergebenheit zu demonstrieren, sondern es sich zu Nutze macht, um nicht nur ihre sexuelle Treue in ihrer Rolle als Ehefrau, sondern darüber hinaus auch ihre ,ökonomische‘ Loyalität in ihrer Funktion als Hausfrau unter Beweis zu stellen. Indem Irmengard beide Ziele realisiere, so DITTMANN, erweise sie sich als eine vorbildliche Ehefrau, die sich ihrem Ehemann normgerecht unterordne.391 Insofern ihr Handeln nach 388

Christoph GUTKNECHT, Die mittelhochdeutsche Versnovelle Von zwein koufmannen des Ruprecht von Würzburg, S. 134; vgl. zusammenfassend für die ältere Forschung ebd., S. 134f., 163, 232f. und passim; ebenso Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 226, Anm. 2; S. 124, Anm. 63; Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 170f. 389 Vgl. ähnlich – stärker sozialhistorisch als literaturgeschichtlich argumentierend – Wolfgang DITTMANN, Märendichtung, S. 175. 390 „Will das Patriziat die Kluft zum Adel überwinden ohne seine ökonomische Basis aufzugeben, […] so muß es nachweisen können, daß auch auf der Basis von Kapital êre und gotes hulde erworben werden können.“ (Winfried FREY, Tradition und bürgerliches Selbstverständnis, S. 114); vgl. weiterführend ebd., S. 107–119, vgl. ähnlich Walter BLANK, Zur Paarbeziehung in deutscher Märendichtung, S. 72; auch Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 73f., hebt auf das Konfliktpotential zwischen Tugend / Ehre zum einen sowie Geld zum anderen ab, das in dem Text diskutiert werde. 391 Vgl. Wolfgang DITTMANN, Märendichtung, S. 173–181; Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 81f.; René WETZEL, Così fan tutte in Würzburg und Florenz, S. 130, 134.

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den zeitgenössischen Wertmaßstäben der spätmittelalterlichen städtischen Gesellschaft Vorbildcharakter hat, kommt der Erzählung somit ein exemplarischer Gestus zu. Geht man einen Schritt weiter, so lässt sich – wie dies von Albrecht CLASSEN vorgenommen wird – dieses vorbildhafte Verhalten der Protagonistin, welches die ideellen Werte von Treue und solidarischer Partnerschaft verfolgt (ebenso wie das ökonomische Interesse der Familie), als ein frühes Beispiel weiblicher Selbstbestimmung lesen, verbunden mit einer Sozialkritik eines rein ökonomisch gesteuerten Handelns, wie es von den übrigen Personen der Erzählung verkörpert wird.392 Wie bereits im Ansatz schon in Heinrich Kaufringers Zurückgegebenem Minnelohn (FB 67g) gesehen, ist es in Ruprecht von Würzburgs Treueprobe (FB 108) ebenfalls die weibliche Handlungsträgerin, der es gelingt, einen profitablen Gewinn – in Höhe von immerhin 900 Mark und 10 Pfund – zu machen. Zugleich gelingt es ihr jedoch, sich der angetragenen Rolle als käufliches Sexualobjekt erfolgreich zu entziehen, indem sie nur zum Schein auf Hogiers Angebot eingeht und sich dem Wunsch ihrer vriunt, ihren Körper preiszugeben, verweigert. Gerade indem sie sich dem ökonomischen Denken ihrer Verwandten entzieht und sich ganz dem anökonomischen Wert der Treue verpflichtet, kann sie sozial gestärkt aus der Affäre hervortreten.393 c.

Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66)

Die späte Verserzählung Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) aus der ersten Hälfte oder der Mitte des 15. Jahrhunderts ist nur einmal überliefert, und zwar in der heute nicht mehr greifbaren Handschrift des Berufsschreibers Matthias von Günzburg, der seine Namenskürzel in einem Kolophon (vgl. FB 66, V. 617–622, hier V. 622) nennt; der aktuellen Fassung liegt eine Abschrift Friedrich Heinrich von der Hagens zugrunde.394 Der mittelhochdeutsche Text verbindet das vor allem aus William Shakespeares Merchant of Venice395 bekannte Motiv des ,Fleischpfandes‘396 mit dem Motiv der ,Freierpobe‘ und geht vermutlich unmittelbar auf eine Erzählung aus den Gesta Romanorum zurück, 392

Vgl. Albrecht CLASSEN, A Woman Fights for Her Honour, insbesondere S. 97–99, 103, 107–109. Wenn CLASSEN jedoch der Verserzählung die Intention zuspricht, ein männlich-dominantes und misogynes Verhalten gegenüber Frauen sowie kapitalistisches Denken zu kritisieren (vgl. ebd., S. 99, 107–109), geht er damit m. E. jedoch recht weit. 393 Es böte sich an, diese Verserzählung mit dem Hellerwertwitz (FB 40) zu vergleichen, da auch hier das Thema der ,käuflichen Liebe‘ dazu benutzt wird, um die Treue der Ehefrau eines Kaufmannes zu erweisen. Anders als bei Ruprecht von Würzburg erweist sich jedoch in dieser Erzählung der betreffende Ehemann als untreu; vgl. weiterführend insbesondere Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 217–220; DERS., Geld, Liebe und Verstand, passim. 394 Die umständliche Überschrift lautet: „Diß ist von Kaiser Lucius tochter wie mit listen yr er enthielt vnd si doch ain ritter erwarb mit listen“; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 71. 395 Zu einem motivischen Vergleich beider Texte vgl. Klaus GRUBMÜLLER, „Kaiser Lucius’ Tochter“, S. 98f., 101–105.

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die in ähnlicher Form bereits in den Sieben weisen Meistern des Johannes de Alta Silva überliefert ist.397 Trotz ihrer immer wieder bemängelten erzählerischen Qualität398 weist sie gleichwohl eine komplexe Konstellation von Tauschhandlungen unterschiedlichster Prägung auf, die insbesondere im Hinblick auf die Geschlechterfrage von besonderem Erkenntniswert sind. Federführende Akteurin ist die schöne und jungfräuliche Tochter des Kaisers Lucius399, in die sich ein am Hof lebender Ritter aufs Heftigste verliebt (FB 66, V. 1–13). Forsch fragt er sie deshalb in einem Moment der Zweisamkeit, was er ihr dafür geben müsse, um eine Nacht bei ihr schlafen zu dürfen (vgl. FB 66, V. 14–21). Umgehend erhält er eine äußerst präzise Antwort: „tusend guldin und nit mer / darumb ich von dir beger“ (FB 66, V. 23f.). Ob die Protagonistin mit einer Annahme rechnet, lässt der Text offen400; unverzüglich nimmt der Ritter indes das Angebot an und begibt sich noch in der gleichen Nacht zu ihr, nachdem er das Geld übergeben hat. Leider schläft er jedoch unverrichteter Dinge neben der Prinzessin ein, obgleich diese sogar unbekleidet ist (vgl. FB 66, V. 39f.; 243). Zwar will sich die Gastgeberin am nächsten Morgen auf eine spontane Zusammenkunft mit ihm nicht mehr einlassen, da der Handel ja korrekt zustande gekommen ist; trotz ihres Spotts, den sie über den Ritter ausschüttet, räumt sie ihm aber – wiederum zu einem Preis von 1.000 Gulden – eine zweite Chance ein (vgl. FB 66, V. 25–76). Das Procedere wiederholt sich daraufhin: Der Ritter zahlt und verbringt die Nacht schlafend im Bett der Prinzessin, so dass er um eine dritte Chance bitten muss. Als sie jedoch erneut 1.000 Gulden dafür einfordert, bringt dies den Ritter in eine verzwickte Lage, denn es fehlen ihm nunmehr die finanziellen Mittel, da er in die erste Nacht bereits sein gesamtes Bargeld investiert hat und die zweite durch die Verpfändung von „erb und eigen“ (FB 66, V. 108) hat finanzieren müssen. Der Ritter lässt aber auch diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen (vgl. FB 66, V. 77–115), da er auf die Idee verfällt, sich die notwendige Summe von jemandem leihen zu können. Es ist bezeichnenderweise ein Angehöriger des potenten Bürgertums (vgl. FB 66, V. 117; 198), der bereit ist, ihm das Geld bis zu einem bestimmten Termin

396

Vgl. hierzu Hannjost LIXFELD, [Art.] Fleischpfand. Bei der vorliegenden Variante handelt es sich um die sog. Freierprobenredaktion; vgl. ebd., Sp. 1257f. 397 Zu Überlieferung, Datierung sowie stoff- und motivgeschichtlicher Genese vgl. Michael CURSCHMANN, [Art.] ,Kaiser Lucius’ Tochterʻ; Klaus GRUBMÜLLER, „Kaiser Lucius’ Tochter“, S. 97–101. 398 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, ebd., S. 97. 399 Der Name geht vermutlich auf den römischen Kaiser Lucius Aelius Aurelius Commodus zurück; vgl. ebd., S. 94. – Zu Recht hat HOVEN auf die Tatsache hingewiesen, dass das Thema der ,käuflichen Liebe‘ mit einer Kaiserstochter hier an eine gesellschaftlich außergewöhnlich hochstehende Figur gebunden ist; vgl. Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 232. 400 LINKE betont, dass die außerordentliche Höhe des Betrages die Funktion habe, den Ritter von einer Annahme des Angebotes abzuhalten; vgl. Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters, S. 468f., Anm. 57.

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zur Verfügung zu stellen. Als Sicherheit fordert der Kreditgeber jedoch eine schriftliche Verpflichtung des Ritters, die dieser mit seinem eigenen Blut aufsetzen und besiegeln müsse; sie solle beinhalten, dass er, der Gläubiger, im Falle einer Fristüberschreitung so viel „des frischen flaisches“ (FB 66, V. 146) aus dem Körper seines Schuldners herausschneiden dürfe, dass er das Geld damit aufwiegen könne.401 Der Ritter lässt sich auf diesen gewagten Handel ohne Bedenken ein und erhält umgehend die gewünschte Summe (vgl. FB 66, V. 116–163). Dieses Mal geht er damit allerdings vorsichtiger zu Werke, um nicht wieder vergeblich „lon“ (FB 66, V. 184) zu zahlen und „in armut, / […] schand und laster“ (FB 66, V. 200f.; vgl. V. 170) zu versinken. Er wendet sich daher an einen „maister […] / der natürlichen kunst“ (FB 66, V. 172f.), um sich von ihm beraten zu lassen (vgl. FB 66, V. 164–228). Dieser rät ihm, „ain klains brieflin“ (FB 66, V. 212), das im Bett der Prinzessin versteckt sei und den Schlaf bewirke, heimlich zu entfernen; sodann werde ihm „die magt schön zutail“ (FB 66, V. 228). Der Ritter befolgt den Rat, übergibt der Kaiserstochter das „gold“ (FB 66, V. 231), entfernt das brieflin und beginnt mit seinem Vorhaben, „uß der magt ain wib“ (FB 66, V. 277) zu machen. Als die entsetzte Prinzessin bemerkt, dass ihr Bettgenosse ihren „eren“ (FB 66, V. 263) einen „schaden“ (ebd.) zuzufügen beabsichtigt, bietet sie ihm zuerst die Rückgabe des Geldes (vgl. FB 66, V. 258–260), sodann die doppelte Menge „gold“ (FB 66, V. 265) an (vgl. FB 66, V. 264f.).402 Beides weist der Ritter jedoch energisch zurück: „gebest du mir dins vatters rich und sin gewalt ganz und gar, ich mecht dich nit geweren zwar, des du begerst an mich hie.“ (FB 66, V. 268–271)

Nachdem die Zauberkräfte des brieflins unwirksam geworden sind, ringt der Ritter mit der Prinzessin solange, „biß sin will ward gar vollbracht“ (FB 66, V. 275).403 401

In der Forschung wurde das Motiv des Fleischpfandes historisch u. a. auf das römische Zwölftafelgesetz aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. zurückgeführt, dem zufolge das Nichtbegleichen von Schulden mit einer körperlichen Verstümmelung bestraft werden konnte; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, „Kaiser Lucius’ Tochter“, S. 100f., aus rechtshistorischer Perspektive umfassend Uwe DIEDERICHSEN, Das Fleischpfand, S. 138–149. Für seine konkrete Ausformung in Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) hat man – ohne die breite Tradition des Motivs zu berücksichtigen – überdies auf entsprechende Bestimmungen des germanischen Schuldrechts verwiesen; vgl. Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 84. Schließlich entspricht die Idee des Fleischpfandes ebenso dem christlichen Verbot, Zinsen in Geldform einzunehmen, insofern hier lediglich eine Art von ,Naturalzins‘ gefordert wird; vgl. analog zu Shakespeares Merchant of Venice Sigrid WEIGEL, „Shylock“ und „Das Motiv der Kästchenwahl“, S. 122f. Vgl. zuletzt zur Motivik des Fleischpfandes Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed?, insbesondere S. 153–158. 402 Die Bezeichnungen geld und gold wechseln einander in der Verserzählung unsystematisch ab, je nach reimtechnischen Erfordernissen. 403 Ute VON BLOH bezeichnet diesen Sexualakt als „Vergewaltigung“ (Ute VON BLOH., Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 84).

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Nach ihrer Entjungferung ist die Protagonistin wie ausgewechselt und bringt dem Ritter nun ihre allergrößte Zuneigung entgegen (vgl. FB 66, V. 229–280).404 Wiederum kaschiert der Erzähler das Faktum der Übervorteilung und Überwältigung der Prinzessin durch die Darstellung ihrer eigenen sexuellen Freude. Das Paar entwickelt ein so ausgeprägtes Liebesleben, dass ihm dadurch großes Unheil droht, denn der Ritter versäumt die fristgerechte Rückzahlung seiner Schulden. Erst fünfzehn Tage später erinnert er sich daran und muss nun befürchten, sein Leben zu verlieren. In dieser Sorge fühlt er sich bestätigt, nachdem auch die großzügige Spendenbereitschaft der Prinzessin, die jegliche Forderung für ihn übernehmen will, den Gläubiger nicht von seinem grotesken Ansinnen abzubringen vermag, das Fleischpfand einzufordern (vgl. FB 66, V. 281–384). Der nun folgende Teil der Erzählung schildert eine Gerichtsverhandlung, die der Bürger gegen den säumigen Schuldner anstrengt (vgl. FB 66, V. 385–538). Als die Prinzessin von dem Prozess erfährt, begibt sie sich selbst in Männerkleidung zum Gericht, um in die Verhandlung einzugreifen.405 Weil sich der Richter bereits zugunsten des Ritters ausgesprochen hat (vgl. FB 66, V. 410–412), versucht die unerkannte Anwältin, den Bürger durch Bitten und neuerliche Geldangebote umzustimmen (vgl. FB 66, V. 414–424). Im unbeugsamen Verhalten des Gläubigers spiegelt sich indes die unnachgiebige Haltung des Ritters gegenüber der Kaiserstochter: Genauso wenig wie dieser nicht einmal für das Kaiserreich (vgl. FB 66, V. 268) auf die erkaufte ,Liebe‘ verzichten würde, rücke er, der Bürger, für ein Königreich von seiner Position ab (vgl. FB 66, V. 425–428). Daher ändert die Prinzessin ihre Strategie und legt den Richter darauf fest, über beide Kontrahenten, Ritter wie Bürger, nach gleichem Recht zu urteilen (vgl. FB 66, V. 444–449; 465–468): Da der Bürger – ohne nähere Begründung und nur um Recht zu behalten406 – darauf beharre, das Fleischpfand aus Brust und Herz des Ritters herauszuschneiden (vgl. FB 66, V. 458–462), müsse sie auf der Einhaltung eines geltenden Gesetz (vgl. FB 66, V. 474f.) bestehen, das seinem Begehren entgegenstehe: 404

Vielleicht etwas zu drastisch bezeichnet Ute VON BLOH diese Veränderung als Mutation vom Zerrbild der tückischen Betrügerin zum Idealbild der treuen Geliebten und die sexuelle Überwältigung der Kaiserstochter als einen erzieherischen Akt; vgl. ebd., S. 80f., 84. Der plakativen These einer Negativzeichnung der Protagonistin im ersten Teil des Textes vermag ich nicht zuzustimmen. Von Beginn der narratio an wird die Kaiserstochter durch den Erzähler vollständig positiv dargestellt: Sie ist „schön und zart, / wol geboren, von hocher art“ (FB 66, V. 3f.; vgl. V. 26; 249), „wol getan“ (FB 66, V. 32), „vin“ (FB 66, V. 73), „kluoc“ (vgl. FB 66, V. 81), wird von ihrem Vater geliebt (vgl. FB 66, V. 5) und übertrifft alle ihresgleichen „an tugend und an der geber“ (FB 66, V. 7). Dabei zeichnet sie sich weniger durch tückische Hinterlist aus als vielmehr durch Unbesonnenheit (vgl. FB 66, V. 22). 405 Da an dieser Stelle der Erzählung zwischen V. 406 und V. 408 aufgrund eines Blattverlustes eine Lücke in der Überlieferung vorliegt, kann dies aus dem Zusammenhang und der lateinischen Vorlage aus den Gesta Romanorum nur erschlossen werden; vgl. hierzu die lateinischen Passage und die neuhochdeutsche Übersetzung bei Klaus GRUBMÜLLER, „Kaiser Lucius’ Tochter“, S. 95f., Anm. 5. 406 Vgl. ebd., S. 103.

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„quicumque sanguinem alicuius effudt, / sanguis eius effundetur“ (FB 66, V. 476f.).407 Rechtshistorisch betrachtet handelt es sich dabei um das alttestamentarische Vergeltungsprinzip (vgl. Gen. 9,6), das mit der feudalen Reziprozitätslogik spiegelnder Strafen in der mittelalterlichen Rechtslehre konform geht408: wer vergüßt des andren plut in zorns wis und unmut, des glich im auch geschech, das man sin plut fliessen sech. wer den andren bringt zom tod, dem tut man billich die selb not. (FB 66, V. 479–484)

Nun allerdings bekommt es der Bürger doch mit der Angst zu tun; sogleich nimmt er von seiner unvernünftigen Forderung Abstand und will stattdessen schnell wieder seine 1.000 Gulden einklagen (vgl. FB 66, V. 501–507). Der Richter fällt sein Urteil und gibt dem Plädoyer statt, den Ritter frei zu sprechen und die Ansprüche des Klägers gänzlich zurückzuweisen. Dies bedeutet, in anderen Worten, dass der Bürger hinfort nicht nur auf sein Fleischpfand, sondern ebenso auf sein Geld verzichten muss. Als Begründung für diesen Urteilsspruch führt der Richter an, dass besagtes Gesetz einem Vertragsabschluss von vornherein entgegengestanden habe, so dass der ganze Handel nichtig gewesen sei (vgl. FB 66, V. 508–535). Im abschließenden Teil der Erzählung (FB 66, V. 553–610) stehen im Wesentlichen das cross-dressing der Protagonistin und seine Auflösung im Mittelpunkt des Geschehens, auf das an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden muss.409 Auch Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) endet sodann mit einem Happy End in Form einer Heirat des Paares (vgl. FB 66, V. 611–616) und dem Hinweis darauf, dass der Ritter den „werden lib“ (FB 66, V. 614) seiner Ehefrau hinfort „mit grossen eren one missewend“ (FB 66, V. 615) behandelt habe. Uns soll an dieser Stelle vornehmlich die Verknüpfung zweier Formen des Geldbzw. Gabenverkehrs interessieren, die das weibliche und männliche Geschlecht in je unterschiedlicher Weise betreffen, nämlich zum einen die sexuelle Preisgabe des weiblichen Körpers410 gegen Geld und zum anderen die Verpfändung des männlichen Körpers ebenfalls um des Geldes willen. Dabei scheint es m. E. weniger um geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich des jeweiligen Rechtsstatus zu gehen411, sondern

407

Dieser lateinische Text ist aus der Vorlage übernommen. Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, „Kaiser Lucius’ Tochter“, S. 97, Anm. 7, 104; Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 84f. Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed?, geht in ihrer Analyse des Textes schwerpunktmäßig auf die symbolische Bedeutung des Blutes ein, dessen Sichtbarkeit in der mittelalterlichen Kultur für eine Verletzung der Körpergrenzen einstehe. 409 Vgl. hierzu Kap. 4.1.2.e der vorliegenden Arbeit. 410 Vgl. ebenso Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 80. 411 Vgl. entsprechend ebd., S. 85. 408

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vielmehr um die divergierenden Positionen, die Mann und Frau im komplexen Gabenverkehr der Verserzählung einnehmen. Hinsichtlich ihrer Einsatzbereitschaft gibt es auf den ersten Blick keinen bedeutenden Unterschied zwischen Ritter und Kaiserstochter, denn beide setzen die Unversehrtheit ihres Körpers aufs Spiel, um Geld zu erwerben.412 Beide Handelsgeschäfte, sowohl der weibliche Liebeshandel als auch die männliche Kreditaufnahme, so ist zunächst festzuhalten, unterliegen ökonomischem Denken und reziproken Tauschstrukturen. Gravierende Unterschiede zeigen sich jedoch hinsichtlich der Funktion, die Geld bzw. Gold für die handlungstragenden Figuren besitzen. Für die Tochter des Kaisers, der schier unerschöpfliche Mittel zur Verfügung zu stehen scheinen (vgl. FB 66, V. 264f.; 339– 350; 421–424), so dass sie auf die Geldzahlungen des Ritters keineswegs angewiesen ist, hat ihr Besitz keine besondere Bedeutung. Sie gehört einer Lebenssphäre an, in der das Ideal höfischer Freigebigkeit mit der Vorstellung von märchenhaftem Reichtum verbunden ist, der garantiert, dass der Spendenfluss herrschaftlicher Verausgabung niemals versiegt.413 Anders hingegen der Ritter, dessen begrenzte finanzielle Ressourcen seine Handlungsmöglichkeiten deutlich einschränken. Geld ist für ihn in erster Linie notwendiges Mittel zum Zweck, d. h. es ist Tauschmittel im neuzeitlichen Sinne, um seiner Begierde nachgeben und sich der Kaiserstochter sexuell annähern zu können. Damit bewegen sich beide Figuren gleichsam in unterschiedlichen Gabenmilieus: Die phantastisch anmutende Welt der Prinzessin, in der märchenhafte und magische Elemente ihren Raum finden, konkurriert mit den realen wirtschaftlichen Anforderungen der Lebenswirklichkeit des am Hofe subordinierten Ritters. In beiden Geschäftsvorgängen, in die der Ritter verwickelt ist, d. h. den Kauf der ,Liebe‘ sowie die Kreditaufnahme, die gleichermaßen ökonomischen Regeln gehorchen, kommt es zu einer Störung der Gabenzirkulation, indem Faktoren Bedeutung erlangen, die in den Dimensionen des Tauschwertprinzips nicht vermessbar sind. Sowohl die Deckung des Kredits mit dem Fleischpfand, das unweigerlich zum Tod und damit zum Abbruch eines jeden Tauschverkehrs führen muss, als auch die Erfüllung seines sexu412

Während die junge Frau ihre Unversehrtheit allerdings durch die magische Kraft des brieflins abgesichert weiß, verschreibt sich der Ritter seinem Gläubiger mit Haut und Haaren, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie er seinen Körpereinsatz schadlos halten kann; dass der Verlust seines Lebens mehr wiegt, als der Verlust ihrer êre, zeigt die Handlungsführung des Textes. – Bettina BILDHAUER hat in diesem Zusammenhang jüngst aufgezeigt, dass in Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) ein Konkurrenzverhältnis im Sinne einer „gender imbalance“ (Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed?, S. 166) auf der Grundlage des Ideals der Unversehrtheit des männlichen Körpers sowie der Unversehrtheit der weiblichen Jungfräulichkeit entwickelt werde: Aufgrund des magischen Briefes könne die Kaisertochter die normgerechte Penetration durch den Ritter verhindern und dessen Penetrationsfähigkeit beschneiden, schließlich werde die tradierte Geschlechterordnung jedoch durch den Vollzug des Geschlechtsaktes und die Heirat wiederhergestellt; auf diese Weise erzähle die Geschichte von der Bedrohung der Integrität des männlichen Körpers, welche letztendlich jedoch nicht ernsthaft durch eine Frau gefährdet werden könne; vgl. ebd., S. 165–169. 413 Sie ist als Tochter des Kaisers dem Ritter sozial überlegen; vgl. Bettina BILDHAUER, ebd., S. 167.

Geschlecht und Ökonomie

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ellen Begehrens, die sich der Ritter für die geliehene Summe erkauft, sind mit dem rational strukturierten Geldwesen gänzlich inkompatibel. Mit diesem doppelseitigen Abbruch der allgemeinen Zirkulation gerät der Ritter in eine existentielle Sackgasse. Der einzige Ausweg, der in Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) aufgezeigt wird, um sowohl den weiblichen als auch den männlichen Körper vor einer Verstümmelung zu schützen, wäre aber die – in diesem Falle weiblich codierte – anökonomische Freigebigkeit, mit der die Protagonistin das drohende Unheil verhindern könnte. Die männlichen Figuren, Ritter wie Bürger, lehnen ihre großzügigen finanziellen Offerten jedoch gleichermaßen ab und beharren demgegenüber auf der Einhaltung des – in Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) eindeutig männlich codierten – reziproken Tauschprinzips. Möglicherweise liegt die ablehnende Haltung der männlichen Figuren darin begründet, dass der jungen Frau die Einnahme einer hierarchisch übergeordneten Position, die aus dem sozialen Akt der Freigebigkeit resultieren würde, erzählstrategisch nicht zugestanden werden soll. Der Ritter setzt das Prinzip eines reziproken Tausches gegenüber der Prinzessin mit Gewalt durch, so dass der weibliche Körper von einem „schaden“ (FB 66, V. 263) nicht verschont bleibt. Zwar wird dieses Vorgehen nicht weiter expliziert, einen Kommentar liefert jedoch die strukturelle Wiederholung dieser Passage und ihre auffällige Variation im Rahmen der Gerichtsszene. Bei der zweiten Weigerung, die Regeln eines reziproken Gabendiskurses aufzugeben, die in Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) durch den bürgerlichen Gläubiger zum Ausdruck gebracht wird, agiert die Prinzessin weitaus erfolgreicher. So gelingt es ihr, den drohenden Tod ihres Geliebten zu verhindern, indem sie sich nicht nur äußerlich als Mann geriert, sondern sich darüber hinaus die männliche Reziprozitätslogik zu eigen macht, um sie gegen das hier als destruktiv verstandene ökonomische Denken der männlichen Figuren zu verwenden. Vermag sie sich mit ihrem Vorschlag, den Konflikt durch Freigebigkeit zu lösen, nicht durchzusetzen, so schlägt sie die männlichen Figuren nun gleichsam mit ihren eigenen Waffen, wenn sie den Richter dazu bewegt, über die Kontrahenten nach gleichem Recht zu urteilen: Denn auch in dem Richterspruch wird das Prinzip der Wechselseitigkeit zugrunde gelegt, wenn darin auf Geheiß der Kaiserstochter zwei Rechtsvorschriften einander gegenübergestellt werden. Da sie sich widersprechen, führt dies zur Auflösung des Kredithandels, und dies desavouiert die soziale Unzulänglichkeit eines auf rein ökonomischen, d. h. reziproken Prinzipien basierenden Handelns. Abschließend lässt sich im Hinblick auf die Thematisierung von ,käuflicher Liebe‘ in der mittelhochdeutschen Verserzählung resümieren, dass sich die motivische Einführung von Geld als Zahlungsmittel, das prinzipiell allen Menschen ohne Ansehen ihrer Geschlechtszugehörigkeit zugänglich ist und eine Teilhabe an der allgemeinen Zirkulation ermöglicht, auf die Gestaltung weiblicher Handlungsspielräume sowie des weiblichen Sozialstatus in den mittelhochdeutschen Verserzählungen dahingehend auszuwirken scheint, dass sich die Wirkungsmöglichkeiten der Frauenfiguren vergrößern. Ob

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Hierarchien

sich hier zeitlich bedingte Unterschiede innerhalb der geschichtlichen Entfaltung des Texttyps erkennen lassen, bedürfte einer weiterführenden Untersuchung. Im Gegensatz zu den eingangs behandelten Verserzählungen, die der Reziprozitätslogik des feudalen Gabendiskurses verpflichtet sind, der weitgehend von männlichen Handlungssubjekten getragen wird und die weiblichen Figuren selbst zu Gaben degradiert, bedingt der motivische Einsatz von Geld offensichtlich eine Auflösung geschlechtsspezifischer Hierarchiestrukturen. Dieser Befund ist zunächst durch erzähllogische Notwendigkeiten erklärbar: Das gegenüber dem ,weicheren‘ Motiv der Gabe ,härtere‘ Motiv des Geldes lässt den ökonomischen Charakter sozialer Beziehungen stärker hervortreten und fordert daher als narrative Reaktion in einem stärkeren Maße Handlungsvarianten heraus, die einem nicht-reziproken, anökonomischen und damit auch nicht-hierarchischen Denken entspringen. Aus diesem Grund findet sich ein anökonomischer Gabendiskurs im Texttyp der Verserzählung möglicherweise häufiger in kontrastiver Verbindung mit einem pekuniär-ökonomischen als mit einem feudal-ökonomischen Gabendiskurs. Anhand der exemplarischen Analyse von Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), in der das Motiv der ,käuflichen Liebe‘ auf eigentümliche Weise ausgestaltet wird, konnte gezeigt werden, dass der anökonomische Gabenakt – zumindest in dieser Erzählung – dem weiblichen Geschlecht zugeordnet ist, indem er an das von ihm verkörperte Liebesideal gebunden bleibt. Er taugt in der literarischen Welt der Verserzählungen dazu, die geschlechtlichen Hierarchien aufzuheben oder doch zumindest deutlich zu nivellieren. Auf diese Weise ist es der weiblichen Protagonistin prinzipiell möglich, in das männlich codierte Prinzip des zirkulären Tausches einzutreten, ohne dabei selbst die Position eines Tauschobjektes einnehmen zu müssen. Gleichwohl, dies zeigt der Analysebefund exemplarisch, bleibt aber auch die namenlose Tochter des Kaisers wiederum auf die männlichen Figuren bezogen, da es ihr keineswegs frei steht, sich wie diese auch außerhalb der Liebesbindung verausgabend zu entfalten. Die Ausübung höfischer milte als Signum männlich-adliger Herrschaft wird ihr dementsprechend verwehrt. Das poetische Spiel der Verserzählungen mit Gabe, Geld und gender stößt hier an seine inneren Grenzen.

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Entgrenzungen – Überschreitung der Geschlechterdifferenz

4.1 Maskeraden Im Mittelpunkt des dritten Teils der vorliegenden Arbeit sollen thematische Zusammenhänge stehen, in denen die normativen Grenzziehungen der literarischen wie außerliterarischen Geschlechterkonzepte des untersuchten Kulturraumes explizit überschritten werden.1 Ließen die Themenkonstellationen, die in den vorherigen Kapiteln dieser Studie untersuchten worden sind, in der Tendenz eine Fixierung von Geschlechterstereotypen erkennen, so lenken die folgenden Untersuchungen den Blick auf solche literarischen Phänomene, welche die Geschlechterdifferenz als eine labile und instabile Festlegung erscheinen lassen, ohne dabei jedoch ihre dichotomische Grundstruktur prinzipiell in Frage zu stellen: Phänomene wie Crossdressing, männliche Schwangerschaft, kriegerische Aktivitäten von Frauen, der Bruch mit der Heterosexualität, Geschlechtswechsel u.ä., wie sie die mittelalterliche fiktionale und theoretische Literatur gar nicht so selten thematisiert, werden als S t ö r f ä l l e abgehandelt bzw. in Szene gesetzt. […] Sie sind Effekte des binären Geschlechterkonstrukts, der Ordnung als ihr Anderes in dem Sinne inhärent, daß jede Grenzziehung das Außen des Eingefriedeten und damit Einbruchstellen und Übergangszonen zwangsläufig mitproduziert.2

Eine motivische Konstellation, in deren Rahmen der Verstoß gegen die vorherrschenden Regeln der Geschlechterordnung in besonderer Weise sinnfällig wird, ist das literarische Motiv des cross-dressing, d. h. also i. e. S. die gegengeschlechtliche Verkleidung einer Frau zu einem Mann bzw. eines Mannes zu einer Frau. Darüber hinaus sind zu diesem motivischen Komplex aber auch weiter reichende Manipulationen der Körpergestalt zu rechnen, die das Ziel einer Identifikation mit dem jeweils anderen Geschlecht verfolgen.3 Auch wenn das cross-dressing im Gegensatz zu heute praktizierten 1

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Für die altfranzösische Literatur finden sich entsprechende Untersuchungen etwa in dem Sammelband von Karen J. TAYLOR (Hrsg.), Gender Transgressions [1998]; vgl. zudem Erika E. HESS, Literary Hybrids [2004]. Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 254f. Vgl. grundlegend zu diesem kulturellen Phänomen etwa Marjorie GARBER, Verhüllte Interessen; Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender; Vern L. BULLOUGH,

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Entgrenzungen

Formen operativer Geschlechtsumwandlungen eine sehr moderate und bloß äußerliche, da reversible Form von Grenzüberschreitung darstellt, so präsentiert sie sich in den Verserzählungen doch vielfach als ein besonders wirkmächtiges und durchaus folgenreiches Geschehen – denn sie gestattet es den betreffenden Figuren, sich gänzlich neue, z. T. geschlechtsspezifische Handlungsfelder zu erschließen, die ihnen ohne den entsprechenden Kleidertausch verschlossen bleiben würden.4 Generell erweist sich das Motiv der Verkleidung in den mittelhochdeutschen Verserzählungen wie auch in anderen Gattungen und Texttypen der mittelalterlichen Literatur als ein überaus beliebter erzählerischer Kunstgriff.5 Allein im Korpus der Verserzählungen sind etwa dreißig Fälle belegt; dies entspricht etwa einem Siebtel aller zugehörigen Texte.6 Die gegengeschlechtlichen Verkleidungen nehmen darunter ein gutes

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Cross Dressing and Gender Role Change in the Middle Ages; zu entsprechenden literarischen Erscheinungsformen in der neuzeitlichen (Welt-)Literatur vgl. Gertrud LEHNERT, Maskeraden und Metamorphosen; DIES., Wenn Frauen Männerkleider tragen. In der jüngeren Literaturwissenschaft ist das Motiv des cross-dressing sehr häufig mit dem aus der Psychoanalyse hervorgegangenen Konzept der ,Maskerade‘ in Verbindung gebracht worden; vgl. hierzu den wissenschaftshistorischen Überblick von Claudia BENTHIEN, Das Maskerade-Konzept in der psychoanalytischen und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung. – Das Interpretationsparadigma fand zunächst in Bezug auf Konzepte von ,Weiblichkeit‘ Anwendung, wurde sodann aber auch auf Konzeptualisierungen von ,Männlichkeit‘ übertragen; vgl. Liliane WEISSBERG (Hrsg.), Weiblichkeit als Maskerade [1994]; Elfi BETTINGER / Julika FUNK (Hrsg.), Maskeraden [1995]; Rotraud VON KULESSA / Meike PENKWITT (Hrsg.), Cross-dressing und Maskerade [1999]; Claudia BENTHIEN / Inge STEPHAN (Hrsg.), Männlichkeit als Maskerade [2003]. Vgl. für die germanistische Mediävistik Edith FEISTNER, Rollenspiel und Figurenidentität [1996], sowie – kritisch zu FEISTNER Stellung beziehend, jedoch selbst mit einigen sachlichen Ungenauigkeiten im Detail – Erika KARTSCHOKE / Dieter KARTSCHOKE, Rollenspiele [2002], die eine steigende Beliebtheit des Motivs mit der Literatur des 13. Jahrhunderts konstatieren (vgl. ebd., S. 320f.); für die französische Mediävistik vgl. etwa Marie-Louise OLLIER (Hrsg.), Masques et déguisements dans la littérature médiévale [1988]; Bernhard KÖNIG, Rettung durch Verkleidung [1996]; für die anglistische Mediävistik Meg TWYCROSS / Sarah CARPENTER, Masks and Masking in Medieval and Early Tudor England [2002]. Gleichgeschlechtliche oder geschlechtsneutrale Verkleidungen i. w. S. liegen in folgenden Verserzählungen vor: Alexander und Anteloye (FB 2), Der Herzog von Braunschweig von Augustijn (FB 8), Der Bussard (FB 18), Der Dieb von Brügge (FB 23), von Hans Folz Die halbe Birne (B) (FB 30c) und Drei listige Frauen (C) (FB 30f) sowie Die drei Studenten (FB 30q), Drei listige Frauen (A) (FB 36), Der Herr mit den vier Frauen (FB 60), Drei listige Frauen (B) (FB 67e) von Heinrich Kaufringer, Die halbe Birne (A) (FB 74), Bestraftes Misstrauen (FB 85), Die Disputation (FB 105c) und Der Hasengeier (FB 105d) von Hans Rosenplüt, Die Treueprobe von Ruprecht von Würzburg (FB 108), Dieb und Henker (FB 115) von Hans Schneider, Der Gevatterin Rat (FB 127i) vom Stricker, Virgils Zauberbild (FB 132), Wandelart (FB 136), in einem gewissen Sinne ließe sich noch der Helmbrecht (FB 139) von Wernher dem Gärtner hinzufügen. Insgesamt handelt es sich somit um ca. zwanzig Fälle. Es ist bemerkenswert, dass sich unter den genannten Texten nur zwei befinden, in denen sich eine weibliche Person verkleidet, und zwar in der Treueprobe (FB 108) sowie in Der Gevatterin Rat (FB 127i). – In weiteren Texten spielen die Bekleidung einer Person oder ein Kleidungsstück allgemein eine besondere Rolle, nämlich in den Verserzählungen

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Drittel ein und umfassen dabei sowohl weibliche als auch männliche Formen von crossdressing.7 Ferner ließe sich hierbei noch eine Unterscheidung zwischen freiwilligen und erzwungenen Maskierungen treffen, die in den folgenden Textlektüren ebenfalls berücksichtigt werden soll. Das Phänomen des cross-dressing, das zu einem Paradethema der gender-Forschung geworden ist, wurde in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Kontexten breit untersucht. Einschlägige Studien aus der germanistischen Mediävistik geben diesbezüglich einen differenzierten Überblick, so dass ich mich bei der folgenden Einführung nur auf wenige Beiträge aus anderen Fachbereichen beziehen werde8; in einer Tour d’Ho-

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Die böse Adelheid (FB 1), Aristoteles und Phyllis (FB 6), Die Bauernhochzeit (FB 10), Der Bürger im Harnisch (FB 17), Der Kuhdieb (FB 30k) von Hans Folz, Die demütige Frau (FB 32), Frauentreue (FB 38), Der Hellerwertwitz (FB 40), Die Rosshaut (FB 57) von Heinrich dem Teichner, Chorherr und Schusterin (FB 67c) und Die zurückgelassene Hose (FB 67f) von Heinrich Kaufringer, Frau Metze von dem armen Konrad (FB 72), Der Mönch als Liebesbote (A) (FB 86), Moriz von Craûn (FB 87), Pyramus und Thisbe (FB 98), Die drei Wünsche (FB 127p) des Strickers, Vergebliche Vorhaltungen (FB 134), Helmbrecht (FB 139) von Wernher dem Gärtner. – Zu den Motiven körperlicher Entstellung und fehlender Bekleidung vgl. Kap. 2.2 der vorliegenden Arbeit. Das Motiv der gegengeschlechtlichen Verkleidung findet sich in insgesamt dreizehn Texten. Dabei halten sich weibliches cross-dressing – im Beringer (FB 15), in Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24), in Hans Folz’ Der arme Bäcker (FB 30a) und Die Hose des Buhlers (FB 30g), in Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), Der vertauschte Müller (FB 89) sowie Ritter Alexander (FB 102) – und männliches cross-dressing – nämlich im Koch (FB 4b) des Schweizer Anonymus und den motivverwandten Erzählungen Der Knecht im Garten (FB 105e) von Hans Rosenplüt und Der Schreiber (FB 117), im Studentenabenteuer (B) von Rüdeger von Munre (FB 107), in einem Teil der Überlieferung von Peter Schmiehers Student von Prag (FB 111b) und schließlich in Der Schüler zu Paris (A) (FB 118) – bei einem leichten Übergewicht zugunsten der weiblichen Variante ungefähr die Waage. – Einen Sonderstatus nimmt Das Frauenturnier (FB 39) ein, das ich nicht zu den crossdressing-Geschichten i. e. S. zählen möchte und in Kap. 4.2.2.c der vorliegenden Arbeit eigenständig untersuche. Desgleichen möchte ich den Verwechslungskomödien in der Treuen Magd (FB 80) sowie in einem Teil der Überlieferung von Peter Schmiehers Student von Prag (FB 111b) einen Sonderstatus zurechnen, da die Verwechslung einer Figur einschließlich ihrer Geschlechtszugehörigkeit in diesen Texten nicht auf eine Verkleidung zurückzuführen ist; auf sie werde ich daher ebenfalls gesondert eingehen. Im Anschluss an aktuelle Diskussionen der gender-Theorie ist wiederholt versucht worden, das literarische Motiv des cross-dressing in mittelhochdeutschen Texten mit der Terminologie des 20. Jahrhunderts zu fassen: „Divergenz bzw. Kohärenz zwischen Körper und Kleid, die im literarischen Motiv des Kleidertauschs narrativ durchgespielt werden, sind mit Hilfe der Analysekategorien sex und gender beschreibbar.“ (Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, S. 66). – In diesem Zusammenhang haben sich folgende Autorinnen kritisch gegen eine undifferenzierte Applikation des Theoriedesigns von Judith BUTLER und Thomas LAQUEUR auf mittelalterliche Texte gewandt (vgl. insbesondere Judith BUTLER, Das Unbehagen der Geschlechter; DIES., Körper von Gewicht; Thomas W. LAQUEUR, Auf den Leib geschrieben): Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 284–287, 296, 301–304 und passim; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 249–254; DIES., Verquere Körper, S. 11–13, 26–28; Andreas KRAß, Geschriebene Kleider, S. 271–275.

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rizon sollen aber wenigstens die wichtigsten Eckpunkte der mediävistischen Forschung zum geschlechtsübergreifenden Kleidertausch in knapper Form abgesteckt werden.9 Eine grundlegende Erkenntnis für die mittelalterliche Kultur ist zunächst einmal, dass das Tragen von Kleidungsstücken, die jeweils für das andere Geschlecht spezifisch sind, eine Form von Tabubruch darstellt. Mit dem Begriff des Transvestismus, der nach dem Verständnis der modernen Psychologie eine psychische Anomalie bezeichnet, kann das mittelalterliche cross-dressing indes nicht adäquat beschrieben werden, weil dieses neuzeitliche Konzept ein psychosexuelles Bedürfnis, die Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, impliziert, das für den behandelten historischen Zeitraum des 12. bis 16. Jahrhunderts nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden darf. Die gesellschaftliche Diskreditierung der andersgeschlechtlichen Verkleidung wurzelt in der Vormoderne zudem in der religiösen Bezugnahme auf ein entsprechendes Verbot des Alten Testaments (vgl. Deut. 22,5).10 Dieses fand in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Gesellschaft in ganz unterschiedlichen Rechtskontexten seinen Niederschlag: So stellten beispielsweise städtische Kleiderordnungen das cross-dressing, insbesondere von Frauen, explizit unter Strafe; ebenso wurde es durch kirchliche Dekrete immer wieder neu untersagt.11 Bezog sich das überlieferte biblische Verbot zunächst auf Frauen wie Männer gleichermaßen, wurden weibliches und männliches cross-dressing in der mittelalterlichen Gesellschaft indes höchst unterschiedlich beurteilt. Die in historiographischen und hagiographischen Quellen nur selten belegte Verkleidung eines Mannes zur Frau wurde dabei als besonders ehrenrührig betrachtet und zog nicht selten gesellschaftliche Sanktionen nach sich.12 Eine Ausnahme bildete in diesem Zusammenhang lediglich die Frau9

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Hierbei gehe ich auf folgende Beiträge, die für meinen Untersuchungsgegenstand nicht von unmittelbarer Bedeutung sind, nicht weiter ausführlich ein: Rüdiger KROHN, Der man verkert sich in ein frauen [1988]; Ute VON BLOH, Gefährliche Maskeraden [2002], die sich auf Texte des 15. wie 16. Jahrhunderts bezieht; Andreas KRAß, Geschriebene Kleider [2006], S. 270–308 (hier zu den Ansätzen von Edith FEISTNER, manlîchiu wîp, wîplîche man [1997], und Ute VON BLOH, Gefährliche Maskeraden [2002], S. 280–284). – Aus Sicht der Kunstgeschichte vgl. Kristina DOMANSKI, Verwirrung der Geschlechter [2004]. Vgl. Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 223; Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 45 und S. 68, Anm. 1; Vern L. BULLOUGH, Cross Dressing and Gender Role Change in the Middle Ages, S. 224; Brigitte SPREITZER, Geschlecht als Maskerade, S. 478f.; Ingrid BENNEWITZ, Berichte aus der Zeit der Päpstin, S. 186; Ruth WEICHSELBAUMER, er wart gemerket unde erkant / durch seine unvroweliche site, S. 340; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 28. – Ein ähnliches Verbot ist auch für die altnordische Tradition bezeugt; vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 45f. und S. 68, Anm. 2. Vgl. Achim AURNHAMMER, Androgynie, S. 80; Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 11. Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 60f., 67f.; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 27. BACKES benennt als Beispiele den heiligen Hieronymus und den englischen Kanzler Bischof William de Longchamps; vgl. ebd., S. 25, 27; zu Hieronymus

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enrolle in karnevalesken Kontexten sowie auf der dramatischen Bühne, die bekanntlich von ihren Anfängen im mittelalterlichen Spiel bis zum Ende des 17. Jahrhunderts stets von Männern übernommen wurde.13 Die männliche Verkleidung einer Frau, die mit der Idee einer sozialen Aufwertung einhergeht, ist demgegenüber weniger scharf verurteilt worden.14 Mehr noch, in der mittelalterlichen Hagiographie, in der über dreißig Fälle von weiblichem cross-dressing belegt sind15, ermöglicht die geschlechtliche Maskerade den Autoren sogar, die weiblichen Protagonistinnen zu Heiligen zu stilisieren.16 In der legendarischen Tradition wird

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vgl. in diesem Kontext auch Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, ebd., S. 51, 60, zu weiteren Beispielen vgl. ebd., S. 60f., sowie Vern L. BULLOUGH, Cross Dressing and Gender Role Change in the Middle Ages, S. 232–234. Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, ebd., S. 64–66; Vern L. BULLOUGH, ebd., S. 235– 237; Claudia SCHNITZER, Höfische Maskeraden, S. 190–194. Zur Darstellung von Frauen durch Männer im mittelalterlichen Fastnachtsspiel vgl. Rüdiger KROHN, Der man verkert sich in ein frauen; vgl. übergreifend zum cross-dressing im mittelalterlichen Drama Robert L. A. CLARK / Claire SPONSLER, Queer Play. Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 45f.; Vern L. BULLOUGH, Cross Dressing and Gender Role Change in the Middle Ages, S. 225. Es handelt sich dabei um heilige Frauen, die als Mann verkleidet in ein Kloster eintreten; vgl. Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 30. Beispielhaft werden immer wieder spätantike Heilige aus dem 4. bis 6. Jahrhundert n. Chr., wie Apollinaria, Eugenia, Euphrosyne, Gunda, Margarita, Marina, Papula, Pelagia, Porphyria und Theodora, aufgeführt, deren jeweiliges cross-dressing mit unterschiedlichen theologischen und kirchengeschichtlichen Diskussionen der Zeit (Ideal der ,vermännlichten‘ Frau) in Verbindung gebracht wird. Narrativ präsentiert sich der Kleidertausch stets in ähnlicher Form, wobei die bewusste oder erzwungene Abkehr von Sexualität häufig im Zentrum des erzählerischen Interesses steht. – Außergewöhnlich ist die Leidensgeschichte der heiligen Wilgefortis (Kümmernis), einer Heiligen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., der Gott einen Bart wachsen lässt, um sie vor der weltlichen Ehe zu bewahren; dafür zahlt sie einen hohen Preis, da sie durch ihren leiblichen Vater gekreuzigt wird. – Anders motiviert ist das cross-dressing der genuin mittelalterlichen Heiligengestalten: Hildegund von Schönau beispielsweise ist eine Heilige des 12. Jahrhunderts, die, nachdem sie ihren Vater auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land verloren hat, mittellos in einem Zisterzienserkloster bei Heidelberg Unterschlupf findet. Berühmt-berüchtigt ist ferner die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts verbreitete Geschichte von Johanna bzw. Jutta aus dem 9. Jahrhundert, die sich zunächst aus Liebe als Mann verkleidet, um mit ihrem Liebhaber ein Studium aufzugreifen, schließlich aber aufgrund ihrer besonderen Begabung für zweieinhalb Jahre das Amt des Papstes bekleidet, bis ihre weibliche Identität durch eine öffentliche Niederkunft aufgedeckt wird. – Vgl. zum weiblichen cross-dressing von Heiligen sowie der Gestalt der Päpstin Johanna in chronologischer Folge: Andrea LIEBERS, „Eine Frau war dieser Mann“ [1989]; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 223–225; Joëlle FUHRMANN, L’habit masculin chez les personnages féminins de quelques Mären, S. 103– 108; Elisabeth GÖSSMANN, Mulier Papa; Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 51–57, 70f.; Vern L. BULLOUGH, Cross Dressing and Gender Role Change in the Middle Ages, S. 228–231, 239f.; Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 154–160, Bd. 2, S. 71–77; Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 13–47, 69–82, 121–141, 146–157, 162–166; Edith FEIST-

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diese Form des Geschlechtertauschs aber nur dann akzeptiert, wenn sie mit dem Verzicht auf Sexualität, d. h. der Akzeptanz eines jungfräulichen Lebensstandes, verbunden ist.17 Analog zu den hagiographischen Quellen bewertet das theologische Schrifttum des christlich-europäischen Mittelalters das weibliche cross-dressing insgesamt ambivalent.18 Blickt man in die Historie zurück, so wird deutlich, dass ebenso wenig weibliche wie männliche Fälle von cross-dressing durch Quellen belegt sind.19 Der prominenteste Kasus ist sicherlich derjenige der französischen Nationalikone Jeanne d’Arc, die zwar durchaus Männerkleider getragen, ihre weibliche Geschlechtszugehörigkeit allerdings niemals geleugnet hat.20 Welcher Stellenwert ist vor diesem kulturellen Hintergrund nun der genuin literarischen Verarbeitung des Geschlechtertauschs zuzumessen? Resümierend, so die Opinio communis der jüngeren Forschung, gehe es bei der literarischen Darstellung des crossdressing in mittelalterlichen Texten keinesfalls darum,

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NER, manlîchiu wîp, wîplîche man, S. 236–244; Elisabeth GÖSSMANN, Alptraum der Kirchenmänner; Andrea LIEBERS, „Eine Frau war diese Mann“ [1997]; Brigitte SPREITZER, Geschlecht als Maskerade, passim; Ingrid BENNEWITZ, Berichte aus der Zeit der Päpstin, S. 177–184; DIES., Eine Dame namens Ulrich, S. 360–362; Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 289f.; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 256–260; Claudia RABENSTEIN, Deutsche literarische Bearbeitungen der Päpstin-Johanna-Legende im 15. und 16. Jahrhundert; Kerstin LOSERT, Weibliches ,Cross-Dressing‘ in mittelalterlicher Hagiographie, S. 77–87; DIES., Kleider machen Männer; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 27–34; Ingrid KASTEN, Gender und Legende; Jonathan WALKER, The Transtextuality of Transvestite Sainthood. – Zum eher seltenen männlichen crossdressing in mittelhochdeutschen Heiligenlegenden vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 95– 133. Vgl. Ingrid BENNEWITZ, Berichte aus der Zeit der Päpstin, S. 186; DIES., Eine Dame namens Ulrich, S. 367; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 258f.; Kerstin LOSERT, Kleider machen Männer, S. 72f.; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 31. Vgl. Vern L. BULLOUGH, Cross Dressing and Gender Role Change in the Middle Ages, S. 227; Kerstin LOSERT, Kleider machen Männer, S. 70f. und Anm. 5; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 31, Anm. 9. Vgl. Petra HEITFELDT, Durchbrochene Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit, S. 96–99 und passim; Kerstin LOSERT, Kleider machen Männer, S. 73–75; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 34. – Die Frühneuzeitforschung kann diesbezüglich mit fundierteren Ergebnissen aufwarten als die Mediävistik: Sie konnte an zahlreichen historischen Beispielen zeigen, dass männliches wie weibliches cross-dressing offiziell geächtet war und kriminalisiert wurde; vgl. hierzu insbesondere Rudolf DEKKER / Lotte VAN DE POL, Frauen in Männerkleidern; weiterführend Gertrud LEHNERT, Wenn Frauen Männerkleider tragen, S. 39–49, 196, sowie Joseph HARRIS, Hidden Agendas. Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 57, 71, Anm.48f.; Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 49–68, 157–162; Ingrid BENNEWITZ, Eine Dame namens Ulrich, S. 359f.; Kerstin LOSERT, Kleider machen Männer, S. 68–70; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 35f.

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binäre Strukturen in Zweifel zu ziehen und die rigide Geschlechterordnung dieser Zeit subversiv aufzubrechen. Die Grenzen zwischen den Geschlechtern (und dies heißt zugleich die gültigen Hierarchien) werden nicht überspielt, sondern letztlich nur bestätigt.21

Dies ist aber nur eine Seite der Medaille, denn, so wird andererseits betont: Zum anderen öffnen diese Texte […] auch einen Raum, in dem innovatives Denken stattfinden kann, indem sie die Frage nach der Norm und ihrer Transgression, nach der Ordnung, ihrer Überschreitung und ihrer Wiederherstellung überhaupt formulieren und das daraus resultierende Konfliktpotential im Medium der Literatur ausagieren.22

Betrachtet man als geistesgeschichtliche Grundlage des literarischen cross-dressing das aus der Antike tradierte Ideal der Androgynie23, d. h. die Idee einer körperlichen Verschmelzung von männlichem und weiblichem Geschlecht24, so führt dies durchaus zu einer Sichtweise, die eine „Verwischung von Geschlechtergrenzen“25 als mögliche Intention der fiktionalen Literatur prinzipiell für denkbar hält. Denn das divergente Bedeutungspotential, das Körper und Kleidung in der Darstellung der gegengeschlechtlichen Verkleidung zukommt, erzeugt paradoxe Handlungskonstellationen, die sich auch notwendig auf die geschlechtliche Konzeption der literarischen Figuren auswirken müssen.26 Abschließend sei auf eine besondere ,Komplikation‘ hingewiesen, die aus dem crossdressing erwächst, nämlich die Verschiebung der sexuellen Orientierung der betroffenen Personen, die eine explizite oder implizite Thematisierung von Homosexualität fast unausweichlich nach sich zieht.27 Aus einer solchen „erotischen Irritation“28, dies wer-

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Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 40. Vgl. ebenso Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 125f.; Edith FEISTNER, manlîchiu wîp, wîplîche man, S. 247, 251, 253; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 261; Lydia MIKLAUTSCH, Das Mädchen Achill, S. 596; Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, S. 49f., 75; Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 75, 85f. Brigitte SPREITZER, Geschlecht als Maskerade, S. 487; vgl. ähnlich Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 126; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 261. Ebenso plädiert Lydia MIKLAUTSCH, Das Mädchen Achill, S. 578f., dafür, dass sich in den einschlägigen Texten „ein offenes Spiel mit dem Entwurf von Geschlechtsidentitäten“ (ebd., S. 579) zeige. Vgl. Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, S. 50. Vgl. zu den mythischen Ursprüngen dieses literarischen Motivs grundlegend Achim AURNHAMMER, Androgynie, S. 1–37, für die mittelalterliche Literatur und Kunst im Allgemeinen und bei Frauenlob im Besonderen vgl. Susanne FRITSCH-STAAR, Androgynie und Geschlechterdifferenz. Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 286; vgl. ebd., S. 296. Vgl. Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, S. 50f., 67f. Vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 105–124, 171–175; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 261f.; Ruth WEICHSELBAUMER, er wart gemerket unde erkant / durch seine unvroweliche site, S. 340f.; Kerstin LOSERT, Kleider machen Männer, S. 74, 93; Lydia MIKLAUTSCH, Das Mädchen Achill, S. 583f., 586, 589, 592f., 596; Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, S. 62, 70, 75; Andreas KRAß, Geschriebene Kleider, S. 271, 284. Erika KARTSCHOKE / Dieter KARTSCHOKE, Rollenspiele, S. 313.

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den wir noch sehen, resultiert nicht selten eine untergründige Komik, wie sie zahlreiche der vorliegenden cross-dressing-Geschichten auszeichnet.29 Bei den folgenden Analysen soll der Aspekt der Homosexualität, den ich hier begrifflich im Sinne eines heuristischen Konstrukts verwende, allerdings vorläufig nur am Rande aufgegriffen werden, um ihn an späterer Stelle noch einmal systematisch zu vertiefen.30 Bedeutsam ist für uns zunächst die Frage, worin sich die männliche und die weibliche Variante bei dem literarischen cross-dressing voneinander unterscheiden. Dabei wird auch in diesem Zusammenhang zu überlegen sein, ob das in Rede stehende Motiv in den mittelhochdeutschen Verserzählungen genrespezifische Züge aufweist oder nicht.31

4.1.1 Männliches Cross-Dressing Im Hinblick auf männliches cross-dressing in der mittelhochdeutschen Literatur32 ist zunächst zu konstatieren, dass es, wie es „gelegentlich in Fabliaux/Mären, aber auch im höfischen Roman erwähnt wird, fast ausschließlich auf den Umkreis des Themas ,erotische Verführung‘ / ,Liebesabenteuer‘ beschränkt“33 ist. Für die großepischen Texte, auf die sich die einschlägige Forschung zum männlichen cross-dressing in der mittelhochdeutschen Literatur bislang konzentriert hat, sind dabei zwei unterschiedliche Realisierungsweisen herausgearbeitet worden, nämlich zum einen die spielerische Verkleidung mit komischer Intention, die von Außenstehenden bewusst durchschaut werden soll, zum anderen die um Authentizität bemühte seriöse Verkleidung, die getragen ist von der Absicht, effektiv ein bestimmtes Handlungsziel zu erreichen.34 Das cross-dressing 29 30 31

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Vgl. ebd. Vgl. hierzu Kap. 4.2.1 der vorliegenden Arbeit. Auf gattungsspezifische Konfigurationen des Motivs verweisen Edith FEISTNER, manlîchiu wîp, wîplîche man, S. 244, 247; Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, hier insbesondere S. 74–76; vgl. zu diesem Komplex überdies Jonathan WALKER, The Transtextuality of Transvestite Sainthood. Mittelhochdeutsche Texte mit einschlägigen Beispielen, die in der Forschung immer wieder zitiert werden, sind, neben den Verserzählungen, die Kaiserchronik, Ulrich von Liechtensteins Frauendienst, Konrad von Würzburgs Trojanerkrieg, Wolfdietrich (B), Neithart Fuchs und Heinrich Steinhövels Von den sinnrychen erluchten wyben sowie Jans Enikels Weltchronik. Aus letzterem Werk untersucht Andrea MOSHÖVEL im Zusammenhang mit den mittelhochdeutschen Verserzählungen den Text Friedrich von Antfurt; vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 198–213. – Zur Motivtradition in der Weltliteratur vgl. Hans-Friedrich ROSENFELD, Mittelhochdeutsche Novellenstudien, S. 492–499; für die altfranzösische Literatur vgl. Keith BUSBY, „Plus acesmez qu’une popine“, in interdisziplinärer mediävistischer Perspektive Ad PUTTER, Transvestite Knights in Medieval Life and Literature. Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 288. Dies konstatiert im Hinblick auf männliches cross-dressing in der mittelhochdeutschen Epik des 12. bis 15. Jahrhunderts Ruth WEICHSELBAUMER, er wart gemerket unde erkant / durch seine unvroweliche site, S. 338f.

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sei für die männlichen Figuren, so wurde einhellig festgestellt, mit einem Ansehensund Statusverlust sowie sozialen Einschränkungen verbunden35, insofern sie sich mit der Annahme des weiblichen Habitus regelmäßig in eine hierarchisch untergeordnete Position begäben: Ein effeminierter Mann ist dem Stigma des ,Unmännlichen‘ ausgesetzt; die befürchtete Sanktion besteht primär in einem Gefühl der Lächerlichkeit, der Erniedrigung. Denn er eignet sich nicht etwas Verbotenes, ihm nicht Zustehendes an, um sich symbolisch aufzuwerten, sondern im Gegenteil: Er wird eher aufgrund eines Mangels (z. B. an Mut oder physischer Kraft) unwiegerlich degradiert.36

In der epischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts scheint es allerdings ein generelles Kennzeichen von Verkleidungsdarstellungen zu sein, dass der Rollenwechsel mit einer Minderung und nicht mit einer Aufwertung des sozialen Status einhergeht: „Ein Verstoß gegen den ständischen Ordo wurde in der repräsentativen Literatur des Adels zu dieser Zeit noch nicht geduldet.“37 Insofern fügt sich das männliche cross-dressing in diese allgemein zu beobachtende Tendenz nahtlos ein. Aus der gewonnenen Einsicht, dass das männliche cross-dressing in der Literatur regelmäßig mit einem Statusverlust verbunden ist, wurden zwei weitere Folgerungen abgeleitet: Zum einen galt die These als Begründung dafür, dass sich in der Literatur des Mittelalters insgesamt deutlich weniger Fälle von männlichem als von weiblichem cross-dressing belegen lassen38, zum anderen wurde den betreffenden Texten ein exemplarischer Charakter zugeschrieben, der auf eine Affirmation der normativen Geschlechterordnung sowie der in ihr verankerten Vorrangstellung des männlichen vor dem weiblichen Geschlecht hinauslaufe.39 Denn es handele sich, so die gängige Argumentation, stets um zeitlich begrenzte Rollenwechsel, die zumeist dadurch beendet würden, dass sich das heterosexuelle Begehren der männlichen Sexualität – mit anderen Worten: die männliche ,Natur‘ – zuletzt doch noch Bahn breche und den Verkleideten gleichsam auf seine authentische männliche Geschlechtsidentität zurückwerfe40; am 35

Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 60; Edith FEISTmanlîchiu wîp, wîplîche man, S. 247, 253; Ingrid BENNEWITZ, Berichte aus der Zeit der Päpstin, S. 188; DIES., Eine Dame namens Ulrich, S. 367; Ruth WEICHSELBAUMER, er wart gemerket unde erkant / durch seine unvroweliche site, S. 339; Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 86; DIES., Gefährliche Maskeraden, S. 513. Claudia BENTHIEN, Das Maskerade-Konzept in der psychoanalytischen und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung, S. 55. Erika KARTSCHOKE / Dieter KARTSCHOKE, Rollenspiele, S. 319. Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 68; Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 11. Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 86; Lydia MIKLAUTSCH, Das Mädchen Achill, S. 578f., 595f. Vgl. Vern L. BULLOUGH / Bonnie BULLOUGH, Cross Dressing, Sex, and Gender, S. 61–64; Ingrid BENNEWITZ, Der Körper der Dame, S. 238; DIES., Eine Dame namens Ulrich, S. 367f.; Andrea MOSHÖVEL, Ulrich von Liechtenstein – ein Transvestit?, S. 368; Ruth WEICHSELBAUMER, er wart NER,

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eindringlichsten funktioniere diese Form des Männlichkeitsbeweises, indem die betreffende Figur ein Kind zeuge.41 Ob sich die formulierten Thesen auf die kleinepischen Texte der mittelhochdeutschen Verserzählung widerspruchslos übertragen lassen, soll im Folgenden Gegenstand meiner Untersuchung sein. a.

Der Schreiber (FB 117)

Die drei Verserzählungen Der Koch des Schweizer Anonymus (FB 4b), Der Knecht im Garten von Hans Rosenplüt (FB 105e) und Der Schreiber (FB 117) bilden den gemeinsamen Zweig eines europäischen Stoffkreises, dessen Kern eine Dreieckskonstellation zwischen einem Ehepaar und dem Liebhaber der Ehefrau bildet. Die Pointe dieser Stofftradition basiert darauf, dass der misstrauische Ehemann für seinen – berechtigten oder auch unberechtigten – Argwohn dergestalt büßen muss, dass er von dem – tatsächlichen oder vermeintlichen – Liebhaber seiner Ehefrau verprügelt wird.42 Die früheste der drei mittelhochdeutschen Verserzählungen, die sich dieses Stoffes bedienen, ist der wohl im 13. oder 14. Jahrhundert entstandene Schreiber (FB 117)43, während die beiden späteren Texte etwa aus der Mitte des 15. Jahrhunderts datieren. Die grundlegende Handlungsstruktur ist in allen drei Verserzählungen die gleiche: Die Protagonistin, eine untreue Ehefrau, bestellt ihren Liebhaber in spe, bei dem es sich um einen Untergebenen oder zumindest ständisch Unterlegenen handelt, zu einem nächtlichen Stelldichein in ihr Schlafzimmer, während sie ihren Ehemann dazu überredet, in ihren eigenen Kleidern in den Garten zu gehen, um dort dem Nebenbuhler aufzu-

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gemerket unde erkant / durch seine unvroweliche site, S. 340f.; Martina BACKES, Weder man noch wîp?, S. 38f.; Lydia MIKLAUTSCH, Das Mädchen Achill, S. 596; Andrea SIEBER, daz frouwen cleit nie baz gestuont, S. 59–66. Vgl. Lydia MIKLAUTSCH, ebd., S. 582, Anm. 23. Die Erzählungen sind dem FISCHERSCHEN Themenkreis ,Listiges Arrangement des Ehebetrugs‘ zugeordnet; vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 94f.; vgl. zur Stofftradition Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 224f.; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 170–176; Joachim HEINZLE, Boccaccio und die Tradition der Novelle, S. 50; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 327; Johannes JANOTA, [Art.] ,Der Schreiber‘, Sp. 849. – Neben den genannten Texten gehören zu diesem Stoffkreis die Fabliaux La Borgoise d’Orliens (NF 12) sowie die Fassungsvariante La Dame qui fist batre son Mari (NF 47) und Un Chivalier et sa Dame et un Clerk (NF 25), die einen weiteren Stoffzweig repräsentieren, schließlich die beiden mittelhochdeutschen Verserzählungen Bestraftes Misstrauen (FB 85) und Der Herr mit den vier Frauen (FB 60), die sich um das Motiv der Treueprobe ranken und somit einen eigenen Traditionsstrang bilden. Allen Texten dieser beiden Stoffzweige ist gemeinsam, dass sich der Ehemann als Liebhaber seiner Frau – d. h. als Mann – verkleidet, wohingegen er sich in den uns interessierenden Verserzählungen vom Koch (FB 4b), dem Knecht im Garten (FB 105e) und dem Schreiber (FB 117) als (Ehe-)Frau maskiert. Der Text ist unikal im Karlsruher Codex 408 um 1430/35 überliefert; aufgrund seiner höfisierenden Stilelemente hat man ihn in das 13. oder 14. Jahrhundert datiert; vgl. Johannes JANOTA [Art.], ,Der Schreiberʻ, Sp. 849f.

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lauern. Auf diese Weise hat sie die Gelegenheit, sich ungestört ihrem Liebhaber zu widmen. Nach vollzogenem Liebesakt schickt sie diesen ebenfalls hinunter in den Garten, damit er ,sie‘ bzw. ihren Mann wegen ,ihrer‘ Untreue zur Rede stellen und ggf. mittels einer Prügelstrafe zurechtweisen kann. Durch diese listige Inszenierung gelingt es in allen drei Erzählungen, den Ehebruch zu vertuschen. In der ältesten Version der Geschichte (FB 117) verliebt sich ein Schreiber, d. h. also ein relativ hochrangiger Hausbediensteter, narrativ völlig unmotiviert44 in die Frau seines Herrn, nachdem er ihm über zehn Jahre treue Dienste geleistet hat (vgl. FB 117, V. 7–18). Das sexuelle Begehren des Schreibers stilisiert die Erzählung im Rückgriff auf Darstellungsschemata des höfischen Minnediskurses in wohl parodistischer Weise als „ein iuche“ (FB 117, V. 20), ein quälendes Liebesleid, das dem Protagonisten den Verstand zu rauben droht (vgl. FB 117, V. 19–33; 40f.; 66–68; 92; 148f.; 154–157)45; niemand, so wird jedoch seitens des Erzählers entschuldigend betont, der von der listenreichen minne ergriffen werde, könne sich vor ihr schützen (vgl. FB 117, V. 3–6; 76– 78). Es dauert über ein Jahr (vgl. FB 117, V. 30), bis sich der „minneieche man“ (FB 117, V. 65) der Hausfrau eröffnet, nachdem sich diese an sein ,Krankenlager‘ (vgl. FB 117, V. 93f.) begeben hat, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen (vgl. FB 117, V. 34–78).46 Ohne zu zögern, gibt sie ihm einen Ratschlag, wie er sich ihr in der Nacht annähern könne, um seinen „willen / der minn“ (FB 117, V. 89f.) an ihr zu befriedigen (vgl. FB 117, V. 79–90). Nachdem der Schreiber am Abend in das Schlafzimmer des Ehepaares vorgedrungen ist, muss er enttäuscht feststellen, dass die Hausfrau nur wenig Interesse an ihm zu haben scheint, da sie bereits eingeschlafen ist (vgl. FB 117, V. 97–116). Gleichwohl will er die einmalige Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen (vgl. FB 117, V. 117–119) und zieht sie deshalb an ihrem Fuß47, um sie aufzuwecken. Dies zeitigt jedoch keine nachhaltige Wirkung: Zwar erwacht die Ehefrau, weckt dabei aber zugleich ihren Mann, den sie mit der Auskunft beruhigt, sie habe geträumt, dass der Schreiber sie berührt habe (vgl. FB 117, V. 120–135). Als beide erneut einschlafen, versucht der 44 45

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Vgl. James A. SCHULTZ, Love without desire in Mären of the thirteenth and fourteenth centuries, S. 133. Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 207 und Anm. 186; Frauke FROSCH-FEIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 174; Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 263; Joachim HEINZLE, Boccaccio und die Tradition der Novelle, S. 55; Johannes JANOTA, [Art.] ,Der Schreiber‘, Sp. 850; Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 238, Anm. 40, S. 243. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 217, betont in diesem Zusammenhang die literarische Entgegensetzung von männlicher Schwäche und Krankheit auf der einen Seite sowie weiblicher Handlungsfähigkeit und Aktivität auf der anderen Seite, was zu einer Parodie der literarischen Figur einer Minnedame führe. Hierin findet FROSCH-FREIBURG eine Analogie zu den Erzählungen vom Pfaffen mit der Schnur (FB 4e; 61a; 95; 96), vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 174.

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Schreiber, der sich in seinem Liebesbegehren völlig aufzehrt, sein Glück ein zweites Mal, aber wiederum erwachen beide Ehepartner nahezu zeitgleich (vgl. FB 117, V. 136–164). Nun jedoch lotst die Ehefrau ihren Mann mittels einer Finte aus dem Zimmer: Der Gedanke an den Schreiber, der ihr schon sehr lange nachstelle und sie genötigt habe, seinem Werben nachzugeben – so erklärt sie ihm –, habe sie aus dem Schlaf geschreckt; er könne dies überprüfen, wenn er ihre „bete kleider“ (FB 117, V. 185) anlege und sich damit in den „wurzgarten“ (FB 117, V. 187; 203) begebe, wo der Schreiber sie sehnlichst erwarte (vgl. FB 117, V. 165–188). Darstellungstechnisch ist an dieser Stelle bemerkenswert, dass die Einkleidung des Herrn nicht weiter beschrieben wird, stattdessen jedoch ein Erzählerkommentar die Torheit und Einfalt des Hausherrn eindringlich beschwört (vgl. FB 117, V. 189–199). Der äußerlichen Gespaltenheit des Mannes, die in der Diskrepanz zwischen seinem männlichen Körper und seiner weiblichen Bekleidung zum Ausdruck gelangt, entspricht hier die innere Spaltung, die der Erzähler der Figur attestiert: „einveltec muot“ (FB 117, V. 191; 193) könne „zwivalt betoeret“ (FB 117, V. 198) werden, wenn – gleichsam wie bei einem Messerschnitt – „mit gewalt“ (FB 117, V. 196) „charfer in darin gezogen“ (FB 117, V. 191; vgl. V. 195) werde. Der inneren wie äußeren Spaltung des Hausherrn wird im Folgenden auf einer sinnbildlichen Ebene die körperliche Einheit gegenübergestellt, welche die Ehefrau und der Schreiber im gemeinsamen Liebesakt bilden (vgl. FB 117, V. 200–227), wenn sie dabei ihre Körper „in einander“ (FB 117, V. 214) ,flechten‘ (vgl. ebd.).48 Auffällig ist darüber hinaus, dass der Ehebruch zwar durch die Liebesglut des Schreibers motiviert wird, die jeweilige Initiative zum Vollzug und zur Verschleierung des Ehebruchs aber allein in den Händen der Frau liegt: Sie ist es, die das Vorhaben projektiert (vgl. FB 117, V. 80–90), ihren Ehemann verkleidet in den Garten schickt (vgl. FB 117, V. 184–188) und den liebeshungrigen Schreiber zu sich ruft (vgl. FB 117, V. 205f.), um ihn sodann wiederum zu seinem Herrn in den Garten abzukommandieren (vgl. FB 117, V. 228–232). Der Schreiber führt die Befehle seiner neuen Geliebten willfährig aus und begibt sich „nach der lere der vrouwen in“ (FB 117, V. 234) unmittelbar in den Garten, um dem Ehemann eine Tracht Prügel zu verabreichen. Anders als in der Tradition der mittelhochdeutschen Verserzählung üblich, erfolgt die Ausgestaltung der Schreiberfigur somit entgegen seiner üblichen Typisierung, denn der Schreiber ist hier keineswegs der aktive Liebhaber, sondern mutiert in seiner Passivität gleichsam zu einem „anti-hero“49.

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Auf sprachlich-stilistische Parallelen in der Darstellung des Liebesaktes bei Wolfram von Eschenbach verweist Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 213 und Anm. 203, Anm. 204, S. 217. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 223, verweist indessen auf eine andere Bedeutungsnuance von zwivalt, insofern die Verwendung des Wortes auf die doppeldeutige Situation hindeuten könnte. Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 45.

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Die unterhaltende Intention der Erzählung findet ihren Höhepunkt in den wüsten Schimpftiraden50, mit denen der betrogene Ehemann, der sein Inkognito zu bewahren weiß, durch den Schreiber bedacht wird. Dabei kommen insbesondere zwei Aspekte zum Tragen: zum einen der Verstoß gegen die Regeln der Standeshierarchie, wenn der Untergebene seinen Herrn ungestraft verprügeln kann, zum anderen die geschlechtliche Umbesetzung des weiblich codierten ,Frauenzucht‘-Schemas mit einer männlichen Figur, die nun ihrerseits zu Erziehungszwecken verdroschen wird (vgl. FB 117, V. 246– 249). Die doppelte Grenzüberschreitung von class und gender trägt in dieser Schlüsselszene entscheidend zur komischen Ausgestaltung des Textes bei. Voraussetzung für ein entsprechendes Textverständnis ist aber, dass die Rezipientinnen und Rezipienten um die wahre Standes- und Geschlechtszugehörigkeit der als „ungezogen brut“ (FB 117, V. 237) und „übel veige hut“ (FB 117, V. 238) bezeichneten Figur wissen. Vor diesem Hintergrund eröffnet die rhetorische Frage des Schreibers, „waenet ir […] / daz ich iuch olde minnen?“ (FB 117, V. 238f.), einen Subtext, der ein homosexuelles Begehren mindestens eines der beiden Männer andeutet.51 Eine solche Assoziation wird aber im gleichen Atemzuge wieder abgewehrt, wenn der Schreiber sich über das unterstellte Ansinnen scheinbar empört entrüstet: e müete verbrinnen der Rin, ob ez möhte in, e ich dem lieben herren min leite ulh untriuwe. (FB 117, V. 240–243)

Der betrogene und verprügelte Ehemann52 begibt sich schlussendlich zu seiner Ehefrau, berichtet ihr über den Vorfall und zeigt sich hinfort sowohl seiner Frau als auch dem Schreiber gegenüber geneigter als je zuvor, da sie ihn glauben machen kann, dass der Angestellte lediglich ihre Treue habe erproben wollen (vgl. FB 117, V. 258–286). Auf diese Weise löst sich die ganze Angelegenheit schließlich in allgemeines Wohlgefallen auf und stärkt, mehr noch, „das mann-männliche ‚Bündnis‘ zwischen den beiden Männern“53. Aufgrund ihres intellektuellen Vorsprungs sowie ihres kalkulierten Handelns liegen die Sympathien im Schreiber (FB 117) eindeutig auf Seiten der Protagonistin. Indem die Macht der Liebe im Promythion als unhintergehbar beschworen (vgl. FB 117, V. 1– 6) und sodann im Epimythion (vgl. FB 117, V. 287–302) die „durch vriuntchaft unde liebes kraft“ (FB 117, V. 293) motivierte Hilfsbereitschaft einer liebreizenden Frau an-

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Zum Verhältnis zwischen Sprache und Handlungsmacht im Schreiber (FB 117) vgl. Andrea MOSwîplîch man, S. 222–228. Es darf hier allerdings nicht vernachlässigt werden, das Vers 239 in der Handschrift fehlt und eine Konjektur des Editors darstellt; vgl. so auch Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 224, Anm. 82. An dieser Stelle findet sich eine Lücke von vier Versen in der Überlieferung zwischen V. 251 und V. 256. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 224. HÖVEL,

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gesichts entsprechender „orgen“ (FB 117, V. 294) eines Mannes indirekt gerühmt werden, verwehrt sich die Geschichte eindeutig einem moralisierenden Zugriff.54 Im Gegenteil, sowohl der Ehebruch als auch die in zeitgenössischer Sicht durchaus nicht unproblematische Anstiftung zum cross-dressing erfahren ihre poetische Legitimierung angesichts der Tatsache, dass sie zur ,Heilung‘ des liebeskranken Schreibers beitragen. In der didaktischen Schusslinie des – durch einen (höfischen) Liebesdiskurs dominierten55 – Textes steht allenfalls der einfältige Ehemann56, der sich ohne Gegenwehr in den listenreichen Plan seiner Ehefrau einspannen und als Frau verkleiden lässt, so dass ihm indirekt eine Mitschuld an dem ehebrecherischen Betrug zugewiesen werden kann. Diese Perspektive lässt sich jedoch nicht mit dem künstlich bzw. aufgepfropft wirkenden Schluss des Epimythions in Übereinstimmung bringen, welches die – von einer Moralisierung ebenfalls absehende57 – lebenskluge Warnung formuliert, über außereheliche Liebeshändel besser Stillschweigen zu bewahren (vgl. FB 117, V. 291–301).58 b.

Hans Rosenplüt: Der Knecht im Garten (FB 105e)

Ohne dass die Forschung diesen Umstand bislang aufgegriffen hätte, scheint es mir unzweifelhaft, dass Hans Rosenplüts59 Erzählung vom Knecht im Garten (FB 105e)60 mit dem Schreiber (FB 117) in einer engeren Verbindung steht als mit dem Koch (FB 4b), der dem erzählten Stoff eine ganz eigene erzählerische Ausprägung verleiht.61 Wie der Schreiber (FB 117) ist auch die rosenplütsche Erzählung in einem eher bürgerlichen bzw. außerhöfischen Milieu angesiedelt, wobei der Standesunterschied zwischen dem reichen Ehemann (vgl. FB 105e, V. 1) und dem Liebhaber, seinem „knecht“ (ebd.), hier ebenfalls deutlich markiert ist.62 Ähnlich wie im Schreiber (FB 117) nimmt 54 55 56 57 58

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Vgl. Joachim HEINZLE, Boccaccio und die Tradition der Novelle, S. 55; Johannes JANOTA, [Art.] ,Der Schreiber‘, Sp. 850; Andrea MOSHÖVEL, ebd., S. 221f. Vgl. so auch Andrea MOSHÖVEL, ebd., und Anm. 65, S. 217. Vgl. Joachim HEINZLE, Boccaccio und die Tradition der Novelle, S. 55. Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 108 und Anm. 137, S. 225. Sebastian COXON sieht hierin einen Bescheidenheitstopos des Autors (bzw. Erzählers), der sich auf diese Weise nachträglich mit der Figur des Schreibers identifiziere; vgl. Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 43f. Es erscheint nicht unbedingt notwendig, die abschließend formulierte Quintessenz als ein höfisches Element des Textes zu betrachten, wie es Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 221, unternimmt. Zum Autor vgl. Ingeborg GLIER, [Art.] Rosenplüt, Hans. Der Text liegt in sieben Handschriften und einer Inkunabel vor; vgl. zu dieser auch Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 243, 276. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, analysiert in ihrer Studie zum männlichen cross-dressing in den mittelhochdeutschen Verserzählungen lediglich den Schreiber (FB 117) und geht auf die beiden späteren Texten nur marginal ein. Vgl. David BLAMIRES, Sexual comedy in the Mären of Hans Rosenplüt, S. 95; Stephen L. WAILES, Social Humor in Middle High German Mären, S. 133; Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Ge-

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den Knecht seine Liebe, sein sexuelles Verlangen auch in dieser Geschichte völlig gefangen; er bedrängt die Frau seines Herrn mit pathetischen Worten und großer Geste, ihm ganz zu Willen zu sein (vgl. FB 105e, V. 4–10; 23–36; 51–72). Indem er so das „eigen“ (FB 105e, V. 7) der Hausherrin werden und sich „in irem dienst erzeigen“ (FB 105e, V. 8) möchte, wendet sich der bis dato treu ergebene Knecht von seinem Herrn ab (vgl. FB 105e, V. 1–3). Da er nicht ,Diener zweier Herren‘ sein kann, setzt der Knecht die beiden Ehepartner in ein Konkurrenzverhältnis, das die eheliche Ordnung zu zerrütten droht. Im Unterschied zu der früheren Erzählung zeigt sich die bedrängte Ehefrau bei Hans Rosenplüt weniger willfährig gegenüber den Liebesavancen des Untergebenen als ihr Pendant im Schreiber (FB 117): Empört schlägt sie sein Ansinnen zunächst aus, indem sie an seine Ergebenheit gegenüber seinem Herrn appelliert und ihre eigene eheliche Treue beschwört (vgl. FB 105e, V. 11–22; 37–50). In einem langwierigen Dialogwechsel mit parodistischen Zügen – dieser Handlungsstrang umfasst insgesamt etwa die Hälfte des kurzen Textes von knapp 200 Versen (vgl. FB 105e, V. 1–86), so dass er ein erhebliches Gewicht erhält – kommt es zu einem Kräftemessen, aus dem der eloquente Knecht als Sieger hervorgeht, insofern es ihm mit blumigen und schmeichlerischen „worten hüpsch, klug und subtil“ (FB 105e, V. 77) gelingt, die Frau doch noch für sich zu gewinnen.63 Als sie schließlich auf sein Angebot eingeht, muss er sich ihr gegenüber jedoch zu Gehorsam und Verschwiegenheit verpflichten (vgl. FB 105e, V. 73–86). Der weitere Handlungsgang nimmt im Hinblick auf den Schreiber (FB 117) ebenfalls eine eigenständige Verlaufsrichtung: Die Ehefrau versteckt den Knecht unter ihrem Bett (vgl. FB 105e, V. 87–94), holt ihren Mann, um ihm von seinen Annäherungsversuchen zu berichten und fordert ihn auf, dem ungetreuen Diener eine gehörige Tracht Prügel zu verabreichen (vgl. FB 105e, V. 95–119). Damit er sich von der Wahrheit ihrer Worte auch überzeugen könne, solle er ihre Kleider anlegen und sich „in weiplich persan“ (FB 105e, V. 124) im Garten postieren, sich dabei so verhalten, wie er (d. i. der Ehemann) es ihr gegenüber zu tun pflege und den Knecht auf diese Weise zu empfangen (vgl. FB 105e, V. 121–128). Während der verkleidete Ehemann in den Garten geht, um dort auf den Nebenbuhler zu warten (vgl. FB 105e, V. 129–132), gibt sich die Ehefrau dem Knecht hin, nimmt ihm sodann das Versprechen ab, um ihrer aller „ere“ (FB 105e, V. 17; 85; 142; 179; vgl. V. 146) willen für immer über den Vorfall zu schweigen (vgl. FB 105e, V. 134– 144). Weiterhin beauftragt sie ihn, seinen verkleideten Herrn im Garten zu verprügeln; dabei solle er so tun, als habe er ihre Treue auf die Probe stellen wollen (vgl. FB 105e,

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staltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 233f. und Anm. 27, S. 242–244. FRIEDRICH hebt die privilegierte Funktion der Werberede in dieser Verserzählung hervor. Vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 174; Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 263; Stephen L. WAILES, Social Humor in Middle High German Mären, S. 133–135.

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V. 145–158). Der Knecht führt dies gehorsam aus und malträtiert den Hausherrn unter übelsten Beschimpfungen (vgl. FB 105e, V. 159–169). Zu einer Entdeckung seiner tatsächlichen Identität kommt es bei Rosenplüt ebensowenig wie im Schreiber (FB 117), und nur mit Mühe kann sich der Ehemann vor dem entfesselten Knecht „in sein gaden“ (FB 105e, V. 171) retten. Zum Schein empört sich die Ehefrau später über die vermeintliche Unterstellung des Knechts, so dass sich der Hausherr einreden kann, einen außerordentlichen Glücksgriff mit ihm getan zu haben (vgl. FB 105e, V. 170–190). Nicht nur das Epimythion, das abermals die intellektuelle Überlegenheit der Frauen über die Männer beschwört64 und seine große Wertschätzung gegenüber „frum frauen und man“ (FB 105e, V. 195) formuliert, verleiht der Erzählung einen stärker lehrhaften Anstrich als dem vornehmlich höfisch eingefärbten Schreiber (FB 117). Folgende Aspekte unterstreichen zusätzlich den ausgeprägt exemplarischen Charakter des rosenplütschen Textes:  Mehrfach betont der Erzähler den Ehrverlust, der allen Beteiligten drohe, sofern der Ehebruch öffentlich werde;  wenn die Ehefrau den Liebhaber unter Rekurs auf die topische Sexualmetaphorik des Ackerbaus zum Geschlechtsakt auffordert (vgl. FB 105e, V. 135–137), kommentiert der Erzähler, dass der Knecht sich einer Frucht bediene, die ihm nicht zustehe, denn er „schneid, do er nit het gepaut“ (FB 105e, V. 139);  am Ende der narratio steht als Fazit: „also ward der man von der frauen geleicht.“ (FB 105e, V. 191). Zwei Gesichtspunkte sollen abschließend auf der Grundlage des entfalteten Textverständnisses noch etwas näher betrachtet werden: erstens Rosenplüts mögliche Kenntnis einer Version des Schreibers (FB 117) sowie seine künstlerische Reaktion darauf, zweitens die spezifische Darstellung der zentralen cross-dressing-Szene im Knecht im Garten (FB 105e). Vergleicht man, erstens, die Textgrundlage der beiden maßgeblichen Editionen, so fallen mehrere sprachliche Analogien auf:  Im Schreiber (FB 117) endet die narratio mit den Worten „Diu rede [d. i. diejenige der Ehefrau] gechach in chimpfe; / doch in dem gelimpfe / beleip der chribaere do“ (vgl. FB 117, V. 283–285); im Knecht im Garten (FB 105e) beginnt die Ehefrau ihre Einwendungen gegen den Knecht mit den Worten: „[…] ist es dein schimpf, / so zeuch ich dirs in einen gelimpf.“ (FB 105e, V. 11f.).  Im Schreiber (FB 117) formuliert der Liebhaber: „,vrouwe, al min heil, / min liep, min leit, min we, min wol / ich von iuwern chulden dol.‘“ (FB 117, V. 56–58), wo64

In P wird die Aussage im Hinblick auf den (weiblichen) „witz“ (FB 105e P, V. 192) spezifiziert; vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 187; vgl. ebenso die moralisierende Überschrift im Überlieferungszeugen P, „Wie ain fraw iren man betrog“ (vgl. ebd., S. 178), die den neutralen Titulierungen in allen anderen Textträgern, die da lauten Der Knecht im Garten o. ä. (vgl. ebd.), deutlich entgegensteht.

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hingegen er im Knecht im Garten (FB 105e) in anzüglicher Weise betont, dass er der Ehefrau zu Diensten sein wolle „zu aller zeit mit leib, mit gut, / mit kraft, mit macht, mit fleisch, mit plut.“ (FB 105e, V. 9f.).65  Warnt das Epimythion des Schreibers (FB 117) eindringlich vor der Prahlerei eines ehebrecherischen Liebhabers in der Öffentlichkeit, so greift der Knecht im Garten (FB 105e) das gleiche Problem auf, indem die Ehefrau, wie gesehen, wiederholt davor warnt, ihren Mann von der Liebesbegegnung zu unterrichten.  Beschimpft der untergebene Schreiber seinen maskierten Herrn als „ungezogen brut“ (FB 117, V. 237) und „übel veige hut“ (FB 117, V. 238), so fordert die Ehefrau bei Hans Rosenplüt den Knecht mit den gleichen Worten dazu auf, seinen Herrn als „pöse, feige haut“ (FB 105e, V. 153) zu verunglimpfen, wohingegen dieser ihn im Gegenzug als „verheiter sack“ (FB 105e, V. 162) attackiert. All diese Indizien deuten darauf hin, dass Hans Rosenplüt eine Version der früheren Verserzählung kannte oder dass beide Texte zumindest eine gemeinsame Vorlage hatten. In der Tendenz scheint Rosenplüt die Ehebruchshandlung jedoch stärker zu problematisieren als sein Vorgänger; stärker profiliert als im Schreiber (FB 117) ist aufgrund der drastischen Erzählweise überdies die Unruhe stiftende Figur des Liebhabers, wohingegen die Figur des Ehemannes eher schwach konturiert bleibt. Zwar betont David BLAMIRES für Rosenplüt ganz richtig die besondere Fokussierung der Protagonistin als Sympathieträgerin der Erzählung66, im Vergleich zum Schreiber (FB 117) lässt sich dieser Eindruck, wie ich zeigen konnte, jedoch deutlich relativieren. Zum zweiten Gesichtspunkt, der Darstellung der cross-dressing-Szene, lassen sich folgende Überlegungen anstellen: Während sich die Thematisierung der Verkleidung im Schreiber (FB 117) darstellungstechnisch nur auf das Anlegen der Kleidung beschränkt, soll im Knecht im Garten (FB 105e) darüber hinaus eine weibliche Körpersprache ausdrücklich Bestandteil der Maskierung sein, wie anhand der ,Regieanweisung‘, welche die Ehefrau ihrem Mann erteilt, deutlich wird. Bei genauer Textbetrachtung fallen des Weiteren zwei mögliche Inkonsistenzen ins Auge, die aufschlussreich sind im Hinblick auf den Umgang des Autors mit möglichen homosexuellen Evokationen seines Werkes. Als wäre, erstens, dem Verfasser ein Lapsus unterlaufen, indem er sich nicht von der geschlechtlichen Rollenkonformität seiner Figuren habe lösen können, fordert die Protagonistin den Hausherrn im Zusammenhang mit seinem Auftritt im Garten auf, „tu des gleichen sam du zu mir“ (FB 105e, V. 126).67 Hierbei handelt es sich m. E. um eine signifikante Inkohärenz des Textes, über deren Zustandekommen letztlich nur spekuliert 65 66 67

Vgl. zur Sexualisierung der Werberede bei Rosenplüt insgesamt Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 243f. Vgl. David BLAMIRES, Sexual comedy in the Mären of Hans Rosenplüt, S. 94f. In L sagt die Ehefrau sinngemäß, er [d. i. der Ehemann] solle so handeln, wie er [d. i. der Knecht] sich ihr gegenüber wohl verhalten würde (vgl. FB 105e L, V. 126); vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 184.

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werden kann. Sie könnte möglicherweise darauf hindeuten, wie schwer sich der Autor mit der Vorstellung einer gegengeschlechtlichen Verkleidung – sowie dem daraus resultierenden Effekt eines homoerotischen Subtextes – getan haben könnte. Denn von der Handlungslogik her betrachtet wäre es weitaus einleuchtender, wenn die Ehefrau ihren Ehemann bitten würde, sich so zu verhalten, wie sie sich gegenüber ihm verhalte, und nicht umgekehrt, denn dies entspräche der intendierten Rollenübernahme in weitaus höherem Maße. In einer solchen Formulierung wäre jedoch der Aspekt eines homosexuellen Begehrens deutlicher in den Betrachtungshorizont der Rezipientinnen und Rezipienten gerückt, als dies in der vorliegenden Fassung der Fall ist. Auffällig ist in diesem Kontext, zweitens, eine weitere Inkonsistenz des Textes, wenn der Knecht seinen Herrn nämlich nicht, wie von der Ehefrau (sowie durch die Texttradition des Schreibers (FB 117)) vorgegeben, mit einem weiblichen (haut), sondern mit einem männlichen Schimpfwort (sack) belegt. Auch hinsichtlich dieser Textstelle muss der Eindruck entstehen, als ob sich der Verfasser gedanklich nicht mit der Vorstellung eines zur Frau verkleideten Mannes habe anfreunden mögen und sich die ,authentische‘ Geschlechtszugehörigkeit seiner männlichen Figur in der Folge sprachlich immer wieder in den Vordergrund gedrängt habe. c.

Schweizer Anonymus: Der Koch (FB 4b)

In der weitaus geradliniger gestalteten Verserzählung vom Koch (FB 4b) des Schweizer Anonymus68 sind einige Details anders akzentuiert als im Schreiber (FB 117) und in Rosenplüts Knecht im Garten (FB 105e), so dass sich in dieser Stoffvariante Verschiebungen sowohl hinsichtlich der Darstellung einzelner Figuren als auch der Bewertung der zentralen cross-dressing-Szene ergeben. Da die in Rede stehende Erzählung auf der gleichen Stoffgrundlage basiert wie die bereits behandelten Versionen, beschränke ich mich im Folgenden darauf, die relevanten Abweichungen zu verzeichnen: Der dargestellte Standesunterschied zwischen den Protagonisten ist – zumindest im Gegensatz zum Schreiber (FB 117) – im Koch (FB 4b) von besonderem Gewicht, insofern die adlige Standeszugehörigkeit des Ehepaares explizit ausgewiesen wird (vgl. FB 4b, V. 2f.); das Gleiche gilt für die Berufszugehörigkeit des Liebhabers, bei dem es sich um den ständisch unterlegenen Koch69 eines benachbarten Klosters handelt (vgl.

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Von dem Autor des 15. Jahrhunderts liegen 21 kleinepische Texte in einem nordschweizerischen Dialekt vor, die in einer Handschrift aus St. Gallen überliefert sind, die dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts entstammt; vgl. zu Autor und Datierung Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 169f.; Hans-Joachim ZIEGELER, Das Vergnügen an der Moral, S. 93–96, 102; Johannes JANOTA, [Art.] Schweizer Anonymus, Sp. 931f.; zum literarhistorischen Status der Überlieferung vgl. weiterführend Hans-Joachim ZIEGELER, ebd., S. 88–93, 96; Johannes JANOTA, ebd., Sp. 932f.; Tanja WEBER, Die Vergeltung im Werk des Schweizer Anonymus, S. 77–80. Wiederum zeigt sich hier die motivische Nähe von Ernährung und Sexualität, die so eigentümlich ist für den Texttyp der Verserzählung. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 133f., 237, stellt

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FB 4b, V. 1; 12); er gehört somit nicht zum unmittelbaren Gesinde des adligen Haushalts.70 In der Konsequenz hat dies zur Folge, dass die Thematisierung des Verhältnisses zwischen Herrn und Knecht, wie sie im Schreiber (FB 117) und im Knecht im Garten (FB 105e) angelegt ist, hier trotz des deutlich ausgeprägteren Standesunterschiedes von geringerem Gewicht ist. Stärker profiliert als in den motivverwandten Erzählungen ist im Koch (FB 4b) die Rolle der Burgherrin, die ihren künftigen Liebhaber, der ihr offensichtlich nicht näher bekannt ist, erst zufällig bei einem Spaziergang im Klostergarten kennenlernt (vgl. FB 4b, V. 4–12). Im Gegensatz zu der strategisch agierenden Ehefrau im Schreiber (FB 117), die, zur ,Ärztin‘ des liebeskranken Schreibers stilisiert, ebenso wie die Ehefrau bei Hans Rosenplüt zunächst kein besonderes Interesse daran hat, eine Liebesaffäre zu beginnen, betreibt die Burgherrin im Koch (FB 4b) die sexuelle Begegnung von Anfang an mit großem Engagement. Ihr erotisches Eigeninteresse markiert die Erzählung sinnfällig, indem sie der Protagonistin bereits bei ihrem Spaziergang im locus amoenus des Klostergartens71, der ihr „eins mals in den sin“ (FB 4b, V. 4) kommt, angesichts der ergrünten Natur und der vielen „blüemli schön“ (FB 4b, V. 8), die sie dort vorfindet, „grossen lust“ (FB 4b, V. 9) attestiert. Ihr Begehren bleibt zwar vorläufig noch ungerichtet, aufgrund der topischen Gleichsetzung von Natur und (weiblicher) Sexualität erlaubt diese Zuschreibung jedoch einen ersten Einblick in die seelische Prädisposition der Ehefrau. Der von ihr selbst vollzogene Schritt über einen Gartenzaun hinweg, bei dem ihr der Koch behilflich ist (vgl. FB 4b, V. 10–13), markiert eine Grenzüberschreitung und symbolisiert ihren aktiven Anteil beim Zustandekommen des Ehebruchs. Abgesehen davon, dass – wie auch in den beiden verwandten Verserzählungen – die Ehefrau die Einladung zu einem nächtlichen Stelldichein ausspricht (vgl. FB 4b, V. 27–33), betont der Erzähler ausdrücklich, dass all ihr Sinnen und Trachten in der Nacht auf das Eintreffen des Koches ausgerichtet sei (vgl. FB 4b, V. 38–41). Die eigentliche Ehebruchhandlung erfährt wiederum einige signifikante Abwandlungen: Nachdem die Frau den Koch in ihrem Bett platziert hat (vgl. FB 4b, V. 42–47), stellt sie zunächst sicher, dass ihr Ehemann in sein Spiel mit den Knechten vertieft und somit hinreichend abgelenkt ist (vgl. FB 4b, V. 48f.); dann erst begibt sie sich zu ihrem Liebhaber (vgl. FB 4b, V. 50f.), um das Treffen seiner Zweckbestimmung zuzuführen. Der betrogene Ehemann erscheint im Schlafzimmer, als der Liebhaber noch zugegen

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diesbezüglich Überlegungen an, ob es sich bei dem Koch um einen Mönch oder um einen Laien handelt. Vgl. zu diesem Komplex Stephen L. WAILES, Social Humor in Middle High German Mären, S. 131f. Er formuliert ein entscheidendes Argument für das Bemühen der Erzählung, den ständischen Gegensatz zwischen Liebhaber und Ehepaar hervorzuheben: „The polarity established by the introduction of characters is maintained throughout the tale by forms of address, for the lover is never called anything but koch (27, 61, 82, 113, 142) while he, naturally, addresses the nobles as frow or her (21, 34, 57, 109, 123, 133, 145).“ (Stephen L. WAILES, ebd., S. 132). Vgl. ebd., S. 132.

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ist; aufgrund der voluminösen Federbetten bleibt der Koch aber unerkannt (vgl. FB 4b, V. 69–73). Damit er den Raum unbeschadet verlassen kann, schickt die Hausherrin ihren Ehemann in den Garten, indem sie ihm von den Nachstellungen des Kochs berichtet und vorgibt, dass das ehebrecherische Treffen dort stattfinden solle (vgl. FB 4b, V. 74– 97). Die Figur des Liebhabers ist demgegenüber beim Schweizer Anonymus wesentlich schwächer profiliert als im Schreiber (FB 117) und im Knecht im Garten (FB 105e). Zwar geht die sexuelle Initiative auch hier von dem Koch aus, der „ungebetten“ (FB 4b, V. 12) im Garten erscheint und die Dame seines Herzens plötzlich an sich drückt, um ihr ein Liebesgeständnis nach höfisch-literarischem Vorbild zu machen (vgl. FB 4b, V. 14f.; 21–26; 34–36).72 Im Folgenden scheint ihn der Mut jedoch wieder zu verlassen, denn anders als seine Leidensgenossen, die so erpicht auf die sexuelle Begegnung sind, dass sie sogar – zumindest verbaliter – ihr Leben dafür aus Spiel setzen wollen (vgl. FB 117, V. 117f.; 142f.; vgl. FB 105e, V. 59f.), erweist sich der Koch als eine überaus ängstliche Person. Ihm wird das Liebestreffen zu riskant, als er davon erfährt, dass der Burgherr noch zu Hause ist; die Hausherrin muss ihn förmlich zum Bleiben überreden (vgl. FB 4b, V. 52–67). Obgleich sie ihm sehr eindrücklich nahelegt, sich wie „ein manlicher man“ (FB 4b, V. 64) zu verhalten73, gelingt es ihm letztlich nicht, von seiner „sorg“ (FB 4b, V. 68) Abstand zu nehmen. Mehr noch, als ihm die Absichten seiner Liebhaberin klar werden, schreckt er vor ihrer Skrupellosigkeit zurück und zeigt sich entsetzt darüber, dass sie nicht „trüwe vol“ (FB 4b, V. 127) sei, wie er zuvor angenommen habe; nun fürchtet er sogar, die Begegnung mit dem Ehemann werde ihm den Tod bringen (vgl. FB 4b, V. 107–112). Der Koch erscheint aber nicht nur als feige, sondern darüber hinaus auch als einfältig, wie aus dem Umstand erhellt, dass er sich von seiner Liebhaberin zuerst en détail erklären lassen muss, was er im Garten zu tun habe, nämlich ihrem verkleideten Mann mit Hilfe eines „steken“ (FB 4b, V. 116) vorzugaukeln, dass er ihre Treue auf die Probe hätte stellen wollen (vgl. FB 4b, V. 113–128). Mit der gleichen Zaghaftigkeit tritt der Koch schließlich seinem Widersacher gegenüber (vgl. FB 4b, V. 129–141): Hier trägt er zwar die verlangten Beschuldigungen vor, es bleibt jedoch bei Verbalinjurien und der bloßen Ankündigung, sein Gegenüber zu „schlachen“ (FB 4b, V. 141). Das cross-dressing des Ehemanns wird kaum hinreichend motiviert und narrativ auch nicht weiter ausgeführt. Allerdings lässt es sich die Erzählung nicht nehmen, dreimal auf den bemerkenswerten Umstand seiner geschlechtsübergreifenden Verkleidung hinzuweisen: Zuerst befiehlt die Ehefrau ihrem Mann, ihr Gewand anzulegen, ohne zunächst zu begründen, was damit bezweckt werden soll (vgl. FB 4b, V. 94–97). Der Ehemann pariert, indem er „schleier und gewand“ (FB 4b, V. 99) von ihr erbittet, um – und 72 73

Zur inhärenten Komik dieser parodistischen Passage vgl. ebd., S. 133. An dieser Stelle wird die Geschlechtszugehörigkeit also in erster Linie über eine bestimmte Verhaltensweise definiert und nicht über das äußere Erscheinungsbild.

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hiermit folgt erst die Begründung für seine Verkleidung – den Liebhaber mühelos mit einer Tracht Prügel bestrafen zu können (vgl. FB 4b, V. 98–103). Ein drittes Mal wird der Umstand des cross-dressing schließlich durch den Erzähler selbst hervorgehoben: „Also bekleidet der herre sich / mit siner frowen gewand / und gieng hinab zuo dem zun zehand.“ (FB 4b, V. 104–106). Die Begegnung zwischen dem eingeschüchterten Liebhaber und dem als Frau verkleideten Ehemann lässt an keiner Stelle den Verdacht einer unterschwelligen Homoerotik aufkommen, da der Beschuldigte seine Identität unmittelbar preisgibt und das unfreiwillige Rollenspiel der vermeintlichen ,Treueprobe‘ sogleich beendet (vgl. FB 4b, V. 142f.). Anders als in den beiden zuvor behandelten Texten geht der Ehemann hier also ungeschoren aus der nächtlichen Begegnung hervor.74 Das Ende der Verserzählung unterscheidet sich von den beiden anderen Versionen dadurch, dass die Liebesbegegnung hier weder als einmaliges Ereignis noch, wie im Schreiber (FB 117), als erfolgreiche – und damit quasi ,gerechtfertigte‘ – Behandlung eines (Liebes-)Kranken vorgestellt wird. Ganz im Gegenteil: Angesichts der vermeintlichen ,Treue‘ des Untergebenen lässt es sich der Ehemann nicht nehmen, ihn zum Hofkoch zu befördern (vgl. FB 4b, V. 153–156), wodurch allererst die (räumlichen) Bedingungen dafür geschaffen werden, die außereheliche Beziehung noch weiter auszubauen. Alle an der Dreiecksbeziehung Beteiligten können so davon ausgehen, dass sie selbst als ,Gewinner‘ aus der Affäre hervorgehen: Der koch also bi dem hern bleib. mit der frowen er sin muotwillen treib und was denocht der liebst sines hern. das sach die frow ze mal gern. (FB 4b, V. 157–160)

Schien die Figur des betrogenen Ehemannes im Koch (FB 4b) auf den ersten Blick stärker besetzt zu sein als im Schreiber (FB 117) und im Knecht im Garten (FB 105e), insofern der Burgherr – auf der Handlungsebene – nicht verprügelt wird und – auf der Darstellungsebene – an keiner Stelle als einfältig oder töricht charakterisiert wird, so relativiert sich dieses Bild durch die Vorstellung einer fortwährenden Liebesbeziehung, die seine Ehefrau und der Koch hinter seinem Rücken pflegen. Ein Pro- oder Epimythion, die der narratio eine unmittelbare didaktische Wendung geben könnten, fehlen in der vorliegenden Verserzählung ganz.75 74

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Somit ist die Feststellung von Ute VON BLOH, dass der Mann in Frauenkleidern hier wie in anderen Mären verprügelt werde, nicht ganz korrekt; vgl. Ute VON BLOH, Gefährliche Maskeraden, S. 513, Anm. 68. Eine mögliche Lehre rekonstruiert Joachim HEINZLE aus der Stellung des Stücks im Autoroeuvre der Handschrift nach dem Pfaffen im Käskorb (FB 4d), dessen Schlussteil vor der Hinterlist der Frauen warnt; vgl. Joachim HEINZLE, Märenbegriff und Novellentheorie, S. 136. Hans-Joachim ZIEGELER betont demgegenüber jedoch die (zugleich) unterhaltende Intention des Textes, die dadurch gewährleistet werde, dass die narrative Konstellation der Erzählung eine Identifikation mit der Protagonistin zulasse; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Vergnügen an der Moral, S. 105, 108.

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d.

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Varianten des männlichen Cross-Dressing

Bevor ein Fazit hinsichtlich des männlichen cross-dressing in den mittelhochdeutschen Verserzählungen gezogen werden kann, soll kurz auf die weiteren Beispiele innerhalb des Textkorpus eingegangen werden, bei denen ein Mann die Rolle einer Frau einnimmt. Es handelt sich dabei – in chronologischer Folge – um den Schüler zu Paris (A) (FB 118), das Studentenabenteuer (B) (FB 107) von Rüdeger von Munre sowie Peter Schmiehers Student von Prag (FB 111b)76. Im Gegensatz zu den ausführlicher behandelten Texten steht das Motiv des cross-dressing in diesen Erzählungen nicht im Mittelpunkt des Handlungsgefüges, sondern nimmt jeweils nur einen marginalen Status im narrativen Gesamtgefüge des Textes ein. Die kurze Verserzählung von Peter Schmieher, einem Augsburger Autor aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, Der Student von Prag (FB 111b), ist im Verbund mit Rosenplüts Knecht im Garten (FB 105e) in vier von insgesamt sieben bzw. acht Handschriften überliefert, wobei die Erzählung in n1 fälschlicherweise Hans Rosenplüt zugewiesen wird.77 Ihr Handlungsgang gestaltet sich sehr übersichtlich: Ein Student bietet einer Ehefrau seine Liebesdienste an und kann sie mit der Verheißung, in einer Nacht achtmal mit ihr zu verkehren, für sich gewinnen (vgl. FB 111b, V. 1–17). Als sie das Rendezvous jedoch verschläft, öffnet ihr Ehemann dem Studenten die Tür „als er di frau wer“ (FB 111b, V. 24); der Hausherr fordert ihn auf, sich vorläufig in einer Kiste zu verstecken (vgl. FB 111b, V. 18–38). Aufgrund des nächtlichen Dunkels ist hier für den Ehemann eine Verkleidung überflüssig, um den Anschein zu erwecken, seine eigene Frau zu sein; unter wahrnehmungspsychologischen Gesichtspunkten wird allerdings nicht hinreichend plausibilisiert, warum der Student, der sich noch am selben Tag mit der Ehefrau unterhalten hat, nicht stutzig wird angesichts der fremden männlichen Stimme, mit der er in dieser Situation konfrontiert wird. Diese Diskrepanz ist für den auf eine realistische Ausgestaltung der Szenerien nur wenig bemühten und zu Typisierungen neigenden Texttyp an dieser Stel-

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Auch auf diesen Text geht Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, in ihren Untersuchungen zum Themenkomplex des männlichen cross-dressing in mittelhochdeutschen Verserzählungen, die sich allerdings schwerpunktmäßig dem 13. Jahrhundert widmen sollen, nicht ein. Ein weiteres Mal findet sich eine Zuweisung zum Oeuvre von Heinrich dem Teichner. Vgl. zu Autor und Überlieferung Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 171–174; Sarah WESTPHAL-WIHL, Vergesellschaftung in Mären Transmission; Johannes JANOTA, [Art.] Schmieher, Peter, Sp. 762–765; zu der Fassung des Codex 842 der University of Pennsylvania mit dem Titel „Van dem scholer van parijß“ vgl. Richard C. CLARK, The Poem „Van dem scholer van paryß“ (Textabdruck ebd., S. 285–288); DERS., Two Medieval Scholars; Sibylle JEFFERIS, Das Spiel ,Aristoteles und die Königin‘, S. 166–168. Wie anhand des Textabdrucks bei Richard C. CLARK, The Poem „Van dem scholer van paryß“, erhellt (vgl. FB 111b Ph, V. 20), ist es nicht stimmig, wenn POOR in ihrem Aufsatz zur betreffenden Handschrift von einer expliziten Verkleidung des Ehemannes in dieser Textversion ausgeht; vgl. Sara S. POOR, Sankt Katharina, Sankt Alexius und ,Der Scholer van Parijss‘, S. 195.

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le offensichtlich nicht von Relevanz. Dem entspricht, dass der vollzogene Rollen- und Geschlechtertausch für den weiteren Handlungsverlauf keinerlei Bedeutung mehr hat: Der Plan des Ehemannes, seine Frau in der Öffentlichkeit bloßzustellen, schlägt fehl, da sie den Studenten in seinem Versteck entdeckt und durch einen Esel ersetzen kann, bevor der Hausherr mit den herbeigerufenen Freunden eintrifft. Den Schaden hat schließlich der Ehemann selbst, als er die Truhe coram publico öffnet und darin bloß den (seine eigene) Dummheit versinnbildlichenden Esel darin vorfindet (vgl. FB 111b, V. 39– 114). Der Schüler zu Paris (A) (FB 118)78, eine umfängliche, in zwei Redaktionen überlieferte Verserzählung aus dem 13. Jahrhundert, beinhaltet eine knappe cross-dressingSzene, die in den beiden anderen Fassungen des Textes, (B) (FB 119) und (C) (FB 120), nicht in vergleichbarer Form erscheint.79 Die Geschichte handelt von einer unglücklichen Liebe zwischen einem Studenten und einer Bürgerstochter, deren Vater der Verbindung ablehnend gegenübersteht und seine Tochter daher in seinem Haus einsperrt. Um dennoch ein Treffen zu ermöglichen, greift die junge Frau zu einer List, indem sie ihrem Geliebten über einen Mönch80 einen Wink gibt, dass er sie – ich verkürze stark im Hinblick auf das uns interessierende Handlungsmoment – in der Verkleidung ihrer Aufseherin besuchen möge (FB 118, V. 207–301).81 Wenn sie dem Mönch also von den vermeintlichen Nachstellungen des Studenten erzählt, verfolgt sie damit nur das Ziel, dem Geliebten auf diese Weise indirekt mitzuteilen, wie er zu ihr vordringen könne, nämlich indem er sich als Frau verkleide: Her liez im kleider machen Geliche in allen sachen Als si die kelnerinne trug. Gebendis, set, des hette her gnug, Darin konde her brise Geliche in aller wise Sinen minneclichen lip, Rechte als iz tut daz selbe wip, Der der sluzzel ist bevoln. (FB 118, V. 247–255)

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Zu diesem Text hingegen liefert MOSHÖVEL unter Einbeziehung aller Fassungen eine überaus umfassende und komplexe, an den Theoremen Judith BUTLERS geschulte Analyse, welche den Fokus auf das für den Text m. E. eher marginale Element des männlichen cross-dressing legt, dessen Funktionalität in Bezug auf das Sinnpotential der Verserzählung jedoch vielleicht überschätzt; vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 247–272. Vgl. zu den philologischen Grundlagen Rolf Max KULLY, [Art.] ,Der Schüler zu Paris‘ A, B, C. Es liegt hier das Motiv des ,Mönchs als Liebesbote‘ zugrunde, wie es sich ebenso in den drei gleichnamigen Verserzählungen Der Mönch als Liebesbote findet (vgl. A: FB 86; B: FB 67h; C: FB 112). Ich beziehe mich hier und im Folgenden auf die nach ROSENFELD sog. A-Redaktion, wie sie in den drei älteren von insgesamt vier erhaltenen Handschriften vorliegt.

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Nachdem der Mönch dem Studenten unwissentlich diese Möglichkeit eines Wiedersehens aufgewiesen hat (vgl. FB 118, V. 319–322)82, reagiert der junge Mann prompt und lässt sich „[…] kleider ane / Machen nach der selben meit“ (FB 118, V. 372f.). In dieser Aufmachung gelangt er unerkannt zu seiner Geliebten (vgl. FB 118, V. 375f.), die er auf diese Weise verkleidet über ein Jahr lang immer wieder besuchen kann (vgl. FB 118, V. 405–408), bis er eines Tages aufgrund eines vorherigen Aderlasses in ihren Armen verstirbt (vgl. FB 118, V. 409–460). Gemeinsam mit seinem Freund, der ihn in „in vrouwen wat“ (FB 118, V. 419) dorthin begleitet hat (vgl. FB 118, V. 414–420), kann sie den Leichnam unbemerkt aus dem Haus schaffen (vgl. FB 118, V. 589–638). Später stirbt dann auch die junge Frau am Grab des Geliebten (vgl. FB 118, V. 736– 752). Das sog. Studentenabenteuer (B) (FB 107) von dem ansonsten unbekannten Verfasser Rüdeger von Munre, entstanden etwa um 1400 und überliefert in einer verschollenen Handschrift aus dem heutigen Kaliningrad, basiert auf dem in der europäischen Novellistik des Mittelalters weit verbreiteten Motiv von der verstellten Wiege.83 Mit deren Hilfe gelingt es zwei jungen Reisenden, die in der vorliegenden Erzählung als „knehte“ (FB 107, V. 14) bzw. „knappen“ (FB 107, V. 152 u. ö.) bezeichnet werden – gemeint sind hiermit aber wohl zwei Studenten –, sich bei einem Gastaufenthalt bei einer bürgerlichen Familie in Anwesenheit des Hausherrn nicht nur dessen Tochter, sondern auch dessen Ehefrau sexuell anzunähern.84 In der letzten von zwei weiteren Hand-

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Präzise arbeitet Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 254, heraus, wie im vorliegenden Textzusammenhang eine zunächst deskriptiv erscheinende Aussage eine performative Wirkung entfaltet, die in eine Realität des Handelns überführt. Vgl. zu Autor, Datierung, Überlieferung und stofflich-motivischer Grundlage grundlegend Rolf Max KULLY, [Art.] Rüdeger von Munre. – Eine ausführliche, wenngleich methodisch mitunter etwas inkonsistent wirkende Analyse des Textes unter dem Gesichtspunkt des männlichen crossdressing unter Einbeziehung der Aspekte von Sprache und Körperlichkeit bietet neuerdings Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 228–247, hier zentral S. 238–244. Nur bedingt gewinnbringend und ein wenig überfrachtend erscheinen hier insbesondere die Rückbezüge auf Judith BUTLERS Konzept der ,phallischen Frau‘; vgl. ebd., S. 241–244. Vgl. hierzu die motivverwandten Fabliaux Gombert et les deus Clers von Jean Bodel (NF 75) und Le Meunier et les deux Clers (NF 90), die sechste Erzählung des neunten Tags aus Giovanni Boccaccios Decamerone, The Reeve’s Tale aus den Canterbury Tales von Geoffrey Chaucer sowie das mittelhochdeutsche Studentenabenteuer (A) (FB 129); hinzu kommen aus dem Mittelalter eine weitere englische, eine niederländische und eine lateinische Fassung; vgl. übergreifend Hermann VARNHAGEN, Die Erzählung von der Wiege; Wilhelm STEHMANN, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, S. 70–121; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 119–128; Hans-Joachim ZIEGELER, Boccaccio, Chaucer, Mären, Novellen, S. 17–31; Peter G. BEIDLER, Chaucer’s Reeve’s Tale; Walter HAUG, Die Lust am Widersinn, S. 358–364; Klaus GRUBMÜLLER, Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext, S. 4f. Auf Bezüge des Textes zur höfischen Literatur konzentriert sich Theodore M. ANDERSSON, Rüdiger von Munre’s ,Irregang und Girregar‘; er stellt die These auf, dass die Erzählung die höfische Sprechweise parodiere; vgl. insbesondere ebd., S. 350.

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lungssequenzen85, die sich im Studentenabenteuer (B) (FB 107) an die burleske Verwechslungskomödie anschließt, welche sich um das Motiv der verstellten Wiege rankt, wird die uns interessierende cross-dressing-Szene eingeflochten. Nachdem sich einer der beiden Freunde in der zweiten Nacht unbehelligt mit der Tochter des Hauses vergnügt hat (vgl. FB 107, V. 1037–1049), überlegen die Studenten gemeinsam mit den Frauen, wie sie den Hausherrn „Gar von sîme sinne“ (FB 107, V. 1055) bringen und sich so seiner Kontrolle entziehen können; dies stellt insbesondere ein Anliegen der Hausfrau dar, die es der Tochter gleichtun und durch ein „bed hopping“86 ebenso auf ihre sexuellen Kosten kommen möchte (vgl. FB 107, V. 1050–1060). Der Liebhaber der Tochter nimmt die Angelegenheit in die Hand: Er legt sich im Dunkeln (vgl. FB 107, V. 1069) neben den schlafenden Hausherrn ins Ehebett (vgl. FB 107, V. 1075–1077), damit sich die Hausfrau währenddessen mit seinem Begleiter im Liebesspiel ergehen kann (vgl. FB 107, V. 1078–1092): bî dem alden er gelak Mit gewande, sam ein wîp was gevaet im der lîp Mit [einer] hûben und [mit] gebende; sus lak der enelende Gezogenlîchen stille. (FB 107, V. 1096–1101)

Bei diesem cross-dressing handelt es sich insofern um eine besonders provokante Darstellungsvariante, insofern sich der dreiste Liebhaber anmaßt, die Position der betrügerischen Ehefrau sogar im gemeinsamen Ehebett des bürgerlichen Paares einzunehmen. Es kommt zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall, als der Ehemann aufwacht auf und beschließt, „Sich und ouch die wirtin“ (FB 107, V. 1105) „vrô“ (FB 107, V. 1104) zu machen. Seine sexuellen Annäherungsversuche lässt der Student zunächst unbeeindruckt über sich ergehen, indem er sich schlafend stellt (vgl. FB 107, V. 1102–1118): Den wirt des dô wol geluste, er helste unde kuste In vil dikke unt vaste. da was (dô) dem gaste Ze vertragen’ unmugelîch: ie doch verduldete er sich, Da er e alle versweik. (FB 107, V. 1119–1125)

Die gleichsam homosexuellen Handlungen, die hier vollzogen werden, sind in der Darstellung dadurch abgemildert, dass der junge Reisende seine Küsse und Umarmungen

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Vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 125. Zum zweiten Motiv vom ,Liebhaber im Korb‘ vgl. Wilhelm STEHMANN, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, S. 81; Frauke FROSCH-FREIBURG, ebd., S. 224f. – Zur narrativen Organisation des Textes insgesamt vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 290–296. James A. SCHULTZ, Love without desire in Mären of the thirteenth and fourteenth centuries, S. 133.

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nur mit Abscheu über sich ergehen lässt, wie der Text eigens hervorhebt, während der Ehemann fest davon ausgeht, dass es sich bei seinem Gegenüber um seine Ehefrau handelt. Entsprechend schockiert ist der Hausherr insofern, als er das Hemd seines Bettgenossen lüpft und dort ein männliches Genitale vorfindet, welches er ungläubig abtastet (vgl. FB 107, V. 1126–1138). Auffällig ist, dass der Erzähler an dieser Stelle die Perspektive des unwissenden Ehemannes einnimmt, wenn er das weibliche Personalpronomen „ir“ (FB 107, V. 1129) in Bezug auf die Person des maskierten Gastes verwendet: „Daz hemde er ir ûf las“ (ebd.). Man könnte diese Auffälligkeit aber auch dahingehend deuten, dass sich der Verfasser an dieser Stelle von seiner Fabulierlust hat mitreißen lassen – ganz im Gegensatz etwa zu dem strengeren Stil Hans Rosenplüts, wenn dieser in der Verserzählung vom Knecht im Garten (FB 105e) den Blick der Rezipientinnen und Rezipienten wiederholt auf die authentische Geschlechtszugehörigkeit des verkleideten Mannes lenkt. Da es den vier Verbündeten bereits im Vorfeld gelungen ist, den Hausherrn glauben zu machen, dass er unter Wahnvorstellungen leiden würde, nimmt es nicht wunder, dass dieser nun vollends an seinem Verstand zu zweifeln beginnt (vgl. FB 107, V. 1142f.; 1148f.): „,Wer hât mir vervelschet da wîp! / si hât nû (gar) mannes lîp / […]‘“ (FB 107, V. 1139f.), ruft er voller Verzweiflung aus und weckt seine ,Ehefrau‘, um sie mit dem erregenden Befund zu konfrontieren: „,Patriz! vrouwe, jâ bist dû / Worden, dunket mich, ein man.‘“ (FB 107, V. 1158f.). Die unglaubwürdige Versicherung des jungen Mannes, dass er ja doch eine Frau wäre, wovon sich sein Bettgenosse durch einen Handgriff leicht überzeugen könnte (vgl. FB 107, V. 1160–1176), vermag den Ehemann keineswegs zu beruhigen. Denn bei dem, was er fühlt, handelt es sich unzweifelhaft um „ein mannes mâl“ (FB 107, V. 1181), was – so versichert er – selbst ein Westfale unschwer erkennen könne (vgl. FB 107, V. 1182f.). Die Desorientierung des Ehemannes nimmt weiter zu, wenn er sich im Hellen von der tatsächlichen Geschlechtszugehörigkeit seiner Ehefrau überzeugen lassen soll: Weil Liebhaber und Ehefrau zuvor rasch ihre Position vertauschen, will der Hausherr die Welt nicht mehr verstehen, als er schließlich bei entzündetem Licht die weibliche Körpergestalt seiner Frau in Augenschein nehmen kann (vgl. FB 107, V. 1184–1268).87 Seine maßlose Verwirrung machen sich die beiden Frauen im Folgenden zu Nutze, um ihm mittels eines Beschwörungszaubers weiszumachen, dass es sich bei den nächtlichen Erscheinungen um die Geisterbrüder Irregang und Girregar gehandelt hätte, gegen deren Unwesen er nun einmal nichts ausrichten könne.88 Fortan finden die beiden Freunde immer freien Ein-

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Dass ein erneuter Griff zwecks Überprüfung der Geschlechtsidentität seiner Ehefrau, zu dem diese ihren Ehemann auffordere, ausbleibe bzw. nicht erzählt werde, deutet Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 244, als Zeichen dafür, dass das Bedrohungspotential, das von der ,phallischen Frau‘ ausgehe, weiter aufrechterhalten bleibe. Die psychologische Unglaubwürdigkeit in der Zeichnung des Hausherrn bemängelte bereits Willhelm STEHMANN, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, S. 81.

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lass, ohne dass der Hausherr, der sie von nun an für Gespenster halten wird, jemals Verdacht schöpft (vgl. FB 107, V. 1269–1414). e.

Männliches Cross-Dressing als Order Trouble

Auf der Basis der vorliegenden Textanalysen lässt sich ein erstes Ergebnis hinsichtlich der Darstellung und Funktion männlicher cross-dressing-Szenen in den mittelhochdeutschen Verserzählungen formulieren. Überblickt man alle relevanten Szenen in den sechs einschlägigen Texten, so lässt sich resümieren, dass der Geschlechtertausch einer männlichen Figur in allen Fällen – mit Ausnahme von Peter Schmiehers Student von Prag (FB 111b) – mit einem cross-dressing einhergeht, das diesen Wechsel indiziert. Der Text strebt dabei niemals an, eine realistische, d. h. auf der Handlungsebene wahrnehmungspsychologisch betrachtet überzeugende Verkleidung zur Darstellung zu bringen, sondern zielt vielmehr auf die Aussendung von Textsignalen, die den Akt des Rollentauschs für die Rezipientinnen und Rezipienten deutlich markieren. Aus diesem Grunde reicht in der Regel die Minimalausstattung in Form eines weiblichen Gewandes aus, um den erwünschten Effekt zu erzielen; von geringerer Bedeutung erscheint demgegenüber das Detail einer weiblichen Kopfbedeckung, wie sie im Koch (FB 4b), im Schüler zu Paris (A) (FB 118) und im Studentenabenteuer (B) (FB 107) Erwähnung findet; nahezu überflüssig erscheint schließlich der Hinweis auf eine spezifisch weibliche Körpersprache, wie sie nur in Hans Rosenplüts Knecht im Garten (FB 105e) angemahnt wird. Es genügt so, anders formuliert, die Ausstattung der männlichen Figur mit einem sichtbar weiblich codierten Attribut, um den Geschlechtertausch in der fiktionalen Welt hinreichend zu plausibilisieren. Das Attribut der weiblichen Kleidung betrifft lediglich die visuelle Wahrnehmung einer Figur; Interferenzen, die sich infolgedessen auf der Ebene der auditiven Sinneswahrnehmung ergeben könnten, werden in der Darstellung schlicht ignoriert. Dieser möglicherweise irritierende Umstand spielt handlungstechnisch betrachtet keine Rolle in denjenigen Erzählungen, in denen der Hintergrund der Verkleidung allen Beteiligten bekannt ist, wie im Schreiber (FB 117), im Knecht im Garten (FB 105e) sowie im Koch (FB 4b), und ebenso wenig, wenn die maskierte Person nicht mit Außenstehenden in Kontakt tritt, so wie es im Schüler zu Paris (A) (FB 118) der Fall ist. Sowohl im Studenten von Prag (FB 111b) als auch im Studentenabenteuer (B) (FB 107) scheint es für den Autor / Erzähler indes völlig gleichgültig zu sein, dass die Stimme des Maskierten eindeutig auf seine männliche Geschlechtszugehörigkeit verweisen muss und somit im Widerspruch zu dem äußeren (weiblichen) Erscheinungsbild steht.89 Interferenzen, die aus der haptischen Wahrnehmung resultieren, werden in den mittelhochdeutschen Verser-

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Hinsichtlich der Darstellungsform bestätigen die unternommenen Detailanalysen schließlich den Forschungsbefund, dass der männliche Geschlechtertausch immer nur von kurzer Dauer ist und nie zu einer tatsächlichen Infragestellung der Geschlechterdifferenz führt.

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zählungen demgegenüber zur Erzielung komischer Effekte nutzbar gemacht, wie für das Studentenabenteuer (B) (FB 107) aufgewiesen. Nicht konform gehen kann ich für das in Rede stehende Korpus mit der These – und damit komme ich auf die literarische Funktion des Motivs zu sprechen –, dass das männliche cross-dressing stets mit einer sozialen Degradierung des jeweiligen Akteurs einhergehe90: Mindestens im Studentenabenteuer (B) (FB 107), aber ansatzweise auch in den übrigen Verserzählungen, in denen der Geschlechtertausch auf freiwilliger Basis erfolgt – dabei handelt es sich um den Studenten von Prag (FB 111b) sowie den Schüler zu Paris (A) (FB 118) –, erfährt der maskierte Mann gerade dadurch eine Art von (genreinterner) Aufwertung, dass er sich mit der Verkleidung das ambivalente, also nicht nur negativ besetzte Klischee überlegener Frauenlist zueignen kann. Unhaltbar ist auf dieser Grundlage im Hinblick auf unser Textkorpus schließlich die von der Forschung zuweilen pauschalisierend formulierte These, dass es weit mehr literarische Fälle von weiblichem als von männlichem cross-dressing gebe, weil man die Darstellung eines männlichen Statusverlustes nur ungern habe in Kauf nehmen wollen.91 Dieser Befund mag sich zwar als stimmig erweisen im Hinblick auf das Gesamt der mittelhochdeutschen bzw. mittelalterlichen Literatur; für die mittelhochdeutschen Verserzählungen muss jedoch gelten, dass sich männliches und weibliches cross-dressing in nummerischer Hinsicht weitgehend die Waage halten. Dem entspricht, dass die Verkleidung eines Mannes zur Frau nicht unbedingt mit einem Statusverlust verbunden ist. Inhaltlich steht der Rollentausch in allen behandelten Verserzählungen in einem schwankhaften Zusammenhang, wobei es stets um die Ermöglichung bzw. Verhinderung eines Ehebruchs respektive des ,Bruchs‘ hausväterlicher Vorherrschaft, abstrakter gefasst einer ordnungswidrigen, außerehelichen Liebesbeziehung geht, die durch die betrügerische List der Verkleidung sichergestellt werden soll. Den Erzählungen ist gemeinsam, dass der anarchische Keim, der im Akt des männlichen Kleidertauschs angelegt ist, im Handlungsfortgang mittelbar oder unmittelbar eine destabilisierende Wirkung entfaltet, welche die normative Ordnung letzten Endes in Frage stellt oder gar außer Kraft setzt.92 Dies gilt unabhängig davon, ob der Rollentausch freiwillig (vgl. FB 107; FB 111b; FB 118) oder unfreiwillig (vgl. FB 4b; FB 105e; FB 117) erfolgt, ob der betrogene Ehemann (vgl. FB 4b; FB 105e; FB 111b; FB 117) oder der Liebhaber

90 91

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Vgl. so auch Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 309f. Als nicht haltbar erweist sich auf dieser Grundlage für die mittelhochdeutschen Verserzählungen die These Ute VON BLOHS, dass als Frau verkleidete Männer in der mittelalterlichen Literatur sehr häufig Opfer von Aggression und Gewalt würden; vgl. Ute VON BLOH, Gefährliche Maskeraden, S. 513 und Anm. 68. So formuliert auch MOSHÖVEL im Hinblick auf den Schreiber (FB 117): „Der Einbruch der heterosexuell organisierten und strukturierten Minne bedroht nun dieses nicht gerade stabile Hierarchieverhältnis [d. i. die eheliche Beziehung; Anm. von A. S.] insofern, als Ehemann und Schreiber in ein Konkurrenzverhältnis im Hinblick auf die vrouwe treten.“ (Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 225).

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(vgl. FB 107; FB 118) den Rollentausch vornimmt, ob die Geliebte bzw. Ehefrau (vgl. FB 4b; FB 105e; FB 111b; FB 117; FB 118) oder gar eine dritte Person (vgl. FB 118) imitiert werden sollen. Deutlich wird diese destabilisierende Tendenz insbesondere im Koch (FB 4b) und im Studentenabenteuer (B) (FB 107), in denen das ehebrecherische Verhältnis, das durch den Geschlechtertausch ermöglicht wird, sich am Ende auf Dauer gestellt findet. Selbst im Schüler zu Paris (A) (FB 118), der als höfische Liebesnovelle in dieser Textreihe eine Sonderstellung einnimmt, erfüllt sich das normative (d. h. ordnungskonforme) Ideal einer höfischen Liebesbeziehung nicht, das in diesem Text programmatisch in den Vordergrund gerückt wird; denn durch den vorzeitigen Tod des verkleideten Liebhabers wird seine Realisierung vollständig verhindert. Zur Destabilisierung normativer Ordnungsstrukturen tragen darüber hinaus die homoerotischen Assoziationen bei, die sich nolens volens an das literarische sujet des cross-dressing anzulagern scheinen und sowohl im Schreiber (FB 117) als auch im Studentenabenteuer (B) (FB 107) unzweifelhaft anklingen; bezeichnenderweise handelt es sich in beiden Fällen um eher frühe Texte aus dem 13., 14. Jahrhundert, wohingegen den drei jüngeren Texten aus dem 15. Jahrhundert (FB 105e; FB 4b; FB 111b) solche Gedankenspiele gänzlich fremd zu sein scheinen und von den Autoren in ihrem poetischen Potential nicht weiter ausgeschöpft werden. Die Grenzüberschreitung, die mit dem männlichen Geschlechtertausch in den mittelhochdeutschen Verserzählungen gesetzt wird, so lässt sich resümieren, führt somit nicht zu einem grundsätzlichen gender trouble, gleichwohl aber zu einem order trouble93, der in den untersuchten Texten nicht aufgelöst wird und einer rein affirmativen Ausdeutung der entsprechenden Verserzählungen deutlich entgegensteht.

4.1.2 Weibliches Cross-Dressing Wesentlich breiter als für die männliche Variante bezeugt stellt sich das Erscheinungsspektrum des weiblichen cross-dressing in der mittelalterlichen Literatur dar, das in unterschiedlichsten Gattungskontexten, in Hagiographie, Novellistik, Höfischem Roman und Chanson de geste untersucht werden kann.94 Im Hinblick auf die mittelhochdeutschen Verserzählungen sind seitens der Forschung zwei typische Grundkonstellationen 93

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Dies bestätigen neuerdings auch die Untersuchungen von MOSHÖVEL; vgl. Andrea MOSHÖVEL, ebd., S. 506. Sie betont vor diesem Hintergrund, dass die Darstellung destabilisierter Ordnungsstrukturen und Figuren „Verkörperung eines Handlungsaufrufs“ (ebd., S. 510) seien, „der auf der Basis eines Konsenses auf eine Verständigung über Normen und Regeln des menschlichen Handelns zielt“ (ebd.). Vgl. Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 288f. und passim. – Diesem Befund entspricht, dass in der „Enzyklopädie des Märchens“ lediglich der Artikel ,Frau in Männerkleidung‘ erscheint (vgl. Rainer WEHSE, [Art.] Frau in Männerkleidung), wohingegen ein entsprechendes Lemma für den ,Mann in Frauenkleidung‘ vollständig fehlt.

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namhaft gemacht worden: „die Themenbereiche ,Rückgewinnung‘ bzw. ,Rettung des Partners‘ oder ,Bestrafung‘ bzw. ,Überlistung des Mannes‘, gelegentlich sogar in Überschneidung der beiden Themen“95. Wie bei den männlichen cross-dressing-Geschichten „wird sehr oft der Körper zur letzten Instanz des Geschlechts“96, so dass von einer grundsätzlichen Infragestellung der weiblichen Geschlechtsidentität durch eine Verkleidung einer Frauenfigur als Mann ebenso wenig ausgegangen werden kann wie in den entsprechenden Erzählungen, die das männliche cross-dressing thematisieren. Auffällig aber sei im Unterschied dazu – so wurde vornehmlich im Hinblick auf großepische Formen konstatiert –, dass für die weiblichen Figuren das Anlegen der männlichen Kleidung hinreiche, um die Männerrolle einzunehmen, wohingegen die Verkleidung einer männlichen Figur zur Frau zusätzlicher körperstilistischer Maßnahmen bedürfe.97 Dass dieser Befund für die kleinepischen Verserzählungen in dieser Form nicht grundsätzlich gelten kann, konnte im vorherigen Kapitel bereits aufgezeigt werden. Von besonderem Interesse ist im Folgenden die Frage, ob und inwiefern sich die These, dass das weibliche cross-dressing mit der Annahme der Männerrolle zu einer Erweiterung des Handlungsspielraumes der Protagonistinnen führt, für die mittelhochdeutschen Verserzählungen verifizieren lässt. Hieran schließt sich die Frage an, ob mit einer solchen Erweiterung des weiblichen Aktionsradius eine Infragestellung oder gar Gefährdung der gesellschaftlich normierten, hierarchisch gestuften Geschlechterordnung verbunden ist. Der zweite Schwerpunkt dieses Kapitels soll daher auf der Untersuchung der Frage liegen, ob den weiblichen ebenso wie den männlichen cross-dressingGeschichten die Tendenz innewohnt, in der erzählten Welt, wenn auch keinen gender trouble, so doch einen order trouble in Szene zu setzen. a.

Beringer (FB 15)

Autor und handschriftlicher Entstehungszusammenhang des einfach in einem Inkunabeldruck von 1495 überlieferten Textstücks, „Die historien von dem ritter beringer“98, sind unbekannt, so dass es sich nur annäherungsweise in einer Zeitspanne vom Ende des 13. bis hin zum 15. Jahrhundert datieren lässt. Die mit einigen Lücken von insgesamt bis zu zehn Versen bezeugte Verserzählung99 steht motivisch betrachtet allein im untersuchten Textkorpus, weist jedoch eine deutliche Nähe zu einem Fabliau auf, das in 95

Ebd., S. 290f.; vgl. weiterführend für die Verserzählungen ebd., S. 290–296; eine zusammenhängende, wenngleich oberflächliche Untersuchung einiger mittelhochdeutscher Verserzählungen mit dem Motiv des weiblichen cross-dressing findet sich bei Joëlle FUHRMANN, L’habit masculin chez les personnages féminins de quelques Mären. 96 Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 303; vgl. auch Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 128; Brigitte SPREITZER, Störfälle, S. 261. 97 Vgl. Ingrid BENNEWITZ, Berichte aus der Zeit der Päpstin, S. 190. 98 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 220. Zur typographischen Ausstattung des Textzeugen vgl. Jürgen SCHULZ-GROBERT, Alte ,Mären‘ im neuen Medium, S. 208–212, 218. 99 Es fehlen nach der GRUBMÜLLERSCHEN Zählung mindestens die Verse 187, 209, 218, 272, 275, 277.

Maskeraden

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zwei Fassungen aus dem 13. Jahrhundert überliefert ist100 und – nicht zuletzt aufgrund der Wiederaufnahme des Namens ,Beringer‘101 in der deutschen Version – als mögliche literarische Vorstufe der mittelhochdeutschen Erzählung gehandelt worden ist; nach allgemeinem Forschungskonsens besteht zwischen den Texten jedoch allenfalls eine mittelbare Abhängigkeit.102 Die relativ komplexe Verserzählung Beringer (FB 15) zählt nach Hanns FISCHER zum Themenkreis der ehelichen Kraftproben; von der These, dass es hierin primär um eine Kritik des zeitgenössischen Rittertums gehe, ist die Forschung bis dato nur teilweise abgerückt.103 Defizitär und damit ordnungsstörend ist im Beringer (FB 15) zunächst das Verhalten des Protagonisten, dem es schwer fällt, ein den höfischen Normen gemäßes Ritterleben zu führen. Dies ist umso verwerflicher, als „herr Beringer“ (FB 15, V. 30) alle Voraussetzungen dafür mitbringen würde, denn er ist nicht nur vermögend, sondern verfügt außerdem – im Gegensatz zu seinem Pendant in den französischen Fabliaux – über eine edle Herkunft, stellt eine stattliche Erscheinung dar und stammt zudem aus einem angesehenen Rittergeschlecht (vgl. FB 15, V. 1–3). Nichtsdestotrotz genießt er einen zweifelhaften Ruf, denn er ist überaus geizig, was sich anhand seiner übertriebenen Sparsamkeit im Umgang mit Grundnahrungsmitteln wie Fleisch, Eiern oder Brot erkennen lässt; weder sich selbst noch anderen gönnt er das harmlose Vergnügen leiblicher Genüsse. Diese Gesinnungshaltung hat zur Folge, dass der Ritter eine misstrauische und übellaunige, um nicht zu sagen misanthropische Wesensart ausgebildet hat, die seine Untergebenen fürchten (vgl. FB 15, V. 1–30) und unter der seine schöne und tugendhafte Ehefrau sehr stark zu leiden hat (vgl. FB 15, V. 31–34). Aufgrund dieser Darstellung fungiert der Protagonist somit als Zerrbild des literarischen Ideals eines „freigebigen und hochsinnigen Ritters“104. Ein weiteres Defizit kommt erschwerend hinzu: Nicht nur im häuslichen Bereich, sondern auch in der gesellschaftlichen Sphäre handelt Beringer keineswegs entsprechend den normativen Anforderungen eines höfisch-ritterlichen Wertekodex. Zwar bricht er regelmäßig von zu Hause auf, um zu Turnieren zu reiten, seine „haushälteri-

100

Es handelt sich um Garins Bérengier au lonc Cul (I) (NF 8) sowie den anonymen Text Bérengier au long Cul (II) (NF 9). 101 Vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 67f. 102 Vgl. grundlegend zu diesem Text ebd., S. 62–68; Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Beringer‘, Sp. 722f.; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 205–207; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1107–1110; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 130, 204 und Anm. 19. 103 Vgl. Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Beringer‘, Sp. 723. 104 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1109; vgl. Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S 269. Die Exposition ist, wie bereits Klaus GRUBMÜLLER, vgl. ebd., kritisch gegenüber früheren Forschungsansätzen bemerkt, keinesfalls funktionslos. Vgl. dagegen Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 135f.; Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 67, Anm. 4; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 206.

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sche Zurückhaltung“105 lässt ihn de facto jedoch ritterliche Kämpfe meiden, da er sich offenkundig nicht der Gefahr einer Verletzung aussetzen möchte. An Kampfesmut und ritterlichem Ehrgeiz mangelt es ihm vollkommen, und an den furchtbaren Wunden, die seine potentiellen ,Mitstreiter‘ aus dem Kampf davontragen, findet er klammheimlich ein schadenfrohes Vergnügen: wan aber zergieng der turney und man das lob den werden schrey und etlicher geschlagen was, das er was rot von blute nasz, so hat er solichen schympff getryben, das im sin houpt was gantz belyben, sin helm, auch sin waffen rock, verloren hatt er keinen lock. (FB 15, V. 53–60)

„Diese pragmatische Fähigkeit der Selbstbewahrung steht allerdings in direktem Widerspruch zu den aristokratischen Traditionen ritterlicher Statusdemonstration.“106 Sein unehrenvolles, in gleichem Maße unritterliches wie unmännliches107 Verhalten hindert ihn indes nicht daran, zu Hause als „ein starcker beherter“ (FB 15, V. 42) aufzutreten und sich seiner „kunheit“ (FB 15, V. 136) und vermeintlichen Kampferfolge unermüdlich und maßlos zu rühmen (vgl. FB 15, V. 35–66; 112–114; 135f.). Wie Horst WENZEL aufgezeigt hat, könnte dieses Verhalten eine Kompensation seiner ansonsten nur wenig männlichen Lebensführung darstellen.108 Nachdem in der ausführlichen Exposition des Textes (FB 15, V. 1–66) die problematische Persönlichkeit des Ritters vorgestellt worden ist, folgt der erste Teil der Erzählung (FB 15, V. 67–254) mit der Aufdeckung von Beringers Lebenslüge durch seine Ehefrau: Angesichts der Diskrepanz, die sich zwischen seinen prahlerischen Reden auf der einen Seite und seiner stets tadellosen und vollständig intakten Rüstung auf der andere Seite aufdrängt, wundert sich die Ehefrau darüber – sie erinnert sich in diesem Zusammenhang an die von Kampfesspuren stets deutlich gezeichnete Rüstung ihres Vaters –, dass ihr Mann immer völlig unversehrt von seinen Turnieren zurückzukehren pflegt (vgl. FB 15, V. 67–82). Da sie sich Klarheit über diesen merkwürdigen Umstand verschaffen möchte, nutzt sie die Gelegenheit eines großen Turniers, zu dem ihr Mann prachtvoll ausstaffiert aufbricht (vgl. FB 15, V. 83–107), um sich selbst ein Bild von seinem ritterlichen Treiben zu machen (vgl. FB 15, V. 108–114). Um nicht erkannt zu werden, schlüpft sie selbst in eine ritterliche Rüstung und begibt sich in dieser männlich wie ständisch codierten Aufmachung zum Austragungsort des Turniers:

105

Horst WENZEL, Rittertum und Gender-Trouble im höfischen Roman (Erec) und in der Märendichtung (Beringer), S. 263. 106 Ebd. 107 Vgl. ebd., S. 264. 108 Vgl. ebd. und Anm. 19.

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also gieng sy getrat in ein kemnat, da sy harnasch fand. darin bereit sy sich zu hand. sy hieß sattlen ouch ein pferd, was wol .xx. marck wert. daruff sy sich schier schwang – kein bruch gurtel sy nit zwang – und kam schnelliglichen dar. (FB 15, V. 115–123)

Zu ihrer Überraschung findet sie ihren Mann aber nicht auf dem Kampfplatz, sondern einsam in einem abseits gelegenen Waldstück vor, wo er gleich einem Kinderspiel ein Scheingefecht gegen eine Ritterattrappe führt, die er aus einer Stange und seinem Helm selbst angefertigt hat (vgl. FB 15, V. 124–158). Trotz der labilen Konstruktion der Puppe geht er übertriebenerweise mit gewaltigen Hieben gegen diese vor: „wann er in valt nider, / er hub in uff mit freuden wider / und krieget also sere.“ (FB 15, V. 153– 155). Mit großer Ernsthaftigkeit bestätigt er sich seine Erfolge fortwährend in selbstbezogener Lobhudelei: „,wie hab ichs nun so wol gethon, / man mus mich fur den tursten hon.‘“ (FB 15, V. 157f.). Klaus GRUBMÜLLER bringt die scheinhafte Verfasstheit der Ritterfigur, wie sie in dieser Szene deutlich wird, treffend auf den Punkt: Die körperliche Kraft dieses Ritters hat kein Ziel mehr; sie ist nicht nur von seiner gesellschaftlichen Existenz gelöst, sondern auch von den Werten adliger Repräsentation im Turnier. Die Ehre, die seine Kraft ihm einträgt, ist bloßer Schein. Der aus seinen gesellschaftlichen Funktionen isolierte Körper verliert sein Prestige: Die Demütigung durch seine Frau ist die Folge.109

Nachdem nämlich die Ehefrau „des schimpffes“ (FB 15, V. 159) ansichtig geworden ist und das schandhafte Verhalten ihres Ehemannes aufgedeckt hat, setzt sie eine Erziehungsmaßnahme ins Werk, die auf eine umfassende moralische Läuterung ihres Gatten abzielt.110 Für ein differenziertes Verständnis dieser Passage ist es notwendig, sie en détail zu betrachten: Die Ehefrau beschimpft ihren Mann zunächst unter Anrufung Gottes als „laster bure“ (FB 15, V. 161)111, der niemals habe Ritter werden dürfen (vgl. FB 15, 109

Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 205f.; vgl. DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 204f. 110 Vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 99. 111 FROSCH-FREIBURG nimmt hier, m. E. wenig überzeugend, an, dass der Protagonist bäuerlicher Herkunft sei wie in den entsprechenden französischen Fabliaux; diese These ist deshalb nicht überzeugend, weil die adlige Wesensart des Protagonisten in der Exposition explizit hervorgehoben wird (vgl. FB 15, V. 1–3), wohingegen von einer bäuerlichen Abkunft in diesem Zusammenhang keine Rede ist; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 64f.; vgl. ähnlich argumentierend Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 189, vorsichtiger und differenzierter Horst WENZEL, Rittertum und Gender-Trouble im höfischen Roman (Erec) und in der Märendichtung (Beringer), S. 273, 276, sowie Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 270f.; KROHN entwickelt auf dieser Grundlage

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V. 159–163). In diesem Vorwurf versteckt sich die Anschuldigung, dass er sich unstandesgemäß – d. h. nicht ehrenhaft wie ein Ritter, sondern schändlich wie ein Bauer – verhalten und somit gegen die von Gott sanktionierte Gesellschaftsordnung verstoßen habe. Die Reaktion Beringers bestätigt diese Schuldzuweisung gleichsam, indem er, völlig unritterlich, zu fliehen versucht, was allerdings aufgrund seiner psychischen wie physischen Schwäche misslingt (vgl. FB 15, V. 164f.). Seine Schande vergrößert sich noch, als er, der sich stets als strahlender Kämpfer geriert hat, nunmehr von einer Frauenhand zum Kampf gezwungen und prompt aus dem Sattel gestochen wird, „das er viel nider als ein sack / und nit enwißt wa er was“ (FB 15, V. 168f.). Sein Knappe, so erfahren die Rezipientinnen und Rezipienten an späterer Stelle (vgl. FB 15, V. 229–254), hat sich derweil von ihm verabschiedet, da er aus Todesfurcht vor dem fremden Ritter geflohen ist; zynisch kommentiert der Erzähler, „dis ist ein war rede schlecht: / boser her hat bosen knecht“ (FB 15, V. 233f.). Unpassender hätte sich der Ritter seiner anspruchsvollen Ehefrau wohl kaum präsentieren können. So negativ die Darstellung des männlichen Protagonisten ausfällt, so unvollkommen erscheint, gemessen an höfisch-ritterlichen Idealstandards, auch das Gebaren der als Ritter verkleideten Ehefrau.112 Zum einen tritt sie ihrem Mann nämlich nicht von Angesicht zu Angesicht entgegen, wie es die Spielregeln ritterlichen Kampfes erfordern würden, sondern trifft ihn „mit unzuchten“ (FB 15, V. 166) von hinten in den Nacken (vgl. FB 15, V. 167). Zum anderen versetzt sie ihm, nachdem er bereits besiegt am Boden liegt, ohne Not auch noch „gar ungefieg“ (FB 15, V. 172) einen blutigen Schlag auf die Nase, der ihn körperlich außer Gefecht setzt (vgl. FB 15, V. 170–175). Schließlich behauptet sie, sie habe unlängst zwei andere Ritter gehängt und drei weitere erschlagen, um ihn vollends einzuschüchtern (vgl. FB 15, V. 181f.). Das brutale Vorgehen, das mitnichten von einer souveränen Beherrschung ritterlicher Kunstfertigkeiten oder gar einer Internalisierung ritterlicher Wertmaßstäbe zeugt, verfolgt pragmatisch den Zweck, sich den feigen Ehemann völlig gefügig zu machen. Dies gelingt der Ehefrau in vollem Maße, denn er ergibt sich jammervoll und ohne jede Gegenwehr und verspricht, dem unbekannten Ritter stets ein ergebener „diener“ (FB 15, V. 179) sein zu wollen, wenn er ihn nur am Leben lasse (vgl. FB 15, V. 176– 180); er sei sogar bereit, eine Reise nach Übersee – gemeint ist wohl eine Pilgerfahrt bzw. ein Kreuzzug113 – zu unternehmen (vgl. FB 15, V. 184–186). Die Ehefrau fordert die in meinen Augen wenig stichhaltige These, es würde sich bei dem vorliegenden Text um eine „Polemik gegen allzu ehrgeizige Bürger“ (ebd., S. 271) handeln; vgl. dagegen bereits Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 207; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1112, Kommentar zu V. 161; DERS., Wolgetan an leibes kraft, S. 205; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 204, die der Aussage keine weitere Bedeutung zumessen. 112 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 204. 113 Vgl. DERS. (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1112, Kommentar zu V. 184. – Ist tatsächlich ein Kreuzzug gemeint, so könnte die Titelillustration des einzig überlieferten gedruckten Textzeugen, die möglicherweise den Aufbruch eines Ritters zum Kreuzzug und die Verabschiedung von

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von ihm jedoch stattdessen, ohne sich dabei zu erkennen zu geben, zur Versöhnung etwas ganz Unerwartetes, nämlich die entwürdigende Geste, sie unter Nennung seines Namens114 dreimal vor ihr „arszloch“ (FB 15, V. 188) zu küssen (vgl. FB 15, V. 188– 190). Es passt zur charakterlichen Konstitution des wenig um êre bemühten Ritters, dass er sich erleichtert zu dieser in seinen Augen harmlosen Strafe bereit erklärt und sie auch auf der Stelle ausführt (vgl. FB 15, V. 191–196).115 die frauw trat in den stegreiff, an ir kleider sy da greiff. sy bot das loch dem wirt. kein bruch sy nit irt. do kuszt er sy plosz an. (FB 15, V. 197–201)

Die Anschuldigung seines Gegners aufnehmend, betont er dabei noch einmal demütig, dass er es bereue, Ritter geworden zu sein (vgl. FB 15, V. 202f.), worin sich seine unritterliche Haltung abschließend noch einmal bestätigt. Nach der symbolischen Unterwerfung verändert die Ehefrau ihren rüden Ton, spricht ihren Mann versöhnlich mit seinem Namen an und gibt sich auf dessen Nachfrage hin116 als den „[…] ritter Wienant / mit der langen ars krynnen“ (FB 15, V. 222f.)117 aus dem „Boszland“ (FB 15, V. 221) von der „Harburg“ (FB 15, V. 224) aus (vgl. FB 15, V. 210–226).118 Durch diese ironische Auskunft beugt sie einer etwaigen Verwunderung ihres Ehemannes über ihre eigentümliche Anatomie vor, deren weibliche Gestalt anders als im Studentenabenteuer (B) (FB 107) nicht zu einer Irritation des Protagonisten führt. Die Komik dieser Passage basiert indes auf dem Wissensvorsprung der Rezipientinnen und Rezipienten in Bezug auf die weibliche Identität des Angreifenden, die in dieser Szene deutlich vor Augen geführt wird.

seiner Dame darstellt, mit dieser Textstelle in Verbindung gebracht werden; anders argumentiert Jürgen SCHULZ-GROBERT, Alte ,Mären‘ im neuen Medium, S. 210–212, der die scheinbar unpassende Bebilderung mit kosten- und werbetechnischen Erwägungen des Druckers erklärt, der einen vorhandenen Holzschnitt offenkundig mehrfach für unterschiedliche Texte verwendet habe. 114 Hierbei handelt es sich um eine Parodie der entsprechenden ritterlichen Gepflogenheit nach dem Kampfende; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 66, Anm. 3. 115 Allerdings muss er seine Frau nur zweimal auf ihr Hinterteil küssen, weil sie sich vor Lachen kaum mehr halten kann (vgl. FB 15, V. 205–208). 116 Diese Nachfrage wird in der mittelhochdeutschen Version nicht, wie Ursula PETERS suggeriert, dadurch motiviert, dass der Ritter sich über die weiblich anmutende Anatomie seines Gegners wundern würde; vgl. Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 291. 117 Diese Aussage stellt eine Anspielung auf die anatomische Beschaffenheit des weiblichen Genitalbereichs dar; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1112, Kommentar zu V. 223. 118 In den französischen Fabliaux-Fassungen ist Beringer nicht der Name des Ritters, sondern der Name, mit dem sich seine Frau in der männlichen Rolle vorstellt; vgl. Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 65, 68 und Anm. 1; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 201.

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Das weibliche cross-dressing beschränkt sich in der vorliegenden Erzählung darstellungstechnisch auf das Anlegen einer Rüstung, während die Protagonistin, wie der Text zweifach erwähnt, darauf verzichtet, sich eine Hose, d. h. ein im Mittelalter genuin männliches Kleidungsstück, überzustreifen (vgl. FB 15, V. 122; 200). Die Ausstaffierung als Ritter garantiert ihr eine größere räumliche Mobilität und ermöglicht das männlich codierte Handeln in der kämpferischen Auseinandersetzung.119 Indem sie auf diese Weise die weibliche Hausfrauenrolle verlässt und den männlichen Habitus eines Ritters annimmt, begibt sich die Ehefrau in eine Position, die ihrem Ehemann ebenbürtig ist, die es ihr ermöglicht, Einfluss auf ihn auszuüben. Weil sie durch das unangemessene Verhalten ihres Mannes gleichsam zu einem cross-dressing gezwungen wird, erscheint ihre Verkleidung nicht als Normverstoß, sondern vielmehr als legitimer Versuch, den Gatten vor einer ethischen Katastrophe zu bewahren. Anders formuliert: Der Ordnungsverstoß des Ehemannes erfordert den korrigierenden und kompensierenden Ordnungsverstoß der Ehefrau – „Maskerade folgt auf Maskerade“120. Die ungewöhnliche Maßnahme des weiblichen cross-dressing erscheint demnach im fiktionalen Horizont der vorliegenden Verserzählung gerechtfertigt, obwohl es der adligen Dame ebensowenig wie ihrem Ehemann gelingt, das Idealbild des höfischen Ritters auszufüllen. Ob der Text dies auf ihren fehlenden Willen, ihre mangelnde Beherrschung des ritterlichen Verhaltenskodex, ihre persönliche Inkompetenz oder schlicht auf ihren weiblichen Geschlechtscharakter zurückgeführt wissen will, bleibt letztlich offen.121 Dem verzerrten männlichen Rollenbild entspricht, dass die Erziehungsmaßnahme der Ehefrau zunächst erfolglos bleibt. Denn bereits als sich der feige Knappe des Herrn wieder einfindet, verfällt Beringer wieder in seine alte Hybris und erzählt ihm wie gewohnt Lügengeschichten über seinen vermeintlichen Kampferfolg (vgl. FB 15, V. 229– 254). Das unangemessene Eigenlob unterbreitet „der wol zerpluwen Beringer“ (FB 15, V. 271) auch gegenüber seiner Ehefrau, die sich bei seiner Heimkehr trotz besseren Wissens Mitleid heuchelnd „zichtiglich“ (FB 15, V. 259) um ihn bemüht (vgl. FB 15, V. 255–278). Insoweit die stark verderbte Stelle des Textes hier eine sinngemäße Rekonstruktion zulässt, beharrt der Ritter auf der unrichtigen Version eines ehrenvollen Verhaltens im Kampf. Um von seinen eigenen Erlebnissen abzulenken, wirft er seiner Frau sodann eine schlechte Haushaltsführung und einen dekadenten Lebenswandel vor (vgl. FB 15, V. 279–283); unter dem Vorwand, nun wie sie dem Müßiggang frönen zu wollen, kündigt er des Weiteren an, sich ab sofort aus dem ritterlich-höfischen Leben 119

Vgl. zu diesem Aspekt auch Kap. 4.2.2 der vorliegenden Arbeit. Horst WENZEL, Rittertum und Gender-Trouble im höfischen Roman (Erec) und in der Märendichtung (Beringer), S. 265. 121 Nicht ganz frei zu sein scheint auch diese Darstellung – ohne diesen Gedanken jedoch überstrapazieren zu wollen – von homoerotischen Anklängen, so etwa, wenn sich die beiden ,Herren‘ nach dem gleichgeschlechtlichen ,Liebesakt‘, in dessen Form sich bereits seine nach mittelalterlichem Verständnis widernatürliche Beschaffenheit spiegelt, mit den Epitheta ,liep‘ (vgl. FB 15, V. 211) und ,zart‘ (vgl. FB 15, V. 216) ansprechen.

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zurückziehen und hinfort auf einschlägige Veranstaltungen, „beyde stechen und turnieren / und aller schlacht hofieren“ (FB 15, V. 290f.), gänzlich verzichten zu wollen (vgl. FB 15, V. 284–293). De facto sind es natürlich seine Ängste vor einer neuerlichen Niederlage, die diese Entscheidung motivieren. Der mangelnde Turniergeist des Hausherrn erinnert im Ansatz unmittelbar an die von Hartmann von Aue exponierte Problematik ritterlichen verligens, wie sie auch in der strickerschen Verserzählung von Der Gevatterin Rat (FB 127i) aufgegriffen wird. Erklärt diese Erzählung jedoch das verligen des bäuerlichen Protagonisten durch seine Liebesleidenschaft, wenngleich sie dieses auch nicht rechtfertigt122, so gründet Beringers Rückzug demgegenüber in seiner Angst, sich der standesgemäßen Aufgabe des ritterlichen Kampfes überhaupt erst zu stellen, wohingegen er von der etwaigen Liebe zu seiner Ehefrau kaum in seinem Handeln beeinflusst wird. Mit dieser Form des ritterlichen Müßiggangs findet sich im Beringer (FB 15) somit eine neue parodistische Volte hinsichtlich der zentralen Normenreflexion des Artusromans hartmannscher Prägung. Der erotische Subtext der Verserzählung, der hier augenscheinlich wird, ist bereits zu Beginn der Erzählung angelegt. Wie schon an früherer Stelle beobachtet, deutet der Geiz eines Mannes, insbesondere in Bezug auf Nahrung, im literarischen Diskurs der Verserzählung auf seine Sparsamkeit auch in anderen Bereichen leiblichen Genusses hin und bezieht sich so auch auf das Feld der ehelichen Sexualität.123 Verstärkt wird dieser Assoziationshorizont im Beringer (FB 15) durch die Verknüpfung mit einem zweiten texttypenspezifischen Bildbereich, nämlich der Darstellung des Liebesaktes im Bild eines ritterlichen Turnierkampfes, die hier verbunden ist mit der unzweideutigen ,Versöhnungsgeste‘ zwischen beiden Ehepartnern im Wald. Wenn der Ritter im realen Kampfgeschehen versagt, so verweist auch dies – analog zu der breit bezeugten Bildtradition – auf sexuelle Impotenz, woraus sich das aufklärerische Interesse der Ehefrau unmittelbar erhellt. Damit würde der Text mangelnde Freigebigkeit und unzureichende Aktivität des Protagonisten nicht nur in seiner ritterlichen Funktion, sondern insbesondere auch in seiner Rolle als Ehemann kritisch thematisieren. Von daher ist es nur konsequent, wenn sich das eheliche Kräftemessen zum Schluss beim Liebesspiel entscheidet, wodurch der sexuelle Subtext des ersten Teils der Erzählung an der Textoberfläche gleichsam eingeholt wird. Für die narrative Organisation bedarf es hierzu eines eingeschobenen Erzählerkommentars, in dem die bis zu diesem Punkt aufgespannten Textfäden zusammengefasst werden: doch brief ich [d. i. der Erzähler], daz ein zuchtig wyb vil ungeschlachten mannen lyb dick macht freudenhafft wann so die siesse ir minne krafft

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Vgl. hierzu Kap. 3.1.3.a der vorliegenden Arbeit. Damit ist der Verweis auf seine Knauserigkeit nicht funktionslos, wie Rüdiger KROHN, Zeugnisse des Niedergangs, S. 269, bemerkt.

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all dar gewirfit und ir stric, und denn sy do gewinnet sig an in beiden on gewer. (FB 15, V. 294–300)

Eindeutig wird hier das aus dem Turnierkampf übernommene Konzept des Sieges auf den Geschlechterkampf bezogen, wobei die Passage in ihrer Aussagerichtung jedoch ambivalent bleibt; denn der weibliche Sieg kann hier sowohl auf die weiblichen Verführungskünste in der Liebe als auch auf das weibliche Vormachtstreben innerhalb der ehelichen Gemeinschaft bezogen werden. Verbirgt sich, so ließe sich weiterführend fragen, in diesem Kommentar ein Seitenhieb gegen die undisziplinierte, von männlich codierten Handlungsmustern der Gewaltanwendung geprägte Erziehungsmaßnahme der Protagonistin? Spielt der Erzähler hier auf ein mögliches Gegenkonzept an, demzufolge ein Mann wirksamer durch weibliche Verführungskünste als durch anmaßende Gewalttätigkeit bezwungen werden kann? Um die Bedeutung dieser etwas rätselhaften Zwischenbemerkung des Erzählers zu erhellen, soll zunächst der fortlaufende Handlungsstrang betrachtet werden, der in seinen Motivierungen allerdings ebenfalls einigermaßen verrätselt erscheint oder, vorsichtig formuliert, einige narrative Schwächen aufweist.124 Dieser abschließende Teil der Verserzählung setzt neu mit einem Dialog der Eheleute im ,Reich der Liebe‘ (vgl. FB 15, V. 301–304) ein und ist, konkreter, im Ehebett des Paares situiert. Angesichts des Wohlwollens, das ihr Mann ihr plötzlich entgegenbringt, traut sich die Ehefrau nun danach zu fragen, warum er ihre Ergebenheit über Jahre hinweg niemals vergolten habe (vgl. FB 15, V. 305–317). Offenkundig – so lässt sich aus dieser Bemerkung schließen – hat sich das eheliche Verhältnis zum Positiven gewendet, nachdem sich Beringer in seiner Außentätigkeit als Ritter zur Ruhe gesetzt hat. Doch dieser vorläufige Eindruck soll sich im Folgenden nicht weiter verfestigen: Als Beringer auf diesen Einwurf in seiner alten Manier äußerst ungehalten reagiert (vgl. FB 15, V. 318–323), macht die Ehefrau eine ominöse Anspielung auf einen starken Verwandten, der bereit sei, für sie Rache zu üben (vgl. FB 15, V. 324–329). Wie es seiner Wesensart entspricht, prahlt der Ehemann daraufhin mit seinem Mut und lästert über alle Feiglinge, die sich vor Frauen fürchteten – nicht ahnend, dass er selbst einmal seiner Ehefrau unterlegen ist –, woraufhin diese den Namen ihres Rächers enthüllt, von dem sie noch vor einer Woche einen Gruß empfangen hätte (vgl. FB 15, V. 330–357). Nachdem der Name ,Wienand‘ gefallen ist, bekommt Beringer es mit der Angst zu tun, so dass er sich seiner Frau sogleich in wortreichen Formulierungen als „eigen knecht“ (FB 15, V. 371) verschreibt (vgl. FB 15, V. 358–377). Auf seine Lüge, dass er Wienand bereits begegnet sei, nachdem dieser zwei weitere Ritter neben ihm erschlagen hätte (vgl. FB 15, V. 378–383), geht die kluge Ehefrau nicht weiter ein, da sie hierin ein Zeichen für seine Unterwürfigkeit erkennen kann; sie sieht, dass er ,ihrem‘ Auftrag, den 124

Vgl. so auch Frauke FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux, S. 67 und Anm. 5; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 207.

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Namen ,Wienand‘ niemals zu verleumden, sobald er nur einmal genannt werde (vgl. FB 15, V. 225f.), absolut Folge leistet. Sie nutzt die Gunst der Stunde, um ihren Ehemann vollends gefügig zu machen: Ihre wichtigste Forderung dabei ist, dass er ihr künftig „stet lon“ (FB 15, V. 384) erbringen solle, womit nichts anderes gemeint sein dürfte, als dass er regelmäßig seinen ehelichen Pflichten nachkommen soll, was der Ehemann eilfertig mit einem Eid besiegelt (vgl. FB 15, V. 384–395).125 Auf diese Weise zeigt das weibliche cross-dressing im Beringer (FB 15) eine nachhaltige Wirkung. Am Schluss der narratio rekurriert der Erzähler doppeldeutig auf den früheren Vorschlag Beringers, eine Pilgerfahrt zu unternehmen, die der unterworfene Ehemann nun, so der Erzähler, wohl sehr gerne auf sich genommen hätte (vgl. FB 15, V. 399–404); es bleibt an dieser Stelle unklar, ob man hierin seine absolute Unterwürfigkeit erkennen soll oder seinen dringenden, jedoch nicht zu realisierenden Wunsch, seiner übermächtigen Frau zu entfliehen. Abschließend hebt der Erzähler die wechselseitige Treue und Ergebenheit hervor, die das Eheleben seit dem einschneidenden Vorfall geprägt habe (vgl. FB 15, V. 405–414). Diese scheinbare Harmonie gründet aber de facto auf einem Unterwerfungsakt, der frei nach dem Prinzip der widerspenstigen Zähmung – eine physische Gewaltanwendung erscheint hier in Verbindung mit einer psychischen Gewaltanwendung – unter Umkehrung der geschlechtsspezifischen topischen Rollenvorgaben von der Ehefrau vollzogen wird: „She retains superiority but does not abuse her power“126. So ist die von Horst WENZEL für den Ritter Beringer (FB 15) formulierte These von einer ordnungsstiftenden Funktion des cross-dressing, die hier notwendig mit einer Akzeptanz der intellektuellen Überlegenheit der weiblichen Protagonistin verbunden ist, insgesamt zutreffend, insofern hier eine Ordnungsverletzung durch einen erneuten Ordnungsverstoß kompensiert und rückgängig gemacht wird.127 Den didaktischen Fokus des Textes jedoch, wie es WENZEL unternimmt, in einer exemplarischen Kritik an dem – bürgerlich codierten – ökonomischen Verhalten des Ritters als einer unstandesgemäßen Attitüde sehen zu wollen128, scheint mir aufgrund des dominanten erotischen Subtextes der Erzählung nur bedingt überzeugend, zumal sich eine solche Lesart stets – wie auch bei WENZEL – in abgrenzender Argumentation auf die entsprechenden Fabliaux-Fassungen wird beziehen müssen, in denen die nicht-adlige Herkunft des Protagonisten explizit formuliert ist; deren grundlegende Divergenz steht jedoch m. E. einer vereinheitlichen Lektüre entgegen. 125

Meiner Auffassung nach ist die Wandlung des Ehemanns erst nach diesem Ereignis nachhaltig sichergestellt und nicht schon nach seinen Erlebnissen im Wald – vgl. so Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 99. 126 Ebd.; vgl. Horst WENZEL, Rittertum und Gender-Trouble im höfischen Roman (Erec) und in der Märendichtung (Beringer), S. 271. 127 Vgl. Horst WENZEL, ebd., S. 272. 128 Vgl. zu dieser Interpretation ebd., S. 272f., 275f.; ähnlich auch Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 188.

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b.

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Ritter Alexander (FB 102)

Die in zwei Drucken (1490 und 1515) sehr spät und anonym überlieferte Verserzählung129, die Hanns FISCHER als die hinsichtlich ihrer literarischen Qualität vielleicht beste in seiner Edition von Verserzählungen des 15. Jahrhunderts bezeichnet hat130, behandelt die genrespezifische Ehebruchsthematik in einer ganz besonderen Ausformung, insofern sie einen doppelten Ehebruch schildert, von dem gleich zwei eheliche Gemeinschaften betroffen sind; darüber hinaus wird die Ehebruchsthematik hier mit der texttypenspezifischen Motivik der ehelichen Treueprobe verknüpft.131 Die didaktische Zielsetzung der Verserzählung Ritter Alexander (FB 102)132, die sich im Epimythion des kurzen, wohl in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandenen133 Textes (FB 102, V. 258f.) manifestiert, richtet sich jedoch ausschließlich an ein weibliches Publikum, das dazu aufgefordert wird, das Leben – gemeint sind hier etwaige Seitensprünge von Ehemännern134 – „nit so heftig und schwer“ (FB 102, V. 259) zu nehmen.135 Von einer moralisierenden Bewertung des Ehebruchs sieht die Lehranwendung explizit ab.136 Der ,Hauptschuldige‘ in dieser Geschichte ist die Figur des Ehemanns, eines vorbildlichen und ruhmreichen Ritters französischer Herkunft namens Alexander, der den zentralen Ehebruch initiiert: Obgleich seine Ehefrau weit und breit als „das allerschönste weib“ (FB 102, V. 4) gilt137, will er sie mit einer Engländerin bürgerlicher Abkunft (vgl. FB 102, V. 142; 208; 221; 223; 227; 232) betrügen, deren Schönheit einen überragenden Ruf genießt (vgl. FB 102, V. 3–24). Zur Wahrung bzw. Steigerung seiner Reputation bedarf es neben seiner außerordentlichen Kampferfolge als Ritter (vgl. FB 102, V. 10–13) offenkundig seiner (sexuellen) Verfügungsgewalt über die schönste Frau – männliche Kampffertigkeit und weibliche Schönheit stehen hier in einem unmittelbaren Analogieverhältnis –, so dass er sich leichtfertig auf das Wagnis eines Liebesabenteuers 129

Zu Überlieferung und Fortleben vgl. Frieder SCHANZE, [Art.] ,Ritter Alexander‘, Sp. 94f.; zur Illustration vgl. Jürgen SCHULZ-GROBERT, Alte ,Mären‘ im neuen Medium. 130 Vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 547, Anm. zu Nr. 36. 131 Vgl. Frieder SCHANZE, [Art.] ,Ritter Alexander‘, Sp. 94. 132 Während Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 120, den Text als schwankhaft einstuft, wird dies von Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 334, bestritten. 133 Vgl. Frieder SCHANZE, [Art.] ,Ritter Alexander‘, Sp. 94. 134 Vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 85. 135 Ute VON BLOH sieht in den Schlussversen eine nicht näher spezifizierte „ironische Überbietung des Erzählten“ (Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 83, Anm. 27), die „das Erzählte als Nonsens entlarven“ (ebd., S. 87, vgl. Anm. 41). In welcher Hinsicht dies gelten soll, führt sie nicht weiter aus. 136 Vorsicht ist hier allerdings bei der Interpretation geboten, denn es ist nicht sicher, ob die beiden Schlussverse ursprünglich sind; vgl. Frieder SCHANZE, [Art.] ,Ritter Alexander‘, Sp. 95. 137 SCHULZ-GROBERT diskutiert, ob es sich um Ehefrau oder Geliebte handelt; vgl. Jürgen SCHULZGROBERT (Hrsg.), Kleinere mittelhochdeutsche Verserzählungen, S. 290, Kommentar zu V. 4.

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mit der Fremden einlässt. Später, als ihm nach Aufdeckung des Ehebruchs Lebensgefahr droht (vgl. FB 102, V. 84–99), wird er sogar seinen potentiellen Tod damit rechtfertigen, dass er „ie das schönste weib“ (FB 102, V. 98) ,erkannt‘ habe, „das menschlich aug gesach“ (FB 102, V. 99). Unmittelbar reist der Ritter deshalb, nachdem er von der unübertroffenen Schönheit der Engländerin gehört hat, mit seinem Knappen nach London, wo er bereits nach kürzester Zeit mit dem Zielobjekt seiner Begierde zusammentrifft. Obwohl die Londoner Ehefrau von einer alten Kammerfrau bewacht wird, macht sie dem französischen Galan schon bald „ir bet bekant“ (FB 102, V. 60), in dem das Paar sogleich die rasch entzündete Liebesglut (vgl. FB 102, V. 32; 49) stillt; diese rasante Entwicklung wird dadurch motiviert, dass die baldige Heimkunft des Ehemannes von einer Fernreise erwartet wird (vgl. FB 102, V. 25–66). Trotz der Eile, mit der das neue Liebespaar zur Tat schreitet, ertappt der betrogene Gatte die beiden nach seiner Rückkehr in flagranti, indem er die Kemenatentür versperren lässt und durch ein neu gebohrtes Loch beobachten kann, wie die beiden Liebenden „prust an pruste und munt an munt“ (FB 102, V. 83) „nahe zu hauf geruckt“ (FB 102, V. 82) nebeneinander im Bett liegen (vgl. FB 102, V. 67–83). Er hält es indes für ein Gebot der Vernunft, nicht mit Gewalt Rache zu üben138, sondern zieht es stattdessen vor, einen Gerichtsprozess anzustrengen (vgl. FB 102, V. 84–87); so lässt er die Tür aufbrechen und das Paar in einem Turm gefangen setzen (vgl. FB 102, V. 88–101), anstatt beide sogleich mit dem Schwert zu erschlagen. Als umsichtig erweist sich aber nicht nur der betrogene Ehemann, sondern ebenso Alexanders Knappe, der sogleich aufbricht, um die Ehefrau seines Herrn zu Hilfe zu holen. Diese zögert nicht lange und begibt sich, um die Lebensgefahr ihres Ehemannes wissend (vgl. FB 102, V. 114), „mit grosser hab“ (FB 102, V. 105) unmittelbar nach London; dort angekommen, besticht sie die geldgierigen Wachen, damit sie in den Gefängnisturm eingelassen wird (vgl. FB 102, V. 102–124). Ohne ihrem Gatten zu zürnen, umarmt und küsst sie ihn, so dass sich der Ritter sogleich genötigt sieht, sich schuldig zu bekennen (vgl. FB 102, V. 125–127). Diese – aus Sicht der modernen Lebenserfahrung unwahrscheinliche – Großmut der betrogenen und dennoch treuen Gattin ist es, die laut Aussage des Epimythions exemplarisch vorgeführt und dem weiblichen Publikum als Lehre anheimgestellt werden soll. Ohne auch nur ein Wort über den Ehebruch zu verlieren, reagiert die betrogene Ehefrau ebenso vernünftig und planvoll wie der betrogene Ehemann; an Ort und Stelle inszeniert sie einen Rollentausch, um ihrem Mann aus seiner Notlage zu helfen139;

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Laut Ute VON BLOH spielt der Text hier auf einen archaischen Rechtsbrauch an, der die Rache des Ehemannes in Form einer Tötung des Ehebrechers zugelassen habe; vgl. Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körpers, S. 83 und Anm. 26. 139 Ähnliche Motivkonstellationen finden sich bereits in der antiken Literatur; vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 84f. HOTCHKISS vergleicht die mittelhochdeutsche Verserzählung zudem mit dem späteren „Ritter auß Steyermarck“ von 1507 (vgl. ebd.).

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sie sagt: „so schweig und hab ietz rast. se hin und tu mein kleider an, auch ich die dein.“ das wart getan. scharsach und scher het sie mit ir. do schar sie im den bart vil schir; so schneit der man ir ab die löck. einander brachten sie die röck. sie schickt in hin und pleib sie do. (FB 102, V. 128–135)

Insofern Mann und Frau hier wechselseitig die Kleider tauschen, stellt Ritter Alexander (FB 102) die einzige Verserzählung im zugrunde liegenden Korpus dar, in der weibliches und männliches cross-dressing miteinander kombiniert werden. Die Durchführung des cross-dressing geht hier sogar über einen bloßen Kleidertausch hinaus, insofern sich die beiden Partner gegenseitig ihre Haare abschneiden; sie entfernen dabei den Bart des Ehemannes als Zeichen von Männlichkeit und die Locken seiner Ehefrau als Zeichen ihrer Weiblichkeit. Im folgenden Handlungsverlauf wird jedoch – und dies rechtfertigt es, die vorliegende Verserzählung primär der Motivvariation des weiblichen cross-dressing zuzurechnen – lediglich die Verkleidung der Protagonistin fokussiert, wohingegen die männliche Maskierung gänzlich ausgeblendet bleibt. Das doppelte cross-dressing dient erzähltechnisch zum einen dazu, dem inhaftierten Ehemann die Flucht aus seinem Gefängnis zu ermöglichen, zum anderen eröffnet es der Ehefrau die Möglichkeit, öffentlich vor Gericht aufzutreten, was ihr als Frau nach geltendem Recht verwehrt geblieben wäre.140 Bei der alsbald anberaumten Gerichtsverhandlung lässt sich die beklagte „bürgerin“ (FB 102, V. 142) von einem Anwalt verteidigen (vgl. FB 102, V. 136–157)141, während der beklagte ,Ritter‘ in Person von Alexanders Ehefrau „gar menlich“ (FB 102, V. 160) darauf beharrt, ohne einen Verteidiger für sich selbst zu sprechen (vgl. FB 102, V. 158– 164). Obwohl alle Anwesenden sie für einen Mann halten (vgl. FB 102, V. 159; 165f.), gibt sie ihre weibliche Identität sofort preis, nachdem sie sich durch ihr ritterliches – und das bedeutet in diesem Falle: männliches – Auftreten das Rederecht gesichert hat. Dieser strategisch geschickte Schachzug erweist sich als notwendig, denn sie will das Gericht nun davon überzeugen, dass sie als Ritter verkleidet nach England gekommen wäre, um unbehelligt überprüfen zu können, ob ihre Konkurrentin sie tatsächlich an Schönheit übertreffe (vgl. FB 102, V. 167–175). Die scheinbar männliche Person, derer der Ehemann im Schlafzimmer ansichtig geworden sei, wäre in Wirklichkeit sie selbst gewesen, ausgestattet mit männlicher Bekleidung (vgl. FB 102, V. 194–199).

140

Vgl. hierzu Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 73f.; Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 154–156; Bd. 2, S. 71–74; Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 84. 141 Sie lässt ihn darlegen, dass sie sich nur unentblößt hingelegt habe, um allein ein wenig auszuruhen; dann sei sie eingeschlafen.

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Den fragwürdigen Umstand ihres cross-dressing rechtfertigt sie mit der faktisch begrenzten Mobilität von Frauen, die ein solches Unternehmen ohne die Übernahme einer männlichen Identität nicht ermöglicht hätte. Weil es Frauen gesellschaftlich nicht anstehe, Fernreisen zu unternehmen, auf denen sie überdies vielerlei Gefahren ausgesetzt seien, habe sie sich entschlossen, „in ritters form“ (FB 102, V. 179) nach England zu reiten (vgl. FB 102, V. 176–181). Auch ihre Konkurrentin habe sie zunächst für einen Mann gehalten, bis sie ihr „beide prüst gezeiget“ (FB 102, V. 192) und ihr Anliegen näher erläutert habe (vgl. FB 102, V. 182–193). Um das Gericht von dieser völlig unglaubwürdigen Lügengeschichte restlos zu überzeugen, präsentiert sie diesem nunmehr ebenfalls „ir zwu prüste“ (FB 102, V. 202), womit die Gerichtsverhandlung überraschend zugunsten der Beklagten beendet wird (vgl. FB 102, V. 200–207). Diese ungewöhnliche Art der Beweisführung, die bei den Anwesenden keinerlei Anstoß erregt, die erfundene Geschichte aber umso glaubwürdiger erscheinen lassen muss, wird auf der Darstellungsebene nicht mehr kommentiert. Im Vordergrund der Erzählführung steht so im Ergebnis die weibliche Klugheit, durch die der Ehebruch nachträglich vertuscht wird: The woman becomes a hero in her own right, admired by the couckolded husband and the court for her alleged desire to seek out the other woman in order to compare their beauty and for the daring disguise used to approach the woman.142

Der betrogene Ehemann glaubt den Ausführungen der Französin nur allzu gern und lädt alle Beteiligten – bis auf den entflohenen Ritter Alexander – gastfreundlich in sein Haus (vgl. FB 102, V. 208–220). Bei der „ritterin“ (FB 102, V. 211) entschuldigt er sich persönlich, indem er vor ihr auf die Knie sinkt und sagt: „genad mir, herr und frau, eins von natur, das ander sunst nach der gebert, gestalt und kunst, wie sich geschicket hant die beid, das weib und man in einem kleid geschetzt sollen werden alhie.“ (FB 102, V. 212–217)

Mit diesen Worten weist der Hausherr seinem Gast einen nahezu androgynen Charakter zu – ein Gedanke, der sich auf der Darstellungsebene in dem ungebräuchlichen Begriff der „ritterin“ (FB 102, V. 211; 231; 245) spiegelt, mit dem die Protagonistin mehrfach belegt wird. Zugleich erscheint die männliche Verkleidung hier jedoch als sekundäres, jederzeit veränderliches Kunstprodukt (vgl. FB 102, V. 213f.), das über die weibliche „natur“ (FB 102, V. 213) der ritterin letztendlich nicht hinwegzutäuschen vermag. Noch in seinem Haus findet sodann die Wiedereinsetzung der klugen Ehefrau in ihre ,natürliche‘ weibliche Rolle statt: Sie muss die Männerkleidung ablegen, erhält das schönste Kleid der Gastgeberin und dazu eine Haube mit Gebände als Geschenk (vgl. FB 102, V. 221–225).

142

Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 85.

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Nun gilt es nur noch, die Schönheitskonkurrenz zwischen beiden Damen zu entscheiden; hierzu übergibt ihnen der Hausherr einen Spiegel, damit sie das Urteil selbst fällen können (vgl. FB 102, V. 226–230). Obgleich die Anwesenden die Frauen in ihrer Schönheit als ebenbürtig zu empfinden scheinen (vgl. FB 102, V. 233–244), was durch einen Erzählerkommentar auf der Darstellungsebene bestätigt wird (vgl. FB 102, V. 241)143, entscheidet letztlich die in mehrfacher Hinsicht überlegene „ritterin weis“ (FB 102, V. 231) den Wettstreit zugunsten ihrer englischen Konkurrentin (vgl. FB 102, V. 231f.). Der Sinnzusammenhang dieser Passage ließe sich möglicherweise im Hinblick auf die didaktische Zielrichtung des Epimythions erhellen: So mag darüber spekuliert werden, ob es sich hier um eine Spitze gegen das weibliche Geschlecht handeln soll, das nach Maßgabe der literarischen Konventionen mitunter als eitel und zanksüchtig gilt; denn durch den großmütigen Gestus der Protagonistin wird einer solchen Geisteshaltung exemplarisch eine vernünftige, friedvolle Handlungsweise entgegengehalten, die eventuell als Orientierungsmuster für das weibliche Publikum gelten soll. Umgekehrt ließe sich in diesem Akt der Versöhnung144 aber auch eine Überwindung von Differenzen erblicken, ähnlich derjenigen, die im Ritter Alexander (FB 102) deutlicher noch in der Konfiguration einer androgynen Geschlechtlichkeit angedeutet ist, wie sie in der Rede des Londoner Bürgers aufscheint. Gemeint ist hier zum einen die Nivellierung ständischer Differenzen zwischen der „ritterin“ (FB 102, V. 231 u. ö.) und der „bürgerin“ (FB 102, V. 232 u. ö.) im Glanz der Schönheit. Darüber hinaus wird diese Tugend in der Exposition sowohl dem Ritter Alexander als auch seiner Ehefrau zugesprochen: So wie der Erzähler über die beiden Frauen urteilt, „ir beider schön was ungemessen“ (FB 102, V. 241), so lautet sein Urteil über das französische Ehepaar analog, „ir beider schön die was on maß“ (FB 102, V. 6). Die Tugend der Schönheit erhält damit nicht nur einen ständeübergreifenden bzw. -verbindenden, sondern ebenso einen geschlechtsübergreifenden Charakter und Impetus.145 Mit der geographischen Herkunft der Protagonisten ist aber neben den Aspekten von ,gender‘ und ,class‘ schließlich eine dritte Differenzkategorie angesprochen, die im vorliegenden Zusammenhang i. w. S. mit dem anhand neuzeitlicher Literatur entwickelten

143

Nicht zuletzt aufgrund dieses Textbefundes scheint mir eine Interpretation der Ehebrecherin als „Schreckensbild“ (Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 79), das der Figur der getreuen Ehefrau diametral gegenübergestellt werde, nicht völlig unproblematisch zu sein. Zutreffend betont VON BLOH indes, dass im Fazit der Verserzählung Ritter Alexander (FB 102) sowohl die eheliche als auch die außereheliche Liebe zu ihrem Recht gelangten (vgl. ebd.). 144 Zum versöhnlichen und affirmativen Schluss des Textes aus ordnungstheoretischer, narratologischer Sicht vgl. Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 28f.; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 196f. 145 Widersprüchlich erscheint zunächst auch die Befürchtung der Bevölkerung, dass „solch zwu adellich person“ (FB 102, V. 154) – gemeint sind der Ritter und die Bürgerin – ihr Leben lassen sollen (vgl. FB 102, V. 151–157); vor dem skizzierten Hintergrund wird diese Bemerkung aber leicht verständlich.

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literaturtheoretischen Konzept von ,race‘ gefasst werden könnte. Mehrfach wird in Ritter Alexander (FB 102) nämlich die kulturelle Zugehörigkeit der Protagonisten hervorgehoben: Ritter Alexander ist „von gepurt ein Franzos“ (FB 102, V. 9), wohingegen seine Geliebte „zu Lun in Engellant“ (FB 102, V. 19) lebt; ihr Mann weilt „in frembden landen“ (FB 102, V. 45), während sich die Ehefrau von Alexander wiederum „auf frembder straß“ (FB 102, V. 181) nach London begibt. Von Belang ist dabei weniger der konkrete Gegensatz zwischen den beiden Ländern Frankreich und England146, sondern vielmehr die grundsätzliche Differenz zwischen Eigenem und Fremdem, die hier evoziert wird. Die Bedeutung dieses Aspektes für die Erzählung zeigt sich auch darin, dass der betrogene Ehemann es in besonderer Weise beklagt, dass seine Frau „von eines fremden ritters leib“ (FB 102, V. 76) entehrt worden sei (vgl. FB 102, V. 73–76). Hält der Text diese Differenz somit durchgängig präsent, lässt sich die Tugend der Schönheit (vgl. hierzu auch FB 102, V. 98f.) ebenfalls in diesem Kontext als universaler Wertmaßstab begreifen, in dessen Widerschein sich die Grenzen zwischen Eigenem und Fremdem verwischen. Diese auffällige Tendenz der Erzählung konkretisiert sich schließlich, wenn sich die Anwesenden in der gemeinsamen Anschauung der beiden auratischen Frauenkörper gleichsam ideell vereinigen: man setzt sie [d. s. die Bürgerin, die ritterin] ob dem tisch zusamen. do wart so ein stetes beschauen an disen außerwelten frauen, was man do pflag von seitenspil, wer des gewesen noch so vil, so spüret man nür die weib, zu schetzen hent und ir leib. ir beider schön was ungemessen. und alsbald man het geessen und all sach wart gericht in frid, man sich in grossen freuden schied. (FB 102, V. 234–244)

Es stellt handlungslogisch kein Problem dar, dass die in ihrem männlich codierten Handeln als „ritterin“ (FB 102, V. 245) geadelte Ehefrau für den Heimweg wiederum ihre Rüstung anlegt und so erneut die männliche Rolle übernimmt (vgl. FB 102, V. 245– 248). Die Geschichte endet friedlich und unspektakulär, indem sie ihrem Mann in einem Marktflecken, in dem er sich versteckt gehalten hat, entgegentritt; für die Zu-

146

Gleichwohl wäre es äußerst interessant zu verfolgen, ob sich in der stark typisierenden Verserzählung Ansätze von – vorsichtig formuliert – ,National‘- oder ,Volkscharakteren‘ o. ä. erkennen lassen; insbesondere im Hinblick auf die Länder England und Frankreich, wie sie z. B. auch für die Verserzählung Schampiflor (FB 109) (vgl. Kap. 4.1.2.f der vorliegenden Arbeit) relevant sind, schiene mir eine solche Untersuchung nicht völlig unergiebig zu sein. Zur entsprechenden Thematik in den Fabliaux vgl. Ardis BUTTERFIELD, English, French and Anglo-French; zur ,Ubiquität‘ als Prinzip des Schwankhaften in der mittelhochdeutschen Verserzählung vgl. Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 187–192.

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kunft verspricht Alexander, ihr „treu und auch eer“ (FB 102, V. 256) zu erweisen (vgl. FB 102, V. 249–257). Wie im Ritter Beringer (FB 15) wird somit das weibliche crossdressing durch einen vorgängigen Verstoß des männlichen Protagonisten motiviert und die aus den Fugen geratene Ehe durch das kluge und maßvolle Verhalten der Ehefrau wiederhergestellt. Zum Abschluss dieser Lektüre noch eine Anmerkung zu einem weiteren Deutungsaspekt: Denn ist Ritter Alexander (FB 102) die einzige Verserzählung, in dem ein wechselseitiges cross-dressing zwischen Mann und Frau vollzogen wird, so zeichnet sich die Erzählung darüber hinaus durch eine zweite Eigentümlichkeit aus, welche die Darstellung von Geschlechtlichkeit berührt. Sofern ich sehe, handelt es sich nämlich um den einzigen Text innerhalb des behandelten Textkorpus, der ein homosexuelles Verhältnis zwischen zwei Frauenfiguren zumindest andeutet, nämlich in der Darstellung der fingierten ,Bettszene‘ bei der Verteidigungsrede der Ehefrau (vgl. FB 102, V. 194–199). Wie bei den beobachteten Szenen, die eine Darstellung männlicher Homosexualität in den Assoziationshorizont moderner Rezipientinnen und Rezipienten rücken, würde diese Deutungsmöglichkeit aus der Darstellung des weiblichen cross-dressing resultieren. Im Gegensatz zu den expliziteren Anspielungen auf Formen männlicher Homosexualität in anderen mittelhochdeutschen Verserzählungen bin ich in Bezug auf den vorliegenden Text allerdings in Zweifel darüber, ob eine solche Interpretation den literarischen Möglichkeiten der Zeit entsprochen hätte.147 c.

Dietrich von der Glesse: Der Gürtel (FB 24)

Diese besonders ausgeklügelte Verserzählung hat bereits einen eigenwilligen Auftakt, indem sie sich im Promythion des Textes (FB 24, V. 1–10)148 selbst in Form eines IchErzählers dem Publikum präsentiert: „Ich bin der Borte genant“ (FB 24, V. 1), „man sol mich hubschen luten lesen“ (FB 24, V. 7). Aufgegriffen wird dieser Redestil im Epimythion (FB 24, V. 827–888), in der die anthropomorphisierte Erzählung gleichsam ihren eigenen Autor vorstellt und sich im Sinne einer captatio benevolentiae für seine begrenzten dichterischen Fähigkeiten entschuldigt (vgl. FB 24, V. 827–835); am Schluss nennt dasselbe „ich“ (FB 24, V. 881) Wilhelm von Widena – gemeint ist Weidenau in 147

Vgl. so auch Ute VON BLOH: „Wenn dann in der Gerichtsverhandlung ,erwiesen‘ wird, dass es sich bei dem Mann im Bett um eine Frau gehandelt habe, wird diese doch erotische Nähe allerdings nicht zum Problem.“ (Ute VON BLOH, Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 83, Anm. 25). 148 Dieses ist nur in den ältesten beiden Textzeugen HK überliefert; es fehlt in dem jüngsten, auf 1478 datierten Text in h1; vgl. Otto Richard MEYER, Der Borte des Dietrich von der Glezze, S. 113, Anm. zu V. 11. Auch in dem spät aufgefundenen Klagenfurter Fragment ist der Beginn des Textes nicht überliefert; vgl. hierzu Hans GRÖCHENIG, Ein Fragment einer mittelalterlichen Maerenhandschrift. – Zur Textkritik vgl. Otto Richard MEYER, Der Borte des Dietrich von der Glezze, S. 1–62, sowie Dietrich VON KRALIK, Der Borte Dietrichs von der Glezze in ursprünglicher Gestalt; zum literaturhistorischen Standort des Textes in h1 vgl. Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500, S. 132–135.

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Schlesien – als Auftraggeber (vgl. FB 24, V. 879–884); anhand dieses Namens kann man die Verserzählung schließlich auf den Zeitraum zwischen 1270 und 1290 datieren.149 Als stoffliche Grundlage des Gürtels (FB 24) kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die antike Erzählung von Kephalos und Prokris namhaft gemacht werden.150 In besonders ausführlicher Weise widmet sich die vorliegende Verserzählung in ihrem ersten Teil151 der Vorstellung ihrer Protagonisten, einem höfischen Paar, das vordergründig sehr positiv gezeichnet ist; erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass dieses Bild durch eine übertreibende Darstellungsweise unterschwellig konterkariert wird. Der ruhmvolle Ehemann nämlich, Ritter „Conrat“ (FB 24, V. 13), wird dabei als äußerst umtriebig charakterisiert und scheint allzu häufig höfischen Vergnügungen der unterschiedlichsten Art nachzugehen, wie die vierfache Wiederholung des Adverbs ,dicke‘ in der Exposition signalisiert: „dicke“ (FB 24, V. 16) – (sehr) oft – findet man ihn am Hof (vgl. FB 24, V. 16f.), „dicke“ (FB 24, V. 19) gibt er sich freigebig (vgl. FB 24, V. 18f.), „dicke“ (FB 24, V. 23) verlustiert er sich „durch rum und durch schone wip“ (FB 24, V. 24), „dicke“ (FB 24, V. 25) sieht man ihn turnieren (vgl. FB 24, V. 25– 30). Gleich Hartmanns Iwein-Figur frönt Konrad dem ritterlichen Leben in höchst ein-

149

Am Schluss nennt sich auch noch der Schreiber des Textes, ein Mann namens Punzinger (vgl. FB 24, V. 886); vgl. zu Spekulationen über dessen Person und Identität zusammenfassend Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 199. Der Autor, Dietrich von der Glesse, benennt sich nach einem schlesischen Ort, wiewohl er nicht aus Schlesien zu stammen scheint. Zu den philologischen Grundlagen vgl. Hanns FISCHER, ebd., S. 192; Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] Dietrich von der Glesse (Glezze), Sp. 137–139 und Nachtrag. – Narratologisch analysiert Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte, S. 193–196, 202f., Pro- und Epimythion des Textes. 150 Vgl. zur stofflichen Grundlage insbesondere Otto Richard MEYER, Das Quellen-Verhältnis des ,Borten‘; einen Vergleich der antiken und der mittelalterlichen Versionen unternehmen Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 71f., sowie Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 285–287; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 157. Ein textlicher Zusammenhang zwischen der Erzählung von Kephalos und Prokris und dem Gürtel (FB 24) wird ohne stichhaltige Begründung angezweifelt von Petrus W. TAX, Zur Interpretation des „Gürtels“ Dietrichs von der Glezze, S. 48, Anm. 2; andere Textbezüge zur höfischen Literatur, die TAX (der sich mit den Interpretationsansätzen der neueren Forschung faktisch kaum auseinandersetzt) für den Gürtel (FB 24) aufweist, bleiben insgesamt so unspezifisch, dass m. E. letztlich nicht nachprüfbar ist, ob es sich jeweils um konkrete literarische Anspielungen oder bloß um allgemeine Versatzstücke eines höfischen Sprachjargons handelt; vgl. ebd., S. 48–54. – In einen literarischen Traditionszusammenhang mit der Heidin (B) (FB 54) sowie dem Frauenturnier (FB 39) setzt William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 134f., den Gürtel (FB 24). – Zur Forschungslage und insbesondere auch zur älteren Forschung vgl. zusammenfassend den präzisen Überblick von Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 280f. 151 Zur zweiteiligen Gliederung der Erzählung vgl. ebd., S. 282–285.

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seitiger Weise, während er seine Ehefrau völlig vernachlässigt.152 Es mutet daher sehr unwahrscheinlich an, wenn er ihr gegenüber behauptet, dass er zwar „in vremden landen“ (FB 24, V. 105) zu Ruhm gelangt wäre, nicht jedoch in seinem eigenen Land; vielmehr scheint es, als wolle er mit dieser Begründung bloß seine Teilnahme an einem nahe gelegenen Turnier rechtfertigen (vgl. FB 24, V. 102–120). Trotz der Umtriebigkeit des Ritters gibt es jedoch „ni zorn“ (FB 24, V. 91) zwischen den beiden Eheleuten, und die ergebene Ehefrau, die ihr Mann für absolut treu hält (vgl. FB 24, V. 103), akzeptiert seinen ausgeprägten Turniergeist bereitwillig (vgl. FB 24, V. 121–132). Dieses Verhalten Konrads nachzuvollziehen erschwert der Erzähler dadurch, dass er im Folgenden die inneren und äußeren Werte der weiblichen Protagonistin auf das Ausführlichste preist. Neben ihrer Tugenden (vgl. FB 24, V. 31–33; 79–92) erfreut sich die Ehefrau insbesondere außerordentlicher Schönheit. Über 45 Verse hinweg (vgl. FB 24, V. 34–78) erstreckt sich die nach topischen Mustern vorgehende descriptio ihres schönen Körpers153, die allerdings durch eine Verkehrung der konventionellen rhetorischen Muster eine eindringlich erotische und mitunter auch komische, um nicht zu sagen ironische154 Akzentuierung erhält.155 Dieser Eindruck entsteht zum einen durch die mikroskopisch detaillierte, nahezu intime Aufzählung von Körperteilen; hierzu zählen etwa ihr „nasebein“ (FB 24, V. 43), ihre „kel“ (FB 24, V. 48), „ir zene“ (FB 24, V. 51), „ir zunge“ (FB 24, V. 52) und „ir achsel vil suberlich“ (FB 24, V. 53), „ir hende, ir arm ritterlich“ (FB 24, V. 54), „ir bein, ir fuzze hovelich“ (FB 24, V. 67). Auf diese beiden Körperteile fixiert sich das narrative Interesse der Aufzählung, die dem literarischen top-to-toe-Prinzip folgt: Unter dem Vorwand, einen Vergleich für die unglaubliche Güte der Dame finden zu müssen156, verweilt der erotisierende Blick des Erzählers unnötig lange auf ihren entblößten Füßen und Beinen: ir gute was so suzze, und weren ir die fuzze komen in des meres flut, daz mer daz were worden gut

152

Mir scheint es daher nicht plausibel, mit ORTMANN / RAGOTZKY davon auszugehen, dass das Paar „in mustergültiger Weise die Einheit von Minne und Ehe“ lebe (Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 75; vgl. im Anschluss daran ebenso Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 172). 153 Vgl. hierzu Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Verserzählung, S. 16–20; Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 165; Karina KELLERMANN, Der Uterus als Edelstein oder das Geschlecht als Kopfgeburt?, S. 71; Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte, S. 187–189, 201. REICHLIN hebt die in der Verserzählung wiederholt erscheinenden descriptiones als besonderes poetologisches Stilmittel des Textes hervor. 154 Vgl. Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 294f. 155 Anders Christa ORTMANN / HEDDA RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 74, die von einem darstellerischen Gleichgewicht in der erotischen wie ethischen Zeichnung der Figur ausgehen. 156 Vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 166.

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von iren fuzzen reinen unde von ir wizzen beinen. (FB 24, V. 73–78)

Genauso eigentümlich wie dieses skurrile Bild mutet der Vergleich der Sehfähigkeit der Ehefrau mit derjenigen eines Adlers an (vgl. FB 24, V. 42); dieser kann ähnlich wie der Vergleich des Blicks der Protagonistin mit dem eines Falken in der Verserzählung von Aristoteles und Phyllis (FB 6; vgl. V. 278f.) als bildliche Vorausdeutung auf die sexuelle Aktivität der Protagonistin gelesen werden. Unterstützt wird die erotische Einfärbung der Figurenbeschreibung durch die aktivische Wendung, mit der die Röte des Mundes in Umkehrung der üblichen Floskel beschrieben wird; auch dieser Kunstgriff trägt dazu bei, die Dame als selbsttätiges Subjekt erotisch-sexueller Handlungen zu kennzeichnen: „wi selic, dem si [Hervorhebung durch A. S.] ir kussen bot!“ (FB 24, V. 46). Zentral ist für diesen Deutungshorizont weiterhin die Beschreibung eines magischen Steins, der sich „under ir gurtel“ (FB 24, V. 61) befindet und sinnbildlich für das unaussprechliche weibliche Genitale steht157, das „ir herze“ (FB 24, V. 56) und ihre Beine (vgl. FB 24, V. 67) gleichsam einrahmen: under ir gurtel stunt ein stein, der was clar unde rein. daz waren wunderliche dinc: herze, sage unde sinc von dem dinge heimlich. iz ist ein dinc wunderlich. (FB 24, V. 61–66)

Die in der eigenwilligen Schönheitsbeschreibung angedeutete Begehrlichkeit der Protagonistin trifft bereits am Abend nach der Abreise des Hausherrn auf ein libidinöses Objekt in Gestalt eines vorbeiziehenden Ritters, den die Frau mit ihrem scharfen Adlerblick (vgl. FB 24, V. 42) von ihrem Garten aus durch den Zaun erspäht (vgl. FB 24, V. 133–139). Ähnlich dem Protagonisten in Sibotes Frauenerziehung (FB 121), der zu Erziehungszwecken Habicht und Windhund sowie ein Pferd als Insignien höfischer Ritterlichkeit mit sich führt, die schließlich alle drei zugunsten der „vrouwen zuht“ (FB 121, V. 6) aufgeopfert werden, hat auch dieser Ritter ein Pferd, einen Habicht und zwei Windhunde bei sich (vgl. FB 24, V. 141–145). Zusätzlich trägt er aber „einen borten“ (FB 24, V. 146) „von gesteine clar“ (FB 24, V. 147), wodurch er für die Rezipientinnen und Rezipienten sogleich als künftiger Liebhaber der Ehefrau ausgewiesen ist, deren Genitale in der vorliegenden Verserzählung ja mit dem gleichen Sprachbild umschrieben wird. Als der Ritter seinerseits die schöne Frau erblickt, entbrennt er sogleich in Liebesglut und begibt sich deshalb unverzüglich in den Garten, wo sein inneres ,Feuer‘ durch die Hitze des Sommers (vgl. FB 24, V. 167; 171f.; 186f.) nur noch weiter angefacht wird (vgl. FB 24, V. 149–184). Zwar gibt sich die Hausfrau zunächst zugeknöpft und spröde 157

Vgl. Karina KELLERMANN, Der Uterus als Edelstein oder das Geschlecht als Kopfgeburt?, S. 71; Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 295.

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(vgl. FB 24, V. 185–199; 204–206; 212–216), lässt sich dann aber doch „kühl und zweckrational“158 auf die Verhandlungen mit dem fremden Ritter über ein sexuelles Zugeständnis ein. Dieser bietet ihr als Gegenleistung zunächst den 500 Gulden teuren Habicht an, der sich, so der Ritter, dadurch auszeichne, dass er jede Beute fange (vgl. FB 24, V. 218–226), dann die beiden Windhunde, die schneller seien als alle anderen Tiere (vgl. FB 24, V. 230–240), und schließlich das Pferd, das wie die übrigen Tiere vortreffliche Eigenschaften aufbiete, darüber hinaus jedoch auch noch über ganz besondere Fähigkeiten verfüge; diese rührten – wiederum – von einem „stein“ (FB 24, V. 256) auf seiner Brust, der seinem Träger eine besondere Stärke und Schnelligkeit verleihe, so dass jeder, der das Ross reite, stets sieghaft bleibe (vgl. FB 24, V. 249– 262). Doch all diese Angebote, von denen natürlich auch ihr Ehemann profitieren könnte, schlägt die Frau energisch aus, da sie um dieser Geschenke willen ihre Ehre nicht verlieren möchte (vgl. FB 24, V. 227–229; 241–248; 263–270). Erst als ihr der fremde Ritter sein gesamtes Jagdequipment inklusive des „borten“ (vgl. FB 24, V. 279) zusichert (vgl. FB 24, V. 271–320)159, willigt sie ein, so dass es schließlich doch noch zu einem Tausch der ,Steine‘160, d. h. zum Liebesakt kommen kann (vgl. FB 24, V. 321– 356). Entscheidend für die Qualität des Gürtels ist nicht, dass er mit mehr als fünfzig exotischen Edelsteinen besetzt ist und somit einen hohen materiellen Wert aufweist, sondern dass ihn ein Stein griechischer Herkunft ziert, zur Hälfte „wolkenvar“ (FB 24, V. 299) und zur Hälfte „tunkelrot“ (FB 24, V. 303), der über eigentümliche magische Kräfte verfügt. Entsprechend dieser Farbgebung, so der Ritter, schütze er gegen Feuer und Wasser gleichermaßen (vgl. FB 24, V. 315); derjenige, der den Gürtel trage, würde niemals seine êre verlieren, agiere immer glückhaft, werde niemals erschlagen, verliere niemals den Mut und bleibe stets siegreich im ritterlichen Kampf (vgl. FB 24, V. 307– 314). Auf einer sinnbildlichen Ebene fungiert der ritterliche Gürtel somit als Zeichen für die ungebrochene ,Männlichkeit‘ seines jeweiligen Trägers.161 Es sind mithin zwei Gründe, welche die Ehefrau bewegen mögen, sich doch noch auf den Handel einzulassen: Zum einen mag es die Aussicht sein, dass der siegbringende

158

Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 295; vgl. des Weiteren auch Hansjürgen LINKE, Wertewandel im Widerschein kleinepischer Versdichtung des späten Mittelalters, S. 461. 159 REICHLIN weist für diese wie auch für andere Stellen des Textes nach, wie auf der Handlungsebene immer wieder sprachlich-performativ Bedeutung generiert wird; vgl. Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte, S. 185; vgl. ebd., S. 184–187, 200. 160 Vgl. Karina KELLERMANN, Der Uterus als Edelstein oder das Geschlecht als Kopfgeburt?, S. 72. 161 Vgl. Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 295. BLUM und mit ihm KRAß sehen ihn als wesentlichen Bestandteil des androgynen Auftretens der Dame; vgl. Martin BLUM, Queer Desires and the Middle High German Comic Tale, S. 117; Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 295f.; vgl. zum ambivalenten Bedeutungsgehalt des Gürtels auch Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 75f., Anm. 18.

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Gürtel die Kampfgelüste ihres Mannes befriedigen könnte162 – mit dem Argument, die Gegenstände nur für ihn errungen zu haben, rechtfertigt sich die Ehefrau später selbst gegenüber ihrem Ehemann (vgl. FB 24, V. 786–790). Zum anderen verspricht ihr der Gürtel die Sicherheit, bei dem Ehebruch ihre Ehre nicht verlieren zu müssen. Ihre Behauptung, dass ihr Liebespartner, der fremde Ritter, einen schlechten Handel gemacht habe (vgl. FB 24, V. 357–368), will dieser beim Abschied allerdings nicht gelten lassen (vgl. FB 24, V. 369–378). Allzu weit scheinen die Kräfte des Gürtels vorläufig nicht zu reichen: Denn ein Knecht, der unerkannt Zeuge des Liebesaktes wird, benachrichtigt seinen Herrn von dem Ehebruch, ohne dabei zu wissen, zu welchem Preis sich die Hausherrin dem fremden Ritter hingegeben hat (vgl. FB 24, V. 379–391); später wird er – vermutlich aufgrund ihrer Intervention, darüber schweigt sich der Text aus – das Haus für diese verräterische Handlung „mit schanden“ (FB 24, V. 412) verlassen müssen (vgl. FB 24, V. 411f.). Die Ehefrau erleidet nun eben jenen Ehrverlust, den der Wunderstein nach Maßgabe des Ritters eigentlich hätte verhindern sollen: Für Konrad ist die Untreue seiner Ehefrau nämlich Ursache genug, um unverzüglich das Land zu verlassen; er begibt sich nach Brabant und kehrt nicht wieder nach Hause zurück (vgl. FB 24, V. 392– 403). Zunächst gibt sich die Ehefrau noch der Hoffnung hin, ihr Mann werde bald wiederkommen (vgl. FB 24, V. 406–410); nachdem er jedoch mehr als zwei Jahre ausgeblieben ist, besinnt sie sich eines Besseren – und damit setzt der zweite Teil der Erzählung ein –, indem sie beschließt, ihn auf eigene Faust zu suchen. Weil sie es verstanden hat, den zwischenzeitlich erwirtschafteten Besitz trotz ihres jungen Alters von nur etwa zwanzig Jahren (vgl. FB 24, V. 421) in ihre Verfügungsgewalt zu bringen (vgl. FB 24, V. 417f.), ist es ihr möglich, neben den erworbenen Tieren sowie ihrem Zaubergürtel zusätzlich noch 500 Mark mit auf die Reise zu nehmen; in Begleitung von zehn Knechten bricht sie auf diese Weise gerüstet auf (vgl. FB 24, V. 413–442). Die Zwischenstation in einer städtischen Herberge nutzt sie, um ihr Gefolge zu entlassen (vgl. FB 24, V. 445–464) und so einen Identitätswechsel vorzubereiten: Dem Gastwirt erklärt sie, de facto ein Mann zu sein, der sich als Frau verkleidet hätte, um sich vor einem übermächtigen Gegner zu schützen (vgl. FB 24, V. 466–478). Für 400 Mark lässt sie sich von ihm zwölf Knechte samt Ausrüstung, Pferde und einen Spielmann besorgen (vgl. FB 24, V. 479–490), schneidet sich das Haar ab und präsentiert sich sodann „in mannes wat“ (FB 24, V. 495) in der Öffentlichkeit (vgl. FB 24, V. 491–497). Die männliche Maskerade dient ihr auf diese Weise dazu, sich in der

162

Etwas freundlicher deutet Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 164, diese mögliche Motivation, wenn sie betont, die Frau wolle die Gaben für ihren Gatten gewinnen, um dem Minneideal Genüge zu leisten; vgl. ebenso Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 79.

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Fremde frei zu bewegen.163 Bedeutsam ist dabei, dass die neu errungene männliche Identität weniger durch die Verkleidung, sondern vielmehr durch die Selbstdeklarierung als Mann gestiftet und somit gleichsam performativ erzeugt wird: Die Transformation der Ehefrau in die Figur Heinrich wird hier […] nicht als einmaliger Identitätswechsel, sondern schrittweise sich ereignende Neuerfindung dargestellt: Auf den narrativen Entwurf der männlichen Identität folgt die Verkleidung und anschließend die Selbstbenennung.164

Als Mann reitet sie nach Brabant, wo sie auf einer Herzogsburg aufgrund ihres stattlichen Gefolges und ihres fürstlichen Auftretens „in ritters wat“ (FB 24, V. 519) gastfreundlich willkommen geheißen wird (vgl. FB 24, V. 498–518). In königlicher Montur erscheint sie mit einem scharlachfarbenen Gewand, das mit goldenen Zierstreifen versehen ist, einem Hermelinpelz sowie einem Kranz auf ihrem glänzenden Haupthaar165; dazu hat die verkleidete Ehefrau ihren magischen Gürtel umgelegt (vgl. FB 24, V. 519– 527). Rasch kann sie sich großes Ansehen am Hof erwerben, indem sie ihre ritterlichen Kunstfertigkeiten zur Schau stellt, wobei ihr insbesondere die Tiere zum Erfolg verhelfen: Die beiden Windhunde erlegen einen Bären (vgl. FB 24, V. 555–568), bei der Beizjagd ergreift der Habicht vierzig Vögel (vgl. FB 24, V. 579–586) und das schnelle Pferd gewinnt ein Wettrennen (vgl. FB 24, V. 593–598). Um in der Männerrolle zu reüssieren, so lässt sich vorläufig zusammenfassen, bedarf es im Gürtel (FB 24) der mit magischen Energien ausgestatteten Begleiter, ohne deren Kräfte der Geschlechtertausch der Ehefrau wirkungslos bliebe.166 Anders als im Beringer (FB 15) und im Ritter Alexander (FB 102) reicht das bloße cross-dressing in dieser Verserzählung also nicht aus, um als Frau wie ein Mann agieren zu können. Aus diesem Grunde ist es verständlich, dass die Dame die Angebote des Herzogs, der die Hunde für 500 Mark, den Habicht für „gutes vil“ (FB 24, V. 589) und das Pferd für „lant unde golt rot“ (FB 24, V. 600) erwerben möchte, kategorisch ausschlägt (vgl. FB 24, V. 569–578; 587–592; 599–602); dieses auffällige Handlungsdetail wird allerdings am Schluss der Geschichte eine weitere Bedeutungsnuance erhalten, auf die ich an späterer Stelle noch zu sprechen kommen werde. Die besondere Auszeichnung der Ehefrau in der männlichen Ritterrolle ist deshalb von Belang, weil sich am Herzogshof ihr Ehemann Konrad aufhält, dem sie sich bald 163

Vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 103. – Sehr weitreichend ist die Schlussfolgerung von BLUM, dass das weibliche cross-dressing im Gürtel (FB 24) „the inherent instability of accepted male and female positions“ (Martin BLUM, Queer Desires and the Middle High German Comic Tale, S. 116) entlarve. 164 Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte, S. 186. 165 Die Schilderung ihres Aussehens bestätigt die Anerkennung ihrer Ritterlichkeit bzw. Männlichkeit und komplettiert somit die identitäre Geschlechtsumwandlung; vgl. Susanne REICHLIN, ebd., S. 186. 166 Vgl. ähnlich auch Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 271.

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nach ihrer Ankunft als Heinrich von Schwaben vorstellt (vgl. FB 24, V. 532–545).167 Konrad erkennt seine Ehefrau nicht.168 Da beide als „vremde geste“ (FB 24, V. 547) am Hof verweilen, bietet Konrad dem unerkannten Ankömmling in der Folge seine Freundschaft an (vgl. FB 24, V. 542–550): „sint mahten si nuwe / ir vil alte truwe“ (FB 24, V. 553f.). Die Besiegelung des Treuebündnisses ist insofern eine doppelbödige Angelegenheit, als nicht nur die ritterliche Freundschaft, sondern im gleichen Zuge das zerrüttete Ehebündnis der beiden Partner symbolisch restituiert wird. In einem Turnier, das der Herzog kurze Zeit später anberaumt, kommt es zu einer unmittelbaren Konkurrenzsituation zwischen Konrad und seinem neuen Freund ,Heinrich‘: Beide Ritter sollen nämlich gegen einen Briten kämpfen, der eine Aufsehen erregende Erscheinung darstellt. Nachdem Konrad, der bislang als der tapferste Ritter am Hofe gegolten hat (vgl. FB 24, V. 631f.), dem Briten kläglich unterlegen ist (vgl. FB 24, V. 612–620), gelingt es ,Heinrich‘, die kämpferische Herausforderung souverän zu bestehen (vgl. FB 24, V. 621–690). Beide Kämpfer werden hier als ebenbürtige Gegner dargestellt, wenn der Brite in seiner farbenprächtigen rot-goldenen Gewandung (vgl. FB 24, V. 606f.; 639–657) in Kontrast gesetzt wird zu ,Heinrich‘, der nun in grün-goldener Aufmachung kämpft und mit einem Schild ausgestattet ist, das eine weiße Lilie als Wappen trägt, wohingegen seine Pferdedecke mit goldenen Rosen verziert ist (vgl. FB 24, V. 658–670). Unverkennbar verweist diese florale Ornamentik für die Rezipientinnen und Rezipienten auf das weibliche Geschlecht der Kämpfenden, deren rosenfarbene Wangen (vgl. FB 24, V. 38) und lilienfarbenes Gesicht (vgl. FB 24, V. 39) in der expositorischen descriptio hervorgehoben werden. Im folgenden Turnierverlauf gelingt es ,Heinrich‘, dreißig weitere Ritter zu besiegen (vgl. FB 24, V. 691–704), so dass am Ende des kämpferischen Geschehens die siegreiche Ehefrau ihrem Mann weit überlegen ist.169 Erst nachdem sich ,Heinrich‘ auf diese Weise in Szene gesetzt hat, kommt es auf einem Feldzug des Herzogs (vgl. FB 24, V. 705–709) zu einer Versöhnung des Ehepaares. Konrad bittet ,Heinrich‘ eindringlich, ihm die Windhunde, den Habicht oder das 167

Dass die Protagonistin bis zu diesem Zeitpunkt namenlos bleibt, entspricht der typisierenden Tendenz der Verserzählung; die ,Namengebung‘ ist hier Teil der Maskerade und muss nicht zwingend als ein Indiz dafür gewertet werden, dass die Männerfreundschaft im Mittelpunkt der Geschichte stehen soll (vgl. hingegen Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 296). – Auffällig ist, dass sich mit der Selbstbezeichnung der Ehefrau als ,Heinrich‘ auf der Figurenebene auch der Erzähler im folgenden Verlauf dieses Sprachgebrauchs bedient; mit der Anwendung des Namens geht dabei eine entsprechende Bezeichnung durch männliche Pronomina und Deiktika einher, wie Susanne REICHLIN festgestellt hat; sie belegt, dass dadurch eine ,Ambiguisierung‘, ,Hybridisierung‘ und ,Pluralisierung‘ der Figur erfolge; vgl. Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte, S. 189–193 168 Wie in den übrigen cross-dressing-Geschichten spielt es im Gürtel (FB 24) ebenfalls keine Rolle, dass eine solche Handlungskonstellation unter wahrnehmungspsychologischen Gesichtspunkten jeglicher Plausibilität entbehrt. 169 Vgl. Karina KELLERMANN, Der Uterus als Edelstein oder das Geschlecht als Kopfgeburt?, S. 73.

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Ross zu schenken, um so seine freundschaftliche Treue zu erweisen: Er wolle ,Heinrichs‘ „eigen“ (FB 24, V. 727) sein und ihn für immer in seines „herzen schrin“ (FB 24, V. 728) tragen. Die Antwort ist eindeutig: „welt ir tun, daz ich wil, / so gibe ich uch daz vederspil“ (FB 24, V. 733f.). Als Konrad einwilligt, bietet ihm ,Heinrich‘ als Zugabe auch noch die Windhunde, betont jedoch warnend, „ich minne gerne di man, / ni dehein wip ich gewan“ (FB 24, V. 739f.). Zwar beklagt Konrad diesen Umstand (vgl. FB 24, V. 745–748), gesteht ,Heinrich‘ jedoch um des Habichts willen (vgl. FB 24, V. 752) zu, auf dessen – aus zeitgenössischer Sicht höchst ,unmoralisches‘ – Angebot einzugehen (vgl. FB 24, V. 763–769): her Heinrich sprach: nu merket baz. du must dich nider zu mir legen, so wil ich mit dir pflegen aller der minne, der ich von minem sinne gedenken und ertrahten kan, darzu, swes ein iglich man mit siner vrowen pfligt, swenne er nahtes bi ir ligt. (FB 24, V. 754–762)

Diese Forderung ist natürlich ebenso doppelbödig wie das Ritual, mit dem die beiden Ehepartner ihre Freundschaft besiegeln.170 Die Forderungen ,Heinrichs‘ gipfeln schließlich darin, dass „her Heinze hern Conrat uberreit, / daz er sich an den rucke leit“ (FB 24, V. 773f.), dass er sich also in eine Position begibt, die symbolisch höchstgradig problematisch ist, insofern sie seine (weiblich codierte) Unterlegenheit überdeutlich markiert.171 Diese Forderung spiegelt aber letztlich nur wider, dass er sich selbst zuvor in diese weiblich codierte Position begeben hat, und zwar insofern Konrad „is willing to offer sex in exchange for objects that he wants“.172 Nachdem die Ehefrau ihren Mann auf diese Weise gedemütigt hat, macht sie dem frivolen Spiel ein Ende und enthüllt ihre Identität, bevor es zur Realisierung der in Rede stehenden sexuellen Handlungen kommt. Weil er mit zweierlei Maßstäben misst, hat sie 170

Das Oszillieren der Szene zwischen Homosexualitäts- und Ehediskurs scheint mir dominanter zu sein als ein mögliches Ineinanderschieben von Homosexualitäts- und Freundschaftsdiskurs (vgl. Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 294). Es ist daher gewagt, der Szene das Potential einer Infragestellung „der traditionellen diskursiven Trennung von Homo- und Heterosexualität“ (ebd.) zuzuschreiben; in ähnlicher Weise äußert sich zu dieser These auch kritisch Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 171 und Anm. 50. 171 Zur Brisanz dieser Stellung beim Geschlechtsakt vgl. Kap. 2.1.2.b der vorliegenden Arbeit; vgl. auch Petrus W. TAX, Zur Interpretation des „Gürtels“ Dietrichs von der Glezze, S. 60f. und Anm. 32. – Für das Gesamtverständnis des Textes ist es m. E. unerheblich, ob die Form „uberreit“ (FB 24, V. 773) mit ,niederreiten‘ (vgl. Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 78) oder mit ,überreden‘ (vgl. TAX, Zur Interpretation des „Gürtels“ Dietrichs von der Glezze, S. 59, gegen ORTMANN / RAGOTZKY) übersetzt wird. 172 James A. SCHULTZ, Love without desire in Mären of the thirteenth and fourteenth centuries, S. 138.

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nun eine argumentative Handhabe dafür, die moralische Strenge ihres Mannes als inadäquate Verhaltensweise anzuprangern: „Playing a male role similar to that of her seducer, the wife tempts her husband into a homosexual encounter that forces him to acknowledge his own moral infirmity.“173 Indem sie ihm einen Spiegel vorhält, erreicht sie, dass er ihr den Ehebruch verzeihen muss: Denn während sie selbst nur um den Preis aller Tiere und des magischen Gürtels mit dem fremden Ritter verkehrt habe, um die Gaben für ihren Mann zu erwerben, sei er sogar bereit, sich zum „ketzer“ (FB 24, V. 791) – hiermit kann nach mittelhochdeutschem Sprachgebrauch ein Homosexueller gemeint sein174 – degradieren zu lassen (vgl. FB 24, V. 781–794). Dieser Vorwurf kommt zu demjenigen des Ehebruchs, der mit einer Realisierung des Geschlechtsakts durch Konrad ja vollzogen worden wäre, für die Ehefrau noch erschwerend hinzu: daz ich tet, daz was menschlich; so woldet ir unkristenlich vil gerne haben nu getan. ir sit ein unreiner man, daz ir durch di minsten gabe zwo uwer ere woldet also haben gar verlorn. sehet, daz ist mir zorn. (FB 24, V. 795–802)

Auf dieser Grundlage gelingt endlich eine Versöhnung der beiden Ehepartner: Erneut unterwirft sich Konrad seiner Frau zu „eigen“ (FB 24, V. 804) und bittet um Vergebung für seine „unzuht“ (FB 24, V. 805). Ob er sich mit dieser Geste für die Bereitwilligkeit, sich auf eine homosexuelle Handlung einzulassen, oder für das vorschnelle Verlassen seiner Ehefrau in früherer Zeit entschuldigen möchte, bleibt letztlich offen. Die Ehefrau findet ihrerseits in dem Argument, nur um der Bereicherung ihres Ehemannes willen mit dem fremden Ritter geschlafen zu haben, eine Rechtfertigung für ihren Ehebruch. Dementsprechend überlässt sie ihrem Mann nun die vier erworbenen Objekte, während sie sich für den Rest ihres langen, wohl hundertjährigen [sic!] (vgl. FB 24, V. 825) Lebens zurück nach Schwaben begeben (vgl. FB 24, V. 803–826).175 Aus dem Schluss der Geschichte erhellt, dass es für das strategische Vorgehen der Ehe-

173

Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 103. Vgl. hierzu umfassend Kap. 4.2.1.e der vorliegenden Arbeit, zu den entsprechenden kulturhistorischen Implikationen im vorliegenden Kontext vgl. Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, S. 289– 291. 175 Insofern ist es nur bedingt richtig, wenn Edith FEISTNER behauptet, dass die Geschlechterhierarchie am Ende der Geschichte in Bezug auf die Ausgangssituation gänzlich verkehrt sei; vgl. Edith FEISTNER, manlîchiu wîp, wîplîche man, S. 257. Sie selbst hebt wiederum die schlussendliche Konzilianz der Protagonistin hervor; vgl. ebd., S. 258. Diesen Umstand betont ebenfalls Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 28f., der im Schluss des Gürtels (FB 24) eine Parallele zum positiven Ende im Ritter Alexander (FB 102) sieht, das in beiden Erzählungen auf einen Ordnungsverstoß ohne Revanche folge.

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frau von immenser Bedeutung ist, ihre Besitztümer gerade nicht an den Herzog zu verkaufen: Denn durch den ,Treuebeweis‘, die wertvollen Gegenstände allein für ihren Mann aufbewahrt zu haben, kann sie ihren vormaligen Treuebruch jetzt kompensieren.176 Auch in dieser Verserzählung hat das weibliche cross-dressing somit eine nachhaltige Wirkung, indem die Protagonistin den Ehemann zur Annahme jener Rolle zwingt, die er bislang nicht ausfüllen konnte oder wollte: der des allen anderen Männern überlegenen tapfersten Kriegers, der dann auch die ungebrochene Autorität des Ehemannes verkörpert.177

Hinsichtlich der Thematisierung von Homosexualität, die mit dem cross-dressing-Motiv häufig verknüpft ist, nimmt der Gürtel (FB 24) in unserem Textkorpus eine Sonderrolle ein. Denn anders als in den übrigen Verserzählungen wird der Aspekt der Homosexualität hier explizit in das Handlungsgefüge einbezogen: Die Anstößigkeit des Textes liegt nicht in seiner vorgeführten oder untergründigen Homosexualität, sondern darin, daß diese überhaupt, wenn auch als Spielmaterial für eine der mären178 typischen Überlistungen, zur Sprache kommt.

Wie Valerie HOTCHKISS in ihrer übergreifenden Studie zum cross-dressing im Mittelalter bemerkt, handelt es sich um das einzige Beispiel einer gegengeschlechtlich verkleideten Frauenfigur, die ihre Sexualität nicht verdeckt, sondern, im Gegenteil, gerade noch hervorkehrt, um auf diese Weise ihren Mann zum Schein zu homosexuellem Verkehr aufzufordern.179 Wie ist dieser außergewöhnliche Befund zu bewerten? Zunächst muss festgehalten werden, dass im Gürtel (FB 24) ebenso wie in den Verserzählungen, die ein männliches cross-dressing thematisieren, die männliche Spielart einer homosexuellen Begegnung zur Darstellung gelangt und nicht etwa – wie ja durchaus mittels der Einführung einer zweiten weiblichen Figur denkbar gewesen wäre – eine lesbische Beziehung zwischen zwei Frauenfiguren. Dass der Aspekt der Homosexualität im Gürtel (FB 24) wesentlich deutlicher angesprochen wird als in den Erzählungen, die ein männliches cross-dressing behandeln, liegt m. E. darin begründet, dass die potentielle Homosexualität hier an die spielerische Ebene der Maskerade gebunden bleibt und demnach keine reale Handlungsmöglichkeit der betreffenden Figuren darstellt – ganz im Gegensatz zu jenen Tex176

Viele Deutungsansätze sprechen der Erzählung in diesem Sinne die Tendenz zu, eine Harmonisierung von minne und Ehe bzw. Ehebruch und Treue anzustreben; vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 301f.; Ingrid STRASSER, Vornovellistisches Erzählen, S. 170; ausführlich Christa ORTMANN / Hedda RAGOTZKY, Minneherrin und Ehefrau, S. 72–83; zuletzt Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 170–172. 177 Vgl. Ingrid BENNEWITZ, Die Pferde der Enite, S. 15. 178 Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 171, Anm. 50. 179 Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 103. Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde, S. 95f., weist darauf hin, dass es sich um die einzige Stelle in der mittelhochdeutschen Literatur handele, „in der die Vorstellung der als Analverkehr praktizierten männlichen Homosexualität durchscheint“.

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ten, in denen sich ein Mann als Frau verkleidet und in dieser Ausstattung einer zweiten männlichen Figur begegnet. In diesen Fällen beträfe eine homosexuelle Beziehung das Handlungsspektrum jenseits der spielerischen Fiktion der Maskerade und hätte somit einen durchaus subversiveren Charakter. An Brisanz verliert die Situation im Gürtel (FB 24) zudem, weil es sich bei den Handlungsakteuren nicht bloß um Mann und Frau, sondern sogar um ein Ehepaar handelt. Aufgrund dieser Ausgangskonstellation wird die explizite Thematisierung von Homosexualität im Gürtel (FB 24) in ihrer Brisanz insgesamt stark entschärft. Auch bei Dietrich von der Glesse wird Homosexualität somit letztlich als lasterhaft diskreditiert.180 Unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten bieten sich hinsichtlich der Verbindung von narratio und Epimythion an, sofern man von einer unmittelbaren Bezugnahme beider Textteile aufeinander ausgeht. Im Epimythion181 lobt sich der Verfasser des Textes selbst für das Bestreben, sich mit seinem dichterischen Schaffen in den „vrowendinst“ (FB 24, V. 836) zu stellen182 und die „reinikeit“ (FB 24, V. 838) der Frauen zu loben (vgl. FB 24, V. 836–839). Kontrastiert wird diese Haltung mit der materiellen Gesinnung der Welt, wie sie sich gegenwärtig zeige und zum Niedergang der minne geführt habe (vgl. FB 24, V. 840–848). Der Erzähler, der hier teilweise mit der Autorfigur in 180

Vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 164. – Tendenziell überzubewerten in ihrer Bedeutung scheint mir Martin BLUM die Darstellung von Homosexualität im Gürtel (FB 24) als seiner Auffassung nach zentralem sujet des Textes; in dieser Verserzählung, so Martin BLUM, würde durch die oberflächliche Verwerfung eines homosexuellen Begehrens ein solches gerade in den Vordergrund gerückt; vgl. Martin BLUM, Queer Desires and the Middle High German Comic Tale, passim. – Einen sehr großen Wert misst Andreas KRAß in seiner Lektüre der Verserzählung – in Anlehnung an das von Eve SEDGWICK entwickelte Konzept der Homosozialität – der dargestellten Form männlicher Freundschaft bei; vgl. Andreas KRAß, Das erotische Dreieck, insbesondere S. 288f., 297 und passim. KRAß betont, dass der an die Figur Konrads geknüpften Idee der männlichen Freundschaft, die auf seelischen Grundlagen basiere (Homosozialität), im Gürtel (FB 24) mehr Wert beigemessen werde als dem Modell der heterosexuellen Liebe zwischen zwei Ehepartnern; auf der Handlungsebene werde diese jedoch dem mit der Figur ,Heinrichs‘ assoziierten Diskurs der gleichgeschlechtlichen (körperlichen) Liebe kontrastiert. Ziel der Erzählung sei es jedoch, alle drei Diskurse zu integrieren; vgl. ebd., S. 291–294. Der Text biete, so KRAß weiter, „eine Schattengeschichte über die Vereinbarkeit von seelischer und körperlicher Liebe zwischen Männern“ (ebd., S. 297), die jedoch aufgrund der mittelalterlichen Tabuisierung gleichgeschlechtlicher Sexualität zu einem abrupten Ende geführt werden müsse (vgl. ebd.). Wie BLUM sieht KRAß demzufolge im zweiten Teil der Erzählung ihren eigentlichen inhaltlichen Schwerpunkt. Nur verkürzend setzt sich Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 171, Anm. 50, mit der Lektüre von KRAß auseinander. 181 Das Epimythion fehlt in der Handschrift h1 ebenso wie das Promythion. Ob beide nachträglich an die narratio angefügt worden sind, wurde in der Forschung diskutiert; vgl. z. B. zusammenfassend Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 199. 182 Mir scheint es wenig überzeugend, hierin eine Handlungsanweisung für ,gefährdete‘ Männer zu sehen, um auf diese Weise potentielle Machtgelüste von Frauen zu kontrollieren; vgl. in diesem Sinne Edith FEISTNER, manlîchiu wîp, wîplîche man, S. 258, kritisch dagegen bereits Ursula PETERS, Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur?, S. 294.

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der Sprecherrolle verschmilzt (vgl. FB 24, V. 865–868), rühmt demgegenüber die Macht der Liebe und den ritterlichen Frauendienst (vgl. FB 24, V. 849–878). Indem darauf verzichtet wird, den vollzogenen Ehebruch moralisch anzuprangern, verteidigt das Epimythion somit implizit die Position der Ehefrau. Im Anschluss an die Unterscheidung zwischen einer der Liebe feindlich gegenüberstehenden und einer für die Liebe zuträglichen Welt stellt sich die Frage, welche der dargestellten Verhaltensweisen in der narratio als ,minnefeindlich‘ und welche als ,minnetauglich‘ zu bewerten sind. Am plausibelsten scheint es zunächst, diesen Gegensatz auf das Handeln der beiden zentralen Männerfiguren, den Hausherrn und den fremden Ritter, zu beziehen, die sich auf diesem Gebiet gänzlich konträr zueinander verhalten: Während der fremde Ritter seinen Besitz bereitwillig verausgabt, um die Liebe der schönen Ehefrau zu erwerben, ,verrät‘ sein Kontrahent Konrad den Frauendienst, indem er seine Bereitschaft demonstriert, sich aus rein materiellen Gründen auf eine homosexuelle Begegnung einzulassen. Erschwerend kommt schließlich hinzu, dass Konrad seine Frau bereits im Vorfeld vernachlässigt hat, indem er sich allzu einseitig darauf konzentriert hat, seinen ritterlichen Ruhm zu vermehren. Letztlich vermag dieser Deutungsansatz aber deshalb nicht ganz zu überzeugen, weil es dem fremden Ritter in der Position des ehebrecherischen Liebhabers ebenfalls nicht um ,Frauendienst‘ oder ,(höfische) Liebe‘ geht, sondern lediglich um eine möglichst schnelle und unkomplizierte Erfüllung seines rein sexuellen Verlangens.183 Somit hat Valerie HOTCHKISS recht, wenn sie – vielleicht ein wenig überspitzend – formuliert: The author writes in the language and style of courtly romance but inverts traditional themes and motifs from romance literature to criticize the decay of chivalric virtues. Dietrich von der Glezze depicts a complex degeneration of courtly love that includes adultery, transvestism, homosexuality, and prostitution. Inversion occurs not only in transgressive sexual acts that degrade the ideal of minne, but also in the presentation of a woman as the questing figure.184

Die einzige Figur, der man folglich eine der Liebe zugewandte Haltung beilegen könnte, ist die als Ritter verkleidete Dame selbst, die sich im Gürtel (FB 24) gewissermaßen in ihren eigenen Frauendienst stellt. Weil eine derartige dialektisch zuspitzende Deutungsperspektive der linearen Erzählstruktur der mittelalterlichen Verserzählung aber nicht gerecht würde, sollte die generelle Bedeutsamkeit des Epimythions für das Verständnis der narratio in dieser Verserzählung m. E. nicht überschätzt werden.

183

Vgl. Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 270f.; Ursula PETERS, ebd., S. 295. 184 Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 101; vgl. ebenso Ursula PETERS, ebd., S. 294. Weniger überzeugend erscheint mir hingegen PETERS’ Relativierung der Geschlechterthematik für die Verserzählung, wenn sie konstatiert, dass im Gürtel (FB 24) in erster Linie die „Thematisierung von Schein und Sein“ (PETERS, ebd., S. 296) im Vordergrund stehe; vgl. ebd.

Maskeraden

d.

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Der vertauschte Müller (FB 89)

Die einfach aus dem 15. Jahrhundert überlieferte Verserzählung „von dem mulner“185, über deren Herkunft und Entstehung die Forschung bislang keinerlei zureichende Aussagen hat treffen können, gehört zu der Gruppe von Verserzählungen, in denen das listige Verhalten eines ehebrecherischen Pfaffen den thematischen Mittelpunkt bildet. Die narratio setzt ein mit dem Bericht über einen Müller, der eines Tages in der Stadt betrunken in die Hände seines Knechts Heinrich fällt. Da dieser soeben Mehl ausgeliefert hat, lädt er seinen Herrn wie einen Mehlsack auf den leeren Wagen, um ihn nach Hause zu bringen (vgl. FB 89, V. 1–23). Weil er zu schnell fährt, fällt der Müller unterwegs herunter, was der Knecht jedoch zu spät bemerkt (vgl. FB 89, V. 24–32). Als er schließlich anhält, um seinen Herrn zu suchen, greift der einfältige Knecht einen anderen Mann auf, der schlafend unter einer Buche liegt, weil er ihn für den verlorenen Müller hält. Der Pfarrer, um den es sich hierbei tatsächlich handelt, erkennt rasch, dass sich ihm die Möglichkeit zu einem „obenteur“ (FB 89, V. 45) bietet, so dass er sich von dem schimpfenden Knecht ohne Widerstand auf den Wagen verfrachten lässt (vgl. FB 89, V. 33–54). Der Knecht übergibt die aufgelesene Person der Ehefrau des Müllers. Weil sie über die Trunksucht ihres Mannes und seine mangelnde Zuwendung schimpft, frohlockt der Pfarrer (vgl. FB 89, V. 55–80); und nicht zu Unrecht – denn es fügt sich, dass die Müllerin sich selbst ebenso wie den Pfaffen entkleidet, um sich mit ihm beim Liebesspiel zu ergötzen, da sie nach wie vor der irrigen Auffassung ist, es handele sich bei dem Mann um ihren Ehegatten. Während der hinterlistige Pfaffe sich dankbar in sein Schicksal fügt und Stillschweigen bewahrt, ergeht sich die Frau in Lobeshymnen auf den Wein, durch den sich ihr Ehemann scheinbar zu einem feurigen Liebhaber gewandelt hat (vgl. FB 89, V. 81–121).186 Als nun der reale Müller erscheint und um Einlass bittet, schickt ihn sein Knecht wieder fort, da er annimmt, sein Herr befinde sich bereits im Bett seiner Ehefrau (vgl. FB 89, V. 122–146). Resigniert begibt sich der Hausherr daraufhin zu den Nachbarn, um bei ihnen Klage darüber zu führen, dass der Wein bei ihm bewirkt habe, „ein ander man“ (FB 89, V. 152; vgl. V. 163) zu werden, den sein Knecht nicht mehr erkennen könne (vgl. FB 89, V. 147–170). Verunsichert laufen die Nachbarn mit ihm zur Mühle zurück, wo sich das gleiche Procedere vor aller Ohren wiederholt, denn der Knecht will den Müller auch dieses Mal nicht als seinen Herrn erkennen (vgl. FB 89, V. 171–194). Der Müller bittet den Pförtner nach diesem nahezu kafkaesken Erlebnis, die Hausfrau 185 186

Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 20. Birgit BEINE verweist auf das mittelalterliche Klischee der Mühle als Ort der sexuellen Umtriebigkeit; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 92, Anm. 105. – Zur Diskreditierung der Müller in der mittelalterlichen Literatur und in historischen Zeugnissen dieser Zeit vgl. Andreas PASING, Müller; Gaby HERCHERT, Wer trägt des Pfaffen Schand’ am Hut?, S. 95f.; Johan H. WINKELMAN, Des Müllers Lust.

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zu benachrichtigen, die sich spaßeshalber ob der Aussicht, noch einen zweiten Liebhaber zu erhalten, äußerst erfreut zeigt, dann jedoch darin einwilligt, sich der versammelten Nachbarschaft zu stellen (vgl. FB 89, V. 195–212). Nach längerem Hin und Her werden die Tore schließlich geöffnet und die Bauern hereingelassen, so dass die Müllerin ihren Mann identifizieren muss (vgl. FB 89, V. 213–230). Um ihren Liebhaber vor dem argwöhnischen Ehemann zu warnen, versichert die Müllerin lautstark, die Nacht neben einem Betrunkenen verbracht zu haben, der sich nicht weiter gerührt habe (vgl. FB 89, V. 231–244); diesen Hinweis versteht der Pfarrer richtig, so dass er sich zum Schein alkoholisiert gibt (vgl. FB 89, V. 245–248). Um den nach wie vor misstrauischen Müller zu besänftigen, tut er so, als erwache er im Pfarrhaus, spricht den Hausherrn als Küster an und erzählt von einem Traum, in dem der Müller gestorben sei, so dass die Nachbarn um sein Begräbnis gebeten hätten (vgl. FB 89, V. 249–271). Die Anwesenden, die ihm seinen trunkenen Zustand abnehmen, spielen ihrerseits, um den Pfaffen zum Narren zu halten, das inszenierte Spiel mit, bestätigen den Tod des Müllers, tun so, als streiften sie ihm das Messgewand über und gaukeln ihm vor, dass der Altar bereits zur Totenmesse gerichtet wäre (vgl. FB 89, V. 272–292). Weil der Pfarrer zuvor einen Beichtvater verlangt, um vor der Messe die Sünden der letzten Nacht zu beichten, läuft der neugierige „mülman“ (FB 89, V. 298) schnell zu einem Nachbarn, um einen ,Beichtvater‘ herbeizuschaffen (vgl. FB 89, V. 293–313). Die folgende Passage, welche die Aufforderung des Müllers zu einer Maskerade als „brediger“ (FB 89, V. 300) enthält, scheint – wie auch der folgende, mit Inkonsistenzen und logischen Brüchen behaftete Text187 – fehlerhaft überliefert zu sein: er [d. i. der Müller] sprach: „volgt dem rat mein: wir müßen zwen swarz mentel haben; den einen bint umb den kragen und get recht als ein prediger, so hort ir gemeliche mer.“ die frau het an ein weiße pfeit, den swarzen mantel dorüber geleit. (FB 89, V. 314–320)

Offensichtlich dient der Besuch dazu, die Gewänder, die zur Verkleidung als Dominikanermönch188 notwendig sind, bereitzustellen. Aus welchem Grund aber gleich zwei schwarze Umhänge im Spiel sind und um welche Frauenfigur es sich nun handelt, die eingekleidet wird, bleibt letztlich unklar. Während die Forschung einhellig davon ausgeht, dass es wiederum die Müllerin ist, die hier als Geistlicher in Erscheinung tritt, scheint es mir ebenfalls möglich zu sein, dass die Frau des Nachbarn, der den Talar zur

187

Dieses Urteil fällte bereits Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 527f., Anm. zu Nr. 2. 188 Dies erhellt hier anhand der weiß-schwarzen Tracht; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 245, Anm. 130, S. 249f., 261, 263, 265.

Maskeraden

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Verfügung stellt, gemeint sein könnte.189 Für den Fortgang der Handlung ist dieser Aspekt jedoch weitgehend unerheblich. Abstrus schreitet die Handlung weiter voran: In der Mühle haben die Bauern inzwischen eine Leiche besorgt [sic!] (vgl. FB 89, V. 336) und befinden sich völlig außer Rand und Band: „sie schrien alle: ,weich! / herre, hie pringen wir die leich.‘“ (FB 89, V. 337f.). Zwar freuen sie sich diebisch darüber, den Pfarrer zum Narren halten zu können (vgl. FB 89, V. 327–329; 343f.), erkennen aber nicht, dass de facto er derjenige ist, der sein durchtriebenes Spielt mit ihnen treibt: Denn nicht nur, dass es ihm gelingt, den Ehebruch zu vertuschen, er findet dank des inszenierten cross-dressing eine weitere Gelegenheit, seine sexuellen Gelüste zu befriedigen (vgl. FB 89, V. 352–356). Trotz einiger Bedenken begibt sich die verkleidete Frau mit dem Pfarrer nach draußen, um ihm die ,Beichte abzunehmen‘, nachdem Nachbarn und Ehemann sie – wohl in der Annahme, dass der Pfarrer sie tatsächlich für einen „kaplon“ (FB 89, V. 346; 350) halte190 – sogar noch ausdrücklich dazu aufgefordert haben, ihm zu folgen (vgl. FB 89, V. 343– 351): „,wol auff, pfaff und kaplan!‘“ (FB 89, V. 358). Diesem Aufruf kommt der Pfaffe sogleich nach und verschwindet mit seinem ,Kaplan‘ zur ,Beichte‘, um ,Buße‘ zu tun: do leint er sie an ein want, biß er die penitenz fant. dozu slug er ir den ban. 191 also mint der pfaff den kaplan. (FB 89, V. 361–364)

Damit ist die unsinnige Geschichte bereits beendet; der erzählte Nonsens wird schlussendlich in einem kurzen Epimythion mit einer didaktischen Pointe überhöht, die an die

189

Dies suggeriert m. E. zumindest der mittelhochdeutsche Text und dementsprechend auch die textnahe Übersetzung von Hanns FISCHER (Hrsg.), Schwankerzählungen des Mittelalters, S. 213–220, hier S. 219f. Anders hingegen äußert sich FISCHER in seinen Regesten zur Märendichtung, vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 497; wie Hedda RAGOTZKY geht er hier ohne nähere Begründung davon aus, dass es sich bei der maskierten Frau wiederum um die Müllerin handele; vgl. Hedda RAGOTZKY, [Art.] ,Der vertauschte Müller‘, Sp. 318. Desgleichen beziehen die weiteren neuhochdeutschen Übersetzungen von VIVIANI und SPIEWOK die Verkleidung auf die Müllerin; vgl. Annalisa VIVIANI (Hrsg.), Die Nonne im Bade, S. 158–166, hier S. 165; Wolfgang SPIEWOK (Hrsg.), Altdeutsches Decamerone, S. 109–119, S. 117f., und ebenso folgt die jüngere Forschungsliteratur dieser Lesart von Hanns FISCHER; vgl. Hans-Jürgen BACHORSKI, Ehe und Trieb, Gewalt, Besitz, S. 7f.; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 92, 245, Anm. 130; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 408. 190 Nicht ausschließen möchte ich hier jedoch eine Lesart, nach der die Bauern die Nachbarsfrau zum Geschlechtsverkehr mit dem Pfarrer nötigen wollen. Denn ansonsten gibt es keinerlei vernünftige Begründung dafür, dass nicht der Ehemann der Nachbarsfrau die Rolle des Predigers übernimmt. Nach einem solchen Textverständnis würde die Geschichte alle bisher behandelten Texte in ihrer misogynen Ausrichtung weit übertreffen. 191 BEINE kommentiert diese Stelle treffend wie folgt: „Der Geschlechtsakt wird in der Metapher mit der Buße gleichgesetzt, obwohl er eigentlich selbst der Sühne bedarf. Hier geht Begriffsverkehrung mit Ordnungsverkehrung einher […].“ (Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 287).

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überlegene List der klugen Pfaffen erinnert (vgl. FB 89, V. 365–370), die in der Geschichte ja auch tatsächlich eindrücklich demonstriert wird. Anders als bei den zuvor behandelten Beispielen eines weiblichen cross-dressing entschließt sich die betreffende Person – und hierbei spielt es, wie gesagt, keine Rolle, ob es sich bei der Frau um die Müllerin oder eine Nachbarin handelt – nicht aus freien Stücken zu der Maskerade, sondern wird vielmehr von ihrer männlichen Umgebung dazu gezwungen. Handlungsspielräume eröffnen sich dadurch auf sexuellem Gebiet, wobei der Text weniger die Interessen der verkleideten Frauenfigur, als vielmehr, nahezu Bewunderung ausdrückend, diejenigen des Pfarrers als männlichem Protagonisten fokussiert, der aus der Maskerade den größten Profit schlägt.192 Darüber hinaus ist es die Schadenfreude über den betrogenen Ehemann bzw. die betrogenen Ehemänner, die sich den Rezipientinnen und Rezipienten in der Geschichte von dem Vertauschten Müller (FB 89) aufdrängt. Die Verkleidung erhält dadurch eine besondere Brisanz, dass sie im doppelten Sinne eine Grenzüberschreitung darstellt, denn zum einen verkleidet sich eine Frau als Mann, zum anderen aber auch ein Laie als Geistlicher. In zweifacher Hinsicht nimmt die verkleidete Figur somit eine sozial höhere Position ein, wobei sich in der klerikalen Gegenüberstellung von übergeordnetem (männlichem) pfaff und untergeordnetem (weiblichem) kaplan die hierarchische Struktur der normativen Geschlechterordnung spiegelt. Wenn der letzte Vers der Geschichte doppeldeutig die Liebe zwischen beiden Figuren aufruft (vgl. FB 89, V. 364), so provoziert diese Formulierung nicht nur durch den doppelten Zölibatsbruch, der damit evoziert wird, sondern ebenso durch die latente Anspielung auf ein homosexuelles Verhältnis zwischen den beiden Klerikern.193 Anders als in Ritter Alexander (FB 102), Beringer (FB 15) und Der Gürtel (FB 24) steht am Ende also keineswegs eine Stabilisierung der ehelichen Ordnung, sondern vielmehr eine ausgreifende Auflösung normativer Hierarchiestrukturen. Im Unterschied zu diesen Erzählungen geht die Verkleidung im Vertauschten Müller (FB 89) auch nicht auf die Eigeninitiative der Protagonistin zurück, sondern wird ihr von den männlichen Mitstreitern förmlich aufgezwungen. e.

Varianten des weiblichen Cross-Dressing

Um das Bild des weiblichen cross-dressing und ähnlicher Überschreitungen der Geschlechterdifferenz durch Frauenfiguren in den mittelhochdeutschen Verserzählungen zu vervollständigen, gilt es zum Abschluss dieses Kapitels, die einschlägigen Beispiele, 192

Vgl. dagegen aber Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 330, 403–410 (hier insbesondere 409f.), 591, 595, der von einer negativen und kritischen Tendenz in der Darstellung des Pfarrers ausgeht. 193 Vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 153, 163f. – Erschwerend kommt noch hinzu, dass dieser zweite Zölibatsbruch stehender Weise, d. h. nach zeitgenössischer Auffassung in einer widernatürlichen Stellung erfolgt; vgl. ebd., S. 164; Ralph TANNER, Sex, Sünde, Seelenheil, S. 409f.

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die sich in weiteren Texten des betreffenden Korpus finden lassen, in den Blick zu nehmen. Es sind dies die späten Texte aus dem 15. Jahrhundert, Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), Hans Folz’ Der arme Bäcker (FB 30a) und Die Hose des Buhlers (FB 30g) sowie Die treue Magd (FB 80). In Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) dient die entscheidende cross-dressing-Szene wie in Ritter Alexander (FB 102) der Rettung des (zukünftigen) Ehemanns vor gerichtlichen Strafsanktionen. Um ihren Liebhaber vor einem Fleischpfand und drohender Lebensgefahr zu retten, verkleidet sich die Protagonistin, nachdem sie sich von ihren Untergebenen über den Stand der Gerichtsverhandlung hat informieren lassen (vgl. FB 66, V. 385–403), um öffentlich als männlicher Fürsprecher für ihn eintreten zu können.194 Aufgrund einer Lücke in der handschriftlichen Überlieferung lässt sich der eigentliche Akt des cross-dressing dabei nicht näher analysieren.195 Relevant sind von daher nur die abschließende Kommentierung ihres Auftritts vor Gericht durch die anwesenden Zuschauer (und den Erzähler), die ganz auf die Authentizität ihres Auftretens abhebt (vgl. FB 66, V. 543–552), sowie die Schilderung von dem Ablegen der männlichen Identität, nachdem die Kaiserstochter – ganz in männlicher Manier – auf ihrem Pferd nach Hause geritten ist (vgl. FB 66, V. 539–542). Als ihr Liebhaber bei ihr eintrifft, hat sich die junge Frau bereits umgekleidet und ist „wider worden zu wib“ (FB 66, V. 562). Der künftige Ehemann hat sie vor Gericht offenkundig nicht erkannt, denn er lobt die Person, die ihm das Leben gerettet hat, in den höchsten Tönen: das [d. i. die Todesstrafe] understond ain junger man, ain ritter klug und lobesan, wis und darzu wol gesprech, gnaden vol und nit zu gäch. der hat mit der wishait sin mich erlest uß grosser pin. (FB 66, V. 571–576)

Noch gibt die Kaiserstochter ihre Identität jedoch nicht preis, sondern führt ihr verräterisches Spiel weiter, indem sie ihrem Liebhaber den Vorwurf macht, seinen Gönner nicht eingeladen zu haben (vgl. FB 66, V. 584–589), um ihn schließlich zu der Aussage herauszufordern, dass er diesen jederzeit erkennen würde (vgl. FB 66, V. 593–598). Um ihn eines Besseren zu belehren, legt sie erneut „die mannesklaider“ (FB 66, V. 601) an und erscheint „sam ain man, der mut hat“ (FB 66, V. 604) vor ihrem ritterlichen Geliebten, der auf die Erkenntnis, dass er von ihr gerettet worden ist, seinerseits sehr erfreut reagiert (vgl. FB 66, V. 605–610). Ähnlich wie in Ritter Alexander (FB 102), so lässt sich zusammenfassen, resultiert die Maskerade hier aus der Notsituation, in der

194

In der Verserzählung erscheint hingegen an keiner Stelle „der als Frau verkleidete Ehemann“ (Ute Die Sexualität, das Recht und der Körper, S. 86), wie Ute VON BLOH fälschlich konstatiert. 195 Vgl. zur Einbettung der Szene, dem beherzten Auftreten der Protagonistin vor Gericht sowie zum Status der Überlieferung die Darlegungen in Kap. 3.2.2.c der vorliegenden Arbeit. VON BLOH,

348

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sich der Partner der Protagonistin befindet. Weil der Ritter durch seine Versäumnisse mehr oder weniger handlungsunfähig geworden ist, übernimmt die „Frau eine zentrale, handlungsbestimmende Funktion“.196 Im Gegensatz zum Ritter Alexander (FB 102) erfolgt die Entdeckung der Verkleidung jedoch nicht in der Öffentlichkeit, sondern bleibt auf die intime Privatsphäre zwischen Ritter und Kaiserstochter beschränkt, so dass sie in dieser Erzählung keine Auswirkung auf das Ordnungsgefüge der normativen Geschlechterhierarchie hat, die durch die Heirat des Paares untermauert wird.197 Hans Folz stellt in zweien seiner Verserzählungen eine je eigene Variante von weiblichem cross-dressing dar, nämlich im Armen Bäcker (FB 30a) und in der Hose des Buhlers (FB 30g). Im ersten Text, einem unikal überlieferten handschriftlichen Fragment198, das in der Darstellung des einschlägigen Motivs mit der Verserzählung Beringer (FB 15) vergleichbar ist, verkleidet sich die Frau eines adligen Burgherrn, um einen armen Bäcker zur Räson zu bringen, der unerlaubt den zur Burg gehörigen Wald benutzt, um dort Holz zu sammeln (vgl. FB 30a, V. 1–11). Zu diesem Zweck legt die Dame die Kleider ihres Ehemannes an: Sein cleider sie fil pald anleyt, Ein pfert sie darnach uberschreit, Vermacht mit fleiß ir angesicht, Daß sie der pek sollt kennen nicht. (FB 30a, V. 13–16)

Zur Strafe soll ihr der verstörte Bäcker wie der Ritter Beringer „in daz flach antlit“ (FB 30a, V. 30) „hinten fur die luken“ (FB 30a, V. 34) küssen (vgl. FB 30a, V. 17–34). Anders als Beringer bemerkt der schlaue Bäcker jedoch sofort, dass es sich um eine Frau handeln muss, denn er sieht, dass „Der locher weren mer dan einß“ (FB 30a, V. 37). Um seine Demütigung und den gravierenden Verstoß gegen die Geschlechterhierarchie199 zu rächen, verkleidet er sich nun seinerseits und begibt sich als Narr maskiert an den Hof, um dort die sexuelle Begehrlichkeit der Burgherrin zu wecken (vgl. FB 30a, V. 47–87).200 An dieser Stelle bricht das im Hinblick auf die Geschlechterfrage deutlich konservative Textfragment ab.

196

Monika LONDNER, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung, S. 223. FUHRMANN hebt demgegenüber nicht die Autonomie, sondern die Abhängigkeit der Protagonistin als Handlungsmovens hervor; vgl. Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 153f. 197 Vgl. Monika LONDNER, ebd., S. 227; Bettina BILDHAUER, If you prick us do we not bleed?, S. 169. Der bemerkenswerten Tatsache, dass die Verserzählung nicht mehr von der Entkleidung der Kaiserstochter spricht, würde ich anders als BILDHAUER kein besonderes Gewicht beimessen wollen; vgl. ebd. 198 Jürgen SCHULZ-GROBERT, Alte ,Mären‘ im neuen Medium, S. 221, bringt die begrenzte Überlieferung mit dem obszönen Inhalt des Textstückes in Verbindung. 199 Vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 100. 200 In diesem Handlungsstrang erinnert der Text stark an die Konrad von Würzburg zugeschriebene Halbe Birne (A) (FB 74) sowie die B-Fassung von Hans Folz (FB 30c).

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Eine besondere Szene, die sich nur aus mittelalterlicher Sicht in die Nähe eines cross-dressing rücken lässt, findet sich in Hans Folz’ Verserzählung Die Hose des Buhlers (FB 30g). Hier entdeckt ein betrogener Ehemann die Hose des Liebhabers seiner Frau im Bett (vgl. FB 30g, V. 11–29). Um seinen – zutreffenden – Verdacht zu zerstreuen, kaufen Amme und Magd der Ehefrau zwei weitere Beinkleider von gleicher Farbe; zu zweit treten sie in Hosen vor das Ehepaar (vgl. FB 30g, V. 59–69). Beide erzählen lachend von einer Wette mit der Ehefrau, die sie nun gewonnen hätten: Vor sechs Tagen hätten sie drei Hosen gekauft mit der Abmachung, sie acht Tage lang zu tragen; da die Ehefrau nun schon zwei Tage ohne Hose erschienen sei, habe sie die Wette verloren und müsse nun ein Viertel Wein bezahlen (vgl. FB 30g, V. 72–86). Um dies zu überprüfen, gebietet der Ehemann den drei Frauen, ihre Kleider zu heben (vgl. FB 30g, V. 89f.); schließlich soll die Ehefrau auch noch ihre Hose anlegen, weil sich der Hausherr einen Spaß daraus machen will zu sehen, welcher der drei Frauen ihre Hose am besten stehe (vgl. FB 30g, V. 107f.). Indem er zusätzlichen Wein spendiert (vgl. FB 30g, V. 102–106), löst sich die ganze Angelegenheit in Wohlgefallen und allgemeines Gelächter auf (vgl. FB 30g, V. 94–96; 119f.).201 Im Unterschied zu den übrigen Fällen eines weiblichen cross-dressing ist mit dem Anlegen der Hose als spezifisch männlichem Kleidungsstück keine Verkleidung mit Identitätswechsel intendiert; es dient vielmehr als Ablenkungsmanöver im Hinblick auf den vollzogenen Ehebruch der weiblichen Protagonistin. Die Grenzüberschreitung hat hier einen vornehmlich komischen bzw. unterhaltsamen Effekt, sie dient nicht zuletzt der Herstellung einer erotischen Grundatmosphäre und erschöpft sich in ihrem Bedeutungspotential weitgehend in dieser Intention202 sowie in der grotesken Inszenierung.203 Die Vertuschung eines Ehebruchs bietet ebenso in der Verserzählung Die treue Magd (FB 80) den Handlungsrahmen für eine Irritation der Geschlechterdifferenz. In diesem Text204 wird ein weibliches Körperteil für ein männliches gehalten; eine Verkleidung im Sinne eines cross-dressing spielt hier allerdings keine Rolle, vielmehr tritt das Missverständnis, im Gegenteil, gerade durch eine Verhüllung des restlichen Körpers zu Tage. Es handelt sich konkret um den Arm einer wohlhabenden Bäuerin, die

201

Aus diesem Grunde stellt, wie Gert HÜBNER, Hans Folz als Märenerzähler, S. 276, herausgestellt hat, die Verserzählung ein Unikat im folzschen Märenkorpus dar, insofern sie in ihrer offenen Erzählform keine allgemein verbindliche exemplarische Wahrheit vermittle; sie rücke damit in die Nähe novellistischen Erzählens. 202 Vgl. ähnlich auch Heribert HOVEN, Studien zur Erotik in der deutschen Märendichtung, S. 285f. 203 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 181, 313. 204 Der Text ist insgesamt in zwei kürzeren mittelhochdeutschen und in einem längeren niederdeutschen Textzeugen überliefert. Ich orientiere mich hier an dem hochdeutschen Text, der in der Handschrift k, dem Karlsruher Codex 408, auf den die Forschung zumeist rekurriert, fragmentarisch ohne Anfang überliefert ist. Für die uns interessierende Passage ist das Fehlen des Anfangs in diesem Textzeugen unerheblich. Vgl. zum Text allgemein Hartmut BECKERS, [Art.] ,Die treue Magd‘; Klaus WOLLENWEBER, Zwei Mären des Spätmittelalters, Bd. 1, S. 13–104.

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eines Morgens gemeinsam mit ihrem Liebhaber, einem jungen Mann, der auf dem Weg zu seinem Studienort Paris bei ihr Unterkunft gefunden hat, noch im Bett liegt, als ihr Ehemann unerwartet mit einem bzw. zweien ihrer Brüder205 zu Hause erscheint (vgl. FB 80, V. 208–227). Der Ehebruch wird nicht entdeckt, weil sich die Liebenden so fest umschlungen halten, dass sie unter der Bettdecke wie eine Person erscheinen (vgl. FB 80, V. 228–232). Von der Magd erhält der Hausherr die Auskunft, dass es sich dabei um einen fahrenden „schreyber“ (FB 80, V. 236) handele, der zu Gast sei (vgl. FB 80, V. 236–240). Der Hausherr will ihn schlafen lassen, die Männer wundern sich jedoch darüber, dass sich ein Arm unter der Bettdecke hervorstreckt, der aber nicht wie der eines Mannes aussieht206: Sie führen die Zartheit der Hand, die überaus „vein“ (FB 80, V. 246) und „seberlich“ (FB 80, V. 254) wirkt, auf die spezifische Lebensweise eines Schreibers bzw. Studenten207 zurück (vgl. FB 80, V. 241–261): „The farmer is so convinced that literate men are alien creatures that he readily believes the student to be effeminate.“208 Diese Überlegungen scheinen den Hausherrn jedoch keineswegs zu beruhigen, denn er fragt die Magd sofort nach seiner Ehefrau aus (vgl. FB 80, V. 262f.).209 Durch das Anzünden der Scheune kann die treue und listige Magd, welche die Situation schnell überblickt, die Männer von dem Bett ablenken, so dass sich das Liebespaar heimlich ankleiden kann und der Ehebruch zum Schluss doch noch unentdeckt bleibt (vgl. FB 80,V. 264–371). Interessant ist an diesem Text das Moment von Androgynität, das hier der sozialen Gruppierung der Schreiber zugewiesen wird, deren Aufgabenbereich in geringerem Ausmaß männlich codiert zu sein scheint als derjenige von Rittern, Kaufleuten, Handwerkern oder auch Bauern. Auf einer textinternen Ebene korreliert der Verwechslung indes die im Vergleich zu dem aktiven Auftreten der Ehefrau (und dem ihrer Magd) passive Rolle des Studenten210; Sarah WESTPHAL hat in diesem Zusammenhang betont, dass „there is a reversal of gender roles that makes the woman the pursuer rather than the pursued“.211 Die von der männlichen Norm abweichende Wahrnehmung seines Körpers versinnbildlicht so seine Annäherung an ein weibliches Verhaltensrepertoire.

205

Der Text ist m. E. diesbezüglich nicht eindeutig. Diese für uns entscheidende Stelle ist in den drei überlieferten Textzeugen inhaltlich identisch; vgl. hierzu Klaus WOLLENWEBER, Zwei Mären des Spätmittelalters, Bd. 2, S. 30, 31, 31a. 207 Vgl. Sebastian COXON, ,schrîber kunnen liste vil‘, S. 20 und Anm. 5. 208 Ebd., S. 38f. – COXON geht davon aus, dass das Gespräch zwischen dem Hausherrn und seinem Schwager stattfindet und nicht, was ebenfalls möglich wäre, zwischen zwei Brüdern der Hausfrau. 209 Anders Sebastian COXON, ebd., S. 39. 210 Vgl. ebd. 211 Sarah WESTPHAL, Textual Poetics of German Manuscripts 1300–1500, S. 122; vgl. ebd., S. 165. 206

Maskeraden

f.

351

Weibliches Cross-Dressing – Reorganisation von Ordnung?

Die Fülle der in diesem Kapitel behandelten Beispiele hat gezeigt, dass die geschlechtliche Grenzüberschreitung, die nicht immer, aber sehr häufig durch einen Kleidungswechsel markiert wird, in den mittelhochdeutschen Verserzählungen generell eine breit genutzte Möglichkeit des Erzählens darstellt, um das Geschlechterverhältnis auszuloten. Eine „auffällige Blässe dieses Motivs in der Kleinepik“212, wie sie von Rüdiger KROHN konstatiert worden ist, konnte in der von mir durchgeführten Untersuchung jedenfalls nicht ausgemacht werden. Vergleicht man die männlichen und weiblichen Fallbeispiele untereinander, so ist zu erkennen, dass das cross-dressing in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, neben einigen grundlegenden Gemeinsamkeiten in der narrativen Darstellung, auf eigentümliche Weise geschlechtsspezifisch eingefärbt ist. 1. Überblickt man das Gesamt der cross-dressing-Geschichten, so wird zunächst deutlich, dass die Initiative zur eigenen oder fremden Verkleidung, sofern der vorgebliche Wechsel der Geschlechtsidentität nicht auf andere Art und Weise in die Wege geleitet wird, regelmäßig von einer Frau und nicht von einem Mann ergriffen wird (vgl. FB 4b; FB 15; FB 24; FB 30a; FB 66; FB 102; FB 105e; FB 117; FB 118). Eine Ausnahme bildet hier nur die Verserzählung vom Vertauschten Müller (FB 89), die, wie dargelegt, auch in anderer Hinsicht außergewöhnliche Züge aufweist. 2. Mit den Verserzählungen, die von der gegengeschlechtlichen Verkleidung einer männlichen Figur handeln, haben die hier behandelten Texte einer Maskerade einer weiblichen Figur als Mann erwartungsgemäß die psychologische Unwahrscheinlichkeit gemeinsam, welche die Reaktionen der übrigen literarischen Figuren auf das jeweilige cross-dressing charakterisiert. In Ritter Alexander (FB 102) und in der Erzählung Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) wird durch die dargestellte Entkleidung bzw. Reinszenierung das cross-dressing allerdings auf einer Metaebene textintern reflektiert. 3. Anders als bei den männlichen Varianten hat der Faktor homosexuellen Begehrens in den Erzählungen von weiblichem cross-dressing keinerlei Stellenwert. Dies entspricht dem Umgang mit weiblicher und männlicher Homosexualität in der mittelalterlichen Kultur, worauf ich im Folgenden noch näher eingehen werde. 4. Das Gros der weiblichen cross-dressing-Geschichten im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählung endet mit einem konventionellen Schluss, d. h. der Rückkehr der verkleideten Frau, bei der es sich stets um eine Ehefrau handelt, in ihre angestammte Rolle sowie ihre Einordnung und Resozialisierung in das hierarchisch strukturierte Geschlechtergefüge der christlich geprägten mittelalterlichen Kultur.213 Insofern zeigen diese Texte – mit Ausnahme des Vertauschten Müllers (FB 89) –

212 213

Rüdiger KROHN, Der man verkert sich in ein frauen, S. 148. Vgl. Valerie R. HOTCHKISS, Clothes Make the Man, S. 103f.; Ute Recht und der Körper, S. 86.

VON

BLOH, Die Sexualität, das

352

Entgrenzungen

eher eine ordnungsstabilisierende Tendenz als die entsprechenden männlichen Varianten. Gleichwohl scheint es mir nicht gerechtfertigt zu sein, diese weiblichen Maskeraden gänzlich auf eine bloß affirmative Funktion zu reduzieren.214 Denn indem sich die betreffenden Frauenfiguren, wie gesehen, neue Aktionsfelder verschaffen, treten sie deutlich über die Handlungsspielräume der literarischen und außerliterarischen Konvention hinaus. Im Ergebnis verändern sie die bestehenden Partnerschaften, in deren Rahmen die gegengeschlechtliche Verkleidung jeweils eine Rolle spielt, zu ihren Gunsten, ohne dass dabei der äußere Rahmen der ehelichen Gemeinschaft gesprengt würde. In allen Texten erfolgen die weiblichen Verkleidungen keineswegs zum Selbstzweck, sondern stets in Reaktion auf vorhandene Defekte, die in der Persönlichkeitsstruktur der jeweiligen Partner begründet sind. Durch die neuen Handlungsmöglichkeiten gelingt es allen Frauenfiguren, die auch ihr eigenes Leben beeinträchtigenden Marotten, Neurosen, Süchte und anderen Unzulänglichkeiten im jeweiligen Selbstkonzept ihrer Partner so zu regulieren, dass das eheliche Gleichgewicht wiederhergestellt bzw. überhaupt erst ermöglicht wird: Im Beringer (FB 15) geht es, verkürzt gesagt, um Misanthropie und Unehrlichkeit, im Gürtel (FB 24) um übertriebene Ruhmes- und Kampfessucht, in dem Vertauschten Müller (FB 89) um die mangelnde Liebesfähigkeit (sexuelle Impotenz?) des Ehemannes; in Ritter Alexander (FB 102) und Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) rettet das cross-dressing jeweils die männlichen Protagonisten aus einer Lebensgefahr, die zum einen durch eine Art von Profilneurose in Bezug auf weibliche Anerkennung (Ritter Alexander (FB 102)), zum anderen durch Maßlosigkeit und Selbstvergessenheit in der eigenen Liebesbeziehung (Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66)) verursacht wird. 5. Zentral ist schließlich m. E. die unterschiedliche Relationierung von ,gender‘ und ,class‘, wie sie in männlichen und weiblichen cross-dressing-Texten des Korpus gleichermaßen sichtbar wird. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass es sich bei den Texten, in denen sich eine Frau aus eigenem Antrieb als Mann verkleidet, ausnahmslos um adlige Frauenfiguren handelt (vgl. Beringer (FB 15), Ritter Alexander (FB 102), Der Gürtel (FB 24), Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), Der arme Bäcker (FB 30a)). Das bedeutet, dass das cross-dressing in den mittelhochdeutschen Verserzählungen insofern ,gegendert‘ ist, als die soziale Komponente bei weiblichem und männlichem cross-dressing signifikant differiert: Bei den männlichen Fällen von crossdressing handelt es sich nämlich gerade nicht um adlige und etablierte Figuren, sondern entweder um in der Gesellschaftspyramide niedrig stehende Personen wie den Knecht bei Hans Rosenplüt (vgl. FB 105e) und den Koch beim Schweizer Anonymus (vgl. FB 4b) oder aber um gesellschaftlich eher außen stehende wie Studenten bzw. Schreiber. Diese Beobachtung ergänzt den bereits dargelegten Befund, dass 214

Vgl. Ute VON BLOH, ebd., S. 86.

Maskeraden

353

männliche Figuren durch den aufgrund einer Verkleidung vollzogenen Geschlechtswechsel in den mittelhochdeutschen Verserzählungen keine prinzipielle Abwertung erfahren.215 Dass die Übernahme einer weiblichen Rolle sehr häufig vom Typus des Studenten bzw. Schreibers praktiziert wird, nämlich im Schreiber (FB 117), im Schüler zu Paris (A) (FB 118) und in Rüdeger von Munres Studentenabenteuer (B) (FB 107), lässt sich mit dem Sonderstatus dieses Figurentyps in der Verserzählung ganz einleuchtend erklären: Denn aufgrund seiner Jugend und seiner mobilen Lebensweise steht der Student bzw. Schreiber symbolisch gleichsam außerhalb der sozialen Ordnungsstrukturen; da er sich aufgrund seines jungen Lebensalters und seiner räumlichen Flexibilität bereits grundsätzlich in einem liminalen Zustand befindet, liegen weitere Grenzüberschreitungen, so etwa im geschlechtlichen Bereich, gleichsam nahe. Sie dürften von dem mittelalterlichen Publikum als weniger gravierend erfahren worden sein als Grenzüberschreitungen einer Figur, die fest in ein bestehendes Ordnungsgefüge eingebunden ist. In Analogie zu den männlichen cross-dressing-Geschichten erfolgt auch bei den weiblichen Varianten mit der Annahme der Identität des anderen Geschlechts kein sozialer Abstieg, sondern ein genreinterner Aufstieg, der durch die frauentypische List, die durch die inszenierte geschlechtliche Grenzüberschreitung sinnfällig wird, noch eine zusätzliche positive Fundierung und Untermauerung erhält. Über diese fünf Aspekte hinaus lässt sich schließlich übergreifend resümieren, dass das cross-dressing in keinem der Texte zu einer länger anhaltenden Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen geschlechtlichen Zugehörigkeit der betreffenden Figur führt; d. h. es bleibt für die Leserinnen und Leser respektive das Publikum stets völlig unzweifelhaft, ob es sich um eine weibliche oder um eine männliche Person handelt, so dass die geschlechtliche Ordnung – wenngleich zuweilen unter geänderten Vorzeichen – in ihrer Form gewahrt bleibt.216 Um diesen Befund ex negativo zu erhärten, sei abschließend auf die nach meinem Überblick einzige Verserzählung verwiesen, in der die Geschlechtsidentität einer realen Figur zumindest punktuell im Ungewissen verharrt oder verwischt wird217; gemeint ist 215

Vgl. hierzu Kap. 4.1.1.e der vorliegenden Arbeit. Vgl. neuerdings so auch Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 506. 217 Gänzlich anders gelagert ist ein weiterer Fall von Unsicherheit bezüglich der Geschlechtsidentität eines Lebewesens in der Verserzählung Berchta (FB 14), insofern es sich hierbei um ein sagenhaftes Ungeheuer und nicht um eine für die erzählte Welt reale Person handelt; für uns ist diese Szene daher nicht von Interesse. In dieser Verserzählung fragt ein Kind seinen Vater neugierig nach den Eigenschaften des koboldartigen Fabelwesens Berchta, als dieser warnend von seinen gefährlichen Umtrieben berichtet (vgl. FB 14, V. 23–44): „Ist e ein si oder ein er“ (FB 14, V. 39)? Die Pointe der Geschichte besteht schließlich darin, dass das Kind unwissentlich den Liebhaber seiner Mutter, bei dem es sich um den Pfarrer handelt, für Berchta hält und den Eltern treuherzig davon erzählt (vgl. FB 14, V. 45–54). 216

354

Entgrenzungen

hier der Text Schampiflor (FB 109)218, bei dem es sich allerdings nicht um eine crossdressing-Geschichte im eigentlichen Sinne handelt. Erzählt wird darin von einem Mann namens Rupert, dem Bruder des englischen Königs, der sich zu Studienzwecken in Paris aufhält, wo er in der Freizeit mit seinen Kommilitonen gelegentlich über den „Beripont“ (FB 109, V. 28; vgl. V. 5–32) flaniert. Eines Abends fällt ihm ein schönes Gesicht auf (vgl. FB 109, V. 33–36), dessen Anblick ihn verunsichert, „wederz were mannes oder wibes“ (FB 109, V. 41). Wie geblendet von dessen Schönheit scheint sich sein Wahrnehmungsvermögen einzutrüben. An der Gestalt der Person und dem Gebände, das sie trägt, erkennt er dann aber eindeutig, dass es sich um „ein chone vrouwe klar“ (FB 109, V. 44) handeln muss (vgl. FB 109, V. 42–44). Anders als in den zuvor besprochenen cross-dressing-Erzählungen ist es hier also gerade die Kleidung, welche die weibliche Geschlechtszugehörigkeit der entsprechenden Person unzweifelhaft indiziert, nicht jedoch ihre körperliche Beschaffenheit.219 Dies zeigt einmal mehr, dass den mittelhochdeutschen Verserzählungen an einer nachhaltigen Auflösung von Geschlechterdifferenzen sicherlich nicht gelegen ist.

4.2 Geschlechtertausch In diesem abschließenden Kapitel sollen Textkonfigurationen besprochen werden, in denen das literarische Spiel mit geschlechtsspezifischen Attribuierungen zum Zuge kommt, welche jeweils als charakteristisch für die männliche bzw. weibliche Geschlechtsidentität gelten können. Diese weisen entweder einen biologisch-anatomischen oder aber einen soziokulturellen Ursprung auf; sie betreffen zum einen das natürliche Faktum der weiblichen Gebärfähigkeit, die in einigen Verserzählungen – sei es auf der Handlungs-, sei es auf der Darstellungsebene – männlichen Figuren angedichtet wird; zum anderen betreffen sie die im germanischen Recht wurzelnde und für die mittelalterliche Gesellschaft verbindliche Vorstellung einer exklusiv männlichen Waffen- und

218

Vgl. grundlegend zu dieser einfach aus der Mitte des 14. Jahrhunderts überlieferten und wohl um 1300 entstandenen Verserzählung Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Schampiflor‘. 219 Interpretatorisch ließe sich diese Gleichsetzung von männlichem und weiblichem Aussehen als sinnbildlicher Hinweis auf das folgende Handlungsgeschehen auffassen, in dem es um die wechselseitige Bereitschaft eines Paares zum Ehebruch geht: Rupert kann mittels einer Kupplerin ein Rendezvous mit der schönen Dame, die den Namen ,Schampiflor‘ trägt (vgl. FB 109, V. 94), arrangieren (vgl. FB 109, V. 95–346); weil die Kupplerin Rupert jedoch nicht findet, nachdem Schampiflor bei ihr eingetroffen ist, spricht sie ersatzweise einen anderen Mann auf der Straße an, bei dem es sich zufälligerweise um Schampiflors Ehemann Bilamor (vgl. FB 109, V. 93) handelt, der sich sogleich bereitwillig auf das sich anbietende ,Abenteuer‘ einlässt (vgl. FB 109, V. 347–417). Indem beide Ehepartner, die nun aufeinandertreffen (vgl. FB 109, V. 418–457), bereit sind, sich auf einen Seitensprung einzulassen, unterscheiden sich Mann und Frau in ihrem Fehlverhalten nicht mehr voneinander.

Geschlechtertausch

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Wehrfähigkeit, die wiederum einige weibliche Figuren in der fiktionalen Welt der mittelhochdeutschen Verserzählung unter Beweis stellen.

4.2.1 Die Effeminierung des männlichen Körpers – Männliche Schwangerschaft und andere Deformationen des corpus virilis Als untrügliches Zeichen der männlichen Geschlechtszugehörigkeit gilt interkulturell der schlichte anatomische Befund, dass ein Mann im Gegensatz zu einer Frau biologisch nicht in der Lage ist, ein Kind zu gebären. Die phantasmatische Idee, dass einem Angehörigen des männlichen Geschlechts die weibliche Gebärfähigkeit zufallen könnte, eignet sich daher in besonderer Weise, um das literarische Spiel mit der Geschlechtsidentität anzustoßen.220 Dementsprechend nimmt es nicht wunder, dass die Idee der Schwangerschaft eines Mannes – im ethnologischen Kontext werden ähnliche Phänomene, welche sich konkret in unterschiedlichen Aktionsformen eines Mannes in der zeitlichen Nähe zu einer weiblichen Schwangerschaft äußern können, auch als ,Männerkindbett‘ oder ,Couvade‘ bezeichnet221 – ein Motiv darstellt, welches in der gesamten Weltliteratur verbreitet ist.222 Im Rückgriff auf drei kulturhistorische Faktoren lässt sich m. E. umreißen, warum diese für uns kurios anmutende Vorstellung – unabhängig von ihrem überzeitlichen Unterhaltungseffekt – gerade im Mittelalter eine besonders weit-

220

Einen knappen Überblick über unterschiedliche inhaltliche Aspekte, die sich interdisziplinär an das Thema anschließen lassen, vermittelt Dominique ZIMMERMANN, Männliche Schwangerschaftsphantasien. 221 Gemeint ist damit die (rituelle) Imitation von Schwangerschaft und Geburt durch den Vater, die für etliche Kulturen weltweit belegt ist und im 19. Jahrhundert noch im Baskenland gepflegt wurde. Anthropologisch bezeugt sind überdies körperliche Anverwandlungen von werdenden Vätern, die während der Schwangerschaft sichtlich an Leibesfülle zunehmen. Vgl. zu diesem Komplex die ethnologische Studie von Jürgen KUNZ, Die Verhaltensökologie der Couvade. 222 Vgl. etwa die Aufstellungen bei Irmgard MEINERS, Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, S. 116f., Anm. 1; Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, passim; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1256–1258. Einen Überblick über die literarische Ausgestaltung des Themas in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit liefert Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature. Sie verweist neben den im Folgenden thematisierten Verserzählungen, wobei allerdings der Moriz von Crâun (FB 87) keine Erwähnung findet, u. a. auf Jans Enikels Weltchronik sowie frühneuzeitliche Schwänke und Fastnachtsspiele, insbesondere von Hans Sachs. – Beliebt ist das Motiv auch im Unterhaltungsfilm des 20. Jahrhunderts; bekannt ist insbesondere die amerikanische Komödie Junior (USA 1994, Ivan Reitman) mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle. – Auf einer fingierten Website dokumentiert der aus Taiwan stammende Aktionskünstler Lee Mingwei zu Anfang des 21. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit dem Netz-Künstler Virgil Wong in Form einer Internet-Installation (vgl. http://www.malepregnancy.com) die vermeintlich erste männliche Schwangerschaft als medizinische Sensation des virtuellen RYT-Hospitals: „Pop! Die erste männliche Schwangerschaft“.

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läufige Aufnahme und Verbreitung finden konnte.223 Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang, wie wir sehen werden, insbesondere der theologische und der medizinische Diskurs der Zeit. Die erste Einflussquelle wurzelt im kosmologischen Denken des christlichen Mittelalters, folgt man den feministisch inspirierten Ausführungen des Historikers Roberto ZAPPERI. In seiner grundlegenden Studie zur ,männlichen Schwangerschaft‘ hat er das literarische wie außerliterarische, insbesondere aber das kunsthistorische Quellenmaterial zu diesem internationalen Themenkomplex aufgearbeitet und in einen größeren Deutungszusammenhang gestellt: Seine Wurzeln habe das Motiv, so Roberto ZAPPERI, im alttestamentarischen Schöpfungsmythos, nach dem Gott den weiblichen aus der Rippe des männlichen Menschen erschaffen habe (vgl. Gen. 2,21–23). Aus dieser Schöpfungsszene habe sich bereits im Mittelalter die Vorstellung entwickelt, dass Eva nicht von Gott geschaffen, sondern von dem ersten Menschen Adam selbst geboren worden sei.224 Bei dieser Reinterpretation des biblischen Textes würde es sich aber, so ZAPPERI, um ein ideologisches Konstrukt handeln, mit dem die im alltäglichen Leben erwartete Unterwerfung der Frau (als ,Kind‘) unter den Mann (als ,Vater‘) programmatisch untermauert werden solle: Eva geht symbolisch aus Adams Leib hervor, weil sie in der Wirklichkeit ihm untertan ist; und man wählte zur Darstellung dieses Verhältnisses das Bild der Geburt, weil man davon überzeugt war, daß die Geburt Gewalt über das Kind verleiht.225

Den vielfältigen Darstellungen der männlichen Schwangerschaft in der mittelalterlichen Volksliteratur, zu denen auch die im Folgenden behandelten Beispiele zählen, kann ZAPPERI infolgedessen eine parodistische und subversive Funktion zuweisen: Alle Texte der Folklore lassen […] eindeutig erkennen, daß das Volk nie ernsthaft an das Wunder der männlichen Schwangerschaft geglaubt hat, sondern sich nur gegen die symbolische Funktion des christlichen Mythos zur Wehr setzte, weil es dessen Folgen in den Gesellschafts- und Machtverhältnissen zu spüren bekommen hatte.226

Es sollte erkennbar werden, so ZAPPERI, dass die Hierarchie zwischen Mann und Frau nicht natur- bzw. gottgegeben sei, sondern allein in der faktischen „Gewalt der Stärkeren“227 gründe. Mit diesem Ansatz vertritt der Historiker, so lässt sich resümieren, in seinem in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstandenen Werk einen Standpunkt, der durch eine moderne, ideologiekritische Argumentationsweise geprägt ist. Auch im Hinblick auf den zweiten Einflussfaktor, der in diesem Zusammenhang geltend gemacht werden kann, bietet der theologische Diskurs den Verständnishorizont, der einen möglichen Anknüpfungspunkt bietet, um die Popularität des Couvade-Motivs 223

Vgl. Caroline WALKER BYNUM, Fragmentierung und Erlösung, S. 185f. Vgl. Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 10f. 225 Ebd., S. 17; vgl. ebd., S. 9–45 u. ö. 226 Ebd., S. 77. 227 Ebd. 224

Geschlechtertausch

357

insbesondere im späten Mittelalter zu erklären: Anders als ZAPPERI, der einen universalistischen Erklärungsansatz entfaltet, verortet Caroline WALKER BYNUM das Motiv des schwangeren Mannes kulturspezifisch im religiös-philosophischen Diskurs der mittelalterlichen Mystik. Im mystischen Denken sei – so WALKER BYNUM – das ideelle Ziel, mit Christus zu verschmelzen, auf den Akt der Eucharistie projiziert worden, der als eine Art von geistig-seelischer Schwangerschaft des Gläubigen mit Christus als Leibesfrucht imaginiert worden sei. Diese Vorstellung habe sich, wolle man den einschlägigen Quellen Glauben schenken, psychosomatisch in körperlichen Deformationen manifestiert – so beispielsweise auch in aufgequollenen Bäuchen. Entscheidend für unseren Analysekontext ist aber, dass sich die Hinweise auf ein mystisches Anschwellen des Leibes im einschlägigen Schrifttum nicht nur auf Frauen, sondern ebenso auf Personen männlichen Geschlechts beziehen.228 Die mystische Spiritualität bot hier einen religiösen Legitimationsrahmen für eine volkstümliche Imagination, deren Nährboden die ausgeprägte Wundergläubigkeit des Mittelalters bildete. Drittens schließlich speiste sich die in heutiger Sicht abstruse Vorstellung einer männlichen Schwangerschaft aus dem medizinischen Wissen der Zeit, das immer wieder die Gefährdung des Zeugungsaktes durch eine Stellung mulier supra virum beschwor. Es existierte die Ansicht, dass der Eintritt der Schwangerschaft von der Stellung der Partner während des Geschlechtsaktes abhängig wäre. Da man aber zu wissen glaubte, dass nur schwanger würde, wer sich in der unteren Position befände – idealiter also eine Person weiblichen Geschlechts –, so stand zu befürchten, dass auch ein ,falsch‘, d. h. ,unten‘ positionierter Mann ein Kind bekommen könnte. Aufgrund des defizienten Wissens über die biologischen Vorgänge, die bei Zeugung und Geburt eine Rolle spielen, fiel es offenkundig schwer, die Möglichkeit einer männlichen Schwangerschaft mit absoluter Sicherheit auszuschließen, auch wenn Alltagserfahrungen und Glaube an eine gerechte Fügung Gottes einer solchen Vorstellung natürlich widersprechen mussten.229 Das beschriebene medizinische Missverständnis und die daraus resultierende Idee einer männlichen Schwangerschaft boten ein sozialkritisches Potential, das Kunst und Literatur nur allzu gerne aufgriffen: „Oft wurde auf diese Weise der Klerus (der Schwangere war oft ein Geistlicher) lächerlich gemacht oder vor den Gefahren unerlaubter Stellungen während des Geschlechtsverkehrs gewarnt.“230 In drei mittelhochdeutschen Verserzählungen spielt das merkwürdige und den Zeitgenossen wohl auch ein wenig unheimliche Phänomen der ,männlichen Schwangerschaft‘ – ohne inneren Zusammenhang mit dem ethnischen Brauch des ,Männerkindbettes‘231 – eine besondere thematische Rolle: Während eine männliche Schwanger-

228

Vgl. Caroline WALKER BYNUM, Fragmentierung und Erlösung, S. 132f., 153. Vgl. Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature, S. 107f.; Caroline WALKER BYNUM, Fragmentierung und Erlösung, S. 185. 230 Caroline WALKER BYNUM, ebd., S. 185. 231 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1257. 229

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schaft im Moriz von Crâun (FB 87) lediglich am Rande Erwähnung findet, erhält die Schwangerschaftsphantasie eines Mannes eine handlungstragende Funktion im Schwangeren Müller (FB 88) sowie in Des Mönches Not von dem Zwickauer (FB 149). Dabei ist eine zeitliche Konzentration auf die frühe und mittlere Phase der Entstehungs- und Verbreitungszeit der mittelhochdeutschen Verserzählung auffällig.232 Eine Sonderstellung nimmt in dem skizzierten Kontext der deutlich spätere Text von Hans Folz, Der falsche Messias (FB 30m), ein, in dem zwar nicht unmittelbar von einer männlichen Schwangerschaft, aber doch von einer vergleichbaren Verunstaltung des Körpers die Rede ist, durch die Zweifel an der Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Person aufkommen. Im Unterschied zu den oben erwähnten Texten trifft die Deformation bei Hans Folz, wie wir sehen werden, allerdings eine weibliche und nicht eine männliche Figur. a.

Hans Folz: Der falsche Messias (FB 30m)

Die Verserzählung von Hans Folz, Der falsche Messias (FB 30m), ist in zwei Drucken unter dem Titel „Von Der Iuden Messias“233 erhalten.234 In dieser schwankhaften, deutlich antijüdisch eingefärbten235 Erzählung wird die jüdische Heilserwartung dahingehend verhöhnt, dass die uneheliche Schwangerschaft einer jungen Frau mit der alten biblischen Vorstellung der unbefleckten Empfängnis236 rechtfertigt werden soll. So inszeniert der christliche Student (vgl. FB 30m, V. 6 u. ö.), der das jüdische Mädchen verführt – und schlussendlich auch ehelicht (vgl. FB 30m, V. 198–218), so dass die Geschichte zumindest für die beiden Protagonisten ein Happy End findet –, eine nächtliche Erscheinung und prophezeit den Eltern des Mädchens die Geburt des Gottessohnes durch ihre Tochter (vgl. FB 30m, V. 15–57). Angesichts der übergroßen Erwartungshaltung, mit der die jüdische Gemeinde daraufhin der avisierten Ankunft des Messias entgegenfiebert (vgl. FB 30m, V. 69–177), sind Enttäuschung und Schande umso größer (vgl. FB 30m, V. 192–197; 219–227), als es sich bei dem Neugeborenen um ein Kind handelt, dessen anatomische Beschaffenheit keinerlei Rückschlüsse auf eine männliche Geschlechtsidentität zulässt, da das entscheidende körperliche Detail, die männlichen Genitalien, sich nicht an Ort und Stelle befinden. Dieser Umstand wird vom Erzähler 232

Vgl. hierzu auch Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature, S. 112: „From the fifteenth century no German story on male pregnancy has come down to us.“. 233 Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 92; in den beiden Drucken differiert nur die Schreibweise des Genitivobjektes: Iden (W) vs. Iuden (H). 234 Zur Stoffgeschichte vgl. Matthias SCHÖNLEBER, der juden schant wart offenbar, S. 166, der ebd., S. 166–173, eine ausführliche Analyse und Interpretation des Textes anbietet. 235 Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 126, Anm. 70; zu antijüdischen Motiven in den Verserzählungen von Hans Folz vgl. zuletzt Matthias SCHÖNLEBER, ebd.; Gert HÜBNER, Hans Folz als Märenerzähler, S. 280f. 236 Zum Motiv der Jungfrauengeburt in der mittelalterlichen Verserzählung vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 292, Anm. 38.

Geschlechtertausch

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aus dramaturgischen Gründen allerdings nicht explizit erklärt, sondern nur indirekt umschrieben, um den komischen Effekt der Pointe noch zu erhöhen: Dan kurcz, do ir gepurt sich necht Mit grossem we als andern frawen Und man das kindlein an wart schawen, Do het es eins gelidlins nicht, Alls man gemein an kneblin sicht. Ob es ein sau im ab het pissen Mit wurcz und all heraus gerissen, Oder wie ym sunst wer gescheen, Das weiß ich nit […] (FB 30m, V. 184–192).

Die Komik resultiert an dieser Stelle aus dem Widerspruch zwischen dem Wissen der Rezipientinnen und Rezipienten um die offenkundig weibliche Geschlechtszugehörigkeit des Säuglings237 sowie dem simulierten Unwissen des Erzählers auf der Darstellungsebene, der die erwartete männliche Identität vordergründig nicht in Frage zu stellen scheint. Das auffällige körperliche ,Defizit‘ des Kindes versucht er als nachträglich entstandene Deformation zu erklären, so dass die jüdische Heilserwartung dadurch neuerlich in Misskredit gezogen wird.238 Anders formuliert: Während die Anatomie des Säuglings eindeutig auf eine weibliche Geschlechtszugehörigkeit verweist, was sich auf der Handlungsebene in der beschriebenen Scham der jüdischen Protagonisten widerspiegelt, eröffnet der Erzählerkommentar den gedanklichen Spielraum für die Vorstellung, dass es sich doch um ein männliches Kind handeln könnte, dessen Körper lediglich verstümmelt und entstellt worden ist.239 Die in ihrer Motivik einzigartige Verserzählung verbindet mit den Geschichten von einer männlichen Schwangerschaft die Fokussierung auf die biologisch-anatomische 237

Hierin zeigt sich erneut die typisch olympische Position der Rezipientinnen und Rezipienten, die HÜBNER in seiner narratologischen Untersuchung zu Folz’ Verserzählungen ausgemacht hat; vgl. Gert HÜBNER, Hans Folz als Märenerzähler, hier insbesondere S. 279f. 238 Polemisierend spielt Folz hier auf das Beschneidungsritual sowie den Verzicht auf Schweinefleisch in der jüdischen Religion an; vgl. Matthias SCHÖNLEBER, der juden schant wart offenbar, S. 169. 239 Vgl. hierzu die anders akzentuierte Interpretation von SCHÖNLEBER, der sich m. E. zu Recht gegen die These Edith WENZELS von der Geburt eines verstümmelten Jungen wendet (vgl. Edith WENZEL, Zur Judenproblematik bei Hans Folz, S. 84): „Es handelt sich hierbei keinesfalls (wie Edith Wenzel[ ] meint) um einen verstümmelten Jungen. Vielmehr macht sich der Erzähler, der während der gesamten Erzählung mehrfach aus der Sicht der Juden berichtet, auch hier die jüdische Perspektive zu eigen: deren ,Verstocktheit‘ geht offensichtlich so weit, dass selbst unumstößliche Fakten die Heilserwartung nicht überwinden können. So wird nach einer anderen Erklärung gesucht, die allerdings die vermeintlich jüdische Perspektive der Erzählhaltung als zynische und boshafte Verstellung letztlich entlarvt […]. Die Maske, die sich der Erzähler aufgesetzt hat, wird zu einer verzerrten Fratze, die den Heilsanspruch der Juden verhöhnend demontiert.“ (Matthias SCHÖNLEBER, der juden schant wart offenbar, S. 169). – Auch Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 305, und Joëlle FUHRMANN, La représentation de la femme dans la „nouvelle“ allemande du moyen âge tardif, Bd. 1, S. 146f., gehen von der Geburt einer Tochter aus.

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Entgrenzungen

Beschaffenheit des Körpers als Grundlage für die Zuordnung der Geschlechtsidentität. Darüber hinaus verdeutlicht sie die Schwierigkeiten der mittelalterlichen Kultur im Umgang mit Abweichungen von körperlichen Normen, die mit konventionellen Deutungsrastern nicht fassbar sind. b.

Der schwangere Müller (FB 88)

In dem von FISCHER bestimmten Themenkreis ,Verführung und erotische Naivität‘ zählt Der schwangere Müller (FB 88) neben dem Hohlen Baum (A) (FB 11) und dem Hohlen Baum (B) (FB 29), dem Gänslein (FB 43), Tor Hunor (FB 131) sowie Des Mönches Not von dem Zwickauer (FB 149) zu denjenigen Verserzählungen, in denen die männliche Verführbarkeit im Zentrum des Handlungsgeschehens steht.240 Charakteristischer noch ist allerdings in dieser vierfach überlieferten Erzählung des 14. Jahrhunderts241 das zentrale Motiv einer männlichen Schwangerschaft – eine fixe Idee, die der Protagonist ebenso wie die Figur des Mönchs in der Verserzählung des Zwickauers (FB 149) infolge seiner Naivität in erotischen, sexuellen und gynäkologischen Belangen verfolgt. Ein junger und starker Müllerssohn (vgl. FB 88, V. 463,11)242 namens „Gumprecht der gül“ (FB 88, V. 463,2), der zwar über materiellen Reichtum (vgl. FB 88, V. 463,4– 10), nicht jedoch über entsprechende Geisteskräfte und Lebenserfahrung verfügt (vgl. FB 88, V. 463,9; 463,13; 463,19–21; 465,20 u. ö.), sucht nach dem Tod seiner Eltern eine passende Ehefrau, die gemeinsam mit ihm die ererbte Mühle führen soll (vgl. FB 88, V. 463,14–18).243 Damit er noch vor der Ehe sexuelle Erfahrungen sammeln kann, vermittelt ihm sein Freund Albrecht den Kontakt zu einem freizügigen Mädchen, das ihn zu dem hohen Preis eines Rindes in der körperlichen Liebe unterweisen soll (vgl. FB 88, V. 463,22–464,16). Obgleich sich die junge Frau alle erdenkliche Mühe gibt, bleibt der Müller wie ein „bloch“ (FB 88, V. 464,29) unbeweglich neben ihr liegen, so dass sie ihn am nächsten Morgen unter wüsten Beschimpfungen aus dem Haus befördert (vgl. FB 88, V. 464,17–36). Diese enttäuschende Erfahrung bietet den Anlass zu einem Gespräch der beiden Freunde über das Wesen der Liebe, über die Gumprecht bislang noch nichts erfahren durfte: Wachssens sie uff baümen oder jn garten Oder wo sal ich ir warten? Ist sye zame oder wylde Oder wechssett ez an dem gevilde?

240

Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97; Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 42. 241 Vgl. Ulla WILLIAMS, [Art.] ,Der schwangere Müller‘, Sp. 914. 242 Zur sexuellen Konnotation des Müllerberufes vgl. Kap. 4.1.2.d. 243 Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 275f., liest den Text als Verkehrung einer Brautwerbungsgeschichte.

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Ist sie swarcz, waiß oder gra, Grün, gel, rot oder bla? (FB 88, V. 465,36–466,4)

Da der naive Müller die Liebe unbedingt kennenlernen will, begibt er sich auf den Rat seines Freundes noch ein zweites Mal zu der jungen Frau, die er wiederum mit einem Rind sowie einer zusätzlichen Geldsumme bedenkt (vgl. FB 88, V. 464,36–467,8). Diese füttert ihn mit Honig, um ihn auf diese Weise spüren zu lassen, „wie süße die mynne sei“ (FB 88, V. 467,17). Die aus dieser Mahlzeit (vgl. FB 88, V. 467,9–37) – in der eine für den literarischen Liebesdiskurs typische Redensart buchstäblich genommen wird – resultierenden Bauchschmerzen (vgl. FB 88, V. 468,4)244 interpretiert Gumprecht als Anzeichen einer Schwangerschaft245; ferner glaubt er infolgedessen sein Geschlecht gewechselt zu haben: „Awe, sich hat verkert mein orden / Ich weiß, daz ich recht swanger byn worden“ (FB 88, V. 468,6f.). Um das Kind schnell gebären zu können, bittet er Albrecht um die Unterstützung eines Pfarrers und einer Amme (vgl. FB 88, V. 468,1–17). Wenn Albrecht, der an dieser Stelle verniedlichend als „elbelein“ (FB 88, V. 468,18) tituliert wird, einigen „alten vnhulden“ (FB 88, V. 468,20) die Heilung seines Freundes anvertraut (vgl. FB 88, V. 468,18–24), so wird hierin die Widernatürlichkeit sowie der in der Wahrnehmung Gumprechts gespenstische Charakter des Geschehens verdeutlicht. Den von der jungen Frau begonnenen Schabernack setzen die alten Frauen fort246, wenn sie, wiederum gegen eine Entlohnung247, die Geburt des Kindes simulieren, indem sie dem Müller eine junge Schwalbe als Kind unterschieben248, die sie ihm in einem Topf überreichen (vgl. FB 88, V. 468,25–469,29). Seine anhaltende Verunsicherung hinsichtlich seiner geschlechtlichen Identität249 wird sichtbar, wenn Gumprecht überprüfen will, ob er dem Kind auch unabhängig von dessen Geschlecht, „Ez sei dochter oder knabe“ (FB 88, V. 469,3), gleiche (vgl. FB 88, V. 469,4). Wenn er sich 244

Zu möglichen Korrespondenzen zum medizinischen Wissen der Zeit vgl. Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature, S. 111. 245 Insofern ist Irmgard MEINERS, Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, S. 121, nicht zuzustimmen, wenn sie für Des Mönches Not (FB 149) konstatiert, dass dies der einzige mittelalterliche Text sei, in dem der Held durch selbstständiges Nachdenken zu der Überzeugung gelange, dass er schwanger sei. 246 Wenn Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 285, in einer poststrukturalistischen Sichtweise darauf abhebt, dass die behandelte Verweiblichung, mithin die männliche Schwangerschaft, Effekt eines gesellschaftlichen Konsenses sei, der allererst den schwangere Körper hervorbringe, so vernachlässigt sie in meinen Augen allzu sehr die Darstellung der Schwangerschaft als einer Phantasmagorie des Müllers, die ihren Ursprung in dessen Angstphantasien hat. 247 In der dreimaligen Zahlung Gumprechts für zweckentfremdete bzw. sinnlose Dienstleistungen drückt sich seine Dummheit und Naivität in besonderem Maße aus. 248 Zur symbolischen Funktion des ,Wechselbalges‘ vgl. weiterführend Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 283–284, 287. 249 Diese erscheint jedoch nur in k, in weiteren Textzeugen (wd) ist hingegen von einem männlichen Kind die Rede; vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 283.

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dann weder als Frau noch als Mann, sondern in einem Tier gespiegelt findet, so versinnbildlicht dies seine eigene geschlechtliche Indifferenz. Dem entspricht auf der Darstellungsebene, dass der Protagonist vom Erzähler zweimal mit einem jungen, nach Nahrung gierenden Vogel, der das elterliche Nest noch nicht verlassen hat, identifiziert wird (vgl. FB 88, V. 463,13; vgl. FB 88, V. 467,21). Tatsächlich bekommt der Müller sein ,Kind‘ niemals zu Gesicht, da die Schwalbe entweicht, als er den Deckel des Behältnisses öffnet und dabei in die Sonne schaut; mit der nach zeitgenössischen Vorstellungen offenkundig effeminierten Klage des Müllers über diesen Verlust endet die narratio (vgl. FB 88, V. 469,30–470,9), der ein inhaltlich belangloses Epimythion folgt (vgl. FB 88, V. 470,10–14). Die geschlechtliche Desorientierung des einfältigen Müllers bleibt somit erhalten und wird am Ende der Geschichte nicht weiter aufgelöst.250 Als symbolische Ursache für die Fixierung auf die männliche Schwangerschaft in der vorliegenden Verserzählung sieht Andrea MOSHÖVEL als Quintessenz ihrer poststrukturalistisch orientierten Analyse des Textes die „Wiederholung einer nicht der männlichen Norm entsprechenden sexuellen Performanz des Begehrens“251 seitens des Protagonisten, der ein solches ja bei den Begegnungen mit der jungen Frau, dies ist einhellig, auch tatsächlich nicht aufbringt; der daraus resultierende Verlust männlicher Identität werde sinnbildlich dadurch kompensiert, dass der gleichsam geschlechtslos gewordene Körper des Müllers durch die (in ihrer biologischen ,Zielrichtung‘ verkehrte) Einverleibung der Minne in Form der beschriebenen Liebesmahlzeit eine Effeminierung erfahre. Die weibliche Gegenfigur übernehme auf diese Weise die Rolle des Handlungssubjekts von der Figur des Müllers. Dies deute, so MOSHÖVEL, auf die zentrale Bedeutung von ,heterosexueller Performanz‘ für die Konstitution der Geschlechterdifferenz in den mittelhochdeutschen Verserzählungen hin, die im Bild der ordnungswidrigen und damit bedrohlichen Entartung des männlichen Körpers ex negativo demonstriert werde. In der Funktion eines Negativbeispiels diene die Geschichte aber zugleich der Demonstration des hierarchischen Charakters des männlich dominierten Geschlechterverhältnisses und implizit der Forderung einer Kanalisation sexuellen Begehrens.252 Mag man dieser Lektüre so weit folgen, erscheint die ihr zugrunde liegende Prämisse jedoch nicht unproblematisch: Denn wenn MOSHÖVEL einen männlichen ,schwangeren‘ Körper als Symbol für eine unkonventionelle Praxis sexuellen Begehrens deutet, so missachtet sie damit die Tatsache, dass von einem solchen (biologischen) Faktum in der vorliegenden Verserzählung gar nicht erzählt wird, sondern lediglich von der Wahnvorstellung, dass eine männliche Schwangerschaft existiere, so wie darüber hinaus von einem Sprachspiel, das auf dieser Grundlage entwickelt wird. Letztlich steht somit we-

250

Nicht indes zu erkennen vermag ich in dieser Erzählungen einen Hinweis auf männliche Homosexualität, wie von BEINE ohne nähere Textangaben behauptet; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 162. 251 Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 287f. 252 Vgl. ebd., S. 287f.

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niger eine körperliche, sondern vielmehr eine geistige Deformation zur Debatte – ein ähnliches Phänomen, das wir auch in dem im nächsten Kapitel zu untersuchenden Text erkennen können. In einem Vergleich mit der älteren Verserzählung von Des Mönches Not (FB 149) soll darin die Erzählung vom Schwangeren Müller (FB 88) eine weitere Erhellung finden. c.

Der Zwickauer: Des Mönches Not (FB 149)

Die Motivik der männlichen Schwangerschaft findet sich breiter auserzählt in der Geschichte von Des Mönches Not (FB 149), in der das literarische Motiv laut ZAPPERI „in der deutschen mittelalterlichen Volksdichtung seinen komplexesten und profundesten Ausdruck“253 überhaupt gefunden hat. Es handelt sich dabei um den einzigen überlieferten Text des Zwickauers bzw. Zwingäuers, eines Autor des 13. bzw. frühen 14. Jahrhunderts, über den nichts Näheres bekannt ist. Die in Rede stehende Verserzählung, die davon handelt, „wie ein münch ein kint truc / und wie er iz gewan“ (FB 149, V. 6f.), trägt den handschriftlich überlieferten Titel „,Des münches not‘“ (FB 149, V. 541) und ist in fast allen großen Märenhandschriften des 14. und 15. Jahrhunderts vollständig überliefert, des Weiteren existieren Fragmente.254 Wie bereits erwähnt, zählt auch die zentrale Figur des Mönchs, ebenso wie der Protagonist in Der schwangere Müller (FB 88), zum literarischen Typus des sexuell Unerfahrenen und erotisch Naiven (vgl. FB 149, V. 11; 73; 170–173 u. ö.), der standardmäßig durch weibliche Figuren besetzt ist.255 Diese Zuordnung markiert der Erzähler bereits in den Eingangsversen des Textes: So nimmt der junge Mönch in der Abgeschiedenheit eines Waldklosters256, in dem er aufwächst, zwar „an der lenge zu“ (FB 149, V. 19), weniger jedoch „an der groeze“ (FB 149, V. 20). Gemeinsam haben die entsprechenden Erzählungen das Motiv der vergeblichen Liebesnacht, in der erste sexuelle Erfahrungen gesammelt werden. Während die nächtliche Begegnung in der Verserzählung vom Schwangeren Müller (FB 88) jedoch durch den Ehewunsch des verwaisten Müllerssohnes angestoßen wird, kommt sie beim Zwickauer durch die Wissbegierde des Mönches zustande.

253

Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 170. Zu Autor und Überlieferung vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 205; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1250f.; André SCHNYDER, [Art.] Zwickauer (Zwingäuer), Sp. 1623f. 255 So beurteilt dies auch Hanns FISCHER, ebd., S. 118: „Eine eigentümliche Umkehrung der ,natürlichen‘ Rollenverteilung findet in den Geschichten von verführten Männern (,DES MÖNCHES NOT‘) statt.“. 256 BEINE vermutet, dass es sich hierbei um ein traditionelles Benediktiner- oder Zisterzienserkloster handeln könnte; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 245.

254

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Als dieser nämlich eines Tages von „,der minne bant‘“ (FB 149, V. 26) liest257, erkundigt er sich bei einem Hausknecht des Klosters, was die Bedeutung dieser Worte sei (vgl. FB 149, V. 23–44), die ihm ohne jegliche Erfahrung als abstraktes Bücherwissen verschlossen bleiben müssen.258 Damit wird bereits ein charakteristisches Leitmotiv des Textes angeschlagen, insofern der junge Mönch nämlich im Folgenden eine Reihe von Fehldeutungen vornimmt, die auf einem inadäquaten Begriffsverständnis basieren.259 Das den Handlungsgang auslösende Schriftstück verweist aber in einem weiterführenden Sinne auch, das hat Susanne REICHLIN gezeigt, in seiner Losgelöstheit poetologisch auf die Polyvalenz von Schrift allgemein und richtet sich mithin auch auf die Rezeption der aktuellen Erzählung.260 Der Knecht übernimmt in struktureller Sicht – ebenso wie die Figur Albrechts im Schwangeren Müller (FB 88) – die Rolle des Wissenden und Mentors, dessen Aufgabe darin besteht, die sexuelle Initiation des Mönchs zu arrangieren. Für den weiteren Aufbau der Erzählung ist es wichtig, dass der Mentor den jungen Mönch nicht über die Metaphorik dessen, was er gelesen hat, aufklärt261, sondern seinerseits in einer figurativen Rede über die Minne verharrt und so die bildhafte Sprechweise des höfischen Minnediskurses, der hier verwendet wird, weiterführt.262 Die Verklausulierung findet in der Rede des Hausknechts sogar noch eine Steigerung, insofern er die Minne nicht als Abstraktum fasst, sondern im Sinne einer Allegorie oder Personifikation als rhetorische Fi-

257

Birgit BEINE, ebd., S. 104f., Anm. 138, sieht darin – mit dem Historiker Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 148 – ein literarisches Zitat aus einem Minnelied Heinrichs von Rugge (MF 102,3). Vgl. überzeugender Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1259, Kommentar zu V. 26, der die Wortfügung auf einen nicht näher bestimmbaren realen oder fiktiven Minnetraktat zurückführt und auch die Möglichkeit eines unspezifischen Hinweises einräumt; von einer exakten Festlegung sieht ebenso André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 283, Anm. 21, ab; SEIDEL hingegen geht von einem geistlichen Text aus, den der Mönch lese; vgl. Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 694f. Auf weitere Fundstellen des Ausdrucks in den mittelhochdeutschen Verserzählungen weist REICHLIN hin; vgl. Susanne REICHLIN, Gescheiterte Liebeserziehung, S. 236f., Anm. 53. 258 Vgl. Kurt Otto SEIDEL, ebd., S. 693. 259 Dieser Deutungsansatz der Verserzählung wird von Irmgard MEINERS, Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, S. 115–122, entfaltet. 260 Vgl. Susanne REICHLIN, Gescheiterte Liebeserziehung. S. 232–238. Im Anschluss an diese Beobachtung arbeitet REICHLIN auf einer semiotischen Ebene ein ,textuelles Begehren‘ als literarische Eigenart des Textes heraus, „in dem Diskursfragmente immer wieder verschoben und neu rekontextualisiert werden“ (ebd., S. 241), welches narratorisch einen Mangel auf der Darstellungsebene des Textes erzeuge, der sich jedoch programmatisch nicht einlöse (vgl. ebd., S. 238–241). 261 Insofern findet sich auch in diesem Text, ähnlich wie in gleichartigen Erzählungen, die ,erotische Naivität‘ thematisieren, eine Figur, die den Unwissenden in den Liebesdiskurs einführt, deren Absichten als trügerisch charakterisiert werden können auch wenn der eigentliche Impetus von dem neugierigen Mönch ausgeht; vgl. dagegen indes Susanne REICHLIN, Gescheiterte Liebeserziehung, S. 227. 262 Vgl. auch Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 292–298.

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gur der „vrowe minne“ (FB 149, V. 49) darstellt263, deren Eigenschaften er mit weiteren Versatzstücken aus der höfischen Minneterminologie264 näher umschreibt: „ir wizzet selber niht wes ir mich da habt gevraget? zware ob ir siech laget: vrowe minne machet iuch gesunt. ja enbindet si niht zaller stunt; swem sie gibt iren trost, der wirt von allem leide erlost; ir hus ist geziret wol guter spise und wines vol.“ (FB 149, V. 46–54)

Auf diese Weise können seine Aussagen von dem unerfahrenen Mönch leicht missverstanden werden, indem er sie als Eigenschaften einer real existierenden Person interpretiert.265 In Folge der geblümten Rede will der junge Mann die ,Minne‘ einmal persönlich aufsuchen: Unter einem Vorwand erwirkt er mit Hilfe des Knechts seinen Abschied vom Kloster und begibt sich unter dessen Führung gut ausgestattet auf die Reise, um die betreffende Dame persönlich in Augenschein zu nehmen (vgl. FB 149, V. 55–68).266 Die Pointe der Erzählung besteht im Folgenden darin, dass es zu einer realen Begegnung zwischen dem Mönch und ,Frau Minne‘ kommt, und zwar in Gestalt einer bürgerlichen Hausfrau, zu der ihn der durchtriebene Knecht zielstrebig führt (vgl. FB 149, V. 69–229). Weil deren Ehemann nicht zu Hause ist und sie die beiden Männer vorzüglich bewirtet, wägt sich der unerfahrene Mönch sofort in dem Glauben, „der minnen hof und ir gewalt“ (FB 149, V. 93)267 aufgefunden zu haben (vgl. FB 149, V. 69–96). Gegen eine Geldsumme ist die Gastgeberin bereit, den jungen Mann zu unterweisen – doch vergeblich: Er bleibt unbeirrt von ihren Bemühungen „stille als ein ron“ (FB 149, V. 167) im Bett liegen, bis die Frau, die sich ihm gegenüber selbst ironisierend als „vrow minne“ (vgl. FB 149, V. 197; 215) bezeichnet, seiner überdrüssig wird und ihn in

263

Vgl. ähnlich Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 698. Vgl. Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 147f. 265 Auf die Diskrepanz zwischen abgehobenem Bücherwissen des Mönchs einerseits und seiner mangelnden praktischen Erfahrung andererseits hebt SEIDEL in seiner Interpretation des Textes ab; vgl. Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 691–698. 266 Zu einer vermuteten Doppelwegstruktur des Textes, deren erster cursus hier einsetze, vgl. André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 280f. Überzeugender ist der Verweis von REICHLIN auf die Semantik der Räume, insofern die klösterliche Isolation mit der Naivität des Mönchs kongruiere; vgl. Susanne REICHLIN, Gescheiterte Liebeserziehung, S. 224f. 267 Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 272f., verweist in diesem Zusammenhang auf die Fiktion, einen ,Minnehof‘ zu bilden, d. h. eine adlige Versammlung zum Zweck der Unterhaltung beim erotischen Gespräch, die hier parodistisch aufgegriffen werde. – Zur topischen Verknüpfung der weiblichen Allegorie der ,vrouwe minne‘ mit dem Begriff der ,gewalt‘ vgl. hier und im Folgenden den Aufsatz von Hildegard Elisabeth KELLER, Diu gewaltaerinne minne. 264

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der Nacht dreimal verprügelt (vgl. FB 149, V. 174–229). Die sprichwörtliche ,Gewalt‘ der ,Minne‘ erfährt der malträtierte Mönch nun buchstäblich am eigenen Leib.268 Voller Empörung begibt er sich daraufhin zurück in sein Kloster und lässt die Angelegenheit vorläufig auf sich beruhen (vgl. FB 149, V. 230–255). Den zentralen motivischen Komplex der eingebildeten Schwangerschaft hat die Erzählung von Des Mönches Not (FB 149) als drittes Bauelement mit dem Schwangeren Müller (FB 88) gemeinsam; es ist allerdings nicht ein undefinierbarer Bauchschmerz, sondern das theoretische Wissen bzw. Halbwissen des Mönchs über die Zeugung (vgl. FB 149, V. 256–261), das zu seinem Verdacht einer Schwangerschaft führt. Die gescheiterte Initiation liefert hier so wie beim Schwangeren Müller (FB 88) den Ausgangspunkt für eine Verkettung von weiteren Missverständnissen: „Die von Figur oder Erzähler ironisch-verschobenen Bezeichnungen sind für die Erzählung äusserst produktiv.“269 Der erste Fehlschluss des Mönchs resultiert aus der mit der zeitgenössischen Lehrmeinung konform gehenden Auskunft des Knechtes (vgl. FB 149, V. 262–276), dass bei einer Liebesbegegnung derjenige schwanger würde, „der under leit“ (FB 149, V. 263) – nach christlichen und medizinischen Moralvorstellungen des Mittelalters sollte diese Position, wie dargelegt, stets der (verheirateten) Frau zukommen, u. a. auch deshalb, damit bei den gezeugten Kindern keine körperlichen Missbildungen entstünden.270 Seinen ungeheuerlichen Verdacht, dass er selbst betroffen sein könnte, findet der Mönch dadurch bestätigt, dass er etwa drei Monate nach seinem Ausflug zu kränkeln beginnt; diese wohl zufällig auftretenden, eingebildeten oder psychosomatischen Leiden deutet er als Anzeichen einer Schwangerschaft (vgl. FB 149, V. 277–286). In seiner verzweifelten Lage hört der Mönch von der Fehlgeburt einer Kuh, die durch Schläge verursacht worden sei (vgl. FB 149, V. 287–304), woraufhin er beschließt, sich seiner vermeintlichen Leibesfrucht auf die gleiche Weise zu entledigen, um den Zölibatsbruch zu vertuschen. Zu diesem Zweck dingt „der tragent münch“ (FB 149, V. 290) einen Bauernsohn, der ihn gegen Entlohnung derart verprügeln soll, dass er wie das Tier eine Fehlgeburt erleiden würde (vgl. FB 149, V. 305–356). Der virtuelle ,Schwangerschaftsabbruch‘ erfolgt nach Wunsch mit brutaler Härte (vgl. FB 149, V. 357–385).

268

REICHLIN arbeitet heraus, dass sich an dieser Textstelle eine Kongruenz von Sprache und Körperlichkeit einstelle, welche zugleich das Fehlen eines sexuellen Begehrens markiere; vgl. Susanne REICHLIN, Gescheiterte Liebeserziehung, S. 228f. 269 Ebd., S. 232. 270 Vgl. Kap. 2.1.2.b und Kap. 4.2.1 der vorliegenden Arbeit sowie Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 184–202; André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 278 und 283, Anm. 36; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1260, Kommentar zu V. 263; Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 298f. Es scheint mir zu sehr an postmodernen Strukturierungskategorien orientiert zu sein, wenn MOSHÖVEL allerdings im vorliegenden Kontext konstatiert, dass die prinzipiell ungesicherte „Position des Mannes […] im Geschlechterverhältnis […] immer wieder in Handlungen und Akten performativ hergestellt und bestätigt werden“ (ebd., S. 298) müsse und „sich heterosexuelle und soziale Ordnung gegenseitig produzieren und bestätigen“ (ebd.).

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Eine weitere Parallele zum Schwangeren Müller (FB 88) findet sich schließlich in dem Ersatz des erwarteten Kindes durch ein Tier. Im vorliegenden Text handelt es sich dabei nicht um eine Schwalbe, sondern um einen Hasen, der zufällig in den Wald läuft (vgl. FB 149, V. 378–390).271 Seinen Anblick nimmt der Mönch zum Anlass, um sich noch weiter in seine Schwangerschaftsphantasie hineinzusteigern: Mit der für ihn traumatischen Erfahrung entfaltet er ein intensives Wehklagen, dass ihn – wie zuvor bereits bei der Figur des Müllers gesehen – in effeminierter Weise in der Rolle einer trauernden Mutter zeigt (vgl. FB 149, V. 391–413).272 Sinnfällig wird sein schlechtes Gewissen, wenn der Mönch unablässig über den Verlust seines Kindes sinniert, sich dabei in einem ritualisierenden Klagegestus auf die Brust schlägt (vgl. FB 149, V. 410), die Haare rauft (vgl. FB 149, V. 413) und heiße Tränen vergießt (vgl. FB 149, V. 456f.). Anders als der schwangere Müller, der mit der vermeintlichen Schwangerschaft einen Wandel seiner Geschlechtsidentität verbindet, hegt der unerfahrene Mönch indes keinerlei Befürchtungen, dass er durch die vermeintliche Schwangerschaft zu einer Frau mutiert sein könnte. Seine Verunsicherung zeigt sich stattdessen in einer zunehmenden geistigen Verwirrung, die durch seine maßlose Trauer ausgelöst wird. Ein älterer Mönch, der dem Jüngling begegnet, wie er „als ein tobender hunt“ (FB 149, V. 409) durch den Wald rast, hält ihn gar für völlig verrückt geworden. Um gegen seinen „unsin“ (FB 149, V. 419; vgl. V. 435) vorzugehen, streckt ihn der Ältere mit einem Kolben nieder (vgl. FB 149, V. 433f.) und führt ihn unter Gewaltanwendung in das Kloster zurück (vgl. FB 149, V. 414–455). Die Ankunft des Paares im Kloster löst einen Tumult aus (vgl. FB 149, V. 458– 471)273: Nachdem der scheinbar verrückt gewordene Mönch den übrigen Klosterinsassen von dem Verlust seines Kindes erzählt hat, lüpfen diese das Gewand ihres Mitbruders, um seine Behauptungen zu überprüfen; es scheint gar so, als wollten sie eine natürliche Erklärung finden, etwa indem sie feststellten, dass der Mönch in Wirklichkeit weiblichen Geschlechts wäre (vgl. FB 149, V. 474). Sie entdecken aber nur Spuren von Gewaltanwendung, die sich auf seinem geschundenen Körper abzeichnen (vgl. FB 149, V. 475); die Betrachtung seiner anatomischen Beschaffenheit bleibt hingegen eine nar-

271

Wie in vielen anderen Verserzählungen fungiert der Hase hier als Zeichen von Triebhaftigkeit und sexueller Aktivität; vgl. Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 129; vgl. ebenso Kap. 3.1.1.b der vorliegenden Arbeit. MOSHÖVEL deutet ihn als Ausdruck homosexuellen Begehrens; vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 301. – Mit einer weiteren Attribuierung bringt Melitta WEISS ADAMSON die Erscheinung des Hasen in Verbindung, wenn sie unter Rückgriff auf die Studie von Thomas W. LAQUEUR, Auf den Leib geschrieben, auf den Volksglauben verweist, dass Hasen ihr Geschlecht wechseln und so auch gelegentlich männliche Tiere Kinder gebären könnten; vgl. Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature, S. 110. 272 Vgl. Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde, S. 103; anders Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 301. 273 Roberto ZAPPERI sieht im nun folgenden Teil den Kern der Erzählung; vgl. Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 164.

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rative Leerstelle. Die Ordensmänner gelangen schließlich zu der Überzeugung, dass der Mönch „unsinnic“ (FB 149, V. 509) geworden sein müsste, vom Teufel besessen wäre und nur durch einen Exorzismus geheilt werden könnte (vgl. FB 149, V. 476–509). Diese scharfe Reaktion zeugt, psychologisch betrachtet, möglicherweise von der Unsicherheit der Mönche angesichts der weiblich anmutenden Verhaltensmuster ihres Mitbruders; sie hat die Funktion, die eigene Distanz von einer – wie auch immer gearteten – Überschreitung von Geschlechtergrenzen zu illustrieren.274 Doch weder die parareligiöse Maßnahme des Exorzismus noch eine Einkerkerung (vgl. FB 149, V. 510–518) vermögen den rasenden Mönch (vgl. FB 149, V. 488) von seiner fixen Idee abzubringen.275 Zwar wird er nach einer Beichte wieder rehabilitiert und symbolisch in den zölibatären Status geschlechtlicher Neutralität zurückversetzt, indem der Abt ihm ans Herz legt, er möge doch wieder „ein gut kint“ (FB 149, V. 534) werden (vgl. FB 149, V. 519–538). Von einem faktischen Sinneswandel des Mönches spricht der Erzähler jedoch nicht, vielmehr bricht die narratio an dieser Stelle unorganisch ab, so dass der junge Mönch allenfalls äußerlich als reintegriert gelten kann. Die Frage nach seiner psychischen Verfassung bleibt auf der Darstellungsebene abschließend unbeantwortet, zumal die Verserzählung mit einem Epimythion endet, das sich eines wertenden Kommentares weitgehend enthält (vgl. FB 149, V. 539–544). Im Unterschied zum Schwangeren Müller (FB 88), in dem die eingebildete Schwangerschaft als Zeichen der Naivität des Protagonisten interpretiert werden kann, ist die Akzentuierung und narrative Einbettung des Couvade-Motivs in der vorliegenden Verserzählung gänzlich anders gelagert. Indem die vermeintliche Schwangerschaft im männlich dominierten Milieu eines Klosters situiert ist, tritt der Aspekt der gleichgeschlechtlichen Sexualität hier fast zwangsläufig in das Blickfeld der Rezipientinnen und Rezipienten: Auf der Textoberfläche wird zwar die Unerfahrenheit des jungen Mönches bemüht, um seine geschlechtliche Desorientierung zu motivieren; der Subtext der Erzählung, der die Homosexualität der monastischen Gemeinschaft fokussiert, liefert aber ein anderes Erklärungsmuster für seine geschlechtliche Identitätskrise. Anders gesagt: Des Mönches Not (FB 149) ist m. E. einer der wenigen Texte im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählung, die mehr oder weniger offen auf eine homosexuelle oder homoerotische Neigung der Figuren anspielen. Eine solche Orientierung der Mönche wird in Des Mönches Not (FB 149) durch zahlreiche Textstellen assoziiert276: 274

Vgl. ebd., S. 166f.; Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde, S. 103. Zur Insistenz seines verwirrten Geisteszustandes und den entsprechenden Gegenreaktionen der Mönche vgl. insbesondere Dirk MATEJOVSKI, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, S. 116–118. Mit Irmgard MEINERS, Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, S. 119–122, versteht er Mittel- und Schlussteil der Verserzählung auch als eine parodistische ,Antilegende‘; vgl. Dirk MATEJOVSKI, ebd., S. 116; vgl. auch Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 304. 276 Zur Homosexualität in Des Mönches Not (FB 149) vgl. im Folgenden André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 273; Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde, S. 101–103; Wolfgang BEUTIN, Se275

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 Über den Knecht, der die Mentorrolle des jungen Mönches übernimmt, erfahren die Rezipientinnen und Rezipienten die für den Handlungsgang unerhebliche, jedoch bezeichnende Tatsache, dass er „zu allen ziten / mit dem apte“ (FB 149, V. 37f.) zu „riten“ (ebd.) pflege.  Als der naive Mönch in seiner anfänglichen Begeisterung die Minne auch in seinem Kloster einführen möchte (vgl. FB 149, V. 140–144), kommentiert der Erzähler süffisant: der tore want des fürwar, der apt und der münche schar waern sunder minne erzogen. da was er sere an betrogen. (FB 149, V. 145–148)

 Nachdem der junge Mönch dem Bauernsohn, der für seine ,Fehlgeburt‘ sorgen soll, von seiner Misere erzählt hat, führt dieser scherzhaft die Klosterbrüder als mögliche ,Väter‘ ins Feld, die der Protagonist wiederum später selbst als mögliche Paten in Erwägung zieht (vgl. FB 149, V. 469–471): „we, wa von ist iu kumen daz? nu dunket mich der prior ze laz, so ist der apt gar zu alt. wer hat daz wunder an iuch gestalt? hat ez der kelner getan? so ist er ein vrevelicher man.“ (FB 149, V. 323–328)

 Wenn im ersten Teil der Erzählung mehrfach davon die (metaphorische) Rede ist, dass die Minne einen Menschen in Fesseln schlage (vgl. FB 149, V. 26; 34; 44; 50), dann ist es umso auffälliger, dass es sich bei der Person, die den jungen Mönch schließlich realiter in Fesseln legt, wiederum um einen Mann handelt; gemeint ist hier die Szene im Wald, in welcher der ältere den jüngeren Mönch zurück ins Kloster führt, indem er ihm die Hände zusammenbindet (vgl. FB 149, V. 444f.): „der junge allez neben im schreit / gebunden an einem stricke.“ (FB 149, V. 454f.).  Auffällig ist schließlich die grundsätzliche sexuelle Indifferenz des Mönchs gegenüber seiner Gastgeberin277 – ganz im Gegensatz etwa zu der Darstellung einer vergleichbaren Situation im Gänslein (FB 43), in dem ein unerfahrener Mönch sogleich Gefallen an dem sexuellen Umgang mit einer jungen Frau findet (vgl. FB 43, V. 153–163). In der vorliegenden Häufung liegt die Vermutung nahe, dass der Autor die Phantasie der männlichen Schwangerschaft mit einem homoerotischen Subtext verknüpft, der xualität und Obszönität, S. 230f.; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 162f.; vgl. ebenso Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature, S. 109. 277 Vgl. ebenso James A. SCHULTZ, Love without desire in Mären of the thirteenth and fourteenth centuries, S. 144, Anm. 68. SCHULTZ interpretiert diese Auffälligkeit allerdings nicht im Hinblick auf eine mögliche homosexuelle Orientierung der Mönchsfigur.

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dem literarischen Motiv eine besondere Brisanz verleiht.278 Das Couvade-Motiv wird damit zum Vehikel, um männliche Homosexualität als tabuisierte Realität der mittelalterlichen Gesellschaft ungestraft zu einem literarischen sujet zu erheben. Im Vordergrund steht dabei sicherlich kein aufklärerisches, sondern allenfalls ein ständekritisches279 und / oder unterhaltendes280 Interesse des Autors.281 Sowohl im Schwangeren Müller (FB 88) als auch in Des Mönches Not (FB 149) bleibt das erzählerisch ergiebige Szenario einer männlichen Schwangerschaft imaginär auf die Vorstellungswelt der Protagonisten beschränkt. Die Texte greifen nicht in den Bereich des Phantastischen aus, indem sie von einer realen männlichen Schwangerschaft in der fiktionalen Welt erzählen würden, wie dies in späteren literarischen und filmischen Werken erfolgt. Indem sie dies vermeiden, erfährt die thematisierte Überschreitung der normativen Geschlechtergrenze eine gravierende Verharmlosung, denn sie bleibt – im doppelten Sinne – eine Art von spielerischem Gedankenexperiment. Darüber hinaus haben die Erzählerkommentare über Unerfahrenheit und Dummheit von Müller und Mönch ebenfalls eine stabilisierende Funktion im Hinblick auf die normative Untermauerung der bestehenden Geschlechterordnung. Gleichwohl wird der beunruhigende Impetus der Erzählung dadurch nicht gänzlich nivelliert.

278

Dies erhellt insbesondere durch einen Vergleich mit anderen spätmittelalterlichen Texten, die ein Überschreiten von Geschlechtergrenzen durch eine männliche Figur thematisieren; bei diesen Geschichten ist es in der Regel gerade die unumstößliche heterosexuelle Orientierung der Figuren, die den Geltungsanspruch der normativen Geschlechterordnung garantiert. 279 Vgl. Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 195f.; Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 121; André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 271f.; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, insbesondere S. 100, 104f., 112–114, 162f., 257f.; Kurt Otto SEIDEL, Bücherwissen und Erfahrung im Märe, S. 698, 706–711. 280 Die (zugleich) unterhaltende Intention der Erzählung heben insbesondere hervor Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 190; Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 195; Dirk MATEJOVSKI, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, S. 116. 281 Vielfach wurden in der einschlägigen Forschungsliteratur auch die Aspekte von Macht und Herrschaft als zentralem Fokus der Verserzählung thematisiert, die für unser Erkenntnisinteresse jedoch nur von zweitrangiger Bedeutung sind; vgl. hierzu etwa Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 147–170, der als Intention der Erzählung zum einen die Desavouierung der Ideale der höfischen Liebe bestimmt, zum anderen die Anprangerung der Unterdrückung von Frauen im mittelalterlichen Gesellschaftssystem; vgl. zu den Aspekten von Macht und Herrschaft des Weiteren Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 112–114; aus der Perspektive von Michel Foucault: André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 273–281; Dirk MATEJOVSKI, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, S. 116f.; Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 304– 309.

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d.

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Die Geschichte von Kaiser Nero im Moriz von Craûn (FB 87)

Neben den Verserzählungen Der schwangere Müller (FB 88) sowie Des Mönches Not (FB 149), in denen das Motiv der männlichen Schwangerschaft zentral für den Handlungsgang ist, gibt es lediglich eine weitere mittelhochdeutsche Verserzählung, in der das Couvade-Motiv außerdem noch Erwähnung findet. Es handelt sich um den Moriz von Craûn (FB 87), eine der längeren und frühesten Stücke des Textkorpus282, die sich, auf eine französische Vorlage stützend, anonym und unikal im sog. Ambraser Heldenbuch überliefert, nur sehr grob in den Zeitraum um 1200 datieren lässt.283 In der Vorgeschichte dieses Textes wird im Rahmen der Geschichte von Kaiser Nero, die uns hier ausschließlich interessiert, eine männliche Schwangerschaftsphantasie wiederum mit einer Anspielung auf Homosexualität in Verbindung gebracht.284 Anders als im Schwangeren Müller (FB 88) und im Moriz von Craûn (FB 87) motivieren hier nicht Dummheit und Torheit, sondern Neugierde und Grausamkeit die fingierte Schwangerschaft. Das Besondere an dieser Verserzählung ist, dass jene nicht bloß dem Bereich des Imaginären verhaftet bleibt, sondern reale körperliche Dimensionen gewinnt. Der Text setzt ein mit einem Überblick über den dialektisch gedachten Verlauf der Geschichte des Rittertums, die als eine Art ausgedehnter Prolog oder Vorgeschichte (vgl. FB 87, V. 1–262) der eigentlichen narratio vorangestellt ist, um so auf den Prota282

Bei diesem singulären Werk ist die Gattungszugehörigkeit allerdings zweifelhaft bzw. unkonventionell; vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Gattungskonstitution im Mittelalter, S. 203f.; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 77f. 283 Vgl. zu Überlieferung, Datierung und Autor Hans-Joachim ZIEGELER, [Art.] ,Moriz von Crâun‘, Sp. 692–696; Heimo REINITZER (Hrsg.), Mauritius von Craûn [2000], S. VII–XVIII. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die überbordende Fülle an Forschungsliteratur zum Moriz von Craûn (FB 87) vollständig aufzuarbeiten. Lediglich einschlägige und neuere Arbeiten, die auf die entsprechenden Stellen in der Vorgeschichte ausführlicher eingehen, werden konsultiert. Ebenfalls kann eine Gesamtinterpretation der komplexen Verserzählung nicht angestrebt werden, bei der die vielfach diskutierte Funktion der Vorgeschichte für die Hauptgeschichte ausgelotet werden müsste, da dies den uns interessierenden Untersuchungsaspekt allzu sehr in den Hintergrund treten ließe. Vgl. zusammenfassend den Forschungsüberblick bei Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, S. 31–43. – Zur Frage der Kanonisierung dieser Verserzählung vgl. Andrea MOSHÖVEL, Kanon und mhd. Märendichtung, S. 322–333, zur Interpretation des Bildes des schwangeren Neros im Gesamtkontext der Verserzählung DIES., wîplîch man, S. 155–193. 284 Vgl. Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde, S. 99; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 162f.; Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 162f., 190. – Als Grundlage dieser Darstellung wurden in der Forschung als Vorlage sowohl die Legenda aurea des Jacobus de Voragine wie auch die Kaiserchronik geltend gemacht, in deren Darstellung allerdings die Homosexualität Neros ebenso fehlt wie grundlegende Details seiner Schwangerschaftsphantasien; vgl. zusammenfassend Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, Kommentar zu V. 133–230, S. 176f.; Heimo REINITZER, Mauritius von Craûn. Kommentar [1999], S. 27f., Kommentar zu V. 133–230. Im gattungsübergreifenden Zusammenhang unter Einbeziehung unterschiedlicher mittelalterlicher Texte untersucht das Bild des schwangeren Nero Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 135–193, ausführlich.

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gonisten, den Ritter Moriz von Craûn, hinzuleiten. Als Negativexempel dient in diesem Vorspann insbesondere die historische Figur des römischen Kaisers Nero, der in der translatio militiae für den Untergang des Rittertums im Römischen Reich verantwortlich gemacht wird (vgl. FB 87, V. 133–236), nachdem sich dieses, so der Gang der Erzählung, kurzfristig in Griechenland und später im Frankenreich habe entfalten können, um auch in diesen Staatsgebilden vollständig unterzugehen. In der Bildtradition eines „exemplum horrendum für grausame und ungerechte Herrschaft“285 wird Kaiser Nero als unmenschliches und abstruses Scheusal dargestellt, um zu demonstrieren, wie sein unritterliches Gebaren den Niedergang des ritterlichen Standes im Römischen Reich vorangetrieben habe. Dies kennzeichnet bereits die Überschrift, die diesem Sinnabschnitt des Prologs im Ambraser Heldenbuch vorangestellt ist: „Von Knig Nero ainem Wet= | trich  der auch wie ein fraw Swan= | ger wolt ein  Vnd ein Mŭeter | aufchneiden liee  von eins frbitz“.286 Einer der schlimmsten Vorwürfe, die dem „harte übel man“ (FB 87, V. 136) außer der historisch verbürgten Brandstiftung in Rom (vgl. FB 87, V. 196–230) in der Verserzählung gemacht werden, sind seine homosexuellen Ambitionen sowie seine weiblichen Attitüden: „er liez im tuon als einem wîp / und hâte ouch man vür wîbes lîp.“ (FB 87, V. 143f.): „Nero erscheint damit als Gegenfigur zu den um eine vrouwe dienenden und kämpfenden Griechen (vgl. V. 14 f.) und Franzosen (V. 259 f.).“287 Damit gründet die Negativdarstellung des Herrschers ganz wesentlich in seiner „geschlechtlichen Desorientierung“288: Problematisch an Neros Verhalten ist, daß er den Dualismus von männlichem und weiblichem Geschlecht aufzulösen droht und selbst in transsexueller Tendenz zwischen den Polen oszilliert.289

Gravierend sind überdies die Folgen, die aus dieser in mittelalterlicher Sicht sündhaften Geisteshaltung resultieren: Denn um zu erfahren, wie eine Frau eine Schwangerschaft erlebt, zwingt Nero seinen Arzt unter Androhung der Todesstrafe, ihm diese Erfahrung selbst zuteil werden zu lassen (vgl. FB 87, V. 145–158). Der Heilpraktiker verabreicht ihm daraufhin ein Pulver, das eine Kröte – dieses Tier versinnbildlicht einerseits die weibliche Gebärmutter, andererseits die hybride Gesinnung des Kaisers290 – in seinem Leib heranwachsen lässt, bis er schließlich den Körperumfang einer Schwangeren erreicht (vgl. FB 87, V. 159–170) und damit „einem wîbe / vornen an dem lîbe“ (FB 87, 285

Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, S. 176f., Kommentar zu V. 133–230, hier S. 176. Heimo REINITZER (Hrsg.), Mauritius von Craûn [2000], S. 1. 287 Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, S. 177f., Kommentar zu V. 144, hier S. 177. 288 Ricarda BAUSCHKE, „,[sic!]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“, S. 311. 289 Ebd., S. 311f.; vgl. ebenso S. 316. 290 Vgl. Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, S. 178, Kommentar zu V. 162; Heimo REINITZER, Mauritius von Craûn. Kommentar [1999], S. 30, Kommentar zu V. 162; Ricarda BAUSCHKE, „,[sic!]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“, S. 312f. Zur Krötensymbolik in der spätmittelalterlichen Literatur allgemein vgl. Christoph GERHARDT, Kröte und Igel in schwankhafter Literatur des späten Mittelalters, S. 340–344, 350–354. 286

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V. 169f.) zu gleichen beginnt.291 Neros Drang, die Grenzen der natürlichen Schöpfungsordnung zu überschreiten und sich sogar die weibliche Gebärfähigkeit anzueignen, zeigt gleichsam seinen „absoluten Willen zur Macht“292. Aus Furcht vor den Geburtsschmerzen hält Kaiser Nero den Arzt schließlich zu einem Schwangerschaftsabbruch an (vgl. FB 87, V. 171–179). Mit diesem kirchenrechtlichen Verstoß293, der zudem die mangelnde staete des Herrschers versinnbildlicht294, jedoch nicht genug – um seine Neugierde hinsichtlich der körperlichen Verfasstheit des weiblichen Geschlechts zu stillen, lässt Nero sodann den Leib seiner Mutter aufschneiden. Bei dieser Vivisektion will er sich einen Eindruck von der weiblichen Innenanatomie verschaffen (vgl. FB 87, V. 180–191): „er sach under die bruste / und allen den lîp hin ze tal / der wunder âne zal.“ (FB 87, V. 192–194).295 Gebrandmarkt werden soll mit dieser Episode offenkundig die mittelalterliche Sünde der curiositas, die das Negativbild des Kaisers hier vervollständigt.296 Es ist einhellig, dass die außergewöhnlichen Verhaltensweisen des Kaisers, die gleich ein ganzes Konglomerat zeitgenössischer ethischer Tabus brechen (Homosexualität, Transsexualität, Magie, Schwangerschaftsabbruch, ein nahezu faustischer Erkenntnisdrang), auf eine massive Negativbeurteilung dieser Exempelfigur durch den Erzähler hinauslaufen. In seinem manischen Kreisen um die Gebärfähigkeit, die als körperliches Spezifikum die weibliche Geschlechtsidentität garantiert, dokumentiert sich den mittelalterlichen Rezipientinnen und Rezipienten die pervertierte Charakterstruktur des Kaisers.297 In seinem effeminierten und zugleich misogynen Verhalten präsentiert er sich als Zerrbild eines tapferen und tugendhaften Ritters, der – wie ex negativo erhellt – sich

291

M. E. lässt der Text an dieser Stelle offen, auf welche Art und Weise die magischen Kräfte des Arztes wirken; dass er ihm eine Gebärmutter implantiere, die Nero körperlich de facto zu einer Frau mache, wie Ricarda BAUSCHKE betont, scheint mir nicht unmittelbar ersichtlich; vgl. Ricarda BAUSCHKE, „,[sic!]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“, S. 313. – Zur möglichen Herkunft des Sagenmotivs von Neros Schwangerschaft mit einer Kröte vgl. Heimo REINITZER, Mauritius von Craûn. Kommentar [1999], S. 30, Kommentar zu V. 145ff. 292 Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 164. 293 Vgl. Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, S. 178, Kommentar zu V. 175f. 294 So Ricarda BAUSCHKE, „,[sic!]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“, S. 314. Darüber hinaus werde Nero mit mangelnder triuwe des Fehlens einer weiteren Herrschaftstugend bezichtigt; vgl. ebd., S. 323 und Anm. 38. 295 Diese Episode geht zurück auf die historische Überlieferung, nach der Nero sowohl seine Mutter Agrippina als auch seine Frau und Stiefschwester Octavia umgebracht hat; vgl. Dorothea KLEIN (Hrsg.), Mauricius von Crâun, S. 176f., Kommentar zu V. 133–230, hier S. 176. 296 Vgl. ebd., S. 178f., Kommentar zu V. 180–194. Andrea MOSHÖVEL deutet diese Stelle im Sinne eines zweifachen Ordnungsbruches: „1) auf der Ebene des Verwandten- bzw. Muttermordes und 2) auf der Ebene der Obduktion selbst als einem Verfahren, das das göttliche Geheimnis der Geburt und Herkunft im Experiment sinnlich wahrnehmbar bzw. sichtbar […] macht.“ (Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 165). 297 Vgl. so auch Andrea MOSHÖVEL, ebd., S. 164.

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zuallererst durch seine Männlichkeit auszeichnen soll. Dabei bedeuten die dargestellten Grenzüberschreitungen eine grundlegende Gefährdung der fest gefügten Geschlechterordnung, sie bedrohen weiblichen wie männlichen Pol gleichermaßen.298 Weil der Kaiser sich auf eigentümliche Weise zu dem weiblichen Geschlecht hingezogen fühlt und somit gegen grundlegende Prinzipien des ritterlichen Selbstverständnisses verstößt, ist der Untergang des römischen Rittertums in der Textlogik besiegelt.299 e.

Männliche Schwangerschaft und Homosexualität

Die Vorstellung einer männlichen Schwangerschaft, die sowohl biologisch als auch kulturell eine geschlechtliche Grenzüberschreitung darstellt, führt so, wie sie in den mittelhochdeutschen Verserzählungen zur Darstellung gelangt, nicht zu einer gravierenden Destabilisierung der Geschlechterordnung. Die inhärente Komik des Motivs, „die auf dem biologisch nicht möglichen Sachverhalt“300 gründet, kann nur dann zum Tragen kommen, wenn der zugrunde liegende Parameter – die anatomische Tatsache, dass die Gebärfähigkeit allein dem weiblichen Geschlecht zukommt – eine unmissverständliche Kontur beibehält. Dies wird in den untersuchten Texten dadurch gewährleistet, dass die Schwangerschaft als bloßes Wunschdenken der Protagonisten dargestellt wird, so dass sie die männliche Geschlechtsidentität objektiv nicht tangiert.301 Dies gilt nicht zuletzt für den Moriz von Craûn (FB 87), in dem die Deformation des biologischen Körpers302 durch einen medizinisch-magischen Trick am weitesten getrieben wird; hier erhält die Absurdität der Schwangerschaftsidee dadurch Plastizität, dass die Figur des Kaisers Nero kein Kind, sondern lediglich eine Kröte ,gebiert‘.303 298

Es geht m. E. also nicht bloß um eine Gefährdung von Virilität, wie Hubertus FISCHER, Ritter, Schiff und Dame, S. 41, 44f., hervorhebt. 299 Man kann die Zerstümmelung der Mutter als Vorausdeutung auf die Zerstörung der Stadt Rom sehen und das aggressive Verhalten Neros auf seine unbefriedigten transsexuellen Neigungen zurückführen; vgl. Ricarda BAUSCHKE, „,[sic]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“, S. 314. 300 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1257. 301 Insofern stimme ich Melitta WEISS ADAMSON in ihrem Resümee nicht zu, welche die scheinbare Popularität des literarischen Motivs in Mittelalter und Früher Neuzeit – de facto handelt es sich um ein Motiv, das bis in die Gegenwart vielfach belegt ist; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1256 – im Rückgriff auf das LAQUEURSCHE one-sex-model mit einer prinzipiell ausgeprägteren Durchlässigkeit der Geschlechtergrenzen im Denken der Zeit zu erklären versucht; vgl. Melitta WEISS ADAMSON, Male Pregnancy in German Literature, S. 122–124. 302 Vgl. Ricarda BAUSCHKE, „,[sic!]Sex und gender als Normhorizonte im ,Moriz von Craûn‘“, S. 316. 303 Daran anschließen ließe sich eine Lesart von Andrea MOSHÖVEL, die betont, dass sich mit dem Motiv der männlichen Schwangerschaft die Darstellung einer defizienten sexuellen Praxis in den mittelhochdeutschen Verserzählungen verknüpfe, welche sich destabilisierend auf das Ordnungskonzept einer binär strukturierten Geschlechterdifferenz auswirke; vgl. Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 314–316. Anders als MOSHÖVEL würde ich den Akzent jedoch nicht auf die Darstellung von der Kontingenz des männlichen Begehrens als Intention des Textes setzen, denn mit der Dar-

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Diesem ersten Untersuchungsergebnis lässt sich jedoch entgegensetzen, dass das geschlechtliche Selbstkonzept in der (subjektiven) Perspektive der Protagonisten – mit Ausnahme des skrupellosen Nero – durch das Wahngebilde der eigenen Schwangerschaft nachhaltig erschüttert wird. Insbesondere wird dies in Des Mönches Not (FB 149) deutlich, wenn die psychische Disposition eines der Normalität entrückten Helden am Ende der Erzählung eine narrative Leerstelle bleibt. Eine weitaus größere Brisanz als die Phantasmagorie einer männlichen Schwangerschaft weist demgegenüber die Suggestion männlicher Homosexualität auf, die einen greifbaren Bezug zur außerliterarischen Realität aufweist. Sowohl in der Verserzählung des Zwickauers, Des Mönches Not (FB 149), als auch im Moriz von Crâun (FB 87)304 ist gleichgeschlechtliche Sexualität, die im christlichen Mittelalter als Handlung contra naturam gebrandmarkt wurde, mit der Vision einer männlichen Schwangerschaft eng verbunden. Weil Sexualität unter der Maßgabe der Prokreativität stand305, stellte ,Homosexualität‘ – hier in einem allgemeinen Begriffsverständnis sexueller Praktiken von gleichgeschlechtlichen männlichen oder weiblichen Partnern verstanden – einen grundlegenden Verstoß gegen die göttliche Schöpfungsordnung und das darin wurzelnde dichotomische Geschlechterkonzept dar; infolgedessen war Homosexualität in der mittelalterlichen Kultur religiös wie sozial streng geächtet: Eine fest im Körperlichen verankerte, von Gott imperativisch angelegte Differenz zwischen zwei Geschlechtern bildet die normative Prämisse, auf der Abweichungen als Todsünde, Verbrechen wider die Natur und den göttlichen Willen, als Krankheit und als Schritt ins Jenseits des Menschlichen abgehandelt werden.306

Dementsprechend unterlag Homosexualität der geistlichen Gerichtsbarkeit; sie konnte mit dem Kirchenbann und sogar mit der Todesstrafe bedacht werden. Eine verstärkte Kriminalisierung homosexueller Praktiken setzte erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ein, also genau im Zeitraum der Entstehung der spätmittelalterlichen Verserzählung. Unabhängig von dieser ideologisch-normativen Ebene gilt, dass zahlreiche Quellen die Existenz gleichgeschlechtlicher Handlungen belegen und diese zumindest im städtischen und klösterlichen Milieu durchaus keine Seltenheit waren.307 stellung eines Desinteresses am weiblichen Geschlecht geht m. E. zugleich unauflöslich die Intuition eines gleichgeschlechtlichen Begehrens einher. 304 Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 162, verbindet darüber hinaus ohne nähere Angabe von Gründen die Darstellung des Männerkindbettes im Schwangeren Müller (FB 88) mit „der gleichgeschlechtlichen Liebe“ (ebd.). 305 Vgl. Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Sodom und Gomorrha, S. 16–18; Brigitte SPREITZER, Verquere Körper, S. 14, 19. 306 Brigitte SPREITZER, ebd., S. 26f. 307 Zur Geschichte der Homosexualität vgl. den Forschungsbericht von Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Einführung in die Historiographie der Homosexualitäten [1999]; zur Homosexualität im Mittelalter vgl. – in Auswahl, jeweils mit weiterführenden Literaturangaben – übergreifend Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde [1988]; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, [Art.] Homosexualität. I. Westlicher

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Wenn also das literarische Motiv der männlichen Schwangerschaft eng mit der Darstellung männlicher Homosexualität verknüpft wird, so ließe es sich psychoanalytisch bzw. ethnologisch ausdeuten und als Ausdruck latent homoerotischer Wünsche erklären.308 Ist man bereit, sich auf diesen Ansatz einzulassen, so würde dies zu der Schlussfolgerung führen, dass beiden Erzählungen, sowohl dem Moriz von Craûn (FB 87) als auch Des Mönches Not (FB 149), explizit oder implizit daran gelegen sei, Existenzformen männlicher Homosexualität zur Sprache zu bringen.309 Die faktische Relevanz gleichgeschlechtlicher Sexualität in den mittelhochdeutschen Verserzählungen lässt sich durch weitere Textbeispiele bestätigen, wie etwa den Gürtel Dietrichs von der Glesse (FB 24). Hier fordert, wie gesehen, im Kontext eines weiblichen cross-dressing die kluge Ehefrau ihrem strukturellen Widerpart, dem habgierigen Ehemann, eine homosexuelle Verhaltensweise ab.310 Darüber hinaus erscheint eine Anspielung auf männliche Homosexualität andeutungsweise im Vertauschten Müller (FB 89) im Kontext der sexuellen Begegnung zwischen Pfarrer und ,Kaplan‘.311 In der Zusammenschau der einschlägigen Texte ist bemerkenswert, dass sich in keiner der Erzählungen eine offene Darstellung praktizierter Homosexualität findet. Stets handelt es sich um Anspielungen, die m. E. zwar eindeutig sind, jedoch nirgendwo in konkrete Handlungen umgesetzt und praktisch realisiert werden. Fast müßig zu erwähnen ist es, dass sich, mit Ausnahme einer etwaigen Anspielung im Ritter Alexander (FB 102)312, weibliche Homosexualität, die im Mittelalter in noch höherem Maße als

Bereich [1991]; Warren JOHANSSON / William A. PERCY, Homosexuality [1996]; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Sodom und Gomorrha [2000]; Brigitte SPREITZER, Verquere Körper [2002], S. 14– 27; zur lateinischen Literatur des Mittelalters vgl. Sven LIMBECK, Geschlechter in Beziehung [2002]; speziell zur mittelhochdeutschen Literatur vgl. insbesondere Thomas BEIN, Orpheus als Sodomit [1990]; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität [1990], S. 410–415; Helmut BRALL, Geschlechtlichkeit, Homosexualität, Freundesliebe [1991]; DERS., Reflections of Homosexuality in Medieval Poetry and Chronicles [1998]; DERS., Homosexualität als Thema mittelalterlicher Dichtung und Chronistik [1999]; Andreas NIEDERHÄUSER, „si underkusten tûsentstunt / ougen wangen unde munt“ [2001]; Andreas KRAß, Das erotische Dreieck [2003]; DERS., Queer lesen (mit weiterführenden Literaturhinweisen zu Gottfried von Straßburgs Tristan) [2004]; DERS., Kritische Heteronormativitätsforschung [2009]; Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man [2009], passim, u. a. auch zu den mittelhochdeutschen Verserzählungen; zur Darstellung von Homosexualität in der mittelhochdeutschen Verserzählung vgl. ebenfalls Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte [1999], S. 160–165. 308 Vgl. Roberto ZAPPERI, Geschichten vom schwangeren Mann, S. 135–138; André SCHNYDER, „Des Mönches Not“, S. 273. 309 Umgekehrt scheint es mir allerdings nicht angezeigt, lediglich aus dem Vorhandensein des Couvade-Motivs bereits auf eine Thematisierung von Homosexualität zu schließen. 310 Vgl. hierzu Kap. 4.1.2.c der vorliegenden Arbeit. 311 Vgl. Kap. 4.1.2.d der vorliegenden Arbeit. 312 Vgl. Kap. 4.1.2.b der vorliegenden Arbeit. – Die Möglichkeit eines Körperkontakts zwischen zwei Frauenfiguren in einem sexualisierten Handlungsumfeld wird darüber hinaus noch in Peter Schmiehers Verserzählung Die Nonne im Bade (FB 111a) thematisiert, die „von der Zweideutigkeit des Wortes reiben (,massieren‘ und ,beischlafen‘)“ (Johannes JANOTA, [Art.] Schmieher, Peter,

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ihre männliche Spielart tabuisiert wurde, im gesamten Textkorpus – so weit ich sehe – an keiner Stelle nachweisen lässt.313 Angesichts der freizügigen und häufig wertungsfreien Darstellung menschlicher Sexualität in den mittelhochdeutschen Verserzählungen sowie der typischen Akzentuierung ihres anarchischen, gesellschaftliche Grenzen sprengenden Potentials muss der hier skizzierte Befund erstaunen. Denn nach unserer bisherigen Kenntnis wäre es durchaus zu erwarten gewesen, dass die Texte auch hinsichtlich der Darstellung gleichgeschlechtlicher Sexualität quantitativ aussagekräftiger erscheinen bzw. auf offenere Darstellungsmuster zurückgreifen. Stattdessen wird Homosexualität in nahezu gleicher Weise marginalisiert, wie dies in anderen Gattungszusammenhängen mittelalterlicher Literatur der Fall ist. Nur bedingt überzeugend ist daher m. E. die von Birgit BEINE aufgestellte These, dass die weitgehende Tabuisierung von Homosexualität in den mittelhochdeutschen Verserzählungen auf die prinzipielle „Verbindung von Homosexuellen und Ketzern“314 zurückzuführen sei; denn eine solche Gleichsetzung ist ja durchaus nicht spezifisch für die in Rede stehenden Texte, sondern findet sich ebenso andernorts. Allenfalls hinsichtlich des zeitlichen Aufkommens lassen sich Rückschlüsse bezüglich der Thematisierung von Homosexualität in der mittelalterlichen Novellistik ziehen, denn hier ergibt sich ein interessanter Befund: Möglicherweise liegt in der zunehmenden strafrechtlichen Verfolgung von Homosexualität im Spätmittelalter ein Grund dafür, dass sie nur in wenigen Texten der frühen bis mittleren Entstehungsphase des Genres thematisiert wird, in den Verserzählungen des (späten) 14. und des 15. Jahrhunderts aber in der Darstellung vollständig fehlt. Angesichts der geringen Zahl einschlägiger Textbeispiele lassen sich derartige Aussagen aber nicht ausreichend fundieren. Eine treffende Erklärung für die insgesamt zu verzeichnende relative Zurückhaltung bei der Behandlung des Themas in den mittelhochdeutschen Verserzählungen muss daher letztlich Spekulation bleiben.

Sp. 763) lebt. In diesem Text sucht eine junge Nonne in einem öffentlichen Bad einen „reiber“ (FB 111a, V. 34); als sich statt eines von ihr begehrten anwesenden jungen Mönchs „ein altes weib“ (FB 111a, V. 57) bei ihr meldet, um ihr den Rücken zu massieren, jagt sie dieses erbost und lautstark fort (vgl. FB 111a, V. 30–64). Erzähltechnisch hat diese Szene auf der Darstellungsebene die Funktion, das sexuelle Verlangen der jungen Nonne und ihre Fixierung auf den Mönch zu unterstreichen, auf der Handlungsebene dient das Verhalten dazu, den jungen Mann auf sich aufmerksam zu machen und anzulocken. Eine Anspielung auf eine homosexuelle Handlung unter Frauen scheint mir hier indessen nicht gegeben zu sein. Zu dieser Verserzählung allgemein vgl. zusammenfassend Johannes JANOTA, [Art.] Schmieher, Peter, Sp. 763f. 313 Dies gilt vermutlich für die Gesamtheit der mittelhochdeutschen Literatur; vgl. Brigitte SPREITZER, Die stumme Sünde, S, 106; zur weiblichen Homosexualität im Mittelalter generell vgl. Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität [1990], S. 413–415; Jacqueline MURRAY, Twice Marginal and Twice Invisible [1996]; Kerstin LOSERT, Kleider machen Männer [2001], S. 71–74; Brigitte SPREITZER, Verquere Körper [2002], S. 24–26. 314 Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 165.

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Gleichwohl lässt sich resümieren, dass dem literarischen Motivbaustein gleichgeschlechtlicher Sexualität ein weitaus größeres und hintergründigeres ,Gefährdungspotential‘ innewohnt als der fixen Idee einer imaginären männlichen Schwangerschaft. Anders formuliert: Ist das biologische Geschlecht, das sich in bestimmten körperlichen Merkmalen manifestiert, in den mittelhochdeutschen Verserzählungen eine irreversible Kategorie, die gegen jede Art von gender trouble immun zu sein scheint, so gilt dies keineswegs prinzipiell für die sexuelle Orientierung einer Figur, für die Zielrichtung ihres erotischen Begehrens. Nicht die männliche Schwangerschaft als eine irreale, phantasmatische Entstellung des Körpers, sondern die Homosexualität im Sinne einer – in zeitgenössischer Sicht – widernatürlichen mentalen ,Deformation‘, die sich in körperlichen Akten Ausdruck verleiht, ist mithin, so meine These, die tatsächliche Quelle gesellschaftlicher Beunruhigung, wie sie in den behandelten Texten im Hinblick auf die Gruppe der männlichen Protagonisten entgegentritt.

4.2.2 Weiblicher Waffenkampf Wie gesehen, erscheinen fingierte und imaginäre Schwangerschaft sowie Anspielungen auf Homosexualität in den Verserzählungen als Mittel der Wahl, um die geschlechtliche Desorientierung der männlichen Figuren zu demonstrieren. Gemeinsam ist den beiden literarischen Motiven eine – gemessen an dem Normhorizont der mittelalterlichen Anthropologie – ,Fehlfunktion‘ des männlichen Körpers bzw. ein ,Missbrauch‘ von Sexualität. Vergleichbare ,Fehlleistungen‘ im Sinne von geschlechtlichen Grenzüberschreitungen sind, was unmittelbar einleuchtet, hinsichtlich des weiblichen Figurenpersonals der mittelhochdeutschen Verserzählung demgegenüber nicht durch eine Übernahme spezifisch männlicher Körperfunktionen gekennzeichnet. Sie beziehen sich vielmehr auf die Aneignung von soziokulturell geprägten Handlungsmustern, die traditionell dem männlichen Geschlecht vorbehalten bleiben. In besonderer Weise gilt dieses Darstellungsprinzip für die Waffen- und Wehrfähigkeit einer Person, die neben der biologisch determinierten Fähigkeit, ein Kind auszutragen, in der mittelalterlichen Kultur als entscheidendes Kriterium zur Unterscheidung der Geschlechter und ihrer je spezifischen Handlungsräume galt; es handelte sich hierbei um eine Kompetenz, die Frauen dem Grundsatz nach gänzlich abgesprochen wurde.315 Mit dem Besitz des Waffenrechts war aber in der Regel der rechtliche und soziale Status eines Individuums verknüpft; neben der männlichen Geschlechtszugehörigkeit garantierte zunächst der adlige Stand das Recht eines Menschen zur legitimen Ausübung von Gewalt.316 Die unrechtmäßige Aneignung des Waffenrechts oder das Agieren

315

Vgl. z. B. Hildegard Elisabeth KELLER, Diu gewaltaerinne minne, S. 17f.; Ulrike GAEBEL, Weibliche Krieger, S. 363f.; Elisabeth LIENERT, daz beweinten sît diu wîp, S. 129. 316 Vgl. Mathias SCHMOECKEL, [Art.] Waffenrecht; Ursula SCHULZE, Sie ne tet niht alse ein wîb, S. 258.

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im Kampf stellte auf dieser Grundlage einen hochsymbolischen Akt dar; wenn Frauen zu Waffen griffen und / oder zu Kämpferinnen mutierten, bedeutete dies einen massiven Eingriff in die bestehende Geschlechterordnung. Gleichwohl war das Bild der kämpfenden Frau der zeitgenössischen Kultur nicht fremd: Präsent war etwa der aus der Antike überlieferte Stoff von waffentragenden und gewalttätigen Amazonen, der als geographischer Mythos und literarische Fiktion auch im Mittelalter vielfach Verbreitung in lateinischen und volkssprachlichen Texten fand.317 In der Ausgestaltung der literarischen Allegorie der Frau Minne als waffenführender Kämpferin wurden in ähnlicher Weise Elemente der antiken Mythologie aufgegriffen.318 Auch in der mittelhochdeutschen Literatur finden sich weitere Figurationen weiblichen Kämpfertums319; erinnert sei hier für die höfische Epik beispielhaft an Brünhild im Nibelungenlied320 oder Gyburg in Wolfram von Eschenbachs Willehalm.321 Frauen, die Waffen tragen, nicht selten auch in ihrer Funktion als Herrscherin, sind historisch in Einzelfällen für kriegerische Krisenzeiten des späteren Mittelalters bezeugt322; insbesondere während der Ausnahmesituation der Kreuzzüge vollzog sich eine Art von ,Militarisierung‘ des weiblichen Geschlechts.323 Philosophisch-geistesgeschichtlich können entsprechende Weiblichkeitsentwürfe in der Traditionslinie des frühchristlichen Ideals der mulier virilis verortet werden: Durch eine Anverwandlung an das männliche Geschlecht sollten diesem Konzept zufolge Frauen ihre eigene minderwertige Daseinsform veredeln und vervollkommnen; das in der Spätantike entwickelte ethische Modell wirkte auf diese Weise als theologisches Wissen bis in das hohe und späte Mittelalter hinein und beeinflusste so auch die literarische Darstellung entsprechender Frauenge-

317

Vgl. zur mittelalterlichen Amazonendarstellung z. B. Eva SCHÄUFELE, Normabweichendes Rollenverhalten, S. 156–190; Helmut BRACKERT, Androgyne Idealität; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 237–244; Ursula SCHULZE, Sie ne tet niht alse ein wîb; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, ez ist ein rehtez wîphere; Christa TUCZAY, „femina armata – armis feminae“; Christine REINLE, Exempla weiblicher Stärke?. 318 Vgl. Hildegard Elisabeth KELLER, Diu gewaltaerinne minne. 319 Zum Thema ,Krieg und Frauen‘ in der mittelhochdeutschen Literatur allgemein vgl. Elisabeth LIENERT, daz beweinten sît diu wîp. 320 Vgl. zur Brünhild-Figur etwa Eva SCHÄUFELE, Normabweichendes Rollenverhalten, S. 98–115, 152–155; gegen einen Vergleich zwischen der Figur Brünhilds und den Amazonendarstellungen plädierend (vgl. ebd., S. 11f.), Elisabeth LIENERT, Geschlecht und Gewalt im ,Nibelungenlied‘; vgl. zuletzt auch Ursula SCHULZE, Brünhild – eine domestizierte Amazone; DIES., Amazonen und Teufelinnen. 321 Vgl. dazu etwa Eva SCHÄUFELE, Normabweichendes Rollenverhalten, S. 36–97; Ursula LIEBERTZGRÜN, Das trauernde Geschlecht. 322 Vgl. Ursula SCHULZE, Sie ne tet niht alse ein wîb, S. 257–259; Christine REINLE, Exempla weiblicher Stärke?, S. 24–28; Petra HEITFELDT, Durchbrochene Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit. 323 Vgl. Ursula SCHULZE, Sie ne tet niht alse ein wîb, S. 257; Helen SOLTERER, Figures of Female Militancy in Medieval France, S. 534–543.

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stalten.324 Generell gilt jedoch, dies sei hier noch einmal betont, dass eine kämpfende Frau in der historischen Realität den normativen Vorgaben der gesellschaftlich dominanten, christlich geprägten Geschlechterentwürfe widersprach und daher in aller Regel von ihrem Umfeld kritisch beäugt werden musste.325 Im vorliegenden Zusammenhang konzentriere ich mich auf solche Texte aus dem Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen, in denen Frauenfiguren entweder selbst zu Waffen greifen oder aber in männlich codierten Kampfritualen, wie dem höfischen Turnier, agieren, um ihre Wehrhaftigkeit unter Beweis zu stellen bzw. ihre Ziele mittels eines Kampfes durchzusetzen. Ein Aspekt, der nicht eingehend untersucht werden soll, sind hingegen kontextunabhängig zu beobachtende (geschlechtsspezifische) Formen von Gewaltausübung, wie sie im zugrunde liegenden Textkorpus immer wieder in vielfältiger Form erscheinen.326 Da für Bewaffnung und Kampf häufig auch ein Kleiderwechsel konstitutiv ist, ergänzen die folgenden Untersuchungen die Ergebnisse zu den einschlägigen Erzählungen von weiblichem cross-dressing.327 Neben dem Nonnenturnier (FB 93) sollen in diesem Kapitel Heinrich von Landshuts Traum am Feuer (FB 55) und Das Frauenturnier (FB 39) schwerpunktmäßig behandelt werden. a.

Das Nonnenturnier (FB 93)

Die späte, im Karlsruher Codex 408 unikal und anonym überlieferte Verserzählung von dem Nonnenturnier (FB 93) wird in der Forschung den priapeischen Texten des Genres zugerechnet, insofern ein anthropomorphisiertes (sprechendes) Genitale, hier der zagel eines Ritters, das zentrale Handlungsmovens verkörpert.328 Über die Entstehungszeit 324

Vgl. Kerstin ASPEGREN, The Male Woman; Claudia BRINKER-VON DER HEYDE, ez ist ein rehtez wîphere, S. 409–411; Hildegard Elisabeth KELLER, Diu gewaltaerinne minne, S. 23–26; Christine HAAG, Das Ideal der männlichen Frau in der Literatur des Mittelalters. 325 Vgl. hierzu Christine REINLE, Exempla weiblicher Stärke?, S. 23–30. 326 Überblickt man die dargestellten Formen von Gewaltanwendung in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, so scheint es, als stünden vielfach Formen männlicher Körpergewalt Formen weiblicher Sprachgewalt entgegen; vgl. zum Themenkomplex ,Gewalt‘ in der mittelhochdeutschen Verserzählung in chronologischer Folge etwa Hans-Jürgen BACHORSKI, Ehe und Trieb, Gewalt, Besitz; Klaus GRUBMÜLLER, Der Tor und der Tod; Hans-Jürgen BACHORSKI, Das aggressive Geschlecht; Johannes KELLER, Norm – Lachen – Gewalt; Mireille SCHNYDER, Märenforschung und Geschlechterbeziehungen; Albrecht CLASSEN, Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Unterdrückung und Sexualität; Mireille SCHNYDER, Schreibmacht vs. Wortgewalt; Katja ALTPETER-JONES, Gewaltige Bilder; vgl. zu diesem Themenkomplex auch das Fazit in Kapitel 4.2.2.d. – Sehr häufig findet sich auch eine Verquickung von Gewalt- und Sexualitätsdiskurs (vgl. ebenso Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 275), in extremer Weise manifestiert sich diese Verbindung in der Thematisierung von Vergewaltigung und Kastration. 327 Vgl. Kap. 4.1.2 der vorliegenden Arbeit. 328 Vgl. zu dieser Textgruppe Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97, der außer dem Nonnenturnier (FB 93) folgende Textbeispiele nennt: Der Preller (FB 97), Der Striegel (FB 128), Der verklagte Zwetzler (FB 148) sowie Heinrich von Landshuts Der Traum am Feuer

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des Textes, der aufgrund seiner sorglosen formalen Gestaltung dem frühen 15. Jahrhundert zugerechnet wurde, kann letztlich nur spekuliert werden.329 Das sexualisierte Handlungsgeschehen wird vom Erzähler im Promythion (FB 93, V. 1–11) in einen geselligen Kontext des Geschichtenerzählens gerückt: Der Text setzt ein mit einem Appell an die Zuhörerschaft, ihre Aufmerksamkeit von Tanz und Musik abzuwenden: „wir sollen nu abenteur sagen“ (FB 93, V. 10), lautet die Aufforderung des Erzählers, mit der er seinen eigenen nun folgenden Vortrag einleitet.330 Seiner Auffassung nach verspreche dieser weitaus mehr Kurzweil als der vorherige Zeitvertreib der Gesellschaft (vgl. FB 93, V. 8f.). Überaus offenherzig exponiert der Erzähler in der folgenden narratio die Figur eines Ritters, dem das bereits erwähnte zentrale Genitale eignet, das im mittelhochdeutschen Titel des Textes, „Der turnei von dem zers“331, fokussiert wird. Gleich einer literarischen Präfiguration des Giacomo Casanova zeichnet sich der beliebte Ritter frech (vgl. FB 93, V. 12) und „frei“ (FB 93, V. 28) weniger durch seinen Kampfesmut aus als vielmehr durch die stattliche Summe seiner Bettgenossinnen, auf der sein Ruhm als begehrter Frauenheld gründet.332 Dabei bedarf es offenkundig keiner besonderen Anstrengungen seinerseits, um die Damen für sich zu gewinnen, denn diese geben sich ihm aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten willfährig hin (vgl. FB 93, V. 12–38). Ein dramatischer Konflikt bahnt sich an, als eine Dame, die der Ritter lange Zeit verschmäht hat, dann aber doch noch mit einer gemeinsamen Nacht beglückt wird (vgl. FB 93, V. 39–74), von seiner erotischen Zuwendung so angetan ist, dass sie ihn um jeden Preis von seiner Gewohnheit abbringen will, sich nur jeweils für eine einzige Nacht

(FB 55); vgl. weiterführend Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 149–151; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1331f.; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 275f., 288f.; Gerd DICKE, Mären-Priapeia, passim; Hans Rudolf VELTEN, Groteske Organe, S. 238–249; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 223– 238. – Auf die im Zusammenhang mit dem Nonnenturnier (FB 93) immer wieder thematisierten Texte Der Rosendorn (vgl. FM, Nr. A 4a, S. 444–460; Nr. A 4b, S. 445–461) und Gold und Zers (vgl. FM, Nr. A 3a, S. 431–438; Nr. A 3b, S. 439–443) gehe ich hier nicht ein, da sie nicht bzw. nicht zum Kern des von mir behandelten Textkorpus zu zählen sind. – Der Aufsatz zum Nonnenturnier (FB 93) von Albrecht CLASSEN, Sexual Desire and Pornography, konnte für die vorliegende Fassung der Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. 329 Zu den philologischen Grundlagen vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1330f. Er verweist auf eine literarische Parallele bei Aelred von Rievaulx; vgl. ebd., S. 1333. 330 Hierin sieht Werner WILLIAMS-KRAPP mit Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 272f., eine Reminiszenz an das von Boccaccio bekannte „,Novellieren‘ als Gesellschaftsspiel“ (Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Das Nonnenturnier‘, Sp. 1181); vgl. ebenso Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 152. 331 Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 944. 332 Nicht nachvollziehbar ist deshalb m. E. die schematische Deutung der Szene als eine Kraft- und Liebesprobe zwischen einer listenreichen Frau und einem sexuell naiven Mann – vgl. Monika JONAS, Der spätmittelalterliche Versschwank, S. 45.

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auf eine bestimmte Frau einzulassen (vgl. FB 93, V. 32; 69f.; 97)333; in dieser Marotte des Ritters zeigt sich wiederum deutlich die Verwandtschaft zur neuzeitlichen literarischen Figur des Don Juan.334 Weder das eindringliche Bitten der Dame noch ihre Drohung, seine Verweigerung an die Öffentlichkeit zu bringen (vgl. FB 93, V. 88) und ihn allen Frauen abspenstig zu machen, indem sie aus ihm „einen swachen man“ (FB 93, V. 91) machen und ihn rücksichtslos „schenden“ (FB 93, V. 107) werde, führen zum gewünschten Erfolg (vgl. FB 93, V. 75–92; 105–108): Denn der Ritter tut kund, dass ein längeres oder wiederholtes Verweilen bei der Dame unweigerlich den Verlust seiner Ehre oder gar seines Lebens nach sich zöge (vgl. FB 93, V. 98–104). Eine weitere Begründung für diese Behauptung liefert er nicht. Diese in ihrer Drastik zunächst unverständliche Äußerung wird in ihrer Bedeutung erst klar, wenn der Ritter erläutert, dass sein gesamter Daseinszweck – gleichsam in psychischer Zwanghaftigkeit – darin bestehe, die Gunst der Frauen zu erlangen: „ich muß der frauwen hulde haben, / solt mich darumb begraben.“ (FB 93, V. 139f.). Mann und Frau können so zueinander nicht kommen. Der klugen Dame, die sich nun rächen will335, ist der neurotische Ritter jedoch nicht gewachsen. Entgegen jeder Handlungslogik und Motivationspsychologie336 stellt es der Erzähler so dar, dass es ihr gelingt, ihm einzureden, dass sie genau wisse, wie seine Gunst bei den Frauen befördert werden könne (vgl. FB 93, V. 109–135). Er besitze nämlich „ein kleinot“ (FB 93, V. 109) – gemeint ist nichts anderes als sein Genitale –, das ihn allen Frauen verhasst machen würde. Dessen Entfernung, die ihn aufgrund ihrer besonderen Heilkünste nicht das Leben koste (vgl. FB 93, V. 130–134), trüge zu seinem dauerhaften Erfolg in der Frauenwelt bei: ja solt ir in versteinen, den zwischen euwern beinen, so müsten euch alle frauwen loben und nach euch wüten und toben und gewünne wirde und ere. (FB 93, V. 125–129)337

333

Monika GSELL begründet die massive Enttäuschung der Dame in ihrer an Jacques Lacan geschulten Lektüre mit dem Gefühl der eigenen Mangelhaftigkeit, das sich bei der Frau einstelle; vgl. Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo, S. 319–321. 334 Vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 153; DICKE, Mären-Priapeia, S. 274. 335 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 235. Weil die Dame gekränkt ist, muss man in ihrer Rache keinen Widerspruch in der Handlungsführung sehen wie Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 264f., Anm. 76, es tut. 336 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1333; Christoph FASBENDER / Cordula KROPIK, Der turney von dem czers zwischen Kohärenz und Ambiguität, S. 344–353, die alle Widersprüche der ersten Texthälfte systematisch aufarbeiten. 337 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Verwendung des Verbs „versteinen“ (FB 93, V. 125), das einerseits „mit steinen töten, steinigen“, andererseits aber auch „zu stein, hart wie ein stein werden, erstarren, verstocken“ bedeuten kann (vgl. LEXER, Bd. 3, Sp. 249f.). Klaus GRUBMÜLLER

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Tatsächlich fallen diese Worte bei dem Ritter auf fruchtbaren Boden und stürzen ihn in eine Identitätskrise338, die er nicht konstruktiv lösen kann. In einer grotesken Szene beginnt der Ritter mit dem „edeln freien“ (FB 93, V. 153), seinem – nun auch sprechenden – Genitale, einen Disput über dessen Existenzberechtigung. Am Ende des Zwiegesprächs hat das Geschlechtsteil der rhetorischen Überlegenheit seines Trägers nichts mehr entgegenzusetzen, so dass der Ritter es in blindem Gehorsam gegenüber dem Rat der Dame von seinem Leib abtrennt (vgl. FB 93, V. 149–242).339 In aufwendiger Rhetorik begründet er diesen Schritt damit, dass die Anwesenheit des zagels seine Liebespartnerinnen nur unnötig verschrecke (vgl. FB 93, V. 155–180), folglich sei dieser nutzlos wie eine „ungiftige slange“ (FB 93, V. 155). Als „vergrünter, schalkhaftiger böswicht“ (FB 93, V. 206) solle er sein künftiges Dasein in einem Kloster unter einer Treppe fristen, wo er sich langweile, wo „süde und verchergetrank“ (FB 93, V. 216) auf ihn herabtropften, so dass die Passanten auf ihm ausrutschen würden (vgl. FB 93, V. 204– 224).340 Diese Drohung macht der Ritter trotz massiver Vorwürfe seines Genitales wahr, das ihn im Gegenzug großer Undankbarkeit bezichtigt (vgl. FB 93, V. 181–198). Zunehmend treten beide Disputanten sodann in ein Konkurrenzverhältnis, wenn der zagel seinen Träger nämlich noch dazu provoziert, künftig getrennte Wege zu gehen, indem er sich damit brüstet, selbst am meisten davon zu profitieren (vgl. FB 93, V. 199–202). Nach durchgeführter Operation und medizinischer Versorgung deponiert der Ritter den zagel schließlich in einem Nonnenkloster, in dem 50 Schwestern leben (vgl. FB 93, V. 225–247). Außergewöhnlich ist an der skizzierten Darstellung der Kastrationsszene zum einen, dass hier eine Selbstkastration vollzogen wird; zum anderen ist bemerkenswert, dass es sich bei dem betroffenen Mann nicht, wie bei analogen Beispielen in der

(Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 951, übersetzt im ersteren Sinne. Im letzteren Verständnis hingegen bezöge sich die Aufforderung der Dame auf eine vorherige Impotenz des Ritters, symbolisch ließe sich der Ausdruck mit dem Medusa-Mythos in Verbindung bringen, wie er in der Psychoanalyse interpretiert wird. Demnach versinnbildlicht der versteinernde Blick der Medusa eine gefürchtete Kastrationsdrohung. Vielleicht spielt der Text auch bewusst mit dieser Doppeldeutigkeit des Verbs ,versteinen‘; vgl. Christoph FASBENDER / Cordula KROPIK, Der turney von dem czers zwischen Kohärenz und Ambiguität, S. 345f. und Anm. 15f. 338 Vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 157; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 284. 339 Als einen Kernpunkt der Erzählung beschreibt Klaus GRUBMÜLLER, Wolgetan an leibes kraft, S. 206, diese Szene, die für ihn eine programmatische Destruktion des ritterlichen Körpers versinnbildlicht. 340 In dieser Szenerie kann eine mögliche Parodie der Lebensgeschichte des heiligen Alexius gesehen werden, der Teile seines Lebens nach der Legende ebenfalls unter einer Klostertreppe fristete; vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 158, Anm. 25; Klaus GRUBMÜLLER, Novellistik des Mittelalters (Hrsg.), S. 1336f., Kommentar zu V. 216f.; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 283, 292, Anm. 32; Hans Jürgen SCHEUER, Schwankende Formen, S. 758f.

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mittelhochdeutschen Verserzählung der Fall, um einen (geistlichen) Ehebrecher, sondern um einen vagabundierenden Ritter handelt.341 Es ist nicht zuletzt, um wieder auf den Fortgang der Handlung zurückzukommen, die provokante Herausforderung des zagels selbst, die den Ritter dazu bringt, sich von seinem Geschlechtsteil zu lösen. Tatsächlich bestätigt sich die Prophezeiung des zagels in kürzester Zeit, wenn der Ritter das erwartete „botenbrot“ (FB 93, V. 254) bei seiner Gönnerin abholen möchte, stattdessen jedoch lediglich eine Abfuhr in Form von einer Tracht Prügel erhält (vgl. FB 93, V. 249–269).342 Unterstützt wird die zur „valentinne“ (FB 93, V. 264) mutierte Dame bei ihrer Racheaktion – in erzähltechnisch weiterer absurder Steigerung des grotesken Geschehens – durch mehr als hundert Frauen, die den einfältigen Ritter unter Gewaltanwendung aus der Stadt mit dem orientalisch anmutenden Namen „Saraphat“ (FB 93, V. 278)343 in die Wildnis hinaus jagen (vgl. FB 93, 341

Darauf hat zuletzt Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 268–271, aufmerksam gemacht. Der gleiche BeBefund gilt zudem, wie DICKE aufweist, für die französischen Fabliaux. – Kastrationsszenen finden sich (vgl. hierzu den auf die europäische Tradition sich erstreckenden Überblick von Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 268–280) bei den mittelhochdeutschen Verserzählungen in Heinrich Kaufringers Rache des Ehemannes (FB 67k), Hans Rosenplüts Hasengeier (FB 105d) und in der Wolfsgrube (FB 105l) des gleichen Autors – drei Texte, in denen ein geistlicher Ehebrecher durch die Kastration bestraft wird. Eine Kastration droht überdies den ehebrecherischen Geistlichen im Herrgottschnitzer (FB 62) sowie dem Hans Rosenplüt zugeschriebenen Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b), wird jedoch in beiden Texten schließlich nicht vollzogen. Im Hasenbraten des Vriolsheimers (FB 135) befürchtet der geistliche Ehebrecher die gleiche Strafe, welche jedoch ebenfalls nicht zur Ausführung gelangt. Wie in Kap. 2.2.1.a der vorliegenden Arbeit gezeigt, handelt es sich bei dem kastrierten Ehemann in Heinrich Kaufringers Version B der Drei listigen Frauen (FB 67e) – nebenbei bemerkt der einzigen Kastrationsszene in der breiten Stofftradition der Drei listigen Frauen (vgl. Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 271f.) – ausnahmsweise nicht um die typische Figur des kastrierten ehebrecherischen Geistlichen. Dies hat die Erzählung mit dem Nonnenturnier (FB 93) gemeinsam, wo im Unterschied zu dem kaufringerschen Text jedoch, wie dargelegt, eine Selbstkastration vorliegt. Eine fingierte bzw. angedrohte Kastration findet sich zudem schließlich in Sibotes Frauenerziehung (FB 121) (vgl. Kap. 2.1.1.b der vorliegenden Arbeit) sowie in der Erzählung Der verklagte Zwetzler (FB 148). – DICKE hat des Weiteren herausgearbeitet, dass die Verwendung des Kastrationsmotivs im Nonnenturnier (FB 93) eine Tendenz einleitet, die sich in frühneuzeitlichen Texten zunehmend durchgesetzt habe, nämlich die Steigerung der Motivs ins Witzige und Abstruse; vgl. Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 274–280. – Zur Kastrationsszene vgl. ferner Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1331f.; Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 224f., 235f.; Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo, S. 321–329; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 225. 342 Zwischen V. 269 und V. 271 klafft eine Lücke in dem einzig überlieferten Textzeugen; es fehlt der Bericht darüber, wie es zu der Unterstützung der höfischen Dame durch ihre Geschlechtsgenossinnen kommt, wie sie im Folgenden geschildert wird. 343 Nach Peter STROHSCHNEIDER ist dies vermutlich eine Anspielung auf die Stadt Sarepta in Kanaan, das im Alten Testament als Ort zügelloser Kulte und einer freizügigen Lebensweise gilt; vgl. entsprechend Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 163f., Anm. 28; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1337f., Kommentar zu V. 278; Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 309, Anm. 93; Hans Jürgen SCHEUER, Schwankende Formen, S. 756–758.

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V. 271–278). Dort, so weiß der Erzähler zu berichten, habe der Ritter bis zu seinem Lebensende noch 34 Jahre lang in einer einsamen Waldhöhle gelebt, die zu verlassen er wegen der ihm zuteil gewordenen Schande nicht gewagt habe (vgl. FB 93, V. 279–288). Verschwinden Ritter und höfische Damen und damit die karikierende oder sozialkritische Thematisierung des höfischen Minne-Modells344 aus dem Blickfeld der Erzählung, deren erste Hälfte damit abgeschlossen ist345, widmet sich der zweite Teil der narratio (FB 93, V. 289–602) ausschließlich dem weiteren Schicksal des zagels, der, nachdem ihn die Nonnen in ihrem Kloster entdeckt haben, als gemeinsames Objekt der weiblichen Begierde zum Zankapfel der Ordensgemeinschaft avanciert. Dieser umfangreichere Teil des Textes bestätigt somit die herausgehobene Bedeutung des zagels für die gesamte Geschichte. Das Geschehen verlagert sich in diesem Textteil von der höfisch-laikalen Sphäre eines pervertierten Minnekultes in die religiöse Umgebung eines Frauenklosters, das sich aber nicht als intakte Gegenwelt präsentiert, sondern gleichfalls durch ungeordnete, chaotische Zustände auszeichnet. Hier gewinnt die priapeische Erzählung eine nahezu pornographische Qualität, einhergehend mit einer Simplifizierung der weitgehend sinnentleerten Handlungsstruktur, die an psychologischer Plausibilität kaum noch interessiert zu sein scheint. Nach einem Jahr des unwirtlichen, den Witterungsverhältnissen ausgesetzten Lebens unter der Klostertreppe fühlt sich der ,adlige‘ zagel (vgl. FB 93, V. 294) dem Tode nahe (vgl. FB 93, V. 291–298). Um seiner traurigen Situation und ausweglosen Lage ein Ende zu setzen, beschließt er, sich am nächsten Morgen in den Kreuzgang zu begeben346 – selbst auf die Gefahr hin, von den Nonnen vernichtet zu werden (vgl. FB 93, V. 299– 306). Nun trägt es sich jedoch zu, dass er sich beim Herannahen der „frauwen“ (FB 93, V. 310) und „nunnen“ (ebd.) „an gever“ (FB 93, V. 313) aufrichtet, so dass sich ihre Aufmerksamkeit auf das männliche Körperteil richten muss (vgl. FB 93, V. 307–316). Der Rest der narratio beinhaltet sodann die abstrusen Diskussionen und Streitigkeiten der Nonnen darüber, wie mit dem Eindringling zu verfahren sei, sowie die Schilderung der ergebnislosen Versuche, sich des zagels durch Gewalt oder auch behutsame Zuwen-

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Vgl. Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 219–225; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 288; Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 267f., 273. 345 Die Zweiteilung wird durch einen parallel gestalteten Einsatz des Erzählers deutlich markiert; vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 154; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1331. – Zu Recht bemerken Christoph FASBENDER / Cordula KROPIK, dass FISCHER mit seiner Titulierung der Bedeutung der ersten Hälfte des Textes nicht gerecht werde; vgl. Christoph FASBENDER / Cordula KROPIK, Der turney von dem czers zwischen Kohärenz und Ambiguität, S. 343, Anm. 9; allerdings betont auch die mittelhochdeutsche Überschrift bereits den zweiten Teil der Erzählung. – Inhaltlich korrespondiert die Zweiteilung des Textes mit derjenigen des ritterlichen Körpers in der Kastrationsszene, so dass die Identitätsproblematik dieser Figur in den Fokus rückt; vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 156–160. 346 Er begibt sich nicht, wie Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 225, formuliert, in die Frühmesse der Nonnen.

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dung zu bemächtigen (vgl. FB 93, V. 315–602). Diese Darstellung psychoanalytisch im Sinne einer Ventilfunktion auf die zölibatäre Lebenspraxis im Kloster zu beziehen, liegt nahe: Die unterdrückten Triebe lassen die Klosterfrauen angesichts der greifbar scheinenden Erlösung durch das männliche Genitale zu hysterischen Furien werden, die ihre animalischen Instinkte nicht mehr unter Kontrolle halten können.347

Unter Berufung auf den klösterlichen Gemeinschaftsgedanken (vgl. FB 93, V. 387f.) wehren sich die Frauen aber dagegen, den zagel nur einer einzigen zugute kommen zu lassen (vgl. FB 93, V. 317–395). Auf Geheiß der Äbtissin wird daher noch für den Mittag ein heimliches Turnier hinter den Klostermauern ausgerufen, dessen Preis der Gewinn des zagels darstellen soll (vgl. FB 93, V. 396–414). Auf ein weiches Samtkissen gebettet, wird das Objekt der Begierde von der Äbtissin auf den Turnierplatz getragen (vgl. FB 93, V. 415–420), gefolgt von der Schar der Nonnen, die ein Banner mit einem nackten Mann bei sich führt (vgl. FB 93, V. 421–434). Der zagel wird mitsamt einer Fahne auf dem Platz aufgepflanzt und von den grinsenden, gleichsam die Zähne fletschenden erwartungsfrohen Nonnen348 umzingelt (vgl. FB 93, V. 435–442).349 Das zunächst noch geregelte Zeremoniell des Turniers350, dessen eigentümliche Ritualisierungen normalerweise eine Kontrollfunktion haben und den Ausbruch ungezügelter Gewalt gerade verhindern sollen, artet unter der weiblichen Ägide sogleich in eine wüste Prügelei aus, denn 24 durch den Gedanken an den Besitz des zagels völlig entfesselte Nonnen stürmen gleichzeitig den Kampfplatz (vgl. FB 93, V. 443–471). Die Lage wird noch unübersichtlicher, als sich nach Stunden des erfolglosen Kampfes (vgl. FB 93, V. 457–459) „geleich zwainzig klonstermait“ (FB 93, V. 496)351 in das Kampf347

Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 172. Vgl. entsprechend die Übersetzung von Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 969, V. 435–439. 349 Das literarisch verbürgte Motiv des Frauenturniers erscheint zunächst in der französischen Literatur seit dem Ende des 12. Jahrhunderts; vgl. William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 131–133. – Eine motivische Verwandtschaft mit anderen Darstellungen turnierender Frauen bzw. der Verbindung von männlichem Genitale und Turnierkampf, wie wir sie in den folgenden Kapiteln bei der Analyse zweier mittelhochdeutscher Verserzählungen kennenlernen werden, schließt GRUBMÜLLER tendenziell aus; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1332. 350 Wie andere Formen des bewaffneten Kampfes war auch das Turnier lediglich Männern vorbehalten und diente vorrangig der ritterlichen Selbstbestätigung; vgl. Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 214f. 351 Es ist nicht geklärt, ob es sich bei diesen Frauen oder Mädchen, die auch als „dirne frei“ (FB 93, V. 472) bezeichnet werden, um „Dienstmädchen“ (Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 155; vgl. zudem ebd., S. 160), „Laienschwestern“ (Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 274, Anm. 224) oder um eine Art von Klosterschülerinnen (vgl. Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 528, Kommentar zu V. 472; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1339, Kommentar zu V. 472), „Novizinnen“ (Edith WEN348

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getümmel stürzen und den kämpfenden Nonnen arg zusetzen (vgl. FB 93, V. 472–507). Die ausgedehnte Kampfesschilderung kulminiert in der Darstellung dreier Zweikämpfe, die durch das skrupellose und brutale Agieren der beteiligten Frauen gekennzeichnet sind; es kämpfen Äbtissin und Küsterin (vgl. FB 93, V. 508–524), eine Nonne und ein Klosterfräulein namens Adelheid (vgl. FB 93, V. 525–545) sowie eine alte und eine junge Nonne (vgl. FB 93, V. 546–562) gegeneinander. In der Beschreibung dieser Kämpfe wird gezeigt, wie die Klosterbewohnerinnen jeglichen Respekt vor den geltenden ethischen Normen verlieren: Die Damen verstoßen massiv gegen die Regeln des höfischen Benehmens, die ritualisierte Ordnung des Turnierkampfes, ihre asketischen Ordensregeln, die Würde ihres Amtes und soziale Hierarchien, die Ehrerbietung gegenüber dem höheren Lebensalter oder persönliche Treuebindungen, die im Rahmen eines Erziehungsverhältnisses entstanden sind.352 Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Kämpferinnen das für die mittelalterliche Geschlechtertrennung konstitutive Privileg, Waffen zu führen, allerdings nicht anmaßen. Auch die Schar angestachelter Frauen, die den Ritter in die Wildnis verjagt, benutzt zu diesem Zweck mit „rocken“ (FB 93, V. 271) und „stecken“ (ebd.) weiblich codierte Haushaltsutensilien, nicht jedoch kampf- und kriegstaugliche Waffen i. e. S. Der Kampf der Nonnen, denen im Kloster Waffen ohnehin nicht zur Verfügung stehen, wird ausschließlich durch primitive körperliche Gewaltanwendung geführt, wobei die Frauen nahezu animalische Qualitäten entwickeln (vgl. z. B. FB 93, V. 513– 518). Das grundlegende Ordnungsprinzip einer exklusiv männlichen Waffen- und Wehrfähigkeit wird also nicht angetastet, die in der Erzählung entfaltete Pervertierung der Welt als Negativ des normativen Weltbildes353 macht vor einer weiblichen Aneignung des Prinzips gewissermaßen halt. Die eigentliche Grenzüberschreitung erfolgt im Nonnenturnier (FB 93) in anderer Form: erstens, indem sich Frauen, die zwar adliger Herkunft, aber geistlicher Standeszugehörigkeit sind, mit dem Turnier ein rein männlich und zudem explizit laikal codiertes Handlungsfeld zueignen. Eine geschlechtsspezifische Inversion erfolgt dementsprechend bei dem Preis des ,Turniers‘, der hier nicht eine schöne Dame darstellt, sondern den auf seine Geschlechtsfunktion reduzierten Körper(teil) eines höfischen Ritters.354 Insofern das von den Frauen angesetzte Turnier aus den Fugen gerät, ja nicht einmal mehr der ausgesetzte Preis vergeben werden kann, löst

ZEL,

Zers und fud als literarische Helden, S. 283) bzw. „Anwärterinnen, Bedienstete“ (Klaus GRUBDie Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 237) handelt. 352 Vgl. ähnlich Edith WENZEL, ebd., S. 286, 293. – Die in diesem Zusammenhang über die Brücke der Siebenzahl formulierte Verbindung zwischen den dargestellten Nonnentypen und religiösen Praktiken und Deutungsmustern der Mystik, wie SCHEUER sie vornimmt, vermag nur bedingt zu überzeugen; vgl. Hans Jürgen SCHEUER, Schwankende Formen, S. 760f. 353 Vgl. Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 216f., 221, 227f., 235–238; Edith WENZEL, ebd., S. 286f., 293. 354 Vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 161. MÜLLER,

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sich die weibliche ,Gegenordnung‘ aber wieder auf und entzieht sich auf diese Weise selbst das Fundament.355 Weil die entsprechenden Szenen einer übermäßigen Sexualisierung unterliegen, ist ihre inhärente Zielsetzung in der Forschung sehr häufig darauf reduziert worden, die erotischen Projektionen des mittelalterlichen Publikums inklusive sadomasochistischer Wunschphantasien zu bedienen. Aus diesem Grunde wurde die Verserzählung auch „zu den gröbsten Schwänken der dt. Novellistik“356 gezählt. Die erläuterte Sexualisierung der Kampfesschilderung wird u. a. dadurch erzielt, dass der Text, wie bereits in ähnlicher – wenn vielleicht auch in weniger drastischer – Weise in anderen Verserzählungen gesehen, durchgängig mit einer doppeldeutigen Jagd-, Waffen-, Kampf- und Turniermetaphorik spielt, die plakativ auf die sexuellen Motive der literarischen Figuren Bezug nimmt. Dies betrifft die Aktivitäten des Ritters im ersten Teil der Erzählung („waidenlichen mit dem sper / kond er wol in turnei“ (FB 93, V. 26f.))357 ebenso wie seine Vertreibung durch die Frauengruppe aus der Stadt Saraphat „mit rocken und mit stecken“ (FB 93, V. 271).358 In besonderer Weise ist aber der Kampf der Nonnen im zweiten Teil des Textes von dieser Metaphorik durchdrungen. Nur beispielhaft seien hier einige der einschlägigen Textstellen aufgeführt: Eine „scharpfe nunne herte“ (FB 93, V. 333) treibt den zagel mit einer „gerte“ (FB 93, V. 334) in ihre Zelle, eine andere verwendet zu dem gleichen Zweck „ein starkes spitz holz“ (FB 93, V. 340), eine dritte schlägt ihn sechs Mal (!) lachend „mit einem reisentrum“ (FB 93, V. 348), eine vierte „mit einem federwische“ (FB 93, V. 352). In der wechselseitigen Gewaltausübung der Nonnen im Verlauf der Kampfesschilderung setzt sich diese gestaltungstechnische Tendenz weiter fort. Erhärten ließe sich die These von einem vorrangig ,pornographischen‘ Interesse des Textes mit dem Argument seines abrupten Schlusses. Lapidar und relativ unvermittelt konstatiert der Erzähler, dass der zagel schließlich „undergeslagen / und dieplich auß dem turnei getragen“ (FB 93, V. 563f.) wird359, so dass das „turnei“ (FB 93, V. 568) 355

Vgl. ebd., S. 161–163; Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 293–295, 300 und passim, der schlussendlich allerdings von einem scheinhaften Erhalt der klösterlichen Ordnung ausgeht und einer stabilisierenden Funktion des Dargestellten qua Negation. 356 Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Das Nonnenturnier‘, Sp. 1181. 357 Vgl. Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur, S. 87; Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 220. 358 Vgl. Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 285, 292. 359 Hier hinterlässt der Text eine signifikante Leerstelle, indem über den Verbleib des zagels nichts ausgesagt wird (vgl. Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur, S. 96 und Anm. 21; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 283, 293, Anm. 42; Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo, S. 332f.); es wird indessen weder etwas über ein etwaiges Ende des zagels ausgesagt, wie Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 264f., Anm. 76, unterstellt, noch explizit darüber, dass ihn eine einzelne Nonne heimlich an sich genommen hätte (vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 171; vgl. ähnlich Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 227).

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nicht zu einem „streit“ (ebd.) ausartet. Diese Aussage ist allerdings sehr euphemistisch in Anbetracht des realen Turnierverlaufs; sie steht zudem in Widerspruch zu anderen Textstellen, an denen der Erzähler die Ereignisse des Klosters durchaus als „krieg“ (FB 93, V. 248; 602) unter den Frauen definiert. Die gemeinsame Niederlage sowie der erlittene Verlust von „ere und zucht“ (FB 93, V. 592) führen zu einer Versöhnung der Nonnen, welche die beteiligten „dirn“ (FB 93, V. 597) dazu anhalten, über die peinlichen Geschehnisse Stillschweigen zu bewahren (vgl. FB 93, V. 567–601).360 Eine Lehre oder ein Epimythion werden nicht formuliert, lediglich wird von der fortdauernden Friedfertigkeit der Nonnen berichtet: „kein krieg wart nimmermer“ (FB 93, V. 602).361 So wie eine abschließende Instruktion des Publikums fehlt, ergibt sich auch aus den wenigen Erzählerkommentaren kein klares Bild zur Beurteilung der dargestellten Handlungsweisen: Einmal beschwört der Erzähler die fehlende Maßlosigkeit des Ritters (vgl. FB 93, V. 141–148), ein anderes Mal tituliert er die rasende Dame als „die bösen frauwen“ (FB 93, V. 250) und nennt sie „verflucht valentinne“ (FB 93, V. 264). Das Treiben der Nonnen wird als „schand laster“ (FB 93, V. 395) verunglimpft, aber auch die „grosse missetat“ (FB 93, V. 268) des Ritters wird gebrandmarkt. Diese Ambivalenz in der Kommentierung sowie die Skurrilität der Geschichte erschweren es, ein tragfähiges Verständnis des Textes zu entwickeln. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass die Positionen bezüglich seiner literarischen Qualität sehr stark divergieren. So hat sich die Forschung, ausgehend von der Idealvorstellung eines in sich geschlossenen erzählerischen Konzepts, angesichts der Abstrusität der Handlung im Nonnenturnier (FB 93) lange Zeit von der Annahme leiten lassen, es handele sich um einen Text von minderwertiger literarischer Qualität.362 Begründet wurde dies mit der undurchsichtigen Handlungsführung, dem mangelnden Bemühen des Aufbaus um Kausalität, der Dominanz der erotischen Thematik und erzählerischen Inkonsistenzen in auffälliger Zahl, um nur einige der vermeintlichen ästhetischen Defizite zu benennen: „Das ,Nonnenturnier‘ ist das Beispiel einer volkstümlichen Entstellung, der der alte Sinnzusammenhang der benutzten Formeln und Motive entfallen ist.“363 360

Insofern kann nicht wirklich von einer „Selbstzerstörung“ (Hans Jürgen SCHEUER, Schwankende Formen, S. 761) des Klosters gesprochen werden oder gar seine Wiederherstellung auf die Aktivität des zagels, zu verschwinden, zurückgeführt werden; vgl. ebd., S. 761f. 361 Was in der Handschrift folgt, ist lediglich ein Schreiberspruch: „Hie hat ein ende dez zagels mere / Gt bert den schreiber / Der daz mere hat geschrieben / Der ist an schne frauwen blieben.“ (Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1340). – Gegen ein offenes Ende des Textes argumentiert Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 171. 362 Vgl. Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 264f., Anm. 76; Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] ,Das Nonnenturnier‘, Sp. 1181; lediglich als Deutungsalternative formuliert diese These Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1333. 363 Karl-Heinz SCHIRMER, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, S. 264f., Anm. 76, hier S. 265. Inkonsistenzen attribuiert auch Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 171, der Verserzählung. – Literaturgeschichtlich wurden etliche Inkohärenzen

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Die Situierung des Textes in der europäischen Tradition priapeischer Texte, in denen ein Streitgespräch zwischen Protagonist bzw. Protagonistin und anthropomorphisiertem Genitale dargestellt wird364, vermochte solchen Positionen Argumentationskraft zu verleihen, die von einer grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Textes ausgehen. Aus zivilisationstheoretischer Sicht wurde die Verhandlung der höfischen Norm der männlich-ritterlichen Selbstbeherrschung als Zentrum des Textes namhaft gemacht365, so dass von Peter STROHSCHNEIDER beide Teile der Erzählung als spiegelbildliche Ergänzungen aufgefasst werden konnten.366 In ein späteres zivilisationsgeschichtliches Entwicklungsstadium rückt Gerd DICKE den Text, der die grotesken Darstellungen als Ausdruck einer gesellschaftlich zunehmenden Triebunterdrückung im Spätmittelalter deutet.367 Für diese These kann geltend gemacht werden, dass die Vielzahl der priapeischen und der ihnen verwandten Texte des Korpus überlieferungsgeschichtlich, sofern diesbezüglich Aussagen getroffen werden können, dem letzten Drittel der Entstehungszeit der mittelhochdeutschen Verserzählungen zuzuordnen sind. Mit diesen Befunden lassen sich psychologische bzw. psychoanalytische Deutungen variantenreich verbinden. Zum einen wurde in Bezug auf die Selbstkastration des Ritters „die Irrationalität und Torheit triebfixierten Verhaltens“368 als „Demonstrationsziel dieser Geschichte“369 gesehen. Zum anderen wurde die Erzählung als (ständekritische) Darstellung insbesondere der sexuellen Unersättlichkeit von Frauen ausgedeutet, die durch eine klösterlich-asketische Lebensweise hervorgerufen werde bzw. zu dieser in unvereinbarer Diskrepanz stehe; in einem solchen Deutungszusammenhang konnten sospäter durch eine Überlagerung und ein Verwischen divergenter Weiblichkeitsstereotypen zu erklären versucht; vgl. Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 222, 228. 364 Dies sind in der deutschen Literatur, wie bereits angemerkt, neben dem Nonnenturnier (FB 93) Gold und Zers sowie Der Rosendorn; vgl. Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1333f. Vgl. umfassend zu einem Vergleich der drei Texte Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur; im Hinblick auf ihre medialen Eigentümlichkeiten als Texte / Erzählungen im Gegensatz zu bildlichen Darstellungen Walter HAUG, Die niederländischen erotischen Tragzeichen, S. 84–87, von Rosendorn und Nonnenturnier (FB 93) Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 276–293. – In weiter ausgreifende literatur- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge rücken Gerd DICKE, Mären-Priapeia; Walter HAUG, Die niederländischen erotischen Tragzeichen, sowie Hans Rudolf VELTEN, Groteske Organe, die Verserzählung vom Nonnenturnier (FB 93). 365 Vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 163–173; ihm in Grundlinien folgend Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur, S. 87–90, 97f. Seine an Thomas LAQUEUR orientierten Überlegungen hinsichtlich einer „Dreiteilung der Geschlechter“ (ebd., S. 92), die in dem Text erkennbar wäre, erscheinen mitunter etwas überspitzt (vgl. ebd., S. 90–99, 107–109). 366 Vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 158f., 169f. Zu dieser Interpretation vgl. kommentierend Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo, S. 313–316. 367 Vgl. Gerd DICKE, Mären-Priapeia, S. 280, 289, 295f. 368 Ebd., S. 273. 369 Ebd.

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wohl Sexualität rechtfertigende als auch moralisierende Elemente (Warnung vor Triebhaftigkeit) geltend gemacht werden.370 In psychoanalytischem Zugriff wurde zudem die Kastration des Ritters als Zeichen männlicher Angstvorstellungen angesichts einer als bedrohlich empfundenen übermächtigen und aggressiven weiblichen Sexualität gelesen, wohingegen vor allem im zweiten Teil des Textes männliche Wunschvorstellungen und Allmachtsphantasien dominieren würden.371 Als Äquivalent entlarve, so Edith WENZEL, die Phantasie des kollektiven weiblichen Begehrens die Ambivalenzen männlicher Sexualphantasien: die Freude an der Macht, die der autonome Phallus auf die Frauen auszuüben vermag, und zugleich das Scheitern, weil die Begierde sich allein auf das Geschlecht und nicht auf den Mann richtet.372

Eine andere Richtung der aktuellen Forschung knüpft an die Interpretationshypothese früherer Arbeiten von der Inkohärenz des Textes an, bewertet diese aber nicht als ein Defizit, sondern deutet sie als ein literarisches Qualitätskriterium; auf eine eindimensionale Interpretation wird im Zuge dessen in aller Regel verzichtet. In diese Richtung tendieren etwa die Forschungsergebnisse von FASBENDER und KROPIK, die in ihrer eingehenden philologischen Untersuchung des ersten Erzählteiles, in dem sich das Gros der immer wieder beklagten Ungereimtheiten des Textes findet, zeigen konnten, dass dieser aller Wahrscheinlichkeit nach bewusst auf eine doppelte Lesart hin angelegt ist. Es handele sich bei der Verserzählung um ein explizit mehrdeutig gestaltetes literarisches Vexierbild, das nicht nur „die etwas brüchige Erzählung vom eifersüchtigen Weib und dem törichten Frauenheld“373, sondern daneben – allerdings gleichermaßen korrumpiert – „die Geschichte von der enttäuschten Dame und dem impotenten Ritter“374 präsentiere.375 370

So vor allem Birgit BEINE, Der Wolf in der Kutte, S. 172f., 274–278, 314f.; vgl. ähnlich Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 410; Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1332; Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 225 und passim; Udo FRIEDRICH, Trieb und Ökonomie, S. 59 und Anm. 34. Während BEINE und VON BLOH insbesondere die Darstellung sexueller Unersättlichkeit von Frauen fokussieren, betonen Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo, S. 311, 335, und Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 288, demgegenüber die Inkriminierung weiblicher wie männlicher Defizite gleichermaßen (Monika GSELL: Verleugnung von Mangel / Geschlecht; Edith WENZEL: Triebhaftigkeit) als mögliche Zielrichtung des Textes. 371 Vgl. Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 219–225; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 285, 292. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 158–160, 169f., kontrastiert diese Angstvorstellung mit dem Aufstieg des zagels im zweiten Teil der Erzählung als männlicher Wunschphantasie. Komplexer ist die auf der Psychoanalyse Jacques Lacans basierende Lektüre von Monika GSELL, Die Bedeutung der Baubo, S. 311–335. 372 Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 287; vgl. ebd., S. 288. 373 Christoph FASBENDER / Cordula KROPIK, Der turney von dem czers zwischen Kohärenz und Ambiguität, S. 353. 374 Ebd. 375 Vgl. ebd., passim. Auch Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 217f., sieht in der erzählerischen Inkonsistenz des Textes kein Manko, da sie ein genretypisches Element sei.

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Weitgehend ,neutral‘ bzw. vermittelnd zeigen sich darüber hinaus i. w. S. narratologisch orientierte Forschungsansätze, die den Text als eine Aneinanderreihung von massiven Ordnungsverstößen bewerten, die in einem sinnentleerten triebhaften Chaos münden würden.376 Zuletzt hat in diesem Sinne Walter HAUG darauf hingewiesen, dass die Betonung der Normdiskussion, wie sie letztlich von STROHSCHNEIDER und DICKE – sowie anderen – zum zentralen Textgegenstand erhoben werde, zu einseitig sei und demgegenüber das spielerische Interesse des Nonnenturniers (FB 93) und vergleichbarer Erzählungen an der Darstellung von Amoral und Obszönität stärker beachtet werden müsse.377 Ein ähnliches Credo vertritt neben Hans Jürgen SCHEUER, welcher den Text als eine „schwankhafte Realisierung religiöser Kommunikation“378 betrachtet, James A. SCHULTZ, der sich in kritischer Auseinandersetzung mit der Analyse VON BLOHS für die unterhaltsamen Aspekte der Verserzählung stark macht und für sich einen vorläufigen Schlusspunkt in der Reihe der zahlreichen Versuche setzt, sich dem widerspenstigen Text interpretatorisch anzunähern: But surely the author of „Nonnenturnier“ chose to write a Märe because he expected us to delight in its illogic, not because he wanted us to find some secret reason that could explain everything and stifle our laughter.379

Bevor ich im kontrastiven Vergleich mit weiteren mittelhochdeutschen Verserzählungen, welche den Zusammenhang von ,Kampf‘ und ,Weiblichkeit‘ thematisieren, zu einem Fazit gelange, soll an dieser Stelle noch eine besondere Auffälligkeit des Textes hinsichtlich seiner Darstellung des Geschlechterverhältnisses festgehalten werden. Vergleicht man nämlich beide Teile der Verserzählung, so wird deutlich, dass die Frauenfiguren jeweils als aktive Handlungssubjekte ihre sexuellen Ziele verfolgen, während sowohl Ritter wie Genitale (zunehmend) als passiv-defensive Objekte der Begierde dargestellt werden.380 Ausgelöst wird der Kampf der Nonnen nicht durch eine äußere Notwendigkeit, sondern durch einen inneren Zwist, der durch den Einbruch männlicher Sexualität, die in dem Genitale symbolisch verkörpert ist, hervorgerufen wird.

376

Vgl. Walter HAUG, Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung, S. 18; Klaus GRUBMÜLLER, Das Groteske im Märe, S. 53f.; DERS. (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters, S. 1334; DERS., Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 231–238. 377 Vgl. Walter HAUG, Die niederländischen erotischen Tragzeichen, S. 87. 378 Hans Jürgen SCHEUER, Schwankende Formen, S. 756. 379 James A. SCHULTZ, Love without desire in Mären of the thirteenth and fourteenth centuries, S. 125. 380 Vgl. Peter STROHSCHNEIDER, Der trney von dem czers, S. 153, 161, 163f.; Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 217; Ralf SCHLECHTWEG-JAHN, Geschlechtsidentität und höfische Kultur, S. 94f.; Edith WENZEL, Zers und fud als literarische Helden, S. 284–286, 292f; Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 237.

Geschlechtertausch

b.

393

Exkurs – Heinrich von Landshut: Der Traum am Feuer (FB 55)

Wie das Nonnenturnier (FB 93) ist auch Heinrich von Landshuts Erzählung Der Traum am Feuer (FB 55) nur ein einziges Mal, und zudem lediglich in korrumpierter Form, belegt. Nicht nur die Überlieferung (1510), sondern ebenso das Entstehungsdatum des kurzen Textes (ausgehendes 15. Jahrhundert) sind ausgesprochen spät381, der niederbairische Autor ist ansonsten völlig unbekannt. Insgesamt lässt sich die Erzählung den priapeischen Mären zuordnen.382 Hier die Geschichte, soweit sie sich rekonstruieren lässt: Angeregt durch die tanzenden Flammen eines Feuers, träumt eine nicht näher gekennzeichnete Frau, die sich daran aufwärmt (vgl. FB 55, V. 1–8), wie komen zers ain michel tail, di weren resch und gail. vor ir si schon sprungen, si puhurten und rungen. (FB 55, V. 9–12)

Aus der Menge der turnierenden zerse383 sticht einer ganz besonders hervor, den die Frau herausgreift, als er in das Feuer zu fallen droht; um dem männlichen Genitale zu ,helfen‘, wickelt sie es in ihr Hemd (vgl. FB 55, V. 13–27). Tatsächlich hat sie im Traum ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer geholt, denn sie erwacht, weil ihr Hemd zu brennen beginnt; eilig reißt sie es sich vom Leib (vgl. FB 55, V. 29–31; 34). Mit doppelbödigem Sprachwitz lässt sie der Erzähler dieses Ereignis kommentieren: „,ich sach nie zers haiß.‘“ (FB 55, V. 33). Ihr lautes Geschrei (vgl. FB 55, V. 32; 35) ruft eine Schar von 15 Frauen herbei, die ihr zunächst beistehen wollen; deren Hilfsbereitschaft erlahmt aber schnell, als sie von dem (Traum-)Erlebnis erfahren (vgl. FB 55, V. 36–49). Erst als die verletzte Frau treuherzig von ihrem guten Willen und der Vortrefflichkeit des Genitales berichtet (vgl. FB 55, V. 50–58), bringen die anderen Frauen Verständnis für sie auf, indem sie das Unglück auf ihre „grosse parmherzichait“ (FB 55, V. 61) zurückführen; sie lassen sie aber dennoch liegen (vgl. FB 55, V. 59–64). Im Nachspann verbürgt sich der Erzähler / Autor Heinrich von Landshut in nahezu voyeuristischer Manier mit seiner Augenzeugenschaft für die Wahrheit des Vorfalls (vgl. FB 55, V. 65–67). Er berichtet weiter, dass ein Mann namens Linhart der Frau schließlich „gut“ (FB 55, V. 68) für ihre Genesung gegeben und einen Arzt für sie besorgt habe, durch den sie kuriert worden sei (vgl. FB 55, V. 68–71). Der Text endet mit dem Wunsch, dass Gott den Schreiber behüten möge (vgl. FB 55, V. 72). Das Urteil der fast nicht existenten Forschung zu dieser Verserzählung fällt vernichtend aus, z. B.: „Das Stück ist […] eines der jämmerlichsten der ganzen Gattung.“384 381

Vgl. Werner WILLIAMS-KRAPP, [Art.] Heinrich von Landshut, Sp. 762. Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 97. 383 Anders als Hans Rudolf VELTEN, Groteske Organe, S. 240, vermag ich in der erträumten Szenerie keine Marktszene zu erkennen. 384 Hanns FISCHER (Hrsg.), Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 548, Anm. zu Nr. 38. 382

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Die lehrhafte Dimension scheint hier zwar nicht zu dominieren, sie beinhaltet jedoch ein ganzes Spektrum an didaktischen Implikationen, die aus heutiger Sicht zweifelhaft erscheinen: Demonstriert und angeprangert werden weibliche Lüsternheit und Dummheit, mangelnde Solidarität unter Frauen, vielleicht auch eine weibliche Doppelmoral, wenn man eine Art von Neid bei der herbeieilenden Frauengruppe unterstellen möchte. Andere Interpretationsmöglichkeiten werfen ein günstigeres Licht auf die Darstellung von Weiblichkeit in dem in Rede stehenden Textfragment: Wie im Heißen Eisen des Strickers (FB 127f), in dem eine Frau durch ein (fingiertes?) Gottesurteil mit einem heißen Eisen als Ehebrecherin überführt wird, erfolgt in der Erzählung Heinrichs von Landshut eine Stigmatisierung durch die schmerzhafte Verstümmelung mit dem brennenden Holzscheit. Bezeichnenderweise ist es im Traum am Feuer (FB 55) aber nicht, wie in der strickerschen Verserzählung, die Hand der Protagonistin, die verletzt wird (vgl. FB 127f, V. 173–176), sondern eine nicht näher definierte Stelle an ihrem Körper und unter ihrem Hemd, die in Analogie zu dem im Mittelpunkt stehenden männlichen Genitale gedacht werden kann. Nach einer solchen Lesart würde die Verletzung des Körpers als äußeres Zeichen für die innere Verdorbenheit der ,unmoralisch‘ träumenden Frau dienen. Wichtig ist jedoch, dass die Verletzung mit Hilfe zweier Männer geheilt wird, so dass die ,Schuld‘ der Frau am Schluss wieder aufgehoben scheint. In seiner Handlungsstruktur sowie mit dem Signalbegriff der Barmherzigkeit erinnert die Erzählung aber auch an das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter (vgl. Lk 10,25–37). Als blasphemische Parodie würde er dann weniger die sexuelle Besessenheit der Träumerin in den Fokus rücken, sondern vielmehr die Hartherzigkeit der unbeteiligten Frauen kritisieren, die ihre verletzte Geschlechtsgenossin skrupellos ihrem medizinisch ungewissen Schicksal überlassen. Zu überwiegen scheint mir allerdings bei diesem Text insgesamt weniger das didaktische Potential, sondern vielmehr die Intention, das Publikum zu unterhalten und zu amüsieren385, oder mehr noch, bewusst Grenzen zu sprengen.386 Dominant ist hier die Lust an der Darstellung der sexuellen Imagination, die, wiederum psychologisch-psychoanalytisch gedeutet, einer männlichen Wunschphantasie entspringt und durch die erzählerische Finesse der Traumdarstellung in ihrer Brisanz abgefedert und entschärft wird. Dafür spricht zum einen, dass die Szene am Feuer etwa die Hälfte der eigentlichen narratio umfasst, zum anderen, dass die Szene durch den Erzähler / Autor als heimlicher Voyeur beobachtet wird, ohne dass dieser jedoch der Frau zu Hilfe eilen würde.387

385

VELTEN legt dar, dass das komische Potential des Textes in der Überlagerung unterschiedlicher Bildbereiche gründe, die von Obszönität und Lächerlichkeit des Dargestellten herrührten; vgl. Hans Rudolf VELTEN, Groteske Organe, S. 240f. 386 Vgl. Klaus GRUBMÜLLER, Die Ordnung, der Witz und das Chaos, S. 243f. 387 Aus diesem Grunde betrifft die Darstellung weiblicher Wunschphantasien, wie sie in der Erzählung sichtbar werden (vgl. so auch Klaus GRUBMÜLLER, ebd., S. 230f.), m. E. nur eine vordergründige

Geschlechtertausch

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Obwohl es im Traum am Feuer (FB 55) nicht um einen weiblichen Kampf geht, so rechtfertigt seine inhaltliche Entsprechung zum Nonnenturnier (FB 93) doch seine Behandlung im vorliegenden Kapitel: Die Erzählung liest sich nämlich wie ein literarisches Gegenstück zum Nonnenturnier (FB 93), insofern nicht ein Kampf unter Frauen um einen weitgehend unbeteiligten zagel / zers zentral ist, sondern vielmehr umgekehrt ein Kampf unter zersen / zageln, der von einer unbeteiligten Frau in einer scheinbar intimen Situation beobachtet wird. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden spiegelbildlich aufgebauten Szenarien besteht darin, dass der Kampf bei Heinrich von Landshut kein reales Geschehen in der fiktionalen Welt der Erzählung darstellt, sondern eine Traumphantasie, so dass der fiktionale Rahmen hier gleichsam verdoppelt wird. Der Traum am Feuer (FB 55) enthüllt dabei eine subjektive weibliche Sicht auf den männlichen Turnierkampf, in der das erotische Begehren der Betrachterin im Vordergrund steht. Eben dieses ist aber im Nonnenturnier (FB 93) der Auslöser für die Frauen, um das Turnier als männliche Form des ritterlichen Kampfes allererst für sich zu adaptieren. Die Verknüpfung von erotisch-sexuellem Interesse der weiblichen Figuren und ihre Aneignung des Turnierkampfes wird durch die Erzählung des Heinrich von Landshut so noch einmal spiegelbildlich bestätigt. c.

Das Frauenturnier (FB 39)

Konsequenter als im Nonnenturnier (FB 93) ist das Motiv des weiblichen Kampfes als „eines normsprengenden Ereignisses“388 im Frauenturnier (FB 39) ausgestaltet, in dem eine große Anzahl an Frauen tatsächlich zu Waffen und ritterlicher Rüstung greift, um ein Turnier nach allen Regeln der Kunst auszufechten. Die Verserzählung ist in vier Handschriften überliefert.389 Sie ist am Ende des 13. Jahrhunderts im ostfränkischen Sprachgebiet entstanden und weist inhaltlich eine Beziehung zum niederdeutsch-rheinischen Kulturraum auf.390 In altfranzösischen Texten findet sich das Motiv turnierender Frauen in ähnlicher Ausgestaltung; eine direkte Abhängigkeit scheint jedoch nicht zu bestehen.391

Ebene des Textes, welche durch die männliche Perspektive, die am Schluss des Textes dominant ist, konterkariert wird. 388 Willliam Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 134. 389 Ich folge der Version der Heidelberger Handschrift cpg 341 (H) nach der Ausgabe Friedrich Heinrich VON DER HAGENS mit Lesarten von K (Cod. Bodmer. 72). 390 Vgl. Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] ,Das Frauenturnier‘, Sp. 882. 391 Vgl. ebd., Sp. 883; William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 131f. Es handelt sich um Le tournoi des dames von Hue d’Oisy sowie eine weitere liedhafte Version von Richart de Semilli, das Fabliau Li tournoiment as dames sowie Tournoiement as dames de Paris von Pierre Gentin. – Innerhalb der mittelhochdeutschen Novellistik sieht JACKSON einen möglichen Traditionszusammenhang mit Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24) sowie der Heidin in der B-Fassung (IV) (FB 54); vgl. ebd., S. 134f. u. ö.

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Schauplatz der Verserzählung ist eine „burk“ (FB 39, V. 4)392 jenseits – d. h. in diesem Falle westlich – des Rheins, in der mehr als vierzig männliche Bewohner einträchtig und vorbildlich mit ihren Ehefrauen zusammenleben: Ein gewählter „houb(e)tman“ (FB 39, V. 16) schlichtet aufkommenden Streit, bei Konflikten mit Außenstehenden treten die Bürger füreinander ein und unterstützen sich auch im Alltag mit wechselseitiger Hilfeleistung. Aus dieser Einigkeit resultieren ihre Stärke und ihr gefürchteter Ruf; so bewähren sie sich in vielen Turnieren (vgl. FB 39, V. 1–42).393 Eines Tages kommt es zu einem Auszug der männlichen Bürger aus der Stadt bzw. Burg, um einen Konflikt mit einem gegnerischen Angreifer zu lösen. Sie nehmen dabei ihre Schwerter mit, lassen aber ihre komplette Rüstung zurück. Alle Bürger verlassen am festgesetzten Termin die Stadt, so dass die Frauen alleine vor Ort zurückbleiben (vgl. FB 39, V. 43–79). Wie im Folgenden deutlich wird, dient der erste Teil der Erzählung lediglich dazu, das zentrale Geschehen des Textes, das Frauenturnier, zu motivieren und zu plausibilisieren.394 Voller Freude begeben sich die weiblichen Bewohnerinnen der Stadtburg daraufhin auf eine Ebene außerhalb der Mauern. Dort verfällt eine der Frauen auf die Idee, es den Männern gleichzutun und sich wie diese einen außerordentlichen Ruf im Turnierkampf aufzubauen, um so die eigene Ehre zu vermehren (vgl. FB 39, V. 80–96). Eine vom Erzähler als weise (vgl. FB 39, V. 97) hervorgehobene Bürgerin widerspricht diesem Einfall mit der Begründung, dass eine derartige Form von Ehre für Frauen unangemessen und völlig überflüssig sei: […] „wa sol uns hôher prîs Ze dirre werlde mêre, wan da mir unser êre Behalden und unser wîpheit. swelch vrouwe dise krône treit, Diu beheldet alsô hôhen prîs, da weder Hektôr, noch Pârîs Nie sô grôzen prîs gewan, sie minne iren lieben man Und habe in mit triuwen wert. des prîses man von vrouwen gert.“ (FB 39, V. 98–108)

In dieser Äußerung wird deutlich, wie sich die Idealvorstellungen von Mann und Frau geschlechtsspezifisch voneinander unterscheiden: Dem männlichen Kampfesruhm wer392

Zur Semantik vgl. ebd., S. 122–125; JACKSON geht nicht von einer städtisch-bürgerlichen, sondern von einer adlig-ritterlichen Einwohnerschaft aus. Anders dagegen explizit Hansjürgen LINKE, Das Gesellschaftsbild der deutschen Märendichtung, S. 170. M. E. spielt diese Differenzierung für das Verständnis des dargestellten Geschlechterverhältnisses hier nur eine untergeordnete Rolle, zumal der Text letztlich keine eindeutige Zuordnung vornimmt; vgl. so auch Sarah WESTPHAL-WIHL, The Ladies’ Tournament, S. 375f. 393 Vgl. zur Idealisierung des dargestellten Gemeinwesens auch Ingrid BENNEWITZ, Eine Dame namens Ulrich, S. 363. 394 Vgl. Ute SCHWAB, Kritische Bemerkungen zum ,Frauenturnier‘, S. 219.

Geschlechtertausch

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den mit der eigenen Ehre, nämlich ,Weiblichkeit‘, Liebe und treuer Wertschätzung des Ehemanns, typisch weibliche Tugenden gegenübergestellt, die sich nicht auf die Öffentlichkeit, sondern ausschließlich auf den häuslich-familiären Bereich beziehen und die untergeordnete Rolle der Frau in der Ehe unterstreichen. Der Rekurs auf die antiken Helden Hektor und Paris signalisiert in diesem Zusammenhang eine idealisierende Sicht aus der Perspektive der Sprecherin, die hier als Sprachrohr einer männlich geprägten Werthaltung firmiert. Die Wortführerin kann die anwesenden Frauen trotz dieses kritischen Einwurfs rasch davon überzeugen, ein „spil“ (FB 39, V. 115) durchzuführen, dass ihnen „lobes vil“ (FB 39, V. 116) einbringe. Ohne zu verraten, worum es sich genau handelt, nimmt sie allen Anwesenden einzeln das Versprechen ab, ihr zu folgen (vgl. FB 39, V. 110–126). Erst als das gemeinsame Vorgehen besiegelt ist, offenbart sie ihr tatsächliches Vorhaben: „Wol ûf, ich hân erdâht da e werde vollen brâht: Wir teilen uns en zwei und machen einen turnei. Sint wir sust eine sîn, und lâen nieman herin.“ (FB 39, V. 129–134)

Sie lässt die Tore der Stadt verschließen und postiert Wächter davor, die ihren Ruhm später vor der Welt bezeugen sollen (vgl. FB 39, V. 135–139).395 Als sie Pferde und Rüstung herbeiholen lassen will (vgl. FB 39, V. 140–142), regt sich erneuter Widerspruch – wiederum mit der Begründung einer nicht näher definierten spezifisch ,weiblichen‘ Lebensart, die regelgerecht befolgt werden müsse: „des ist selten mêr gepflogen; Lât den turnei blîben; e zimt niht guoten wîben. Wie begünd’ ich, des ich nie began? sold’ ich rîten als ein man? Wir sullen von der rede lân, da ist vroulîch getân.“ (FB 39, V. 144–150)

Doch unter Verweis auf ihren Treueschwur kann sich die Wortführerin problemlos durchsetzen: Kurzerhand legen die Frauen die Rüstungen der abwesenden Männer an, streifen Hosen und Waffenröcke über und setzen die Helme auf (vgl. FB 39, V. 151– 170). Sie formieren sich in zwei Parteien: ,Sachsen‘ und ,Herren jenseits des Rheins‘ (vgl. FB 39, V. 171–174). Zusätzlich trägt die Turniermeisterin allen beteiligten Frauen auf, den Namen ihres Mannes zu übernehmen oder einen anderen Männernamen als Erkennungszeichen frei zu wählen (vgl. FB 39, V. 175–187). 395

Ute VON BLOH weist darauf hin, dass der Kampf wie im Nonnenturnier (FB 93) hinter verschlossenen Mauern stattfindet; vgl. VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 230f.

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Entgrenzungen

An diesem Punkt der Erzählung konzentriert sich der Erzähler auf die Perspektive einer jungen Turnierteilnehmerin, einer schönen „junkvrouwe“ (FB 39, V. 188), die seit mehr als fünf Jahren unverheiratet geblieben ist, weil ihr Vater seinen Besitz verloren und ihr Bräutigam sie wegen ihrer Armut verlassen hat. Zwar verfügt sie noch über Pferd und Rüstung des Vaters, schämt sich jedoch, seinen Namen zu tragen, da er und seine Gefolgsleute keine Turniere mehr bestreiten können. Als Ersatz wählt sie den Namen eines berühmten Ritters, Walrabe von Limburg (vgl. FB 39, V. 188–228).396 Im Verlaufe des Turniers sticht die Jungfrau als besonders wagemutige und erfolgreiche Kämpferin hervor (vgl. FB 39, V. 229–248; 257–266). Die Unangemessenheit des Turnierkampfs für die Frauen, insbesondere für die junge Kämpferin „mit [iren] wîen handen“ (FB 39, V. 232; vgl. V. 262), wird von dem Erzähler in einem Kommentar deutlich markiert – auch wenn „ir kunst dâ ritterlîche[n] erschein“ (FB 39, V. 261), bemitleidet er die Frauen wegen der Verletzungen an ihren nackten Armen und Beinen und beteuert, dass sie nicht ein zweites Mal ein Turnier bestreiten wollten (FB 39, V. 249–256). Vielleicht ist aus diesem Grunde nach vollbrachter arbeit von Ruhm und einer Veröffentlichung keineswegs mehr die Rede, im Gegenteil, die Frauen versuchen sogar, das Ereignis insbesondere vor ihren Männern zu vertuschen; damit befolgen sie ihr gegenseitiges Versprechen zu Stillschweigen, das sie vor Beginn des Turniers abgeben.397 Anhand der schwitzenden Pferde nämlich und wohl auch an der körperlichen Verfasstheit ihrer Frauen erkennen diese nach der Rückkunft jedoch sogleich, dass in der Zeit ihrer Abwesenheit etwas vorgefallen sein muss und erfahren von den Dienstleuten schließlich die ganze Wahrheit. Die Reaktionen fallen maßvoll aus: Die Männer lachen über den Vorfall, gleichzeitig bedrückt sie das Tun ihrer Frauen aber auch (vgl. FB 39, V. 275–289). Nicht durchsetzen kann sich einer der Bürger mit seinem Vorschlag, die Frauen mit einer Prügelstrafe zu versehen; er begründet dies mit seiner Angst, dass sich ohne ein Exempel zu statuieren eine verkehrte Welt etablieren könnte, in der die Frauen immer turnieren würden, während die Männer das Haus hüten sollten. Eine solche Inversion der traditionellen Geschlechterordnung ist für ihn so gravierend, dass er sich diese nur als Anschlag des Teufels verständlich machen kann (vgl. FB 39, V. 290–296). Als konsensfähig erweist sich indessen ein moderaterer Vorschlag eines anderen Bürgers, demzufolge die Frauen durch ihre davongetragenen Verletzungen bereits einmal bestraft worden seien. Sie benötigten keine zweite Strafe; es reiche aus, sie zu ermah-

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Als historische Bezugsfigur kann Walberan IV., gestorben 1279, namhaft gemacht werden; vgl. Hans-Friedrich ROSENFELD, [Art.] ,Das Frauenturnier‘, Sp. 883; William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 129; Sarah WESTPHAL-WIHL, The Ladies’ Tournament, S. 376 und Anm. 13. 397 Auf diesen inhaltlichen Widerspruch des Textes haben bereits verwiesen Ute SCHWAB, Kritische Bemerkungen zum ,Frauenturnier‘, S. 220 und Anm. 2; Ingrid BENNEWITZ, Berichte aus der Zeit der Päpstin, S. 184; DIES., Eine Dame namens Ulrich, S. 364; DIES., Die Pferde der Enite, S. 16.

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nen, künftig ein solches Unterfangen zu unterlassen; angesichts ihrer Jugend solle man nachgiebig mit ihnen sein (vgl. FB 39, V. 297–316). Der Verserzählung eignet ein weiterer märchenhafter Schluss mit glücklichem Ende. Denn es lässt sich nicht verhindern, dass sich die Geschichte von den turnierenden Frauen überall verbreitet, so dass auch Herzog Walrabe von dem Erfolg seiner kämpfenden Namensvetterin erfährt. Um das Mädchen kennenzulernen, das in seinem Namen ruhmvoll gekämpft hat, sucht er die betreffende Stadt auf. Er wird von den Frauen begrüßt, macht sich mit der namenlosen Jungfrau bekannt und begibt sich zu ihrem Vater, der ihm von der Armut der Familie berichtet. Zum Dank beschenkt der Herzog die junge Frau reich und großzügig, so dass er sie dank dieser Mitgift mit einem begüterten Mann vermählen kann (vgl. FB 39, V. 317–393). Durch die Eigeninitiative des Frauenturniers kann so ein Defizit der patriarchalen Gesellschaft behoben werden.398 Auch das Frauenturnier (FB 39) bemüht zur Charakterisierung des jungen Eheglücks eine auf die Bildlichkeit des Kampfes rekurrierende Sexualmetaphorik399, wenn das Geschlechtsleben des Paares als ,Turnier‘ oder ,Spiel‘ bezeichnet wird, wobei der Erzähler abermals den besonderen Ruhm, den die junge Frau erwirbt, doppeldeutig hervorhebt (vgl. FB 39, V. 394–406). Diese Bildsprache wird abschließend auch noch einmal im Epimythion der Erzählung aufgegriffen: D e r v r o u w e n t u r n e i heit diz maer’. sie kunnen brechen herte sper, Da ist ein michel wunder: sie ligent staete under, Und behaldent doch den prîs. der man sî junk oder grîs. (FB 39, V. 407–412)

Sprachlich geschickt werden hier mindestens drei Bedeutungsebenen miteinander vermischt: erstens das Wortfeld von Kampf und Turnier, verdeutlicht durch den realen Turnierkampf der Frauen, zweitens der Bereich der Sexualität, in dem eine Überlegenheit des weiblichen Geschlechts angedeutet wird, und drittens schließlich die imaginäre Geschlechterordnung, in der die Frau dem Mann zwar hierarchisch unterlegen ist, faktisch jedoch (häufig) die Oberhand behält.400 398

Vgl. hierzu und zu möglichen rechtshistorischen Hintergründen zu diesem Erzählstrang des Textes die teilweise strukturalistisch argumentierende Interpretation von Sarah WESTPHAL-WIHL, The Ladies’ Tournament, S. 379–391. 399 Vgl. William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 130; Sarah WESTPHAL-WIHL, ebd., S. 396; Ingrid BENNEWITZ, Eine Dame namens Ulrich, S. 365; 133. Zu weiteren Textstellen mit erotisierendem Unterton vgl. William Henry JACKSON, ebd., S. 126f.; Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 232f. 400 Aus sprachlich-stilistischen wie inhaltlichen Gründen wurde dieser Textschluss für ,unecht‘ gehalten; vgl. E[dward] S[CHRÖDER], Der Frauen Turnei; DERS., Zum Frauenturnier; skeptisch diesbezüglich hingegen äußert sich Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 267, Anm. 69a.

400

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Wie im Nonnenturnier (FB 93) überwiegt im Frauenturnier (FB 39) nicht der lehrhafte Effekt, es steht wohl eher die komisch-unterhaltsame Seite der Geschichte im Vordergrund, ohne dass das Verhalten der Frauen jedoch ins Lächerliche gezogen würde.401 Auch bei dieser einzigartigen Verserzählung stellt sich darüber hinaus die Frage nach ihrem destabilisierenden oder ordnungsgefährdenden Potential, mit der sich die Forschung eher schwer getan hat. Zunächst ließe sich etwa mit PRITZ argumentieren, dass die „Verkehrung der Werte, der Weltordnung“402 den „Kernpunkt dieses Schwankes“403 ausmacht.404 Allerdings handelt es sich bei dem von den Frauen veranstalteten Turnier nur um ein Spiel, dessen Grenzen räumlich, zeitlich und personal klar abgesteckt sind und das die bestehende Geschlechterordnung nicht nachhaltig stört; mehr noch – diese wird schließlich durch die Heirat der Jungfrau und ihre Aufhebung in den ,ordentlichen‘ Stand der Ehe sogar noch bestärkt.405 Von geringerem Gewicht für eine solche Lesart, die den konservativen Standpunkt des Textes betont, dürfte hingegen der Hinweis darauf sein, dass in einem Erzählerkommentar die körperlichen Blessuren besonders hervorgehoben werden, welche die turnierenden Frauen, gleichsam als ,Strafe‘, davontragen.406 In diesem Sinne schreibt JACKSON der Verserzählung eine satirische Wirkungsabsicht und somit ein exemplarisches Element zu, insofern ex negativo ein für Frauen vorbildliches Verhalten vorgeführt werde.407 Eine Relativierung erfahren konservativere Interpretationsversuche jedoch dadurch, dass das Verhalten der Frauen textintern, d. h. auf der Handlungsebene, durch die Männer nicht weiter sanktioniert wird.408 Insofern behält die Erzählung in ihrem impliziten Werturteil einen durchaus schillernden und ambigen Charakter bei. 401

Vgl. Joachim SUCHOMSKI, ,delectatio‘ und ,utilitas‘, S. 196 und 303, Anm. 514; William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 127f. 402 Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 174. 403 Ebd. 404 Vgl. Rüdiger KROHN, Der man verkert sich in ein frauen, S. 148; ausführlicher zur Figur der Verkehrung Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 216–219, 231, 235–238. Ein kritisches Potential weist überdies Sarah WESTPHAL-WIHL, The Ladies’ Tournament, der Verserzählung in ihrer minutiösen Analyse des Textes zu, in der sie die dargestellten Spannungen zwischen Anspruch und Realität eines männlich dominierten Gesellschaftssystems herausarbeitet, die eine weibliche ,Gegenwehr‘ geradezu herausfordere. 405 Vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 174; William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 130f.; Ute SCHWAB, Kritische Bemerkungen zum ,Frauenturnier‘, S. 220f.; Sarah WESTPHAL-WIHL, The Ladies’ Tournament, S. 395f.; Wolfgang BEUTIN, Sexualität und Obszönität, S. 241; Ingrid BENNEWITZ, Eine Dame namens Ulrich, S. 365f.; Ute VON BLOH, Heimliche Kämpfe, S. 235–237. – BENNEWITZ verweist in diesem Zusammenhang auf die Andersartigkeit der hier erzählten Kampfsituation im Unterschied zu vergleichbaren Darstellungen etwa von Brünhild im Nibelungenlied sowie literarischen Amazonendarstellung in mittelalterlichen Texten. 406 Vgl. Susanne PRITZ, Studien zu Tugend und Laster im spätmittelalterlichen Schwank, S. 174. 407 William Henry JACKSON, Das Märe von dem Frauenturnier, S. 125. 408 Vgl. ebd., S. 128.

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d.

401

Wortgewalt – Die Waffe der Frau?

Die Verserzählungen von Nonnenturnier (FB 93) und Frauenturnier (FB 39), in denen Massenkampfszenen dargestellt werden, bei denen Frauen männliche Verhaltensmuster ritterlich-höfischer Standardsituationen (Turnierkämpfe) okkupieren, spielen mit der Sensation des Extraordinären, indem sich Frauen das allein Männern zustehende Kampfritual des höfischen Turniers aneignen. Während das sportliche Element des Reglements im Nonnenturnier (FB 93) deutlich zurücktritt und die modulierte Gewalt des höfischen Turniers handlungstechnisch wie ästhetisch entartet, gewährleisten die Kämpferinnen im Frauenturnier (FB 39) dessen Befolgung genau. Im Vergleich beider Texte schneidet letzterer hinsichtlich der Positivzeichnung des zugrunde liegenden Frauenbildes also deutlich besser ab als jener. Neben diesen beiden Verserzählungen gibt es einige weitere Texte im behandelten Korpus, in denen einzelne Frauenfiguren den Habitus bzw. charakteristische Tätigkeiten eines Ritters übernehmen. Bei all diesen Beispielen kommt es jedoch nicht zu einem regulären Kampfgeschehen, lediglich zu einer äußerlichen Annäherung an die literarisch geformte Figur des höfischen Ritters und sein ritualisiertes Verhaltensrepertoire. Wie gesehen, rüstet sich die Ehefrau eines Ritters sowohl im Beringer (FB 15) als auch in Dietrich von der Glesses Gürtel (FB 24) zum Kampf und begegnet ihrem Ehemann in einer charakteristischen Kampfsituation; während es im Beringer (FB 15) zur Gewaltausübung gegenüber dem Ehemann kommt (vgl. FB 15, V. 159–175), unterbleibt diese hingegen im Gürtel (vgl. FB 24), insofern die Ehefrau hier mit verbalen Mitteln ihr Ziel erreichen kann.409 Stattdessen gewinnt die Protagonistin in dieser Erzählung sogar – allerdings mit Hilfe ihrer Zaubermittel – einen Turnierkampf gegen einen fremden Ritter / Mann (vgl. FB 24, V. 603–704). Wie bei anderen cross-dressing-Geschichten, in Ritter Alexander (FB 102) oder Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66), bleibt die weibliche Annäherung an die Ritterfigur in weiteren Texten ebenfalls nur äußerlich. Sie beschränkt sich etwa im Bürger im Harnisch (FB 17), wie bereits zu Beginn gesehen (vgl. FB 17, V. 120)410, auf eine rein sprachliche Ebene, indem die eitle Protagonistin mit einem Schimpfwort als ,Bürgerin im Harnisch‘ tituliert wird. In Ruprecht von Würzburgs Treueprobe (FB 108), um ein weiteres Beispiel anzuführen, greift der Erzähler auf das Bild der gerüsteten Frau zurück, um die Schilderung eines Liebesaktes rhetorisch zu verbrämen (vgl. FB 108, V. 751–754).411 Zahlreich sind darüber hinaus die Textstellen, in denen allgemein von körperlicher Gewalt die Rede ist, die von Frauen praktiziert wird, dies haben wir im Laufe unserer Lektüren immer wieder festgestellt. Gewaltakte, die in gleicher Weise auch von männlichen Figuren ausgeübt werden, stellen jedoch, wie eingangs bereits erläutert, für sich

409

Vgl. Kap. 4.1.2.a und 4.1.2.c der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kap. 4.1.2.b, 4.1.2.e und 3.1.1.a der vorliegenden Arbeit. 411 Vgl. Kap. 3.2.2.b der vorliegenden Arbeit.

410

402

Entgrenzungen

betrachtet noch keine geschlechtsspezifische Grenzüberschreitung dar; im Gegenteil, in aller Regel verfestigen sie in den mittelhochdeutschen Verserzählungen vielmehr das normierende Klischee weiblicher Boshaftigkeit, das sich im Topos vom ,übel wîp‘ sedimentiert. Weiterführend wäre für das Korpus dementsprechend zu untersuchen, inwieweit bezüglich der Darstellung von Gewalt geschlechtsspezifische Unterschiede festgemacht werden können; so ließe sich fragen, welche Formen von Gewalt Frauen, welche Männer ausüben, ob es geschlechtsspezifische Kontexte gibt, in denen Gewalt ausgeübt wird, welche Rolle sexualisierte Gewalt für die Aufrechterhaltung der Ordnung des Geschlechterverhältnisses spielt, inwiefern geschlechtsspezifische Gewalt standesabhängig ist, welche Ergebnisse weibliche und männliche Gewalt jeweils zeitigen usw.412 In der Quintessenz, so lässt sich resümieren, bestätigen die in diesem Kapitel untersuchten Texte, die sich besonders weit an die Reflexion geschlechtlicher Grenzsetzungen herantasten, noch einmal, dass die für die Konstruktion geschlechtlicher Identität zentralen Kategorien in den mittelhochdeutschen Verserzählungen in Kongruenz zu dem im ersten Kapitel besprochenen Natur-Kultur-Paradigma geschlechtsspezifisch verteilt sind: Der (natürliche) Körper erweist sich als Signum des weiblichen Ge-

412

Als Ausblick auf dieses komplexe und breit gefächerte Untersuchungsfeld, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit lediglich angeschnitten werden kann, soll wenigstens an dieser Stelle noch eine besondere Form von Gewaltanwendung vorgestellt werden, auf das die jüngste Forschung zur mittelhochdeutschen Verserzählung zunehmend den Blick richtet. Im Rahmen der von mir gesetzten Untersuchungsschwerpunkte konnte dieses stets nur am Rande beachtet werden. Es handelt sich dabei zum einen um sprachliche Gewalt, die, so zeigen es jüngere Forschungsbeiträge, offenkundig geschlechtlich codiert ist, so Mireille SCHNYDER (vgl. auch DIES., Die Entdeckung des Begehrens, S. 274f.): „Der Typus der geschwätzigen, aber auch wortmächtigen Frau, die die Welt durch die Sprachgewalt verkehren kann, ist Teil fast jedes Märe. Sei dies nun die alte Kupplerin, die stolze Prinzessin, die listige Ehefrau, alle sind rhetorisch ihrem männlichen Widerpart überlegen.“ (so Mireille SCHNYDER, Märenforschung und Geschlechterbeziehungen, S. 125). – Wegweisend sind für diesen Forschungszweig, wie bereits in der Einleitung angedeutet, insbesondere die Arbeiten von Mireille SCHNYDER, die am Beispiel der Konrad von Würzburg zugeschriebenen Halben Birne (A) (FB 74) (vgl. DIES., Die Entdeckung des Begehrens), Konni von Heinz dem Kellner (FB 58) (vgl. DIES., Märenforschung und Geschlechterbeziehungen) sowie dem Rädlein von Johannes von Freiberg (FB 64) (vgl. DIES., Schreibmacht vs. Wortgewalt; DIES.; Schriftkunst und Verführung) aufgezeigt hat, wie weibliche Sprachgewalt, die in diesen Texten wie in der literarischen Konvention mit erotischer Verführungskunst assoziiert wird, regelmäßig auf der Handlungsebene oder auf der poetologischen Ebene in der Kunst des Erzählens aufgehoben und überformt wird. Ebenso verweist Udo FRIEDRICH auf die Übermacht der weiblichen Rede im literarischen Texttyp der Verserzählung (vgl. Udo FRIEDRICH, Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen). Die Arbeiten von Andrea MOSHÖVEL und – methodisch und inhaltlich überzeugender – Susanne REICHLIN verfolgen einen ähnlichen Ansatz, indem sie die Kategorie der Performativität im Hinblick auf die (sprachliche) Konstitution von geschlechtlichen Identitäten fruchtbar machen (vgl. so im Fazit Andrea MOSHÖVEL, wîplîch man, S. 509; Susanne REICHLIN, Dietrich von der Glezze: Der Borte; DIES., Gescheiterte Liebeserziehung).

Geschlechtertausch

403

schlechts und kann somit für eine spielerische Infragestellung von Männlichkeit nutzbar gemacht werden, wohingegen die Kategorie des Weiblichen in der Konfrontation mit soziokulturellen Normen am stärksten einer Verunsicherung ausgesetzt ist.

5

Resümee

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Überlegung, ob sich in den mittelhochdeutschen Verserzählungen, in welchen die Geschlechterthematik offenkundig einen besonders breiten Raum einnimmt, ein für diesen – in seinem Gattungsstatus umstrittenen – literarischen Texttyp spezifischer Darstellungsmodus der Geschlechterdifferenz finden lässt, welcher i. w. S. als poetologisches Merkmal des Genres geltend gemacht werden kann. Diese Fragestellung sollte methodisch auch mit kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen, insbesondere mit Theoremen und Analysekategorien der genderForschung, verknüpft werden, welche es erlauben, die literarischen Texte nicht bloß textimmanent hermeneutisch zu untersuchen, sondern sie überdies in einen breiteren soziokulturellen, historischen Kontext zu rücken. Zu diesem Zweck sind sechs thematische Schnitte vorgenommen und zu jedem inhaltlichen Bereich mehrere exemplarische Textanalysen vorgelegt worden; erste Ergebnisberichte haben die Quintessenz der einzelnen Teilkapitel gebündelt. Im Folgenden werde ich versuchen, diese Zwischenergebnisse noch einmal auf die zugrunde liegende Fragestellung hin zu fokussieren und dabei auch punktuell einen Ausblick auf weitere Forschungsfragen geben, welche sich im Verlaufe der Studien eröffnet haben. Zusammenfassend wird, so viel sei hier vorausgeschickt, deutlich, dass es schwierig ist, die literarischen Geschlechterentwürfe in den mittelhochdeutschen Verserzählungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Sicher ist allerdings auch, dass die bloße Einordnung der Figuren und Texte in die ,Schubladen‘ der älteren Motiv-Forschung nicht hinreichend ist, um die komplexen Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit zu beschreiben, wie wir sie in den Erzählungen vorfinden. Im Gegenteil, es scheint gerade so, als ob die Texte bewusst das Oszillieren zwischen Positiv und Negativ, zwischen Gut und Böse suchen, ja geradezu anstreben würden. Als methodisches Problem hat es sich dabei erwiesen, sich bei der Bewertung nicht allzu sehr von modernen Beurteilungsnormen leiten zu lassen und die mittelalterlichen Texte auf diese Weise zu überfremden; dieses stellt allerdings ein hermeneutisches Dilemma dar, mit welchem sich alle Interpretinnen und Interpreten mittelhochdeutscher Literatur konfrontiert sehen. Den ersten Schwerpunkt der Arbeit bilden zwei Kapitel, die sich in kultursemiotischer Perspektive mit der geschlechtlichen Codierung des Körpers auseinandersetzen und dabei zunächst einmal mit Blick auf die literarischen Figuren die Standpunkte von

406

Resümee

weiblichem und männlichem Geschlecht im Feld des ,Natur‘-,Kultur‘-Gegensatzes kartieren. Im unmittelbaren Anschluss daran thematisiert dieser erste thematische Block die Semiotik des Körpers als symbolische Schnittstelle zwischen ,Natur‘ und ,Kultur‘, indem geschlechtsspezifische Differenzen in seiner literarischen Darstellung herausgearbeitet werden. Das erste Kapitel (2.1) unter dem Titel „Der Gegensatz von ,Natur‘ und ,Kultur‘ als Paradigma der Geschlechterdifferenz“ zeigt beispielhaft anhand der Untersuchung von Texten, die sich des Bildfeldes der Pferd-Reiter-Motivik bedienen, wie das Ringen um die Vorrangstellung in einer Geschlechterbeziehung als mühsam verlaufender Prozess erzählt wird, bei dem der männliche, dem Pol der Kultur zugeordnete Part sich bemüßigt fühlt, den mit der Natur verbunden gedachten weiblichen Part zu kultivieren und somit quasi einer höheren Seinssphäre zuzuführen. Gleichsam als Gegengewicht fungiert in anderen Texten aber die Vitalität der weiblichen Sexualität, deren Bedrohungspotential für die männlich codierte Kulturordnung zwar aufgewiesen wird, deren faszinierender Präsenz sich Figuren wie Erzähler jedoch zumeist nicht entziehen können. Damit erlangt die Gegenwelt dieser ,Natur‘ eine eigene Dignität. In einer dritten Textgruppe mit anders gearteten narrativen Konstellationen wiederum deutet sich schließlich sogar eine Auflösung des Geschlechtergegensatzes an, wie er durch das Natur-Kultur-Paradigma symbolisiert wird – und zwar in Form einer versöhnenden Utopie der erotischen Liebe und einer damit angedeuteten Möglichkeit zur Überwindung der Geschlechterdifferenz. Im Gegensatz dazu konnten wir anhand des Komplexes des zweiten Kapitels (2.2), „Zeichen und Schrift – Der geschlechtliche Körper als Medium“, sehen, in welch unterschiedlicher Weise das Medium des Körpers in Bezug auf die beiden Geschlechter in den mittelhochdeutschen Verserzählungen funktional eingesetzt wird. Der erste bedeutsame Befund ist, dass der (nackte) Körper männlicher Figuren dem Erzähler bzw. Autor in unterschiedlicher Weise dazu dienen kann, um eine Aussage über den Identitätsstatus der betreffenden Person zu symbolisieren. Für das weibliche Personal lassen sich vergleichbare erzählerische Strategien indessen nicht nachweisen. Kommt dem weiblichen Körper insofern kein Eigengewicht als Bedeutungsträger zu, so müssen und können ihm umgekehrt – dies ist die logische Konsequenz – Bedeutungen von außen eingeschrieben werden. Entsprechend findet sich eine Gruppe von Texten im Korpus der mittelhochdeutschen Verserzählungen, in welchen eine solche Beschriftung oder Bezeichnung des weiblichen Körpers thematisch wird. Die Deutungshoheit obliegt in jenen Stücken wiederum dem männlichen Personal, welches die Kompetenz besitzt, mit Hilfe des Setzens von Schriftzeichen Bedeutung zu generieren. Dieser männlichen ,Schriftgewalt‘ scheint sich allerdings die ,Sprachgewalt‘, welche eher dem weiblichen Personal zugeordnet wird, zu entziehen. Gerade diese beiden Aspekte, nämlich ,Gewalt‘ und ,Sprache‘, spielen immer wieder eine besondere Rolle bei der narrativen Gestaltung der Geschlechterdifferenz; es erschiene mir lohnend, diesen Aspekt an anderer Stelle eingehender zu untersuchen.

Spiel mit Grenzen

407

Bei den Analysen zur Darstellung des Körpers in den mittelhochdeutschen Verserzählungen hat sich gezeigt, dass der soziale Status der weiblichen Figuren häufig in Abhängigkeit zu dem Aspekt der Jungfräulichkeit des Körpers gesehen wird. Diese Beobachtung hat weiterführend zu der Frage übergeleitet, inwiefern soziokulturelle Bedingungen die Darstellung der Geschlechterdifferenz in den mittelhochdeutschen Verserzählungen bestimmen. Diesen zweiten thematischen Schwerpunkt behandeln die beiden folgenden Kapitel, welche sich in Bezug auf ,Stand‘ und ,Ökonomie‘ mit zwei fundamentalen Ordnungskategorien der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft befassen; hier werden ihre Wirkungsweisen als textuelle Faktoren in der fiktiven Welt der Verserzählung analysiert. Das dritte Kapitel (3.1) untersucht somit den Einflussbereich der sozialen Ordnungsund literaturwissenschaftlichen Analysekategorien von „Gender und Class – Geschlecht und Stand“. Aus heuristischen Gründen werden dabei vornehmlich solche Verschiebungen im Bereich der Geschlechterdifferenz in Bezug auf die weiblichen Figuren in den Blick genommen, die auf eine Veränderung hinsichtlich der ständischen Zugehörigkeit zurückzuführen sind. Die ständische Zugehörigkeit der Frauenfiguren bemisst sich in den Verserzählungen nur mittelbar nach ihrer sozialen Herkunft, unmittelbar aber nach ihrem sexuellen Status bzw. Familienstand. Ein Statuswechsel in diesem Bereich ermöglicht eine vertikale Mobilität bis hin zu einem sozialen Aufstieg. In besonders komplexer Weise wird das entsprechende Thema in Verserzählungen des Strickers ausgestaltet, in denen sich die weiblichen Protagonistinnen das Changieren zwischen unterschiedlichen sozialen Status zunutze machen, um vormals eindeutige Ordnungsstrukturen zu verunklaren und etablierte Beziehungsmuster auszuhöhlen. Aufgrund der z. T. polysemen Erzählweise des Strickers überträgt sich das Moment des Changierens auch auf die Darstellungsebene der Texte, so dass auch die Rezipientinnen und Rezipienten aktiv in eine gedankliche Auseinandersetzung mit tradierten (geschlechtsbezogenen) Ordnungsmustern involviert werden. In weitaus höherem Maße zeigt sich die Tendenz etlicher Verserzählungen, Bilder und Entwürfe von Männern und Frauen sowie deren Beziehung untereinander nahezu methodisch-systematisch zu diffundieren, jedoch erst im Anschlusskapitel, in welchem ökonomische Faktoren und deren Einfluss auf die literarische Darstellung der Geschlechterdifferenz untersucht werden. In diesem vierten Kapitel (3.2), „Geschlecht und Ökonomie“, werden auf der Grundlage von theoretischen Gabekonzepten der mittelalterlichen Kultur Tauschbeziehungen im Hinblick auf ihre geschlechtsspezifische Ausgestaltung beleuchtet. Es stellt sich heraus, dass einem männlich dominierten ökonomisch geprägten Gabendiskurs, in welchem hierarchische Geschlechterstrukturen ansichtig werden, ein gegenläufiger, von mir als anökonomisch bezeichneter Diskurs entgegensteht, welcher destabilisierende Effekte im Hinblick auf die symbolische Geschlechterordnung zeitigt und – ähnlich wie das im ersten Themenblock erarbeitete Konzept der erotischen Liebe als Utopie einer Aufhebung trennender Differenzen – eine Auflösung starrer, normativer Geschlechtergrenzen erwirkt. Der zweite wichtige Be-

408

Resümee

fund ist, dass die Ökonomisierung zwischenmenschlicher Beziehungen durch das abstrakte Tauschmittel des Geldes sowie der zunehmende Bedeutungsverlust feudalhöfischer Strukturen den gleichen Effekt hat, insofern diese beiden Tendenzen in der fiktiven Welt neue Handlungsmöglichkeiten insbesondere für die weiblichen Figuren eröffnen. In diesem Zusammenhang lässt sich kongruent zu der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung der Zeit eine deutliche Binnenentwicklung innerhalb des literarischen Texttyps der Verserzählung verzeichnen. Wie vielleicht in keiner anderen Gruppe mittelhochdeutscher Texte befassen sich die Verserzählungen in größerer Zahl mit erzählerischen Figurationen, in denen die Geschlechterdifferenz explizit zur Disposition gestellt wird. Dies kann zum einen auf eine äußerliche Art und Weise geschehen, indem die Figuren durch Kleidertausch vorübergehend ihr Geschlecht wechseln. Radikaler gehen indessen Texte vor, in denen die Figuren sowohl in körperlicher als auch in mentaler Hinsicht einen Habitus annehmen, welcher, zumindest im Horizont der kulturellen Koordinaten des europäischen Mittelalters, unzweifelhaft dem jeweils anderen Geschlecht zugeeignet wird. Die Analysen von cross-dressing-Geschichten, die sich inzwischen an eine reiche Forschung anschließen können, wie sie im fünften Kapitel (4.1) unter dem Begriff der „Maskeraden“ durchgeführt werden, erschließen eine für die mittelhochdeutschen Verserzählungen spezifische Topographie der gegengeschlechtlichen Verkleidung, die sich teilweise auch von derjenigen anderer literarischer Gattungen der Zeit unterscheidet. Bei nahezu gleicher Proportionierung von männlichen und weiblichen cross-dressingGeschichten im behandelten Korpus erweist es sich, dass die dargestellte Verkleidung der männlichen Figuren zu einer nachhaltigen Störung der symbolischen Ordnungsstrukturen führt. Anders verhält sich dies bei der Verkleidung weiblicher Figuren, denn diese führt in den einschlägigen Texten langfristig keineswegs zu einer Zerstörung von Ordnungsmustern, immerhin allerdings zu deren Modifizierung in Form einer qualitativen Aufwertung und Verbesserung. Auf der Darstellungsebene erfolgt keinerlei Verunsicherung hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit der Protagonistinnen und Protagonisten; die Texte sind so angelegt, dass die Rezipientinnen und Rezipienten stets einen Wissensvorsprung haben und von dem Erzähler deutlich orientiert werden. In diesem Punkt unterscheiden sich die mittelalterlichen Texte deutlich von experimentelleren Formen des Erzählens, wie sie erst in der modernen Literatur zu finden sind. Das Gleiche gilt für die radikaleren Texte zum Thema „Geschlechtertausch“, die im sechsten Kapitel (4.2) analysiert werden. Die Phantasmagorie der männlichen Schwangerschaft mit ihrem subtil entfalteten Subtext homosexuellen Begehrens weist nicht nur einen Unterhaltungswert auf, sondern vermittelt darüber hinaus eine beunruhigende Vorstellung eines geschlechtlichen Normbruchs, welcher mitunter in die Nähe des Wahnsinns gerückt wird. Zwischen diesen beiden Polen, einer grotesken Komik auf der einen Seite und einer auf Verdrängung angelegten, indirekten Thematisierung des Tabus homosexuellen Begehrens auf der anderen Seite, schwanken diese sperrigen Texte, welche sich nur schwer einer eindimensionalen Interpretation fügen wollen. Die Irreali-

Spiel mit Grenzen

409

tät dieser Verserzählungen steigert sich teilweise noch in den fast an das Absurde Theater heranreichenden priapeischen Texten, die u. a. Gegenstand des letzten Teilkapitels der vorliegenden Arbeit sind. Die Anmaßung der Waffengewalt durch weibliche Figuren erscheint in Bezug auf die Idee einer männlichen Schwangerschaft gleichsam als Pendant, als gegenteiliges Extrem, das aus heutiger Sicht nur unter den Vorzeichen der mittelalterlichen Werteordnung in seiner Brisanz verständlich werden kann. Auch diese Texte lassen die (heutigen) Leserinnen und Leser mit einem gewissen Unbehagen bzw. einer gewissen Ratlosigkeit ob ihrer skurrilen Darstellungswelt zurück. Dieses Empfinden muss jedoch nicht als Defizit betrachtet werden, ich möchte es vielmehr als eine poetische Finesse und literarische Eigentümlichkeit, durchaus auch als ein Qualitätskriterium betrachten, das in dieser Form allerdings nur wenigen mittelhochdeutschen Verserzählungen zuzusprechen ist. Auch wenn somit, insbesondere in den ersten drei Kapiteln der Arbeit, durchaus affirmative Tendenzen im Hinblick auf eine Festschreibung tradierter Geschlechterkonzepte in einem Teil der mittelhochdeutschen Verserzählungen festgestellt werden konnten, so darf diese Einsicht, die natürlich auch von einer bestimmten Textauswahl mit beeinflusst ist, nicht den Gesamteindruck der Analysen dominieren. Vorherrschend ist hingegen der Befund, dass nahezu alle der untersuchten Verserzählungen ein komplexes narratives Gefüge aufweisen, welches den Fokus immer wieder auf Uneindeutigkeiten, Ambivalenzen und Polyvalenzen im Verhältnis der Geschlechter lenkt, welches eher dazu angetan ist, Probleme kritisch zu beleuchten und Fragen aufzuwerfen, als Fragen zu beantworten und normierend zu wirken. Es wird immer wieder aufs Neue deutlich, wie die Texte narrative ‚Überschüsse‘ produzieren; diese resultieren zum einen aus der Freude am ästhetischen Experiment – hierauf deuten im Übrigen auch die zahlreichen intertextuellen Verknüpfungen, auf die wir gestoßen sind –, zum anderen aber weisen sie in meinen Augen zugleich auf das Bedürfnis hin, sich durch eine Art von narrativer Reflexion in der als existenziell, aber zugleich komplex und schwierig erfahrenen Welt der Geschlechterbeziehung zu orientieren. Das Anliegen einer Vielzahl von Texten scheint es zu sein, Geschlechterdifferenzen, die als solche wahrgenommen und narrativ ,reflektiert‘ werden, nicht definitorisch zu setzen, sondern vielmehr programmatisch den Grenzraum abzustecken, in welchem sie sich bewegen könnten. Dieses Vorhaben geschieht im Modus der Fiktion und Uneigentlichkeit und behält einen unverfänglichen, spielerischen Charakter bei. Insofern kann man sagen, dass die untersuchten Texte ein „Spiel mit Grenzen“ betreiben, da sie Handlungsmöglichkeiten wie identitätsstiftende Muster von Geschlechtlichkeit überprüfen, dabei Grenzen antasten und zur Diskussion stellen. Dieses erzählerische Experimentieren stellt jedoch zugleich in einem anderen Sinne ein „Spiel mit Grenzen“ dar, insofern jeder vorsichtigen Grenzüberschreitung ein erzählerischer Rückzug folgt, die Entgrenzungen niemals nachhaltig sind und somit auch nicht an die Wurzeln der Geschlechtsidentität reichen – anders gesagt: die begrenzende Funktion der Geschlechterdifferenz wird niemals aus den Augen verloren. Möglicherweise kommt den mittelhochdeutschen Verserzählungen in diesem Sinne die Funk-

410

Resümee

tion zu, in einer Zeit, die den Umbruch zur Moderne im Keim in sich trägt, individuelle Spielräume geschlechtlicher Selbstkonzepte im Bereich der literarischen Fiktion auszuloten und poetisch zu erproben.

6

Literaturverzeichnis

6.1 Abkürzungsverzeichnis AaTh

Antti AARNE / Stith THOMPSON: The Types of the Folktale

ABäG

Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik

ÄGB

Ästhetische Grundbegriffe

ATB

Altdeutsche Textbibliothek

BMZ

Georg Friedrich BENECKE / Wilhelm MÜLLER / Friedrich ZARNCKE (Hrsg.) : Mittelhochdeutsches Wörterbuch

DTM

Deutsche Texte des Mittelalters

dtv

Deutscher Taschenbuch Verlag

DU

Der Deutschunterricht

DVjs

Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte

EM

Enzyklopädie des Märchens

FB

Hanns FISCHER: Studien zur deutschen Märendichtung [Forschungsbibliographie]

FM

Hanns FISCHER (Hrsg.): Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts

FFC

Folklore Fellowsʼ Communications

Fischer TB

Fischer Taschenbuch

FMSt

Frühmittelalterliche Studien

GA

Friedrich Heinrich VON DER HAGEN (Hrsg.): Gesammtabenteuer

GAG

Göppinger Arbeiten zur Germanistik

GQ

The German Quarterly

GRM

Germanisch-Romanische Monatsschrift

GWU

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

IASL

Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur

JEGP

The Journal of English and Germanic Philology

Literaturverzeichnis

412 JOWG

Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft

LCI

Lexikon der christlichen Ikonographie

LEXER

Matthias LEXER: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch

LIR

Literatur – Imagination – Realität

LMA

Lexikon des Mittelalters

MLN

Modern Language Notes

MLR

The Modern Language Review

Moe

Wilfried MOELLEKEN / Gayle AGLER-BECK / Robert E. LEWIS (Hrsg.): Die Kleindichtung des Strickers

Mot

Stith THOMPSON: Motif-Index of Folk-Literature

MTU

Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters

NGA

Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.): Neues Gesamtabenteuer

NF

Per NYKROG: Les Fabliaux

N. F.

Neue Folge

NGS

New German Studies

OGS

Oxford German Studies

PBB

Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur

RDK

Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte

RGA²

Reallexikon der Germanischen Altertumskunde [2. Aufl.]

RLG²

Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte [2. Aufl.]

RLW

Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft

RUB

Reclams Universal-Bibliothek

SM

Sammlung Metzler

stw

suhrkamp taschenbuch wissenschaft

TIE

Frederic C. TUBACH: Index Exemplorum

UTB

Uni-Taschenbücher

1

VL

Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon [1. Aufl.]

VL²

Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon [2. Aufl.]

VSWG

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

WdF

Wege der Forschung

ZfdA

Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur

ZfdPh

Zeitschrift für deutsche Philologie

ZfGerm

Zeitschrift für Germanistik

Verzeichnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen

413

6.2 Verzeichnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen Die folgende Aufstellung, die sich in ihrer nummerischen Gliederung an dem von Hanns FISCHER erstellten Märeninventar orientiert1, bietet Aufschluss über die jeweils (vorrangig) zugrunde gelegten, d. h. ggf. zitierten Texteditionen. Werden im Einzelfall weitere Ausgaben hinzugezogen, wenn etwa Fassungsvarianten diskutiert werden sollen, so wird dies im Anmerkungsapparat gesondert vermerkt. Bei komplexer Überlieferungs- bzw. Editionslage wird, sofern im Text nur auf eine Verserzählung verwiesen wird, im Folgenden nur der entsprechende Artikel im Verfasserlexikon mit den entsprechenden Angaben in der 2. Auflage genannt. Für einige der aufgelisteten Verserzählungen kursieren in der Forschung mehrere Titel; in diesen Fällen folge ich grundsätzlich nicht der Bezeichnung FISCHERS, sondern der primären Auswahl des Verfasserlexikons in der 2. Auflage, die allerdings mit FISCHERS Titulierung zumeist übereinstimmt. Sofern relevant, wurde diesbezüglich die Rechtschreibung aktualisiert. Zitiert werden die Verserzählungen von mir unter Verwendung der Sigle FB (d. h. „FISCHER Bibliographie“) und unter Angabe der Inventarisierungsnummer von Hanns FISCHER, in Anlehnung an die entsprechende Verwendungsweise von Hans-Joachim ZIEGELER.2 Verserzählungen aus FISCHERS Inventar, auf die ich mich in der vorliegenden Arbeit nicht beziehe, werden im Folgenden nicht aufgelistet.

1

2

1

Die böse Adelheid

Von der übeln Adelheit und irem man. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 10. S. 208–218.

2

Alexander und Anteloye

Vgl. David J. A. ROSS: [Art.] ‚Alexander und Anteloye‘. In: VL². Bd. 1. 1978. Sp. 210–212.

3

Das Almosen

Das Almosen. In: NGA. Nr. 8. S. 53–57.

4b

Schweizer Anonymus: Der Koch

Der Koch. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Eine Schweizer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts. Nr. 14. S. 56–63.

4d

Schweizer Anonymus: Der Pfaffe im Käskorb

Der Pfaffe im Käskorb. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Eine Schweizer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts. Nr. 13. S. 51–56.

4e

Schweizer Anonymus: Der Pfaffe mit der Schnur (B)

Der Pfaffe mit der Schnur. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Eine Schweizer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts. Nr. 10. S. 35–43.

Vgl. Hanns FISCHER, Studien zur deutschen Märendichtung, S. 65–71 und S. 305–433. Hier finden sich, ebenso wie in der 2. Auflage des Verfasserlexikons, ebenfalls Hinweise zur jeweiligen Überlieferung der einzelnen Textstücke, worauf im Hauptteil der Arbeit nicht mehr im Einzelnen hingewiesen wird. Vgl. Hans-Joachim ZIEGELER, Erzählen im Spätmittelalter, S. 545.

Literaturverzeichnis

414 5

Jacob Appet: Der Ritter unter dem Zuber

Jacop Appet: Dis ist der ritter underm zuber. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 20. S. 544–564.

6

Aristoteles und Phyllis

Aristoteles und Phyllis. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 18. S. 492–522.

7

Das Auge

Das Auge. In: NGA. Nr. 35. S. 244–250.

8

Augustijn: Der Herzog von Braunschweig

Vgl. Robert LECLERCQ: [Art.] Augustijn. In: VL². Bd. 1. 1978. Sp. 530f.

9

Die Bärenjagd

Vgl. Uta WILLIAMS: [Art.] ‚Die Bärenjagd‘. In: VL². Bd. 1. 1978. Sp. 604.

10

Die Bauernhochzeit

Metzen hochzit. In: Edmund WIESSNER (Hrsg.), Der Bauernhochzeitsschwank. S. 27–47.

11

Der hohle Baum (A)

Der hohle Baum A. In: Thomas CRAMER (Hrsg.), Maeren-Dichtung. Bd. 2. S. 177–184.

12

Die zwei Beichten (A)

Die zwei Beichten. In: NGA. Nr. 9. S. 58–62.

13

Die zwei Beichten (B)

Die zwei Beichten B. In: FM. Nr. 29. S. 268–273.

14

Berchta

Von Berhten mit der langen nase. In: GA. Bd. 3. Nr. 54. S. 33–35.

15

Beringer

Die historien von dem ritter Beringer. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 11. S. 220–242.

16

Der betrogene Blinde

Der betrogene Blinde II. In: NGA. Nr. 7. S. 50–52.

17

Der Bürger im Harnisch

Der Bürger im Harnisch. In: FM. Nr. 42. S. 368–371.

18

Der Bussard

Diz ist der busant. In: GA. Bd. 1. Nr. 16. S. 337–366.

23

Der Dieb von Brügge

Der Dieb von Brügge. In: FM. Nr. 48. S. 394–414.

24

Dietrich von der Glesse: Der Gürtel

Der Borte. In: Otto Richard MEYER, Der Borte des Dietrich von der Glezze. S. 79–112.

Verzeichnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen 25

Dulciflorie

[–]. In: Heinrich NIEWÖHNER, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen. S. 95–105.

26

Egenolf von Staufenberg: Peter von Staufenberg

[–]. In: Eckhard GRUNEWALD (Hrsg.), Der Ritter von Staufenberg. S. 1–62.

29

Hans Ehrenbloß: Der hohle Baum (B)

Hans Erenbloss, Der hohle Baum B. In: Thomas CRAMER (Hrsg.), Maeren-Dichtung. Bd. 2. S. 185–188.

30a

Hans Folz: Der arme Bäcker

Der arme Bäcker. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 2. S. 4–6.

30c

Hans Folz: Die halbe Birne (B)

Die halbe Birne. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 4. S. 22–28.

30f

Hans Folz: Drei listige Frauen (C)

Drei listige Frauen. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. (1. Fassung) Nr. 10a. S. 74–87. (2. Fassung) Nr. 10b. S. 75–85.

30g

Hans Folz: Die Hose des Buhlers

Die Hose des Buhlers. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 6. S. 34–37.

30i

Hans Folz: Der Köhler als gedungener Liebhaber

Der Köhler als gedungener Liebhaber. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 5. S. 29–33.

30k

Hans Folz: Der Kuhdieb

Der Kuhdieb. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 13. S. 99–102.

30m

Hans Folz: Der falsche Messias

Der falsche Messias. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 12. S. 92–98.

30n

Hans Folz: Pfaffe und Ehebrecherin (B)

Paffe und Ehebrecherin. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 19. S. 140–145.

30o

Hans Folz: Der Quacksalber

Der Quacksalber. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 14. S. 103–111.

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Hans Folz: Der Schinkendieb als Teufel

Der Schinkendieb als Teufel. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 11. S. 88–91.

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Die drei Studenten. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. Nr. 3. S. 7–21.

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Hans Folz: Die Wahrsagebeeren

Die Wahrsagebeeren. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Hans Folz. (1. Fassung) Nr. 9a. S. 60–72. (2. Fassung) Nr. 9b. S. 61–71.

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Die demütige Frau

Die demütige Frau. In: NGA. Nr. 36. S. 251–254.

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Die Frau des Seekaufmanns

Die Frau des Seekaufmanns. In: FM. Nr. 49. S. 415–418.

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Drei buhlerische Frauen

Drei listige Frauen I. In: NGA. Nr. 17. S. 111–117.

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Drei listige Frauen (A)

Drei listige Frauen II. In: NGA. Nr. 18. S. 118–124.

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Frauenlist

Frauenlist. In: NGA. Nr. 13. S. 87–95.

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Diz büechel heizet der vrouwen triuwe got helf vns mit ganzer riuwe. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 17. S. 470–490.

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Das Frauenturnier

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Hermann Fressant: Der Hellerwertwitz

Der Hellerwertwitz. In: Hans-Friedrich ROSENFELD, Mittelhochdeutsche Novellenstudien. S. 44–70.

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Der Freudenleere: Der Wiener Meerfahrt

Ditz bvchel it von eltener art Vnde heiet der wienner mervart. In: Richard NEWALD (Hrsg.), Der Wiener Meerfahrt. S. 7–27.

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Das Gänslein

Diz mere heizet daz genselîn und sagt von einem münche und von einem magedîn. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 24. S. 648–664.

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Der Gärtner Hod

Von eym willigen knecht. Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. S. 397–400.

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Das schlaue Gretlein

Das schlaue Gretlein. In: FM. (Iα) Nr. 26a1. S. 240–244. (Iβ) Nr. 26a2. S. 241–245. (II) Nr. 26b. S. 246–248.

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Der Guardian

Der Guardian. In: FM. Nr. 28. S. 258–267.

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Das Häslein

Dis ist von dem heselin. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 22. S. 590–616.

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Der blinde Hausfreund

Der blinde Hausfreund. In: NGA. Nr. 32. S. 223–228.

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Des Hausknechts Rache

Des Hausknechts Rache. In: FM. Nr. 11. S. 99–103.

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Die Heidin (B)

Hie hebet sich an die heideninne. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 16. S. 364–468.

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Heinrich von Landshut: Der Traum am Feuer

Heinrich von Landshut: Der Traum am Feuer. In: FM. Nr. 38. S. 348–350.

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Heinrich von Pforzen: Der Pfaffe in der Reuse

Der Pfaffe in der Reuse. In: NGA. Nr. 31. S. 208–222.

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Heinrich der Teichner: Die Rosshaut

(Von prangen in der rohaut). In: Heinrich NIEWÖHNER (Hrsg.), Die Gedichte Heinrichs des Teichners. Bd. 2. Nr. 360. S. 109–111.

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Heinz der Kellner: Konni

[Turandot. Von Heinz dem Kellner.] In: GA. Bd. 3. Nr. 63. S. 179–185.

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Hero und Leander

Hero und Leander. In: GA. Bd. 1. Nr. 15. S. 317–330.

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Der Herr mit den vier Frauen

Der Herr mit den vier Frauen. In: NGA. Nr. 29. S. 129–201.

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Herrand von Wildonie: Der betrogene Gatte

Der betrogene Gatte. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Herrand von Wildonie. Nr. II. S. 10–21.

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Herrand von Wildonie: Die treue Gattin

Herrand von Wildonie: Diu getriu kone. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 7. S. 96–110.

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Der Herrgottschnitzer

Der Herrgottschnitzer. In: NGA. Nr. 33. S. 229–233.

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Johannes von Freiberg: Das Rädlein

Johannes von Freiberg: Diz büechel heizet daz rädelin und ist von einem maidelin. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 23. S. 618–646.

Literaturverzeichnis

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Jungfrau, Frau und Witwe

Von eyner jungfrawen. In: Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Karlsruhe 408. S. 522–524.

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Kaiser Lucius’ Tochter

Kaiser Lucius’ Tochter. In: FM. Nr. 8. S. 71–88.

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Heinrich Kaufringer: Bürgermeister und Königssohn

Bürgermeister und Königssohn. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 4. S. 41–52.

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Heinrich Kaufringer: Chorherr und Schusterin

Chorherr und Schusterin. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 9. S. 105–111.

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Heinrich Kaufringer: Der feige Ehemann

Der feige Ehemann. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 6. S. 73–80.

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Heinrich Kaufringer: Drei listige Frauen (B)

Drei listige Frauen B. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 11. S. 116–130.

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Heinrich Kaufringer: Die zurückgelassene Hose

Die zurückgelassene Hose. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 10. S. 112–115.

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Heinrich Kaufringer: Der zurückgegebene Minnelohn

Der zurückgegebene Minnelohn. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 5. S. 53–72.

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Heinrich Kaufringer: Der Mönch als Liebesbote (B)

Der Mönch als Liebesbote B. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 7. S. 81–91.

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Heinrich Kaufringer: Die unschuldige Mörderin

Die unschuldige Mörderin. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 14. S. 154–173.

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Heinrich Kaufringer: Die Rache des Ehemannes

Die Rache des Ehemannes. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 13. S. 140–153.

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Heinrich Kaufringer: Die Suche nach dem glücklichen Ehepaar

Die Suche nach dem glücklichen Ehepaar. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 8. S. 92–104.

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Heinrich Kaufringer: Der Zehnte von der Minne

Der Zehnte von der Minne. In: Paul SAPPLER (Hrsg.), Heinrich Kaufringer. Bd. 1. Nr. 12. S. 131–139.

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Das Kerbelkraut

Das Kerbelkraut. In: NGA. Nr. 14. S. 96–99.

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Knecht Heinrich

Knecht Heinrich. In: FM. Nr. 32. S. 283–285.

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Die Kohlen

Die Kolen. In: Joseph Freiherr VON LAßBERG (Hrsg.), Lieder Saal. Bd. 1. Nr. 49. S. 371f.

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Der arme Konrad: Frau Metze

Frau Metze die Käuflerin von dem armen Konrad. In: NGA. Nr. 11. S. 70–83.

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Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten

Heinrich von Kempten. In: Edward SCHRÖDER (Hrsg.), Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. I. S. 41–68.

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Konrad von Würzburg: Das Herzmaere

Konrad von Würzburg: Daz ist daz Herzmaere. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 13. S. 262–294.

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Konrad von Würzburg: Der Schwanritter

Der Schwanritter. In: Edward SCHRÖDER (Hrsg.), Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. II. S. 1–41.

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Die halbe Birne (A)

Konrad von Würzburg (?): Von dem ritter mit der halben birn. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 9. S. 178–206.

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Das Kreuz

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Die Kupplerin

Die Kupplerin. In: FM. Nr. 13. S. 109–111.

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Liebesabenteuer in Konstanz

Liebesabenteuer in Konstanz. In: FM. Nr. 45. S. 384–387.

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Die verspotteten Liebhaber

Die verspotteten Liebhaber. In: FM. Nr. 12. S. 104–108.

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Der Liebhaber im Bade

Der Liebhaber im Bade. In: NGA. Nr. 25. S. 170f.

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Die treue Magd

Der schreyber von Pareys. In: Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Karlsruhe 408. S. 720–729.

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Hie beginnet der maler von wirtzeburge. In: Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. S. 251–259.

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Die Meierin mit der Geiß

Die Meierin mit der Geiß. In: NGA. Nr. 23. S. 152–157.

Literaturverzeichnis

420 83

Hans Meißner: Die bestrafte Kaufmannsfrau

Hans Meissner: Die bestrafte Kaufmannsfrau. In: FM. Nr. 47. S. 391–393.

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Bestraftes Misstrauen

Bestraftes Mißtrauen. In: NGA. Nr. 28. S. 185–191.

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Der Mönch als Liebesbote (A)

Die falsch peicht. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 19. S. 524–542.

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Moriz von Craûn

[–]. In: Heimo REINITZER (Hrsg.), Mauritius von Craûn. S. 1–93.

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Der schwangere Müller

Der Müller mit dem Kinde. In: Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. S. 463–470.

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Der vertauschte Müller

Der vertauschte Müller. In: FM. Nr. 2. S. 20–30.

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Niemand: Die drei Mönche von Kolmar

Niemand: Die drei Mönche zu Kolmar. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 32. S. 874–896.

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Das Nonnenturnier

Der turnei von dem zers. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 37. S. 944–976.

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Pfaffe und Ehebrecherin (A)

Pfaffe und Ehebrecherin. In: NGA. Nr. 5. S. 47f.

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Der Pfaffe mit der Schnur (A)

Der Pfaffe mit der Schnur. In: NGA. Nr. 22. S. 140–151.

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Der Pfaffe mit der Schnur (C)

Der Pfaffe mit der Schnur C. In: FM. Nr. 44. S. 378–383.

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Der Preller

Von dem Preller. In: Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. S. 409–411.

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Pyramus und Thisbe

Von Pyramo und Thisbe, den zwein lieben geschah vil wê. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 15. S. 336–362.

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Der Reiher

Der Reiher. In: NGA. Nr. 15. S. 100–107.

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Ritter Alexander

Ritter Alexander. In: FM. Nr. 36. S. 330–337.

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Der Ritter im Hemde

Der ritter mit dem hemd. In: Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Karlsruhe 408. S. 160f.

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Hans Rosenplüt: Der Barbier

Hans Rosenplüt: Der Barbier. In: FM. (I) Nr. 17a. S. 144–160. (II) Nr. 17b. S. 145–161.

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Hans Rosenplüt: Der Bildschnitzer von Würzburg

Hans Rosenplüt: Der Bildschnitzer von Würzburg. In: FM. (I) Nr. 16a. S. 134–142. (II) Nr. 16b. S. 135–143.

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Hans Rosenplüt: Die Disputation

Hans Rosenplüt: Die Disputation. In: FM Nr. 25. S. 227–238.

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Hans Rosenplüt: Der Hasengeier

Hans Rosenplüt: Die Disputation. In: FM. (I) Nr. 18a. S. 162–172. (II) Nr. 18b. S. 163–173.

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Hans Rosenplüt: Der Knecht im Garten

Hans Rosenplüt: Der Knecht im Garten. In: FM. Nr. 20. S. 178–187.

105f

Hans Rosenplüt: Der fünfmal getötete Pfarrer

Hans Rosenplüt: Der fünfmal getötete Pfarrer. In: FM. Nr. 24. S. 217–226.

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Hans Rosenplüt: Der fahrende Schüler

Hans Rosenplüt: Der fahrende Schüler. In: FM. (I) Nr. 21a. S. 188–200. (II) Nr. 21b. S. 189–201.

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Hans Rosenplüt: Spiegel und Igel

Hans Rosenplüt: Spiegel und Igel. In: FM. (I) Nr. 15a. S. 124–132. (II) Nr. 15b. S. 125–133.

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Hans Rosenplüt: Die Tinte

Hans Rosenplüt: Die Tinte. In: FM. Nr. 19. S. 174–177.

105k

Hans Rosenplüt: Der Wettstreit der drei Liebhaber

Hans Rosenplüt: Der Wettstreit der drei Liebhaber. In: FM. Nr. 23. S. 210–216.

105l

Hans Rosenplüt: Die Wolfsgrube

Hans Rosenplüt: Die Wolfsgrube. In: FM. Nr. 22. S. 202–209.

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Rüdeger von Munre: Studentenabenteuer (B)

Irregang und Girregar. In: GA. III. Nr. 55. S. 43–82.

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Ruprecht von Würzburg: Die Treueprobe

Die zwei Kaufleute von Ruprecht von Würzburg. In: NGA. Nr. 37. S. 255–268.

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Schampiflor

Schampiflor. In: NGA. Nr. 10. S. 63–69.

Literaturverzeichnis

422 110

Elsässischer Anonymus: Der gestohlene Schinken

Der ungetreue Nachbar. In: Joseph Freiherr VON LAßBERG (Hrsg.), Lieder Saal. I. Nr. 40. S. 285–288.

111a

Peter Schmieher: Die Nonne im Bade

Peter Schmieher: Die Nonne im Bade. In: FM. Nr. 10. S. 93–98.

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Peter Schmieher: Der Student von Prag

Peter Schmieher: Der Student von Prag. In: FM Nr. 9. S. 89–92.

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Hans Schneeberger: Der Mönch als Liebesbote (C)

Hans Schneeberger: Der Mönch als Liebesbote. In: FM. Nr. 37. S. 338–347.

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Das Schneekind (A)

Daz Snemaere. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 6. S. 82–92.

114

Das Schneekind (B)

Daz Snemaere. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 6. S. 82–92.

115

Hans Schneider: Dieb und Henker

Hans Schneider: Dieb und Henker. In: FM. Nr. 40. S. 362–364.

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Schondoch: Die Königin von Frankreich

Dis ist der künig von Franckrich. In: Jutta STRIPPEL, Schondochs ,Königin von Frankreich‘. S. 211–343.

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Der Schreiber

Der Schreiber. In: NGA. Nr. 27. S. 180–184.

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Der Schüler zu Paris (A)

[–]. In: Hans-Friedrich ROSENFELD, Mittelhochdeutsche Novellenstudien. S. 394– 449.

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Der Schüler zu Paris (B)

Hie hebt an diu red von Paris von zweien lieben. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 14. S. 296–334.

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Der Schüler zu Paris (C)

[–]. In: Hans-Friedrich ROSENFELD, Mittelhochdeutsche Novellenstudien. S. 207– 230.

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Sibote: Frauenerziehung

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Sociabilis

Sociabilis. In: FM. Nr. 1. S. 1–19.

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Der Sohn des Bürgers

Der Sohn des Bürgers. In: FM. Nr. 7. S. 66–70.

Verzeichnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen

423

124

Claus Spaun: Fünfzig Gulden Minnelohn

Claus Spaun: Fünfzig Gulden Minnelohn. In: FM. Nr. 39. S. 351–361.

125

Der Sperber

Diz ist ein schoenez maere von einem sperwaere. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 21. S. 568–588.

126

Der Spiegel

Der Spiegel. In: FM. Nr. 4. S. 48–51.

127a

Der Stricker: Der nackte Bote

Der nackte Bote. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. IX. S. 110–124.

127b

Der Stricker: Edelmann und Pferdehändler

Edelmann und Pferdehändler. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. II. Nr. XIV. S. 1–12.

127c

Der Stricker: Der begrabene Ehemann

Der begrabene Ehemann. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. IV. S. 28–36.

127d

Der Stricker: Ehescheidungsgespräch

Ehescheidungsgespräch. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. III. S. 22–27.

127e

Der Stricker: Der durstige Einsiedel

Der durstige Einsiedel. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. XII. S. 1423–155.

127f

Der Stricker: Das heiße Eisen

Das heiße Eisen. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. V. S. 37–50.

127g

Der Stricker: Die eingemauerte Frau

Die eingemauerte Frau. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. VI. S. 50–65.

127h

Der Stricker: Das erzwungene Gelübde

Das erzwungene Gelübde. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. II. S. 11–21.

127i

Der Stricker: Der Gevatterin Rat

Der Gevatterin Rat. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. VII. S. 66–91.

127k

Der Stricker: Der kluge Knecht

Der kluge Knecht. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. VIII. S. 92–109.

127l

Der Stricker: Der arme und der reiche König

Der arme und der reiche König. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. II. Nr. XVI. S. 24–30.

Literaturverzeichnis

424 127m Der Stricker: Die Martinsnacht

Die Martinsnacht. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. XI. S. 131–142.

127n

Der Stricker: Der junge Ratgeber

Der junge Ratgeber. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. II. Nr. XV. S. 12–23.

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Der Stricker: Der nackte Ritter

Der nackte Ritter. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. X. S. 126–131.

127p

Der Stricker: Die drei Wünsche

Die drei Wünsche. In: Hanns FISCHER (Hrsg.), Der Stricker. I. Nr. I. S. 1–11.

128

Der Striegel

Von dem striegelein. Adelbert VON KELLER, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. S. 412–425.

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Studentenabenteuer (A)

Von zwein studenten. In: Wilhelm STEHMANN, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer. S. 198–216.

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Des Teufels Ächtung

Des tiuvels âhte. In: GA. Bd. 2. Nr. 28. S. 127–135.

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Tor Hunor

Daz maere von dem toren. In: Werner SCHRÖDER, Daz maere von dem toren. S. 266–287.

132

Virgils Zauberbild

Virgils Zauberbild. In: FM. Nr. 46. S. 388–390.

134

Vergebliche Vorhaltungen

Vergebliche Vorhaltungen. In: FM. Nr. 31. S. 281f.

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Der Vriolsheimer: Der Hasenbraten

Der Hasenbraten von dem Vriolsheimer. In: NGA. Nr. 16. S. 108–110.

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Wandelart

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Des Weingärtners Frau und der Pfaffe

Des Weingärtners Frau und der Pfaffe. In: NGA. Nr. 12. S. 84–86.

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Wernher der Gärtner: Helmbrecht

Von deme Helmbrehte. In: Friedrich PANZER / Kurt RUH (Hrsg.), Helmbrecht. S. 1–77.

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Die Wette

Von der pauren Chirchweihe. In: Ursula SCHMID (Bearb.), Codex Vindobonensis 2885. S. 94–97.

Verzeichnis der mittelhochdeutschen Verserzählungen

425

141

Die gezähmte Widerspenstige

Die Frau als Reitpferd. In: NGA. Nr. 2. S. 36–39.

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Rittertreue

[–]. In: Marlis MEIER-BRANECKE, Die Rittertreue. S. 153–176.

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Wilhalm von Orlens

[Text]. In: Rosmarie LEIDERER (Hrsg.), ,Wilhalm von Orlens‘. S. 43–101.

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Der Wirt

Der Wirt. In: NGA. Nr. 19. S. 125–133.

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Der Zahn

Der Zahn. In: NGA. Nr. 20. S. 134f.

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Johannes Werner von Zimmern: Der enttäuschte Liebhaber

Johannes Werner von Zimmern: Der enttäuschte Liebhaber. In: FM. Nr. 35. S. 300–329.

147a

Jörg Zobel: Die faule Frau

Die faule Frau. In: FM. Nr. 33. S. 286–293.

147b

Jörg Zobel: Das untergeschobene Kalb

Das untergeschobene Kalb. In: FM. Nr. 34. S. 294–299.

148

Der verklagte Zwetzler

Der verklagte Zwetzler. In: FM. (I) Nr. 5a. S. 52–57. (II) Nr. 5b. S. 58–61.

149

Der Zwickauer: Des Mönches Not

Der Zwickauer: Des münches not. In: Klaus GRUBMÜLLER (Hrsg.), Novellistik des Mittelalters. Nr. 25. S. 666–695.

150e

Der Landstreicher im Hurenhaus

Der Landstreicher im Hurenhaus. In: FM. Nr. 50, 2. S. 421f.

150h

Probra mulierum

Vgl. Volker MERTENS: [Art.] ,Probra mulierum‘ (,Die Dienstmagd‘). In: VL². Bd. 7. 1987. Sp. 854–856.

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Literaturverzeichnis

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7

Register

Das Register bezieht sich auf die mittelhochdeutschen Verserzählungen, nicht jedoch auf andere mittelalterliche Werke, die im Text genannt werden. Bei den folgenden Seitenangaben wird nicht zwischen einer Erwähnung in Haupttext und Fußnotentext unterschieden. Nicht aufgeführt sind in diesem Register die Nennungen der Titel im Literaturverzeichnis (vgl. Kap. 6.2). Alexander und Anteloye (FB 2) 286 Das Almosen (FB 3) 225, 240–245, 247f., 256, 269 Aristoteles und Phyllis (FB 6) 52f., 82–99, 107, 160–162, 259f., 287, 333 Hans Folz: Der arme Bäcker (FB 30a) 104, 113, 126, 141, 144, 173, 287, 347f., 351f. Der Stricker: Der arme und der reiche König (FB 127l) 226 Das Auge (FB 7) 103, 238

Die böse Adelheid (FB 1) 58, 70, 244, 287 Der Bürger im Harnisch (FB 17) 58, 78, 81, 179–182, 191f., 287, 401 Heinrich Kaufringer: Bürgermeister und Königssohn (FB 67b) 133, 139, 173, 226, 259f., 267 Der Bussard (FB 18) 108, 113, 286

Hans Rosenplüt: Der Barbier (FB 105a) 41, 260 Die Bärenjagd (FB 9) 226 Die Bauernhochzeit (FB 10) 287 Der Stricker: Der begrabene Ehemann (FB 127c) 30, 42, 133, 173 Berchta (FB 14) 173, 353 Beringer (FB 15) 104, 126, 141, 144, 287, 314–323, 330, 336, 346, 348, 351f., 401 Hans Meißner: Die bestrafte Kaufmannsfrau (FB 83) 173, 226 Bestraftes Misstrauen (FB 85) 286, 294 Der betrogene Blinde (FB 16) 103, 197– 200 Herrand von Wildonie: Der betrogene Gatte (FB 61a) 103f., 295 Hans Rosenplüt: Der Bildschnitzer von Würzburg (FB 105b) 104, 107, 118, 146f., 173, 259, 384 Der blinde Hausfreund (FB 51) 103

Die demütige Frau (FB 32) 287 Der Dieb von Brügge (FB 23) 103, 144, 166–169, 175, 226, 260, 286 Hans Schneider: Dieb und Henker (FB 115) 226, 286 Hans Rosenplüt: Die Disputation (FB 105c) 104, 172, 286 Drei buhlerische Frauen (FB 35) 110 Drei listige Frauen (A) (FB 36) 107, 109f., 112f., 174, 286 Heinrich Kaufringer: Drei listige Frauen (B) (FB 67e) 30, 41f., 104, 107, 109–113, 174, 286, 384 Hans Folz: Drei listige Frauen (C) (FB 30f) 107, 109f., 112f., 148, 174, 286 Niemand: Die drei Mönche von Kolmar (FB 92) 229, 259 Hans Folz: Die drei Studenten (FB 30q) 286

Heinrich Kaufringer: Chorherr und Schusterin (FB 67c) 104, 107, 133, 173, 287

472 Der Stricker: Die drei Wünsche (FB 127p) 79, 104, 192, 226, 287 Dulciflorie (FB 25) 182, 240, 248, 260 Der Stricker: Der durstige Einsiedel (FB 127e) 223 Der Stricker: Edelmann und Pferdehändler (FB 127b) 192, 226, 233 Der Stricker: Ehescheidungsgespräch (FB 127d) 178 Der Stricker: Die eingemauerte Frau (FB 127g) 40, 58f., 211–224 Johannes Werner von Zimmern: Der enttäuschte Liebhaber (FB 146) 259 Der Stricker: Das erzwungene Gelübde (FB 127h) 36, 202, 223 Hans Rosenplüt: Der fahrende Schüler (FB 105g) 104, 107, 118, 147, 173 Hans Folz: Der falsche Messias (FB 30m) 172, 358–360 Jörg Zobel: Die faule Frau (FB 147a) 52, 58, 74–78, 97, 198, 200, 226 Heinrich Kaufringer: Der feige Ehemann (FB 67d) 173, 229 Der arme Konrad: Frau Metze (FB 72) 173, 259, 287 Die Frau des Seekaufmanns (FB 34) 166, 226, 259 Sibote: Frauenerziehung (FB 121) 37, 52f., 55–74, 76, 78, 89f., 97f., 155, 160, 219, 333, 384 Frauenlist (FB 37) 103, 174 Frauentreue (FB 38) 41, 135, 141, 175, 287 Das Frauenturnier (FB 39) 40, 174, 287, 331, 380, 395–401 Hans Rosenplüt: Der fünfmal getötete Pfarrer (FB 105f) 30 Claus Spaun: Fünfzig Gulden Minnelohn (FB 124) 174, 259, 262, 267f. Das Gänslein (FB 43) 174, 248, 360, 369 Der Gärtner Hod (FB 44) 104 Elsässischer Anonymus: Der gestohlene Schinken (FB 110) 226 Der Stricker: Der Gevatterin Rat (FB 127i) 200–213, 216, 218, 224, 286, 321

Register Die gezähmte Widerspenstige (FB 141) 58, 68–73, 75f., 78, 89f., 93, 97, 160 Der Guardian (FB 48) 174, 195–197, 224, 248 Dietrich von der Glesse: Der Gürtel (FB 24) 41, 43, 258f., 287, 330–342, 346, 351f., 376, 395, 401 Die halbe Birne (A) (FB 74) 34, 39, 72f., 87, 95, 104, 107, 113, 124, 148, 163, 175, 260, 286, 348, 402 Hans Folz: Die halbe Birne (B) (FB 30c) 34, 113, 175, 260, 286, 348 Der Vriolsheimer: Der Hasenbraten (FB 135) 384 Hans Rosenplüt: Der Hasengeier (FB 105d) 104, 174, 286, 384 Das Häslein (FB 50) 36, 182–192, 194f., 197, 200, 240, 248, 260f. Des Hausknechts Rache (FB 52) 107f., 142–144 Die Heidin (B) (FB 54) 154, 331, 395 Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten (FB 73a) 42, 104, 108, 132–135, 139 Der Stricker: Das heiße Eisen (FB 127f) 104, 394 Hermann Fressant: Der Hellerwertwitz (FB 40) 173, 225f., 258f., 277, 287 Wernher der Gärtner: Helmbrecht (FB 139) 31, 80, 104, 172, 192, 286f. Hero und Leander (FB 59) 175 Der Herr mit den vier Frauen (FB 60) 198, 286, 294 Der Herrgottschnitzer (FB 62) 104, 107, 118, 146, 173, 259, 384 Konrad von Würzburg: Das Herzmaere (FB 73b) 41, 104, 175, 183, 238f., 258 Augustijn: Der Herzog von Braunschweig (FB 8) 286 Der hohle Baum (A) (FB 11) 248, 360 Hans Ehrenbloß: Der hohle Baum (B) (FB 29) 248, 360 Hans Folz: Die Hose des Buhlers (FB 30g) 117, 287, 347–349 Der Stricker: Der junge Ratgeber (FB 127n) 233

Register Jungfrau, Frau und Witwe (FB 65) 195

473 192–

Kaiser Lucius’ Tochter (FB 66) 43, 141, 175, 225, 259, 277–284, 287, 347f., 351f., 401 Das Kerbelkraut (FB 68) 103, 259 Der Stricker: Der kluge Knecht (FB 127k) 173 Hans Rosenplüt: Der Knecht im Garten (FB 105e) 174, 287, 294, 298–306, 310–313, 351f. Knecht Heinrich (FB 69) 226 Schweizer Anonymus: Der Koch (FB 4b) 173, 287, 294, 298, 302–305, 311–313, 351f. Die Kohlen (FB 71) 104 Hans Folz: Der Köhler als gedungener Liebhaber (FB 30i) 173, 260 Schondoch: Die Königin von Frankreich (FB 116) 174 Heinz der Kellner: Konni (FB 58) 39, 175, 260, 402 Das Kreuz (FB 75) 103f., 144, 163–165, 168 Hans Folz: Der Kuhdieb (FB 30k) 226, 287 Die Kupplerin (FB 76) 259 Der Landstreicher im Hurenhaus (FB 150e) 258f. Liebesabenteuer in Konstanz (FB 77) 258f. Der Liebhaber im Bade (FB 79) 103, 133 Der Stricker: Die Martinsnacht (FB 127m) 107f., 114f., 132, 223 Die Meierin mit der Geiß (FB 82) 173, 259 Der Mönch als Liebesbote (A) (FB 86) 173, 261, 287, 307 Heinrich Kaufringer: Der Mönch als Liebesbote (B) (FB 67h) 261, 307 Hans Schneeberger: Der Mönch als Liebesbote (C) (FB 112) 174, 198, 261, 307 Der Zwickauer: Des Mönches Not (FB 149) 248, 259, 358, 360f., 363–371, 375f. Moriz von Craûn (FB 87) 229, 259f., 287, 358, 371–376

Der Stricker: Der nackte Bote (FB 127a) 104, 106–108, 124–133, 135f., 138, 221 Der Stricker: Der nackte Ritter (FB 127o) 107f., 119–128, 131–133, 135f., 138 Peter Schmieher: Die Nonne im Bade (FB 111a) 104, 133, 248, 376f. Das Nonnenturnier (FB 93) 42, 104, 126, 380–393, 395, 400f. Egenolf von Staufenberg: Peter von Staufenberg (FB 26) 104, 260 Pfaffe und Ehebrecherin (A) (FB 94) 173 Hans Folz: Pfaffe und Ehebrecherin (B) (FB 30n) 173 Schweizer Anonymus: Der Pfaffe im Käskorb (FB 4d) 104, 107, 118, 173, 305 Heinrich von Pforzen: Der Pfaffe in der Reuse (FB 56) 107, 117f., 145, 173, 185 Der Pfaffe mit der Schnur (A) (FB 95) 103f., 173, 295 Schweizer Anonymus: Der Pfaffe mit der Schnur (B) (FB 4e) 93, 103f., 173, 295 Der Pfaffe mit der Schnur (C) (FB 96) 103f., 173, 295 Der Preller (FB 97) 104, 133, 260, 380 Probra mulierum (FB 150h) 166, 226 Pyramus und Thisbe (FB 98) 175, 238, 287 Hans Folz: Der Quacksalber (FB 30o)

226

Heinrich Kaufringer: Die Rache des Ehemannes (FB 67k) 104, 118, 174, 266, 384 Johannes von Freiberg: Das Rädlein (FB 64) 39f., 98, 104, 142, 144, 154–165, 168, 185, 248, 402 Der Reiher (FB 101) 103, 202 Ritter Alexander (FB 102) 104, 141, 144, 287, 324–330, 336, 339, 346–348, 351f., 376, 401 Der Ritter im Hemde (FB 103) 107f., 135– 139, 144, 173 Jacob Appet: Der Ritter unter dem Zuber (FB 5) 107, 116f., 173, 202 Rittertreue (FB 142) 172, 175, 226, 233, 260, 269 Heinrich der Teichner: Die Rosshaut (FB 57) 52, 58, 78–81, 97, 181f., 191f., 226, 287

474 Schampiflor (FB 109) 173, 202, 259, 329, 354 Hans Folz: Der Schinkendieb als Teufel (FB 30p) 147, 226 Das schlaue Gretlein (FB 47) 173, 226 Das Schneekind (A) (FB 113) 226 Das Schneekind (B) (FB 114) 226 Der Schreiber (FB 117) 104, 174, 287, 294–305, 311–313, 351, 353 Der Schüler zu Paris (A) (FB 118) 149, 154, 175, 261, 287, 306–308, 311–313, 351, 353 Der Schüler zu Paris (B) (FB 119) 175, 307 Der Schüler zu Paris (C) (FB 120) 175, 307 Der schwangere Müller (FB 88) 248, 358, 360–364, 366f., 368, 370f., 375 Konrad von Würzburg: Der Schwanritter (FB 73c) 149 Sociabilis (FB 122) 98f., 240, 249–256, 263, 269 Der Sohn des Bürgers (FB 123) 192, 233 Der Sperber (FB 125) 60, 174, 182f., 240, 248, 260f. Der Spiegel (FB 126) 66, 104 Hans Rosenplüt: Spiegel und Igel (FB 105h) 41, 43, 66, 104 Der Striegel (FB 128) 79, 104, 175, 260, 380 Peter Schmieher: Der Student von Prag (FB 111b) 174, 287, 306f., 311–313 Studentenabenteuer (A) (FB 129) 157, 174, 308 Rüdeger von Munre: Studentenabenteuer (B) (FB 107) 174, 287, 306, 308–313, 319, 353 Heinrich Kaufringer: Die Suche nach dem glücklichen Ehepaar (FB 67m) 37, 103, 173f., 229 Des Teufels Ächtung (FB 130) 248 Hans Rosenplüt: Die Tinte (FB 105i) 147– 149 Tor Hunor (FB 131) 104, 248, 360 Heinrich von Landshut: Der Traum am Feuer (FB 55) 104, 380f., 393–395 Herrand von Wildonie: Die treue Gattin (FB 61b) 41, 103, 238

Register Die treue Magd (FB 80) 104, 166, 173, 287, 347, 349f. Ruprecht von Würzburg: Die Treueprobe (FB 108) 36, 104, 198, 202, 226, 259, 270–277, 286, 401 Heinrich Kaufringer: Die unschuldige Mörderin (FB 67i) 31, 141, 144 Jörg Zobel: Das untergeschobene Kalb (FB 147b) 104 Vergebliche Vorhaltungen (FB 134) 287 Der verklagte Zwetzler (FB 148) 66, 104, 380, 384 Die verspotteten Liebhaber (FB 78) 260 Der vertauschte Müller (FB 89) 173, 287, 343–346, 351f., 376 Virgils Zauberbild (FB 132) 103f., 286 Hans Folz: Die Wahrsagebeeren (FB 30r) 172, 226 Wandelart (FB 136) 286 Des Weingärtners Frau und der Pfaffe (FB 138) 173 Die Wette (FB 140) 174 Hans Rosenplüt: Der Wettstreit der drei Liebhaber (FB 105k) 174 Der Freudenleere: Der Wiener Meerfahrt (FB 41) 107 Wilhalm von Orlens (FB 143) 175 Der Wirt (FB 144) 103, 173 Hans Rosenplüt: Die Wolfsgrube (FB 105l) 41, 104, 174, 384 Der Zahn (FB 145) 104 Heinrich Kaufringer: Der Zehnte von der Minne (FB 67n) 173, 225, 240, 245– 248, 256, 267, 269 Heinrich Kaufringer: Der zurückgegebene Minnelohn (FB 67g) 104, 226, 259, 261–269, 276f. Heinrich Kaufringer: Die zurückgelassene Hose (FB 67f) 90, 93, 117, 287 Die zwei Beichten (A) (FB 12) 115f., 174, 260 Die zwei Beichten (B) (FB 13) 115f., 174, 260 Die zwei Maler (FB 81) 144, 149–154, 156, 159, 163, 165, 168