Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung: Analyse seines Wirkens als Unternehmer, Sozialreformer, Genossenschafter, Frühsozialist, Erzieher und Wissenschaftler [1 ed.] 9783428456215, 9783428056217

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Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung: Analyse seines Wirkens als Unternehmer, Sozialreformer, Genossenschafter, Frühsozialist, Erzieher und Wissenschaftler [1 ed.]
 9783428456215, 9783428056217

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Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft Herausgegeben von Prof. Dr. W. W. Engelhardt und Prof. Dr. Th. Thiemeyer

Band 11

Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung Analyse seines Wirkens als Unternehmer, Sozialreformer, Genossenschafter, Frühsozialist, Erzieher und Wissenschaftler

Von

Markus Elsässer

Duncker & Humblot · Berlin

M A R K U S ELSÄSSER

Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung

Schriften zum Genossenschaftswesen und zur öffentlichen Wirtschaft Herausgegeben von Prof. Dr. W. W. Engelhardt, Köln ond Prof. Dr. Th. Thiemeyer, Bochum

Band 11

Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung Analyse seines Wirkens als Unternehmer, Sozialreformer, Genossenschafter, Frühsozialist, Erzieher und Wissenschaftler

Von D r . M a r k u s Elsässer

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Elsässer, Markus: Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung: Analyse seines Wirkens als Unternehmer, Sozialreformer, Genossenschafter, Frühsozialist, Erzieher u. Wissenschaftler / von Markus Elsässer. — Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft; Bd. 11) ISBN 3-428-05621-3 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3-428-05621-3

Vorwort Der Brite Robert Owen, dessen Todestag am 17. November 1983 zum 125. Male wiederkehrte, gehört zu den Wegbereitern und Pionieren umwälzender Sozialreformen und einer neuartigen, freilich zum Teil auch umstrittene ganzheitliche Ziele verfolgenden Sozialwissenschaft. Sein Handeln und Denken konnte leider bis heute nur lückenhaft erschlossen werden. Dies ist umso bedauerlicher, als sein Lebenswerk besonders viel Reizvolles bietet, zumal er nicht nur als Reformer und Wissenschaftler, sondern auch als bedeutender Unternehmer, Volkserzieher und - last not least - als Frühsozialist gewirkt hat. Seine „Rolle" als Wissenschaftler, die in der Dogmengeschichte der Volkswirtschaftslehre und Politischen Ökonomie als „utopisch-sozialistisch" etikettiert zu werden pflegt, ist nur eine unter vielen und - trotz ihrer Bedeutung - wohl nicht einmal die wichtigste. Die Analyse der vielschichtigen Persönlichkeit Owens und ihrer verschiedenartigen Handlungen und Denkweisen, die sich zudem im Laufe eines langen und ereignisreichen Lebens beträchtlich gewandelt haben, bringt — wie ich in eigenen Studien feststellen konnte — beträchtliche Schwierigkeiten mit sich. Sie beruhen außer auf der Mischung sehr unterschiedlicher Rollen nicht zuletzt auch darauf, daß viele der Aufzeichnungen Owens bislang unveröffentlicht geblieben sind und auch eine Gesamtausgabe seiner wissenschaftlichen Werke und Studien bedauerlicherweise noch immer fehlt. Wer hier zu neuen, möglichst gesicherten Resultaten gelangen wollte, mußte nicht nur auf mehreren Gebieten ausgewiesen sein und die zeitraubende Einarbeitung in händschriftliche Dokumente und Briefe in Kauf nehmen. Er mußte vor allem auch zu Studien an Ort und Stelle, d.h. in New Lanark und bislang vor allem in Manchester bereit sein, um die dort im Holyoake House aufbewahrten rd. 3000 Aufzeichnungen der „Co-operative Union Collection" für die Analysen heranzuziehen und auszuwerten. (Künftig dürfte für Studienzwecke auch oder vor allem das in seinem Geburts- und Sterbeort Newton in Wales neu errichtete Robert OwenMuseum in Betracht kommen.) Herr Dr. Elsässer hat sich dankenswerterweise den Anforderungen dieser schwierigen Aufgabe gestellt. Der Autor - der bereits durch eine interessante und von der Kritik überwiegend positiv aufgenommene Arbeit über die religiösen und gemeinwirtschaftlichen Grundlagen des Handelns der Rochdaler Pioniere hervorgetreten ist - hat der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln eine sowohl im Ganzen als auch in den Teilen überzeugende Dissertation vorgelegt, die uns in der Klärung des Owenschen

6

Vorwort

Lebenswerkes ein entscheidendes Stück weiterbringen dürfte. Die hiermit der Öffentlichkeit vorgelegte Studie, die nicht ausdrücklich biographische Ziele verfolgt und auch die Rolle des Spiritisten und Quasi-Religionsstifters ausklammert, ist aber zumindest eine der wichtigsten deutschsprachigen Arbeiten über Owen. Möge sie deshalb als nachträglicher deutscher Beitrag zum vergangenen Owen-Gedenkjahr aufgenommen werden! Die Arbeit zieht auch große Teile der fast unübersehbar gewordenen Sekundärliteratur über Owen heran und überzeugt nicht zuletzt dadurch, daß sie die Analysen von einem geeigneten historischen Bezugsrahmen aus vornimmt, der dazu beitragen dürfte, die berühmten Ansichten Owens über die Prägekraft des sozio-ökonomischen Milieus verständlich zu machen. Es ist mir eine angenehme Pflicht, wiederum der Co op Zentrale AG in Frankfurt/Main dafür herzlich zu danken, daß sie durch Bereitstellung eines Druckkostenzuschusses zur Veröffentlichung der Arbeit an dieser Stelle und in der vorliegenden Form beigetragen hat. W. W. Engelhardt

Inhaltsverzeichnis Abkürzungen Anmerkung zur Fußnoten-Handhabung Vorbemerkung Einleitender

13 14 15 Teil

Historischer Bezugsrahmen: England zu Lebzeiten Robert Owens (1771-1858) A. Politische Lage

17 18

I. Weltpolitischer Hintergrund II. Innenpolitische Entwicklungen

18 21

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

23

I. Industrielle Revolution II. Bevölkerungsstruktur III. Soziale Frage und Arbeiterschaft 1. Fabrikarbeit 2. Wohnungsverhältnisse 3. Gesundheitszustand C. Geistige Strömungen

23 28 31 32 35 37 41

I. Aufklärung II. Romantik III. Liberalismus

41 42 44 Erster

Hauptteil

Robert Owen als Unternehmer

46

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

46

I. Anfänge vor New Lanark 1. Jugend 2. Aufstieg in Manchester 3. Ideelle Einflüsse II. Unternehmungen in New Lanark 1. Fabrikanlagen 2. Beschäftigte

46 47 49 51 53 55 59

8

Inhaltsverzeichnis

3. Geschäftsverbindungen 4. Gewinnentwicklung

61 63

B. Owens moderne Unternehmensführung

68

I. Zeitgenössische Probleme der Unternehmensführung II. Owen als Unternehmensleiter 1. Konzept der Unternehmensführung 2. Unternehmensorganisator 3. Revisions-und Rechnungswesen 4. Modernes Personalwesen a) Silent Monitor b) Delegation c) Personalpolitik C. Robert Owen als Finanzier

68 71 71 72 74 75 76 77 77 78

I. Finanzpartner in New Lanark 1. Erste Partnerschaft (1799-1809) 2. Zweite Partnerschaft (1810-1813) 3. Dritte Partnerschaft (1814-1828) II. Robert Owens Privatvermögen Zweiter

79 79 81 84 88

Hauptteil

Robert Owens sozialpolitisches Wirken

92

A. Lage der Arbeiterschaft in New Lanark vor Robert Owen

93

B. Owens Sozialpolitik

96

I. Auf betrieblicher Ebene 1. Soziale Neuerungen und Einrichtungen a) Einschränkung der Kinderarbeit b) Verkürzung der Arbeitszeit c) Reallohnsteigerung d) Lohnfortzahlung e) Nahrungsmittelversorgung f) Betriebliche Pensions- und Krankenkasse g) Betriebliche Sparkasse h) Maßnahmen ethisch-ideeller Erneuerung 2. Berichte zur sozialen Betriebsgestaltung 3. Sinnbestimmung der Sozialreform II. In entwicklungs-und gesellschaftspolitischer Hinsicht 1. Owen und die Integration der Arbeiterschaft 2. Owen — ein Promotor der Fabrikgesetzgebung a) Kampf um Kinderschutzgesetze aa) Parlamentarische Auseinandersetzung bb) Owens außerparlamentarische Bemühungen

96 96 96 97 98 100 101 102 103 103 104 106 110 111 114 114 115 117

Inhaltsverzeichnis

b) Owens Beitrag zur gesetzlichen Verkürzung der Arbeitszeit 3. Reform der Armengesetzgebung a) ,Poor Law Act 4

117 120 120

b) Produktive Beschäftigungspolitik

121

C. Owens Konzept des Wohnungs- und Siedlungswesens

123

I. Philanthropische Wohnungspolitik in New Lanark 1. Hygienische Verbesserungen 2. Infrastrukturelle Projekte II. Anstoß zur solidarischen Siedlungsselbsthilfe 1. Raumpolitische Gesichtspunkte 2. Entwurf einer Gartenstadt Dritter

124 125 125 127 127 127

Hauptteil

Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

130

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis

130

I. Relevanz des ideengeschichtlichen Hintergrunds II. Empirische Genossenschaftstheorie geschiehtsbezogener Art . . . 1. Utopie-Konzeptions-Ansatz 2. Mitglieder-Lebenslage-Ansatz 3. Entstehungs-Entwicklungs-Ansatz III. Historischer Materialismus IV. Auseinandersetzung mit einer entscheidungslogischen Theorie . . B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft I. Owens Modell genossenschaftlicher Siedlungen 1. Landwirtschaftliche Orientierung und Spatenkultur 2. Ideal der Gemeinwirtschaft 3. Ideelle Vorläufer a) Plockboy b) Bellers c) Sektengemeinschaften II. Genossenschaftliche Siedlungsversuche 1. Motherwell Vorhaben (1820-1823) 2. Orbiston (1825-1828) 3. New Harmony (1825-1828) 4. Ralahine (1831-1833) 5. Queenwood (1839-1845) III. Gründe für das Scheitern der Produktivgenossenschaften IV. Owens Einfluß auf spätere Formen der Siedlungsgenossenschaft - israelische Kibbuzim C. Owen und die Konsumgenossenschaft

130 132 133 135 136 137 139 140

.

142 147 150 152 153 154 156 157 158 160 161 165 166 169 172 173

Inhaltsverzeichnis

10

I. Werkskonsum in New Lanark

174

II. Beziehungen zu Dr. Kings Brighton-Bewegung III. Owen und die Rochdaler Pioniere IV. Owens Haltung zur Konsumgenossenschaftsbewegung Vierter

Hauptteil

Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen A. Owen in der Verfolgung radikaler Ziele der Gesellschaftsreform . . . . I. Arbeitsbörsen

184 187 189

II. Reform des Familienlebens III. Privateigentum

193 195

B. Owen als Künder einer modernen Weltanschauung I. II. III. IV.

176 177 182

Pluralistische Gesellschaftskonzeption Pragmatismus Grenzprinzip der Veränderung Entfremdungseffekte

C. Robert Owen und andere sozialistische Denker I. Verbindung mit zeitgenössischen Frühsozialisten 1. Henri de Saint-Simon 2. Charles Fourier 3. EtienneCabet 4. Louis Blanc II. Beurteilung Owens im späteren Sozialismus 1. Karl Marx und Friedrich Engels 2. Stellungnahme in der sowjetrussischen Literatur 3. Neuere Literatur der Deutschen Demokratischen Republik . . Fünfter

196 198 199 200 201 202 202 203 204 205 206 206 208 210

Hauptteil

Robert Owen als Erzieher A. Schulsysteme in Großbritannien um 1800 I. Adel und Großbürgertum II. Kleinbürgertum und Handwerk III. Arbeiterschaft 1. Abhilfeversuche

196

211 211 211 212 213 214

2. Monitorialsystem

214

B. Owens pädagogische Maßnahmen

216

I. Milieutheorie

216

Inhaltsverzeichnis

II. Erziehung in New Lanark 1. Schule der Charakterbildung 2. Lehrplan und Unterrichtsform a) Kleinkinderschule b) Tagesschule c) Abendschule d) Zeitgenössische Resonanz III. Erziehung in Produktivgenossenschaften 1. New Harmony 2. Queenwood C. Bildungspolitisches Umfeld

218 218 219 219 220 221 222 223 224 226 227

I. Nationales Schulsystem II. Robert Owen und zeitgenössische Pädagogen 1. Lancaster und Bell 2. Pestalozzi und von Fellenberg 3. Fröbel

Sechster

229 231 231 232 236

Hauptteil

Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze Robert Owens

239

A. Betriebswirtschaftliche Ansätze

239

I. Ansätze einer System-Betrachtungsweise II. Betriebliche Motivationsgrundlagen 1. Analyse industrieller Arbeitsmotive a) Arbeitgeber b) Arbeitnehmer 2. Arbeitsgestaltung 3. Hawthorne-Effekt 4. Grundlegendes Motivations-Verständnis B. Betriebssoziale und gesellschaftliche Überlegungen

239 241 241 241 242 243 244 245 246

I. Empirische Forschungsansätze II. Milieuorientiertes Gesellschaftsverständnis 1. Gesellschaftlicher Wandel 2. Betriebspolitische Betrachtungen unter sozialen Aspekten . . III. Befürworter der Kooperation 1. Ansatz 2. Gemeinschaftsbetonte Gesellschaftsstrukturen

247 248 248 249 250 250 252

C. Volkswirtschaftliche Erörterungen

254

I. Krisenanalyse 1. Aggregierte Nachfrage

254 254

12

Inhaltsverzeichnis

2. Lohnniveau 3. Vorwegnahme des Multiplikatortheorems II. Produktive Beschäftigungspolitik 1. Antizyklische Konjunkturpolitik 2. Nationaler Mindestlohn 3. Einkommensverteilung III. Währung und Arbeitswert 1. Vorwegnahme des Arbeitswerttheorems 2. Mehrwert und Kapital

256 257 257 257 258 259 260 260 261

D. Mitbegründer einer universellen Sozialwissenschaft

262

Schlußbetrachtung

264

Anhang, Tabellarische Daten

266

Literaturverzeichnis

267

Abkürzungen Art. Aufl Bd. BWL ders Diss ebd. f. ff. HdSW HdWW HWB HWO insb Jg. KZfSS o.J. o.O. o.V. s. S. u. u.a. vgl. WiSt ZfgG

Artikel Auflage Band Betriebswirtschaftslehre derselbe Dissertation ebenda folgende Seite fortfolgende Seiten Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft Handwörterbuch der Betriebswirtschaft Handwörterbuch der Organisation insbesondere Jahrgang Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie ohne Jahr ohne Ort ohne Verfasserangabe siehe Seite und und andere vergleiche Wirtschaftswissenschaftliches Studium Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen

Anmerkung zur Fußnoten-Handhabung Die Namen der Autoren werden als Verfasserangaben grundsätzlich kursiv, im Textzusammenhang der Fußnote allerdings gewöhnlich geschrieben. Bei erstmaliger Nennung eines Werkes wird der Titel in voller Länge genannt. Als Anschauungsbeispiel: - Simon , H., Robert Owen, sein Leben und seine Bedeutung für die Gegenw a r t j e n a 1905. danach: - Simon, H., Robert Owen, S. . . . -

Simon , H., ebd.

- vgl. ders. ebd. Bei häufig wiederkehrenden Titeln werden Kürzel verwandt; z.B.: -

Simon, H„

1905.

oder: - Simon, H., Owen; (diese Kürzel wäre mit „zitiert als: Owen" im LiteraturVerzeichnis gesondert als Zusatz erwähnt).

Vorbemerkung Der Prozeß der Industrialisierung nimmt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England seinen Anfang. Im Gefolge ergeben sich Umwälzungen, welche sich auf vielerlei Strukturen des 19. und 20. Jahrhunderts nachhaltig auswirken. Neben dem Umbruch auf dem technisch-wirtschaftlichen Sektor sind die sozialen Auswirkungen dabei von besonderem Interesse. In diesem unter dem Stichwort »Industrielle Revolution 4 bekannten Zeitabschnitt dominieren einerseits neben technischen und ökonomischen Fortschritten ungewöhnliche soziale Härten und Ignoranz. Andererseits werden in ihm bereits Lösungsmöglichkeiten und Konzeptionen sozio-ökonomischer Problemstellungen entworfen, welche teilweise bis heute diskutiert und ausprobiert werden. Robert Owen, 1771—1858, gehört in Großbritannien zu jenen Persönlichkeiten, die bei aller utopischen Orientierung die Umwälzung der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung erkennen, selbst fördern und sich speziell mit der Frage nach der sozialen Komponente beschäftigen. In einzigartiger Weise vereint Robert Owen dabei Theoretisches wie Praktisches, Denken wie Handeln. Wie kaum ein anderer hinterläßt er eine Fülle noch heute aktueller Beiträge zu drängenden sozialen Fragen. Owens persönliches Engagement sowie das breite Spektrum seiner unterschiedlichen Ansätze verdient dabei hervorgehoben zu werden. In der Wissenschaft ist dieses sein vielgestaltiges Schaffen eher vernachlässigt worden. Bislang fehlt selbst in der angelsächsischen Literatur eine Gesamtausgabe seiner Schriften und Veröffentlichungen. Forschungsziel der vorliegenden Arbeit ist es, Owens wesentliche Beiträge in ihrer Gesamtheit und unter besonderer Berücksichtigung ihrer sozialen Komponenten systematisch zu erschließen. Robert Owens interdisziplinärer Denkansatz legt dabei eine nach Sachgebieten geordnete Vorgehensweise nahe. Bewußt wird darauf verzichtet, eine Biographie zu schreiben. Ebenso werden Themenkomplexe von eher peripherer Relevanz, wie z.B. Owens späte spiritistische Haltung, ausgeklammert. Vielmehr gilt es, Owens geniale Konzeptionen und sein hauptsächliches Wirken historisch detailliert darzulegen sowie kritisch zu würdigen. Es wird der Versuch unternommen, einen Bezug zu nachfolgenden Entwicklungen der Theorie sowie der Realentwicklungen herzustellen. Der eventuelle Eindruck einer »Zerstückelung* des Gesamtwirkens Owens, der durch eine abschnittsweise Behandlung prima facie entstehen mag, wird der gründlicheren Analyse und der besseren Übersichtlichkeit halber bewußt in Kauf genommen. Innerhalb der einzelnen Hauptteile nehmen aber themenübergreifen-

16

Vorbemerkung

de Passagen eine kritische Gewichtung der verschiedenen Beiträge und Leistungen Owens vor. Bei aller Aktualität der ideengeschichtlichen Bedeutung des Pioniers gilt es, Robert Owen jedoch auch im Spiegel der Zeit des anbrechenden 19. Jahrhunderts zu sehen. Dies macht in einem einleitenden Teil eine abrißartige Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Umfeld der Epoche notwendig. Bei seinen Studien in Glasgow, New Lanark und Manchester hat sich der Autor methodisch bemüht, auf primäre, britische Quellen (zeitgenössische Manuskripte, handschriftliche Aufzeichnungen, unveröffentlichte Briefe sowie Zeitungsausgaben u.ä.) zurückzugreifen. Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Ms. Susan Slade sowie Mr. Roy Garratt, Information Officer, beide Co-operative Union Ltd, Holyoake House, Manchester, die wertvolle Hinweise bei den Studien des Autors in Großbritannien gegeben haben. Ihre freundliche Unterstützung hat erst den Zugang zu vielen Originaldokumenten ermöglicht. Ms. Anne Hamilton vom New Lanark Conservation Trust und Ms. Jan Stevenson von der New Lanark Association sei für ihr freundliches Entgegenkommen beim Aufenthalt des Autors in New Lanark gedankt. Der Mitchell Library, Glasgow, der John Rylands Library, Deansgate, Manchester sowie der Manchester Central Library ist der Verfasser ebenfalls verbunden. An dieser Stelle sind auch Dr. Anne Taylor, London sowie Prof. Dr. W. Klötzer, Stadtarchiv Frankfurt/Main für ihre wertvollen Hinweise dankend zu erwähnen. Köln, Dezember 1983 Markus Elsässer

Einleitender

Teil

Historischer Bezugsrahmen: England zu Lebzeiten Robert Owens (1771—1858) Robert Owen lebt in einer Zeit umfassenden Wandels. Zum Zeitpunkt seiner Geburt (14. Mai 1771) 1 zeichnet sich das Ausmaß bevorstehender wirtschaftlich-sozialer wie politischer Veränderung nur schwach ab. Das ökonomische Denken jener Tage ist noch ganz der Tradition des Merkantilismus verhaftet. Handel, Handwerk und Landwirtschaft, nicht industrielle Produktion stehen im Mittelpunkt wirtschaftlicher Interessen. Über vier Jahre vergehen noch, bis Adam Smith 1776 erstmals sein richtungsweisendes Werk ,An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations' 2 veröffentlicht. Im politischen Bereich fehlt es an einer nationalen Bewegung, die sich für Reformvorhaben eingesetzt hätte 3 . Die Lebenszeit Owens fällt in eine Epoche, welche gekennzeichnet ist durch kriegerische Auseinandersetzung, europäische Revolutionen, Wiedererstarken restaurativer Kräfte, Geburt neuer Nationalstaaten sowie den Übergang von der alten Agrar- zur modernen Industriegesellschaft. Es gilt, die historische Situation zu rekonstruieren, in der Robert Owen wirkt, die er zu gestalten versucht. Nur wenn es gelingt, Owen im Umfeld seiner Zeit zu begreifen, lassen sich seine Beiträge im Rahmen einer kritischen Analyse würdigen 4. Zunächst gilt es dabei, die für Großbritannien bestimmenden politischen Ereignisse, die vorherrschenden sozio-ökonomischen Gegebenheiten und auch die dominanten geistigen Strömungen jener Zeit aufzuzeigen. 1 Als Kurzbiographien s. Herkner, H., Art.: Owen, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, Jena 1893, S. 81-84; Holyoake, G. J., Geschichte der Rochdaler Pioniere, Deutsch in Bearbeitung v. R. Schloesser, Köln 1928, S. 13-17 \Röhl, A., Die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Erziehung im Sozialismus Robert Owens, Diss. Hamburg 1930, S. 28-47; Gustav, Th., Die Eigenarten der Entstehung der modernen Genossenschaftsbewegungen in Deutschland, England und Frankreich, (Diss. Bonn) Köln 1940, S. 75-79; Faust, H., Geschichte der Genossenschaftsbewegung, Frankfurt/M. 1965, S. 69-91 \Hutchins, B. L., Robert Owen, 1771-1858, in: Radicals, Reformers and Socialists, from the Fabian Biographical Series, hrsg. v. M. Katanka, London 1973, S. 70-99\Roy, E. P., Co-operatives, Development, Principles and Management, 3. Aufl., Dauville (111.) USA 1976, S. 64 f. 2 s. Smith, A., An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, (erstmals 1776) Neudruck New York 1965. 3 Vgl. Cole, G. D. H., Robert Owen, London 1925, S. 29 f. 4 U.a. sind als Zeitgenossen Owens (zu denen er freilich nicht sämtlich Kontakt hatte) zu erwähnen: Samuel T. Coleridge (1772-1834) englischer Romantiker, Lord Byron (1788-1824) Dichter, John Keats (1795-1821) Romantiker, Charles Dickens (1811-

2 Elsässer

18

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

A. Politische Lage I. Weltpolitischer Hintergrund Das Ende des Siebenjährigen Krieges (1756—1763) ist das bestimmende Ereignis für die englische Außenpolitik in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts 5. Mit dem Friedensvertrag von Paris im Jahre 1763 erreicht das britische ,First Colonial Empire 4 seinen Höhepunkt. Nach der Zerschlagung der ersten französischen Kolonialmacht (vor Napoleon) 6 gewinnt England die französischen Gebiete in Nordamerika 7 , vor allem Kanada, und wird damit zur ersten Kolonialmacht der Welt 8 . Gleichzeitig ergeben sich im europäischen Staatengefüge Verschiebungen. Mit dem Aufstieg Preußens zur Großmacht unter Friedrich II., dem Großen (1740—1786), entsteht im deutschen Reich der Dualismus Preußen - Österreich (Maria Theresia, 1740-1780). Er wird das kontinentaleuropäische Geschehen für hundert Jahre nachhaltig mitbestimmen. Erstmals macht sich unter Katharina II., der Großen (1762-1796), auch Rußlands Gewicht in der europäischen Politik bemerkbar. Der englische Sieg im Siebenjährigen Krieg befreit die nordamerikanischen Kolonien Englands von der äußeren Bedrohung durch Frankreich. An der Frage einer Besteuerung, mit der die Kolonien zur Begleichung der englischen Kriegsschulden mit herangezogen werden sollen, und der Forderung der Kolonisten nach parlamentarischer Vertretung im britischen Unterhaus (,No Taxation without Representation') entzündet sich schließlich der Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien (1775—1783) gegen das Mutterland 9 . Mit 1870) Schriftsteller u. Sozialkritiker, Honoré de Balzac (1799-1850) franz. Schriftsteller, Fr. Chopin (1810-1849), Karl Fr. Schinkel (1781-1841) Architekt u. Maler, Fr. Schlegel (1772-1804) Romantiker, Ed. Mörike (1804-1875) Lyriker, Th. Storm (1817-1888) Lyriker, Adalbert Stifter (1805-1868) Romantiker, J. W. Goethe (1749-1832), C. D. Friedrich (1774-1840) Maler, Th. R. Malthus (1766-1834) Wirtschaftswissenschaftler, J. H. v. Thünen (1783-1850) Nationalökonom, David Ricardo (1772-1823) Nationalökonom; s. Stein, W., Kulturfahrplan, die wichtigsten Daten der Kulturgeschichte, Berlin 1958 S. 846 ff; Heilbronner, R. L., Wirtschaft und Wissen, Zwei Jahrhunderte Nationalökonomie, Köln 1960, S. 411 ff. 5 s. Seton-Watson, R. W., Britain in Europe, 1789-1914, a Survey of Foreign Policy, Cambridge 1938, S. 5 ff; Langford, P., The Eighteenth Century, 1688-1815, London 1976, S. 153 ff. 6 Unter Ludwig XV. (1715-1774). 7 England gewinnt Louisiana, außerdem Cap Breton und Senegambien von Frankreich, Florida von Spanien, s. Ploetz, K., Auszug aus der Geschichte, 26. Aufl., Würzburg 1960, S. 790. 8 Vgl. Herzfeld, H., Die moderne Welt, I. Teil, Die Epoche der bürgerlichen Nationalstaaten (1789-1890), 5. erg. Aufl., Braunschweig 1966, S. 3 ff; 1770 entdeckt James Cooke Australien für England, Clive (1725-1774) sichert im Verlauf der Jahre nach 1760 die englische Herrschaft in Indien. 9 Am 4. Juli 1776 Unabhängigkeitserklärung der dreizehn nordamerikanischen Kolonien, s. hierzu Kluxen, K., Geschichte Englands, von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1968, S. 456 ff.

A. Politische Lage

19

französischer und holländischer Unterstützung gelingt es dem amerikanischen Volksheer, sich gegen die englischen Söldnertruppen durchzusetzen. Der Friedensvertrag zu Versailles (1783) führt zur Anerkennung der Unabhängigkeit der dreizehn Vereinigten Staaten von Amerika 10 . Der Verlust der nordamerikanischen Kolonien 1783 bedeutet das Ende des britischen ,First Colonial Empire', dessen Schwerpunkt in der westlichen Hemisphäre lag. Das sogenannte jüngere Imperium (,Second British Empire'), das auf die Ära W. Pitt nach 1783 zurückgeht, steht im Zeichen des Bestrebens, die verlorenen Gebiete durch neue zu ersetzen 11. Dabei kommt Indien eine wachsende Bedeutung z u 1 2 . 1789 beginnt die französische Revolution, die erstaunlicherweise auf nur geringen politischen Widerhall in England stößt 13 . England schaut den revolutionären Vorgängen zunächst gelassen zu. Es tritt nach dem Verlust der nordamerikanischen Kolonien in eine Periode innerer Erneuerung. Der Übergang des aristokratischen England des 18. Jahrhunderts in das bürgerliche des neunzehnten deutet sich bereits an. Die revolutionäre Wandlung des englischen Wirtschaftslebens - die sogenannte „Industrielle Revolution" - schafft neue innenpolitisch-soziale Probleme, hinter denen das Interesse an kontinentaleuropäischen Vorgängen zurücktritt 14 . Obwohl auch die englische Gesellschaft zwischen 1780 und 1790 nicht ohne ,Sans-culottes'15 ist und erste Arbeiterdemonstrationen — vor allem in den Ballungsgebieten Lancashires — zu verzeichnen sind, ist der englische Traditionalismus doch stark genug, die gewaltsame Zerstörung überlieferter Lebensformen nach dem Beispiel der französischen Revolution zu verhindern. Die Schreckensherrschaft der Jakobiner sowie eines Robespierre und danach die Diktatur Bonapartes stoßen in England auf scharfe Ablehnung 16 . Ausschlaggebend ist für die englische Reaktion, daß sich das Bürgertum - anders als in Frankreich - dem revolutionären Gedanken verschließt 17 . Erst nach der Hinrichtung Ludwig XVI. (1774-1792) im Januar 1793 entschließt sich England zum Krieg mit Frankreich. Neben die moralische Empörung (als öffentliche Meinung in der englischen Politik nicht zu unterschätzen) gesellt sich die außenpolitische Sorge vor einer französischen Über10 England tritt Tobago und Senegambien an Frankreich, Menorca und Florida an Spanien ab, Kanada bleibt britisch. 11 s. hierzu Bourne, K., Britain and the Balance of Power in North America, 1815— 1908, London 1967, S. 33 f. 12 Vgl. Herzfeld, H., S. 4 f. 13 Vgl. Goodwin, A., The Friends of Liberty, the English Democratic Movement in the age of the French Revolution, London 1979, S. 19-31. 14 s. Seton-Watson, R. W., Britain in Europe . . . , S. 13-37. 15 Anhänger der Französischen Revolution, benannt nach der langen Hosentracht. 14 Vgl. Hartig, P., Englisches Staats- und Gesellschaftsleben in Vergangenheit und Gegenwart, in: England, zwölf Beiträge von N. Altwicker u.a., hrsg. v. P. Hartig, 6. Aufl., Frankfurt/Berlin/München 1971, S. 86-152, hier S. 101. 17 s. Seton-Watson, R. W., ebd.; zur Entwicklung der französischen Demokratie s. Duverger, M., Die Entwicklung der Demokratie in Frankreich, in: Die Demokratie im Wandel der Gesellschaft, hrsg. v. R. Löwenthal, Berlin 1963, S. 69 f.

20

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

macht in Europa 18 . England tritt an die Spitze einer sich erweiternden europäischen Koalition gegen das revolutionäre, später napoleonische Frankreich — als Financier und Wortführer der Gegner der Revolution 19 . Der englisch-französische Weltgegensatz wird zur Dominante der europäischen Politik und bleibt es bis zum Sturz Napoleons. Fünf Koalitionskriege und der Befreiungskrieg 1813/1814, zweiundzwanzig Jahre kriegerische Auseinandersetzung in Europa - von einem Jahr des Friedens nach dem Vertragsabschluß von Amiens (1802) abgesehen - bestimmen die politische und wirtschaftliche Entwicklung Englands. Nach den vernichtenden Seeschlachten bei Abukir (1799) und am Kap Trafalgar (1805) 2 0 versucht das napoleonische Frankreich, England durch einen Komplex wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die sogenannte Kontinentalsperre, zu bezwingen. England wird dadurch zur stärksten Anstrengung seiner Kräfte gezwungen, vor allem zum weiteren Flottenausbau und zur vollen Beanspruchung seiner finanziellen Mittel. Das Ziel, den Gegner wirtschaftlich zur Kapitulation zu zwingen, bleibt jedoch in einer noch weithin agrarisch bestimmten und strukturierten Zeit unerreichbar. Der gemeinsame Sieg des englischen Berufsheeres und des preußischen Volksheeres am 18. Juni 1815 bei Waterloo leitet das Ende der Kriegsgeschichte der napoleonischen Epoche ein. Aus ihr geht als Gewinner England hervor. Nach der Friedensordnung der Schlußakte des Wiener Kongresses (1814/1815) wird England zur unumschränkten Handels- und Kolonialmacht 21 . Für viele Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hat es die unangefochtene Vorherrschaft auf den Weltmeeren, während es streng auf die Erhaltung des bestehenden Gleichgewichtes der Mächte auf dem europäischen Festland (Preußen, Österreich, Rußland, Frankreich) bedacht ist 2 2 . Nach 1815 verlagert sich das eigentliche Augenmerk der englischen Interessen von Europa nach Übersee. Die englische Außenpolitik ist von nun an gekennzeichnet durch eine beständig expansive Kolonialstrategie, die eine Entfaltung der englischen Wirtschaftsmacht in bis dahin noch nicht gekanntem Maße ermöglicht 23 . Damit geht in der friedvollen und wirtschaftlich blühenden ,Vik18 Mit dem Vormarsch der französischen Truppen gegen die Niederlande, der Bedrohung der strategisch wichtigen holländischen Küste sieht England seine Gleichgewichtspolitik in Europa gefährdet, s. Langford, P., The Eighteenth Century, 1688-1815, S. 189 ff. 19 s. Hurtig, P., ebd. 20 Am 21. Oktober 1805 unter den Admirälen Nelson und Villeneuve, als Wendepunkt der Napoleonischen Kriege bezeichnet, s. Braubach, M., Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 3, von der Französischen Revolution bis zum ersten Weltkrieg, bearb. v. E. Born u.a., hrsg. v. H. Grundmann, 9. Auflage, Stuttgart 1973, S. 2-99, hier S. 43. 21 England werden Ceylon, Malta, die Kapkolonie in Südafrika, Helgoland und Hannover zugesprochen; s. auch Hintze, O., Die Seeherrschaft Englands, in: Jahrbuch der GeheStiftung zu Dresden, Bd. XIII, Dresden 1907, S. 1-38. 22 s. Hayes, P., The Nineteenth Century 1814-1880, London 1975, S. 76 ff. 23 s. Hayes, P., The Nineteenth . . . , S. 233 ff; auchMommsen, W. J., Das britische Empire, in: Historische Zeitschrift, hrsg. v. Th. Schieder u. L. Gall, Bd. 233, Heft 2, Oktober 1981, S. 317-361.

A. Politische Lage

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torianischen Ära 4 (Königin Viktoria 1837-1901) die englische Außenpolitik tendenziell ab von der Tradition ihrer europäischen Gleichgewichtspolitik, hin zu einer Politik des Isolierungsversuches, die darin besteht, sich gegenüber Störungen vom Kontinent abzukapseln (,Splendid Isolation'). Der Anfang des Viktorianischen Zeitalters bleibt bestimmt vom Ausbau der nationalen Sicherheit, von kolonialem Wachstum und dem Bestreben nach Wohlstand auf der Basis uneingeschränkter Seemacht; innenpolitisch ist er geprägt von Liberalismus sowie Freihandel einerseits und von sozialen Problemen andererseits 24.

II. Innenpolitische Entwicklungen Großbritannien ausgangs des 18. Jahrhunderts bietet das Bild einer rein traditionsorientierten Nation, in der die Stellung der Aristokratie trotz wirtschaftlicher Umwälzungen vorherrschend bleibt. Der Adel (,Nobility', ,Gent r y ' ) 2 5 , gesellschaftlich und wirtschaftlich tonangebend, dominiert Gesetzgebung, Regierung und — zumindest in den ländlichen Regionen - auch die Rechtsprechung unangefochten 26. Eigenart der englischen Aristokratie ist jedoch, daß sich der Adel zum einen nicht als geschlossene Kaste betrachtet und Financiers, Großindustrielle u.a. in seine Reihen kooptiert 2 7 , zum anderen sich mit den Strömungen und Ideen der Aufklärung vertraut zeigt. Das trägt wesentlich dazu bei, daß sich England später, im Verlauf des 19. Jahrhunderts ohne revolutionäre Erschütterungen doch zu modernen liberalen und demokratischen Ausgestaltungen seiner innenpolitischen Struktur entwickeln kann; ganz im Gegensatz zu den europäischen Festlandstaaten28. Nach der Ära des leitenden Staatsmannes W. Pitt des Jüngeren (1783-1801 und 1804-1806) bleiben die ,Tories' 29 , dank der überalterten Wahlkreiseinteilung der »Rotten Boroughs' 30 , unangefochten bis 1830 an der Macht. Nach einer primär außenpolitisch orientierten Epoche des Krieges (1793-1815) tritt England in den Jahren 1815 bis 1822 in eine Phase, in der die Innenpolitik stark an Gewicht gewinnt. Sie ist begleitet von Unruhen und repressiver Reak24 s. Herzfeld, H., Die moderne . . S . 119, ad Freihandel s. Wilmot-Buxton, E. M., A Social History of England, London 1920, S. 194-206. 25 Englischer Hochadel und niederer Landadel. 26 Vgl. Hartig, P., Englisches Staats- und Gesellschaftsleben . . ., S. 100. 27 Sofern sie entsprechenden Grundbesitz erwerben. 28 Vgl. Hartig, P., ebd.; Herzfeld, H., Die moderne W e l t . . . , S. 5 8; s. auch Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen bei der Errichtung von Genossenschaften vor 1900, Analyse der Strategien des Genossenschaftsaufbaus in den Frühstadien industriewirtschaftlicher Entwicklungen, Göttingen 1976, S. 9 ff. 29 Zur Ära Pitt s. Goodwin, A., The Friends of Liberty, S. 32 ff; ,Tories\ Bezeichnung für konservative Partei; zur Tory-Regierung nach 1806 s. Black, E. C., British Politics in the Nineteenth Century, London/Melbourne 1970, S. 26 ff. 30 Sogenannte entvölkerte Wahlbezirke, in denen zwar kaum noch Einwohner leben, das Parlamentsmandat dennoch erhalten bleibt.

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Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

t i o n 3 1 . Die Periode ist charakterisiert durch eine an sich konsequente Politik, welche die Interessen des Großgrundbesitzes durch Einführung von Getreideschutzzöllen (1815) einseitig schützt 32 . Erste Arbeiterunruhen (JPeterloo' Massaker 1819) 33 und Ansätze einer sich bildenden radikalen Opposition unter der Führung William Cobbetts veranlassen die Regierung zur Aufhebung der Presse- und Versammlungsfreiheit (,Six Acts' — sogenannte Knebelgesetze) im Jahre 1819 34 . Wie in der englischen Außenpolitik durch Canning (1822-1825) die Abwendung von der europäischen Reaktionspolitik beginnt, so tritt innenpolitisch erst nach 1822 eine allmähliche Lockerung der Repression ein. Ein gemäßigter ,Torismus4 entwickelt sich. Erste soziale Zugeständnisse, Milderung des harten Strafrechtes (Deportationen), Gewährung von Streikrecht und Koalitionsfreiheit für die Arbeiterschaft sowie Zulassung der Trade Unions im Jahre 1824, führen auch zu einer Mäßigung des Radikalismus 35 . Vor allem mit der Aufhebung der Testakte im Jahre 1829, die die überlieferte Monopolstellung der anglikanischen Staatskirche (seit 1673) beseitigt und erstmals zur Gleichberechtigung der Nonkonformisten und Katholiken führt 3 6 , betritt England am Vorabend der französischen Julirevolution (1830) innenpolitisch den Weg friedlicher Reform- und Kompromißbereitschaft 37 . Unter dem Eindruck der Revolution der dreißiger Jahre in Frankreich entfesselt sich eine von den ,Whigs' (Kabinett Lord Grey) und Radikalen (Cobbett) getragene Bewegung, die zu der längst überfälligen Wahlrechts- und Parlamentsreform des Jahres 1832 führt 3 8 . Die Neuaufteilung der Wahlkreise zugunsten der Industriestädte und die Einführung eines gemäßigten Zensuswahlrechtes (Verdoppelung der Zahl der Wahlberechtigten) 39, bewirkt eine politische Stärkung des oberen Mittelstandes und drängt den Einfluß des Großgrundbesitzes 31

Vgl. Herzfeld, H., Die moderne . . . , S. 94. Nach Aufhebung der Kontinentalsperre bewirken die verstärkten europäischen Getreideimporte einen Preisverfall auf dem englischen Markt; mit den Schutzzöllen wird das alte, überteuerte Preisniveau aufrecht zu erhalten versucht. 33 Zusammenstoß auf dem St. Petersfeld bei Manchester am 16. August 1819, als ,Peterloo' (Waterloo der Arbeiterschaft) in die Geschichte eingegangen; eine riesige Versammlung von Arbeitern, die für eine Parlamentsreform friedlich demonstriert, wird von militärischen Einheiten attackiert; es gibt 11 Tote; als Beginn des englischen Klassenkampfes bezeichnet; s. hierzu Read, D., Peterloo, The Massacre and its Background, Manchester 1958, S. 93 ff; auch Black, E. C., British Politics..., S. 26-30. 34 s. Ploetz, K., Auszug aus der Geschichte, S. 847. 35 s. Seton-Watson, R. W., Britain in Europe, S. 67 ff 36 Erstmals sind Katholiken zum Parlament und zu Staatsämtern zugelassen; die ,Whigs' (liberale Partei) treten für die Dissenters (Non-Konformisten) ein, s. Herzfeld, H., S. 94 f. 37 Vgl. Herzfeld, H., ebd. 38 Die sogenannte ,Reform Bill 4 , nach erbittertem Widerstand des Oberhauses, das jedoch angesichts der Gefahr von Arbeiterunruhen, eines Steuerstreiks und einer Börsenpanik einlenkt, s. Seton-Watson, R. W., S. 149 ii\Hartig, P., S. 102 f. 39 Von 500.000 auf 830.000/1.000.000 Wahlberechtigte, vgl. Herzfeld, H., S. 118. 32

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

23

zurück. Die Folge der ,Reformbill' ist eine Erstarkung der ,Whigs', die sich ab 1832 - wenn auch langsam - zu einer modernen bürgerlich-liberalen Partei entwickeln und innenpolitisch im Verlauf des 19. Jahrhunderts an Macht gewinnen. Die parlamentarische Regierungsform, mit der Bindung des Kabinetts an Unterhausmehrheiten, setzt sich nach der Wahlrechtsreform des Jahres 1832 in England durch. Dennoch: Die ,Reformbill' bleibt lediglich eine erste Erweiterung der Wahlfreiheit. Das Gros der Bevölkerung, Land- und Industriearbeiter sowie die untere Mittelschicht, sind nach wie vor nicht wahlberechtigt 40 . Die innenpolitische Situation der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts ist gekennzeichnet vom Kampf der breiten Massen des englischen Volkes gegen die Kornzölle von 1815, die eine wesentliche Ursache der Teuerung der Lebenshaltung darstellen, gleichwohl die englische Landwirtschaft begünstigen. Die ,Anti-Corn-Law-League' (1838—1846), organisiert von Richard Cobden und John Bright 4 1 , ist das erste Beispiel einer mit großen Mitteln arbeitenden demokratischen Massenorganisation (Arbeiterschaft und Bürgertum vereinend), die sich gegen die englischen Großgrundbesitzerinteressen durchzusetzen vermag. Die Aufhebung der Getreideschutzzölle im Jahre 1846 stellt die entscheidende Option für den englischen Handels- und Industriestaat des späteren 19. Jahrhunderts dar und leitet den allmählichen Niedergang der bis dahin privilegierten englischen Landwirtschaft ein. Der Siegeszug einer Politik des Freihandels unter dem Kurs der liberalen und konstitutionellen Regierungsweise der Viktorianischen Ära 4 2 ist damit eingeleitet.

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse I. Industrielle Revolution Ideengeschichtlich ist die Periode von 1760 bis 1870 die Zeit, in der der Liberalismus das System einer modernen kapitalistischen Wirtschaftsordnung hervorbringt. Die spezifisch englischen Ausformungen können sich dabei auf den Puritanismus 1 und auf gewisse demokratische Traditionen stützen. Beide Elemente fördern die Entwicklung der Wissenschaften, welche wiederum der Industriellen Revolution zu Gute kommt 2 . 40 Nur ein ganz geringer Prozentsatz der Bevölkerung ist wahlberechtigt, s. Schaubild bei Hartig, P., S. 113. 41 Das Zentrum der Liga ist Manchester; s. Armitage-Smith, G., The Free-trade Movement and its Results, London 1903, S. 61 ff; Henning, Fr.-W., Die Industrialisierung in Deutschland, 4. Aufl., Paderborn 1978, S. 170. 42 Zur Viktorianischen Ära s. Black, E. C., British Politics in the Nineteenth Century, 5. 168 ff. 1 S. dazu Weber, M., Askese und kapitalistischer Geist, in: Gesammelte Aufsätze zur Religiönssoziologie, Bd. I., Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 6. Aufl., Tübingen 1972, S. 17 ff. 2 Vgl. Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen . . . , S. 6 ff; s. auch Dreitzel, H. P., Sozialer Wandel - Zivilisation und Fortschritt als Kategorien der soziologischen Theorie, 2. Aufl., Neuwied/Berlin 1972, S. 21 ff.

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Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen Der Industriellen Revolution geht eine, später (nach 1760) zeitweilig parallel

verlaufende, agrarische Revolution i m 18. Jahrhundert voraus 3 . Sie ist gekennzeichnet durch eine allgemeine landwirtschaftliche Produktionssteigerung 4 , die sowohl auf eine quantitative Ausweitung der landwirtschaftlich genutzten Fläche 5 als auch auf agrartechnisch fortgeschrittenere Anbaumethoden 6 zurückzuführen i s t 7 . Begünstigt durch ein fortwährend hohes Preisniveau 8 für Agrarprod u k t e 9 kann der nach modernen Gesichtspunkten bewirtschaftete Großgrundbesitz seinen Ertrag nachhaltig steigern 1 0 . D a m i t verbunden ist die Zunahme großer landwirtschaftlicher Besitzungen u n d eine Konzentration der agrarischen Struktur auf reiche Gutsbesitzer, die Pächter u n d Landarbeiter beschäftigen. Die Besitzumschichtung i n der englischen Landwirtschaft, hervorgerufen durch eine Welle von Einhegungen 1 1 u n d dem Phänomen des ,Auskaufens\ 3 Vgl. Pawson, E., The early Industrial Revolution, Britain in the Eighteenth Century, London 1979, S. 43-73; nach Henning findet die eigentliche Phase der Industrialisierung in Deutschland zwischen 1835-1873 statt, s. Henning, F.-W., Die Industrialisierung . . . , S. 111 ff. 4 Zwischen 1710 und 1795 steigen beim kapitalkräftigen Großgrundbesitz die Verkauf sgewichte der Ochsen um mehr als 100 Prozent, der Kälber um 200 Prozent, der Lämmer/Schafe um 150 Prozent, s. dazu Treue, W., Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 76. s Mittels Kultivierungen, Drainagen und Meliorationen. 6 Wie z.B. Fruchtwechselwirtschaft statt der alt hergebrachten Dreifelderwirtschaft, moderne Viehzucht, verstärkte maschinelle Bewirtschaftung u.ä. 7 Vgl. Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 3. Aufl., Köln/Wien 1960, S. 289-295. 8 Ausfall der Importe während der Kontinentalsperre bis 1815, danach Getreideschutzzölle. 9 Der Weizenpreis steigt zwischen 1735 und 1805 um das Dreifache (!), s. dazu Treue, W.,S. 74. 10 Als Indiz dafür: der Pachtzins zwischen 1809 und 1815 steigt in den östlichen Grafschaften und Nordwales um 40 Prozent, s. dazu Thompson, R., J., An Inquiry into the Rents of Agricultural Land in England and Wales during the Nineteenth Century, in: Journal of the Royal Statistical Society, LXX, 1907, S. 587-616. 11 Die Einhegungswelle von Gemeindeländereien macht es den Kleinbauern nicht länger möglich, eigenes Vieh halten zu können, da sie nicht über genügend eigenes Weideland verfügen. Das Ausmaß der Umfriedung und anschließenden Umwandlung von Weideland in Ackerland (wegen der profitablen Getreidepreise) wird an folgender Aufstellung deutlich (1 acre = 0,4 ha):

Einhegungen von Gemeindeland (allerdings auch schon vor 1727) Zeitraum 1727-1760 1761-1792 1793-1801 1802-1815 1816-1845

eingehegtes Gemeindeland in acres 74.518 acres 478.259 acres 273.891 acres 739.743 acres 199.300 acres.

Entnommen aus: Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Köln/Wien 1960, S. 291; die Aufstellung zeigt, daß während der Kriegswirren (1793-1815) eine Spekulationswelle (hohe Getreidepreise) die Einhegungen emporschnellen läßt.

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

25

geht zu Lasten der bis dahin selbständigen Kleinbauern (,Yeoman F a r m e r 4 ) 1 2 . Diese landwirtschaftliche Umgestaltung ist i n zweifacher Hinsicht für die Industrielle Revolution wichtig. Die ihrer Existenzgrundlage beraubte u n d entwurzelte Landbevölkerung zieht i n die anwachsenden Industriezentren u n d stellt das Heer der benötigten Fabrik-Arbeitskräfte. Z u m anderen wirken sich die neuen Produktionsmethoden der Landwirtschaft auch auf die Entstehung neuer Industrieentwicklungen inspirierend a u s 1 3 . Die Zeit von 1740 bis 1780 stellt geschichtlich somit eine Epoche erster radikaler Umgestaltung i n Land- wie aufkeimender Industriewirtschaft dar. Die Industrielle R e v o l u t i o n 1 4 — i m eigentlichen Sinne etwa ab dem Jahr 1760 - bedeutet zunächst einen technischen Umbruch, der von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften ausgeht. M i t Hilfe neuer Erfindungen (Maschinen) u n d Produktionsmethoden (Arbeitsteilung, D a m p f a n t r e i b ) 1 5 werden zu12 Eine Untersuchung von E. Davies anhand landwirtschaftlicher Steuer- und Fiskalunterlagen zeigt, daß dieser Prozeß schon vor 1780 einsetzt, s. dazu Davies, E., The Small Landowner, 1780-1832, in the Light of Land Tax Assessments, in: Essays in Economic History, hrsg. v. E. M. Carus-Wilson, London 1954, S. 270-294, insbesondere S. 292 f. 13 s. dazu Ashton, T. S., Der Lebensstandard der Arbeiter in England, 1790-1830, in: Die soziale Frage, hrsg. v. W. Fischer/G. Bajor, Stuttgart 1967, S. 51-73. 14 Der Begriff wurde von A. Toynbee geprägt, s. dazu Toynbee, A., The Industrial Revolution, London 1884. 15 Als Beispiel einige Erfindungen und neue Produktionsmethoden: Jahr 1766 Erster Hochofen in England 1769 Spinnmaschine (,spinning jenny 4 ) 1776 Benutzung von Dampf in der Eisenerzeugung 1779 Comptons ,Mule' (Textilmaschine) 1782 Erste Eisenbahnbrücke 1785 Dampfmaschine von James Watt und Boulton in der Baumwollindustrie 1785/90 Cartwrights mechanischer Webstuhl 1814 Stephensons Lokomotive 1814 Gasbeleuchtung in London 1851 Nähmaschine 1854 Glühbirne Die Daten sind entnommen: Treue, W., Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Stuttgart 1966, S. 57-72; Brakelmann, G., Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, 1. Bd., Witten 1962, S. 18\Ploetz, K., Auszug aus der Geschichte, Würzburg 1960, S. 834; zur Entwicklung der erteüten Patente für Erfindungen s. Kleinschrod, C. Th., Großbritanniens Gesetzgebung über Gewerbe, Handel und innere Communicationsmittel, statistisch und volkswirtschaftlich erläutert, Stuttgart/Tübingen 1836, S. 71 f: 1765-1774 erteilte Patente 383 1775-1784 365 »j >> 1785-1794 567 >> »> 1795-1804 775 >> >> 1805-1814 1053 >> j> 1815-1824 1176 j> >> 1825-1828 680 »j »> Die Zahlen der erteilten Patente zeigen eine eindeutig steigende Tendenz (die letzte betrachtete Periode von 1825-1828 umfaßt nur vier Jahre). Zu dem Stand der Technisierung in Deutschland, s.Aubin, H./Zorn, W. (Hrsg.), Handbuch

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Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

nächst die Textilindustrie, hier in erster Linie die Baumwollindustrie 16 , nachfolgend Bergbau und Kohleproduktion 17 sowie die Metallindustrie 18 in Engder deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2., Das 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1976, S. 51-76; s. auch Landes, D. S., Technological Change and Development in Western Europe, 1750-1914, in: The Cambridge Economic History of Europe, Vol. VI, The Industrial Revolution and After, Cambridge 1965, S. 274 ff. 16 Anzahl der mechanischen Webstühle in der britischen Baum Wollindustrie: Jahr Anzahl 1813 100 mechanische Webstühle 1820 14.000 1830 60.000 1835 108.000 1850 250.000 (1788 hatte es noch 123 mit Wasserkraft betriebene Spinnereien in England gegeben!) Die Daten sind entnommen: Brakelmann, G., Die Soziale Frage des 19. Jahrhunderts, Bd. 1,S. 18; demgegenüber gab es nur: Jahr Anzahl 1835 2.000 1850 9.500 dampfbetriebene Maschinen in der Wollverarbeitungsindustrie, s. dazu Hausherr, H., S. 304. Die Aufstellung macht die überragende Bedeutung der Baumwollindustrie für die englische Wirtschaft anfangs des 19. Jahrhunderts deutlich; für die Periode zuvor s. Stromer, W. v., Die Gründung der Baumwollindustrie in Mitteleuropa, Stuttgart 1978. 17 Entwicklung der Kohleförderung in Großbritannien: Jahr 1700 2,6 Millionen Tonnen Kohle 1750 4,8 1770 6,2 1780 6,4 1800 10,0 1826 21,0 1836 30,0 1844 44,0 Der Anteil der britischen Kohleförderung an der Weltförderung beträgt 1860/1870 etwa 50 Prozent; Daten entnommen aus: Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . . , S. 29S;Treue, W., S. 64 und 412. 18 Als Beispiel die Zahlen über die Ausdehnung der Roheisenproduktion in England: 1788 68.000 Tonnen Roheisen jährlich 1796 125.000 „ 1806 250.000 „ 1820 400.000 „ 1823 441.000 „ 1825 613.000 „ 1828 702.000 1835 1.000.000 „ 1846/47 2.000.000 „ 1855 3.000.000 „ Der sprunghafte Anstieg nach 1828 ist vor allem auf den Eisenbahnbau zurückzuführen, die Zahlen sind entnommen: Kleinschrod, C. Th., Großbritanniens Gesetzgebung über Gewerbe, Handel und innere Communicationsmittel, statistisch und staatswirtschaftlich erläutert, Stuttgart/Tübingen 1836, S. 258 f; auch Hausherr, H., S. 298.

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

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land entwickelt u n d i n rasantem Tempo ausgebaut. Der technische Fortschritt ermöglicht bei niedrigem Lohniveau i n gewaltigen Fabrik- u n d Produktionsanlagen die Herstellung von Massenartikeln, m i t denen Großbritannien die Weltmärkte erobert (Freihandel nach 1846), während die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents infolge der Erschöpfung durch die napoleonischen Kriege zunächst stagniert 1 9 . M i t der Entfaltung des Verkehrswesens (Kanäle, Straßenbau etc.) nach dem Jahre 1830 t r i t t die Industrialisierung i n eine neue Phase: Eine Periode struktureller Wandlung h i n zur Industriegesellschaft, m i t ausgeprägter Geld- u n d Kapit a l w i r t s c h a f t 2 0 . Eisenbahnbau 2 1 , Dampfschiffahrt phie

23

22

, Kanalbau und Telegra-

ermöglichen trotz starker konjunktureller Schwankungen 2 4 , Deflation

u n d Importabhängigkeit 2 5 , daß die industrielle Entwicklung Englands nach 19 Als weitere Gründe für den Vorsprung der Industriellen Revolution in England führt Brusatti an: - gute natürliche Voraussetzungen (Küstennähe, Kohle etc.) - englische Neigung zum Experimentieren - Zunftschranken sind früh gefallen - Seemacht-Monopolstellung - ausreichend Kapital vorhanden - genügend Arbeitskräfte infolge agrarischer Umwälzung - Unternehmungsgeist (und hier vor allem der Nonkonformisten); s. dazu Brusatti, A., Wirtschafts- und Sozialge schichte des industriellen Zeitalters, 2. Aufl., Graz/Wie n/Köln 1968, S. 60 f. 20 Bankwesen außerhalb Londons in England: Jahr Anzahl 1750 etwa 12-20 Provinzbanken 1800 etwa 400 Provinzbanken Entnommen: Treue, W., S. 72. 21 Eisenbahnbau in England: 1814 Stephensons Lokomotive in Newcastle erfunden 1825 Erste Eisenbahn Stockton - Darlington 1830 Eisenbahn Liverpool - Manchester Die Daten sind entnommen: Ploetz, K., Auszug . . . , S. 834. 22 Dampfschiffahrt: 1807 Erstes Dampfschiff von Fulton (in USA) 1818 Erstes Dampfschiff von New York nach Liverpool 1819 Dampfschiff von New York nach London Die Daten sind entnommen: Brakelmann, G., Die soziale . . . 23 Telegraphie: 1837 Morse-Schreibtelegraph in New York 1851 Erstes Telegraphen-Unterseekabel von Dover nach Calais Die Daten sind entnommen: Ploetz, K. 24 So zum Beispiel die großen wirtschaftlichen Depressionen 1815-1820 und 1846; s. dazu Treue, W., S. 404. 25 Import von Rohbaumwolle: Jahr 1769 3.900 Tonnen Rohbaumwolle jährlich 1780 8.000 Tonnen „

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Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

1830 einen deutlichen Sprung nach vorne macht 2 6 . Insbesondere das Monopol im Zwischenhandel mit den Übersee- und Kolonialgebieten 27 , die als Rohstofflieferanten sowie als große Absatzmärkte fungieren, ebnet Großbritannien den Weg zu der Stellung, die es im 19. Jahrhundert fortan zu behaupten vermag: Zur Drehscheibe des Welthandels und Zentrum des Finanzwesens. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß mit der Ausbreitung der Industriellen Revolution einhergeht ein struktureller Wandel des bis dato gewohnten gesellschaftlichen Gefüges. Die veränderten Verhältnisse des 19. Jahrhunderts sind in England bestimmt durch eine Tendenz zum System des unkontrollierten Marktmechanismus, der Mobilität der Bevölkerung und der Etablierung des Fabriksystems, welches das gebundene Heim- und Manufakturgewerbe des Mittelalters und des Merkantilismus ablöst. Die Entwicklung einer freien Wettbewerbswirtschaft schafft jedoch neue Unfreiheiten, die neue Formen wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Ungleichheit ergeben. Daher erweist sich die Industrielle Revolution auch als Beginn zunächst wachsender Verelendung in England.

II. Bevölkerungsstruktur Die demographische Entwicklung Großbritanniens zwischen den Jahren 1750 und 1850 zeichnet sich durch ein starkes Wachstum der Bevölkerung aus 28 , welches mit der Industriellen Revolution einhergeht 29 . Die folgende Zusammenstellung verdeutlicht die Bevölkerungszunahme: Jahr 1800 25.000 Tonnen Rohbaumwolle jährlich 1815 50.000 Tonnen „ 1830 100.000 Tonnen „ 1849 346.000 Tonnen „ 1860 1.100.000 Tonnen „ Der Baumwollexport im Jahre 1827/1828 erbringt einen Wert von 19 Millionen Pfund Sterling; der Wollwarenexport demgegenüber lediglich 5 Millionen Pfund Sterling; Daten entnommen aus: Hausherr , H., Wirtschaftsgeschichte . . . , S. 302 f; s. auchPawson, E., The early Industrial Revolution, S. 85 ff. 26 Vgl. Kleinschrod, C. Th., Großbritanniens ..., S. 258 f. 27 Entwicklung des englischen Überseeverkehrs: Jahr 1823 6,3 Millionen Tonnen 1847 14,3 „ 1860 24,7 „ 1870 36,6 „ Um 1850 beträgt der britische Anteil an der Welttonnage 47%; Daten entnommen: Treue, W.,S. 419. 28 Zur Problematik der Bevölkerungsstruktur s. die besonders gründlichen Untersuchungen von Marshall ; T. H., The Population Problem during the Industrial Revolution,

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B. Sozio-ökonomischc Verhältnisse Bevölkerung von Großbritannien

Jahr

1700 1750 1780 1801 1811 1821 1831 1841 1851 1861

Einwohnerzahl i n England und Wales 3 0 5,5 Millionen 6,5 Millionen 8,9 10,1 12,0 13,9 15,9 17,9 20,0

Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen

Einwohnerzahl i n England, Wales und Schottland 3 1

7,5 9,0 11,0 12,5 14,3 16,5

Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen

21,0 Millionen

Aus den Ziffern w i r d ersichtlich, daß die Bevölkerung sich zwischen 1750 und 1850 verdreifacht, i n dem kürzeren Zeitraum zwischen 1780 u n d 1831 sogar überproportional u m 183 Prozent ansteigt. Wie eine Auswertung der statistischen Unterlagen zeigt, ist die enorme Bevölkerungsexplosion sowohl auf einen Anstieg der Geburtenrate 3 2 als auch auf einen Rückgang der Sterba Note on the Present State of the Controversy, in: Essays in Economic History (Reprints), hrsg. v. E. M. Carus-Wilson, London 1954, S. 306-330; sowieMarshall, T. H., The Population of England and Wales from the Industrial Revolution to the World War, in: Essays in Economic History, hrsg. v. E. M. Carus-Wilson, London 1954, S. 331-343. 29 Die Erste Volkszählung findet 1801 in England statt (in Irland 1821); die Bevölkerungsziffern der vorangegangenen Perioden stützen sich auf statistische Schätzungen, die jedoch als zuverlässig betrachtet werden können (dank dem Erkenntnisstand der Statistik im 18. Jahrhundert); dieser Ansicht schließt sich auch Hausherr, H., Wirtschaftsgeschicht e . . . ^ . 305,an. 30 Die Ziffern sind entnommen: Marshall, T. H., The Population of England . . . , S. 343; die Daten vor 1801: s. Treue, W., Wirtschaftsgeschichte . . . , S. 81; s. auch die unterschiedlichen Angaben bei Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen volkswirtschaftlich und soziologisch betrachtet, Handbuch des Genossenschaftswesens, Bd. I., Halberstadt 1928, S. 112. 31 s. dazu Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . ., S. 305. 32 Das zeigt die tendenziell gleichförmig bzw. sogar rückläufig verlaufende Tendenz der Geburtenrate: Jahr

Geburten auf 1000 Einwohner

1781-1790 1791-1800 1801-1810 1811-1820 1821-1830 1831-1840 1841-1850 Entnommen: Marshall, T. H., The

37,7 37,3 37,5 36,6 36,6 36,6 33,9 Population Problem during the Industrial Revolution,

30

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

lichkeitsziffer 33 zurückzuführen. Der wesentliche Grund für die sinkende Sterblichkeitsrate (bis 1820) ist in der Verminderung der Kindersterblichkeit zu sehen, bedingt durch verbessertes Hygienebewußtsein, Zunahme ärztlichen Wissens und Rückgang besonders gefährlicher Krankheiten, vor allem seit der Einführung der Pockenschutzimpfung, erstmals im Jahre 1796 durch Jenner 34 . Die Säuglingssterblichkeit zeigt jedoch gravierende Unterschiede je nach der gesellschaftlichen Stellung der Familien: Für die oberen Schichten Londons (1840) beträgt die Kindersterblichkeit 10%, für die Mittelschicht 16,6% und für die Arbeiterschaft 25 % 3 5 . Hier machen sich die schlechten sanitären und wohnungsmäßigen Zustände in den Arbeitersiedlungen, sowie die sozialen Mißstände, wie Kinderarbeit, schlechte Ernährung und ähnliches, bemerkbar. Das äußert sich auch in einem Ansteigen der Sterblichkeitsrate im Zuge der zunehmenden Industrialisierung nach dem Jahre 1820. Charakteristisches Symptom der demographischen Entwicklung zwischen 1750 und 1850 ist es, daß sich die absolute Vermehrung des Volkes zwar über das gesamte Land, Dorf wie Stadt, erstreckt, jedoch im Nordwesten Englands Ballungszentren entstehen. Diese tiefgreifende strukturelle Umschichtung der britischen Nation läßt sich nur mit der seit der Industriellen Revolution einsetzenden Landflucht und den Wanderbewegungen, hauptsächlich aus Irland 3 6 , erklären. In welch rasanter Art sich die Urbanisierung vollzieht, belegen die Daten für folgende Städte 37 : S. 316; s. auch dazu Rubin, M., Population and the Birth-Rate, in: Journal of the Royal Statistical Society, LXIII, S. 599, der den Vergleich zur dänischen Entwicklung darlegt; der Trend der Geburtenrate bestätigt sich auch in der Entwicklung der Rate von Eheschließungen auf je 1.000 Einwohner: Jahr 1771 1781 1791 1801 1811

1821

Eheschließungen auf 1000 Einwohner 16,78 17,20 17,46 17,30 16,50

16,16

1831 16,32 1841 15,78 s. dazu Griffith, G. T., Population Problems of the Age of Malthus, London 1926,S. 186 ff. 33 s. auch Hammond , B., Urban Death-Rates in the Early Nineteenth Century, in: The Economic Journal (Supplement), Januar 1928, S. insb. 426 ff;zur grundsätzlichen Problematik der statistischen Auswertung s. Kuchenbecker, H., Art. Statistik, amtliche, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. v. E. Grochla/W. Wittmann, 4. Aufl., Stuttgart 1976, Sp. 3681-3700. 34 Vgl. dazu Marshall, T. H., The Population of England . . . , S. 334; zur Pockenschutzimpfung s. Stein, W., Kulturfahrplan, die wichtigsten Daten der Kulturgeschichte, Berlin 1958, S. 871. 35 s. Hausherr, H., S. 306. 36 Irlands Bevölkerung entwickelt sich wie folgt:

31

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

Stadt Manchester Leeds Birmingham Sheffield

Einwohner im Jahre 1760 1800 40.000 17.000 30.000 30.000

95.000 53.000 70.000 45.000

1850 400.000 172.000 233.000 135.000

In einem Zeitraum von neunzig Jahren verzehnfachen sich die Einwohnerzahlen Manchesters und Leeds; Sheffield wächst um das Sechsfache, Birmingham um das Achtfache, während sich die Gesamtbevölkerung Englands »lediglich' verdreifacht. In dem überproportionalen Anwachsen der Ballungsgebiete mit riesigen Arbeitersiedlungen, Wohnungsnot und Bodenspekulation liegt die eigentliche Ursache des Bevölkerungsproblems im England des 19. Jahrhunderts sowie ein gewichtiger Ausgangspunkt des Elends der arbeitenden Massen im Frühkapitalismus.

III. Soziale Frage und Arbeiterschaft Die Verarmung breiter Schichten beeinflußt nicht nur den ökonomischen Lebensbereich, sondern auch die psychische Verfassung der Bevölkerung und

Jahr

Bevölkerungszahl

1821 6,75 Millionen 1831 7,75 Millionen 1851 6,60 Millionen Entnommen: Hausherr, H., S. 305; während sich Englands Bevölkerung vermehrt, sinkt die irische Bevölkerungszahl durch Emigration und Krankheit, hervorgerufen vor allem durch Hungersnöte und fehlende Arbeitsplätze, s. dazu Jarman, T. L., Socialism in Britain, from the Industrial Revolution to the Present Day, London 1972, S. 28; wie hoch der Anteil der Iren ist, die nach Übersee (USA) bzw. in die englischen Industriestädte auswandern, läßt sich nicht exakt ermitteln. Von Interesse ist, daß England schon seit der Aufhebung des Ediktes von Nantes im Jahre 1685 (Frankreich hebt damit die Religionsfreiheit auf und verfolgt Protestanten) ein klassisches Einwanderungsland ist; s. dazu Treue, W., Wirtschaftsgeschichte . . .,S. 79 f. 37 Entnommen: Hausherr, H., S. 307; s. auch Jarman, T. L., Socialism in Britain, S. 27; die Ballung im Nordwesten Englands zeigt sich besonders an der Bevölkerungsentwicklung in Lancashire: 1801 672.731 Personen 1811 828.309 Personen 1821 1.052.859 Personen 1831 1.336.854 Personen s. dazu Kleinschrod, C. Th., Großbritanniens Gesetzgebung . . . , S. 173 f.

32

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

führt zu Pessimismus, seelischer Verkümmerung u n d A p a t h i e 3 8 . Verstärkt w i r d diese Entwicklung durch ein verändertes, sich herauskristallisierendes Klassengefüge 3 9 . Dieses schließt die Masse der abhängigen Lohnarbeiterschaft 4 0 aus dem gesellschaftlich-kulturellen Leben Englands a u s 4 1 .

1. Fabrikarbeit Die soziale Lage der englischen Arbeiterschaft ist bestimmt von der unbeschreiblichen N o t u n d Ausbeutung, welche die Fabrikarbeit i n den Frühphasen der Industrialisierung m i t sich bringt. Arbeitszeiten von 14 bis 16 Stunden täglich sind zu Anfang des 19. Jahrhunderts üblich; arbeitsfreie Tage - z u m Beispiel sonntags - sind nicht b e k a n n t 4 2 . M i t der Verbreitung der Gasbeleuchtung i n den zwanziger Jahren werden auch Nachtschichten von bis zu 12 Stunden p r a k t i z i e r t 4 3 . Die Ergebnisse einer parlamentarischen Untersuchungskommission machen deutlich, daß Frauen- u n d Kinderarbeit i n jener Zeit zur Tagesordnung gehören 4 4 . V o r allem i n der Textilindustrie ist die Kinderarbeit weit 38 s. Bonner, A., British Co-operation, The History, Principles and Organisation of the British Co-operative Movement, Manchester 1970, S. 2 ff; dazu auchMayhew, H., London Labour and the London Poor, 1851-1862, London 1862. 39 Als künftige Oberschicht: Großindustrielle und ,Hochfinanz'. Bürgerliche Mittelschicht: kleinere Fabrikanten und Kaufleute, Gewerbetreibende, Angestellte, Beamte. Lohnarbeiterschaft (»Proletariat 4) aus unterbäuerlichen und unterbürgerlichen Schichten, s. dazu Ploetz, K., S. 836. 40 Sie wird auch als »Proletariat' bezeichnet. Das Wort »Proletariat' stammt von dem lateinischen Wort ,proles' = Nachkommenschaft. Im antiken Rom sind sie die Gruppe, die auf grund ihrer Armut keine Steuer zu entrichten brauchen und somit dem Staat nur durch ihre Nachkommen Nutzen bringen, vgl. dazu Brakelmann, G., Die soziale Frage . . . , S. 100; innerhalb des »Proletariats' werden die ärmsten Arbeiter bzw. Erwerbslose als ,Pauper' (Pauperismus) bezeichnet - zu Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts gehören immerhin 10 Prozent der englischen Bevölkerung zu den »Paupern', vgl. Hobsbawm, E. J., Der britische Lebensstandard 1790-1850, in: Die soziale Frage, hrsg. v. W. Fischer/G. Bajor, Stuttgart 1967, S. 74-101, hier S. 86. 41 In der Beurteilung der sozialen Lage der englischen Arbeiterschaft während der Industriellen Revolution schließt sich der Verfasser der klassischen Schule (auch »pessimistische' genannt) an: zu ihren Vertretern gehören Ricardo, Malthus, Marx, Toynbee, Hammond und Hobsbawm. Aussagegehalt der klassischen Schule ist: die Lage der arbeitenden Bevölkerung verschlechtert sich während den Anfängen der Industrialisierung. Demgegenüber vertritt die .optimistische' Schule (Vertreter: Clapham, Ashton, Hayek) die Meinung, der Lebensstandard sei durch die Industrielle Revolution gestiegen; zur Auseinandersetzung dieses wirtschaftsgeschichtlich hoch brisanten Themas s. vor allem Fischer, VJ.¡Bajor, G. Hrsg.), Die soziale Frage, neuere Studien zur Lage der Fabrikarbeiter in den Frühphasen der Industrialisierung, Stuttgart 1967, S. 1-156, vor allem die Beiträge von Taylor, Hartwell, Hobsbawm u. Ashton. 42 Vgl. Brakelmann, G., Die soziale Frage . . . , S. 23; s. auch Hopkins, E., Working Hours and Conditions during the Industrial Revolution, in: The Economic History Reviews, Second Series, Vol. XXXV, No. 1, Februar 1982, S. 52-66. 43 s. Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . . , S. 310 ff. 44 Exakte Zahlen über den Anteil der Frauen- und Kinderarbeit am gesamten Arbeitsmarkt liegen nicht vor; zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen s. Ergebnisse der Untersu-

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

33

verbreitet 4 5 . So sind i n den englischen Seidenfabriken zwei D r i t t e l bis drei Viertel der Arbeiter jünger als 18 Jahre a l t 4 6 . I n der Baumwollindustrie liegt der A n teil der Kinder u n d Jugendlichen unter 18 Jahren bei vierzig bis fünfundvierzig P r o z e n t 4 7 . Bereits i m Alter von 6 bis 9 Jahren werden die Kinder zur Arbeit herangezogen 48 . M i t unnachgiebiger Härte u n d erniedrigenden Strafen 4 9 halten die Fabrikvorsteher die Disziplin i n den trostlosten u n d überfüllten Arbeitssälen aufrecht 5 0 . Fehlende Gesetzgebung 51 u n d Koalitionsverbote (1799) liefern die Arbeiterschaft den Fabrikherren praktisch schutzlos aus. Eine starke K o n k u r renz auf dem Arbeitsmarkt (Wanderbewegungen, hohe F l u k t u a t i o n ) ermöglicht es zudem, den Arbeitern ,Hungerlöhne' aufzuzwingen, die k a u m über dem Existenzminimum liegen. Der durchschnittliche Wochenlohn i n Manchester fällt v o m Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1841 von einem Pfund Sterling 5 2 auf sieben S h i l l i n g 5 3 . Insbesondere leidet die Arbeiterschaft unter mangelndem Kün-

chungskommission von 1832, dazu Ludlow, J. M./Jones, L., Die arbeitenden Klassen Englands in sozialer und politischer Beziehung (The Progress of the Working Class 1832-1867), aus d. Engl. v. J. v. Holtzendorff, Berlin 1868, S. 10 f. 45 Kinderarbeit ist in den Fabriken besonders begehrt gewesen, da die Spinn- und Rotationsmaschinen besonders feine und flinke Hände zur Bedienung benötigten. Zudem war Kinderarbeit billig - im Vergleich zur Entlohnung der Erwachsenen. Der hohe Anteil der Kinderarbeit erklärt sich auch aus der Tatsache, daß Fabriken, die in entlegenen Gebieten angesiedelt wurden (z.B. an bestimmten Wasserläufen) ihre Arbeitskräfte aus den Armenhäusern rekrutierten, s. dazu Pollard, S., Die Fabrikdisziplin in der industriellen Revolution, in: Die soziale Frage, S. 159-185, hier S. 168. 46 Vgl. Hertz, G. B., The English Silk Industry in the Eighteenth Century, in: English Historical Review, XXIV, 1909, S. 724. 47 s. auch Eden, F. M., The State of the Poor, London 1928, S. \l\\Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . . , S. 167 ff. 48 s. hierzu Herkner, H., Die Arbeiterfrage, Berlin/Leipzig 1921, Bd. 1, S. 23 f. 49 Zum Beispiel Schlagen von Kindern, Geldstrafen und Entlassungen, aber auch das zwangsweise Tragen von degradierender Kleidung. 50 s. Kerr, C./Dunlop, J. T./u.a., Industrialism and Industrial Man, The Problems of Labour and Management in Economic Growth, London 1962, S. 193 ff. 51 s. Redford, A., The Economic History of England, (1760-1860), London/New York/Toronto 1934, S. 139 ff. 52 1 Pfund Sterling = 20 Shilling (sh.) = 240 Pence (d.). 53 vgl. Cole, G. D. H., Ein Jahrhundert englische Genossenschaftsbewegung, Hamburg 1950, S. 45; besonders extrem verläuft die Lohnentwicklung der in ihrer Existenz gefährdeten Weberschaft; zur Entwicklung der Kaufkraft der Weber (Nährungswerte!) s. Kleinschrod, C. Th., Großbritanniens..., S. 189 f: Zeitraum

Wochenlohn

1797-1804 1804-1811 1811-1818 1818-1825 1825-1832 1832-1834

26 sh. 8 d. 20 sh. 14 sh. 7 d. 8 sh. 9 d. 6 sh. 4 d. 5 sh. 6 d.

3 Elsässer

umgerechnet in Lebensmittel 281 Pfd. 238 Pfd. 131 Pfd. 108 Pfd. 83 Pfd. 83 Pfd.

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

34

digungsschutz 5 4 u n d konjunkturellen Schwankungen ( i m zyklischen Ablauf), die sich in einer hohen Arbeitslosenrate niederschlagen 5 5 . V o r allem für die starke Rezession der Jahre 1841 u n d 1842 liegt umfangreiches statistisches Material v o r 5 6 , welches einen Eindruck von der Situation des Arbeitsmarktes i n dieser wirtschaftlichen Krise vermittelt: 25 Prozent der Schmiede u n d Mechani54

Vgl. Hammond , J. L. u. B., The skilled Labourer, 1760-1832, 2. Aufl., London 1920, S. 13 ff. ss Die Auswirkung saisonaler Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit auf den Reallohn zeigt sich in folgender Aufstellung: Wochenlöhne für Leeds, 1838

Gewerbe mit 12monatiger Beschäftigung Tuchscherer Schmiede Mühlenbauer Hobler Waffenschmiede Mechaniker Eisengießer Dreher Kammgarnknüpfer Zuarbeiter Gewerbe mit lOmonatiger Beschäftigung Schuhmacher Klempner Wollsortierer Drechsler Steinmetzen Weber Hutmacher Wollkämmer Stellmacher Gewerbe mit 9monatiger Beschäftigung Maler Tuchdrucker Vorspinner Verputzer Maurer Wollgarnknüpfer Wollstrecker Färber Sägearbeiter

tatsächlicher Wochenlohn in Shilling

korrigierter Wochenlohn in Shilling

24/6 19/2 6121/25/24/25/22/4/6 6/6

24/6 19/26/21/25/24/25/22/4/6 6/6

14/23/21/17/22/13/24/14/18/-

11/8 19/2 17/6 14/2 18/4 10/10 20/11/8 15/8

20/20/24/18/23/516122/20/-

15/15/18/13/6 17/3 3/9 4/6 16/6 15/-

Die Daten sind entnommen aus: o. V., Condition of the Town of Leeds and Its Inhabitants, in: Journal of the Statistical Society, II, 1839, S. 422. 56 s. dazu vor allem Finch, J., Statistics of the Vauxhall Ward, Liverpool, Liverpool 1842; (eine sehr gründliche Arbeit).

35

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

ker sowie 50 Prozent der Schuhmacher und Schneider, über die Hälfte der Steinmetze und Hilfsarbeiter, sowie drei Viertel der weiblichen Arbeitskräfte sind 1842 im Bezirk Liverpool erwerbslos 57. Auch die Arbeitslosenziffern anderer Industriestädte, so zum Beispiel Boltons in der Nähe Manchesters, bestätigen die verheerende Situation: Arbeitslosigkeit in Bolton 1842 58 Gewerbe

Gesamtzahl der Beschäftigten im Jahre 1836

Gesamtzahl der Beschäftigten (voll oder halbbeschäftigt) im Jahre 1842

Arbeitslose in v.H.

Textilarbeiter Eisenarbeiter Tischler Maurer Steinmetze Schneider Schuhmacher

8124 2110 150 120 150 500 80

3063 (vollbesch.) 1325 (Kurzarbeit) 24 16 50 250 40

60 36 84 87 66 50 50

2. Wohnungsverhältnisse Ein besonderes Kennzeichen der Zeit zwischen 1800 und 1850 ist ein sprunghaftes Ansteigen der städtischen Einwohnerzahlen 59 . Der plötzlichen Zunahme der Bevölkerung sind die englischen Kommunal- und Stadtverwaltungen nicht gewachsen. Angesichts mangelnder Bauvorschriften blühen Bau- und Bodenspekulation ungehindert auf Kosten der armen Fabrikarbeiterschichten, die nicht in der Lage sind, die steigenden Mietzinsen mit ihren kargen Löhnen zu bezahlen 60 . Die unzureichende Wohnungsversorgung hat zur Folge, daß die Arbeiterfamilien in der Regel nur ein Zimmer in dichtgedrängten Quartieren 57

s. auch Hobsbawm, E. J., Der britische Lebensstandard, 1790-1850, in: Die soziale Frage . . . , S. 74-101, hier S. 85 ff. 58 Die Zahlen entstammen: Ashworth, H., Statistics of the Present Depression of Trade in Bolton, in: Journal of the Statistical Society, V, 1842, S. 74; die Prozentzahlen sind wahrscheinlich etwas zu hoch bemessen, da der Beschäftigungszuwachs zwischen 1836 und 1842 unberücksichtigt bleibt. 59 Bis auf das Vierfache in den Jahren 1800 und 1850 im Falle Manchesters, als Beispiel; s. einleitender Teil, B. II.; s. auch Hynes, E., The Great Hunger and Irish Catholicism, in: Societas, A Review of Social History, Vol. VIII, Nr. 2, Frühjahr 1978, S. 137-156. 60 s. Taylor, A. J., Fortschritt und Armut in Großbritannien zwischen 1780 und 1850, in: Die soziale Frage . . . , S. 136-156, insb. hier S. 145. 3*

36

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

bewohnen. Sanitäre Einrichtungen sind, falls überhaupt vorhanden, mangelhaft und tragen zur schlechten gesundheitlichen Konstitution der Arbeiterschaft bei. Oftmals sind die Arbeiter sogar genötigt, an ihren Arbeitsstellen zu nächtigen. Die teilweise menschenunwürdigen Unterkünfte jener Zeit tragen dazu bei, daß sich ein geordnetes Familienleben nur selten entfalten kann 6 1 . Erschwerend kommt hinzu, daß die Frühphase der Industrialisierung, infolge der Kriegswirren, gekennzeichnet ist von einer ausgeprägten Knappheit an Baumaterial. Die folgende sorgfältige Aufstellung von T. S. Ashton 6 2 , die die jährliche Produktionsmenge an Ziegel sowie das jährliche Importvolumen an Holz — die beiden gebräuchlichsten Baumaterialien — pro Kopf der Bevölkerung widerspiegelt, zeigt eine rezessive Baukonjunktur vor allem in den Jahren 1796 bis 1802 sowie zwischen 1811 und 1817 deutlich auf. Bauziegelproduktion und Holzimport pro Kopf der Bevölkerung von England und Wales63 Jahr

1788 1789 1790 1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797 1798 1799 1800 1801 1802 1803 1804 1805

Bauziegel-Ausstoß pro Kopf in Stück 79 80 89 95 103 102 80 70 67 59 53 54 68 76 84 89 88 94

Holzimport pro Kopf in Kubik-Fuß -,80 -,66 -,82 -,75 -,99 -,67 -,59 -,50 -,67 -,39 -,46 -,49 -,61 -,51 -,80 -,90 -,88 -,78

61 s. Brakelmann, G., Die soziale Frage . . S . 24; Hausherr, H., Wirtschaftsgeschicht e . . . ^ . 307. 62 s. Ashton, T. S., Some Statistics of the Industrial Revolution in Britain, in: Transactions of the Manchester Statistical Society, 1947-1948, S. 1-21, hier S. 10-12 und S. 20. 63 Die Daten entnommen: Ashton, T. S., S. 20.

37

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

Jahr

1806 1807 1808 1809 1810 1811 1812 1813 1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 1823

Bauziegel-Ausstoß pro Kopf in Stück 91 85 82 82 90 92 88 78 71 71 60 62 82 94 80 74 83 99

Holzimport pro Kopf in Kubik-Fuß -,47 -,70 -,25 -,41 -,73 -,77 -,54 —

-,47 -,82 -,57 -,65 -,97 1,08 -,90 -,99 1,13 1,26

3. Gesundheitszustand Symptomatisch für die Mißstände jener Zeit ist auch der schlechte Gesundheitszustand der englischen Arbeiterschaft. Hygienische Schutzmaßnahmen an den Arbeitsstätten fehlen zumeist völlig. Die Fabriken bestehen in der Regel aus alten, leergeräumten Häusern. Bei der Errichtung von Neubauten wird zuerst an die Unterbringung möglichst ausgedehnter Fabrikationsanlagen gedacht und nicht so sehr an menschenwürdige Arbeitsplätze. Besonders belastend sind die Zustände in den Baumwollfabriken.„Die Luft mancher Baumwollspinnereien war mit dichtem Staub erfüllt, ein weißer Flaum bedeckte die Maschinen, die Fußböden waren mit einer klebrigen Masse aus Öl, Staub und Unrat aller Art bestehend überzogen. Aus den Abtritten, welche direkt in die Arbeitssäle mündeten, drangen die ekelhaftesten Dünste ein. In mechanischen Werkstätten konnte man sich kaum zwischen Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsstücken, Vorratsmaterial durchwinden. Dunkel herrschte innerhalb der vier schwarzen Wände, und zahlreiche Unfälle verdankten diesen Zuständen ihre Entstehung." 64 Auch im Bergbau kommt es auf Grund mangelnder Ventilationen, sowie ungenügender Gruben- und Schachtsicherungen zu häufigen Arbeitsunfällen 65 . 64 65

Zitiert beiHerkner, H., Die Arbeiterfrage, Bd. 1, Berlin/Leipzig 1921, S. 22 f. s. dazu Brakelmann, G., Die soziale Frage . . . , S. 22.

38

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

Die allgemeine Ernährungssituation des Proletariats ist zudem gekennzeichnet durch Lebensmittelteuerung 66, Lebensmittelverfälschung und das Übel des »Trucksystems. Eine Untersuchungskommission in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts zeigt die Auswüchse, vor allem im Kleinhandel, deutlich auf 6 7 . „1. alles (sie) Brot, das in zwei getrennten Stichproben untersucht wurde, war verfälscht; 2. mehr als die Hälfte des Hafermehls war gestreckt; 3. alle Sorten von Tee, außer der besten Qualität, waren gleichbleibend verfälscht; 4. knapp der Hälfte der Milch und 5. aller Butter war Wasser zugesetzt. Mehr als die Hälfte der untersuchten Marmeladen und Konserven enthielten verderbliche Stoffe, was aber auch auf die schlechte Herstellung zurückzuführen sein mag. Das einzige Gebrauchsgut, das nicht in starkem Maße verfälscht wurde, war Zucker, der, wie es scheint,in 90%der Fälle in Ordnung, wenn auch häufig schmutzig war.'* 68

66

s. hierzu folgende Aufstellungen: Nahrungskostenindex von Manchester und anderen Textilstädten (1810 = 100) Jahr

Hafermehl

Kartoffeln

Rindfleisch mind. Qual.

1810 100 100 1811 100 100 1812 150 165 1813 130 120 1814 93 110 87 1815 110 1816 83 110 1817 127 130 1818 107 135 1819 90 130 Nahrungskostenindex von Manchester (1821 = Jahr

Hafermehl

Kartoffeln

100 100 100 108 117 108 92 92 100 100 100)

Rindfleisch mind. Qual.

Speck 100 82 91 100 100 95 73 64 91 91 Speck

Käse 100 100 100 106 106 100 79 79 94 94 Käse

1821 100 100 100 100 100 94 1822 79 117 115 95 112 1823 100 108 121 88 1824 141 127 116 117 126 1825 116 106 158 138 137 172 1826 122 158 115 137 1827 84 133 128 115 147 1828 119 100 133 123 132 1829 106 100 132 115 125 1830 112 100 105 106 115 1831 112 110 117 123 116 Die Daten der Jahre 1810-1819 sind entnommen: Manchester Mercury , 18. Januar 1820; die Ziffern von 1821-1831, die sich nur auf Manchester beziehen, sind entnommen: Redfon i, A., Manchester Merchants and Foreign Trade, Manchester 1934, Anhang; s. auch Ashton, T. S., Der Lebensstandard der Arbeiter in England, S. 68 ff. 67 s. hierzu Hassall, A. H., Food and its Adulteration, London 1855. 68 Hobsbawm, E. J., Der britische Lebensstandard, S. 99.

B. Sozio-ökonomische Verhältnisse

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Die arbeitende Bevölkerung muß nicht nur ein qualitativ minderwertiges Warenangebot, sondern auch den tagtäglichen Gebrauch falscher Gewichte und Maßeinheiten und damit überhöhte Preisforderungen hinnehmen. Diese Art der Betrügerei zieht selbst die Aufmerksamkeit der damaligen Presse auf sich, wie einige Ausgaben des Manchester Guardian' zeigen 69 . Friedrich Engels, der in den vierziger Jahren die sozialen Verhältnisse Englands studiert, hat ebenfalls detailliertes Material über die dortigen Zustände zusammengetragen 70. In seiner Schrift hat er sich eingehend mit der Situation im Kleinhandel befaßt. Engels stellt fest, daß die meisten Arbeiter bei den sogenannten ,BadgerShops' (kreditgewährende Kleinhändler) verschuldet und von diesen wirtschaftlich abhängig sind 7 1 . Hinzu kommt, daß die Arbeiter zum Teil nach dem /Trucksystem' nicht in Geld, sondern mit werkseigenen Waren entlohnt werden, die sie erst auf dem Markt verkaufen müssen, um von dem Erlös Lebensmittel kaufen zu können. Das ,Truck-System' wird zwar 1830/1831 verboten, aber von dem Agentensystem' ersetzt, welches den Arbeiter zwingt, bei Händlern einzukaufen, die mit dem Arbeitgeber vertraglich verbunden sind 7 2 . Die Folge all dieser Mißstände ist ein frühzeitiger gesundheitlicher Verfall des einzelnen Arbeiters, der sich allgemein in einer geringen Lebenserwartung ausdrückt 73 . England braucht sehr lange, bis es gegen die Mißstände in den Fabriken einschreitet. Für die Gesetze, die zwischen 1802 und 1847 verabschiedet werden und vor allem eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit bewirken, ist es typisch, daß sie sich jeweils nur auf einen bestimmten Kreis von Betrieben beschränken und daß ihre Durchsetzung im Parlament auf große Schwierigkeiten stößt 7 4 . Angesichts der zunehmenden sozialen Mißstände in den aufkeimenden 69

s. dazu insb. (Zeitung) Manchester Guardian' v. 15. Juni 1844, vier Händler wegen Verwendung zu leichter Gewichte mit fünf bis zehn Shilling bestraft; s. weiterhin Manchester Guardian', Rubrik Rochdale, 19. Juni 1844, 22. Juni 1844, 26. Juni 1844, 9. Juli 1844, 24. Juli 1844, 27. Juli 1844, 3. August 1844 und 10. August 1844. 70 s. Engels, Fr., Die Lage der arbeitenden Klassen in England, nach eigener Anschauung und authentischen Quellen, Leipzig erstmals 1845, S. 92 ff; zur Authentizität von Engels s. Held, A., Zwei Bücher zur socialen Geschichte Englands, aus dem Nachlaß hrsg. v. G. Fr. Knapp, Leipzig 1881, S. 400 u. 617; Held betont, daß Engels' Berichte aus zuverlässigen Quellen stammten und nicht übertrieben seien, teilweise beruhten sie auch auf Engels* eigener Anschauung; s. auch den Bericht,Report to the Commissioners of Inquiry into the State of Large Towns and Populous Districts, o. O., 1844, erwähnt bei Cole, G. D. H., A Century of Co-operation, Manchester 1944, S. 51; s. ebenfalls Ludlow, J. M./Jones, L., Die arbeitenden Klassen Englands in socialer und politischer Beziehung, Berlin 1868, S. 10 f. 71 s. Brauer, Th., u.a., Die Konsumgenossenschaften als sittliche Kraft, Köln 1929, S. 13 f. 72 s. dazu Cole, G. D. H., Ein Jahrhundert.. ., S. 16. 73 Vgl. Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . ., S. 306. 74 Zur Fabrikgesetzgebung s. Peacock, H. L., A History of Modern Britain, London 1976, S. 49 u. 63; Kluxen, K., Geschichte Englands. . ., S. 577 ff; die erlassenen Gesetze: 1802 ,Sir Robert Peels Moral and Health Act', Kinderarbeit auf 12 Stunden täglich begrenzt

Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

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Industriebetrieben und auf Drängen humanitär-sozial engagierter Kreise, allen voran Robert O w e n 7 5 , erläßt das englische Parlament 1833 ein umfassendes u n d erweitertes (1816) Arbeitsschutzgesetz (,Factory A c t ' ) , das die Kinderu n d Jugendarbeitszeit einschränkt 7 6 . Das verbreitete Elend der Arbeiterschaft hat schon u m die Wende v o m 18. z u m 19. Jahrhundert Abwehrreaktionen ausgelöst, die sich zunächst i n einer Mentalität von Feindseligkeit gegenüber dem technischen Fortschritt äußern (,Luddismus', Maschinenstürmer) 7 7 . I m 19. Jahrhundert weitet sich die Gegenwehr der Arbeiter zu einem K a m p f gegen die Arbeitgeberschaft aus, m i t dem erklärten Ziel, sich allmählich von der wirtschaftlichen u n d sozialen Abhängigkeit zu befreien 7 8 . Die Jahre von 1819 bis 1850 sind so durch eine heftige Welle revolutionärer Unruhen gekennzeichnet: dem Chartismus 7 9 . Seine Forderung nach politisch-wirtschaftlicher

Gleichberechtigung scheitert jedoch,

trotz Massenpetition und Versuch eines Generalstreiks (1839), am Widerstand von Bürgertum, Unterhausmehrheit und P o l i z e i 8 0 . Letztlich der Mißerfolg des 1804 1816 1831 1833

Verbot der Kinder-Nachtarbeit Kinderarbeit auf einen Einzugsbereich von vierzig Meilen beschränkt Verbot der Arbeit für Kinder unter neun Jahren ,Factory Act', etappenweise Einführung des Achtstundentages für Kinder unter 13 Jahren 1842 Verbot der Frauen- und Kinderarbeit in den Bergwerken unter Tage 1844 ,Factory Act', Beschränkung der Frauenarbeitszeit auf 10,5 Stunden täglich 1847/ »Fielden's Factory Act 4 , Einführung des 10-Stunden-Arbeitstages. 1848 75 s. II. Hauptteil dieser Arbeit. 76 Tagesarbeit für Kinder unter 13 Jahren wird auf 8 Stunden, für Jugendliche unter 18 Jahren auf 12 Stunden beschränkt, es werden 4 Gewerbeaufsichtsbeamte eingesetzt; zur Fabrikgesetzgebung s. Peacock, H. L., A History . . . , S. 49 ff. 77 Die ,Luddite4-Bew,egung, benannt nach Ned Ludd, 1811 in Nottinghamshire entstanden, hat sich zum Ziel gesetzt, die Maschinen in den Fabrikanlagen zu stürmen und zu zerstören, da sie nach ihrer Überzeugung die Existenzgrundlage des Handwerkers vernichten. Handweber aus Lancashire sympathisierten mit dieser Bewegung, s. hierzu Peacock, H. L., A History of Modern Britain, S. 15. 78 s. Herzfeld, H., Die Epoche der bürgerlichen Nationalstaaten, S. 118 f. 79 Die im Mai 1838 in London verfaßte ,The People's Charta4 verkündet im wesentlichen folgende politische Forderungen: a. Stimmrecht für alle Männer über 21 Jahren b. Gleichheit der Wahlbezirke c. Geheimes Wahlverfahren d. Jährliche Parlamentswahlen e. Abschaffung des Zensus für die Kandidaten f. Diäten für die Parlamentarier Vgl. Kluxen, K., S. 567; s. auch Black, E. C., British Politics . . . , S. 119 ff; zum Einfluß des Chartismus auf das Genossenschaftswesen s. Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen . . . , S. 68 f; auch Benson, G., A History of English Socialism, London o. J., S. 55 ff; s. auch Hofmann, W. Ideengeschichte der sozialen Bewegung, 6. Aufl., Berlin/New York 1979, S. 21. 80 s. Kepplinger, H. M., Gesellschaftliche Bedingungen kollektiver Gewalt, in: KZfSS, 33. Jg., Heft 3, Oktober 1981, S. 469-503.

C. Geistige Strömungen

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Chartismus führt dazu, daß die englische Arbeiterschaft auf politisch-revolutionäres Vorgehen verzichtet und die Durchsetzung ihrer Interessen auf wirtschaftlich-reformatorischen Wegen sucht. Die Beurteilung der sozialen Frage ist in England vor diesem Hintergrund nicht möglich, ohne auf die bedeutende Rolle näher einzugehen, die der Philanthropie zukommt. Es sind jene Reihe von Philanthropen (wie Owen, Fielden u.a.), jene Wegbereiter und Pioniere einer neuen Epoche des sozialen Verständnisses, die die Arbeiterschaft an das Zustandekommen einer konstruktiven Arbeiterbewegung und an den Gedanken der Selbsthilfe heranzuführen versuchen.

C. Geistige Strömungen I. Aufklärung Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts steht in England ganz unter dem Einfluß der Aufklärung 1 . Basierend auf dem Humanismus und dem naturwissenschaftlichen Weltbild des ausgehenden 17. Jahrhunderts, stellt die Aufklärung nach Kant (1724—1804) den „ A u s g a n g des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" 2 dar. Vernunft (Ratio), geistige Freiheit und religiöse Toleranz sollen Tradition, moralische und ständische Vorurteile, religiöse Dogmatikwie staatliche Autorität überwinden. Die Aufklärung, seit der Renaissance die größte geistige Bewegung in Europa, leitet die Überwindung des Feudalismus 3 und den Ausklang des höfischen Absolutismus ein 4 . Sie erfaßt alle Berei1 Zur tieferen Behandlung dieser Thematik s. Hirschberger, J., Geschichte der Philosophie, II. Teil, Neuzeit und Gegenwart, 3. Aufl., Freiburg 1958, S. 227 ff; für eine kurze Abhandlung s. Hofmann, W., Ideengeschichte der sozialen Bewegung des 19. u. 20. Jahrhunderts, 6. Aufl., Berlin/New York 1979, S. 8 - 1 3 ; als sehr extensive Ausarbeitung s. Schröder, W./Bergmann, H./u.a., Französische Aufklärung, bürgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung, Leipzig 1979, S. 60 ff. 2 Kant, I., Was ist Aufklärung?, in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784, S. 481; zu I. Kant (1724-1804) s. Friedrich, C. J., Die politische Wissenschaft, Freiburg/München 1961, S. 217-286. 3 Der Feudalismus stellt eine Form der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ordnung dar, in der eine adlige Oberschicht vom Herrscher lehnsrechtlich mit Grundherrschaft und zugleich mit politischen, verwaltungsmäßigen, richterlichen Vorrechten ausgestattet wird (= Lehnswesen); s. dazu Hintze, O., Feudalismus - Kapitalismus, Göttingen 1970, S. 12 ff; für eine einfache Klassifizierung s. auch Brusatti, A., Wirtschafts- und Sozialgeschichte . . ., S. 144. 4 Wenn auch im Absolutismus die politischen Privilegien und richterlichen Zuständigkeiten der Feudalherren durch die monarchische Souveränität und aufkommende Bürokratie (= Entwicklung eines nicht feudalen Dienstadels) verdrängt werden, so dauert das wirtschaftlich-soziale Feudalsystem noch teilweise lange an, selbst wenn staatsrechtlich seine Daseinsbedingungen beseitigt sind. Restbestände des Feudalismus zeigen sich auch in Staaten mit parlamentarisch-demokratischer Entwicklung (England), die eine erste Kammer (Oberhaus) ent- bzw. bestehen lassen; s. hierzu Hintze, O., Feudalismus - Kapitalismus, S. 12 ff.

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Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

che des Lebens und erschüttert die bisher geltenden Ansichten über Religion, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. In der ,Ratio' wird das einzige Mittel gesehen, die Erscheinungen der Welt zu durchschauen und Unwissenheit aufzuklären. Bildung und Erziehung zur Humanität sollen Fortschritt, Verbrüderung der Menschheit (Kosmopolitismus) und eigenes Glück (Eudämonismus) fördern. Zur Verbreitung aufklärerischer Ideale entsteht in England der internationale Geheimbund der Freimaurer 5. Philosophisch charakteristisch für England ist die Kritik an der Religion, die sich im Deismus6, einer ,Vernunftsreligion', äußert: Dem Glauben an Gott, als Schöpfer der Welt, in der nichts Übernatürliches geschehen kann (was nicht mit dem Maß der Vernunft zu messen wäre). Gott überläßt seine Schöpfung ihren Entwicklungsgesetzen, ohne durch Offenbarung einzugreifen 7. Symptomatisch für das Religionsverständnis der Aufklärung ist die Gleichgültigkeit gegenüber der Form des Glaubens, solange sie die Menschlichkeit fördert. So wird die Duldung Andersdenkender, die Toleranz, zur großen Forderung der Zeit. Sie äußert sich nicht zuletzt in der Judenemanzipation ausgangs des 18. Jahrhunderts in Europa und in der Aufhebung der Sklaverei (1807) in England. Die neue geistige Strömung geht von England aus — bereichert vor allem durch die Philosophie David Humes (1711—1776)8. In Preußen unter Friedrich II. 9 und in Österreich unter Kaiser Joseph I I . 1 0 leitet die Aufklärung den aufgeklärten Absolutismus ein 1 1 . Ihre ausgeprägteste Durchschlagskraft erhält die Aufklärung jedoch in Frankreich: Als ideeller Nährboden für die französische Revolution (1789).

II. Romantik Gegen die Dominanz der JRatio' regen sich in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts Gegenkräfte, die der Vernunft das Gefühl entgegenstellen. Auch diese Geistesströmung, die Romantik, hat ihren Ursprung in England. 5 Schon 1717 Gründung der Londoner Großloge; der Name Freimaurer 4 weist auf die mittelalterlichen Bauhütten hin. 6 Vgl. Altwicker, N., Englische Philosophie und Wissenschaft, in: England, zwölf Beiträge von dems., u.a., hrsg. v. P. Hartig, Frankfurt/Berlin/München 1971, S. 178-240, hier S. 214. 7 Die radikalere Konsequenz dieser Vernunftsreligion führt zum alleinigen Glauben an die Dinge der Welt, die Materie (= Atheismus, Materialisten); zu weiteren Ausführungen s. Altwicker, N., ebd. 8 Zur Bedeutung der Philosophie David Humes s. Friedrich, C. J., Die Politische Wissenschaft, Freiburg/München 1961, S. 197 ff; auch Berlin, I., Against the Current, Essays in the History of Ideas, 2. Aufl., New York 1980, S. 162-187; s. auch die Besprechung von I. Berlins ,Against the Current 4 von Clemons, W., Prince of Foxes, in: Newsweek (International Edition), 10. März 1980, S. 51. 9 1740-1786. 10 1780-1790.

C. Geistige Strömungen

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V o r allem über die englische Literatur übt sie einen starken Einfluß auf die gesamte europäische K u l t u r aus. Tonangebend sind der Begründer des historischen Prosaromans Walter Scott ( 1 7 7 1 - 1 8 3 2 ) sowie L o r d Byrons ( 1 7 8 8 - 1 8 2 4 ) Dramen u n d Versepen 1 2 . Die einsetzende Restaurationsphase nach 1815 ist getragen von einer Epoche romantischer Kulturbewegung. Der universalen romantischen Literaturströmung i n E u r o p a 1 3 ist gemeinsam, daß sich ihre Künstler von einer starken Kraft des Gefühls tragen lassen 1 4 u n d die Stimmung der Natur i n ihren Werken einzufangen versuchen. So vielgestaltig ihr Wesen insgesamt auch bleibt, zeigt die R o m a n t i k doch eine starke Tendenz auf zur Verklärung des Vergangenen. Bestärkt durch das Erlebnis der Mißerfolge der bürgerlichen Revolutionen in den Jahren 1830 u n d 1848, ziehen sich viele Menschen von der Teilnahme am politischen Leben zurück u n d suchen i m privaten Bereich die ausschließliche Erfüllung ihres Lebens 1 5 . Dies führt zu einer Erneuerungswelle des traditionellen kirchlich-religiösen Lebens u n d bewirkt zeitweilig eine A b wendung von der kritischen Haltung der Aufklärung u n d des Rationalismus. Erst u m die Jahrhundertmitte macht die R o m a n t i k einer neuen, weniger verklärenden, realistischeren Strömung Platz, die den drängenden sozialen Fragen der Zeit gegenüber aufgeschlossener i s t 1 6 . 11 Unter der Formel - der Herrscher ist der erste Diener des Staates - läßt sich das Merkmal des aufgeklärten Absolutismus darstellen: Absolutistisch, insofern dem Herrscher die alleinige Entscheidungsgewalt zufällt; vom Gedanken der Aufklärung bestimmt, insofern sich der Herrscher gemäß der Vernunft seiner Ansichten zum Dienst am Staat verpflichtet fühlt, s. Braubach, M., Vom westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution, in: Gebhardt, Bd. 2, 4. Aufl., Stuttgart 1961, S. 300-316. 12 s. dazu Ploetz, K., Auszug aus der Geschichte, S. 849 u. 916 f; vgl. auch Herzfeld, H., Die moderne Welt, S. 75 f. 13 Als Vertreter der Romantik in Europa: Victor Hugo (Frankreich); Manzoni (Italien); Kierkegaard (Skandinavien); Puschkin (Rußland); J. v. Eichendorff, E. T. A. Hoffmann, Herder, Gebrüder Grimm (Deutschland). In der Musik Carl Maria von Weber, Franz Schubert, Robert Schumann; in der Malerei W. Blake und C. D. Friedrich; s. dazu Braubach, M., von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß, in: Gebhard, S. 34 ff. 14 Den starken Anteil, den das Gefühl bei einer Bewußtwerdung sittlicher Grundsätze hat, betont Shaftesbury, der englische Romancier. Er spricht von einem »moralischen Sinn' des Menschen, vgl. dazu Fromm, E., Psychoanalyse und Ethik, Frankfurt/Berlin/Wien 1981, S. 157. 15 Eine typische Strömung hierfür ist die Biedermeierzeit, die sich in ihrer Kunst mit Vorliebe mit unscheinbaren Ereignissen des Alltags beschäftigt, etwa ab 1815; s. Stein, W., Kulturfahrplan, die wichtigsten Daten der Kulturgeschichte, Berlin 1958, S. 885. 16 Hier ist als Vorläufer Charles Dickens (1812-70) hervorzuheben. Er wird als Sohn eines Schreibers geboren. In London lernt er bald die Härten der sozialen Gegensätze kennen. Sein Vater wandert ins Schuldgefängnis, er selbst muß im Alter von 13 Jahren in einer Schuhwichsefabrik Etiketten kleben. (Ein Opfer der Kinderarbeit). Auf Grund seiner überragenden Begabung wird Dickens später parlamentarischer Berichterstatter, Mitarbeiter des ,Morning Chronicle' und ein gefeierter Schriftsteller. In seinen Hauptwerken ,Die Pickwickier' (1836/7) und ,Oliver Twist' prangert Dickens das Elend in den englischen Gefängnissen und die Mißstände der Waisenhauserziehung an. Dickens ist der große, von echter Menschlichkeit erfüllte, englische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. In seinen sozialkritischen Erzählungen geht er gegen die Verherrlichung des Nützlichkeitsstandpunktes an und

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Einleitender Teil: Historischer Bezugsrahmen

III. Liberalismus Die Summe der restaurativen Kräfte kann auf Dauer den Fluß der Entwicklung nicht aufhalten. Die Idee der Autonomie und Freiheit des Individuums, die in der französischen Revolution einen großen Sieg erringt, bestimmt den weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts 17 . Es ist dies die Zeit des Liberalismus, der sich philosophisch in der Ethik des Utilitarismus 18 und nationalökonomisch in der Lehre vom freien Spiel der Kräfte sowie vom Freihandel 19 ausdrückt 2 0 . Der Frühliberalismus des aufsteigenden 19. Jahrhunderts ist in seinem Befreiungskampf gegenüber politischen und sozialen Bindungen der Vergangenheit überwiegend von dem optimistischen Fortschrittsglauben des 18. Jahrhunderts erfüllt. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, daß sich aus dem Zusammenwirken der vielgestaltigen Einzelinteressen von selbst eine Harmonie der Gesamtheit zum Vorteil aller Beteiligten ergibt. Entsprechend der These gilt es, freien Wettbewerb herzustellen und jedem Wirtschaftssubjekt prinzipiell die gleichen Chancen einzuräumen 21 . Diese mit geradezu extremer Konsequenz auf wirtschaftlichem Gebiet 22 befolgte Ansicht, will in einer möglichst staatsfreien Volkswirtschaft die Funktionen des Staates auf ein Minimum reduziert wissen (jNachtwächterstaat' des Paläoliberalismus) 23. Die Entwicklung einer freien Wettbewerbswirtschaft schafft jedoch neue Unfreiheiten. So ist diese Epoche extrem-radikalen Liberalismus geprägt einerseits von der zunächst wachsenden Verelendung der breiten Massen, andererseits vom wirtschaftlichen Aufstieg des Bürgertums. Begünstigt durch das wirtschaftliche Wachstum Engstellt ihr eine utopische Sozialromantik entgegen; s. zur Entwicklung der englischen Literatur, Hübner, W., Epochen der englischen Literatur, in: England, 12 Beiträge, S. 415-508, hier S. 467 ff und S. 478 ff. 17 Vgl. Herzfeld, H., Die moderne W e l t . . S . 77 f. 18 Vertreter des Utilitarismus: Jeremy Bentham, James Mill, John Stuart Mill; dem Utilitarismus liegt folgender Gedanke zugrunde: wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben dadurch berechenbar zu machen, daß das rationale Prinzip des individuellen Vorteüsstrebens vorausgesetzt wird, mit dem Ziel, das Bentham so formulierte: the greatest happiness of the greatest number; vgl. dazu Brinkmann, C., Utilitarismus, in: HdSW, 10. Bd., 1959, S. 611-613; s. auch Coplestone, Fr., A History of Philosophy, Vol. VIII, London 1966, S. 25-92, hier S. 50 ff; Gablentz, O. H. v. d., Die politischen Theorien seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, politische Theorien Teil III, 3. Aufl., Köln/Opladen 1967, S. 150 fund 187 ff. 19 Adam Smith, David Ricardo, Robert Malthus; zum Freihandel s. Brusatti, A., Wirtschafts- und Sozialgeschichte des industriellen Zeitalters, S. 68 ff. 20 s. Hübner, W., Epochen der englischen Literatur, in: England . . . , S. 480. 21 Vgl. dazu Mises, L. v., Liberalismus: (II) Wirtschaftlicher Liberalismus, in: HdSW, 6. Bd., 1959, S. 596-603; Herzfeld, H., S. 78; s. auch Heimann, E., Soziale Theorie des Kapitalismus, - Theorie der Sozialpolitik, Tübingen 1929, S. 1 ff u. 14. 22 Durch die Theoretiker (Cobden/Bright) der Freihandelsschule des Manchestertums. 23 Vgl. Herzfeld, H., ebd.; Hartig, P., Englisches Staats- und Gesellschaftsleben in Vergangenheit und Gegenwart, in: England, zwölf Beiträge, hrsg. v. dems., S. 86-152, hier S. 102.

C. Geistige Strömungen

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lands entwickelt sich das Bürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur politisch bestimmenden Schicht. Es gelingt ihm, sich gegenüber der Not der arbeitenden Bevölkerung zu verschließen und die Führung in England zu behaupten. Vor diesem real- sowie ideengeschichtlichen Hintergrund ist das Wirken Robert Owens darzustellen und zu beurteilen.

Erster Hauptteil

Robert Owen als Unternehmer

Unternehmerische Aktivitäten nehmen im Leben Robert Owens einen breiten Raum ein. Über eine Zeitspanne von mehr als vierundvierzig Jahren 1 ist Owen im kaufmännisch-industriellen Sektor tätig. In dieser Periode zur Zeit der anbrechenden Industrialisierung, welche oben näher behandelt wurde, erfährt Owen seine entscheidende Beeinflussung. Uner bewußtem Verzicht auf rein biographische Elemente2 soll nachfolgend Owens unternehmerisches Wirken systematisch dargestellt und kritisch untersucht werden. Es gilt dabei, kurz auf prägende Komponenten seines beruflichen Aufstiegs einzugehen, Charakteristika seiner Unternehmungen detailliert aufzuzeigen sowie seine unternehmerischkommerziellen Leistungen zu würdigen.

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

I. Anfänge vor New Lanark Robert Owens Leistungen als Unternehmer zu würdigen und gerecht zu werden, setzt zunächst eine Beschäftigung mit seinen frühen beruflichen Aktivitäten voraus. Vor dem Hintergrund seines Lebenslaufes, mit all seinen farbigen Einzelheiten in einer wandlungsreichen Epoche, kann es nicht verwundern, daß schon früh eine ganze Anzahl Biographien über Robert Owen erschienen sind 3 . 1

1781-1825. Als Kurzbiographien bzw. kurze Würdigungen Owens mit unterschiedlichen Nuancen seien empfohlen u.a. Herkner, H., Art.: Owen, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, hrsg. v. I. Conrad/L. Elster/u.a., Jena 1893, S. 81-84; Simon, H., Robert Owen, sein Leben und seine Bedeutung für die Gegenwart, Jena 1905, S. 334-338; Totomianz, V., Grundlagen des Genossenschaftswesens, Jena 1923, S. 10 f; Cole, G. D. H., Robert Owen, London 1925, S. 11-28 u. 235 ii\Joad, C. E. M., Robert Owen, 1771-1858, in: Great Democrats, hrsg. v. A. B. Brown, London 1983, S. 507-523; Pike, E. R., Pioneers of Social Change, London 1963, S. 118-136; Weippert, G., Art.: Owen, Robert, in: HdSW, 8. Bd., S. 142-145; Morton, A. L., The Life and Ideas of Robert Owen, London 1962, S. 52-54; Hofmann, W. Ideengeschichte . . . , S. 34-37; Harrison, J. F. C., Art.: Owen, Robert (1771-1858), Socialist, Co-operator and Educationist, in: Dictionary of Labour Biography, Vol. VI, hrsg. v. J. M. Bellamy/J. Salville, London 1982, S. 205-216. 3 Erste Biographien sind im angelsächsischen Bereich erschienen, s. Holyoake, G. J., 2

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

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So reizvoll und fesselnd auch heute noch eine detaillierte Schilderung des Owenschen Werdegangs wäre, so mag an dieser Stelle eine abrißartige Darstellung genügen, die sich thematisch auf Owens beruflichen Aufstieg u n d auf erste ideelle Einflußfaktoren beschränkt. Robert Owens Autobiographie 4

erweist

sich wegen der nachweislichen A u t h e n t i z i t ä t 5 für diesen Abschnitt als themenrelevante Quelle besonders geeignet. Dagegen empfiehlt sich vielen Biographen Owens gegenüber eine distanziertere Haltung. Diese neigen o f t zu einseitigen Interpretationen, indem sie die Anfänge des Owenschen Lebensweges i n ihrer Bedeutung für Owens späteres Wirken vernachlässigen 6 oder i m Hinblick auf ihre Gesamteinschätzung Owens verzerrt darstellen 7 .

1. Jugend Robert Owen entstammt kleinbürgerlichem Handwerksmilieu 8 . A m 14. Mai 1771 w i r d er i n N e w t o w n , Montgomeryshire (Nordwales) als sechstes von sieben Kindern eines Sattlers und Eisenwarenhändlers 9 geboren. Er wächst wohlLife and last Days of Robert Owen of New Lanark, London erstmals 1859; Sargant, W. L., Robert Owen and his Social Philosophy, London 1860; o. V. (Packard, F. A.), Life of Robert Owen, Philadelphia 1866; Booth, A. J., Robert Owen, the Founder of Socialism in England, London 1869; Jones, L., The Life, Times and Labours of Robert Owen, London erstmals 1889; May, H. J., The Life and Work of Robert Owen, Manchester 1901; aus der großen Zahl späterer Biographien seien exemplarisch erwähnt, s. Podmore, Fr., Robert Owen, London erstmals 1906; Cole, G. D. H., Robert Owen, London 1925 \Morton, A. L., The Life and Ideas of Robert Owen, London 1962; in deutscher Sprache siehe Simon, H., Robert Owen, sein Leben und seine Bedeutung für die Gegenwart, Jena 1905; die kurze Darlegung von Hasselmann, E., Am Anfang war die Idee, Robert Owen, Sturm und Drang des sozialen Gewissens in der Frühzeit des Kapitalismus, Hamburg 1958; Engelhardt, W. W., Robert Owen und die sozialen Reformbestrebungen seit Beginn der Industrialisierung, Bonn 1972. 4 s. Owen, R., The Life of Robert Owen, written by himself, Vol. I, London 1857, (Neudruck London 1967); ebenfalls Owen, R., A Supplementary Appendix to the First Volume of the Life of Robert Owen, Vol. IA, London 1958 (Neudruck London 1967). 5 Die Autobiographie ,Life of Robert Owen4 ist in klarem Englisch geschrieben und sei auch heute noch zur Lektüre empfohlen. Obwohl Owen die Autobiographie erst am Ende seines langen Lebens verfaßt hat, macht die Autobiographie nachprüfbar verläßliche Angaben; dies umso mehr als der Leser bei genauer Lektüre die Passagen durchaus festzustellen vermag, bei denen Owen Erkenntnisse, Eindrücke und Gedanken späterer Perioden bewußt oder unbewußt sozusagen ,vordatiert'. Auf diese Problematik wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch eingegangen; der Autor hat sich insb. bemüht, mittels Originaldokumenten Angaben in Owens Autobiographie zu überprüfen, wie im folgenden aufgezeigt werden wird. 6 So z.B. Harrison, J. F. C., Robert Owen and the Owenites in Britain and America, London 1969, ansonsten eine hervorragende Studie. 7 So z.B. Mäder, W., Robert Owen als Jugenderzieher, Diss. Erlangen 1916. 8 Zum folgenden Absatz s. Owen, R., The Life of Robert Owen, Vol. I, S. 1 - 1 1 ; (im folgenden zitiert als ,Life V). 9 Aus dem Umstand, daß Owens Vater auch die Poststation des Ortes verwaltete, läßt sich ersehen, daß es sich bei der Familie Owen um eine allgemein angesehene Famüie gehandelt haben muß.

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

behütet und gesund in seiner Geburtsstadt auf. Diese bleibt zunächst vom Einzug der Industriellen Revolution verschont und bietet ganz das Bild ländlicher Kleinstadtidylle. Owen genießt eine nur kurze und einfache Schulausbildung10. Aufgrund seiner Begabung wird er schon im Alter von sieben Jahren als Schulhelfer (,Usher') engagiert, entsprechend den Gepflogenheiten des ,Lancaster' Schulsystems11, und hilft zwei Jahre lang, die Schulanfänger in der Pfarrschule zu unterrichten. Anschließend arbeitet er bei einem benachbarten Gemischtwarenhändler. Die Lektüre seiner Autobiographie macht deutlich, daß Owens frühe Kindheit ohne jegliche Besonderheiten verläuft, sich vielmehr die Ansätze eines frühreifen, wißbegierigen und energischen Einzelgängers bereits abzeichnen. Mit zehn Jahren verläßt Owen sein Elternhaus, um seine eigentliche Berufsausbildung anzutreten 12 . Er absolviert eine dreijährige kaufmännische Lehre im Textilhandel in Stamford/Lincolnshire (Firma Mc Guffog) 13 , arbeitet kurze Zeit in London bei einem großen Tuchhändler (Firma Flint & Palmer) und wird schließlich in Manchester (1785), der Metropole der Textilbranche, als Assistent in einem Textilgeschäft (Firma Satterfield) angestellt. Dort bleibt er bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr (1789). Das Jahr 1789 stellt einen Einschnitt im Leben des jungen Owen dar. Seine bislang mehr traditionelle und keineswegs außergewöhnliche berufliche Laufbahn in der Textilbranche ist abgeschlossen. Owen verfügt über eine sehr gründliche kaufmännische Ausbildung und entsprechendes Denkvermögen. Vor allem der unterschiedlichen Geschäftsstruktur seiner drei verschiedenen Arbeitgeber ist es zuzuschreiben 14, daß er ein breites Spektrum fachspezifischer Erfahrung in der Beurteilung von Stoffen und Textilien aller Art gewinnt. Gleichzeitig kommt er, schon früh völlig auf sich gestellt, in Berührung mit verschiedenen Bevölkerungsschichten und Menschen einer sich entwickelnden Industriegesellschaft. Am eigenen Leib, in erster Linie bei seinem kurzen Londoner Aufenthalt, verspürt Owen auch die Schattenseiten des vom Frühkapitalismus geprägten Wirtschaftssystems: Die Belastung des arbeitenden Menschen durch überlange Arbeitszeiten 15 . 10 Die Lehrinhalte jener Zeit beschränkten sich auf die einfachsten Regeln des Rechnens, Lesens und Schreibens, vgl. Röhl, A., Die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Erziehung im Sozialismus Robert Owens, Diss. Hamburg 1930, S. 30. 11 s. dazu die Ausführung im V. Hauptteil, A., englisches Schulsystem vor 1800. 12 Zu den folgenden Ausführungen s. Life I, S. 11-22. 13 Wie aus Firmenunterlagen der großen Baumwollspinnerei Samuel Oldknow, Stockport, hervorgeht, hat eine Firma Mc Guffog tatsächlich existiert, s. Bestellung von Mc Guffog an Oldknow, 16.4.1791, (Oldknow Papers, John Rylands Library, Deansgate, Manchester). 14 Sein Lehrherr Mc Guffog handelte mit teueren Qualitätswaren, seine Kundschaft war der Landadel; Flint & Palm er verkauften billige Massenware an die Londonder Arbeiterschaft und Satterfield in Manchester hatte seine Abnehmer vorwiegend in der oberen Mittelschicht der Industriestadt, s. Life I, ebd. 15 Der junge Owen mußte von 8 0 0 - 2 2 0 0 Uhr im Verkaufslokal arbeiten und oft bis nach Mitternacht bei den Aufräumarbeiten behilflich sein.

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer 2. Aufstieg

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in Manchester

Schon i m A l t e r von achtzehn Jahren wagt der junge Owen den Schritt i n die unternehmerische Selbständigkeit 1 6 . Er w i r d von einem Techniker als Kaufmann für eine kleine Maschinenfabrikation g e w o n n e n 1 7 . Die beiden schließen sich als Partner zusammen, u n d nehmen m i t einhundert Pfund Sterling — ein Kredit von Owens Bruder William aus L o n d o n 1 8 - und 4 0 Arbeitern die Prod u k t i o n von Spinnmaschinen a u f 1 9 . Als sich Owens Partner jedoch einem kapitalkräftigen Geldgeber anschließt, w i r d Owen aus dem Maschinenbauunternehmen gedrängt. Als Abfindung erhält er drei Spinnmaschinen 2 0 , eine Haspelund eine Verpackungsmaschine. M i t diesem kleinen Maschinenpark gründet Owen, nunmehr neunzehn Jahre alt, seine eigene Baumwollspinnerei 2 1 . Seine ,Kleinstproduktion an Baumwollstoffen 6 — er beschäftigt nur drei Arbeiter

-

findet so guten Absatz, daß er innerhalb eines Jahres ein überdurchschnittliches Einkommen von dreihundert Pfund Sterling e r z i e l t 2 2 . Es w i r f t ein bezeichnendes L i c h t auf Owens unternehmerisches Verständnis, daß er seine Kraft jedoch nicht dem weiteren Ausbau seines eigenen prosperierenden Kleinbetriebes w i d m e t , sondern die Stelle eines leitenden Fabrikdirektors i n der ersten mechanisierten Fein-Baumwollspinnerei ( F i r m a Drinkwater) i m Jahre 1791/1792 i n Manchester a n n i m m t 2 3 . A l l e m Anschein nach hat der einund16

Zu den folgenden Ausführungen s. Life I, S. 22-25. Owen wird mit der kaufmännischen Geschäftsführung betraut. 18 100 Pfund Sterling entsprechen dem 2,5-fachen Jahressalär, das Owen bei seinem letzten Arbeitgeber, Mr. Satterfield, bezieht. 19 (1767 Hargreaves Spinnmaschine); am 18. und 25. Januar 1791, sowie am 8. Februar 1791 erscheinen im Manchester Mercury (Wochenzeitung) Anzeigen von der neuen Firma Jones & Owen: „To Mule Spinners, good mule spinners may be supplied with Roving weekly and twist bought in return, by applying to Jones and Owen, Machine Makers, near the New Bridge, Dole Field, Manchester", Manchester Mercury, 18.1.1791 (Manchester Central Library, Historical Dept.); s. auch Chaloner, W. H., Robert Owen, Peter Drinkwater and the early Factory System in Manchester, 1788-1800, Reprints from the ,Bulletin of the John Rylands Library 4 , Vol. 37, Nr. l,Sept. 1954, S. 78-102, hier S. 80. 20 Vertraglich zugesichert waren Owen 6 Spinnmaschinen, die er wegen späterer Illiquidität seines ehemaligen Partners nicht erhält; Owens erste Episode als Unternehmer endet also mehr oder minder mit einem Fiasko. 21 Zum folgenden s. Life I, S. 24-27. 22 Das entspricht dem 8-fachen Jahressalär bei Fa. Satterfield; der Profit der Kleinunternehmung ist vor allem deshalb so hoch, da Owen eine große Fabrikationshalle mietet, den größten Teil davon untervermietet und so selbst mietfrei produzieren kann, vgl. Life I, S. 24 f. 23 Aus der Autobiographie ist das Datum des Amtsantrittes bei Drinkwater nicht ersichtlich; im Manchester Mercury 1792 findet sich jedoch das Stellenangebot Drinkwaters, auf das Robert Owen reagiert: „Superintendency of a Factory Wanted. A Person to superintend and conduct an extensive Mule Factory, to whom any salary will be allowed proportionate to Merit . . . Mr. Drinkwater, Manchester", Manchester Mercury, 17.4.1792 (Manchester Central Library); zu den folgenden Ausführungen s. Life I, S. 27-42;Chaloner, W. H., Robert Owen, Peter Drinkwater . . . , S. 92-102; Owens Beweggründe zum Stellenwechsel bleiben im Verborgenen, werden im folgenden noch untersucht. 17

4 Elsässer

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

zwanzigjährige Owen eine ungeheure Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft besessen; anders ist es nicht zu erklären, daß er in so jungen Jahren alleinverantwortlich mit der Führung einer der modernsten Fabriken der gerade aufblühenden Baumwollindustrie mit einer Belegschaft von 500 Arbeitskräften betraut wird 2 4 . Die ihm gestellte Aufgabe ist eine große Herausforderung: Er muß einen völlig neuartigen Produktionsprozeß koordinieren und organisieren, sowie mit den technischen Anlaufschwierigkeiten der Mechanisierung fertig werden. Gerade auf diesem Gebiet vollbringt Owen mit ungeheurer Energie und geschickter Betriebsführung 25 große Erfolge: In den folgenden vier Jahren erlangt er eine ungewöhnliche Popularität als erfolgreicher Unternehmensftihrer und Innovator der Baumwollfabrikation. Owen gelingt es nicht nur, den Produktionsprozeß in Gang zu bringen, sondern auch die Qualität der Fein-Baumwollgarne derart zu steigern, daß die Produktion mit einem fünfzigprozentig höheren Aufpreis abgesetzt werden kann. Der Name Robert Owen' wird bekannt als Gütezeichen für Baumwolle 26 . Es ist keine Selbstüberschätzung, wenn Owen selbst sagt: „My name was now up for being the first fine cotton Spinner in the world, and this was my Standing as long as I remained the manager of Mr. Drinkwater's factory . . . " 2 7 Als ausgesprochenes Wunderkind der Baumwollfertigung erweist sich Owen auch dadurch, daß ihm als erstem die Verarbeitung von nordamerikanischer Rohbaumwolle glückt 28 . So verwundert es nicht, daß Owen, nach einem Zerwürfnis mit seinem Arbeitgeber im Jahre 1795 2 9 , mehrere Angebote als geschäftsführender Teilhaber bei bedeutenden Unternehmen erhält und sich schließlich als Partner mit zwei alt-renommierten Handelshäusern (Firma Borrodale & Atkinson, London, sowie Firma Barton, Manche-

24 Sein Salär beträgt entsprechend der Bedeutung der Position 300 Pfund Sterling, s. Life I, S. 27; bezeichnend für Owen ist die Art, in der er seine Gehaltsforderung stellt: „ I cannot be governed by what others ask . . . and I cannot take less", Life I, ebd. 25 s. hierzu I. Hauptteil, C., dieser Arbeit; auch Gilman, N. P., A Dividend to Labour, a study of Employers' Weifare Institutions, Boston/New York/London 1899, S. 30-62, hier S. 40 ff. 26 Owens Bekanntheitsgrad ist auch darauf zurückzuführen, daß ihm gestattet wurde, die Verpackung der Baumwollstoffe mit seinem Namen zu versehen. 27 LifeI,S. 35. 28 Bislang war nur Rohbaumwolle aus Südamerika und den Westindies verarbeitet worden; die qualitätsmäßig bessere Rohbaumwolle aus Nordamerika setzte sich fortan durch, nachdem die technischen Verarbeitungsprobleme von Owen gelöst waren, s. Life I, S. 33 f; Drinkwater hatte auch geschäftlichen Kontakt zu S. Oldknow, wie Mc Guffog, s. Rechnung vom 20.7.1793, von Peter Drinkwater to S. Oldknow (Oldknow Papers, John Rylands Library, Manchester). 29 Owen war, nach Gehaltserhöhungen von 300 auf 400 bzw. 500 Pfund Sterling, eine Teilhaberschaft an der Firma von Mr. Drinkwater angeboten worden in Höhe von einer 25%igen Gewinnbeteiligung; als jedoch aus familiären Gründen Drinkwater das Angebot einer Partnerschaft zurückzieht, kündigt Owen. In der frühen Periode des Kapitalismus ist noch eine sehr enge Verbindung von Familiendenken und Kapital bzw. Finanzierung festzustellen.

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

51

ster) zusammenschließt30. Unter Owens Leitung gründen sie die ,Chorlton Twist Company4, eine große Baumwollspinnerei 31 , deren Aufbau 1795/1796 und Geschäftsführung Robert Owen wahrnimmt. Mit 25 Jahren gehört Owen als wohlsituierter Bürger und Fabrikherr zum Manchester Establishment. 3. Ideelle Einflüsse Die Beschäftigung mit kaufmännischen und produktionstechnischen Fragen ist jedoch nur eine Seite des Owenschen Werdegangs. Die Jahre seines Aufstiegs sind nicht nur Zeiten seines beruflichen Erfolgs, sondern prägen auch seine spätere Geisteshaltung. In der Periode vor 1798 erfährt Robert Owen eine starke ideelle Beeinflussung, die sein späteres Denken und philosophisches Verständnis bestimmt. In seiner Heimatstadt Newtown kommt Owen früh in Berührung mit religiöser, methodistisch geprägter Literatur 32 , die zunächst den Hauptgegenstand seiner Lektüre darstellt. Interessanterweise wird auch sein Lehrherr Mc Guffog in Stamford als aktiver Nonkonformist 33 geschildert. Er gehört einer presbyterianischen Gemeinde an. Entsprechend den Gepflogenheiten der damaligen Zeit, wohnt der jugendliche Owen im Hause seines Lehrherrn und nimmt am religiösen Leben der Familie Mc Guffog teil 3 4 . Er wächst so in einer freikirchlich bestimmten Atmosphäre auf, die ihn mit verschiedenen sektiererischen Ausrichtungen konfrontiert 35 . Im Alter von 13 Jahren hat Owen ein ausgeprägtes religiöses Verständnis, das ihn, wie er in seiner Autobiographie darlegt, zu einer eigenen philosophischen Grundhaltung gelangen läßt: „My reason taught me that I could not have made one of my own qualities - that they were forced upon me by society; and that I was entirely the child of Nature and society — 30 Zur folgenden Abhandlung s. Life I, S. 42 ff; Owens Partner waren vor allem ,overseas traders', s. Chaloner, W. H., Robert Owen . . . , S. 101 f. 31 Aus Versicherungspolicen geht hervor, daß es sich bei der Chorlton-Twist-Co. um eine sehr große Fabrikanlage gehandelt hat, im Vergleich zu den anderen Fabrikanwesen in Manchester, worauf zurecht Butt hinweist, vgl. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, in: Robert Owen, Prince of Cotton Spinners, hrsg. v. J. Butt, Newton Abbott 1971, S. 168-214, hier S. 170; zur Chorlton Twist Company, s. auch Brown, Ph. V., The Life of Robert Owen 1771-1858, Part 1, Robert Owen Businessman, Phüantropist and Reformer (1771-1821), Manuskript 1971, S. 3 f (Co-operative Union Library, Manchester). 32 Methodisten in der Nachbarschaft nehmen sich des lesehungrigen Owen an, s. Cole, M., Robert Owen of New Lanark, London 1953, S. 8 ff. 33 Synonym: Dissenters, Free Churches, Nonkonformisten, seit der Restauration der Stuarts 1660 wurden die Puritaner in England Nonkonformisten genannt, s. Schrey, H. H., Art. Puritanismus, in: Evangelisches Soziallexikon, Berlin 1980, Sp. 1026-1027. 34 Owen hat während der Lehrzeit keinen Kontakt mit seinem Elternhaus. 35 s. Life I, S. 16; auch Cole, G. D. H., Robert Owen, S. 37; der junge Owen hat ein starkes religiöses Gefühl, was sich u.a. darin ausdrückt, daß er an Minister Pitt ein Beschwerdeschreiben richtet, welches die Nichtbeachtung der Sonntagsruhen bemängelt, s. Life I, S. 16 f; Simon, H., Robert Owen, sein Leben und seine Bedeutung . . ., S. 22 f.

52

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

that Nature gave the qualities, and society directed them. Thus I was forced, through seeing the error of their foundation, to abandon all belief in every religion which had been taught to man. But my religious feelings were immediately replaced by the spirit of universal charity — not for a sect or a party, or for a country or a colour — but for the human race, and with a real and ardent desire to do them good." 3 6 Hier zeigen sich bereits die Wurzeln von Owens philanthropischer Einstellung. Die Zeit von 1785 bis 1800, also das anbrechende 19. Jahrhundert, verbringt Owen in Manchester mit seinen Strömungen einer kulturbewußten und geistig regen Industriemetropole. Owen erlebt hier den Einzug des Industriezeitalters und wird Zeuge dieses raschen wirtschaftlichen wie sozialen Umbruchs 37 . Es sind Persönlichkeiten aus den Intellektuellenkreisen Manchesters, wie der Wissenschaftler John Dalton und Samuel Taylor Coleridge 38 , die Owens Interesse an naturwissenschaftlichen Themen wecken 39 . 1793 wird Robert Owen als Mitglied in die renommierte »Manchester Literary and Philosophical Society4 aufgenommen 40. Hier hält er in der folgenden Zeit vier Vorträge, die Ansätze seiner späteren milieutheoretischen Überlegungen bereits widerspiegeln41: ,Remarks on Cotton Trade';,Utility of Learning'; »Universal Happiness and practical Mechanics'; ,Origins of Opinion - Improvement of Social Virtues'. Als Fabrikleiter verschließt sich Owen nicht kaufmännischem Denken, sondern bemüht sich als Mann der ersten Stunde, auf sich entwickelnde gesellschaftliche Gefüge positiv einzuwirken. An seinen vier Vorträgen wird sichtbar, daß Owen in das sozialwirtschaftliche Geschehen einzugreifen versucht. Diese frühe Hinwendung zu sozio-ökonomischen Fragestellungen ist charakteristisch für Owens Beschäftigung mit auch persönlich geprägten Zielvorstellungen. Bereits hier zeigt sich, daß Owen die Entwicklung rein abstrakter Entwürfe ab36

LifeI,S. 16. s. Cole , G. D. H., Robert Owen . . S . 58 f. 38 Coleridge (1772-1834), Zeitgenosse Owens, der als Schriftsteller und Romancier zusammen mit Wardsworth die englische Romantik einleitet, s. Stein, W. Kulturfahrplan . . .,S. 870. 39 s. Life I, S. 35 f. 40 s. Memoirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester, Vol. V, Part 1, London 1798, S. X, Mr. Robert Owen unter ,List of Members4 aufgeführt; Seed betont die große, kulturelle Rolle der Manchester Society, s. Seed, J., Unitarism, Political Economy and the Antinomies of Liberal Culture in Manchester, 1830-50, in: Social History, Vol. 7, No. 1, Januar 1982, S. 1-25, hier S. 9; die Manchester Literary and Philosophical Society existiert noch heute in Manchester! 41 Die genauen Titel der Vorträge lauten: 1. Remarks on the Improvement of the Cotton Trade. 2. The Utility of Learning. 3. Thoughts on the connection between Universal Happiness and practical Mechanics. 4. On the Origin of Opinions with a View to the Improvement of Social Virtues; 37

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

53

lehnt und sich für Fragestellungen interessiert, die aus seinem sozialen Umfeld erwachsen, aber einer individuellen Note entbehren. Es erklärt zugleich, wieso die Französische Revolution erstaunlicherweise in seiner Autobiographie keinerlei Erwähnung findet 42.

II. Unternehmungen in New Lanark Geschäftsreisen im Auftrag der ,Chorlton Twist Company4 führen Robert Owen nach Schottland, überwiegend nach Glasgow 43 . Dabei lernt er die renommierte Industriellenfamilie Dale kennen, deren Oberhaupt David Dale (17391806) zu den einflußreichen Aktionären der Royal Bank of Scotland gehört und zugleich Eigentümer verschiedener Baumwollspinnereien in Schottland 44 ist 4 5 . Zusammen mit Dales ältester Tochter, Ann Caroline, besichtigt Owen die Dalesche Spinnerei in New Lanark 46 . Als er erfährt, daß Dale mit dem Gedanken spielt, das gesamte New Lanark-Anwesen zu veräußern 47, entschließt sich Owen zum Kauf. Für die große Summe von 60.000 Pfund, etwa 1,22 Millionen Goldmark 48 , zahlbar in zwanzig Jahresraten ä 3.000 Pfund bei zuzüglich 5 Prozent Verzinsung, erwirbt Owen mit seinen Partnern aus Manchester (Atkinson/ Barton) die schottische Spinnerei 49 . Welche Beweggründe Owen zu diesem Schritt veranlaßt haben, ist nicht eindeutig feststellbar. Owen selbst führt zwar zwei Gründe an, die ihn zu dem unternehmerischen Engagement bewogen haben sollen. Zum einen habe er in der abgeschiedenen Lage New Lanarks die ideale Möglichkeit für sozialreformerische Experimente gesehen50: „ . . . of all places I have yet seen, I should prefer s. dazu Silver, H., Robert Owen and the Concept of Populär Education, (Masters Thesis), Hull 1964, S. 120; auchPodmore, Fr., Robert Owen, S. 58 ff. 42 s. Cole, G. D. H., Robert Owen, S. 42. 43 In der damaligen Zeit eine beschwerliche Reise, zwischen Manchester und Glasgow verkehren keine regelmäßigen Postkutschen, Reisedauer: 3 Tage und 2 Nächte, s. Life I, S. 44. 44 U.a. in New Lanark, Catrine, Newton und Spinningdale. 45 s. Stewart, G., Curiosities of Glasgow Citizenship, Glasgow 1881, S. 45-64; auch Butt, J., Robert Owen as a Businessman, in: Robert Owen, Prince of Cotton Spinners, S. 170 f. 46 30 Meilen südlich von Glasgow am River Clyde geigen. 47 David Dale hatte keinen männlichen Nachkommen, s. Stewart, G. 48 1 Pfund = 20,43 Mark (im Jahre 1875), die Wechselkurse waren stabil, s. Schraut, M., Die Lehre von den auswärtigen Wechselkursen, unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse, 2. Aufl., Leipzig 1882, S. 4 f und S. 12; der Jahreslohn eines Arbeiters in New Lanark beträgt etwa 26 Pfund, s.Morton, A. L., The Life and Ideas of Robert Owen, London 1962, S. 81. 49 Die Kaufpreisstundung war gesichert durch Grundpfandrechte auf das New Lanark Anwesen, s. Life I, S. 51-54 zur Kaufverhandlung. 50 s. Life I, S. 46 f.

54

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

this in which to try an experiment I have long contemplated and have wished to have an opportunity to put into practice." 51 Sicherlich wird die isolierte Lage New Lanarks für Owens Experiment wichtig gewesen sein, sie als alleinigen Erwerbsgrund im Jahre 1799 zu betrachten, erscheint jedoch zweifelhaft. Ebenso entbehrt Owens zweite Aussage, er habe New Lanark nur erworben, um die Einwilligung zur Hochzeit mit Ann Caroline Dale zu erhalten, aus heutiger Sicht einer gewissen Beweiskraft 52 . Vor allem die Tatsache, daß seine finanzkräftigen Kompagnons den größten Teil des nötigen Kapitals für New Lanark aufbringen, entkräftet Owens Argument. An dieser Stelle seiner Autobiographie erliegt Owen offensichtlich einem Hang, Ereignisse seines frühen Lebens aus einem romantischen Blickwinkel heraus darzustellen. Vielmehr spricht einiges dafür, daß wirtschaftliche Überlegungen den Ausschlag für den Kauf der New Lanark Fabrikanlage geben. Zumindest Owens Partner werden in dem New Lanark Engagement eine finanziell lukrative Investition gesehen haben. Wie Butt in seiner wirtschaftsgeschichtlichen Studie zurecht darlegt, geht es dem Owenschen Unternehmerkreis (1799) in erster Linie um eine Erschließung des schottischen Absatzmarktes 53 sowie um einen besseren Zugang zu den Exportmärkten des baltischen Raumes 54 . Gleichzeitig stellt die Produktion von Garnen mittlerer Qualität in New Lanark eine Ausweitung der Produktpalette der ,Chorlton Twist Company' dar, die sich auf Feingarn in Manchester spezialisiert 55. New Lanark wird zunächst von der ,Chorlton Twist Company4 (Manchester) aus verwaltet. Die Betriebsführung dieser zeitweilig größten Baumwollspinnerei der Welt 56 läßt sich jedoch auf Dauer nicht von Manchester aus durchsetzen und macht Owens permanente Präsenz vor Ort erforderlich. Am 1. Januar 1800 zieht Owen nach New Lanark u m 5 7 . Für ein Viertel Jahrhundert wird dies die Stätte seines Wirkens. Es ist vor allem der Name New Lanark, der Owen berühmt macht. Hier erlangt Robert Owen Weltruhm. Von daher ist es erforderlich, diesen Firmenkomplex und die Owen gestellten Anforderungen eines leitenden Direktors einer näheren Untersuchung zu unterziehen.

51

LifeI,S. 46. Vgl. Life I, S. 51. 53 Im 19. Jahrhundert wurde i.d.R. die Standortwahl einer Farbik entweder nach energiewirtschaftlichen oder nach verkehrspolitischen Überlegungen getroffen. 54 Schottische Häfen hatten sich auf den Export nach Rußland und ins Baltikum spezialisiert; s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 195 ff. 55 s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 170 ff. 56 Vgl. Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . . , S. 361; Engelhardt, W. W., Robert Owen . . S. 9. 57 Am 30.9.1799 heiratet Robert Owen in Schottland Ann Caroline Dale, s. Life I, S. 54 und 56. 52

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

55

1. Fabrikanlagen Der Fabrikkomplex u n d die dazugehörige Arbeitersiedlung von New Lanark gehen auf eine gemeinsame Initiative des Fabrikanten David Dale u n d des Erfinders

Richard A r k w r i g h t 5 8 i m Jahre 1784 z u r ü c k 5 9 . Sie errichten i n einer

Bauzeit von mehr als zehn Jahren die erste mechanische Baumwollspinnerei Schottlands 6 0 . Als Robert Owen u n d seine Kompagnons aus Manchester das gesamte Anwesen i m Jahre 1799 übernehmen, ist die Gründungsphase i n New Lanark i m wesentlichen abgeschlossen 61 . Es handelt sich u m eine, was die Betriebsgebäude angeht, komplette u n d produzierende Fabrikanlage. New Lanark (eine reine Fabriksiedlung), etwa 30 Meilen südlich von Glasgow, i n einem schmalen Flußtal des River Clyde gelegen, umfaßt ein i n seinen Ausmaßen gewaltiges Areal von 150 Morgen L a n d 6 2 . Es ist für die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts und anbrechenden 19. Jahrhunderts ein gigantisches Werk, bestehend aus sieben Betriebseinheiten, sechs Wohnkomplexen für die 58 R. Arkwright (1732-1792), Erfinder der mechanischen Spinnmaschine 1769, selbst Baumwollfabrikant in Nottingham, ist an New Lanark nicht beteiligt, vielmehr für Aufbau und Ausrüstung der Fabrik zuständig; s. Fitton, R. S./Wardsworth, A. P., The Strutts and the Arkwrights, 1758-1830, London 1958. 59 s. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 80 ff. 60 New Lanark wird mit Wasserkraft betrieben, erste Inbetriebnahme 1786; s.Hume, J. R., The Industrial Archaeology of New Lanark, in: Robert Owen, Prince of Cotton Spinners, hrsg. v. J. Butt, Newton Abbot 1971, S. 215-253; s. auch Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . . , S. 299;Pawson, E., The early Industrial Revolution, S. 82. 61 Einige Daten zur Baugeschichte von New Lanark: 1784 Baubeginn 1786 Spinnerei Nr. 1 fertiggestellt 1788 Brand in Spinnerei Nr. 1, Nr. 2 fertig 1789 Spinnerei Nr. 1 wieder errichtet 1793 Spinnerei Nr. 3 u. Nr. 4 fertig, Wohnhäuser im nördlichen Teil des Dorfes und Caithness Row fertig 1798 New Buildings errichtet 1799 Übergabe des Anwesens an Robert Owen 1809 Nursery Buildings, Werkstatt und Eisengießerei fertig 1809 Baubeginn New Institution 1814 Einkaufsladen errichtet 1816 Eröffnung der New Institution 1817 Schule fertig 1819 Brand in Spinnerei Nr. 3 1825 Robert Owen tritt Geschäftsführung ab 1826 Wiedererrichtung Spinnerei Nr. 3 1828 Robert Owen scheidet als Teilhaber aus. Die Daten sind entnommen aus: o. V., A Future for New Lanark, Report to the New Lanark Working Party, by the feasibility study team, Lanark 1973, S. 5; nach einer Meldung des Glasgow Herald vom 29.8.1828 entstand bei einem Feuer in der Spinnerei von New Lanark 1828 ein erheblicher Schaden, vgl. Glasgow Herald, 29.8.1828 (Mitchell Library, Glasgow). 62 s. dazu Gilman, N. P., A Dividend to Labor, S. 57; das Areal umfaßt etwas mehr als 600.000 Quadratmeter, (1 Morgen = 1 Acre = 40,4678 Ar).

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Arbeiterschaft, zwei Direktionshäusern, einer Schule, einem Geschäfts- und Backhaus sowie der berühmten ,New Institution' 6 3 . Nichts verdeutlicht die Größe und Solidität des architektonischen Entwurfs von New Lanark mehr als der Sachverhalt, daß die Bauten in New Lanark bis heute nahezu vollständig erhalten geblieben sind 64 . Eine Berechnung der Grund- und Flächenmaße der Owenschen Fabrikanlagen vermittelt einen Eindruck von der Größe des Spinnereikomplexes 65. Der Produktionsbereich besteht aus vier Baumwollspinnereien, einem Lagerhallenkomplex, einer Werkstatt und einer Eisengießerei:

Gebäude

Spinnerei Nr. 1 Spinnerei Nr. 2 Spinnerei Nr. 3 Spinnerei Nr. 4 Baumwoll-Lager Werkstatt Eisengießerei

Anzahl der Stockwerke

bebaute Fläche in Quadratfuß 66

4 5 6 6 2 3 1

30.413 61.671 61.837 30.888 18.160 16.601 5.619

Gesamt-Produktionsfläche oder

225.189 Quadratfuß 20.920 Quadratmeter

Die Aufstellung zeigt, daß die Spinnereibauten wegen der Enge des Tales mit bis zu sechs Stockwerken 67 für die damalige Zeit erstaunlich hochgezogen sind. 63 Zur Bedeutung der ,New Institution for the Formation of Character's. Ausführungen im V. Hauptteil dieser Arbeit. 64 s. Abbildungen und Fotographien von New Lanark heute, das als historisches Monument renoviert und gepflegt wird, s. Bilder bei Harrison , J. F. C., Robert Owen and the Owenites in Britain and America, London 1969; Butt, J., (Hrsg.), Robert Owen, Prince of Cotton Spinners, Newton Abbot 1971; o. V., A Man ahead of his Time: the Work of Robert Owen, in: Panorama (ILO), Nr. 48, 3. Quartal 1971, S. 24-32\Freund, M., Art., Wo alles einmal besser werden sollte, New Lanark - ein soziales Experiment in Schottland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt 9.5.1981, Nr. 107; der Autor der vorliegenden Arbeit hat sich bei einem längeren Aufenthalt in Großbritannien 1982 vom Zustand New Lanarks vor Ort selbst überzeugt. 65 Die folgenden Ausführungen basieren meist auf Angaben aus: o. V., A Future for New Lanark, oder auf Berechnungen des Autors. 66 Ein Fuß = 0,3048 Meter; die Daten stammen teils aus, o. V., A Future for New Lanark, Lanark 1973, S. 38; Umrechnungen in Quadratmeter und teilweise Berechnungen in Quadratfuß durch den Autor; die Berechnungen sind als grobe Orientierungshilfen gedacht; detaillierte Angaben über die Grundmaße in New Lanark macht auch schon Sinclair, Sir J., (Hrsg.), The Statistical Account of Scotland, Vol XV, Edinburgh 1795, S. 20-46, hier S. 30-41, insb. S. 35. 67 Nach Schätzung des Autors etwa 18-20 Meter hoch.

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

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Alle Gebäude sind so solide in Sandstein errichtet, daß es bis 1968, also nahezu zwei Jahrhunderte lang möglich ist, ununterbrochen in diesen Werkshallen Baumwollgarn zu produzieren 68 . Neben den Betriebsgebäuden beeindrucken vor allem die Werkswohnungen, in denen die Arbeiter New Lanarks zu Lebzeiten Owens untergebracht sind. Sie bestehen im wesentlichen aus 59 Häusern, die in sechs langen Häuserreihen, aus Stein und durchschnittlich in einer Höhe von drei Stockwerken architektonisch großzügig konzipiert sind. Des weiteren dienen die Häuserzüge der JNew Buildings' und der ,Nursery Buildings' mit ihren vier Etagen als Versammlungs- und Aufenthaltsräume 69 . Im einzelnen 70 : Wohnbauten

Caithness Row Braxfield Row Double Row East Double Row West Long Row Mantilla Row New Buildings Nursery Buildings Gesamtwohnfläche oder

bebaute Fläche in Quadratfuß 16.393 18.825 10.899 24.437 14.858 4.427 19.797 9.881 119.517 Quadratfuß 11.103 Quadratmeter

Bemerkenswert ist auch die Größe der Schul- und Unterrichtsbauten in New Lanark 71 , die ebenfalls drei Etagen hoch sind. Es sind dies 72 : Gebäude

Fläche in Quadratfuß

New Institution Schulbau

22.028 15.159

Gesamtfläche Schulbauten

37.187 Quadratfuß oder 3.455 Quadratmeter

68

Auf diesen erstaunlichen Fall einer Produktionskontinuität in nahezu unveränderten Fabrikbauten weist Hume hin, s. Hume, J. R., The Industrial Archaeology of New Lanark . . . , S. 242 und 247. 69 s. hierzu Sinclair, Sir J., (Hrsg.), The Statistical Account of Scotland, Vol. XV, Edinburgh 1795, S. 20 ff; o. V., A Future . . . , S. 37. 70 Die Daten sind entnommen im einzelnen: o. V., A Future . . . , S. 37; Berechnungen

58

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Die Größe der Fabrikanlage wird auch an New Lanarks Maschinenpark deutlich 7 3 : Anzahl mit Wasserkraft betriebener Spindeln Ort Spinnerei Nr. 1 Spinnerei Nr. 2 Gesamt

Jahr

1795 74

1805

1813 7 5

4.500 Stück 6.000 Stück

6.144 Stück 8.172 Stück

11.676 Stück 11.172 Stück

10.500 Stück 14.316 Stück

22.848 Stück

Außerdem sind in der Spinnerei Nr. 3 in den Jahren 1802/1803 insgesamt 9.545 Stück Rollenspindeln (,Mule-Twist') beziehungsweise Webspindeln (»Mule-Weft') installiert 76 . Weitere Angaben zur maschinellen Ausstattung lassen sich auf Grund fehlender Originaldokumente kaum treffen. Harrison schätzt die Baumwollgarn-Produktion dieser rein mit Wasserkraft arbeitenden Fabrikanlage 77 auf etwa siebentausend Gewichtspfund täglich 78 . Entsprechend ausgeweitet ist auch die Kapazität der Baumwoll-Lagerhaltung in New Lanark. Im Jahre 1813 beträgt das Fassungsvermögen der einhundertvierzig Meter langen Lagerhalle 800-1.000 Sack Rohbaumwolle 79 . Aus den vorangegangenen Übersichten geht nicht nur die Größe des New Lanark Anwesens hervor; vielmehr zeigt sich auch an den Flächenberechnungen, daß ein Großteil der Bausubstanz auf nicht betriebs- bzw. produktionsnotwendige Gebäude entfällt. Von einer gesamten Baufläche von 35.478 Quadratmetern nehmen Werkswohnungen und Versammlungsräume mt 11.103 Quadratmetern Fläche einen beachtlichen Anteil von 31 Prozent ein. Auf die sind vom Autor vorgenommen; die beiden Direktionshäuser umfassen etwa je 250 Quadratmeter. 71 Zur pädagogischen Konzeption New Lanarks s. dazu V. Hauptteil dieser Arbeit. 72 Die Berechnung analog zu den vorangegangenen Aufstellungen und Übersichten über die Produktions- und Wohnfläche. 73 Die Daten sind erwähnt bei Hume, J. R., The Industrial Archaeology . . . , S. 240 f. 74 Daten für 1795 aus: Sinclair, Sir J., (Hrsg.), The Statistical A c c o u n t . . . , S. 35 f. 75 Die Angaben für 1813 finden sich im Glasgow Herald vom 1.10.1813. 7i Vgl. Hume, J. R., S. 241; diese Spindeln in Bau Nr. 3 wurden von Hand betrieben und waren damit unabhängig von der Wasserkraft des Flußlaufes; bis zum Jahr 1813 vermindert sich die Zahl der Handspindeln um 18 Prozent auf insbesamt 7.864 Stück. 77 Damit gehört die Fabrikanlage noch zur ersten Welle der Industriellen Revolution, was jedoch nicht eine verminderte Leistungsfähigkeit impliziert, s. Harrison, J. F. C., Robert Owen.. .,S. 152 ff. 78 Vgl. Harrison, J. F. C., Robert Owen . . . , S. 154. 79 So angegeben in einer Anzeige vom 1.10.1813 im Glasgow Herald; s. auch Hume, J. R., S. 225 f.

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

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pädagogischen Einrichtungen entfallen mit 3.455 Quadratmetern nicht ganz zehn Prozent (9,7%) der Gesamtgrundfläche. Insgesamt teilt sich New Lanarks Grundfläche also folgendermaßen auf: 59,3 Prozent der Bausubstanz sind für den produktionstechnischen Bereich, 40,7 Prozent kommen betrieblichen Sozialeinrichtungen zu Gute. Damit zeigt sich auch an der baulichen Konzeption, die zum Teil noch auf David Dale zurückgeht, welch große Bedeutung sozialreformerischen Bemühungen in New Lanark zugedacht wird 8 0 . 2. Beschäftigte Die Größe und Bedeutung der Owenschen Firma wird auch deutlich, vergegenwärtigt man sich die Zahl der von Robert Owen beschäftigten Menschen. Verläßliche Angaben lassen sich hierzu auf der Grundlage einiger weniger Originalunterlagen machen. Der Zeitgenosse John Marshall, der New Lanark im Jahre 1807 besucht, berichtet dazu: „The present proprietors of the Lanark mills are extending the concern. They have built more houses . . . They are said to employ 1600 people, only 100 of which live in Lanark, the rest near the works." 8 1 Detaillierte Aufzeichnungen über den Stand der Beschäftigtenzahl existieren erst für die Jahre 1810 bis 1815 82 . Zahl der Beschäftigten im Jahre 1810 weibl. Spinnerei Nr. 1 Spinnerei Nr. 2 Spinnerei Nr. 3 Mechaniker Arbeiter Manager Ladenangestellte Lehrer Sonstige

345 289 273

Beschäftigte

907

Insgesamt

1.386

männl. 122 136 86 73 49 5 6 2

1811 weibl. 408 283 286



479

männl. 150 163 112 91 50 8 9 2 —

977 1.562

585

1815 weibl. 386 381 242

männl. 142 138 84 58 22 7 8

2 3

7

1014

466

1.480

80 s. II. Hauptteü dieser Arbeit, (Sozialreform); an dieser Stelle erfolgt ebenfalls eine Auseinandersetzung mit den Beiträgen David Dales für New Lanark in Abgrenzung zu Robert Owen. 81 Marshall, J., Tour Book of John Marshall, 1807, Manuskript, S. 65 f, zitiert bei Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 191. 82 Die Daten zu folgender Aufstellung finden sich bei J. Butt, der sie aufgrund einzelner Angaben des Notebooks der New Lanark Mills erstellt hat, s. Butt, J., Robert Owen as

60

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Die Zahl der in New Lanark wohnenden Menschen wird von der Zeitung „Glasgow Herald" im Jahre 1813 mit 2.200 angegeben83. Die Firmen-Aufzeichnungen über den Beschäftigungsstand lassen sich auch durch Owens eigenes Zeugnis vor einer britischen Parlamentskommission im Jahre 1816 erhärten. In ihnen gibt Robert Owen an, daß die Zahl seiner Arbeiterschaft zwischen 1.500 und 1.600 Menschen in der Regel schwanke 84 . In New Lanark werden im Spinnereibau Nr. 4 auch eigene Produktionsmaschinen hergestellt und gewartet 85 . Insgesamt werden im Jahre 1795 siebenundachtzig Facharbeiter mit dem Werkzeug- und Maschinenbau betraut 86 ; 1810 sind es einhundertzweiundzwanzig, 1811 einhundertvierundvierzig, erst 1815 sinkt die Zahl der Maschinenbauer wieder auf achtzig 87 . Diese relativ hohe Zahl von durchschnittlich einhundert Werkzeugmachern in New Lanark unterstreicht die große Bedeutung, die der Mechanisierung zukommt, und den schnellen Wandel, dem sie in jener Epoche unterliegt. Aus den statistischen Daten der Jahre 1810, 1811 und 18 1 5 8 8 geht hervor, daß der Anteil der Frauenarbeit in New Lanark sowohl relativ als auch absolut ansteigt, während demgegenüber der Stand der Gesamtbeschäftigten mit einer Fluktuationsschwankung von lediglich 6 Prozent vergleichsweise stabil bleibt 8 9 . Aufschlußreich ist auch ein Vergleich mit der Zahl der Beschäftigten anderer Fabriken jener Zeit. Pawson bemerkt in seiner wirtschaftsgeschichtlichen Studie zu dieser Fragestellung, daß die meisten Baumwollfabriken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchschnittlich weit weniger als 700 Arbeiter beschäftigten 90 . Auch die größte Baumwollspinnerei in der Textilmetropole Manchester, die Firma Mc Connel & Kennedy, beschäftigt lediglich 1.020 Arbeiter 9 1 . Übereinstimmend mit Harrison läßt sich somit feststellen, daß es sich bei a Businessman, a.a.O., S. 192 u. 208; s. auch Harrison, J. F. C., Robert Owen . . . , S. 154 f. 83 Vgl. Glasgow Herald; 24.12.1813. 84 s. Report of the Minutes of Evidence, taken before the Select Committee on the State of Children employed in the Manufactories of the United Kingdom, 25. Aprü18. Juni 1816, British Sessional Papers, House of Commons, Vol. I l l , 1816, S. 135-519, S. 139 ff. 85 Vgl. Sinclair, Sir J., The Statistical Account of Scotland, Vol. XV, 1795, S. 36. 86 Vgl. Sinclair, Sir J., ebd. 87 Die Daten ergeben sich aus der Addition der Mechaniker- und Arbeiterzahl in obiger Tabelle der Jahre 1810, 1811 und 1815. 88 Bezugnehmend auf obige Tabelle. 89 Das arithmetische Mittel der Beschäftigtenzahl der Jahre 1810,1811 und 1815 beträgt 1.476, die maximale Beschäftigungsabweichung vom arithmetischen Mittel beträgt ±6%; Berechnung durch den Autor; wieso es zu einem Anstieg der Frauenarbeit in New Lanark kommt, s. II. Hauptteil dieser Arbeit. 90 s. Pawson, E., The early Industrial Revolution . . ., S. 92. 91 s. dazu Shapiro, S., Capital and Cotton Industry in the Industrial Revolution, London 1967, S. 252; Pawson, E., ebd.; die hohe Zahl der von Owen beschäftigten Arbeiter beeindruckt besonders, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in Deutschland die Firma

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

61

der Fabrik von New Lanark, zumindest hinsichtlich der Beschäftigtenzahl, im Jahre 1815 um die größte Baumwollspinnerei der Welt handelt 92 . Es gilt von daher die Owensche Unternehmung in Schottland nicht als kleine Produktionsstätte, sondern als einen frühen Großbetrieb jener Tage der Industriellen Revolution aufzufassen. 3. Geschäftsverbindungen Nicht nur hinsichtlich seiner Größe und der Zahl seiner Belegschaftsmitglieder ist New Lanark bemerkenswert. Vom geschäftspolitischen Standpunkt ist von Interesse, daß diese reine Baumwollspinnerei bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts über ungewöhnliche internationale Geschäftsverbindungen verfügt. Unter Owens Management exportiert die Firma nach Smyrna und Triest, vor allem aber via Petersburg nach Rußland 93 . Der englische Textilmarkt wird über Glasgow versorgt. Dem Export nach Rußland kommt in New Lanark eine besondere Bedeutung zu. Der Vertrieb vollzieht sich dabei teils auf Rechnung von Owens Firma direkt von New Lanark aus, teils über Händler wie zum Beispiel Allen Stewart & Company, die im zaristischen Rußland für Robert Owen als Agenten fungieren 94 . Auch Owens Agenten in Deutschland, wie zum Beispiel die Firma J. H. Brink & Co. (Elberfeld) sowie in Holland, William Teager & Company (Amsterdam), organisieren nachweislich zwischen 1815 und 1816 die Verschiffung von New Lanark Baumwollgarn in den baltischen Raum 9 5 . Der Rußlandhandel zeichnet sich dadurch aus, daß Owen als der Welt größter Baumwollgarnproduzent auf diesem Exportmarkt eine monopolähnliche Stellung genießt und von daher gute Gewinnmargen realisieren kann. So schreibt Owens Agent im August 1815, nach Aufhebung der KontintentalKrupp in Essen 1844 erst 128, 1846 erst 142 Arbeiter beschäftigt, s. dazu Fischer, W., Innerbetrieblicher und sozialer Status der frühen Fabrikarbeiterschaft, in: Die soziale Frage . . . , S. 215-252, hier S. 238 f; Köllmann, W., Bevölkerungsgeschichte, 4. Teil, Industrialisierung und Verstädterung (Manuskript für Westdeutschen Rundfunk), 8.11.1975, S. 2 f. 92 Vgl. Harrison, J. F. C., Robert Owen and the Owenites . . . , S. 154; auch Engelhardt schließt sich dieser Auffassung an, s. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 9; die zweitgrößte Baumwollspinnerei sei die Fabrikanlage der Familie Strutt in Derbyshire/England gewesen, vgl. Harrison, J. F. C., ebd.; zur Fabrikantendynastie s. Fitton, R. S./Wadsworth, A. P., The Strutts and the Arkwrights, 1785-1830, London 1958. 93 Vgl. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 196; zur Bedeutung Petersburgs s. auch Treue, W., Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Stuttgart 1966, S. 258 ff; auchPloetz, K., Auszug aus der Geschichte, S. 857 ff. 94 Diese Angaben stammen aus dem Letter Book von Allan Stewart & Co. und R. Owen & Co., 1815-1816, die J. Butt aufgearbeitet hat, s. Butt, J., ebd; s. auch Literaturangaben bei Hausherr, H., Wirtschaftsgeschichte . . ., S. 492 f. 95 s. ders. ebd; zum Beginn der russischen Industrialisierung s. auch Rimlinger, G. V., Herrschaft und Fabrikordnung in der Frühzeit der russischen Industrialisierung, in: Die soziale Frage, hrsg. von W. Fischer/G. Bajor, Stuttgart 1967, S. 253-283.

62

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

sperre, an Owen: ,,As to cotton yarn the trade is absolutely at a stand for want of goods. Those who lately bought will not part with their goods for almost any price & therefore we have not heard of sales since our last. In Mosco prices are rising every day . . . Our anxiety to hear of further shipments from you is now raised to the highest pitch & we intreat you to bear in mind that Libau will in all probability be open for 3 months at least.. Dieses lukrative Exportgeschäft ist andererseits mit besonderen Risiken verbunden. Die Nachfrage auf den Märkten läßt sich nur schwer vorweg bestimmen; bei verfrühten Kälteeinbrüchen entstehen beträchtliche Zusatzkosten, wenn gecharterte Schiffe mit ihren Ladungen in den baltischen Häfen überwintern müssen. Auch die handelsüblichen Usancen mit ihren ungewöhnlich langen Zahlungszielen tragen zu einer Erhöhung des unternehmerischen Risikos bei. Die Modalitäten des Exportgeschäftes finden ihren Niederschlag auch in verspäteten, unregelmäßigen Zahlungseingängen, die sich angesichts der Höhe der angelaufenen Beiträge gefährlich auf die Liquiditätslage der Baumwollspinnereien in New Lanark auswirken. Wert der Rußlandexporte von New Lanark zwischen 1820 und 1823 97 Bilanzstichtag 31. 3.1820 30. 6.1820 30. 9.1820 31.12.1820 31.12.1821 31. 3.1822 20. 6.1822 31.12.1822 30. 9.1823

Beträge in Pfund Sterling 2.367 24.305 39.874 25.659 21.299 13.634 19.121 9.585 14.374

Da die Angaben über den gesamten Umsatz der Owenschen Firma sich aufgrund unvollständig erhalten gebliebener Originalaufzeichnungen nur schwer bestimmen lassen, ist es schwierig, den Stellenwert, der den Exporten nach Rußland zukommt, festzulegen. Das besondere Gewicht dieses Absatzweges für New Lanark wird aber deutlich, wenn man sich den Wert der Lieferungen an Owens gewichtigsten inländischen Abnehmer, Firma James Finlay & Co., Glasgow, vergegenwärtigt 98. 96

Zitiert bei Butt,}., ebd. Die Daten sind entnommen aus den Bilanzen von New Lanark 1818-1823; aufgeführt auszugsweise bei Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 210. 98 Insgesamt hat R. Owen & Co. mit 18 kleineren Handelshäusern in Glasgow Geschäftsverbindung, die den englischen und schottischen Markt versorgen. 97

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

63

Außenstände der Firma J. Finlay & Co., Glasgow, zwischen 1820 und 1823" Bilanzstichtag

Beträge in Pfund Sterling 2.062 21.440 25.119 24.658 9.347 8.147 4.204 4.373 397

31. 3.1820 30. 6.1820 30. 9.1820 31.12.1820 31.12.1821 31. 3.1822 30. 6.1822 31.12.1822 30. 9.1823

Vergleicht man den Wert des Rußlandhandels mit den Außenständen von Owens bedeutendstem inländischen Abnehmer, so wird deutlich, daß es durchaus gerechtfertigt erscheint, davon auszugehen, daß ein sehr hoher Anteil der New Lanarkschen Produktion nach 1815 für den Export in den russischen Raum bestimmt ist. Für einen relativ hohen Exportanteil sprechen auch die Angaben in einem Brief von John Wright, der an Robert Owen im Jahre 1825 gerichtet i s t 1 0 0 . Danach beläuft sich der Umsatz im November 1825 in New Lanark auf 9.000 Bündel Baumwollgarn, wovon allein 3.500 auf dem russischen Markt veräußert werden. Das entspricht einem Exportanteil von etwa 39 Prozent. Wright unterstreicht die Bedeutung des Exportgeschäftes, indem er weiterhin feststellt, daß New Lanark dank der Auslandsnachfrage von den Folgen einer inländischen Rezession (nach 1815) wirtschaftlich unberührt geblieben i s t 1 0 1 . Im folgenden soll untersucht werden, in welchem Ausmaß sich die geschäftlichen Transaktion auf die Gewinnentwicklung der Owenschen Firma auswirken. 4. Gewinnentwicklung Charakteristikum des Baumwollgeschäftes zu Anfang des 19. Jahrhunderts sind starke Preisschwankungen, von denen die Rohbaumwolle auf den Beschaffungsmärkten wie das Baumwollgarn auf den Absatzmärkten betroffen sind 1 0 2 . 99 Die Daten sind entnommen aus den Bilanzen von New Lanark von 1818-1823; s. Aufstellung bei Butt, J., S. 211. 100 s. Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.12.1825, (Co-operative Union Collection, Manchester); John Wright war Robert Owens Buchhalter und Sachverwalter in New Lanark, der sein Leben lang in den Diensten der Firma in New Lanark stand. 101 s. Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.12.1825, (Co-operative Union Collection). 102 Zur Bedeutung der Baumwollverarbeitung für die Industrielle Revolution, s. Pietsch,

64

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Diese Preisbewegungen 103 gehen zurück zum einen auf die Wirren der napoleonischen Kriege und eine rigide amerikanische Zollpolitik (1812). Zum anderen sind sie verursacht durch starke saisonale Nachfrage- und Angebotsschwankungen die die Gewinnentwicklung der New Lanarkschen Baumwollspinnereien nachhaltig beeinflussen 104. Demgegenüber folgt die mengenmäßige Produktion in New Lanark zwischen 1801 und 1812 einem beständigen Aufwärtstrend, der sich von 1813 bis 1821 auf einem etwa gleichbleibend hohen Niveau verstetigt. Baumwollgarn-Produktion in New Lanark 105 Jahr

Gewichtspfund

1801 1802 1803 1805 1809 1810 1811 1812 1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821

514,750 584,325 510,175 736,925 1,146,842 1,440,895 1,620,373 1,622,070 1,385,390 1,451,947 1,339,434 1,424,513 1,457,096 1,465,445 1,459,094 1,377,580

Die Ziffern verdeutlichen die Leistungsstärke der Owenschen Firma; wenngleich Anhaltspunkte dafür sprechen, daß die vorhandenen Kapazitäten in New Lanark in jenen Jahren nicht immer voll ausgelastet sind, wie Butt in seiner wirtschaftsgeschichtlichen Studie feststellt 106 . Dennoch kann es keinen Zweifel M., Die Industrielle Revolution, Freiburg 1961, S. 46 ff; s. auch Michel, E., Sozialgeschichte der industriellen Arbeitswelt, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1953, S. 83. 103 Z.B. nach 1807 Preisanstieg; nach 1814 Preisverfall. 104 Vgl. Butt, J., Robert Owen as a Businessmanns. 195. 105 Der sprunghafte Anstieg nach 1809 ist auf die Inbetriebnahme zusätzlicher Produktionsanlagen zurückzuführen; die obigen Ziffern entstammen den Geschäftsbüchern der New Lanark Co., die heute bei der Gourock Ropework Company lagern und von Butt stellenweise ausgewertet wurden, vgl. Butt, J., S. 209. 106 s.Butt, J.,S. 195 f.

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

65

darüber geben, daß die schottische Spinnerei von Robert Owen & Co. ausgesprochen profitabel wirtschaftet. Bei der Frage nach der Höhe der erwirtschafteten Gewinne und der Rentabilität des investierten Kapitals in New Lanark gilt es, einen Eindruck von dem wirtschaftlichen Wachstum des Unternehmens wiederzugeben. Eine Aussage, inwieweit die Gewinnentwicklung von Owens Unternehmen über beziehungsweise unter dem Branchendurchschnitt im 19. Jahrhundert liegt, läßt sich nur schwer treffen, da frühe Originalaufzeichnungen vergleichbarer Firmen weitestgehend nicht mehr vorhanden sind 1 0 7 . Zur Darstellung der Gewinnsituation von New Lanark scheinen die Aufzeichnungen des Zeitgenossen John Wright besonders geeignet, da er seit 1810 Owens Geschäftsbücher in Glasgow führt und in Finanzfragen als Owens Berater fungiert 1 0 8 . In einem ausführlichen Schreiben an Robert Owen aus dem Jahre 1853 faßt er die Gewinnentwicklung in New Lanark (nach 1810) zusammen 1 0 9 . Die Gewinndaten der Firma zwischen 1799 und 1810 gibt Owen selbst mit 60.000 Pfund, zuzüglich 30.000 Pfund ausgezahlter Dividenden 110 , also insgesamt mit 90.000 Pfund a n 1 1 1 . Das entspricht einer jährlichen Rendite von 15 Prozent auf das Nominalkapital von 60.000 Pfund 1 1 2 . Gewinn der New Lanark Twist Company zwischen 1811 und 1814 1 1 3 Jahr

Gewinn

1811 1812 1813

8,817 49,953

Total

66,771

107

8,000

ausgezahlte Dividenden

Brutto-Gewinn in Pfund 11,817

3,000 3,000 3,000

11,000 52,953

9,000 außerordentlicher Ertrag

75,771 34,100

Gesamt

109,871

s. Harrison , J. F. C., Robert Owen and the Owenites..., S. 155. Weitere Angaben zur Gewinnsituation, s. Griscom, J., A Year in Europe, in 1818 and 1819, Vol. II, New York 1823, S. 385; Podmore, Fr., Robert Owen, S. 92 f;Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner, New Lanark, 1800-1825, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, hrsg. S. Pollard/J. Salt, London 1971, S. 145-165, hier S. 146 ff; Harrison, J. F. C., ebd.;Butt, J., S. 195 ff. 109 Anläßlich Datensammlung für Robert Owens Autobiographie; s. Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.1.1853 (Co-operative Union Collection). 110 Pro Jahr 5 Prozent. 111 s. Owen, R., A Statement regarding the New Lanark Establishment, Edinburgh 1812 (Original in Edinburgh University Library; Faksimile: Glasgow 1973), S. 9 - 1 2 ; auch Life I, S. 87; vor 1810 wurden die New Lanark Geschäftsbücher noch in Manchester bei Owens Kompagnons gefuhrt. 108

5 Elsässer

66

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Die Rendite in der zweiten Phase des Owenschen Wirkens in New Lanark 1 1 4 beläuft sich demnach auf 43 Prozent pro Jahr, beziehungsweise 130 Prozent auf das erhöhte Kapital von 84.000 Pfund.

Gewinn der Firma R. Owen & Co. zwischen 1814 und 1825 1 1 5 Jahr

Gewinn

ausgezahlte Dividenden

Gesamtgewinn

1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 1823 1824

-9,831 21,100 12,984 9,000 9,000 15,500 -2,162 -6,666 13,000 22,432 15,015

3,827 4,548 6,500 6,500 6,500 6,500 6,500 6,500 6,500 6,500 6,500

-6,004 25,649 19,484 15,500 15,500 22,000 4,337 -166 19,500 28,932 21,515

Total

99,371

66,876

166,247

Abschreibung außerordentlicher Ertrag

20,667 6,000

Gesamt

192,915

In dieser Periode beträgt die jährliche Rendite wiederum 15 Prozent pro Jahr, also insgesamt 168 Prozent auf das angehobene Kapital von 114.000 Pfund Sterling. In den Jahren, in denen Robert Owen aus dem aktiven Management der Firma ausscheidet (nach 1824), verschlechtert sich die Rentabilitätssituation jedoch schlagartig, wie aus folgender Übersicht deutlich wird.

112

Der Einfachheit halber wurde auf Zinseszinsrechnung verzichtet. Die Daten sind entnommen aus: Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.1.1853 (Cooperative Union Collection); dargestellt auch bei Butt, J., S. 211; auf die Angabe von Shilling und Pence wurde hier verzichtet, von daher ergeben sich eventuell minimale Abrundungsfehler. 114 Das Owensche Unternehmen firmierte 1810 und 1814 bei einem Wechsel der Teilhaber um. 115 s. Brief J. Wright to Robert Owen, 10.1.1853 (Co-operative Union Collection). 113

A. Aufstieg zum modernen Unternehmer

67

Gewinn der Firma R. Owen & Co. zwischen 1825 und 1828 1 1 6 Jahr

Gewinn

ausgezahlte Dividenden

Gesamtgewinn

1825 1826 1827

-4,000 -13,000

6,500 6,500 6,500

6,500 2,500 -6,500

Total

-17,000

19,500

2,500

außerordentlicher Ertrag

4,058

Gesamt

6,558

Im Überblick stellt sich die Gewinnentwicklung der Firma während Owens Teilhaberschaft damit folgendermaßen dar: Gesamtgewinn von New Lanark 117 Jahre

Gewinn in Pfund Sterling

1799-1810 1810-1814 1814-1825 1825-1828

90,000 109,871 192,915 6,558

Gesamt

399,344

Unabhängig von der Frage nach der exakten Gewinnhöhe - so beziffert Owen den Profit der Jahre 1811 bis 1813 mit 160.000 Pfund, statt mit 109.871 Pfund 1 1 8 - ist unbestreitbar, daß der Spinnereikomplex von New Lanark nicht nur vom Umsatz und von der Zahl der Beschäftigten her ein gewaltiges Unternehmen repräsentiert, sondern unter Owens Führung auch zu den ungewöhnlich profitablen Industrieimperien der Industriellen Revolution gehört. Im folgenden gilt es nun, Owens Beitrag und Leistung auf der Ebene des Industriemanagements und der Mitarbeiterführung aufzuzeigen. 116

s. ders. ebd. Ermittelt aus obigen Aufstellungen J. Wrights 1853; s. ders. ebd. 118 Vgl. Life I, S. 98; die Daten lassen sich nur als ungefähre Größen auffassen, da einheitliche Bilanzierungsrichtlinien zu Anfang des 19. Jahrhunderts nicht vorliegen. 117

5*

68

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

B. Owens moderne Unternehmensführung Robert Owen ist zum Zeitpunkt der Übernahme der alleinverantwortlichen Führung des New Lanark-Unternehmens (1800) gut vorbereitet auf die ihm gestellte Aufgabe. Seine ungewöhnliche Karriere 1 als Angestellter-Unternehmer, die er als reiner Autodidakt gemacht hat, ist abgeschlossen. Owen kann auf einen reichen Schatz beruflicher Erfahrung des praktisch kaufmännischen wie textil-fertigungstechnischen Bereichs zurückgreifen. Nicht zuletzt das persönliche Erlebnis eines nahezu zwanzigjährigen Berufslebens, welches von den Mißständen und Härten der Frühphasen der Industrialisierung geprägt ist 2 , erklärt, daß es sich bei Robert Owen im Alter von 29 Jahren um eine ausgereifte Persönlichkeit handelt, die für die Leitung des ausgedehnten Spinnereibetriebs in idealer Weise geeignet ist.

I. Zeitgenössische Probleme der Unternehmensführung Die beruflichen Anforderungen, die sich dem Unternehmer in der Zeit des Frühkapitalismus stellen, unterscheiden sich von den in der modernen Industriegesellschaft zu bewältigenden Aufgaben in erheblichem Maße 3 . Einer der schwierigen gesellschaftlichen Wandlungsvorgänge, die sich im Zuge der Industrialisierung vollziehen, besteht in der Gewöhnung des Arbeiters an die Regelmäßigkeit der täglichen Fabrikarbeit 4 . Die Problematik beschränkt sich dabei nicht allein auf Großbetriebe, wie etwa die Owensche Firma in New Lanark, vielmehr liegt die Schwierigkeit in der generellen Akklimatisierung einer sich herausbildenden Fabrikarbeiterschaft an die rigorosen und entfremdenden Arbeitssysteme5 der Industrie. Von daher ist die Rekrutierung von Arbeitskräften, vor allem in ländlichen Regionen, mit besonderen Problemen verbunden 6. 1 Owens Werdegang ist nichtsdestoweniger nicht einmalig; in der chancenreichen Zeit der Frühphase der Industrialisierung gibt es eine Anzahl vergleichbarer ,selfmade men'; z.B. die Gallovidians, Kennedys, Douglas u.a., s. dazu Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 169. 2 s. dazu Life I, S. 13-20; Cole, G. D. H., Robert Owen, S. 52 ff; Urwick, L./Brech, E. F. L., The Making of Scientific Management, Vol. II, Management in British Industry, London 1957, S. 42 f; Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner: New Lanark, 1800-1825, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, hrsg. v. S. Pollard/J. Salt, London 1971, S. 145-165, hier S. 154. 3 s. Redlich, Fr., Der Unternehmer, Wirtschafts- und Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1964, S. 153-170 zur Typologie des Unternehmertums; auch Gasser, Chr., Unternehmensführung im Strukturwandel, Krise der Dynamik, Düsseldorf/Wien 1972, S. 75 ff; Engelhardt, W. W., Unternehmerleitbilder - Formalisierbarkeit und gesellschaftspolitische Bedeutung, in: Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen, hrsg. v. H. Cox/W. W. Engelhardt/u.a., Göttingen 1979, S. 21-37. 4 Vgl. Kerr, C./Dunlop, J. T./u.a., Industrialism and Industrial Man, The Problems of Labour and Management in Economic Growth, S. 193 ff.

B. Owens moderne Unternehmensführung

69

Die Anordnung des industriellen Fertigungsflusses, der Takt der Maschinen in den Fabriken bestimmen den Arbeitsablauf, in den sich die Arbeiterschaft des frühen 19. Jahrhunderts nur widerwillig organisatorisch eingliedern läßt. Es kann von daher nicht verwundern, daß eine Belegschaftsfluktuation von bis 100 Prozent im Jahr als keineswegs unüblich angesehen wird 7 . Um 1800 ist es ein weit verbreitetes Phänomen in der Baum Wollindustrie, daß die Arbeiterschaft, von der Heimarbeit an unregelmäßige Arbeitszeiten gewöhnt, vorzugsweise montags und dienstags nicht zur Arbeit erscheint 8. Noch in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wird für Südwales geschätzt, daß ein Arbeiter durchschnittlich von fünf Wochen eine Woche abwesend ist und daß die Arbeitsleistung nach den Zahltagen um etwa ein Drittel sinkt 9 . Vor allem während der Ernteperiode kommt es zu ausgeprägten Fehlzeiten bei den in landwirtschaftlichen Regionen angesiedelten Betrieben 10 . Der Unternehmer sieht sich in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung somit komplexen Problemen der Fabrikdisziplin gegenübergestellt 11. Die Methoden, mit denen die Arbeitgeber eine Bewältigung dieses arbeitsorganisatorischen Problems zu erreichen suchen, lassen sich in drei Rubriken zusammenfassen: Maßnahmen der Härte, Gewährung von Anreizen und Bemühungen um ein verbessertes Arbeitsethos 12 . Dabei gehören solche Maßnahmen wie Prügelstrafen, Drohungen, Entlassungen und Geldstrafen als Sanktionen zur Tagesordnung der Fabrikarbeit 13 . Aus den Ergebnissen der Umfrage einer Untersuchungskommission des Jahres 1833 wird deutlich, in welch hohem Maße praktizierte Sanktionsmechanismen überwiegen im Vergleich zur Anwendung motivationeller Anreize.

s Zur Problematik der Entfremdung s. Israel, J., Der Begriff Entfremdung, Reinbek 1972; Friedel-Howe, H., Entfremdung in der Industriearbeit, Diss. Augsburg 1979, S. 96 ff. 6 s. Pawson, E., S. 92 f; New Lanark liegt im Süden Glasgows in den sogenannten »Lowlands'; David Dale, der Gründer von New Lanark beispielsweise, engagiert Agenten, die Arbeitswillige im schottischen Hochland zu werben versuchen. 7 s. dazu auch Wood, O., The Development of the Coal, Iron and Shipbuilding Industries of West Cumberland, 1750-1914, Diss. London 1952, S. 138 f; auch Pollard, S., Die Fabrikdisziplin in der Industriellen Revolution, S. 159-185, insb. S. 162. 8 Vgl. Ure, A., Cotton Manufacture of Great Britain, Vol. II, London 1835-36, S. 448; auch Pollard, S., S. 163. 9 s. John, A. H., The Industrial Development of South Wales, 1750-1850, Cardiff 1950, S. 71. 10 Vgl. Pawson, E., The early Industrial Revolution, S. 92 f. 11 Zu gegenwärtigen betriebssoziologischen Problemen s. Fürstenberg, Fr., Grundfragen der Betriebssoziologie, Köln/Opladen 1964, S. 88-110. 12 Vgl. Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . . , S. 169. 13 s. Ure, A., Cotton Manufacture of Great Britain, S. 259 u. 269.

70

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Anzahl der Betriebe, die unterschiedliche Mittel benutzen, um die „Fabrikkinder" zum Gehorsam zu zwingen (1833) 1 4 Negativ

Positiv

Entlassung Drohung mit Entlassung Geldstrafen, Abzüge Körperliche Züchtigung Beschwerde bei den Eltern Einsperren in die Fabrik Degradierende Kleidung, Abzeichen

353 48 101 55 13 2

Insgesamt

575

Güte Beförderung oder höhere Löhne Belohnung oder Prämie

2 9 23

3 34

Danach bedienen sich etwa nur 6 Prozent aller Unternehmen der Methode der Gewährung monetärer Anreize, um dem Problem der Fabrikdisziplin unter den jugendlichen Arbeitnehmern Herr zu werden. Mit dem Versuch, darüber hinaus ein neues Ethos der Ordnung sowie eine veränderte Einstellung zur Arbeit unter den Fabrikarbeitern zu schaffen, stellt Robert Owen eine Ausnahmeerscheinung im 19. Jahrhundert dar. Owens Leistungen gilt es dabei, im Zusammenhang mit der Behandlung seines sozialreformerischen Wirkens (II. Hauptteil) eingehend zu untersuchen 15 . Die Schwerpunkte der Aufgabenstellung in der Leitung eines Unternehmens sind zu Lebzeiten Robert Owens, im Vergleich zur heutigen Situation, mithin anders verteilt. Erschwerend kommt hinzu, daß das Gebiet der Unternehmensführung zur damaligen Zeit nur selten wissenschaftliche Beachtung16 findet 17. Die Gestaltung des konkreten Managements einer Firma im frühen 19. Jahrhundert ist bedingt allein durch die persönlichen Fähigkeiten und den individuellen Charakter des Unternehmensleiters, der sich noch nicht auf allgemeingültige Verhaltens- und Organisationsmuster stützen kann. Vor diesem Hintergrund gilt es Robert Owen als modernen Industriellen zu würdigen. 14

Entnommen aus Factories Commission, Second Supplement; dargestellt bei Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . ., S. 174. 15 s. dazu II. Hauptteil: Owen als Sozialpolitiker. 16 Hierzu auch VI. Hauptteil: Owen als Wissenschaftler; s. auch Pollard, S., S. 184 f; dazu weiterführend Urwick, L./Brech, E. F. L., The Making of Scientific Management, Vol. II, S. 60 ff. 17 Zudem: die Gewöhnung einer sich gerade herausbüdenden Arbeiterschaft an den Fertigungsprozeß gestaltet sich schwieriger, weil ungestümer, im Vergleich zu einer heutzutage seit Generationen bestehenden Arbeiterschaft.

B. Owens moderne Unternehmensführung

71

II. Owen als Unternehmensleiter 1. Konzept der Unternehmensführung In der Leitung der Spinnerei versteht sich Robert Owen nicht als einfacher Fabrikmanager. Er selbst charakterisiert seine Philosophie der Unternehmensführung mit dem Terminus ,Government': „My intention was not to be a mere manager of cotton mills as such mills were at this time being managed — but to introduce principles in the conduct of the people which I had successfully commenced with the work-people in Mr. Drinkwater's factory, and to change the conditions of the people who, I saw, were surrounded by circumstances having an injurious influence upon the character of the entire population of New Lanark. I had now, by a course of events, got under my control the groundwork on which to try the experiments long wished for, but little expected ever to be in my power to carry into execution." 18 Hier tritt Owens milieutheoretischer Ansatz, der die Basis auch seines späteren Wirkens bildet, deutlich hervor 19 . Die Verantwortung des Fabrikherrn ruht Owen zufolge nicht allein auf der Überwachung des technischen Fertigungsablaufes; sein Einflußund Gestaltungsbereich erstreckt sich vielmehr über die Produktionsmittel auch auf den arbeitenden Menschen und sein sozio-ökonomisches Umfeld 2 0 . Robert Owens Auffassung von der Führung eines Unternehmens zeichnet sich dadurch aus, daß sie das Unternehmensgefüge als Gesamtsystem begreift, dem der Arbeitgeber verpflichtet ist. Robert Owen legt diese Anschauung in einer seiner Publikationen auch theoretisch klar und anschaulich dar, womit er zurecht als einer der ersten Systemtheoretiker betrachtet werden kann 2 1 . So schreibt Owen 1813: „ . . . from the commencement of my management I viewed the population, with the mechanism and every other part of the establishment, as a system composed of many parts, and which it was my duty and interest so to combine, as that every hand, as well as every spring, lever and wheel, should effectually co-operate to produce the greatest pecunary gain to the proprietors." 2 2 Es gilt, sich die Fortschrittlichkeit dieser Gedanken in der Frühphase der Industrialisierung, in der der Arbeiter überwiegend noch als ,Lohnsklave4 18

Life I, S. 56 f. s. Life I, S. 30; nähere Ausgaben zu Owens Milieutheorie s. fünfter Hauptteil, Owen als Erzieher, Abschnitt Milieutheorie. 20 s. Landauer, C., Über den politischen Einfluß der Manager, in: Industriesoziologie, hrsg. v. Fr. Fürstenberg, Neuwied 1959, S. 247-265. 21 Eine Diskussion über Owens wissenschaftlichen Beitrag zur Betriebswirtschaftslehre findet sich im VI. Hauptteil dieser Arbeit; s. Owen, R., Address prefixed to Third Essay on the principle of the Formation of the Human Character, ,To the Superintendents of Manufactories . . 1 8 1 3 , in: Appendix B zu Life I, S. 259-262. 22 Owen, R., Address prefixed to Third Essay on the principle of Formation of the Human Character, ..., Life I, S. 259 f. 19

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

betrachtet wird, zu vergegenwärtigen. Daß sich Owen bei allem für das Ziel der Erwirtschaftung eines Unternehmensgewinns einsetzt, beeinträchtigt das Progressive seiner Auffassungen durchaus nicht. Auch an anderer Stelle legt er dar, nach welchen Prinzipien das Gesamtsystem »Unternehmen4 zu führen ist: „ . . . my intentions were to commence a new system of management on principies of justice and kindness and gradually to abolish punishment." 23 Die multivariable Aufgabenstellung der Unternehmensführung läßt sich bei Robert Owen folgendermaßen darstellen: Einerseits geht es um eine effiziente Lenkung des Gesamtsystems nach wirtschaftlichen Kriterien, andererseits um eine Verbesserung der inneren wie äußeren Lebenslage der Beschäftigten 24. Geht es den meisten zeitgenössischen Industriellen lediglich um die Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin in den Fabrikhallen, so erweitert Robert Owen den moralisch-ethischen Komplex, für den sich der Arbeitgeber verantwortlich zu zeigen hat. Owens philanthropische Grundhaltung schlägt sich in dem Versuch nieder, unter seiner Arbeiterschaft allmählich ein von Grund auf revidiertes Arbeitsethos zu schaffen. Er ist bestrebt, in New Lanark den Nachweis zu erbringen, daß Profitorientierung und humanitär-soziales Führungs- und Leitungsverhalten sich beiderseitig vorteilhaft vereinbaren lassen. Die Besonderheit der Owenschen Leistung liegt darin, daß er als Industrieller zu Anfang des 19. Jahrhunderts seine gewonnenen Erkenntnisse nicht nur praktisch überaus erfolgreich vollzieht, sondern als Theoretiker diesen Sachverhalt erkennt und propagiert. 2. Unternehmensorganisator Im Gegensatz zu seiner Aufbau- und Gründungstätigkeit für die ,Chorlton Twist Company'in Manchester, übernimmt Robert Owen in New Lanark (1800) das Management eines bereits errichteten und produzierenden Industriekomplexes 25 . Sein dynamisches Unternehmertum zeigt sich daran, daß es ihm nicht um eine bloße Fortführung der bisherigen Geschäftspolitik des Spinnereibe triebes geht, er vielmehr mit großer und beständiger Tatkraft an die Reorganisation dieses bedeutenden Unternehmens herangeht 26 . Für ein Viertel Jahrhundert wird New Lanark der Ort seines unternehmerischen Wirkens. Owens eigenem 23

Lifel, S. 60. s. Life I, S. 56 f; s. auch Bendix, R., Work and Authority in Industry: Ideologies of Management in the Course of Industrialization, New York 1956. 25 s.Hume, J. R., The Industrial Archaeology of New Lanark, S. 215-253, insb. S. 247. 26 Vgl. Robertson, A. J., Robert Owen Cotton Spinner: New Lanark, 1800-1825, S. 156; zur unternehmerischen Aktivität Owens s. auch Simon, H., Robert Owen . . ., S. 53-72; Morton, A. L.,The Life and Ideas . . ., S. 20-23 u. 74-81 \Cole, G. D. H., Robert Owen, London 1925, S. 68-95; Cole, M., Robert Owen of New Lanark, London 1953, S. 43-59; Hutchins, B. L., Robert Owen, 1771-1858, in: Radicals, Reformers and Socialists, hrsg. v. M. Katanka, eingel. v. M. Cole, London 1973, S. 78-83. 24

B. Owens moderne Unternehmensführung

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Urteil zufolge befindet sich das Industrieimperium, um das sich David Dale in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts nur wenig kümmert, zum Zeitpunkt der Übernahme 1800 in einer prekären Managementkrise, die sich auch in einem Rückgang der Rentabilität niederschlägt 27. Mißstände wie Unterschlagung, Diebstahl und Trunkenheit unter der Arbeiterschaft, letzteres auch während der Arbeitszeit, gehören zum täglichen Erscheinungsbild New Lanarks 28 . Die Aufgabe einer effizienten Organisation des Produktionsablaufes in New Lanark ist charakterisiert durch standortbedingte Nachteile und Problemstellungen. Im Hinblick auf die Arbeiterschaft ist zum einen anzumerken, daß es sich um überwiegend entwurzelte Bevölkerungsschichten aus den verschiedenen Regionen Schottlands handelt 29 , die von dem »künstlich' angelegten Industriedorf angezogen werden. Insbesondere das Fehlen organisch gewachsener dörflicher Strukturen verursacht disziplinarisch-moralische Probleme im kommunalen Leben New Lanarks. Zum anderen stellt sich bezüglich des Produktionsablaufes das Problem der Energieversorgung. Der gesamte Maschinenpark der Fabriken wird ausschließlich mit Wasserkraft betrieben, was in strengen Wintermonaten (Eis) und in heißen Sommern (niedriger Flußlauf) wiederholt zu Produktionsstillständen führt 3 0 . Auch die Frage des Transportes der Rohstoffe und Erzeugnisse stellt die Firmenleitung vor Probleme; sind doch die Wege und Landstraßen nach Glasgow durch saisonale Einflüsse (Matsch) für viele Monate im Jahr kaum benutzbar. Während der witterungsmäßig günstigeren Erntezeit dagegen liegen die Speditions- und Frachtgebühren regelmäßig auf einem überhöhten Niveau 31 . Robert Owen entläßt zunächst das alte Management32 und widmet sich selbst der Reorganisation des Maschinenparks, indem er veraltete Maschinen durch technologisch neuwertige ersetzen und in der Fertigungsfolge verändert anordnen läßt 3 3 . Seine besondere Aufmerksamkeit gilt der betriebswirtschaftlichen Aufgabenstellung der Minimierung innerbetrieblicher Transportwege. „There were four large mills filled with machinery old and illarranged. This was replaced and the whole newly arranged. Under the old arrangements the stairs were continually crowded with carriers with baskets, conveying the produce of the lower into the higher rooms, and with others meeting them with the empty 27

Vgl. Life I, S. 50 u. 70. Vgl. Life I, S. 57 f;Podmore, Fr., Robert Owen, London 1923, S. 84 f. 29 Vgl. Pawson, E., The early Industrial Revolution, London 1979, S. 92. 30 s. Hume, J. R., The Industrial Archaeology . . . , S. 243;Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 193, Probleme bestehen ebenfalls bei der künstlichen Beleuchtung der Fabrikhallen. 31 Weitere Schwierigkeiten z.B. 1806 amerikanisches Embargo, s. Life I, S. 63; zum Transportproblem vgl. Butt, J., Robert Owen . . S. 198. 32 Vgl. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 83. 33 s. Life I, S. 62 u. 136; Owen, R., A Statement regarding the New Lanark Establishment, Edinburgh 1812 (Faksimile Glasgow 1973), S. 1-12;Hume, J. R., S. 247. 28

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

skips and baskets. I therefore devised means, until then unpractised, to take all up and bring all down without the use of stairs." 34 Wie aus dem ,Yarn Order Book' der Spinnerei Nr. 1 und Nr. 2 hervorgeht, versteht es Owen, die Produktion zwischen 1811 und 1812 den veränderten Nachfrageverhältnissen nach verschiedenen Garnqualitäten schnell anzupassen 35 . Der Problematik des übermäßigen Diebstahls versucht Robert Owen durch systematischere Lagerhaltungssysteme Herr zu werden 36 . Er konzentriert insbesondere die Verwendung unterschiedlicher Baumwollqualitäten räumlich auf verschiedene Fertigungsbereiche, wodurch sich eine verbesserte betriebsinterne Kontrolle realisieren läßt 3 7 . Eine Senkung der Transportkosten führt Owen herbei, indem er Rohbaumwolllieferungen von Glasgow mit Garnlieferungen nach Glasgow koordiniert 38 . Zu Owens Bemühungen im Vertriebsbereich stellt Butt in seiner Studie fest, daß New Lanark Baumwolle dank energischer Verkaufsförderungsmaßnahmen einen guten Absatz in Großbritannien sowie im kontinentaleuropäischen Raum (Rußland) findet 39. Als ein Indiz erster Marketingüberlegungen und Markenartikel-Konzeptionen kann die Tatsache gewertet werden, daß Owen seine Garnbündel mit Aufklebern versieht, auf denen eine idyllische Ansicht von New Lanark dargestellt ist 4 0 . Owens erste unternehmerische Maßnahmen in New Lanark dienen somit einer generellen Produktivitäts- und Rentabilitätssteigerung, die er mittels einer straffen organisatorischen Umgestaltung des Fertigungsprozesses verwirklichen kann. 3. Revisions- und Rechnungswesen Owens Bemühung, die Tätigkeit und Produktion der Spinnerei zu ordnen, ist verbunden mit der Einführung moderner Ansätze eines betrieblichen Revisionsund internen Kontrollwesens. Von Anbeginn seines Managements an versucht Owen, das Gesamtsystem der Unternehmung in seinen einzelnen Teilbereichen zu erfassen 41. Aus den Geschäftsbüchern der New Lanark Company geht her34

LifeI,S. 53. Die Feststellung basiert auf Angaben des ,Yarn Order Book4 der New Lanark Co., welches Butt in seiner Studie ausgewertet hat, s. Butt, J., Robert Owen . . ., S. 197. 36 s. Life I, S. 80; die Ausmaße des Lagerkomplexes, die über 450 Fuß (ca. 135 m) lang sind, sind im Glasgow Herald, 1.10.1813 erwähnt (Mitchell Library, Glasgow). 37 Vgl. Life I, S. 80; nähere Angaben über den Modus, den Owen anwendet, finden sich bedauerlicherweise nicht. 38 s.Butt, J.,S. 198 f. 39 In diesem Zusammenhang sei auch auf das bereits beschriebene Rußland-Exportgeschäft von Owen hingewiesen, s. I. Hauptteil, A. II. 3 dieser Arbeit. 40 Vgl. Owen, R. D., Threading My Way, Twenty-seven Years of Autobiography, London 1874, S. 243 f. 41 s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 188 ff. 35

B. Owens moderne Unternehmensführung

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vor, daß er Produktivitätskennziffern, Qualitäts- und Kostenkontrollen für jeden Fertigungssektor ermitteln läßt 4 2 . Owen setzt die Garnproduktion dabei ins Verhältnis zu der eingesetzten Rohbaumwolle (und zwar pro Spindel pro Tag und Woche); er berechnet Ausschuß- und Abfallmengen, ermittelt Arbeitskosten pro Stück Garnbündel und hält die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sowie Reparaturarbeiten gesondert fest 43 . Zu Owens internem Berichtswesen gehört auch, daß für jede Spinnerei dokumentiert wird, welche Garnstärken mit welchen Maschinen aus welchem Rohstoff gefertigt werden. Owen verfeinert das Rechnungswesen so weit, daß er mittels des Zahlenmaterials täglich einen Überblick über den Gesamtstatus der Firma gewinnen kann., J had an accurate daily return sent to me of the detailed results in every department of the manufactoring process, by which I knew the real results of our daily progress by an almost instant inspection of figures on half a sheet of paper . . . ' < 4 4 Dank seines progressiv geführten Berichtswesens in New Lanark ist Robert Owen in der Lage, die Geschicke der Firma trotz gelegentlicher Abwesenheit effizient zu leiten. Es zeigt sich, daß er bereits um ein personenunabhängiges, institutionalisiertes Managementsystem bemüht ist, welches sich anderen Orts erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts durchsetzt. 4. Modernes Personalwesen Owen gilt auch als JPioneer of Personnel Management' 45 . In seinem modernen Verständnis des Unternehmens als System geht er hier ab von einer rein technischen Orientierung des Betriebsgeschehens, hin zu einer weitsichtigen Anschauung, die den Mensch im Mittelpunkt des Arbeitsprozesses sieht. Nach Fürstenberg hat die Situation des Arbeitsprozesses dabei einen technisch-wirtschaftlichen Aspekt, der sich in den Leistungsanforderungen des Arbeitsplatzes widerspiegelt, und einen sozialen Aspekt, der in der sozialen Organisation des Arbeitsplatzes deutlich wird 4 6 . Um beiden Perspektiven gerecht zu werden, bemüht sich Owen, im Gegensatz zur Vielzahl der zeitgenössischen Unternehmer, um eine Verbesserung der Lebenslage der Arbeiterschaft, die sich auch positiv auf die Produktivität des Unternehmens auswirken soll. Mithin widmet Owen einen Großteil seiner unternehmerischen Aktivität personellen Problemen sei42

Vgl. Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner . . ., S. 154. Die Angaben basieren auf Daten, die sich aus dem Produce Book von New Lanark ergeben, erarbeitet von Butt, J., S. 189. 44 Life I,S. 138. 45 s. Urwick, L./Brech, E. F. L., The Making of Scientific Management, Vol. II, London 1957, S. 40 ff; ad Personalwesen s. Fürstenberg, Fr., Soziale Unternehmenspolitik, Strategien und Perspektiven, Berlin/New York 1977, S. 43-80; auch Frey, H., Handbuch der Personalbeschaffung, München 1973, S. 29 ff und S. 87 ff zu besonderen Personalproblemen. 46 Vgl. Fürstenberg, Fr., Soziale Unternehmenspolitik, S. 14. 43

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

ner Belegschaft. „My time . . . and my mind, were continually occupied in devising measures and directing their execution, to improve the condition of the people, and to advance at the same time the works and the machinery as a manufacturing establishment." 47

a) Silent Monitor Mittels einer einfachen, aber höchst wirkungsvollen Einrichtung, dem ,Silent Monitor', erhält Owen einen Überblick über die Arbeitsordnung und -moral in den Fabrikationshallen. Im Anschluß an die Tagesarbeit wird die Arbeitsleistung und das soziale Verhalten eines jeden Arbeiters von dem jeweiligen Bereichsleiter (,Superintendant') bewertet. Die Bewertungsskala reicht von den Noten eins bis vier 4 8 , von der Klassifizierung sehr gutes bis schlechtes Betragen. Jede Note wird ebenfalls analog durch eine Farbe vertreten, die auf je einer Seite des ,Silent Monitor', einem rechteckigen Holzstück, aufgetragen ist und gut sichtbar über dem jeweiligen Arbeitsplatz des Arbeiters angebracht wird 4 9 . Auf diese Weise ist es Owen möglich, bei seinen täglichen Kontrollgängen durch die Produktionsstätte mit einem Blick einen Eindruck von der Arbeitsdisziplin des Vortages des gesamten Betriebes zu bekommen. In sogenannten 3ooks of Character' werden die täglichen Noten für jeden Beschäftigten das Jahr über fortlaufend festgehalten, so daß Owen, neben den Produktivitätsziffern, auch bei Abwesenheit von New Lanark und über einen längeren Zeitraum, über den Stand der Arbeitsmoral informiert bleibt 5 0 . Da der ,Silent Monitor' in der Werkshalle den einzelnen Arbeiter mit seiner Leistung — auch vor seinen Arbeitskollegen - öffentlich konfrontiert, dem Beschäftigten gleichzeitig ein direktes Beschwerderecht für den Fall einer ungerechten Beurteilung zusteht, erweist sich dieses Instrument, Owens eigenem Urteil zufolge, für die damalige Zeit als ein hervorragendes Mittel zu einer allmählichen Verbesserung der allgemeinen Arbeitsmoral 51 .

47

LifeI,S. 81. Die Note 1 = sehr gutes Verhalten, Note 2 = gutes Betragen, Note 3 = mittelmäßiges Betragen, Note 4 = schlechtes Benehmen; s. Life I, S. 80 f. 49 s. Podmore, Fr., S. 90 f; auch Pollard, S., Die Fabrikdisziplin, in der industriellen Revolution, S. 179; die Farbe schwarz symbolisiert Note 4, blau entspricht Note 3, gelb Note 2 und weiß für Note 1; auf je einer Seite des ,Monitors 4 ist eine Farbe aufgetragen; die Seite, die nach vorne zeigt, gibt die jeweilige Tagesbewertung an. so Ähnliche Systeme, wenngleich weniger ausgefeilt, werden beschrieben bei Fitton, R. Wadsworth, A. P., The Strutts and the Arkwrights 1758-1830, London 1958, S. 100; Wadsworth, A. P./Mann, J. de L., The Cotton Industry and Industrial Lancashire, 1600-1780, London 1965, S. 439\Pollard, S., The Genesis of Modern Management, London 1968, S. 225. 51 s. auch Life I, S. 81 u. 136. 48

B. Owens moderne Unternehmensführung

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b) Delegation Owens Bemühungen um ein institutionalisiertes Führungssystem, welches von seiner eigenen Person losgelöst ist, zeigt sich in seiner unternehmerischen Philosophie der Delegation. Owen teilt das Unternehmen organisatorisch in vier ,General Departments', denen je ein ,Master' (Werksleiter) vorsteht 52 . Ihnen wird die Verantwortung für je einen Werksbereich des Spinnereikomplexes übertragen. Die Entscheidungsfindung im Betrieb wird durch regelmäßige Arbeitssitzungen der vier ,Master' zusammen mit Robert Owen erleichtert 53 . Auch wenn Owen die uneingeschränkte Weisungsbefugnis zusteht, so ähnelt seine formale Position in der Firmenhierarchie New Lanarks doch sehr der eines Vorstandsvorsitzenden heutiger Großkonzerne. Den »Mastern' unterstehen die ,Superintendents' der einzelnen Departments' (Bereichsleiter), die von ihren Werksleitern nach dem ,Silent Monitor' System täglich, wie die Arbeiterschaft, beurteilt werden 54 . Eine personalpolitische Innovation stellt das direkte Beschwerderecht des einzelnen Mitarbeiters dar, nach dem sich jeder Beschäftigte in New Lanark über seinen Vorgesetzten hinweg an Robert Owen persönlich wenden kann 5 5 . Wenngleich nur selten von diesem Recht Gebrauch gemacht wird, kommt allein schon der theoretischen und formalisierten Möglichkeit einer übergeordneten Beschwerdeinstanz eine große Bedeutung zu. Macht es doch deutlich, daß es Owen nicht um ein diktatorisches Fabriksystem geht, er vielmehr mittels institutionalisierter Kommunikationswege und verstärkter Aufgabendelegation ein harmonisches und effizientes Betriebsgeschehen zu realisieren versucht. c) Personalpolitik Die personalpolitische Grundhaltung Robert Owens als Unternehmer ist gekennzeichnet von einem hohen moralisch-ethischen Anspruch. Diese Tendenz läßt sich an einer Reihe von Maßnahmen im Personalsektor feststellen. Robert Owen erläßt eine Verordnung, die das Schlagen, auch jugendlicher Arbeitnehmer, untersagt 56 ; ein Mißbrauch der zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch weit verbreitet ist. Eine weitere Zielsetzung der Personalpolitik ist es, die Fluktuation unter der Belegschaft möglichst niedrig zu halten 57 . Zur Durchsetzung der Absicht unternimmt Owen Aktionen, die das Identitäts-und Gemeinschaftsge52

Vgl. Life I,S. 81 u. 136. Vgl. Life I,S. 138. 54 s. Life I, S. 80 f. 55 s. ebd. 56 Vgl. Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . ., S. 169. 57 s. dazu die Aufstellung über die Zahl der Beschäftigten, mit der Errechnung der Schwankungsbreite von lediglich 6% bezüglich der Fluktuation der Belegschaft, I. Hauptteil, A. II. 2; auch Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 192. 53

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

fühl unter der Belegschaft stärken sollen 58 . Weiterhin ist auch Owens betriebliche Sozialpolitik zu erwähnen (im einzelnen im II. Hauptteil erörtert), die über Reallohnsteigerungen und ein Paket sozialer Leistungen positive Akzente setzt. Die motivationale Kraft Owens zeigt sich beispielsweise an der Installierung der ,Silent Monitors', die ein geeignetes Mittel sind, die soziale Konkurrenz unter der Arbeiterschaft zu wecken und einen Anreiz für eine gute Beurteilung (,Record') zu schaffen. Robert Owens fachlich versiertes Management trägt nicht unwesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg New Lanarks bei. Owen ist zwar kein großer geschäftlicher Innovator, auch kein überragender technischer Erfinder, seine erfolgreiche Führung des Konzerns ist ebensowenig auf Finanzoperationen, wie beispielsweise Umschuldungen oder günstige Beteiligungszukäufe, zurückzuführen. Nach obigen Ausführungen gilt es, Owen vielmehr als modernen Organisator, ausgezeichneten Analytiker und Systematiker sowie dynamischen Unternehmensleiter, von der Art eines Executive Officers', zu würdigen. Die, vor allem in der älteren Literatur - allen voran Podmore 59 - , verbreitete Auffassung von der mangelnden unternehmerischen Kompetenz Owens ist nicht länger haltbar.

C. Robert Owen als Finanzier Wül man Robert Owens Wirken als Unternehmer würdigen, gilt es ebenfalls den Bereich der Finanzierung einer Untersuchung zu unterziehen. Owen erweist sich auch in dieser Hinsicht als ausgesprochen tüchtiger Geschäftsmann. Dies betrifft sowohl seine Fähigkeit, immer wieder große Kapitalien zur Finanzierung von New Lanark aufzubringen, als auch sein eigenes Vermögen wesentlich zu steigern. Im folgenden soll nun systematisch die Problematik der Eigenkapitalaufbringung in New Lanark mittels verschiedener Teilhaberschaften aufgezeigt werden. Im Anschluß wird der Stand und die Entwicklung des Owenschen Privatvermögens kritisch betrachtet.

58 Eine Maßnahme in dieser Richtung ist auch der Entwurf und die Verwendung der Aufkleber mit einer idyllischen Ansicht von New Lanark (oben erwähnt), mit denen die verpackten Erzeugnisse der Fabrik versehen werden und die zu einem ,Wir4-Gemeinschaftsgefühl animieren; Aufkleber erwähnt bei Owen, R. D., Threading My Way, London 1874, S. 243 f. 59 s. dazu Podmore, Fr., Robert Owen, S. 642 ff; auch Booth, A. J., Robert Owen London 1869, vernachlässigt Owens unternehmerische Leistung, ebenso Herkner, H., Artikel Owen, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, Jena 1893, S. 81-82; s. dagegen Urwick, L./Brech, E. F. L., The Making of Scientific Management, Vol. II, Management in British Industry, London 1957, S. 41 ff.

C. Robert Owen als Finanzier

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I. Finanzpartner in New Lanark Owen erwirbt die Spinnereien in New Lanark im Jahre 1799. Bis ins Jahr 1825 ist er dort als geschäftsführender Gesellschafter tätig; weitere drei Jahre fungiert er als nicht-aktiver Teilhaber, bis er 1828 seine Anteile an der Firma an die Famüie Walker veräußert 1. Angesichts der für die damalige Zeit gewaltigen Größe des Spinnereikomplexes 2 kann es nicht verwundern, daß Robert Owen zu keinem Zeitpunkt als alleiniger Eigentümer von New Lanark anzusehen ist. Stets befindet sich New Lanark im Besitz von mehreren Teilhabern, von denen Owen jedoch als einziger die Fabrik leitet. Owen bedient sich keiner Anleihenfinanzierung, keiner langfristigen Bankkredite, auch keiner Aktienemission, vielmehr löst er alle nötigen Finanzierungsfragen im Kreise privater Geldgeber. Dreimal kommt es zu einem Revirement unter Owens Kompagnons. Über die verschlungenen Finanzierungswege und unterschiedlichen Beteiligungsquoten existieren bislang keine systematischen Aufzeichnungen. Es ist somit von besonderem Interesse, einen Überblick über Owens Finanzierungsaktivität zu geben. 1. Erste Partnerschaft

(1799-1809)

1799 erwirbt Owen die ,New Lanark Twist Company4 für die stattliche Summe von 60.000 Pfund Sterling 3 . Seine ersten Partner sind die Handelshäuser Barton (Manchester) sowie Atkinson & Borrodale (London), mit denen Owen bereits die ,Chorlton Twist Company4 in Manchester betreibt 4 . Die Konditionen der Übernahme von New Lanark sind günstig: Der Kaufpreis von 60.000 Pfund ist über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, pro Jahr 3.000 Pfund verzinslich zu fünf Prozent, zahlbar. Diese Kaufpreisstundung, die Owens Schwiegervater, David Dale 5 , gewährt, ist bis zu ihrer vollständigen Tilgung durch eine Grundschuld auf das Anwesen von New Lanark gesichert 6. Trotz späterer Wechsel der Anteilseigner bleibt diese langfristige Vereinbarung und Verbindlichkeit gegenüber David Dale beziehungsweise dessen Nachlaßverwalter 7 beste1 s. Brief A. Campbell to Robert Owen, 3.10.1828 (Co-operative Union Collection); s. Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner, S. 160; Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 200. 2 s. Ausführungen im I. Hauptteil, A. II. 2. 3 Vgl. Life I, S. 52; das entspricht einem Gegenwert von ca. 1.225.000 Mark (!) zu jener Zeit; zu den Wechselkursen s. Schraut, M., Die Lehre von den auswärtigen Wechselkursen, Leipzig 1882, S. 4 u. 12. 4 Die Höhe der Beteiligung Owens an der ,Chorlton Twist Co.' läßt sich heute nicht mehr ermitteln. 5 Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist Owen noch kein Schwiegersohn, wohl aber mit der Tochter Dale bekannt, s. Life I, S. 46 ff. 6 s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 171 f. 7 David Dale stirbt im Jahre 1806; s. Stewart, G., Curiosities of Glasgow Citizenship, Glasgow 1881, S. 45-64.

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1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

hen. So übernehmen Owen und seine neuen Kompagnons 1810 die noch ausstehende Schuld gegenüber dem Dale Trust in Höhe von 27.000 Pfund 8 . 1816 beläuft sich die Verbindlichkeit auf 9.000 Pfund, 1818 nur noch auf 6.000Pfund, bis sie zum 30. Juni 1819 vereinbarungsgemäß getilgt wird 9 . Die langfristige Kaufpreisstundung mit einer Tilgungsvereinbarung auf jährlicher Ratenbasis über zwanzig Jahre verteilt - ist ein entscheidender finanzieller Faktor, der dem Erwerb von New Lanark erst den Weg ebnet und es Owen & Kompagnons ermöglicht, die erwirtschafteten Gewinne aus New Lanark zur Finanzierung des gewaltigen Kaufpreises mit heranzuziehen. Im Rahmen einer Würdigung der finanzwirtschaftlichen Leistungen Owens ist es aufschlußreich, festzustellen, daß dieses langfristig bedeutsame Übereinkommen auf einen konkreten Vorschlag von Robert Owen selbst zurückgeht 10 . Ohne diese Übereinkunft wäre die Übernahme von New Lanark mit großen Schwierigkeiten verbunden gewesen, welche wahrscheinlich die Aufnahme einer Anleihe erfordert hätten. Während der ersten zehn Jahre nimmt Owen kapitalmäßig lediglich die Stellung eines Junior-Partners in New Lanark ein 1 1 . Sein Anteil am Kapital der Gesellschaft beträgt nur ein Neuntel (11,11%), seine Kompagnons (Atkinson, Barton) sind zudem älter, vermögender und genießen in der britischen Wirtschaft bereits einen guten R u f 1 2 . Nicht zuletzt die Tatsache, daß diese beiden renommierten Handelsfirmen ihr Vertrauen in Owen setzen, mag dazu beitragen, daß David Dale auf Owens Vorschlag einer langfristigen Kaufpreisstundung einwilligt. Daß Robert Owen die in ihn gesetzten Erwartungen mehr als nur erfüllt, ist daran ersichtlich, daß seine Partner die Geschäfte in Manchester (,Chorlton Twist Co.') schon kurze Zeit nach dem Erwerb von New Lanark veräußern 13 und ihre Investitionen ganz auf das schottische Joint-Venture', die von Owen geleitete Fabrik, konzentrieren. Die Vermutung liegt nahe, daß Owen auch in Manchester die eigentliche ,Seele' des Geschäftes gewesen ist. Mit ihrem finanziellen Engagement in New Lanark verfolgen Owens Partner rein geschäftspolitische Interessen. Als Owen seine fortschrittlichen sozialreformerischen Maßnahmen in New Lanark erweitern möchte, vor allem im Bereich des Erziehungswesens, kommt es zum Bruch der ersten Teilhaberschaft 14. Die Kompagnons aus London und Manchester sehen durch die von Owen eingeschlagene Geschäftspolitik den finanziellen Erfolg ihrer Unternehmung gefährdet und teilen infolgedessen Owens Ansichten einer erweiterten betrieblichen 8

Vgl. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 172. Vgl. Butt, J., ebd. 10 Vgl. Life I, S. 53. 11 Vgl. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 82. 12 Vgl. Life I, S. 78, zur Höhe der Beteiligung. 13 Der Verkauf erfolgt an die Firma Birley & Hornby, vgl. Life I, S. 64. 14 Zu Owens erzieherischen Konzeptionen s. V. Hauptteil, B. Erziehung in New Lanark, s. auch Life I, S. 85 f wegen Streitigkeiten unter den Partnern. 9

81

C. Robert Owen als Finanzier

Sozialpolitik nicht. 1809 wird das gesamte Anwesen zum Preis von 84.000 Pfund 15 an einen neuen Kreis von Teilhabern, zu denen wiederum Owen selbst (und Atkinson) gehört, verkauft 16 . In zehn Jahren hat sich der Marktwert von New Lanark um 40 Prozent 17 erhöht. Außerdem ist während der ersten Partnerschaft ein Gewinn von 36.000 Pfund zuzüglich 5 Prozent Anteilsverzinsung erwirtschaftet worden 18 . 2. Zweite Partnerschaft

(1810-1813)

Im Oktober 1810 erfolgt die Umwandlung der alten ,New Lanark Twist Company4 in die JNew Lanark Company', hinter der Owen und vier weitere Partner stehen 19 . Es sind dies drei vermögende Glasgower Kaufleute aus dem Verwandten- beziehungsweise Bekanntenkreis der Familie Dale, Robert Dennistoun, Alexander Campbell of Hallyards 20 und Colin Campbell 21 , sowie John Atkinson, der bereits dem Kreis der früheren Teilhaber angehörte, es jedoch vorzieht, sein Kapital auch weiterhin in New Lanark zu investieren 22. Bemerkenswert ist die Aufteilung der Firmenanteile unter den fünf Gesellschaftern 23: Robert Owen Atkinson Dennistoun A. Campbell C. Campbell

10 Anteile 6 Anteile 4 Anteile 3 Anteile 3 Anteile

zu zu zu zu zu

nominal nominal nominal nominal nominal

Gesamt

26 Anteile zu

nominal

70.000 42.000 28.000 21.000 21.000

Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund

182.000 Pfund

Aus der Aufstellung geht hervor, daß eine substantielle Kapitalaufstockung von 60.000 auf 182.000 24 Pfund vorgesehen ist. Davon sind laut Gesellschaftsvertrag vom 5. Oktober 1810 25 15

Die Summe entspricht ca. 1.716.000 Mark, s. Schraut, M., Die Lehre . . . , S. 4 u. 20. s. Life I, S. 86. 17 berechnet auf den Kaufpreis von 1799 in Höhe von 60.000 Pfund Sterling; in einer Periode relativer Geldwertstabilität. 18 s. Life I, S. 87\ Robertson, Robert Owen, Cotton Spinner, S. 147. 19 Vgl. Life I, S. 86 f; ansonsten finden sich kaum Angaben zu dieser 2. Teilhaberschaft in Owens Autobiographie; dies ist insofern aufschlußreich, als Owen in dieser Periode mit eigenen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die er offensichtlich in der Autobiographie in ihrem vollen Ausmaß unberücksichtigt läßt. 20 Beide Schwiegersöhne des Großgrundbesitzers Campbell of Jura, dessen Rolle im folgenden näher erörtert wird. 21 Nicht verwandt mit dem Dale oder Campbell Clan. 22 Vgl. Butt, J., Robert Owen, S. 174. 23 Die folgenden Daten entstammen dem Contract of Co-partnership of the New Lanark Company, 5. Okt. 1810, den Butt in seiner historischen Studie berücksichtigt hat, vgl. Butt, J.,S. 182. 24 Etwa 3,7 Millionen Mark, s. Schraut, M., Die Lehre . . . , S. 4 u. 20. 25 Daten aus Contract of Co-partnership, 5.10.1810, s. Butt, J., ebd. 16

6 Elsässer

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

82

30.000 Pfund 30.000 Pfund 80.000 Pfund 42.000 Pfund

zahlbar zahlbar zahlbar zahlbar

am 1.1.1811 am 1.1.1812 zwischen 1811 und 1821, 8.000 Pfund p.a. zu einem beliebigen Zeitpunkt.

182.000 Pfund Auch diesem Finanzierungsplan liegt eine langfristige Zahlungsvereinbarung zu Grunde: 80.000 Pfund zahlbar über einen Zeitraum von zehn Jahren in jährlichen Raten zu je 8.000 Pfund. Bis zum Zeitpunkt der vollständigen Kapitaleinzahlung bleiben Gewinnausschüttungen sowie Kapitalentnahmen der Gesellschafter auf einen Höchstsatz von 5 Prozent jährlich begrenzt 26 . Interessant ist die Stimmen Verteilung, die im Gesellschaftsvertrag ebenfalls geregelt w i r d 2 7 : Robert Owen Atkinson Dennistoun A. Campbell C. Campbell Gesamt

3 3 2 2 2

Stirnen Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen

12 Stimmen

Zum Abstimmungsmodus wird im einzelnen bestimmt, daß Gesellschafterbeschlüsse nach einfachem Mehrheitsentscheid zu treffen sind, bei Stimmengleichheit die Zahl der Köpfe entscheidet 28 . Demnach können sich Owen und Atkinson alleine nicht gegen die Glasgow Partner durchsetzen. Owen hat auch in dieser Periode (1810-1813) in New Lanark nicht das »alleinige Sagen', ist vielmehr auf die Unterstützung von Seiten anderer Kompagnons angewiesen, um seine Einflußnahme zu sichern. Das Erstaunliche an der Konstellation der zweiten Teilhaberschaft ist, daß Robert Owen - 1809 anteilsmäßig noch kleinster Gesellschafter - 1810 im Gesellschaftsvertrag als kapitalmäßig größter Anteilseigner ausgewiesen wird. Owens prozentualer Anteil steigt von 11,11 Prozent auf 38,4 Prozent 29 . Entsprechend dieser hohen Beteiligung an der weltgrößten Baumwollspinnerei sowie dem obigen Finanzierungsplan muß Owen zwischen 1811 und 1813 allein 29.180 Pfund 30 als Kapitaleinlage aufbringen. Es kann von daher nicht verwun26

s. Butt, J., ebd. Daten aus Contract of Co-partnership, 5.10.1810, s. Butt, J., ebd. 28 s. ders., ebd. 29 10 von 26 Anteilen. 30 Aus den obigen Bestimmungen ergibt sich, daß bis zum Ende des Jahres 1813 insgesamt 76.000 Pfund als Zahlungen der Teilhaber zu leisten sind, davon entfallen auf Owen 38,4% = 29.180 Pfund; 1809 belief sich Owens Firmenanteil noch auf ganze 6.600 Pfund; berechnet durch den Verfasser. 27

C. Robert Owen als Finanzier

83

dem, daß Owen in dieser Zeit mit privaten finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die ihn zeitweilig bis an den Rand des Ruins führen 31 . Es ist eine Periode extremer finanzieller Anspannung für ihn. Owen kann diesen hohen Kapitalverpflichtungen nur mit Hilfe des Vermögens und der ehemaligen Verbindungen seines 1806 verstorbenen Schwiegervaters Dale nachkommen: Zum einen wird der Dale Trust direkt eine wichtige Kapitalquelle Owens, belaufen sich Owens Verbindlichkeiten gegenüber der Erbengemeinschaft doch 1806 auf über 11.000 Pfund, 1816 auf immerhin noch 10.556 Pfund 32 . Zum anderen gelingt es Owen, den schottischen Großgrundbesitzer Archibald Campbell of Jura (1774—1835)33 als Geldgeber zu gewinnen, der seine liquiden Mittel ursprünglich David Dales, nach 1806 Owens Unternehmung als Darlehen zur Verfügung stellt 3 4 . Robert Owen verwendet dieses Fremdkapital zur Finanzierung seines eigenen Gesellschafteranteils 35. Die Bedeutung dieser Kapitalquelle wird aus der Höhe der Darlehensbeträge ersichtlich. 1810 schuldet Owen über 13.000 Pfund, am 1.Mai 1811 über 20.000 Pfund und am 1. Mai 1812 25.000 Pfund 36 . Owens Eigenkapitalbeitrag (1812) in der Firma von New Lanark ist folglich zu einem Großteil mit Fremdmitteln finanziert. Als Campbell of Jura am 29. Juli 1812 die Rückzahlung eines Teilbetrags des Darlehens fordert, droht Owen der finanzielle Zusammenbruch. Die Zeit zwischen Juli 1812 und Juli 1813 ist gekennzeichnet von Verhandlungen über verschiedene Tilgungsmodalitäten, denen Owen nicht nachkommen kann. De facto ist er zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig, da er laut Gesellschaftsvertrag keine Einlagen aus der Firma entnehmen darf. Owens drohender Bankrott und prekäre finanzielle Lage wird schließlich am 5. Juli 1813 durch eine Bürgschaft abgewendet, die Owens Schwägerinnen zu seinen Gunsten unterzeichnen und welche als Sicherheit für seine Verbindlichkeiten akzeptiert wird. Damit einher geht die Verabschiedung eines langfristigen Rückzahlungsmoratoriums, welches einen Zahlungsaufschub von fünf Jahren gewährt und eine ratenweise Tilgung zwischen 1818 und 1822 vorsieht 37 . Im Zuge der gefährdeten finanziellen Position Owens zwischen 1812/1813 kommt es zum Zerwürfnis mit den übrigen Teilhabern 38 , die daran interessiert 31

s. Butt, J., Robert Owen . . . , S. 174 ff. Vgl. Butt, J., S. 172. 33 Vgl.ders.,S. 173. 34 Zinskondition 5% p.a., 1% über dem Bankeinlagenzins, Campbell of Jura legt seine überschüssigen Mittel bei Owen auf Anraten von David Dale an, s. Butt, J., S. 173. 35 Inwiefern Owens Handhabung vertragswidrig ist, läßt sich nicht feststellen, in jedem Fall bewirkt dieser Streitpunkt, daß Campbell of Jura seine Einlagen in New Lanark bzw. bei Robert Owen nicht länger prolongiert. 36 Vgl. Butt, J., S. 174 f. 37 1822 tilgt Owen tatsächlich entsprechend der Vereinbarung seine Schuld; als Lektüre, die sehr an einen modernen Wirtschaftskriminalroman erinnert, sei Butt, J., S. 174 ff, empfohlen. 38 Robert Owen führt die Gründe für das Zerwürfnis auf seine fortschrittliche Sozial32

84

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

sind, ihren zeitweilig insolventen Partner auszubezahlen39. Am 30. Juni 1813 sprechen sich die vier Kompagnons gegen Owens Stimmen für den Verkauf von New Lanark aus und kommen überein, die ,New Lanark Company4 öffentlich versteigern zu lassen40. Auf diese Weise hoffen sie — als einzige Bieter bei der Auktion - die alleinige Kontrolle über New Lanark billig zu erlangen und ihren einstigen Teilhaber, Owen, unter Preis auskaufen' zu können 4 1 . Am Ende der zweiten Partnerschaft (1813) steht Owen kurz davor, nicht nur den Einfluß über New Lanark zu verlieren, sondern auch empfindliche finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen. 3. Dritte Partnerschaft

(1814-1828)

In seiner bedrängten Situation gelingt es Owen, mittels eines Prospektes 42, in dem er seine sozialpolitischen Reformvorhaben sowie die Rentabilität New Lanarks hervorhebt, neue philanthropisch gesinnte Investoren zu finden 43. Owen hält die Identität seiner künftigen Partner zunächst geheim, um seine Gegenspieler auf der Auktion über seinen eigenen finanziellen Rückhalt im Unklaren zu lassen44. Auf der Versteigerung im ,Trades House' in Glasgow im Februar 1814 gelingt es Owen somit völlig überraschend, seine Kontrahenten zu überbieten 45 . Damit sichert sich Robert Owen zum dritten Mal das Eigentumsrecht an der Firma in New Lanark. Der Kaufpreis beträgt 114.100 Pfund, eine Steigerung von 30.100 Pfund verglichen mit dem Preis des Jahres 1810 in Höhe von 84.000 Pfund; das entspricht einem Wertanstieg von 35,8 Prozent in drei Jahren. Angesichts des hervorragenden Geschäftsabschlusses des Jahres 1813, welcher allein einen Gewinn von über 52.000 Pfund ausweist, handelt es sich bei dem Auktionszuschlag von 114.100 Pfund um einen günstigen Einstiegspreis 46. politik zurück, s. Life I, S. 87 f; die finanziellen Auseinandersetzungen dürften bei der 2. Partnerschaft jedoch ausschlaggebend gewesen sein. 39 Dahinter steckt nicht nur die Absicht der übrigen Teilhaber, New Lanark alleine, (ohne Owen), billig zu übernehmen, sondern sich von einer gesamtschuldnerischen Haftung für Owens Verbindlichkeiten zu befreien; s. auch Butt, J., S. 183. 40 s. Life I, S. 87. 41 Die Partner versuchten durch Gerüchte über Owens vermeintliche Insolvenz Mitbieter abzuschrecken und den Preis zu drücken; s. Life I, S. 87 f. 42 s. Owen, R., A Statement regarding the New Lanark Establishment, Edinburgh 1812 (Faksimile Glasgow 1973), Original: Edinburgh University Library, S. 1 - 1 2 ; der Verkauf der New Lanark Spinnerei wird auch im Glasgow Herald, 24.12.1813 (Zeitung) annonciert: „New Lanark Cotton Mills and Lands in the County of Lanark for Sale". 43 s. Life I, S. 88 ff. 44 Vgl. Life I, S. 90 f. 45 Owens Anwalt gelingt es bei der Auktion, den Preis im Gegenzug jeweils um nur 100 Pfund zu erhöhen, so erhöht sich das erste Gebot in Höhe von 60.000 Pfund auf 114.100 Pfund, s. Life I, S. 90 f u . 96, auch Butt, J., S. 187. 46 Die neuen Partner Owens hatten ihr internes Kaufpreis-Limit bei 120.000 Pfund angesetzt, vgl. Life I, S. 90.

C. Robert Owen als Finanzier

85

Der eigentliche Gewinner der Transaktion im Februar 1814 ist Robert Owen selbst. Sein Anteil an New Lanark in Höhe von 38,4 Prozent ist im Wert auf 44.000 Pfund gestiegen47. Die sieben Gesellschafter der Baumwollspinnerei, die unter dem Namen Robert Owen & Company' firmieren, und ihre kapitalmäßige Beteiligung stellen sich ab 1814 folgendermaßen dar 4 8 : 5 Anteile, 3 Anteile, 1 Anteil, 1 Anteil, 1 Anteil, 1 Anteil, 1 Anteil

50.000 Pfund nominal 30.000 Pfund nominal 10.000 Pfund nominal 10.000 Pfund nominal 10.000 Pfund nominal 10.000 Pfund nominal 10.000 Pfund nominal

13 Anteile,

130.000 Pfund nominal

Robert Owen John Walker (Quäker) Joseph Foster (Quäker) William Allen (Quäker) Jeremy Bentham Joseph Fox (Dissenter) MichaelGibbs(Anglikaner) Gesamt

Owens prozentualer Anteil am Grundkapital in Höhe von 38,4% als größte Beteiligung bleibt bestehen. Während die neuen Kompagnons gehalten sind, das neue Eigenkapital in Form liquider Mittel aufzubringen und einzuzahlen, tauscht Owen lediglich seinen Anteil an der alten ,New Lanark Company' (44.000 Pfund) gegen den wertmäßig höheren an der neuen JRobert Owen & Company' ein. Infolgedessen fällt es Owen nicht schwer, für seinen nominellen Beitrag von 50.000 Pfund aufzukommen. Mit Gründung der JRobert Owen & Company' ist Owen finanziell saniert. Das effektiv eingezahlte Eigenkapital der dritten Partnerschaft beläuft sich 1814 auf über 76.000 Pfund, 1815 auf über 90.000 Pfund und ab 1816 auf 130.000 Pfund 49 . Die Firma von New Lanark verfügt über eine solide finanzielle Basis. Die philanthropische Einstellung der neuen Anteilseigner zeigt sich an der ursprünglich vereinbarten Absicht, Gewinnausschüttungen zu Gunsten einer erweiterten betrieblichen Sozialpolitik zu beschränken: , , . . . that over five per cent for our capital and risk, the surplus gains shall be freely expended for the education of the children and the improvement of the work-people at New Lanark and for the general improvement of the condition of the persons employed in manufactures (sic)." 5 0 Nach 1817 werden jedoch, wie Butt zu Recht 47

38,4% auf die Kaufpreissumme von 114.100 Pfund = etwa 44.000 Pfund, berechnet vom Verfasser. 48 Die Angaben finden sich an verschiedenen Stellen der Owen-Autobiographie, s. Life I, S. 93-96; zwischen einigen der Kompagnons und Owen herrschen freundschaftlich, private Verbindungen; so begleitet John Walker Owen 1818 auf einer Europareise, s. Life I, S. 192; auch Owens Söhne verkehren zum Teil privat bei den Kompagnons, wie aus Robert Dale Owens Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, s. Owen, R. D., To Holland and to New Harmony, Robert Dale Owen's Travel Journal, 1825-1826, hrsg. v. J. M. Elliott, Indiana Historical Society, Indianapolis (USA) 1969, S. 184. 49 Vgl. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 200. 50 Life I, S. 95.

86

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

feststellt, verstärkte Gewinnausschüttungen vorgenommen 51 . Das geht auch aus den Salden der JProfit Accounts' (Gewinnkonten) der Gesellschafter hervor, wie sich aus den New Lanark Bilanzen der Jahre 1818 bis 1823 ersehen läßt.

Stand der Gewinnkonten 1818-1823 New Lanark 52 Büanz 30 June 31 Dec. 30 June 31 Mar. 30 June 30 Sept. 31 Dec. 31 Dec. 31 Mar. 30 June 31 Dec. 30 Sept.

1818 1818 1819 1820 1820 1820 1820 1821 1822 1822 1822 1823

Owen

Walker

Foster

Bentham Allen

Fox

Gibbs

20,836 24,353 24,109 25,976 24,337 24,415 21,255 13,978 13,644 10,619 7,536 5,516

10,090 13,178 14,248 18,940 20,122 20,122 20,886 20,924 20,924 22,187 19,065 19,977

7,315 8,028 7,804 7,561 7,766 7,318 7,568 6,032 4,629 4,993 5,881 5,250

3,943 4,641 4,653 5,491 5,864 5,478 5,702 4,165 3,799 4,142 5,428 4,734

2,895 3,297 2,931 4,169 4,509 4,509 4,709 4,940 4,940 5,311 6,620 6,949

1,917 1,916 2,211 3,211 2,927 2,927 2,586 1,806 1,806 2,098 3,241 2,904

7,075 6,338 4,942 4,829 4,829 4,881 5,149 5,149 5,029 3,944 3,824

Das Zahlenwerk der profit Accounts' verdeutlich, daß Owen nach dem März 1820 mehr und mehr thesauriertes Gewinnkapital der Firma entzieht, während die Kapitaleinlage John Walkers zwischen Juli 1818 und Juni 1822 um mehr als 11.000 Pfund anwächst. 1823 beträgt Owens freiwillige Überschußeinlage schließlich nur noch ein Drittel des Walkerschen Gewinnkapitals. Hier deutet sich bereits Owens Rückzug aus New Lanark und das Ende seiner unternehmerischen Tätigkeit als Fabrikant an. Einen wesentlichen Anlaß für diesen Schritt bieten die Auseinandersetzungen mit dem Anteilseigner William Allen, der eine verstärkte Erziehung der Arbeiterschaft in New Lanark im Sinne des Quäkertums fordert 53 . Am 21. August 1822 läßt er eine außerordentliche Gesellschafter-Versammlung einberufen, mit dem Ziel, über den Ankauf von drei der fünf Firmenanteile Owens zu verhandeln: „ . . . to take into consideration the propriety of purchasing Three of the Shares belonging to Robert Owen on such terms as may be agreed upon, and to make such regulations as shall be 51

Vgl. Butt, J., ebd. Die Daten entstammen den Bilanzen der New Lanark Spinnerei, dargestellt bei Butt, J., S. 214, in detaillierterer Ausführung, der Einfachheit und Übersichtlichkeit halber wurde hier auf Angaben in Shilling und Pence verzichtet. 53 Zu erzieherischen Fragestellungen s. V. Hauptteil dieser Arbeit. 52

C. Robert Owen als Finanzier

87

necessary to give effect to the said purchase. And to take steps into consideration the propriety of making regulations for the future conduct of the concern . . . < < 5 4 Ausgangs des Jahres 1823 überträgt Owen zwei seiner Gesellschaftsanteile auf seine Söhne Robert Dale Owen (22 Jahre alt) und William Owen (21 Jahre alt) 5 5 . Im Herbst 1824 legt Robert Owen die Geschäftsführung von New Lanark endgültig nieder 56 . Robert Dale Owen übernimmt das Management der Fabriken für den Zeitraum eines Jahres. Am 23. Oktober 1824 reist Robert Owen in die Vereinigten Staaten von Amerika, um sich ganz seinem genossenschaftlichen Projekt in New Harmony zu widmen 57 . Im September 1825 geht die Geschäftsführung von New Lanark von Robert Dale Owen auf Charles Walker, den Bruder des Anteilseigners John Walker, über. Ungeklärt bleibt, zu welchem Zeitpunkt Owen als Teilhaber aus New Lanark ausscheidet. Die Angaben in der Literatur sind widersprüchlich 58 . Cole geht davon aus, daß Owen bis 1828 an der Firma in New Lanark beteiligt ist 5 9 . Harrison zufolge scheidet Owen erst 1829 aus 60 , während Butt argumentiert, Owen sei sogar noch im Jahre 1831 mit 6.000 Pfund an New Lanark beteiligt 61 . Mit Sicherheit kann angenommen werden, daß die Familie Walker den Owen-Anteil übernimmt 62 . Aus den Tagebuchaufzeichnungen von Robert Dale Owen geht allerdings hervor, daß Robert Owen schon im Juni 1825 Zahlungen in Höhe von 20.000 Pfund für den Erwerb der New Harmony Siedlung leistet 63 . Da sich der Saldo von Owens profit Account 4 zum September 1823 auf lediglich 5.516 Pfund beläuft, liegt die Vermutung nahe, daß sich Owen schon vor 1828 von einem Teil seiner Beteiligungsquote trennt. Die definitive Veräußerung der Restanteile vollzieht sich

54

Zitiert bei Butt, J., S. 201. In den Gesellschaftsstatuten war vorgesehen, daß Anteile übertragbar sind; dies ist ungewöhnlich für die damalige Zeit (Tendenz zur Aktiengesellschaft), s. Shapiro, S., Capital and the Cotton Industry in the Industrial Revolution, London 1967, S. 161 f; eine Aufzeichnung aus Robert Dale Owens Tagebuch bestätigt den Transfer eines Geschäftsanteüs, vgl. Owen, R. D., Robert Dale Owen's Travel Journal 1827, hrsg. v. J. M. Elliott, Indiana Historical Society, Indianapolis (USA) 1977, S. 20. s6 Ab September 1825 wird ihm kein Gehalt mehr gezahlt, s. Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.12.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester). 57 s. Owen, R. D., To Holland and to New Harmony, Robert Dale Owen's Travel Journal, 1825-1826, S. 175; Owens Sohn, Robert Dale Owen, wird später amerikanischer Staatsbürger und Kongreßabgeordneter (1843). 58 s. Harrison, J. F. C., Robert Owen and the Owenites in Britain and America, S. 162; die Autobiographie macht hierzu keine Angaben. 59 Vgl. Cole, G. D. H., Robert Owen . . ., S. 162. 60 Vgl. Harrison, J. F. C., Robert Owen . . ., S. 163. 61 Vgl. Butt, J., S. 200. 62 s. Owen, R. D., To Holland . . . , S. 277. 63 s. Owen, R. D., To Holland . . . , S. 213 f. 55

88

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

1828, wie aus einem Brief von A. Campbell an Robert Owen vom 31. Oktober 1828 hervorgeht 64 . Im Gegensatz zur Anschauung weiter Teile der Literatur, vor allem von Podmore 65 und Robertson 66 , gilt es, Owens finanzwirtschaftliche Leistungen als positiv zu würdigen. Im Vertrauen auf die gute Geschäftsentwicklung von New Lanark versteht es Owen über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren immer wieder neue Finanzpartner für die schottische Unternehmung zu gewinnen. Seine Fähigkeiten, insbesondere auch philanthropische Investoren für seine progressive Unternehmensführung zu begeistern sowie stattliche Kapitalbeträge mittels detaillierter und komplizierter Finanzierungspläne zu sichern, geben ein Zeugnis von Owens hoher unternehmerischer Begabung. Seine große Risikobereitschaft, die sich am Grad seiner zeitweiligen Privatverschuldung, fernerhin an seiner häufigen Bereitschaft zum Revirement unter den Anteilseignern der Unternehmung äußert, schmälert Owens Verdienst und Erfolg in finanzwirtschaftlicher Hinsicht nicht.

II. Robert Owens Privatvermögen Die Literatur hat es bislang versäumt, die Entwicklung des Owenschen Privatvermögens nachzuvollziehen. Es gilt jedoch, den Stand der Vermögenslage des Industriellen Owen gesondert zu ermitteln, denn der Erfolg der New Lanark Unternehmung sagt per se noch nichts über den privaten Vermögensstatus aus. Einkünfte und Besitz Robert Owens sollen im folgenden nachgeprüft werden. Owens Eltern verfügen über kein Vermögen. In seiner Autobiographie beschreibt Robert Owen, wie er im Alter von zehn Jahren seine Heimatstadt mit vierzig Shilling verläßt 67 . Diese Barschaft stellt sozusagen Owens Startkapital dar. Fortan versorgt sich Owen selbst. Während seiner dreijährigen Lehrzeit bei der Firma Mc Guffog erhält er zwischen acht und zehn Pfund Lehrgeld jährlich; später als Textilverkäufer in London (1788) wird er mit fünfundzwanzig Pfund im Jahr entlohnt; in Manchester (ab 1789) belaufen sich seine Jahresbezüge bei dem Textilhändler Satterfleld auf vierzig Pfund 6 8 . Als Owen seine eigene Baum64 s. Brief ; A. Campbell to Robert Owen, 3.10.1828 (Co-operative Union Collection, Manchester), „ . . . having just now read in the Glasgow Herald that it is currently reported at New Lanark that you have given up all concern there . . B r i e f 3.10.1828, ebd. 65 s. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 642 ff. 66 s. Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner: New Lanark, 1800-1825, S. 158 ff. 67 Ein Pfund = 20 Shilling = 240 Pence; vgl. Cole , G. D. H., Robert Owen, London 1925, S. 35; Cole, M., Robert Owen of New Lanark, S. 12. 68 Vgl. Life I, S. 12, 18 u. 22; der Jahreslohn eines Arbeiters in New Lanark beträgt (1819) etwa 26 Pfund, s. Morton, A. L., The Life . . ., S. 81.

C. Robert Owen als Finanzier

89

Wollspinnerei mit drei Arbeitern (1790) in Manchester betreibt, erzielt er Jahreseinkünfte von dreihundert Pfund 6 9 . Das entspricht dem Siebeneinhalbfachen seines letzten Angestelltensalärs. Die Fähigkeit, Rücklagen zu bilden, wird deutlich, wenn man sich Owens durchschnittliche Lebenshaltungskosten70 vergegenwärtigt. Owens eigenen Angaben zufolge belaufen sich die Kosten für Wohnung und Nahrungsmittel auf einen halben Guinea 71 wöchentlich 72 . Das entspricht einer jährlichen Ausgabe von siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Pfund, womit der Hauptanteil der Konsumausgaben weniger als zehn Prozent des Jahreseinkommens ausmacht. Im Verlauf seiner vierjährigen Tätigkeit als angestellter Fabrikleiter der Baumwollspinnerei Drinkwater in Manchester (1791—1794) wird Owens Jahresgehalt von dreihundert auf fünfhundert Pfund angehoben73. Damit gehört Robert Owen mit dreiundzwanzig Jahren zu den Spitzenverdienern Englands 74 . Die Höhe der Beteiligung und der Bezüge Owens bei der ,Chorlton Twist Company' (Manchester) lassen sich aus heutiger Sicht nicht ermitteln. Es ist freilich aufschlußreich, daß Robert Owen 1797 in Manchester ein größeres Landhaus zum Preis von 2.500 Pfund ersteht 75 und zum Zeitpunkt seiner Heirat im Jahre 1799 sein Vermögen mit 3.000 Pfund taxiert 7 6 . Durch die Mitgift seiner Frau Ann Caroline verdoppelt sich Owens Vermögen auf 6.000 Pfund 77 . Die weitere Vermögensentwicklung ist im wesentlichen bestimmt von dem Grad der Teilhaberschaft an der Unternehmung in New Lanark. Owens erster Anteil am Nominalkapital von 60.000 Pfund beträgt zwischen 1799 und 1809 ein Neuntel, was einem Wert von etwa 6.700 Pfund gleichkommt. Seine Tätigkeit als Direktor von New Lanark wird mit jährlich 1.000 Pfund vergütet 78 . Bei Auflösung der ersten Partnerschaft (,New Lanark Twist Company') erhöht sich Owens anteiliger Wert (1809) auf über 9.000 Pfund 79 . 1810 erhöht Owen seine 69

Vgl. Life I, S. 26; 6 Pfund pro Woche, entspricht etwa 300 Pfund p.a. Zur Frage der Lebenshaltungskosten im 19. Jahrhundert s. Hartwell, R. M., Der steigende Lebensstandard in England von 1800 bis 1850, in: Die soziale Frage, hrsg. v. W. Fischer/G. Bajor, Stuttgart 1967, S. 102-135. 71 Ein Guinea = 21 Shilling. 72 Vgl. Life I, S. 24. 73 Vgl. Life I, S. 27. 74 s. Hartwell, R. M., Der steigende Lebensstandard in England . . ., S. 102 ff. 75 Owen erwirbt den Sitz ,Greenheys* zusammen mit einem Freund, Owen zahlt die Hälfte des Kaufpreises in Höhe von 5.000 Pfund; s. Life I, S. 49; auchHarrison, J. F. C., Art. Owen, Robert (1771-1858), Socialist, Co-operator and Educationist, in: Dictionary of Labour Biography, Vol. VI, hrsg. v. J. M. Bellamy/J. Saville, London 1982, S. 205-216, hier S. 206. 70

76

Vgl. Life I,S. 55. Vgl. ders., ebd. 78 Außerdem erben Owen und seine Frau nach David Dales Tod (1806) 4.000 Pfund, s. Life I, S. 18; Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 172. 79 Ein Neuntel von 84.000 Pfund Sterling. 77

90

1. Hauptteil: Robert Owen als Unternehmer

Beteiligung an der JMew Lanark Company' auf 38,4 Prozent, was einem nominellen Wert von 70.000 Pfund entspricht 80 . Als Zahlungsverpflichtung resultiert daraus zum 1. Januar 1812 eine Kapitalaufbringung in Höhe von 29.000 Pfund 81 . Diese hohe Anteilsquote übersteigt Owens Eigenkapitalausstattung bei weitem. Daraus ergeben sich Owens finanzielle Schwierigkeiten der Jahre 1812/1813, die oben näher behandelt worden sind 82 . Bei der Versteigerung der ,New Lanark Company' 1814 zeigt sich, daß sich Owens Spekulation hinsichtlich der Erringung einer Großbeteiligung an New Lanark auszahlt. Gegenüber der real eingezahlten Summe von 29.000 Pfund wird Owen nach nur drei Jahren mit 44.000 Pfund ausbezahlt, woraus sich ein Gewinn von 15.000 Pfund oder von über 50 Prozent errechnet 83 . Im Anschluß an das Jahr 1814 wird Owens Anteil an der Jlobert Owen & Company' mit nominal 50.000 Pfund fortgeschrieben. 1822, nach Tilgung seines Privatdarlehens von Campbell of Jura, ist Owen schuldenfrei 84. Sein Vermögen beläuft sich 1823 auf Firmenanteile im Werte von nominal 50.000 Pfund sowie eine zusätzliche Kapitaleinlage von 5.516 Pfund (»Profit Account') in New Lanark. Die Umstände der Veräußerung der Owenschen Anteile liegen im Dunkeln. Da jedoch 1825 ein Firmenanteil der New Lanark Spinnerei dem leitenden Angestellten John Wright für 12.600 Pfund (für nominal 10.000 Pfund) angeboten w i r d 8 5 , kann mit Sicherheit angenommen werden, daß Owen zumindest einen Verkaufspreis von 50.000 Pfund erzielt. Die Modalitäten und Abwicklung des Verkaufs an den Walker-Clan nach 1825 lassen sich wegen der fehlenden Originalunterlagen bis heute nicht rekonstruieren. Aus dem Zahlenwerk geht deutlich hervor, daß Robert Owen 1825 sehr wohl in der Lage ist, das-produktivgenossenschaftliche Großprojekt in New Harmony (USA) aus eigenen Mitteln zu finanzieren 86. Insgesamt investiert Owen 200.000 US-Dollar in das Anwesen im mittleren Westen der Vereinigten Staaten von Amerika, welches einen Grundbesitz von über 80 Millionen Quadratmeter umfaßt 87 . Die Investitionssumme von 200.000 Dollar entspricht zum 80

Entspricht 1,43 Millionen Mark; s. Wechselkurse bei Schraut, M., Die Lehre . . . , S. 4. s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 185. 82 s. Ausführungen im I. Hauptteil, C. I. 2. dieser Arbeit. 83 Vgl Butt, J.,S. 187. 84 s. Butt, J., S. 181; das Vermögen des Dale Trustes, welches zeitweilig für Owens Verbindlichkeiten Sicherheiten leistete, wird sogar noch 1856 mit 12.800 Pfund angegeben; s. dazu Brief, Robert Dale Owen to Robert Owen, 28.7.1856 (Co-operative Union Collection, Manchester). 85 s. Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.12.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester); Wright lehnt allerdings dieses Angebot ab. 86 s. III. Hauptteil, B. II. 3. dieser Arbeit. 87 20.000 Morgen (Acres); s. Owen, R. D., To Holland and to New Harmony, Robert Dale Owen's Travel Journal, 1825-1826, S. 116;Harrison, J. F. C., Robert Owen and the Owenites in Britain and America, S. 164. 81

C. Robert Owen als Finanzier

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damaligen Wechselkurs etwa 41.150 Pfund Sterling 88 . Mit dem Fehlschlag des New Harmony Experiments verliert Robert Owen somit etwa vier Fünftel seines einst beachtlichen Vermögens. Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien 1828/1829 lebt Owen fortan bescheiden89 und verwendet den Restteil seines Vermögens vorwiegend zur Propagierung seiner genossenschaftlichen Konzeptionen. Owens finanzwirtschaftliche Aktivität im unternehmerischen Sektor findet somit bereits um 1825 sein Ende. Für Owens späteres Wirken ist charakteristisch, daß finanzielle Überlegungen, sein Privatvermögen betreffend, lediglich eine sekundäre Rolle spielen.

88 Nach Schraut, M., Die Lehre . . . , S. 12, entspricht 1 Pfund = 4,86 Dollar im Jahre 1875 ; aus den Tagebuchaufzeichnungen Robert Dale Owens ergibt sich, daß die Wechselkurse im 19. Jahrhundert weitestgehend stabil sind; 1 Pfund = 24 Französische Francs (1827); 1 Pfund = 25 Französische Francs (1875); s. Owen, R. D., Robert Dale Owen's Travel Journal 1827, S. 36; Schraut, M., S. 12. 89 Wie aus dem Brief, Ch. Atkinson to Robert Owen, 18.1.1836 (Co-operative Union Collection, Manchester), hervorgeht, ist der Grundbesitz in New Harmony zu einem Großteil im Eigentum von Owens Söhnen; Owen scheint im Alter teilweise auf die finanzielle Unterstützung seiner Söhne angewiesen zu sein, wie aus dem Brief, Robert Dale Owen to Robert Owen, 9.11.1847 (Co-operative Union Collection, Manchester), deutlich wird.

Zweiter Hauptteil

Robert Owens sozialpolitisches Wirken

Der hohe Bekanntheitsgrad Owens in der britischen Wirtschaft des 19. Jahrhunderts ist nicht primär auf seine industriellen Leistungen und Aktivitäten zurückzuführen. Es ist vielmehr die betriebliche Sozialreform in New Lanark, welche Owens ,Weltruf als maßgebliche Persönlichkeit des Frühkapitalismus begründet. Aus heutiger Sicht kann man den starken Eindruck, den die ,Musterfabrik' von New Lanark in jenen Tagen hinterließ, nicht hoch genug einschätzen. New Lanark ist das »soziale Wunder' der Industriellen Revolution schlechthin. Es ist das Licht im Dunkel einer Periode, die von sozialen Härten gekennzeichnet ist. Robert Owen versteht es als einer der ersten, mittels seiner Reformen sowie seinem publizistischen Wirken den Nachweis von der Vereinbarkeit von technischem Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit zu erbringen. Sein Wirken auf sozialpolitischem Gebiet hat die moderne Sozialpolitik des 20. Jahrhunderts vorweggenommen, geprägt und direkt eingeleitet. Es verharrt nicht, wie vielfach angenommen, auf der betrieblichen Ebene, erstreckt sich vielmehr über gesellschafts- und entwicklungspolitische Neuerungen 1 bis hin zu fortschrittlichen Konzeptionen des allgemeinen Wohnungs- und Siedlungswesens. In der seltenen Verbindung von praktischer Realisierung sozialer Reformen und theoretischer Auseinandersetzung mit sozialen Fragestellungen und Lösungen folgender Jahrzehnte stellt Robert Owen das Vorbild eines bahnbrechenden, zukunftsweisenden Reformers und tatkräftigen Philanthropen dar. Es ist bemerkenswert, wie Owen mit der sich weitestgehend selbstgestellten Lebensaufgabe aus der Rolle des bloßen Fabrikleiters und Unternehmers allmählich herauswächst. Sein sozialpolitisches Bemühen läßt sich dabei in eine dreistufige Abfolge einteilen, worauf zurecht Magret Cole hinweist 2 . Initiierende Impulse zur Steigerung von Produktivität und Produktion, Maßnahmen zur Verbesserung physischer Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Bemühungen um sozialpsychologische Anregungen zugunsten gemeinschaftsbetonter Lebensführung.

1 Mittels Initiierung der staatlichen Sozialgesetzgebung, s. dazu Ausführungen im II. Hauptteil B. II. 2. dieser Arbeit. 2 s. Cole, M., Robert Owen of New Lanark, S. 54.

A. Lage der Arbeiterschaft in New Lanark vor Robert Owen

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A. Lage der Arbeiterschaft in New Lanark vor Robert Owen Will man Robert Owens sozialpolitische Leistungen aufzeigen, so empfiehlt es sich, New Lanark, den wichtigsten Ort des frühen Owenschen Wirkens, einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Dabei ist es angebracht, eine Analyse der Lebenslage seiner Arbeiter, welche die sozio-ökonomischen Verhältnisse des Fabrikdorfes vor Robert Owen miteinbezieht, voranzustellen. Dies bedingt auch eine Auseinandersetzung mit der Rolle, die David Dale als Gründer und Eigentümer von New Lanark bis 1800 zukommt. Der Fabrikansiedlung von New Lanark, 1784 gegründet, wird schon vor der Übernahme durch Robert Owen im Jahre 1800 literarische Betrachtung zuteil. So findet sich eine detaillierte Studie über die Spinnereien von New Lanark in Sinclair's Statistical Account of Scotland (1795) 3 . Danach beläuft sich die Zahl der Einwohner des Ortes 1791 bereits auf 1519 Personen, von denen allein 1334 in den Daleschen Fabriken beschäftigt sind 4 . Der Bericht erwähnt, daß über fünfhundert Kinder und Jugendliche in New Lanark arbeiten, für deren Unterkunft, Verpflegung und Kleidung David Dale aufkommt 5 . Der angeblich gute Gesundheitszustand der Kinder sowie hygienische Vorsorgemaßnahmen ziehen die Aufmerksamkeit zahlreicher Reisender auf sich. Der zeitgenössische Beobachter Sir Thomas Bernard stellt in seinen betrieblichen Studien fest, daß die Dalesche Unternehmung in vielerlei Hinsicht als mustergültig zu betrachten ist 6 . In durchaus unüblicher Weise werden die beschäftigten Jungen und Mädchen in getrennten Räumen untergebracht; die Arbeitsstätten sind sauber und stets frisch gelüftet; die Arbeitskleidung wird regelmäßig gereinigt. Die Verpflegung der Jugendlichen wird als gut und genügend geschildert 7. Von 19°° Uhr bis 2 1 0 0 Uhr findet täglich ein Unterrichtsprogramm statt, welches von der Firma finanziert wird. Die kleineren Kinder werden tagsüber von drei Lehrern betreut 8 . Der Wissenschaftler Garnett, der ausgangs des 18. Jahrhunderts New Lanark ebenfalls besucht, bemerkt, daß es sich bei diesem Textilbetrieb in sozialer Hinsicht um eine absolute Ausnahmeerscheinung der damaligen Zeit handelt 9 . Er hebt besonders die niedrige Sterblichkeit unter den Kindern New 3 s. Sinclair, Sir J., The Statistical Account of Scotland, Vol. XV, Edinburgh 1795, S. 20-46. 4 Vgl. Sinclair, Sir J., The Statistical A c c o u n t . . . , S. 36 u. 39. 5 Im Jahre 1793 sind 18% der Belegschaft in New Lanark jünger als 9 Jahre alt, vgl. Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . . , S. 168. 6 s. Bernard, Sir Th. (Hrsg.), The Reports of the Society for Bettering the Condition and Increasing the Comforts of the Poor, Vol. II, London 1800, S. 250-257. 7 Vgl. Bernard, Sir Th. (Hrsg.), The Reports ..., S. 252 f. 8 s. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 71. 9 s. Garnett, Th., Observation on a Tour through the Highlands and Parts of the Western Isles of Scotland, Vol. II, London 1800, S. 231-237, hier S. 236.

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

Lanarks zwischen 1785 und 1797 hervor 10 . Eine andere Quelle akzentuiert die soziale Art der Unternehmensführung: „(New Lanark) one of the most humanely conducted factories in the Empire." 11 David Dale selbst wird als philanthropische Unternehmergestalt geschildert. Dem Chronist Alfred zufolge zeichnet sich Dale durch seine gutherzige Einstellung aus: „ . . . known as one of the most spirited, enterprising and benevolent men of his age." 12 Weite Teile der Literatur, so auch Podmore 13 , ziehen aus diesen zeitgenössischen Schilderungen 14 den Schluß, daß die Initiative zur ersten industriezeitlichen Sozialreform auf David Dale und nicht auf Robert Owen zurückgeht. Robert Owen habe zu Unrecht für sich in Anspruch genommen, die sozialen Neuerungen New Lanarks begründet zu haben 15 . Diese Annahme beruht auf einer Fehlinterpretation der zeitgenössischen Berichte 16 , welche meist aus subjektiver Sicht geschrieben und zudem wenig fundiert erscheinen. Zweifellos lassen sich Dales gute Absichten und Bemühungen feststellen, das harte Los der Arbeiterschaft in New Lanark zu erleichtern. Robert Owen selbst würdigt die gut gemeinten Intentionen seines Schwiegervaters 17. Bei alledem ist jedoch die Tatsache nicht außer Acht zu lassen, daß David Dale - entsprechend den Gepflogenheiten der damaligen Fabrikherren - sich nicht persönlich um die Leitung des Betriebes kümmert und sich nur höchst selten in New Lanark aufhält 18 . Es wird berichtet, daß zu diesen Anlässen vieles im Geiste Dales in New Lanark (von den Fabrikaufsehern) speziell arrangiert worden ist 1 9 . Der Verdacht liegt nahe, daß sich New Lanark somit bei den Inspektionsbesuchen David Dales als JPotemkinsches D o r f präsentierte. Um ein genaueres Bild von den tatsächlichen Verhältnissen New Lanarks zu erhalten, empfiehlt es sich, auf primäre Quellen zurückzugreifen, die detaillierte Angaben enthalten und damit eine höhere wirtschaftsgeschichtliche Relevanz besitzen als flüchtige Eindrücke zeitgenössischer Reiseberichte. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht ein Brief David Dales an den Manchester Board of Health' 10

14 Todesfälle auf 3.000 Personen, vgl. Garnett, Th., Observation . . . , S. 236. Alfred, The History of the Factory Movement, from the Year 1802 to the Enactment of the Ten Hours' Bill in 1847, Vol. I, London 1857, S. 16. 12 Alfred, The History . . . , S. 16. 13 s. Podmore, Fr., S. 82. 14 So auch Annual Register or a View of the History, Politics, and Literature for the Year 1792, Vol. XXXIV, Part II, London 1798, S. 33. 15 s. dazu Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner: New Lanark, 1800-1825, S. 151; dagegen Simon, H., Robert Owen . . . , 1905, S. 49. 16 s. dazu Gilman, N. P., A Dividend to Labor, S. 47 f; Simon, H., Robert Owen . . . 1905, S. 49 f. 17 Vgl. Life I, S. 83. 18 s. Brief, D. Dale to Dr. J. Currie, 30.6.1792, handschriftliche, anonyme Abschrift (Co-operative Union Collection, Manchester). 19 s. Alfred, The History . . ., S. 19 f. 11

A. Lage der Arbeiterschaft in New Lanark vor Robert Owen

95

aus dem Jahre 1796 2 0 , in dem Dale zu konkreten Fragen nach der betrieblichen Sozialgestaltung New Lanarks Stellung nimmt. Danach beschäftigt Dale zu diesem Zeitpunkt allein 396 Kinder aus den Armen- und Waisenhäusern Edinburghs 21 , die in sechs verschiedenen Räumen untergebraucht sind und zu dritt in einem Bett schlafen müssen22! Achtzehn Prozent der Beschäftigten in New Lanark sind jünger als neun Jahre 23 . Eine andere Stelle belegt, daß in den Daleschen Fabriken die Kinder aus den Armenanstalten bereits nach ihrem sechsten Lebensjahr zur Arbeit herangezogen werden 24 . Die Arbeitskleidung der von Dale untergebrachten Jugendlichen wird lediglich alle vierzehn Tage gewaschen 25 . Die tägliche Arbeitszeit geht von 6°° Uhr bis 19°° Uhr, wobei allerdings eineinhalb Stunden Pause eingerechnet sind 2 6 . Das entspricht einer Wochenarbeitszeit von fast siebzig Arbeitsstunden, bei einer effektiven Tagesarbeit von elfeinhalb Stunden. Trotz relativ guter Ernährung sind die Gesundheit und das Wachstum der Kinder von der schweren Arbeit oft beeinträchtigt (Jinochenverformung) 27. Auf die körperliche Erschöpfung der Kinder ist es auch zurückzuführen, daß der Abendunterricht nach 19°° seinen Zweck völlig verfehlt. Wie Dale selbst konstatiert, lernen von 507 Jugendlichen, die den Abendkursus besuchen, lediglich 80 gut lesen, von denen wiederum nur 24 praktisch keines weiteren Unterichts mehr bedürfen 28 . Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die ungemeine Härte jener Epoche zu Beginn der Industrialisierung, daß die Dalesche Unternehmung von den Zeitgenossen als humanes Modell gepriesen wird 2 9 . Der Umstand, daß David Dale die totale Gleichgültigkeit gegenüber seinen Arbeitern und Profitgier seiner Standesgenossen nicht in vollem Umfang teilt, darf nicht dahingehend interpretiert werden, ihn als fortschrittlichen So-

20 s. Dale, D., Letter to the Manchester Board of Health, 23. Februar 1796, in: Proceedings of the Board of Health in Manchester, Manchester 1805, S. 54-64. 21 Seit 1758 werden in England auf Initiative von John Hanway die Waisen bzw. Kinder von verarmten Familien in Armen- bzw. Waisenhäusern untergebracht, die von den Gemeinden finanziert werden. Die Gemeindeverwaltungen geben die Kinder an Fabrikherren weiter (,pauper apprentices'), die sich verpflichten müssen, für Unterkunft, Verpflegung und Kleidung aufzukommen. Diese Praxis der Kinderzwangsarbeit, die sogen. ,weißen Sklaven', gehört zum größten Elend des Frühkapitalismus; s. dazu Cole, M., Robert Owen . . S . 46. 22 Vgl. Dale, D., Letter . . . , S. 57 ff. 23 s. Pawson, E., The early Industrial Revolution, S. 93. 24 Vgl. Alfred, The History . . . , S. 19 f. 25 s. Dale, D., Letter . . . , S. 57 ff. 26 s. Dale, D., ebd. 27 s. ders., obd.\Podtnore, Fr., S. 73. 28 s. Podmore, Fr., S. 73. 29 Eine eindrucksvolle Schilderung der Mißstände jener Zeit ist der biographische Roman von Brown, J., A Memoir of Robert Blincoe, an Orphan Boy sent from the Workhouse of St. Pancras, London at seven years of age, to endure the Horrors of a Cotton Mill, Manchester 1832 (Neudruck 1977).

96

2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

zialreformer zu würdigen 30 . Unbestritten ist Dales gutmütige, vom Freikirchentum geprägte Grundhaltung. In einem Brief an den Arzt Dr. Currie vom 9. Juli 1798 schreibt Dale: „ I would not wish to dispose of them (New Lanark mills) to any person that would not follow out the plan I have laid down for preserving the health and morals of the children." 31 Allein es fehlt Dale an Zeit und Durchsetzungsvermögen, die Verhältnisse in New Lanark grundlegend umzugestalten. Mit Simon läßt sich feststellen, daß Dale die Bedingungen des Frühkapitalismus mildert, aber nicht meistert 32 . Verglichen mit Robert Owens bahnbrechenden, für das 20. Jahrhundert richtungsweisenden Sozialreformen nehmen sich Dales Bemühungen karitativer Art bescheiden aus.

B. Owens Sozialpolitik

I. Auf betrieblicher Ebene 1. Soziale Neuerungen und Einrichtungen Im folgenden güt es, Owens Instrumentarium einer modernen betrieblichen Sozialpolitik, welches über den Rahmen bloß karitativer Leistungen hinausgeht und bereits Ansätze eines Systems sozialer Absicherung zeigt, einzeln darzustellen 1 . Auf die Owenschen Bemühungen um ein fortschrittliches Schul- und Wohnungswesen soll aus systematischen Erwägungen an anderer Stelle eingegangen werden. a) Einschränkung der Kinderarbeit Von Anbeginn der Übernahme der Verantwortung für die Geschäftsführung von New Lanark (1800) erweist sich Robert Owen als ein vehementer Gegner der Kinderarbeit 2 . Damit steht er ganz im Gegensatz zu David Dale! Insbeson30 s. dagegen der frühe Owen-Biograph Sargant, W. L., Robert Owen and his Social Philosophy, London 1860, S. 31 f. 31 Brief, D. Dale to Dr. J. Currie, 9.7.1798, handschriftliche, anonyme Abschrift (Cooperative Union Collection, Manchester). 32 Vgl. Simon, H., Robert Owen . . . 1905, S. 49. 1

Zeitgenössische Schilderungen New Lanarks s. Macnab, H. G., The New Views of Mr. Owen of Lanark Impartially Examined, London 1819; Report of a Deputation from the township of Leeds, August 1819, in: Life IA, S. 251-260; Griscom, J., A Year in Europe, Vol. II, New York 1823, die sich mit der betrieblichen Sozialreform auseinandersetzen; nachfolgende Arbeiten übernahmen i.d.R. die Eindrücke der Augenzeugen, s. Harrison, J. F. C , Robert Owen and the Owenites . . ., S. 152. 2 Literarisch wendet sich Owen gegen die Kinderarbeit vor allem in: Owen, R., Observations on the Effect of the Manufacturing System, 1815, in: Life IA, S. 33-45.

B. Owens Sozialpolitik

97

dere der verbreitete Mißstand, Kinder aus den Armen- und Waisenhäusern zwangsweise zur Fabrikarbeit zu rekrutieren 3 , stößt auf Owens Kritik. Er lehnt dieses Mittel der Personalbeschaffung ab. Langfristige Verträge zur kontinuierlichen Übernahme von Jugendlichen aus den Waisenhäusern bestimmter Gemeinden, deren Abschluß noch aus der Zeit David Dales vor 1800 datiert, läßt Owen auslaufen 4. Zwischen 1801 und 1802 beschäftigt er 166 Mädchen und 98 Jungen (insgesamt 264 Jugendliche) in New Lanark, von denen nur noch etwa zwei Drittel, also circa 176 aus den Armenhäusern stammen5. Im Vergleich dazu arbeiten 1796 noch 500 Jugendliche in New Lanark, von denen 396 aus den Armenanstalten zwangsrekrutiert sind 6 . Robert Owen reduziert somit die Zahl der beschäftigten Kinder um insgesamt 47,2 Prozent, sowie die Anzahl der Kinder aus Waisen- und Armenhäusern um 55,5 Prozent. Dem Problem der Kinderarbeit widmet sich Robert Owen intensiv. In eigens angelegten Geschäftsbüchern läßt er die genaue Arbeitszeit und die verschiedenen Einsatzbereiche der beschäftigten Kinder gesondert festhalten 7. Für Kinder, die jünger als zehn Jahre sind, erläßt er ein generelles Beschäftigungsverbot 8. Außerdem untersagt Owen das Schlagen von Kindern, welches als Sanktionsmittel in der damaligen Zeit zur Aufrechterhaltung der Fabrikdisziplin weit verbreitet ist 9 . b) Verkürzung der Arbeitszeit Vor 1800, zur Zeit der Inhaberschaft David Dales, beträgt die tatsächliche Arbeitszeit in New Lanark elfeinhalb Stunden; von sechs Uhr bis neunzehn Uhr, mit einer Pause von eineinhalb Stunden 10 . Erstaunlicherweise erhöht Owen zunächst zwischen 1800 und 1813 die Arbeitszeit um eine Stunde, auf zwölfeinhalb Stunden täglich 11 . Diese arbeiterfeindliche Maßnahme ist vermutlich auf den Umstand zurückzuführen, daß Robert Owen anfänglich in New Lanark gegen die erwerbswirtschaftliche Orientierung seiner Kompagnons aus London 3

s. Cole , M „ Robert Owen . . . , S. 45 f. Vgl. Life I,S. 61. 5 s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 191. 6 Vgl. Dale, D., Letter to the Manchester Board of Health, 23. Februar 1796, S. 57 ff; die Zahl der Belegschaft ist in etwa zwischen 1796 und 1802 konstant. 7 Das,Boarders' monthly Report Book, 1801-1802, s. Butt, J., ebd. 8 Unter David Dale beträgt der Anteil der Kinder unter 10 Jahren noch 18% im Jahre 1793 an der Gesamtbelegschaft, vgl. Pawson, E., The early Industrial Revolution . . . , S. 93; Owen plädiert dafür, die Kinder bis zum Alter von 12 Jahren in der Schule zu lassen, die meisten Eltern schicken ihre Kinder jedoch mit 10 Jahren zur Arbeit, um das Familieneinkommen zu erhöhen, s. dazu Podmore, Fr., Robert Owen, S. 165. 9 s. Cole, M., Robert Owen of New Lanark, S. 57; Pollard, S., Die Fabrikdisziplin in der industriellen Revolution, S. 169. 10 s. Dale, D., Letter to the Manchester Board of Health, 23.2.1796, S. 57-64. 11 s. Report of the Minutes of Evidence . . . 1816, S. 220 ff. 4

7 Elsässer

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

und Manchester sich nicht durchzusetzen vermag 12 . Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, daß Robert Owen nach 1812, als er zum Senior-Anteilseigner avanciert, die Tagesarbeitszeit auf elfeinhalb Stunden reduziert und schließlich zum 1. Januar 1816 die effektive Arbeitszeit auf 10 3/4 Stunden täglich beschränkt 13 . Vor dem Fabrikkomitee des britischen Unterhauses erklärt Owen 1816 seine Absicht, die Arbeitszeit langfristig auf zehn Stunden täglich zu senken 1 4 . Schon am 2. April 1818 kann der Parlamentsabgeordnete J. Smith dem House of Commons bei einer Diskussion über die sozialen Verhältnisse New Lanarks berichten, daß die tägliche Arbeitszeit 10 1/2 Stunden beträgt 15 . In einer weiteren Parlamentsdebatte über den Factory Act im Jahre 1819 wird ebenfalls von einer 10 l/2stündigen Arbeitszeit in New Lanark gesprochen 16. Demnach ist es Owen gelungen, den Arbeitstag um 16 Prozent, von 12 1/2 auf 10 1/2 Stunden, zu verkürzen. Dies mag aus heutiger Sicht nicht besonders sozial erscheinen. Es ist jedoch in sofern sozialpolitisch bedeutsam, als zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien in der Industriearbeit noch durchschnittlich 14 bis 16 Stunden täglich gearbeitet wird 1 7 ! c) Reallohnsteigerung Die von Robert Owen durchgesetzte Arbeitszeitverkürzung auf 10 1/2 Stunden täglich ist verbunden mit einem vollen Lohnausgleich für die Arbeiterschaft 18 , das heißt der bis dahin gezahlte Wochenzeitlohn bleibt unverändert bestehen. Da jedoch ein Großteil der Belegschaft in New Lanark nach dem Stückakkord entlohnt wird, liegt der Verdacht nahe, daß die reduzierte Tagesarbeitszeit doch zu einer Beeinträchtigung des Realeinkommens der Akkordarbeiter geführt hat. Gegen diese Vermutung spricht die Tatsache, daß die Arbeiterschaft von New Lanark die reduzierte Arbeitszeit im Jahre 1817 — also auch noch ein Jahr nach ihrer Einführung - ausdrücklich begrüßt 19 .1818 betonen die Beschäftigten in einer Petition an das britische Unterhaus anläßlich der parlamentarischen Verabschiedung einer Fabrikgesetzvorlage, daß sie dank gesteigerter Motivation während des kürzeren Arbeitstages sogar mehr leisten 12

Owen ist zunächst nach 1800 nur Juniorpartner in New Lanark, s. I. Hauptteil, C. I. 1. dieser Arbeit; s. auch Podmore, Fr., Robert Owen, S. 162. 13 Zwölf Stunden bei 1 1/4 Stunde Pause, s. Podmore, Fr., ebd. 14 Vgl. Report of the Minutes... 1816, S. 220 ff. 15 s. Hansard, T. C. (Hrsg.), Parliamentary Debates, Vol. XXXVII, 1818, Sp. 1182 f. 16 Erwähnt bei Podmore, Fr., ebd. 17 s. Brakelmann, G., Die soziale Frage (I), S. 23; zu Owens Beitrag zur Verkürzung der Arbeitszeit auf nationaler Ebene s. II. Hauptteil, B. II. 2. dieser Arbeit. 18 s. dazu Podmore, Fr., Robert Owen . . . , S. 162 f. 19 s. Address to Mr. Owen by the inhabitants of New Lanark, 11.1.1817, in: Life IA, S. 321 ff; auch Address of the inhabitants of New Lanark to the London proprietors, 7.5.1818, in: Life IA, S. 329 ff.

99

B. Owens Sozialpolitik

können als zuvor bei vierzehnstündiger Fabrikarbeit 20 . Eine Aufstellung von Owens ältestem Sohn, Robert Dale Owen, aus dem Jahre 1822 zeigt, daß sich die gezahlte Lohnsumme (bei etwa gleichbleibender Belegschaftszahl) und der Produktionsausstoß nach Einführung der Arbeitszeitverkürzung kaum verändern:

Statement of Wages and Produce in the Year 1814 to 1821 21 Jahr

Löhne

1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821

22.096 Pfund 22.811 Pfund 23.509 Pfund 24.171 Pfund 23.472 Pfund 24.596 Pfund 25.292 Pfund 23.675 Pfund

Garnproduktion (Gewichtspfund) 1.385.390 1.451.947 1.339.434 1.424.513 1.457.096 1.465.445 1.459.094 1.337.580

Die Arbeitszeiteinschränkung in New Lanark führt demnach zu einer Reallohnsteigerung auch für Akkord-Beschäftigte. Owen erkennt vorausschauend die Faktoren maximale Belastbarkeit und tägliche notwendige Rekreation des arbeitenden Menschen als wichtige ökonomische wie sozialpolitische Komponenten: „ . . . the manufactories . . . contain an atmosphere far from being the most favourable to human life . . . They know not what relaxation means, except by the actual cessation from labour." 2 2 „ . . . that man . . . requires relaxation from his constant... occupations." 23 Bemerkenswerterweise Hegen die Nominallöhne in New Lanark unter denen anderer Fabriken. Dies gesteht Robert Owen selbst vor der Fabrikkommission ein 2 4 . Der Zeitgenosse Macnab kommt ebenfalls zu diesem Ergebnis 25 . Der durchschnittliche Wochenlohn beträgt 1819 in New Lanark 6 Shilling für Frauen, 9 Shilling 11 Pence für Männer, 4 Shilling 3 Pence für Jungen und 3 Shilling 20

s. Hansard, T. C. (Hrsg.), Parliamentary Debates, Vol. XXXVII, 1818, Sp. 1182 f. Vgl. Brief, Robert Dale Owen to Robert Owen, 1822 (Co-operative Union Collection, Manchester). 22 Owen, R., Observations on the Effect of the manufactoring System 1815, in: Life IA, S. 40. 23 Owen, R., 3. Essay, A New View . . ., in: Life I, S. 289. 24 s. Report of the Minutes of Evidence . . . 1816, S. 135 ff. 25 Vgl. Macnab, H. G., The new Views.. ., S. 130. 21

7*

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

für Mädchen 26 . Der vergleichbare durchschnittliche Wochenlohn für Männer, Frauen und Kinder in einer Glasgower Baumwollspinnerei liegt bei 9 Shilling 8 Pence 27 ; also erheblich über dem Nominallohn von New Lanark. Owen weist allerdings zurecht daraufhin, daß durch seine umfangreichen betrieblichen Sozialleistungen der Reallohn seiner Arbeiter über dem anderer Fabriken liegt 2 8 und einzelne abgewanderte Arbeiter, trotz andernorts höherer Nominallöhne, eine Anstellung in New Lanark vorziehen 29 .

d) Lohnfortzahlung 1806 kommt es infolge eines Embargos der Vereinigten Staaten von Amerika, welches den Export von Rohbaumwolle untersagt und zu einer Rohstoffverknappung auf den europäischen Märkten führt, zu einem viermonatigen Produktionsstillstand in New Lanark 30 . Owen gelingt es in dieser angespannten Situation seine Kompagnons dahingehend zu bewegen, einer vollen Lohnfortzahlung zugunsten der gesamten Arbeitnehmerschaft zuzustimmen 31 . Seinen eigenen Angaben zufolge zahlt Owen Löhne in Höhe von mehr als 7.000 Pfund aus 32 . Belege über diese Zahlungen sind bislang nicht auffindbar. Zur Überprüfung der Owenschen Aussage wird folgende Plausibilitätsrechnung aufgestellt: Daten: -

-

Belegschaft:

Wochenlöhne:

750 Frauen 350 Männer 300 Kinder 33 6 Shilling Frauen 9 Shilling Männer 4 Shilling Kinder 3 4 4 Monate

-

Lohnfortzahlung: 26

Vgl. Podmore, Fr., S. 165; Morton, A. L., The Life . . S . 81; bei Stückakkord liegen die Löhne i.d.R. höher. 27 s. Report of the Minutes. .. 1816. 28 Mittels fortschrittlicher Haushaltserziehung wird ebenfalls eine Reallohnsteigerung erreicht, s. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 190. 29 s. Report of the Minutes... 1816. 30 Vgl. Life I, S. 63 f. 31 s. Balm forth, R., Robert Owen and the early Co-operative Movement, in: Some Social and Political Pioneers, hrsg. v. dems., London 1912, S. 68\Podmore, Fr., S. 84; Life I, S. 64. 32 33 34

Vgl. Owen, R., A Statement regarding . , . , 1812, S. 9. s. I. Hauptteil, A. II. 2 dieser Arbeit. s. II. Hauptteil, B. I. 1. c) dieser Arbeit.

101

B. Owens Sozialpolitik

Plausibilitätsrechnung Lohnfortzahlung in Pfund 3 5 : 750x 6 x 52 3 x 20

+

350x 9 x 52 3 x 20

+

300 x 4 x 52 3 x 20

=

1.040 + 3.900 + 2.730 = 7.670 Pfund Das Ergebnis der Plausibilitätsrechnung (7.670 Pfund Lohnfortzahlung) erhärtet Owens eigene Angaben. Es erscheint mithin unbedenklich, vom Wahrheitsgehalt dieses seltenen Falles moderner Lohnfortzahlung auszugehen36. e) Nahrungsmittelversorgung Ein wesentlicher Grund für die Reallohnsteigerung in New Lanark ist die preisgünstige Versorgung der Arbeiterschaft mit Lebensmitteln, Textüien und Haushaltsgegenständen. Diese sozialpolitische Zielvorstellung wird im wesentlichen durch einen Einzelhandelsladen realisiert, der auf Initiative Robert Owens und auf Kosten seiner Firma im Zentrum des Fabrikdorfes 1814 eröffnet wird 3 7 . Charakteristikum der Owenschen Konzeption eines verbilligten Warenangebotes ist es, sich mittels En-Bloc-Bestellungen bei Großhändlern beziehungsweise über feste Abnahmeverträge bei Milch und Öl (für die Beleuchtung) günstige Einstandskosten zu sichern 38 . Gleichzeitig sorgt er für eine bessere Qualität des Sortiments zu erschwinglichen Preisen. Diesen Preisvorteil gibt Owen an seine Belegschaft weiter 39 . An einem konkreten Beispiel einer in New Lanark beschäftigten Familie mit einem wöchentlichen Einkommen von zwei Pfund weist Owen nach, daß sich durch Einkäufe in dem Werksladen eine Einsparung von 10 Shilling wöchentlich (25 Prozent vom Wochenlohn) erzielen läßt 4 0 . Das Verkaufsgeschäft wird in New Lanark auf Barzahlungsbasis (beziehungsweise: wöchentliche Lohneinbehaltung) abgewickelt 41 . Damit stehen Robert Owens Geschäftsprinzipien in bewußtem Gegensatz zu den Praktiken der kreditgewährenden Kleinhändler (»Badger-Shops')42. Zu den allgemein hinge35

angewandte Berechnung des Autors: Beschäftigte x Wochenlohn x 52 Wochen 1/3 Jahr x 20 Shilling 20 Shilling = 1 Pfund. 36 Schon David Dale hat als gutherziger Unternehmer nach einem Fabrikbrand eine kurze punktuelle Lohnfortzahlung betrieben, wie sein Enkel berichtet, s. Owen, R. D., Threading . . . 1874, S. 15. 37 s. Cole, M., Robert Owen, S. 54 f. 38 Vgl. Life I, S. 63; es tritt eine Gesundung des Arbeiters ein, s. Report of a Deputation from Leeds 1819, in: Life IA, S. 253-260. 39 s. Life I, ebd; Podmore, Fr., S. 166. 40 s. Life I,S. 135. 41 Vgl. Harrhon, J. F. C., Robert Owen and the Owenites..., S. 155. 42 Zu den Mißständen jener Zeit s. Brauer, Th./u.a., Die Konsumgenossenschaft . . ., S. 13 f;Heimann, E., Soziale Theorie . . ., S. 65 ff.

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

nommenen Erscheinungen jener Zeit gehört es, daß sich die Arbeiterschaft in der Regel in einem Schuldverhältnis bei den Kleinhändlern befindet und somit gezwungen ist, falsche Gewichte, Nahrungsmittelverfälschung sowie überteuerte Preise hinzunehmen. Owens Konsum-Initiative in New Lanark ist als ein Ansatz zur Reform der Mißstände im Einzelhandel zu verstehen, dessen Prinzipien später auch die Konsumgenossenschaftsbewegung mitbeeinflußt haben 43 . Den erwirtschafteten Jahresüberschuß aus dem Handelsladen in Höhe von jährlich etwa 700 Pfund verwendet Owen gemeinnützig zur Finanzierung der Schulen von New Lanark 44 . Des weiteren betreibt Owen die Einrichtung einer Betriebskantine sowie einer zentralen Großküche 45 . Nach Owens Schätzung ließe sich durch eine Kochund Küchenzentrale in New Lanark im Jahr allein eine Einsparung zwischen 4.000 und 5.000 Pfund erzielen 46 . Nach einem zeitgenössischen Bericht befindet sich die Kantine 1819 im Bau 4 7 . Der genaue Zeitpunkt der Vollendung und Inbetriebnahme des Owenschen Kantinenkonzepts läßt sich nicht ermitteln. f) Betriebliche Pensions- und Krankenkasse Owen stellt für seine Beschäftigten in New Lanark eine freie medizinische Versorgung 48 als Teil seines sozialpolitischen Instrumentariums sicher. Finanzielle Basis dieser Maßnahme ist ein betriebliches Krankenversicherungs- und Altersversorgungssystem (,Sick and Superannuation Fund') 4 9 , das von Owen konzipiert wird. Jeder Beschäftigte in New Lanark zahlt ein Sechstel seines Lohnes in einen betrieblichen Versicherungsfonds ein; der Betrieb steuert jährlich 50 Guineas als freiwillige Zusatzleistung bei 5 0 . Der Fonds übernimmt alle anfallenden Zahlungen für medizinische Leistungen und Altersgeld. Diese das moderne Sozialversicherungssystem des 20. Jahrhunderts vorwegnehmende Einrichtung ist von Owen keineswegs als karitative Aktion gedacht. Die Versicherungskasse wird von der Arbeitnehmerschaft selbst verwaltet 51 . Hier manifestiert sich Owens Bemühen, den Arbeiter wenn irgend möglich zum Selbst43

Nähere Behandlung im III. Hauptteü dieser Arbeit. s. Report of the Minutes... 1816, S. 135 ff. 45 Vgl. Podmore, Fr., S. 169. 46 Vgl. Griscom, J., A Year in Europe, Vol. II, New York 1823, S. 384 (John Rylands Library, Manchester). 47 Vgl. Griscom, J., ebd. 48 s.o. V., Robert Owen at New Lanark, by one formerly a Teacher at New Lanark, Manchester 1839, S. 13; Macnab, H. G., The new Views.. ., S. 99\ Podmore, Fr., S. 169; Cole, M., Robert Owen . . ., S. 55\Harrison, J. F. C., 1969, S. 155. 49 s. Koesler, H. P., Pensions- und Gewinnbeteiligungspläne der privaten Industrie, Köln 1969, S. 52-102 zur Pensionsfondproblematik. 50 5 0 Guineas = 52,5 Pfund Sterling entsprechen nur 1,5 Prozent der Beitragsleistung von etwa 3.500, s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 155. 51 s. Glasgow Chronicle (Zeitung), 17.1.1824. 44

B. Owens Sozialpolitik

103

hilfegedanken heranzuführen. Es spricht für Owens Versicherungsmodell, daß es über zwanzig Jahre lang reibungslos funktioniert 52 . Erst ausgangs des Jahres 1823 führt die Ausbreitung eines Typhusfiebers sowie die zunehmende Anzahl älterer Menschen zu einer Liquiditätskrise des Fonds in Höhe von 170 Pfund 5 3 . Owens Entschluß, als Lösung der finanziellen Probleme die Beitragssätze der Arbeitnehmer zu erhöhen, löst eine öffentliche Kontroverse aus, die sogar die Aufmerksamkeit der damaligen Presse auf sich zieht 5 4 . g) Betriebliche Sparkasse Robert Owen richtet eine Sparkasse (,Savings Bank') ein, um den Gedanken der finanziellen Reservehaltung zu propagieren sowie eine allgemeine Spartätigkeit unter der Belegschaft zu fördern 55 . 1818 belaufen sich die Einlagen der Arbeitnehmerschaft auf mehr als 3.000 Pfund 56 . Einzelheiten über Organisation und Modus dieser bankähnlichen Institution lassen sich aus heutiger Sicht nicht rekonstruieren. h) Maßnahmen ethisch-ideeller Erneuerung Wie in vielen Arbeitersiedlungen zur Zeit der Industriellen Revolution ist auch in New Lanark anfangs des 19. Jahrhunderts der Alkoholismus unter den Einwohnern ein weit verbreitetes Phänomen 57 . Owen versucht, diesem Mißstand mit einem restriktiven Kontrollsystem zu begegnen, welches sich allerdings durch gewisse paternalistische Grundzüge auszeichnet: Wegen der geringen Durchsetzungschance erläßt Robert Owen zwar kein generelles Alkoholverbot. Aus einem Bericht des Jahres 1816 geht jedoch hervor, daß der Verkauf von Spirituosen — vornehmlich Whisky — in New Lanark hinsichtlich der Verkaufszeiten sowie der Höchstmenge limitiert wird 5 8 . Zusätzlich werden alle Alkoholverkäufe in einem eigens dafür angelegten Buch (,Purchasers Pass-Book') festgehalten 59. Des weiteren engagiert Owen Aufsichtspersonal, welches für die Ordnung in New Lanark zuständig ist. öffentlich angetroffene Betrunkene werden mit einer Geldstrafe belegt; in Wiederholungsfällen wird sogar Entlassung 52

s. Glasgow Chronicle, ebd. Vgl. ders., ebd.;Harrison, J. F. C., ebd. 54 s. Aiton, J., Mr. Owens Objections to Christianity and New View of Society and Education, Edinburgh 1824, S. 37; Glasgow Chronicle, ebd. 55 s. Podmore, Fr. 56 Vgl. Report of the Leeds Deputation, 1819, in: Life IA, S. 251 ff; Weihnachten 1818: 3.193 Pfund 14 Shilling 10 Pence Einlagen, vgl. ders., ebd, S. 256. 57 s. Sinclair, Sir J., The Statistical Account of Scotland, Vol. XV, 1795, passim. 58 So in Podmore, Fr., S. 167. 59 s. Report of the Minutes. . . 1816, S. 135 ff. 53

2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

104

angedroht 60 . Dieser Katalog präventiver Maßnahmen führt zu einem deutlichen Rückgang des Alkoholismus in New Lanark 61 . Ein weiteres soziales Problem während der Frühphase der Fabrikansiedlungen ist der Verfall der sittlichen Werte der unter ärmlichen Verhältnissen lebenden Bevölkerung. Das macht sich besonders bemerkbar an der hohen Zahl unehelicher Geburten 62 . Robet Owen versucht erfolgreich, in New Lanark dieser Tendenz entgegenzuwirken 63: Bei einer unehelichen Geburt wird der Vater des Kindes verpflichtet, zwei Shilling wöchentlich (etwa 20 Prozent des Lohnes), die Mutter einen Shilling wöchentlich (etwa 16 Prozent des Lohnes) an eine Armenunterstützungskasse (,Poor Fund 4 ) abzuführen 64. Wie aus dem Report of the Leeds Deputation' von 1819 hervorgeht, sind im Zeitraum von 9 1/2 Jahren bei insgesamt 1.380 in New Lanark lebenden Frauen lediglich 28 uneheliche Geburten registriert 65 . Der gleiche Untersuchungsbericht bescheinigt zusammenfassend: ,,. . . the moralhabits of the people are . . . very exemplary." 66 2. Berichte zur sozialen Betriebsgestaltung Neben den vielfältigen Maßnahmen einer teilweise paternalistisch geprägten betrieblichen Sozialfürsorge ist die oben geschilderte Einrichtung der ,Silent Monitors' 67 als ein von Owen entwickeltes Instrument der sozialen Betriebspolitik zu erwähnen 68 . Wie im einzelnen dargestellt, wird die Bewertung der Arbeitsleistung sowie des sozialen Verhaltens des Arbeiters anhand der ,Silent Monitors' in der Werkshalle veröffentlicht 69 . Für jede Abteilung der Spinnerei werden zusätzlich ,Books of Character' geführt, in denen die tägliche Arbeitsbewertung des einzelnen Arbeiters festgehalten wird. Diese Bücher werden in der Firma aufbewahrt und erfassen kontinuierlich die gesamte Verhaltensstruktur der Betriebsangehörigen. Mit der Implementierung eines direkten Beschwerderech60

Vgl. Owen, R. D., Threading My Way, 1874, S. 70. Vgl. ders., ebd; so gut wie keine Fälle von Alkoholismus 1818 in New Lanark, vgl. Report of the Leeds Deputation . . ., in: Life IA, S. 255. 62 s. Podmore, Fr., S. 168. 63 Vgl. Cole, M., 1953, S. 55. 64 Der ,Poor Fund' wird von Owen eingerichtet, s. Podmore, Fr., S. 168 f. 65 s. Report of the Leeds Deputation, 1819, in: Life IA, S. 251 ff. 66 Ders. in: Life IA, S. 256. 67 s. I. Hauptteil, B. II. 4 dieser Arbeit; Life I, S. 80. 68 s. Hutchins, B. L., Robert Owen, Social Reformer, London 1912, S. 12\Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . ., S. 179. 69 s. Cole, M., 1953, S. 56 f; Life I, S. 80 f; die ,Monitors 4 bestehen aus Holzquadern, deren Seiten mit verschiedenen Farben angemalt sind. Das Holzzeichen wird deutlich sichtbar über dem Arbeitsplatz angebracht. Die nach vorne zeigende Farbe gibt die Bewertung des Verhaltens an (vom Vortage); und zwar in 4 Abstufungen: Schlechtes Verhalten = schwarz = Note 4; mittelmäßiges Betragen = blau = Note 3; gutes Verhalten = gelb = Note 2; hervorragendes Betragen = weiß = Note 1. 61

B. Owens Sozialpolitik

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tes, welches den Beschäftigten die Ansprache auch höherer Betriebsinstanzen zusichert, versucht Owen, einen betrieblichen Kontrollmechanismus in das Beurteilungssystem einzubauen. Wenngleich seinem eigenen Urteil zufolge dieses institutionalisierte Rechtsmittel nur selten beansprucht w i r d 7 0 , so wird es doch in Einzelfällen erfolgreich praktiziert. Es ist zwar richtig, daß der Gedanke, das Verhalten der Arbeiterschaft systematisch zu beurteilen und aufzuzeichnen, nicht auf Robert Owen zurückgeht. Der zeitgenössische Fabrikant John Marshall zum Beispiel läßt an jeder Maschine eine Karte anbringen, auf welcher das betriebliche Verhalten der jeweiligen Arbeitskraft vermerkt ist 7 1 . Ähnliche Methoden, so auch bei der bedeutenden Baumwollspinnerei S. Oldknows 72 , lassen sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen 73. Die Idee der ,Silent Monitors' und ihre konkrete Ausgestaltung74 sowie die 3ooks of Character', die das Gesamtsystem des Betriebes erfassen, entstammen jedoch Owens originärer Konzeption 75 . So befremdlich Owens Methode, mittels Schildern über den Arbeitsplätzen soziale Haltungen fortlaufend zu erfassen, aus heutiger Sicht erscheinen mag, gilt es zu berücksichtigen, daß Owen mit diesem einfachen und preiswerten Programm nicht nur fortwährend betriebspolitisch relevante Resultate erhält, sondern auch eine Steigerung der Arbeitsmoral erreicht. „ I t was gratifying to observe the new spirit created by these silent monitors'* 76 , bemerkt Owen selbst. Ohne die bis dahin üblichen Disziplinierungspraktiken (finanzielle Sanktionen o.ä.) gelingt es Owen, den Rahmen für eine neue Arbeitsordnung zu setzen. In Übereinstimmung mit Cole, Pollard und Engelhardt 77 läßt sich feststellen, daß dank des gesellschaftlich wirksamen und für den einfachen Arbeiter verständlichen Programms (,Silent Monitor') ein neues positiveres Arbeitsethos in New Lanark entsteht. Dies ist insofern bemerkenswert, als die veränderte Einstellung zur Arbeit ungeachtet Owens paternalistischer Führungselemente aus der Arbeiterschaft selbst erwächst.

70

Vgl. Life I,S. 81. s.Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . ., S. 179. 72 s. dazu die hervorragende Handschriften-Dokumenten-Sammlung Oldknow Papers (John Rylands Library, Deansgate, Manchester); auch Cole, M., 1953, S. 57. 73 s. dazu Fitton, R. S./Wadsworth, A. P., The Strutts . . . 1958, S. 100; Wadsworth, A. P./Mann, J. de L., The Cotton Industry . . ., 1965, S. 439; Pollard, S., The Genesis of Modern Management, London 1968, S. 225;Robertson, A. J., Robert Owen, Cotton Spinner, S. 153. 74 Z.B. Anbringung über dem Arbeitsplatz; farbige Ausgestaltung wegen Analphabetentum. 75 s. auch Co/e, M., 1953, S. 57. 76 LifeI,S. 81. 77 s. Cole, G. D. H., 1925, S. 78;Pollard, S., Die Fabrikdisziplin . . ., S. 179;Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 31. 71

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

Nichts veranschaulicht die Fortschrittlichkeit der betriebspolitischen Konzeption Owens deutlicher als die Tatsache, daß die ,Silent Monitors' anfangs des 20. Jahrhunderts (100 Jahre später!) noch Nachahmer finden. Magret Cole weist darauf hin, daß das Fabrik-Management in der Sowjetunion zur Zeit des ersten Fünijahresplans - mit dem Problem schlechter Arbeitsmoral unter den Arbeitern konfrontiert — Tafeln über den jeweiligen Arbeitsplätzen montieren läßt, auf denen Symbole die Qualität der erbrachten Arbeitsleistung anzeigen78.

3. Sinnbestimmung der Sozialreform Mit Robert Owens Wirken in New Lanark befindet man sich am Anfang der industriezeitlichen Sozialpolitik und zwar in praktischer wie wissenschaftlicher Hinsicht 79 . Robert Owen lebt in einer Epoche, in der das Gedankengut des wirtschaftsliberalen ,Laisser-Faire' (Manchestertum, Autoharmonieaxiomatik) dem Aufkommen und der Erweiterung sozialpolitischer Bestrebungen machtvoll entgegensteht80. Vor diesem Hintergrund gilt es, die bedeutenden reformerischen Leistungen eines Mannes zu würdigen, der die Entwicklungen eines ganzen Jahrhunderts schon zwischen den Jahren 1800 und 1825 richtungsweisend antizipiert, konzipiert und teilweise verwirklicht 81 . Die mit einer rein marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung auftretenden und breite Bevölkerungsschichten treffenden strukturellen Nachteile erscheinen Owen bereits sehr früh von einer nachhaltigen Dauerhaftigkeit, die aus wirtschaftlichen wie ethischmoralischen Erwägungen nicht akzeptiert werden können 82 . Progressiv ist Owens sozialpolitisches Wirken insofern zu nennen, als es von dem unaufhaltsamen fortschreitenden Wandel der Sozialordnung ausgeht und eine konsequent durchgeführte Sozialpolitik zur Korrektur der strukturimmanenten Mißstände empfiehlt 83 . Die Schwierigkeit, die Hauptlinien der Owenschen Sozialpolitik zu erfassen, liegt in den vielfältigen Ansätzen und unterschiedlichen Stoßrichtungen, mit denen Robert Owen versucht, seine sozialreformerische Grundüberzeugung im Verlauf der Zeit durchzusetzen. Am ehesten lassen sich Schwerpunkte seiner 78 Verwandte Symbole für die erbrachte Arbeitsleistung sind z.B. Schildkröte, Grashüpfer u.ä., s. Cole, M., 1953, S. 57. 79 Vgl. Röhl, A., Die Beziehungen zwischen Wirtschaft . . ., S. 73; s. Weisser, G., Sozialpolitik, in: Wörterbuch der Soziologie, hrsg. v. W. Bernsdorf, Stuttgart 1969, S. 10391048. 80 s. Seidel, Br., Art.: Sozialpolitik: (I) Geschichte, in: HDSW, 9. Bd., 1956, S. 532539, hier S. 533. 81

s. Röhl, A.; Engelhardt, W. W., Robert Owen . . ., S. 7 ff. s. Seidel, Br., Art.: Sozialpolitik: (I) Geschichte, S. 533 f. 83 Daß Robert Owen das Wort Sozialpolitik' nicht gebraucht, spielt keine ausschlaggebende Rolle. 82

B. Owens Sozialpolitik

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sozialpolitischen Bemühungen herausstellen im Rahmen einer Sinn- und Wirkungsanalyse84, die von Engelhardt zunächst für die Systematisierung einer modernen Sozialpolitik entwickelt wurde 8 5 . Danach lassen sich Veränderungen in Owens Konzeption einer effizienten Sozialpolitik vor allem auf der Ebene der reformerischen Einzelziele und der möglichen wie tatsächlichen Mittel und Träger der Sozialpolitik herausarbeiten, während demgegenüber Owens Leitbild 8 6 eine zunächst die Wandlungen der Zeit beibehaltende Konstanz aufweist. So konzentriert sich Owens frühes soziales Wirken auf die betriebliche Sozialfürsorge, die er, wie bereits oben dargelegt wurde, in seiner Fabriksiedlung zu New Lanark realisiert. Charakteristisch für die betriebliche Sozialreform Robert Owens ist ihre allmähliche und schrittweise Einführung. Dies ist mit auf den Umstand zurückzuführen, daß es Owen erst nach 1813 gelingt, philanthropisch gesinnte Kompagnons zu gewinnen, die seine fortschrittlichen Experimente in New Lanark gutheißen. Owens reformerisches Wirken auf betrieblicher Ebene steht bis 1825 dabei durchaus im Einklang mit seinen unternehmerischen Interessen, wie zu Recht Engelhardt betont 8 7 . Angesichts des mangelnden Verständnisses der zeitgenössischen britischen Unternehmer, der anfänglichen Streitigkeiten mit Owens eigenen Partnern sowie einer temporären ,Anti-Haltung' selbst von Seiten der Arbeiterschaft, sind die betrieblich-sozialen Leistungen Owens in New Lanark umso bemerkenswerter. Owen entwirft in genialer Weise sozialpolitische Instrumente, die bis heute nichts von ihrer Progressivst verloren haben. Die finanzielle Komponente des Sozialkonzepts bildet unter anderem eine Art kollektive Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmerschaft 88 , indem ein Teil der Jahresüberschüsse von New Lanark für soziale Zwecke verwendet wird 8 9 . Darüberhinaus steht Owens Bemühen im Vordergrund, das Paket der 84

s. dazu auch III. Hauptteil, A. II. zum Engelhardtschen Genossenschaftsverständnis. s. Engelhardt, W. W., Theorie der Sozialpolitik, in: Handwörterbuch der Volkswirtschaft, Wiesbaden 1978, Sp. 1181-1198, hier Sp. 1182 f. 86 Im Sinne des Engelhardtschen Utopie-Verständnisses, s. dazu Engelhardt, W. W., Utopie und Genossenschaft, die Entstehung gesellschaftlicher Gefüge und Konzeptionen unter dem Einfluß von Leitbildern, unveröffentlichte HabÜitationsschrift, vorgelegt der Hohen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Köln 1968; auch Weitster, A., Theorie der Konsumgenossenschaftsentwicklung, Schriftenreihe zum Genossenschaftswesen und zur öffentlichen Wirtschaft, hrsg. v. W, W. Engelhardt/Th. Thiemeyer, Berlin 1980, erster Teil. 87 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 31. 88 s. Gilman, N. P., A Dividend to Labor, S. 61; ders., Profit Sharing between Employer and Employee, a Study in the Evolution of the Wages System, Boston/New York/London 1889. 89 s. I. Hauptteil dieser Arbeit; nach Kolbinger beginnt sogar die ,klassische' Periode der Gewinnbeteiligung in England mit Owen in New Lanark nach 1800, vgl. dazu Kolbinger, J., Art.: Gewinnbeteiligung, in: HWB, Bd. I/I, 4. Aufl., hrsg. v. E. Grochla/W. Wittmann, Stuttgart 1974, Sp. 1671-1679, hier Sp. 1674 f; dem ist zu widersprechen; Owen geht es primär um die soziale Absicherung der Arbeiter, die klassische Form der Gewinnbeteiligung im heutigen Sinne praktiziert Owen nicht; dies trifft vielmehr auf H. J. v. Thü85

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

freiwilligen Sozialleistungen weitestgehend durch kostendeckende sowie sich selbst tragende Einrichtungen (Werkskonsum) abzusichern. In Übereinstimmung mit Gilman ist Owen somit als ein Musterbeispiel eines weitsichtigen und modernen Industriekapitäns zu bewerten 90 . Daß es Owen bei seiner betrieblichen Sozialreform nicht um eine bloße Verbesserung der Betriebsorganisation seines eigenen erwerbswirtschaftlichen Unternehmens geht, ebensowenig um einen „betrieblichen Isolationismus" 91 außerhalb eines volkswirtschaftlichen Gesamtsystems, wird an seinem frühen öffentlichen Wirken deutlich. Hier sind sowohl die große Zahl von ihm willkommen geheißener Besucher in New Lanark 92 als auch Owens publizistisch-wissenschaftliche Aktivität hervorzuheben 93. Schon in dem 1813 94 verbreiteten Offenen Brief an die Leiter von Fabriken' 95 , in dem Owen den Nachweis der grundsätzlichen Kompatibilität von Sozialreform und Profitorientierung erbringt, versucht Robert Owen, die zeitgenössischen Industriellen für eine Nachahmung seiner sozialen Maßnahmen und Vorschläge zu gewinnen. Owens anfängliche Konzeption zeichnet sich dadurch aus, daß sie als Träger einer nationalen Sozialpolitik eine verantwortungsbewußte Unternehmerschaft vorsieht. Ohne staatliches Eingreifen soll mit dem Mittel der freiwilligen Sozialpolitik auf Betriebsebene 96 das Ziel einer Verbesserung der Lebenslage der Arbeiterschaft verwirklicht werden. Diese sozialpolitischen Ziele umfassen sowohl ergebnisorientierte Interessen (Einkommensverbesserung), sinnlich physische Interessen (Vorsorge, Gesundheit) als auch geistige Interessen unmittelbarer Art an Arbeitsfreude, Arbeitsethos und Leistungsdenken97. Erst als Owen den Widerstand und die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeber spürt, welche sich den fortschrittlichen Ideen gegenüber verschlossen, ja feindlich eingestellt zeigen, ändert Robert Owen sein sozialpolitisches Konzept. Dieser Zeitpunkt liegt etwa im Jahre 1815. In seinem dritten nen auf dem Gut Tellow (1847) bzw. auf die Metropolitan Gas Co. (USA) (1899) zu, s. Kolbinger, J., ebd. 90 Vgl. Gilman, N. P., A Dividend . . . , S. 62. 91 Heyde, L., Art.: Sozialpolitik: (II) Allgemeines, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 539547, hier S. 545. 92 Die Zahl der Besucher in New Lanark wird auf jährlich etwa 2.000 geschätzt, s. Podmore, Fr., S. 142-150, 154 ff, 158 u. 172 f; s. auch Davies, A. T. (Hrsg.), Robert Owen, (1771-1858), Pioneer Social Reformer and Philanthropist, Manchester 1948, S. 31. 93 „ . . . the consequence will be, that not only our manufactoring but our entire population will gradually change its character . . O w e n , R., A Statement . . . 1 8 1 2 , S. 21. 94 Lange vor der gesamten Verwirklichung der sozialen Reformen in New Lanark (etwa ab 1816 mit der Eröffnung der ,Institution for the Formation of Character'). 95 s. Owen, R., To the Superintendents of Manufactories . . ., in: Life I, S. 259-262. 96 s. Heyde, L., Art.: Sozialpolitik, S. 545 zur betrieblichen Sozialordnung. 97 s. hierzu Röhl, A., Die Beziehungen . . ., S. 74 f; Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 30 f;Engelhardt, W. W., Theorie der Sozialpolitik, Sp. 1191 f.

B. Owens Sozialpolitik

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und vierten Essay ,A New View of Society' 98 sowie mit seiner Eingabe an das britische Unterhaus ,Observations on the Effect of the Manufacturing System' 99 aus dem Jahre 1815 tritt Owen erstmalig für eine staatlich reglementierende Sozialpolitik ein. In den Mittelpunkt des Owenschen Interesses rücken nunmehr statt einer Sozialpolitik von unten, vom Betrieb her, die z.T. erzieherische Züge hat, Maßnahmen einer staatlichen Sozialpolitik, die sich mit gesellschafts- und entwicklungspolitischen Aspekten einer heranwachsenden Industriegesellschaft befassen 100. Robert Owen wird dabei zum Initiator und zur treibenden Kraft der Verabschiedung der ersten staatlichen Arbeiter- und Kinderschutzgesetze der Welt 1 0 1 . Mit dem Mittel der Gesetzgebung und der staatlichen Exekutive als Träger einer Sozial- und Gesellschaftspolitik vollzieht sich in Owens Konzeption der Ubergang von primär therapeutischen Einzelzielen zu verstärkt prophylaktischen Zielsetzungen 102 , bei denen es nicht um die bloße Beseitigung sozialer Mißstände, vielmehr um eine gesellschaftliche Integration entwurzelter Bevölkerungsschichten geht. Das vielfältige Wirken Owens ist bestimmt von verschiedenen Leitbild- und Einzelzielwandlungen, welche sich im Verlauf seines Lebens ergeben haben. Charakteristisch für den Leitbildwandel bei Owen ist, daß er sich quasi phasenweise vollzieht. So bleiben die einzelnen Leitbilder in den jeweiligen Wirkungsperioden Owens, beispielsweise als Genossenschafter, Erzieher u.ä., über längere Zeit dominant. Dies gilt auch für Owens sozialpolitisches Engagement. So unterschiedlich seine Konzeptionen hinsichtlich ihrer sozialpolitischen Konsequenzen auch sind, liegt ihnen doch das gleiche, in dieser Phase unveränderte Leitbüd zugrunde: Die soziale Berücksichtigung einer sich formierenden Fabrikarbeiterschaft in einer neuen pluralistischen Gesellschaftsordnung, welche auf - für die damalige Phase des Frühkapitalismus — veränderten ethisch-moralischen Grundwerten beruhen soll 1 0 3 . Diese, den Handlungen Owens vorgelagerte sozialpolitische Utopie (im Sinne Engelhardts) 104 ist in ihrer Beständigkeit und Bedeutung für Owens abwechslungsreiches Wirken bislang von weiten Teilen der Literatur übersehen worden. Dabei sind die Beweggründe Owens, die ihn zu die98

s. Owen, R., A New View of Society or Essays on the Principle of the Formation of the Human Character, and the Application of the Principle to Practice, 3./4. Essay (1814), in: Life I, S. 287-332. 99 In Life IA,S. 33-45. 100 s. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 30 ff. 101 Factory Act von 1816, gesetzliche Einschränkung der Kinderarbeitszeit, s. II. Hauptteil, B. II. 2. dieser Arbeit. 102 s. dazu Seidel, Br., Art.: Sozialpolitik, S. 534. 103 s. Röhl, A., Die Beziehungen . . . , S. 74 u. 77;Engelhardt, W. W., Robert Owen als früher freiheitlicher Sozialist, in: Freiheitlicher Sozialismus, hrsg. v. H. Flohr, K. Lompe, L. F. Neumann, zum 75. Geburtstag von G. Weisser, Hannover 1973, S. 3-20, hier S. 5; auch Herder-Dorneich, Ph., Wirtschaftsordnungen, Pluralistische und dynamische Ordnungspolitik, Berlin 1974. 104 s. III. Hauptteil, A. dieser Arbeit.

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

sem utopischen Leitbild veranlassen, recht komplex 1 0 5 . Sie sind, wie Engelhardt feststellt, weder „tief metaphysisch noch platt rational" 1 0 6 ; vielmehr liegen Owens sozialpolitischen Anliegen dazwischenliegende Motivationen zugrunde, die Elemente sowohl eines philanthropischen Humanismus als auch konkret verstandener politischer Verantwortung gegenüber breiten Schichten umfassen 107 . Gerade weil Robert Owen, trotz seiner richtungsweisenden Beiträge zur Entwicklung einer progressiven Sozialpolitik, in seiner sozialpolitischen Bedeutung für das 20. Jahrhundert in der Literatur bislang nicht die entsprechende Beachtung gefunden h a t 1 0 8 , gilt es, Owens sozialreformerisches Wirken detailliert zu untersuchen.

II. In entwicklungs- und gesellschaftspolitischer Hinsicht Owen ist nicht nur als eigentlicher Begründer einer progressiven Sozialpolitik im betrieblichen Raum, sondern auch im staatlichen Bereich anzusehen, wobei er als maßgeblicher Initiator gesellschafts- und entwicklungspolitischer Neuerungen auftritt 1 0 9 und die zugehörigen Themenkomplexe teilweise wissenschaftlich bearbeitet 110 . Owens Pionierrolle in gesellschaftspolitischer Hinsicht hängt vermutlich mit seinem milieutheoretischen Ansatz - der These vom Einfluß der Umwelt auf das Handeln des Menschen - zusammen 111 . NachMyrdal „ergibt sich der tiefste Unterschied einer radikalen oder konservativen Haltung gegenüber der Sozialpolitik aus der unterschiedlichen Beurteilung der fundamentalen Ursachen der Übel der Gesellschaft: ob sie aus der ,menschlichen Natur' folgen und demzufolge nichts gegen sie auszurichten ist, oder ob sie von der jeweiligen Organisation der Gesellschaft abhängen, die reformiert werden kann." 1 1 2

105 Zum Begriff »Beweggrund' s. Finis, B., Wirtschaftliche und außerwirtschaftliche Beweggründe mittelständischer Genossenschaftspioniere des landwirtschaftlichen Bereichs am Beispiel von F. W. Raiffeisen und W. Haas, Berlin 1980, S. 9 ff. 106 Engelhardt, W. W., Robert Owen als früher freiheitlicher Sozialist, S. 4. 107 s. Sombart, W., Ideale der Sozialpolitik, in: Archiv für Soziale Gesetzgebung und Statistik, Bd. X, 1897, S. 1-48; Seidel, Br., Art.: Sozialpolitik . . . , S. 533. 108 Das trifft vor allem für das deutsche Schrifttum zu; so erwähnt z.B. Seidel in seinem Artikel über die Geschichte der Sozialpolitik im HdSW Owen überhaupt nicht (!), s. Seidel, Br.,S. 532-539. 109 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 30 f. 110 s. VI. Hauptteil dieser Arbeit. 111 Vgl. Engelhardt, W. W., ebd. 112 Myrdal, G., Das Verhältnis zwischen Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, in: Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft, Hannover. 1965, S. 50; müieutheoretische Überlegungen bilden eine Grundlage auch der gegenwärtigen Bemühungen um Umweltverbesserung, vgl. Engelhardt, W. W., S. 32.

B. Owens Sozialpolitik

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1. Owen und die Integration der Arbeiterschaft Mit der Übernahme der Unternehmensgruppe in New Lanark (1800) sieht sich Owen mit einer Arbeiterschaft von 1.800 bis 2.000 Menschen 113 konfrontiert. Die aus allen Teilen Schottlands, vorwiegend aus den ländlichen Gebieten des schottischen Hochlandes, angeworbenen Arbeiter sehen sich ihrer bäuerlichen Existenzgrundlage beraubt und stellen den Prototyp des entwurzelten, verarmten Fabrikproletariers dar. Diese im Ballungsgebiet New Lanark lebenden Menschen werden als in extremer Weise träge sowie zum Diebstahl und zur Trunksucht neigend beschrieben 114 . Vester charakterisiert die damalige Situation in seiner soziologischen Studie folgendermaßen 115: Kommunale Desintegration, geringe Leistungsmoral, Deformation der Bedürfnisbefriedigung und behinderte Persönlichkeitsentwicklung der Arbeiterschaft. Owen selbst schildert die Auswüchse der Verarmung, ja Verelendung, unter den Arbeitskräften in seiner Autobiographie 116 . Die Betriebsangehörigen New Lanarks sind von daher dem Unternehmer Owen gegenüber zunächst mißtrauisch und feindselig eingestellt 117 . Diese Haltung wird verstärkt durch Owens betriebliche Reorganisationsmaßnahmen: Entlassung des alten Managements, Erneuerung des Maschinenparks, neue Betriebsführungstechniken im Sinne der ,Government' Idee Owens. Nur zu verständlich, daß die schottischen Einwohner skeptisch auf die neuen betriebswirtschaftlichen Methoden des englischen Fabrikherrn aus dem fernen Manchester 118 reagieren. Auch die ersten Schritte der Sozialreform, wie die Abschaffung der Zwangsarbeit für Waisenkinder oder das direkte Beschwerderecht, vermögen die Arbeiterschaft nicht von ihrer Antihaltung abzubringen 1 1 9 . Owen läßt sich von dem Widerstand und der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Werksangehörigen nicht entmutigen. Schritt für Schritt baut er seine betriebliche Sozialpolitik aus. Mit der Einrichtung der Werkskonsumanstalt, die die Ernährungssituation und zugleich die Kaufkraft der Arbeiterschaft verbessert, gelingt es Owen, einen Teil der Beschäftigten von seiner arbeiterfreundlichen Grundhaltung zu überzeugen 120. Vor allem sind es jedoch Owens Anwesenheit und tägliche Fabrikinspektionen, die die Arbeiter von der Aufrichtigkeit seiner Bemühungen überzeugen 121. Das volle Vertrauen seiner Beleg113

Inclusive Familien. Vgl. Podmore, Fr., S. 81 ff. 11s Vgl. Vester, M., Die Entstehung des Proletariats als Lernprozeß, zur Soziologie der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 1970, S. 193 f. 1,6 s. LifeI,S. 57 f. 117 s. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 32 f; Fräser, W. H., Robert Owen and theWorkers, S. 76-98. 118 Man bedenke die Nationalrivalität Schottland - England. 119 Vgl. Butt, J., Robert Owen as a Businessman, S. 191. 120 Vgl. Life I, S. 63. 121 Nach Fürstenberg steht es „außer Zweifel, daß selbst in einer weitgehend versachlichten und hochrationalisierten Arbeitswelt sowohl die individuellen Leistungskomponen114

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

schaft gewinnt Owen indessen erst, als er während einer viermonatigen Betriebsstillegung (amerikanisches Embargo 1806) den vollen Lohn, über 7.000 Pfund, weiterzahlt 122 . Mit dem Mittel der Lohnfortzahlung überwindet Robert Owen schließlich die Reserviertheit der Arbeiter. In der Folgezeit versteht es Owen, der Fabriksiedlung in New Lanark ein Identitätsgefühl zu vermitteln; dies zum einen durch betriebliche Sozialeinrichtungen, wie die Betriebskrankenkasse, den Konsumladen oder Gemeinschaftsveranstaltungen, die auf eine Betonung des ,Wir* hinauslaufen und zu Initiativen der solidarischen Selbsthilfe anregen 123 ; zum anderen, indem es Owen versteht, den Arbeitern die Gemeinschaftseinrichtung ,New Lanark 4 als solche überhaupt zu vergegenwärtigen. Interessanterweise nutzt Owen dazu die Einführung eines Markenzeichens. Alle produzierten Garnbündel werden, wie bereits mehrfach erwähnt, mit einem idyllischen Bild der Siedlung von New Lanark versehen 124 . Diese Abbildung fördert die kommunale Identifikation und den gemeinschaftlichen Stolz auf das Produkt wie auf die Stätte der Arbeit 1 2 5 . Bislang von der Literatur vernachlässigt ist die Tatsache, daß Robert Owen durch bewußt betriebene Öffentlichkeitsarbeit auch stark motivierend auf die New Lanark Gemeinde wirkt. Indem New Lanark zum Symbol sozialen Fortschrittes in Europa avanciert (bis zu 2.000 Besucher im Jahr) 1 2 6 , kann Owen seiner Arbeiterschaft das Gefühl einer besonderen Einschätzung ihrer Arbeit vermitteln und ihre positive Einstellung zum Unternehmen fördern 1 2 7 . Bewußt oder unbewußt macht sich Owen hier die Wirkung eines ,Hawthorne-Effektes 4 zunutze 128 . ten der Führungskraft als auch die »Ausstrahlungsfähigkeit 4 ihrer Persönlichkeit, d.h. die von ihr ausgehenden Impulse zum Handeln, Beachtung verdienen' 4; Fürstenberg, Fr., Grundfragen der Betriebssoziologie, S. 91. 122 Vgl. Life I, ebd;Podmore, Fr., S. 84. 123 s. Engelhardt, W. W., Art.: Selbsthilfe, in: Evangelisches Soziallexikon, hrsg. v. Th. Schober/M. Honecker/H. Dahlmann, 7. Aufl., Berlin 1980, Sp. 1130-1131; auch Gosden, P. H. J. H., Self-Help, Voluntary Associations in the 19th Century, London 1973. 124 s. Owen, R. D., Threading My Way, S. 243 f. 125 Hier liegt eine faktische Einbindung in die Usancen von Gruppennormen und Gruppenbewußtsein i.S. Engelhardts vor, s. Engelhardt, W. W., Zum Verhältnis von öffentlicher Bindung durch den Staat und ständischer Selbstbindung von Unternehmen, speziell von Genossenschaften, in: Öffentliche Bindung, Schriftenreihe der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, Heft 22, Baden-Baden, 1983, S. 361-397; auch Eynern, G. v., Das öffentlich gebundene Unternehmen, in: Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen, Bd. 4, 1958, S. 1 - 5 9 ; Nell-Breuning, O. v., Ständischer Gesellschaftsaufbau, in: HdSW, 10. Bd., 1959, S. 6-11, hier S. 7. 126

S. 277. 127

s. auch Tagebuchaufzeichnungen Owen, R. D., To Holland and to New Harmony,

s. Address of the inhabitants of New Lanark, in: Life IA, S. 329 ff. Dieser aus der Organisationstheorie stammende Begriff geht auf die ,HawthorneExperimente4 von Mayo/Roethlisberger (1927/1939) zurück. Es wird festgestellt, daß nicht nur physische Arbeitsbedingungen, sondern auch sozialpsychologische Aspekte auf 128

B. Owens Sozialpolitik

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Das Resultat der Owenschen Integrationsbemühung ist bemerkenswert. Aus der feindlich eingestellten Masse wird eine loyale Arbeitergemeinde. Owens hoher Beliebtheitsgrad unter der Belegschaft zeigt sich auch nach der Auktion 1813, in der Owen seinen Einfluß auf die Geschäftsführung erfolgreich sichern kann. Er kehrt wie im Triumphzug unter dem Beifall der Einwohner nach New Lanark zurück 1 2 9 . Von besonderer Bedeutung und Aktualität ist die auch über seine Zeit hinaus fortdauernde, entwicklungspolitische Relevanz des Owenschen Integrationsbemühens 130 . In Bezug auf heutige Entwicklungsgebiete sprechen Myrdal und andere von einem »Prinzip der Kumulation' nach unten oder einem ,circulus vitiosus' 1 3 1 . Danach erzeugt ein niedriges Lohnniveau über eine Anzahl von Zwischengliedern bei unverändertem sozio-kulturellem Milieu wiederum niedrige Einkommen, wenn nicht, neben erzieherischen Bemühungen, Anstöße zur Durchbrechung solcher Kreisläufe auch durch Schenkungen philanthropisch gesinnter Personen oder Organisationen erfolgen 132 . Durch derartige Anstöße können in ihrer Summierung kumulative Prozesse nach oben in Gang gesetzt werden, deren „ . . . Endwirkungen in keinem Verhältnis zur Größe des ersten Anstoßes stehen" 1 3 3 . Robert Owen ist in seinem Denken und Handeln als ein solcher Philanthrop zu betrachten. Er gibt in dem damaligen ,3alb-Entwicklungsland' 4134 England der Industriellen Revolution Impulse, nicht zuletzt durch sein publizistisches Wirken, für kumulative Prozesse nach oben und trägt dazu bei, neue Sinnstrukturen des Handelns anzuregen 135 . Schon 1905 konstatiert daher zurecht die Owen-Biographin H. Simon zu Owens Verdiensten: „Seine Meisterschaft bestand in der wahrhaft philosophischen Praxis, Veranlassung und Gelegenheit zum Unrecht zu beseitigen und neue Motive des Handelns zu schaffen." 136

die Gruppenkohäsion und Gruppenaktivität wirken; s. Grochla, E., Einführung in die Organisationstheorie, Stuttgart 1978, S. 144 f; nähere Behandlung im VI. Hauptteil der Arbeit. 129 Vgl. Life I, S. 96-98; Address of the inhabitants..., S. 329 ff. 130 Zum folgenden s. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 32 f. 131 s. Myrdal, G., Das Prinzip der Kumulation, in: Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft, S. 205 ff; Stucken, R., Der ,Circulus Vitiosus' der Armut in Entwicklungsländern, in: Entwicklungspolitik, Handbuch und Lexikon, hrsg. v. H. Besters/E. E. Boesch, Stuttgart/Berlin/Mainz 1966, S. 54 ff. 132 Vgl. Engelhardt, W. W., ebd; s. auch Adler-Karlsson, G., Der Kampf gegen die absolute Armut, Frankfurt 1978, S. 13 ff. 133 Myrdal, G., Das Prinzip . . . , S. 32. 134 Engelhardt, W. W., S. 32. 135 Vgl. ders., ebd. 136 Simon, H., Robert Owen, 1905, S. 56 f. 8 Elsässer

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

2. Owen - ein Promoter der Fabrikgesetzgebung Zusätzlich zu seiner Privatinitiative in New Lanark widmet sich Robert Owen auch allgemein dem Kampf um den Arbeiterschutz 137 . In seiner Rolle als Initiator und Vorkämpfer erlangt er dabei weltgeschichtliche Bedeutung 138 . Die Zeit nach 1815 kann man als den Anfang des Ringens zwischen den Befürwortern des Manchestertums und einer staatlichen Intervention auffassen. Diese wirtschafts- und sozialpolitisch bedeutsame Auseinandersetzung bietet den Ansatzpunkt zu Owens nicht-unternehmerischer Rolle, bei der Owen in den Mittelpunkt der englischen Politik gelangt. Er gestaltet mit und wirkt ein. Am Ende wendet er sich jedoch enttäuscht und desillusioniert vom politischen Kleinkampf ab. Danach erfolgt seine Hinwendung zu genossenschaftlichen und sozialistisch geprägten Konzeptionen. Aus Owens pionierhaftem Engagement für eine staatliche Sozialgesetzgebung resultiert nichts weniger als die Einleitung und Durchsetzung erster Ansätze eines modernen Sozialstaates. a) Kampf um Kinderschutzgesetze Zunächst geht es Owen darum, auf dem Wege der Gesetzgebung die in den Fabriken beschäftigten Jugendlichen dem gewerblichen Mißbrauch zu entreißen 1 3 9 . In der Auseinandersetzung mit dieser Thematik hat Owen treffliche Dokumente seines Denkens hinterlassen. Hervorzuheben sind an dieser Stelle seine Schriften: ,Observation on the Cotton Trade' (1815); ,Observations on the Effect of the Manufacturing System' (1815); ,Letter to Lord Liverpool On the Employment of Children' (1818); ,Letter to the British Master Manufacturers' (1818) 1 4 0 . Die Texte geben einen guten Einblick in Owens Beobachtungen und weitsichtige Analysen; sie sind auch noch heute lesenswert. Schon 1815 fordert Owen öffentliche Maßnahmen und ein Gesetz zur Beschränkung der Kinderarbeit sowie der Arbeitszeit 141 . Sein Entwurf sieht vor, die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren zu verbieten, den Arbeitstag auf 10 1/2 Stunden (statt 13 Stunden) zu verkürzen sowie eine allgemeine Schulpflicht einzuführen 142 . Vor einer Versammlung schottischer Fabrikanten 137 s. dazu Ward, J. T., Owen as a Factory Reformer, in: Robert Owen, Prince of Cotton Spinners, S. 99-131. 138 Vgl. Cole, M., 1953, S. 94; auch Brown, Ph. V., The Life of Robert Owen, Part 1, S. 6 f. 139 Es geht insofern um das erste Fabrikgesetz der Industriezeit, als sich Peels Lehrlingsschutzgesetz (1802) nur auf ausgedungene Lehrlinge (aus den Waisenhäusern) bezog, s. Aikin, J., A Description of the Country from Thirty to Forty Miles round Manchester, o.O. 1795 S. 219; Ward, J. T., Owen as . . . , S. 100 i\Bradshaw, Fr., A Social History of England, London 1927, S. 326 f. 140 Die Abhandlungen sind abgedruckt in: Life IA, S. 12 ff; 33 ff; 183 ff; 195 ff. 141 s. Simon, H., S. 91; Ward, J. T., ebd. 143 s. Owen, R., Observations on the Cotton Trade, in: Life IA, S. 13-19.

B. Owens Sozialpolitik

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in Glasgow (1815) versucht Owen seine Standesgenossen für eine Petition an das englische Unterhaus zu gewinnen. Owens Konzept stößt jedoch einstimmig auf Ablehnung 143 . Schon mit Mitteln moderner Öffentlichkeitsarbeit bemüht sich Owen - völlig auf sich gestellt - dennoch um eine Durchsetzung seiner Kinderschutzkonzeption 144 : Er läßt seine Rede auf eigene Kosten veröffentlichen, versendet Exemplare an alle Regierungsmitglieder, läßt Auszüge des Textes in der Tagespresse abdrucken und besichtigt Englands wichtigste Industrieanlagen mit der Absicht, detaillierteres Beweismaterial über die Mißstände in den Fabriken zu gewinnen. Das unmittelbare Ergebnis dieser Reise ist Owens 1815 an die Regierung gerichteter Aufsatz ,Observation on the Effect of the Manufacturing System' 145 . In dieser Bestandsaufnahme der sozialen Verhältnisse der englischen Industrie wiederholt Owen seine Forderung nach einem effizienten staatlichen Arbeitsschutz. aa) Parlamentarische Auseinandersetzung Nach seinen publizistischen Appellen an die Regierung versucht Owen, in London in das parlamentarische Geschehen einzugreifen 146 . Dieses Unterfangen ist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden: Zum einen sieht sich Owen in der Gegnerschaft der Anhänger des ,Laisser-Faire', die politisch tonangebend sind und sich für eine unbedingte Gewerbefreiheit in der englischen Wirtschaftsordnung einsetzen. Zum anderen kann Owen nicht mit der Unterstützung der Arbeiterschaft rechnen, da es 1815 sowohl an einer nationalen Arbeiterbewegung als auch einer parlamentarischen Interessenvertretung der breiten Schichten fehlt. Lediglich ein kleiner Kreis philanthropisch gesinnter, einflußreicher Persönlichkeiten, zu dem u.a. N. Vansittart und Viscount Lascelles gehören 147 , schließt sich Owens Initiative zugunsten des Kinderschutzgedankens an 1 4 8 . Die Gruppierung um Owen bewegt das angesehene Mitglied des Unterhauses und Urheber des Lehrlingsgesetzes von 1802 1 4 9 , Sir Robert Peel, den Owenschen Gesetzentwurf im Parlament einzubringen. Am 6. Juni 1815 wird eine überarbeitete Fassung des Owenschen Entwurfs dem Parlament als Amendement 143

Vgl. Life I,S. 113 f u . 120; auch Simon, H., 1905, S. 93. s. Ward, J. T.,S. 103. 14s s. Owen, R., Observations on the E f f e c t . . . , in: Life IA, S. 33-45. 146 s. Simon, H., 1905, S. 16 ff. 147 Vgl. Ward, J. T.,S. 105. 148 Die Versammlungen finden im King's Arms Hotel in New Palace Yard, London, statt, vgl. Ward, J. T., ebd; Robert Dale Owens Tagebuchnotizen weisen auf die weitreichenden Kontakte des Vaters in London hin, s. Owen, R. D., To Holland . . . 1825 u. Travel Journal 1827, passim. 149 Genau: ,Sir Robert Peels Moral and Health Act 4 ; gültig für ausgedungene Lehrlinge aus den Waisenhäusern; Nachtarbeitsverbot, max. Arbeitszeit 12 Stunden täglich, sanitäre Vorschriften, Überwachung des Gesetzes durch Gemeindeverwaltung, s. Aikin, J., A Description . . . , S. 219;Simon, H., 1905, S. 11. 144



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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

zum Lehrlingsgesetz von 1802 vorgelegt 150 . Diese Korrektur, die Peel aus politisch-taktischen Erwägungen gegen den Widerstand von Owen vornimmt, führt zu einer starken Abschwächung der ursprünglichen Forderungen Owens. Im einzelnen sieht die Gesetzesvorlage v o r 1 5 1 : Beschäftigungsverbot für Kinder unter 10 Jahren (statt 12 Jahren) in allen Fabriken mit mehr als 20 Beschäftigten; Arbeitszeitverkürzung auf 10 1/2 Stunden täglich und Verbot der Nachtarbeit nur für Personen unter 18 Jahren; gänzlicher Verzicht auf Owens weitsichtige Erziehungsklausel 152. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf den Geist jener Epoche, daß mehr als 4 Jahre (!) bis zur Verabschiedung der von Owen angeregten Vorlage vergehen. In kontrovers geführten Debatten prallen die unterschiedlichen Positionen der Verfechter des Manchestertums und des Arbeitsschutzes aufeinander 153 . Es wird nur zu deutlich, daß es mit Owens Konzeption um eine veränderte Auffassung von dem sozial- und gesellschaftspolitischen Auftrag des Staates geht. Dem wird die starre Doktrin von dem absoluten Freiheits- und Autonomiebereich des Arbeiters (der Freiheit auch zu Mehrarbeit!) entgegengehalten. Zunächst wird 1816 eine Kommission einberufen, die die Auswirkungen langer Arbeitszeiten auf jugendliche Arbeitskräfte untersuchen soll 1 5 4 . In fast einjähriger Arbeit werden 47 Zeugen vernommen, darunter u.a. 10 Ärzte, 3 Magistratsmitglieder, 29 Fabrikanten (darunter mehrmals Owen) 1 5 5 und nur 2 Vorarbeiter. Der Ergebnisbericht 156 der Untersuchungskommission macht zweierlei deutlich: Einerseits die verheerenden Mißstände in der Industriearbeit, andererseits die mangelnde Information, selbst bei Ärzten, über das Elend der Fabrikarbeiterschaft. Erst als 1818 Fälle von 17-stündiger Tagesarbeitszeit bekannt werden, kommt es unter dem Druck der öffentlichen Meinung zur Verabschiedung des Gesetzes, allerdings in erneut abgeschwächter F o r m 1 5 7 : Das Kinderschutzgesetz wird auf die baumwollverarbeitende Industrie beschränkt; Beschäftigungsverbot für Kinder unter 9 Jahren (Owens ursprünglicher Entwurf 150 Nach Sargant bestehen keine Zweifel, daß die Gesetzesvorlage auf Owen zurückgeht, s. Sargant, W. L., Robert Owen and his Social Philosophy, London 1860. 151 s. Life IA, S. 23-36; auch Cole, G. D. H.¡Filson, A. W., British Working Class Movements, 1789-1875, London 1951, S. 312-314. 152 Erst ca. 100 Jahre später wird in Deutschland das Beschäftigungsverbot für Kinder vor Erledigung der Elementarschulpflicht ausgesprochen; Gesetz 1.6.1891, Titel V I I d. G. O. § 135, vgl. Simon, H., 1905, S. 100; R. Koselleck weist daraufhin, daß Owen allerdings Hardenberg in Preußen angeregt hat, sich für den Arbeitsschutz der Kinder (1839) einzusetzen, vgl. Koselleck, R., Aufstieg und Strukturen der bürgerlichen Welt, in: Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780-1848, hrsg. v. L. Bergeron/u.a., Fischer-Weltgeschichte Bd. 26, Frankfurt/M. 1969, S. 318. ls3 s. Parlamentsdebatten bei Hansard, T. C. (Hrsg.), Parliamentary Debates, Vol. XXXIV, 1816, Sp. 882-887. 154 s. Life I, S. 117-121. 155 Owen sagt am 26., 29.4.; 6., 7., 10.5.1816 aus; s. Simon, H., 1905, S. 102-106. 156 s. Report of the Minutes of Evidence . . . 1816, S. 315 ff. 157 s. Life IA, S. 21-23; Ward, J. T., Robert Owen as Factory Reformer, S. 117; Simon, H., 1905, S. 107.

B. Owens Sozialpolitik

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12 Jahre - Peels Korrektur 10 Jahre); Arbeitszeitverkürzung auf 11 Stunden (statt 10 1/2) für Jugendliche unter 16 Jahren. bb) Owens außerparlamentarische Bemühungen Infolge der parlamentarischen Verzögerungen reifen in Owen neue Entschlüsse des Handelns. Sein Vertrauen in die Möglichkeit beschleunigter staatlicher Fabrikreformen ist erschüttert. Allmählich (nach 1822) zieht sich Owen von der parlamentarischen Agitation zurück, nachdem er ihr zeitweilig, vor allem als Berichterstatter vor der Untersuchungskommission (1816) 1 5 8 , seine ganze Kraft gewidmet hat. Owen ergreift einmal mehr das Mittel der Öffentlichkeitsarbeit, im wesentlichen mit seinen offenen Briefen (1818) an den Staatssekretär Earl of Liverpool sowie an die britische Unternehmerschaft ,On the Employment of Children in Manufactories' 159 . In dem Schreiben an Staatssekretär Liverpool 160 fordert Owen, den Staatsauftrag weiter als bisher zu sehen und den freien Lauf der Wirtschaftsordnung immer dann einzuschränken, wenn das Wohl der Allgemeinheit betroffen ist. Von daher gelte es, das Paket der Arbeitsschutzmaßnahmen auf den gesamten industriellen Sektor auszuweiten. In dem Appell an die Arbeitgeber vom 30. März 1818 1 6 1 bemüht sich Owen, die Fabrikanten davon zu überzeugen, daß arbeiterfreundliche Zugeständnisse nicht per se zu Lasten des Unternehmensertrages gehen müssen. Wenn schon nicht aus humanitären, so sei es doch aus wirtschaftlichen Interessen ratsam, Kinderarbeit und überlange Arbeitszeiten einzuschränken. So wenig sich an der generellen Haltung der Industriellen oder an der Gesetzesfassung von 1819 auch ändert, so sehr tragen Owens Aktionen auf nationaler Ebene dazu bei, das zur damaligen Zeit bei Unternehmern und zunehmend auch bei Arbeitern vorhandene Klassendenken mit seinen volkswirtschaftlichen Nachteilen einer breiten Öffentlichkeit bewußt zu machen. Aus dem punktuellen Kampf um das Kinderschutzgesetz entsteht auf Owens Initiative eine Jahrzehnte anhaltende Diskussion um die sozialen Probleme der sich herausbildenden Industriegesellschaft Englands. b) Owens Beitrag zur gesetzlichen Verkürzung der Arbeitszeit Nach der Verabschiedung des Kinderschutzgesetzes 1819 wendet sich Owen genossenschaftlich orientierten Konzeptionen zu; insbesondere seinem New Harmony Projekt (1824-1829) in Nordamerika 162 . Derweil gehen die Bemü158

s. Report of the Minutes... 1816. Abgedruckt in: Life IA, S. 183 ff u. 195 ff; in diese Periode fallen auch Owens europäisches Wirken und eine Europareise (u.a. nach Deutschland). 160 Auszüge in Deutsch auch bei Simon, H., 1905, S. 108 f. 161 s. Owen, R., Letter addressed to the . . . Earl of Liverpool, 20.3.1818, in: Life IA, S. 183 ff; ders., Letter addressed to British Master Manufacturers, 30.3.1818, in: Life IA, S. 195 ff. 162 s. Pitzer, D. E. (Hrsg.), Robert Owens American Legacy, Proceedings of the Robert 159

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

hungen in England um eine Ausweitung der nach wie vor unzureichenden Fabrikgesetzgebung weiter. Sie bestimmen auch in den Jahren nach 1819 das parlamentarische Geschehen. 1830 kommt es zu einer regelrechten Fabrikgesetzgebungs-Bewegung, die sich auf die Textilindustriezentren von Lancashire, West Riding und Schottland konzentriert 163 . Auf Initiative von Richard Oastler, einem reformerisch gesinnten Tory aus Yorkshire, entstehen auf lokaler Ebene zahlreiche ,Short-Time Committees', die einen einheitlichen 10-Stunden-Tag für jugendliche Arbeitnehmer fordern 1 6 4 . Diese Bewegung wird von einer Reihe von Anhängern und Freunden Owens, den sogenannten Oweniten 1 6 5 , getragen: L. Pitkeithley, J. Watson in London; J. Hobson im Bezirk West Riding; J. Doherty in Lancashire sowie Owens früherem Geschäftspartner W. Allen 1 6 6 . Bezeichnenderweise haben sich aber auch der Begründer der Bewegung, Oastler, sowie der Herausgeber der reformerischen Zeitschrift ,Leeds Mercury', Ed. Baines, mit Owens Musterfabrik in New Lanark beschäftigt und eine Beeinflussung durch Owens Werk und Denken erfahren 167 . Auf Grund der Breitenwirkung der ,Short-Time Committees' beschließt das britische Parlament im Sommer 1833 eine wirksame Erweiterung des Factory Act von 1819 1 6 8 : Beschäftigungsverbot für Kinder unter 9 Jahren; Beschränkung der Arbeitszeit für Kinder unter 14 Jahren auf 9 Stunden, für Jugendliche unter 18 Jahren auf 12 Stunden täglich; Ernennung von 4 Inspektoren zur Überwachung der Einhaltung des Gesetzes in der gesamten Textilindustrie. Bei aller Fortschrittlichkeit bedeutet der Factory Act von 1833 insofern eine Niederlage für die ,Short-Time'-Bewegung, als sich ein einheitlicher 10-StundenTag für alle Jugendlichen nicht durchsetzen läßt 1 6 9 . Der Zerfall der ,Short-Time Committees' führt im Herbst 1833 zu einer Spaltung der Anhängerschaft der progressiven Fabrikgesetzgebung. Am 28. Oktober 1833 wird in Birstall die ,Factory Reformation Society4 gegründet, die in ihrem Programm für eine 10-stündige Arbeitszeitbeschränkung zugunsten aller Arbeitnehmer unter 21 Jahren eintritt 1 7 0 . Ihre Mitglieder, vorwiegend Gefolgsleute des Kerns der ehemaligen ,Short-Time'-Bewegung um Oastler, repräsenOwen Bicentennial Conference, Indiana Historical Society, Indianapolis (USA) 1972, S. 14 ff; s. auch III. Hauptteil dieser Arbeit. 163 s. Ward, J. T., Owen as Factory Reformer, S. 119 ff. 164 s. Driver , C., Tory Radical, The Life of Richard Oastler, New York 1946, S. 42-44; Ward, J. T., The Factory System 2, Newton Abbott 1970, S. 73 ff. 165 ,Owenism' wird während Owens Abwesenheit in den USA zu einer nationalen Bewegung in England, vgl. Ward, J. T., Owen a s . . . , S. 119. 166 Vgl. Ward, J. T.,S. 120. 167 s. Driver, C., Tory Radical, S. 42 ff. 168 s. Ploetz, K., Auszug aus der Geschichte, S. 847. 169 Vgl. Ward, J. T.,ebd. 170 s. Ward, J. T., The Factory Movement, 1830-1855, London 1962, S. 111-113.

B. Owens Sozialpolitik

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tieren den konservativeren und gemäßigteren Zweig unter den Promotern der Sozialgesetzgebung171. Dies veranlaßt Owen, sich erstmals wieder persönlich (1833) in die Auseinandersetzung einzuschalten. Angesichts der sozialen Mißstände in der Fabrikarbeit erscheinen ihm die Bestrebungen Oastiers hinsichtlich einer Arbeitszeitverkürzung auf 10 Stunden nicht länger ausreichend. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität gründet Owen am 25. November 1833 in Manchester die ,Society for Promoting National Regeneration 4, die einen 8-Stunden-Tag für alle Arbeitnehmer bei vollem Lohnausgleich zum 1. März 1834 verwirklicht wissen w i l l 1 7 2 . Ist diese Forderung, das sogenannte »Foundation Axiom', für das 19. Jahrhundert schon bahnbrechend, so ist es umso bemerkenswerter, daß es Owen außerdem gelingt, eine Gegenbewegung zu der ,Factory Reformation Society' von Oastier (10-Stunden-Tag) zu initiieren. Der Gründungsversammlung der »National Regeneration', unter Owens Führung, wohnen über 2.000 Menschen bei 1 7 3 . Owens hohes Ansehen verdeutlicht sich auch daran, daß sich ihm einflußreiche Persönlichkeiten anschließen: Der philanthropische Großunternehmer John Fielden, Parlamentsabgeordneter von Oldham 1 7 4 sowie das Rochdaler Unterhausmitglied William Cobbett, Verfechter der Anti-Corn-Law-League' 175 . Auch fortschrittliche Journalisten wie J. Cleave und H. Hetherington 176 sowie alte Reformer, beispielsweise W. Doherty, J. Turner, G. Higginbottom und W. Clegg, gehören zum Kreis seiner Anhänger 177 . In dem Kampf zwischen der 10-Stunden- und der radikaleren 8-StundenBewegung verhärten sich die Fronten 1 7 8 . Unbeeindruckt von der ablehnenden Haltung der Mehrheit der englischen Parlamentarier entwickelt Owen wiederum eine nationale Propagandakampagne. Owens Anhänger, die ,Missionaries', werben in den lokalen ,Social Institutions' 1 7 9 für das Programm der Rational Regeneration' 180 . In Manchester gibt Owens Mitstreiter Doherty eigens eine Wo171 Die Forderung nach dem generellen 10-Stunden-Tag bedeutet nach dem Factory Act von 1833 de facto eine Erhöhung der Arbeitszeit für Kinder unter 14 Jahren (dort auf 9 Stunden täglich begrenzt). 172 s. Resolutions of the Society for Promoting National Regeneration, Manchester 1833 (Manchester Central Library). 173 s. Owen, R./Owen, R. D. (Hrsg.), The Crisis , 14.12.1833. 174 s. Fielden, J., The Curse of the Factory System, 1836, Neudruck London 1969; Oldham = Nachbarstadt von Manchester. 175 s. Cole , G. D. H., The Life of Wüliam Cobbett, London 1947, S. 402 f;zur ,AntiCorn-Law League' s.Mc Cord, N., The Anti-Corn-Law League, 1838-1846, London 1948. 176 Herausgeber der Zeitschrift ,The Poor Man's Guardian'. 177 Vgl. Ward, J. T., Owen as.. ., S. 123. 178 s. Brief, R. Oastler to Robert Owen, 22.11.1833 (Co-operative Union Collection, Manchester), „12 hours wages for 8 hours work is unjust", ders., ebd. 179 Versammlungsorte der Oweniten auf lokaler Ebene, Zentren reformerischer Diskussion. 180 s. Ward, J. T., Owen as . . . , S. 128 ff.

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

chenschrift heraus: ,The Herald of the Rights of Industry'. Für den Zeitraum von einigen Monaten 1833/1834 hat es den Anschein, als wenn sich Owens 8-Stunden-Bewegung gegenüber den gemäßigteren Reformern um Oastier durchsetzen kann. Es ist Owens großes Verdienst, den Gedanken eines 8-Stunden-Arbeitstages, der sich letztlich erst im 20. Jahrhundert realisieren läßt, schon 1833 konzipiert und populär gemacht zu haben. Owen wirkt nicht nur als Initiator, sondern auch als Kämpfer für zu seiner Zeit sehr fortschrittliche Konzeptionen. Owen scheitert im Frühjahr 1834 letzten Endes am dominierenden konservativen Zeitgeist und am Widerstand des Establishments 181 . Erst 1847/1848 gelingt Owens Weggefährten, John Fielden, die parlamentarische Verabschiedung von ,Fieldens Factory Act', einer generellen Arbeitszeitbeschränkung auf 10 Stunden täglich 1 8 2 . Wenn auch Owen seine eigenen sehr modernen Vorstellungen nicht durchzusetzen vermag, so ist doch dieses erste nationale Arbeitszeitgesetz undenkbar ohne die Bemühungen von Menschen, die man eindeutig als von Owen angeregt, beeinflußt und teilweise organisiert bezeichnen kann. 3. Reform der Armengesetzgebung Owens sozialpolitisches Wirken in gesellschaftspolitischer Hinsicht erstreckt sich auch auf einen Beitrag zur Reform der englischen Armengesetzgebung. Die Integration und Unterstützung der verarmten und beschäftigungslosen Massen Englands stellt anfangs des 19. Jahrhunderts ein aktuelles Problem dar, dessen Lösung insbesondere durch veraltete Gesetzesvorschriften erschwert wird. a) ,Poor Law Act' Das Grundkonzept der englischen Armenfürsorge hat seinen Ursprung in den Armengesetzen der Jahre 1597 und 1601 unter Königin Elisabeth I . 1 8 3 . Arbeitskräfte werden im Falle der Mittellosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit per Gesetz der kommunalen Fürsorge unterstellt und in Armenhäusern der Gemeindebezirke untergebracht 184 . Eine Veränderung dieser Regelung ergibt sich erst durch 181 s. Brief, J. Fielden to Robert Owen, 8.2.1834 (Co-operative Union Collection, Manchester); auch Holyoake, G. J., Sixty Years of an Agitator's Life, London 1906, S. 117. 182 s.Ploetz, K., Auszug..., S. 849. 183 s. Beer, M., Geschichte des Sozialismus in England, Stuttgart 1913, S. 33;Marshall, D., The old Poor Law, in: Essays in Economic History, hrsg. v. E. M. Carus-Wilson, London 1954, S. 295 ff; Röhl, A., Die Beziehungen zwischen . . . , S. 19; Harrison, J. F. C., 1969, S. 14 f. 184 Bei Arbeitsunfähigkeit braucht danach nicht länger der Guts- und Grundherr für den Arbeiter zu sorgen; wegen des geringen Lohnniveaus kann der Arbeiter kaum Ersparnisse ansammeln, wodurch er zwangsläufig den Armenhäusern als Almosenempfänger (,Pauper') verfällt, s. Röhl, A., S. 21.

B. Owens Sozialpolitik

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den ,Guilberts Act 4 (1792) sowie den ,Speenhamlands Act 4 (1795) 1 8 5 . Im Wege eines Zulagesystems (,Allowance System4) erhalten die Bezieher niedrigster Einkommen einen finanziellen Beitrag aus staatlichen Kassen, der sich an der Höhe des Brotpreises und der Zahl der Familienmitglieder orientiert 1 8 6 , um das Existenzminimum zu sichern. Der humanitäre Aspekt dieser Bestimmung besteht darin, daß die verarmten Schichten in ihrem ursprünglichen Lebensbereich unterstützt werden und vom Elend der Armen- bzw. Arbeitshausexistenz verschont bleiben. In einkommenspolitischer Hinsicht ermöglicht die staatliche Zulageregelung den Arbeitgebern, das allgemeine Lohnniveau niedrig zu halten. Dies führt dazu, daß die große Masse der Land- und Industriearbeiter de facto zu einem Armengeldempfänger wird. Großgrundbesitz und Industrie verstehen es, mithin begünstigt, auf Kosten der Allgemeinheit (Steuerzahler) ihre Stellung auszubauen187. Der weitgehenden Pauperisierung der Arbeiterschaft ist es zuzuschreiben, daß noch zu Lebzeiten Owens im gesellschaftlichen Bewußtsein die Arbeiterfrage mit der Armenfrage weithin gleichzusetzen i s t 1 8 8 . b) Produktive Beschäftigungspolitik Die zunehmende Landflucht, das Anwachsen des Industrieproletariats in den Ballungszentren sowie eine schwere wirtschaftliche Rezession nach 1815 führen zum sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenrate und damit zu eskalierenden staatlichen Ausgaben für die Armenunterstützung 189 : Jahr 1750 1803 1816 1818

Gezahlte Armenunterstützung 690.000 4.100.000 5.750.000 7.890.800

Pfund Pfund Pfund Pfund

Die Wirtschaftskrise und bittere Not breiter Schichten lenkt die Aufmerksamkeit politisch einflußreicher Kreise auf das Phänomen der Unterbeschäftigung. In seinem 4. Essay ,A New View of Society4 (1814) tritt Robert Owen erstmals für eine Reform des ,Poor Law Act 4 , der Armenunterstützung, ein 1 9 0 . Sei185

s. Röhl, A., S. 22 f. Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 14. 187 Vgl. Röhl, A., ebd. 188 s. Kostanecki, A. v., Arbeit und Armut, Freiburg 1909; da der Arbeiter dem Almosenempfänger gleichgesetzt wird, resultiert daraus seine soziale Benachteiligung zu Anfang des 19. Jahrhunderts. 189 Die Daten bis 1816 aus: Beer, M., Geschichte . . ., S. 193 u. 205; Daten für 1818 aus: Simon, H., 1905, S. 128. 190 s. Owen, R.,in: Life I, S. 308 ff. 186

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

ner Ansicht nach gilt es, das zu Destruktivität verleitende ,Allowance System4 durch ein öffentliches Beschäftigungsprogramm, vorzugsweise im Kanal- und Straßenbau, zu ersetzen 191 . Im Sommer 1816 befaßt sich das britische Unterhaus mit der Thematik und beruft eine Kommission unter dem Vorsitz des Duke of Kent und des Erzbischofs von Canterbury zur Überprüfung des Armenrechts ein 1 9 2 . Im März 1817 legt Robert Owen dem Ausschuß einen schriftlichen Bericht vor, seinen Report to the Committee of the Association for the Relief of the Manufacturing and Labouring Poor' 1 9 3 . Diese Ausarbeitung Owens ist in mehrfacher Hinsicht instruktiv. Zum einen legt Owen die Elemente einer volkswirtschaftlichen Krisentheorie dar, auf die später bei der Erörterung der wissenschaftlichen Leistungen Owens gesondert eingegangen wird. Zum anderen schlägt er eine neuartige Konzeption zur Überwindung der Arbeitslosigkeit vor: die Beschäftigung Erwerbsloser in sich selbst tragenden, staatlich gegründeten Arbeitskolonien (,Colonies of Co-operation') 194 . Mit detaillierten Zeichnungen, Plänen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen zeigt Owen auf, nach welchem Modus diese produktiv-genossenschaftlichen Siedlungen zu organisieren wären 1 9 5 . Derartige Projekte, zur produktiven Tätigkeit in Agrar- und Industriearbeit für jeweils 500 bis 1.500 Menschen, sollen nach Owens Dafürhalten die hergebrachte Form der Armenunterstützung ersetzen. Nur mit dem Übergang von karitativer Hilfe zur Förderung solidarischer produktiver Selbsthilfe bei staatlicher Initialhilfe sei auf Dauer dem Problem des Pauperismus effizient zu begegnen 196 . Mit publizistischen Mitteln und unter großem eigenen finanziellen Aufwand versucht Robert Owen, seine Konzeption der ,Colonies' bekanntzumachen. Zwischen Juli und September 1817 hält Owen Vorträge, hat Gespräche mit Ministern und läßt seine Abhandlungen verbreiten 197 . Die öffentliche Diskussion findet auch die Beachtung der damaligen Presse. Vier von fünf ganzseitigen Spalten auf der dritten Seite der ,Times' befassen sich beispielsweise am 22. August 1817 mit Owens Konzeption; am 10. September des gleichen Jahres wird auf der zweiten Seite der ,Times' in vier Spalten über die Genossenschaftspläne berichtet 198 . Trotzdem finden Owens Vorschläge keine Berücksichtigung in der 191

s. auch Zerche, J., Vollbeschäftigung und Verteilung im Konflikt, in: Die Sicherung des Arbeitsplatzes, Lohntheoretische und arbeitsmarktpolitische Beiträge, hrsg. v. Ph. Herder-Dorneich, Berlin 1979, S. 139-166. 192 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 12. 193 In: Life IA, S. 53 ff. 194 s. ders., ebd. 195 Auf J. Bellers als ideellen Vorläufer wird im III. Hauptteil dieser Arbeit eingegangen. 196 s. Owen, R., Report to the Committee . . . , in: Life IA, S. 53 ff; ansonsten sieht Owen nur 2 Lösungsmöglichkeiten; den Gebrauch der Maschinen einzuschränken (unrealistisch) oder Menschen verelenden zu lassen (inhuman), vgl. Simon, A., 1905, S. 127. 197 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 12 f. 198 s. Times (Zeitung), 22. August 1817 u. 10. September 1817.

C. Owens Konzept des Wohnungs- und Siedlungswesens

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Gesetzesvorlage der Kommission 199 ; zu sehr geht es Owen bereits um eine gesellschaftliche Neuordnung auf genossenschaftlicher Basis 200 . Es bleibt Owens Verdienst, in der Frage der staatlichen Armenversorgung einen Weg aufgezeigt zu haben, wie den Ursachen, nicht den Symptomen der Verelendung der breiten Massen begegnet werden kann. Aus beschäftigungspolitischen Erwägungen gelangt er dabei zu genossenschaftlichen Konzeptionen und zu grundlegenderen Zielen der Gesellschaftsreform. Owen sieht zeitlebens in seiner humanitär-sozialen Grundüberzeugung den nationalen Regierungsauftrag in prominenter Weise der Beschäftigungspolitik verpflichtet: „No government that is incompetent to find good perpetual employment for the working classes . . . ought any longer to be allowed by the people to govern them.'* 201

C. Owens Konzept des Wohnungs- und Siedlungswesens Robert Owens Beiträge zu richtungsweisenden sozialpolitischen Ansätzen enthalten auch Elemente einer neuzeitlichen Wohnungs- und Siedlungspolitik. Wohnungs- und siedlungswirtschaftliche Initiativen lassen sich im realpraktizierten wie im theoretisch-wissenschaftlichen Wirken Owens nachweisen1. Spezifische Ansätze und Impulse Owens in dieser Hinsicht beziehen sich sowohl auf New Lanark als auch später auf Arbeitsfelder außerhalb der Fabriksiedlung, d.h. auf Siedlungsgenossenschaften. Die Tatsache, daß Owen selbst den Terminus ,Wohnungs- und Siedlungswesen' nicht gebraucht, ist unerheblich, da sich dieser Begriff erst in jüngerer Zeit herausgebildet hat 2 . In Übereinstimmung mit Cole und Engelhardt gilt es, Owen trotzdem als einen frühen „Pionier des Wohnungs- und Siedlungswesens"3 zu würdigen. Owens diesbezügliche Aktivitäten entspringen unterschiedlichen Beweggründen und Leitbildern, die sich von patriarchalischen bis hin zu genossenschaftlichen Grundhaltungen erstrecken. Dies erfordert eine differenzierte Betrachtung.

199

Im Gegenteil: 1834 wird eine verschärfte Form des ,Poor Law Acts' beschlossen. Vgl. Harrison, J. F. C., ebd. 201 Owen, R., Letter to the Governed of all Classes in all Nations, Dezember 1857, in: Life IA, S. XV. 1 s. hierzu Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 12 ff. 2 s. Seraphim, H.-J., Art.: Siedlung: (I) Ländliche Siedlung, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 238 ff. 3 Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 12; vgl. auch Cole, G. D. H., 1925, S. 139. 200

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

I. Philanthropische Wohnungspolitik in New Lanark Robert Owen geht bei seinem Wirken in New Lanark von der Überzeugung aus, daß das Denken und Handeln des Menschen in besonderer Weise von der Umwelt, dem Milieu, determiniert wird 4 . Er ist von daher bestrebt, das soziale Umfeld seiner Beschäftigten und deren Familien in der Fabriksiedlung umzugestalten, um somit den Verhaltenskodex und den Charakter des Arbeiters positiv zu beeinflussen 5. Der milieutheoretische Ansatz 6 seines praktischen wie wissenschaftlichen Denkens mag es sein, der Owen auch Initiativen wohnungswirtschaftlicher Art im Rahmen seiner sozialreformerischen Bestrebungen nahelegt 7 . Sein Einsatz in New Lanark ist überwiegend durch philanthropische, ja patriarchalisch-fürsorgliche Motive und Attitüden bestimmt. Owens Bemühungen um ein fortschrittliches Wohnungs- und Siedlungswesen lassen sich in der ersten Periode seines Schaffens, also bis 1817/1820, mithin unter dem Stichwort »philanthropische Wohnungspolitik' subsummieren 8. Im Gegensatz zur philanthropischen Wohnungsfürsorge New Lanarks folgen fast alle über diesen Ort hinausreichenden Initiativen des Pioniers, so sehr sie auch auf den gewonnenen Erfahrungen in der Fabriksiedlung basieren, anderen Motiven. Sie haben eher demokratisch-siedlungsgenossenschaftUchen als philanthropisch-fürsorglichen Charakter 9. In dem Maße, in dem sich Owen um eine kommunale Körperschaft mit Selbstverwaltungscharakter bemüht — verwiesen wird auf die später behandelten Bürgerkomitees zur Wohnungsinspektion —, treten die auf bloßem Vertrauen beruhenden patriarchalischen Bindungen der Bevölkerung zurück und gewinnt demokratisches Handeln Raum 1 0 . Innerhalb der verschiedenen siedlungsgenossenschaftlichen Varianten (New Harmony, Queenwood etc.) im Owenschen Handeln und Denken liegen die eigentlichen Initiativen von vorneherein bei den produktivgenossenschaftlichen Akteuren selbst 11 . Für den siedlungswirtschaftlichen Aspekt ist es dabei ohne Belang, ob die von Owen konzipierten genossenschaftlichen Projekte in ihrer Zielsetzung im Rahmen einer produktiven Beschäftigungspolitik oder eines sozialistischen Bezugsrahmens stehen oder ,,auch dem früh-kommunistischen Ziel der Errichtung begrenzter Gemeinschaften . . . mit gemeinsamem Eigentum zugeordn e t " 1 2 werden. 4

Owen steht damit in der ideellen Tradition Rousseaus, s. V. Hauptteil dieser Arbeit. s. Podmore, Fr., 1905, S. 80 ff; auch Engelhardt, W. W., Robert Owen . . ., S. 12 f. 6 Zur Milieutheorie s. V. Hauptteil dieser Arbeit. 7 Vgl. Engelhardt, W. W., ebd. 8 Im gleichen Sinne spricht Engelhardt von ,unternehmerischer Wohnungsfürsorge', vgl. ders., ebd. 9 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 12. 10 Vgl. ders., S. 14 f. 11 Vgl. ders., ebd; s. auch III. Hauptteil dieser Arbeit. 12 Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 15. 5

C. Owens Konzept des Wohnungs- und Siedlungswesens

125

1. Hygienische Verbesserungen Owen übernimmt, wie bereits früher ausgeführt wurde, 1800 den Gesamtkomplex von New Lanark nach Abschluß der ersten Bauphase; es stehen schon Werkswohnungen für insgesamt 800-1.000 Menschen13. Die Tatsache, daß der Arbeiterschaft überhaupt Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden, ist insofern nicht außergewöhnlich, als New Lanark Ende des 18. Jahrhunderts zum alleinigen Zweck der Baumwollverarbeitung in einem entlegenen Tal errichtet wird 1 4 . Owens Leistung besteht vielmehr im konsequenten Ausbau und der Verbesserung der Werkswohnungen 15. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Unternehmern betrachtet Owen die Frage der Unterbringung von Arbeitnehmern nicht unter dem bloßen Gesichtspunkt der Kostenminimierung. Er investiert große Summen in die Modernisierung des Soziaibereichs 16: Die Zahl der Wohnungen wird beträchtlich erweitert (JSiursery Buildings'); die Räume sind vergleichsweise groß und luftig; die Straßen breit angelegt; für billiges Heizungsmaterial (Brennholz) wird gesorgt 17 . Owens Maßnahmen beschränken sich nicht nur auf den baulichen Sektor. Im Gegensatz zu anderen Arbeitgebern propagiert Owen ein kommunales »Service System', welches auf eine Verbesserung der Wohnqualität und der Hygiene 18 sowie auf die Erziehung zu größerer Ordnung und Sauberkeit der privaten Haushalte abzielt. Zu diesen Aktionen zählen regelmäßige Straßenreinigungen auf Firmenkosten, Wohnungsinspektionen und Berichte selbst organisierter Bürgerkomitees über die hygienischen Zustände in den Arbeiterhaushalten 19.

2. Infrastrukturelle

Projekte

Owen begnügt sich nicht mit mehr Hygiene und Ordnung. Es geht ihm auch nicht um eine sterile Sauberkeit des Anwesens von New Lanark. Ihm ist vielmehr an der Entwicklung und Pflege höherer Formen der Geselligkeit und 13 Es ist schwierig, die exakten Zahlen zu ermitteln, da Originalaufzeichnungen fehlen; 1795 leben bereits 200 Familien in New Lanark, vgl. Sinclair, Sir J. (Hrsg.), The Statistical Account . . ., S. 34 f; s. auch die Studie von Hume, J. R., The Industrial Archaeology of New Lanark, S. 215-253. 14 s. Pawson, E., The early Industrial Revolution . . . , S. 92. 15 Vgl. Owen, R., 2. Essay, A New View of Society, in: Cole, G. D. H. (Hrsg.), A New View of Society and other Writings, London 1927, S. 33; s. auch o.V., A Future . . . , S. 5. 16 Davon zeugt heute noch die großzügige und solide Konzeption der Anlage, wie der Autor vorort in New Lanark selbst feststellte. 17 s. Hume, J. R., The Industrial Archaeology . . . , S. 227; für den Straßenbau werden alleine 6.000 Pfund aufgebracht, vgl. Owen, R., A Statement.. ., S. 18-21. 18 Der Hygienegedanke wird an sich erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner vollen medizinischen Bedeutung populär. 19 Sogenannte ,Bug Hunters', vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 158; zu den sanitären Bedingungen New Lanarks, s.Podmore, Fr., 1905, S. 86 f; s. auch Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 13.

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2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

Gemeinschaft 20 innerhalb dörflicher Nachbarschaftsgruppen gelegen21. Diese Intentionen schlagen sich in baulichen Maßnahmen nieder. Er läßt auf Kosten seines Unternehmens ein großes öffentliches Gebäude, die ,New Institution' errichten 22 . Neben Räumlichkeiten für Owens Schule und Kleinkinderanstalt sind in diesem Bauwerk eine Gemeinschaftsküche sowie Speise-, Kranken-und Versammlungsräume vorgesehen 23. Diese Stätte der gemeinschaftlichen Begegnung, die mit einer modernen Dampfheizung ausgestattet wird, soll in seiner Konzeption die ortsüblichen Gastwirtschaften ersetzen. Zu weiteren Bestrebungen zur Förderung des kommunalen Charakters gehört auch die Gründung der oben erwähnten zentralen Werkskonsumanstalt 24. Ein hierfür eigens errichtetes zweigeschossiges Haus (1814) stellt ebenfalls einen beachtlichen baulichen Aufwand dar 2 5 . Desweiteren verfolgt Owen Pläne, das umliegende, landschaftlich - auch heute noch - reizvolle Wald- und Wiesengelände oberhalb des Flußtales von New Lanark als Rekreationsgebiet zugänglich zu machen. Er läßt deshalb öffentlichzugängliche Spazierwege dort anlegen und Schneisen schlagen26. Mit der neuartigen Überlegung der Einbeziehung von Grünanlagen in den Lebensbereich einer Arbeitersiedlung, die er im weiteren verfeinert 27 , plädiert Owen schon 1813/1816 für die Idee einer Gartenstadt 28 . Auf sie gilt es nachfolgend einzugehen.

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Zum Gemeinschaftsbegriff s. Tönnies, F., Gemeinschaft und Gesellschaft, Grundbegriffe der reinen Soziologie, (Nachdruck der 8. Aufl. Stuttgart 1935) Darmstadt 1963, passim; Weisser, G., Stilwandlungen der Wohnungsgenossenschaften, Göttingen 1953, S. 23 ff u. 33 ff; ders., Genossenschaften, Schriftenreihen des Forschungsinstituts der FriedrichEbert-Stiftung, Hannover 1968, S. 67 ff. 21 Vgl. Engelhardt, W. W., ebd. 22 s. Hume, J. R., The Industrial Archaeology . . ., S. 230 f. 23 s. Owen, R., A Statement regarding New Lanark . . . 1812, S. 18 ff; vgl. auch Engelhardt, W. W., ebd; aus einer Adressnote der Arbeiterschaft von New Lanark geht hervor, daß die Räumlichkeiten auch genutzt werden, s. Address to Mr. Owen by the Inhabitants of New Lanark, 11.1.1817, in: Life IA, S. 321 ff. 24 Näher behandelt in der betrieblichen Sozialpolitik, II. Hauptteil, B. I. dieser Arbeit. 23 s. Owen, R., A Statement . . . 1812, S. 18-21; etwa 3.000 Pfund; vgl. o.V., A Future for New Lanark, Lanark 1973, S. 5. 26 s. Owen, R., 3. Essay, A New View of Society, in: Cole, G. D. H., 1927, S. 43; auch Owen, R., A Statement..., S. 18-21. 27 Vgl. ders., ebd. 28 s. Cole, G. D. H., 1925, S. 139; zum Städtebau s. allgemein Novy, K./Uhlig, G., Stadt-Land-Wirtschaft, in: Bauwelt 71 (1980), S. 468-472.

C. Owens Konzept des Wohnungs- und Siedlungswesens

127

II. Anstoß zur solidarischen Siedlungsselbsthilfe 1. Raumpolitische Gesichtspunkte Owens siedlungsgenossenschaftliche Konzeptionen enthalten auch Gesichtspunkte der Raumordnung und der räumlich orientierten Gesellschafts- sowie Wirtschaftspolitik 29 . In seinem Spätwerk ,The Book of the New Moral World' legt Owen diese Gedanken ausführlich dar 30 . Anstelle der Ballung von Menschen, in einem unsystematischen Gewirr von Straßen und Hinterhöfen, ohne Zugang zur Natur, soll eine planmäßige Gruppierung neuartiger Siedlungen treten 31 . Es gilt, für alle Bedürfnisse und Interessen des Menschen räumliche Voraussetzungen zu schaffen. Owen beschäftigen Raumbilder, die gleichermaßen einer Vermassung wie Isolierung seiner Zeitgenossen entgegenwirken 32. In gewissem Maße erinnert die von Owen konzipierte Struktur der Genossenschaftssiedlungen an New Lanark, wenngleich eine Weiterentwicklung nach ökonomisch-rationalen Gesichtspunkten vorgenommen wird 3 3 . Die idealtypische Siedlung soll aus einem einzigen, als Viereck angelegten Gebäude (Parallelogramm) in der Mitte der zu bewirtschaftenden Landfläche liegen. Im Hof des riesigen Komplexes sollen eine Kirche, eine Schule und ein Gemeinschaftsgebäude (ähnlich der ,New Institution') liegen 34 . Auf die Herausarbeitung ökonomischer Vorteile der genossenschaftlichen Lebensführung, durch Kostenersparnisse (Economies of Scale) bei Heizungs- und Küchenanlagen, legt Owen großen Wert 3 5 . 2. Entwurf einer Gartenstadt Eng verbunden mit Owens Siedlungskonzeption ist die oben angesprochene Idee einer Gartenstadt 36 . In den rechteckigen Genossenschaftsdörfern lassen 29

Zum folgenden s. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 15 f. s. Owen, R., The Book of the New Moral World, Part II, 1842, S. 25 f. 31 s. ders., ebd; Simon, H., 1905, S. 266. 32 Ähnlich vielen anderen ,Utopisten4, vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 16; nach Lowinski ist unter phänomenologischen Aspekten der Raum als Daseinsraum wählbar und zumindest begrenzt gestaltbar, vgl. Lowinski, L., Die Kirchen und das Wohnungswesen, in: Verbände der Wohnungswirtschaft, der Einfluß organisierter Interessen auf die Wohnungspolitik, hrsg. v. H. K. Schneider, Köln 1964, S. 60. 33 s. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 17. 34 Genaue Beschreibung und Erörterung von Owens Modell, im III. Hauptteil dieser Arbeit unter genossenschaftlichen Aspekten; s. auch Owen, R., Report to the County of Lanark, 1820, in: Life IA, S. 261 ff. 35 Bei einer Ersparnis von 1 Shilling 6 Pence pro Woche und Kopf, bei etwa 2.200 Menschen, errechnet Owen eine jährliche Gesamtersparnis im Großküchenbereich von etwa 8.580 Pfund; vgl. Owen, R., A Statement regarding . . . 1812, S. 18-21. 36 s.Cole, G. D.H., 1925, S. 139. 30

2. Hauptteil: Robert Owens sozialpolitisches Wirken

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sich Owen zufolge für alle Beteiligten wirtschaftliche und außerwirtschaftliche Vorteile erzielen 37 . Während sich die ökonomischen Vorzüge mittels neuer Formen der Kooperation sowie mittels Betriebsgrößenvorteilen (Economies of Scale) erreichen lassen, resultiert die außerökonomische Überlegenheit der Parallelogramme u.a. aus einer großen, parkähnlichen Grünanlage im Inneren des Gebäudekomplexes. Diese Gartenlandschaft, zu der jeder Anwohner einen direkten Zugang besitzt, dient sowohl gesundheitlich-hygienischen als auch gemeinschaftlich-kulturellen Zielen 38 . Owen liegt diese Konzeption besonders am Herzen. 1825 stellt er ein über 3 Quadratmeter großes Holzmodell einer solchen ,Garden City' im amerikanischen Kongreß aus, um für diese vorteilhafte Besiedlungsform in Nordamerika zu werben 39 . Auch nach seiner Rückkehr nach Großbritannien (1829) propagiert Owen seine Gartenstadtidee als Alternative zu den Elendsvierteln in den Industriezentren. Auf dem Höhepunkt des jOwenism' 40 in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts veranschaulicht Owen seine Entwürfe mit Hilfe lithographischer Platten auf zahlreichen Vortragsreisen 41. In seinem 3. Essay ,A New View of Society' erwähnt Owen seine Gartenstadt-Erwägungen bereits in Anwendung für New Lanark 42 . Interessanterweise verbindet Owen an dieser Stelle die Idee der »Garden City' mit Gedanken einer frühen Bodenreformbewegung: „That these dwellings, with the privileges of the public walks, . . . shall become the property of those individuals who, without compulsion, shall subscribe each equitable sums monthly, as, in a given number of years will be equal to the purchase, . . . the expenses of which may be reduced to a very low rate individually, by arrangements which may be easily formed to supply all their wants with little trouble to themselves; and by their previous instruction they will be enabled to afford the small additional subscription which will be required for these purposes." 43 Owens siedlungswirtschaftliche Konzeption enthält mithin Überlegungen der Förderung von Eigentum bei der Arbeiterschaft, eventuell im Sinne späterer ,Land and Buildings Societies' oder Arbeitersparvereine 44. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß die 37

s. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 18. s. Owen, R., A Development of the Principles and Plans on which to establish SelfSupporting Home Colonies, London 1841, S. 37-45 u. Skizzen sowie Pläne im Anhang. 39 s. auch Abbildungen Nr. 16 u. 17 bei Harrison, J. F. C, 1969, S. 116 f. 40 Zum ,Owenism' oder Owenismus: wie oben bemerkt, handelt es sich um eine soziale Bewegung der Anhänger Owens, die auf dessen Intentionen zurückgeht und einen wichtigen Beitrag, neben dem Chartismus, vor allem zum Frühsozialismus leistet; s. dazu Sombart, W., Der proletarische Sozialismus, (»Marxismus'), 2. Bd., Die Bewegung, 10. Aufl., Jena 1924, S. 314 f; Cole, G. D. H., 1925, S. 168 ff;Engelhardt, W. W., ebd. 41 Bemerkenswert ist nicht die eher neogotische Architektur, sondern der Entwurf der Gesamtanlagen, s. Owen, R., A Development... 1841, S. 37 ff u. Anhang. 42 Vgl. Owen, R., 3. Essay, A New View of Society, in: Cole, G. D. H., 1927, S. 43. 43 Owen, R., 3. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 304. 44 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 14; zur Frage des Bodeneigentums und der 38

C. Owens Konzept des Wohnungs- und Siedlungswesens

129

Bodenreformbewegung sowie die reformerische Ziele einbeziehende Gartenstadtbewegung 4 5 am Ende des 19. Jahrhunderts meist nicht auf Robert Owen selbst zurückgeführt w e r d e n 4 6 ; ohne den Pionier als Vorläufer allerdings sind sie kaum denkbar, wie Engelhardt zurecht b e m e r k t 4 7 . Nach Albers lassen sich Einflüsse pessimistischer K u l t u r k r i t i k i m Städtebau des 19. Jahrhunderts ebenso nachweisen, wie die F o r t w i r k u n g jener gesellschaftsreformerischen Gedanken, welche die »Utopisten 4 des 19. Jahrhunderts - vor allem Owen u n d Fourier

-

propagiert haben, auch wenn die bauliche Verwirklichung i m 20. Jahrhundert primär davon nicht bestimmt w i r d 4 8 .

dominierenden Macht des Großgrundbesitzes im 19. Jh. stellt Nell-Breuning fest, daß das private Bodeneigentum zum Symbol der gutbürgerlichen Gesellschaft wird. Zu dieser historischen Entwicklung konstatiert Nell-Breuning, „daß es nicht die Kirche war, die das Eigentum heilig gesprochen hat; selbst die Heiligsprechung durch die Französische Revolution bezog sich nicht auf das Eigentum, sondern immernhin auf das Eigentumsrecht; erst die liberale Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts hat sie auf das Eigentum selbst . . . übertragen, und bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts gibt es noch Gedankenlose, die es der Bourgeoisie von damals nachbeten", Nell-Breuning, O. v., Leitsätze, in: Zur Debatte, 1. Jg., Nr. 1/2, 1971, S. 1; auch Conradi, P./Dietrich, H./Hauff, V., Für ein soziales Bodenrecht, 3. A u a , Frankfurt/M. 1973, S. 22 ff u. 73 ff; zu den Arbeiterberufsvereinen s. Hirsch, M., Die Entwicklung der Arbeiterberufsvereine in Großbritannien und Deutschland, Berlin 1896. 45 Zur später in Deutschland einsetzenden Kleingartenbewegung, s. Witte, K., Entwicklung und wirtschaftliche Bedeutung des Kleingartenwesens, Diss. Münster 1939; auch o. V., Famüiengärten und andere Kleingartenbewegungen in ihrer Bedeutung für Stadt und Land, Berlin 1913. 46 s. dazu Heibig, H., Ländliche Siedlungsformen, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 260-267; auch Seraphim, H.-J., Siedlung: (I) Ländliche Siedlung, S. 238 ff. 47 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 33; s. auch Manega, R., Die Anlage von Arbeiterwohnungen, 2. Aufl., Weimar 1883, S. 2 ff, zu V. A. Hubers Einfluß auf Siedlungsreformen im Elsaß. 48 Vgl. Albers, G., Über das Wesen räumlicher Planung, in: Bauwelt, 60. Jg., 12./13. Heft, 1969, S. 11; Entsprechendes güt auch für Siedlungen der deutschen Jugendbewegung zu Anfang des 20. Jahrhunderts, in denen versucht wurde, nicht der Stadt als solcher zu entfliehen, vielmehr Lebensgemeinschaften und Siedlungsgenossenschaften aufzubauen, s. dazu Becker, G., Die Siedlung der deutschen Jugendbewegung, Diss. Köln 1929, S. 10; Fuchs, M., Probleme des Wirtschaftsstils von Lebensgemeinschaften, Göttingen \9Sl\Engelhardt, W. W., ebd. 9 Elsässer

Dritter Hauptteil

Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen Ein wichtiger Teil des Owenschen Denkens und Handelns ist der Beschäftigung mit genossenschaftlichen bzw. genossenschaftsartigen Fragestellungen gewidmet. Owens Konzeption der Produktivgenossenschaft sowie seine Ansätze zur Entwicklung der Konsumgenossenschaft finden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts große Beachtung. Es soll untersucht werden, inwieweit Owens persönliches Engagement und seine jahrzehntelange Agitation für die Institution ,Genossenschaft' Einfluß genommen hat auf das genossenschaftliche Verständnis im 20. Jahrhundert.

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis Eine Würdigung von Owens Beitrag zur Entstehung und Entwicklung des Genossenschaftswesens bedarf zunächst einer genossenschaftstheoretischen Einordnung sowie Abwägung. Es gilt, genossenschaftstheoretische Ansätze zu wählen, die geeignet sind, das Phänomen der Genossenschaftsentstehung in seiner Spezifität im frühen 19. Jahrhundert zu erfassen. Dies macht zunächst eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen in der Genossenschaftslehre erforderlich. Bei der Erörterung der Problematik der verschiedenen Lehrauffassungen schließt sich diese Arbeit den genossenschaftstheoretischen Überlegungen Engelhardts 1 an, da diese besonders geeignet erscheinen, das Phänomen der Genossenschaftsentstehung — auch in historischer Hinsicht — einer umfassenden Erklärung zuzuführen. Im Rahmen der genossenschaftstheoretischen Ansätze Engelhardts möchte der Verfasser die vorliegende Untersuchung eingeordnet wissen.

I. Relevanz des ideengeschichtlichen Hintergrunds Wül man die Genossenschaftsentstehung einer Erklärung zuführen, so läßt sich nach Engelhardt der „Wahrheitsgehalt des — zumindest anfangs — vorliegenden spezifischen genossenschaftlichen Handlungsansatzes" nicht mittels rein 1

s. Engelhardt,

W. W., Genossenschaftstheorie, in: Handwörterbuch des Genossen-

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis

131

ökonomischer Modelltheorien feststellen 2. Auch durch eine primär logische Analyse allein kann die Geltung der auf empirischen Gehalt abstellenden Aussagen nicht festgestellt werden. Erst eine Einbeziehung der historischen Fakten gibt Aufschluß über den Wahrheitsgehalt theoretischer Aussagen. Daher ist das Phänomen der Genossenschaftsentstehung auf empirisch-theoretischem Wege einer Erklärung zuzuführen 3. Die genossenschaftlichen und genossenschaftsartigen Bestrebungen sind an die damalige besondere historische Situation gebunden4. Die neuzeitliche Genossenschaft ist als Erscheinung in ihrer spezifischen Ausprägung weder zu anderen Zeiten noch unter anders gearteten gesellschaftlichen, wirtichaftlichen und politischen Umständen aufgetreten 5. An der historischen Erscheinung der Genossenschaftsentstehung interessiert von daher die Spezifität des Vorgangs 6. Allerdings reicht die bloße Existenz sozio-ökonomischer Verhältnisse, wie etwa Notlagen breiter Bevölkerungsschichten, Krisen und ähnliches, per se nicht aus, die Entstehung von Genossenschaften hinreichend zu erklären. Vielmehr gilt es, die außer-ökonomischen Faktoren, also auch die ideellen Einflüsse und Grundlagen, in eine genossenschaftstheoretische Untersuchung miteinzubeziehen7. Dabei teilt die Genossenschaftsbewegung in Hinblick auf die außerökonomischen Zielsetzungen manche Utopien der anderen sozialen Bewegungen8. Daher schaftswesens, hrsg. v. Ed. Mändle u. H.-W. Winter, Wiesbaden 1980, S. 812-838, insb. S. 835 ff; (für einen kurzen Überblick). 2 Engelhardt , W. W., Zur Frage der Betrachtungsweisen und eines geeigneten Bezugsrahmens der Genossenschaftsforschung, in: ZfgG, 27. Bd., 1977, S. 337-352, hier S. 347. 3 s. Engelhardt, W. W., Zur Frage der Betrachtungsweisen . . ., S. 342 ff. 4 s. Potter-Webb, B., Die britische Genossenschaftsbewegung, Leipzig 1893, S. 38 u. 44; Hasselmann, E., Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt/M. 1971, S. 10 ff, 13 ff u. 29 ff. 5 s. Engelhardt, W. W., Möglichkeiten und Evaluierung der Selbstorganisation - Thesen zu Fragen der Konsumgenossenschaften und des Konsumerismus, in: Verbraucherpolitik, Diskussionsbeiträge für das 3. Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftliche Kolloquium (WWK), 2. Bd., Wuppertal 1977, S. 287. 6 s. Brentano, D. v., Grundsätzliche Aspekte der Entstehung von Genossenschaften, Schriften zum Genossenschaftswesen und zur öffentlichen Wirtschaft, hrsg. v. W. W. Engelhardt/Th. Thiemeyer, Berlin 1980, S. 16 ff. 7 s. Engelhardt, W. W., Genossenschaften II: Geschichte, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (HdWW), Bd. 3, 1981, S. 557-571, hier S. 559; ders., Zwei Diskussionsbeiträge zu Fragen der Förderungsbilanzen, in: ZfgG, Bd. 31, Heft 3, 1981, S. 238; Patera, M., Genossenschaftliche Förderbilanz, theoretische Grundlagen - praktische Durchführung, in: ZfgG, Bd. 31, Heft 3,1981, S. 212 ff. 8 Mit der Behauptung, das moderne Genossenschaftswesen sei ein Teil der sozialen Bewegung, setzt sich Grünfeld von der v. Gierke vertretenen Auffassung ab, daß alle Formen von Genossenschaften in der Menschheitsgeschichte ein einheitliches Gefüge darstellen; zur Kontroverse um den Ursprung des modernen Genossenschaftswesens s. Grünfeld, E., Die geistigen Wurzeln des Genossenschaftswesens, in: Das Genossenschaftswesen, volkswirtschaftlich und soziologisch betrachtet, Halberstadt 1928, S. 51-97;Engelhardt, W. W., Zur Frage der Betrachtungsweisen . . . , S. 341; ders., Genossenschaftstheorie, S. 812 ff; ders. Genossenschaften II: Geschichte, HdWW, S. 557 ff; Müller, J. O., Voraussetzun9*

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

ist es auch angebracht, diese als ideengeschichtlichen Hintergrund für die Analyse der Entstehungsbedingungen der Genossenschaften zu berücksichtigen. Grünfeld bezeichnet diese Utopien als ,geistige Wurzeln' 9 . Er untersucht den ,Humantitätsgedanken', die ,Idee der Gemeinwirtschaft' sowie die Jdee der christlichen Sozialreform'. Faust fügt dieser Reihe die liberale Idee' hinzu 1 0 .

II. Empirische Genossenschaftstheorie geschichtsbezogener Art In einer empirisch-theoretischen Genossenschaftsanalyse geschichtsbezogener A r t 1 1 geht es um die Fragestellung nach den Bedingungen, unter denen Genossenschaften im rechtlichen und wirtschaftlichen Sinne sowie ihnen ähnliche Formen der Kooperation entstehen 12 : welche objektiven und subjektiven Faktoren eine genossenschaftliche Selbstorganisation bewirken oder als private und staatliche Fremdhilfen den genossenschaftlichen Entstehungsprozeß unterstützen 13 . Desweiteren gilt es einzubeziehen, inwieweit objektive und subjektive Determinanten die Entwicklung und den „funktionell-strukturellen Wandel einmal gegründeter Kooperativen gegebenenfalls auch ihre grundlegende Transformation" 14 bestimmen. Diese Überlegungen implizieren genossenschaftliche Entstehungs- und Entwicklungshypothesen, die aber von Entwicklungsgesetzen zu unterscheiden sind. Die Probleme einer genossenschaftlichen Ideen- und Realgeschichte lassen sich im Sinne Engelhardts 15 vorzugsweise von drei Ansatzpunkten her umfassend erschließen, wie nachfolgend beschrieben wird. Diese Vorgehensweise in Anlehnung an Engelhardt erscheint dazu geeignet, genossenschaftlich-geschichtliche Fragestellungen zugleich auch einer allgegen . . S . 1 ff; Hasselmann, E., Geschichte der . . ., S. 8 ff;Back, J. M., Genossenschaftsgeschichte, in: Handwörterbuch der BWL 2, 3. Aufl., Stuttgart 1958, Spalte 2191 ff. 9 Vgl. Grünfeld, E., Die geistigen Wurzeln des Genossenschaftswesens, S. 51 ff; zu einer Einordnung der Stellung der ,Utopie' in der Geschichte s. auch Jaspers, K., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, (Ungek. Neuausg.) München 1949, S. 265 f. 10 Vgl. Faust, H., Geschichte der Genossenschaftsbewegung, Ursprung und Weg der Genossenschaften im deutschen Sprachraum, Frankfurt/M. 1965, S. 34 ff; s. auch Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 557 ff. 11 Vgl. die jüngere Arbeit von Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 558 f, für die folgenden Darlegungen; s. auch Hoppe, M., Die klassische und neoklassische Theorie der Genossenschaften, Berlin 1976. 12 Vgl. ders., ebd; ders., Aufgabenwandel bei gemeinwirtschaftlichen und anderen Genossenschaften, Manuskript Berlin/Köln 1981 (für Arbeitskreis öffentliche Ausgaben öffentlicher Unternehmen), S. 3 f. 13 s. Fürstenberg, Fr., Ansatzpunkte einer Soziologie des Genossenschaftswesens, in: Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, Festschrift für G. Draheim, hrsg. v. G. Weisser, Göttingen 1968, S. 42-51. 14 s. Engelhardt, W. W., Der Funktionswandel der Genossenschaften in industrialisierten Marktwirtschaften, Berlin 1971. 15 s. Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 557 ff.

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis

133

meinen theoretischen Behandlung zuzuführen und somit eine zeitlich-räumliche Einschränkung der wissenschaftlichen Behandlung und Theorie, wie sie oftmals bei bloßen Historisierungen 16 zu beobachten ist, zu überwinden. 1. Utopie-Konzeptions-Ansatz Als Ausgangspunkt einer Ideengeschichte ist insbesondere für die Genossenschaftsforschung der Utopie-Konzeptions-Ansatz von Engelhardt 17 herausgearbeitet worden 18 . Dies setzt zunächst einige Erklärungen und Definitionen im Zusammenhang mit dem hier verwendeten Utopiebegriff voraus. Der Terminus ,Utopie' dient zur Betonung der subjektiven Position personaler Ansätze, entgegen dem populären Sprachgebrauch, welcher Utopien uferlosen Phantasmagorien gleichsetzt 19 . Utopien sind nach Engelhardt hauptsächlich nichtessentialistische Sinnorientierungen, da der Utopist nicht den finalen, wahren Sinn menschlichen Lebens eruieren will, seine subjektiven Sinngebungen vielmehr ,Glaubenselemente' und nicht ,Glaubensaussagen' sind 20 . Engelhardt unterscheidet unter anderem die Utopiearten ,Leitbild' und ,Weltbild'. Von Interesse ist hier die Utopieart ,Leitbild'. Leitbilder sind selektionierende Utopien. Der Utopist sondiert beim Imaginieren einer Utopie Gedankenkeime sub-rational oft so, daß davon ausgehend später klarbewußtes Handeln möglich wird 2 1 . Selektionierende Utopien im Sinne Poppers sind Gestalten und nicht Ganzheiten 22 . Während Verfechter von Ganzheiten Unmögliches erreichen wollen 2 3 , erstreben Utopisten mit selektionierenden Utopien ein schrittweises Vorgehen. Für die Utopieart ,Leitbild' gilt daher, daß sie den Anfang, nicht aber ein Fernziel betrifft. Leitbilder definiert Engelhardt als „Gestaltstrukturen, die . . . vorhandene Realität von subjektiven Ausgangspunkten her gläubig transzendieren und bei Vermeidung von Aussagen über Transzendenzen diesseitige Ver16 Zur Problematik des Verhältnisses von Geschichtswissenschaft zu systematischer Sozialwissenschaft, s. Brentano, D. v., Grundsätzliche Aspekte . . . , S. 16 ff. 17 s. Engelhardt, W. W., Utopie und Genossenschaft, Die Entstehung gesellschaftlicher Gefüge und Konzeptionen unter dem Einfluß von Leitbildern, unveröffentlichte Habilitationsschrift, vorgelegt der Hohen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Köln 1968. 18 s. ders., Genossenschaften II, (HdWW), ebd. 19 Vgl. Engelhardt, W. W., Utopien im Verhältnis zu Ideologien und politischen Konzeptionen, zur kritischen Reflektion einiger Grundbegriffe der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, in: Die Mitarbeit, Zeitschrift zur Gesellschafts- und Kulturpolitik, 22. Jg., Heft 2, 1973, S. 108. 20 Vgl. ders., ebd. 21 Vgl. Engelhardt, W. W., Zum Verhältnis von sozialen Utopien und politischen Konzeptionen, in: Sozialer Fortschritt, 29. Jg., Heft 1 - 3 , S. 1 ff\Mannheim, K., Ideologie und Utopie, 4. Aufl., Frankfurt/M. 1965, S. 169 ff. 22 Vgl. Popper, K. R., Das Elend des Historismus, Tübingen 1965, S. 61 ff. 23 Vgl. Popper, K. R., Das Elend . . . , S. 64.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

änderungen der Realität im dynamischen Prozeß zu organisieren beginnen" 24 . „Leitbilder . . . sind historische Gegebenheiten geistig-psychisch-sprachlicher Art und als solche änder- und ersetzbar." 25 Merkmale von Leitbildern sind Motive, Einstellungen, Glaube an das innere und äußere Fortschreiten von Menschen, Wille zur Veränderung und anderes 26. Leitbilder können unterteilt werden in ,Haltungsleitbilder 4 (Persönlichkeitsbilder) und in ,Ordnungsleitbilder' 27. Themarelevant sind ,Ordnungsleitbilder'. Sie befähigen den Leitbildinhaber „zur Gestaltung . . . von Organisationen usw. gemäß den von ihnen (Inhabern) ausstrahlenden Intentionen" 2 8 . Eine Weiterentwicklung der selektionierenden Utopien sind die Konzeptionen. Konzeptionen sind verhaltensbestimmende Faktoren rationaler A r t 2 9 , die sich von Utopien dadurch unterscheiden, daß sie nicht in der subjektiven Perspektive verharren 30 . Sie werden vielmehr von der Wissenschaft und in der (für die) Praxis erarbeitet. Eine Konzeption ist rational, wenn sie widerspruchsfrei ist, das heißt keine sich ausschließenden Ziele, Grundsätze und Methoden enthält 3 1 . Dabei müssen Inhalt und Richtung von Utopie und Konzeption nicht unbedingt korrelieren 32 . Einige Genossenschaftspioniere und -Wegbereiter muß man als Träger solcher Konzeptionen, die sich aus Utopien herauskristallisiert haben, sehen 33 . Zur Bedeutung des Einflusses von Utopien und Konzeptionen auf die Genossenschaftsentstehung kann man in Anlehnung an die ,Idealfaktorenhypothese' von Weuster 34 sagen, daß „technische und soziale Änderungen . . . durch autonome geistig-psychisch-sprachliche Gegebenheiten eingeleitet und beeinflußt 24

Engelhardt, W. W., Utopie und Genossenschaft..., S. 142 f. Engelhardt, W. W., Unternehmerleitbilder - Formalisierbarkeit und gesellschaftspolitische Bedeutung, in: Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen, Jahrbuch für nichterwerbswirtschaftliche Betriebe und Organisationen (Nonprofits), Bd. 11, hrsg. v. H. Cox, W. W. Engelhardt u.a., Göttingen 1979, S. 22. 26 Zu den Merkmalen von Leitbildern s. Engelhardt, W. W., Utopie und Genossenschaft.. .,S. 134, 137 u. 162. 27 Vgl. Engelhardt, W. W., S. 132. 28 Engelhardt, W. W.,S. 149. 29 Vgl. ders., S. 6. 30 s. Engelhardt, W. W., Die Bedeutung von Utopien . . . , S. 172. 31 Vgl. Giersch, H., Allgemeine Wirtschaftspolitik, Bd. 1, Grundlagen, Wiesbaden 1960, S. 135. 32 Vgl. Mannheim, K., Ideologie und Utopie, S. 227 ff;Engelhardt, W. W., Die Bedeutung . . .,S. 170. 33 s. Engelhardt, W. W., S. 172 f; zur Bedeutung der Utopie in der Geistesgeschichte s. auch Buber, M., Pfade in Utopia, Heidelberg 1950, S. 19 ff; Weuster, A., Theorie der Konsumgenossenschaftsentwicklung, S. 35 ff; Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW),S. 558. 34 Die ,Idealfaktorenhypothese 4 basiert auf Engelhardts Hypothese der Entstehung und Entwicklung sozialer Bewegungen aus Utopien, vgl. Engelhardt, W. W., Die Bedeutung . . ., S. 171; Weuster, A., Theorie der Konsumgenosserischaftsentwicklung, S. 35 ff. 25

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis

135

werden" 3 5 . Am Anfang einer jeden sozialen Änderung stehen einzelne Utopisten, welche ihre Gedankenkeime bis zur ersten, einfachen Praktizierbarkeit entwickeln und eventuell in die Realität umsetzen 36 . Das in der Genossenschaftsentstehung veränderte und verändernde Handeln, Denken und Fühlen entwickelt sich aufgrund der Utopien, insbesondere der Leitbilder der Genossenschaftspioniere und -Wegbereiter 37. Vor diesem Hintergrund gilt es später, Owens Leitbilder und Konzeptionen sowie sein Wirken als ideeller Vorläufer des modernen Genossenschaftswesens aufzuzeigen. 2. Mitglieder-Lebenslage-Ansatz Eine bloße Rekonstruktion von Leitbildern und der einzelnen Motive derselben ist aber unzureichend für die Erklärung der Entstehung der Genossenschaften. Ein Leitbild wird gesellschaftlich nur bei einer verbreitet vorhandenen Notlage wirtschaftlich-sozialer Art wirksam, in die eine Gruppe von Menschen mit bestimmten Interessen gekommen sein muß 3 8 . Die spezifische äußere und auch innere Not der potentiellen Genossenschaftsmitglieder gilt es, in Lebenslageanalysen zu erfassen 39. Diese Lebenslagen auch gesellschaftlich-kulturell schwacher oder gefährdeter Personenmehrheiten oder Gruppen gilt es, möglichst erschöpfend nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu typisieren und zu erklären 4 0 . Von daher ist es gerechtfertigt, Lebenslage-Analysen in einem MitgliederLebenslage-Ansatz als „Fundament der genossenschaftlichen Realgeschichte" zu berücksichtigen 41. Zum Verhältnis von Lebenslage und Utopie ist zubeachten, daß ein Leitbild keineswegs nur als ein ,Reflex' der Lebenslage sozial-wirtschaftlich schwacher Menschen zu sehen ist oder auch nur als,Vehicle' zur Änderung dieser Situation, wie oftmals unterstellt wird 4 2 . Es impliziert jeweils mehr, leitet vor allem trotz seines Utopiecharakters Handeln unmittelbar ein 4 3 . Das heißt, daß Lebens35

Weuster , A., Theorie der Konsumgenossenschaftsentwicklung . . S . 35. Vgl. ders., ebd. 37 Vgl. ders., S. 36; s. auch Elsässer, M., Die Rochdaler Pioniere, Religiöse Einflüsse in ihrer Bedeutung für die Entstehung der Rochdaler Pioniergenossenschaft von 1844, Schriften zum Genossenschaftswesen und zur öffentlichen Wirtschaft, hrsg. v. W. W. Engelhardt/ Th. Thiemeyer, Bd. 5, Berlin 1982, S. 31 ff. 38 s. Engelhardt , W. W., Genossenschaftstheorie, S. 835 ff. 39 Lebenslagedefinition in Anlehnung an Weisser: „Spielraum, den die äußeren Umstände dem Menschen für die Erfüllung der Grundanliegen bieten, die er bei unbehinderter und gründlicher Selbstbesinnung als für den Sinn seines Lebens ansieht", Weisser, G., Art. Distribution (II) Politik, in: HdSW, 2. Bd., Göttingen 1959, S. 635. 40 Vgl. Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 557 ff. 41 Vgl. ders, S. 558. 42 Vgl. ders, Genossenschaftstheorie . . . , S. 835 ff. 43 Vgl. ders, ebd. 36

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

lageumstände als ,objektive Bedingungen4 der Genossenschaftsentstehung erst über »subjektive Voraussetzungen', wie etwa Erwartungen, Incentives 44 , Beweggründe 45 und Attitüden sowie Kooperativneigungen 46 wahrgenommen werden 47 . Auch Weuster stellt fest, daß die Utopien der Genossenschafter nicht aus deren Lebenslageumständen deduzierbar seien 48 . Eine Verbindung zwischen seiner Idealfaktorenhypothese und der Lebenslageanalyse sieht er auch deshalb als widerspruchsfrei, weil er zwischen den herausragenden Utopisten einerseits und den einfachen Genossenschaftsmitgliedern unterscheidet 49 . Erstere überschreiten in ihren genossenschaftlichen Vorschlägen oft ihren eigenen Interessenkreis, während in den Utopien — und eventuell Konzeptionen — der letzteren in der Regel eine Beschränkung auf ihre weitgehend von ihren Lebenslageumständen abhängigen Interessen vorliegt. Die zugrunde gelegte Interessenorientierung der Mitglieder ist allerdings von den Nutzenkalkülen neoklassischer Art zu unterscheiden50. Diese Pionierleitbilder können notleidende Menschengruppen aus Teilnahmslosigkeit und aus Perspektivlosigkeit mobilisieren 51 . Weippert formuliert, die Genossenschaften seien als „schöpferischer Widerspruch" 52 entstanden. Allerdings ist ein Leitbild sehr bald unzureichend für die Entwicklung von Genossenschaften, sofern es nicht zu einer Konzeption ausgebaut wird. Deshalb ist, wie Engelhardt feststellt, in Entstehungshypothesen einer empirischen Genossenschaftstheorie auf die Determinanten der Utopien, Konzeptionen und der äußeren wie inneren Merkmale der Lebenslage gleichermaßen Bezug zu nehmen 53 . 3. Entstehungs-Entwicklungs-Ansatz In diesem Zusammenhang sind im Rahmen einer Wirkungsanalyse die persönlich und institutionell gewollt eingetretenen sowie unbewußt erreichten Effekte 54 von Genossenschaftsgründungen umfassend und detailliert zu erfor44 45 46 47 48 49 50

Vgl. Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), ebd. s. Finis, B., Wirtschaftliche . . . , S. 21 ff. Vgl. Engelhardt, W. W., ebd; Brentano, D. v., Grundsätzliche Aspekte . . ., S. 181 ff. s. Draheim, G., Die Genossenschaft als Unternehmenstyp, Göttingen 1952, S. 23 ff. Vgl. Weuster, A., Theorie . . . , S. 395. Vgl. ders., ebd. Vgl. ders., ebd; Opp, K.-D., Soziales Handeln, Rollen und soziale Systeme, Stuttgart

1970. 51 s. Ziegenfuss, W., Die genossenschaftliche Wirtschaftsreform, Stuttgart/Berlin 1939, S. 3; Fritz, G., Die kollektiven Reaktionen bei bedeutenden sozialen Störungen, betrachtet vom Standpunkt der Schichten- und Umwelttheorie, Diss. Mannheim 1951; Weippert, G., Jenseits von Individualismus und Kollektivismus, Studien zum gegenwärtigen Zeitalter, Düsseldorf 1964, S. 230\Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 65 u. 72. 52 Weippert, G., Genossenschaftswesen und soziale Marktwirtschaft, in: ZfgG, Bd. 1, 1950, S. 29. 53 Vgl. Engelhardt, Genossenschaftstheorie, S. 835 ff.

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis

137

sehen 55 . Unter Einsatz verschiedener Methoden kann dies differenzierend geschehen, zum Beispiel nach Einflüssen auf die Person der Genossenschaftsgründer oder Mitgliedergruppen sowie auf Genossenschaftsbetriebe, -gruppen und Genossenschaftssektoren selbst 56 . Neben Mikroeffekten und solchen auf intermediären Strukturen gilt es, etwaige Makroauswirkungen zu berücksichtigen. Diese können gesamtwirtschaftlicher, gesamtgesellschaftlicher und allgemeinkultureller Art sein 57 . Von diesem Ansatzpunkt her lassen sich, wie Engelhardt feststellt 58 , Genossenschaften auch unter Gesichtspunkten des Wachstums und der Konzentration, der ,genossenschaftsadäquaten' Wandlung und funktionsverändernden Entwicklung 59 sowie auch der strukturverändernden Transformation genossenschaftlicher Gefüge untersuchen. Dem Entstehungs-EntwicklungsAnsatz kommt daher im Rahmen einer empirischen Genossenschaftstheorie als „Hauptgegenstand der genossenschaftlichen Raigeschichte" 60 eine besondere Bedeutung zu.

III. Historischer Materialismus Im Gegensatz zur oben beschriebenen empirischen Genossenschaftstheorie Engelhardts werden in der Literatur häufig die allgemeinen sozio-ökonomischen Verhältnisse als ausschlaggebende Faktoren zur Gründung von Genossenschaften betrachtet. Diese Interpretation ist insbesondere charakteristisch für die Vertreter des historischen Materialismus 61. Danach prägen ökonomische Faktoren primär die Gestalt der Aktionen sozialer Gruppen und Klassen, allerdings nicht nur in der existentiellen Weise, daß „der Mensch vom Brot alleine l e b t " 6 2 , sondern weil in der gesellschaftlichen Lebensform des Menschen — seine Erziehung, seine Gewohnheiten und Wertungen sowie Beziehungen zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft — von der Art seines Unterhaltes abhängen63. Marx 54 s. Fürstenberg, Fr., Genossenschaften, Soziologische Merkmale, in: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980, S. 677-687, z.B. Genossenschaftsgeist. 55 Vgl. Engelhardt , W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 558. 56 Vgl. ders., ebd. 57 s. Fürstenberg, F r , Ansatzpunkte . . . , S. 42-51. 58 Vgl. Engelhardt, W. W , ebd. 59 s. Engelhardt, W. W , Der Funktionswandel... 60 Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 558. 61 s. dazu Hirschberger, J , Geschichte der Philosophie, II. Teil, Neuzeit und Gegenwart, 3. Aufl., Freiburg 1958, S. 424-449, insb. S. 430 f; weiterhin auch Kautsky, K , Die materialistische Geschichtsauffassung, 1. Bd., Natur und Gesellschaft, Berlin 1927, S. 12 ff; Weiss, A. v . Die Diskussion über den historischen Materialismus in der deutschen Sozialdemokratie, Wiesbaden 1965, S. 42 ff u. 72 ff; Pelletier, A./Goblot, J.-J, Matérialisme Historique et Histoire des Civilisations, Paris 1969, S. 9 ff. 62 Dobb, M , Organisierter Kapitalismus, 5 Beiträge zur politischen Ökonomie, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1973, S. 67. 63 Vgl. ders, ebd.

138

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

erklärt dazu, daß jede Gesellschaft oder geschichtliche Periode vornehmlich von ihrer .Produktionsweise' bestimmt wird 6 4 . Dieser Begriff richtet sich nicht so sehr auf die Produktionstechnik im engeren Sinne, umfaßt vielmehr die Kategorien »Produktivkräfte' und »gesellschaftliche Produktionsverhältnisse' 65. Das Marx'sche Verständnis des historischen Materialismus begreift die Gegensätze zwischen Menschen, die aus antagonistischen Produktionsverhältnissen entstehen, als hauptsächliche Triebkraft der Geschichte 66 . Der sittliche, ideelle und politische Überbau der Gesellschaft wird lediglich als ein JReflex' ihrer ökonomischen Basis aufgefaßt. Engels betont zwar in einem Schreiben an Mehring, daß den ideologischen Sphären, die in der Geschichte eine Rolle spielen, zwar eine selbständige historische Entwicklung, nicht aber jede historische Wirksamkeit abzusprechen sei 67 . An anderer Stelle konstatiert er aber eindeutig, daß nach materialistischer Geschichtsauffassung das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens sei 68 . Demgegenüber stellt Hegel fest: „ . . . daß jede Stufe (in der Entwicklung der Weltgeschichte) als verschieden von der andern ihr bestimmtes eigentümliches Prinzip hat. Solches Prinzip ist in der Geschichte Bestimmtheit des Geistes . . . das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit." 69 Gerade die Auseinandersetzung mit Robert Owens Beiträgen zur Durchsetzung genossenschaftlicher Vorstellungen wird im folgenden zeigen, daß Geschichte durchaus auch in Begriffen der Selbstentfaltung von Ideen zu interpretieren ist 7 0 . Antithetisch zur Anschauung des historischen Materialismus gilt es, Leitbilder und konzeptionelle Entwürfe als selbständigen Bestandteil und Ausgangspunkt einer empirischen Genossenschaftstheorie herauszuarbeiten. Robert Owens ideelle Anstöße und ideelle Wirkung in so grundverschieden gesellschaftlichen Räumen wie Großbritannien und USA im frühen 19. Jahrhundert, vor allem aber auch seine nachhaltige ideelle Einflußnahme auf das 20. Jahrhundert der modernen Indu64 s. Marx, K./Engels, Fr., Die deutsche Ideologie, Berlin 1960, S. 16\Fetscher, I., Art.: Marx: (II) Historischer Materialismus, in: HdSW, 7. Bd., 1961, S. 188-197. 65 Vgl. Dobb, M., S. 70. 66 s. Kautsky, K., Die materialistische Geschichtsauffassung . . . , S. 12 ff;Kumpmann, W., Franz Mehring als Vertreter des historischen Materialismus, Wiesbaden 1966, S. 92 ff; Dobb, M., ebd. 67 Vgl. Engels an Mehring (14. Juli 1893) in: Marx, K.¡Engels, Fr., Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 550 f; auch Kumpmann, W., ebd. 68 Vgl. Engels an J. Bloch (21./22. September 1890) in: Marx, K./Engels, Fr., Ausgewählte Briefe . . . , S. 502;Khella, K., Dialektischer . . . , S. 39 ff. 69 Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1961, S. 118. 70 s. III. Hauptteil, B. dieser Arbeit.

A. Genossenschaftstheorie und historisches Verständnis

139

striegesellschaften, heißt es, als bleibendes und geschichtsgestaltendes Gut zu würdigen, wenn auch nicht als absolutes Gut im Hegeischen Sinne.

IV. Auseinandersetzung mit einer entscheidungslogischen Theorie In der heutigen Genossenschaftsforschung überwiegt die Analyse genossenschaftlicher Fragestellungen im Rahmen einer entscheidungslogischen wirtschaftswissenschaftlichen Theorie 71 . Sie erstrebt primär analytische oder synthetische Gesetzesaussagen, die mittels dem spieltheoretischen Erkenntnisideal 72 oder dem nomothetisch naturwissenschaftlichen Paradigma verpflichteten Positionen gewonnen werden 73 . Insbesondere die Vertreter der Münsteraner Schule - um Boettcher - fassen die Genossenschaftstheorie im Rahmen der Kooperationsanalyse als eine Weiterführung der Theorie individuellen ökonomischen Verhaltens auf 7 4 . Sie lehnen in diesem Zusammenhang die Denkfigur des ,homo cooperativus' 75 ab und wenden die Denkfigur des ,homo oeconomicus' auf die Analyse der Genossenschaften an. Die Wirtschaftssubjekte werden als rational handelnde Individuen gedacht, die sich entsprechend einer Nutzenmaximierungshypothese im Wirtschaftsleben verhalten. Die Autoren der Münsteraner Schule stützen sich bei der Entwicklung ihrer Auffassungen nicht nur auf die Annahmen der neoklassischen Wirtschaftstheorie, sondern auch auf die Theorienansätze der ökonomischen Theorie der Politik bzw. der Logik kollektiven Handelns im Sinne Olsons 76 . Für die Entwicklung einer Theorie der Entstehung von Genossenschaften ist der von den Münsteranern gewählte Ansatz wenig hilfreich 77 , denn er geht bei 71

Vgl. Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 557. s.Morgenstern, O , Spieltheorie, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 706-713. 73 Vgl. Engelhardt, W. W , ebd. 74 s. Boettcher, E., Kooperation und Demokratie in der Wirtschaft, Schriften zur Kooperationsforschung, A. Studien, Bd. 10, Tübingen 1974, S. 49\ Eschenburg, R , Die ökonomische Theorie der genossenschaftlichen Zusammenarbeit, Schriften zur Kooperationsforschung, A. Studien, Bd. 1, Tübingen 1971, S. 12 ff. 75 Zum Begriff ,homo cooperativus' s. Draheim, G., Die Genossenschaft als Unternehmenstyp, Göttingen 1952, S. 48; Seraphim, H.-J, Die genossenschaftliche Gesinnung und das moderne Genossenschaftswesen, Vorträge und Aufsätze des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster, Heft 6, Karlsruhe 1956, S. 44. 76 s. dazu Engelhardt, W. W , Genossenschaftstheorie, S. 835 ff; Olson, M. j r . Die Logik des kollektiven Handelns, Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, Tübingen 1968, s. auch Boettcher, E , Kooperation und Demokratie . . ., S. 49; Eschenburg, R , Die ökonomische Theorie . . . , S. 12 f; Wagner, H , Planung und Entscheidung, in: Führungsprobleme in Genossenschaften, hrsg. v. E. Boettcher, Tübingen 1977, S. 69-90. 77 s. Engelhardt, W. W., Entscheidungslogische und empirisch-theoretische Kooperationsanalyse, in: WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 3, März 1978, S. 104110, insb. S. 109; ders, Geschichte und Grundlagen mittelständischer Genossenschaften als Ansatzpunkte theoretischer Kooperationsanalyse, in: ZfgG, Bd. 26, Heft 4, 1976, S. 285-301. 72

140

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

seiner Analyse von der Annahme der Großgruppe aus 78 . Mit diesem Ansatz kann es nicht gelingen, die Entstehungsbedingungen von Genossenschaften im 19. Jahrhundert adäquat zu erfassen, weil die Gründung von Genossenschaften sich im Bereich von Kleingruppen abspielt 79 . Eschenburg, ein Vertreter der Münsteraner Schule, nennt zwei Bedingungen für die Entstehung von Genossenschaften: Die ökonomische Vorteilhaftigkeit für das einzelne Mitglied und die Existenz von Gründerpersönlichkeiten 80. Er stellt damit Grundsätze auf, die durch Zweckrationalität gekennzeichnet81 und nicht etwa Ausdruck einer spezifischen genossenschaftlichen Gesinnung sind. Gerade für die Entstehung von Genossenschaften im 19. Jahrhundert scheinen aber obige Annahmen nicht zuzutreffen. Die Genossenschaftspioniere handeln keineswegs rein individualistisch. Sie sehen die Genossenschaften auch nicht als gesinnungsneutrale Gebilde, wie noch bei Owen aufzuzeigen sein wird 8 2 . Entgegen Boettcher und seinem Münsteraner Kreis ist in einer sozio-ökonomischen Genossenschaftstheorie empirischer Art gerade die Verhaltensschicht rationaler Ziele, Beweggründe und Anreize noch zu hinterfragen 83 . Als Grundlagen sinnorientierten menschlichen Handelns, das genossenschaftliches Handeln hervorruft, lassen sich, wie oben dargelegt, dann individuelle Utopien vom Typus des Leitbildes für die Gründung von Genossenschaften feststellen 84. Nur so kann es gelingen, methodologisch-individualistische Ansätze einer Genossenschaftsanalyse wahrzunehmen, welche sich auch durch kontextuelle Situationsforschungen ergänzen lassen85.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft Innerhalb der Bearbeitung genossenschaftlicher Themenkomplexe nimmt die Produktivgenossenschaft 1 bei Owen eine zentrale Stellung ein. Der Termi78 Vgl. Eschenburg, R., Die ökonomische Theorie . . ., S. 57 ff;Boettcher, E., Kooperation und Demokratie . . . , S. 21 ff. 79 Vgl. Engelhardt, W. W., Geschichte und Grundlagen . . ., S. 293. 80 Vgl. Eschenburg, R., Die ökonomische Theorie . . ., S. 67 ff. 81 Daß es keinen wertneutralen, quasi-objektiven Zugang zur Genossenschaftstheorie geben kann, betont u.a. Patera, M., Anregungen zur Genossenschaftspolitik auf der Grundlage genossenschaftlicher Charakteristika, in: ZfgG, Bd. 30, (1980), S. 230 ff; ders., Genossenschaftliche Förderbilanz . . ., S. 213. 82 s. hierzu Engelhardt, W. W., Zur Frage der Betrachtungsweisen . . ., S. 347 f; ders., Geschichte und Grundlagen . . ., S. 294 f und 299 f;Müller, J. O., Voraussetzungen S. 75 ff; Weuster, A., Theorie der Konsumgenossenschaftsentwicklung, S. 35 ff. 83 Im Rahmen einer historischen Erklärung müssen daher auch die individuellen Ziele, und nicht nur typisierte Ziele - wie von den Münsteranern postuliert - , berücksichtigt werden. 84 Vgl. Engelhardt, W. W., Genossenschaftstheorie, S. 835 ff. 85 Vgl. Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 557. 1 Synonyme Termini: Voll-, Vollproduktivgenossenschaft, Kooperationsfabrik, Arbeiterassoziation, oft auch fälschlicherweise Produktionsgenossenschaft.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

141

nus ,Produktivgenossenschaft' ist nach Engelhardt folgendermaßen zu verstehen: „ . . . solche freiwillig gebildeten Gruppenunternehmen . . a n denen die Genossenschaftsmitglieder durch Aufbringung von Kapitalbeträgen und durch demokratisch geordnete Mitwirkung an den Dispositionen beteiligt sind, in deren Betrieben sie aber auch alle ausführende Arbeit verrichten, deren Resultate die wirtschaftlichen Fundamente für ihre gemeinsame Selbständigkeit und zum Teil auch für gemeinschaftliches Gruppenleben in zugehörigen Haushaltungen schaffen." 2 Mit Charles Gide läßt sich auch sagen: Unternehmen, in denen jeder Beschäftigte Teilhaber und jeder Teilhaber beschäftigt ist 3 (Identitätsprinzip). Ausschlaggebend ist nicht die Absicht der Mitglieder, mehr Wohlstand zu erreichen, sondern Entfremdungseffekte rückgängig zu machen bzw. zu beseitigen. In erster Linie geht es bei der Produktivgenossenschaft darum, „den Mitgliedern auf demokratische Weise zusammen Selbständigkeit im Wirtschaftsleben, d.h. in autonomen Gebilden (Unternehmen) Unabhängigkeit, zu verschaffen" 4 . Die wirtschaftliche Tätigkeit in der Produktivgenossenschaft ist nur dann sinnvoll, wenn das Merkmal der gemeinsamen Selbständigkeit der Mitglieder gewährleistet wird 5 . Es ist dabei ohne Belang, ob die hinter der außerökonomischen Zielsetzung der Unabhängigkeit und Gemeinschaft stehenden Interessen der Mitglieder religiösen, weltanschaulichen, sozialreformerischen oder anderen Beweggründen entspringen 6. Die Sonderform der Produktivgenossenschaft, die Siedlungsgenossenschaft 7, unterscheidet sich von der gewerblichen Produktivgenossenschaft insoweit, als sie Erzeugungs- und Haushaltsfunktionen gegenüber bloßen Beschaffungs- und Verwertungsfunktionen ausübt8. 2

Engelhardt, W. W., Prinzipielle und aktuelle Aspekte der Produktivgenossenschaften, in: Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung, hrsg. v. F. Karrenberg/H. Albert, Berlin 1963, S. 439. 3 Vgl. Fuchs, H., Der Begriff der Produktivgenossenschaft und ihre Ideologie, Diss. Köln 1927, S. 25. 4 Engelhardt, W. W., ebd. 5 Vgl. Albrecht, G., Produktivgenossenschaften, in: Zur Reform des Genossenschaftsrechts, 3. Bd., Bonn 1959, S. 347; s. auch Fuchs, H., Der Begriff . . ., S. 8 ff u. S. 34;Engelhardt, W. W., Prinzipielle . . ., S. 440 f. 6 Zur Beweggrund-Problematik s. Finis, B., Wirtschaftliche . . . 7 s. Oppenheimer, Fr., Die Siedlungsgenossenschaft, Versuch einer positiven Überwindung des Kommunismus durch Lösung des Genossenschaftsproblems und der Agrarfrage, Leipzig 1896; Totomianz, V., Einführung in das Genossenschaftswesen, Halberstadt 1925 (als Überblick); Engelhardt, W. W., Theoretische und praktische Probleme der Vollgenossemchaften, in: Archiv für öffentliche und freigemeinwirtschaftliche Unternehmen, Bd. 3, Göttingen 1957, S. 23-38. 8 Vgl. Engelhardt, W. W., Prinzipielle . . ., S. 440; zur Produktivgenossenschaft s. auch Weil, H., Die gewerblichen Produktivgenossenschaften in Deutschland, München 1913; Bruns, D., Zur Problematik industrieller Produktivgenossenschaften, in: Archiv für öffentliche und freigemeinwirtschaftliche Unternehmen, Bd. 2, hrsg. v. G. Weisser, Göttingen 1955/56, S. 323-330; Albrecht, G., Produktivgenossenschaften, in: Zur Reform des Genossenschaftsrechts, 3. Bd., Bonn 1959, S. 309-368\Diederichs, E. H., Produktivgenossenschaften, S. 369-396; Wieser, Fr. v., Großbetrieb und Produktivgenossenschaft, in: Ge-

142

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Im folgenden gilt es, zum einen Owens theoretischen konzeptionellen Entwurf, zum anderen sein praktisches realvollzogenes Wirken im siedlungsgenossenschaftlichen Bereich zu untersuchen und voneinander abzugrenzen.

I. Owens Modell genossenschaftlicher Siedlungen Robert Owen entwickelt erste Ansätze der Konzeption produktivgenossenschaftlicher Siedlungen im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Überwindung der wirtschaftlichen Depression und Arbeitslosigkeit (1815) sowie der veralteten Armengesetzgebung9. Ausschlaggebend ist dabei die schon 1817 von ihm vertretene Auffassung, daß sich der Prozeß der Industrialisierung unaufhaltsam fortsetzen wird 1 0 . Nicht zuletzt diese Auffassung läßt Owen ,Rückzugserscheinungen', wie Apathie, Auswanderung oder gar Ludditentum 11 ungeeignet erscheinen, gesellschafts- und wirtschaftspolitisch dauerhaft wirksam zu werden. Das vor diesem Hintergrund, sozusagen als Korrektiv der Industriegesellschaft, konzipierte genossenschaftliche Modell Owens hat in der Literatur einen unterschiedlichen Sprachgebrauch erfahren: Teils heißen die Genossenschaften ,Villages of Co-operation'; ,Villages of Unity and Mutual Co-Operation'; später ,Communities'; ,Communites of Equality'; zuletzt 1841 ,SelfSupporting Home Colonies' sowie ,Home Colonisation Societies' 12 . Erstmals arbeitet Owen produktivgenossenschaftliche Pläne aus im März 1817 in seinem »Report to the Committee of the Association for the Relief of the Manufacturing and Labouring Poor' 1 3 . In allen Einzelheiten, auch anhand von Schaubildern, legt seine Studie die Grundzüge der Owenschen Siedlungsgenossenschaft dar 1 4 :

nossenschaftliches Lesebuch - Zeugnisse aus hundert Jahren, zusammengest. v. K . Faust, Frankfurt/M. 1967, S. 115-129; Villegas Velasquez, R , Die Funktionsfähigkeit von Produktivgenossenschaften, Tübingen 1975. 9 s. II. Hauptteil, B. II. dieser Arbeit. 10 Vgl. Owen, R , Report to the committee . . . for the relief of the . . . poor, März 1817, in: Life IA, S. 53 ff; Simon, H , Robert Owen, 1905, S. 127; Cole, M , Robert Owen.. .,S. 109. 11 Maschinenstürmer-Bewegung in Großbritannien. 12 s. Owen, R., Report for Poor Relief 1817, in: Life IA, S. 53-66; ders, A Development of the Principles . . . 1841; Simon, H , 1905, S. 167 ff u. 313; Harrison, J. F. C , 1969, S. 47-63;Engelhardt, W. W , Robert Owen . . . , S. 15. 13 Auch in: Cole, G. D. H. (Hrsg.), A New View of Society and other Writings, London 1927, S. 156-169. 14 Zur folgenden Aufstellung s. Owen, R., Report Poor Relief 1817, in: G. D. H. Cole, 1927, S. 161 ff.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

143

Mitgliederzahl: 500 bis 1.500, vorzugsweise ca. 1.200 Menschen Landfläche: ca. 1.200 Morgen (ca. 4,8 Millionen Quadratmeter) Räumliche Anordnung des Genossenschaftsdorfes: Gemeinschaftskantine 3 Zentralgebäude Lehrräume für kleinere Kinder und Versammlungssaal Lehrräume fiir ältere Kinder, Versammlungsraum, Bibliothek Grünanlagen, Spielplätze, Erholungsbereich Innenhof 4 aneinandergrenzende Häuserreihen (einÄußere Hausreihe stöckig) in der Anordnung eines Parallelogramms, welches die Zentralgebäude und den Innenhof umschließt; für Unterbringung der Familien (jeweils 4 Familien in einem Hausabschnitt; je ein Großraum pro Familie), Schlafsäle für Kinder (älter als 3 Jahre), Sanitäts- und Gästeräume Parallelogramm (eigentliches Dorf) inmitAußenbezirk ten von Nutzgärten daran anschließend Werkstätten, Schlachthof, Wäscherei, kleinere Fabrikationsbetriebe landwirtschaftliche Gebäude sowie Meierei, Brauhaus, Mühle Acker- sowie Weideland, umgeben von Obstbäumen, schließt die Siedlung nach außen hin Bewohner und ihre Aufgaben: Männer — in landwirtschaftlicher, gewerblicher oder sonstiger Arbeit Frauen - Hausarbeit; 4 - 5 Stunden täglich Gemeinschaftsarbeiten Kinder - ab 3. Lebensjahr unter gemeinschaftlicher Aufsicht und Erziehung; Lehrpläne für ältere Kinder inclusive landwirtschaftlicher oder gewerblicher Betätigung Owen fügt auch eine detaillierte Berechnung der Gründungskosten des produktivgenossenschaftlichen Projektes bei, welche sich lohnt, kurz aufzuzeigen 15:

15

s. dazu Owen, R., ebd., S. 164.

144

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Gründungskosten 1.200 Morgen Land Wohnhäuser für 1.200 Personen 3 Gebäude innerhalb des Hofes Gewerbliche Gebäude Inneneinrichtung Wohnhäuser zu 300 Apartements Inneneinrichtung Küche, Schule, Schlafsäle 2 landwirtschaftliche Gebäude mit Mühle Grünanlage und Wege Geräteausrüstung Sonstiges

36,000 17,000 11,000 8,000 2,400 3,000 5,000 3,000 4,000 6,600

Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund

Gesamt

96,000 Pfund

Demnach ergibt sich bei 1.200 Genossenschaftsmitgliedern ein einmaliger Eigenkapitalbedarf von 80 Pfund pro Kopf bzw. im Falle der Fremdfinanzierung ein jährlicher Zinsaufwand von 4 Pfund pro Kopf und Jahr (zur damaligen Zeit üblicher Zinssatz 5% p.a. 1 6 ; der Jahreslohn eines Arbeiters in New Lanark beträgt um 1819 etwa 26 Pfund 17 ). Die finanziellen Mittel sind nach Owens Vorschlag im Wege der Fremdhilfe durch Philanthropen, die kommunale Hand oder die Regierung aufzubringen. Die Tilgung der Darlehen soll aus dem erwirtschafteten Ertrag der Produktivgenossenschaft geleistet werden 18 . Das im März 1817 ausgearbeitete Modell ist von Owen zunächst als kostengünstiger und beschäftigungswirksamer Vorschlag zur Reform der Arbeitslosenunterstützung gedacht 19 . Der Beschäftigungsaspekt scheint jedoch lediglich einer der Beweggründe für Owens genossenschaftliches Leitbild gewesen zu sein. Owen ist von der ökonomischen wie außerökonomischen Vorteilhaftigkeit seines produktivgenossenschaftlichen Entwurfes, der sich - wie noch zu zeigen sein wird - auf gewisse ideelle Vorläufer stützen kann, grundsätzlich überzeugt. Bereits am 21. August 1817 - und nicht erst 1820 in seinem viel zitierten »Report to the County of Lanark' - erweitert Owen seinen genossenschaftlichen Ansatz in einer Ansprache in London 2 0 . ,,But I have no idea that these villages will be occupied by the present poor only, for they will be found to afford the most desirable arrangements for all the present surplus working population . . . " 2 1 16

Vgl. ders., ebd. Berechnet auf Grund von Daten bei Morton, A. L., The Life . . . , S. 81. 18 Für einen kurzen Überblick über Owens Modell s. Simon, H., 1905, S. 124-128; Cole, G. D. H., Robert Owen, London 1925, S. 137-140; Cole, M., Robert Owen of New Lanark, London 1953, S. 109-112;Morton, A. L., S. 132-148. 19 s. II. Hauptteil, sozialpolitische Relevanz. 20 s. Owen, R., Address delivered at the City of London Tavern, 21.8.1817, in: Life IA, S. 108-118. 21 Owen, R., ebd., S. 118; s. auch Times v. 22.8.1817. 17

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

145

Owen betrachtet nunmehr die genossenschaftliche Konzeption als ein Mittel zur friedlichen Umgestaltung der Gesellschaft auf der Basis sich selbst verwaltender Produktivgenossenschaften 22. Obwohl selbst noch Fabrikant, schlägt Owen damit den Weg in eine eher radikal-sozialistische Richtung ein 2 3 . Ausfluß seiner Rede vom 21. August 1817 ist die Abhandlung ,A Further Development of the Plan for the Relief of the Poor and the Emancipation of Mankind', die Owen am 10. September 1817 in den Londoner Tageszeitungen veröffentlichen läßt 2 4 . Danach erscheinen die anfänglichen Annenkolonien' nur noch als unterstes Glied in einer genossenschaftlichen Ordnung. Um die Produktivgenossenschaften allen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, hält es Owen für notwendig, eine Klasseneinteilung innerhalb der Genossenschaftssiedlung vorzunehmen. Diese soll auf vier verschiedenen Stufen Angehörige bestimmter Schichten zusammenfassen 25: - Erste Klasse - Zweite Klasse - Dritte Klasse

- Vierte Klasse

(,Parish Pauper Class'): Arbeitslose (,Working Class'): Besitzlose Arbeiterschaft (,Voluntary Association'): Handwerker, Kaufleute mit einem Vermögen von 100—2.000 Pfund (^Association'): Personen mit einem Vermögen von 1.000-20.000 Pfund 26

Die Verwaltung der Siedlungsgenossenschaft obliegt den Mitgliedern der Klassen drei und vier 2 7 . Jene wählen nach Klassen getrennt aus ihren Reihen je ein Generalkomitee, welches wiederum je 7 Unterausschüsse bestellt: Ein Subkomitee für Fragen der Gesundheit, der Erziehung, der Landwirtschaft, der industriellen Fertigung, des Handels, der Hauswirtschaft sowie der Außenbeziehung. Die Arbeiter der Klasse eins und zwei haben weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht. Der Klasse zwei wird jedoch eine Art Interessenvertretung ihrer Belange zugestanden28. Nach einer siebenjährigen Mitgliedschaft in der Genossenschaft soll jedes Mitglied der Klasse zwei außerdem 100 Pfund sowie das Recht zum Aufstieg in die Klasse drei erhalten 29 . Je nach Klassenzugehörig22

Vgl. Cole, G. D. H., Robert Owen, S. 146 f. s. Brown, Ph. V , The Life . . . , S. 8 f; auch IV. Hauptteil dieser Arbeit. 24 In: Life IA, S. 119-137; s. auch Times v. 10.9.1817. 25 Owen arbeitet zu diesem Zwekc allein 140 verschiedene Kombinationen von Sekten und politischen Haltungen sowie Parteien schematisch aus; s. dazu Owen, R., Tables showing the various Combinations of Class, Sect and Party, 6.9.1817, in: Life IA, S. 128-133; vgl. zur Klasseneinteilung Owen, R., A Further . . ., Life IA, S. 122-125. 26 Je nach Vermögensstand werden die Klassen 3 und 4 noch einmal in 12 Subdivisionen geteüt. 23

27

Zur Verwaltung s. Owen, R., A Further . . ., S. 123 ff. Vgl. ders., ebd. 29 Bei Verbleib in der 2. Klasse erhält das Mitglied 300 Pfund; vgl. Owen, R., A Further . . . , Life IA, S. 125 f. 28

10 Elsasser

146

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

keit werden die Mitglieder der Genossenschaft auch getrennt untergebracht. Allen Genossenschaftern stehen jedoch die gleichen Rechte auf Erziehung und Ausbildung, Gesundheitsvorsorge, Freizügigkeit sowie Erholung z u 3 0 . So befremdlich Owens Klassengedanke aus heutiger Sicht auch erscheinen mag 3 1 , so ist darin doch ein ernst zu nehmender Versuch zu sehen, die gesamte Bevölkerung in ihrer damaligen gesellschaftlichen Konstellation für eine gemeinschaftsbetonte Lebensform zu gewinnen. Das Radikale des Gedankens besteht darin, daß Owen schon 1817 davon ausgeht, mittels produktivgenossenschaftlicher Siedlungen - ohne revolutionäre Aktionen — eine neue Gesellschaftsordnung zu erreichen. „The Change from the OLD system to the NEW system must become universal." 32 Owens spätere produktivgenossenschaftlichen Vorstellungen, so auch im 3. Teil seines Report to the County of Lanark' 33 vom 1. Mai 1820, knüpfen im wesentlichen an die obigen Konzeptionen des Jahres 1817 an. Das Grundmuster des Owenschen Modells (Parallelogramm, Kombination landwirtschaftlichindustrieller Arbeit, Gemeinschaftseinrichtungen und -erziehung) wird unverändert fortgeführt. Interessanterweise vernachlässigt Owen allerdings nach 1817 den Klassengedanken innerhalb der Genossenschaft. Erst 1841 in seinem vergleichsweise wenig beachteten Spätwerk ,A Development of the Principles and Plans on which to establish Self-Supporting Home Colonies 434 zeichnet sich für Owens letzte Entwürfe ein unverkennbarer Hang zum ,Gigantismus4 ab. Owens Modell seiner Siedlungsgenossenschaft ( „ A magnificent Palace 4435 ) nimmt riesige Ausmaße an: 500 Meter lange Bauten, 30 Meter breite Terrassen, Innenhöfe mit einer Fläche von 260.000 Quadratmetern, bis zu 3.000 Morgen Land, vier 70 Meter hohe Türme zur künstlichen Beleuchtung (,Koniaphostic Light 4 ) sowie bis zu fünfgeschossige Gebäude 36 . Die Kosten für ein solches Projekt betragen nunmehr 700.000 Pfund (über 14 Millionen Goldmark) statt 96.000 Pfund 37 . Symptomatisch ist ebenfalls Owens universeller Anspruch auf Durchsetzung dieser ,Großgenossenschaften 4, wie sich aus den Widmungen im Vorspann seines Werks (1841) erkennen läßt 3 8 . Insgesamt erinnern die atemberaubenden (!) Pläne und Skizzen seiner späteren ,Palaces4 eher an eine Alternative zur Großstadtarchitektur des 20. Jahrhunderts 39 als an das praktikable Sied30

Vgl. Owen, R., ebd., S. 128. Nicht von Belang sind Owens zeitweilige Vorstellungen über Altershierarchien, s. dazu Life IA, S. 117. 32 Owen, R., A Further . . . , Life IA, S. 126. 33 In Life IA, S. 263-210, hier insbes. S. 280 ff. 34 s. Owen, R., A Development . . ., hier S. 24-80; das Werk findet beiCole u. Morton keine Erwähnung. 35 Owen, R., ebd, 1841, S. 40. 36 Vgl. ders., ebd, 1841, S. 37 ff. 37 Kosten für eine ,superior Home Colony': 31

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

147

lungsmodell von 1817. Dieses ist zurecht in Hinblick auf die Entstehung der Genossenschaftsbewegung im 19. Jahrhundert wie auch in Bezug auf seine Auswirkung auf das heutige genossenschaftliche Gedankengut von hoher ideenund realgeschichtlicher Relevanz. 1. Landwirtschaftliche

Orientierung und Spatenkultur

Charakteristikum der Owenschen Genossenschaftskonzeption ist eine starke landwirtschaftliche Orientierung 40 . Zwar soll Owens produktivgenossenschaftliches Modell landwirtschaftliche wie industrielle Bestandteile vereinen 41 ; welchen Stellenwert das einzelne Arbeitsfeld einnehmen soll, läßt Owen jedoch offen. In seinem ersten genossenschaftlichen Entwurf 1817 42 sind industriewirtschaftliche Bauten (»Manufactories') vorgesehen 43. In der detaillierten Auflistung der Gründungskosten sind diese aber lediglich als Anhanggebäude bzw. -betriebe zu den Gehöften vorgesehen 44. Auch im Vergleich zur Gesamtbausumme von 96.000 Pfund nimmt das veranschlagte Budget für Industriegebäude in Höhe von 8.000 Pfund nur einen geringen Anteil von 8,3 Prozent ein 4 5 .

2.000 72 4 4 4

Acres Land Wohnhäuser Schulen Zentralgebäude Küchen- und Speisehäuser Inneneinrichtung Installationen (Wasser, Heizung etc.) 4 landwirtschaftliche Gehöfte landwirtschaftliche Ausrüstung 4 Turnhallen, Badeanstalten Terrasse, Drainagen etc. 4 Türme Sonstiges Gesamt Zinslast (5 Prozent p.a.) Jährlicher Reparaturaufwand

Pfund Sterling 140,000 252,000 16,000 32,000 24,000 60,000 60,000 16,000 16,000 24,000 20,000 20,000 20,000 700,000 Pfund Sterling 35,000 Pfund Sterling 10,000 Pfund Sterling

Jährliche Kosten 45,000 Pfund Sterling Daten entnommen: Owen, R., Development..., 1841, S. 73. 38 Owen widmet und empfiehlt das Buch den Regierungen von Großbritannien, Österreich, Rußland, Frankreich, Preußen, USA, vgl. Owen, R., A Development..., 1841. 39 s. Skizzen und Grundrisse im Anhang von Owen, R., A Development..., 1841. 40 Vgl. Cole, M., Robert Owen . . . , S. 110. 41 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 56. 42 s. Owen, R., Report Poor Relief 1817, in: Life IA, S. 53 ff. 43 Durch eine Grünanlage vom eigentlichen Genossenschaftsdorf getrennt; M. Cole bemerkt dazu, daß Owen einer der ersten Befürworter eines Grüngürtels ist, vgl. Cole, M., ebd. 44 s. Owen, R., Report Poor Relief 1817, in: Life IA, S. 60. 45 Vgl. ders., ebd. 1

148

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Desweiteren deutet das Fehlen jeglicher betriebswirtschaftlicher Überlegungen, wie die Festlegung eines Produktionsprogramms oder eines Vertriebssystems u.ä., daraufhin, daß der industriellen Betätigung innerhalb der Produktivgenossenschaft eine zweitrangige Bedeutung zugedacht wird. Auffällig ist ebenfalls, daß Owen als erfolgreicher Textilunternehmer an keiner Stelle seiner Ausarbeitungen über Siedlungsgenossenschaften die Integration einer Fabrikanlage, etwa der Größe New Lanarks, propagiert 46 . Vielmehr konstatiert er schon am 21. August 1817 in London, daß es zur Arbeit auf dem Lande primär unter Beschäftigungsgesichtspunkten keine Alternative gebe 47 . In seinem ,Report to the County of Lanark' 1820 sieht Owen gar „ . . . a whole population engaged in agricult u r e " 4 8 als Idealtypus einer künftigen Gesellschaftsordnung vor. In dieser soll der industriellen Fertigung nur eine marginale Bedeutung zukommen 49 . Auch in der Zeitschrift ,New Moral World' postuliert Owen, daß ein am produktivgenossenschaftlichen Gedanken orientiertes Gesellschaftssystem „ . . . must now become essentially agricultural" 50 . Owens produktivgenossenschaftliches Modell sieht wirtschaftlich selbständige, sich selbst tragende Siedlungen vor 5 1 . Bei primär auf landwirtschaftlicher Arbeit basierenden Genossenschaften erfordert dies eine hohe agrarökonomische Produktivität. Owen hält eine entsprechende wirtschaftliche Effizienz mittels der ,Spatenkultur' (,Spade Husbandry') für gewährleistet. 1820 empfiehlt er erstmals diese landwirtschaftliche Arbeitsmethode für alle Genossenschaften 5 2 . Nach seiner Anschauung führt die Bearbeitung des Ackerbodens mit dem Spaten anstelle des zur damaligen Zeit gebräuchlichen Pfluges zu einem gesteigerten Ernteertrag 53 . Mit der Spatenbearbeitung läßt sich nach Owens Darlegung eine Kultivierung des Erdreiches erzielen, welche den herkömmlichen Methoden überlegen ist. Zur Begründung führt Owen u.a. an: Bessere und intensivere Umschichtung des Humus, effizientere Bewässerungsmöglichkeit des Bodens sowie Einsparungen an Saatgut 54 . Seine praktisch-wissenschaftlichenÜber46 47

S. 111. 48

Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 56. Vgl. Owen, R., Address . . . at the City of London Tavern, 21.8.1817, in: Life IA,

Owen, R., Report to the County of Lanark, 1.5.1820, in: Life IA, S. 282. Vgl. Owen, R.,ebd. 50 New Moral World, 27.8.1843. 51 Jedoch mittels staatlicher oder philanthropischer Fremdhilfe zu gründen; ein Hinweis ist der Begriff, self-supporting' im Titel seiner Schrift, Owen, R., A Development o f . . . Self-Supporting Home Colonies, London 1841; vgl. auch ders., Report .. . 1820, Life IA, S. 299. " s. Owen, R., Report . . . 1820, Life IA, S. 270-273; Cole, M., Robert Owen . . . , S. 110\Harrison, J. F. C., 1969, S. 24 f. 53 s. auch Abbildung bei Podmore, Fr., Robert Owen, gegenüber S. 270, Emblem der Spatenkultur. 54 Vgl. Owen, R., Report.. . 1820, Life IA, S. 271 ff. 49

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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legungen werden durch die Ergebnisse einer empirischen Langzeitstudie des zeitgenössischen Agronomen William Falla 55 erhärtet. In dieser Studie, die Owen im November 1820 zugänglich wird, legt Falla die agrartechnische sowie wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit der Spatenbearbeitung beim Weizenanbau dar 5 6 . Dieses System ermöglicht nach Falla zudem die Beschäftigung einer maximalen Zahl an Menschen aller Altersschichten in der Landwirtschaft 57 . Neben dem noch heute vor allem in Entwicklungsgebieten aktuellen Beschäftigungsaspekt der manuellen Arbeit geht es Owen bei der Propagierung der Spatenkultur um eine weitere gedankliche Zielrichtung. Die gemeinschaftliche Betätigung der Genossenschaftsmitglieder soll eine Änderung der sozialen Beziehungen innerhalb der Siedlung bewirken 58 . Dem liegt die Annahme zugrunde, daß die Arbeit auf dem Lande zur Sicherung der Ernährung im Vergleich zur entfremdenden Fabrikarbeit einen höheren moralisch-ethischen Stellenwert einnimmt 5 9 . Erst durch einfache gemeinschaftliche Arbeitsgänge - wie die Arbeit mit Spaten - i n einer naturverbundenen Existenz und einer gemeinschaftlichen Lebensweise sei es dem Menschen möglich, ein gesundes sowie produktives Leben zu führen 60 . In einer produktivgenossenschaftlichen Gruppierung von vorzugsweise 1.200 Menschen61 hält Owen die gesamte Bandbreite der ökonomischen wie außerökonomischen Vorzüge der ,Spatenkultur' für gegeben. In der jüngeren Literatur, so auch bei Hasselmann62, findet sich oftmals eine Tendenz, die in der Befürwortung der ,Spade Husbandry' einen romantisierenden, weltfremden Ansatz Owens sieht. Von den Vertretern dieser Ansicht wird jedoch übersehen, daß der Arbeitseinsatz mit dem Spaten in der damaligen Zeit durchaus als diskutiertes Mittel zur schnellen Schaffung von Beschäftigung breiter Schichten in einer verbesserten Arbeitsatmosphäre betrachtet wird 6 3 . Bezeichnenderweise findet Owen in diesem Zusammenhang die Unterstützung zahlreicher philanthropisch gesinnter Gutsbesitzer aus England und Irland 6 4 . Auch der Nationalökonom David Ricardo spricht sich im Dezember 1819 für die Anwendung der 55 s. A Communication from Mr. Falla to Robert Owen, Esq., 13.11.1820, in: Life IA, S. 314-320. 56 Vgl. ders., ebd. 57 Vgl. ders., S. 319. 58 Vgl. Harrison , J. F. C., 1969, S. 24. 59 Hier zeigt sich Owens Haltung, wonach Arbeit die eigentliche Quelle des Reichtums sein soll, s. IV. Hauptteil dieser Arbeit. 60 Vgl. Cole, M., Robert Owen, S. 111. 61 Weder Vereinzelung (,Cottage System') noch Vermassung, s. Owen, R., Address .. . 21.8.1817, in: Life IA, S. 112 f. 62 s. Hasselmann, E., Am Anfang . . . , S. 25 f. 63 Beschränkte Komponente: Land u. Kapital, Überschuß an Arbeitskräften, s. Pollard, S., Robert Owen as an Economist, in: Robert Owen and his Relevance to our Times, Co-operative College Papers Nr. 14, Loughborough 1971, S. 23-36, hier S. 34. 64 s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 25.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Spatenkultur a u s 6 5 . Lediglich unter dem Eindruck des anhaltenden technischen Fortschrittes i n den nachfolgenden Jahren ist es zu erklären, daß die Idee des ,Spade Husbandry' nach heutigem Verständnis mancher Industrienationen an A t t r a k t i v i t ä t eingebüßt hat.

2. Ideal der Gemeinschaft Der Begriff ,Gemeinwirtschaft 4 6 6 w i r d zur Kennzeichnung einer Vielzahl unterschiedlicher Phänomene v e r w e n d e t 6 7 . Er dient z u m einen der Beschreibung ordnungspolitischer Vorstellungen u n d K o n z e p t i o n e n 6 8 , teils monistischer, dualistischer oder pluralistischer Ausgestaltung 6 9 . Andererseits w i r d er zur Charakterisierung derjenigen Einzelwirtschaften verwandt, die sich i m Unterschied zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen Träger tätig werden -

die i m Interesse ihrer

der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben w i d m e n 7 0 .

Ausgehend von einem Gemeinwirtschaftsverständnis auf einzelwirtschaftlicher Ebene u n d gemäß der von Thiemeyer so bezeichneten Instrumentalthese 7 1 handelt es sich bei den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen u m „Einzelwirtschaften, deren institutionell festgelegter Sinn es ist, unmittelbar öffentlichen 65 s. Hansard, T. C. (Hrsg.), Parliamentary Debates, Vol. XXXXI, 16.12.1819, Sp. 1206 ff; auch Pollard, S., Robert Owen as an Economist, S. 34. 66 Zur unterschiedlichen Begriffsbestimmung s. Ritsehl, H., Art.: Gemeinwirtschaft, in: HdSW, Bd. 4, 1965, S. 331-346; zum Bedeutungswandel des Begriffs »Gemeinwirtschaft 4 s. Engelhardt, W. W., Sind Genossenschaften gemeinwirtschaftliche Unternehmen?, Schriftenreihe Gemeinwirtschaft, Nr. 29, Köln/Frankfurt 1978, S. 10; ders., Zur Frage der Gemeinwirtschaftlichkeit von Genossenschaften, in: ZfgG, Bd. 29, Heft 1, 1979, S. 16; Unis, B., War der Tatchrist Friedrich Wilhelm Raiffeisen ein Gemein Wirtschaftler, in: Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen, Jahrbuch für nichterwerbswirtschaftliche Betriebe und Organisationen, Bd. 12, hrsg. v. H. Cox/W. W. Engelhardt!u.a., Göttingen 1980, S. 155-170, insb. S. 157. 67 Bereits in der griechischen Philosophie wird der Gemeinwirtschaftsgedanke von Piaton und Aristoteles entwickelt; Morus, Campanella und Bacon arbeiten ihn in ihre Staatskonzeptionen ein, s. dazu Faust, H., Geschichte der Genossenschaftsbewegung . . . , S. 29 ff; Heiss, R., Utopie und Revolution - ein Beitrag zur Geschichte des fortschrittlichen Denkens, München 1973, S. 15-33;Fww, B., Wirtschaftliche . . . 68 Vgl. Thiemeyer, Th., Grundsätze einer Theorie der Gemeinwirtschaft, Frankfurt 1973, S. 21; ders., Art. Gemeinwirtschaft, in: Handwörterbuch der Volkswirtschaft, hrsg. v. W. Glastetter u.a., Wiesbaden 1977, Sp. 417-441. 69 s. Hesselbach, W., Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, Instrumente gewerkschaftlicher und genossenschaftlicher Struktur- und Wettbewerbspolitik, 2. Aufl., Frankfurt 1971, S. 10 ff; Loesch, A. v., Die gemeinwirtschaftliche Unternehmung, vom antikapitalistischen Ordnungsprinzip zum marktwirtschaftlichen Regulativ, Köln 1977. 70 Vgl. Thiemeyer, Th., Art. Gemeinwirtschaft, Sp. 417; ders., Grundsätze einer Theorie . . .,S. 22\Finis, B., War der . . .,S. 155. 71 Vgl. Thiemeyer, Th., Gemeinwirtschaft in Lehre und Forschung, Schriftenreihe Gemeinwirtschaft, Nr. 13, Frankfurt 1974, S. 19; ders.. Die Theorie der gemeinwirtschaftlichen Betriebe in ihrer Entwicklung und ihrer heutigen Gestalt, in: ZfB (Zeitschrift für Betriebswirtschaft), 49. Jg., August 1979, S. 747-753.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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Aufgaben zu dienen" 7 2 . Weisser stellt weiter fest: „Der institutionell festgelegte Sinn des gemeinnützigen Unternehmens... als freigemeinnütziges Unternehmen ist es, unter den prinzipiell, wenn auch nicht uneingeschränkt geltenden Bedingungen der Eigenwirtschaftlichkeit, unmittelbar öffentlichen Aufgaben zu dienen." 73 Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben soll also unter Beibehaltung des Prinzips der Eigenwirtschaftlichkeit vonstatten gehen 74 . Zahlreiche Anhänger des Ideals der Gemeinwirtschaft setzen sich für die Etablierung von Genosserischaften in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen ein, mit dem Ziel, die Lebenslage breiter Bevölkerungsschichten zu verbessern 75. Genossenschaften stellen somit ein wichtiges Mittel zur Erreichung gemeinwirtschaftlich geprägter Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen dar 7 6 . Mit seinen produktivgenossenschaftlichen Entwürfen bezieht Owen in diesem Sinne durchaus gemeinwirtschaftliche Positionen. Seine ,Villages of Industry', gleichgültig ob sie im Wege der Selbsthilfe oder Fremdhilfe zu begründen sind, sollen selbstverantwortlich sich wirtschaftlich selbst tragen. Daß es Owen damit nicht um eine bloße ökonomische Besserstellung eines kleinen Kreises von Genossenschaftsmitgliedern geht - also um ein bloßes ,Rückzugsphänomen i 7 7 - , sondern um eine klare gemeinwirtschaftliche Sinnbestimmung der Genossenschaft, betont Owen an vielen Stellen. Schon im Anschluß an seinen noch ganz dem Beschäftigungsaspekt verhafteten Genossenschaftsentwurf von 1817 78 bemerkt Owen, daß die sinnvolle Beschäftigung der Armen und Arbeitslosen in Siedlungsgenossenschaften dem nationalen Wohlstand zugute komme: „That a country can never be beneficially wealthy while it supports a large portion of its working classes in idle poverty or in useless occupation." 79 Seine Genossenschaften sollen in der Einübung der strengen Eigen- und Selbstverwaltung im Laufe der Zeit die volkswirtschaftlichen Anforderungen an den Staat 72

Weisser, G., Gemeinwirtschaftlichkeit bei Einzelwirtschaften, Schriftenreihe Gemeinwirtschaft, Nr. 11, Frankfurt 1974, S. 13; s. auch Finis, B., War der . . . , S. 156; s. auch die frühere Arbeit v. Weisser, G., Gemeinnützigkeit heute, Schriften des Seminars für Genossenschaftswesen an der Universität Köln, hrsg. v. dems., Göttingen 1964. 73 Weisser, G., Gemeinnützigkeit heute, Schriften des Seminars für Genossenschaftswesen an der Universität Köln, hrsg. v. dems., Göttingen 1964, S. 18. 74 Vgl. Finis, B., War der . . ., S. 156 f. 75 Vgl. Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen in der sozialökonomischen Theorie, in: Genossenschafts-Korrespondenz, hrsg. v. dems., 3. Jhg., Heft 2, Halberstadt 1925, S. 33-53. 76 Zur neueren Diskussion s. Engelhardt, W. W., Zur Frage der Betrachtungsweisen S. 349 ff; ders., Die Problematik „mittlerer Ordnungen'4 und „dritter Wege" der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in der neueren Diskussion, in: Die Mitarbeit, Zeitschrift für Gesellschafts- und Kulturpolitik, 24. Jhg., Heft 2, Juni 1975, S. 97-124. 77 s. Fürstenberg, Fr., Die Genossenschaft als sozialer Integrationsfaktor, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 15, 1964, S. 244. 78 s. Owen, R., Report Poor Relief 1817, Life IA, S. 53 ff. 79 Owen, R., Address. . . 14.8.1817, Life IA, S. 95.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

reduzieren helfen 80 . So weist Owen auch 1820 auf die gemeinwirtschaftliche Wirkung der ,Communities' deutlich hin: „ . . . (they) will at once multiply the physical and mental powers of the whole society . . . " 8 1 Diesen Beitrag der Produktivgenossenschaft zu einer Entlastung der öffentlichen Hand sieht Owen unter anderem durch die Möglichkeit einer besseren gesundheitlichen, ernährungsmäßigen sowie schulischen Versorgung aller Bevölkerungsschichten innerhalb der ,Communities' gewährleistet 82. Insbesondere in seinen 1841 festgelegten ,Rules and Regulations for the Government of the Colonies' 83 wird Owens gemeinwirtschaftliche Zielsetzung deutlich. In den Punkten 36—38 dieser programmartigen Satzung wird ausdrücklich festgelegt, daß die Genossenschaften in einem offenen Verhältnis zur Umwelt stehen und sich um die Verbreitung kooperativer Ideen bemühen sollen 84 . Den Leitern der flome Colonies4 wird in Punkt 38 der Satzung aufgetragen, in Verbindung mit den jeweiligen Landesregierungen zu treten, um einen permanenten Gedankenaustausch über gesellschafts- und wirtschaftspolitische Fragen zu gewährleisten 85. 3. Ideelle Vorläufer Ideengeschichtlich lassen sich erste neuzeitliche Überlegungen zu Fragen des genossenschaftsartigen Zusammenschlusses zur Überwindung von wirtschaftlicher Ausbeutung und Unterdrückung auf die Quäker (,Society of Friends') zurückführen 86 . Robert Owens genossenschaftliches Denken und produktivgenossenschaftliche Konzeption seiner ,Communities' haben durch sie eine dauerhafte und prägende Beeinflussung erfahren. Dies umso mehr, als Owen mit literarischem wie real vollzogenem genossenschaftlichen Wirken der Quäker und ähnlicher Bewegungen aus verschiedenen Jahrhunderten 87 in unterschiedlichen Ländern konfrontiert wird.

80 s. ders., Address . . . 21.8.1817, Life IA, S. 108-118; auch Cole, G. D. H., Robert Owen, S. 146 f. 81 Owen, R., Report. . . 1820, Life IA, S. 299. 82 s. dazu im einzelnen, ders., ebd, S. 292 ff. 83 s. ders., A Development. . . 1841, S. 64-72. 84 s. Punkt 36 u. 37 in: ders., ebd, S. 72. 85 s. ders., ebd. 86 s. Faucherre, H., Umrisse einer genossenschaftlichen Ideengeschichte, 1. Teil, Basel 1925, S. 8 f; Bernstein, Ed., Sozialismus und Demokratie in der großen englischen Revolution, 3. Aufl., Stuttgart 1919, S. 325 ff, betrifft philanthropische Bedeutung der Quäker; Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen . . ., S. 61 ff. 87 Zur Bedeutung ideeller Einflüsse bemerkt Ginsberg: ,,Ideas spring across centuries and across minds", Ginsberg, R., Panel Discussion, in: Robert Owen's American Legacy, hrsg. v. D. E. Pitzer, Indianapolis (USA) 1972, S. 85.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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a) Plockboy Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und dem Beginn des 17. Jahrhunderts sind die Quäker durch ihre staatsablehnende Haltung 88 der politischreligiösen Verfolgung durch die englische Regierung ausgesetzt und wirtschaftlich sehr bedrängt 89 . Unter dem Eindruck dieser Situation hat der - in England lebende — holländische Quäker Peter Cornelius Plockboy, der wahrscheinlich einer JMährischen Brüdergemeinde' entstammt 90 , 1659 dem Genossenschaftswesen verwandte Gedanken niedergelegt 91. In seiner Schrift „Vorschlag eines Weges, die Armen dieser und anderer Nationen glücklich zu machen" 92 , propagiert er den freiwilligen Zusammenschluß der Quäkerfamilien in Wohn-, Wirtschafts- und Verbrauchergemeinschaften 93. In einer Art vereinten Gesellschaftsform (,Kleines Commonwealth4) sollen die Familiengemeinschaften, die den verschiedensten Berufsrichtungen angehören sollen, der Genossenschaft Kapital und Arbeitskraft zur Verfügung stellen - unter Achtung des Privateigentums, aber Abschaffung des Zinsertrages. Bei geregelten Arbeitszeiten sollen sie landwirtschaftliche wie gewerbliche Arbeiten verrichten 94 . Die landwirtschaftlichen Produkte sollen dann innerhalb der Genossenschaft gegen die Produkte der gewerblich tätigen Mitglieder getauscht werden 95 . Plockboys Konzept sieht vor, daß erzielte Überschüsse unter den Genossenschaftsmitgliedern verteilt werden 9 6 . Mit dem Vorschlag eines gemeinsamen Großeinkaufs zu niedrigen Preisen weist sein primär produktivgenossenschaftliches Gedankengut aber auch konsumgenossenschaftliche Züge auf 9 7 . 88 s. Weber, M., Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, in: a.a.O., S. 294 u. 314. 89 Vgl. Bernstein, Ed., Sozialismus . . ., S. 281 ff; Müller, J. O., Voraussetzungen . . ., S. 12 f. 90 s. Munding, K., Pflichten und Rechte der Genossenschaftsangestellten im Lichte der Genossenschaftsidee, Basel 1909, S. 63 f; Plockboy etwa 1620 in Zierikzee Zeeland, Holland, geboren, 1658 nach England, 1659 nach USA übersiedelt, verarmt in Pennsylvania gestorben, vgl. Fuz, J. K., Weifare Economics in English Utopias, from Francis Bacon to Adam Smith, Den Haag 1952; auch Armytage, W. H. G., Heavens Below, Utopian Experiments in England 1560-1960, London 1961, S. 29. 91 Vgl. Digby, M., The World Co-operative Movement, London 1960, S. 14. 92 Vgl. Faucherre, H., Umrisse einer genossenschaftlichen Ideengeschichte, S. 9 ff; genauer Titel: A Way propounded to make the Poor in these and other Nations happy by bringing together a fit suitable and well qualified people unto one Household Government or little Commonwealth, s. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . ., S. 17. 93 Vgl. Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen bei der Errichtung von Genossenschaften, in Europa vor 1900, S. 12. 94 s. Digby, M., The World Co-operative Movement, S. 14; auch Müller, J. O., ebd. 95 Vgl. Digby, M., ebd; auch Holyoake, G. J., Geschichte der Rochdaler Pioniere, Köln 1928, S. 13;Faucherre, H., Umrisse . . ., Bd. 1, S. 9 ff. 96 Vgl. Digby, M., The World Co-operative Movement, London 1960, S. 14. 97 Vgl. Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen bei der Errichtung von Genossenschaften . . ., S. 12 f; Müller spricht an dieser Stelle von einer Beeinflussung Owens seitens Plockboys, die es an anderer Stelle noch nachzuweisen gilt.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

b) Bellers Der Quäker John Bellers (1654-1725), den Hans Müller als den „Vater des Genossenschaftsgedankens" 98 apostrophiert, setzt die genossenschaftlichen Überlegungen aus der Ideenwelt des Quäkertums fort 9 9 . Im Jahre 1696 veröffentlicht er sein Werk „Proposais for Raising a Colledge of Industry of all Usefull Trades and Husbandry" 100 . Darin entwickelt er das Konzept der ,Colledges of Industry', sogenannter Industrieschulen, die in Form verbundener Produktivund Konsumgemeinschaften innerhalb sich selbsterhaltender Siedlungen gedacht sind 1 0 1 . Das ,Colledge of Industry' soll als eine wirtschaftlich arbeitende Genossenschaft Produzenten wie Konsumenten, Handwerker wie Landwirte in einer einzigen Organisation vereinen 102 . Die selbstverwalteten Ansiedlungen von je dreihundert Arbeitern, deren Verbundsstrukturen und Aufgaben Bellers detailliert erläutert 103 , sind aber nicht nur zur materiellen Sicherstellung der ärmeren Bevölkerungsschichten gedacht. Bellers geht es mit seinen genossenschaftlichen Überlegungen im wesentlichen darum, den Arbeiter der Ausbeutung zu entziehen, ihn — im Sinne christlicher Nächstenliebe — als ,Mensch' zu schützen und die Bedingungen für eine humanitäre Wirtschaftsgesinnung zu schaffen 104 . Bellers meta-ökonomische Sinnbestimmung der Produktivgenossenschaft, seine Interpretation der Identität von Beschäftigtem und Träger der Organisation, zeigt sich aber vor allem an der großen Bedeutung, die er dem Erziehungswesen innerhalb seiner ,Colledges' beimißt 1 0 5 . Es ist für ihn äußerst wichtig, daß seine »Industrieschulen' auch sozialpädagogische Aufgaben erfüll e n 1 0 6 . Diese ausgeprägte sozialpädagogische Tendenz ist ein wesentliches Cha98 Müller, H., Die Geburt der Genossenschaftsidee aus dem Geiste des Quäkertums, in: Genossenschaftskorrespondenz, hrsg. v. E. Grünfeld, 3. Jh., Heft 3, Halberstadt 1925, S. 65-77, hier insb. S. 70; s. auch Holyoake, G. J., The History of Co-operation in England, Vol. I., London 1875, S. 35 f. 99 s. Podmore, Fr., Robert Owen, London 1923, S. 232-237 u. 250; Schär, J. F., Genossenschaftliche Reden und Schriften, Bd. 1, Pioniere und Theoretiker des Genossenschaftswesens, Basel 1920, S. 381; Bernstein, Ed., Sozialismus..., S. 326 ii\Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 13. 100 s. hierzu Bellers, J., John Bellers, 1645-1725, Quäker, Economist and Social Reformer, His writings reprinted with a memoir by A. R. Fry, London 1935\Digby, M., The World Co-operative Movement, S. 14; Fuz, J. K., Welfare Economics . . ., S. 72-81 \Armytage, W. H. G., Heavens Below . . S. 29 f\Elsässer, M., Die Rochdaler Pioniere . . ., S. 68 ff. 101 s. Müller, H., Dr. William King und seine Stellung in der Geschichte des Genossenschaftswesens, in: Jahrbuch des internationalen Genossenschaftswesens, 2. Jg., London 1913, S. 69 ff;Müller, J. O., Voraussetzungen . . ., S. 13. 102 Vgl. Bellers, J., John Bellers. . ., S. 37 ff. 103 s. ders., ebd. 104 Vgl. Müller, H., Die Geburt der Genossenschaften aus dem Geiste des Quäkertums, S. 65 ff. 105 s. Bernstein, Ed., Sozialismus. . ., S. 339 ff. 106 s. ders., ebd; Holyoake, G. J., Geschichte der Rochdaler Pioniere, a.a.O., S. 14; s. auch Engelhardt, W. W., Robert Owen . . ., S. 16.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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rakteristikum von Bellers produktivgenossenschaftlichen Ideen 1 0 7 . Sie haben einen großen Einfluß nicht nur auf Robert Owen, sondern auch auf das Gedankengut von Pestalozzi und Fellenberg ausgeübt 108 . Die Ansätze vieler genossenschaftlicher Ideen und Prinzipien gehen somit auf den Quäker John Bellers zurück. So zum Beispiel das Prinzip der gegenseitigen Selbsthilfe, das er für das Genossenschaftswesen propagiert; auch der Gedanke der freiwilligen und demokratischen Assoziation im wirtschaftlichen Bereich und der Grundsatz der Gleichheit der Kooperationsteilnehmer 109 . Ideengeschichtlich herausragend ist aber die Tatsache, daß Bellers seine ,Colledges of Industry', seine Genossenschaften, nicht als reine Arbeitsstätten, sondern als Verbund und Ort des Zusammenlebens aller Generationen — im Geiste des Quäkertums — betrachtet 110 . Wirtschaftliche, soziale und pädagogische Ziele sind in Bellers genossenschaftlichen Utopien und Konzeptionen zu einer höheren Einheit verschmolzen 111 . Diese Überlegungen weisen eine enge Verbindung zu Owens genossenschaftlichem Gedankengut auf 1 1 2 . Insbesondere der Umstand, daß Owen Bellers bis dahin vergessene Schrift ,Proposals for Raising a Colledge of Industry 4 aus dem Jahre 1696 erstmals 1818 neu auflegen und veröffentlichen l ä ß t 1 1 3 , legt die Vermutung nahe, daß Owen durch Bellers eine starke Beeinflussung erfährt 1 1 4 . In einem Brief vom 25. Juli 1817 weist Owen selbst ausdrücklich auf Bellers genossenschaftliche Konzeption, der er viele Anregungen verdanke 115 . Ähnlich äußert sich Owen in seiner Autobiographie; betont an dieser Stelle jedoch, seine eigenen Überlegungen eigenständig und vor Auffinden des Bellersschen Werkes gefaßt zu haben 116 . Dieser These schließt sich in jüngerer Zeit auch Morris a n 1 1 7 . Ungeachtet der Frage, wem nun die eigentliche Urheberschaft (soweit man ideengeschichtlich davon sprechen kann) des neuzeitlichen siedlungsgenossenschaftlichen Grundgedankens zusteht - auch wenn Anhaltspunkte eher für eine anfängliche Anlehnung von Owen an Bellers Gedankengut spre107 Vgl. Müller, H., Die Geburt der Genossenschaftsidee aus dem Geiste des Quäkertums, in: Genossenschafts-Korrespondenz, S. 66. 108 s. Podmore, Fr., Robert Owen, London 1923, S. 232-235; s. dazu V. Hauptteü dieser Arbeit. 109 Vgl. Digby, M., The World Co-operative Movement, S. 14. 110 Vgl. Müller, H., Die Geburt der Genossenschaftsidee . . ., S. 66. 111 Vgl. ders., ebd. 112 s. Engelhardt, W. W., Robert Owen und die sozialen Reformbestrebungen, S. 16 ff; Schloesser, R., Über die Beziehung der Quäker zum Genossenschaftswesen, in: Genossenschafts-Korrespondenz, hrsg. v. E. Grünfeld, 3. Jg., Heft 4, S. 118 ff. 113 s. Proposal for raising a Colledge of Industry, by J. Bellers, republished by R. Owen, 1818, in: Life IA, S. 155-181. 114 s. Simon, H., 1905, S. \2S\Holyoake, G. J., 1928, S. 14-17;Müller, J. O., Voraussetzungen . . ., S. 13 f. 115 Vgl. Owen, R., Letter dated 25th July 1817, in: Life IA, S. 76 f. 116 Vgl. Life I, S. 240 f. 117 Vgl. Morris, W. D., The Christian Origins of Social Revolt, London 1949, S. 152.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

chen erscheint es durchaus gerechtfertigt, von einer ideengeschichtlichen Kette Plockboy - Bellers - Owen auszugehen118. Owens bleibendes Verdienst ist es in diesem Zusammenhang, für eine Wiederbelebung und Verbreitung der frühen genossenschaftlichen Utopien und Konzeptionen aus dem Kreise des Quäkertums des 17./18. Jahrhunderts gesorgt zu haben. c) Sektengemeinschaften Weitere ideelle Impulse auf Owens genossenschaftliches Denken gehen von zahlreichen religiösen Sekten aus, die vor allem in Nordamerika überwiegend prosperierende Gemeinschaftssiedlungen betreiben. Hier sind vor allem Quäker, Mormonen, Rappisten sowie Shaker 119 zu erwähnen 120 . Owen ist schon vor seiner ersten Amerikareise (1824) mit diesen genossenschaftlichen Lebensformen sektiererischer Gruppen in Berührung gekommen 121 . Insbesondere Reiseberichte von John Melish 1811 bei den Rappisten und von Miss Martineau bei den Shakern in Amerika 1 2 2 sowie die Veröffentlichung über die Shaker ,A brief Sketch of the Religious Society of people called Shakers, Philadelphia' 123 , die Owen 1818 publizieren läßt, haben ihn zu eigenen genossenschaftlichen Überlegungen und auch Siedlungsversuchen ermutigt. So berichtet der Owenite Th. Dudgeon in einem Bericht an Robert Owen vom 12. Juni 1831 von einem Besuch in der Shakergenossenschaft Mount Lebanon (USA) 1 2 4 . Dudgeon weist darauf hin, daß die Siedlung seit 50 Jahren erfolgreich arbeitet und in idealer Weise John Bellers Gedankengut verwirklicht hat.

118

s. dazu auch Engelhardt, W. W., Genossenschaften II, (HdWW), S. 557 ff. s. Bestor, A. E., Backwoods Utopias: the Sectarian and Owenite Phases of Communitarian Socialism in America, 1663-1829, Philadelphia (USA) 1950, S. 31 ff; Harrison, J. F. C , 1969, S. 53 f; zu Rappisten s. Kapitel über New Harmony; die Sekte der Shaker (genannt oft auch shaking Quakers) ist nicht zu verwechseln mit den Quäkern (Society of Friends), Shaker leben in Kommunen, ehelos, getrennt, adoptieren Kinder, auf USA beschränkt; sie haben besonders wirtschaftlich erfolgreich in der Kommune New Lebanon Leistungen im Möbelhandwerk und in der Saatzucht erbracht, den Hinweis verdankt der Autor Frau Dr. Anne Taylor, London; zu den Herrnhutern s. Kapp, Fr., Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika, I. Bd., Die Deutschen im Staate New York bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1868, S. 198-228. 120 s. Liefmann, R., Die kommunistischen Gemeinden in Nordamerika, Jena 1922, S. 10 ff; Harrison, J. F. C., ebd; Army tage berichtet von einer Quäkergemeinschaft in Milford Haven/Wales um William Rotch, die allerdings scheitert, vgl. Armytage, W. H. G., Heavens Below . . ., S. 31; Riesman, D., Utopisches Denken in Amerika, in: Utopie, Begriff und Phänomen des Utopischen, hrsg. v. A. Neusüss, Neuwied/Berlin 1968, S. 327-338. 121 Vgl. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 232 f. 122 s. Anhang in: Owen, R., A Development. . . 1841, S. 153-159;Podmore, Fr., ebd. 123 In: Life IA, S. 143-154. 124 Vgl. Brief Th. Dudgeon to Robert Owen, 12.6.1831 (Co-operative Union Collection, Manchester). 119

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

157

II. Genossenschaftliche Siedlungsversuche Nach Owens oben ausgeführten produktivgenossenschaftlichen Entwürfen und Konzeptionen theoretischer Art soll seine genossenschaftliche Aktivität im praktisch vollzogenen Bereich aufgezeigt werden. Bislang sind Owens Leistungen im Hinblick auf erfolgte Genossenschaftsgründungen, abgesehen von dem New Harmony Projekt in den Vereinigten Staaten von Amerika, vergleichsweise wenig beachtet worden. Im folgenden soll anhand kurzer Darstellungen Owens Beitrag und Einfluß auf die Gründung verschiedener Produktivgenossenschaften herausgearbeitet werden 125 . Erstmals wird 1819 eine Kommission unter dem Vorsitz des Herzogs von Kent einberufen, die sich die Verwirklichung von Owens,Community' Konzeption zum Ziel gesetzt hat. Obwohl sich angesehene Mitglieder der Londoner Gesellschaft und Geistlichkeit diesem Arbeitskreis anschließen, löst sich die Vereinigung nach einem halben Jahr auf. Die eingelaufenen Beiträge in Höhe von 8.000 Pfund reichen nicht aus, ein genossenschaftliches Experiment durchzuführen 126 . Wenig Aufmerksamkeit hat bislang die Tatsache gefunden, daß jedoch bereits 1821 eine kleine Produktivgenossenschaft in ,Spa Fields' (London) von Londoner Druckern gegründet w i r d 1 2 7 . Diese ,Co-operative and Economical Society', bestehend aus 21 Familien, welche eine Haushalts- und Arbeitsgemeinschaft bis ins Jahr 1823 erfolgreich betreiben, bekennt sich zu Owens Ideen und Zielen. Die ,Spa Fields Community' muß als die erste owenitische Genossenschaftsgründung angesehen werden. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, daß der führende Kopf dieser Arbeitergenossenschaft, George Mudie, einer der engsten Gefolgsleute Owens und zugleich Herausgeber der owenitischen Zeitschrift ,Economist' 128 sowie ein Mitglied der späteren ,Orbiston Community' (1825-1828) i s t 1 2 9 . Owen gelingt es in der folgenden Zeit, eine erste nationale owenitische Organisation zu gründen: 1822 in England die ,British and Foreign Philanthropie Society' 1 3 0 , 1823 in Irland die flibernian Philanthropie Society' 1 3 1 . Inheiden 125 Es kann nicht Aufgabe sein, hier die ,Communities' in extenso zu schildern, soweit sie dem Kreis der Oweniten und nicht Owen selbst zuzurechnen sind. 126 Vgl. Simon, H., 1905, S. 133. 127 s. Armytage, W. H. G., Heavens Below . . ., S. 92-95\ Harrison, J. F. C , Robert Owen and the Communities, in: Robert Owen, Industrialist, Reformer, Visionary, 17711858, 4 Essays, London 1971, S. 28 f; Royle, Ed., Radical Politics 1700-1900, London 1971, S. 39. 128 s. zu Genossenschaftsplänen Economist, Vol. I, 1821, S. 202 ff. 129 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 65. 130 Genau: ,British and Foreign Philanthropie for the Permanent Relief of the Labouring Classes', vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 25. 131 Owen läßt 500 Exemplare seines Irland-Ergebnisberichtes 1823 drucken und in England vertreiben, s. Rechnung, J. Carrick & Son to Robert Owen, 6.8.1823; Brief, J. Williams to Robert Owen, 20.9.1823 (beides Co-operative Union Collection, Manchester).

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Gesellschaften versammelt Owen eine eindrucksvolle Runde philanthropisch gesinnter Industrieller,Parlamentsabgeordneter,Bankiers sowie Aristokraten 132 . Betrachtet man den Kreis der Owenschen Anhänger aus den oberen gesellschaftlichen Schichten näher, so läßt sich eine Klassifikation in vier Kategorien vornehmen 133 . Zum einen verfügt Owen über eine Gruppe schottischer Gefolgsleute aus der Umgegend New Lanarks. Hierzu gehören vor allem A. J. Hamilton, A. Combe 134 und D. Mc Donald. In Irland setzt sich Owens Anhängerschaft aus philanthropischen Gutsbesitzern wie W. Thompson, Captain O'Brian und J. S. Vandaleur 135 zusammen. Eine dritte Fraktion bilden Bürger des südlichen Englands (zumeist Londons) wie W. Galpin, Fr. Bäte sowie J. Minter Morgan. In Amerika schließlich stammen die Befürworter der Owenschen Genossenschaftskonzeption, allen voran J. Thompson und W. Maclure, aus dem Umfeld der New Harmony Siedlung (nach 1825). Es ist jedoch charakteristisch für Owens Popularität nach 1820, daß er darüber hinaus die Unterstützung und Sympathie weiterer philanthropischer Zirkel genießt, die nicht dem eigentlichen Kern der Oweniten zuzurechnen sind. Hier sind an exponierter Stelle die Fabrikantendynastien Rathbone und Strutt sowie der vermögende Londoner Bankier Isaac L. Goldsmid zu erwähnen 136 . Wie aus dem Schriftwechsel der Owenschen Korrespondenz in der Co-operative Union Collection (Manchester) hervorgeht, steht Owen mit Goldsmid in Fragen genossenschaftlicher Projekte und ihrer Finanzierung in brieflicher Verbindung. Der Bankier befürwortet grundsätzlich Owens Idee der Siedlungsgenossenschaft; auch wenn er sich im Dezember 1823 nicht bereit findet, 5.000 Pfund für die Genossenschaftsgründung zu investie-

1. Motherwell

Vorhaben (1820-1823)

Der erste Entschluß für die Errichtung einer Owenschen Produktivgenossenschaft unter direkter Mitwirkung Owens wird im Anschluß an den Report to the County of Lanark' 1 3 8 gefaßt. Im November 1820 schlägt der Owenite A. J. Hamüton vor, in der Ortschaft Motherwell unweit von New Lanark auf einem 500-700 Morgen großen Gelände seiner Familie eine ,Community' zu gründen. „With a view to facilitate the formation of an establishment on Mr. Owen's Plan . . . " 1 3 9 1822 nimmt sich die ,British and Philanthropic Society' des Mo132

s. Harrison, J. F. C.. 1969, ebd. Zum folgenden s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 26 f. 134 Beide in der Orbiston Community aktiv. 135 Gründer der Ralahine Community. 136 s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 26. 137 s. Brief, I. L. Goldsmid to Robert Owen, 22.12.1823 (Co-operative Union Collection, Manchester), Owen forderte Goldsmid auf, 5.000 Pfund zu investieren. 138 In: Life IA, S. 261 ff (1.5.1820). 139 Report of the Committee 16. November 1820, in: Life IA, S. 313; s. auch Economist, Vol. I, 1821, S. 141 ff. 133

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

159

therwell Projektes an. Im einzelnen wird für die Genossenschaftsgründung folgende Struktur vorgeschlagen 140 : * * * * *

500 Genossenschaftsmitglieder hauptsächlich landwirtschaftliche Orientierung Fabrikgebäude erst in einer späteren 2. Bauphase Grundriß in Form eines Parallelogramms Postulat: Gleichheit der Mitglieder, Gemeinschaftseigentum

Das erforderliche Kapital soll von Philanthropen als Darlehen über die ,British and Philanthropie Sociey4 aufgebracht werden. Owen und Hamilton sollen zusammen einem Management Committee' vorstehen, welches die Interessen der Geldgeber überwachen soll. Die Kontrolle über die Genossenschaft soll auf die Mitglieder selbst übergehen, sobald das Kapital (inclusive 5 Prozent Zins) zurückgezahlt i s t 1 4 1 . Die erforderliche Investitionssumme für die Motherwell »Community' wird mit 100.000 Pfund veranschlagt 142. Es werden jedoch nur Anteile in Höhe von 55.000 Pfund gezeichnet. Davon entfallen allein 10.000 Pfund auf Robert Owen als größten Beitragszahler 143, gefolgt von Hamilton mit 5.000 Pfund. Weiterhin gehören u.a. A.Combe, J.Morrison, 0'Brien,W.Falla 1 4 4 sowie der Parlamentsabgeordnete Brougham zu den Geldgebern 145 . Wie oben erwähnt, gelingt es Owen nicht, den Bankier Isaac Goldsmid als Investor zu gewinnen. Dennoch ist Owen im Dezember 1822 zuversichtlich, das Projekt erfolgreich realisieren zu können. „ I have not for a moment lost sight of Motherwell, Sir, it is my intention to commence there the earliest practical period. I hope this spring." 146 Owen geht davon aus, daß die Motherwell-Siedlung sozusagen als Pilotprojekt die Funktion einer Trainingsanstalt für künftige Genossenschaftspioniere übernehmen soll 1 4 7 . Die mangelnde Kapitalaufbringung (Differenz: 45.000 Pfund) führt allerdings dazu, daß der Motherwell Plan letzten Endes im Verlauf des Jahres 1823 aufgegeben werden m u ß 1 4 8 . Von der Literatur wurde bislang das Owensche Engagement für diesen ersten Gründungsversuch nicht entsprechend gewürdigt. Owen ist nicht nur Pro140

Zum folgenden s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 29. s. Donnachie, I., Orbiston: A Scottish Owenite Community 1825-1828, S. 135167, hier S. 138. 142 Vgl. Garnett, R. G., Robert Owen and the Community Experiments, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 39-64, hier S. 43 f. 143 Vgl. Simon, H., 1905, S. 134. 144 s. A Communication from Mr. William Falla to Robert Owen, Esq., 13. November 1820, in: Life IA, S. 314-320. 145 Vgl. Donnachie, I., Orbiston . . . , S. 140. 146 Brief, Robert Owen to Mr. Wilson, 29.12.1822 (Hamilton Papers, Motherwell Public Library), zitiert bei Garnett, R. G., Robert Owen and the Community Experiments . . . , S. 44. 147 Vgl. Donnachie, I., ebd. 148 s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 29. 141

160

3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

motor und Hauptbeitragszahler, sondern erwirbt auch den Grund und Boden (660 Morgen) für die projektierte »Community4 aus seinem Privatvermögen 149 . Insgesamt investiert Owen zusätzlich 14.756 Pfund 14 Shilling und 9 Pence 150 . Fernerhin wird das Faktum des Scheiterns des Motherwell Planes hervorgehoben 1 5 1 . Tatsächlich findet das Vorhaben in Großbritannien durchaus Zuspruch, wie sich auch an einem Brief an Robert Owen vom August 1823 zeigt 1 5 2 . Darin wird die ermutigende Wirkung der Owenschen Initiative für andere Genossenschaften angesprochen. Die Nicht-Realisierung der Motherwell Siedlung ist mithin allein der mangelnden finanziellen Ausstattung zuzuschreiben. 2. Orbiston (1825-1828) Nach dem Fehlschlag des Motherwell Projektes gründen Anhänger Owens in Orbiston (nahe New Lanark) im März 1825 eine Produktivgenossenschaft 153. Es sind dies als Pioniere A. J. Hamilton 1 5 4 und A. Combe aus Edinburgh 155 . Die Orbiston Siedlungsgenossenschaft wird ohne direkte Beteiligung Robert Owens, der sich in jener Periode in Nordamerika aufhält, errichtet und geführt 156 . Von daher wird an dieser Stelle auf eine eingehende Darstellung der Geschichte der ,Orbiston Community' verzichtet. Zur näheren Auseinandersetzung mit dieser Thematik sei auf die detaillierten Studien von Donnachie und Armytage verwiesen 157 . Am Rande sei nur erwähnt, daß diese Produktivgenossenschaft von Landarbeitern und Handwerkern nach einer Gründungsphase zwei Jahre lang ihre Siedlung nach dem Owenschen Konzept aufrechterhält 158 . Die Geldgeber stammen aus dem Umkreis des Motherwell Projektes 159 . Mängel in der Organisation, beständige Kapitalknappheit und der frühe Tod des Gründer A. Combe (August 1827) führen jedoch 1828 zum Niedergang der Siedlungsgenossenschaft 160. 149 s. Brief; Ed. Cowper to Robert Owen, 2.11.1822 (Co-operative Union Collection, Manchester). 150 Vgl. Garnett, R. G., ebd. 151 s. Donnachie, I., Orbiston . . . , S. 138. 152 Vgl. Brief, W. Cameron to Robert Owen, 3.8.1823 (Co-operative Union Collection, Manchester). 153 s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 91. 154 (1793—1834); vgl. Donnachie, I., Orbiston . . .,S. 140 f. 155 (17 8 5 - 1 8 2 7); vgl. Donnachie, I., Orbiston . . .,S. 141 f. 156 s. Kapitel über New Harmony. 157 s. Armytage, W. H. G., Heavens Below . . ., S. 96-104;Donnachie, I., Orbiston S. 135-167; auch Maxwell, W., The History of Co-operation in Scotland, Glasgow 1910, S. 36 ff; Garnett, R. G., Co-operation and the Owenite-Socialist Communities in Britain 1825-1845, Manchester 1972, S. 65-99. 158 s. Garnett, R. G., 1971, S. 46. 159 Vgl. Aufstellung bei Donnachie, I., Orbiston . . . , S. 162, sowie S. 145 ff. 160 1830 Veräußerung des Geländes, Totalverlust für die Geldgeber, s. Brief R. W. Her-

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

161

Owen selbst hat sich nicht als Förderer der Orbiston Genossenschaft verstanden 1 6 1 . Lediglich beim Erwerb des Grund und Bodens für die Siedlung ist er unmittelbar involviert 162 . Zurecht stellt jedoch Donnachie fest: ,»Although not directed by Owen in person, Orbiston was inspired by his teachings and supervised by several of his most ardent disciples." 163 Die These von einer indirekten, ideellen Einflußnahme Owens wird durch die Aussage des Gründers A. J. Hamilton erhärtet. In einem Brief vom September 1828 an Owen betont er ausdrücklich, daß er sich trotz des Mißerfolges der Orbiston ,Community' weiterhin zu Owens produktivgenossenschaftlicher Konzeption bekennt 1 6 4 . In einem Antwortschreiben faßt Owen in einem Resümee die Bedeutung Orbistons für die Produktivgenossenschaftsbewegung zusammen: „ . . . that your (Hamilton) exertions . . . at Orbiston, have contributed essentially to make the principles known, and to prepare the way for their practice in many places." 165 3. New Harmony (1825-1828) Im Rahmen einer Erörterung der genossenschaftlichen Aktivitäten Owens gilt es, auf das Siedlungsexperiment von New Harmony (Indiana/USA) besonders einzugehen 166 . Zum einen handelt es sich von den flächenmäßigen Ausmaßen her um das bei weitem größte Siedlungsprojekt der Oweniten. Zum anderen liegt hier im Vergleich zu den übrigen britischen Genossenschaften eine enge Verbindung mit Robert Owen selbst vor. Sein persönliches Engagement in Nordamerika stellt zudem einen Einschnitt in seinem Leben dar: Das Ende seiner 25-jährigen Tätigkeit als Unternehmer in New Lanark 1 6 7 . Fortan widmet sich Owen allein gesellschaftspolitischen Fragestellungen. ring to A. Paul, 14.6.1830; Brief, Mrs. A. Combe to Robert Owen, 13.5.1838 (beide Cooperative Union Collection, Manchester). 161 Vgl. Donnachie, I., S. 148; Garnett, R. G., 1971, S. 48. 162 s. Brief, J. Wright to Robert Owen, 10.2.1825; Brief, J. Wright to Robert Owen, 6.5.1825 (beide Co-operative Union Collection, Manchester); Owen veräußert das Motherwell-Gelände an die Familie Hamüton, s. auch Garnett, R. G., 1971, S. 44. 163 Donnachie, I., Orbiston . . . , S. 136. 164 Dies ist umso erstaunlicher, als Hamilton sein Vermögen in Orbiston verliert; er will in USA siedeln; s. Brief, Hamilton to Robert Owen, 4.9.1828 (Co-operative Union Collection, Manchester). 165 Brief, Robert Owen to Hamilton, 14.10.1828 (Hamilton Papers, Motherwell Public Library); zitiert bei Donnachie, I., S. 159. 166 Zu New Harmony s. Podmore, Fr., Robert Owen, Kapitel 13 u. 14; Liefmann, R., Die kommunistischen Gemeinden . . . , S. 10 ff; Bestor, A. E., Backwoods Utopias, Philadelphia 1950; Young, M., Angel in the Forest, London 1966, S. 11 ii\Pitzer, D. E. (Hrsg.), Robert Owen's American Legacy, S. 14 ff; für weitere Quellenhinweise s.Harrison, J. F. C., 1969, S. 163 f; s. auch Hofstätter, P. R., Gruppendynamik, Hamburg 1957, passim. 167 Owen wohnt nach seiner Rückkehr nach England (1828) in London, bis 1834 Adresse: 49 Bedford Square; dann 4 Burton Crescent, Burton Place; in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Cox Hotel, 55 Jeremy Street, St. James; s. Hotelrechnung, Cox Hotel, 1851 (Co-operative Union Collection, Manchester). 11 Elsässer

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Im Sommer 1824 reisen die beiden Amerikaner W. Maclure 168 und R. Flower nach New Lanark, um Robert Owen die Gemeinschaftssiedlung ,Harmony' der Sekte um Fr. Georg Rapp zum Kauf anzubieten 169 . Die Gelegenheit, eine bereits errichtete und großzügig angelegte Siedlung im mittleren Westen der Vereinigten Staaten von Amerika zu übernehmen, ergreift Owen beim Schopf. An seinen ältesten Sohn, Robert Dale, gewandt: „Well, Robert, what say you, New Lanark or Harmony?" - „Harmony." 1 7 0 Bereits im November 1824 segelt Owen nach New Y o r k 1 7 1 . In Washington, noch vor Unterzeichnung des Kaufvertrages, beginnt er damit, für seine projektierte Genossenschaftssiedlung in Harmony zu werben. Am 25. Februar und 7. März 1825 hält Owen zu diesem Zweck zwei Ansprachen vor dem Repräsentantenhaus 172. Gleichzeitig läßt er ein Holzmodell semer Mustersiedlung im Foyer ausstellen und fordert alle Menschen „industrious and well-disposed of all nations" 1 7 3 auf, nach Harmony zu folgen. Mit Handzetteln und Plakaten „to Farmers, Tradesmen and others" 1 7 4 versucht Owen ferner auf sein Vorhaben in Amerika aufmerksam zu machen. Am 21. April 1825 schließen Owen und Fr. Rapp in Harmony den Kaufvertrag 1 7 5 . Danach erwirbt Owen 21 Häuser, 86 Blockhütten sowie 20.097 Morgen Land zum Preis von 95.000 US-Dollar (19.451 Pfund 1 7 6 ); zahlbar in acht Wechseln ä 2.000 Pfund sowie einem Wechsel über 3.451 Pfund, fällig alle drei Tage 177 . In einem Brief an seinen Sohn William vom gleichen Tage äußert Owen die Ansicht, einen günstigen Preis für das mehr als 8 Millionen Quadratmeter große Anwesen vereinbart zu haben 1 7 8 . Für zusätzliche Gebäude,Umbauten, Inventar und Viehbestände investiert Owen weitere 55.000 US-Dollar; ins168 Gebürtiger Schotte, Geologe u. Pädagoge, zur Verbindung Owen - Maclure, s. Bestor, A. E. (Hrsg.), Education and Reform at New Harmony, Correspondence of W. Maclure and M. D. Fretageot, 1820-1833, Indianapolis (USA) 1948, S. 317 ff. 169 Fr. Georg Rapp aus Württemberg, erfolgreicher Sektenführer, ,Harmony Society' (1814-1824), Gemeineigentum, gegenseitiger Fürsorgegedanke, gründet 1825 in Pennsylvania die Community »Economy' mit etwa 800-900 Mitgliedern; s. Arndt, K. J. R., The Indiana Decade of George Rapp's Harmony Society: 1814-1824, Worcester Mass. (USA) 1971, S. 4 ff. 170 Zitiert bei Podmore, Fr., Robert Owen, S. 288. 171 Robert Dale Owen übernimmt das Management von New Lanark. 172 Eine Hotelrechnung aus Washington bestätigt Owens tatsächliche Anwesenheit, s. Account for Mr. Owen & Servant, Franklin House Hotel, Washington, February/March 1825, über 182, 39 US-Dollar (Co-operative Union Collection, Manchester). 173 Noyes, J. H., History of American Socialisms, Philadelphia 1870, S. 35. 174 Handzettel, Februar 1825 (Co-operative Union Collection, Manchester). 175 s. handschriftliche Abschrift der Kaufvereinbarung zwischen Fr. Rapp u. R. Owen, 21.4.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester). 176 1 Pfund = 4,87 Dollar, vgl. Schraut, M., Die Lehre . . ., S. 12. 177 s. auch Verkaufsprospekt von Rapp in: Arndt, K. J. R., The Indiana Decade . . ., S. 8-11. 178 Vgl. Brief, Robert Owen to William Owen, 21.4.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester).

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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gesamt also 150.000 Dollar (über 30.000 Pfund), fast vier Fünftel seines gesamten Vermögens 179 . Die Gründe, die Robert Owen zur Aufgabe semer Existenz in New Lanark und zum Engagement in New Harmony bewogen haben, sind schwer nachzuvollziehen. Sicherlich spielt der Umstand des Mißerfolges des Motherwell Vorhabens sowie die mangelnde Unterstützung seiner Fabrikgesetzgebungsinitiativen eine wichtige Rolle. Die zunehmende Auseinandersetzung mit seinem Kompagnon W. Allen über Fragen des Erziehungswesens 180 in New Lanark werden ebenfalls seinen Entschluß erleichtert haben. Ausschlaggebend ist jedoch, daß Owen in Nordamerika die ideale Plattform für soziale Neuerungen sieht: „The United States . . . have been prepared in the most remarkable manner for the New System. The principle of union and co-operation . . . is now universally admitted to be far superior to the individual selfish system . . . In Fact the whole country is ready to commence a new empire . . . " 1 8 1 In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein vergleichsweise junges Staatengebilde, welches ohne organisch gewachsene Gesellschaftsstrukturen für soziale Experimente zur damaligen Zeit durchaus aufgeschlossen i s t 1 8 2 . Am 27. April 1825 gründet Owen in New Harmony (wie er die Siedlung nun nennt) eine vorläufige Gesellschaft unter seinem Vorsitz, welche den Aufbau und die Besiedlung der Genossenschaft leitet. In den ersten Wochen kommen bereits 800 Menschen an, im Oktober 1825 erhöht sich die Zahl auf etwa 900 Siedler 183 . New Harmony wird auch zu einem internationalen Sammelbecken philanthropisch und freidenkerisch gesinnter Menschen; darunter der Geologe und Erzieher W. Maclure, der Zoologe Th. Say, der Naturwissenschaftler Ch. Lesueur, der Chemiker G. Troost und die erste Frauenrechtlerin der USA, Frances Wright, um nur einige zu nennen 184 . Insbesondere die sogenannte boatload of Knowledge' (Schiffsladung des Wissens), 30—40 Erzieher und Wissenschaftler, die 1826 mit Owen von Europa nach New Harmony gehen, ist für die Entwicklung eines nationalen Erziehungswesens in Amerika von großer Bedeutung 185 . 179 s. Owen, R. D., Threading My . . . , S. 211;Podmore, Fr., Robert Owen, S. 288 f; Bestor, A. E. (Hrsg.), 1948, S. 335 f; Hasselmann behauptet, Owen hätte 200.000 Dollar investiert; dies trifft nicht zu, da Maclure selbst 40.000 Dollar in das Projekt investiert, s. Hasselmann, E., Am Anfang . . . , S. 30;Bestor, A. E. (Hrsg.), ebd. 180 s. V. Hauptteil dieser Arbeit. 181 Brief ; Robert Owen to William Owen, 21.4.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester); s. Harrison, J. F. C., Robert Owen's Quest for the New Moral World in America, S. 33 ff. 182 s. Riesmann, D., Utopisches Denken . . ., S. 327 ff. 183 s. Brief, William Owen to Robert Owen, 16.12.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester)\Noyes, J. H., History . . . , S. 35. 184 Vgl. Hasselmann, E., Am Anfang . . . , S. 28. 185 s. V. Hauptteil dieser Arbeit.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Am 5. Februar 1826, nach einer erfolgreichen Gründungsphase, löst Owen die vorläufige Verwaltungsgesellschaft von 1825 auf und proklamiert die ,New Harmony Community of Equality': Eine nach der Maxime absoluter Gleichheit der Mitglieder sich selbst verwaltende Produktivgenossenschaft 186. Wurde 1825 der Lohn der Siedler noch nach der Arbeitsleistung bemessen (mit einer internen Währung, den ,Labour Tickets'), steht 1826 allen Genossenschaftsmitgliedern nunmehr die gleiche Kaufkraft z u 1 8 7 . Mit dem Übergang zu dieser urkommunistischen Grundkonzeption, die Owen als idealtypische Struktur einer jeden Gemeinschaft betrachtet, wird gleichzeitig der Niedergang der Siedlungsgenossenschaft in New Harmony eingeleitet. 1827 zeigen sich die Fehlentwicklungen immer deutlicher 188 : Es kommt zur Zersplitterung der Gemeinschaft in einzelne Gruppierungen. Allzu deutlich wird offenkundig, daß der Aufbau der Genossenschaft zu hastig betrieben und eine Selektion der Mitglieder nicht sorgfältig vorgenommen oder gar unterlassen worden ist. Dieser Ansammlung unterschiedlichster Menschen fehlt der innere Halt, dem Owenschen Anspruch auf urkommunistische Lebensweise gewachsen zu sein. 1827 gesteht Robert Owen den Fehlschlag seines Vorhabens ein 1 8 9 . Auf Owens persönliche Verantwortung für den Mißerfolg von New Harmony wird in den folgenden Kapiteln eingegangen. Während frühe Owen Biographen, wie Booth, keine Angaben zu Owens finanziellem Verlust machen 190 , und in jüngerer Zeit Hasselmann von der weitverbreiteten Annahme ausgeht, Robert Owen habe sein gesamtes Vermögen bei dem New Harmony Experiment verloren 191 , stellt Bestor zurecht fest, daß Owen zwar große finanzielle Verluste hinnehmen muß, der Grundbesitz von New Harmony jedoch im Eigentum der Familie Owen verbleibt 192 . Interessanterweise wird das Immobilienvermögen von Robert Owen und seinen Söhnen in New Harmony 1832 mit 144.207 Dollar bewertet 193 . Allem Anschein nach fangen spätere Wertsteigerungen des Grundbesitzes, infolge der weiteren Besiedlung der USA, einen Teil der ursprünglichen Verluste Owens auf. Das kann al186

Vgl. Hasselmann, E., S. 30. s. Clayton, J., Robert Owen, Pioneer of Social Reforms, London 1908, S. 43 f. 188 s. ders., ebd. 189 Zu Owen und Amerika s. Harrison, J. F. C., Robert Owen's Quest for the New Moral World in America, S. 29 ff. 190 s. Booth, A. J., Robert Owen . . ., S. 123-125. 191 Vgl. Hasselmann, R. O., S. 30. 192 Owens Söhne bleiben nach 1827 in New Harmony, interessanterweise hatte Owen selbst die Staatsbürgerschaft der USA für sich beantragt, s. Schreiben v. Ed. Piper, 9.5.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester); auch Bestor, A. E., 1948, S. 336. 193 Das Land von R. Dale u. William mit 33.198 Dollar, das von D. Dale u. Richard mit 15.160 Dollar, das von Robert Owen mit 95.849 Dollar bewertet; Owen überträgt seinen Söhnen Land für ihre veräußerten New Lanark Anteile, s. Owen, R. D., Threading My Way, S. 294; wegen finanzieller Streitigkeiten wird Maclure von R. Owen ebenfalls mit Land abgefunden, s. Bestor, A. E., 1948, S. 373 ff u. 393 ff. 187

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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lerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Fehlschlag des genossenschaftlichen Experimentes 1827/1828 Owens finanzielle Position, vor allem hinsichtlich seiner liquiden Mittel und laufenden Einkünfte, stark beeinträchtigt. Von der Literatur weitgehend übersehen wurde auch die Tatsache, daß in der Anfangsphase von New Harmony eine regelrechte Welle owenitischer Genossenschaftsgründungen in den USA ausgeht. * * * * * *

Es sind dies im einzelnen 194 : Wanborough, Illinois Yellow Springs, Ohio Nashoba, Tennessee Kendal, Ohio Valley Forge, Pennsylvania Blue Spring, Indiana

1825 1825 1825 1826 1826 1826

Die Popularität von New Harmony wird auch daran ersichtlich, daß noch im Mai und Juni 1828 Menschen, zum Beispiel auch ehemalige Sklaven, an einer Mitgliedschaft in der Siedlungsgenossenschaft New Harmony interessiert sind 1 9 5 . 4. Ralahine (1831-1833) Die erfolgreichste Produktivgenossenschaft Irlands in Ralahine (County Clare) geht in ihrem Ursprung auf Kreise um Robert Owen zurück 1 9 6 . Sie wird im November 1831 von dem irischen Großgrundbesitzer J. S. Vandeleur und dem aus Manchester stammenden Oweniten E. T. Craig 197 gegründet; ein Beispiel philanthropischer Fremdhilfe. Charakteristikum dieser kleinen genossenschaftlichen Siedlung ist ihre ausschließlich landwirtschaftliche Ausrichtung 198 . Das Gründungskapital wird, anders als bei anderen Gründungsversuchen wie z.B. Motherwell, bewußt niedrig gehalten. Auf große Gebäude nach dem Owenschen Parallelogrammentwurf wird verzichtet. Die Mitglieder der Genossenschaft, zumeist einfache Landarbeiter, pachten den Grund und Boden von J. S. Vandeleur 1 9 9 . Die ,Community' betreibt einen konsumgenossenschaftlichen Laden sowie eine ,Infant School'. Zur Konzeption von Ralahine gehört ein Gewinnbeteiligungsplan 200 ebenso wie ein internes Währungssystem, die ,Labour Notes', auf 194 s. hierzu Harrison, J. F. C., 1971, S. 28; Owens Wirkung in Amerika, s. auch^rmytage, W. H. G., Owen and America, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 214-238. 195 s. Brief, J. Brooks to Robert Owen, 15.5.1828; Brief, R. Secot to Robert Owen, 16.6.1828 (beide Co-operative Union Collection, Manchester). 196 s. Garnett, R. G., 1971, S. 47-52; Böiger, P., The Irish Co-operative Movement, its History and Development, Dublin 1977, S. 13-23. 197 s. Craig, E. T., The Irish Land and Labour Question, London 1893. 198 s. Crisis, Vol. I, 19.4.1832. 199 vgl. Garnett, R. G., 1971, S. 47. 200 s. Armytage, W. H. G., Heavens Below . . . , S. 105-112; Garnett, R. G., 1971, S. 49 ff; ders., 1972, S. 100-129.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

die noch näher eingegangen w i r d 2 0 1 . Fr. Oppenheimer betont in seiner Studie über Siedlungsgenossenschaften den großen wirtschaftlichen Erfolg und die gute Organisation von Ralahine 202 . Es ist eine Tragik in der Genossenschaftsgeschichte, daß der Bankrott von J. S. Vandeleur infolge Spielschulden (!) das Ende dieser ,Community4 im Herbst 1833 herbeiführt 203 . Robert Owen beschäftigt sich schon früh mit gesellschaftspolitischen Fragen Irlands. 1822 reist er erstmals zu einer Vortragsreihe nach Dublin 2 0 4 . Bei dieser Gelegenheit lernen sich Vandeleur und Owen kennen. Der Ire ist von der Sozialreform New Lanarks fasziniert 205 . In Ralahine versucht er, ein agrarökonomisches Pendant zu Owens Industriekomplex zu verwirklichen 206 . Mithin dürfte die Konzeption der irischen Produktivgenossenschaft eher von New Lanark als etwa von Orbiston oder New Harmony beeinflußt sein. 1831 propagiert Owen staatlich initiierte ,Communities4 zur Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit in Irland 2 0 7 . 1832 findet das erfolgversprechende Ralahine-Projekt die Aufmerksamkeit der von Owen herausgegebenen Zeitschrift ,The Crisis' 208 . Obwohl Owen 1833 die Produktivgenossenschaft in Irland selbst besucht, gilt es Owens Beitrag zu dieser Gründung nicht zu überschätzen. Wie der Historiker Garnett zurecht konstatiert, kann man Owen lediglich als ideellen Impulsgeber, nicht jedoch als tatkräftigen Gründer betrachten. „The inspiration for the Ralahine experiment can be traced to Owen's Dublin meetings, but the actual planning and direction was the work of Vandaleur and Craig who were the only persons at Ralahine conversant with Owen's principles." 209 5. Queenwood (1839-1845) Tro'z der Fehlschläge von Orbiston, New Harmony und Ralahine bleibt Owens prduktivgenossenschaftliche Konzeption im Gespräch. Aus der Owenschen Korrespondenz (Co-operative Union Collection, Manchester) geht deut201

Vgl. Böiger, P., The Irish . . . , S. 18; s. auch IV. Hauptteil dieser Arbeit. Vgl. Oppenheimer, Fr., Die Siedlungsgemeinschaft, 3. Aufl., Jena 1924. S. 221. 203 s. Garnett, R. G., 1971, S. 51. 204 s. handschriftliches Memorandum for Robert Owen on the State of Irland, 1822' (o.V.) (Co-operative Union Collection, Manchester). 205 Vgl. Garnett, R. G., 1971, S. 49. 206 Vgl. ders., ebd. 207 s. Measures for obviating the necessity of Poor Rates in Irland, 10.9.1831 (Cooperative Union Collection, Manchester); später während des Chartismus kommt es in Irland zu einem anderen Besiedlungsplan; ,0'Connor-Land-Scheme' (1842); einzelne Farmen mit zentralen Schulen, Bibliotheken etc., s. Hovell, M., The Chartist Movement, Manchester 1950, S. 267 ff; Read, D./Glasgow, E., Feargus O'Connor, Irishman and Chartist, London 1961, S. 108 ff. 208 s. Crisis, Vol. 1,19.4.1832. 209 Garnett, R. G., 1971, S. 50. 202

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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lieh hervor, daß auch in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts eine ,Community'-Bewegung im Kreise der Oweniten herrscht. So gehen Überlegungen der Gründung einer Produktivgenossenschaft für Seeleute 1831 in Liverpool auf die Initiative J. Finch's, eines Anhängers Owens, zurück 2 1 0 . 1835 publizieren Oweniten weitere Community' Entwürfe für Siedlungen von 500 Personen 211 . G. Fleming aus Salford bei Manchester drängt Owen in einem Schreiben 1837 zu weiterer genossenschaftlicher Aktivität 2 1 2 . 1838 erwirbt der Philanthrop Hill 700 Morgen Land in Wretton bei Norfolk für eine Siedlungsgenossenschaft Owenscher Prägung (Owen steuert selbst 500 Pfund bei) 2 1 3 . Robert Owen ist in diesen Jahren die Zentralfigur und Integrationsstelle des Flusses produktivgenossenschaftlicher Ideen auf nationaler Ebene in Großbritannien. Besonders deutlich geht das aus einem Brief von B. S. Jones vom 3. November 1835 hervor: „ . . . that I gave up all hope and expectation of witnessing any attempt of the kind . . . indeed I should have dismissed it altogether from my thought were it not your marvellous perseverance in bringing your views under notice of the public." 2 1 4 Die produktivgenossenschaftliche Bewegung in den dreißiger Jahren verläuft zeitgleich mit der Ausbreitung des ,Owenism' 215 . Dieser macht sich in einer Fülle zahlreicher Organisations- sowie Vereinsgründungen, die sich mit dem Siedlungsgedanken auseinandersetzen, bemerkbar. Im einzelnen 216 : * » * * *

1835 1836 1837 1839 1840

Association of All Classes of All Nations Community Friendly Society National Community Friendly Society Universal Community Society of Rational Religionist Home Colonisation Society

Owens Rolle als Befürworter und Inspirator genossenschaftlicher Aktivität wird auch bei der letzten Owenschen Siedlung, Queenwood, deutlich. Andeutungsweise soll die Entwicklung dieser am 1. Oktober 1839 im Süden Englands gegründeten ,Community' kurz dargestellt werden 217 . 210 s. Brief, J. Finch to Robert Owen, 16.2.1831 (Co-operative Union Collection, Manchester); auch Finch, J., Moral Code of the New Moral World or Rational State of Society, Liverpool 1840, 8 Seiten; Murphy, J., Robert Owen in Liverpool, 1960, S. 79-103. 211 s. o. V., Minutes of Meetings of Members of Parliament & Others, London 1835. 212 Vgl. Brief, G. Fleming to Robert Owen, 30.8.1837 (Co-operative Union Collection, Manchester). • 213 Vgl. Brief, Finch/Hill to Robert Owen, 25.9.1838; später Zerwürfnis mit Hill, vgl. Brief, Craig to Robert Owen, 18.2.1839 (beide Co-operative Union Collection, Manchester). 214 Briefi B. S. Jones to Robert Owen, 3.11.1835 (Co-operative Union Collection, Manchester). 215 Zum ,Owenism4 (Owenismus) s. Behandlung von Yeo, E., Robert Owen and Radical Culture, S. 84 ff. 216 Zum folgenden s. Garnett, R. G., 1971, S. 53.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Auf einem gepachteten Gehöft (Queenwood Farm) mit 500 Morgen Land in Hampshire ist auch diese Genossenschaft primär landwirtschaftlich ausgericht e t 2 1 8 . Unter Leitung der Oweniten J. Finch und W. Pare 219 (,Acting Governors 4) operiert die »Community* mit durchschnittlich 40 bis 20 Mitgliedern. Wirtschaftlich nur wenig erfolgreich und schlecht organisiert, gelingt es dem kleinen Kreis der Siedler dennoch, fast 6 Jahre lang den Genossenschaftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Erst 1845 wird Queenwood wegen Überschuldung aufgelöst 2 2 0 . Obwohl Queenwood von allen owenitischen Gründungen am längsten existierte, nimmt es im Vergleich zu Orbiston oder New Harmony von der Popularität und öffentlichen Beachtung her eine sekundäre Rolle ein. Bislang wenig bekannt ist die Tatsache, daß zwischen Robert Owen und Queenwood durchaus enge Verbindungen bestehen. So wird Owen im hohen Alter von 68 Jahren mit der Anpachtung des Grund und Bodens vom Kongreß der ,Community Society' 1839 in Birmingham beauftragt 221 . Owen entschließt sich, ein Angebot der Bankiersfamilie Goldsmid über die Verpachtung von 500 Morgen Land auf 99 Jahre zu 350 Pfund jährlich zu akzeptieren 222 . Owen lehnt es jedoch ab, selbst als ,Acting Governor 4 (Leiter) der Queenwood »Community 4 zu fungieren, empfiehlt vielmehr seine Gefolgsleute Finch, Green und Aldam 2 2 3 . Das Siedlungsprojekt erhält weiterhin die Unterstützung der nationalen owenitischen Organisation, der ,Home Colonisation Society4. Diese übernimmt auch die gesamte Projektfinanzierung in Höhe von 15.000 Pfund; Owen wird mit der Überwachung und Verteilung der Fonds beauftragt 224 . Die owenitische Schrift ,New Moral World 4 propagiert in der Folgezeit das Siedlungsvorhaben 225 . 1841 legt Owen den Grundstein zur Schule, der Harmony Hall, in Queenwood 226 . Nach dem Zusammenbruch der Genossenschaft (1845)beschäftigt sich Owen zusammen mit W. Pare mit der Abwicklung der Verbindlichkeit e n 2 2 7 . Es ist somit gerechtfertigt, Robert Owen von der Gründungsphase bis 217 s. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 530 ff; Cole, M., Robert Owen, S. 216-220\Hasselmann, E., Am Anfang . . ., S. 43-45; Garnett, R. G., 1972, S. 165-213. 218 s. Handzettel, Stellenangebot für ,Farm Overseer' v. 14.8.1840 (Co-operative Union Collection, Manchester). 219 s. Garnett, R. G., William Pare (1805-1873), Co-operator and Social Reformer, Cooperative College Papers Nr. 16, Loughborough 1973. 220 s. ders., ebd, S. 27-36; ders., 1971, S. 53-64; auf eine Verbindung zwischen Queenwood und den Rochdaler Pionieren weist Simon, H., 1905, S. 316, hin. 221 s. Resolution of Congress of National Community Society, Birmingham 28.5.1839 (Co-operative Union Collection, Manchester). 222 s. Brief, Goldsmid to Robert Owen, 22.3.1838; auch Draft Lease of Queenwood v. 16.8.1839 (beides Co-operative Union Collection, Manchester). 223 s. Brief Robert Owen to Central Board, 27.9.1839 (Co-operative Union Collection, Manchester); New Moral World, 5.10.1839; später erst kommt W. Pare hinzu. 224 Vgl. New Moral World, 13.8.1842; Garnett, R. G., 1971, S. 57 f. 225 s.Ausgabe 22.5.1841. 226 s. New Moral World, 18.9.1841; 1842 nimmt Owen an der 1. Taufe in der Siedlung teil; vgl. New Moral World, 15.1.1842; Garnett, R. G., 1971, ebd.

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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zum Ende in prominenter Weise in Verbindung mit den Aktivitäten in Queenwood zu sehen. III. Gründe für das Scheitern der Produktivgenossenschaften Die Ursachen für die Mißerfolge der Owenschen Siedlungsgenossenschaften sind vielfältig. Sie liegen teils im ökonomischen, teils im außerökonomischen Bereich, sind sowohl innerhalb als auch außerhalb der ,Cömmunities' begründet. Zusammenfassend lassen sich als Gründe für das Scheitern anführen: Kapitalmangel Oftmals gelingt es nicht, genügend Kapital zur Finanzierung der nötigen Investitionen aufzubringen, wodurch sich das Vorhaben (so im Fall Motherwell) schon in der Anfangsphase nicht realisieren läßt. Zumeist reicht jedoch die Kapitalausstattung der Genossenschaft, auch durch fehlende Sparmöglichkeiten der Mitglieder 228 , nicht aus, den Gemeinschaftsbetrieb aufrecht zu erhalten (Fall Orbiston). Dies liegt teilweise auch an zu hohen Ausgaben für ehrgeizige Bauvorhaben, die wirtschaftlich nicht zu vertreten sind (Harmony Hall in Queenwood). Am Beispiel New Harmony zeigt sich aber, daß ein Kapitalmangel oft nicht ausreicht, genossenschaftliche Mißerfolge der damaligen Zeit zu erklären. Organisationsmängel Innerhalb der owenitischen Siedlungen sind Organisationsfehler zu erkennen. Diese beziehen sich vor allem auf die Führung und die Strukturen der Genossenschaften: — fehlende Leiterautorität (trotz selbstlosem Einsatz der Gründerpersönlichkeiten) 2 2 9 — kerne strenge Handhabung von Finanzbudgetkontrollen - zu schnelles Wachstum der Siedlung - keine Selektion der Mitglieder, z.B. nach benötigten Berufsgruppen — keine Zuzugsbeschränkungen - fehlende Planung für eine organisch wachsende Infrastruktur Fehlender Genossenschaftsgeist Ein außerökonomisches Problem stellt die innere Einstellung der einfachen Genossenschaftsmitglieder gegenüber dem Gemeinschaftsbetrieb dar. Schwin227

s. Brief W. Pare to Robert Owen, 3.10.1846, Brief W. Pare to Robert Owen, 19.6. 1847 (beide Co-operative Union Collection, Manchester). 228 s. Engelhardt, W. W. Prinzipielle . . . 1963, S. 448 f. 229 Dies ist eine besonders wichtige Komponente, s. Dahrendorf R., Industrie- und Betriebssoziologie, Berlin 1956, S. 64.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

det der Einfluß der Gründerpersönlichkeit (Tod A. Combe, Orbiston; Bankrott Vandeleur, Ralahine), so verfällt das genossenschaftliche Gefüge schnell. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang: - das ,Free Rider' Problem 230 — fehlende Gruppenkohäsion (New Harmony) - keine Erfassung der Beziehungen der Mitgliedergruppen untereinander 231 — zu hohe sittliche Anforderungen 232 Ungenügende genossenschaftliche Erziehung Abgesehen von einigen wenigen Religionsgemeinschaften 233 sind die Owenschen Produktivgenossenschaften zur damaligen Zeit neuartige Pilotprojekte in Großbritannien. Das Problem jener frühen Siedlungsgemeinschaften bestand darin, daß dem Gros der Mitglieder jegliches genossenschaftliche Verständnis für die gemeinschaftliche Lebensführung fehlte. So wird eine deutliche sozialpsychologische Diskrepanz zwischen den eigentlichen ,geschulten' Oweniten und den ,gewöhnlichen' Siedlern bei den verschiedenen Projekten sichtbar 234 . In der Kürze der Zeit ist es unmöglich, eine Integration der Genossenschafter durch Erziehungsmaßnahmen zu erreichen 235 . Es ist von Interesse, daß Owen dieses Problem sehr wohl erkennt: Sein Motherwell Projekt soll ja als Schulungszentrum für spätere Genossenschaftsleiter dienen 236 . Isolierung in der Wirtschaftsordnung Auch wenn die owenitischen Produktivgenossenschaften nicht unter Absatzschwierigkeiten leiden, führen sie in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung der damaligen Zeit doch eine gewisse Jnselexistenz'. So ist ihnen vor allem der Zugang zu den Zentren allgemeiner Finanzierung (Börse, Bank, öffentliche Hand) versperrt. Sie bleiben auf einen relativ kleinen Kreis von Philanthropen angewiesen und sind insoweit benachteiligt. Ferner kommt nach Engelhardt hinzu, daß eine jede funktionierende Wirtschaftsordnung gewollt oder ungewollt grundsätzlich die Entwicklung neuer Ordnungen erschwert 237 . In seiner genossenschaftlichen Grundhaltung glaubt Owen allzu optimistisch an ein schnelles »Umsichgreifen' der Siedlungsgenossenschaften, dank ihrer ökonomischen wie 230

Z.B. Nutznießer, so in Orbiston und New Harmony der Fall. s. Infield, H. F., Utopia und Experiment, Genossenschaft und Gemeinschaft im Lichte der experimentellen Soziologie, Göttingen 1956, S. 172 f. 232 s. Draheim, G., Die . . . , S. 174 ff. 233 s. III. Hauptteil, B. I. 3. c. dieser Arbeit. 234 Vgl. Engelhardt, W. W., Prinzipielle . . . 1963, S. 447 f. 235 Vgl. ders., ebd. 236 s. III. Hauptteil, B. II. 1. dieser Arbeit. 237 s. Engelhardt, W. W., ebd. 231

B. Owens Konzept der Produktivgenossenschaft

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außerökonomischen Vorteilhaftigkeit. Die Eigendynamik und Widerstandskraft der damaligen kapitalistischen Wirtschaftsordnung hat Owen bei weitem unterschätzt. Owens eigentliche Leistung im siedlungsgenossenschaftlichen Bereich liegt im Entwurf der gedanklichen Konzeption und im praktischen Anstoß zur Gründung von Genossenschaften. Er wirkt dabei erfolgreich als Initiator und Zentralstelle für Öffentlichkeitsarbeit, Finanzierung und Kontakte für die junge Bewegung. Am Beispiel von New Harmony zeigt sich, daß Owen der Aufgabe des konkreten Aufbaus und der tagtäglichen Leitung einer Siedlungsgenossenschaft nicht gewachsen i s t 2 3 8 . Es wäre von daher verfehlt, ihn als ,Genossenschaftspionier' zu betrachten. In der Literatur wird überwiegend das Verhalten Owens kritisiert und das Scheitern seiner Genossenschaften betont. „Owen was not really interested in Community development, nor was he at heart capable of co-operation. His ñame should remain indissoluable linked as he would have wished with New Lanark rather than with any of the Community experiments." 239 Vor allem frühe Owen-Biographen überbetonen einseitig das Faktum des totalen Fehlschlags der Siedlungen 240 . Auch in jüngerer Zeit findet sich diese Einstellung in der Literatur, so bei J. 0 . Müller, wieder. „Für diese Zeit ist . . . das Scheitern . . . ganzer Bewegungen charakteristisch. Sie schlugen fehl, weil sie einer untauglichen Konzeption folgten und utopischen Zielen nachstrebten." 241 Tatsächlich war Owens Siedlungskonzept zu jener Zeit keineswegs so weltfern wie es aus heutiger Sicht erscheinen mag. Das teilweise mehrjährige Bestehen der Siedlungen sowie die zeitweise hohen Mitgliederzahlen (New Harmony: 900 Menschen) unterstreichen, daß es sich durchaus um eine attraktive und realisierbare (wenn auch unter großen Schwierigkeiten) Alternative zur damaligen Lebens- und Arbeitsweise handelt. Außerdem gilt es, die ideelle Hinterlassenschaft der »Community' Experimente nicht zu vernachlässigen. Die Fehlschläge haben die Genossenschaftsidee nicht zerstören können. Der Wille und die Bereitschaft zur weiteren Entwicklung kooperativer Lösungen der sozialen Frage bleiben in den Köpfen der Oweniten ungebrochen. Sie fühlen sich durch Mißerfolge nicht entmutigt, sondern zur permanenten Suche nach Formen praktischen Kooperierens aufgerufen 242 . So bekunden die führenden Köpfe der 238

Vielleicht spielt hier eine Rolle, daß Owen, anders als in seiner industriellen Laufbahn, das genossenschaftliche Metier nicht von der ,Pike' auf lernt; hinzu mag kommen, daß er von New Lanark her gewohnt ist, in hohem Maße zu delegieren, soweit Routinearbeiten betroffen sind. 239 Garnett, R. G., 1971, S. 60 f. 240 Beispielsweise Davies, R. E., The Life of Robert Owen, Philanthropist and Social Reformer, London 1907, S. 40; s. dagegen Huber, V. A., Die gewerblichen und wirtschaftlichen Genossenschaften der arbeitenden Klassen in England, Frankreich und Deutschland, Tübingen 1860, S. 19 f. 241 Müller, J. O., Verfahrensweisen . . ., S. 238. 242 Vgl. ders., ebd.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Queenwood Siedlung (1839-1845), Finch und Pare, 1846 in einem Schreiben ihre Absicht, eine neue ,Community' aufzubauen 243 . Mit Victor Aimé Huber gilt es, für jene schwierige Anfangsphase festzustellen, daß „ein Erfolg unter nicht ganz anomalen Verhältnissen mehr beweise als hundert Fehlschlagungen" 2 4 4 . Owens freiwillige, urkommunistisch ausgerichtete Produktivgenossenschaften sind damals als Ausdruck einer neuen Wirtschaftsordnung zu verstehen 2 4 5 . Diese stellen nach Engelhardt „die klarste Ausprägung des Leitbildes einer auf dem Consensus der Beteiligten beruhenden genossenschaftlichen Gesamtordnung des Wirtschaftslebens d a r " 2 4 6 .

IV. Owens Einfluß auf spätere Formen der Siedlungsgenossenschaft - israelische Kibbuzim Owens Konzeption der Produktivgenossenschaft vom Typ der Siedlungsgenossenschaft ist als ein ideeller Vorläufer der israelischen Kibbuzim zu sehen 2 4 7 . In der Literatur finden sich einige Hinweise, die diese These erhärten. So charakterisiert die Owen Biographin Magret Cole Owens New Harmony Siedlung folgendermaßen: ,,.. . something of a cross between a summer school and a Kibbutz (sic)." 2 4 8 Der Soziologe A. Briggs sieht einen direkten Zusammenhang, indem er feststellt, Owen würde sich heute im Kibbuz wohl fühlen 249 . Darin-Drabkin bemerkt zur Gründungsphase der ersten Kibbuzim in Israel: „The Utopian experiments of Robert Owen, Charles Fourier and Etienne Cabet and others, were still fresh in people's memories." 250 Franz Oppenheimer, der später selbst in Palästina genossenschaftlich aktiv war, hebt ideengeschichtliche und strukturelle Zusammenhänge sowie Owens Rolle deutlich hervor 2 5 1 . Die starke genossenschaftliche Verankerung im religiösen Israelitentum spielt für

243

Vgl. Brief, W. Pare to Robert Owen, 3.10.1846 (Co-operative Union Collection, Manchester). 244 Huber, V. A., Ausgewählte Schriften über Socialreform und Genossenschaftswesen, hrsg. v. K. Munding, Berlin 1894, S. 1166. 245 s. auch Briggs, A., Robert Owen im Retrospect, Co-operative College Papers Nr. 6, April 1959, S. 3-16, hier S. 8. 246 Engelhardt, W. W., Prinzipielle . . . 1963, S. 449. 247 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 33 f. 248 Cole, M., Robert Owen until after New Lanark, in: Robert Owen, Industrialist, Reformer, Visionary, 1771-1858, 4 Essays, London 1971, S. 13. 249 Vgl. Briggs, A., Robert Owen . . ., S. 14. 250 Darin-Drabkin, H., The other Society, London 1962, S. 68; zur Beziehung OwenFourier/Cabet s. IV. Hauptteil dieser Arbeit. 251 s. Oppenheimer, Fr., Die Siedlungsgenossenschaft . . ., passim; auch Engelhardt, W. W., Robert Owen . . .,S. 34.

C. Owen und die Konsumgenossenschaft

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Oppenheimer eine bedeutende Rolle 2 5 2 . Auch die Zielsetzung der israelischen Gewerkschaft flistadrut' von 1920 zeigt gewisse Parallelen zu Owenschem Gedankengut auf. So wird u.a. gefordert „— to defend and advance the professional and social interests of the workers - to work for a national rebirth - to establish a workers' society on the principles of justice, co-operation and mutual help, brotherhood and the liberty of m a n " 2 5 3 . An Owens Konzeption des Gemeinschaftseigentums und gleicher Bezahlung (New Harmony) erinnert auch die Ideologie der Kibbuzim: „ . . . the Kibbutz (sic) has eliminated individual remuneration for all activities performed by members." 254 Ideelle Impulse seitens Owen und der Frühsozialisten auf das israelische Konzept konstatieren ferner Infield, Preuss und Meier-Cronemeyer. Die motivationalen Vorteile, die sich im Zuge der Kooperation und des Gemeineigentums für das Mitglied ergeben — die schon 1820 Robert Owen richtig erkennt — werden auch heute als wesentliches Indiz für den Erfolg der Kibbuzim von wissenschaftlicher Seite herausgestellt. Interessant ist auch, daß die Kibbuzim seit Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts ihre anfängliche Fixierung auf eine rein landwirtschaftliche Betätigung überwinden konnten. Ein Großteil von ihnen ist nunmehr erfolgreich in der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion tätig - ganz nach dem theoretischen Entwurf Owens von 18 1 7 2 5 5 .

C. O w e n u n d die Konsumgenossenschaft Mit gewissem Recht können sich auch die Konsumgenossenschaften 1 auf Robert Owen als einen Vorläufer ihrer Bewegung berufen 2 . Trotz gelegentlicher Skepsis Owens gegenüber dieser Form der Kooperation gehen mehrere Grund252

s. Oppenheimer, Fr., Genossenschaftliche Kolonisation in Palästina, Köln 1915; Krupp, M., Vergesse ich dein Jerusalem, von der Zionssucht zu Israels Wiedergeburt, Metzingen 1962, S. 78 f. 253 Losh, L., Fifty years of Co-operative Centre-Producers' and Service Co-operatives in Israel, in: Review of International Co-operation, Vol. 72, Nr. 2, 1979, S. 83-90, hier S. 83. 254 Don, Y., The Economics of Transformation from Agricultural to Agro-Industrial Production Co-operatives, Manuscript submitted to the Xth International Congress of Cooperatives Science, September 1981, S. 12 f. 255

Zur weiteren Vertiefung s. Preuss, W., Die Förderung des Genossenschaftswesens in Entwicklungsländern auf Grund der in Israel gemachten Erfahrungen, in: ZfgG, Bd. IX, 1959, S. 123; Karotamm, N. G., Geschichtliches zur Lehre von der sozialistischen Landwirtschaft, (Ost) Berlin 1962, S. 5 u. 16 ff; Holdheim, G., Der politische Zionismus, Werden, Wesen, Entwicklung, o.O. 1964, S. 45 ff; Bergmann, Th., Funktionen und Wirkungsgrenzen von Produktivgenossenschaften in Entwicklungsländern, Frankfurt 1969\Stettner, L, The Role of Co-operatives in Israel, in: Review of International Co-operation, Nr. 2, 1977; zu Owens Einflüssen auf gegenwärtige Siedlungsgedanken in den USA, s. Pitzer, D. E., Robert Owen's . . . , S. 79 f; Case, ¡Taylor, R. C. R. (Hrsg.), Co-ops, Communes and Collectives, New York 1979, S. 245; o.V., Die Kibbuzim in Israel haben eine florierende Wirtschaft aufgebaut, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 1. Juni 1982, S. 14. 1

Für einen geschichtlichen Überblick s. Engelhardt,

W. W., Genossenschaften II,

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

Sätze der modernen Konsumgenossenschaften, wie noch zu zeigen sein wird, auf Owen zurück. Owens ambivalente Haltung zu den Anfängen der Konsumgenossenschaftsbewegung ist in der Literatur häufig falsch und auch einseitig dargestellt worden. Es gilt von daher, zwischen einem praktisch vollzogenen sowie einem theoretisch behandelten Bereich des Konsumgenossenschaftswesens bei Owen zu unterscheiden.

I. Werkskonsum in New Lanark Owen eröffnet 1814 auf Kosten seines Betriebes im Zentrum von New Lanark einen ,Village Store' (Einkaufsgeschäft) 3. Im Rahmen der Erörterung der betrieblichen Sozialpolitik Owens4 wurde bereits auf die dabei verfolgte Geschäftspolitik eingegangen. Durch den Großeinkauf und langfristige Abnahmeverträge von hochwertigen Nahrungsmitteln, Öl, Textilien und anderen Haushaltsgegenständen kann Owen günstige Einkaufskonditionen aushandeln. Diesen Preisvorteil (bis zu 25 Prozent) gibt er an seine Arbeiter weiter 5 . Der finanzielle Überschuß des ,Village Stores' in Höhe von etwa 700 Pfund jährlich (das entspricht ungefähr dem Jahreslohn von 27 Arbeitern 6 ) wird nachweislich zur Finanzierung des Schulbetriebs von New Lanark verwendet 7. Der ,Village Store' New Lanarks besitzt keine genossenschaftliche Struktur; denn er befindet sich in der alleinigen Trägerschaft des Owenschen Betriebes. Die Arbeiter sind nicht Mitglieder, sondern lediglich Kunden des Konsumgeschäfts. Sie sind von daher auch an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt. Dennoch ist das erfolgreiche Funktionieren und der hohe Bekanntheitsgrad des Ladens im Zuge des öffentlichen Interesses für New Lanark 8 bedeutsam für die Konsumgenossenschaftsbewegung, die im eigentlichen Sinne erst ab 1844 dauerhaft mit der Rochdaler Pioniergenossenschaft 9 einsetzt. Die konsumenten(HdWW), S. 565 ff; s. auch Cassau, Th., Die Konsumvereinsbewegung in Großbritannien, 2. Aufl., Basel 1935; Vershofen, W., Die sittlichen Grundlagen der Konsumgenossenschaft, Hamburg 1949; Bailey, J., The British Co-operative Movement, 2. Aufl., London 1960. 2 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 34 f. 3 s. Hume, J. R., The Industrial Archaeology . . . , S. 233; o.V., A Future for New Lanark, S. 5. 4 s. II. Hauptteil, B. I. dieser Arbeit. 5 Vgl. Life I,S. 63. * s. Morton, A. L., The Life . . ., S. 81, zur Höhe der Wochenlöhne. 7 Vgl. Podmore, Fr., Robert Owen, S. 86 f; s. auch V. Hauptteil dieser Arbeit. 8 Jährlich bis zu 2.000 Besucher in New Lanark, vgl. Davies, A. T. (Hrsg.), 1948, S. 31. 9 Zur Rochdaler Pioniergenossenschaft, s. Elsässer, M., Die Rochdaler Pioniere, Religiöse Einflüsse in ihrer Bedeutung für die Entstehung der Rochdaler Pioniergenossenschaft von 1844, Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft, hrsg. v. W. W. Engelahrdt/Th. Thiemeyer, Bd. 5, Berlin 1982, S. 75 ff.

C. Owen und die Konsumgenossenschaft

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freundlichen Prinzipien, nach denen der Einkaufsladen von New Lanark entsprechend Owens Konzept geführt wird, haben sich dabei prägend auch auf die Grundsätze der Rochdaler Pioniere (1844) ausgewirkt 10 . Im einzelnen sind es folgende Geschäftsprinzipien aus New Lanark, die Eingang in die spätere Konsumgenossenschaftsbewegung finden: Kreditverbot Die Verkäufe in Owens ,Store' werden allein auf Barzahlungsbasis (,Cash Trading') oder im Abzugsverfahren vom Wochenlohn des Arbeiters abgewickelt. Dieser Modus ist nicht mit der weitverbreiteten Methode des ,Truck Shop' Systems zu verwechseln, wonach die Arbeiter generell in Naturalien entlohnt werden 1 1 . Gerechter Preis und gute Qualität Alkoholrestriktion 12 Eintreten für Bildung und Erziehung In einer Zeit, in der es weder staatliche Schulen noch öffentliche Bibliotheken gibt 1 3 , unterstützt der Owensche Konsumladen finanziell die schulischen Einrichtungen von New Lanark. Diese über das eigentliche Konsumentenwesen hinausgehende Zielsetzung wird ebenfalls eine charakteristische Forderung der späteren Konsumgenossenschaftsbewegung Großbritanniens 14. Gemeinwirtschaftliche Orientierung Mit der Verwendung des Betriebsüberschusses für erzieherische Zwecke weist der ,Village Store' eine gewisse gemeinwirtschaftliche Orientierung auf 1 5 . In New Lanark erfolgt, bewußt oder unbewußt von Owen initiiert, somit bereits 1814 eine praktische Grundlegung für die moderne Konsumgenossenschaftsbewegung. Nachfolgend gilt es, auf Verbindungen Owens zur eigentlichen ,Co-op' Bewegung selbst einzugehen.

10

s. Schloesser, R., Die berühmten Grundsätze der Rochdaler Pioniere, Köln 1927; Hasselmann, E., Die Rochdaler Grundsätze im Wandel der Zeit, Frankfurt 1968. 11 s. Müller, J. 0., Voraussetzungen . . ., S. 7; Finis, B., Wirtschaftliche . . ., Teil A.I.2.? 12 s. II. Hauptteil, B. I. dieser Arbeit. 13 s. V. Hauptteil dieser Arbeit. 14 s. Elsässer, M., Die Rochdaler Pioniere, S. 98 ff. 15 s. Engelhardt, W. W., Sind Genossenschaften gemeinwirtschaftliche Unternehmen, S. 10 ff.

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

II. Beziehungen zu Dr. Kings Brighton-Bewegung Eine erste Welle konsumgenossenschaftlicher Gründungen in Großbritannien geht vor allem von Dr. William King (1786-1365) nach 1829 aus 16 . Neben Robert Owen ist er als Wegbereiter des Genossenschaftswesens in England zu betrachten 17 . Seiner Bildung nach ist King ursprünglich Philosoph und Theologe, bevor er sich als Annenarzt' im Süden Englands, in Brighton, niederläßt 18 . Anders als Robert Owen glaubt er, daß das Genossenschaftswesen nicht der fremden Kapitalhilfe bedürfe und postuliert (wahrscheinlich als einer der ersten) das Prinzip der Selbsthilfe als Voraussetzung der Emanzipation des Arbeiters 19 . Die Selbsthilfe zur schrittweisen eigenen Kapitalbildung wül er den Arbeitern in gruppenweiser Erziehungs- und Bildungsarbeit vermitteln 20 . Seine Gedanken zur Selbsterziehung und Mitverantwortlichkeit des einzelnen sind durch das Beispiel des Schweizers Philipp E. v. Fellenberg (1771-1841) in Hofwyl mitangeregt worden und stehen damit in der Tradition des Erziehungsideals von Pestalozzi 2 1 . Während Owens Idee des genossenschaftlichen Zusammenschlusses — primär auf Produktiv- beziehungsweise Siedlungsgenossenschaften basierend - auf einen umfassenden Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft hinzielt, setzt sich King hauptsächlich für die Errichtung von Konsumgenossenschaften innerhalb der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur ein 2 2 . Neben einer preiswerten Lebensmittelversorgung der Mitglieder sollen seine Genossenschaften eine vom christlichen Geist der Nächstenliebe getragene Menschenbildung unter den Arbeitern Südenglands ermöglichen 23 . King gilt daher zurecht als Vorläufer der christlichen Sozialreform in England 24 . In der christlichen Gesinnung sieht 16 Erste Gründungen davor 1760 Getreidemühlen auf genossenschaftlicher Basis in Woolwich u. Chatham; 1769 Webergenossenschaften Fenwick/Ayrshire; 1795 Versorgungsgenossenschaft in Oldham, s. dazu Cole, G. D. H., Ein Jahrhundert.. ., S. 20 f. 17 Zu William King s. Mercer, T. W., Dr. William King and the Co-operator 1828-1830, Manchester 1922, Einleitung und Anmerkung; auch Potter-Webb, B., Die britische Genossenschaftsbewegung, S. 44 f; Müller, H., Dr. William King und seine Stellung in der Geschichte des Genossenschaftswesens, in: Jahrbuch des internationalen Genossenschaftswesens, 2. Jg., London 1913, S. 199 ff; Faucherre, H., Umrisse einer genossenschaftlichen Ideengeschichte, I. Teil, Basel 1925, S. 22 f. 18 Vgl. Bonner, A., British Co-operation, S. 500\ Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen bei der Errichtung von Genossenschaften in Europa. * 9 s. Schloesser, R., Die berühmten Grundsätze der Rochdaler Pioniere . . . , S. 40;Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen . . ., S. 17 f. 20 s. Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen, volkswirtschaftlich und soziologisch betrachtet, Handbuch des Genossenschaftswesens, Bd. I, Halberstadt 1928, S. 82 f; auch Elsässer, M., Die Rochdaler Pioniere, S. 96 ff. 21 s. V. Hauptteil dieser Arbeit\ Hammelsbeck, O., Art.: Pestalozzi, in: Evangelisches Soziallexikon, Stuttgart 1958, S. 808 f. 22 Vgl.Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen . . ., S. 19. 23 Vgl. ders., ebd; s. auch Hasselmann, E., Am Anfang war die Idee, S. 32 ff. 24 s. Müller, H., Die Geburt der Genossenschaftsidee . . . , S. 75 f.

C. Owen und die Konsumgenossenschaft

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er das Fundament aller genossenschaftlichen Aktivität 2 5 . Kings wesentliches Verdienst ist die Herausgabe der Zeitschrift ,The Co-operator', die von 1828 bis 1830 monatlich erscheint 26 . Er ist nicht nur der Initiator dieser Publikation zur Verbreitung des Genossenschaftswesens, sondern schreibt fast alle Artikel und Aufsätze selbst. Er propagiert darin — als einer der ersten Genossenschaftstheoretiker — Grundzüge einer Konsumgenossenschaftsbewegung, die zu einer Welle von konsumgenossenschaftsartigen Gründungen um 1830 in Südengland führt 2 7 . Insgesamt bestehen kaum Kontakte zwischen Robert Owen und Dr. William Kings Konsumgenossenschaftsgründungen. Owen widmet sich in der Zeit nach 1825 ganz seinen großen Siedlungsprojekten produktivgenossenschaftlicher A r t 2 8 . Aus der Owenschen Korrespondenz geht allerdings hervor, daß die Anhänger der Brighton-Bewegung von Owen und seinen Ideen Notiz nehmen 29 . Dennoch erscheint es höchst zweifelhaft, von einem Einfluß Owens auf die Brighton-Bewegung auszugehen. Dagegen spricht auch der Umstand, daß Dr. King im Süden Englands (räumlich entfernt von Owen) wirkt. Zudem befürworten Kings Anhänger ein langsames, allmähliches genossenschaftliches Vorgehen, welches sich ohne philanthropische Fremdhilfe (,well disposed capitalists'), rein arbeiterorientiert entwickeln kann 3 0 .

III. Owen und die Rochdaler Pioniere Ausschlaggebend für die Konsumgenossenschaftsbewegung ist die Gründung der Rochdaler Pioniergenossenschaft von 1844 3 1 . Sie ist zum Ausgangspunkt der Konsumgenossenschaftsbewegung geworden, wie sie sich heute über die ganze Welt erstreckt. Von daher ist es von besonderem Interesse, ob sich Einflüsse Owens auf die Rochdaler Pioniere feststellen lassen. Erste Berührungspunkte zwischen einigen der Rochdaler Pioniere und Robert Owen lassen sich bis in das Jahr 1837 zurückverfolgen 32. Den Anfang dürften 25

Vgl. Digby, M., The World Co-operative Movement, London 1960 (erstmals 1948),

S. 18. 26

s. Mercer, T. W., Dr. William King . . . Infolge von Streitigkeiten, Veruntreuung etc. brechen diese Konsumvereine wieder zusammen, s. Müller, J. O., S. 20. 28 Motherwell, New Harmony, Orbiston. 29 Das zeigen etliche Briefe aus Owens Korrespondenz; vgl. auch/tose, B. J., Owen as Co-operator, S. 40. 30 s. Rose, B. J., ebd; zur weiteren Vertiefung s. auch Totomianz, V., Grundlagen des Genossenschaftswesens, Jena 1923, S. 11 f; Holyoake, G. J., Geschichte der . . . , S. 1926; Cole, G. D. H., Ein Jahrhundert . . . , S. 30 f; Bonner, A., British Co-operation . . . , S. 22 f;Müller, J. O., Voraussetzungen . . ., S. 17-20. 31 ,Rochdale Society of Equitable Pioneers', s. Elsässer, M., Die Rochdaler Pioniere, S. 75 ff. 32 Ungeklärt ist die Frage, inwieweit Owen Einfluß auf die Gründung der ,Rochdale 27

12 Elsässer

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

dabei Vorträge von zwei Anhängern Owens (George Fleming und James Rigby) in der ,Clover-Street Unitarian Chapel', der ,Genossenschafter Kapelle' (Freikirche, der viele Pioniere angehören), 1837 gemacht haben 33 . Der Publikation ,New Moral World' zufolge sind dies die ersten Gelegenheiten, bei denen Owens Gedankengut nach Rochdale gebracht wird 3 4 . Ausdrücklich wird dabei auf das Interesse und die Kooperationsbereitschaft der ,Clover-Street Unitarian' Gemeinde hingewiesen35. Bereits am 9. April 1838 wird eine Niederlassung der owenitischen Organisation, der JRational Society', in Rochdale gegründet. Ihre führenden Persönlichkeiten sind die späteren Rochdaler Pioniere Charles Howarth und James Daley 36 . Howarths prominente Stellung als Führer der Oweniten in Rochdale zeigt sich unter anderem auch daran, daß er als Vorsitzender der »Rational Society' im Dezember 1839 einen Brief an Robert Owen verfaßt 3 7 . Darin bittet er Owen, die Niederlassung der Rational Society' in Rochdale zu besuchen, und berichtet vom Erfolg der Gemeinschaft, neue Anhänger zu gewinnen 38 . James Daley tritt besonders durch seine Vorträge, öffentliche Reden und seine Bemühungen um bessere Fortbildungsmaßnahmen der ,Oweniten' hervor 39 . Von Anbeginn der Gründung der Rational Society' in Rochdale 1838 sind also zwei der Pioniere, Howarth und Daley, maßgeblich am Aufbau dieser owenitischen Institution beteiligt. Weitere Rochdaler Pioniere schließen sich ihrem Kreis an. Auf diesen Zusammenhang — ohne ihn jedoch bezüglich der Pioniere im einzelnen zu untersuchen - weisen weite Teile der genossenschaftlichen Literatur h i n 4 0 . Es läßt sich feststellen, daß von den etwa dreißig Rochdaler Genossenschaftern zwischen sechs und vierzehn Pioniere der ,RatioFriendly Society4 im Oktober 1830 und auf den gescheiterten konsumgenossenschaftlichen Versuch von 1833 in Rochdale - an dem auch die Pioniere Charles Howarth und James Standring beteiligt waren - nahm und von daher nicht schon früher erste Kontakte vorhanden waren, s. hierzu Holyoake, G. J., The History of Co-operation; zu den »Friendly Societies' (Unterstützungsvereine) als Vorläufer der Genossenschaften in England s. Gosden, P. H. J. H., Self-Help, Voluntary Association in the 19th Century, London 1973, S. 181 ff. 33 Vgl. Doyle, D. J., Rochdale and the Origin of the Rochdale Society of Equitable Pioneers, Diss. New York 1972, S. 215. 34 s. New Moral World , v. 23.9.1837 u. 16.12.1837. 35 s. ders., ebd. 36 s. Bonner , A., British . . . , S. 43; Cole , G. D. H., 1950, S. 63. 37 Vgl. Doyle, D. J., Rochdale . . . , S. 214. 38 Vgl. ders., ebd. 39 Vgl. ders., S. 219. 40 s. dazu Holyoake, G. J., Geschichte . . . , S. 18 f u. 59 ff ;Potter-Webb, B., Die britische Genossenschaftsbewegung, Kapitel 1 - 3 \ Reeves, J., A Century of Rochdale Co-operation, 1844-1944, London 1944, S. 1 i\Rose, B. J., Owen as Co-operator, S. 41 \Podmore, Fr., Robert Owen, London 1923, S. 583; Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 35 f; Cole, G. D. H., Ein Jahrhundert ..., insbes. S. 62 f;Schloesser, R., Die berühmten Grundsätze der Rochdaler Pioniere . . . , S. 40;Müller, J. 0., Voraussetzungen . . . , S. 21 \ Faust, H., Geschichte der Genossenschaftsbewegung . . . , S. 93; Hasselmann, E., Die Rochdaler Grundsätze im Wandel der Zeit, Frankfurt/Main 1968, S. 9 f.

C. Owen und die Konsumgenossenschaft

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nal Society' angehören. Dazu zählen die genossenschaftlich aktiven Mitglieder Bent, Howarth, Collier, Cooper, Daley sowie J. Tweedale 41 . Damit haben zwischen mindestens zwanzig und höchstens fünfzig Prozent der Rochdaler Pioniere engen Kontakt zu Owens Gedankengut und seinen genossenschaftlichen Ansätzen. Vergleichsweise schwächer ausgeprägt sind die Verbindungen der Rochdaler Pioniere zu Dr. William King in Brighton. Die Rochdaler Pioniere haben keine persönlichen Kontakte zu diesem Sozialreformer im Süden Englands. Auch bestehen keine Vereinigungen in Rochdale, die sich eigens mit Kings Gedankengut beschäftigen (wie etwa die »Rational Society' mit Owens Ideen). Es ist jedoch aufschlußreich, daß der führende Pionier James Smithies die Publikation ,The Co-operator' besitzt und Aufsätze zum Genossenschaftswesen daraus mit einem Teil seiner Mitstreiter diskutiert 42 . Von daher besteht eine gewisse Verbindung mit dem Kingschen Gedankengut. Angesichts der Tatsache, daß sich auch in der Zielsetzung der Rochdaler Pioniergenossenschaft Elemente der christlich-genossenschaftlichen Ideen Dr. Kings widerspiegeln, scheint es durchaus gerechtfertigt, die indirekte Verbindung zu William King als Einflußkomponente und ideellen Faktor ebenfalls zu berücksichtigen. Die enge Verbindung der Rochdaler Pioniere zu owenitischem Gedankengut findet ihren Niederschlag in der Satzung der Pioniergenossenschaft von 1844. Als Ausgangspunkt ist dabei der Artikel 1 der Satzung (,Laws and Objects') der Rochdaler Pioniergenossenschaft von 1844 zu betrachten, in dem die Pioniere ihre Ziele festlegen. Er lautet: „Ziel und Zweck dieser Genossenschaft ist es, für den materiellen Nutzen und die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Mitglieder Sorge zu tragen durch Ansammlung eines ausreichenden Kapitals von je einem Pfund Sterling je Mitglied, um folgende Pläne zu verwirklichen und folgende Einrichtungen zu schaffen: 1. Einrichtung eines Ladens für den Verkauf von Lebensmitteln, Kleidungsstücken und anderes. 2. Bau oder Kauf von Häusern als Wohnstätte für Mitglieder, die sich gegenseitig helfen wollen, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. 3. Herstellung von Waren zur Beschäftigung von arbeitslosen oder solchen Mitgliedern, die unter häufigen Lohnherabsetzungen zu leiden haben. 4. Ankauf oder Pachtung eines Landgutes oder mehrerer Landgüter zum Nutzen und als eine Sicherung für die Mitglieder der Genossenschaft; diese Landgüter sollen von arbeitslosen oder schlecht entlohnten Mitgliedern der Genossenschaft bewirtschaftet werden. 41

s. dazu Elsässer, M., Die Rochdaler . . . , S. 94 f. Vgl. Holyoake, G. J., Geschichte der Rochdaler Pioniere, S. 11 \\Brown, W. H., The Rochdale Pionieers, A Century of Co-operation in Rochdale, Manchester o.J., S. 19. 42

12*

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

5. So bald wie möglich (,as soon as practicable') soll die Genossenschaft dazu übergehen, Produktion, Verteilung, Erziehung und Verwaltung (^Government 4 ) in die Hand zu nehmen, mit anderen Worten: die Genossenschaft soll eine sich selbst erhaltende Gemeinschaftssiedlung (flome Colony of United Interests') gründen oder anderen Genossenschaften helfen, solche Siedlungen zu gründen. 6. Zur Förderung der Mäßigkeit soll so bald wie möglich in einem der Gebäude der Genossenschaft ein alkoholfreies Gasthaus eröffnet werden." 43 Die wichtige Bestimmung zur Förderung des Erziehungswesens durch Bereitstellung von zweieinhalb Prozent des Überschusses für Bildungszwecke fehlt in der ersten Satzung. Erst neun Jahre später wird sie 1853 in die Statuten aufgenommen 44 . Im Artikel 1 der Satzung zeigt sich der langfristige Charakter und das weitausgelegte Endziel, das die Rochdaler Pioniere mit ihrer Konzeption des genossenschaftlichen Zusammenschlusses erreichen wollen 45 . Interessant ist dabei die von den Pionieren getroffene Priorität innerhalb ihrer Zielsetzung: Nahrungsmittelversorgung, Wohnungs- und Arbeitsbeschaffung stehen an den drei ersten Prioritätsstellen. Dann folgen die Ziele einer landwirtschaftlichen Arbeitskommune, einer umfassenden produktivgenossenschaftlichen Siedlung sowie das Ziel der Alkoholabstinenz 46 . Bewußt auf den von Owen entwickelten Ideen 47 aufbauend, ist es also auch letztlich das Ziel der Rochdaler Pioniere, eine sich selbst erhaltende genossenschaftliche Wirtschaftskolonie zu schaffen 48. Aber 43 Deutsche Übersetzung der Satzung entnommen aus Holyoake, G. J., Geschichte der . . S . 66 f; Hasselmann, E., Die Rochdaler Grundsätze im Wandel der Zeit, Frankfurt/Main, S. 148. 44 Holyoake bemerkt hierzu, daß dies nicht an den Rochdaler Pionieren geigen habe. Der englische Registerrichter (,barrister 4) verweigerte ihnen die Aufnahme einer Satzungsbestimmung über die Verwendung des Überschusses zugunsten eines genossenschaftlichen Bildungswesens, vgl. dazu Holyoake, G. J., Geschichte der Rochdaler Pioniere, S. 155; auch Hasselmann, E., Die Rochdaler Pioniere . . . , S. 12. 45 Vgl. Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 21; Schloesser, R., Die berühmten . . . , S. 40. 46 s. Artikel 1 der Satzung. 47 Zur Bedeutung von Owens Ideen s. Rose, B. J., Owen as Co-operator, in: Robert Owen and his Relevance to our Times, S. 41 ff; Holyoake, G. J., Geschichte der Rochdaler Pioniere, S. 13 ff; Roy, E. P., Co-operatives, Developments, Principles and Management, Danville, III. (USA) 1976, S. 64 f; Gustav, Th., Die Eigenarten der Entstehung der modernen Genossenschaftsbewegungen . . . , S. 75 ff;Pahlmann, A., Rochdale 1844 . . . , S. 37 ff; auch Hasselmann, E., Am Anfang war die Idee, Robert Owen, Sturm und Drang des sozialen Gewissens in der Frühzeit des Kapitalismus, S. 32 ff ; Faust, H., Geschichte der Genossenschaftsbewegung, S. 69-91; Huber, V. A., Die gewerblichen und wirtschaftlichen Genossenschaften der arbeitenden Klassen in England, Frankreich und Deutschland, Tübingen 1860, S. 19 f; ders., Sociale Fragen Bd. V., Die Rochdaler Pioniers, Ein Bild aus dem Genossenschaftswesen, S. 14; dagegen s. Cassau, Th., Die Könsumvereinsbewegung in Großbritannien, 2. umgearb. Aufl., Basel 1935, S. 23 ff. 48 Vgl. Müller, J. O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen . . . , S. 21.

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nicht nur die Vorstellung (als Endziel) der in landwirtschaftlicher und industrieller Produktion tätigen Produktivgenossenschaft vom Typ der Siedlungsgenossenschaft (,Communities') 49 geht auf Robert Owen zurück 50 . An der Zielsetzung zeigt sich auch, daß den Rochdaler Pionieren sozusagen die Bildung eines polyfunktionalen Gebüdes vorschwebt, welches mit dem Gewinn des Konsumgenossenschaftsladens Arbeiterwohnungen und Erziehungsmaßnahmen sowie Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose vorsieht 51 . Diese wohnungswirtschaftliche wie pädagogisch-soziale Zielrichtung ist eindeutig Owenscher Provenienz. Dafür spricht auch der Umstand, daß die Rochdaler Pioniere den Owenschen Terminus des „Government" 52 in ihre Satzung aufnehmen, sowie in Anlehnung an Owen von einer „Home Colony of United Interests" sprechen 53 . Aber auch in der Betonung der Abstinenz zeigt sich eine Parallele zu Owens sozialem Konzept, welches ein striktes Alkoholverbot vorsieht 54 . Anders als Owen versuchen die Rochdaler Pioniere jedoch, ihre Ziele von vornherein auf dem Wege der solidarischen Selbsthilfe zu erreichen. Hierbei stehen die Rochdaler Grundsätze in der Tradition Kingschen Gedankenguts in der gemeinsamen Ablehnung jeglicher Fremdhilfe, sei es von Seiten des Staates oder von Philanthropen. Die Rochdaler Pioniere verfeinern jedoch das Kingsche Prinzip der Selbsthilfe durch detaillierte und streng festgelegte Geschäftsbedingungen und Verwaltungsmodalitäten. Müller sieht daher die Rochdaler Pioniergenossenschaft von 1844 als die Weiterführung und Vervollkommnung der owenitischen und 3righton' Bewegung (King) 5 5 . Insbesondere Hasselmann betont Owens starken Einfluß auf die Rochdaler Pioniere: „Rochdale wäre ohne Robert Owen nicht das geworden, was es für die Genossenschafter in aller Welt geworden ist. Auch wenn die genossenschaftliche Entwicklung andere Wege gegangen ist, auch wenn sie sich andere Ziele gesucht hat, als Robert Owen sie geschaut hat - die Schau Robert Owens hat doch die Zielvorstellungen der Genossenschafter immer wieder beeinflußt, Gedanken Robert Owens haben die genossenschaftliche Gesellschaftskritik immer wieder angeregt.. . " 5 6

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s. hierzu Bonner, A., British Co-operation . . . , S. 13 f. Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen . . S . 33 f. 51 s. Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 21. 52 Artikel 1, Punkt 5 der Satzung. 53 s. Briggs, A., Robert Owen . . . , S. 13. 54 Gleiche Tendenz auch in New Lanark erkennbar. 55 Vgl. Müller, J. 0., Voraussetzungen . . . , S. 22. 56 Hasselmann, E., Am Anfang . . S . 6; so auch Chaves, F., Die Genossenschaftsbewegung in Lateinamerika, in: Dritte genossenschaftswissenschaftliche Tagung, Göttingen 1962, S. 64;Hofmann, W., Ideengeschichte . . S . 39. 50

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3. Hauptteil: Beiträge von Robert Owen zum Genossenschaftswesen

IV. Owens Haltung zur Konsumgenossenschaftsbewegung Zu Beginn der frühen Welle konsumgenossenschaftlicher Gründungen (nach 1828) 57 kehrt Owen, nach dem Fehlschlag von New Harmony, nach Großbritannien zurück. In dieser Zeit beschäftigt er sich verstärkt mit sozialistischem Gedankengut, wie etwa dem Konzept der Arbeitsbörse 58. Den Aktivitäten der Konsumgenossenschaften steht Owen zunächst skeptisch gegenüber. Der Londoner Genossenschaftsgründer und Zeitgenosse William Lovett charakterisiert Owens Haltung folgendermaßen: „When Owen first came over from America he looked somewhat coolly on those »Trading Associations' and very candidly declared that their mere buying and selling formed no part of his grand scheme; but when he found that great numbers among them were disposed to entertain many of his views, he took them into favour and ultimately took an active part among t h e m . u 5 9 Owen erscheinen viele der Konsumgenossenschaften von ihren Ansätzen wie von ihren Zielsetzungen her zu eng und trivial 6 0 . Ihm geht es um einen gesamtgesellschaftlichen Wandel auf produktivgenossenschaftlicher Basis - um seinen ,Grand Scheme'. Dieses Potential sieht er bei den kleinen konsumgenossenschaftlichen Läden der Arbeiter für nicht gegeben. In New Lanark ist der Konsumladen ja auch nur eine von vielen sozialen Maßnahmen gewesen. Owens Kritik an einigen Konsumgenossenschaftsgründungen in Carlisle (Schottland), die in der Zeitschrift ,New Moral World' am 6. November 1836 veröffentlicht wird, macht seine reservierte Betrachtungsweise deutlich: „To my surprise I found there are six or seven Co-operative societies in different parts of the town, doing well, as they think, that is, making some profit by joint-stock retail trading. It is, however, high time to put an end to the notion very prevalent in the public mind, that this is the Social System which we contemplate . . . ' i 6 1 Diese kritischen Äußerungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Owen doch in gewissem Maße (zwischen 1829 und 1834) für konsumgenossenschaftliche Belange engagiert 62. So führt Owen zeitweilig den Vorsitz des Cooperative Congress 1831 in Manchester, welcher sich vorwiegend mit Fragen des Konsumgenossenschaftswesens beschäftigt 63 . Gleichzeitig wird Owen zum ,Trustee' (Treuhänder) der ,North West United Co-operative Company', einer neuen konsumgenossenschaftlichen Großhandelsgesellschaft (Liverpool), ernannt 6 4 . Vor allem sind es die von Owen herausgegebenen oder unterstützten 57

Vgl. Garnett, R. G., 1971, S. 53. s. Ausführungen im IV. Hauptteil dieser Arbeit. 59 Lovett, W., Life and Struggles, London 1920, S. 44. 60 s. Rose, B. J., Owen as Co-operator, S. 37. 61 New Moral World, 6.11.1836. 62 Vgl. Rose, B. J., Owen as Co-operator, S. 48. 63 s. Resolutions passed at the first meeting of the Co-operative Congress, Manchester 26./27.5.1831 (Co-operative Union Collection, Manchester). 64 Vgl. ders., ebd. 58

C. Owen und die Konsumgenossenschaft

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Publikationen, wie ,The Crisis' oder ,New Moral World' u.a., die als Sprachrohr der jungen Konsumgenossenschaftsbewegung dienen. In der historischen Untersuchung über die Entstehung einer demokratischen Presse in Großbritannien stellt St. Harrison fest, daß die Owenschen Publikationen zur damaligen Zeit eine starke Grundlage und weite Verbreitung für Themen der Arbeiterschaft bieten 6 5 . Gleiches gilt für die owenitischen Organisationen, auf die es später noch einzugehen gilt 6 6 . Diese sind ein wichtiger Nährboden zur Erörterung auch konsumgenossenschaftlicher Konzeptionen. Im Zuge der erfolgreichen Ausdehnung der Konsumgenossenschaftsbewegung (nach 1844) ist Owen von seiner Nachwelt (z.B. ß. Potter) teilweise als ,Vater des Konsumgenossenschaftswesens' 67 betrachtet worden. Diese Einschätzung wird Owens tatsächlicher Grundhaltung nicht gerecht. Ebensowenig trifft es zu, von einer Gegnerschaft Owens zur Konsumgenossenschaftsbewegung zu sprechen. Robert Owen legt vielmehr gewisse ideelle Grundlagen, die von den eigentlichen Gründern der Konsumgenossenschaften in England aufgegriffen werden. Hier sind es vor allem die Rochdaler Pioniere 68 , denen die modernen Konsumgenossenschaften ihre heutige Gestalt verdanken.

65 s. Harrison , St., Poor Men's Guardians, a Record of the Struggles for a Democratic Newspaper Press, 1763-1973, London 1974, S. 69 f. 66 s. IV. Hauptteil dieser Arbeit. 67 s. Booth, A. J., Robert Owen, S. 127 ff;Potter-Webb, B., Die britische . . ., S. 1 - 3 1 ; Rose, B. J., Owen as Co-operator, S. 41-45. 68 s. Elsässer, M., Die Rochdaler . . . , S. 108 ff.

ier Hauptteil

Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

Robert Owen ist im wesentlichen erst ausgangs des 19. Jahrhunderts von der Literatur in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung des Sozialismus gesehen worden 1 . Er wird dabei als ein Begründer sozialistischer Denkansätze betrachtet, der lange vor Karl Marx und Friedrich Engels den Weg in Richtung sozialistisch geprägter Vorstellungen eingeschlagen hat 2 . In der Literatur findet sich freilich schon vorher eine Tendenz, Owen in der Reihe der sogenannten ,utopischen Sozialisten' abzuqualifizieren. Im Rahmen der vorliegenden Themenstellung kann es nicht Aufgabe sein, sich mit dem Phänomen des Sozialismus in toto auseinanderzusetzen; zumal diese Thematik in der Literatur anderweitig behandelt worden ist 3 . Es gilt vielmehr die Tatsache zu berücksichtigen, daß der sozialistische Ansatz Robert Owens eine Komponente im vielfältigen Komplex Owenscher Haltungen und Aktivitäten ist. In diesem Kontext ist es beabsichtigt, Owens Beitrag zur Entwicklung sozialistischen Gedankenguts darzustellen. Insbesondere sollen Owens eigenes Sozialismus-Verständnis, in Abgrenzung zu anderen sozialistischen Denkern, herausgearbeitet sowie seine unterschiedlichen Überlegungen im Vergleich mit radikaleren Haltungen aufgezeigt werden. Eine Auseinandersetzung mit Owens sozialistischen Konzeptionen macht zunächst eine Klärung der Entstehung der Termini Sozialist' und »Sozialismus' erforderlich 4. Interessanterweise verwendet Owen den Ausdruck ,Socialist' selbst nicht, obgleich — wie unten ausgeführt werden wird — er ihn durchaus kannte. Die Titel der Owenschen Schriften sowie die Namen der owenitischen Organisatio1 s. Booth, A. J., Robert Owen, the Founder of Socialism in England, London 1869; Cathrein, V., Der Sozialismus, 9. Aufl., Freiburg 1906, S. 18 ff; Hobsbawm, E. J., Sozialrebellen, archaische Sozialbewegungen im 19. u. 20. Jahrhundert, Neuwied/Berlin 1962, S. 192 f; Schumpeter, J. A., Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1979, S. 306 f. 2 s. Booth, ebd. 3 s. Engelhardt, W. W., Robert Owen als früher freiheitlicher Sozialist, in: Freiheitlicher Sozialismus, S. 3-20 (im folgenden zitiert als ,Sozialist4). 4 s. Ramm, Th., Die großen Sozialisten als Rechts- und Sozialphilosophen, Stuttgart 1955, S. 3 ff.

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

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nen und Genossenschaften zeigen, daß sich ihre Agitation anderer Worte bedient 5 : ,A New View of Society' (1813/1814), ,Lectures on an entire New State of Society' (1830), ,The Book of the New Moral World' (1836). Als Beispiel für Vereins- und Siedlungsnamen seien erwähnt: ,London Co-operative and Economical Society' (um 1821) 6 , ,New Harmony Community of Equality' (1826) 7 , ,Communities of United Interest', »National Community Friendly Society' sowie ,Universal Community Society of Rational Religionists' 8 . Owen und seine Anhänger zeigen für solche langatmigen Namen auch dann noch eine Vorliebe, als sich der Terminus ,Socialism' zur allgemein gebräuchlichen Bezeichnung für Owensches Gedankengut durchzusetzen beginnt (etwa ab 1837) 9 . „Owen used conventional words for the most part, but linked them into allembracing names." 10 Selbst der Begriff ,Social' spielt in den Namen der meisten owenitischen Produktivgenossenschaften keine Rolle. Auch Owen kennzeichnet in seinen Veröffentlichungen die Besonderheiten seiner Konzeptionen nicht so sehr durch ,Social', sondern überwiegend mit den Begriffen Rational' oder ,MoraT n . Dennoch stammt der Terminus »Socialist' aus dem Kreis der Owenschen Gefolgsleute: Erstmals erscheint in einem Brief des Oweniten Ed. Cowper an Owen vom 2. November 1822 das Wort »Socialist'. Im Zusammenhang mit der Planung eines Siedlungsprojektes Owenscher Prägung schreibt Cowper: „Mrs. Jones . . . seems well adapted to become what my friend Jo. Applegath 12 calls a Socialist." 13 Fünf Jahre später erscheint der Terminus in einer owenitischen Zeitschrift, dem ,Co-operative Magazine' 14 . Dort heißt es in einer Randbemerkung, daß der Unterschied zwischen den , Political Economist' und den ,Communionist or Socialists' in der Frage bestehe, ob Kapital individuell oder gemeinsam zu besitzen sei 15 . Es vergeht noch fast ein Jahrzehnt, bis 5 Vgl. Müller, H., Ursprung und Geschichte des Wortes Sozialismus und seiner Verwandten, Hannover 1967, S. 59. 6 s. Simon, H., 1905, S. 159. 7 s. ders.,ebd, S. 173 u. 179. 8 Seit 1843 kurz ,Rational Society' genannt; 1838 als Institution zur Verbreitung Owenscher Ideen u. Lehren gegründet, mit straffer Organisation,,Social Missionaries4 (Missionsstationen) auf regionaler Ebene sowie Niederlassungen (»Branches') in großen Städten Englands, s. dazuPodmore, Fr., Robert Owen, S. 232 ff; Bonner, A., British Co-operation, S. 1 u. 13 ff; Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 13 ff; Engelhardt, W. W., Robert Owen . . . , S. 15 ff. 9 Vgl. Müller, H., 1967, S. 60. 10 Bestor, A. E., The Evolution of Socialist Vocabulary, in: Journal of the History of Ideas, Vol. IX, Lancaster (USA) 1948, S. 276. 11 s. Life I, S. 210;Müller, H., 1967, S. 63. 12 Applegath gehört später der Produktivgenossenschaft von New Harmony an, s. Gans, J., L'origine du mot,Socialiste' et ses emplois les plus anciens, in: Revue d'historique économique et sociale, Vol. 35, Paris 1957, S. 80. 13 Brief, Cowper to Robert Owen, 2.11.1822 (zitiert bei Gans, J., ebd). 14 s. Co-operative Magazine and Monthly Herald, November 1827. 15 s. Grünberg, K., Der Ursprung der Worte „Sozialismus" und „Sozialist", in: Archiv

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

sich der Begriff ,Socialist' als dominierende Bezeichnung für die Oweniten durchsetzen kann; bis dato übliche Synonyme: Co-operators, Social-Reformers, Disciples of Owen, Rationalists u.ä. 1 6 1833 erscheint der Begriff ,Socialist' in Beiträgen der Owenschen Publikationen ,The Poor Man's Guardian' 17 und ,The Crisis' 18 : „The Socialist . . . preaches of Community goods, abolition of crime, of punishment, of magistrates and of marriage." 19 In der Zeitschrift ,New Moral World' erscheint das Wort ,Socialist' erstmals 1835 20 . Wie der Wissenschaftler K. Grünberg in seiner Studie über den Sozialismus schon 1906 zurecht feststellt, kommt der Begriff ,Socialist' nach 1835 immer häufiger in der JSîew Moral World' vor 2 1 . 1837 nehmen schließlich die Oweniten den Namen ,Socialist' an, wie einem Leitartikel, überschrieben ,Our Name', in der ,New Moral World' zu entnehmen ist 2 2 . Allerdmgs verwenden sie ,Socialist' nicht allein als Bezeichnung für die Anhänger ihrer eigenen Organisation, beziehen vielmehr den Terminus gleichermaßen auf Gesinnungsgenossen sowie Verfechter verwandter Ideen auch außerhalb Großbritanniens 23. Im Anschluß an die Verbreitung des Terminus ,Socialist' erscheint erstmals 1837 auch das Wort ,Socialism' 24 , welches fortan den älteren synonymen Begriff ,Owenism' verdrängt 25 . Analog zum sprachlichen Gebrauch von ,Socialist' wird ,Socialism' von den Oweniten als umfassender Ausdruck für alle sozialorientierten Konzeptionen verstanden, die eine gewisse Verwandtschaft zu den Haltungen Owens vorweisen 26. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zeigt sich allerdings, daß widersprüchliche Vorstellungen darüber bestehen, wessen Lehre — abgesehen von Owens — unter ,Socialism' zu subsumieren ist 2 7 .

für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 377; Pumpianski, L., Die Kooperation und der Sozialismus in England, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 340; auch Engelhardt, W. W., Robert Owen . . ., S. 11. 16 Vgl. Müller, H., 1967, S. 61. 17 Ausgabe v. 24.8.1833. 18 Ausgabe v. 31.8.1833. 19 Crisis, 31.8.1833. 20 s. New Moral World, 3.4.1835. 21 So in New Moral World, 1835/1836/1837; s. auch Grünberg, K., Der Ursprung der Worte „Sozialismus" und „Sozialist", in: Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 9. Jg., Berlin 1906, S. 501. 22 s. New Moral World, 18.3.1837. 23 So z.B. auf Ch. Fourier, ,Socialist of France', New Moral World, 28.10.1837; s. auch Müller, H., 1967, S. 69. 24 In New Moral World, 2.9.1837. 25 s. New Moral World, 16.12.1837; K., 1906, S. 502;Müller, H., 1967, S. 70 ff. 26 Vgl. Müller, H., 1967, S. 70. 27 Zum Begriff des,utopischen Sozialismus' s. IV. Hauptteil, C. dieser Arbeit.

A. Owen in der Verfolgung radikaler Ziele der Gesellschaftsreform

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A. Owen in der Verfolgung radikaler Ziele der Gesellschaftsreform Die vorherrschende ideelle Strömung im England des frühen 19. Jahrhunderts ist der Utüitarismus 28 . Er kommt vor allem in den Werken von Jeremy Bentham zum Ausdruck 29 . Das utilitaristische Gedankengut, welches das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl (der Menschen) postuliert, dient nicht nur den liberalen Wirtschaftstheoretikern des Manchestertums als Grundlage ihrer Agitation, sondern auch frühen Sozialkritikern wie Owen. Diese halten ihren liberalen Widersachern entgegen, daß der damalige Zustand in Gesellschaft und Wirtschaft nicht der utilitaristischen Maxime entspricht 30 . Bentham und der Kreis der Liberalen sehen im Privateigentum die eigentliche Basis gesellschaftlicher Ordnung sowie in der demokratischen Reform das geeignete Mittel zur Lösung sozialer Probleme. Owen und seine Mitstreiter dagegen glauben, durch verbesserte Kooperation aller Wirtschaftsteilnehmer (,Mutual Cooperation 4 ) 3 1 sowie durch eine gesellschaftliche Umgestaltung auf genossenschaftlicher Basis eine dauerhafte Änderung sozialer Mißstände (Entwurzelung, Verelendung, Vereinzelung) zu erreichen 32 . Elemente dieses radikalen Gedankenbildes können sich auf gewisse ideelle Traditionen stützen. Es sind dies vor allem die Beschreibung idealtypischer Leitbilder in Thomas Morus ,Utopia' 33 im 16. Jahrhundert als auch die praktischen Reformvorschläge von Plockboy und Bellers im 17./18. Jahrhundert 34 , die einer modernen gesellschaftskritischen Argumentation bereits ähneln 35 . Robert Owen ist jedoch der erste, welcher der gewachsenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eines dominierenden Individualismus des beginnenden Industriezeitalters andere ethische sowie wirtschaftliche Grundsätze eines bewußt gestalteten sozialen Systems gegenüberstellt: ,,. . . indem er beide Weltanschauungen als solche gleichsam konfrontiert . . . " 3 6 „Robert Owen's vision of Community held out a social and moral as well as an economic promise. Here, not only would working famüies hold real power . . . , but the highest quality of social relationship could be reached 28 Vertreter: Jeremy Bentham, James Mill, John Stuart Mill; s. auch Mill, J. St., Autobiography of John Stuart Mill, New York 1924. 29 Wichtiges Werk: Bentham, J., Rationale of Judicial Evidence, specially applied to English practice, hrsg. v. J. St. Mül, Vol. IV, London 1827; interessanterweise gehört Bentham zu den Teilhabern von New Lanark, s. I. Hauptteil dieser Arbeit. 30 Vgl. Müller, H., 1967, S. 58 ff. 31 s. Beer, M., The History of English Socialism, Vol. I, London 1929, S. 219. 32 s.Müller, H., 1967, S. 59. 33 Mit der ,Utopia4 von Morus beginnt der moderne Sozialismus, s. dazu Kautsky, K., Vorläufer des neueren Sozialismus, 1. Bd., Kommunistische Bewegungen im Mittelalter, 4. Aufl., Stuttgart 1919, IV. Abschnitt. 34 s. III. Hauptteil dieser Arbeit, ideelle Vorläufer. 35 Vgl. Simon, H., 1905, S. 248. 36 Simon, H., ebd.

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

and sustained." 37 Während das ,Laisser-Faire' der Manchesteraner den Zeitgeist Englands bestimmt, begründet Owen sein sozialistisches Leitbild: In einem sozialisierten Wirtschaftssystem sollen alle menschlichen Wertungen und Beziehungen vergegenseitigt werden. Entgegen der utilitaristischen Haltung des Egoismus zum Vorteil der Gesamtheit, fordert Owen ein sozial-ethisches System, welches auf dem Altruismus basiert — das Glück des Einen bedingt durch das des Anderen 38 . „Each for all, and, All for each." 39 An die Stelle des individualistischen Menschen soll Owens Utopie zufolge der soziale Mensch treten. Kooperation und Vereinigung in landwirtschaftlich-industriellen Siedlungsgenossenschaften soll das Konkurrendenken ersetzen 40. „The competitive instinct was founded upon private ownership, and the only way to put an end to selfseeking ambition and individual selfishness was . . . to put all things in comm o n / ' 4 1 Die spezifische Ausprägung Owenschen sozialistischen Verständnisses wird an einer von Owen 1853 verfaßten SoziaUsmus-Definition deutlich: „Der britische Sozialismus ist die Wissenschaft vom Glück - gestützt auf die Lehre von den angeborenen Eigenschaften und dem Einfluß der Umstände — von der individuellen UnVerantwortlichkeit, der ursprünglichen Güte der Menschen und den damit übereinstimmenden neuen Verhältnissen. Der britische Sozialismus sei daher ein rationelles System der Gesellschaft, das gute Lebensverhältnisse für Alle schaffen werde. — Die bisherigen Einrichtungen der Gesellschaft wurden getroffen unter dem direkten Gesichtspunkt, für eine kleine Zahl von Individuen die größte Summe von Reichtum und Macht zu erhalten, ohne Ansehen des Glücks seiner Erzeuger, wobei die Gesamtsumme von Reichtum und Macht eine sehr begrenzte bleibt und nicht einmal denen ein wirkliches Glück sichert, die den größten Anteil davon erhalten haben.'* 42 Mit Engelhardt kann man Owen durchaus als einen Künder einer neuen Moral und Geistigkeit bezeichnen 4 3 . Owens sozialistische Auffassung basiert im wesentlichen auf einer Utopie des Individuums (sozialer Mensch) sowie einer daran anknüpfenden kooperativen Utopie (rationales Gesellschaftssystem) 44. Diese zielt jedoch nicht auf eine präindustrielle Schwärmerei, sondern die Erziehung eines neuen uneigennützi37

Yeo, E., Robert Owen and Radical Culture, S. 85. Vgl. ders., S. 248 f. 39 Manchester Birthday Address to Robert Owen, 14.5.1851 (Co-operative Union Collection, Manchester). 40 Vgl. ders., ebd. 41 Saville, J., J. E. Smith and the Owenite Movement, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 123. 42 Owen, R., ,Socialism', in: Cyclopedia of Religious Denominations, London/Glasgow 1853, zitiert bei Simon, H., 1905, S. 249; s. auch Brief, R. Griffith & Co. to Robert Owen, 10.6.1852 (Co-operative Union Collection, Manchester), in dem Owen gebeten wird, oben erwähnten Artikel zu schreiben. 43 Vgl. Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 3. 44 s. Vester, M., Die Entstehung . . ., S. 187 f. 38

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gen Menschen. Dabei gehen Owens Erfahrungen seines Sozialexperimentes in New Lanark, wonach sich Menschen „wie in einem Schmelztiegel umformen lassen" 45 , der Entwicklung systemüberwindender Reformen voran. Owen versucht mit seiner Utopie und ihrem moralischen Kerngehalt, die heute noch vielen Beobachtern problematisch erscheint, eine Versittlichung von Gesellschaft und Wirtschaft im Sinne eines personalen oder freiheitlichen Sozialismus zu erreichen 46 . Das erklärt auch, warum Owen und Oweniten ihre sozialistische Theorie zur damaligen Zeit als eine Art ,Vernunftsreligion' begreifen 47 . So befremdlich vieles an der Owenschen Utopie aus heutiger Sicht erscheinen mag, ist jedoch die durchaus positive Einschätzung des Owenschen Beitrags zur Entwicklung sozialistischen Gedankenguts in der Literatur nicht zu übersehen. Nach Sombart sind bereits „alle Keime des späteren Sozialismus" 48 in Owens System enthalten. Vester zufolge ist anzumerken, „daß Robert Owen wenigstens im Bereich der Theorie, eine galileische Wende eingeleitet h a t " 4 9 . Engelhardt konstatiert ferner, daß Owen wesentliche Ergebnisse des praktischen wie wissenschaftlichen Sozialismus vorwegnimmt 50 . Im folgenden soll daher Owens Bedeutung und Rolle als (Mit) Stifter des modernen Sozialismus untersucht werden. Zunächst gilt es, konzeptionelle Ansätze aufzuzeigen, mit denen Owen versucht, sein sozialistisches Leitbild einer neuen Gesellschafts- und Sozialordnung zu realisieren.

I. Arbeitsbörsen Ähnlich wie der zeitgenössische Nationalökonom S. de Sismondi (1773— 1842) 51 erblickt Robert Owen in der geringen Kaufkraft und damit in dem fehlenden Nachfragepotential der breiten Massen eine Ursache für volkswirtschaftliche Krisen 52 . Mithin führt Owen wirtschaftliche Problemstellungen auf einen systemimmanenten Faktor - und nicht, wie zur damaligen Zeit noch üblich, auf systemfremde Größen (Krieg, Mißernten o.ä.) — zurück 53 . Das Arbeitseinkommen wird nicht so sehr als industrielle Kostengröße, sondern als 45

Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 36. s. Weisser, G., Sozialismus (IV) Neuere Richtungen (5) Freiheitlicher Sozialismus, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 509-518;Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 3 ff. 47 s. dazu die Religionsauffassung von Fromm, E., Haben oder Sein, München 1979, S. 129 ff; auch Cole, G. D. H., Ein Jahrhundert. . ., S. 62 ff. 48 Zitiert nach Weippert, G., Robert Owen, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaft, Bd. 8,1961, S. 144. 49 Vester, M., Die Entstehung . . . , S. 187 f. 50 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 36. 51 s. Berlin, I., Against the Current, S. 60. 52 Vgl. Hofmann, W., Ideengeschichte . . . , S. 35 f. 53 Vgl. ders., ebd. 46

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

Bestandteil der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage betrachtet 54 . Die ungenügende Massenkaufkraft erklärt Owen durch Ansätze eines Arbeitswertkonzeptes, das später von Karl Marx weiterentwickelt wird. In dem vorherrschenden Wirtschaftssystem fällt nach Owen das Arbeitsprodukt nicht dem Arbeitenden selbst zu, obwohl der Faktor Arbeit als solcher alleine produktiv sei 55 .Hieraus leitet Owen die Forderung nach dem vollen Arbeitsertrag für den Beschäftigten ab. Durch den Austausch der Produkte unter den Arbeitenden in sogenannten Arbeitsbörsen soll dieses Konzept verwirklicht werden. Unmittelbares Wertmaß des Tausches soll die jeweilige, zur Herstellung eines Produktes benötigte Arbeitszeit sein. Die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden wird mit einem Arbeitsgeld, sogenannten ,Labour Notes', entgolten. Diese sollen als alleiniges Zahlungsmittel gelten 56 . Schon in seinem Report to the County of Lanark' (1820) verspricht sich Owen große ökonomische Vorteile von der Einführung der .Labour Notes': „The demand for human labour would be no longer subject to caprice, nor would the support of human life be made . . . a . . . article of commerce." 57 In der von Owen und seinem Sohn Robert Dale herausgegebenen Zeitschrift ,Crisis' betont Owen 1832 die Bedeutung einer Arbeitszeitwährung. „Aller Reichtum ist das Ergebnis von Arbeit und Wissen. Und Arbeit und Wissen sind allgemein entlohnt nach der aufgewandten Zeit. Deshalb schlagen wir vor, die Zeit zum Standard oder Maß des Reichtums zu machen." 58 Mit der Gründung von Arbeitsaustauschplätzen, den Arbeitsbörseri, auf nationaler Ebene in England (»National Equitable Labour Exchange') verfolgt Owen das Ziel einer Umstrukturierung der Einkommensverteilung. Kernstück dieser Maßnahme ist die neue Arbeitszeitwährung 59. Die ,Labour Exchange' soll sowohl für den einzelnen Arbeiter als auch für die in Produktivgenossenschaften organisierten Gruppen von Werktätigen den Absatz ihrer Erzeugnisse sichern. Die Bezahlung erfolgt auf Basis der verwendeten Arbeitszeit. Unter Ausschaltung des Handels sollen die Arbeitsbörsen sodann die Produkte an die Konsumenten gegen ,Labour Notes' abgeben60. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Einführung der ,Labour Notes', des Owenschen Arbeitsgeldes, keineswegs so ,utopisch', wie es aus der heutigen Sicht vielleicht erscheinen mag. Es gehört zum gewohnten Bild jener Tage, daß private Banken eigene Banknoten ausgeben, welche in bestimmten

54 55 56 57 58 59 60

S. 36.

Vgl. ders., ebd. s. Owen, R., Report to the County of Lanark, 1820, in: Life IA, S. 268 u. 278 ff. s. Owen, R., Report. . ., 1820, ebd. Owen, R., Report. . ., 1820, S. 268. Crisis, Juni 1832, zitiert bei Hasselmann, E., Am Anfang . . ., S. 36. Vgl. Hasselmann, E., Am Anfang . . ., S. 36. Gewisse planwirtschaftliche Ansätze vermutet Engelhardt, W. W., Robert Owen,

A. Owen in der Verfolgung radikaler Ziele der Gesellschaftsreform

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Regionen als Zahlungsmittel zirkulieren 61 . Auch manche Arbeitgeber gehen dazu über, ihre Beschäftigten mit einer eigenen Währung zu entlohnen. Dieses Phänomen ist auch durch die Zeitumstände bedingt. Die kostspieligen Kriege der britischen Krone gegen das revolutionäre, später napoleonische Frankreich führten dazu, daß die Bank von England 1797 die Goldeinlösungspflicht aufhob und stoffwertloses Papiergeld in Umlauf setzte 62 . Ein staatliches Monopol der Notenemission existierte zu jener Zeit nicht. Währungspolitische Fragestellungen finden auch die Aufmerksamkeit zahlreicher Nationalökonomen, wie z.B. David Ricardos 63 . Owens Konzept der ,Labour Notes' enthält den weitergehenden Gedanken einer durch Waren gedeckten Währung. Vor dem konkreten historischen Hintergrund stellt die Ausgabe neuer Geldscheine per se kein revolutionäres Ereignis dar. Aus der Owenschen Korrespondenz geht auch hervor, daß die ,Labour Notes4 der Owenschen Arbeitsbörsen (ab 1832) zeitweilig als gängiges Zahlungsmittel akzeptiert werden 6 4 . So berichtet der Owenite Nash in einem Brief an Owen vom 14. November 1832, daß die ,Labour Notes' in London zur Begleichung der Brückengebühr der Waterloo Bridge anerkannt werden 65 . W. Pare erwähnt ferner, daß sich Teile der Arbeiterschaft in Birmingham bereit erklären, sich mit ,Labour Notes' entlohnen zu lassen, sofern die Arbeitgeber ihre Produkte über die Arbeitsbörsen absetzen66. 1832 wird unter Owens Leitung im Zentrum Londons die erste Arbeitsbörse, die »National Equitable Labour Exchange' gegründet 67. Der Arbeiter erhält für seine Waren neben dem Wert des verarbeiteten Materials eine Vergütung für die zur Herstellung des Erzeugnisses durchschnittlich notwendige Zeit. Diese wird von einem Prüfungsausschuß der Börse festgesetzt. Das Äquivalent für eine durchschnittliche Arbeitsstunde wird auf 6 Pence festgesetzt 68. Die Arbeitsbörse behält 8 1/3 Prozent der Umsätze als Verwaltungsgebühr ein 6 9 . Robert Owen hat an der Gründungsarbeit der Londoner ,Labour Exchange' großen Anteü. In 61 s. Galbraith, J. K., Money: whence it came, where it went, Harmondsworth 1975, S. 38 ff. 62 s. Galbraith, J. K., Money . . . 63 s. Amonn, A., Art.: Ricardo, David, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 13-20;Heilbroner, R. L., Wirtschaft..., S. 78 ff. 64 Auf der Birmingham Labour Note steht: „ I hereby promise to be answerable to . . . for one days work at one pound per day of lawful money of Great Britain as agreed ten hours to the day . . handschriftlicher Entwurf für Birmingham Labour Note 1836 (Cooperative Union Collection, Manchester). 65 Vgl. Brief, E. Nash to Robert Owen, 14.11.1832 (Co-operative Union Collection, Manchester). 66 Vgl. Brief, W. Pare to Robert Owen, 24.10.1832 (Co-operative Union Collection, Manchester). 67 s. Balmforth, R., Robert Owen and the early . . . , S. 81 ff. 68 s.Hasselmann, E., Am Anfang . . . , S. 37. 69 Vgl. ders., ebd.

192

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

der Owenschen Korrespondenz liegt ein intensiver Schriftwechsel zu Fragen der Organisation der Londoner Börse vor. Es zeigt sich, daß Robert Owen über die Gründungsaktivitäten genau informiert ist. Er kümmert sich sogar um die Beschaffung der Druckplatten für die Geldscheine (,Labour Notes'), wie ein Schreiben vom 1. September 1832 zeigt 70 . Owen wirkt vor allem (wieder einmal) als Finanzier und Propagandist 71. Aus dem handschriftlichen »Report of the Governors & Directors of the Equitable Labour Exchange4 geht der genaue Ablauf der Gründungsphase der ,Labour Exchange' in London hervor 72 : * 3.—17.9.1832 * 17.-27.9.1832 * ab 27.9.1832 * ab 8.10.1832

Phase 1 — Waren werden angenommen Phase 2 - Bewertung und Ausgabe der Labour Notes Phase 3 — Einrichtung eines ständigen Bewertungskomitees Phase 4 - Allgemeine Öffnung

Die Londoner Arbeitsbörse erfreut sich 1832/1833 eines starken Zuspruchs unter der Arbeiterschaft 73 . Im August 1833 kann J. Dixon aus London in einem Schreiben an Owen berichten, daß die ,Labour Exchange'mehr als 1.000 Kunden hat und erfolgreich arbeitet 74 . Der Buchhalter der Börse, S. Austin, stellt am 20. August 1833 fest, daß durchschnittlich Waren im Wert von 1.400 Arbeitsstunden pro Tag eingeliefert und im Wert von 600 Arbeitsstunden pro Tag getauscht werden 75 . Am 16. September 1833 berichtet er Owen, daß in einer Woche Güter im Wert von 11.000 Stunden angenommen und im Wert von 8.000 Stunden veräußert wurden 76 . Dem anfänglichen Erfolg der Londoner Arbeitsbörse ist es zuzuschreiben, daß weitere owenitische Gründungen in England folgen: In der Blackfriars Road/Südlondon im Dezember 1832, in Liverpool 1833 sowie in Birmingham 1833 entstehen Arbeitsbörsen nach dem Londoner Muster. Aus Briefen des Jahres 1833 geht hervor, daß Owen zusätzlich die Eröffnung von Arbeitsbörsen in Manchester, Finsbury, Lancashire sowie Yorkshire in Erwägung zieht und alle Anzeichen für die Ansätze einer nationalen Bewegung der ,Labour Exchange' sprechen 77. 70

Vgl. Brief; Ch. Nott to Robert Owen, 1.9.1832 (Co-operative Union Collection, Manchester). 71 s. Crisis, 30.6.1832, Formblatt für Buchhaltung der Arbeitsbörse abgebüdet. 72 Vom 29.10.1832 (Co-operative Union Collection, Manchester). 73 s. Act of Business transmitted during the week ending 1.12.1832, handschriftliche Aufzeichnungen (Co-operative Union Collection, Manchester). 74 Vgl. Brief, J. Dixon to Robert Owen, 10.8.1832 (Co-operative Union Collection, Manchester). 75 Vgl. Brief, S. Austin to Robert Owen, 20.8.1833 (Co-operative Union Collection, Manchester). 76 Vgl. Brief, S. Austin to Robert Owen, 16.9.1833 (Co-operative Union Collection, Manchester). 77 s. Briefe, J. Marshall to Robert Owen, 11.8.1833; J. Henry to Robert Owen, 2.12. 1833 (beide Cooperation Union Collection, Manchester).

A. Owen in der Verfolgung radikaler Ziele der Gesellschaftsreform

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Der wirtschaftliche Erfolg der Arbeitsbörsen ist von nur kurzer Dauer. Im Winter 1833 berichtet S. Austin von ersten Zahlungsschwierigkeiten der Londoner ,Labour Exchange' 78 . Konzeptionelle Fehler werden sichtbar: Die Bewertung der Güter erweist sich als schwierig und umständlich, die Qualität der eingelieferten Waren fällt zunehmend ab, Angebot und Nachfrage gleichen sich nicht aus, die Lagerbestände an nicht absetzbaren Erzeugnissen der Börse wachsen stark an 7 9 . Bereits 1834 folgt der Zusammenbruch der l a b o u r Exchanges' auf nationaler Ebene. Während die Arbeitsbörse in Birmingham sogar mit einem finanziellen Überschuß liquidiert werden kann 8 0 , führt die Schließung der übrigen Institute zu finanziellen Verlusten der Geldgeber (darunter auch Owen) 81 . In Übereinstimmung mit der vorherrschenden Meinung in der Literat u r 8 2 ist der mangelnde Erfolg der labour Exchange' auf nationaler Ebene auf ihre bürokratische, in nuce planwirtschaftliche Konzeption zurückzuführen.

II. Reform des Familienlebens Owens radikal-reformerische Haltung erstreckt sich über den nationalökonomischen Bereich hinaus auch auf gesellschaftliche Fragestellungen. Dabei steht die Gestaltung des Lebensbereiches der privaten Haushalte im Mittelpunkt seines Interesses. Vor allem in der praktizierten Form der Ehe sieht Owen ein reformbedürftiges Übel der vorherrschenden Gesellschaftsordnung 83. Zuneigung und Sympathie, nicht kirchliche oder staatliche Bewilligung, sölfen Basis der Lebensgemeinschaft sein. In radikal agitatorischer Weise bezeichnet Owen das Zusammenleben ohne entsprechende gefühlsmäßige Bindungen der Ehepartner als eine Art von Prostitution: „ . . . and prostitution arises only when connection is induced or forced by artificial causes, or forced by some necessity of law or custom, when it takes place without affection.'* 84 In der Unauflöslichkeit der Eheschließung sieht Owen eine Ursache der Isolierung und Vereinsamung des Menschen sowie des Verlustes gemeinschaftlicher Lebensformen 8 5 . Besonders die Frauen hätten unter der Belastung des Familienlebens zu 78 Vgl. Brief, S. Austin to Robert Owen, 20.11.1833 (Co-operative Union Collection, Manchester). 79 Vgl. ders., ebd. 80 Überwiesen an Krankenhaus. 81 Vgl. Brief; S. Austin to Robert Owen, 7.6.1834 (Co-operative Union Collection, Manchester). 82 s. Herkner, H., Art.: Owen, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, S. S3, Morton, A. L.,The Life . . .,S. 39 i\Harrison, J. F. C., Art.: Owen, Robert (1771 — 1858), in: Dictionary of Labour Biography, Vol. VI, 1982, S. 210 f. 83 Zum folgenden s. Owen, R., Lectures on the Marriages of the Priesthood of the Old Immoral World, 4. Aufl., Leeds 1840 (erstmals 1835). 84 Owen, R., Lectures ..., 1841, S. 49. 85 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 61; s. auch Yeo, E., Robert Owen and Radical Culture, S. 84-114, insbes. S. 102.

13 Elsässer

194

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

leiden 86 . Von daher stehen Owens JSheüberlegungen' in einem engen Zusammenhang mit dem Konzept der »Community4. Owen zielt dabei auf eine gesellschaftliche Umgruppierung: „ . . . to change from the individual to the social system; from single families with seperate interests to communities of many families with one interest." 87 Kerngedanke ist es, den ursprünglichen Familienkreis von Eltern und Kindern gedanklich auf größere Gemeinschaftseinheiten auszuweiten88. „ . . . there must be scientific associations of men, women and children, in their usual proportions, from about four to five hundred to above two thousand, arranged to be as one family,," 89 Von der Literatur weitestgehend übersehen wird der Umstand, daß Owen eine eigene Ehe- und Familienordnung ausarbeitet, welche die Unauflöslichkeit der Ehe verwirft und Scheidung bzw. Partnerwechsel zuläßt 90 . Damit tritt Owen keineswegs, wie von zeitgenössischen Kritikern unterstellt 91 , für Freizügigkeit oder Amoral ein. Im einzelnen legt Owen 1841 eine genaue Regelung fest, die gewisse Elemente modernen Gedankenguts durchaus enthält 9 2 : 1. Eheschließung:

Drei Monate nach einer öffentlichen Absichtserklärung werden die Ehepartner als Ehepartner in den Büchern der Genossenschaft registriert 93 .

2. Zweck der Ehe:

Das Glück (Happiness) der Menschen zu fördern; andernfalls ist der Sinn der Ehe nicht erfüllt.

3. Scheidung: Fall A -

Fall B -

Beide Partner wünschen die Trennung: Bekanntgabe der Trennungsabsicht frühestens 12 Monate nach Eheschließung, nach weiteren 6 Monaten Vollzug der Trennung. Nur ein Partner wünscht die Trennung: Wie Fall A, zusätzlich weitere 6 Monate Warte- bzw. Bedenkzeit bis zur Scheidung.

4. Nach der Scheidung: Ohne gesellschaftliche Benachteiligung können jederzeit neue Ehen geschlossen werden. 86 s. Owen, R., Lectures 1841, S. 26 ii\Harrison, J. F. C., 1969, S. 60; weiterführend auch König, R., Gleichberechtigung von Mann und Frau - soziologisch gesehen, in: Der Mensch im sozio-ökonomischen Prozeß, Festschrift für W. Schreiber, hrsg. v. Ph. HerderDorneich/u. a., Berlin 1969, S. 27-38. 87

New Harmony Gazette, 1.10.1825. Vgl. Noyes, J. H., History of American . . . , S. 23. 89 Owen, R., Book of the New Moral World, Part VI, London 1844, S. 48. 90 s. Pitzer, D. E. (Hrsg.), Robert Owen's American Legacy, S. 80 f. 91 s. Bowes, J., The Social Beast; or an Exposure of the Principles of Robert Owen Esq. and the Socialists, London 1840, (16 Seiten). 88

M

93

s.Morton, A. L.,The Life . . .,S. 166-168.

Von owenitischer Eheschließung in der Londoner »Social Institution4 berichtet New Moral World, 29.3.1845.

A. Owen in der Verfolgung radikaler Ziele der Gesellschaftsreform

5. Kindererziehung:

195

Da die Kinder in der Genossenschaft gemeinschaftlich erzogen und ausgebildet werden, bleibt die Erziehung des Nachwuchses von einer Scheidung unberührt.

Owen erweist sich schon in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts als ein Vertreter familienrechtlicher Konzeptionen, welche sich teilweise in ähnlicher Form in einigen Ländern tatsächlich durchgesetzt haben. III. Privateigentum Im Rahmen der Reform einer individualistischen Gesellschaftsordnung nimmt Owen auch zu Fragen des Privateigentums Stellung 94 . „ . . . seperate interests of individual family arrangements with private property are essential parts of the existing irrational system. They must be abandoned with the system." 95 Vor allem sind es volkswirtschaftliche Störungen allokations- wie distributionspolitischer Art in der marktwirtschaftlichen Ordnung des 19. Jahrhunderts, die Owen zufolge aus der individualistischen Eigentumsverteilung resultieren. Es gelte aus dieser Überlegung heraus, Privateigentum abzulehnen und Gemeineigentum in jCommunities' zu propagieren 96. „ . . . das Eigentum der Gesellschaft wird heute in der unwissendsten und verschwenderischsten Weise verbraucht, um das Böse anstatt des Guten hervorzubringen, den Menschen in Unwissenheit über seine unschätzbaren natürlichen Kräfte zu erhalten und alle seine, jeder Vervollkommnung möglichen Anlagen zu verwandeln in einen niederen Geist der Anhäufung nutzlosen Besitzes . . , " 9 7 Die Owensche Auffassung radikaler Wirtschafts- und Gesellschaftsreform umfaßt die gesamte Spanne aller Lebensbereiche und Ordnungen - „a complete theory of living" 9 8 . Sie erstreckt sich über Konzeptionen des familiären Zusammenlebens, des Güteraustausches, der Gemeinschaftserziehung in Genossenschaften 99 bis hin zur Forderung nach urkommunistisch geprägtem Gemeineigentum. Hierin liegt eine gewisse Spezifität der Owenschen Haltung.

94

s. Simon, H., 1905, S. 282 ff; Bestor, A. E., Backwoods Utopias, S. 222 ff. Owen, R., Book of the New Moral World, Part VL, London 1844, S. 48. 96 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 59 f; s. auch III. Hauptteil über New Harmony in dieser Arbeit; s. auch Simon, H., Robert Owen und der Sozialismus, Berlin 1919, S. 126 ff. 97 New Moral World, Aprü 1835, zitiert bei Simon, H., 1905, S. 284. 98 Pitzer, D. E., Robert Owen's..., S. 81. 99 s. V. Hauptteil dieser Arbeit; auch Vandervelde, E., Neutrale und sozialistische Genossenschaftsbewegung, Stuttgart 1914. 95

13'

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

B. Owen als Künder einer modernen Weltanschauung In ihrer Zielrichtung verfolgt Owens sozialistisch geprägte Haltung eine neue Versittlichung von Wirtschaft und Gesellschaft 1. Sie basiert auf der bereits angesprochenen Utopie eines sozialen Menschen. Bei Owens Sozialismusverständnis handelt es sich um einen „personalen Sozialismus"2, den Engelhardt dem heute verbreiteten Begriff des „freiheitlichen Sozialismus"3 zuordnet. Dieser enthält bereits Ansätze, die sich richtungsweisend im Verlauf des 20. Jahrhunderts verstärkt haben 4 .

I. Pluralistische Gesellschaftskonzeption Fern einer doktrinären Einschätzung des Sozialismus erkennt und toleriert Owen unterschiedliche Positionen unter den Menschen. In seinem Denken und Handeln verfährt er schon ganz im Sinne eines Pluralismus der Wertüberzeugungen und Verhaltensweisen 5. Als ein solcher Pluralist antizipiert Owen spätere Perioden der industriellen Gesellschaft, welche vom Schlagwort der ,Open Society4 sowie der Tendenz zur politisch-religiösen Toleranz geprägt sind 6 . Dabei gilt es, sich die historische Situation zu Lebzeiten Owens vor Augen zu führen. Aus Owens Briefwechsel geht deutlich hervor, in welch hohem Ausmaß sein radikales Gedankengut auf Unverständnis und Opposition breiter Schichten in England stößt. So berichtet J. Somerville 1830, daß ihm in England als Privatlehrer gekündigt wurde, weil er sich zu Owens Theorien bekannt habe 7 . 1836 weigert sich das englische Königshaus, Owens Publikationen als Geschenk zu akzeptieren 8. Anläßlich einer 1839 Owen gewährten Audienz bei Königin Victoria läßt eine ,Philalethean Society4 Flugblätter drucken, in denen Owens reformerische Haltung attackiert wird 9 . 1

Vgl. Röhl, A., 1930, S. 150. Ders., ebd. 3 Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 3. 4 Abstrahiert man von Owens teils,blumiger 4 Ausdrucksweise. 5 Vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 41 f; Herder-Dorneich, Ph., Wirtschaftsordnungen, Pluralistische und dynamische Ordnungspolitik, Berlin 1974, zu allgemeinen Fragen der Ordnungspolitik. 6 s. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 42; Kolakowski, L., Leben trotz Geschichte, 2. Aufl., München 1977, S. 156-174; Fromm, E., Ihr werdet sein wie Gott, Reinbek 1980, S. 18 ff. 7 Vgl. Brief, J. Somerville to Robert Owen, 12.9.1830 (Co-operative Union Collection, Manchester). 8 Vgl. Brief, Lord Howe to Robert Owen, 22.8.1836 (Co-operative Union Collection, Manchester). 9 s. Address to the Queen from the Philalethean Society, 29.6.1839, gedruckter Handzettel (Co-operation Union Collection, Manchester). 2

B. Owen als Künder einer modernen Weltanschauung

197

Schlagwortartig sollen nachfolgend Elemente der pluralistischen Konzeption Owens aus verschiedenen Perioden seines Wirkens zusammengefaßt und dargestellt werden: Demokratisches Verständnis Owens paternalistische Züge, die sich in New Lanark und in seiner zeitweiligen Idee der Altershierarchien in Genossenschaften 10 zeigen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Owens Gleichheitsideal in einem demokratisch-sozialen Empfinden wurzelt. Als Beispiel sei nur erwähnt, daß Owen seine Herrschaftsrechte in New Harmony freiwillig an eine Gemeinschaft mit freiwülig zu wählender Führung abtritt 1 1 . Angesichts überkommener Gesellschaftsstrukturen läßt sich Owens demokratische Zielrichtung mit Simon charakterisieren: ,,Die moralischen und geistigen Kräfte, die Owen als Vorbedingung der Demokratie betrachtet, will er im Tiegel sozialer Gleichheit bereiten." 12 Auflösung der Klassenunterschiede 13 Staatliche Schulbüdung (private wird toleriert) 14 Gewissensfreiheit 15 Bedeutung der Medien und öffentlichen Meinung „Public Opinion governs the world: and the public opinion of Great Britain influences, to a great extent, the public opinion of all civilized nations." 16 Toleranz und Religionsfreiheit 17 Freizeitgedanke / Verkürzte Arbeitszeit „That one fourth of their time . . . is sufficient, in which to produce a full supply of the necessaries of life for themselves and their families." 18 Abschaffung der Sklaverei und der Gefängnisstrafen 19 10

s. dazu Life IA, S. 117. s. Simon, H., 1905, S. 253-255. 12 Simon, H., 1905, S. 254. 13 In zukünftigen Generationen sollen Owen zufolge die Klassenunterschiede aufgehoben werden, s. Owen, R., A Development of the Principles... 1841, S. 94 ff. 14 „National Education for all who desire it", Owen, R., To the Electors of the Borough of Marylebone, 23.7.1847 (Co-operative Union Collection, Manchester); s. auch V. Hauptteü dieser Arbeit. 15 s. Owen, R., Address 21.8.1817, in: Life IA, S. 108 ff; Simon, H., 1905, S. 123 u. 133. 16 Owen, R., The Addresses of Robert Owen (as published in the London Journals), London 1830, S. 16. 17 Insbes. Religionsfreiheit wird an vielen Stellen gefordert, s. Owen, R., To the Electors of the Borough of Marylebone, 23.7.1847 (Co-operative Union Collection, Manchester). 18 o.V., The Unemployed Operatives, Leeds 26.12.1839 (Co-operative Union Collection, Manchester). 19 s. Life I, S. 58 u. 100 ff. 11

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

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II. Pragmatismus Trotz aller Radikalität (für die damalige Zeit) sind Owens sozialistische Konzeptionen doch durch eine ausgesprochene pragmatische Haltung charakterisiert. Dieser ,undogmatische Sozialismus'20, von Ortlieb auch als konstruktiver Nonkonformismus' 21 bezeichnet, nimmt nicht, wie zurecht 0 . von Nell-Breuning feststellt, den Rang einer Überweltanschauung ein 2 2 . „Sieht man richtig zu, dann beansprucht er nicht derlei, sondern bindet sich an etwas, das analog übereinstimmend in einer Mehrzahl von Weltanschauungen enthalten ist und wozu die Anhänger dieser verschiedenen Weltanschauungen sich je in der ihrer eigenen Weltanschauung eigentümlichen Prägung bekennen. Dieser Sozialismus . . . erhebt sich nicht über die Weltanschauungen, sondern bleibt um eine Stufe darunter." 23 In der Tradition englischer Denker vertritt Robert Owen während der verschiedenen Stationen seines Lebens eine pragmatische Position, die auf einen ,unpragmatischen Pragmatismus' im Sinne G. Weissers24, auf eine durch unsubstanzielle Sinnkriterien bestimmte Zweckmäßigkeit hinausläuft 25 . Es geht Owen also um solche Formen sinnbestimmten Handelns, die zwischen dem wertrationalen und dem zweckrationalen Handlungstypus im Sinne von Max Weber einzuordnen sind 26 . Owen will neue Fundamente der Gesellschaft und des Staates schaffen, ohne die alten Grundlagen und die alte Gesellschaft durch Polarisierungen der Kräfte erst zu zerstören oder neue Einseitigkeiten der Entwicklung heraufzubeschwören; seine Bestrebungen und die erreichten Resultate sind solche einer mittleren Position jenseits von Kollektivismus und Individualismus2' .

20

Vgl. Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 3; s. auch Nohl, H., Einführung in die Phüosophie, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1947, S. 25-33. 21 s. Ortlieb, H.-D., Freiheitlicher Sozialismus als Nonkonformismus, in: Hamburger Jahrbuch f. Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, 10. Jahr, 1965, S. 223-240, hier S. 228 f. 22 s. Nell-Breuning, O. v., Politische Programmatik und Weltanschauung, in: Festschrift für A. Arndt, zum 65. Geburtstag, Frankfurt/M. 1968, S. 318 f; Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 3 f. 23 Nell-Breuning, O. v., ebd. 24 Vgl. Weisser, G., Die politische Bedeutung der Wissenschaftslehre, Göttingen 1970, S. 49; Lompe, K., Wissenschaftliche Beratung der Politik, Göttingen 1966, S. 119-153; Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 42. 25 Vgl. Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 4. 26 s. Weber, M., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 435 u. 551; Müller-Armack, A., Religion und Wirtschaft, Stuttgart 1959, S. 559-578; Behrendt, R. F., Der Mensch im Lichte der Soziologie, 2. Aufl., Stuttgart 1962, S. 62-87; Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 42. 27 Vgl. Behrendt, R. F., S. 86 f;Engelhardt, W. W., ebd.

B. Owen als Künder einer modernen Weltanschauung

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ID. Grenzprinzip der Veränderung Owens pragmatische Grundhaltung findet ihren Niederschlag auch in den Essays seines Werkes ,A New View of Society' aus den Jahren 1813/1814 28 . In einer Passage des 2. Essays charakterisiert Robert Owen eine Art „pragmatisches Grenzprinzip der schrittweise erfolgenden Veränderung" 29 von Wirtschaft und gesellschaftlicher Ordnung: „In this progress the smallest alteration, adequate to produce any good effect, should be made at one time; indeed, if possible, the change should be so gradual as to be almost imperceptible, yet always making a permanent advance in the desired improvements. By this procedure the most rapid practical progress will be obtained, because the inclination to resistence will be removed, and time will be given for reason to weaken the force of long-established injurious prejudices." 30 Die Vermutung Hegt nahe, daß Owen diese Methode - im Sinne einer praktisch verstandenen Philosophie - aus der Sozialreform der gelungenen Integration der Arbeiterschaft in New Lanark auf induktivem Wege ableitet 31 . A. Toynbee weist auf die große Bedeutung hin, die Owen dem ,Example\ dem realvollzogenen Beispiel, in seinem sozialistischen Sinnansatz beimißt: „Owen neither wished to use force nor confiscate property; he hoped gradually to transform society by the silent force of example." 32 Aus Owens Grenzprinzip der Reform resultiert auch sein Eintreten für das Prinzip der Gewaltfreiheit 33 . Veränderungen der Technik, der Wissenschaften sowie die Unaufhaltsamkeit des Industrialisierungsprozesses führen nach Owen zwangsläufig zu gesellschaftlichen Verschiebungen. 1840 propagiert er: „A revolution by FORCE will be INJURIOUS to ALL. A revolution by REASON will be BENEFICIAL to A L L . " 3 4 Der Philosoph Ginsberg betont zurecht bei einer Podiumsdiskussion zur 200-Jahrfeier des Owenschen Geburtsjahres in New Harmony, daß Owen zeitlebens ein eindeutiger Befürworter der friedlichen Form der Koexistenz gewesen ist 3 5 . Auch die Oweniten lehnen das Prinzip der gewalttätigen Auseinandersetzung ab. Owens enger Vertrauter, G. Fleming, plädiert in seinem Werk ,A Vindication of the Principles of the Rational System of Society4, daß die Arbeiterschaft von Streiks absehen und sich verstärkt der Wei28

s. Life I,S. 253-332. Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 9. 30 Owen, R., 2. Essay, A New View of Society, in: Life I, S. 284. 31 So auch Engelhardt, W. W., ebd. 32 Toynbee, A., Lectures on the Industrial Revolution of the eighteenth Century in England, 2. Aufl., London 1912, S. 227. 33 s. Owen, R., 1817, in: Life IA, S. 95; dagegen Vester, M., Die Entstehung S. 203 u. 226 ff; anders Heer, Fr., Europa, Mutter der Revolutionen, Stuttgart 1964, S. 506 f;Pitzer, D. E., Robert Owen's..., S. 74. 34 Owen, R., An Address to all Classes, Sects and Parties, 1840; s. auch Morton, A. L., The L i f e . . . , S. 121 ff. 35 Vgl. Pitzer, D. E., Robert Owen's.. ., S. 74. 29

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

terbildung widmen soll 3 6 . Von daher ist es auch verständlich, daß Owen eine distanzierte Haltung zum Chartismus (ab 1838) einnimmt 3 7 .

IV. Entfremdungseffekte Der Terminus Entfremdung geht zurück auf die Worte Alienatio' und D e nare' (Entäußerung, entzweien) 38 . Er findet Eingang in die Ökonomie im Zusammenhang mit Rousseaus Darlegungen über die Entfremdung des Individuums im Gesellschaftsvertrag durch die Unterordnung unter den ,volonté générale 4. Im präziseren Sinne erfährt der Begriff Entfremdung seine Verwendung erst bei Karl Marx, der die Hegeische Auffassung von der Selbsterzeugung des Menschen in der Arbeit weiterentwickelt 39 . Kernstück des Marxschen Entfremdungsverständnisses ist die sozio-ökonomische Entfremdung, welche sich aus der Arbeit als dem anthropologischen Merkmal des Menschen erklärt 40 . Marx begreift Arbeit als einen dem Menschen innewohnenden und konstituierenden Prozeß, der die Selbsterzeugung des Menschen (Hegel) bewirkt 4 1 . Der Mensch schafft mittels Arbeit Objekte, welche der Bedürfnisbefriedigung dienen. Diese Objekte schaffen u.a. wieder neue Bedürfnisse, die den Menschen selbst verändern. In diesem Prozeß gelangt der Mensch schließlich zu seiner Selbstverwirklichung. Dieser Auffassung liegt bei Marx die Prämisse zugrunde, daß unter Arbeit Lebenstätigkeit zu verstehen ist. Unerläßliche Vorbedingung der Selbstverwirklichung des Menschen in der Arbeit ist nach Marx, daß es sich um eine schöpferische Arbeit handelt, welche sich durch folgende Kriterien bestimmen läßt 4 2 : * * * *

Arbeit = Gegenstand des Willens des Menschen Mensch muß seine Fähigkeiten nutzen können Mensch muß sein gesellschaftliches Wesen verwirklichen 43 Arbeit darf nicht rein instrumental, d.h. nur zum Lebensunterhalt bestimmt sein.

36 Vgl Fleming, G. A., A Vindication of the Principles..., Manchester o. J., S. 19 f ; s. auch Ritter, G., Vom sittlichen Problem der Macht, 2. Aufl., Bern/München 1961, S. 84 ff; Sternstein, W., Gewaltfreiheit als revolutionäres Prinzip, Bremen o. J., S. 4 ff. 37 s. Owen, R., Lectures on the Rational System of Society, London 1841. 38 Vgl. Klaus, G./Buhr, M., Philosophisches Wörterbuch, Leipzig 1975, S. 324; s. auch Coser, L. A., Entfremdung und Entfremdungstheorie, in: Wörterbuch der Soziologie, hrsg. v. W. Bernsdorf, Stuttgart 1969, S. 228-232. 39 s. Israel, J., Der Begriff der Entfremdung . . ., S. 5; Oppolzer, A., Entfremdung in der Industriearbeit, Köln 1974, S. 17-64;Friedel-Howe, H., Entfremdung . . . , S. 7 ff. 40 Vgl. Sève, L., Marxismus und Theorie der Persönlichkeit, Frankfurt 1973, S. 66. 41 Vgl. Israel, J., Der Begriff . . ., S. 54. 42 Vgl. ders., S. 56;Friedel-Howe, H., Entfremdung . . . , S. 8. 43 Vgl. Schaff, A., Marxismus und das menschliche Individuum, Reinbek 1970, S. 19 f.

C. Robert Owen und andere sozialistische Denker

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Ohne explizit den Begriff der Entfremdung zu verwenden, erkennt Robert Owen vor Marx Grundzüge der Entfremdungsproblematik und setzt sich mit dieser auseinander. Sie geht in seine gesellschaftskritische Betrachtung ein, ist Teil der Kritik an den Mißständen einer sich entfaltenden frühkapitalistischen Wirtschaftsordnung 44. Von daher widmet sich Owen zwar noch nicht speziell der oben angesprochenen Problemstellung (etwa mit gesonderten sozialpsychologischen Tests). Dennoch lassen sich Schwerpunkte der Owenschen Erkenntnis in Bezug auf das Phänomen der Entfremdung feststellen; nämlich: * Entfremdung vom Akt der Produktion * Entfremdung von der Gesellschaft in der Vereinzelung Zur Entfremdung des Arbeiters von der Produktion bemerkt Owen: ,,When employed by the day, they (workers) feel no interest in their occupation, beyond the receipt of their wages; when they work by the piece, they feel too much interest, and frequently overwork themselves."45 Als Lösungsmöglichkeit propagiert Owen erne verstärkte Partizipation am Arbeitsprozeß mittels kooperativer Tätigkeit in der Landwirtschaft (nach der oben dargelegten Methode der Spatenkultur - ,Spade Husbandry') 46 . Dem Übel der Isolierung des Menschen - „he is individualised" 47 - versucht Owen mit seinen produktivgenossenschaftlichen Konzeptionen der Lebens- und Arbeitsgemeinschaften zu begegnen48.

C. Robert Owen und andere sozialistische Denker Robert Owens sozialistische Vorstellung einer Gesellschaftsreform wird überwiegend mit dem Terminus »utopischer Sozialismus' oder Frühsozialismus umschrieben 1. Im Sinne des Utopie-Verständnisses Engelhardts 2 gilt es, darauf 44 „Wir tun heute gut daran, uns diese Tatsachen in ihrer ganzen Schrecklichkeit ins Bewußtsein zu bringen*', Brakelmann, G., Die soziale Frage . . . , Bd. 1, S. 24, s. auch S. 66 ff. 45 Owen, R., Letters on Poor Relief, 1817, in: G. D. H. Cole (Hrsg.), 1927, S. 177. 46 s. III. Hauptteil dieser Arbeit. 47 Owen, R., Letter 7.8.1817, in: Life IA, S. 86. 48 s. Owen, R., Letter 7.8.1817, sowie Address 14.8.1817, in: Life IA, S. 83 ff. 1 s. Hausenstein, W., Die großen Utopisten, Berlin 1912, S. 47; Oppenheimer, Fr., Kapitalismus - Kommunismus - Wissenschaftlicher Sozialismus, Berlin/Leipzig 1919 \ Mückle, F., Die großen Sozialisten I, 4. Aufl., Leipzig/Berlin 1920, S. 43 ii\Beales, H. L., The early English Socialists, London 1933; Ramm, Th., Art.: Sozialismus (I) Frühsozialismus, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 486-492; Vester, M. (Hrsg.), Die Frühsozialisten, 1789-1848, I. Bd., Reinbek 1970, S. 35-76; weitere utopische Sozialisten sind: Fourier, Saint-Simon, Buchez, Proudhon, Blanc u.a., s. Hofmann, W., Ideengeschichte . . . , S. 39 ff. 2 s. Engelhardt, W. W., Utopie und Genossenschaft, 1968; ders., Utopien im Verhältnis zu Ideologien . . . , S. 108-126; auch Buber, M., Pfade in Utopia, Heidelberg 1950.

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

hinzuweisen, daß der Begriff ,Utopie' bereits 1551 mit der Übersetzung von Th. Morus' Werk ,Utopia' Eingang in die englische Sprache gefunden hat 3 . Seit Beginn des 17. Jahrhunderts wird ,Utopia' nicht mehr ausschließlich mit unmittelbarem Bezug auf Thomas Morus, sondern ebenso häufig gebraucht, um scheinbar irreale Vorstellungen zu charakterisieren. Vielfältige Aspekte werden mit dem Wort ,Utopianism' im 19. Jahrhundert zusammengefaßt 4. Bestor zufolge wird ,Utopian' von Seiten konservativer Kreise für alle reformerischen Denker verwendet 5. H. Müller konstatiert, daß keiner der sogenannten Frühsozialisten Formulierungen des Wortstammes ,Utopia' wegen der negativen Bewertung als Bezeichnung für sein Gedankengut akzeptiert habe 6 . Gegen eine Abqualifizierung der ,utopischen Sozialisten' spricht sich auch der Historiker Fuz aus: „ . . . the Utopians must occupy a permanent place in economic history and economic science may rightly be proud of their achievements. It is Utopia, the creative leap into the future, which has enabled us to enjoy so many things in life without which we could not imagine our modern world, and it is also Utopia effort which helped to shape our most ambitious dreams about the economics of the future." 7 In einem kurzen Überblick soll nachfolgend Owens Verbindung mit frühsozialistischen Denkern seiner Zeit als auch die Einschätzung Owens seitens späterer Vertreter des wissenschaftlichen Sozialismus aufgezeigt werden.

I. Verbindung mit zeitgenössischen Frühsozialisten 1. Henri de Saint-Simon Der französische Philanthrop Henry de Saint-Simon (1760—1825) vertritt einen christlich geprägten Sozialismus8. Im Mittelpunkt seines Interesses steht der Wandel einer politischen zu einer wirtschaftlichen Staatsordnung. SaintSimon propagiert die Vollendung der industriellen Gesellschaft durch rationelle Produktion. Dank der Einsicht in neue wissenschaftliche Erkenntnis sowie auf der Basis christlicher Brüderlichkeit könne diese neue Gesellschaftsordnung von den besitzenden Schichten selbst verwirklicht werden 9 . 3

In der Übersetzung von R. Robinson, s. Müller, H., 1967, S. 55 f; s. zu Morus auch Heiss, R., Utopie und Revolution, München 1973, S. 15-33. 4 s. Bentham, J., Rationale of Judicial..., S. 69\Müller, H., 1967, S. 55 f. 5 s. Bestor, A. E., The Evolution of Socialist Vocabulary, S. 287. 6 Vgl Müller, H., 1967, S. 56. 7 Fuz, J. K., Weifare Economics in English Utopias, S. 102; ebenfalls positive Einschätzung s. Duveau, G., Die Auferstehung der Utopie, in: Utopie, hrsg. v. A. Neusüss, Neuwied/Berlin 1968, S. 420. 8 s. Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen . . . , S. 64 ff u. S. ll\Müller, J. O., Voraussetzungen . . ., S. 30;Hofmann, W., Ideengeschichte . . . , S. 20. 9 Vgl. Müller, J. O., ebd.

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Persönliche Kontakte zwischen Robert Owen und Saint-Simon bestehen nicht 1 0 ; wohl aber mit Gefolgsleuten Saint-Simons11. Zwischen 1817 und 1830, vor allem nach Saint-Simons Tod, findet ein intensiver Gedankenaustausch zwischen den beiden Bewegungen statt. 1831 werden in Artikeln des Simonschen Journals ,L'Organisateur 4 Gemeinsamkeiten mit den Oweniten hervorgehoben, zugleich jedoch Owens striktes Gleichheitsprinzip, Ablehnung des Privateigentums sowie seine anti-kirchliche Haltung abgelehnt 12 . Wie aus der Owenschen Korrespondenz hervorgeht, ist Robert Owen über Wirken und Leben SaintSimons gut informiert 13 . 1832 kommt es sogar in England zu einem Treffen der Saint Simonianer Eichtal und Duveyrier mit Owen 14 . Hinweise auf eine engere Verbindung Owen - Samt-Simon liegen nach dem heutigen Erkenntnisstand nicht vor. 2. Charles Fourier Neben Saint-Simon befürwortet Charles Fourier (1772-1837) Ideen einer gemeinwirtschaftlichen Gestaltung der Wirtschaftsordnung 15. Seine Konzeption beruht auf genossenschaftlichen Siedlungen hotelartiger Wohnblöcke, den sogenannten »Phalanstère4. Diese Komplexe für etwa je 400 Familien sollen produktiv- wie konsumgenossenschaftlich ausgerichtet sein. Ähnlich SaintSimon propagiert Fourier den Gedanken des Privateigentums. In Übereinstimmung mit Owen glaubt auch Fourier, die Gesellschaft von einem Punkt aus mittels des Prinzips der wirtschaftlichen Kooperation friedlich reformieren zu können 1 6 . Fouriers Haltung gegenüber Owen und seinen Konzeptionen ist eine ambivalente. 1820 und 1822 würdigt Fourier, daß sich Owen mit Fragen der Kooperation beschäftigt und diese real zu vollziehen versucht 17 . Robert Owen selbst behauptet in seiner Autobiographie, Fourier habe die Idee der Phalanstère erst aus dem Report to the County of Lanark 4 (1820) entnommen 18 . In der Tat 10

s. Snowden, Ph., Socialism and Syndicalism, London/Glasgow o.J., S. 57. s. Desroche, H., Images and Echoes in Nineteenth-century France, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 239 ff. 12 s. Punkhearst, R., The Saint-Simons, Mill and Carlyle, London 1857, S. 45 i\Desroche, H., Images..., S. 250 f. 13 s. Brief, J. Hibbert to Robert Owen, 2.9.1831 (Co-operative Union Collection, Manchester). 14 Vgl. Punkhearst, R., The Saint-Simons..., S. 59. 15 Zum folgenden s. Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen . . . , S. 78 ff; Cole, G. D. H., Socialist Thought, the Forerunners, 1789-1850, London 1853, S. 62 ff;Faust, H., Geschichte . . . , S. 117 f;Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 32. 16 Vgl. Hof mann, W., Ideengeschichte . . . , S. 20 f. 17 s. Desroche, H., Images.. ., S. 242 f. 18 Vgl. Life I, S. 234. 11

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

betrachtet Fourier Owen als eine Art ideellen Vorläufer, dessen Kontakt er sucht 19 . So interessiert sich Fourier für Owens produktivgenossenschaftliches Projekt in Motherwell (1824) und erklärt sich in einem Schreiben bereit, dort für Owen zu arbeiten 20 . Eventuell infolge Owens ablehnender Haltung entwikkelt sich Fourier nach 1827 immer mehr zu einem Gegner Owens: 1831 tituliert er Oweniten und Saint-Simonianer gleichermaßen als Sektierer und attakkiert Owens Einstellung zu Kirche, Eigentum und Familie (1836) 2 1 . Bemerkenswerterweise greifen die Oweniten diese Agitation nicht auf. Im Gegenteil: Nach Fouriers Tod (1837) 2 2 wird verstärkt in der ,New Moral World' über die Aktivität der Anhänger Fouriers in Frankreich berichtet 23 . So wird in der Ausgabe vom 27. November 1841 berichtet, daß für das »Fourier System' Land in Amerika erworben wurde 24 . 3. Etienne Cabet Eine enge Verbindung Owens läßt sich zu Etienne Cabet (1788-1856) nachweisen, dem führenden Kopf der französischen Kommunisten (Gleichheitskommunismus) 25 . Für eine starke Beeinflussung Cabets seitens Owens spricht der enge persönliche Kontakt, den Cabet zu Owen während seines Exils (1834— 1839) in England hat 2 6 . Cabet propagiert, Frankreich auf nationaler Ebene in Kommunen aufzugleidern und nimmt aktiv am politisch-revolutionären Leben seiner Heimat teil 2 7 . Differenzen zur Haltung Owens resultieren aus Cabets ungleich radikaleren sowie idealistischeren Einstellungen. Im Januar 1840 kritisiert Cabet: 19

Vgl. Bourgin, H., A Contribution to the Study of French Socialism, Paris 1905,

S. 106. 20

s. Desroche, H., Images . . ., S. 245 f. s. ders., S. 244, 250, 255 f; s. auch Höppner, J., Zur Geschichtsphilosophie Charles Fouriers, in: Bürgerliche Revolution und Sozialtheorie, hrsg. v. W. Förster, (Ost) Berlin 1982, S. 159. 22 Owen soll Fourier 1837, kurz vor dessen Tod, persönlich begegnet sein, vgl. Gans, J., Robert Owen in Paris 1837: A Glance at an Owenite Group in Paris, in: Le Movement Social, No. 41, Okt.-Dez. 1962, S. 110. 23 s. New Moral World, 5.9.1840. 24 Vgl .New Moral World, 27.11.1841. 25 Zum folgenden s. Cole, G. D. H., Socialist Thought, S. 75 ff; Tsuzuki, Ch., Robert Owen and Revolutionary Politics, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 25 ff; Anhänger Cabets werden ,Icarians' genannt, nach Cabets utopischem Roman ,Voyage en Icarie' (1842). 26 Vgl. Beer, M., Social Struggles and Thought, London 1925, S. 208 ff; Owen ist bemerkenswerterweise Anlaufstelle für einige politische Flüchtlinge, wie das Schreiben eines polnischen Demokraten zeigt, s. Brief, J. Schell Viettinghoff to Robert Owen, 30.7.1840 (Co-operative Union Collection, Manchester); wie Dr. Frhr. v. Vittinghoff-Schell, Haus Kalbeck bei Goch, dem Autor mitteilte, liegt keine verwandtschaftliche Verbindung zur deutschen Linie der Vittinghoff-Schells vor. 27 Vgl. Desroche, H., Images..., S. 259. 21

C. Robert Owen und andere sozialistische Denker

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* Owen ist kein Gegner des Adels und Establishments28 * Owens jCommunities' sind nicht urkommunistisch genug * Cabet glaubt nicht an die Reform von einem Punkt aus 29 Dennoch wird Cabet in engerem Zusammenhang mit Owens Lehre gesehen. Der Zeitgenosse Leroux bemerkt sogar, daß Cabet die Owensche Siedlungsidee übernommen habe 30 . Bezeichnenderweise gründet Cabet nach dem gescheiterten Juniaufstand in Paris (1848) in Navoo (USA) eine urkommunistische Gemeinde, die gewisse Ähnlichkeit zu dem Owenschen Modell aufweist 31 . Für eine Beeinflussung spricht auch der Umstand, daß über einen längeren Zeitraum eine Vereinigung von Oweniten und Cabetisten ernsthaft und mit positiver Beurteilung Owens erwogen wird 3 2 . 4. Louis Blanc Louis Blanc (1813—1882)33 gehört ebenfalls zu dem zeitgenössischen Kreis reformerischer Denker, die in Verbindung mit Robert Owen stehen. Enge Beziehungen zu den Oweniten ergeben sich während Blancs Englandaufenthalten. Dabei kommen Blanc und Owen persönlich zusammen. 1848 schreibt Blanc an Owen: „My dear Sir, I much regret that I cannot go, this evening, to Mister Morgan, Yours very truly (sie), Louis Blanc." 34 1851 teilt der Owenite Weller Owen mit, daß L. Blanc einen Empfang zu Ehren Robert Owen geben w i l l 3 5 . Bis ins Jahr 1856, kurz vor Owens Tod, findet sich ein intensiver Schriftwechsel zwischen Louis Blanc und Owen 36 .

28 Trotz aller radikalen Denkansätze pflegt Owen durchaus gesellschaftlichen Umgang mit Finanz- und Adelskreisen; dies gilt auch für seine Auslandsreisen, wie ein Besuch bei Bankier v. Bethmann in Frankfurt (1818) zeigt, s. Besucherbuch des von Bethmannschen Museums (Ariadneum), 1812-1827,1. Bd., Eintragung u. Unterschrift ,Mr. Robert Owen' am 14.9.1818 (Bethmann Archiv, Depositum im Stadtarchiv Frankfurt/M.); den Nachweis verdankt der Autor Herrn Prof. Dr. Wolf gang Klötzer (Stadtarchiv Frankfurt/M.). 29 Vgl. Desroche, H., Images..., S. 262 f. 30 s. Leroux, P., La Greve de Samarez, Paris 1863/1864, S. 360. 31 Vgl. Desroche, H., S. 268 f. 32 s. Brief, Ch. Sully to Robert Owen, 14.8.1817 (Co-operative Union Collection, Manchester). 33 Zum folgenden s. Grünfeld, E., Das Genossenschaftswesen, a.a.O., S. 79 i\Cole, G. D. H., Socialist Thought, 1953, S. 168 ff; Faust, H., 1965, S. 135 ff; Tsuzuki, Ch., Robert Owen and Revolutionary Politics, in: a.a.O., S. 23 ff. 34 Brief, L. Blanc to Robert Owen, 4.9.1848 (Co-operative Union Collection, Manchester). 35 Vgl. Brief, T. E. Weiler to Robert Owen, Februar 1851 (Co-operative Union Collection, Manchester). 36 s. z.B. Brief, J. Rigby to Robert Owen, 30.4.1856 (Co-operative Union Collection, Manchester).

206

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

Blanc hat eine starke Beeinflussung von englischer Seite erfahren 37 . Dies betrifft, wie Cole zurecht bemerkt, in besonderer Weise die Frühphase seines Schaffens 38. Auf Grund der oben dargelegten Verbindung zu Robert Owen erscheint es durchaus gerechtfertigt, davon auszugehen, daß dabei die Auseinandersetzung mit Owenschem Gedankengut einen herausragenden Stellenwert einnimmt 39 .

II. Beurteilung Owens im späteren Sozialismus 1. Karl Marx und Friedrich

Engels

Karl Marx und Friedrich Engels setzen sich wiederholt kritisch mit Robert Owens sozialistischen Vorstellungen auseinander 40. Engels konstatiert in der Vorrede zum kommunistischen Manifest von 1890, daß man im Jahre 1847 unter Sozialisten ,Owenisten4 und f ourieristen 4 einerseits, mannigfaltige »soziale Quacksalber4 andererseits verstand 41 . Insgesamt sieht Engels die radikalen Ansätze Owens, soweit sie ökonomische Überlegungen betreffen, in der Tradition der Lehre Ricardos 42 . An anderer Stelle bemerkt Engels: „Owens communism was based upon his purely business foundation, the outcome, so to say of commercial calculation. 4443 Auch Karl Marx hat Owens Publikationen studiert 44 . Seine Kritik konzentriert sich vor allem auf zwei Ansatzpunkte Owens. Zum einen die Konzeption 37 s. Lambert, P., Studies in the Social Philosophy of Co-operation, Manchester 1963, S. 57 ff. 38 Vgl. Cole, G. D. H., 1953, S. 168 ff. 39 „Blanc . . . dessen Ideen viel Ähnlichkeit mit den Robert Owens haben", Hasselmann, E., Am Anfang . . ., S. 47. 40 Zu Marx s. Tucker, R. C., Philosophy and myth in Karl Marx, London 1861; Gablentz, O. H. v. d., Die politischen Theorien . . . , S. 186 ff; Löwith, K., Karl Marx, in: Karl Marx 1818/1968, hrsg. v. Internationes, Bad Godesberg 1968, S. 27-44; Schaff, A., Marxismus und das menschliche Individuum, Reinbek 1970. 41 Vgl. Marx, K.¡Engels, Fr., Kommunistisches Manifest, Neuaufl. Leipzig 1965, S. 20; zum Sozialistenverständnis Engels* s. Engels, Fr., Die Lage der arbeitenden Klassen . . . , S. 284 f; Sombart, W., Socialismus und sociale Bewegung im 19. Jahrhundert, Bern 1897; ders., Der proletarische Sozialismus, S. 314 f; auch Bernstein, Ed., Was ist Sozialismus?, Vortrag, o.O. 1918. 42 Vgl. Engels, Fr., Vorwort 1885, zu Marx, K., Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, II. Bd., Buch II: Der Zirkulationsprozeß des Kapitals, Berlin 1979, S. 20; s. auch Marx, K./Engels, Fi./Lenin, W. J., Über Kultur, Ästhetik, Literatur, ausgewählte Texte, hrsg. v. H. Koch, Leipzig 1975, S. 600. 43 Zitiert bei Kramarovsky, Y., Robert Owen and the Co-operative Movement, in: Centrosoyus Review, März 1971, S. 8. 44 s. Marx, K., Das Kapital, I. Bd., Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals, Frankfurt 1972, S. 425; auch Flechtheim, O. K., Marxismus, in: Wörterbuch der Soziologie,

C. Robert Owen und andere sozialistische Denker

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der ,Labour Notes' (Arbeitsgeld), die Marx kategorisch ablehnt. Marx dazu: , , . . . seichten Utopismus eines Arbeitsgeldes." 45 „Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Warenproduktion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitszertifikat konstatiert nur den individuellen Anspruch des Produzenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumation bestimmten Teil des Gemeinproduktes." 46 Zum anderen das Owensche Akzeptieren eines gesellschaftlichen Klassengefiiges anstelle eines Engagements für die alleinigen Belange der Arbeiterklasse 47. Die Beurteilung Owens als ,Utopist', die sich vor allem in der deutschsprachigen Literatur durchgesetzt hat 4 8 , ist jedoch nur eine Seite der Marxschen Einschätzung. Vielfach werden die Leistungen Owens, die von Karl Marx (und auch Engels) positiv bewertet werden, übersehen. Es sind dies im wesentlichen: * Marx würdigt Owens sozialreformerisches Wirken in New Lanark (Arbeitszeitkürzung etc.) 49 * Owens realistische Analyse des Fabrikelends 50 * Owens Erkenntnis, daß das Fabriksystem Ausgangspunkt sozialer Umwälzungen sein wird 5 1 * Owens Feststellung, daß die Arbeiterschaft zu Beginn der Industrialisierung nicht vom technischen Fortschritt profitiert 52 * Engels bekennt, daß es 1800/1810 richtig gewesen sei, Reformen ,von oben' einzuleiten 53 * Im Kommunistischen Manifest, wie Harrison feststellt: „Marx and Engels praised him (Owen) for advocating the abolition of the familiy . . . ' t 5 4 * Engels begrüßt Owens Idee der ländlichen Besiedlung55 * Owens revolutionäre pädagogische Maßnahmen56 bilden für Marx den Kern der polytechnischen Erziehung der Zukunft. Aus Robert Owen „ . . . entS. 664 ff; Landshut, S., Art.: Sozialismus (II) Marxismus, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 4 9 2 494. 45 Marx, K., Das Kapital, I. Bd., Buch 1,1972, S. 109. 46 Marx, K., Das Kapital, I. Bd., Buch I, S. 109 f; s. auch Vester, M., Die Entstehung . . .,S. 222 u. 228. 47 s.Marx, K./Engels, Vt./Lenin, W. I., 1975, S. 23 u. 482. 48 s. Röhl, A., Die Beziehungen . . . , S. 29; positive Beurteüung Owens, s. zuchLiebknecht, W., Robert Owen, sein Leben und sozialpolitisches Wirken 1892, Nürnberg 1892, S. 8. 49 Vgl .Marx, K., Das Kapital, I. Bd., 1972, S. 317. 50 Vgl. ders., S. 425. 51 Vgl. ders., S. 526. 52 s .Marx, K ./Engels, Fr ./Lenin, W. I., 1975, S. 441 f. 53 s. ders., S. 435 f. 54 Harrison, J. F. C., 1969, S. 61. 55 Vgl. Hofmann, W., Ideengeschichte . . . , S. 162. 56 s. Freund, M., Art.: Wo alles einmal besser werden sollte, Nr. 107.

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4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

sproß der Keim der Erziehung der Zukunft, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen." 57 Insoweit bemerkt M. Digby zurecht, daß Owen wesentliche Züge des wissenschaftlichen Sozialismus antizipiert 58 . Marx ist zu einem gewissen Teil durchaus von Owen beeinflußt, auch wenn bislang übersehen wird, daß sich Marx' Kritik nicht so sehr gegen Owen als gegen den Owenismus richtet 5 9 . Der von der Literatur - bei der Vielzahl aller unterschiedlichen Auffassungen 60 - am meisten beachtete Streitpunkt zwischen Owen und Marx ist die berechtigte Behauptung, Owen habe sich nicht für den Klassenkampf, nicht für das Proletariat, sondern für die Gesellschaft allgemein eingesetzt61. In jüngerer Zeit vertritt allerdings der amerikanische Wissenschaftler Isaiah Berlin in seiner Ideengeschichte Against the Current* die Auffassung, daß der Marxsche Proletariat Begriff abstrakt zu verstehen sei: „The Proletariat remains an abstract category in Marx . . . when he speaks of the Proletariat, he speaks not of real workers but of humanity in general . . . " 6 2 Im Anschluß daran kann man von einer idellen Annäherung zwischen Karl Marx und seinem ideellen Vorläufer, Robert Owen, sprechen. 2. Stellungnahme in der sowjetrussischen Literatur Die Beurteilung Robert Owens in der sowjetrussischen Literatur lehnt sich stark an die Marxsche Betrachtungsweise an. Am Beispiel einer Abhandlung von Yakov Kramarovsky in der sowjetrussischen Publikation ,Centrosoyus\ welche 1971 anläßlich Owens 200. Geburtsjahres erschien, sollen positive wie negative Würdigungen stichpunktartig der Übersichtlichkeit halber herausgear57

Marx, K., Das Kapital, I. Bd., 1972, S. 507 f. Vgl. Digby, M., The World Co-operative . . ., S. 16; s. auch Hasselmann, E., The Impact of Owen's Ideas on German Social and Co-operative Thought during the Nineteenth Century, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 286 ff. 59 s. Marx, K., Das Kapital, I. Bd., 1972, S. 623; s. auch Lederer, D., Zum Materialismus im Werk Robert Owens, in: Bürgerliche Revolution und Sozialtheorie, hrsg. v. W. Förster, (Ost) Berlin 1982, S. 160-191, hier insb. S. 163 f. 60 s. dazu Weisser, G., Sozialismus ( I V ) . . ., S. 509 ff;Ortlieb, H.-D., Freiheitlicher Sozialismus . . . , S. 223 ff;Engelhardt, W. W., Sozialist, S. 6 f. 61 s. Simon, H., 1905, S. 252 u. 247; Garnett, R. G., Robert Owen and the Community Experiments, S. 61. 62 Berlin, I., Against the Current, S. 281; s. dazu Busche, J., Wider das Geläufige, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.6.1982, S. 12; s. in wissenschaftlicher Hinsicht auch Engelhardt, W. W., Einige grundsätzliche Aspekte des Vergleichs Marxistischer und Neuer Politischer Ökonomie, in: Zur Marxistischen und Neuen Politischen Ökonomie, v. W. W. Engelhardt/J. Kosta/u.a., hrsg. v. G. Hedtkamp, Berlin 1981, S. 55-93. 58

C. Robert Owen und andere sozialistische Denker

209

beitet werden. Eine überwiegend positive Einschätzung erfahren dabei folgende Gesichtspunkte63: * Owen legt Mißstände des frühkapitalistischen Systems dar * Gegner der Ausbeutung und Unterdrückung * In New Lanark wird auf ,bourgeoise' Elemente wie Polizei, Gerichtshof etc. verzichtet * Radikale Gesellschaftsreform auf Basis des Gemeineigentums * Gleichheitsgrundsatz und kollektive Arbeit * Betonung der Arbeit als Quelle des Reichtums * Owens Anstöße zur weltweiten Genossenschaftsbewegung (mittels der »Community' Idee) * Owen als Propagandist der Genossenschaften Die positiv beurteilten Aspekte des Owenschen Wirkens erlauben nach Kramarovsky folgendes Urteil: „Owen holds a rightful place in the pantheon of the great forerunners of scientific communism." 64 In der kritischen Auseinandersetzung überwiegt jedoch eine negative Kritik der Owenschen Utopien und Konzeptionen 65 . Danach geht Owen von dem unrealistischen Ansatz aus, eine sozialistische Gesellschaft auf friedlichem Wege mittels freiwilliger Eingeständnisse der Kapitalisten zu erreichen. Insbesondere wird Owen zum Vorwurf gemacht, keinerlei Wege aufgezeigt zu haben, wie eine gerechte, sozialistische Gesellschaftsordnung zu realisieren sei. Außerdem habe er nicht die eigentlichen Nachteile des kapitalistischen Systems, wie später Marx im wissenschaftlichen Sozialismus, herausgearbeitet. Völlig unzureichend sei vor allem die alleinige Betonung erzieherischer Maßnahmen zur langfristigen Reform des Gesellschaftsgefüges. Owen „sympathised with the Proletariat but did not see in it the force able to transform society." 66 Die Vernachlässigung der Arbeiterklasse ist analog zu Marx nach sowjetrussischer Auffassung die entscheidende Schwachstelle Owens. Alleine die Erlangung der politischen Macht der Arbeiterklasse und die öffentliche Hand als Alleineigentümer der Produktionsmittel führen zur Befreiung des Proletariats und zur Kooperation auf nationaler Ebene. Von daher habe Owen einen falschen Ansatz, trotz guter Intentionen, gewählt.

63 Zum folgenden s. Kramarovsky, Y., Robert Owen and the Co-operative Movement, in: Centrosoyus Review, März 1971, S. 8 i\ Lauer, R., Der revolutionäre Christus, eine geistesgeschichtliche Analyse der russischen Literatur, in: Moderne Welt, Zeitschrift für vergleichende geistesgeschichtliche und sozialwissenschaftliche Forschung, 3. Jg., Heft 2, Köln 1961/62, S. 166-190. 64 Kramarovsky, A., S. 9. 65 s. ders., ebd. 66 Ders., ebd.

14 Elsässer

4. Hauptteil: Frühsozialistische Konzeptionen des Robert Owen

210

3. Neuere Literatur der Deutschen Demokratischen Republik Es ist das Verdienst marxistischer Denker der DDR, auf Owens Beitrag zum modernen sozialistischen Verständnis der Volkserziehung 67 aufmerksam gemacht zu haben 68 . Insbesondere Günther hebt Owens große Bedeutung als Pädagoge hervor: „Owen, der bedeutendste utopische Sozialist Englands, hat sich vielfach mit Erziehungsproblemen auseinandergesetzt und eine Reihe seiner Auffassungen sind als Vorformen der sozialistischen Erziehung anzusehen. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der sozialistischen Pädagogik waren seine Theorie und seine Praxis der Arbeitserziehung, sein Kampf gegen die Kinderausbeutung in den Fabriken und für eine allgemeine Volksbildung." 69 Dabei finden Owens Ausführungen in seinem Spätwerk ,The Book of the New Moral World' (1836/1844) über die Kleinkindererziehung besondere Beachtung 7 0 . Günther erkennt auch Ansätze vormilitärischer Erziehungsgedanken in Owens ,New View of Society' 71 . Hierbei betont Owen allerdings eher den Körperertüchtigungszweck, wenngleich er an anderer Stelle seinen ,Communities' einen gewissen ,WehrdorfCharakter' zubilligt 72 . Bei aller Einordnung in die Rubrik der »utopischen Sozialisten' wird Owen doch als ein hervorragender Vorläufer des wissenschaftlichen Sozialismus in der DDR anerkannt 73 . In jüngerer Zeit ist insbesondere die Abhandlung von D. Lederer, ,Zum Materialismus im Werk Robert Owens', in welcher auf Owens materialistische Kritik des kapitalistischen Systems einerseits sowie auf die Konzeption gesellschaftlicher Veränderung durch die Vernunft andererseits eingegangen wird, hervorzuheben 74. Zusammenfassend läßt sich mit dem Marxisten H. Hofmann feststellen, daß die Geschichte des Sozialismus schwankt „zwischen der britischen Tradition Owens und dem deutschen Marxismus" 75 . 67

s. Hegelheimer, A., Berufsausbildung in Deutschland, ein Struktur-, System- und Reformvergleich in der Bundesrepublik und der DDR, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1973. 68 Zum Bildungssystem der DDR s. Siebert, H., Erwachsenenbildung in der Erziehungsgesellschaft der DDR, Düsseldorf 1970; DDR-Handbuch, hrsg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 2. Aufl., Köln 1979, S. 337 ii\Erbe, G.jGlaeßner, G.-J./ u.a., Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der DDR, Opladen 1979, S. 313 ff; 69 Günther, K.-H./Hofmann, Fr./u.a., Quellen zur Geschichte der Erziehung, 9. Aufl., Berlin (Ost) 1980, S. 265. 70 Vgl. Günther, K.-UjHofmann, Fr./u.a., 1980, S. 266 ff. 71 Vgl. Günther, K.-H. (Hrsg.), Robert Owen, Pädagogische Schriften, Berlin 1955, S. 240 ff; s. auch Owen, R., Life I, S. 144; Owen, R., 3. Essay, A New View . . ., in: G. D.H.Cole, 1927, S. 57 f. 72 s. Owen, R., To the Electors of the Borough of Marylebone, 23.7.1847 (Co-operative Union Collection, Manchester). 73 Ad Arbeit in sozialistischen Ordnungen s. Kurella, A., Der Mensch als Schöpfer seiner selbst, Berlin 1958, S. 21 i;Mampel, S., Die volksdemokratische Ordnung in Mitteldeutschland, Frankfurt/Berlin 1963, S. 34 f. 74 s. Lederer, D., Zum Materialismus im Werk Robert Owens, in: Bürgerliche Revolution und Sozialtheorie, hrsg. v. W. Förster, (Ost) Berlin 1982, S. 160-191, hier S. 163. 75 Zitiert bei Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 43.

Fünfter Hauptteil

Robert Owen als Erzieher

Bei Robert Owens verschiedenen Wirkungskreisen als Unternehmer, Sozialreformer, Genossenschafter und Sozialist geht es in realvollzogener wie gedanklicher Hinsicht um unterschiedlich ausgeprägte Nuancen eines mehr oder weniger radikalen Wandels sozio-ökonomischer Strukturen. Diese basieren teilweise auf erzieherischen Überlegungen (nach dem Motto: Pädagogik statt Politik), welche nachfolgend erörtert werden.

A. Schulsysteme in Großbritannien um 1800 Owens pädagogische Aktivitäten stellen weder eine klare Fortsetzung noch einen Bruch der britischen Erziehungstradition dar 1 . Owen zufolge handelt es sich freilich bei seinen erzieherischen Gedankengängen um Neuerungen, da sie ,Jceine unmittelbare Beziehung zu den pädagogischen Gegebenheiten442 jener Tage aufweisen. Will man Owens erzieherisches Wirken kritisch analysieren, gilt es, ideen-wie realgeschichtliche Entwicklungen des britischen Erziehungswesens in eine historische Betrachtung mit einzubeziehen. Erst vor dem Hintergrund der spezifischen geistesgeschichtlichen Situation kann es gelingen, die Progressiv s t der Owenschen Ideen sowie ihren Beitrag zur Entwicklung eines nationalen Erziehungskonzeptes zu beurteilen. Die überwiegend ständische Gliederung britischer Ausbildungssysteme im 18. Jahrhundert legt für eine historisch-theoretische Analyse eine Vorgehensweise nach soziologisch geordneten Gesichtspunkten nahe.

I. Adel und Großbürgertum Die Ausbildung und Erziehung der privilegierten Oberschicht stützt sich im wesentlichen auf drei Einrichtungen. Zum einen ist die Anstellung von Hausleh1

s. Simon, H., 1905, S. 4 f; Röhl, A., Die Beziehungen zwischen Wirtschaft S. 48 ff. 2 Röhl, A., Die Beziehungen . . . , S. 49. 14*

212

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

rem im England des 18. und 19. Jahrhunderts vor allem in den aristokratischen Kreisen üblich. Zum anderen wird mit der Internatserziehung in »Public Schools' (Privatschulen) eine strenge Schulung des Nachwuchses im Sinne eines humanistischen Bildungsideals angestrebt 3. Die universitätsmäßige Ausbildung vollzieht sich in traditionsreichen privaten ,Colleges'. Diese sind die eigentlichen beruflichen Vorbereitungsstätten für hohe politische Positionen sowie geistliche Ämter der anglikanischen Staatskirche 4. Das Gros der Studenten entstammt im 18. Jahrhundert adligem oder großbürgerlichem Milieu; nur ein kleiner Prozentsatz (,a tolerated addition') aus kleinbürgerlichen Kreisen 5. Der sogenannte »Gentleman' entspricht in jener Periode dem Erziehungsideal der oberen Schichten Englands6.

II. Kleinbürgertum und Handwerk Das Ausbildungssystem der mittleren Schichten unterscheidet sich in seiner Struktur erheblich von dem der englischen Oberschicht. Zentrum des kleinbürgerlichen Lebens wie auch der Kindererziehung ist die Familie. Da der Masse der Kleinbürger der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten der Oberschicht verschlossen ist, kommt der Familienerziehung eine große Bedeutung zu 7 . Diese wird zu einem Großteil in Form und Inhalt vom Geiste des Puritanismus geprägt 8 . Für die im Handwerker- und Kleinbürgermilieu tonangebenden Nonkonformisten 9 bilden Erwerbsleben und Erziehungsmaßnahmen den eigentlichen Schutz gegen politisch-soziale Anfeindungen 10 . Der Bürger steht dabei in Abwehr gegenüber der Bedrohung seines Eigentums sowohl durch die Oberschicht als auch gegenüber der Armut, welche der Vernichtung seiner bürgerlichen Existenzgrundlage gleichkommt 11 . Daraus resultiert der Antrieb der mittleren Schichten in einer weithin repressiven Gesellschaft, seinen Nachwuchs zu Sittenstrenge und Berufsarbeit heranzuziehen. Die bürgerliche Familienerziehung findet ihre Ergänzung in den Privatanstalten der Schreib-, Lese- und 3

s. Dreßler, Br., Geschichte der englischen Erziehung, Leipzig 1928, S. 161 f. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts haben Nonkonformisten u. Katholiken in England keinen Zutritt zu Universitäten, s. Thomson, D., England in the . . ., S. 58 f. 5 Vgl. Archer, R. L., Secondary Education in the Nineteenth Century, Cambridge 1921, S. 7. 6 s. Röhl, A., Die Beziehungen . . . , S. 49-51. 7 s. Dreßler, Br., Geschichte . . . , S. 90 ff u. 135 ii\Röhl, A., S. 51-55. 8 s. Weber, M., Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, S. 27 ff. 9 Zu Anfang des 19. Jahrhunderts gibt es etwa 2 Millionen Nonkonformisten (Anhänger protestantischer Kirchen, die die Staatskirche ablehnen) in England, s. Thomson, D., England in the Nineteenth Century, S. 60. 10 Vgl. Röhl, A., S. 52. 11 Vgl. ders., S. 54. 4

A. Schulsysteme in Großbritannien um 1800

213

Rechenlehrer 12. Die Unterweisung einfacher Grundkenntnisse lag schon seit Jahrhunderten in den Händen solcher Privatlehrer 13 . Mit der Ausbreitung des Kleinbürgertums im 18. Jahrhundert erleben diese Institute eine Blütezeit. Kirchliche Einrichtungen des anglikanischen wie des nonkonformistischen Bereichs organisieren auf freiwilliger Basis ebenfalls einfache Formen des Grundschulunterrichts (Pfarreischulen) 14. Ihnen ist es zuzuschreiben, daß das Analphabetentum unter den mittleren Schichten Englands zurückgedrängt wird 1 5 .

III. Arbeiterschaft Gegenüber den bürgerlichen Bildungsmöglichkeiten befindet sich die Erziehung der Arbeiterkinder (,Labouring Poor') ausgangs des 18. Jahrhunderts in einem desolaten Zustand 16 . Das starke Anwachsen der Fabrikarbeiterschaft bringt ein großes sozial-pädagogisches Problem mit sich, welches von den staatstragenden Schichten als solches zunächst nicht erkannt wird. Eine klare Grenzlinie zwischen bürgerlicher und Arbeitererziehung besteht theoretisch nicht 1 7 . Soweit sich ein geregeltes Familienleben aufrecht erhalten läßt, bildet der Familienverband die Grundlage der Kindererziehung auch unter der Arbeiterschaft 18 . Mit der Ausbreitung der Heimarbeit (Handweber u.ä.) im 18. Jahrhundert und der sich ausbreitenden Integration sämtlicher Familienmitglieder in den Arbeitsprozeß verschlechtert sich die bildungsmäßige Situation der Kinder drastisch. Der Erziehungsnotstand der Kinder der verarmten Schichten weitet sich mit der einsetzenden Fabrikarbeit, der Frauen- und Kinderarbeit sowie der Zerstörung eines geregelten Famüienlebens (überlange Arbeitszeiten) aus. Weite Teüe der Bevölkerung wachsen in jener Zeit somit ohne schulische Betreuung auf. Das Postulat des wirtschaftlichen ,Laisser-Faire' der Epoche läßt den pädagogischen Erfordernissen keinen Raum. So sind lediglich 5 bis 10 Prozent der Eheschließenden in den englischen Industriezentren in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der Lage, ihren Namen zu schreiben 19. In den 12

Vgl. ders.,S. 53. s. Barth, P., Geschichte der Erziehung in soziologischer und geistesgeschichtlicher Beleuchtung, Leipzig 1920, S. 217 ff. 14 s. Röhl, A., S. 54 f; s. auch Schultze, E., Volksbildung und Volkswohlfahrt in England, München/Berlin 1912. 15 s. Lecky, W. E. H., Geschichte Englands im 18. Jahrhundert, Bd. I, Leipzig/Heidelberg 1879, S. 64; Beer, M., Geschichte des Sozialismus in England, 1913, S. 18. 16 Vgl. Röhl, A., S. 55 f. 17 Vgl. ders. 18 s. Burger, Ed., Arbeitspädagogik, Leipzig 1923. 19 Vgl. Schultze, E., Die geistige Hebung der Volksmassen in England, München/Berlin 1912, S. 19. 13

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5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ermittelt eine parlamentarische Untersuchungskommission, daß in den 17 größten Städten Englands nur jedes 12. Kind eine Schule besucht. In London kann nur ein Kind von 27 Kindern lesen, in Manchester eines von 35, in Birmingham eines von 38 und in Leeds gar nur eines von 4 1 2 0 . 1. Abhilfeversuche Pädagogische Abhilfeversuche zugunsten vernachlässigter Arbeiterkinder entspringen Initiativen vorwiegend nonkonformistischer, bürgerlicher Kreise 21 .Auf eine Gründung des ausgehenden 17. Jahrhunderts geht eine erste Schulbewegung der ,Society for Promoting Christian Knowledge' (sogenannte ,Charity Schools') zurück. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, neben einer religiösen Unterweisung für eine handwerkliche Ausbildung der Jugend zu sorgen 22. Von Wales geht das System der ,Circulating Schools' (Wanderschulen) aus, welches versucht, das Lesen der Bibel zu lehren 23 . Um 1780 breitet sich das SonntagsSchulwesen aus, mit dem der Arbeiterschaft die Möglichkeit geboten wird,nach dem Gottesdienst zu einem Unterricht zusammenzukommen24. Da die große Masse der ,Labouring Poor' diesen Veranstaltungen jedoch fernbleibt, ist den ,Sunday Schools' nur ein geringer Erfolg beschieden25. Gleiches gilt für das Konzept der Industrieschulen. Diese werden im Zuge des Merkantilismus propagiert, um in bestimmten Regionen neue Berufszweige zu etablieren 26 . Ein staatlich organisiertes Volksschulwesen fehlt in Großbritannien, bis 1870 sich eine allgemeine Schulpflicht sowie ein staatliches Schulwesen durchsetzt 27 . 2. Monitorialsystem Von großer Bedeutung für das britische Schulsystem sind die pädagogischen Aktivitäten von J. Lancaster und Dr. Bell. Sie propagieren im ersten Jahrzehnt

20

Vgl. ders., ebd. s. Schultze, E., Die geistige . . . , S. 9\Dreßler, Br., Geschichte . . . , S. 22>l\Röhl, A., S. 57-61. 22 Vgl. Schultze, E., ebd. 23 s. Lecky, W. E. H., Geschichte E n g l a n d s . . B d . II, S. 651. 24 Zu den Sonntagsschulen der ersten Genossenschaften in England s. Black, A., Education before Rochdale, first Attempts helped to keep Movement Alive, in: Co-operative Review, Vol. XXVIII, Nr. 6, Juni 1954, S. 130 f. 25 Zur anti-kirchlichen Haltung der Arbeiterschaft in Großbritannien s. Inglis, K. S., Churches and the Working Class in Victorian England, London/Toronto 1967, S. 1 ff; Mayor, St., The Churches and the Labour Movement, London 1967, S. 22. 26 s. Burger, Ed., Arbeitspädagogik, S. 71 ff; Dreßler, Br., Geschichte . . ., S. 242. 27 Vgl Röhl, A.,S.60f. 21

A. Schulsysteme in Großbritannien um 1800

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des 19. Jahrhunderts Vorschläge, die geeignet sind, der Bildungsnot der arbeitenden Schichten mit organisatorischen Mitteln zu begegnen. Diese erlauben es, innerhalb kurzer Zeit und mit geringem finanziellen Aufwand eine Schulung eines Teils der Arbeiterkinder auf nationaler Ebene durchzuführen 28. Lancaster und Bell bauen das schon früher praktizierte Verfahren, ältere Schüler als Schulgehilfen zu verwenden, zu einem regelrechten Konzept des Helfer- oder Monitorialsystems aus 29 . Die Schule mit 1.000 Schülern und nur einem Lehrer wird die Agitationsparole. 1805 gründet der Quäker Joseph Lancaster in einem Londoner Arbeiterviertel eine Lehranstalt, die bis zu 400 Kinder aufnimmt 30 . Mit Hilfe der 1808 gegründeten Gesellschaft für britische und ausländische Schulen sowie Lancasters Propaganda werden innerhalb weniger Jahre einige Hundert Helfersystem-Schulen errichtet. 1811 gründet der Anglikaner Dr. Bell eine zweite Schulgesellschaft, die Gesellschaft zur Förderung der Erziehung der Armen nach den Grundsätzen der Staatskirche 31. Wie Lancaster setzt sich auch Bell das Ziel, die Masse der Proletarierkinder schulisch zu erfassen und unter der Prämisse der Zeitersparnis ein Mindestmaß an Kenntnis über das Monitorialsystem zu vermitteln. Bedingt durch das Organisationsprinzip sowie die vielfach unzureichende Vorbildung der Ausbüder sind die Lehrinhalte als auch der Schulbetrieb durch ein niedriges pädagogisches Niveau gekennzeichnet32. Erst nach Einführung von Lehrerseminaren auf nationaler Ebene kommt es zu einem effizienten Unterricht. Die Schulgründungen von Lancaster und Bell prägen das frühe britische Volksschulwesen33. Bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts werden die nach diesem System betriebenen schulischen Einrichtungen durch die BellLancasterschen Schulgesellschaften getragen. 1832 werden diese von staatlicher Seite erstmals subventioniert 34 . Ab 1839 werden die Schulgesellschaften regelmäßig über einen festen Etatposten im britischen Regierungshaushalt bezuschußt und fortan einer staatlichen Inspektion unterstellt.

28

Ad Lancaster u. Bell s. Bernard, Sir Th., The new School, London 1810, S. 89 ff. Vgl. Röhl, A., S. 61 f. 30 Vgl. Röhl, A., ebd. 31 Vgl. Röhl, A., S. 62. 32 Im Extremfall 1 Buch für eine ganze Schule, vgl. Bernard, Sir Th., The New School, 1810, S. 90 f; „rohes Einpauken und Memorieren' 4, Röhl, A., ebd. 33 Vgl. Röhl, A., ebd. 34 s. Sadler, M., Continuation Schools in England, Manchester 1908; Röhl, A., S. 61. 29

216

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

B. Owens pädagogische Maßnahmen

I. Milieu theorie Bevor auf Owens konkretes erzieherisches Wirken in New Lanark sowie in seinen Siedlungsgenossenschaften (New Harmony, Queenwood) eingegangen wird, gilt es, Owens ethische Auffassung von der Entwicklung des Menschen kurz darzulegen. Robert Owen setzt sich schon früh mit Fragen der Erziehung auseinander1. 1812 definiert er in einer Rede zu Ehren Joseph Lancasters in Glasgow: „By education . . . I now mean the instruction of all kinds which we receive from our earliest infancy until our characters are generally fixed and established . . . Much has been said and written in relation to education, but few persons are aware of its real importance in society, . . . it (education) will be found to be . . . the primary source of all good and evil, misery and happiness . . . " 2 Hier spricht Owen ein erweitertes Erziehungsverständnis an. Es umfaßt von der frühesten Kindheit an alle Bereiche, die auf die Charakterbildung des Menschen Einfluß nehmen. Dieser Auffassung liegt ein milieutheoretisches Verständnis zu Grunde 3 . In seinem literarischen Schaffen betont Owen an vielen Stellen den maßgebenden Einfluß der Umwelt auf das Verhalten des heranwachsenden Menschen. ,,Any general character, from the best to the worst, from the most ignorant to the most enlightened, may be given to any community, even to the world at large, by the application of proper means; which means are to a great extent at the command and under the control of those who have influence in the affairs of men." 4 Owen zufolge bringt der Mensch bei seiner Geburt lediglich physische Kräfte, Neigungen und Fähigkeiten5 mit; man könne daher jede Sprache, jede innere Einstellung erlernen, soweit sie nicht gegen seine Natur verstoße 6. Diese nachhaltige Prägbarkeit des jungen Menschen erkennt Owen klar. 1815 konstatiert er in seiner Abhandlung ,Observation on the Effect of the Manufactoring System': „Train up a child in the way he should go, and when he is old he will not depart from i t . " 7 An anderer Stelle bemerkt Owen 1 Den Anfang macht vor 1800 die Rede ,Thoughts on the Connection between Universal Happiness and Practical Mechanics', s. dazu Read , D., Robert Owen, 1771-1858: From Manchester to Utopia, in: The Manchester Review, Vol. 8, Summer 1959, S. 317 f; dagegen Silver , H., Robert Owen and the Concept of Popular Education, S. 120. 2 Owen, R., Speech at a public dinner at which he presided, given to Joseph Lancaster at Glasgow in 1812, in: Life I, S. 249. 3 s. Hirschberger, J., Geschichte der Philosophie, II. Teü, 1958, S. 232 ff. 4 Owen, R., 1. Essay, A New View . . . , in: Cole, G. D. H., 1927, S. 16. 5 Vgl. Röhl, A., S. 89. 6 Vgl. Owen, R., 1. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 267. 7 Owen, R., Observations on the effect ... 1815, in: Life IA, S. 45.

B. Owens pädagogische Maßnahmen

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zum Verhältnis Umwelt - Erziehung: „ . . . that the character of man i s . . . always formed for him; that it may be, and is, chiefly, created by his predecessors; that they give him, or may give him, his ideas and habits, which are the powers that govern and direct his conduct. Man, therefore, never did, nor is it possible he ever can, form his own character." 8 Nicht der eigene Wille, vielmehr ausschließlich das Umfeld (»Circumstances') bestimmt den Werdegang des Menschen9. Damit steht für Owen der einzelne außerhalb einer sittlichen Verantwortung, da den Lebenslageumständen bzw. den Erziehenden die Verantwortung zuzusprechen ist 1 0 . Von daher lehnt Owen eine Bestrafung von Kindern ab 1 1 . Diesem pädagogischen Grundgedanken schließen sich auch Owens Anhänger, die Oweniten, an. In einem Brief an Owen bemerkt der Owenite D. Mc Donald 1830: „ . . . the one first Principle, fact and truth, that the Character of Man is formed for, not by h i m ! " 1 2 ' In der owenitischen Abhandlung »Social Tracts' Nr. 4 wird das Thema ,Man the Creature of Circumstances' ebenfalls behandelt 13 . Diese milieu theoretischen Ansätze sind zu Owens Lebzeiten nicht neu. Übereinstimmend mit fortschrittlichem Gedankengut der Zeit basieren sie einerseits auf der französischen Doktrin Rousseaus, andererseits auf Überlegungen von Thomas Morus, William Godwin, James Mill, Paul Brown sowie Dugald Stewart 14 . Owen unterscheidet sich insoweit von zeitgenössischen Denkern, als er Ausflüsse der Milieutheorie in eine sozialpädagogische Konzeption mit einbezieht und diese über ein halbes Jahrhundert lang propagiert 15 .

8

' Owen, R., 3. Essay, A New View . . . , in: Cole, G. D. H., 1927, S. 45. „ . . . we can materially command those circumstances which influence character", Owen, R., Speech 1812, in: Life I, S. 250; vgl. auch ders., 3. Essay, A New View . . . , in: Cole, G. D. H., 1927, S. 53. 10 Vgl. Rohl, A., S. 89 f. 11 s. Life I, S. 139. 12 Brief, D. Mc Donald to Robert Owen, 26.9.1830 (Co-operative Union Collection, Manchester); so auchMillenial Gazette, hrsg. v. R. Owen, 15.11.1857. 13 s.o. V., Social Tracts, No. 4, o.J. (Original: Co-operative Union Collection, Manchester). 14 s. Silver, H., Robert Owen as Educationalist, in: Robert Owen and his Relevance to our Times, Co-operative College Papers, Nr. 14, 1971, S. 55 f; Harrison, J. F. C., 1969, S. 142 f. 15 „Surround him (man) with evil circumstances or conditions, - and his thoughts and conduct must become evil, while when surrounded through life with good conditions only, his thoughts and conduct must be good", Owen, R., Life I, S. 61. 9

218

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

II. Erziehung in New Lanark 1. Schule der Charakterbildung Ausgangspunkt des erzieherischen Wirkens Owens sind die in New Lanark ergriffenen pädagogischen Maßnahmen16. Sie bilden einen der Hauptanziehungspunkte der schottischen Betriebssiedlung und tragen wesentlich zu Owens Popularität im 19. Jahrhundert bei 1 7 . Bis 1809 scheitern Owens Versuche, ein fortschrittliches Schulsystem in New Lanark aufzubauen, am Widerstand seiner Kompagnons. Erst im Jahre 1812 - nach einem Wechsel der Teilhaber - gelingt es ihm, die ,New Institution', ein dreistöckiges Gebäude für sozialpädagogische Zwecke, im Rohbau fertigstellen zu lassen18. Aus dem zeitgenössischen Werk ,A Statement regarding the Establishment of New Lanark' (1812) geht hervor, daß die , New Institution' unter anderem einen Unterrichtsraum, einen Spielplatz sowie einen Speisesaal vorsieht, der als Turnhalle verwendet werden kann 1 9 . Dieses Gebäude ist nicht nur für die Kinder der Betriebsangehörigen, sondern auch für die der Umgegend bestimmt 20 . Am 1. Januar 1816 eröffnet Owen offiziell das pädagogische Zentrum von New Lanark als »Institution for the Formation of Character' (großzügiger, geräumiger Bau) 21 . Sie beherbergt ausschließlich schulpädagogische Einrichtungen: Eine Kleinkinderschule, eine Tagesschule sowie die Stätte der Erwachsenenbildung bzw. der Erholung. Im Erdgeschoß befinden sich drei Unterrichtsräume für die Kinder; im Obergeschoß zwei große, sechs Meter hohe Säle mit Galerie, die als Vortrags- sowie als Tanz- und Singräume zur Verfügung stehen 22 . Auf vollberuflicher Basis beschäftigt Owen zunächst zwei Lehrer, einen ehemaligen Weber, James Buchanan, sowie ein 17-jähriges Mädchen, Molly Young 2 3 ; hinzu kommen durchschnittlich zwischen 13 und 16 Helfer 24 . Diese unterrichten etwa 600 Schüler, von denen ungefähr 16 Zum ineffizienten Abendunterricht unter David Dale s. Bernard, Sir Th. (Hrsg.), The Reports of the Society for Bettering the Condition . . ., 1800, S. 252 f. 17 Vgl.Podmore, Fr., 1923, S. 161 ff; Silver, H., Robert Owen as Educationalist^. 58. 18 Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 160 f; s. dort die hervorragenden Literaturhinweise; auch Hume, J. R., The Industrial . . . , S. 230 ff, ,New Institution' u. »Institution for the Formation of Character' sind identisch. 19 Vgl. Owen, R., A statement regarding the New Lanark Establishment, Edinburgh 1812, S. 12-18; Tische lassen sich an die Decke hochziehen. 20 Vgl. Owen, R., A Statement . . . 1812, S. 12 ff. 21 Die Bedeutung zeigt sich auch an der zentralen Lage im Ort; s. auch Podmore, Fr., 1923, S. 130 ff; Barnes, G. N., Life and Work of Robert Owen, London 1928, S. 5. 22 s. Owen, R. D., Outline of the System of Education at New Lanark, Glasgow 1824, S. 28. 23 Vgl. Life I,S. 139. 24 Owens älteste Tochter, Anne, unterrichtet in New Lanark, vgl. Owen, R. D., Robert Dale Owen's Travel Journal 1827, S. 36.

B. Owens pädagogische Maßnahmen

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die Hälfte bereits in der Fabrik arbeitet 25 . 1817 läßt Owen daraufhin ein weiteres Schulgebäude (,SchooP genannt) errichten 26 . Die schulischen Bauten stellen eine beachtliche finanzielle Investition in Höhe von 6.000 bis 8.000 Pfund dar 2 7 . Diese geht zu Lasten des Owenschen Unternehmens. Die laufenden Kosten des Schulbetriebes betragen Owen zufolge ungefähr 1.200 Pfund jährlich 2 8 . Davon entfallen auf Löhne für den Lehrkörper 550 Pfund, auf Heizungs- und Materialausgaben allein 150 Pfund 29 . Zur Deckung der jährlichen Ausgaben wird der Jahresüberschuß der Werkskonsumanstalt in Höhe von 700 Pfund verwandt 30 . Zusätzlich wird ein Schulgeld in Höhe von 3 Pence pro Kind und Monat von den Eltern erhoben 31 . Dies entspricht jedoch nur 0,6 Prozent des durchschnittlichen Monatslohnes eines Arbeiters in New Lanark (etwa 2 Pfund). Es erscheint von daher gerechtfertigt, eher von einem symbolischen Obulus der Eltern zu sprechen. Dies zeigt sich auch daran, daß sich das gesamte Schulgeld bei 600 Schülern lediglich auf 90 Pfund jährlich beläuft 32 . Es verbleibt demnach ein jährlicher Fehlbetrag von circa 400 Pfund, für den Owens Firma aufkommen muß.

2. Lehrplan und Unterrichtsform a) Kleinkinderschule Im Einklang mit seiner streng müieutheoretischen Überzeugung ist Robert Owen bestrebt, das Kleinkind möglichst frühzeitig dem Einfluß seiner Eltern zu entziehen. Einerseits um die arbeitende Mutter zu entlasten, andererseits um das Kind vor falschen Erziehungspraktiken zu bewahren 33 . Sobald die Kinder laufen können, werden sie kostenlos bis zu ihrem 5. Lebensjahr in der »Infant School' (Vorschule) aufgenommen. Zu den Mahlzeiten und des Nachts kehren die Kinder zu ihren Eltern zurück. Tagsüber stehen sie unter der Aufsicht von 25

Vgl. Harrison, J. F. C., 1969, S. 161. s.o. V., A Future for New Lanark, S. 5\Hume, J. R., The Industrial. . ., S. 232 f. 27 s.o. V., Robert Owen at New Lanark, 1839, S. 13; Owen, R. D., Threading My Way, 1874, S. 113 i\Podmore, Fr., 1923, S. 130. 28 Vgl. New Existence, Part V, 1894, S. 62. 29 s.Podmore, Fr., 1923, S. 135. 30 Vgl.ders.,S. 166. 31 1 Pfund = 20 Shilling = 240 Pence; s. auch Podmore, Fr., 1923, S. 165. 26

32

Nach Berechnung durch den Verfasser:

600 x 36

= 90 Pfund 240 33 s. Simon, H., 1905, S. 67; Müller-Eckhard, H., Das unverstandene Kind, 4. Aufl., Stutgart 1956, S. 90 ff (zur Bedeutung der Kleinkinderfahrung); Vester, M., Die Entstehung . . .,S. 198.

220

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

Lehrern oder auch kleinen Gruppen älterer Spielkameraden 34. Nach Möglichkeit sollen sich die Kinder an der frischen Luft aufhalten. Die Erziehung der Kleinen „was based on amusement and interest, their health was of primary concern." 35 Die Lehrer sowie die Kinder werden angehalten, stets freundlich und geduldig miteinander umzugehen36. Owen ist um eine Atmosphäre des Frohsinns und der Heiterkeit bemüht. Auf ein frühes, zur damaligen Zeit übliches autoritäres JDrillen' wird bewußt verzichtet. Anhand großer Schautafeln mit zoologischen Abbildungen sowie natürlichen Gegenständen aus Wald, Feld und Garten soll die Wißbegierde der Kinder gefördert werden 37 . Durch die Vermeidung aggressiven Verhaltens und mittels spielerischer Lehrformen soll eine positive Grundeinstellung zu schulischen Einrichtungen bereits im frühsten Alter gelegt werden 38 . b) Tagesschule Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren besuchen eine Tagesschule in New Lanark. Zum Lehrprogramm dieser konfessionsunabhängigen Schule gehören die Fächer: Lesen, Schreiben, Rechnen, Naturgeschichte, Geographie, Geschichte, Musik, Tanz sowie Nähen und Haushaltsführung für Mädchen 39 . Während der zeitgenössische Unterricht sich überwiegend des sturen Auswendiglernens und JEindrillens4 als Methode bedient, versucht Robert Owen, neue Unterrichtsprinzipien aufzustellen, die über das bloße Lernen aus Büchern hinausgehen 4 0 . In seiner Autobiographie spricht er explizit folgende Punkte an 4 1 : * Kein Schimpfen oder Schlagen von Schülern * Freundlichkeit in Ton, Blick, Wort sowie Handlung der Lehrer; Vertrauensbeziehung Schüler-Lehrer * Belehrung und Unterricht in gewohntem Konversationsstil * Alle Fragen des Schülers sind zu beantworten; Nichtwissen des Lehrers ist durchaus einzugestehen

34 Zum folgenden s. Owen, R., Life I, S. 139; ders., Address 1.1.1816, in: Life I, S. 339 u. 341; Treble, J. H., The social and economic thought of Robert Owen, in: Robert Owen, Prince of Cotton Spinners, S. 24 f; Vest er, M., ebd. 35 Silver, H., Robert Owen as Educationalist, S. 58. 36 Vgl. Owen, R., Life I, S. 139. 37 s. Simon, H., 1905, S. 67 f. 38 s. Vester, M., ebd., auch Brief, J. u. C. Hill to Robert Owen, 1.4.1836' (Co-operative Unipn Collection, Manchester), Owen wird um Rat in Sachen Schulgründung gebeten; zeigt Owens Popularitätsgrad in erzieherischen Themen. 39 s. Owen, R. D., Outline of the System of . . . , S. 28-101; Podmore, Fr., 1923 S. 136 ff\ Simon, H., 1905, S. 68 ff. 40 41

s. Owen, R., Report to the County . . . 1820, in: Life.IA, S. 297. Nachfolgend s. Owen, R., Life I, S. 232 f.

B. Owens pädagogische Maßnahmen

221

* Körperliche Ertüchtigung (»Military Exercises4) gehört zum Lehrprogramm * Kinder mit der Natur bekanntmachen * Kein von vornherein festgelegter Stundenplan; läßt die Konzentration am Unterricht nach, dann körperliche Ertüchtigung der Schüler; läßt die Freude an ,Out-Door* Aktivitäten nach, ist der Unterricht drinnen wieder aufzunehmen! Für ihre Zeit fort schrittlich sind die von Owen propagierten Lehrmittel. Hierzu gehört vor allem Anschauungsmaterial, wie z.B. aufrollbare Bilder aus dem Bereich der Pflanzen, Tierwelt und Mineralien sowie Landkarten 42 . Als innovativ ist auch die Personifizierung des grammatikalischen Satzbaus im Englischunterricht zu bezeichnen. So gibt es zur Verdeutlichung einen ,General* Substantiv, einen »Leutnant' Verb sowie einen ,Korporal' Adverb 43 . Das eigentlich revolutionierende Moment der Owenschen Schule für die damalige Zeit ist die beständige Bemühung, den Unterricht ganz auf den Schüler und dessen Aufmerksamkeit abzustellen44. In diesem Zusammenhang ist das breit angelegte und alternierende Unterrichtsprogramm von New Lanark positiv hervorzuheben 4 5 . c) Abendschule Nach Vollendung des 10. Lebensjahres können die Kinder von New Lanark auf Wunsch ihrer Eltern in der Baumwollspinnerei als Hilfskräfte beschäftigt werden. Für jene jungen Menschen bietet Robert Owen speziell in den Abendstunden ein weiterführendes Unterrichtsprogramm an 4 6 . Zunächst nehmen jedoch nur wenige Schüler (unter 100) das schulische Zusatzangebot wahr. Erst nach der freiwilligen Verkürzung der Tagesarbeitszeit von 11 3/4 auf 10 3/4 Stunden am 1. Januar 1816 steigen die Teilnehmerzahlen an: Im Januar 1816 besuchen durchschnittlich 380 Schüler die Abendkurse, im Februar 1816 sind es 386 und März 396 4 7 . Die Abendschüler sind i.d.R. zwischen 10 und 20 Jahre alt. Das Unterrichtsprogramm wird nach dem oben beschriebenen Modus 42

Vgl. Owen, R. D., Outline 1824, S. 50; Simon, H., 1905, S. 69. Die Kinder bekommen, wie heute noch in England üblich, eine Schuluniform, vgl. Owen, R. D., Outline 1824, S. 33\Podmore, Fr., 1905, S. 143 f; s. auch Browning, M., Owen as Educator, S. 67. 44 s. Macnab, H. G., The New Views of Mr. Owen of Lanark Impartially Examined, London 1819, S. 223. 45 Mit Robert Owen beginnt die moderne Betriebspädagogik, vgl. Dörschel, A., Art.: Wirtschaftspädagogik und Betrieb, in: HWB, 4. Aufl., hrsg. v. E. Grochla/W. Wittmann, Bd. 1/3, 1976, Sp. 4589; weiterführend s. Abraham, K., Die wirtschaftliche Erziehung als internationales Problem, in: Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpädagogik 1965, S. 219257. 46 s. Silver, H., Robert Owen as Educationalist, S. 58. 47 s.Podmore, Fr., 1923, S. 135 f. 43

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

222

und den Prinzipien der Tagesschule durchgeführt. Robert Owen engagiert zusätzlich 2 bis 3 Lehrer, welche die Abendveranstaltungen leiten 48 . Dreimal wöchentlich findet darüberhinaus abends eine Art Erwachsenenbildung in New Lanark statt 4 9 . Dabei geht es Owen primär darum, den Eltern die Methoden einer geeigneteren Kindererziehung, die Organisation praktischer Haushaltsführung sowie den Gedanken des Sparens zu vermitteln 50 . d) Zeitgenössische Resonanz Einen Eindruck von der erzieherischen Praxis New Lanarks vermitteln zeitgenössische Berichte verschiedener Besucher, welche Owens Fabriksiedlung in jener Zeit besichtigen. Im März 1818 kommt der amerikanische Wissenschaftler John Griscom (New York) im Rahmen einer Europareise, bei der er sozialreformerische Einrichtungen untersucht, nach New Lanark. Er zeigt sich besonders von der Vorschule beeindruckt: „They (children) appeared perfectly happy . . . This baby school is of great consequence to the establishment, for it enables the mothers to shut up their houses in security, and to attend to their duties in the factory, without concern for their families." 51 Eine umfangreiche Studie über das Schulsystem von New Lanark legt der Leibarzt des Duke of Kent, Henry Mac Nab, vor. Dieser hebt die Einzigartigkeit des pädagogisch verfolgten Experiments im Jahre 1819 hervor. „ . . . I regard it as the most valuable establishment in education to be found in this or any other country. Had Mr. Owen done no more than establish that college, this circumstance alone would have rendered his name immortal; for he has given to education its dignified character . . . " 5 2 Das Ergebnis einer Untersuchungskommission, der sogenannten ,Leeds Deputation', vom August 1819 kommt ebenfalls zu einer positiven Einschätzung des Erziehungswesens in New Lanark.„In the education of the children the thing that is most remarkable is the general spirit of kindness . . . and the entire absence of everything that is likely to give them bad h a b i t s . . . ; the consequence is, that they appear like one well-regulated famüy, united together by the ties of the closest affection . . . and we could not avoid the expression of a wish that the orphan children in our Workhouses had the same advantage moral and religious instruction . . . " 5 3 Owens hoher Beliebtheitsgrad bei den Kindern wird ebenfalls hervorgehoben. So schreibt ein anonymer Verfasser 1822: „ . . . the moment Owen came into the court where the infants were assembled, they ran in crowds to meet their benefactor, and stretched out their 48

Vgl. Silver, H., ebd. s. Vester, M., Die Entstehung . . S . 199. 50 s. Owen, R., 3. Essay, A New View . . ., in: Life I, S. 297; gleichzeitig als Maßnahme gegen den Alkoholismus gedacht, s. Pitzer, D. E. (Hrsg.), Robert Owen's..., S. 84. 3{ Griscom, J., A Year in Europe . . . , S. 385. 52 Macnab, H. G., The New Views of Mr. Owen . . . , S. 215 f. 53 Report of the Leeds Deputation, 1819, in: Life I A, S. 254 f. 49

B. Owens pädagogische Maßnahmen

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little hands to welcome him or looked up with looks of gratitude as he passed."54 Erwähnt wird auch die friedliche Atmosphäre der Schüler untereinander. J t has been a great object with Robert Owen to extinguish the government by fear; and in the attainment of this he has been very successful ... I may further state that in all my observation on the children, in the schools, at their play, or elsewhere, I did not see one angry look or gesture. There was, on the contrary, a harmony in all their intercourse . . . " 5 5 Wenngleich jene Augenzeugenberichte wenig wissenschaftlich verfaßt sind und teilweise vielleicht einem Hang zur übertriebenen Darstellung erliegen, so geben die Aussagen unterschiedlicher Personenkreise verschiedener Jahre doch einen Eindruck von der herausragenden Stellung, die die Schulen von New Lanark zur damaligen Zeit einnehmen. Aufschlußreich ist insbesondere die Reaktion der betroffenen Bevölkerung von New Lanark selbst. In einer ,Address to Mr. Owen by the inhabitants of New Lanark' vom 11. Januar 1817 begrüßen diese die Owenschen Erziehungsmaßnahmen ausdrücklich: „ . . . we take this public opportunity of returning our grateful thanks for your past kindness and attention to our interest ... regarding also the cultivation of the minds of our children as one of the benefits which we derive from your kind exertions on our behalf." 56 Ein Jahr später, am 7. Mai 1818, betont eine Abordnung der Arbeiterschaft von New Lanark wiederum: „The care which is taken in gratuitously educating our children, the humane treatment we experience . . . are advantages which call for our earnest expression of gratitude . . . We conclude by expressing our desire that all cotton-spinners enjoyed the same advantages as we d o . " 5 7

III. Erziehung in Produktivgenossenschaften Owens Erziehungskonzeption ist nicht auf New Lanark beschränkt. Sie ist zugleich Bestandteil der von ihm initiierten Produktivgenossenschaften vom Typ der Siedlungsgenossenschaften (,Communities',,Villages of Co-operation'). 1820 schreibt Owen zu diesem Thema: „ I t is obvious that training and education must be viewed as intimately connected with the employments of the association (Community). The latter, indeed, will form an essential part of educa-

54

Account of a visit in August 1822, zitiert bei Podmore, Fr., 1923, S. 143. Smith, J., Excursions in Scotland 1820, zitiert bei New Existence, Part V, S. XXXVII; Schule und geringe Zahl an Kriminalitätsfällen bringt Bentley, J., The State of Education, contrasted with the State of Crime at a glance in England and Wales, o.O. 1837, in Verbindung. 56 Address to Mr. Owen by the inhabitants of New Lanark, 11.1.1817, in: Life IA, S. 322. 57 Address of the inhabitants of New Lanark to the London proprietors, 7.5.1818, in: Life IA, S. 329. 55

224

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

tion under these arrangements." 58 Die Integration schulischer Bauten und Maßnahmen in Produktivgenossenschaften legt Owen im einzelnen theoretisch in seinem »Report to the County of Lanark' (1820) dar 5 9 . Von der praktischen Seite erklärt sich die Bedeutung, die der Erziehung in Siedlungsgenossenschaften zugeschrieben wird, in zweifacher Hinsicht. Zum einen begeistern sich fortschrittliche Pädagogen für die Produktivgenossenschaft Owenscher Prägung, so z.B. in New Harmony Madame Freteagot, W. Maclure u.a. Sie erkennen in der »Community4 ein hervorragendes Instrument für eine wirksame Volkserziehung. Zum anderen betrachten die Oweniten selbst die Rolle der Erziehung als ausschlaggebendes Moment für einen siedlungsgenossenschaftlichen Erfolg 60 . So propagiert beispielsweise der Owenite und Genossenschaftler W. Pare 1828 die Erwachsenenschulung als eine unabdingbare Voraussetzung für eine genossenschaftliche Lebens- und Arbeitsweise 61. Vom milieutheoretischen Standpunkt her stellen die Oweniten fest, daß die Erziehung von Kindern nach modernen Gesichtspunkten wirkungslos bleibt, sofern nicht gleichzeitig eine Reform des sozialen Umfeldes (Elendsviertel) vollzogen wird 6 2 . 1. New Harmony Owens Tätigkeit in New Harmony 63 ist unter erzieherischen Aspekten von großer Wichtigkeit. Sie lehnt sich an die in New Lanark verfolgten pädagogischen Grundsätze an und ergänzt gleichzeitig seine Ausführungen in den Essays yA New View of Society' 64 . Die in Nordamerika getroffenen Maßnahmen gehen über die von New Lanark hinaus. Es handelt sich nicht um eine an bestimmte industrielle Verhältnisse gebundene Fabrikschule, sondern um einen „ganzen Lehrgang in einer Idealgesellschaft" 65. Ausgangsbasis ist Owens oben dargelegter Einwand gegen die Familie 66 als Erziehungseinheit. Jene ist Owen zufolge nicht geeignet, die Entwicklung gemeinschaftlicher Haltungen des Menschen zu fördern. In der neuartigen Gesellschaftsordnung von New Harmony entwickelt 58

Owen, R., Report to the County of Lanark 1820, in: Life IA, S. 297. s. Life IA, S. 293-298. 60 Vgl. Harrison , J. F. C., 1969, S. 144 f. 61 s. Garnett, R. G., William Pare (1805-1873), Co-operator and Social Reformer, Loughborough 1973, S. 27 ff. 62 s. Co-operative Magazine, III, 1828, S. 43; Owen, R., The Book of the New Moral World, VI. Part, 1844; ders., 4. Essay, A New View . . ., a.a.O., Life I, S. 325\Mäder, W., Robert Owen als Jugenderzieher, Diss. Erlangen 1916, S. 75 u. 119 f; Harrison, J. F. C., ebd. 63 s. III. Hauptteil dieser Arbeit; Günther, K.-H., Robert Owens Erziehungsplan für New Harmony, in: Pädagogik, 13. Jg., (Ost) Berlin 1958, S. 806-821. 64 s. LifeI,S. 265 ff. 65 Simon, H., 1905, S. 194. 66 s. Owen, R., Lectures on the Marriages... 1841. 59

B. Owens pädagogische Maßnahmen

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Owen einen Erziehungsplan, der sich nach Günther durch die Verbindung von Erziehung und gesellschaftlicher Entwicklung 67 auszeichnet. In seinen Vorträgen zu Erziehungsfragen in New Harmony (1826) vertritt Owen nunmehr verstärkt die Auffassung, daß die wichtigste Zeit der Erziehung schon vor der eigentlichen Schulzeit hegt 68 . Bereits nach der Geburt beeinflusse das Umfeld die Entwicklung des Menschen. Im einzelnen fordert Owen für die Kleinkindererziehung 69 : * * * *

einfache Nahrung bequeme Kleidung Hygiene, tägliches Waschen der Kinder vernünftige Ansprache der Kinder

Eine vergesellschaftete Kindererziehung sei der Familienerziehung in dieser Hinsicht schon aus praktikablen Erwägungen überlegen; der sozial-kooperative sei dem individualistischen Erziehungsgedanken vorzuziehen 70 . Das Schulkonzept von New Harmony sieht drei Klassenstufen vor 7 1 . In der unteren Stufe erhalten die Kinder im Alter von 3 bis 8 Jahren einen reinen Anschauungsunterricht. Es geht darum, das Erfassen geographischer Umrisse, sowie Kenntnisse des Tier- und Pflanzenbereiches zu vermitteln 72 . In der mittleren Stufe (Alter der Kinder: 8 bis 12 Jahre) beginnt der eigentliche Schulunterricht. Das Lehrprogramm umfaßt die Fächer Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Botanik, Chemie, Tanz, Musik sowie praktische Arbeiten in Gärtnerei und Landwirtschaft. In der letzten Klassenstufe für Jugendliche im Alter zwischen 12 und 16 Jahren wird die Ausbüdung durch folgende Fächer ergänzt: Astronomie, eine Naturwissenschaft (z.B. Geologie), Staatswissenschaft sowie Einführung in Verfassung und Organisation der Produktivgenossenschaft. An diesem Programm können auch Erwachsene im Sinne einer Weiterbildung teilnehmen. In einer Zeit, in der es zur Tagesordnung gehört, daß Kinder bereits mit 9 Jahren in Fabriken arbeiten, tritt Owen für eine 13jährige schulische Betreuung junger Menschen (vom 3. bis zum 16. Lebensjahr) ein. Owens kombiniert praktisch theoretisches Bildungskonzept ist von daher durchaus als extrem fortschrittlich zu bezeichnen. Die zentrale Rolle, die Owen erzieherischen Fragen beimißt, wird auch in der ,New Harmony Gazette' vom 29. Oktober 1825 be67 Günther, K.-H., Robert Owens Erziehungsplan, S. 820; Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 38. 68 Vgl. New Harmony Gazette, August 1826; zum folgenden s. auch Simon, H., 1905, S. 193 ff. 69 s. Simon, H., ebd. 70 s. ders., ebd. 71 s. ders., ebd. 72 Nach Simon die erste Kleinkinderschule der USA, vgl. Simon, H., 1905, S. 196; nicht nachprüfbare Behauptung, erscheint in dieser Form zumindest zweifelhaft.

15 Elsässer

226

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

tont: „ I t is on education of youth, the projector of the new social system relies for ultimate success."73 Dabei wird die Produktivgenossenschaft in ihrer sozialpädagogischen Wirkung in einem größeren Zusammenhang gesehen: „ . . . a community can become a new people, have minds born again, and be regenerated from the errors . . . which have hitherto everywhere prevailed." 74 Von großer Bedeutung sind auch die indirekten Fernwirkungen, die von der pädagogischen Orientierung New Harmonys ausgehen75. Wegen seines Siedlungsprojektes gelangen zahlreiche Pädagogen auf Initiative (und Kosten) von Robert Owen 1825/1826 in den mittleren Westen der Vereinigten Staaten von Amerika (,Boatload of Knowledge') 76 . Dazu zählen Madame Freteagot, Frances Wright, R. Dale Owen, William Owen (Geologe), J. Neef, Ph. d'Arusmontu.a. 77 Nach dem Scheitern von New Harmony setzen die meisten ihr erzieherisches Wirken in den USA fort. Auf diese Weise erfahren von New Harmony aus fortschrittliche ideelle Strömungen, wie z.B. der Gedanke der Koedukation, der Frauenbewegung (Fr. Wright) sowie des nationalen Schulsystems eine nicht zu unterschätzende Wirkung 78 . So schließt sich beispielsweise Owens Sohn, Robert Dale Owen (1843 Kongreßabgeordneter in Washington), 1830 der »Mechanics and Working Men's Party' in New York an, die den Gedanken eines freien, kostenlosen und nationalen Schulsystems für die USA propagiert 79 . Robert Dale Owens Engagement wird auch aus einem Brief des gleichen Jahres deutlich. „That great measure is: a National System of Education, established and maintained at the expense of the nation, free without charge to all who choose to send their children thither." 8 0 2. Queenwood Auch in der letzten owenitischen Siedlungsgenossenschaft, Queenwood (1839-1845) 8 1 , im Süden Englands, an deren Aufbau und Organisation Robert 73

Zitiert bei Harrison , J. F. C., 1969, S. 145; s. auch New Moral World, 5.12.1835. New Harmony Gazette, 23.8.1826. 75 s. Owen, R. D., Robert Dale Owen's Travel Journal 1827, S. 7 f u. 25;Riesmann, D., Utopisches Denken in Amerika, in: Utopie, S. 327-338, hier S. 329; Pitzer, D. E. (Hrsg.), Robert Owen's American Legacy, Indianapolis (USA) 1972. 76 s. Owen, R. D., Robert Dale Owen's Travel Journal 1827, S. 2 ff. 77 s. Brief, W. Owen to Robert Owen, 14.10.1825 (Co-operative Union Collection, Manchester);Harrison, J. F. C., 1969, S. 38,140, 144. 78 Indirekt pflanzt sich damit Pestalozzis Lehre in den USA fort, so folgert Simon, H., 1905, S. 196; s. auch Bowles, S./Gintis, H., Pädagogik und die Widersprüche der Ökonomie, das Beispiel USA, Frankfurt 1978, S. 175 ff als Weiterführung. 79 Vgl. Brief, R. D. Owen to Robert Owen, 27,3.1830 (Co-operative Union Collection, 74

Manchester). 10

Brief; chester). 81

R. D. Owen to Mrs. Owen, 4.1.1830 (Co-operative Union Collection, Man-

s. III. Hauptteil dieser Arbeit.

C. Bildungspolitisches Umfeld

227

Owen großen Anteil hat, lassen sich erzieherische Elemente Owenscher Prägung feststellen. Der genaue schulische Tagesablauf, das Unterrichtsprogramm, die Anzahl der Schüler u.ä. lassen sich nachweislich anhand eines originären Stundenplans von Queenwood vom Oktober 1843, welcher sich in der Co-operative Union Collection (Manchester) befindet, rekonstruieren 82 . In der handschriftlichen Aufzeichnung werden 4 Klassen mit jeweils 11 bis 15 Schülern (beiderlei Geschlechts) aufgeführt. Unterrichtet wird zwischen 7 und 12 Uhr sowie 14 und 17 Uhr. Das Lehrprogramm beinhaltet die von Owen propagierte Mischform aus theoretischem und praktischem Unterricht. In Queenwood zeigt sich ein stark ausgeweitetes Fächerangebot. So stehen im Oktober 1843 folgende theoretischen Schulstunden auf dem Programm: Deutsch und Französisch als Fremdsprachen, Geographie, Lesen, Schreiben, Diktat, Geometrie, Arithmetik. Gleichzeitig ist an praktischer Arbeit vorgesehen: Gartenarbeit (,Farm Work') sowie je einen Schüler bei einem Schuster, Mechaniker, Schneider und Klempner zwischendurch zu beschäftigen 83.

C. Bildungspolitisches Umfeld Es gilt festzustellen, daß es Owen nicht um die Initiierung einer singulären sozialen Bewegung zur Gründung von Schulen oder schulähnlichen Anstalten geht. Vielmehr sind Owens pädagogische Maßnahmen eng verbunden und im Zusammenhang mit seinen anderen Aktivitäten (z.B. als Sozialreformer, Genossenschafter, Sozialist) zu sehen. Dennoch kommt der Schulung junger wie erwachsener Menschen in Owens Utopien eine zentrale Stellung zu. Erziehung wird primär als ein Instrument zur Herausbildung sozialen Verhaltens betrachtet. Von daher ist es Aufgabe der Pädagogik, den Charakter des Kindes dahingehend zu formen, daß dieser dem Gemeinschaftsgedanken in idealer Weise entspricht. Das Leitbild beinhaltet die Vorstellung von der Identifikation individuellen Glücks mit gesellschaftlichem Wohlergehen 1. In seiner Auffassung von der grenzenlosen Entwicklungsfähigkeit des Menschen steht Owen dabei in der ideellen Tradition der Aufklärung 2 . Owens Anspruch universeller erzieherischer Wirksamkeit zeigt sich bei seiner Rede zur Eröffnung der »Institution for the Formation of Character' 1816 in New Lanark. Hierbei unterstreicht er die Möglichkeit, mittles fortschrittlicher Konzeptionen nicht nur auf einen Ort, New Lanark, sondern letztlich auf eine gesamte Nation gestaltend einwirken zu können 3 . 82 s. Timetable for Harmony Hall, Oktober 1843, handschriftlicher Stundenplan u.ä. Bemerkungen (Co-operative Union Collection, Manchester). 83 Vgl. Timetable . . . 1843, ebd. 1 2

15*

Vgl. Harrison , J. F. C., 1969, S. 143. Vgl. Hofmann, W., Ideengeschichte . . . , S. 35.

228

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

Owens pädagogische Konzeption ist auf die Emanzipation der Arbeiterschaft ausgerichtet. In seinem 4. Essay ,A New View of Society' bemerkt Owen dazu: „Either give the poor a rational and useful training, or mock not their ignorance, their poverty, and their misery, by merely instructing them to become conscious of the extent of the degradation under which they exist. And therefore . . . either keep the poor . . . in the state of the most abject igorance, as near as possible to animal life; or at once determine to form them into rational beings, into useful and effective members of the state." 4 Owen wendet sich gegen das zur damaligen Zeit übliche bloße Einpauken (»Instruction') von Grundkenntnissen5. In einem erweiterten pädagogischen Verständnis gilt es, neben dem Recht der Armen auf Bildung gleichzeitig das Recht auf gesellschaftliche Emanzipation zu propagieren 6. In der Konsequenz sieht Owens Konzeption eine lebenslange Beschäftigung der Arbeiterschaft mit Fragen der Erziehung und Weiterbildung vor, die sich prägend auf die Entwicklung des Menschen auswirkt 7 . Schulen, Colleges, Bibliotheken, Museen, wissenschaftliche Anstalten aller Art, Vorträge und Erwachsenenkurse als fester Bestandteil seiner umfassenden Bildungskonzeption8 (erst heute eine Selbstverständlichkeit) sollen den gesellschaftlichen Aufstieg des Arbeiters ermöglichen. In der »Education' beruht Owens Hoffnung, auf gewaltfreiem Wege eine Gesellschaftsreform zu erreichen 9. In der umfassenden Erziehung des Menschen sehen die Oweniten „the steam engine of the moral world" 1 0 . Owens Engagement für Fragen der Bildung zeigt sich auch dpran, daß er 1830 die Universität zu London finanziell pnterstützt 11 . 3 s. Owen, R., Address delivered at New Lanark, on Opening the Institution for the Formation of Character, 1.1.1816, in: Life I, S. 337. 4 Owen, R., 4. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 319; s. weiterhin Wieser, H., Arbeiterkinder und Solidarität, zur widersprüchlichen Bewußtseinsentwicklung des proletarischen Kindes in der Familie, in: Kursbuch 34, hrsg. v. H. M. Enzensberger/K. M. Michel, Dezember 1973, S. 177 ff; Bois-Reymond, M. du/Söll, B., Über die Bedeutung der Schule im Leben der Arbeiterkinder, in: Kursbuch 34, S. 159 ff. 5 Vgl. Pitzer, D. E., Robert Owen's American Legacy, S. 83 f; s. auch Clayton, J., Robert Owen, Pionieer of Social Reforms, London 1908, S. 13 ff. 6 s. Browning, M., Owen as an Educator, S. 57 u. 73; Silver, H., Robert Owen as Educationalist, S. 61 f. 7 s. Owen, R., The Book of the New Moral World, Part II, 1842, S. 33; Mäder, W., Robert Owen als Jugenderzieher, S. 70; auch Marx, K., Texte zu Methode und Praxis II, Pariser Manuskripte 1844, Hamburg 1966, S. 190 f; Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 40. 8 s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 146 f; auch Weinstock, H., Die politische Verantwortung der Erziehung in der demokratischen Massengesellschaft des technischen Zeitalters, 3. Aufl., Bonn 1961, S. 9ff\Röhrs, H. (Hrsg.), Die Bildungsfrage in der modernen Arbeitswelt, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1967. 9 s. Harrison, J. F. C., 1969, ebd. 10 Economist, I, 1826, S. 96; zur Bedingtheit der Aussage durch die historische Situation s. Mannheim, K., Ideologie und Utopie, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1952, S. 191; Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 39. 11 s. Receipts of University of London, 6.4.1830, Nr. 1160-1162, je 50 Pfund (Cooperative Union Collection, Manchester).

C. Bildungspolitisches Umfeld

229

1854 plant Owen den Einsatz des Panoramas' (Vorläufer des Kinos), um seine Auffassung von der Bedeutung des Umwelteinflusses auf den Menschen zu veranschaulichen12. Selbst 1858, kurz vor seinem Tod, steht Owen noch in Verhandlungmitseiner Heimatstadt Newtown, ein neues Schulsystem betreffend 13 . Robert Owen als sozialwissenschaftlicher Denker hat die Notwendigkeit und Bedeutung erzieherischer Maßnahmen für gesellschafts- und wirtschaftspolitische Gestaltung nicht nur erkannt, sondern auch zu praktizieren versucht. Mit Cole läßt sich von daher feststellen: „The basis of Owenism was his (Owens) theory of education." 14

I. Nationales Schulsystem Aus wirtschaftlichen Erwägungen empfiehlt Robert Owen der britischen Regierung im vierten Essay seines ,A New View of Society' (1814), ein „national system of training and education" 15 einzuführen. In einem sechs Punkte umfassenden Katalog skizziert Owen Grundzüge seines Entwurfs. Im einzelnen sieht jener vor 1 6 : * Einrichtung eines zentralen Erziehungsministeriums * Einrichtung von Lehrerausbüdungsstätten (,Seminaries') * Regionale Verteilung der ,Seminaries' in Großbritannien * Nationales Budget zur Unterhaltung der ,Seminaries' * Gutachten zur Ermittlung der effizientesten Unterrichtsmethode * Geeignete Schulleiter in Schulen einzusetzen Die Thematik eines nationalen Schulsystems greift Owen auch später auf. Am 14. August 1817 propagiert er aus volkswirtschaftlicher Sicht in einer Rede in London, sich für praktische Bildungsarbeit zugunsten der armen sowie beschäftigungslosen Schichten der Bevölkerung einzusetzen17. In der Konsequenz, so argumentiert er 1820, führe eine breitere Wissensbasis bei dem Arbeiter, die Kenntnis auch wirtschaftlicher Zusammenhänge, zu einer positiveren Haltung gegenüber der industriellen Tätigkeit sowie zu höherer Produktivität 18 . Von da12

s. Brief, J. Rigby to Robert Owen, 18.7.1853; A. Campbell to Robert Owen, 10.7. 1855 (Co-operative Union Collection, Manchester); Silver, H., Owen's Reputation as an Educationist, in: Robert Owen, Prophet of the Poor, S. 74. 13 s. Browning, M., Owen as an Educator, S. 74. 14 Cole, G. D. H., Robert Owen, 1925, S. 96; s. auch Silver, H., Education and the Social Condition, London/New York 1980; als Überblick in deutsch s. Günther, K.-H. (hrsg.), Robert Owen, Pädagogische Schriften, Berlin 1955, S. 196 ff. 15 Owen, R., Life I, S. 324. 16 s. nachfolgend Owen, R., 4. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 324 f. 17 s. Owen, R., Address 14.8.1817, in: Life IA, S. 96 f; s. in anderem Zusammenhang Schultz, B., Robert Owen, Leipzig 1948, S. 70.

230

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

her fordert Owen, angesichts gravierender schulischer Mißstände unter dem Gros der Fabrikarbeiterschaft, Bildungsarbeit in den Mittelpunkt des Regierungsauftrages zu stellen 19 . Der Gedanke eines universalen staatlichen Bildungssystems20 findet vielleicht auch deshalb Owens besondere Aufmerksamkeit, weil Owen selbst zu einem Großteil als Autodidakt aufgewachsen ist 2 1 . Owens Entwurf zur Nationalerziehung wird in Großbritannien lediglich von den philanthropischen Kreisen beachtet. Bemerkenswerterweise interessiert sich jedoch Friedrich Wilhelm III. von Preußen für Teile des Owenschen Erziehungssystems und weist 1816 seinen Innenminister an, Owens Gedankengut in die preußischen Überlegungen zur Einführung eines nationalen Schulsystems (1817) mit aufzunehmen 22. Aus heutiger Sicht läßt sich das Ausmaß tatsächlicher Einflußnahme durch Owensche Konzeptionen nicht ermitteln. Es ist allerdings aufschlußreich, daß Wilhelm Liebknecht (1892) Owen in prominentem Zusammenhang mit Vorzügen des preußischen Schulsystems sieht: „Was aber gut war in dem vormanteuffelschen und vorbismarckschen preußischen Schulsystem, ist wesentlich Owens Anregung und Owens Beispiel zu verdanken." 23 Auch im Hinblick auf Elemente sozialistisch geprägter Pädagogik beispielsweise der Deutschen Demokratischen Republik lassen sich Nachwirkungen Owens feststellen. Günther zufolge, der Owen als den bedeutendsten utopischen Sozialisten Englands betrachtet, sind eine Reihe Owenscher Auffassungen als Vorformen sozialistischer Erziehung anzusehen24. Dabei stehen Owens oben beschriebene Theorie und Praxis der Arbeitserziehung sowie sein Eintreten für eine allgemeine Volksschulbildung im Vordergrund 25 .

18 s. Owen, R., Report to the County of Lanark 1820, in: G. D. H. Cole, 1927, S. 279 ff\ Morton, A. L., The Life . . . , S. 106 ff. 19 s. Owen, R., Address 21.8.1817, in: Life IA, S. 109. 20 Vgl. Cole, M., Robert Owen, S. 108. 21 Vgl. Hofmann, W., Ideengeschichte . . . , S. 35. 22 Vgl. Vester, M., Die Entstehung . . . , S. 207; allgemeine Schulpflicht in Deutschland um 1891, vgl. Simon, H., 1905, S. 100. 23 Liebknecht, W., Robert Owen, Nürnberg 1892, S. 29 (zitiert bei Vester, M., ebd). 24 s. Günther, K.-H./Hof'mann, Fr./u.a. (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Erziehung, S. 265 ff; zur modernen Industriepädagogik s. Herberts, K., Der Mensch im Industriebetrieb als Ausgangspunkt pädagogischer Erkenntnisse und als Ziel erzieherischer Hilfe, in: Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpolitik 1965, hrsg. v. K. Abraham/A. Dörschel/u.a., Heidelberg 1965, S. 19-73; Krasensky, H., Ist Industriepädagogik möglich?, in: Jahrbuch . . . 1965, S. 205-217. 25 s. Günther, K.-H./Hofmann, Fr./u.a. (Hrsg.), ebd.

C. Bildungspolitisches Umfeld

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II. Robert Owen und zeitgenössische Pädagogen 1. Lancaster und Bell Nachfolgend gilt es, anhand der Darstellung zeitgenössischer Erzieher ideelle Verbindungen und Vergleiche zu Robert Owen und seiner pädagogischen Konzeption aufzuzeigen. Schon während seines frühen sozialreformerischen Wirkens in New Lanark nimmt Robert Owen Kenntnis von den pädagogischen Überlegungen Joseph Lancasters und Dr. Beils 26 . Es ist interessant festzustellen, daß Owen, bevor er selbst erzieherisch - theoretisch wie praktisch — tätig wird, die Bemühungen der beiden oben genannten Pädagogen um eine nationale Ausbildung armer Bevölkerungsschichten unterstützt und befürwortet 27 . So spendet Owen beispielsweise 1.000 Pfund an die Organisation Lancasters sowie 500 Pfund an die von Dr. Bell 2 8 . Owen versucht erfolgreich beide dahingehend zu beeinflussen, Kindern aller Konfessionen Zutritt zu ihren Schulen zu gewähren 2 9 . Anders als zu dem Anglikaner Bell hat Owen engen Kontakt mit dem Quäker J. Lancaster. Es ist keine Überheblichkeit, wenn Owen von sich selbst behauptet, der „first and most confided-in patron" 3 0 von Lancaster zu sein. Im Jahre 1812 initiiert und arrangiert Owen die erste Reise Lancasters nach Schottland, um diesem Gelegenheit zur weiteren Verbreitung seiner Ideen zu geben 31 . Bei einem »Public Dinner' zu Ehren Lancasters (1812) in Glasgow hält Owen eine Rede, in der er die Vorzüge des Lancasterschen Schulsystems hervorhebt 32 . Die frühe Verbindung und positiven Äußerungen Owens zu Lancaster sind in der Literatur oftmals falsch interpretiert worden 33 . Zahlreiche Autoren ziehen daraus den Schluß, Owen habe Lancasters Ideen einfach kopiert und kein eigenständiges pädagogisches Konzept entwickelt 34 . Ohne Zweifel lassen sich bei Owens frühen erzieherischen Plänen gewisse ideelle Anregungen Lancasters feststellen. So berichtet Robert Dale Owen, daß der Grundriß der ,Institution for the Formation of Character' in New Lanark stark dem Lancasterschen Schultyp ähnele 35 . Owen habe jedoch diesen Schritt zu einem späteren Zeit26 s. Fox, J., A Comparative View of the Plans of Education of Dr. Bell and Mr. Lancaster, London 1808; Salmon, D., Joseph Lancaster, London 1904 (Biographie). 27 Vgl. Owen, R., Life I, S. 84 f. 28 Vgl. Owen, R., Life I, S. 191 f; Owen, R. D., 1874, S. 76; Salmon, D., Joseph Lancaster, S. 36 u. 66. 39 s. Owen, R., Life I, S. 84 u. 191. 30 Owen, R., Life I, S. 191. 31 s. ders., S. 106 f. 32 s. ders., Speech at a public dinner at which he presided, given to Joseph Lancaster at Glasgow 1812, in: Life I, S. 249-252. 33 s. Silver, H., Robert Owen and the Concept of Popular Education, S. 230 ff. 34 s. Silver, H., S. 231 ff. 35 Vgl. Owen, R. D., Outline of the System of Education, 1824, S. 28.

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5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

punkt bedauert, da ihm die Schulräume als zu groß erschienen 36. Auch die Tatsache, daß sich Owen 1813 bzw. 1816, also erst nach Lancasters Besuch in Schottland, erzieherischen Plänen widmet, darf nicht dahingehend mißverstanden werden, auf eine Beeinflussung durch Lancaster zu schließen. Owens vergleichsweise späte Beschäftigung mit pädagogischen Fragen hängt eindeutig mit der reservierten Haltung seiner Kompagnons gegenüber dieser Thematik zusammen 3 7 . Robert Dale Owen zufolge verfliegt Robert Owens anfängliche Begeisterung über die Monitorialmethode Lancasters in dem Maße, wie Owen eigene erzieherische Konzeptionen entwirft 3 8 . Es gilt sich zu vergegenwärtigen, daß die moderne Pädagogik zur damaligen Zeit sich in ihrer Anfangsphase - in den Köpfen weniger Phüanthropen - entwickelt. Neue Erkenntnisse ergeben sich in diesem Stadium quasi Zug-um-Zug mit der Umsetzung von theoretischer Überlegung in praktischen Vollzug 39 . Betrachtet man den Inhalt des Owenschen Erziehungskonzepts, erkennt man Owens eigenständige Entwicklung. Im Unterschied zu Lancaster tritt Owen ein für: * * * *

Individuelle Kinderbetreuung, möglichst viele Lehrer 40 Abschaffung von Sanktionen und Strafen 41 Charakterbildung, nicht nur reine Wissensvermittlung 42 »Erklärende' Unterrichtsmethode, kein Auswendiglernen 43

Lancasters Verdienst beruht darin, ein praktikables Konzept zur Behebung des aktuellen schulischen Notstandes der damaligen Zeit entwickelt zu haben. Robert Owen geht in seinen Entwürfen darüber hinaus. Er erkennt, daß der erste Schritt der bloßen Wissensvermittlung gewisser Grundkenntnisse in seiner erzieherischen Wirksamkeit nicht ausreicht. Er versucht vielmehr, psychische Entwicklungen des Menschen in seinen Überlegungen mit einzubeziehen. Insoweit ist Owen ideell eng mit den Pädagogen des 20. Jahrhunderts verbunden. 2. Pestalozzi und von Fellenberg Robert Owens pädagogisches Wirken wird von weiten Teilen der Literatur in engerem Zusammenhang mit der Pädagogik der Schweizer J. H. Pestalozzi (1746-1827) und Ph. E. von Fellenberg (1771-1848) gesehen44. Diejenigen 36

s. Podmore, Fr., 1923, S. 106. s. Silver, H., Robert Owen and the Concept. . . , S. 232. 38 Vgl. Owen, R. D., 1874, S. 77. 39 s. Owen, R. D., Outline . . . 1824, S. 27. 40 s. Podmore, Fr., 1923, S. 129. 41 s. ders., S. 91. 42 s. New Moral World, 14.5.1836; intensive Auseinandersetzung bei Owen, R., 4. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 308 ff. 43 Vgl. Podmore, Fr., 1923, S. 129. 44 s.Aiton, J., Mr. Owen's Objections to Christianity . . . 1824, S. 11 \McCabe, J., Ro37

C. Bildungspolitisches Umfeld

233

Autoren, welche eine Beeinflussung Owens von Schweizer Seite unterstellen, lassen zum Teil jedoch die Frage unbeantwortet, inwieweit eine Einfluß- bzw. Kenntnisnahme zu jener Zeit tatsächlich möglich war. Owen kommt erstmals 1818 auf Einladung des Genfer Wissenschaftlers Professor Pictet in die Schweiz 45 . Bei dieser Gelegenheit besucht Owen Pestalozzis Lehranstalt in Yverdon, von welcher er sich nur wenig beeindruckt zeigt. Auch Pestalozzi selbst wird von Owen eher zurückhaltend beschrieben: „ . . . another good and benevolent man, acting for the benefit of his poor children to the extent of his knowledge and means... His school was . . . one Step in advance of ordinary schools." 46 So interessant das Zusammentreffen der beiden Philanthropen aus historischer Sicht auch sein mag, kann von ihm dennoch keine Beeinflussung der Owenschen Erziehungskonzeption festgestellt werden. Zum Zeitpunkt der Begegnung (1818) ist Owens Erziehungsbetrieb in New Lanark, die »Institution for the Formation of Character', bereits seit zwei Jahren im Gang und seine realisierten Pläne entsprechen seinen theoretischen Darlegungen in yA New View of Society4 der Jahre 1813/1814 47 . Ein persönlicher Kontakt der beiden Männer vor 1818 liegt nicht vor. Weder aus Owens Autobiographie noch aus seiner umfangreichen Korrespondenz geht hervor, daß Owen zuvor von Pestalozzi gewußt hat. Die Historiker Salmon und Hindshaw haben im einzelnen anhand von Originaldokumenten Pestalozzis untersucht und festgestellt, daß dessen Gedankengut vor 1815 nachweislich keine Verbreitung in England gefunden hat 4 8 . Für einen fehlenden ideellen Zusammenhang zwischen Owens und Pestalozzis Erziehungskonzeption sprechen auch Unterschiede inhaltlicher Art. Eine Unterrichtsmethode kann nach Pestalozzi nur dann dem Menschen angemessen sein, wenn die Grundsätze des Unterrichts mit dem Gang der Natur in Übereinstimmung zu bringen sind. Unter dem Gang der Natur subsumiert Pestalozzi einen psychologischen Begriff: Der Unterricht muß der sinnlich-geistigen Verfassung sowie dem Entwicklungsstand des Kindes angemessen sein 49 . Dabei bert Owen, London 1920, S. 22\Podmore, Fr., 1923, S. 128 f; Silver , H., Robert Owen and the Concept . . . , S. 234 ff; Harrison, J. F. C., 1969, S 161; Bargheer, Fr.-W., Art.: Kindergarten, in: Evangelisches Soziallexikon, hrsg. v. Th. Schober/u.a., Berlin 1980, Sp. 698. 45 Vgl. Owen, R., Life I, S. 166. 46 Owen, R., Life I, S. 177. 47 s. Silver, H., Robert Owen and the Concept. . ., S. 237 f. 48 s. Salmon, D.¡Hindshaw, W., Infant Schools: their History and Theory, London 1904, S. 77 f; zu Pestalozzi s. Booth, A. J., Robert Owen . . . 1869, S. 49-53;Pestalozzi, J. H., Ausgewählte Werke, Bd. I/II, eingel. u. erläut. v. O. Boldemann, (Ost) Berlin 1962/ 1963; Müller, J. O., Voraussetzungen . . . , S. 18 u. 145;Honecker, M., Art.: Pestalozzi, Johann Heinrich, in: Evangelisches Soziallexikon, Berlin 1980, Sp. 997. 49 s. Liedtke, M., Johann Heinrich Pestalozzi, in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1979, S. 125 ff.

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5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

geht es Pestalozzi nicht um bloße Wissensvermittlung (ähnlich Owen); seine sogenannte Elementarbildung 4 schließt vielmehr den Bereich der sittlichen Erziehung mit ein. Es gilt, den Kindern das Gefühl für Ordnung, Schönheit, Harmonie und Ruhe zu vermitteln sowie den Sinn für Dank, Zutrauen, Liebe und innere Anschauung zu wecken 50 . Anders als Owen betrachtet Pestalozzi den Einfluß der Umwelt auf die Erziehung. Während Owen als strenger Müieutheoretiker die Umwelt als ein direkt einwirkendes, erzieherisches Element versteht, liegt der Schlüssel zur Erziehung bei Pestalozzi allein im Inneren des Menschen51. Die Veränderung der Umwelt ist nicht Ziel der Erziehung nach Pestalozzi; vielmehr geht es darum, den Menschen im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion innerlich zu festigen 52 . Robert Owen dagegen sieht in der Erziehung ein Mittel zur Gesellschaftsreform; er vertritt sozusagen die These » P ä d a g o g i k statt Revolution'. Dieser Unterschied im Ansatz ist vielleicht auf die gegensätzliche Sozialstruktur Englands und der Schweiz zurückzuführen. Während Pestalozzi ausgangs des 18. Jahrhunderts in einer größtenteils organisch gewachsenen, dörflich strukturierten Agrargesellschaft wirkt, ist Owen in Großbritannien bereits mit den Problemen der Industrialisierung und des Fabrikproletariats konfrontiert. Hieraus könnte auch die verschiedenartige Einstellung Owens und Pestalozzis zu Fragen der Kleinkindererziehung resultieren. Im Gegensatz zu Owen propagiert Pestalozzi, die Kinder bis zum 6. oder 7. Lebensjahr der Familie zu überlassen 53. In seiner Schule in Yverdon unterrichtet er sogar Kinder erst ab einem Alter von 10 Jahren 54 . Trotz unterschiedlicher Konzepte geht es jedoch Pestalozzi und Owen gleichermaßen um die Behütung der Eigenwelt des Kindes. In der Tagesschule von New Lanark werden jedoch (nach 1818) gewisse Elemente der Unterrichtsmethodik Pestalozzis übernommen. Hierzu gehören Grundzüge des Mathematikunterrichts (,Mental Arithmetic'), des Schreibunterrichts (Sylbenmethode) sowie Fragen didaktischen Vorgehens 55 . Eine indirekte Einflußnahme seitens Pestalozzis erfährt das Erziehungswesen in der Siedlungsgenossenschaft New Harmony. Drei ihrer Lehrer, Madame Marie Fretageot, Josef Neef sowie Phiquepal d'Arusmont, entstammen dem Umkreis von Pestalozzi56. Von daher kann man eine gewisse Beeinflussung des 50

Vgl. Liedtke, M., S. 130 f. s. Holman, H., Pestalozzi, an Account of his Life and Work, London 1908; Quick, R. H., Essays on Educational Reformers, London 1917, S. 290-383; Günther, K.-H. (Hrsg.), Robert Owen, Pädagogische Schriften, S. 40 ff; Günther, K.-H., Robert Owens Erziehungsplan . . ., S. 810. 52 s. Biber, E., Henry Pestalozzi, and his Plan of Education, London 1833, S. 23; Silver, H., Robert Owen and the Concept . . . , S. 239 ff; s. auch Hammelsbeck, O., Art.: Pestalozzi, in: Evangelisches Soziallexikon, 1958, S. 808 f. 53 s. Booth, A. J., 1869, S. 51 f; Liedtke, M., Johann Heinrich Pestalozzi, S. 134. s4 Vgl. Silver, H., Robert Owen and the Concept . . ., S. 237. 55 s. Owen, R. D., Outline . . . 1824, S. 40\Macnab, H. G., The New . . . , S. 221 \Podmore, Fr., 1923, S. 13S\Browning, M., Owen as . . ., S. 66 f. 51

56

s. Harrison, J. F. C., 1969, S. 38,140 u. 144.

C. Bildungspolitisches Umfeld

235

Erziehungswesens vor allem bei den in Amerika wirkenden Oweniten vermuten. Im folgenden soll kurz auf Owens Einstellung zu dem Pädagogen Philip Emanuel von Fellenberg eingegangen werden. Der Schweizer Aristokrat Fellenberg betreibt nach 1809 auf seinem Gut in Hofwyl ein in Europa renommiertes Internat, in dem er seinen Schülern, die sich aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten zusammensetzen, neben geistiger Bildung zugleich theoretisches wie praktisches Wissen in Landwirtschaft und Handwerk vermittelt 57 . Er verbindet die pädagogische Anstalt mit einer landwirtschaftlichen Siedlung. In dieser soll zum einen der Bedarf an Lebensmitteln für die Schule gedeckt, zum anderen Gemeinschaftssinn und der Gedanke der Selbsthilfe den Schülern näher gebracht werden 58 . Fellenberg arbeitet zeitweilig eng mit Pestalozzi zusammen (1804 in Buchsee) und ist stark von diesem beeinflußt 59 . 1818 verbringt Robert Owen zusammen mit Professor Pictet drei Tage in Hofwyl 6 0 . Owens Eindruck von der Erziehungsanstalt ist positiv: „ . . . the schools two or three steps in advance of any I had yet seen in England or on the continent." 61 Spontan entschließt sich Owen, seine beiden ältesten Söhne, Robert Dale und William, im Alter von 16 bzw. 14 Jahren zu Fellenberg ins Internat zu schicken 62 . Es wäre jedoch eine falsche Schlußfolgerung, auf eine enge ideelle Verbindung Owen - Fellenberg zu schließen63. Der Besuch 1818 in Hofwyl erfolgt ausschließlich auf Initiative Professor Pictets und es gibt keinerlei Hinweise, daß Owen zuvor von Fellenberg gehört hat 6 4 . Vielmehr erweckt Owen ganz den Eindruck, als versuche er, auf Fellenberg hinsichtlich der Kleinkindererziehung einzuwirken: „ . . . I strongly recommended him (Fellenberg) to commence an infant school under ten years of age." 65 Im Gegensatz zu Owen und in Übereinstimmung mit Pestalozzi will auch Fellenberg den einzelnen Menschen in seiner gesellschaftlichen Stellung belassen. An einer Überwin57 s. Chavanes, D. A., Rapport sur l'Institut d'Education des Pauvres k Hofwyl, Genf 1813; Booth, A. J., 1869, S. 54 f; Lenartz, W., Art.: Fellenberg, Philip Emanuel von, in: Lexikon der Pädagogik, I. Bd., 3. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 1962, Sp. 1180 i\ Müller, J. 0,, Voraussetzungen . . . , S. 20. 58 s. Holyoäke, G. J., The History of Co-operation in England, Vol. II, London 1879, S. 302; Mercer, T. W., Dr. William King and the Co-operator 1828-1830, Manchester 1922, S. 109 f. 59 Vgl. Liedtke, M., Johann Heinrich . . . , S. 145 f. 60 Vgl. Owen, R., Life I, S. 177 f; s. auch Guggisberg, K., Philip Emanuel von Fellenberg und sein Erziehungsstaat, 2. Bd., Bern 1953, S. 481-486. 61 Owen, R., Life I, S. 178. 62 Die Söhne beherrschen anschließend die deutsche Sprache, wie aus den Tagebüchern ersichtlich ist; s. dazu Owen, R. D., Robert Dale Owen's Travel Journal 1827, passim;zur Fellenberg-Zeit der Söhne, s. Owen, R. D., 1874, S. 122 ff. 63 s. Silver, H., Robert Owen and the Concept..., S. 246-251. 64 s. Brief, Dr. Mayo to Robert Owen, 12.6.1823 (Co-operative Union Collection, Manchester). 65 Owen, R., Life I, S. 178; s. auch New Moral World, 1.11.1834.

236

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

dung der Schichtengegensätze liegt ihm nicht 6 6 . Es geht bei Fellenbergs Bildungskonzept darum, den Menschen für seine jeweüige Position in einer mehr oder minder stationären Gesellschaftsordnung möglichst umfassend vorzubereiten. Robert Dale Owen bemerkt dazu aus seiner Schülerzeit in Hofwyl: „ . . . one great idea (of Fellenberg) . . . to seize the extremes of society and carefully to edúcate both: the one to be intelligent, cultivated workers; the other to be wise and considérate legislators.. . " 6 7 Mit ihrer gleichermaßen bedeutenden Impulsgebung für die moderne Pädagogik stellen Pestalozzi und Fellenberg einerseits sowie Robert Owen andererseits in ihrer unabhängigen Entwicklung Beispiele dar für weithin autonome ideengeschichtliche Strömungen. 3. Fröbel Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852) gilt in der Geschichte der Pädagogik als der Vater der Kindergartenidee 68. In den Jahren 1805/1806 sowie zwischen 1808 und 1810 arbeitet Fröbel als Gehüfe bei Pestalozzi zunächst in Frankfurt, dann in Yverdon 69 . Auch wenn sich Fröbel von Pestalozzi im Verlauf der Zeit abwendet, sieht er dennoch den Ansatz der Elementarmethode Pestalozzis (,Gang der Natur'; entwicklungsparallele Unterrichtsmethodik) als gültig an 7 0 . Am 13. November 1816, also gut ein dreiviertel Jahr nach Owens Eröffnung der Institution' in New Lanark, gründet Fröbel die ,Allgemeine deutsche Erziehungsanstalt' in Griesheim/Thüringen (verlegt nach Keilhau Juni 1817) 71 . Fröbels Privatschulen tragen bereits alle Züge eines modernen Landerziehungsheimes: Es wird Sport getrieben; die Schüler helfen beim Hausbau, in der Landwirtschaft und Gartenarbeit; sie erlernen ein Handwerk und werden zu Naturerforschung sowie Volkskunde angehalten72. Wie Owen propagiert auch Fröbel - obgleich nicht von Owen beeinflußt — eine Verbindung aus produktiver Arbeit und Erziehung, entsprechend der Leistungsfähigkeit der Jugendlichen 73 . Fröbel hat in Keühau allerdings lediglich 40 Schüler (1823), während Owen in New Lanark einige hundert Schüler unterrichten läßt. In seinen Schriften aus dem Jahre 1826, also lange nach Veröffentlichung von Owens ,A New View of Society', beschäftigt sich Fröbel mit dem Einfluß 66 s. Chavannes, D. A., Rapport..., S. l\Silver, H., Robert Owen and the Concept..., S. 246 f. 67 Owen, R. D., 1874, S. 135. 68 s. Quick, R. H., Essays on Educational Reformers, London 1917, S. 384-413; Fröbel, Fr., Ausgewählte Schriften, 2 Bde., hrsg. v. E. Hoffmann, Godesberg 1951; Heiland, H., Friedrich Fröbel, Reinbek 1982. 69 Vgl. Heiland, H., Friedrich Fröbel, S. 28 ff. 70 Vgl. Heiland, H., S. 22. 71 s. ders., S. 59 ff u. 134. 72 Vgl. Frisé , M., Der Menschenerzieher, zum 200. Geburtstag von Friedrich Fröbel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.4.1982, Nr. 89. 73 s. Günther, K.-H./Hofmann, Fr./u.a., Quellen zur Geschichte der Erziehung, S. 221 f.

C. Bildungspolitisches Umfeld

237

der Umwelt auf die Entwicklung des Kindes. Hervorzuheben sind hier seine Werke ,Das kleine Kind oder die Bedeutung des allerersten Kindestums' 74 sowie ,Die Menschenerziehung' 75. Im zweiten Teil der ,Menschenerziehung' behandelt Fröbel die Entwicklungsabschnitte des Säuglings und Kleinkindes. Eine Fülle von heute noch gültigen Erfahrungen und Beobachtungen werden vorgetragen 76 . Fröbel gibt in diesem Zusammenhang eine anschauliche Anweisung für die Kleinkindererziehung, sozusagen als Leitfaden für Mütter. Die frühe Erziehung soll sich nicht durch Belehrung, sondern im spielerisch-anleitenden Umgang vollziehen 77 . Erst 1835/1836 wendet sich Fröbel ganz der praktischen Vorschulerziehung zu. Er proklamiert, daß Kinder wie Pflanzen zu hegen seien, um sie zu vollem Wachstum zu bringen. Den ersten Lebensjahren schreibt Fröbel, wie Owen, eine große Bedeutung für das spätere Leben des Menschen z u 7 8 . Beide Pädagogen besitzen Einsichten in die Psyche des Kindes, die erst hundert Jahre später von der Wissenschaft bestätigt werden 79 . Die Stätte behutsamer Einwirkung auf das Kind bezeichnet Fröbel als ,Kindergarten', einen Begriff, den er 1840 erstmals gebraucht 80 . In einem Kindergarten ist die Erziehung gebunden an Materialien (Fröbel entwirft Spielzeug), deren Gesetzmäßigkeiten das Kind im freien Spiel erahnen soll. „ I n dem Sichbeschäftigen und Spielen des Kindes, besonders in den ersten Lebensjahren, bildet sich im Vereine mit der Umgebung desselben und unter deren stiller, unbemerkter Einwirkung nicht allein der Keim, sondern auch der Herzpunkt seines ganzen künftigen Lebens . . . " 8 1 Die Gemeinsamkeiten Fröbelschen Gedankenguts mit Owenschen Ansätzen sind groß: Milieutheorie, Erziehung und produktive Arbeit, realvollzogene Kleinkinderbetreuung, Eintreten für Volksbildung u.ä. 8 2 Um so erstaunlicher ist es, daß sich aus heutiger Sicht weder Kontakte noch Kenntnisnahmen der beiden Pädagogen untereinander feststellen lassen. Beide wirken in ihrer Zeit getrennt voneinander; wobei Owen im praktischen Bereich Fröbel teilweise vorweggenommen hat. Fröbel hat im deutschen Sprachraum die Pädagogik von heute vor allem durch seine hervorragenden theoretischen Abhandlungen geprägt. Wie kein anderer erkennt er das „Sinnvolle im Kinderspiel" 83 . Seine einfühlende Theorie des Spiels, die lebenslange 74

s. Fröbel, Fr., Ausgewählte Schriften, 1. Bd., 1951, S. 79-89. s. ders., Ausgewählte Schriften, 2. Bd., 1951, S. 7-254. 76 s. ders., 2. Bd., S. 40 ff; auch Heiland, H., 1982, S. 77 zum nachfolgenden. 77 Knüpft an Gedanken Pestalozzis (Mütterbuch) an, s. Heiland, H., ebd; Fröbel, Fr., 1951,2. Bd., S. 35 ff u.51. 78 Vgl. Frisé , Der Menschenerzieher, Nr. 89. 79 Vgl. ders., ebd. 80 s. Fröbel, Fr., 1951,1. Bd., S. 114-128. 81 Mundorf, G./u.a. (Hrsg.), Gedenkschrift zum 100. Todestag von Friedrich Fröbel, (Ost) Berlin 1952, S. 112 f. 82 s.Mundorf, G./u.a. (Hrsg.), S. 123 f. 83 Frisé , M., Der Menschenerzieher, Nr. 89. 75

238

5. Hauptteil: Robert Owen als Erzieher

ausschließliche Beschäftigung mit erzieherischen Fragen unterscheidet Fröbel von Owen. Die Tatsache, daß Robert Owen die Pädagogik als ein Thema unter vielen Fragestellungen behandelt - und das weniger konsequent darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Owen mit seinem praktischen Schulerfolg in New Lanark dem England des 19. Jahrhunderts 84 ebenso viele ideelle Impulse gibt wie Fröbel mit seinen theoretischen Werken dem deutschen Sprachraum.

84

s. Testimony of Mr. Wilderspin, 1835, in: Life IA, S. 336.

Sechster Hauptteil

Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze Robert Owens

In der Literatur ist bislang der Versuch unterblieben, die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Ansätze Robert Owens zusammenzustellen und zu untersuchen. Nachfolgend sollen Owens Beiträge in betriebswirtschaftlicher, soziologischer sowie volkswirtschaftlicher Hinsicht unter einzelwirtschaftlichen Aspekten einer näheren Analyse unterzogen werden. Der zugrunde gelegte Wissenschaftsbegriff bezieht sich nicht auf eine einzelne Erkenntnis oder ein einzelnes Urteil. Vielmehr ist mit Wissenschaft eine Gesamtheit von Erkenntnissen gemeint, welche sich auf den gleichen Gegenstandsbereich beziehen und untereinander in einem Begründungszusammenhang stehen1. Ausschlaggebend ist also der systematische Zusammenhang, das „systematische Symbolschema"2, welches aus Sätzen und Beobachtungen, die zu diesen Sätzen führen, besteht3.

A. Betriebswirtschaftliche Ansätze

I. Ansätze einer System-Betrachtungsweise Owens wissenschaftliche Denkweise im Zusammenhang mit seiner Unternehmertätigkeit läßt sich seinem Schreiben ,To the Superintendents of Manufactories' von 1814 entnehmen4. Aus dieser Adressnote geht deutlich hervor, daß Owen nicht nur die Grundsätze erwerbswirtschaftlichen Handelns erkennt, sondern sich bereits Ansätzen einer systemtheoretischen Betrachtungsweise bei der Analyse betriebswirtschaftlicher Fragestellungen bedient 5 . Er bemerkt dazu: „ . . . from the commencement of my management I viewed the population, 1

Vgl. Brugger , W., Philosophisches Wörterbuch, 8. Aufl., Freiburg 1961, S. 390 f. Shils, E., Wissenschaft, in: Wörterbuch der Soziologie, hrsg. v. W. Bernsdorf, Stuttgart 1969,S.1288. 3 s. Shils, E., Wissenschaft, S. 1288 ff. 4 s. Life I, S. 259 ff; auch Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 30. 5 Vgl. Engelhardt, W. W., ebd; s. allgemein Leitherer, E., Art.: Betriebswirtschaftslehre, Dogmengeschichte der, in: HWB, 4. Aufl., Bd. 1/1, 1974, Sp. 694 ff. 2

240

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

with the mechanism and every other part of the establishment, as a system composed of many parts, and which it was my duty and interest so to combine as that every hand, as well as every spring, lever and wheel, should effectually co-operate . . . " 6 Im Rahmen eines systemtheoretischen Konzeptes wird davon ausgegangen, daß Eigenschaften, Zustände und Verhaltensweisen unterschiedlicher realer Systeme durch formal isomorphe Systemgesetze erklärt werden können 7 . Diesen Ansatz, den mit allen Details erst L. von Bertalanffy im 20. Jahrhundert entwickelt 8 , nimmt Robert Owen teilweise bereits 1814/1815 vorweg. So führt er in seinen ,Observations on the Effect of the Manufacturing System' (1815) die zur damaligen Zeit übliche Art der Profitorientierung der Arbeitgeber auf system-immanente Ursachen zurück 9 . Owen spricht diesbezüglich von dem ,,.. . overwhelming effect of the system under which they have been trained" 1 0 . Eine nähere Untersuchung seines offenen Briefes ,To the Superintendents' 11 zeigt, daß Owens betriebswirtschaftliches Systemverständnis durchaus dem der Systemtheorie des 20. Jahrhunderts entspricht. Demnach besteht ein System aus Elementen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Diese Elemente sind wiederum durch Beziehungen miteinander verknüpft 12 . Das Spektrum der von Owen annähernd entwickelten systemtheoretischen Ansätze ist in dieser Hinsicht keineswegs unvollständig; umfaßt es implizit doch Zielsetzungen (to cooperate), Elemente (parts), Beziehungen der Elemente (to combine) sowie Systemverhalten 13. Auf Empirie gestützte Analysen betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge gehen Owens Anwendung systembezogener Überlegungen voraus 14 . Seine empirischen Systemanalysen beschränken sich zum einen allerdings primär auf psychisch-gesellschaftliche Kriterien, zum anderen im Hinblick auf die Gewinnung der Empirie methodisch auf reine Beobachtungsverfahren. Owens wissenschaftlicher Ansatz zeichnet sich dadurch aus, daß er seine system6

Owen, R., Life I, S. 260. Vgl. Fuchs, H., Art.: Systemtheorie, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 1/3,4. Aufl., hrsg. v. E. Grochla/W. Wittmann, Stuttgart 1976, Sp. 3820. 8 s. Bertalanffy, L. v., Das biologische Weltbüd, Bd. I, Die Stellung des Lebens in Natur und Wissenschaft, Bern 1949. 9 s. Owen, R., Observation on the . . . 1815, in: Life IA, S. 37 ff. 10 Owen, R., S. 39. 11 s. Owen, R., Life I, S. 260. 12 Vgl. Fuchs, H., Art.: Systemtheorie, in: HWB, Sp. 3824. 13 s. Owen, R., Life I, S. 259 ff. 14 Die Systemtheorie wird i.d.R. als phänomenologische Theorie verstanden, d.h. sie soll unabhängig von realen Inhalten auf einer abstrakten Modellebene eine Klasse von Erscheinungen, die als System bezeichnet werden, untersuchen, vgl. Fuchs, H., Art.: Systemtheorie, in: HWB, Sp. 3820; s. auch ders., Art.: Systemtheorie, in: HWO, hrsg. v. E. Grochla, 2. Aufl., Stuttgart 1980, Sp. 1618 ff; Wegner, G., Art.: Systemanalyse, in: HWO, 2. Aufl., 1980, Sp. 1610-1617; Brentano, D. v., Grundsätzliche Aspekte . . . , S. 26 ff. 7

A. Betriebswirtschaftliche Ansätze

241

theoretischen Erkenntnisse zur Kennzeichnung realer Phänomene sowie zu logisch verknüpften Aussagen über die Realität verwendet. So gelangt er beispielsweise zu formalen Isomorphien des Fabriksystems im 19. Jahrhundert 15 . Im Mittelpunkt der Owenschen systemtheoretischen Ansätze stehen von daher nicht so sehr das Empirische, als vielmehr praktisch normative Aussagen und Postulate im Bereich der Betriebswirtschaft. So plädiert Owen für verstärkte Investitionen der Unternehmer im Bereich des Personalsektors (sogenanntes ,Human-Kapital'). „If, then, due care as to the state of your inanimate machines can produce such beneficial results, what may not be expected if you devote equal attention to your vital machines . . . u 1 6 Owen entwickelt in diesem Zusammenhang durchaus das Bewußtsein für eine System-Betrachtungsweise des ökonomischen, speziell betriebswirtschaftlichen Geschehens.

II. Betriebliche Motivationsgrundlagen 1. Analyse industrieller

Arbeitsmotive

a) Arbeitgeber Im Rahmen systembezogener Überlegungen gelangt Robert Owen zu dem Schluß, daß soziale Systeme die Interaktion der in ihnen tätigen Menschen regeln und die im System ablaufenden Kommunikationsprozesse determinieren 17 . In welchem Maße innerhalb einer Organisation dabei Größen der Güter- und Leistungserzeugung sowie Zufriedenheit und Leistungsentfaltung der arbeitenden Menschen zustande kommen, hängt nach Owens Erkenntnis weitgehend von der Motivation der beteiligten Personen ab 1 8 . „When you shall acquire a right knowledge of these (workers), of their curious mechanism, of their selfadjusting powers; when the proper main-spring shall be applied to their varied movements,... you will discover that the latter may be easüy trained and directed to procure a large increase of pecuniary gain, while you may also derive from them high and substantial gratification." 19 Gedanken zur Motivation betreffen Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleichermaßen. Owen konstatiert, daß die Wirtschaftsordnung des Laisser-Faire in der Konsequenz des Primats mate15

s. Owen, R., Observations on the Cotton Trade . . . 1815, in: Life IA, S. 12 ff. Owen versucht praktisch, durch sein erfolgreiches Realexperiment in New Lanark seine Theorie zu untermauern; Owen, R., Life I, S. 260 f. 17 Vgl. Haseloff, O. W., Art.: Motivation, in: HWO, 2. Aufl., 1980, Sp. 1011. 18 Ad Motivation, s. Hall, J. F., Psychology of Motivation, New York 1961 \ Atkinson, J. W., An Introduction to Motivation, New York 1964; Parsons, T., Die Motivierung des wirtschaftlichen Handelns, in: Beiträge zur soziologischen Theorie, hrsg. v. D. Rüschemeyer, Neuwied/Berlin 1964, S. 136-159\Haseloff O. W., Sp. 1010-1026. 19 Owen, R., Life I, S. 260. 16

16 Elsässer

242

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

riellen Eigennutzes zu einer Unterordnung humaner Werte führt 2 0 . „ . . . the governing principle of trade, manufacturers, and commerce, is immediate pecuniary gain, to which on the great scale every other is made to give way. All are sedulously trained to buy cheap and sell dear; ... thus a spirit is generated through every class of traders, destructive of that open, honest sincerity . . . " 2 1 Die Möglichkeit großer Gewinnspannen ergibt sich für den Industriellen einerseits durch Kostenminimierungen im Wege der Beschäftigung von Kindern bzw. durch Setzung eines generell niedrigen Lohnniveaus, andererseits durch lange Tagesarbeitszeiten 22. Als Antriebskräfte der unternehmerischen Tätigkeit wirken Wettbewerb, hohes Gewinnpotential sowie die Gefahr eines Bankrotts bei nicht marktkonformem Verhalten 23 . b) Arbeitnehmer Die Industrielle Revolution prägt auch die Arbeitsmotive der Arbeitnehmer. Positive Anreize, etwa über harte Arbeit einen materiellen und sozialen Aufstieg zu verwirklichen, werden zunächst nur von einer kleinen Minderheit in Großbritannien akzeptiert. Zu dieser gehört beispielsweise Owen selbst. In der überwiegenden Mehrzahl dominieren jedoch zur Zeit der einsetzenden Industrialisierung negative Arbeitsmotive in der Berufswelt. Als solche sind insbesondere die Angst vor Hunger und Armut sowie die Sorge um das Existenzminimum zu nennen. Wenngleich die Realeinkommen zu Anfang des 19. Jahrhunderts teilweise über denen der vorindustriellen Gesellschaft liegen, so müssen die Arbeiter doch eine Fülle sozialer Nachteile in Kauf nehmen. Hier sind als besonders gravierende Faktoren zu erwähnen 24 : Kulturelle Desintegration, Abbruch traditioneller ethisch-moralischer Werte, Vereinzelung, Verlust des Stolzes auf die berufliche Tätigkeit sowie Aufgabe gemeinschaftsbetonter Sozialstrukturen (»Community Instability'). Robert Owen sieht diese negativen Determinanten 1815 deutlich vor sich 25 . Er stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Rechtfertigung solcher sozialer Benachteiligungen breiter Bevöl20

S. 39. 21

s. Owen, R., Life I, S. 163; ders., Observations on the effect . . . 1815, in: Life IA,

Owen, R., Observations on the effect ... 1815, ebd. s. Owen, R., Report to the . . . 1820, in: G. D. H. Cole, 1927, S. 262\Bendix, R., Work and Authority in Industry: Ideologies of Management in the Course of Industrialization, New York 1956, S. 87 ff. 23 Unpersönliche Kräfte des Marktes anstelle traditionell sozialer Bindungen bestimmen das Arbeitsleben; Wettbewerb zwingt zu marktkonformen Verhalten, s. Dalton, G., Robert Owen and Karl Polanyi as Sozio-Economic Critics and Reformers of Industrial Capitalism, Diss. University Oregon (USA) 1959, S. 168 f. 24 s. hierzu folgend Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 171; auch Mayer, A J Franeke, H., Art.: Betriebspsychologie, in: HWB, 4. Aufl, 1975, Sp. 620-628. 35 s. Owen, R., Observations on the effect ... 1815, in: G. D. H. Cole, 1927, S. 12022

122.

A. Betriebswirtschaftliche Ansätze

243

kerungsschichten: „The manufacturing system has already so far extended its influence over the British Empire, as to effect an essential change in the general character of the mass of the people." 26 In der Konsequenz fordert Owen 1817, die Motivation des arbeitenden Menschen auf eine erneuerte Interessengrundlage zu stellen: „When employed with others in a community of interests . . . the labour becomes temperate, but effective." 27 2. Arbeitsgestaltung In Verbindung mit motivationalen Fragestellungen setzt sich Robert Owen mit der Problematik der Arbeitsgestaltung 28 auseinander. In seiner Ausarbeitung .Observations on the Effect of the Manufacturing System4 (1815) legt Owen die Veränderung der Bedingungen des Arbeitslebens, den Wandel von der Hausarbeit im Familienverband zur unpersönlichen Fabrikexistenz, dar 2 9 . Owen ist sich über die nachteüige, demotivierende Wirkung einer extremen Arbeitsteilung im Produktionsprozeß im Klaren, insoweit diese einer kreativen Partizipation des Arbeiters entgegensteht30. Von daher ist nicht nur die Beziehung der arbeitenden Menschen untereinander verkümmert, sondern auch die Arbeit selbst entfremdet. Den Arbeitsablauf betreffend propagiert Owen diesbezüglich ein ,Varied Employment': „ . . . to put a stop to the brutalizing effects which have been produced by forcing the division of labor to a point at which it defeats its own object." 3 1 Owen behandelt auch Teilaspekte der betrieblichen Arbeitsplatzgestaltung. Hier sieht er das dringende Erfordernis, die Monotonie am Arbeitsplatz auf ein Minimum zu reduzieren. Infolgedessen tritt er weitsichtig für eine Automatisierung jener Tätigkeiten ein, welche auf Dauer keine Arbeitszufriedenheit gewährleisten: „ . . . under arrangements in which mechanism and science will be extensively introduced to execute all the work that is overlaborious, disagree26

Owen, R., Observations on the effect . . . 1815, in: G. D. H. Cole, 1927, S. 121. Owen, R., Letter 30. Juli 1817, in: G. D. H. Cole, 1927, S. 177; s. auch Urwick, L./ Brech, E. F. L., The Making of Scientific Management, Vol. I l l , London 1952, S. 198215, ,what makes the worker like to work 4 . 28 Unter Arbeitsgestaltung wird das optimale Zusammenfassen und -wirken von Arbeitskraft, Betriebsmitteln und Werkstoffen verstanden; wobei Owen - für seine Zeit ungewöhnlich - dem vernachlässigten Faktor »menschliche Arbeit 4 besonderes Gewicht verleiht; s. auch Böhrs, K., Art.: Arbeitsstudien, in: HWO, 1969, Sp. 128 ff; ders., Art.: Arbeitsplatzgestaltung, in: HWB, 4. Aufl., Bd. 1/1,1974, Sp. 213 ff. 29 s. Owen, R., Observations on the effect ... 1815, in: Life IA, S. 33 ff. 30 s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 180. 31 Proceedings of the Committee under the presidency of His Royal Highness the Duke of Kent, to investigate and report Mr. Owen's plan, 1819, in: Life IA, S. 247; s. auch Cole, G. D. H., Robert Owen, S. 225; in gleichem Kontext ist auch Owens Initiative für den Einsatz der ,Spatenkultur 4 zu sehen, s. Ausführungen im III. Hauptteil, B. I. 1. dieser Arbeit. 27

16*

244

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

able or in any way injurious to human nature . . . to render mechanism and science the only slaves or servants of men." 3 2 Owens Vorschlag zur Humanisierung des betrieblichen Leistungsprozesses konzentriert sich somit auf eine Gestaltung des Arbeitsplatzes sowie des Arbeitsablaufes, welche aus ergonometrischer Sicht den körperlichen wie geistig-seelischen Bedürfnissen des Menschen entspricht. Auf welche Art und Weise dies im einzelnen organisatorisch zu realisieren sei, läßt Owen offen. Seine theoretischen Überlegungen verbleiben im Stadium zutreffender fundamentaler Erkenntnisse. 3. Hawthorne-Effekt Owen bedient sich in seinem Unternehmen in New Lanark eines motivationalen Faktors, welcher erstmals um 1930 in den USA wissenschaftlich formuliert wird. Es ist dies der sogenannte ,Hawthorne Effekt 4 , der bei einer betriebssoziologischen Studie in den Hawthorne Werken der Western Electric Company ermittelt wird 3 3 . Danach bewirkt allein schon die Tatsache der Beobachtung eine Verhaltensänderung bei beobachteten Menschen34. Dieses Phänomen, welches in der heutigen Motivationstheorie eine wichtige Rolle spielt, macht sich Owen vermutlich zunutze, ohne es jedoch explizit zu erwähnen. Von seiner Annahme aus ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen Owens interpretierbar: Beispielsweise seine häufigen persönlichen Inspektionsgänge durch die Fabrikhallen 3 5 , die große Zahl auch prominenter Besucher in New Lanark 36 sowie das publizistische Interesse, das Owen auf die Fabriksiedlung lenkt 3 7 .

32

Owen, R., Letter 10. September 1817, in: G. D. H. Cole 1927, S. 229. Bedeutende betriebssoziologische Untersuchung unter Leitung von Mayo/Roethlisberger 1924-1932, klassisches Beispiel für empirisch soziologische Forschung; ursprüngliches Forschungsziel: Beziehungen zwischen Arbeitsleistung und äußeren Arbeitsbedingungen festzustellen; stattdessen »entdeckt4: die ,informale Organisation4, d.h. die Bedeutung individueller u. sozialer Faktoren für das Funktionieren einer Organisation (Human-Relations-Bewegung), s. dazu Janowsky, B., Art.: Organisationslehre I I (Entwicklung im englischsprachigen Raum), in: HWO, hrsg. v. E. Grochla, Stuttgart 1969, Sp. 1168-1180. 33

34

s. Urwick, L./Brech, E. F. L., The Making of Scientific Management, Vol. III, The Hawthorne Investigations, London 1952; Ackermann, K.-Fr., Art.: Lohnformen, in: HWB, 4. Aufl., 1975, Sp. 2531-2549; Grochla, E., Einführung in die.Organisationstheorie, Stuttgart 1978, S. 144 f.; Grün, O., Art.: Informale Organisation, in: HWO, 2. Aufl., 1980, Sp. 887. 35

s. Life I, S. 80 f. s. Life I,S. 143, 145, 147, 165. 37 s. Owen, R., A Statement . . . 1812, S. 20 f.; Report of a Deputation . . .1819, in: Life I A, S. 254 f.; Address of the Inhabitants of New Lanark, S. 329; Butt, I., Robert Owen as a Businessman, 190. 36

A. Betriebswirtschaftliche Ansätze

245

4. Grundlegendes Motivations- Verständnis Vom Ansatz her unterscheidet sich Owen von vielen Denkern seiner Zeit insoweit, als er überzeugt ist, daß sich einerseits der Prozeß der Industrialisierung zwar nicht aufhalten, andererseits jedoch zum Vorteü der Menschheit nutzen lasse. Unabdingbare Voraussetzung hierfür sei ein motivationaler Zugang zu Problemen der Betriebsgestaltung unter sozialen Gesichtspunkten38. Schon 1813 weist Owen auf Synergie-Effekte, welche sich aus Investitionen im Humanbereich ergeben: „(they) would return you not five, ten or fifteen per cent for your capital so expended, but often fifty and in many cases a hundred per cent. 4 * 39 Eine wichtige Rolle für diese normative Vorstellung spielt Owens erfolgreiches Quasi-Experiment in New Lanark. Synergie-Effekte erwartet Owen insbesondere vom Ersatz individuell materieller Motivation durch »Social Motivation4. Er spricht 1817 die Grundlage der ,Social Motivation 4 explizit an: „ I t is found that when men work together for a common interest, each performs his part more advantageously for himself and society, than when employed for others at daily wages, or when working by the piece. 4440 In einem sozialen Verbund sieht Owen ein größeres Motivationspotential für den einzelnen Werktätigen gegeben41. In diesem Punkt schließt sich auch John Stuart Mill der Owenschen Argumentation an: „ . . . so there is something naturally attractive in a form of society abounding in strong personal attachments and desinterested self-motivation. 4442 Owen entwickelt ein interdisziplinäres Modell der Motivation, welches für den industriellen Großbetrieb wie für die Organisation in Produktivgenossenschaften gleichermaßen anwendbar ist. Er geht von dem Grundgedanken aus, daß Phasen sozio-kulturellen Wandels (z.B. im Gefolge der Industriellen Revolution) Motivkataloge bedingen, in welchen sich oftmals bedeutsame Neubewertungen der Bedürfnisse der Menschen herauskristallisieren. Die persönliche Hierarchie der Werte des Menschen wird nach Owens Erkenntnis in systeminternen Prozessen, beispielsweise der Akkulturation und Sozialisierung durch Wertinternalisierung und Identifikation 43 evaluiert und gelernt. In jüngerer Zeit befürwortet B. Finis wegen der Nicht-Identität von Beweggrund 44 und Ziel die Aufnahme der Beweggründe (Motive) in den Gegenstandsbereich der Wirt38

s. Treble, J. H., The social and economic Thought of Robert Owen, in: S. 26 f. Owen, R., Preface 3. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 260 f. 40 Owen, R., Letter 25. Juli 1817, in: G. D. H. Cole 1927, S. 177. 41 s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 330 f. 42 Mill, J. St., Principles of Political Economy, London 1869, S. 456; s. ders., Autobiography of John Stuart Mill, New York 1924. 43 vgl. Haseloff, O. W., Art.: Motivation, Sp. 1019. 44 Zwischen Motiv und Beweggrund differenziert allerdings Finis, B., Wirtschaftliche und außerwirtschaftliche . . . , S. 9 ff. 39

246

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

schafts- und Sozialwissenschaften 45. Eine bloße Analyse der Ziel-Mittel-Situation reicht nicht aus, Handlungen arbeitender Menschen hinlänglich zu erklären. Die den Handlungsentwürfen vorgelagerten Beweggründe, welche die Motivationsgrundlage des Menschen determinieren, sind insoweit von Bedeutung, als sie mit Aufschluß darüber geben, wieso sich Menschen zu einem bestimmten Handeln entschließen46. Es ist Owens Verdienst, auf diese Komponente im Rahmen einer betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise aufmerksam gemacht zu haben. Im Mittelpunkt seiner Analyse steht die Berücksichtigung der Menschen und ihrer Bedürfnisse innerhalb von Arbeitsprozessen. Insoweit betrifft Owens betriebswirtschaftlicher Ansatz eine zwar wichtige, im Vergleich zu den Ausarbeitungen Adam Smiths 47 und vor allem späterer Neoklassiker jedoch recht enge Betrachtung von Fragen der späteren Betriebswirtschaftslehre. Owens eingeschränkte thematische Behandlung solcher Fragen ist primär als eine Ergänzung oder ein Gegengewicht zu zeitgenössischen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrsätzen zu verstehen; noch nicht als eine umfassende Begründung einer betriebswirtschaftlichen Denkweise.

B. Betriebssoziale und gesellschaftliche Überlegungen Gesellschaftliche Fragestellungen stehen bis Ende des Jahres 1817 im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Überlegungen Robert Owens1. Dabei beschäftigt er sich im wesentlichen mit zwei unterschiedlichen Forschungsansätzen: Zum einen der Frage nach den Einwirkungen der Menschen aufeinander 2. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei nicht auf den Einzelmenschen per se, sondern auf die Verbindungen, in positiver wie negativer Hinsicht, welche zwischen Menschen bestehen. Nach L. v. Wiese kommt es in diesem Zusammenhang auf das Verhältniswort ¿wischen' an. „Gemeint sind beim Gebrauche dieser mehrdeutigen Präposition die Einwirkungen, die von einem Menschen auf einen anderen, sowie von Menschenmehrschaften auf den Einzelnen und von solchen »Gruppen' aufeinander ausgehen."3 Zum anderen ist eine betriebssoziale Be45

s. Finis, B., Wirtschaftliche . .., S. 42 ff. s. auch Albert, H., Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968, S. 68 ff.; Finis, B., ebd. 47 s. Smith, A., An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), Neudruck New York 1965; Kromphardt, /Clever, P./u.a., Methoden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1979, S. 202. 1 vgl. Treble, I. J., The social and economic Thought..., S. 31. 2 s. Opp, K.-D., Soziologische Theorie, in: Wörterbuch der Soziologie, hrsg. v. W. Bernsdorf, Stuttgart 1969, S. 1080 ff.; zu wissenssoziologischen Analysen und Denkansätzen von Max Scheler s. Lieber, H.-J./Furth, P., Wissenssoziologie, in: HdSW, 12. Bd., 1965, S. 337-346. 3 Wiese, L. v., Art.: Soziologie, in: HdSW, 9. Bd., 1956, S. 626; s. auch Parsons, T., Beiträge zur soziologischen Theorie, hrsg. u. eingel. v. D. Rüschemeyer, Neuwied / Berlin 1964. 46

B. Betriebssoziale und gesellschaftliche Überlegungen

247

trachtungsweise typisch für Owens Forschungsansatz. Dieser beinhaltet betriebspolitische Analysen unter bewußter Einbeziehung sowohl sozialer Aspekte wie ökonomischer Faktoren.

I. Empirische Forschungsansätze Zentraler Ausgangspunkt Owens ist die Ansicht, daß gesellschaftliche Studien auf empirischen Untersuchungen — im Gegensatz zu a-priori-Schliissen — basieren sollen 4 . Dies wird besonders deutlich am Ansatz seiner Abhandlung ,Observations on the Effect of the Manufacturing System' (1815) 5 . Ein wichtiges Instrument im Rahmen der empirischen Überlegungen Owens ist das QuasiExperiment 6 . Voraussetzung eines Real-Experimentes ist die Möglichkeit, einen zu erforschenden Vorgang unter isolierten Bedingungen beobachten zu können 7 . Gerade das ist aber z.B. in New Lanark nicht gegeben. Owen versucht, seine Zeitgenossen mittels gelungener Beispiele von der positiven Wirkung gesellschaftlicher Veränderungen im wirtschaftlich sozialen Rahmen zu überzeugen: „To effect any permanently beneficial change in society, I found it was far more necessary to act than to speak8. By showing . . . an example in practice, on a scale sufficiently extensive, of the mode by which the characters and situation of the working manufacturers . . . may be very materially improved." 9 Es gilt jedoch daraufhinzuweisen, daß Robert Owens Sozialfürsorge in New Lanark primär nicht wissenschaftlichen Untersuchungszwecken dient, sondern in erster Linie dem Unternehmen und den beteiligten Arbeitern zugute kommt. Bei aller Betonung der Vorteilhaftigkeit empirischer Forschungsansätze weist Owens Handeln freilich eine gewisse inkonsequente wissenschaftliche Haltung auf, indem er selbst gegen sein Postulat der Empirie verstößt. Allem Anschein nach mangelt es dem Autodidakten Owen streckenweise an der wissenschaftlichen Disziplin, sich thematisch auf ein Gebiet zu konzentrieren. Owens Abschweifungen, z.B. auf pädagogische oder eher philosophische Fragestellun-

4

s. Treble , J. H., The social and economic . . . , S. 31 f. s. Owen, R., Observations ..in: Life I A, S. 37 ff. 6 s. Pages, R., Das Experiment in der Soziologie, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung, hrsg. v. R. König, Bd. I, 1967, S. 415-450; nach Albert beginnt die Geschichte des modernen, philosophischen Empirismus mit Francis Bacon (1561-1626), Th. Hobbes (1588-1679), J. Locke (1632-1704), D. Hume (1711-1776), s. Albert, H., Empirismus, in: Wörterbuch der Soziologie, 1969, S. 224 f.; vgl. auch Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 39; s. auch Tietz, R., Art.: Experimente in den Wirtschaftswissenschaften, in: HWB, 4. Aufl., 1975, Sp. 1351-1363. 7 vgl. Wiese, L. v., Art.: Soziologie, S. 637. 8 Owen, R., Address delivered to the Inhabitants of New Lanark on the 1st of January, 1816, in: Life I, S. 339. 9 Owen, R., Address... 1816, in: Life I, S. 348. 5

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6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

gen, sollten aber nicht dazu verführen, seine theoretischen Überlegungen intoto abzulehnen. Vielmehr läßt sich feststellen, daß seine wissenschaftlichen Schlußfolgerungen i.d.R. auf induktivem Wege gewonnen werden: Die Induktion vom Ergebnis des Quasi-Experiments auf gesamtgesellschaftliche Konzeptionen 10 . Die mangelnde Durchsetzbarkeit mancher Teile Owenscher Erkenntnis zu Anfang des 19. Jahrhunderts ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

II. Milieuorientiertes Gesellschaftsverständnis L Gesellschaftlicher

Wandel

Eine erste Behandlung der Frage nach der Bedeutung des gesellschaftlichen Umfeldes des Menschen für sein Tun und Denken ist in Owens Rede zu Ehren J. Lancasters (1812) zu erkennen 11 . Hier geht es um die Frage, inwieweit Wertvorstellungen der Gesellschaft Ansichten und Verhaltensmuster des Menschen bedingen. Entsprechend seiner milieutheoretischen Auffassung fordert Owen, künftig auf wirksame Gesellschaftsstrukturen gestaltend Einfluß zu nehmen: „ . . . much more may yet be accomplished for the improvement of society, than has been hitherto even attempted." 12 Explizit legt Owen diesbezügliche Maßnahmen sozialreformerischer und pädagogischer Art in seinen Essays A New, View of Society4 (1813/1814) 13 dar. Ideengeschichtlich steht Owen damit in enger Verwandtschaft zu Godwin, Rousseau, Bentham sowie den späteren Autoren Marx und Engels 14 . Diese setzen sich gleichermaßen mit der gesellschaftlichen Wirksamkeit des Milieus auseinander 15. Über die Jahre hinweg vertritt Owen auf diesem Gebiet eine erstaunlich gleichbleibend konsequente Linie. Insbesondere in seinem ,Book of the New Moral World 4, Teil I. (1836), greift er die milieutheoretische Behandlung der Jahre 1813/1814 in aller Ausführlichkeit erneut auf 1 6 . Das Ergebnis dieser gesamtgesellschaftlichen Betrachtung zeigt sich besonders deutlich bei einer Rede Owens in Metz (Frankreich) 1837 17 : „ . . . all the external circumstances 10 s. Owen, R., The Book of the New Moral World, Part I I I (1842), S. 49; auch Pollard, S., Robert Owen as an Economist, S. 29. 11 s. Owen, R., Mr. Owen's Speech . . .1812, in: Life I, S. 249 ff. 12 Owen, R., S. 250. 13 s. Owen, R., A New View . . . 1813/1814, in: Life I, S. 265 ff. 14 s. Treble, J. H., The social and economic . . . , S. 31 f. 15 Zu erwähnen ist vor allem Rousseaus 1762 erschienener Erziehungsroman ,Emüe\ 16 s. Owen, R., The Book of the New Moral World, Part I (1836); auch Simon, H., 1905, S. 262 ff. 17 s. Owen, R., Speech, written at Metz in France during the Congress held there from the 5th to the 15th September 1837, handschriftlich (Co-operative Union Collection, Manchester).

B. Betriebssoziale und gesellschaftliche Überlegungen

249

formed by man, have been so devised as to force an artificial and false character upon everyone, and thus, to make all men, children of error and misery, instead of beings of real truth." 1 8 Nach Owens Auffassung ist primär das gesellschaftliche Gefüge für das Wohlergehen des einzelnen Menschen verantwortlich. Bei der Analyse der Schichten und ihrer Verbindungen gelte es, an diesem Punkt anzusetzen19. Grundkenntnisse über die physische wie psychische Natur des einzelnen Menschen, welche eine Gesellschaftsordnung letztendlich mitbestimmt, sind — quasi in einer sozialpsychologischen Voranalyse — im vorhinein zu erfassen: „When this error of imagination shall be abandoned replaced by a scientific knowledge of human nature, then will all the external circumstances be naturally formed to unite the convictions and feelings of society . . . " 2 0 2. Betriebspolitische

Betrachtungen unter sozialen Aspekten

Weitestgehend auf empirischer Beobachtung basieren Owens Studien über die Auswirkungen der Industrialisierung auf den arbeitenden Menschen. Vor allem in seinen Abhandlungen ,Observations on the Effect of the Manufacturing System' (1815), ,On the Employment of Children in Manufactories' (1818) sowie ,To the British Master Manufacturers' (1818) 2 1 befaßt sich Owen mit dieser Thematik. Im einzelnen läßt sich die Quintessenz der Owenschen Analyse industriell bedingter Mißstände in folgenden Punkten zusammenfassen 22: * Physischer Verfall des Werktätigen durch überlange Tagesarbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen * Materielle Verarmung (niedriges Lohnniveau) verursacht Demoralisierung, Lebensangst sowie psychische Unsicherheitsgefühle * Entfremdung der Arbeit von anderen Lebensbereichen durch Arbeitsteilung sowie rigide Arbeitsordnung * Arbeit wird im System des Laisser-Faire zu einem unpersönlichen Einsatzfaktor, welcher gleich den anderen Einsatzfaktoren ökonomischen Schwankungen ausgesetzt ist * Zerstörung wichtiger sozialer Bindungen im einseitig technisch ausgerichteten Werksprozeß; Erkenntnis der Bedeutung der informalen Organisation im Betriebssystem Owen erkennt, daß eine Analyse wirtschaftlicher Phänomene einer Bezugnahme auf soziale Dimensionen bedarf. In jüngerer Zeit unterstreicht F. Für18

ders. ebd. s. ders. ebd. 20 ders. ebd.; „The discovery is that a good and valuable Character can be created for all from birth, and wealth can be . . . produced at all times and . . . for all"; Owen , R., Proclamation to All who attend the World Fair, 1. Mai 1851 handschriftlich (Co-operative Union Collection, Manchester). 21 s. Owen , R.in: Cole , G. D. H. (Hrsg.), 1927, S. 120-147. 22 s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 155 f. 19

250

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

stenberg, daß der Frage nach der Struktur wirtschaftlichen Sozialverhaltens eine wichtige Stelle in der wirtschaftssoziologischen Forschung zukommt 2 3 . Robert Owen wendet sich implizit gegen die Denkfigur des ,homo oeconomicus', dessen angenommene Rationalität er empirisch nicht bestätigt findet. Denn: Die Berücksichtigung rationaler Motivationsstrukturen für die Allgemeinheit allein reicht nicht aus, die jeweils vorliegende situative Komponente zu erfassen. Die Situationsgebundenheit des Wirtschaftshandelns, so F. Fürstenberg, legt zugleich eine Analyse der sozialen Bezugsgruppen nahe, welche die Richtung des Handelns beeinflussen 24. Insoweit beinhaltet Owens situativer Forschungsansatz zur Zeit der einsetzenden Industrialisierung bereits Elemente modernen betriebs- und wirtschaftssoziologischen Verständnisses.

III. Befürworter der Kooperation 1. Ansatz In genossenschaftswissenschaftlicher Hinsicht ist mit Engelhardt 25 hervorzuheben, daß Robert Owen nicht nur für spezifische Ausprägungen der Kooperation, beispielsweise bei Siedlungsgenossenschaften, sondern auch für das Phänomen der Kooperation allgemein eintritt 2 6 . Ausgangspunkt owenitischer Überlegung ist die Überwindung der frühkapitalistischen Wettbewerbswirtschaft und ihrer sozialen Konsequenzen: „ . . . to abolish the competitive system, supported as it is by force and fraud . . . producing incalculate misery to all and to show them the necessity for adopting Co-operation in Labour and Community of goods . . . " 2 7 Owen wendet sich teils gegen den atomisierenden Effekt freier Märkte, teils gegen die Ethik des Wettbewerbs überhaupt 28 . Allerdings gesteht Owen ein, daß vom freien Wettbewerb durchaus auch positive Impulse, z.B. zur 23 vgl. Fürstenberg, Fr., Wirtschaftssoziologie, in: Wörterbuch der Soziologie, 1969, S. 1285. 24 vgl. Fürstenberg, Fr., ebd.; s. auch Rostow, W. W., The Process of Economic Growth, 2. Aufl., New York 1962, S. 105 f. zur Auswirkung u. Bedeutung der Industriellen Revolution. 25 vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 35 f. 26 Zu unterschiedlichen Aspekten des Kooperationsgedankens s. Owen, R., Competitive versus Co-operative Labour, or, Labour as it is, and Labour as it ought to be, London o. J. (etwa 1835/40); Poisson, E., The Co-operative Republic, Manchester 1925, S. 19 ff.; Örne, A., Co-operative Ideals and Problems, Manchester 1926, S. 106 ff.; Warbasse, J. P., Problems of Co-operation, New York 1942; Veblen, Th., Christian Morals and the Competitive System, in: The Portable Veblen, hrsg. v. M. Lerner, New York 1948, S. 480-498. 27 o. V., Manchester Birthday Address to Robert Owen, 14.5.1851 (Co-operative Union Collection, Manchester). 28 s. Treble, J. H., The social and . . . , S. 47; weiterführend Simon, H., 1905, S. 157159.

B. Betriebssoziale und gesellschaftliche Überlegungen

251

Entwicklung technischer Neuerungen, ausgegangen sind: „ I t has stimulated invention; it has given industry and talent to the human character; and has secured the future exertion of those energies which otherwise might have remained dormant and unknown." 2 9 Die sozialen Kosten einer fortgesetzt auf bloßem Wettbewerb basierenden Ordnung, im Sinne des Manchestertums seiner Zeit, hält Owen zukünftig für nicht vertretbar 30 . Als Alternative propagiert er den Gedanken der Kooperation. Schwierigkeiten gesellschaftlicher Verwirklichung kooperativen Gedankenguts sieht er primär im sozialpsychologischen Bereich: „Men have not yet been trained in principles that wül permit them to act in union, except to defend themselves or destroy others." 31 Owen fordert eine Ausweitung möglicher Kooperationsbereiche auf denkbar viele gesellschaftliche Lebensfelder. Sechzig Jahre später artikuliert John Stuart Mill einen ähnlichen Gedanken: „The social problem of the future we consider to be, how to unite the greatest individual liberty of action . . . " 3 2 Owens Betonung der Kooperation erscheint heute sowohl aus betriebs- wie volkswirtschaftlicher Sicht aktuell. Owen versteht den Gedanken der Kooperation quasi als Gegengewicht zur Arbeitsteilung und ihrer einseitigen Hervorhebung zur damaligen Zeit 3 3 . Im Rahmen verstärkter Arbeitsvereinigung wül Owen „die gesellschaftlichen Komponenten nicht erst nach Vollzug der Produktion - d.h. in den Verteilungs- und Konsumationsvorgängen - , sondern gleichsam synchronisiert' iriit den produktionswirtschaftlichen Prozessen sofort berücksichtigt wissen" 34 . In diesem Zusammenhang sieht Owens produktivgenossenschaftliches Modell wirtschaftlich selbständige, sich selbst tragende Siedlungen vor. Bei primär auf landwirtschaftlicher Arbeit basierenden Genossenschaften hält Owen eine entsprechende wirtschaftliche Effizienz der Kooperation mittels der ,Spatenkultur' (,Spade Husbandry') für gewährleistet. 1820 empfiehlt er erstmals diese landwirtschaftliche Arbeitsmethode für alle Genossenschaften 35.

29

Owen, R., Report to the . . . 1820, in: G. D. H. Cole 1927, S. 262. s. ders., ebd.; auch Beales, H. L., The early English Sociaüsts, London 1933, S. 51;Pollard, S., Robert Owen as an Economist, S. 29. 31 Owen, R., Report to the . . . 1820, in: G. D. H. Cole 1927, S. 269. 32 Mill, J. St., Autobiography . . . , S. 162; s. auch Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 326; es sei auch verwiesen auf die Arbeit von Hoppe, M., Die klassische und neoklassische Theorie der Genossenschaften, ein Beitrag zur Dogmengeschichte und neueren Genossenschaftstheorie, Berlin 1976. 33 s. Engelhardt, W. W., Der Funktionswandel der Genossenschaften in industrialisierten Marktwirtschaften, Berlin 1971, S. 59; Eschenburg, R., Die ökonomische Theorie . .., S. 3-12; Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 36. 34 Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 35; s. auch ders., Entscheidungslogische und empirisch-theoretische Kooperationsanalyse, in: WiSt, Heft 3,1978, S. 108. 35 s. Owen, R., Report . . . 1820, Life I A, S. 270-273; Cole, M., Robert Owen . . . , S. 110\ Harrison, J. F. C., 1969, S. 24 f. 30

252

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

Wie bereits erwähnt, werden seine praktisch-wissenschaftlichen Überlegungen durch die Ergebnisse einer empirischen Langzeitstudie des zeitgenössischen Agronomen William Falla 36 erhärtet. In dieser Studie, die Owen im November 1820 zugänglich wird, legt Falla die agrartechnische sowie wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit der Spatenbearbeitung beim Weizenanbau dar. Dieses System ermöglicht nach Falla zudem die Beschäftigung einer maximalen Zahl an Menschen aller Altersschichten in der Landwirtschaft. Neben dem noch heute vor allem in Entwicklungsgebieten aktuellen Beschäftigungsaspekt der manuellen Arbeit geht es Owen bei der Propagierung der Spatenkultur um eine weitere gedankliche Zielrichtung. Die gemeinschaftliche Betätigung der Genossenschaftsmitglieder soll eine Änderung der sozialen Beziehungen innerhalb der Siedlung bewirken 37 . Dem liegt die Annahme zu Grunde, daß die kooperative Arbeit auf dem Lande zur Sicherung der Ernährung im Vergleich zur entfremdeten Fabrikarbeit einen höheren moralisch-ethischen Stellenwert einnimmt 38 . Erst durch einfache gemeinschaftliche Arbeitsgänge - wie die Arbeit mit Spaten - in einer naturverbundenen Existenz und einer gemeinsamen Lebensweise sei es dem Menschen möglich, ein gesundes sowie produktives Leben zu führen 3 9 . In einer produktivgenossenschaftlichen Gruppierung von vorzugsweise 1.200 Menschen40 hält Owen die gesamte Bandbreite der ökonomischen wie außerökonomischen Vorzüge der Kooperation für gegeben. 2. Gemeinschaftsbetonte Gesellschaftsstrukturen Owens Kooperationsgedanke zielt auf eine Überwindung des vom Manchestertum geprägten Individualismus hin zu gemeinschaftsbetonten Gesellschaftsstrukturen: „The greatest evils in society arise from mankind being trained in principles of disunion . . . to unite men in the pursuit of common objects for their mutual benefit . . . " 4 1 Im Zentrum der Owenschen Überlegungen steht die Analyse gesellschaftsbedingten Rollenhandelns. Wie Vester zurecht feststellt, umfaßt Owens Betrachtung der Gesellschaft die Bedeutung und den Zusammenhang von Rolle und Status im gesellschaftlichen Gefüge 42. Aktuell ist Owens Ansatz insofern, als er das Rollensystem nicht von seinem Zusammen36 s. A Communication from Mr. Falla to Robert Owen, Esq., 13.11.1820, in: Life I A, S. 314-320. 37 vgl. Harrison , J. F. C., 1969, S. 24. 38 Hier zeigt sich Owens Haltung, wonach Arbeit die eigentliche Quelle des Reichtums sein soll, s. IV. Hauptteil dieser Arbeit. 39 vgl. Cole, M., Robert Owen, S. 111. 40 Weder Vereinzelung (,Cottage System') noch Vermassung, s. Owen, R., Address... 21.8.1817, in: Life I A, S. 112 f. 41 Owen, R., Report to the Committee . . . for the Relief of the Manufactoring and Labouring Poor, 1817, in: G. D. H. Cole 1927, S. 168. 42 vgl. Vester, M., Die Entstehung . .., S. 214 f.

B. Betriebssoziale und gesellschaftliche Überlegungen

253

hang mit der ökonomischen Struktur der Gesellschaft und der Triebstruktur der Individuen isoliert 43 . Am Beispiel der Arbeitgeberschaft im Frühkapitalismus erarbeitet Owen Kriterien, anhand derer erklärt werden kann, inwiefern einseitiges Rollenhandeln das Gleichgewicht des ökonomischen Systems und der Charakterstruktur des Menschen stört 4 4 . Owen kennzeichnet ein wesentliches Merkmal unternehmerischen Rollenhandelns, das dominierende Gewinnkalkül, mit den Attributen: „ . . . blind efforts of ignorance, . . . to see only their immediate or apparent interest, shortsighted practices" 45 . Eine Veränderung gesellschaftlicher Strukturen soll zu einem veränderten Verhaltenskodex der Menschen führen. Einen friedlichen Wandel der gesellschaftlichen Ordnung sieht Owen durch bewußte Kontrolle der sozio-ökonomischen Kräfte gewährleistet 46. Diese soziale Überwachung soll auf freiwilliger Basis von gesellschaftlichen Gruppen, beispielsweise den Unternehmervereinigungen oder von Produktivgenossenschaften, wahrgenommen werden 47 . Bei Versagen der freiwilligen Kräfte sei es Aufgabe des Staates, insbesondere der Regierung, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen 48 . Entgegen der individualistischen Tendenz des Laisser-Faire, entgegen dem zur damaligen Zeit verbreiteten ,Nachtwächter'-Verständnis des Staates, postuliert Owen einen umfassenden Regierungsauftrag, der gemeinschaftliche Orientierungen umfaßt: „that government... is the best, which in practice produces the greatest happiness to the greatest number." 49 Als konkrete Einzelmaßnahmen fordert er 5 0 : * * * *

Einführung einer Alkoholsteuer Beschränkung der Alkoholverkaufslizenzen Abschaffung der Staatslotterie Reform der Armenunterstützung im Hinblick auf gemeinsame Betätigung

Owens utopische Vorstellung vom Ausgleich unterschiedlicher Gesellschaftsstrukturen wird 1837 in Metz deutlich: „ . . . in this new state, a mind that 43 Ungleich Dahrendorf abstrahiert Owen nicht von Ökonomie und Psychologie; Owen erscheint es daher sehr wohl möglich, den ganzen Menschen4 als empirisches Forschungsgebiet aufzufassen, s. dazu Dahrendorf\ R., Homo Sociologicus, Köln. 1961, S. 10, 41 f., 59 ff.; Vester, M., ebd. 44 vgl. Vester, M., ebd. 45 Owen, R., Letter, 20. März 1818, to the Earl of Liverpool, in: G. D. H. Cole 1927, S. 134 u. 137 sowie ders., Letter 30. März 1818, to British Master Manufacturers, in: G. D.H. Cole 1927, S. 145. 46 s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 277 f. 47 s. Owen, R., Preface, 3. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 260. 48 s. Owen, R., Observation on the effect... 1815, in: Life I A, S. 41. 49 Owen, R., 4. Essay, A New View . . . 1814, in: Life I, S. 308; wohl in Anlehnung an utilitaristische Positionen. 50 s. Owen, R., 4. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 312-314; auch Simon, H., 1905, S. 150 ff., weiterführend auch Thiemeyer, Th., Art. Gemeinwirtschaft, in: Wörterbuch zur politischen Ökonomie, hrsg. v. G. v. Eynem, Opladen 1973, S. 114-119.

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6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

could accept individual advantages over its fellows will never be formed . . . " 5 1 Es ist Owens Verdienst, auf das positive soziale Potential der Industrialisierung aufmerksam gemacht zu haben 52 . Max Beer bemerkt dazu: „He (Owen) was the first British writer who grasped the meaning of the Industrial Revolution . . . with a view to a peaceful readjustment of society to the new conditions." 53 In diesem Kontext bemüht sich Owen, mittels Sozialexperimenten breite Bevölkerungskreise von der wirtschaftlichen wie außerwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit bestimmter Organisationsformen, beispielsweise dem Prinzip der Kooperation, zu überzeugen. Insoweit folgert H. Simon zurecht, daß man mit Owen am Anfang einer physio-psychologisch begründeten Soziologie steht 54 . Der reformatorische Experimentalismus 55 Owens stellt insbesondere Ansätze der Erforschung von Wirkungen sozialpolitischer Maßnahmen auf ökonomische Größen dar 5 6 .

C. Volkswirtschaftliche Erörterungen I. Krisenanalyse 1. Aggregierte Nachfrage Nach 1815 wendet sich Robert Owen in seinen grundsätzlichen Betrachtungen auch volkswirtschaftlichen Themen zu. Ausgangspunkt seiner volkswirtschaftlichen Überlegungen ist eine dezidiert dargelegte Krisenanalyse. Diese soll der Erklärung der Ursachen gesamtwirtschaftlicher Rezessionen sowie Depressionen dienen. Owen geht es darum, Zusammenhänge und Wechselwirkungen volkswirtschaftlicher Größen, etwa der effektiven Nachfrage und des Beschäftigungsstandes sowie des Lohnniveaus und des Konsums, aufzuzeigen. Der spezifische historische Hintergrund der Situation, welche Owen eine Erörterung jener Probleme nahelegt, ist in diesem Zusammenhang bedeutsam. Das Ende der napoleonischen Kriegsepoche (1815) und in ihrem Gefolge die Umstellung der Ökonomie auf Friedenszeiten führen in Großbritannien zu einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Depression. Eine extrem hohe Arbeitslosenrate sowie ein 51

Owen, R., Speech, Metz 1837 (Co-operative Union Collection, Manchester). s. Owen, R., Preface, 3. Essay, A New View . . ., in: Life I, S. 260. 53 Beer, M., zitiert bei Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 277 f.; s. allgemein auch Pages, R., Das Experiment in der Soziologie, S. 420; Yeo, E., Robert Owen and Radical Culture, S. 85. 54 vgl. Simon, H., 1905, S. 264. 55 vgl. Pages, R., ebd. 56 Sowohl Lebenslage-Analysen (i.S. Weissers) als auch betriebssoziologische Untersuchungen, vgl. Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 32. 52

C. Volkswirtschaftliche Erörterungen

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Verfall des Lohniveaus sind charakteristische Symptome dieser Periode. Owen kommt in seiner Analyse zu dem Schluß, daß die Ursachen der Wirtschaftskrise im wesentlichen auf drei Faktoren beruhen 1 : 1. Rückgang der aggregierten effektiven Gesamtnachfrage, ausgelöst durch fehlende Staatsausgaben: „The expenditure of the last year of the war for this country alone was one hundred and thirty millions sterling, or an excess of eighty millions of pounds sterling over the peace expenditure. And on the day on which peace was signed this great customer of the producers died, and prices fell as the demand diminished." 2 Entscheidend ist, daß diese Nachfragelücke im Zusammenhang mit dem Wegfall militärischer Ausgaben nicht durch anderweitige private Inlandsnachfrage bzw. Auslandsnachfrage ausgeglichen wird: „The war demand for the production . . . having ceased, markets could no longer be found for them; and the revenues of the world were inadequate to purchase that which a power so enormous in its effects did produce: a diminished demand consequently followed." 3 2. Erhöhung der industriellen Kapazität durch maschinelle Investitionen und Produktivitätssteigerungen 4: Verdrängung der Arbeitskraft des Menschen durch zunehmende arbeitssubstituierende Innovationen infolge neuer Technologien sowie Kapitalbildung 5 (technologische Arbeitslosigkeit). 3. Zunehmende Zahl an Arbeitskräften, bedingt einerseits durch ein generelles Wachstum der Bevölkerungszahl 6, andererseits durch Heeresverkleinerung 7 sowie Beschäftigung von Frauen und Kindern in der Industrie: „We complain that numbers of our strong, healthy and active labourers are unemployed, — and yet we prematurely employ children — infants almost — and greatly overwork a large part of our population; as if it were purposely to keep those out of employment who ought to work." 8 Orientiert an der wirtschaftsgeschichtlichen Situation, legt Robert Owen, ähnlich Robert Malthus, Umrisse einer allgemeinen Krisenanalyse dar. Diese basiert auf der Annahme der Unterkonsumtion 9 . Mit der expliziten Feststellung, 1 s. Dalton, G., Robert Owen and . . S . 260 ff.; s. als allgemeine Grundlage Euchen, W., Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 1965. 2 Owen, R., Life I, S. 124; s. auch Treble, J. H., The social and economic . . . , S. 27 f. 3 Owen, R., Report to the Committee . . . for the Relief of the Manufactoring and Labouring Poor, 1817, in: Life I A, S. 55. 4 Zu Owens Erkenntnis der Überproduktion, s. Simon, H., 1905, S. 208-211. 5 s. Owen, R., Life I, S. 124 f. 6 Zugrunde liegt ein allgemeiner Bevölkerungszuwachs, s. Toynbee, A., The Industrial Revolution, London 1884. 7 s. Owen, R., ebd. 8 Owen, R., Letter 30. März 1818, to British Master Manufacturers, in: G. D. H. Cole 1927,S.145. 9 s. Mandel, E., Marxistische Wirtschaftstheorie, 2. Bd., 2. Aufl., Frankfurt/M. 1972, S. 668 ff. zur neueren Krisentheorie; auch Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 10 f.

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6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

daß die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht ausreicht, einen befriedigenden Beschäftigungsstand zu sichern, gehört Owen zweifellos zu den ersten PräKeynesianern 10. 2. Lohnniveau Robert Owen erkennt, daß Realeinkommenssteigerungen (hohes Lohnniveau) über die Konsumnachfrage der privaten Haushalte stimulierend auf Beschäftigungsstand sowie Produktion wirken 1 1 . „ . . . no evil ought to be more dreaded . . . than low wages of labour . . . These (workers), in consequence of their numbers, are the greatest consumers of all articles; and it will always be found that when wages are high the country prospers . . . It is therefore essentially the interest of the master manufacturer that the wages of the labourer should be high." 1 2 In dieser 1818 verfaßten Abhandlung versucht Owen darzulegen, daß das Lohnniveau nicht allein als eine Frage betrieblicher Kosten (und damit der Preise), volkswirtschaftlich vielmehr als ein primär die Nachfrage determinierender Faktor aufzufassen ist. Diese Haltung ist für Robert Owen, der selbst über 25 Jahre unternehmerisch tätig ist, bemerkenswert. Es macht deutlich, daß Owen in seinen eher theoretisch orientierten Arbeiten zum Teil von seiner übrigen Aktivität abstrahierende Positionen vertritt 1 3 . Er plädiert dafür, einen hohen Beschäftigungsstand mittels eines einfachen Zusammenhangs zu sichern: Der prozentuale Anteil des Arbeitseinkommens, insbesondere der Arbeiterfamilien, am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen soll proportional mit der Zunahme des Gesamteinkommens wachsen14. Der daraus resultierenden hohen privaten Konsumnachfrage mißt Owen innerhalb der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage die entscheidende Bedeutung bei. Dieser Grundgedanke hat in der Folgezeit bekanntlich Bestätigungen erfahren, so etwa bei J. M. Keynes 15 . Allerdings bleibt festzustellen, daß Owen die Bedeutung der Investitionen, also die teilweise zinsabhängige industrielle Nachfrage, völlig außer Acht läßt. Sein volkswirtschaftliches Verständnis von Konsum, Lohnniveau10 vgl. Dalton, G., Robert Owen and . . S. 260; auf eine ähnliche Haltung des zeitgenössischen Bankiers Th. Attwood weist Vester, M., Die Entstehung . . S . 210, hin. 11 s. Braeuer, W., Handbuch zur Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Frankfurt/M. 1952, S. 158 f. (wegen bibliographischer Hinweise); Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 261 f. 12 Owen, R., Letter 30. März 1818, to British Master Manufacturers, in: G. D. H. Cole 1927, S. 143. 13 s. Dalton, G., S. 265. 14 s. Owen, R., Adress 21. August 1817, in: G. D. H. Cole 1927, S. 210; auch Hicks, J. R., Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Reinbek 1971, S. 147 ff. 15 ad J. M. Keynes s. Schmölders, G., Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Reinbek 1962, S. 105 ff. u. 304 ff.; Gretschmann, K., Steuerungsprobleme der Staatswirtschaft, Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft, Bd. 4, hrsg. v. W. W. Engelhardt/Th. Thiemeyer, Berlin 1981, S. 89 ff.

C. Volkswirtschaftliche Erörterungen

257

Steigerung sowie Beschäftigungsstand trägt Züge einer rein nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. 3. Vorwegnahme des Multiplikatortheorems Bei der Erörterung der Zusammenhänge unterschiedlicher Aggregatgrößen gelangt Robert Owen zu einer Art Multiplikatortheorem 16 . Sein von ihm diagnostizierter Multiplikator-Effekt bezieht sich auf die ökonomische Interdependenz zwischen einzelnen Segmenten der Volkswirtschaft. Ein Rückgang der Produktion in einem bestimmten Teilbereich der Wirtschaft kann danach zu einem Rückgang auch in anderen Teilbereichen (et vice versa) fuhren 17 . Owens Annahme beruht darauf, daß eine Realeinkommenssteigerung in einem Segment der Wirtschaft eine erhöhte Konsumnachfrage auch in anderen Wirtschaftsbereichen (nach anderen Gütern) bedingt. Insoweit geht von einer autonomen Veränderung einer Aggregatgröße eines bestimmten Segmentes ein multiplizierender ökonomischer Impuls auf den volkswirtschaftlichen Beschäftigungsstand aus 18 . Owen veranschaulicht diese Überlegung am Beispiel der wirtschaftlich impulsgebenden Rolle der Baumwollindustrie zu Anfang des 19. Jahrhunderts 19 .

II. Produktive Beschäftigungspolitik 1. Antizyklische Konjunkturpolitik Im Rahmen volkswirtschaftlicher Ausarbeitungen widmet sich Owen, wie oben näher dargestellt, auch der Problematik der konjunkturellen Arbeitslosigkeit. Zur Überwindung der Unterbeschäftigung fordert er staatliche Beschäftigungsmaßnahmen; im Sinne einer antizyklischen Konjunkturpolitik 2 0 : Explizit nennt Owen Ausbau und Verbesserung der Straßen, Konzipierung von Kanälen, Häfen und Docks sowie Schiffbau als geeignete Mittel eines Beschäftigungspro16 In allgemeiner Formulierung wird heute unter dem Multiplikatortheorem verstanden: Die autonome Variation einer Komponente der Gesamtnachfrage führt zu einer um ein Mehrfaches stärkeren Variation des Gesamteinkommens. Zugrunde liegt die Vorstellung des makroökonomischen Kreislaufs von Faktorleistungen und Produkten. Vertreter: K. Wicksell, Keynes, Fr. Machlup, s. dazu Schilcher, R., Art.: Multiplikator und Akzelerator, in: HdSW, 7. Bd., 1961, S. 469-478, hier S. 469 f. 17 s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 262. 18 Sofern dieser nicht kompensiert wird, s. Dalton, G., S. 265. 19 s. Owen, R., Observation on the Cotton Trade, 1815, in: Life I A, S. 12 ff.; ders., R e p o r t . . . 1817, in: G. D. H. Cole 1927, S. 158. 20 s. Owen, R., 4. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 328 f.; Simon, H., 1905, S. 82 f.

17 Elsässer

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6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

gramms. Die Vergabe öffentlicher Aufträge soll nicht als Konkurrenz zu privaten unternehmerischen Initiativen verstanden werden. Ausnahmslos sollen bis dato erwerbslose Arbeiter bei den staatlichen Aktionen in einer wirtschaftlichen Rezession Beschäftigung finden. Besonderes Gewicht legt Owen darauf, nur volkswirtschaftlich sinnvoll ausgerichtete Arbeiten, etwa im Bereich der Infrastrukturverbesserung, zu vergeben 21. In diesem Zusammenhang wird auch Owens Leitbildwandel im sozialpolitischen Engagement deutlich. Ging es dem Pionier anfänglich, wie bereits erwähnt, um eine primär betrieblich orientierte Sozialpolitik, so treten im Verlauf der Zeit Interessen die gesamtgesellschaftliche Ebene betreffend stärker in den Vordergrund. Hier sind vor allem Owens Beiträge zur Reform der Armengesetzgebung sowie zur Einführung des gesetzlichen Arbeitsschutzes zu erwähnen. 2. Nationaler Mindestlohn Ein weiteres Charakteristikum des von Owen propagierten staatlichen Arbeitsbeschaffungsprogramms betrifft das Lohnniveau. Für die Entlohnung der Arbeitskräfte bei diesen Maßnahmen sieht Owen folgende Regelung vor: „ . . . the rate of the public labour might be in general fixed at some proportion less than the average rate of private labour in the district." 2 2 Owen erhofft sich hiervon eine regulierende Wirkung auf das nationale Lohnniveau. Dieser Gedanke, den später die Fabian Society aufgegriffen hat, beinhaltet bereits Elemente des Konzepts eines staatlich festgelegten Mindestlohnes: „This measure . . . would have a similar effect on the price of labour, that the sinking fund produces on the Stock Exchange; and, as the principle of public labour should never fall below the means of temperate existence, the plan proposed perpetually tend to prevent an excess of nationally injurious pressure on the most unprotected part of society." 23 Es sind nicht nur soziale Gesichtspunkte, die für die Idee des garantierten Existenzminimums im Gefolge öffentlicher Arbeitsprogramme sprechen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht kommt es einerseits zu einer Erhöhung der Produktion sowie des Beschäftigungsstandes privater Zulieferfirmen, andererseits über ein höheres Realeinkommen und gesteigerten Konsum der staatlich Beschäftigten zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Owen zeigt insoweit bereits 1813/1814 einen gangbaren Ansatz zur Schließung konjunkturell bedingter Nachfragelükken.

31

" "

s. Owen, R., ebd. Owen, R., 4. Essay, A New View . . . , in: Life I, S. 329. Owen, R., ebd.; s. auch Ackermann, K.-Fr., Lohnformen, Sp. 2531 ff.

C. Volkswirtschaftliche Erörterungen

259

3. Einkommensverteilung Eine differenzierte Betrachtung erfährt das Problem der strukturell bedingten Arbeitslosigkeit (etwa durch Technisierung) bei Owen: , , . . . it is not probable manual labour can regain its proper and necessary value under circumstances beneficial to the country, unless other arrangements shall be formed by society, purposely devised to give productive employment to all who are competent and willing to labour." 2 4 Ein hoher Beschäftigungsstand sowie ein hohes gesamtwirtschaftliches Einkommen läßt sich Owen zufolge nur erreichen, wenn aus einer veränderten Einkommensverteilung eine erhöhte Konsumnachfrage resultiert 25 . Owen erkennt damit 27 Jahre vor J. St. Mill eine volkswirtschaftliche Dichotomie zwischen Produktion und Einkommensverteilung 26. Owen stellt fest, daß die volkswirtschaftliche Produktion von physisch-techriischen, während die Einkommensverteilung primär von sozio-politischen Faktoren abhängig ist: „ . . . the deficiency of employment for the working class cannot proceed from a want of wealth or capital..., but from some defect in the mode of distributing this extraordinary addition of new capital . . . " 2 7 Damit gelangt Owen zu der Forderung: „ I n consequence, now arrangements become necessary, by which consumption may be made to keep pace with product i o n . " 2 8 Eine synchrone Entwicklung von Produktion und Konsum sieht Owen lediglich in einer sozialen Gesellschaftsordnung auf Basis produktivgenossenschaftlicher Arbeits- und Lebensbedingungen gewährleistet 29. (Auf Owens frühsozialistische Konzeption der ,Villages of Co-operation' wurde oben eingegangen.) Es ist Owens Verdienst, in der volkswirtschaftlich nachteiligen Verteilung des Realeinkommens jener Zeit eine der wesentlichen Ursachen für das Phänomen der Unterbeschäftigung angesprochen zu haben 30 . Sein Vorschlag, über genossenschaftliche Arbeitsweisen gesamtgesellschaftliche Probleme hinreichend zu lösen, geht über eine rein volkswirtschaftliche Analyse hinaus. Owen betritt hier das Feld einer dogmatisch sozialistischen Konzeption, welche aus heutiger Sicht bisher von mangelnden Erfolgen her keine Bestätigung und Anerkennung gefunden hat.

24

Owen, R., Address 14. August 1817, in: G. D. H. Cole 1927, S. 202. s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 272; Preiser, E., Nationalökonomie heute, 9. Aufl., München 1970, S. 72 ii.\Hicks, J. R., Einführung in die Volkswirtschaftslehre 1971, S. 147 ff. 26 s. Mill, J. St., Principles of Political Economy, London 1869, S. 123. 27 Owen, R., R e p o r t . . . 1820, in: G. D. H. Cole 1927, S. 248. 28 Owen, R., S. 253. 29 s. ders., S. 289 f.;Engelhardt, W. W., Robert Owen, S. 35. 30 vgl. Vester, M., Die Entstehung . . . , S. 218. 25

17*

260

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

III. Währung und Arbeitswert

1. Vorwegnahme des Arbeitswerttheorems Owens volkswirtschaftliche Überlegungen beinhalten auch Gedanken zur Reform des Währungssystems. Diese Konzeption hat ihren Angelpunkt in der Frage nach dem allgemeinen Wertstandard: „One of the measures he thus ventures to propose, to let prosperity loose on the country . . . , is a change in the standard of value." 31 Owen wendet sich in diesem Zusammenhang vor allem gegen gebundene Währungssysteme, wie beispielsweise die Goldstandard- oder Goldkernwährung. Owen unterscheidet diesbezüglich zwischen einem natürlichen (originären) und einem gebräuchlichen Wertmaßstab 32. „ . . . gold and silver have been long used for this purpose, but these metals have been a mere artificial standard . . . Their introduction as a standard of value altered the intrinsic values of all things into artificial values." 33 Volkswirtschaftliche Fehlallokation und Nachfragelücken werden Owen zufolge solange auftreten, als nicht Arbeit als „Quelle und Maßstab" 34 des volkswirtschaftlichen Reichtums anerkannt wird. „That the natural Standard of value is, in principle, human labour, or the combined manual and mental powers of men . . . " 3 S Dieses allgemeine Arbeitswerttheorem beinhaltet somit den umfassenden Gedanken, letztendlich in der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowohl das volkswirtschaftliche Vermögen als auch die eigentliche Deckung der Währung zu sehen. Demgegenüber scheinen Owens weiterführende Schlußfolgerungen - im Hinblick auf ihre praktische Durchsetzbarkeit — weniger ausgereift. Owens Konzept, mittels ,Labour Notes', Arbeitsbörsen sowie dirigistischer Wertfindung auf Basis der Arbeitszeit ein höheres Realeinkommen für die arbeitenden Massen zu realisieren, hat sich als nicht praktikabel erwiesen. Insbesondere der wirtschaftliche Erfolg der von Owen propagierten ,Labour Exchanges4 (ab 1832) ist nur von kurzer Dauer. Schon 1833 werden konzeptionelle Fehler sichtbar: Die Bewertung der Güter auf Basis der Arbeitszeit erweist sich als schwierig, Angebot und Nachfrage gleichen sich nicht aus, die Lagerbestände der Arbeitsbörsen wachsen stark an u.ä. Der Versuch, die Grundidee des 31 Owen, R., Report . . . 1820, in: Life I A, S. 266; s. auch Hasselmann, E., Am Anfang . . . , S. 26; als theoretische Grundlage s. Issing, O., Einführung in die Geldtheorie, 3. Aufl., München 1977, S. 1 ff. u. 119 ff. 32 s. Vester, M., Die Entstehung . . ., S. 216 f. 33 Owen, R., Report . . . 1820, ebd., s. Crisis, 15.9.1832 wegen Attacke auf das etablierte Finanzsystem, insb. gegen Bankier Rothschild gerichtet: „Mr. Rothschild's Money Transactions", Crisis, ebd. 34 Vester, M., Die Entstehung . . . , S. 216; zum Geldumlauf in der Industriellen Revolution Großbritanniens s. Hicks, J. R., A Theory of Economic History, Oxford 1977, S. 91 f. 35

Owen, R., Report ... 1.820, in: Life I A, S. 268.

C. Volkswirtschaftliche Erörterungen

261

Arbeitswerttheorems praktisch durchzusetzen, scheitert 1834 an der im Kern planwirtschaftlichen Komponente der Owenschen Arbeitsbörsen. 2. Mehrwert und Kapital Owen entwickelt bereits 1820 Ansätze einer mindestens teilweise normativen Theorie der Ausbeutung des arbeitenden Menschen. Den Punkt der Ausnutzung lokalisiert er in dem Verkauf der Arbeitskraft unter ihrem eigentlichen natürlichen Wert 3 6 . Owen vertritt mithin einen Gedanken, den Jahrzehnte später Karl Marx in seiner Wert- bzw. Mehrwerttheorie aufgreift 37 . Bewußt oder unbewußt steht Owen in der ideellen Tradition Adam Smiths. Dieser propagierte schon 1776 in seinem Werk ,Wealth of Nations' in der ein oder anderen Weise die Idee des Arbeitswertes: „ I n that original State of things . . . the whole produce of labour belongs to the labourer." 38 Aus der ungleichen Verteüung des Mehrwerts zieht Owen im Vergleich zu Karl Marx jedoch weniger radikale Schlüsse. Owen zufolge soll der Arbeiter einen fairen 4 (angemessenen) Anteil am Mehrwert erhalten. Gleichfalls gilt es, das eingesetzte Kapital entsprechend zu bedienen: „Of this new wealth, so created, the labourer whoproduces it is justly entitled to his fair proportion." 3 9 Owen fordert insoweit eine gewisse Umverteilung, nicht eine Revolution 40 . Damit steht er im Gegensatz auch zu radikaleren zeitgenössischen Denkern, wie beispielsweise Thomas Hodgskin, welche im Kapital lediglich ein Produkt der Arbeit sehen. Diese lehnen in Konsequenz eine volkswirtschaftliche Bedienung des Faktors Kapital ab 4 1 . Owen verwendet sich für eine verbesserte Einkommensverteilung zugunsten benachteiligter Schichten (,Low Income Groups') 42 . Auf diesem Wege erhofft er sich eine Überbrückung allzu großer Klassenunterschiede. Die Schwachstelle der Owenschen Überlegung besteht darin, daß sie keinerlei Angaben macht, wie und auf welche Weise ein adäquater Arbeitnehmeranteil am Mehrwert konkret zu ermitteln ist. Auch das Problem der Gewichtung der Faktoren Arbeit und Kapital und ihrer Verhältnisse zueinander bleibt unerwähnt. Positiv ist hervorzuheben, daß Owen aus volkswirtschaftlicher Sicht die Phänomene richtig anspricht und zutreffende Grundgedanken formuliert.

36

vgl. Pollard, S., Robert Owen as an Economist, S. 29 f. vgl. Hasselmann, E., Am Anfang . . . , S. 26. 38 Smith, A., An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), Neudruck New York 1965, S. 64, synonymer Aussagegehalt auch auf S. 47; s. auch Treble, J. H., The social and economic . .., S. 41. 37

39 40 41 42

Owen, R., Report.. . 1820, in: Life I A, S. 278. s. Treble, J. H., The social and economic . . . , S. 41 f. s. Treble, J. H., ebd. s. Dalton, G., Robert Owen and . . . , S. 210.

262

6. Hauptteil: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze

D. Mitbegründer einer universellen Sozialwissenschaft Owens Ansätze haben ihren Schwerpunkt im sozialwissenschaftlichen Bereich. Weisser zufolge können Gegenstand einer Sozialwissenschaft sein: Beziehungen zwischen Menschen, die eine Gesellschaft bilden; die diese Beziehungen tragenden Ordnungen und sozialen Gebilde, welche dazu bestimmt sind, Zwekken gesellschaftlichen Zusammenwirkens zu dienen; sowie gesellschaftlich vorherrschende Haltungen und ihr Wandel1. Owen selbst spricht in diesem Sinne von ,Science of Society': „ . . . by which to unite individual in society to ensure the prosperity and happiness of each member of it whether young, middle aged or old." 2 Es ist ein Charakteristikum der wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze Owens, daß sie eindeutig sozialwissenschaftlich orientiert sind. Dies erklärt auch, wieso sich Owen beispielsweise nur mit system- und motivationstheoretischen Fragen im Rahmen betriebswirtschaftlicher Erörterung beschäftigt. Es ist Owens Anliegen, die Komponente »Mensch* in wirtschaftswissenschaftliche Überlegungen mit einzubeziehen. Die Bedeutung, die dem sozialwissenschaftlichen Moment zukommt, betont Owen 1857 ausdrücklich: „Social Science, the most important of all sciences, and without which all others are of much less value . . . " 3 Der Abgeordnete Lord Brougham würdigt Owen 1858 in Liverpool als „the father of social science in Great Britain" 4 . Weippert zufolge lassen „einzigartige menschliche Aufgeschlossenheit und Unvoreingenommenheit im Verein mit Unternehmer- und Führungseigenschaften, die um diese Zeit ihresgleichen suchen" 5 , Owen als einen der ersten danach fragen, wie den destruktiven Momenten des ökonomischen Liberalismus und des Laisser-Faire-Prinzips, bei voller Bejahung der industriellen Produktionsweise, begegnet werden kann 6 . In der gesellschaftlichen Sphäre ist die Herstellung menschlicher, gemeinschaftsorientierter Beziehungsverhältnisse (New Lanark, New Harmony), in der ökonomischen Sphäre die Beseitigung der Händlergewinne (Konsumgenossenschaften) sowie der Unternehmergewinne (Produktivgenossenschaften, Labour Exchanges) als Owens sozialwissenschaftliches Postulat zu sehen7. Die für ihre Zeit neue, universelle Wissenschaft der Gesellschaft umfaßt im wesentlichen sechs Elemente, die Owen in seinem Werk ,The Book 1 vgl. Weisser, G., Art.: Sozialwissenschaft, in: Wörterbuch der Soziologie, hrsg. v. W. Bernsdorf, Stuttgart 1969, S. 1059. 2 Owen, R., Manifest of Robert Owen, 29.1.1840 (Co-operative Union Collection, Manchester); s. auch Owen, R., The Book of the New Moral World, Part I I (1842); Simon, H., 1905, S. 264. 3 Owen, R., in: Millenial Gazette, hrsg. v. ders., London 15.11.1857. 4 zitiert bei Greening, E. O., Memories of Robert Owen and the Co-operative Pioneers, Manchester 1925, S. 4. 5 Weippert, G., Art. Owen, S. 143. 6 vgl. ders. ebd. 7 vgl. ders. ebd.

D. Mitbegründer einer universellen Sozialwissenschaft

263

of the New Moral World' formuliert 8 . Sie umfaßt im einzelnen: Die Kenntnis der Natur des Menschen und seiner sozialen Eigenschaften, die Kenntnis der Grundsätze industrieller wie landwirtschaftlicher Produktion nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, die Kenntnis effizienter Güterverteilung, die Kenntnis moderner Erziehungsmethoden (Erziehung statt Politik), die Kenntnis sozial angemessener Regierungsformen sowie die „Vereinigung der verschiedenen Elemente der Wissenschaft von der Gesellschaft zu einem allgemeinen System." 9 Owens Ansatz ist nicht etwa mit anthropologisch-positivistischen Reflexionen, über natürliche Ordnungen 4, zu verwechseln. Owen versucht eher mit teils normativen Aussagen das komplexe sozio-ökonomische Geschehen vereinfachend in seinen Grundelementen und -beziehungen darzustellen. Seine wissenschaftliche Vorgehensweise ist dabei höchst unmethodisch. Hier macht sich vermutlich Owens autodidaktischer Werdegang, seine mangelnde thematische Konsequenz sowie streckenweise propagandistische Zweckbestimmung innerhalb seiner Arbeiten bemerkbar. Unverkennbar ist Owens letzten Endes doch mehr Praktiker als Theoretiker. Auch seine für die damalige Zeit oftmals geradezu unwissenschaftliche Ausdrucksweise sollte jedoch nicht dazu verleiten, den hohen sozialwissenschaftlichen Gehalt seiner Arbeiten gering zu schätzen. Wenngleich Owen bei seinen über die Analyse sozialwirtschaftlicher Zusammenhänge hinausgehenden Schlußfolgerungen teilweise der Gefahr erliegt, seine jeweiligen Konzeptionen weit von den Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts zu entfernen - man denke z.B. nur an Owens strikte Milieuthese, die planwirtschaftlichen Arbeitsbörsen oder auch an seinen Entwurf zur Scheidungsregelung u.ä. - , so erscheint es angesichts der Fülle und Interdisziplinarität sozialwissenschaftlich zutreffend formulierter Erkenntnisse gerechtfertigt, Owen als einen Mitbegründer einer universellen Sozialwissenschaft zu würdigen.

8

9

s. Owen, R., The Book of the New Moral World, Part 1,1836, passim.

Simon, H., 1905, S. 264.

Schlußbetrachtung

Das Spektrum der Owenschen Aktivitäten ist ungewöhnlich breit. Die verschiedenen Denkansätze und Tätigkeitsbereiche seines Wirkens von einander abzugrenzen sowie eine Gewichtung vorzunehmen, ist deshalb mit Schwierigkeiten verbunden. Zum einen lassen sich nur bedingt chronologische Trennungen vornehmen. In der Regel verlaufen, wie oben aufgezeigt, die Aktionsfelder Owens parallel. Zum anderen bedingt der letztlich subjektive Blickwinkel des Betrachters die Schwerpunkte seiner Gesamtbeurteilung mit. Schon zu seinen Lebzeiten ist Owen von Vertretern ganz unterschiedlicher Anschauungen als Vorläufer quasi requiriert 4 worden. Je nachdem, ob mehr ideengeschichtliche oder realgeschichtliche, politische, philosophische oder sozio-ökonomische Interessen im Vordergrund einer Untersuchung stehen, desto unterschiedlicher akzentuiert wird eine Gesamtschau der konzeptionellen Ansatzpunkte und der einzelnen Wirkungsrichtungen Owens ausfallen. Bei aller Problematik der Subjektivität läßt sich aus obiger Abhandlung allerdings, sozusagen als ,verbindend-abwägende' Note, ein dominierendes Element des Owenschen Wirkens herausstellen, welches verdient, gesondert erwähnt zu werden. Wie auch immer die Schwerpunkte des Owenschen Wirkens eingeschätzt werden, sei es nun im betriebswirtschaftlichen, sozialpolitischen, genosschaftlichen, wissenschaftlichen Bereich o.ä., stets gilt es, auf Owens antizipatorisch-impulsgebende Leistungen hinzuweisen. Ganz gleich zu welcher Thematik oder in welcher Periode er sich geäußert hat, stets versteht es Robert Owen meisterhaft, durch persönlichen Einsatz mit den Mitteln der damaligen Medien (vor allem Zeitungsaufsätzen bzw. -anzeigen) auf seine Konzeptionen aufmerksam zu machen. Dem hohen Bekanntheitsgrad seiner Ideen und Aktionen im Europa des 19. Jahrhunderts ist es mit zuzuschreiben, daß Owen die Stellung eines bahnbrechenden Wegbereiters so zahlreicher Gestaltungen des modernen Lebens einnimmt. Die singuläre Bedeutung Owens beruht auf der Tatsache, daß er Leitbilder bzw. Konzeptionen entwirft und Handlungen einleitet, welche über lange Zeiträume auf öffentliches Interesse stoßen. Ob die Resonanz dabei jeweils überwiegend negativer oder positiver Art gewesen ist, spielt in diesem Zusammenhang keine ausschlaggebende Rolle. Entscheidend ist das Faktum, daß aus der langanhaltenden Auseinandersetzung mit Owenschem Gedankengut eigenständige soziale Bewegungen entstehen. Initiiert durch Owen, modifizieren bzw. überschreiten diese Bewegungen vielfach die Owenschen Intentionen und

Schlußbetrachtung

265

Grundkonzeptionen. Als Beispiel sei noch einmal auf die Rochdaler Pioniere und bedingt auch auf Karl Marx und den Marxismus verwiesen. Jene Bewegungen, welche oftmals erst im 20. Jahrhundert zu voller Geltung kommen, sind in der Regel in engem Zusammenhang mit Personen zu betrachten, welche Owensches Gedankengut aufgenommen haben. Robert Owen selbst aber teilt das Schicksal anderer früher Vorläufer später erfolgreicher Konzeptionen: In der historischen und theoretischen Würdigung wird ihm bislang keine adäquate Beurteilung zuteil. Vielleicht vermag die vorliegende Studie dazu beizutragen, diesem Mangel abzuhelfen.

Anhang

Tabellarische Daten: Robert Owen (1771-1858) 1771 1781-89 1789—91 1791—94 1794 1799 1800 1813/14 1817 1820 nach 1820 1825-27 nach 1825 1832 1833 1834 1844-46 1857 1858

Robert Owen geboren, 14. Mai Newtown/Wales kaufmännische Lehre und Arbeit in Stamford, London und Manchester selbständiger Unternehmer, Manchester Unternehmensleiter, Baumwollspinnerei Drinkwater in Manchester Teilhaber, Chorlton Twist Co., Manchester Erwerb der Spinnerei New Lanark/Schottland Heirat mit Ann Caroline Dale Übernahme des Managements in New Lanark (bis 1828) ,A New View of Society' Konzeption der Siedlungsgenossenschaft ,Report to the County of Lanark 4 ,Owenism4 in England Owen in New Harmony/USA erste owenitische Gründungsversuche (Produktivgenossenschaften) ,Labour Exchange4 (Arbeitsbörse) Kampf um Achtstundentag ,New Moral World 4 Owen in USA Autobiographie ,Life 4 Owen stirbt, 17. November Newtown/Wales

Literaturverzeichnis

Manuskript-Sammlungen: Bethmann Archiv (Depositum im Stadtarchiv Frankfurt/M.). Co-operative Union Collection (Holyoake House, Hanover Street, Manchester - über 3.000 handschriftliche Aufzeichnungen, Urkunden, Briefe etc. aus Robert Owens Besitz - bislang unveröffentlicht). Oldknow Papers (John Rylands Library, Deansgate, Manchester - handschriftliche Firmenunterlagen).

Veröffentlichungen, Aufsätze, Zeitschriften: Abraham, K., Die wirtschaftliche Erziehung als internationales Problem, in: Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpolitik 1965, Heidelberg 1965,S. 219— 257. Ackermann, K.-Fr., Art.: Lohnformen, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 4. Aufl., hrsg. v. E. Grochla/W. Wittmann, Stuttgart 1975, Sp. 2531-2549. Adam, K., Erkenntnis durch Versuch und Irrtum, zum achtzigsten Geburtstag von Karl Popper: Kritische Anmerkungen über den kritischen Rationalismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.7.1982, Nr. 168. Address to Mr. Owen by the Inhabitants of New Lanark, 11. Januar 1817, in: Life IA, S. 321-324. Address of the Inhabitants of New Lanark to the London proprietors, 7. Mai 1818, in: Life I A, S. 329-331. Adler-Karlsson, G., Der Kampf gegen die absolute Armut, Frankfurt 1978. Aikin , J., A Description of the Country from Thirty to Forty Miles round Manchester, o.O. 1795. Aiton, J., Mr. Owen's Objections to Christianity and New View of Society and Education, refuted, by a plan Statement of Facts, with a hint to Archibald Hamilton, Edinburgh 1824. Albers, G., Über das Wesen räumlicher Planung, in: Bauwelt, 60. Jg., 12./13. Heft, 1969. Albert, H., Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968.

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