Unternehmer und Politik in Chile: Eine Studie zum politischen Verhalten der Unternehmer und ihrer Verbände 9783968690063

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Unternehmer und Politik in Chile: Eine Studie zum politischen Verhalten der Unternehmer und ihrer Verbände
 9783968690063

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Peter Imbusch

Unternehmer und Politik in Chile

Peter Imbusch

Unternehmer und Politik in Chile Eine Studie zum politischen Verhalten der Unternehmer und ihrer Verbände

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main

1995

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Imbusch, Peter : Unternehmer und Politik in Chile : eine Studie zum politischen Verhalten der Unternehmer und ihrer Verbände / Peter Imbusch. Frankfurt am Main : Vcrvuert, 1995 ISBN 3-89354-066-0

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1995 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany

Inhalt Verzeichnis der Schaubilder und Tabellen

9

Abkürzungsverzeichnis

11

Einleitung

15

I.

Modellfall Chile?

22

II.

Unternehmer als soziale Akteure: Perspektiven und Befunde

35

1.

Handlungsrahmen und Handlungspotential der Unternehmer

35

2. Sichtweisen der chilenischen Unternehmerschaft 2.1. Strukturalistische Studien: Unternehmer als herrschende Klasse 2.2. Unternehmerverbände als konstitutive Einheiten politischen Handelns 2.3. Morphologische Studien 2.4. Die 'neue Unternehmerschaft' 2.5. Die Betriebsebene 2.6. Resümee

47 52 58 66 68

III.

Die politische Entwicklung Chiles und die Unternehmer

69

1.

Von der Unabhängigkeit bis zur Diktatur

69

2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

Die Pinochet-Diktatur Institutionalisierung und Konsolidierung des Militärregimes Phasen der Militärdiktatur Die Politik der 'Modernisierungen' und der 'Reformen' Transitionsprozeß und Rolle der Opposition Plebiszit und Wahlen

90 91 101 102 116 121

3.

Die Hinterlassenschaften des Pinochet-Regimes

123

4. 4.1. 4.2. 4.3.

Die Die Die Zur

Rückkehr zur Demokratie und die Regierungszeit Aylwin politischen Rahmenbedingungen der Regierung Ayhvin Reformpolitik der Concertaciön politischen Kultur des demokratischen Chile

43 44

128 128 130 136

5

IV.

Die sozioökonomische Entwicklung Chiles und die Unternehmerschaft

142

1.

Zur historischen Entwicklung Chiles bis 1970

142

2.

Die Zeit der Unidad Popular

152

3. Die Pinochet-Diktatur 3.1. Etappen der Wirtschaftspolitik und der wirtschaftlichen Entwicklung 3.2. Resultate der verfolgten Politik 3.3. Die Folgen des monetaristischen Modells

155

Die politische Ökonomie der Demokratie 4. 4.1. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen der Regierung Aylwin 4.2. Wirtschaftspolitik und Reformen 4.3. Die Resultate der Wirtschaftspolitik

202

V.

Organisationsstrukturen und Geschichte der Unternehmerverbände

1. Die Organisationsstruktur der chilenischen Unternehmerschaft 1.1. Die Confederación de la Producción y del Comercio (COPROCO) 1.2. Der Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio (CPTC) 1.3. Resümee 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.

VI.

Anmerkungen zur Geschichte der Verbände und ihrer Rolle im Entwicklungsprozeß Die Sociedad Nacional de la Agricultura (SNA) Die Sociedad de Fomento Fabril (SOFOFA) Die Confederación de la Producción y del Comercio (COPROCO) Warum konnten die Unternehmer ihre Interessen nicht effektiv verteidigen?

156 166 182

202 205 209

213 213 216 225 229 232 232 242 253 255

Das politische Verhalten der Unternehmerverbände in der Ära Pinochet (1973-1990)

260

1.

Einleitung

260

2.

Die Unternehmer in der Phase des 'nationalen Wiederaufbaus' (1973-1975)

261

6

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.

Die Phase der Umsetzung des neoliberalen Modells und des nachfolgenden Wirtschaftsbooms (1975-1981) Der Aufstieg der Chicago Boys und die Durchsetzung einer neuen dominanten Unternehmerkoalition Die Unternehmer und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung Die Rolle der Industrieverbände Die Rolle der Agrarverbände Die Verbände des Finanz-und Dienstleistungssektors Die Haltung der Verbände zu politischen Entwicklungen

Die Unternehmer und die Krise des Wirtschaftsmodells (1981-1983) 4.1. Der Höhepunkt der Proteste der kleinen und mittleren Unternehmer 4.2. Das Ende der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition und die Formierung einer pragmatisch neoliberalen Koalition unter Führung der COPROCO

274 276 286 297 304 319 324

4.

5. Die Rolle der Unternehmerverbände in der Zeit 1983-1989/90 5.1. Die Konsolidierung der pragmatisch neoliberalen Unternehmerkoalition und die Rolle der Verbände 5.2. Zum politisch-ideologischen Verhalten der Verbände 5.3. Die Unternehmer in der Kampagne um das Plebiszit und in der postplebiszitären Phase

327 331

337 350 351 363 378

VII. Unternehmerverbände und demokratische Regierung (1990-1993)

391

1.

Einführende Bemerkungen

391

2.

Der Konzertierungsprozeß

399

3.

Die Anpassungspolitik von 1990

406

4.

Die Steuerreform

410

5.

Die Reform der Arbeitsgesetzgebung

418

6. 7.

Die Frage weitergehender Privatisierungen von Staatsunternehmen Die Beziehungen zwischen Unternchmcrverbänden und demokratischer Regierung

428 434

VIII. Synthese zu Kernfragen des Verhältnisses von Unternehmern und Politik

446

IX.

458

Bibliographie

7

Verzeichnis der Schaubilder und Tabellen Schaubild 1: Schaubild 2: Schaubild 3: Schaubild 4: Schaubild 5: Schaubild 6: Schaubild 7: Schaubild 8: Schaubild 9: Schaubild 10: Schaubild 11: Schaubild 12: Schaubild 13: Schaubild 14: Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8:

Genealogie der größeren politischen Parteien Chiles bis 1970 Die Verflechtung von Pinochet-Regime und Privatwirtschaft Die Entwicklung der größeren politischen Parteien Chiles seit Anfang der 80er Jahre Grundlegende Strukturreformen der chilenischen Ökonomie in den 70er Jahren Organigramm der Confederación de la Producción y del Comercio Organigramm des Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio Typologie der Unternehmerverbände nach Organisationskriterien Die Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Macht in den Jahren 1975-1982 Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SOFOFA 1975-1977 Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SNA 1973-1977 Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SOFOFA 1978-1980 Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SNA 1978-1980 Die Verflechtung von wirtschaftlicher und politischer Macht in den Jahren 1983-1988 Konspekt zu Regimetypen, Wirtschaft, Politik und Unternehmern in Chile 1970-1993 Ergebnisse der chilenischen Präsidentschaftswahlen 1952-1970 Wachstum des BSP und ausgewählter Sektoren 1970-1989 Anteil der Wirtschaftssektoren am BSP 1970-1990 in % Überblick über verschiedene Wirtschaftsindikatoren 1970-1989 Durchschnittswerte einiger Wachstumsindikatoren nach Regierungsperioden in % Veränderung der Besitzstrukturen in der Landwirtschaft Exportstruktur Chiles: Beiträge der Wirtschaftssektoren zum Export in % Verteilung der erwerbstätigen Bevölkerung nach Sektoren in 1000 und in %

80 96 118 165 216 226 232 283 291 292 294 295 355 452 82 167 168 169 170 175 178 180

9

Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24:

10

Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Reallöhnen 1970 bis 1989 Die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen der grupos anhand der 250 größten Unternehmen des Landes 1978 Die Kontrolle der Aktiengesellschaften an der Börse durch die grupos 1980 Die größten Aktionäre der privatisierten Banken 1978 Entwicklung der Ziele und Resultate der Privatisierung öffentlicher Unternehmen Privatisierung der öffentlichen Unternehmen 1985-1987 und Verkaufsanteile in % Die Entwicklung der chilenischen Auslandsverschuldung in Mio. US-$ IWF-Vorgaben und reale wirtschaftliche Entwicklung in Chile 1983-1987 Die Verteilung des privaten Konsums im Großraum Santiago 1969-1988 in % Armut und extreme Armut in Chile und Santiago in % Haushalte und Bevölkerung in städtischen und ländlichen Zonen unter der Armutsgrenze 1987 in % der jeweiligen Gesamtheit Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung 1990-1993 Die Einkommensverteilung in Chile 1988 bis 1992 Mitgliederzahl und Einflußbereich der Verbände der COPROCO Mitgliederzahlen und Einflußbereich des CPTC Unterschiede von COPROCO und Regierung im Reaktivierungsprogramm 1983

181 184 185 186 190 192 195 198 200 201 202 209 212 225 228 348

Abkürzungsverzeichnis ABIF AD AFP AICO AILA AMPICH AN ANPT APA APS ASEXMA ASIMET ASINCAL ASIPLA BHC BIP BSP CANACO CAS CCC CDT CEAL CED CEP CEPAL CES CFF CIAGA CIC CICYP CIEPLAN CLACSO CLAMPI

Asociación de Bancos e Instituciones Financieras Alianza Democrática Administradoras de Fondos de Pensiones Asociación Iberoamericana de Cámaras de Comercio Asociación de Industriales Latinoamericanos Asociación de la Mediana y Pequeña Industria de Chile Avanzada Nacional Asociación Nacional de Productores de Trigo Asociación de Productores de Arroz Area de Propiedad Social Asociación de Exportadores de Manufactureras Asociación de Industriales Metalúrgicos Asociación de Industriales de Calzados Asociación de Industriales de Plásticos Banco Hipotecario de Chile Bruttoinlandsprodukt Bruttosozialprodukt Cámara Nacional de Comercio Consorcio de Sociedades Agrícolas del Sur Cámara Chilena de la Construcción Central Democrática de Trabajadores Consejo Empresarial de América Latina Centro de Estudios del Desarrollo Centro de Estudios Públicos Comisión Económica para América Latina Consejo Económico Social Compensatory Financing Facility Confederación Interamericana de Ganaderos Consejo Interamericano de Comerciantes Consejo Interamericano de Comercio y Producción Corporación de Investigaciones Económicas para Latinoamérica Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales Confederación Latinoamericana y del Caribe de la Pequeña y Mediana Industria CMPC Compañía Manufacturera de Papeles y Cartones CMT Confederación Multigremial del Trabajo CNI Central Nacional de Informaciones CNS Coordinadora Nacional Sindical CNT Comando Nacional de Trabajadores CODECO Consejo de Desarrollo Comunal CODELCO Corporación del Cobre CONSEMACH Confederación Nacional de Sindicatos de Empleadores Agrícolas de Chile CONUPIA Confederación Nacional Unida de la Mediana y Pequeña Industria, Servicios y Artesanado 11

COPROCO CORA COREDES CORFO CPA CPME CPTC CRAV CUPROCH CUT CUTCH D.L. DINA DR ECA ENADE ENAGRO FENATACH FISA FLACSO FONASA FOSIS FPMR FRAP FRENAP GIA HRB IC ICARE IDB ILD ILET INDAP INE ISAPRE IWF MAPU Mercosur MIDEPLAN MIR O.I.T. ODEPA ODEPLAN PAC PADENA PAIS PC 12

Confederación de la Producción y del Comercio Corporación de Reforma Agraria Consejo Regional de Desarrollo Corporación de Fomento de la Producción Confederación de Productores Agrícolas Confederación de la Pequeña y Mediana Empresa Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio Compañía Refinadora de Azúcar de Viña del Mar Confederación Unica de Profesionales de Chile Central Unica de Trabajadores Central Unica de Trabajadores de Chile Decreto Ley Dirección Nacional de Inteligencia Democracia Radical Empresa de Comercio Agrícola Encuentro Nacional de la Empresa Encuentro Nacional Agrario Federación Nacional de Sindicatos de Taxistas Independientes de Chile Feria Internacional de Santiago Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales Fondo Nacional de Salud Fondo de Solidaridad e Inversión Social Frente Patriótico Manuel Rodríguez Frente de Acción Popular Frente Nacional de Actividad Privada Grupo de Investigación Agraria Hectar de Riego Básico Izquierda Cristiana Instituto Chileno de Administración Racional de Empresas Interamerican Development Bank Instituto Libertad y Desarrollo Instituto Latinoamericano de Estudios Transnacionales Instituto de Desarrollo Agropecuario Instituto Nacional de Estadística Instituciones de Salud Previsional Internationaler Wáhrungsfond Movimiento de Acción Popular Unitaria Mercado Común del Sur Ministerio de Planificación Movimiento de Izquierda Revolucionario Oficina Internacional de Trabajo Oficina de Planificación Agrícola Oñcina de Planeamiento Partido Alianza de Centro Partido Democrático Nacional Partido Allendista de la Izquierda Socialista Partido Comunista

PDC PET PH PN PPD PR PREALC PRIES PRSD PS PSD RN SDR SERMENA SLAMP SNA SNS SNSS SOFOFA SONAMI U.F. UCC UDI UDT UIAPME UP

Partido Demócrata Cristiano Programa de Economía del Trabajo Partido Humanista Partido Nacional Partido por la Democracia Partido Radical Programa Regional de Empleo para América Latina y del Caribe Programa Regional de Investigaciones Económicas y Sociales del Cono Sur Partido Radical Socialista Democrático Partido Socialista Partido Social Demócrata Renovación Nacional Special Drawing Rights Servicio Médico Nacional Sociedad Latinoamericana de la Pequeña y Mediana Empresa Sociedad Nacional de Agricultura Servicio Nacional de Salud Servicio Nacional de Sistemas de Salud Sociedad de Fomento Fabril Sociedad Nacional de Minería Unidades de Fomento Unión del Centro-Centro Unión Democrática Independiente Unión Democrática de Trabajadores Unión Internacional de la Artesanía, Pequeñas y Medianas Empresas Unidad Popular

13

Einleitung Unternehmer sind in allen marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaften zentrale Akteure - sei es als Einzelpersönlichkeiten, sei es über ihre Unternehmen, sei es über die Unternehmerverbände. Sie stellen in vielerlei Hinsicht eine strukturell privilegierte Minderheit dar, deren Machtpotential sich zunächst aus der Bedeutung ihres Besitzes oder der Verfügungsgewalt über ökonomische Ressourcen ergibt, sich aber keineswegs darin erschöpft. Neben diesem spezifischen ökonomischen Kapital wäre noch auf die Bedeutung der Ausstattung mit ' Bildungskapital 1 und 'sozialem Kapital' hinzuweisen (Bourdieu), die im Verbund die Handlungsdispositionen der Unternehmer strukturieren. Die den Unternehmern zukommende Schlüsselposition in Entwicklungsprozessen hat sich bis vor kurzem allerdings nicht in einer entsprechenden Forschungstätigkeit über diese gesellschaftliche Gruppe niedergeschlagen. Die Schwerpunkte von Untersuchungen sozialer Akteure in Entwicklungsprozessen lagen - zumindest, was Lateinamerika betrifft - auf den Marginalen bzw. dem informellen Sektor, der Bauern- und in geringerem Umfang auch der Arbeiterbewegung, den Militärs, teilweise noch den Mittelschichten, die aber bereits im Vergleich zu den vorher genannten Gruppierungen erheblich weniger Aufmerksamkeit erhielten. Trotz einer Vielzahl von möglichen Ansatzpunkten für interessante Forschungsarbeiten sind die Unternehmer als soziale Kategorie weitgehend vernachlässigt worden. Dies hat sich erst seit Mitte der 80er Jahre tendenziell geändert, insofern seit dieser Zeit zumindest in Lateinamerika eine intensivere Beschäftigung mit den Unternehmern einsetzte, die auch deren politisches Verhalten bzw. die Rolle ihrer Verbände, ihre Einflußmöglichkeiten und ihre reale Einflußnahme berücksichtigt. Im deutschsprachigen Raum ist eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Unternehmer(verbände)n allerdings eher selten und die Ausnahme geblieben. In gängigen Lexika zu Lateinamerika finden sich unter Stichworten wie 'Machtfaktoren', 'Machtbeziehungen', 'Macht-und Sozialstruktur', 'Interessenverbände', 'Machterhalt und Machterwerb 1 eine Vielzahl von Hinweisen darauf, daß in allen lateinamerikanischen Staaten den Unternehmern und ihren Interessenverbänden "großer politischer Einfluß" oder "beträchtliche Macht" zukommt, die dann allerdings nicht in einer Prozeßanalyse verifiziert wird oder sich in den sonstigen Ausführungen niederschlagen würde, so daß derartige Aussagen eher als nachdenkenswertes Diktum stehenbleiben. Im Politischen Lexikon Lateinamerika 1 finden P. Waldmann/H.W. Krumwicde (Hrsg.), Politisches Lexikon Lateinamerika, München, 1992. Die nachfolgenden Zahlen in den Klammern beziehen sich auf die Seitenzahlen dieses Buches.

15

sich z.B. Feststellungen wie die folgenden: "Die brasilianischen Eliten sind mehrheitlich auf Exklusivität ihrer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Macht bedacht."(71) In Costa Rica stehen "der relativen Machtlosigkeit der Gewerkschaften ... die Interessenverbände der Wirtschaft gegenüber, deren Einfluß in der Regierung, in den Massenmedien und in den autonomen Einrichtungen beträchtlich ist. "(95) In bezug auf Ecuador heißt es dort: "Die großen Wirtschaftsverbände haben traditionell einen bestimmenden Einfluß auf die Politik. Sie konnten gegenüber Militär- oder Zivilregierungen, die eine Umverteilung des Besitzes ankündigten, stets durchsetzen, daß die geplanten Reformen verwässert oder ganz aufgegeben wurden. Soweit sie sich mit einer Regierung nicht auf dem Verhandlungsweg einigen konnten, arbeiteten sie mit Erfolg auf deren Sturz hin. "(118) "Der Unternehmenssektor in Guatemala) weist einen hohen Organisationsgrad auf. Seine im Dachverband CACIF (Comité Coordinador de Asociaciones y Cámaras Agricolas, Industriales y Financieras) zusammengeschlossenen Verbände werden vom Militär und den Regierungen indirekt als Koalitionspartner respektiert und verfügen heute über mehr politischen Einfluß als die Rechtsparteien. "(149) In Kolumbien haben es "die Oberschichten verstanden ihren sozialen Status zu wahren, ja zum Teil auszubauen ... In den beiden Traditionsparteien gibt die soziale Elite politisch den Ton an. Unternehmer und Unternehmerverbände waren mit beiden Parteien immer eng verbunden. Die kolumbianische politische Elite hat sich traditionell durch ein geringes Maß an sozialer Offenheit ausgezeichnet."(194) "Für die par(aguayische) Elite ist eine Verschränkung militärischer, politischer und ökonomischer Macht kennzeichnend. Der Staatsapparat wurde immer als Patronageinstrument benutzt."(258) "In V(enezuela) nimmt traditionell die Handels- und Finanzbourgeoisie eine führende gesellschaftliche und politische Stellung ein. Während sie früher mit den alten Großgrundbesitzern die nationale Oberschicht bildete, erwuchs ihr in neuerer Zeit in der Industrieunternehmerschaft und der staatlichen Technokrate ein gewichtiger Partner und Konkurrent ... Ungeachtet (ihres) heterogenen Ursprungs sowie gelegentlicher Divergenzen besitzen die verschiedenen Gruppen der sozio-ökonomischen Oberschicht feste gegenseitige Bindungen. "(320) Und bezüglich des Falls Chile steht dort über die Interessenverbände der Wirtschaft geschrieben: "Hervorzuheben sind die Nationale Gesellschaft der Landwirtschaft (Sociedad Nacional de Agricultura, SNA) und die Gesellschaft zur Förderung der Industrie (Sociedad de Fomento Fabril, SOFOFA). Beide üben großen politischen Einfluß aus, unabhängig vom politischen Regime."(84) Angesichts derartiger Feststellungen ist es verwunderlich, daß dem offenbar engen Beziehungsgeflecht zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht bislang so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde und die Einflußmechanismen und -Strategien der Unternehmer in Lateinamerika nach wie vor eher einen blinden Fleck darstellen.

16

Den Unternehmern kommt aber auch in anderer Hinsicht als 'neuer' Untersuchungsgegenstand Gewicht zu. Mit der Erschöpfung der alten Importsubstitutionsstrategie, der Wirtschaftskrise der 80er Jahre und der wirtschaftspolitischen Umorientierung hin zu neoliberalen Entwicklungsstrategien kam es gleichzeitig zu einem Bedeutungszuwachs unternehmerischen Handelns, damit der Unternehmer und ihrer Verbände. Die in fast allen Ländern des Subkontinents früher oder später eingeleiteten marktorientierten Reformen mit der Liberalisierung und Deregulierung der Ökonomie machten sie zu zentralen (auch politischen) Akteuren und Protagonisten des Wirtschaftsprozesses in dem Maße, wie die Gewerkschaften geschwächt und Staatsaktivitäten zurückgedrängt wurden. Die Rolle und Bedeutung eines auf Expansion bedachten, zum Weltmarkt gerichteten, konkurrenzfähigen Unternehmertums ist den neuen Wirtschaftsdoktrinen zentral, und Ideologien, die auf Individualismus und Konkurrenzdenken setzen, haben gegenwärtig (nicht nur in Lateinamerika) die Oberhand gewonnen. Damit geht in der konkreten Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik eine explizite Stärkung und Unterstützung der Unternehmerschaft einher, die diese soziale Gruppe gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen stark privilegiert und sie als bevorzugten Kooperations- und Gesprächspartner betrachtet. Generell gewinnt die Untersuchung unternehmerischen politischen Handelns auch vor dem Hintergrund der in den 80er Jahren stattfindenden Transitionsprozesse zur Demokratie in Lateinamerika zusätzliche Bedeutung. Eine Vielzahl von Autoren der sog. 'Transitionsforschung' 2 hat auf die Rolle und das Gewicht der Unternehmer nicht nur im konkreten Übergangsprozeß von autoritären Herrschaftsformen zu zivil-demokratischen Regimen hingewiesen, sondern auch ihre Bedeutung für die Konsolidierung der neuen Demokratien hervorgehoben. Ein Trend dieser Analysen kann vielleicht dahingehend zusammengefaßt werden, daß ohne eine effektive Einbindung und die Eröffnung von Partizipationskanälen für die Unternehmerschaft, die zumindest deren grundlegende Interessen absichert, an eine langfristige Konsolidierung der Demokratie in den Staaten Lateinamerikas kaum zu denken ist. Damit ist auch das weitergehende Verhältnis der Unternehmer zur Demokratie angesprochen. Nach einer Vielzahl von Putscherfahrungen in der jüngeren Vergangenheit des Kontinents, an denen Unternehmer regelmäßig aktiv vorbereitend oder ausführend beteiligt waren, geht es insbesondere um die Klärung der Frage, ob die Unternehmer heute lediglich ein 'taktisches Verhältnis' zur Demokratie haben und diese im Falle einer Respektierung ihrer grundlegenden (und darüber hinausgehenden) Interessen 'tolerieren' oder Demokratie als 'Wert an sich' verstehen, den es auch im Fall einer gegen ihre Interessen gerichteten Politik zu erhalten gilt. Damit Siehe als Uberblick statt vieler D. Nohlen/B. Thibaut, Transitionsforschung zu Lateinamerika. Ansätze, Konzepte, Thesen, in: W. Merkel (Hrsg.), Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzeptionen der Transitionsforschung, Opladen, 1994, S. 195-228.

17

könnte auch eine Aussage von Mols überprüft werden, der betonte: "Es spricht einiges daiür, daß die Unternehmerschaft in nicht wenigen Fällen die soziale Situation Lateinamerikas bzw. die ihrer Mitbürger gar nicht begriffen hat ... Den meisten Unternehmern dürfte es gleichgültig sein, unter welchem Regime sie leben. Der Staat hat fíir 'law and order', hier zu übersetzen mit optimalen wirtschaftlichen Entfaltungsbedingungen, zu sorgen. " 3 Die Untersuchung des politischen Verhaltens der Unternehmer und ihrer Verbände gewinnt im konkreten chilenischen Fall durch eine Reihe von Faktoren zusätzliche Bedeutung. Zum einen herrscht hier eine Sichtweise vor, die Politik und Wirtschaft in der Regel strikt auseinanderdividiert und sie als zwei getrennte Sphären begreift. In bezug auf die Pinochet-Diktatur heben derartige Argumentationen auf die hohe Autonomie und Verselbständigung des Staates ab und weisen auf den extremen Personalisierungsgrad der Macht in den Händen von General Pinochet hin. Die Politik sei von einer technokratischen Equipe (den Chicago Boys) ausgeführt worden, die nur über geringe Bindungen zu traditionellen Machtgruppen verfügt hätten. Entsprechend seien die Unternehmer wie auch andere gesellschaftliche Gruppen von der Macht femgehalten und von politischer Partizipation ausgeschlossen worden. Ihr direkter Einfluß auf die Militärregierung sei also gering gewesen, wenn auch zugestanden wird, daß die Unternehmer zu den Unterstützem des Pinochet-Regimes gehört hätten. Diese Sichtweise wird auch von den Unternehmerverbänden geteilt. In einer Reihe von Interviews mit Verbandsführern 4 wurde u.a. die Frage gestellt, ob die Unternehmer mehr Vertrauen in die Politik hätten, wenn die Minister oder gar der Präsident des Landes aus ihren eigenen Reihen stammten. Die Reaktionen auf diese Frage waren vor dem Hintergrund der chilenischen Entwicklung bezeichnend: Entweder wurde der Tatbestand, daß Unternehmer etwas mit Politik überhaupt zu tun haben könnten, gänzlich geleugnet oder betont, daß dies so selten der Fall gewesen sei, daß darüber eigentlich keine Aussagen möglich seien; oder es wurde die Meinung vertreten, wenn dies ausnahmsweise der Fall wäre, es nicht gut sei, wenn Unternehmer Politik machten und diese sich lieber auf die Wirtschaft konzentrieren sollten. Ein besonderer Vertrauensvorschuß bestünde angeblich nicht. Zum anderen gewinnt die Untersuchung der Unternehmer im chilenischen Fall noch eine besondere Revelanz insofern, als jene jahrzehntelang als eine wenig dynamische, auf Besitzstandswahrung erpichte Schicht angesehen wurden, die eine stark etatistische Orientierung aufwies, ihre Aktivitäten entsprechend stärker auf Pfründensicherung und Erlangung von Subsidien ausgerichtet waren denn auf innovative Investitionen, eher auf Marktabschottung denn auf Markterweiterung bzw. 3 4

18

M. Mols, Demokratie in Lateinamerika, Stuttgart, 1985, S. 104. Der Autor hielt sich 1991 und 1992 zu einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Chile auf, in dessen Rahmen die Interviews durchgeführt wurden.

eroberung. Insgesamt erschienen sie als eine reaktionäre und für soziale Probleme wenig sensible Klasse. Dieses Bild unterlag während der Diktatur einem beträchtlichen Wandel, so daß die Unternehmer heute sowohl im Hinblick auf ihr Selbstbild als auch ihre Fremdperzeption als eine überaus dynamische, moderne soziale Schicht erscheinen, die eine positive Selbstreferenz mit Weltoffenheit und sozialer Sensibilität, demokratischem Bewußtsein und hoher Innovationsfreudigkeit selbstbewußt nach außen tragen. Die 'neuen' Unternehmer seien der Motor des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses und des Fortschritts. Dieses von den Unternehmerverbänden selbst mit Nachdruck verbreitete Bild gewinnt schließlich nicht zuletzt seine Bedeutung vor dem Hintergrund der Diskussion um den 'Modellfair Chile, wie sie seit einiger Zeit nicht nur in akademischen Zirkeln und in der Tagespresse geführt wird. Auch westliche Regierungen und halboffizielle Institutionen preisen Chile als 'Modellfair. Insbesondere Wirtschaftsgazetten werden nicht müde, das Außergewöhnliche und Nachahmenswerte des 'Modells' Chile für andere Staaten Lateinamerikas und über den Kontinent hinaus zu betonen. Die angeblich vorbildlichen Züge der Wirtschaft werden in der Regel auch als Ausfluß oder Folge eines schumpeterianisch ausgerichteten Unternehmertums betrachtet und gelten ihren Befürwortern gemeinhin wenn nicht als Beweis für die grundsätzliche Überlegenheit marktwirtschaftlicher Verkehrsformen (mit der freien Entfaltung des Individuums und privatwirtschaftlicher Eigentumsbildung als Grundlage von Freiheit überhaupt), so doch zumindest als Widerlegung der häufig von Kritikern kolportierten These eines tendenziellen Ausschließlichkeitsverhältnisses von freier Marktwirtschaft auf Basis radikaler Marktderegulierung samt Weltmarktintegration und sozialen Verbesserungen für die Bevölkerungsmehrheit. Im Zentrum der Debatte steht hier die Frage der Gegensätzlichkeit oder Vereinbarkeit von Neoliberalismus und sozialer Demokratie. Damit ist eine ausführlichere Untersuchung des politischen Verhaltens der Unternehmer und ihrer Verbände, ihrer Rolle und Einflußmöglichkeiten sowie realer Einflußnahme vor dem Hintergrund der politischen und sozioökonomischen Entwicklung des Landes eine überaus reizvolle Aufgabe. ***

Das vorliegende Buch versucht, verschiedene Aspekte des politischen Verhaltens und der Rolle von Unternehmerverbänden in Chile zu umspannen. Die ersten beiden Kapitel führen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in die Thematik ein. In Kapitel I geht es um die Diskussion um den 'Modellfall' Chile. Hier werden die konträren Positionen bezüglich des Erfolgs oder Mißerfolgs des neuen chilenischen Entwicklungsmodells kurz vorgestellt und Begründungszusammenhänge erläutert. In Kapitel II werden verschiedene theoretische Ansätze zur Analyse der chileni-

19

sehen Unternehmerschaft vorgestellt und deren Ergebnisse resümiert und kritisch diskutiert. Vorangestellt sind dem einige Ausführungen zum allgemeinen Handlungsrahmen und Handlungspotential der Unternehmer. Es kann als spezielle Einführung in die Thematik gelesen werden, welche diverse Facetten des Themas Unternehmer und Unternehmerverbände beleuchtet, ohne inhaltlich allzuweit vorauszugreifen. Das III. und IV. Kapitel stellen den politischen und sozioökonomischen Hintergrund für die nachfolgenden Kapitel dar, wobei der Schwerpunkt der Analyse jeweils auf den 70er und 80er Jahren liegt. In Kapitel m wird zunächst ein Überblick über die politisch-historische Entwicklung Chiles bis 1973 und sodann ausführlicher über die politischen Veränderungen unter der Pinochet-Diktatur und in der Regierungszeit Patricio Aylwins gegeben. Entsprechend wird in Kapitel IV für den sozioökonomischen Entwicklungsprozeß verfahren, wobei der Schwerpunkt hier erneut auf der Zeitperiode der Diktatur und den dort stattfindenden Veränderungen und Umstrukturierungen liegt, aber auch noch die Aylwin-Regierung einschließt. In beiden Kapiteln wird jeweils auf die Unternehmer Bezug genommen, ohne daß diese bereits selbst im Mittelpunkt ständen. In den Kapiteln V, VI und VII stehen schließlich die Unternehmer und ihre Verbände im Zentrum der Analyse. Das Kapitel V behandelt zum einen die Organisationsstrukturen der großen und der kleinen bzw. mittleren Unternehmer, ihre Verbände, die jeweiligen Mitgliederzahlen und ideologischen Orientierungen; zum anderen liefert es einen Überblick über die Geschichte der beiden bedeutendsten Mitgliedsverbände der Confederación de la Producción y del Comercio (COPROCO), der Sociedad de Fomento Fabril (SOFOFA - Industrielle) und der Sociedad Nacional de Agricultura (SNA - Agrarier), sowie der COPROCO selbst und zeigt ihre Verflechtungen mit dem Staat, die Mechanismen der Einflußnahme und Machtausübung und die sich bis Anfang der 70er Jahre ergebenden Kontroversen und Dispute mit der Regierung auf. Es endet mit dem Sturz der Regierung Allende 1973 und einem Resümee über die Ursachen der mangelnden Kapazität der Unternehmer, ihre Interessen innerhalb der parlamentarisch-demokratischen Ordnung effektiv zu verteidigen. Die Kapitel VI und VII bilden mit einer Prozeßanalyse den Schwerpunkt der vorliegenden Studie. In Kapitel VI, welches inhaltlich an das V. Kapitel anschließt, wird das politische Verhalten der Unternehmer, die Rolle ihrer Verbände und die Bedeutung der grupos económicos während des Pinochet-Regimes analysiert. Dabei wird argumentiert, daß nach dem Sturz der Allende-Regierung unter wesentlicher Beteiligung der Unternehmer in den einzelnen Etappen der Diktatur (1973-75, 1975-81, 1982-83, 1983-89) jeweils unterschiedliche Unternehmerkoalitionen die chilenische Politik bestimmt haben. Es wird differenziert zwischen der nahezu bedingungslosen politischen Unterstützung der Diktatur, die sich auf alle Verbände 20

erstreckte, und einer kritischeren Haltung von Teilen der Unternehmerschaft in bezug auf die wirtschaftlichen Umgestaltungen und die verfolgte Wirtschaftspolitik. Dabei wird auch auf die konfliktiven Punkte sowohl zwischen Unternehmern und Staat wie auch innerhalb der Unternehmerschaft eingegangen. Das Kapitel VII beleuchtet schließlich das politische Verhalten und die Rolle der Untemehmer(verbände) unter der demokratisch legitimierten Regierung Aylwin. Es hebt insbesondere auf kontroverse Punkte wie den Konzertierungsprozeß, die Reform der Arbeitsgesetzgebung, die Steuerreform und das generelle Verhältnis der Unternehmer zur neuen Regierung ab. Die Studie endet schließlich mit einer Synthese zum Verhältnis von Unternehmern und Politik in Chile (Kapitel VIII), welche wichtige Aspekte der Untersuchung nochmal resümiert. ***

Die vorliegende Untersuchung ist Teil eines umfassenderen, komparativ angelegten Forschungsprojekts zur politischen Rolle und zum politischen Verhalten von Unternehmerverbänden im Cono Sur, welches in den Jahren 1991-1994 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Projekt finanziell gefördert und am Institut für Politikwissenschaft der Universität Mainz durchgeführt wurde. Der DFG sei an dieser Stelle für die Förderung herzlich gedankt, ebenso wie der Mainzer Projektgruppe, die durch Kritik und Anregungen dazu beigetragen hat, das ursprüngliche Manuskript zu verbessern. Dank gebührt auch den Repräsentanten und Vertretern einer ganzen Reihe von chilenischen Unternehmerverbänden (COPROCO, SOFOFA, SNA, ASIMET, ASEXMA, Instituto Textil, CONUPIA, AMPICH, CAS, CPA, Deutsch-Chilenische Handelskammer), die während einer längeren Feldforschungsphase des Autors Verbandsmaterialien, Informationsbroschüren und nützliche Dokumente bereitgestellt haben und für Interviews zur Verfügung standen. Nicht zuletzt müssen auch die anregenden Interviews und Diskussionen mit denjenigen Personen erwähnt werden, die in Chile selbst in der ein oder anderen Weise über die Unternehmer geforscht haben: Oscar Muñoz und Cecilia Montero von CIEPLAN; Malva Espinosa, Lais Abramo und Guillermo Campero von ILET; Alvaro Díaz von SUR; Patricio Rozas und Gustavo Marín von PRIES sowie Leoncio Flavio Rojas von der Universidad de Chile. Darüber hinaus waren Kontakte zum FLACSO, zum Wirtschafts-, Agrar- und Arbeitsministerium sowie zur Friedrich-Ebert-Stiftung (Elmar Römpczyk) und zur Konrad-Adenauer-Stiftung (Wilhelm Hofmeister) wichtig, durch die manche Hürde überwunden werden konnte.

21

I.

Modellfall Chile?

Kein anderes Land Lateinamerikas hat Sozialwissenschaftler wohl über so lange Zeit beschäftigt - und dabei politisiert wie auch polarisiert - wie Chile. Seit Anfang/Mitte der 60er Jahre steht es nicht nur bei Lateinamerikaforschern ganz oben auf der Agenda, sondern auch bei Intellektuellen unterschiedlicher politischer und wissenschaftlicher Provenienz. Es hatte zudem auch beträchtliche Ausstrahlungskraft im außeruniversitären Bereich. Dem Land wurde fast immer auf die ein oder andere Weise 'Modell'-Charakter bescheinigt, obwohl es eher als 'soziales Laboratorium' für die verschiedensten politischen Ideen fungierte. Am wenigsten strittig ist der Modellcharakter für die lange Periode von in Lateinamerika weithin exzeptioneller 'demokratischer Stabilität', die dem Land im Prinzip seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie (fast) ohne Diktaturen und Staatsstreiche brachte. Modellzuweisungen traten erstmals bewußt mit dem 'Neuen Chile' (Chile Nuevo) des Diktators Carlos Ibáñez Mitte der 20er Jahre dieses Jahrhunderts auf. In den 60er Jahren wurde Chile dann im Rahmen der 'Allianz für den Fortschritt' Modell für den Versuch einer strukturellen Reform der chilenischen Gesellschaft unter der christdemokratischen Regierung Frei. Die 'Revolution in Freiheit' (Revolución en Libertad) sollte Schlüsselprobleme der chilenischen Gesellschaft und Ökonomie beseitigen und wurde von Seiten der westlichen Welt als Paradebeispiel einer Alternative zur 'Kubanischen Revolution' präsentiert. Modellcharakter wurde dem Land von anderer Seite während der Allende-Zeit zugesprochen. Der Versuch, auf friedlichem Weg zum Sozialismus (Vía Chilena al Socialismo) zu gelangen, blieb bis heute einmalig. Das chilenische 'Modell' hatte damals große Ausstrahlungskraft nicht nur auf andere Länder der 'Dritten Welt', sondern auch auf eine ganze Generation von Studenten. Es wurde von der Studentenbewegung als sozialistische Transformationsstrategie gesehen, die ihren Platz als 'dritten Weg' neben dem chinesischen und sowjetischen Weg verdiente. Die Etablierung der autoritären und äußerst repressiven Pinochet-Diktatur Anfang der 70er Jahre bildete eine tiefe Zäsur in der Geschichte des Landes und führte zunächst zu einem Bruch in der Modell-Tradition. Es sollte allerdings nicht lange dauern, bis sich die Apologeten des Regimes formierten und die 'neoliberale Revolution1 in Reinform und das chilenische Wirtschaftswunder (Milagro Económico Chileno) priesen. Für die Chicago Boys - so genannt nach der neoliberalen Ökonomen-Schule an der Universität Chicago um Milton Friedman - bildete Chile in den 70er (und teilweise noch in den 80er) Jahren das Experimentierfeld für monetaristische Ideen, wurden und konnten doch in keinem anderen Land der Welt monetaristische Prinzipien unter Ausschaltung jedweder Opposition umgesetzt wer22

den. Zwar erhielt die Lobhudelei mit dem Scheitern dieser Strömung in der schweren Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre einen Dämpfer, doch brachte das die Anhänger des Regimes nicht davon ab, Chile seit Mitte der 80er Jahre erneut als 'Modell' für eine geglückte Weltmarktintegration auf der Basis weitreichender politischer, ökonomischer und sozialer Umgestaltungen hinzustellen. In den letzten Jahren ist eine große Zahl von Professoren, Journalisten und Politikern in den Chor der Chicago Boys eingestimmt, die eine mit der Realität oft in schlagendem Gegensatz stehende wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der Diktatur verbreiten. Nicht unerheblichen Teilen der Öffentlichkeit gilt Chile seit jener Zeit als das vielversprechendste und verheißungsvollste Beispiel für einen Testfall nachholender Entwicklung in Lateinamerika. Dies um so mehr, als mit dem Übergang zur Demokratie und der aus den ersten freien Wahlen seit knapp zwei Jahrzehnten hervorgegangenen, demokratisch legitimierten Regierung von Patricio Aylwin und seiner Concertación neben der wirtschaftlichen Blüte sich auch die politischen Verhältnisse normalisiert haben. Eine Kombination aus wirtschaftlichem Wachstum, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit bildet nun das offen - trotz weitgehender struktureller Kontinuitäten - auch von ehemaligen Kritikern des Pinochet-Regimes zur Nachahmung empfohlene 'Modell'. Dieses gewinnt noch zusätzlich durch die neue CEPAL-Doktrin einer 'transformación productiva con equidad' an Gewicht 1 , als deren genuinster Ausdruck in Lateinamerika wiederum Chile betrachtet wird. Die Zuschreibung des jeweiligen Modell-Charakters ist zu keiner Zeit unwidersprochen geblieben. Als zu oberflächliche Betrachtung, zu wenig weitreichend, zu weitreichend und an den wahren Problemen des Landes vorbei, zu brutal und autoritär lassen sich jeweils Gegenpositionen der Kritiker bestimmen. Nicht verwunderlich ist es, daß auch heute der 'Modell'-Charakter Chiles bestritten wird und es diesbezüglich keinen Konsens gibt. Während die Wirtschaft und ihre Publikationsorgane, internationale Organisationen wie IWF und Weltbank und häufig auch regierungsoffizielle Positionen Chile fast einhellig als 'Boom-Land' mit glänzenden Zukunftsaussichten, als 'Dritte-Welt-Superstar' und 'Bundesrepublik Lateinamerikas' feiern, können unter Sozialwissenschaftlern Befürworter und Kritiker differenziert werden. 'Modell'-Charakter wurde Chile zum einen uneingeschränkt bereits unter Pinochet von konservativer Seite (Ex-Pinochetisten und politische Rechte), zum anderen eingeschränkt auf die Regierungszeit Aylwin auch von modelltheoretisch argumentierenden Positionen aus zugeschrieben. Bei den Kritikern des Modells lassen sich eher skeptisch-kritische und fundamental-kritische Positionen unterscheiden. Während erstgenannte und letztgenannte Positionen sich hinsichtlich der Kontinuität von grundlegenden Zügen zwischen Militärregime und demokrati-

Siehe ECLAC, Changing Production Patterns with Social Equity, Santiago, 1990; und CEPAL, Equidad y transformación productiva. Un enfoque integrado, Santiago, 1992.

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scher Regierung einig sind (weshalb sie auch als 'rechte' und 'linke Kontinuitätstheoretiker' etikettiert wurden), sich aber in der politischen Bewertung grundlegend voneinander unterscheiden, sehen die übrigen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Diskontinuität zwischen demokratischer Regierung und Pinochet-Regime.2 Die einzelnen Positionen sollen im folgenden kurz beleuchtet werden. Als 'Kontinuitätstheoretiker von rechts' können die Vertreter und Apologeten des Pinochet-Regimes und ein beträchtlicher Teil der politischen Rechten betrachtet werden (z.B. Hernán Büchi, Jaime Guzmán, UDI, CEP u.a.), die im Falle eines Wahlsiegs der Parteien der Concertación eine Rückkehr zum wirtschaftlichen Chaos und zur Mangelwirtschaft prophezeit hatten, die das erreichte makroökonomische Gleichgewicht und die Stabilität binnen kürzester Zeit wieder zunichte machten.3 Wenn eine chaotische Entwicklung nach 1990 ausgeblieben sei, so nur deshalb, weil trotz Demokratisierung die Regierung Aylwin noch keine Gelegenheit gehabt oder genutzt habe, grundsätzliche Korrekturen am erfolgreichen Wirtschaftsund Gesellschaftsmodell vorzunehmen. Die neoliberale Orientierung des Modells sei in allen grundsätzlichen Bereichen beibehalten worden. Die Militärs hätten als 'Bewahrer der Werte der Nation' und als 'Hüter der Verfassung in der Zeit1 eine grundlegende Erneuerung der chilenischen Gesellschaft erreicht. Die Mehrheit der unter dem 'totalitären Staat' vor 1973 'ökonomisch ruinierten', 'sozial desintegrierten' und 'geistig desorientierten' Bevölkerung sei für die Wiederherstellung der Ordnung durch die Streitkräfte eingetreten. Im folgenden hätten die Militärs unter Führung von General Pinochet Chile vom Marxismus befreit und das 'Projekt einer souveränen und freien Gesellschaft' vorangetrieben. Im Gegensatz zu vorhergehenden Regierungen sei die Militärjunta eine 'Regierung der Taten' gewesen, die mit ihren tiefgreifenden Reformen im ökonomischen und sozialen Bereich eine 'wahre Revolution' durchgesetzt habe. Entstanden sei schließlich eine 'offene' und 'freie Gesellschaft' mit einer 'authentischen Demokratie', die sich auf der Basis des westlich-christlichen Wertesystems noch eine 'Verfassung der Freiheit' gegeben habe, in der die 'wahren Werte der Nation' niedergelegt seien. Dank des unermüdlichen Einsatzes von General Pinochet, der jedwede Schwierigkeiten ausgeräumt habe, seien Erfolge auf allen Ebenen erzielt und alle nationalen Ziele erfüllt worden. Chile sei so ein moderner, effizienter Staat

Die Etikettierung stammt von L. Mámora/D. Messner, Chile im lateinamerikanischen Vergleich - Ein Modell für Demokratisierung und Entwicklung in der gesamten Region?, in: J. Ensignia/D. Nolte (Hrsg.), Modellfall Chile? Ein Jahr nach dem demokratischen Neuanfang, Hamburg, 1991, S. 55 f. Siehe die unzähligen Äußerungen jener Vertreter in der Presse (z.B. El Mercurio, Estrategia, El Diario) und den entsprechenden Publikationsorganen des Instituto Libertad y Desarrollo (Libertad y Desarrollo) sowie des Centro de Estudios Públicos (Estudios Públicos).

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geworden, der alle Freiheitsrechte verwirklicht und Armut und Unterentwicklung hinter sich gelassen habe.4 "El programa inicial del gobierno militar, que consistía en sacar a Chile del subdesarrollo, eliminar la extrema pobreza y conjugar la libertad económica con la libertad política, se ha cumplido con bastante éxito. En efecto, se avanza hacia la democracia plena. Por otra parte, se ha construido una de las economías con mayor potencial en América Latina. Hoy en día, como nunca en la historia del país, están dadas las condiciones para que Chile se catapulte hacia el mundo de las naciones desarrolladas. Es ésta la gran obra del gobierno militar. Entregarle la oportunidad a Chile de llegar a ser una nación desarrollada. En los últimos 16 años, el país ha dado un salto hacia adelante gigantesco. Lo realizado no tiene parangón en la historia de Chile. En lo que respecta a los beneñcios ya obtenidos, es necesario mencionar que éstos no son nada comparados con los que se pueden esperar en los próximos años."^ Die jetztige Regierung hätte die großen Errungenschaften des Militärregimes anerkennen müssen, da sie nicht nur offensichtlich, sondern auch alternativlos seien. Von daher sei die Fortsetzung des neoliberalen Modells in seinen Grundzügen nur folgerichtig und logisch. Als Beweis der Güte und Solidität der Erfolge werden von interessierter Seite seit einiger Zeit auch ehemalige hohe Regimevertreter als hacedores de milagros (Wundermacher) präsentiert, die als Wirtschaftsberater nicht nur in Sachen Privatisierung in Lateinamerika, sondern auch bei der Transformation ganzer Volkswirtschaften von der Plan- zur Marktwirtschaft in Osteuropa gefragt seien.6 Chile komme also in mehrfacher Hinsicht nachgerade Vorbildfunktion zu. So lassen sich die Hauptgedanken von Vertretern des Pinochet-Regimes zusammenfassen, wie sie in El gobierno militar en Chile. La visión de sus actores, einer Edición Especial der Zeitschrift Política des Instituts für Politikwissenschaft der Universidad de Chile vom Dezember 1989 niedergelegt sind. A. Vial, 16 años de cambios económicos. La construcción de un nuevo Chile, in: Política, Edición Especial, Diciembre 1989, S. 122. So heißt es z.B. in El Mercurio vom 10.2.1992 unter der Überschrift "Se arriendan 'hacedores de milagros' chilenos": "Conozca la última exportación no tradicional chilena: consultores económicos que recorren el mundo. ... En su mayoría, aunque no todos, son ex lumbreras del régimen militar 1973-1990. ... Tal demanda tienen los servicios de Hernán Büchi" - der bereits vorher als Architekt des 'chilenischen Wirtschaftswunders' gepriesen wurde - "que él pasa sólo dos semanas al mes en Chile. Ha asesorado a Checoslovaquia en su privatización, a Paraguay en la reforma tributaria, a Brasil en lo que se refiere a los sistemas de pensiones, a México en la planificada liquidación del sector eléctrico y a Polonia en lo que respecta a los bancos estatales quebrados. ... Su centro de investigación y análisis, el Instituto Libertad y Desarrollo, invitó recientemente a 25 economistas soviéticos para un seminario sobre el modelo económico chileno." Die politische Propaganda stößt aber immer dann an ihre Grenzen, wenn es um die Kernfrage geht: "La interrogante más difícil que estos ex tecnócratas del régimen militar deben responder cuando se encuentran en el extranjero es si las estrategias que persiguieron pueden implantarse en una democracia." Für die Mehrheit der gewählten Regieningen seien Kontraktionen des BSP um über 15%, Arbeitslosenraten von

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Neben diesen 'Kontinuitätstheoretikern von rechts' gibt es aber auch kritischere Positionen für einen 'Modell'-Fall Chile, die sich entsprechend in der Bewertung der Diktatur und den Begründungen für ein solches Modell von der erstgenannten Richtung unterscheiden, erheben sie doch Chile unter Verweis auf die Komponenten 'Wirtschaftswachstum', 'Demokratie' und 'soziale Gerechtigkeit' zum Modell. Während jene also bereits den Modellcharakter unter diktatorischen Verhältnissen postuliert haben, kommt es für diese erst mit dem Übergang zur Demokratie zur Konstitution des Modells. Insbesondere Detlef Nolte ist ein Vertreter dieser der damaligen demokratischen Regierung und ihrer Politik aufgeschlossen gegenüberstehenden 'Diskontinuitätstheoretiker', daneben v.a. Leopoldo Märmora/Dirk Messner. Deren Argumentationen können dahingehend zusammengefaßt werden, daß die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der Weltmarktintegration und der effizienten wirtschaftlichen Steuerung mit der Aufrechterhaltung der makroökonomischen Gleichgewichte und der Eindämmung der Inflation ein zu bewahrendes und zu vertiefendes Erbe der Pinochet-Zeit darstelle. Unter den erneuerten Bedingungen demokratischer Verhältnisse würden die Handlungsspielräume der Regierung zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit genutzt, was wiederum nicht zuletzt aufgrund des großen Entwicklungspotentials der chilenischen Ökonomie im Vergleich zu anderen Ländern des Kontinents möglich sei. Neben der als positiv erachteten Kontinuität im ökonomischen Bereich sehen die Autoren eine Reihe von gravierenden Veränderungen im politischen und sozialen Bereich, die für sie zentrale Differenzen zum Pinochet-Regime bilden. Die differenzierte Auflistung einer Vielzahl von Facetten des Übergangs und der Demokratie durch Detlef Nolte 7 , die sowohl Schwachstellen der Regierung Aylwin und Restriktionen ihres Handelns als auch Stärken des neuen demokratischen Systems benennt, führt ihn am Ende doch dazu, das Vorbildhafte des Modells Chile hervorzuheben. Die Erklärung zum 'Modell' gelingt ihm erstens dadurch, daß nicht mehr zwischen normativen Vorstellungen und realen Entwicklungen unterschieden und mit Konjunktiven, Komparativen und Futurkonstruktionen ('Wahrscheinlichkeitsvokabular') gearbeitet wird, um das Modellhafte in all seinen Komponenten zu über 30% und Armutsdimensionen, die 50% der Bevölkerung erreichen, als Folge und Grundlage des Wirtschaftswunders kaum tragbar. Die Antwort der 'Wundermacher' auf diese Bedenken wurden im Mercurio allerdings nicht mehr abgedruckt. Vgl. dazu auch A. Codevilla, Is Pinochet the Model?, in: Foreign Affairs, Vol. 72, 1993, Num. 5, S. 127-140, der schreibt: "The 'Pinochet Model' is one of the standard cures touted for nearly any country seeking to make the transition from socialist poverty. This model ... calls for some combination of political repression and economic liberalism ... The closer one looks, however, the more difficult it is to construe a model from Chile's experience." (S. 127). Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf D. Nolte, Modellfall Chile? Die Bilanz nach einem Regierungsjahr, in: J. Ensignia/D. Nolte (Hrsg.), Modellfall Chile? Ein Jahr nach dem demokratischen Neuanfang, Hamburg, 1991, S. 15-42.

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etablieren. Problematisch ist dies weniger hinsichtlich des real vorfindbaren Wirtschaftswachstums als vielmehr bei der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit. Obwohl Nolte selbst diesbezüglich eine Vielzahl einschränkender Variablen erwähnt, die die Etablierung demokratischer Verhältnisse und sozialer Gerechtigkeit als Zukunftsaufgaben erscheinen lassen, heißt es am Ende seines Beitrags: "Will Chile Modell bleiben...". Dies gelingt zweitens dadurch, daß die Benennung der Probleme und Schwächen des Modells mit ihrer Relativierung einhergeht. Um trotz der Auflistung aller möglichen Unzulänglichkeiten und Schwachpunkte der chilenischen Demokratie den Modellcharakter postulieren zu können, stellt Nolte diesen eine Reihe positiver Aspekte gegenüber, die die Probleme im Rahmen der verfolgten Wirtschaftsstrategie generell als überwindbar erscheinen lassen. Dabei unterstellt er trotz restriktiver Bedingungen eine relativ große politische Autonomie und Handlungsfreiheit der Regierenden und blendet reale Macht- und Herrschaftsverhältnisse weitgehend aus. Zusätzlich dient ihm der Verweis auf andere lateinamerikanische Staaten dazu, Armut, Elend und generell die soziale Frage in Chile zu entschärfen. Dazu wählt Nolte eine komparative Perspektive und verweist nicht nur auf die bereits erbrachten Anpassungsleistungen der chilenischen Ökonomie, sondern auch auf die mangelhafte wirtschaftliche Performanz anderer lateinamerikanischer Staaten, denen gegenüber Chile äußerst positive Errungenschaften aufweise. Doch die Armutssituation von knapp 50% der Bevölkerung dürfte wohl kaum mit dem Hinweis auf noch schlechtere Verhältnisse in anderen Ländern erträglicher werden, nur weil Chile diesen gegenüber bessere Entwicklungsperspektiven aufweist, zumal die Umverteilungsspielräume der Regierung auf diesem Gebiet äußerst begrenzt sind. Dies gelingt schließlich auch dadurch, daß undemokratische Elemente bzw. Verhältnisse so interpretiert werden, daß sie schließlich zur Konsolidierung der Demokratie und zur demokratischen Stabilität beitragen. Daß die eigentliche Gefahr für die Demokratie in Chile nicht von der politischen Linken ausgeht, sondern von einer machtvollen ökonomischen und politischen Rechten, die demokratische Spielregeln und Verfahren einschränkt und partiell ausgehöhlt hat, gerät dabei zunehmend aus dem Blick. Damit kann Nolte Chile zu einem Modell mit Nachahmungscharakter stilisieren, obwohl es sich durch autoritäre Kontinuitäten mit dem Pinochet-Regime auszeichnet und seine demokratischen Schwächen offensichtlich sind. Dazu muß er politische Entwicklungen und Prozesse autonomisieren und sie von sozialökonomischen Grundlagen und Interessen lösen. Vorsichtiger als Detlef Nolte setzen sich Leopoldo Märmora und Dirk Messner mit Chile als Modell für Demokratisierung und Entwicklung im lateinamerikanischen Kontext auseinander. Auf der Basis einer von ihnen festgestellten "Autonomie des Politisch Endogenen (AdPE)" kann Märmora/Messner zufolge "derzeit in Chile der entwicklungstheoretisch und -politisch brisante Versuch beobachtet werden, wie in Lateinamerika Demokratie und soziale Gerechtigkeit

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unter der Bedingung von ökonomischer Wettbewerbs- und Weltmarktorientiemng zu verwirklichen sind."® Auch hier steht eindeutig der positive Nachahmungswert des chilenischen Modells im Vordergrund, der insbesondere vor der wechselvollen Geschichte des Landes und der sozioökonomischen Performanz der übrigen lateinamerikanischen Staaten hervorgehoben wird. Die autoritären Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zur Durchsetzung des Modells werden zwar thematisiert, aber im Zuge der Demokratisierung für überwunden bzw. überwindbar erklärt. Beide Autoren interpretieren die angebliche wirtschafts- und gesellschaftspolitische Neuorientierung eher im Sinne eines Suchprozesses, da "die aktuellen Entwicklungen in Chile darauf hindeuten, daß eine statische und deterministische Gleichsetzung von Weltmarktorientierung mit Neoliberalismus und unausweichlicher Verarmung der Bevölkerung genauso oberflächlich und unzulässig ist, wie das Lamentieren derer, die bei jeder Abweichung von den wenigen Grundregeln der Marktorthodoxie den realen Sozialismus aufziehen sehen. Die deutliche wirtschafts- und gesellschaftspolitische Neuorientierung und Akzentverschiebung der chilenischen Regierung sind eher im Sinne eines Suchprozesses zu interpretieren, der darauf abzielt, das soziale Debakel der Militärdiktatur zu überwinden, ohne in die gescheiterten wirtschaftspolitischen Vorstellungen der 60er Jahre zurückzufallen. Chile habe insbesondere auch deshalb gute Chancen, positive Aspekte der Vergangenheit mit einer partiellen Neuorientierung zu verbinden, weil seit dem "Sturz Pinochets" ein Dialog zwischen den wichtigsten gesellschaftlichen Akteuren über die grundlegende Wettbewerbsorientierung der Ökonomie, seine sozialen Regulierungen und die Demokratisierung stattfinde, die zur Herausbildung eines Basiskonsenses und weit verbreitetem Pragmatismus geführt habe. Diejenigen, die sich kritisch mit dem Modell Chile befassen, lassen sich als fundamental-kritische bzw. skeptisch-kritische Positionen klassifizieren. James Petras, der die Fundamentalkritik am prononciertesten vertritt und als 'linker Kontinuitätstheoretiker' bezeichnet werden kann, konstatiert im wesentlichen eine Übernahme neoliberaler Politikmuster durch die Regierung Aylwin, die sich aus einer langsamen Anpassung der Vertreter der ehemaligen Opposition infolge des langen Transitionsprozesses und der persönlichen Erfahrungen mit der Diktatur ergaben und letztlich zur Adaption grundlegender Inhalte des Monetarismus geführt haben. L. Märmora/D. Messner, Chile im lateinamerikanischen Kontext. Ein Modell für Demokratisierung und Entwicklung in der gesamten Region?, in: J. Ensignia/D. Nolte (Hrsg.), a.a.O., S. 54. Ebd., S. 57. Vgl. dazu im lateinamerikanischen Kontext die Beiträge von K. Esser, Lateinamerika - Industrialisierung ohne Vision, in: Nord-Süd aktuell, Num. 2, 1992, S. 229-242; und D. Messner/J. Meyer-Stamer, Lateinamerikanische Schwellenländer: Vorbild für Osteuropa?, in: Vierteljahresberichte, Num. 129, 1992, S. 219-233.

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Neoliberale Politik wird dabei mit verstärkter Ausbeutung und größerer Armut für die Mehrheit der Bevölkerung sowie autoritären Herrschaftsstrukturen gleichgesetzt, die mit demokratischen Verhältnissen strukturell inkompatibel sei. Eine Demokratisierung könne sich daher nur sehr oberflächlich vollziehen und müsse sich auf Einzelaspekte des politischen Systems beschränken, ohne die dominanten ökonomischen Strukturen und deren Implikationen zu erschüttern und bestehende Ungleichheiten nachhaltig in Frage zu stellen. Marktzwänge und die Weltmarktintegration erforderten vielfach die Ausgrenzung bzw. Nichtbeteiligung breiter Bevölkerungsschichten aus dem politischen System und schränke so den ohnehin begrenzten Charakter der bürgerlichen Demokratie noch weiter ein. Petras weist darauf hin, daß sich lediglich der Regimetyp geändert habe, nicht aber der Staat noch die ihn tragende Klassenallianz und die damit verbundenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, so daß mit einer durchgreifenden Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung aufgrund der festgefügten Interessenkoalitionen nicht gerechnet werden könne. "La decisión del régimen de abdicar de su vocación reformista en favor de un estilo empresarial, no fortalece la debilidad de la democracia, sino que la priva de su contenido popular. ... En vez de hablar de la hegemonía de una clase política democrática, es más apropiado describir el ascendiente de la nueva ideología (el neoliberalismo) y de una nueva clase (el sector exportador agro minero). El régimen electoral se ha apropiado de los símbolos y la sustancia de la configuración del poder construida por la derecha y le ha proporcionado legitimidad democrática." 10 Skeptisch-kritische Stimmen wurden von Urs Müller-Plantenberg, Klaus Meschkat, Jorge Rojas und Elmar Römpczyk laut, die ihre Bedenken bezüglich der Durchsetzungsfähigkeit eines zumindest in Ansätzen vorhandenen Reformprojekts der Regierung Aylwin artikulierten. Sie sehen zwar einen Unterschied zwischen 'einfacher Marktorthodoxie' und 'aktiver Weltmarktintegration', halten jedoch unter den gegebenen weltwirtschaftlichen Bedingungen und innergesellschaftlichen Machtverhältnissen in Chile die Verbindung von weltmarktintegrativer Offenheit und gleichzeitiger sozialer Demokratie für inkompatibel und unrealistisch. Unter dem Druck realer und selbstgeschaffener Sachzwänge, der die Handlungsspielräume der Regierung Aylwin extrem einschränke, sei diese nicht in der Lage, ihr 'alternatives' Projekt zu verwirklichen, da sie einen dauerhaften Anpassungsprozeß an das eigentlich zu reformierende neoliberale Modell vollzogen habe. So schreibt Urs Müller-Plantenberg:

J. Petras, Chile: Democracia y pobreza o pobreza de la democracia?, Punto Final Extra, Agosto 1991, S. 21, 23. Siehe für den breiteren lateinamerikanischen Kontext auch J. Petras/S. Vieux, Twentieth-Century Neoliberals. Inheritors of the Exploits of Columbus, in: Latin American Perspectives, Vol. 19, 1992, Num. 3, S. 25-46.

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"In Chile hat eine große Mehrheit der Bevölkerung dem Kandidaten Hernán Büchi, der offensiv für eine Fortsetzung des ultraliberalen Wirtschaftsprogramms der Pinochet-Diktatur eintrat, in den Wahlen vom 14. Dezember 1989 eine klare Absage erteilt und den Christdemokraten Patricio Aylwin gewählt. Aber dessen Minister und Wirtschaftsberater sind, egal ob Sozialisten oder Christdemokraten, inzwischen so sehr von der Notwendigkeit der Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik überzeugt, daß trotz allen Redens von sozialer Gerechtigkeit von einem grundsätzlichen Wandel zugunsten der zwei ärmeren Drittel der sozial extrem gespaltenen Gesellschaft kaum gesprochen werden kann."*' In Chile habe man sich nach der Wirtschaftskatastrophe Anfang der 80er Jahre nicht einer sozioökonomischen Transformation der Grundlagen einer Gesellschaft verschrieben, die solche Krisen hervorbringe, sondern lediglich auf politische Strukturveränderungen in Form einer raschen Demokratisierung hingearbeitet. Dabei seien sowohl frühere Erkenntnisse über den Klassencharakter bürgerlicher Demokratien als auch Forderungen, die über die Herstellung politischer Demokratie hinausgehen, verdrängt worden. Mit der politischen Institutionalisierung der Wirtschaft- und Gesellschaftsordnung der Chicago Boys habe sich das Regime gegen jeglichen systemsprengenden Einfluß abgeschottet, so daß nur systemimmanente, marktkonforme Liberalisierungen zugelassen wurden. Indem man die Wiederherstellung des "versklavenden Sozialstaats" verhindert habe, entfalle gleichsam der Grund für die "aktiven Dienste des befreienden Polizeistaats", da dessen Aufgaben und Funktionen jetzt quasi automatisch durch den freien Markt erfüllt würden. Autoritäre Herrschaft und Wirtschaftsliberalismus könnten damit die Volkssouveränität im Prinzip hinnehmen, als Prinzip müßten sie sie aber negieren. 12 Pinochet und die Chicago Boys hätten aus Chile ein Land gemacht, "in dem nicht nur die Logik des Kapitals in der Wirtschaft uneingeschränkt gilt, sondern in dem der Kapitalismus auch als Lebensform breit anerkannt und akzeptiert ist. So gesehen, bedeutet der Demokratisierungsprozeß keinen Bruch mit den vom Militärregime geschaffenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Vielmehr handelt es sich bei diesem Prozeß um die Versöhnung von Kapitalismus und Demokratie unter den Bedingungen eines unterentwickelten Landes. Solange für die orthodoxen Liberalen die Gefahr bestand, daß die demokratische Selbstbestimmung des Volkes zu einer Abkehr von den reinen Marktgesetzen führen könnte, solange vertrauten sie lieber auf die autoritären und bisweilen brutalen Herrschaftsmethoden der Militärs. Nun aber, da die Gefahr gebannt zu sein

' ' U. Müller-Plantenberg, Marktwirtschaft und Demokratie in Lateinamerika, in: Prokla, Num. 82, 1991, S. 86.

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Vgl. U. Müller-Plantenberg, Was ist und wozu dient Demokratisierung? Der politische Prozeß in Chile und den Nachbarländern, in: Lateinamerika. Analysen und Berichte, Num. 8, 1984, S. 18-33.

scheint, können sie ihr Herz für die Demokratie entdecken, zumal die gesellschaftlichen Kosten der Demokratie niedriger sind als die der Diktatur."13 Jorge Rojas argumentiert, daß das Militärregime in Chile zusammen mit den Chicago Boys eine "Politik der Apartheid" eingeführt habe, in der schließlich eine kleine wohlhabende bürgerliche Schicht den Fortschritt für sich monopolisiere und die unteren sozialen Schichten ausgeschlossen habe. Mit militärischer Gewalt und Marktgesetzen sei ein weitreichender gesellschaftlicher Wandel durchgesetzt worden, so daß das System nun unbegrenzt Unternehmerinteressen garantiere. Die Aufrechterhaltung des Neoliberalismus durch die Regierung Aylwin korrigiert durch einige politische Maßnahmen sei keine überzeugende Alternative und reiche für eine wirkliche Demokratisierung keineswegs aus, zumal Neoliberalismus auch in seinen pragmatischen Varianten im Grunde eine Ablehnung von Mehrheitsprinzipien und demokratischen Systemen bedeute. "Es herrscht die Meinung, das gegenwärtige System sei zwar schlecht, funktioniere aber - und begünstige daher den Demokratisierungsprozeß. Doch dieses U. Müller-Plantenberg, Chile. Am Ende der liberalen Revolution, in: Lateinamerika. Analysen und Berichte, Num. 14, 1990, S. 184. Beachtenswert ist die Auseinandersetzung, die Nolte teils polemisch mit Petras und Müller-Plantenberg führt. So wird Petras ein "ausgeprägter Voluntarismus" vorgeworfen und eine "neue Form von Verschwörungstheorie" in seinen Arbeiten ausgemacht, die sich so wohl kaum findet, analysiert er doch en detail die durch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse eingeschränkten Handlungsspielräume der sozialen Akteure und die langsame Anpassung der ehemaligen Regimekritiker an Regimepositionen. Die "bloße Auflistung von Mängeln des Wirtschaftsmodells*, das "Ausblenden der Erfahrungen in anderen Ländern" und der Verzicht auf erfolgversprechende Alternativen ließen die Kritik von Petras wie auch von Müller-Plantenberg "ins Leere laufen". Schließlich wendet sich Nolte gegen die "Abqualifizierung" der chilenischen Demokratie bei Petras als 'ausschließende und unterdrückende Wahlpantomime'. Sie entspringe "dem intellektuellen Hochmut von Autoren, die das Glück hatten, den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur nicht am eigenen Leibe erleben zu müssen". Um derartige Aussagen zu stützen, liefert nicht zuletzt Nolte selbst beträchtliches Material, so daß der Verdacht naheliegt, daß es eher um eine ideologische Auseinandersetzung denn um eine Sachverständigung geht. Auch Märmora/Messner setzen sich mit konträren Positionen auseinander. Während sie MüllerPlantenberg vorwerfen, "reformerische Anstrengungen im Rahmen einer Weltmarktorientierung" als "naiven Selbstbetrug" zu bewerten, lautet der Vorwurf an Petras, er sehe in den Reformmaßnahmen "gezielte Betrugsversuche gegenüber der gutgläubigen und auf soziale Gerechtigkeit hoffenden Bevölkerung". Aus beiden Perspektiven heraus werde auf ein "bereits gescheitertes Gesellschaftsprojekt rekurriert". Daß Petras und Müller-Plantenberg zumindest historisch im Recht sind und Weltmarktorientierung auf neoliberaler Grundlage mit politischer Demokratie und sozialer Gerechtigkeit bislang in den seltensten Fällen zusammenkamen, ficht die Autoren nicht an. Zudem übersehen sie, daß die Erfolge des neoliberalen Modells bislang bescheiden geblieben sind und sich neoliberale Theorien und darauf aufbauende Gesellschaftsentwürfe auch deshalb so schnell durchsetzen konnten, weil sie bereits theorieimmanent die Probleme verdrängen, an denen andere Theorieentwürfe gescheitert

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'funktionierende' System basiert auf sozialem Ausschluß, niedrigsten Löhnen, einer hohen Kapitalkonzentration, einem privatisierten, die Bevölkerungsmehrheit ausschließenden Gesundheits- und Erziehungswesen sowie einer eingeschränkten Volkssouveränität durch den wachsenden Einfluß multinationaler Konzerne. Daher stellt sich die Frage, inwiefern dieses Modell überhaupt korrigierbar ist, um mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie zu gewährleisten." 14 Ohne eine Überwindung des gemäßigten politischen Kurses und tiefgreifende Reformen werde die Regierung Aylwin nichts mehr erreichen, als das bestehende System zu verwalten. Ahnlich schreibt auch Klaus Meschkat: "Gegenwärtig vollzieht sich in Chile ein sehr eigenartiger Übergang zur Demokratie. Bei einer gradlinigen Fortsetzung der Wirtschaftspolitik des PinochetRegimes (fast ohne Modifikationen) läuft dieser Übergang auf die Wiederherstellung eines pluralistischen Parteienwesens hinaus, allerdings mit einer Verschiebung des politischen Spektrums zur Mitte hin auf der Grundlage einer langfristig angelegten Kooperation zwischen den dominierenden Christdemokraten und den inzwischen sozialdemokratisch gefärbten Sozialisten. Bedingung für dieses komplizierte politische Spiel, das die Streitkräfte und ihren Oberbefehlshaber Pinochet langsam aus dem politischen Leben zurückdrängen soll, ist das zielstrebige Ausschalten jedes organisierten Einflusses der sozialen Bewegungen, die einst den Sturz der Diktatur und die Rückkehr der Parteien möglich gemacht haben. ... Die Demokratisierung, so wie sie heute betrieben wird, (verbietet) wesentliche soziale Verbesserungen ..., weil sie mit den Grundprinzipien der offiziellen Wirtschaftspolitik nicht in Einklang zu bringen sind. ^ Für Elmar Römpczyk ist das 'Modell' Chile gegenwärtig ein "Modell auf T o n " . 1 6 Was wirklich am 'Modell' Chile nachahmenswert sei, müsse jeweils sehr genau untersucht werden: Es könnte aber nicht jene "Imitation des dekadenten, nordatlantischen Neoliberalismus" sein, der die gesamte Rückseite der beeindruckend ökonomistisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik bestehend aus 'Entwicklungsethik', 'sozialer Verantwortung', 'Kulturpolitik' sowie 'Solidarität nach innen und außen' abhanden gekommen sei, da dieser eine Fülle von gesellschaftspolitischen Schwachstellen aufweise. Das 'Modell' Chile werde heute von einer 'konservativen Grundströmung der Gesellschaft' getragen und verdanke seine bisherige Stabilität einem "Gemisch aus administrativem Zentralismus und high-tech-Verpackung" auf der Basis des Exports von Rohstoffen und Agrarprodukten.

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waren. Die Defizite einer staatlichen und gesellschaftlichen Untersteuerung sind in Chile evident. J. Rojas Hernández, Chile. Ein-Drittel-Gesellschaft auf dem Weg zur Demokratie?, in: Lateinamerika. Analysen und Berichte, Num. 13, 1989, S. 194. K. Meschkat, Frauen und Frauenbewegung in Demokratisierungsprozessen Lateinamerikas das Beispiel Chile, in: Peripherie, Num. 47/48, 1992, S. 25 f. E. Römpczyk, Chile - Modell auf Ton, Unkel/Rhein, 1994.

"Liftet man etwas den Modell-Schleier, erlaubt ein zweiter Blick die klarere Wahrnehmung der sozialen und der ökologischen Kosten für den bisherigen ökonomischen Erfolg des Landes. Der Erfolg des 'Modells' beruht auf einer klaren Spaltung der Gesellschaft in die gut 50% der Bevölkerung oberhalb der Armutsgrenze und die knapp 40% in prekären Lebensverhältnissen. Und weiter beruht der bisherige Erfolg auf einer während der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte systematisch betriebenen Überausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes. Dies schließt die bewußte Negation bestimmter Entwicklungspolitiken ein." Ohne eine 'sozialökologische Marktwirtschaft', die Behebung der Demokratiedefizite, einen Ausgleich zwischen Modellgewinnern und Modellverlierern und eine stärkere Wahrnehmung der Regulierungsfunktion des Staates sei eine gesamtgesellschaftliche Modernisierung unter Rahmenbedingungen des freien Marktes auch in Chile nicht denkbar. "Handelt es sich bei der Ambivalenz der Wahrnehmung Chiles ... als Modelland nicht doch eher um einen Mythos, an dessen Realität man nur allzu gern glauben möchte, weil sonst überhaupt kein Land mehr übrig bleibt, in dem die freie Marktwirtschaft der Chicago Boys Erfolge gebracht hat?" 18 Chile zum Modell zu qualifizieren erscheint beträchtlich überzogen. Eher könnte es ein Lehrstück bilden mit äußerst bedenklichem Nachahmungswert, was seine Durchsetzungsfähigkeiten und -möglichkeiten in anderen Ländern und unter demokratischen Bedingungen angeht. Das Modellhafte Chiles basiert zu einem guten Teil auf den hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre, die sich allerdings im historischen Vergleich und über größere Betrachtungszeiträume beträchtlich relativieren. Es beruht auf der vermeintlich erfolgreichen Öffnung zum Weltmarkt auf Basis einer Strategie aktiver Weltaiarktintegration, die übersieht, daß Chile als 'offenste' Ökonomie Lateinamerikas; entsprechend verwundbar ist für die Schwankungen des Weltmarktes, daß es als Rohstoffexporteur im Bereich von Agrar- und Minengütern in nur wenig dynamische Segmente des Weltmarktes integriert ist, und daß das Erreichen der angestrebten zweiten Phase aktiver Weltmarktintegration mit großen Übergangsproblemen behaftet ist, die es möglich machen, daß dieser Prozeß auf der gegenwärtigen Stufe; stagniert. Es übersieht auch, daß eine wesentliche Grundlage für den Erfolg des 'Modells' Chile in der langjährigen Unterdrückung der Menschen und der hemmungslosen Ausbeutung der Natur bestand, die nicht nur zu einem dramatischen Anstieg der Armut, sondern auch zu einem seinesgleichen suchenden Raubbau an natürlichen Ressourcen führte. Dies waren und sind zum großen Teil die 'natürlichen' komparativen Kostenvorteile Chiles. Die Rede vom 'Modell' Chile ist abeir auich deshalb überzogen, weil nach vier Jahren demokratischer Herrschaft der eingeschränkte Charakter

17 18

Ebda., S. 71. Ebda., S. 28 f. 33

der Demokratie kaum zu übersehen ist und die Herstellung sozialer Gerechtigkeit eine Aufgabe für die Zukunft mit ungewissem Ausgang bleibt.19

19

34

Vgl. A. Heintz/P. Imbusch, Chile. Kein Modell, aber ein Lehrstück, in: Dritte Welt, Num. 5, 1992, S. 24-26.

n . Unternehmer als soziale Akteure: Perspektiven und Befunde Die chilenische Unternehmerschaft war seit Mitte der 60er Jahre beträchtlichen Wandlungsprozessen unterworfen, die nicht nur die gesellschaftliche Konfiguration der Unternehmer und ihrer Interessenvertretungsorgane, sondern auch den Blick auf die Unternehmer als soziale Akteure erheblich verändert haben. Bevor jedoch einzelne Befunde und Sichtweisen in bezug auf die chilenische Unternehmerschaft vorgestellt werden, soll zunächst der allgemeine Handlungsrahmen und das Handlungspotential der Unternehmer und ihrer Verbände beleuchtet werden. In den nachfolgenden Ausführungen werden dann weder die Rolle und das Verhalten der Untemehmer(verbände) in entwicklungspolitischen Ansätzen und einzelnen Theoriesträngen1 reproduziert, noch das soziale Handeln von Unternehmern allgemein theoretisch zu erfassen gesucht^, da dies bereits an anderer Stelle geschehen ist. Vielmehr beschränken sich die Ausfuhrungen im weiteren auf unterschiedliche Zugangsweisen zur Analyse der chilenischen Unternehmerschaft und skizzieren die wichtigsten Argumentationen und Resultate entsprechender Studien. Damit werden bereits Fragen angeschnitten, die im weiteren Verlauf dieser Studie noch mehrfach im Zentrum stehen werden: Wie und in welche Richtung haben sich die dominanten Gesellschaftsschichten durch das autoritär-neoliberale Experiment verändert? Gibt es eine 'neue Unternehmerschaft', und worin besteht das spezifisch Neue? Welche Auswirkungen hatten die Veränderungen auf die Organisationsstruktur der Unternehmerschaft und ihre Beziehungen zur politischen Macht? Wie haben sich kulturelle und ideologische Muster und Verhaltensweisen in jenen Jahren innerhalb der Unternehmerschaft verschoben?

1.

Handlungsrahmen und Handlungspotential der Unternehmer

Unternehmerisches Handeln findet nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern setzt ein bestimmtes politisches, ökonomisches und soziales Umfeld voraus, das Siehe dazu P. Birle/P. Imbusch/C. Wagner, Unternehmer und Politik. Eine theoretische Annäherung an die politische Rolle der Unternehmer und ihrer Verbände mit Blick auf Lateinamerika, Dokumente und Materialien des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Mainz, Num. IS, Mainz, 1992. Siehe dazu G.W. Oesterdiekhoff, Unternehmerisches Handeln und gesellschaftliche Entwicklung. Eine Theorie unternehmerischer Institutionen und Handlungsstrukturen, Opladen, 1993.

35

gleichsam den Rahmen für die Unternehmer und ihre Verbände bildet. Die Rahmenbedingungen konditionieren unternehmerisches Verhalten in vielfältiger Weise und müssen deshalb für eine konkrete Analyse des politischen Verhaltens von Unternehmern jeweils reflektiert werden. In bezug auf die politischen Rahmenbedingungen wären zu nennen: - ein bestimmter Regimetyp; 3 - die Charakteristika und Struktur des Regierungssystems; - die Stellung und Funktion der Verbände im Regierungs- und Rechtssystem; - die politische Kultur eines Landes und damit verbunden der Grad der Akzeptanz bzw. Legitimität von Unternehmern und ihren Interessenorganisationen; - die Rolle und das Gewicht anderer intermediärer Organisationen (Parteien, Gewerkschaften etc.); - die vorherrschenden Konfliktbewältigungsmuster und Konfliktaustragungsformen. Neben diesen politischen Faktoren stellen insbesondere ökonomische Rahmenbedingungen wichtige Determinanten des Handelns von Unternehmern dar. Konkret wären hier für eine entsprechende Analyse zu berücksichtigen: - die vorherrschende ökonomische Entwicklungsstrategie bzw. ein bestimmter Entwicklungsstil;4 - die Makrostrukturen einer Volkswirtschaft und ihrer einzelnen Sektoren (Beitrag zum Bruttosozialprodukt, Bedeutung und Relevanz für die gesamtökonomische Entwicklung, Rolle bestimmter Sektoren als Devisenbringer, Beschäftigungsdynamiken einzelner Zweige bzw. Unternehmen etc.) sowie die konkrete sektorale oder zweigspezifische Verortung eines Unternehmens; - die Struktur und Beschaffenheit einzelner Branchen sowie die Stellung der verschiedenen Unternehmenseinheiten in ihnen; - der Monopolisierungs- bzw. Oligopolisierungsgrad einer Ökonomie bzw. einzelner Sektoren; - die Rolle des Staates innerhalb der Ökonomie (z.B. als Eigentümer und Produzent, als Nachfrager von Produkten, als Garant von Renten 5 und generell als Ordnungsfaktor);

Eine mögliche Unterscheidung von Regimetypen bieten J. Sloan/K.L. Tedin, The Consequences of Regime Type for Public Policy Outputs, in: Comparative Political Studies, Num. 20, 1987, S. 98-124, an. Eine Unterscheidung möglicher Entwicklungsstile findet sich bei D. Nohlen/M. Fernández, Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik in Lateinamerika, in: M.G. Schmidt (Hrsg.), Staatstätigkeit. Internationale und historisch vergleichende Analysen, PVS-Sonderheft Num. 19, Opladen, 1988, S. 406-437. Siehe als Überblick über verschiedene Rentenkonzepte C. Schmid, Das Konzept des RentierStaates, Münster, 1991.

36

-

die Art und der Grad der Integration in den Weltmarkt und damit einhergehend spezifische Abhängigkeitsverhältnisse oder besondere Stärken der Eingebundenheit in den internationalen ökonomischen Kontext. Neben diesen allgemeinen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ist für das Handlungspotential der Unternehmer und ihrer Verbände ein Grundbestand an gemeinsamen Interessen ausschlaggebend. Die Homogenität von grundlegenden Unternehmerinteressen ergibt sich aus dem Besitz bzw. der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, der Kontrolle über beträchtliche Kontingente an Arbeitskraft, über die Arbeitsorganisation und den Arbeitsprozeß selbst, der Art der unternehmerischen Einkommen, dem hohen Grad an sozialer Verflechtung untereinander sowie einem Grundbestand gemeinsamer Überzeugungen. Daraus leitet sich zunächst allgemein ein allen Unternehmern gemeinsames Interesse am Fortbestand der marktwirtschaftlichen Ordnung, am freien Unternehmertum, der Garantie des Privateigentums an den Produktionsmitteln sowie für sie günstigen Verwertungsbedingungen für Investitionen ab. Darüber hinaus sind die Interessen der Unternehmerschaft allerdings nicht notwendigerweise homogen, sondern aufgrund verschiedener Faktoren eher heterogen. Als Faktoren, die zu Interessengegensätzen und Konflikten zwischen Unternehmern fuhren können, gelten: -

der Wirtschaftssektori in dem ein Unternehmen tätig ist (Industrie, Landwirtschaft, Handel und Dienstleistungen, Finanzen), wie auch unterschiedliche Branchen innerhalb eines Sektors; - die Größe eines Unternehmens (Groß-, Mittel- oder Kleinunternehmen); - die Wettbewerbssituation eines Unternehmens (im Vergleich zu anderen nationalen oder internationalen Unternehmen, Oligopol- oder Monopolstellung); - der Diversifizierongsgrad eines Unternehmens (beschränkt auf die Herstellung eines Produkts bzw. einer Produktpalette und damit eine einzige Aktivität oder diversifiziert in verschiedenen Branchen oder Sektoren); - die vorherrschenden Charakteristika des betrieblichen Produktionsprozesses (arbeitsintensiv oder kapitalintensiv); - die Eigentumsform (privates oder staatliches Kapital, Mischformen, nationales oder transnationales Kapital); - die Stellung des Unternehmens zum Binnenmarkt und zum Weltmarkt (binnenmarktorientierte oder weltmarktorientierte Produktion, Abhängigkeit von Importen oder Exporten); - das Verhältnis des Unternehmens zum Staat (Grad der Abhängigkeit von staatlichen Subventionen, von protektionistischen Maßnahmen, vom Staat als Abnehmer bestimmter produzierter Güter sowie die generelle Marktorientierung des Unternehmens). Daneben können aber auch konjunkturelle Faktoren zu Interessendivergenzen zwischen einzelnen Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen führen. 37

Die sich aus den genannten Rahmenbedingungen und der Interessenhomogenität und -heterogenität ergebenden Handlungsbedingungen für die Unternehmer können wiederum auf verschiedenen Ebenen thematisiert werden. Verschiedene Organisalions- und Aktionsformen müssen differenziert werden, wobei zunächst generell davon gesprochen werden kann, daß Unternehmer in marktwirtschaftlich verfaßten Gesellschaften eine strukturelle Privilegierung erfahren.^ Ihre Vorzugsstellung gegenüber anderen gesellschaftlichen Akteuren bzw. Gruppen ergibt sich bereits aus ihrem Besitz und/oder der Kontrolle über die Produktionsmittel und den damit verbundenen Implikationen. Die Handlungsmöglichkeiten des Staates gegenüber Unternehmern sind insofern begrenzt, als er als Garant und Reproduzent der generellen Bedingungen bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften und der kapitalistischen Organisation der Ökonomie fungiert. 7 Es ist deshalb auch von einer 'asymmetrischen Kontrollbeziehung' zwischen Staat und Unternehmern die Rede, da der Staat viel stärker von der Performanz der Unternehmer abhängig ist als umgekehrt. 8 Dennoch reicht die Annahme einer strukturellen Privilegierung der Unternehmerschaft natürlich nicht für eine differenzierte Analyse der Zusammenhänge zwischen diesem Tatbestand einerseits und der konkreten politischen Rolle, dem Ausmaß und Umfang des politischen Einflusses und der Einflußkanäle der Unternehmer andererseits aus. Deterministische und instrumentalistische Simplifizierungen derart, daß Regierungen bzw. Staaten lediglich Agenten der Unternehmerschaft bzw. der Wirtschaftselite sind, müssen gerade im chilenischen Fall zurückgewiesen werden, wäre doch ansonsten eine Erklärung der Regierungszeit der Unidad Populär kaum möglich. Was die Handlungsformen der Unternehmer angeht, so steht ihnen im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Akteuren die ganze Palette vom individuellen bis zum kollektiven Handeln zur Verfügung. Unternehmer werden sich aber nur dann verbandlich organisieren, wenn sie sich eine zusätzliche Stärkung ihres strategischen Handlungspotentials versprechen. Unternehmer können damit wenigstens auf drei unterschiedliche Aktionsmöglichkeiten zurückgreifen, um ihre Interessen durchzusetzen:

6

7

8

38

Siehe R.A. Dahl/Ch. Lindblom, Politics, Economics, and Welfare, Chicago, 1976, S. XXXVI; Ch. Lindblom, Politics and Markets, New York, 1977, S. 175; A. Pneworski/M. Wallerstein, Structural Dependence of the State on Capital, in: American Political Science Review, Vol. 82, 1988, Num. 1, S. 11-29. Siehe D. Rueschemeyer/P.B. Evans, The State and Economic Transformation. Toward an Analysis of the Conditions Underlying Effective Intervention, in: P.B. Evans/D. Rueschemeyer/Th. Skocpol (Eds.), Bringing the State back in, Cambridge, 1985, S. 62. Vgl. C. Offe/H. Wiesenthal, Two Logics of Collective Action. Theoretical Notes on Social Class and Organizational Form, in: Political Power and Social Theory, Num. 1, 1980, S. 62115.

- Erstens sind sie als individuelle Unternehmer in der Regel Besitzer eines Unternehmens, welches per se als zentralisierte Einheit verwaltet wird, in der Autorität und Hierarchie den Arbeitern und Angestellten gegenübertreten. Je nach Größe und geographischer Lage eines Unternehmens bietet es seinem Besitzer die Möglichkeit, auf regionaler oder teils sogar nationaler Ebene auf Entscheidungen des Staates bzw. staatlicher Verwaltungen Einfluß auszuüben. Der einzelne Betrieb stellt also bereits für den Unternehmer eine entscheidende Machtgmndlage dar.^ - Zweitens können Unternehmer auf eine Vielzahl formeller wie auch informeller Kooperationen zurückgreifen, die ihre Interessenartikulationsmöglichkeiten verbessern. In wirtschaftlicher Hinsicht kann als formale Kooperation die Konzentration und Zentralisation des Kapitals in Form großer Wirtschaftskonglomerate (sog. grupos económicos) gelten; als informelle Kooperationsmöglichkeiten müssen Absprachen zwischen Unternehmern einzelner Branchen oder Sektoren, gewisse Elitezirkel, diverse Formen der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen etc. betrachtet werden. 10 - Drittens schließlich können die Unternehmer auf ihre genuinen Interessenvertretungsorgane - die Unternehmerverbände, die sektoral, regional und/oder national organisiert sind - zurückgreifen, um sich politisch zu artikulieren. Erst auf dieser Ebene bilden unternehmerische Handlungsmöglichkeiten ein Pendant zu den Gewerkschaften oder sonstigen Arbeitnehmervertretungen. Die Möglichkeiten zu einer effizienten Durchsetzung ihrer Interessen hängt auf dieser Ebene nicht zuletzt von der internen Struktur und Organisation der Verbände, der Repräsentativst der Interessen, der Finanzausstattung, der möglichen Ressourcenmobilisierung, der Homogenität der vertretenen Interessen, von innerverbandlichen Spannungen, Konflikten und Flügelbildungen u.a.m. ab. 11 Damit stehen den Unternehmern weitaus mehr Organisations- und Repräsentationsformen und individuelle und kollektive Handlungsmöglichkeiten offen als anderen Gruppierungen der Gesellschaft, da ihre eigentlichen Interessenvertretungsorgane und Verbände nur eine von verschiedenen Formen darstellen, über die die Unternehmer ihren ökonomischen, politischen und sozialen Einfluß geltend machen

11

Insbesondere die sog. Community .Power-Forschung hat hier interessante Ergebnisse gebracht. Siehe als Überblick dazu R. Zoll, Gemeinde als Alibi. Materialien zur politischen Soziologie der Gemeinde, München, 1972. Siehe dazu M.S. Mizruchi/M. Schwartz (Eds.), Intercorporate Relations. The Structural Analysis of Business, Cambridge, 1987; B. Mintz/M. Schwartz, The Power Structure of American Business, Chicago, 1985; D. Vogel, Fluctuating Fortunes. The Political Power of Business in America, New York, 1989. Siehe G.K. Wilson, Interest Groups, Oxford, 1990; M.P. Petrarca (Ed.), The Politics of Interests. Interest Groups Transformed, Boulder, 1992.

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können.12 Ein Großunternehmer kann z.B. durchaus mehr Macht und Einfluß besitzen als der Verband, zu dem er gehört. In noch größerem Umfang ließe sich dies für die grupos económicos behaupten, die die Kontrolle über eine Vielzahl weiterer Unternehmen in verschiedenen Branchen ausüben, so daß nicht immer die sichtbarsten Aktionen der Unternehmer zugleich auch die entscheidenden sein müssen. Zusätzlich ist zu bedenken, daß die Unternehmer nicht zwingend darauf angewiesen sind, selbst individuell oder kollektiv zu handeln, da ihre Interessen auch ohne eigenes Zutun Berücksichtigung finden können. Dies kann unter Umständen dann der Fall sein, wenn die Interessen anderer Verbände mit denen von Unternehmerverbänden zusammenfallen und diese von jenen mitberücksichtigt werden; wenn politische Eliten gemeinsame Werte und Kulturvorstellungen mit den Unternehmern teilen und jene in ihrem Handeln bereits 'automatisch' grundlegende Interessen der Unternehmer absichern bzw. durchsetzen; wenn staatliche Verwaltungen bzw. Regierungen Unternehmerinteressen aus Eigeninteresse von sich aus berücksichtigen, etwa aus Legitimitätsgründen, der möglichen Wiederwahl wegen oder ob der Durchsetzung bestimmter Sektorpolitiken durch den Staat. ^ Zudem stehen den Unternehmern sowohl politische wie ökonomische Strategien der Interessendurchsetzung zur Verfügung. Politische Strategien würden sich auf die formellen, häufig sogar institutionalisierten Kanäle der Interessenartikulation beziehen und vom traditionellen Lobbying über freundschaftliche Kontakte zu Abgeordneten und Politikern bis zur Mitarbeit in Parteien und Parlamentsausschüssen, staatlichen Kommissionen reichen und Anhörungsrechte in Gesetzgebungsverfahren, Konzertierungsprozesse, Wirtschafts- und Sozialräte etc. umfassen. Ökonomische Strategien beziehen sich dagegen eher auf Drohgebärden und das Ausmalen von Krisenszenarien, Investitionsverweigerungen, Korruption, Kapitalflucht etc. Auch hier zeigen sich wieder deutliche Unterschiede zu den Möglichkeiten, die Arbeitnehmern zur Interessenartikulation zur Verfügung stehen, und kommen 'unterschiedliche Logiken kollektiven Handelns' zum Vorschein. In diesem Zusammenhang muß nicht zuletzt auf das leichtere Erkennen ihrer Interessen durch die Unternehmer (im Gegensatz etwa zu Arbeitnehmern) hingewiesen werden: Während unternehmerische Interessen eher 'monologisch' strukturiert sind, weisen gewerkschaftliche Interessen einen stärker 'dialogischen' Charakter auf. 14 19

^ 14

40

Vgl. C. Acuña, The Bourgeoisie as a Politícal Actor. Theoretical Notes for an Old and Forgotten Topic, Working Paper, University of Chicago, Department of Political Science, 1988; und C. Offe/H. Wiesenthal, a.a.O. Siehe Ph.C. Schmitter/W. Streeck, The Organization of Business Interests. A Research Design to Study the Associative Action of Business in the Advanced Industrial Societies of Western Europe, Berlin, 1981, S. 105. Siehe G. Heinze, Veibändepolitik und 'Neokorporatismus'. Zur politischen Soziologie organisierter Interessen, Opladen, 1981; C. Offe/H. Wiesenthal, Two Logics of Collective

Dies drückt sich schließlich auch in der Sprache aus, in der Unternehmer ihre Forderungen stellen. Während die Gewerkschaften Forderungen an den Staat explizit mit ihren Interessen legitimieren, diese durchweg positiv formulieren und ihnen nötigenfalls durch die Androhung von Streiks und anderen solidarischen Kampfmaßnahmen oder gegebenenfalls den Entzug von politischer Unterstützung Nachdruck verliehen wird, ergibt sich bei den Unternehmerverbänden ein gänzlich anderes Bild: "Sie 'fordern' nichts von der Regierung, sondern allenfalls 'fordern' sie die Regierung ' a u f , von sich aus etwas zu tun (oder häufiger: zu unterlassen); dabei spielen die hiervon berührten Interessen und deren explizite Legitimation so gut wie niemals eine Rolle; statt dessen beziehen sich die verbandspolitischen Äußerungen nicht auf Ansprüche, sondern auf ökonomische und rechtliche Gegebenheiten (die internationale Konkurrenz, bestehende Rechtsgarantien usw.)- Wenn man sich überhaupt auf irgendwelche Interessen beruft, was üblicherweise vermieden wird, so sind es nicht diejenigen, die begünstigt würden, wenn die staatlichen Organe jenen positiven oder negativen 'Aufforderungen' nachkämen, sondern diejenigen einer diffusen Gesamtheit der Nutznießer des 'Gemeinwohls'; nicht Interessen, die sich als solche zu erkennen geben, stellen Forderungen, sondern unbefangene Sachwalter konstatieren, was in einer gegebenen Situation 'erforderlich' ist bzw. als 'unsachgemäß' erscheint. (Es) ... wird auf explizite Drohungen, die ja einem Sanktionswillen konkreter Akteure entspringen, verzichtet; an ihre Stelle treten 'Warnungen', d.h. detachierte Hinweise auf unangenehme Folgen, die dieses oder jenes Handeln oder Unterlassen nach sich ziehen würden; bei der Abgabe solcher Warnungen beschränkt sich die explizite Rolle der Verbandsrepräsentanten darauf, für andere, nämlich die Akteure im Regierungs- und Verwaltungsapparat, die Bedingungen für deren erfolgreiches und 'verantwortliches' Handeln zu explizieren und auf diese Weise die Kenntnis nichtpolitischer Gesetzlichkeiten des Marktes ins politische System hinein zu vermitteln." 15 In der Regel sind die Beziehungen zwischen Unternehmern bzw. Unternehmerverbänden und dem Staat bzw. einer Regierung nicht konfliktfrei. Dies scheint für reformorientierte und 'linke' Regierungen offensichtlich zu sein, trifft aber auch für unternehmerfreundliche konservative Regierungen zu. Selbst wenn prominente Unternehmer in die Rolle von Ministem und Präsidenten überwechseln und die strukturellen Interessen der Privatwirtschaft grundsätzlich garantiert sind, ist dies keine Garantie für konfliktfreie Beziehungen zwischen Unternehmern und Staat. Um das jeweilige Klima zwischen beiden Akteuren erfassen zu können, erscheint es Action, a.a.O., S. 87 ff. Auf die Unterschiede in der Organisations- und Konfliktfähigkeit der einzelnen Interessen kann an dieser Stelle nur verwiesen werden. Siehe dazu C. Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt/M., 1972, S. 145 f. C. Offe, Die Institutionalisierung des Verbandseinflusses - eine ordnungspolitische Zwickmühle, in: U.v. Alemann/R. Heinze (Hrsg.), Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Koiporatismus. Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen, 1979, S. 81 f.

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sinnvoll, zwischen unterschiedlichen Kooperations- und Konfliktstufen zu differenzieren, so daß das Verhältnis zwischen Unternehmern und Staat zu einem konkreten historischen Zeitpunkt auf einer Skala eingeordnet werden kann, die von expliziter Zusammenarbeit bis zum gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen den beteiligten Akteuren reicht. Sinnvollerweise lassen sich sechs Stufen unterscheiden, deren Übergänge fließend sind: 1 6 Stufe 1: Es existiert eine Allianz zwischen Regierung und Unternehmern. Dies kann explizit im Rahmen bilateraler Übereinkünfte zwischen Regierung und Unternehmern oder im Rahmen von Konzertierungsprozessen zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften der Fall sein. Möglich ist auch eine implizite Übereinkunft zwischen Regierung und Unternehmern, die bestimmte Politikbereiche betrifft. Die Beziehungen gestalten sich weitgehend konfliktfrei. Stufe 2: Die Unternehmer haben zur Regierung und der von ihr verfolgten Regierungspolitik grundsätzlich eine positive Einstellung, melden jedoch punktuelle Forderungen und Kritik an und sprechen 'Empfehlungen' der ein oder anderen Art aus. Diese Stufe kann als prinzipielle Verbundenheit trotz partieller 'Korrekturforderungen' hinsichtlich bestimmter Politiken gekennzeichnet werden. Stufe 3: Die Unternehmer üben deutliche Kritik an der generellen Regierungspolitik oder an einzelnen Aspekten, halten aber den Dialog mit der Regierung aufrecht. Forderungen werden noch über die traditionellen Kanäle an die Regierung oder staatliche Institutionen herangetragen. Diese Stufe könnte als Dialogbereitschaft verbunden mit nachdrücklichen Forderungen bezeichnet werden. Stufe 4: Die Unternehmer geraten in Opposition zur Regierung, verurteilen bestimmte Regierungsmaßnahmen und weisen sie strikt zurück. Es kommt zur Aufgabe des Dialogs über bestimmte Politik-Issues, die etablierten Vermittlungskanäle werden verlassen, und es wird verstärkt die öffentliche Meinung und die eigene Mitgliederbasis mobilisiert sowie der Kontakt zu möglichen gesellschaftlichen Bündnispartnern intensiviert, um den eigenen Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Diese Phase könnte als kritische Distanzierung plus Mobilisierung gekennzeichnet werden. Stufe 5: Die Unternehmer perzipieren die Politik einer Regierung in bestimmten Feldern oder generell als ihren Interessen zuwiderlaufend und sehen sich durch sie erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Sie erarbeiten und verfechten alternative Problemlösungen, erachten zu ihrer Durchsetzung aber noch eine Auswechselung des politischen Personals in Schlüsselpositionen für erforderlich und ausreichend, um eine Krisensituation zu bewältigen und erneut Vertrauen in die Politik haben zu können. Diese Stufe ließe sich als Performanzkrise charakterisieren.

16

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Vgl. zum folgenden P. Birle/P. Imbusch/Ch. Wagner, a.a.O., S. 52 f.

Stufe 6: Auf der kritischsten Stufe der Beziehungen zwischen Unternehmern und Staat stellen die Unternehmer die Legitimität eines politischen Systems und etablierter Herrschaftsstrukturen grundsätzlich in Frage. Sie bilden Allianzen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren oder Gruppen, die auf einen Bruch mit dem bestehenden Regime abzielen. Hier reicht den Unternehmern ein Austausch des politischen Personals in Schlüsselbereichen nicht mehr, sondern es kommt in der Folge auch zu einer Veränderung von Machtstrukturen. Diese Stufe ließe sich als Herrschaftskrise verstehen. 17 In Chile lassen sich in unterschiedlichen historischen Entwicklungsphasen alle Stufen antreffen. Konsens- und Konfliktkonjunkturen waren hier aber nicht allein von der Beziehung der Unternehmer zum Staat abhängig, sondern auch von gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen und sozialen Kräfteverhältnissen geprägt.

2.

Sichtweisen der chilenischen Unternehmerschaft

Diente das bisher Gesagte dazu, den Rahmen für unternehmerisches Handeln und das Handlungspotential von Unternehmer(verbände)n knapp allgemein zu skizzieren, so sollen im folgenden konkret bezogen auf die chilenische Unternehmerschaft fünf analytische Zugangsweisen der Untersuchung differenziert werden, die in sich nochmals unterschiedlich akzentuiert sind. 18 Da diese zugleich auch den Stand der Forschung dokumentieren, werden die Ergebnisse einzelner Studien resümiert und kritisch diskutiert. Als erstes wären eher strukturalistisch orientierte Studien zu unterscheiden, die die Unternehmer als eine herrschende Klasse begreifen und die interne Kohärenz und Verflechtung verschiedener Segmente herausarbeiten (z.B. Zeitlin/Ratcliff). Zweitens gibt es Studien, die das verbandsmäßig korporatistische Handeln der Unternehmer in den Mittelpunkt der Analyse rücken, um darüber das politische Verhalten der Unternehmer und ihre jeweiligen Haltungen zum Regierungshandeln deutlich zu machen (z.B. Campero, Gómez). Drittens existieren stärker morphologisch ausgerichtete Studien, die die Veränderungen in der Zusammensetzung der Unternehmerschaft in den letzten zwei Jahrzehnten in bezug auf soziale Ursprünge, Konzentrationsgrad, sektorale Verortung, Einstellungen und Lebensstile untersuchen. Dabei liegt die Betonung entweder auf den grupos económicos bzw. spezifischen Unternehmenssektoren (z.B. Dahse, Rozas/Marín, Sanfuentes) oder einer umfassenderen strukturellen Analyse von Gesellschaftsklassen, in der Unter17

18

Siehe zu den Begriffen Performanz- und Herrschaftskrise V. Rittberger, Politische Krisen und Entwicklungsprobleme, in: M. Jänicke (Hrsg.), Herrschaft und Krise. Beiträge zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung, Opladen, 1973, S. 26. Die folgenden Ausführungen verdanken wichtige Anregungen L. Abramo, El empresariado como actor social, in: Proposiciones, Num. 20, 1991, S. 120-142.

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nehmer einen Teilaspekt bilden (z.B. Martinez/Tironi). Viertens werden die Unternehmer auf der individuellen Ebene als Besitzer von Unternehmungen untersucht. Über die Rekonstruktion von Lebensläufen erfolgreicher Unternehmer bzw. von Umstrukturierungen auf der Betriebsebene zielen diese Studien auf das veränderte gesellschaftliche Verhalten der Unternehmer ab und betonen die Herausbildung eines neuen modernen Unternehmertyps innerhalb der Unternehmerschaft, der sich in seinen Verhaltensweisen gegenüber der Vergangenheit deutlich unterscheidet (z.B. Lagos, Montero, Rojas). Schließlich ist fünftens auch der Versuch unternommen worden, die Entwicklung des Unternehmens selbst sowie Veränderungen auf Betriebsebene zu erfassen und mit bestimmten Verhaltensweisen der Unternehmer in Zusammenhang zu bringen (z.B. Dfaz). Die hier vorgestellte Klassifizierung kann nicht mehr als ein erster Überblick über einzelne Zugänge zur Analyse der Unternehmer in Chile sein, da weitere Autoren jeweils unterschiedliche Aspekte miteinander kombiniert haben. Hier wären insbesondere die Arbeiten von Oscar Muñoz zu erwähnen, der in seinen Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der Industrialisierung Chiles und den historisch unterschiedlichen Entwicklungsstrategien einen Schwerpunkt auf die Beziehungen von Unternehmerschaft und Staat und das entsprechende Wechselverhältnis gelegt hat. 19 2.1. Strukturalistische Studien: Unternehmer als herrschende Klasse Bereits frühzeitig wurden Untersuchungen durchgeführt, die Industrieunternehmer und Agraroligarchie als Teil einer herrschenden Klasse auffaßten, deren Interessen im wesentlichen die Geschicke des Landes beeinflußten bzw. bestimmten. Aus diesen Studien ragen die Arbeiten von Maurice Zeitlin und Richard Earl Ratcliff 20 heraus, weil sie weder in erster Linie (bzw. nur indirekt) die Existenz einer solchen herrschenden Klasse nachweisen, noch die Beziehungen zwischen einzelnen gesellschaftlichen Klassen untersuchen wollen, sondern es ihnen um die innere Struktur der herrschenden Klasse und das Aufzeigen des engen Beziehungsgeflechts innerhalb dieser geht. Dabei heben sie nicht nur auf die ökonomischen Bindungen "

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Vgl. etwa O. Muñoz, Chile y su industrialización. Pasado, crisis y opciones, Santiago, 1986; O. Muñoz, El papel de los empresarios en el desarrollo. Enfoques, problemas y experiencias, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 20, 1986, S. 95-120; O. Muñoz, El Estado y los empresarios. Experiencias comparadas y sus implicaciones para Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 5-53. M. Zeitlin/R.E. Ratcliff, Research Methods for the Analysis of the Internal Structure of Dominant Classes. The Case of Landlords and Capitalists in Chile, in: Latin American Research Review, Vol. X, 1975, Num. 3, S. 5-61; M. Zeitlin/R.E. Ratcliff, Landlords and Capitalists. The Dominant Class of Chile, Princeton N.J., 1988; M. Zeitlin/R.E. Ratcliff, The Concentration of National and Foreign Capital in Chile 1966, in: A. Valenzuela/J.S. Valenzuela (Eds.), Chile. Politics and Society, New Brunswick, 1976, S. 297-337.

(Eigentumsverschränkungen, interlocking directorates, gemeinsame Tochterunternehmen etc.) zwischen einzelnen Segmenten der 'dominant class', sondern insbesondere auf die sozialen Bindungen (Verwandschafts- und Heiratsbeziehungen) zwischen einzelnen Familien dieser Klasse ab. Die ausführliche Behandlung der 'foTu/itp-Beziehungen' begründen die Autoren damit, daß sie die Grundlage für die innere Integration und historische Kontinuität der herrschenden Klasse bildeten, da untereinander heiratende Familien ihre konstitutiven Einheiten seien. Besitz und Kontrolle über Kapital und Land befinde sich meist in einer Familie. Im empirischen Teil ihrer Studien untersuchen Zeitlin/Ratcliff diese Zusammenhänge systematisch für die Zeit Mitte der 60er Jahre und betrachten dabei die Manager oder Besitzer der 37 größten (Nicht-Bank-)Unternehmen, die Eigentümer oder Manager der sechs größten Banken, die größten Grundbesitzer des Landes, und die Personen, die sich durch große Investitionen in den führenden Unternehmen des Landes auszeichnen. Dabei kommen sie zu dem Schluß, daß die einzelnen Segmente der herrschenden Klasse untereinander aufs engste sozial über familiäre Bindungen miteinander verwoben sind. In ihrer 'kinship-Analyse' und der Betrachtung von Familiengenealogien identifizieren sie die engeren Verwandten der Unternehmer der Stichprobe und zeigen ihre ökonomischen Verbindungen untereinander auf, die weit über das Ausmaß traditioneller Befunde ökonomischer Besitzkonzentration hinausgehen. Agraroligarchie und Industriebourgeoisie könnten angesichts ihrer engen Bindungen nicht als unterscheidbare Teile aufgefaßt werden, sondern seien vielmehr koexistierende und untrennbare Bestandteile einer dauerhaft und langfristig zusammengeschmiedeten Klasse. Um diese engen Familienbindungen herum breite sich ein ganzes Netz von sie einigenden sozialen Verpflichtungen aus, die aus ihnen eine kohärente soziale Klasse mache (gleiches soziales Milieu, gleiche exklusive Clubs, Sommer- und Winterferienorte, Privatschulen, Colleges, Universitäten im Ausland etc.). Die komplexen Muster verwandtschaftlicher Beziehungen unter den besitzenden Familien seien einerseits Resultat eines gesellschaftlichen Machtgefüges umd verstärkten andererseits das Geflecht der gesellschaftlichen Interaktion in bezug auf gegenseitige Verpflichtungen und Loyalitäten. Über die sich aus ihrer Stellung im Produktionsprozeß ergebenden gemeinsamen Interessen, die aus ihnen eine ökonomische Klasse mache, gehörten Landbesitzer und Industrielle auch zu einer einzigen sozialen Klasse. Die Widersprüche zwischen Agraroligarchie und Industriebourgeoisie - und ebenso die Brüche, die zwischen ihnen als Resultat der Politik des Staates in den Jahrzehnten bis 1970 zu politischen Rivalitäten geführt hätten - seien also nicht zwischen verschiedenen, wenn auch ontologisch realen Klassensegmenten aufgetreten. Vielmehr seien widersprüchliche Interessen und sektorale Brüche innerhalb Chiles herrschender Klasse auseinandergefallen. Agrarische und industtriekapitalistische Elemente seien derartig fusioniert, daß keine von beiden eine spezifische Autonomie bzw. unterscheidbare soziale Identität aufweise. Damit fän-

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den all die Theorien in der chilenischen Realität keine Entsprechung, die einen Gegensatz und Konflikt zwischen 'traditioneller' und 'moderner' Bourgeoisie, 'feudalen' oder 'kapitalisti-schen' Produktionsmethoden und herrschenden Klassen (Agraroligarchie vs. Industriebourgeoisie) in bezug auf politische Ziele postulierten. 21 Mit ihrem Ansatz versuchen Zeitlin und Rate Ii ff nicht nur 'maximum kinship groups' als Kern der herrschenden Klasse Chiles zu identifizieren, sondern auch die engen ökonomischen und sozialen Bindungen an das Auslandskapital aufzuzeigen. Darüber hinaus glauben sie, ein soziopolitisches Beziehungsgeflecht zum Staat aus der Struktur der herrschenden Klasse selbst identifizieren zu können, indem sie darauf rekurrieren, daß häufig enge Verwandte des Kerns der Unternehmerschaft hohe politische Ämter bekleideten. Ökonomische und soziale Verflechtung untereinander und der Familiennexus würden selbst bei direkter Abwesenheit der Unternehmer in der Politik eine gewisse Interessensicherung und -durchsetzung garantieren. Die Stärke des Ansatzes von Zeitlin/Ratcliff liegt im Aufzeigen der inneren Zusammengehörigkeit und der engen familiären Bindungen unter den dominanten Gesellschaftsschichten in Chile. Damit wird auf eine besondere Art von Kohäsion abgehoben, die ansonsten in den wenigsten Fällen überhaupt zur Kenntnis genommen und eher gering geschätzt wird. Erleichtert wird die Methodik der beiden Autoren sicherlich dadurch, daß Chile ein relativ kleines Land mit einem hochgradig konzentrierten Macht- und Herrschaftsapparat in Santiago ist, wo sich die Mitglieder der höchsten Gesellschaftsschichten in engen exklusiven Zirkeln zusammenfinden und treffen können. Denoch wird die Einheitlichkeit der herrschenden Klasse, die sich über Familienbande herstellt, überschätzt, da Zugehörigkeit zu einem 'Familienclan' keineswegs automatisch Interessengegensätze ausschließt. Warum Familienloyalitäten, die in einem Land wie Chile sicherlich nicht zu unterschätzen sind, ökonomische Interessen in jedem Fall zurücktreten lassen sollten, bleibt unerfindlich. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Theorie der 'sectoral clashes'22 und ausführlicher komparativer Studien zweifelhaft, die für verschiedene historische Perioden derartige Konfliktlinien nachzeichnen und reale Ol

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Derartige Denkformen fanden sich Anfang der 70er Jahre etwa in einem Gutteil der Dependenztheorien und Imperialismusanalysen, aber auch in Modemisierungstheorien. Insbesondere die Dependenztheorien stellten einer reaktionären Agraroligarchie, die im Prinzip die Interessen der Zentrumsmächte vertrat, eine fortschrittliche und konziliatorische Industriebourgeoisie gegenüber, die selbst unter der Abhängigkeit und Dominanz der Agraroligarchie und dem Ausbeutungsnexus zum Weltmarkt zu leiden habe und entsprechend als 'Bündnispartner' für die Überwindung dieser Verhältnisse gewonnen werden könne. Siehe M.J. Mamalakis, The Theory of Sectoral Clashes, in: Latin American Research Review, Vol. IV, 1969, Num. 3, S. 9-46; M.J. Mamalakis, The Theory of Sectoral Clashes and Coalitions Revisited, in: Latin American Research Review, Vol. VI, 1971, Num. 3, S. 89-126.

Interessengegensätze zwischen einzelnen Fraktionen bzw. Sektoren der privaten Unternehmerschaft aufzeigen konnten.23 Die 'kinship-Analyse' von Zeitlin und Ratcliff kann entsprechend eher auf einer Metaebene angesiedelt werden, vor deren Hintergrund dann reale Konfliktkonstellationen zwischen verschiedenen Teilen der Unternehmerschaft zu erörtern wären. 2.2. Unternehmerverbände als konstitutive Einheiten politischen Handelns Unter denjenigen Studien, die das Unternehmerverhalten v.a. mittels der Unternehmerverbände untersuchen, ragen die Arbeiten von Guillermo Campero und Sergio Gómez heraus. Beide Autoren betonen eine beträchtliche Heterogenität innerhalb der Unternehmerschaft, die sich wesentlich aus der unterschiedlichen Größe der Unternehmen ergibt. Sie versuchen, das Unternehmerverhalten über ihre Interessenvertretungsorgane entweder im historischen Längsschnitt oder in bestimmten Konfliktkonstellationen nachzuzeichnen. Dabei gehen die Studien von Campero über die von Gómez hinaus, der sich nur mit den Verbänden des Agrarsektors beschäftigt. 2.2.1. Guillermo Campero Für Campero 24 korrespondiert mit der Größendifferenzierung der Unternehmen eine unterschiedliche Organisationsstruktur von großen, mittleren und kleineren Unternehmen, denen ebenfalls entsprechend verschiedene politisch-ideologische Orientierungen (liberal vs. korporativ) wie auch soziokulturelle Charakteristika zugrunde liegen. Dieser Unterteilung entspreche grob auch eine Orientierung auf unterschiedliche Märkte (Binnenmarkt vs. Weltmarkt). Demgegenüber mißt Campero dem Ursprung der Kapitale in seinen Studien keine größere Bedeutung zu. Die Untersuchungssubjekte Camperos sind zum einen der Dachverband der Großunternehmer COPROCO (Confederación de la Producción y del Comercio) und seine sechs Zweigverbände (Sociedad de Fomento Fabril, Sociedad Nacional de Agricultura, Sociedad Nacional de Minería, Cámara Nacional de Comercio, Cámara Chilena de la Construcción, Asociación de Bancos e Instituciones Financieras) sowie der Dachverband der kleinen und mittleren Unternehmer CPME (Consejo de la Pequeña y Mediana Empresa) und dessen Zweigverbände. Beide agieren als Repräsentationsorgane ihrer Unternehmenssegmente und seien offiziell anerkannte Sprachrohre ihrer jeweiligen Basis. Der CPME sei insgesamt schwächer als die COPROCO, weil er zum einen über geringere wirtschaftliche Macht ver23 24

Vgl. z.B. D. Story, Sectoral Clash and Industrialization in Latin America, Syracuse, 1981. G. Campero, Los gremios empresariales en el periodo 1970-1983. Comportamiento sociopolitico y orientaciones ideológicas, Santiago, 1984; G. Campero, Los empresarios chilenos en el régimen militar y el post-plebiscito, ILET, Santiago, 1990.

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füge, zum anderen eine versprengtere soziale Basis habe. Die Mehrheit seiner Gremien sei jüngeren Datums (1940-1970), wohingegen die Verbände der COPROCO eine bis in das letzte Jahrhundert zurückreichende Tradition hätten. Auch wenn daher die COPROCO immer eine größere Rolle im nationalen Leben gespielt habe, sei der CPME die wirkliche 'Soziale Kraft' der Unternehmerschaft. Die 'politische Führung' habe dennoch historisch fast ausschließlich bei den Verbänden der Großunternehmer gelegen. In bezug auf politisch-ideologische Überzeugungen charakterisiert Campero letztere als marktliberal: Sie bevorzugten den Markt als Regulationsinstanz, plädierten für eine offene und internationalisierte Ökonomie sowie eine reduzierte, nur wenig interventionistische Rolle des Staates. Dagegen charakterisiere die mittleren und kleinen Unternehmen, selbst wenn sie mit dem Weltmarkt verbunden seien, eher korporative Strukturen. Sie verträten 'nationalistische' Positionen, seien für eine Protektion des Staates und forderten eine größere offizielle Beteiligung der Organisationen der Unternehmerschaft an der politischen Macht. Die Eigenperzeption dieses Segments der Unternehmerschaft als 'hombres de trabajo' diene dazu, sich sowohl gegenüber den Großunternehmern wie auch gegenüber den Mittelschichten abzugrenzen. Das von den Verbänden der CPME verteidigte Konzept eines 'nationalen Unternehmertums' wird von den Großunternehmern zurückgewiesen, da es effizienten Produktions- und Vermarktungsstrukturen entgegenstehe, die durch staatliche Protektion und die geringe Produktivität auf dem Binnenmarkt verursacht würden. Die Verteidigung des Privateigentums und die damit einhergehenden Eigentumsrechte bildeten das grundsätzlich identitätsstiftende Moment zwischen Groß- und Kleinunternehmern und den Schlüsselfaktor für die Überwindung ihrer Gegensätze unter der Regierung der Unidad Populär. Während die Großunternehmer die entscheidende ideologische Rolle in der Destabilisierung der Allende-Regierung gespielt hätten, sei den kleinen und mittleren Unternehmern die Rolle einer sozialen Bewegung gegen die damalige Regierung zugekommen, die schließlich zum Sturz geführt habe. In den ersten Jahren der Militärdiktatur hätten dann erneut die Konflikte zwischen verschiedenen Segmenten der Unternehmerschaft die Oberhand gewonnen. Eine der Hauptschlußfolgerungen von Campero ist, daß die chilenische Unternehmerschaft soziologisch betrachtet eher eine selbständige Mittelklasse sei als eine Großbourgeoisie. Dies leitet er u.a. aus ihrer wirtschaftlichen Potenz, der numerischen Überzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, ihren Lebensstilen und der Art ökonomischer Aktivitäten, denen sie sich widmet, ab: Die große Masse der Unternehmer sei im Handels- und Dienstleistungsbereich und nicht in der Produktion zu finden. Dies habe beträchtliche Auswirkungen auf ihr soziales und politisches Verhalten. In seiner empirischen Analyse dieser beiden Gruppierungen seit der Zeit der Unidad Populär stellt Campero verschiedenartige Diskurse, ein differenziertes 48

politisches Verhalten und unterscheidbare Konflikt- und Konsenskonjunkturen fest, die sich nicht nur auf konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen, sondern auch auf weitergehende soziokulturelle Aspekte bezogen, die schon vor 1973 für Differenzen zwischen großen und kleinen Unternehmerverbänden sorgten. Während die chilenische Unternehmerschaft das Militärregime auf politischer Ebene (Verteidigung des Privateigentums, Unterdrückung sozialer Bewegungen) unterstützte und sie hier eine große Homogenität zeigte, gab es in jener Periode auf ökonomischer Ebene eine Reihe von bedeutenden Konflikten, in denen sich die Heterogenität der Unternehmerschaft und ihre verschieden guten Beziehungen zur Regierung niedergeschlagen habe. Die Großunternehmer und ihre Verbände hätten das Militärregime aber im Gegensatz zu kleinen und mittleren Unternehmern über die gesamte Dauer grundsätzlich unterstützt. Nach einem langen und kostspieligen Kampf um die Orientierung der Wirtschaftspolitik habe man schließlich die neoliberale Politik als 'zweitbeste Alternative' akzeptiert, da das Militärregime beträchtliche Vorteile für die Unternehmer bereitgehalten habe - so eine weitere Schlußfolgerung Camperos. Gegen Ende der Diktatur habe sich der Sektor erneut relativ vereinheitlicht und die Erfolge der Diktatur in bezug auf die Verteidigung ihrer vitalsten Interessen hervorgehoben. Eine der wesentlichsten Veränderungen im Untemehmerverhalten kann gemäß Campero in der Entstehung eines in sich relativ homogenen und von der Mehrheit der Unternehmer geteilten ökonomischen und soziopolitischen Diskurses gesehen werden, der mit den bis in die 70er Jahre hinein dominanten Diskursen anderer sozialer Akteure in Konkurrenz getreten sei. Dieser ziele nicht nur darauf ab, die Unternehmer zu den Protagonisten von Fortschritt und Entwicklung zu stilisieren, sondern auch die historisch defensive Haltung der Unternehmerschaft zu überwinden und eine herausgehobenere Rolle als sozialer Akteur in ökonomischen, politischen und ideologischen Angelegenheiten zu spielen. Damit sei gleichzeitig eine höhere interne Kohärenz und Identitätsstiftung als soziale Klasse intendiert gewesen. 2.2.2. Sergio Gómez Die Studie von Gómez 25 zu den Agraruntemehmern setzt ebenfalls den Schwerpunkt auf das Verhalten der Unternehmerverbände gegenüber der Regierungspolitik. Dazu analysiert er den Verlauf und das Ergebnis vier unterschiedlicher Konfliktsituationen in den Jahren zwischen 1976 und 1985 und zeigt, daß grundsätzliche Spaltungen innerhalb des Agrarsektors von der Größenordnung der Unternehmen abhingen. Darüber hinaus spielten die Variablen Region und mehr oder weniger

S. Gómez, Organizaciones empresariales rurales y políticas estatales en Chile. Coyunturas de conflictos y consensos, FLACSO, Documento de Trabajo, Num. 392, Santiago, 1988.

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große Einbindung in den Prozeß landwirtschaftlicher Modernisierung eine wichtige Rolle. Gemäß dieser Kriterien differenziert er die folgenden Sektoren: - Die SNA (Sociedad Nacional de Agricultura), der älteste und mächtigste Verband der Agrarier, repräsentiere v.a. große Unternehmer der Zentralzone, die sich am besten in den Modernisierungsprozeß der Landwirtschaft eingegliedert hätten; - die CPA (Confederación de Productores Agrícolas), die in den 70er Jahren mit dem Ziel der Bekämpfung der Landarbeitergewerkschaften gegründet worden sei, repräsentiere hauptsächlich große und mittlere Unternehmen, die sich nicht oder nur unzureichend in den Modernisierungsprozeß der Landwirtschaft einfügen konnten; - der CAS (Consorcio de Sociedades Agrícolas del Sur), der hauptsächlich mittlere und kleine Unternehmer des Südens vertrete, sei niemals mit den traditionellen politischen Sektoren des Landes identifiziert worden. Da die Ökonomie dieser Breitengrade fast ausschließlich von land- und forstwirtschaftlichen Aktivitäten abhängig sei, wären die Landwirte dieser Zone fundamentale Akteure der regionalen Machtstruktur und seien gegenüber den beiden anderen Gruppen und dem Staat weitgehend autonom. In den Schlußfolgerungen von Gómez tauchen einige mit Campero übereinstimmende Elemente auf. Es existiere ein Basiskonsens unter diesen Unternehmerverbänden sowie zwischen diesen und der Militärdiktatur über die Notwendigkeit der uneingeschränkten Respektierung des Privateigentums und der Unterdrückung der Bauern- und Landarbeitergewerkschaften, die die Junta abgesichert habe. Die Garantierung konfliktfreier Arbeitsbeziehungen war mit der Aufrechterhaltung der überkommenen Sozialordnung auf dem Lande und der Kontrolle sozialer Bewegungen verbunden. Zudem sei den Agrariern ein beträchtlicher Teil der lokalen Macht zugefallen, da in der Mehrheit der Fälle die von oben eingesetzten Bürgermeister der ländlichen Kommunen lokale Agrarunternehmer waren. Dennoch seien die ersten zehn Jahre der Militärdiktatur durch permanente Konflikte zwischen bestimmten Segmenten der Agrarunternehmer und der Regierung gekennzeichnet gewesen, die sich in dem Maße verschärft hätten, wie die Regierung neoliberale Prinzipien auch auf den Agrarsektor übertragen habe. Dabei hätten die betroffenen Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer immer wieder auf die ihrer Meinung nach bestehenden Widersprüche des Modells (Protektion und Subsidiierung bestimmter Branchen und Zweige, hohe reale Zinssätze, fixer niedriger Dollar, geringe und gleiche Zollsätze mit der Folge der Überschwemmung des einheimischen Marktes mit ausländischen Produkten, Nachfragerückgang durch Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste etc.) hingewiesen und eine Politik gefordert, die ihnen wenigstens minimale Rentabilitätsbedingungen garantiere. In den analysierten Konflikten, die die Unternehmerverbände nur zum Teil für sich entscheiden konnten, stach insbesondere die Aggressivität und Kampfbereitschaft der mittleren 50

Unternehmer des Südens hervor, die weitaus größer war als die der Großverbände. Ein wichtiges Ergebnis der Studie von Gómez ist auch, daß sich die Durchsetzungschancen bestimmter agrarischer Interessen in dem Maße erhöhten, wie sich entweder andere Agrarverbände solidarisierten oder generell Verbände anderer Sektoren ebenfalls betroffen waren und gegen die Maßnahmen protestierten. Die Untersuchung von Campero zählt zu denjenigen Studien, die entweder eine hohe Autonomisierung des Staates oder/und ideologische Variablen für das Handeln und Verhalten der Unternehmerverbände verantwortlich machen. Zur Erklärung des politischen Verhaltens zumindest der größten Unternehmerverbände seit 197S zeichnet er ein Bild, in dem ein hochgradig 'ausschließendes' Militärregime mit einer starken Zentralisierung der Macht in der Person Pinochets auf eine kleine Gruppe ziviler Technokraten gestützt einen radikalen gesellschaftlichen Wandel einleitet, der auf den (entschiedenen) Widerstand von Industriellen, Agrariern und der organisierten Arbeiterbewegung stößt. Dabei wird von Campero eine 'Überideologisierung' für die langjährige Unterstützung der großen Unternehmerverbände verantwortlich gemacht, die ihre mangelnde Kritik angesichts der scheinbar ihren Interessen zuwiderlaufenden Umsetzung der monetaristischen Wirtschaftspolitik hervorgerufen haben soll. Demgegenüber muß aber betont werden und dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit auch begründet -, daß die Akzeptanz des neoliberalen Modells seitens der Unternehmer(verbände) ihren wirtschaftlichen Interessen entsprach. Diejenigen Teile der Unternehmerschaft, deren wirtschaftliche Interessen durch das monetaristische Modell verletzt wurden, opponierten von Anfang an gegen dessen Umsetzung. Die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Sektoren der Unternehmerschaft waren weitaus stärker verantwortlich für ihr Handeln als ideologische Faktoren, deren Bedeutung in anderer Hinsicht - wie ebenfalls im folgenden gezeigt werden wird - nicht zu unterschätzen ist. Die dem Neoliberalismus gemäße Rhetorik der Unternehmer(verbände) darf also nicht überbewertet werden, zumal sich der Unternehmerdiskurs in dem Moment änderte, in dem das radikal-monetaristische Modell Anfang der 80er Jahre nicht mehr gangbar war. Aber auch dieser Umschwung hat mehr mit den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer und veränderten Machtbeziehungen zu tun als mit genuin ideologischen Faktoren. Fraglich ist generell, ob Unternehmer über einen längeren Zeitraum hinweg gegen ihre wirtschaftlichen Interessen verstoßen können, ohne Schaden zu nehmen. Damit einher geht bei Campero die teils implizit enthaltene, teils explizite Behauptung, daß das freie Marktmodell eigentlich gegen die Wünsche und Vorstellungen der dominanten Gesellschaftsschichten durchgesetzt werden mußte. Diese Argumentation übersieht die engen Beziehungen der Chicago Boys mit den größten grupos económicos jener Jahre und läßt damit die nicht verbandsmäßig organisierten Untemehmerteile außer acht. Sie leistet zudem einer eigentümlich

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'moralischen' Argumentation Vorschub, in der sich (zumindest Teile der) Unternehmer neben anderen gesellschaftlichen Gruppen schließlich in einer 'Opferrolle' wiederfinden, die angesichts ihres realen Verhaltens gänzlich unangemessen erscheint. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft Camperos Zurechnung der chilenischen Unternehmer zu den selbständigen Mittelklassen denn zur Bourgeoisie. Zwar ist richtig, daß in jedem kapitalistischen Land das Gros der Unternehmer aus kleinen und mittleren Unternehmern besteht und die Großunternehmer der kleinste Teil der Unternehmerschaft sind. Der Zurechnung Camperos liegt aber eine mangelnde Differenzierung der einzelnen Größenklassen von Unternehmern zugrunde, die gerade die soziologisch interessante Fragestellung nach unterschiedlichen Machtressourcen und Einflußmöglichkeiten zu wenig reflektiert. Die in Anspruch und Reichweite viel eingeschränktere Studie von Gómez zeichnet dagegen ein Profil der Agrarverbände nach, das auf realen Verhaltensweisen und wirtschaftlichen Interessen beruht. Er vermeidet dadurch Unschärfen, wie sie bei Campero entstehen, und argumentiert strukturell zufriedenstellender. 2.3.

Morphologische Studien

2.3.1. Die Analyse der Großkonzerae (grupos económicos) Ein bedeutender Schwerpunkt morphologisch orientierter Studien liegt auf der Analyse der grupos económicos als Ausdruck einer bedeutenden Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Für Fernando Dahse2^ besteht das Charakteristische der grupos in der Kontrolle über eine beträchtliche Zahl von Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftszweigen oder -Sektoren, die im wesentlichen der Diversifizierung von Investitionen und der Minderung von Risiken dient, um im Umfang zumindest stabile und langfristig steigende Gewinne zu erzielen. Seit Mitte der 60er Jahre und insbesondere mit der Militärdiktatur habe sich in der chilenischen Ökonomie ein spektakulärer Konzentrationsprozeß vollzogen, der dazu geführt habe, daß eine äußerst reduzierte Gruppe von Unternehmen direkt oder indirekt die Prozesse in der Wirtschaft kontrolliere. Diese Kontrolle würde den Unternehmen eine außerordentliche ökonomische und politische Machtposition in der chilenischen Gesellschaft einräumen, die sich in einer Anzahl von ca. 80 Personen als Besitzer oder Manager der größten 200 Unternehmen des Landes auch personell manifestieren ließe. Aus analytischen Gründen unterscheidet Dahse zwischen der Logik einer grupo económico und der eines individuellen Unternehmers. Während sich dieser in erster Linie mit seinem eigenen F. Dahse, El mapa de la extrema riqueza. Los grupos económicos y el proceso de concentración de capitales, Santiago, 1979; F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, FLACSO, Contribuciones, Num. 18, Santiago, 1983.

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Unternehmen und den entsprechenden Absatzmärkten beschäftige, müsse eine grupo ihren Blick auf eine hochgradig verflochtene Produktion und damit auf die nationalen politökonomischen Probleme richten. Darüber hinaus agierten die grupos direkt ohne Vermittlung der Unternehmerverbände auf den Staat hin, wohingegen individuelle Unternehmer in der Regel auf ihren Verband angewiesen blieben. Grupos económicos seien dominant, wenn es ihnen gelänge, dem Rest der Gesellschaft ein bestimmtes, weit überdurchschnittlich zu ihren Gunsten funktionierendes Entwicklungsmodell aufzuzwingen. Genau dies sei mit der Militärdiktatur passiert, als nämlich der Staat nach und nach von Unternehmersektoren kontrolliert worden sei, die hochkonzentriert waren und über eine Vielzahl von Unternehmen verfugten. Diese grupos hätten den Staat in einen Agenten ihrer wirtschaftlichen Interessen verwandelt, was sich deutlich in dem implantierten, nur einer kleinen Gruppe von Unternehmen zugute kommenden Wirtschaftsmodell ausdrücke. Die Durchsetzung des Monetarismus und die schließliche Konsolidierung der Macht der grupos habe die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und die strikte Kontrolle und Unterdrückung jeglicher Opposition zur Voraussetzung gehabt. Im Ergebnis sei es durch ökonomische und politische Maßnahmen der Regierung zu einer Konzentration des Kapitals bei denjenigen grupos gekommen, die den Staat und seine Politik wesentlich bestimmten. Dazu dienten - die starke Kontraktion der Reallöhne der lohnabhängig Beschäftigten; - die Steigerung der Produktivität der Arbeitskraft mit repressiven Mitteln; - die subsidiäre Übertragung wirtschaftlicher Ressourcen des Staates auf den Privatsektor im Zuge der Privatisierungsprozesse; - der Rückveräußerungsprozeß der Banken im Besitz der CORFO (Corporación de Fomento de la Producción), die die Kontrolle über den Finanzsektor seitens einer reduzierten Zahl von großen Unternehmen nach sich gezogen habe; - die finanzielle Außenöffnung und Liberalisierung, die nur wenigen großen Unternehmen den Zugang zu externen Krediten und damit alle Vorteile differenzierter Zinssätze eingeräumt habe; - die Liberalisierung der Preise, die in einem Kontext der Rezession zusammen mit anderen Maßnahmen die oligopolistische Kontrolle von Märkten verstärkt und zum Verschwinden kleiner, mittlerer und großer Konkurrenzunternehmen geführt habe. Die Aufrechterhaltung politischer Machtpositionen sei den grupos deswegen möglich gewesen, weil sie erstens einen zunehmenden Anteil am industriellen, agroextraktiven und finanziellen Vermögen des Landes kontrolliert hätten; zweitens ohne Gegenmacht Einfluß auf den Staat ausüben konnten, der für die Aufrechterhaltung des etablierten Gesellschaftssystems sorgte; drittens eine abhängige Allianz mit dem Auslandskapital eingegangen seien (insbesondere mit dem internationalen Finanzkapital); viertens die vollständige Kontrolle über die Massenkommunika53

tionsmittel innehatten; und fünftens die politische Partizipation der Masse der Bevölkerung extrem einschränkten. Dahses empirische Untersuchung der größten Unternehmen des Landes und der Bildung von grupos weist eine hochgradige Konzentration des Betriebsvermögens aus, die ihn dazu fuhrt, von einer beträchtlichen politischen Macht der wichtigsten grupos zu sprechen. Die Überlagerung von politischer und ökonomischer Macht habe notwendigerweise einen autoritären Rahmen erfordert. In gewisser Hinsicht eine Fortschreibung der Studie von Dahse stellt die Arbeit von Patricio Rozas und Gustavo Marín dar. 2 7 Grundlegendes Ziel der Autoren ist es, die Neustrukturierung ökonomischer Macht in Chile seit der Wirtschaftskrise der 80er Jahre zu untersuchen, die mit einem beträchtlichen Entnationalisierungsprozeß der chilenischen Ökonomie einhergegangen sei. Rozas/Marfn widmen sich detailliert den Veränderungen in der Beziehung von transnationalem Kapital und lokalen herrschenden Klassen. Ihre Hauptthese ist, daß das Auslandskapital eine aktive Rolle in der Reartikulierung des Blocks an der Macht gespielt habe, da dieser durch die schwere Rezession Anfang der 80er Jahre in eine Krise mit politischen Ausmaßen geraten sei. Dazu habe insbesondere die Kapitalisierung der Schulden und die Übereignung von Unternehmen als Zahlungsmodus zugunsten der ausländischen Konzerne gedient. Das Auslandskapital sei Eigentümer der von der Krise am stärksten betroffenen grupos económicos entweder durch direktes Aufkaufen geworden oder hätte sich wichtige Aktienpakete von strategischen Staatsunternehmen im Rahmen der Privatisierungsprozesse angeeignet oder sei Mehrheitseigner von Aktienpaketen über den Verlust der Kontrolle seitens der nationalen grupos geworden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen wie bei Dahse die grupos económicos, allerdings mit dem Unterschied, daß hier die fundamentale Schnittstelle in der Herkunft der Kapitale (national oder ausländisch) gesehen wird. Auf dieser Ebene wird dann die Neustrukturierung der Unternehmerschaft als ein mit großer Macht und beträchtlichem Einfluß auf die Entwicklung des Landes ausgestatteter wirtschaftlicher und politischer Akteur betrachtet, wobei im Zentrum die spezifischen Verbindungen der größten Auslandskapitale mit diversen chilenischen Unternehmen stehen. Im Laufe dieses Prozesses seien die grupos auf eine solidere Basis gestellt worden und die Konglomeratsstruktur hätte sich beträchtlich diversifiziert. Rozas/Marfn betonen, daß es sich hier um laufende Veränderungsprozesse handele, die nicht als abgeschlossen gelten könnten. Zwei wesentliche Veränderungen in der Struktur der chilenischen Unternehmerschaft könnten aber festgehalten werden: zum einen ein qualitativ neuartiger und höherer Konzentrationsprozeß der Kapitale nach 1985, der im wesentlichen aus Eigentumsübertragungen resultiere; und zum anderen die 97 P. Rozas/G. Marín, 1988. El "mapa de la «trema riqueza' 10 años después, Santiago, 1988. 54

zunehmende Entnationalisierung der chilenischen Bourgeoisie, da die transnationalen Konzerne gleichzeitig ein stärkeres Gewicht in der Ökonomie erlangt hätten. Befanden sich die transnationalen Konzerne in den 70er Jahren noch in einer relativ subordinierten Position gegenüber den nationalen Finanzgruppen, so hätten sie seither jene von der Kontrolle der dynamischsten Wirtschaftssektoren verdrängt. 28 Andrés Sanfuentes 29 stimmt in bezug auf die strukturellen Charakteristika der grupos económicos mit den zuvor genannten Autoren weitgehend überein. In seiner historischen Längsschnittanalyse untersucht er Entstehung und Entwicklung der grupos im Zeitverlauf, fragt dann aber insbesondere nach den Problemen, die das Wirken der grupos hervorrufen könne, und einer geeigneten Politik, diesen zu begegnen. Von besonderem Interesse ist für ihn die Frage, wie den vielfältigen durch die große Marktmacht der grupos entstehenden Verzerrungen gegengesteuert werden kann, ohne auf die Vorzüge ihrer Entwicklungskapazitäten zu verzichten. Als die gravierendsten durch sie verursachten Ungleichgewichte betrachtet der Autor erstens die exzessive politische Macht der grupos, zweitens die Reichtumsund Einkommenskonzentration, drittens den Verlust an Wettbewerb und viertens ihre Einflußnahme auf Entwicklungsstile. Neben der Verschärfung der Macht- und Einkommenskonzentration durch die Anhäufung großer Kapitalmengen und der durch die Kapitalkonzentration induzierten tendenziellen Aufhebung von Wettbewerbsstrukturen, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu einer inefñzienten Allokation von Ressourcen, suboptimalen Produktions- und Beschäftigungszahlen, fehlenden Anreizen für Innovationen, überhöhten Preisen auf den Binnenmärkten führen würden, dürften insbesondere die beiden übrigen Punkte von besonderer Bedeutung sein. Die Macht der grupos, Politik zu beeinflussen, beruhe auf ihrer großen ökonomischen Macht, die sich in der Regel direkt auf die politische Ebene übertrage und dort Entscheidungen der Regierung und die Formulierung von Gesetzesvorhaben präformiere. Dabei sei es zunächst gleichgültig, ob es sich um globale Strategien oder den Erhalt spezifischer Vergünstigungen handele (Vorzugszölle, Steuererleichterungen, billige Kredite etc.). Von Bedeutung sei auch die Leichtigkeit des Zugangs zu Informationen, die es den grupos erlaube, Handlungen anderer gesellschaftlicher Akteure zu antizipieren bzw. den Konsequenzen bestimmter wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu entkommen, da man privilegiert Kenntnis von einzelnen Maßnahmen der Regierung 90

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Auf ähnliche Aspekte hebt auch eine Studie von L.F. Rojas, Concentración económica, conglomerados empresariales e inserción transnacional. Chile 1964-1970, 1973-1978, Memoria de Titulo para optar al grado de Licenciado en Sociologia, Pontifìcia Universidad Católica de Chile, Santiago, 1982, ab. A. Sanfuentes, Los grupos económicos. Control y políticas, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 15, 1984, S. 131-170.

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erhalten habe. Die effektive Kontrolle der grupos, die die Macht und Handlungsspielräume der Regierung stark einschränken könnten, sei am erfolgreichsten über die Dispersion ihrer ökonomischen Macht und die Monopolkontrolle zu erreichen. Komplementäre Maßnahmen bestünden in Formen gesellschaftlicher Kontrolle. Schließlich verhalte sich die Existenz großer Unternehmenskonglomerate keineswegs neutral auf die Ausgestaltung von Entwicklungsstrategien und Wirtschaftspolitiken. Die Festlegung und Umsetzung von Wirtschaftsstrategien müsse aufgrund der großen Marktmacht der grupos nur mit wenigen Akteuren beschlossen werden. Erfolge von Wirtschaftsstrategien hingen in zunehmendem Maße von günstigen Resultaten und Gewinnen für die wenigen beherrschenden grupos ab; auch in der Umsetzung bestimmter staatlicher Wirtschaftspolitiken bestünden schwerwiegende Restriktionen, so daß die Existenz großer grupos und die Unabhängigkeit der Politik immer stärker zueinander in Widerspruch gerieten. Die Studien von Dahse und Rozas/Marfn rücken die Großkonzerne in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie liefern eine detaillierte Analyse des Wachstums und der Machtkonzentration der grupos im Verlauf der Militärdiktatur, wobei sie auch zu einer Differenzierung der Machtquellen und der Ursachen für die starke Reichtumskonzentration gelangen. Im Verhältnis zu Einzelunternehmen wird auf die unterschiedliche 'Unternehmenslogik' verwiesen, denen die grupos verpflichtet sind. Ein grundsätzlicher Mangel im Hinblick auf das politische Verhalten der Unternehmer kann in der Beschränkung auf ökonomische Prozesse und Faktoren gesehen werden, wobei schließlich aus der starken Machtkonzentration auch entsprechende politische Macht hervorgeht, ohne daß allerdings die genaue Vermittlung von ökonomischer und politischer Macht gezeigt würde - was den Wert der Studien allerdings nicht schmälert, da das nicht das Interesse der Autoren war. Die negativen politischen Konsequenzen, die bei den erwähnten Autoren implizit enthalten sind, werden bei Sanfuentes herausgearbeitet (politische Vermachtung, Bildung ökonomischer Konglomerate, Reichtums- und Einkommenskonzentration, tendenzielle Aufhebung der Marktgesetzlichkeit etc.). Dazu werden staatliche Handlungsalternativen, etwa eine effektive Monopolkontrolle, aufgezeigt, womit die Problematik hochgradiger Machtkonzentrationen für jede Regierung deutlich zutage tritt. 2.3.2. Unternehmer als sozialstrukturelle Kategorie Im Rahmen einer umfangreicheren Analyse über die chilenische Sozialstruktur haben Javier Martínez und Ernesto Tironi die Unternehmer als eine sozialstrukturelle Kategorie untersucht. 30 Dabei sind sie insbesondere deren Veränderungen in den 70er Jahren nachgegangen. Historisch weisen sie auf die starke Verflechtung 3 0

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J . Maitinez/E. Tironi, Las clases sociales en Chile. Cambio y estratificación 1970-1980, Santiago, 1985.

von industrieller Unternehmerschaft und landbesitzender Oligarchie hin, die sich bis weit in die 60er Jahre gehalten habe. Die Industriellen hätten bis in die 70er Jahre hinein die Importsubstitution mit einem interventionistischen Staat unterstützt. Ihre Verhaltensweisen seien grundlegend auf die Erlangung staatlicher Subsidien und die Absicherung eines hohen Zollschutzes für den Binnenmarkt geprägt gewesen. Das Militärregime habe mit dieser etatistischen Tradition gebrochen. Die Unternehmer seien die wichtigste zivile Basis des Regimes geworden und hätten von Anfang an ihre bedingungslose Unterstützung erklärt. Ihre Identifizierung mit der neuen Regierung sei soweit gegangen, daß die Unternehmer sogar ihre autonomen politischen Organisationen (den Partido National) aufgelöst und die Aktivitäten ihrer Verbände quasi eingestellt hätten. Auffallend sei auch der Wandel im Diskurs der Unternehmer: Entgegen ihrer historischen Erfahrungen seien sie zu Fürsprechern einer Liberalisierung der Preise und Kritikern der Staatsintervention geworden. Dennoch habe das neoliberale Modell große Probleme und beträchtliche Kosten für sie gebracht, die ihre Unterstützung für das autoritäre Regime aber nicht verringert habe. Dies wiederum sei auf die Perzeption der Bedrohung ihrer Interessen durch die Unidad Populär und die für die Zukunft in Aussicht gestellten positiven Entwicklungsperspektiven zurückzuführen. Andererseits sei aber der Nutzen des Militärregimes groß gewesen, habe es doch nicht nur über die Privatisierung von Staatsbetrieben beträchtliche Ressourcen an die Unternehmer transferiert, sondern auch für die Liberalisierung des Finanzsektors und die Reduktion der Kosten der Arbeitskraft gesorgt. Damit seien wichtige Veränderungen in der Struktur der Unternehmerschaft einhergegangen. Zum einen habe sich eine außerordentliche Vermögens- und Besitzkonzentration vollzogen, die v.a. zugunsten der größten Unternehmen im Finanzsektor verlaufen sei. Zum anderen sei es durch die Anwendung der neuen Wirtschaftsstrategie zum Zusammenbruch unzähliger Unternehmen insbesondere im industriellen Sektor gekommen, der zu einer Veränderung der Industriestruktur geführt habe. Schließlich sei auch eine 'Relokalisierung' von Unternehmern verschiedener Wirtschaftsbereiche und eine generelle 'Tertiärisierung' von Unternehmeraktivitäten festzustellen. Die Zahl der Unternehmer in den produktiven Sektoren (insbesondere der Industrie) habe sich zugunsten von Dienstleistungs-, Finanz- und Handelsaktivitäten drastisch verringert. Die Landwirtschaft weise dagegen relativ konstante Unternehmensziffern auf. Wenn die Unternehmer auch nach wie vor eine äußerst minoritäre Gruppe in der erwerbstätigen Bevölkerung darstellten, so sei ihr Anteil in dieser Periode stark gestiegen. Grundsätzlich positiv einzuschätzen ist der Versuch von Martfnez/Tironi, gesellschaftliche Strukturen in ihrer Gesamtheit und bezüglich einzelner Elemente aufeinander bezogen darzustellen, sind doch sozialstrukturelle Analysen über Chile bis heute - sofern sie Einzelaspekte überschreiten - selten geblieben. Neben einer Vielzahl wichtiger Erkenntnisse und Entwicklungen muß als problematischster Punkt 57

die mangelnde Klarheit der Abgrenzung der Unternehmer von anderen Schichtem der Gesellschaft betrachtet werden. Die Kategorie 'Unternehmer' wurde sozialstatistisch aus der Rubrik 'empleador' hergeleitet, die in der Regel auch Teile der selbständigen Mittelschichten und kleine Selbständige umfaßt, es sich somit bei demi festgestellten Anstieg der Unternehmerzahlen nicht unbedingt und in jedem Fall umi genuine Unternehmer handeln muß. 31 Unklar bleibt in der Argumentation deir Autoren, warum die Unternehmer das Militärregime trotz zweischneidiger ökonomischer Auswirkungen bedingungslos politisch unterstützten. Die angeführte 'Bedrohung von unten1 mag zwar bis in die zweite Hälfte der 70er Jahre eine Rolle gespielt haben, wird aber angesichts der realen Stärke der Opposition gemeirhim überschätzt. Schließlich wäre die behauptete generelle Tertiärisierung von Uirernehmeraktivitäten kritisch zu hinterfragen. Diese könnte z.B. ein Ergebnis deir mangelnden sozialstatistischen Aufschlüsselung der verwendeten Datenbasis sein,, wäre dann also nach weiteren Kriterien zu differenzieren, um zu einem qualitativem Verständnis zu kommen (wie z.B. im Falle der gleichzeitigen Deindustrialisienng und Reindustrialisierung). 2.4.

Die 'neue Unternehmerschaft'

Von verschiedenen Autoren ist insbesondere seit Mitte der 80er Jahre unter Verweis auf die dynamischsten Sektoren der chilenischen Ökonomie die These aufgestellt worden, daß sich in Chile eine neue Unternehmerschaft herausgebildet iat„ die andere politökonomische und soziale Verhaltensweisen an den Tag lege alss früher. Die Anwendung des neoliberalen Modells habe im Rahmen der generelem Modernisierung des Landes zu einer bedeutenden Transformation dieses Sekorss der Gesellschaft gefuhrt und in seinem Innern schließlich ein neuartiges, zuminiestt in Chile bis dato unbekanntes, soziales Subjekt hervorgebracht. Dabei werden /om den einzelnen Autoren durchaus unterschiedliche Begründungen nicht nur für die; Herausbildung einer 'neuen Unternehmerschaft' geliefert, sondern auch die Fnge„ worin eigentlich das Neue besteht und auf welche Untemehmenssegmente es dchi bezieht, wird unterschiedlich beantwortet. Die These einer 'neuen Unternehnerschaft' erscheint vor dem Hintergrund des historisch negativen Images der chilenischen Unternehmer in der Öffentlichkeit verlockend. Sie muß auch in Anbetnchtt der mit beträchtlichem Werbeaufwand betriebenen Verbreitung eines Untemehnerbildes als 'Motor der Entwicklung und des Fortschritts' seitens der Unternehnerverbände kritisch betrachtet werden.

Für einen klareren Abgrenzungsversuch siehe P. Imbusch, Klassenstrukturen in Lateinanerika. Eine komparative Studie zu den sozialstrukturellen Folgen der Wirtschaftskrise der lOeir Jahre in Argentinien und Mexiko, Münster, 1991, S. 107 ff.

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Über das historisch negative Image der Unternehmer besteht ein relativ breiter Konsens. Der konservative Historiker Gonzalo Vial^ sieht die Unternehmerschaft v.a. durch fünf Charakteristika geprägt, die ihre historische Entwicklung wesentlich durchzogen hätten. Erstes Charakteristikum sei ihr 'Progressismus' gewesen: Zwar hätten die Unternehmer immer auf der Höhe der Zeit sein und mit neuesten Techniken und Arbeitsmethoden produzieren wollen, damit sei aber nur eine eingeschränkte gesamtgesellschaftliche Modernisierung erreicht worden, weil Fortschritt nur in einem sehr verengten, nie in einem umfassenden Sinn verstanden worden sei, der auch andere soziale Schichten und Klassen erfassen müsse. Als zweites Charakteristikum nennt Vial die ständige Suche nach Protektion seitens des Staates: Die Abhängigkeit unternehmerischer Aktivitäten vom Staat und ein effektiver Protektionismus hätten sich bereits gegen Ende des letzten Jahrhunderts herausgebildet und durch die Importsubstitution hindurch bis in die jüngste Zeit in den Köpfen der Unternehmer festgesetzt. Drittes Charakteristikum bildet für Vial eine fehlende Unternehmertradition: Dies schulde sich Faktoren wie der spezifischen Entstehung industrieller Aktivitäten, der langanhaltenden Fusion landwirtschaftlicher und industrieller Interessen, einer fehlenden 'protestantischen Ethik', dem weitverbreiteten Abenteurertum chilenischer Unternehmer sowie dem Etatismus. Alle diese Punkte hätten der Herausbildung einer echten Unternehmermentalität entgegengestanden. Viertes Charakteristikum sei eine fehlende Doktrin der Unternehmer bzw. die Abwesenheit eines kohärenten Ensembles ideologischer Überzeugungen gewesen: Bis 1973 hätten die Unternehmer den 'Kampf der Ideen' verloren, weil sie es nicht verstanden hätten, ihre partikularen Interessen in Interessen des Allgemeinwohls zu übersetzen und eine größere Solidarität nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber den übrigen Gesellschaftsmitgliedern zu üben. Daran schließt sich für Vial als fünftes Charakteristikum das fehlende oder äußerst geringe soziale Bewußtsein an: Dieses soziale Bewußtsein habe den Unternehmern nicht so sehr gegenüber ihren Arbeitern gefehlt, sondern stärker in bezug auf die großen Probleme des Landes, denen sie sich häufig dann verschlossen hätten, wenn es um die mittel- und langfristigen Entwicklungsperspektiven und -möglichkeiten des privaten Unternehmertums gegangen sei. Diese Negativa bzw. Schwächen werden auch von anderer Seite aufgegriffen und für die mangelnde politische, soziale und ökonomische Performanz der Unternehmer verantwortlich gemacht. 33 Angesichts der engen Verflechtung der Unternehmer verschiedener Sektoren untereinander und der Dauerhaftigkeit des LatifunVgl. G. Vial, Algunos rasgos característicos del empresario chileno, in: ICARE (Ed.), El empresariado. Motor del progreso, Santiago, 1985, S. 35-41. Siehe M.A. Garretón, Reconstruir la política. Transición y consolidación democrática en Chile, Santiago, 1987, S. 66; A. Pinto, Sobre el carácter dependiente de la burguesía industrial, in: A. Pinto u.a., Chile hoy, México D.F., 1970, S. 322-342.

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diensystems hätten die dominanten Gesellschaftsschichten nie ein hegemoniefähiges Modernisierungsprojekt herausbilden können. Vielmehr hätten sie sich immer der unmittelbaren Verteidigung ihrer Privilegien gewidmet und dazu auch den Staat genutzt. So sei es nicht verwunderlich, daß alle Anstöße zu Modernisierungsprozessen von dem die Mittelschichten repräsentierenden politischen Zentrum ausgegangen seien, nie von der Unternehmerschaft selbst. Dies habe sich schließlich in eine strukturelle Hegemonieschwäche der gesamten kapitalistischen Klassen und in eine auf vielfältige Weise abhängige Industriebourgeoisie übersetzt. Ausdruck dessen sei auch, daß die ökonomische und politische Rechte das Land seit Mitte der 30er Jahre nur einmal während der Präsidentschaft Alessandri regiert habe, ansonsten politisch aber immer in der Defensive gewesen sei. Die Verbreitung eines anderen Images seitens der größten Unternehmerverbände seit Mitte der 80er Jahre, welches die Unternehmer als 'Motor des Fortschritts und der Entwicklung' mit großer sozialer Verantwortung herausstellt, zielt entsprechend auf eine vollkommen andere Identität ab. Die Unternehmer handelten sozial verantwortlich, seien in Sorge um die allgemeine Entwicklung des Landes, dynamisch und innovativ auf die Eroberung neuer Märkte und die Verbesserung der Lebenschancen aller Chilenen ausgerichtet. Von einigen Vertretern der 'neuen Unternehmerschaft' werden einzelne Punkte des neuen Unternehmerdiskurses herausgegriffen und als Begründungselemente für einen beträchtlichen Wandel gegenüber früheren Zeiten präsentiert. 2.4.1. Die 'neue Bourgeoisie'

Die erste Arbeit, die sich mit der Existenz einer neuen Unternehmerschaft auseinandersetzte, stammte von Ricardo L a g o s . 3 4 Der Autor geht darin auf die Herausbildung mächtiger Unternehmenskonglomerate in Form der grupos económicos in den späten 60er und frühen 70er Jahren ein. Erstes Kennzeichen dieser neuen Bourgeoisie sei, daß es sich - was ihre historische Herausbildung angeht - um eine relativ junge Gruppierung handele. Zweites Kennzeichen dieser neuen grupos sei ihre ökonomische Basis. Im Gegensatz zu früheren Zeiten seien sie vom Finanzsektor in den Produktionsbereich expandiert und nicht umgekehrt, so daß in der Regel eine Bank den Mittelpunkt der grupo bilde. Drittes Kennzeichen sei der höhere Grad der Zentralisation und der Kontrolle, die sie über die Tochterunternehmen ausüben würden. Grundsätzliches Ziel sei es, die Gewinne der Unternehmensgruppe und nicht mehr nur einzelner Unternehmen abzusichern, was andere Organisations- und Planungsvorgaben erfordere. Ein viertes Kennzeichen könne schließlich im exorbitanten Wachstumsrhythmus der größten grupos gesehen werden. Diese Phänomene werden von Lagos in den größeren Kontext der Entstehung 34

60

R. Lagos, Le secteur émergent de la bourgeoisie, in: Amérique Latine, Num. 6, 1981, S. 5360.

und Neustrukturierung einer 'neuen Bourgeoisie' gestellt, die es im Gegensatz zur Vergangenheit geschaßt habe, eine fast vollständige Hegemonie gegenüber allen übrigen bürgerlichen Sektoren zu erringen und den Staatsapparat zu ihren Gunsten zu beeinflussen und zu nutzen. Sie ziele auf ein politisches Projekt ab, welches die grundlegenden Gesellschaftsstrukturen Chiles nach marktwirtschaftlichen Prinzipien umgestalte. Damit sei auch die Herausbildung einer neuen unternehmerischen Technokratie verbunden gewesen, die aus hochqualifizierten und hochgradig ideologisierten Managern, Planungsbürokraten und Ingenieuren bestehe, die nun die Erarbeitung von Leitlinien für die Ökonomie seitens des Privatsektors betrieben, da der Staat auf diese orientierende Rolle verzichte. Nicht mehr seitens des Staates, sondern seitens der 'Gesellschaft' werde nun ein globales Restrukturierungsmodell für Chile entworfen, welches Abschied nehme von staatlicher Vorsorge und Intervention in ökonomische Angelegenheiten. Richtigerweise rekurriert Lagos in seiner Analyse der Herausbildung

einer

'neuen Bourgeoisie' auf die in den 70er Jahren sich verändernden gesamtgesellschaftlichen und innerbürgerlichen Machtverhältnisse. Das spefizisch Neue liegt bei ihm in einer neuen Organisationsform bzw. im Charakter der Bourgeoisie. Dabei ist allerdings anzumerken, daß seine Aussagen auf die Zeit der zweiten Hälfte der 70er Jahre begrenzt werden müssen. Bereits mit der schweren Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre, in der die beiden größten Wirtschaftskonglomerate zusammengebrochen sind, kam es zu einer Neustrukturierung innerhalb der privaten Unternehmerschaft. Das relativiert zwar bestimmte Aspekte der Analyse von Lagos, schmälert aber nicht das Verdienst dieser Sichtweise. 2.4.2. Die Unternehmer des Marktes In eine ganz andere Richtung als Lagos zielt Cecilia Montero mit ihren Untersuchungen zu 'neuen Unternehmern', unter denen sie wesentlich 'Unternehmer des Marktes' versteht. 35 Das neoliberale Wirtschaftsmodell habe in dem autoritären Rahmen eine substantielle Transformation des Unternehmersektors bewirkt, in deren Folge sich in seinem Innern ein neues, überaus dynamisch agierendes Segment herausgebildet habe. Die Veränderung der Eigentumsstrukturen, die Funktionsprinzipien des Marktes und die Weltmarktbeziehungen hätten neben konkreten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik (Liberalisierung der Ökonomie, Expansion der Finanzmärkte, Privatisierung öffentlicher Unternehmen) neue Spielräume für die 1C

C. Montero, La evolución del empresariado chileno. Surge un nuevo actor?, in: Colección Estudios C1EPLAN, Num. 30, 1990, S. 91-122; C. Montero, Chili. Les nouveaux entrepreneurs, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 4, 1992, S. 117-135; C. Montero, Les entrepreneurs chiliens comme héros d'une revolution autoritaire. Approche biographique de la formation d'une identité sociale, Association Internationale de Sociologie, XII Congres Mondial, Madrid, 9-13 Juillet 1990, Ms.

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Privatinitiative geschaffen und damit das bestehende Beziehungsgeflecht innerhalb der Unternehmerschaft wie auch in jedem seiner Segmente nachhaltig modifiziert. Hauptziel der Studien von Montero ist es, den Prozeß der Herausbildung eines neuen Segments der Unternehmerschaft unter den obigen Bedingungen zu analysieren. Obwohl die Unternehmer weder die Urheber noch die Protagonisten des neoliberalen Modells waren, hätten sie sich zum ersten Mal in der Geschichte des Landes mit einem Projekt konfrontiert gesehen, das auf sie zugeschnitten war. Entsprechend seien sie die durch die Chicago Boys privilegierten Akteure gewesen, und jene hätten es schließlich geschafft, 'marktwirtschaftliches' und 'freiheitliches' Denken in bislang unbekannter Weise in der Unternehmerschaft zu verankern. Die Herausbildung neuer Unternehmer sei das Resultat einer gleichzeitigen Erneuerung und einer Reproduktion der Unternehmerschaft gewesen, so daß die Autorin vereinfacht drei Segmente innerhalb des privaten Kapitals differenziert: -die Großunternehmer, die durch nationale und multinationale grupos económicos sowie einzelne Großunternehmen sowohl nationalen wie auch transnationalen Ursprungs gebildet werden. Dieses Segment verfüge über die größte ökonomische Macht und bilde den politischen Kern der Unternehmerschaft. Ihre Mitglieder würden sich eher als Investoren denn als Unternehmer verstehen. -die korporativen Unternehmer, die v.a. aus mittleren und kleinen Unternehmern im Bereich des Handels, des Transports und der Dienstleistungen bestehen würden. Dieses Segment sei am stärksten durch die neoliberale Politik in Mitleidenschaft gezogen worden, da es sich um eine vergleichsweise gering modernisierte Schicht der Unternehmer handele, deren Dynamik durch den engen Binnenmarkt begrenzt würde. -die 'neuen Unternehmer' bzw. die 'Unternehmer des Marktes', die gleichzeitig eine neue Generation von Unternehmern seien. Sie arbeiteten vornehmlich in den dynamischsten Bereichen und seien der Konkurrenz des Weltmarktes am direktesten ausgesetzt. Dieses Segment sei ein überzeugter Anhänger der freien Marktwirtschaft und habe die Möglichkeiten des Marktes in den Jahren seit 1975 konsequent genutzt. Montero zufolge weisen diese Unternehmer lediglich eine mittlere Größe auf, können aber beträchtliche Ressourcen mobilisieren. Weder ihr städtischer noch ihr ländlicher Ursprung noch die Verankerung in einem bestimmten Wirtschaftsbereich zeichne dieses Unternehmersegment aus, sondern ihre große Dynamik: die Schaffung und Konsolidierung neuer Unternehmen, die konstante Diversifizierung von und Kombination neuer und gänzlich unterschiedlicher Aktivitäten. Die 'neuen Unternehmer' gewännen ihre Identität also nicht durch eine bestimmte Wirtschaftsaktivität, sondern gerade durch die Überwindung der traditionell getrennten Produktions- und Vermarktungsbereiche. Entsprechend identifizierten sich diese Unternehmer v.a. mit dem 'Markt', mit ihrer 'Fähigkeit zu unternehmen1, 62

'Geschäfte zu machen 1 , 'neue Märkte zu erobern', 'Investitionsmöglichkeiten zu erschließen' etc. D i e s sei die Grundlage für ihren Erfolg, und deshalb k o m m e ihnen auch große Anerkennung zu. D i e Ausschöpfung v o n Marktmöglichkeiten, ohne auf den Staat a n g e w i e s e n zu sein oder auf Klientelbeziehungen zurückgreifen zu müssen, u m Erfolg zu haben, bringe sie zur traditionellen Identität der Unternehmer in Opposition. Denn die neuen Unternehmer zeichnen Attribute w i e professionelle Karrieremuster, Unternehmergeist, eine autonome und kosmopolitische Identität, ein pragmatisches und weniger ideologisch oder paternalistisch geprägtes Unternehmensverständnis, und eine auf Expansion angelegte Wirtschaftsrationalität aus. Wesentliche Qualitäten der 'Marktunternehmer'

seien Kreativität,

Risikobereit-

schaft, Führungsstärke, ein Gespür für Möglichkeiten und Weltoffenheit.

Auch

w e n n sich neue Unternehmer in allen Bereichen finden würden, so seien sie aber wesentlich in der Landwirtschaft im Obstanbau, einem der dynamischsten Sektoren der Ökonomie, zu H a u s e . ^ Der weiteren D i f f u s i o n eines solch dynamischen Unternehmerverhaltens ständen aber auch Schranken w i e die große Heterogenität der Produktionsstrukturen und die Akzentuierung der Unterschiede zwischen großen und kleinen, Weltmarkt- und binnenmarktorientierten,

nationalen

und

ausländischen

Unternehmen

zuletzt g e w i s s e kulturelle und ideologische Orientierungen e n t g e g e n .

sowie

nicht

37

36 Siehe dazu auch J.M. Cruz, La fruticultura de exportación. Una experiencia de desarrollo empresarial, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 79-114. Die Dynamik des Obstanbaus und Obstexports reflektiert dem Autor zufolge den tiefgreifenden Wandel in der Sozialstruktur und den Produktionsbedingungen auf dem Lande. V.a. hier seien neue Unternehmer entstanden, die über eine moderne Konzeption der ländlichen Bewirtschaftung und der Landarbeit verfügten, offen für technologische Innovationen seien und sich an Effizienz- und Gewinnmaximierungskriterien orientierten, die in diesem Sektor aufgrund der Vorherrschaft der Hacienda-Wirtschaft lange Zeit nicht zu finden gewesen seien. Die neuen Unternehmer seien v.a. nichtagrarischen Ursprungs, kämen aber aus anderen produktiven Sektoren und seien ihr Leben lang bereits innovatorisch tätig gewesen. Insbesondere Personen aus dem Industriesektor hätten im Obstanbau investiert und eine 'technische' Mentalität und Rationalität in die Unternehmensführung eingebracht, daneben auch Professionale, die die Landwirtschaft bereits seit längerem als zweites Standbein gehabt hätten. Schließlich hätten sich auch traditionelle Landwirte den neuen (Markt-)Bedingungen anpassen und dynamisch entwickeln können. Diese Entwicklungen seien durch eine Reihe äußerst günstiger Bedingungen in der Landwirtschaft beeinflußt worden (z.B. durch natürliche klimatische Vorteile, technisches Wissen und Erfahrung im Fruchtanbau und -export, die durch niedrigste Löhne und Gewerkschaftsfreiheit gekennzeichnete Marktsituation sowie schließlich durch eine enorme Steuerbegünstigung auf Basis der 'renta presunta', die einen Großteil der im Obstanbau anfallenden Gewinne nicht besteuere). 37 Siehe für eine deutlich reduziertere Variante des neuen Unternehmertyps auch D. Messner, Weltmarktorientierung, Wettbewerbsfähigkeit und die Grenzen des Neoliberalismus, in: Nord-Süd aktuell, Num. 2, 1992, S. 243-257. Dort (S. 252) heißt es: "Die zunehmende Weltmarktorientierung hat zur Herausbildung eines 'neuen Unternehmertypus 1 beigetragen. 63

Montero weist in ihren Studien auf wichtige Strukturveränderungen in der Unternehmerschaft hin, greift dabei die hervorstechendsten Tendenzen des chilenischen Exportmodells heraus und baut darauf ihre Analyse auf. Grundsätzlich bleibt dabei unklar, welchen Umfang der 'neue' Unternehmertypus überhaupt erreicht hat. Zudem klingen viele der Attribute, die Montero den 'neuen' Unternehmern zuschreibt, eher nach dem von den Unternehmerverbänden selbst von sich diskursiv verbreiteten Bild, als daß sie einer soziologischen Analyse entsprechen würden, zumal dieser auch jegliche empirische Fundierung fehlt. Wo sind die genauen Grenzziehungen für die von ihr unterschiedenen Kategorien? Träfe nicht zumindest ein Teil ihrer Aussagen auch auf die Großunternehmer zu? Eine gewisse Zirkularität steckt in der Argumentation insofern, als daß es einerseits sehr 'erfolgreiche Unternehmer' gibt, die wohl 'neue' Unternehmer sein müssen, und es andererseits 'neue Unternehmer' geben muß, weil es 'erfolgreiche' Unternehmer mit 'neuen' ideologischen Orientierungen sind. Ohne eine empirische Klärung des Beziehungszusammenhangs zwischen beiden Typen bleibt die von Montero ausgemachte 'neue Unternehmerschaft' auf der Ebene von Glaubenssätzen stehen. 2.4.3. Eine 'neue Generation von Unternehmern' Eine dritte unterscheidbare Richtung sieht das spezifisch Neue an der chilenischen Unternehmerschaft v.a. in einem Generationswechsel, der auch einen neuen Typus von Unternehmer hervorgebracht habe. In Anlehnung an Ricardo Ffrench-Davis weist Mauricio Rojas 38 darauf hin, daß die chilenische Ökonomie nicht nur ein

Im Gegensatz zu Erfahrungen in anderen lateinamerikanischen Ländern haben die chilenischen Unternehmer ... die Angst vor dem internationalen Wettbewerb überwunden und rasche Fortschritte hinsichtlich der Unternehmensführung, Qualitätsanforderungen, Vermarktung, Lieferpünktlichkeit u.s.w. gemacht. Dennoch sind die 'neuen Unternehmer' (in ihrer Mehrheit) noch keine Träger eines integralen, umfassenden Modernisierungsprojekts. Investitionen in Humankapital, eine Modernisierung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie technologische Innovation gehören nicht zu den unternehmerischen Prioritäten." Eine andere Stoßrichtung weist zudem eine Studie von D. Rodríguez und S. Venegas auf, die ebenfalls für den Agrarsektor auf eine neu entstehende Klasse von Unternehmern hinweisen. Diese hätte sich mit den Umstrukturierungen und neuen Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft herausgebildet. Schwächster Punkt im Formierungsprozeß dieser neuen Unternehmerschaft sei aber ausgerechnet ihre fehlende Unternehmermentalität. Kritisch ist allerdings darauf hinzuweisen, daß im wesentlichen kleine Unternehmer im Obstanbau untersucht werden, die bäuerlichen Wirtschaften näher stehen als einer landwirtschaftlichen Mittelklasse bzw. Unternehmerschaft. Siehe D. Rodriguez/S. Venegas, Los empresarios frutícolas chilenos. Orígenes, estilos de vida, opiniones, GEA, Documento Num. 14, 1989. M. Rojas, Cambio estructural y nuevos empresarios. Resultados de una encuesta sobre gestores empresariales en Chile, Department of Economic History, School of Economics and Management, Lund University, Ms., 1991, stellt darin Ergebnisse eines größeren For-

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beträchtliches Wirtschaftswachstum, eine Diversifizierung der Exportstruktur und ausgeglichene Haushalts- und Zahlungsbilanzen aufweise, sondern auch über eine neue Generation von Unternehmern verfüge, die sich durch ihre Dynamik und die Modernität der Betriebsführung auszeichne. Um einen Eindruck vom Umfang dieses Phänomens und seinen Charakteristika zu gewinnen, wendet Rojas sich in seiner Studie all jenen Sektoren zu, die nicht durch offensichtliche komparative Kostenvorteile - wie im Obstanbau - gekennzeichnet und dennoch der internationalen Konkurrenz unterworfen sind. Er geht dabei von der Arbeitshypothese aus, daß die Zeit der Militärdiktatur eine Phase radikaler Transformationen sowohl bezüglich der Funktionsprinzipien wie auch der grundlegenden Strukturen der chilenischen Ökonomie gewesen ist. Diesen tiefgreifenden Wandel versteht Rojas als 'Prozeß der schöpferischen Zerstörung' im Sinne Schumpeters, d.h. das Verschwinden vieler bereits etablierter Unternehmen, um neuen Orientierungen Platz zu machen. Die Initiierung eines solches Prozesses sei in Chile unmittelbar mit der Militärdiktatur verknüpft gewesen. Die entscheidenden institutionellen und makroökonomischen Umgestaltungen seien aber nur eine Seite der Medaille. Damit nämlich ein realer Effekt eintrete, müßten Kapazitäten und adäquate Antworten wenigstens eines Teils der Gesellschaftsmitglieder damit einhergehen. Die Schnelligkeit und Radikalität des Transformationsprozesses hätte in der Gesellschaft eine extreme Spannung hervorgerufen und sowohl Individuen wie auch soziale Gruppen und Unternehmer vollkommen neuen und teilweise existenzbedrohenden Bedingungen ausgesetzt. Unter diesen Bedingungen habe v.a. in den Krisenjahren 1975-76 und 1982-83 ein Teil der Bevölkerung einen Ausweg in unternehmerischem Verhalten gesehen. Die neue unternehmerisch-innovative Anstrengung sei auf zwei Faktoren von außerordentlicher Wichtigkeit zurückzufuhren: Zum einen seien viele der persönlichen professionalen Karrierelaufbahnen plötzlich abgeknickt, die vorher für weite Teile der Mittelschichten offen gestanden hätten, was viele gut ausgebildete und mit großen Führungskapazitäten ausgestattete Personen dazu verleitet habe, ihr Glück nicht mehr im öffentlichen, sondern im privatwirtschaftlichen Sektor zu suchen. Dies habe das Potential an Unternehmerkapazitäten verstärkt. Dieser Prozeß sei zum anderen mit einem signifikanten Generationswechsel selbst zusammengefallen, der wichtige Teile der alten unternehmerischen Führungsschichten, die noch unter Bedingungen geschützter Binnenmärkte und eines Subsidien gewährenden Staates groß geworden seien, abgelöst habe. Im Ergebnis zeige sich eine grundlegend umgestaltete, dynamische und expansive Ökonomie mit einer erneuerten, an die weltmarktoffenen Strukturen mit minimaler Staatsintervention angepaßten Unternehmer-

schungsprojekts über 'Cambio estructural y empresariado. La experiencia de Chile durante el Gobierno militar (1973-1989)' vor.

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schaft. Die damit erreichte Modernität bleibe aber insofern deformiert, als sie auf extensiver Ressourcennutzung beruhe. Kritikabel an der These der generationsspezifischen Erneuerung der Unternehmer und damit einhergehend auch neuer Orientierungen ist der unklare bzw. bislang ungeklärte Zusammenhang zwischen beiden Variablen und ihre kausale Verknüpfung. Die Signifikanz des Generationswechsels wird dabei sowohl im Umfang wie auch hinsichtlich seiner Bedeutung für die Freisetzung innovativer Potentiale überschätzt. Da zudem von jeglichen gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen abgesehen wird bzw. diese positiv für die Herausbildung dynamischer Unternehmer in Rechnung gestellt werden, übersieht Rojas teils den Zwangscharakter dieses Projekts und verengt seine Perspektive beträchtlich.^ 2.5.

Die Betriebsebene

Einer der wenigen Autoren, der sich den chilenischen Unternehmern über die Betriebsebene und den dortigen Veränderungen nähert, und dabei Gedanken der französischen Regulationstheorie aufnimmt, ist Alvaro Díaz. 40 Die chilenische Industrie weise nach 16 Jahren Diktatur dramatische Veränderungen in ihrer sektoralen Zusammensetzung, räumlichen Verteilung und ihren Eigentumsstrukturen auf, die je nach der Größe der Unternehmen differenziert ausfielen. Eine voreilige Gleichsetzung von Diktatur und Stagnation, Neoliberalismus und subsidiärem Staat, Außenöffnung und Deindustrialisierung sei unzulänglich und werde der komplexen Realität Chiles nicht gerecht. Der Prozeß der industriellen Restrukturierung, der Einen generationsspezifischen Ansatz, allerdings mit anderer Zielrichtung und eher konträren Ergebnissen, legte L.F. Rojas, Industrial Firm-Founders and Development Strategies in Chile. The Générations of Neoliberalism, als Ph.D. Dissertation am Department of Sociology der Duke University, 1991, vor, der auf unterschiedliche Verhaltensweisen der neuen, unter der Diktatur geformten gegenüber früheren Unternehmergenerationen abhebt. In seinem Untersuchungsbereich (Textil-, metallmechanischer Bereich und Kunststoffsektor) sei in den letzten Jahren keine zusätzliche Dynamik feststellbar gewesen. Ein günstiges Unternehmensklima und entsprechende institutionelle Unterstützung hätten damit nur begrenzte Erfolge erzielt: Marktstimuli seien zwar eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für das Entstehen neuer Untemehmensgruppen. Das Festhalten an der äußerst restriktiven Arbeitsgesetzgebung weise zudem nicht gerade auf einen Wandel in der Mentalität hin. Ein großer Teil der Firmengründer hänge weiterhin überwunden geglaubten Orientierungen an, und selbst viele der weltmarktorientierten Segmente wiesen nach wie vor eine etatistische Subsidienhaltung auf. A. Díaz, Modernización autoritaria y régimen de empresa en Chile, in: Proposiciones, Num. 18, 1990, S. 54-69; A. Díaz, L'industrie chilienne au sortir de la crise, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 94, 1989, S. 52-65; A. Díaz, Restructuración industrial, neotaylorismo y régimen de fábrica en Chile (Consideraciones sobre la herencia del autoritarismo), in: F. Albuquerque Llorens/C.A. de Mattos/R.J. Fuchs (Eds.), Revolución tecnológica y restructuración productiva. Impactos y desafíos territoriales, Buenos Aires, 1990, S. 395-412.

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verschiedene zerstörerische und modernisierende Phasen durchlaufen habe, und der Versuch der Neubegründung kapitalistischer Strukturen unter der Diktatur hätten sich auf industrieller Betriebsebene am stärksten ausgewirkt und seien in eine autoritäre Modernisierung eingemündet, die interindustrielle Beziehungen wie auch Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen nachhaltig verändert hätten. Produktivitätswachstum und Ausweitung der Arbeitszeiten, intensivere Ausbeutung und Flexibilisierung der Arbeitskraft, Absenkung der Löhne und Verringerung der Lohnnebenkosten (insbesondere seiner sozialen Bestandteile) sowie die Realisierung außergewöhnlich hoher Gewinne seien Symptome einer Verschiebung der Macht zugunsten des privaten Kapitals, die nicht nur von der 'unsichtbaren Hand des Marktes', sondern von der Spitze der politischen Macht und ihrer Politik ausgegangen seien. Der Einsatz neuer Technologien und die Neustrukturierung der Arbeitsorganisation müßten als 'autoritäre Modernisierung' betrachtet werden, da sie dazu genützt würden, die autoritären unternehmerischen Führungs- und hierarchischen Betriebsstrukturen zu konsolidieren. Was für die Unternehmer einen technologischen und produktivitätsorientierten Fortschritt darstelle, bedeute für die Arbeitnehmer einen historischen Rückschritt. Die Rationalisierung der Produktionsstrukturen über eine verringerte vertikale Integration der Unternehmen und die umfassende Flexibilisierung der Arbeitskraft sowohl in funktionaler wie laboraler und salarialer Hinsicht seien wesentlich repressive Prozesse gewesen, die eine systematische Politik der Desartikulation des Gewerkschaftswesens beinhaltet hätten. Damit sei im Gegensatz zur tayloristisch-fordistischen Etappe der Industrialisierung ein autoritäres Fabrikregime etabliert worden, welches die Formen der Beherrschung der Arbeiter auf Betriebsebene fortschreibe. Die Modi der Beherrschung reichten von offen und uneingeschränkt despotischen Formen in mittleren und kleinen Unternehmen über das Wiederaufleben eines autoritären Paternalismus bis hin zu Formen des Autoritarismus, in denen Betriebsgewerkschaften eine gewisse Rolle zukomme. Die Konservierung dieser Formen würde von den Unternehmern sehr viel wichtiger eingeschätzt als ein formeller Übergang zur politischen Demokratie, weil ihnen mit der uneingeschränkten Verfügung über die gesellschaftliche Arbeitskraft und die Arbeitsorganisation eine entscheidende Machtbasis erhalten bleibe. Daher müßten die Unternehmer aus Gründen des wirtschaftlichen Erfolgs auf der Reproduktion der sozialen Ungleichheit und der Deprivation demokratischer Rechte für die Bevölkerungsmehrheit bestehen. 41 Grundsätzlich positiv ist bei Díaz die Berücksichtigung der Betriebsebene in Rechnung zu stellen, die in Studien zu den Unternehmern weitgehend vernachlässigt worden ist. Damit wird das Augenmerk auf eine Dimension des Unternehmer41

Auch C. Montero hebt in einigen Studien eher auf betriebsspezifische Elemente ab. Siehe C. Montero, Limites y alcances del cambio tecnológico en América Latina y Chite, SUR, Documento de Trabajo, Num. IOS, Santiago, 1989.

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Verhaltens gelegt, die geeignet ist, eher Mikroaspekte zu beleuchten und als Korrektiv für allzu euphorische Einschätzungen bezüglich des Mentalitätswandels von Unternehmern zu fungieren. Da Diaz durch die differenzierte Analyse vorschnelle und geläufige Gleichsetzungen verhindert, gelingt es ihm zudem, voreilige Schlußfolgerungen zu vermeiden und den Modernisierungsaspekt auf Unteraehmensebene angemessen in seinen unterschiedlichen Dimensionen zu erfassen. 2.6.

Resümee

Die hier vorgestellten Ansätze erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie zeigen sehr unterschiedliche Zugangsweisen zur Analyse der chilenischen Unternehmerschaft auf, deren Reichweite differiert. Teils erheben sie den Anspruch, Prozesse oder Strukturen der Unternehmerschaft als ganzes zu erfassen, teils beziehen sie sich lediglich auf bestimmte Unternehmenssegmente, an denen dann paradigmatisch bestimmte Entwicklungen exemplifiziert werden. Auffällig ist, daß sich die meisten Ansätze bei genauerem Hinsehen nicht ausschließen, sondern sich - da auf unterschiedlicher Ebene angesiedelt - auf die ein oder andere Weise ergänzen und daher gewinnbringend in ihrer Komplementarität gesehen werden sollten, da sie alle partiell Realität abbilden. Was hier noch für typologisierende Zwecke gegeneinander abgegrenzt wurde, findet sich bei anderen Autoren ohnehin nicht in dieser Reinheit, da häufig unterschiedliche Aspekte der vorgestellten Ansätze miteinander kombiniert werden. Damit soll keineswegs einem Eklektizismus das Wort geredet werden, sondern darauf verwiesen werden, daß zu einem umfassenden Verständnis des politischen Verhaltens von Unternehmern und ihren Verbänden unterschiedliche Ebenen sinnvollerweise zusammengebracht werden müssen.

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III. Die politische Entwicklung Chiles und die Unternehmer 1.

Von der Unabhängigkeit bis zur Diktatur

Chile weist bezüglich seiner politischen Entwicklung im lateinamerikanischen Vergleich einige Besonderheiten auf. Dies beginnt mit der weithin exzeptionellen politischen Ruhe und Ordnung bald nach der Unabhängigkeit und reicht bis zur nahezu ununterbrochenen Stabilität des demokratischen Systems. Die diktatorischen Phasen waren insgesamt nur kurz und glichen eher Zwischenspielen. Entsprechend gab sich das Land lediglich zwei Verfassungen (1833 und 1925), erst 1980 entstand unter Pinochet eine Dritte. Die ersten zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit 1810 waren durch eine große politische Unruhe geprägt. Es lassen sich grob vier Perioden unterscheiden: a) Zunächst gab es vier Jahre Bürgerkrieg von 1810-1814, in denen um den weiteren Verlauf der Unabhängigkeit gekämpft wurde - eine Phase, die als patria vieja bezeichnet wird. b) Zwischen 1814 und 1817 kam es zur erneuten spanischen Kontrolle durch das Vizekönigreich Lima und dessen bewaffnete Kräfte - die Phase der reconquista. c) Von 1817 bis 1823 folgte die Diktatur von Bernardo O'Higgins. d) Schließlich waren die Jahre von 1823 bis 1830 durch eine chaotische Abfolge von Regierungen geprägt, die mal den Liberalismus, mal den Föderalismus und mal den Republikanismus proklamierten.1 Nach 1830 wurden die internen Auseinandersetzungen durch eine Koalition aus konservativen Geschäftsleuten, Latifiindisten und dem Klerus unter bestimmendem Einfluß von Diego Portales beendet. Es wurde ein politisches Regime installiert, das der Form nach republikanisch, in der Praxis aber autoritär war, was ihm die Bezeichnung 'autokratische Republik' eintrug. Die neue politische Ordnung konsolidierte nach der Unabhängigkeit erneut hispanische Vorstellungen einer starken zentralisierten Exekutive, die mit Dekreten regierte und gegebenenfalls auf Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen zurückgriff. Die obige Allianz konnte mit der Begrenzung des Wahlrechts auf vermögende bzw. besitzende Alphabeten für die nächsten Jahrzehnte law und Order etablieren, so daß Chaos und Instabilität wie in vielen Ländern des übrigen Lateinamerika vermieden wurden. 1

Siehe B. Loveman, Chile. The Legacy of Hispanic Capitalism, New York, 1988, S. 107135.

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Mit der Beendigung der Unruhen der Unabhängigkeitszeit durch die Etablierung des 'portalianischen Staates' mit seinen zentralistischen Strukturen reorganisierte die Regierung Prieto in den 30er Jahren den Staat und die öffentlichen Finanzen. Die Rationalisierung der Aufgaben des Staates und der Staatsbeschäftigten sowie die Reduzierung seiner Ausgaben dienten der Effizienzsteigerung des Staates und führten schließlich zur effektiven Einbindung Chiles in den Weltmarkt. Chile beutete im Gefolge v.a. Rohstoffe aus und importierte Fertigwaren. Diese Strategie diente den Interessen der Latifundisten, Minenbesitzer, Ex- und Importeure und der in- und ausländischen Händler. Während im Innern die Sozialstruktur und die sozialen Verhältnisse der Kolonialzeit aufrechterhalten werden konnten, wurden über den Freihandel die Luxusbedürfnisse der Oligarchie gestillt. Die Verfassung von 1833 war auf die Exekutive zugeschnitten und bildete ein zentrales Instrument zur Aufrechterhaltung bestehender gesellschaftlicher Strukturen und Abhängigkeitsverhältnisse. Diese schlössen die Restaurierung des mayorazgo^ wie auch die Konsolidierung der politischen Dominanz prominenter Cno//o-Familien aus dem Valle Central, dem unbestrittenen Zentrum Chiles, ein. Das ganze 19. Jahrhundert über bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein blieb die chilenische Politik vollständig von der Oligarchie bestimmt. Aus den wenigen Großfamilien mit den apellidos aristocráticos (Ossa, Larraín, Correa, Ovalle, Valdés, Balmaceda, Errázuriz, Vicuña, Echeverría, Subercaseaux, RuizTagle, García-Huidobo u.a.m.), die die wertvollsten Latifundien Mittelchiles besaßen, gingen Staatspräsidenten, Parteiführer, Minister, Senatoren, Abgeordnete, Botschafter und Bischöfe hervor.-' Die Oligarchie konnte aufgrund ihrer engen Verbindungen und Verflechtungen mit dem Staatsapparat den Staat als Instrument zum Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen nutzen und über ihn die wirtschaftliche Entwicklung zu ihren Gunsten und in ihrem ureigensten Interesse vorantreiben. "Die Agrarier Mittelchiles herrschten bis 1918/20 im Staat als dominierender Teil einer sozialen Klasse, und zwar nicht, weil manche unter ihnen öffentliche Ämter auf dem flachen Land übernahmen, sondern weil sie in Santiago das Heft in der Hand hatten ... Die Macht der chilenischen Oberklasse gründete auf Landeigentum im Valle Central, das es ihr erlaubte, Wahlen zu steuern. Indes war ihr Staat keine semiabsolutistische Monarchie, sondern eine liberale Klassenrepublik, in der das Militär kein eigenständiger Machtfaktor war. Die direkte Kontrolle des Staates durch die Oligarchie machte einen übersteigerten Individualismus überflüssig, und Laissez-faire-Doktrinen waren überaus unpopulär. 9 ^ 4

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Das mayorazgo stammte aus der Kolonialzeit und bezeichnete einen mit einem Adelstitel verbundenen Besitzanspruch auf Land. Vgl. El poder de los apellidos, APSI Especial, Noviembre 1991. W. Hirsch-Weber, Grundbesitz und Herrschaft im vorindustriellen Chile, in: Iberoamerikanisches Archiv, Vol. 13, 1987, Num. 4, S. 511, 524, der die Methoden der Herrschaftssicherung und -ausübung beleuchtet.

Dies ging einher mit einer Idealisierung der Staatsintervention und gesellschaftlicher Hierarchien, die in einem sozialphilosophischen Patemalismus und dem Glauben an eine natürliche und gottgegebene Sozialordnung mündeten, die die unteren Klassen quasi ebenso natürlich zur Immobilität und Untertänigkeit verdammten. 5 Die ungleichen ökonomischen und politischen Verhältnisse unter Ausschluß weiter Teile der Bevölkerung bildeten also die Grundlage für die Dominierung des politischen Systems durch die Oligarchie und die zunächst bis 1920 stabile Abfolge gewählter Präsidenten. 6 Damit sollen jedoch nicht die wachsenden ideologischen und politischen Spannungen und zunehmenden Interessenkonflikte innerhalb der Oligarchie geleugnet werden, die zu den kurzen Bürgerkriegen 1851, 1859 und 1891 führten. In diesem Zusammenhang muß auf die beträchtliche Autonomie einzelner Regierungen verwiesen werden. Kamen diese häufig als Instrumente der Oligarchie an die Macht, so verselbständigten sich manche derart, daß sich die Oligarchie von ihnen distanzierte (z.B. Montt, Balmaceda, später auch Ibänez). Diese Autonomie ergab sich vor allem aus der finanziellen Unabhängigkeit der Regierung gegenüber den besitzenden Klassen. Sie dankte sich wesentlich den hohen chilenischen Staatseinnahmen aus der Besteuerung des Exports unverarbeiteter Rohstoffe, die der Regierung die Möglichkeit bot, einen Großteil der Ausgaben für Infrastruktur, Soziales und Bildung etc. zu finanzieren, ohne direkt die Oligarchie zu besteuern. Unter diesem Eindruck veränderte sich seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts die 'autokratische Republik1 langsam in ein quasi-parlamentarisches, oligarchisches System, welches bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts fortbestand. 5

6

Siehe zur Entwicklung des Staates allgemein R. Atria/L. Bairos/M.I. Lemaitre/M. Tagle/X. Vergara, Estado y política en Chile. Ensayos sobre las bases sociales del desarrollo político chileno, Santiago, 1991, S. 81-274. Die jeweiligen fünfjährigen Amtszeiten entfielen auf folgende Präsidenten: 1831-1841 Joaquín Prieto 1841-1851 Manuel Bulnes 1851-1861 Manuel Montt 1861-1871 José Joaquin Pérez 1871-1875 Federico Errázuriz Zañartu 1876-1881 Anibal Pinto 1881-1886 Domingo Santa María 1886-1891 José Manuel Balmaceda 1891-1896 Jorge Montt 1896-1901 Federico Errázuriz Echauren 1901-1906 German Riesco Errázuriz 1906-1910 Pedro Montt 1910-1915 Ramon Barros Luco 1915-1920 José Luis Sanfuentes

71

"Oligarchy buttressed by endogamy and 'compradazgo' preserved the basic solidarity of a ruling elite whose economic interests extented from agriculture to mining, commerce, banking, and, later, industry. The geographical compactness of Chile's central valley ... facilitated national unity and elite consensus on fundamental social and economic institutions - even when philosophical disagreements or the clash of personalistic factions led to political conflict."7 Das Parlament wurde nun der zentrale Ort der Konfliktaustragung der verschiedenen Gruppierungen der Oligarchie. Insbesondere nach der Regierungszeit Balmacedas wurden die Rechte des Parlaments langsam auf Kosten präsidentieller Machtbefugnisse ausgeweitet. Dies schloß die Ernennung und Billigung der Minister, die Zustimmung bzw. Ablehnung des Budgets und der Steuererhebung sowie die Widerstandsmöglichkeiten gegenüber Gesetzen, die die Rechte der beiden Kammern des Parlaments einschränkten, ein. Mit der Neuordnung der Munizipien 1891 ging zwar eine relative Dezentralisierung der Macht einher. Diese fiel aber an Latifundisten in den ländlichen Gebieten und regionale Elitegruppierungen zurück. Neben der Kontrolle des Staates und der Instrumentalisierung der Regierung für ihre Interessen beruhte die Macht der Oligarchie auch auf der ideologischen Unterstützung durch die Katholische Kirche. Deren Verstärkung von Traditionalismus und autoritärer, noch auf die Kolonialzeit zurückgehender Werte als Instrumente sozialer Kontrolle ergänzten die ohnehin große kirchliche, politische Autorität und sicherten die Macht der Oligarchie ab, während gleichzeitig die unteren Schichten und Klassen von jeder effektiven politischen Partizipation ausgeschlossen waren. Die dritte Machtbasis der Oligarchie war ihre Kontrolle über die Wahlen und den Wahlprozeß. Nicht nur hatte die Oligarchie strenge Anforderungen an die Wählerschaft gestellt (bestimmte Größe des Vermögens und des Landbesitzes sowie grundsätzlich Alphabetismus), die diese bereits auf jene reduzierte, die die Politik der Oligarchie grundsätzlich stützten, sondern es waren auch nur diejenigen Parteien zugelassen, die die bestehende Herrschaftsordnung samt der etablierten Verteilungsstrukturen nicht bedrohten. Zwischen 1890 und 1920 wurde die chilenische Oligarchie von vier Parteien vertreten, die jeweils verschiedene Interessengruppierungen innerhalb der Oligarchie repräsentierten. Der Partido Conservador vertrat die Interessen der Großgrundbesitzer, Banken und der Kirche. Im Parlament blokkierten die Konservativen alle Gesetzgebungsverfahren, die eine liberalere und demokratischere Gesellschaft vorsahen. 'Ruhe und Ordnung' bildete einen Schwerpunkt ihres Programms. Sie traten für eine starke Zentralisierung der politischen Macht und eine Stärkung der Exekutive auf Kosten politischer Institutionen sowie die Bewahrung der Macht der Kirche ein. Der Partido Liberal vertrat die Interessen der Minenbesitzer, der Geschäftsleute, aber auch großer Grundbesitzer. Obwohl er in Fragen der Säkularisierung und der öffentlichen Erziehung mit den Konservati7

72

B. Loveman, a.a.O., S. 159.

ven im Streit lag, verteidigte er diese Errungenschaften nur schwach. In sozialen und ökonomischen Fragen stimmte er vollkommen mit den Konservativen überein. Der Partido National repräsentierte die hohe Bürokratie, Bank-, Handels-, aber auch Industrieinteressen. Während er zunächst stark auf eine Säkularisierung drängte, schloß er sich später konservativ-liberalen Positionen an, trat jedoch für die Abhängigkeit der Regierung vom Kongreß ein. Daneben existierte noch der Partido Liberal Democrätico, der sich später mit der liberalen und konservativen Partei verband. Er vertrat Landbesitzer, Mittelschichten aus der Provinz und Berufspolitiker.8 Korruption, Bestechung und Stimmenkauf begrenzten zudem die Wahlfreiheit und unterminierten Versuche, auch jene Gruppierungen zur Wahl zuzulassen, die die Unterstützung anderer Gesellschaftsschichten hätten erhalten können. Diese Strukturen hatten sich bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht wesentlich verändert. 1915 erreichte der Anteil der registrierten Wähler an der Bevölkerung lediglich 5%, von denen wiederum ein Fünftel nicht wählen ging. Bei einer Gesamtbevölkerung von 3,5 Mio. entschieden nur 150.000 Personen über die Geschicke des Landes.9 Verschiedene Entwicklungen führten schließlich in den 20er Jahren zu einem Ende der oligarchischen Ordnung, zu einem neuen politischen System und damit auch zu einer neuen Etappe chilenischer Politik. Mit der komplexer verlaufenden wirtschaftlichen Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts und der Ausweitung der Funktionen des Staates entstand eine breite Mittelschicht aus Angestellten, unteren und mittleren Rängen der Bürokratie, kleinen Kaufleuten und Händlern in den Städten sowie Intellektuellen, die immer stärkeren Einfluß auf den politischen Prozeß gewannen.10 Diese waren hauptsächlich in der Liberal-demokratischen Partei sowie der schon 1863 gegründeten Radikalen Partei zu Hause. Ihre Aktivitäten waren v.a. auf eine Verfassungsreform, die effektive staatliche Oberhoheit über das Erziehungswesen, die administrative Dezentralisierung und ein freies Wahlrecht gerichtet. Später wurde ein starker Antiklerikalismus Markenzeichen der Partei, trat sie doch für die vollständige Säkularisierung von Staat und Gesellschaft ein. Sie drängte auf Reformen des politischen Systems und setzte in ihren Wahlkampagnen stärker auf die Mobilisierung der Bevölkerung. Repräsentierte die Radikale Partei zunächst noch die politischen Interessen der neuen Minenbourgeoisie im Norden Q

° 9

10

Siehe S. Guilisasti Tagle, Partidos politicos chilenos, Santiago, 1964; und D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, Chile auf dem Weg zum Sozialismus, Köln, 1971, S. 54. Vgl. dazu D. Nohlen, Chile. Das sozialistische Experiment, Hamburg, 1973, S. 38 f.; sowie die Hinweise bei A. Valenzuela, Chile. Origins, Consolidation, and Breakdown of a Democratic Regime, in: L. Diamond/J. Linz/S.M. Lipset (Eds.), Politics in Developing Countries. Comparing Experiments in Democracy, Boulder, 1990, S. 40 f. Vgl. J. Petras, Politics and Social Forces in Chilean Development, Berkeley, 1969, S. 114123.

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des Landes und artikulierte den Widerstand südlicher Landbesitzer gegenüber der Zentralisierung der Macht in Santiago, so wurde sie doch immer stärker zu einer Partei der Mittelschichten.11 Die Notwendigkeit der Integration einer zunehmend bewußter auftretenden Arbeiterbewegung in das politische System kann als weitere Entwicklung betrachtet werden, die das Ende der oligarchischen Ordnung einleitete. Mit der Urbanisierung und Industrialisierung waren nicht nur Mittelschichten entstanden, sondern v.a. in den Minenbezirken (Salpeter, Kupfer) und den sich seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts ausweitenden Fabriken und kleinen Industrieunternehmen eine Arbeiterschaft, deren Zahl sich rasch ausweitete. Deren Arbeits- und Lebensbedingungen blieben überaus prekär, da die verschiedenen oligarchischen Regierungen nichts taten, um ihre soziale Situation zu verbessern.12 Arbeitsverträge, die über mündliche und individuelle Absprachen hinausgingen, fehlten ebenso wie Regelungen der Arbeits- und Ruhezeiten. Niedrigste Entlohnungen (häufig in Naturalien oder auf Schein, mit dem dann in den Läden des Patrons eingekauft werden konnte) und schwerste Frauen- und Kinderarbeit waren die Regel. Zur völligen Rechtlosigkeit kam noch hinzu, daß die Arbeiter im Falle des Streiks, da diese illegal waren, dem Strafrecht unterlagen. Die Oligarchie weigerte sich beharrlich, die 'soziale Frage' überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, bis sie sich immer häufiger mit Streiks und direkten Aktionen von - offiziell verbotenen - Gewerkschaftsvereinigungen konfrontiert sah. 13 Da die Unternehmer und ihre parlamentarische Vertretung den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital im wesentlichen repressiv über die Unterdrückung der Arbeiter regeln wollten, fiel der Radikalen Partei schließlich die Initiative für eine erste umfassende Arbeits- und Sozialgesetzgebung zu. Die bis dato bestehenden Sozialgesetze beschränkten sich auf die Linderung sozialer Not und zielten nicht auf die Durchsetzung größerer sozialer Gerechtigkeit. Die Auseinandersetzungen zwischen den neuen gesellschaftlichen Gruppen und der Oligarchie verschärften sich noch infolge der weitreichenden ökonomischen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und des Niedergangs der Salpeterindustrie als Folge der Erfindung künstlichen Nitrats und der rapide abnehmenden Nachfrage auf dem Weltmarkt. In der Endphase der parlamentarisch-oligarchischen Republik geriet das politische Modell immer stärker unter Druck. Die politische Rechte kriti11

12

13

74

Siehe ausführlicher F. Gil, The Political System of Chile, Boston, 1966, S. 12 f.; und J.G. Jobet, Ensayo crítico del desarrollo económico-social de Chile, Santiago, 1955, S. 127. Siehe G. Vial, Historia de Chile 1891-1973, Santiago, 1981; und H. Ramírez Necochea, Historia del movimiento obrero en Chile, Santiago, 1956, S. 101-174. Vgl. J.P. Arellano, Políticas sociales y desarrollo. Chile 1924-1984, Santiago, 1985, S. 2129; D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 62-76; B. Loveman, a.a.O., S. 191-228; und D. Nolte, Zwischen Rebellion und Integration. Gewerkschaften in der chilenischen Politik, Saarbrücken, 1986, S. 76-82.

sierte, daß jenes dafür verantwortlich sei, daß Politik zunehmend korrupt und mit der Einbeziehung der Unterschichten zu demokratisch geworden sei; die Mitte- und Linksparteien griffen es hingegen für seine Unfähigkeit an, befriedigende Lösungen für die Probleme des Landes zu bieten. In den Präsidentschaftswahlen von 1920 konnte sich Arturo Alessandri mit einem sozialen und politischen Reformprogramm durchsetzen (Trennung von Kirche und Staat, Stärkung der Macht des Präsidenten durch Einschränkung der Macht des Parlaments, Einrichtung eines Arbeits- und Sozialministeriums, Arbeitsgesetzgebung, soziale Reformen für die Unterklassen, Reorganisierung des öffentlichen Erziehungswesens, Dezentralisierung der Verwaltung etc.). Mit seiner von der Demokratischen und der Radikalen Partei getragenen 'Liberalen Allianz1 hielt ebenfalls ein neuer politischer Stil der Massenmobilisierung Einzug. Der Druck der nicht wahlberechtigten Masse des Volkes - 1920 waren knapp 10% der Bevölkerung wahlberechtigt - und die Einsicht der Mittelschichten, daß ohne die Unterstützung der Arbeiterschaft keine effektive Reform gegen die traditionelle Oligarchie durchgesetzt werden könnte, beeinflußten das Wahlergebnis entscheidend.Damit fand erstmals die politische Meinung der Masse des Volkes (indirekt) Eingang in den politischen Entscheidungsprozeß. Es standen sich zum ersten Mal die gesellschaftlichen Schichten und Kräfte gegenüber, die bis 1970 die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung bestimmten: eine noch weitgehend durch den Landbesitz, aber zunehmend auch durch andere Wirtschaftsinteressen geprägte Oligarchie; eine an Reformen interessierte, in sich sehr heterogene Mittelschicht, die ihr politisches Verhalten jeweils an ihrer aktuellen sozioökonomischen Lage orientierte; und eine zunehmend stärker werdende, klassenbewußte Arbeiterschaft, insbesondere in Form eines Industrieproletariats. Das Parlament reagierte auf die Reformvorhaben Alessandris mit der gewohnten Obstruktionspolitik15, die beabsichtigte Reformen entweder zu Fall brachte oder aber erheblich verzögerte. Die Ankündigung einer neuen Verfassung rief schließlich das erste Mal in der Geschichte des Landes das Militär auf die Tagesordnung, welches Alessandri stürzte. Diesem Putsch folgte nach kurzer Zeit ein Gegenputsch (Ibänez und Marmaduke Grove), der Alessandri wieder zum Präsidenten machte und sicherstellte, daß sein Reformprogramm wenigstens in Grundzügen umgesetzt werden konnte. Die neue Verfassung des Jahres 1925 verschob die politische Macht wieder deutlich stärker vom Kongreß auf die Exekutive und stärkte die Stellung des Präsidenten. Jener wurde nun direkt vom Volk gewählt, und ein unabhängiges 14 15

Vgl. J. Petras, a.a.O., S. 117 f.; und D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 56 f. In den Jahren 1891 bis 1924 wurden 121 Regierungen gebildet, denen insgesamt SSO verschiedene Minister angehörten. D. Nohlen erklärt dies "durch das Verlangen der Oligarchie nach Kontrolle der politischen Macht" durch die der Oligarchie nahestehenden Parteien. Vgl. D. Nohlen, Chile. Das sozialistische Experiment, a.a.O., S. 42 f.

75

Wahltribunal überwachte die Wahlen. Die Amtszeit des Präsidenten wurde auf sechs Jahre festgelegt, wobei es keine sofortige Wiederwahlmöglichkeit gab. Der Kongreß behielt zwar in Haushaltsangelegenheiten wichtige Rechte, verlor aber einige seiner traditionell zur Immobilisierung der Exekutive eingesetzten Instrumente. 16 Alessandris Nachfolger Emiliano Figueiroa scheiterte schon bald nach der Übernahme der Präsidentschaft am politischen Druck der Liberalen und dem wachsenden Einfluß des damaligen Kriegsministers Carlos Ibänez, der reformorientierte Teile des Militärs repräsentierte. Dieser konnte schon bald Teile der Konservativen und Radikalen Partei für Neuwahlen gewinnen, aus denen Ibänez 1927 als Sieger hervorging. Während seiner Präsidentschaft versuchte Ibänez die chilenische Politik grundlegend zu reformieren, indem er effiziente, moderne Verwaltungspraktiken einführte und die Einflußmöglichkeiten des Kongresses bei Kabinettsentscheidungen zurückdrängte. Dabei griff er auch auf Extremmaßnahmen wie die Exilierung von politischen Führern und die Unterdrückung von Gewerkschaften und Oppositionsparteien zurück. Ibänez nutzte den starken Zufluß ausländischen Kapitals seit Mitte der 20er Jahre zur Finanzierung der bereits von Alessandri initiierten Reformen. Durch den Ausbau des Erziehungswesens und die Erweiterung der Sozialgesetzgebung gehörte Chile diesbezüglich damals mit zu den fortgeschrittensten Gesellschaften in Lateinamerika. Das erstmals verabschiedete Agrarreformprogramm hatte zwar nur geringe Folgen, markierte aber gleichwohl den Beginn einer intensiveren Agrardiskussion. Die Weltwirtschaftskrise und ihre katastrophalen Auswirkungen machten die partiellen Reformen zunichte, da der Zufluß ausländischen Kapitals abrupt versiegte und die Exporteinnahmen, die zweite finanzielle Stütze von Ibänez' Politik, starke Einbrüche erlitten. Die durch die Produktionsrückgänge bewirkte Massenarbeitslosigkeit sowie die damit verbundenen sozialen Unruhen, denen Ibänez durch Einsparungen im Staatshaushalt begegnen wollte, brachten ihn schließlich 1931 zu Fall. Es folgte eine Periode politischer Instabilität, in deren Verlauf ein weiterer Präsident scheiterte und 1932 die 90-tägige 'sozialistische Republik' unter Marmaduke Grove proklamiert wurde. 1932 trat schließlich erneut Arturo Alessandri das Präsidentenamt an. Das Land erholte sich von den Folgen der Großen Depression. Seine Präsidentschaft war gekennzeichnet durch Austeritätsmaßnahmen und die verbale Betonung demokratischer Werte und Prozeduren, mit der häufig eine antidemokratische Realpolitik einherging. Die Präsidentschaftswahlen 1938 stellten einen weiteren Wendepunkt in der chilenischen Politik dar. Sie verdeutlichten zugleich das Ausmaß, in der das Volk die grundlegende Legitimationsbasis für die politischen Autoritäten geworden war. 16

76

Vgl. B. Loveman, a.a.O., S. 219.

Unter dem Eindruck des europäischen Faschismus setzte sich in den Wahlen eine Volksfrontregierung unter Führung der Radikalen Partei mit Beteiligung der marxistischen Linken (insbesondere der Sozialistischen Partei) durch. Die Kommunistische Partei war offiziell nicht an der Regierung beteiligt, unterstützte diese aber im Parlament. Pedro Aguirre Cerda wurde Präsident der Republik und nach dessen Tod 1941 Juan Rios Morales. Trotz der häufig erbitterten Opposition der politischen Rechten konnten die Regierungen für ein Jahrzehnt die Sozialgesetzgebung ausweiten und die Legalisierung von Gewerkschaften in unterschiedlichen Bereichen der Ökonomie vorantreiben. In wirtschaftspolitischer Hinsicht forderten die Regierungen aktiv die Industrialisierung auf dem Wege der Importsubstitution über die staatliche Entwicklungsagentur CORFO (Corporación de Fomento de la Producción). Die Landbevölkerung blieb allerdings weiter ausgespart. "Entonces es interesante que una coalición de radicales con socialistas y comunistas haya formulado un programa de modernización capitalista, que es lo que hicieron los 'frentes populares'. Esa coalición nunca intentó el socialismo, sino el desarrollo industrial más la democratización social. Y en los dilemas optó siempre por la estabilidad, optó siempre por la transacción con la derecha para evitar la crisis política, bien retirando proyectos o bien permitiéndole a la derecha, a través de los liberales, una cierta participación en los gobiernos llamados de 'Unión Nacional', o aun la cautela de ciertos intereses básicos."17 Die Erfolge der Frente Popular lagen entsprechend eher auf wirtschaftlichem, denn auf sozialem Gebiet. Während man die Industrie durch Subventionierung und Protektion stärkte und die Interessen der Landoligarchie nicht angetastet wurden, da weder die Besitzverhältnisse in Frage gestellt wurden noch man der Landbevölkerung die Möglichkeit gab, ihre Interessen zu vertreten (Politik des 'Burgfriedens' die Kommunistische Partei und mehr noch die Sozialistische Partei opferten zur damaligen Zeit die Rechte der von ihnen vertretenen sozialen Klassen auf dem Altar der 'Aktionseinheit' mit den Radikalen), verbesserten sich zwar die Lebensbedingungen der Mittelschichten erheblich, die Löhne der Industrie- und Minenarbeiter stiegen aber nur gering, und die Lage des Landproletariats und der Landbevölkerung generell verschlechterte sich stark. Proteste der Arbeiter wurden in der Regel unterdrückt. Auch die Politik des letzten 'radikalen' Präsidenten González Videla (1946-1952) blieb offen arbeiterfeindlich. González Videla löste im Klima des Kalten Krieges das Volksfrontbündnis auf. Die Sozialistische Partei wurde als Folge der betriebenen Politik in der Zeit der Radikalen Präsidentschaften erheblich geschwächt, und ihr Stimmenanteil halbierte sich in den Parlamentswahlen der 40er Jahre (1941 knapp 17%, 1949 9%). Die Kommunistische Partei konnte zwar Stim-

17

T. Moulian, Estabilidad democrática en Chile. Una mirada histórica, in: I. Walker u.a., Democracia en Chile. Doce conferencias, Santiago, 1986, S. 131.

77

mengewinne verbuchen (1941 11%, bei den Kommunalwahlen 1947 16%), sie wurde aber 1948 vorläufig verboten.1® Bevor im folgenden auf die weitere politische Entwicklung seit den SOer Jahren eingegangen wird, müssen zwei kurze Anmerkungen zu fundamentalen Entwicklungen in der chilenischen Politik vorausgeschickt werden, die zum einen die beständige Ausweitung des Wahlrechts, zum anderen die Entstehung einer gegenüber der alten oligarchischen Ordnung neuen Struktur des Parteiensystems betreffen. Die kontinuierliche Ausweitung des Wahlrechts und damit die zunehmende Partizipation der Wählerschaft am politischen Prozeß kann als zentraler Faktor für diverse nachfolgende Entwicklungen gelten. Wie bereits erwähnt, war um die Jahrhundertwende nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wahlberechtigt, das Wahlrecht selbst an bestimmte Vorbedingungen geknüpft. Während noch 1925 weniger als 10% der Bevölkerung wahlberechtigt waren, so erhöhte sich dieser Anteil bis 1970 auf 37%, was erstmals die gesamte erwachsene Bevölkerung war. Die wichtigsten Schritte auf diesem Weg waren die Einfuhrung des Frauenwahlrechts 1949 und das Wahlrecht für Analphabeten 1970. Die Zunahme der Wahlberechtigten verlief von 1925 bis 1946 nur sehr langsam. In diesem Zeitraum erhöhte sich der Anteil der Wahlberechtigten an der Bevölkerung lediglich auf 11%. Zu den Wahlen von 1952 stieg er auf 17,6% an, die Anzahl der Wähler verdoppelte sich von einer Wahl zur anderen knapp. Der Anstieg der Alphabetisierungsrate und insbesondere die Wahlrechtsreformen 1958 und 1962 verdoppelten dann abermals die Zahl der Wähler. 1964 waren bereits über 34% der Bevölkerung wahlberechtigt. Mit der Aufhebung der Bedingung, lesen und schreiben zu können, wurden dann 1970 erstmals freie, gleiche und geheime Wahlen für jedermann garantiert. 19 Die Wahlrechtsreformen Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre waren auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie die Kontrolle der Großgrundbesitzer über die Stimmen der Landarbeiter effektiv beschnitten und die Möglichkeiten des Stimmenkaufs begrenzten. Die Kontrolle der Landbesitzer über die Stimmen der Landbevölkerung sicherte über lange Zeit hinweg der Konservativen und Liberalen Partei (teilweise auch der Radikalen Partei) genügend Kongreßsitze, um eine entscheidende Vetomacht gegenüber den Programmen der Präsidenten zu bewahren. Die vielbeschworene Stabilität der chilenischen - mehr formalen als realen - Demokratie beruhte zu einem Gutteil auf der fortgesetzten Kontrolle der großen LandbeiR

19

78

Vgl. B. Loveman, a.a.O., S. 2SS ff. Siehe zu den politischen Allianzbildungen der 30er und 40er Jahre auch J. del Pozo, La période d'alliance politiques multiclassistes au Chili (193619S6): Populisme ou autonomie de classes?, in: Canadian Journal of Latin American and Caribbean Studies, Vol. XIII, 1985, Num. 25, S. 7-27. Vgl. B. Loveman, a.a.O., S. 233; D. Nohlen, a.a.O., S. 45 ff.; sowie auch für die Zát des 19. Jahrhunderts J.S. Valenzuela, Democratización vía reforma. La expansión del sufragio en Chile, Buenos Aires, 1985.

sitzer über die Stimmenanteile und die politischen Aktivitäten der Arbeitsräfte auf ihren fitndos. Diese Dominanz hing wiederum von der Aufrechterhaltung des Hacienda-Systems, der Unterbindung von Landarbeitergewerkschaften und des Fernhaltens politischer Einflüsse von außen ab. "Underlying these demographic and economic trends could be found a complex, contradictory set of political arrangements that permitted the most traditional social and economic institutions in the nation, the large rural estates, to survive intact through four decades of dramatic social change and economic modernization. To a great extent the survival of the hacienda system and its extensive subsidization by the state represented the trade-off between Marxists, reformers, and traditional political interests that permitted the establishment and maintenance of Chile's vaunted 'stability' and 'democracy'. Whenever this trade-off was threatened, political toleration ended. When the large estates finally faced their demise in the period after 1964, so too did Chilean formal democracy."2® Die zweite wichtige Entwicklung kann in der langsamen Neustrukturierung des chilenischen Parteiensystems seit Anfang des Jahrhunderts gesehen werden. Neben der Konservativen (Partido Conservador) und Liberalen Partei (Partido Liberal), die die politische Rechte im Parlament bildeten, existierte im Zentrum die 1863 gegründete Radikale Partei (Partido Radical). Im linken Parteienspektrum entstand 1921 die Kommunistische Partei (Partido Comunista), die zunächst 1912 als Sozialistische Arbeiterpartei (Partido Obrero Socialista) gegründet wurde, und 1933 schließlich die Sozialistische Partei (Partido Socialista). Die einzige Partei, die erst nach den 30er Jahren entstand, war die Christdemokratische Partei Chiles (Partido Demócrata Cristiano). Sie war 1957 aus der Falange Nacional hervorgegangen, die ihrerseits wieder eine Abspaltung der Konservativen Partei war. 2 1 Dieses Parteiensystem war durch eine starke soziale Polarisierung gekennzeichnet und organisierte die Wählerschaft entlang von Klassenlinien. Während die Parteien der Rechten grob gesehen die Interessen der Agraroligarchie und der Industriellen vertraten, repräsentierte das Zentrum hauptsächlich die Mittelschichten. Die Linksparteien hatten ihre soziale Basis wesentlich im Minen- und Industrieproletariat.

20

91

B. Loveman, a.a.O., S. 235. Vgl. T.R. Scully, Los partidos del centro y la evolución política chilena, Santiago, 1992; zur Christdemokratie die Studie von M. Fleet, The Rise and Fall of Christian Democracy, Princeton, 1985; allgemein R.H. McDonald/J.M. Ruhl, Party Politics and Elections in Latin America, Boulder, 1989, S. 185-207. Neben den sechs erwähnten gab es noch eine Vielzahl weiterer Parteien. Ihr Einfluß und ihre Mitgliederbasis blieben jedoch gering, und auf die oben genannten Parteien entfielen über 80% der Stimmen.

79

Schaubild 1: Genealogie der größeren politischen Parteien Chiles bis 1970

4

80

L i n k s

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| 4

M i t t e

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R e c h t s

)

Die wichtigsten Veränderungen im chilenischen Parteiensystem seit den 30er Jahren können dahingehend zusammengefaßt werden, daß die traditionellen Rechtsparteien im Laufe der Zeit relativ an Bedeutung verloren. Ähnliches galt in zunehmendem Maße auch für die Radikale Partei, die schließlich im Zentrum von den Christdemokraten als Gravitationszentrum ersetzt wurde. Auf der Linken erhielten Kommunisten und Sozialisten bedeutenden Zulauf. Nach der Etablierung dieser Parteistrukturen verteilten sich auf alle drei politischen Richtungen je ungefähr ein Drittel der Wählerschaft. Da zudem keine der Parteien eine dominierende Position einnahm, lebte das chilenische Präsidentialsystem praktisch vom Kompromiß: Chilenische Präsidenten mußten entweder durch Koalitionen verschiedener Parteien gewählt werden oder sahen sich - da nur mit relativer Mehrheit gewählt - später im Kongreß einer Mehrheit der Opposition gegenüber. Da die chilenischen Präsidenten den Kongreß im Falle des Verlustes der Unterstützung durch die zeitlich versetzten Wahlen nicht auflösen konnten, waren sie gezwungen, alternative Allianzen zu bilden, um regieren zu können. "An image of Chile's party system as excessively competitive and polarized, however, is incomplete and inaccurate. The collapse of party agreements, the censure of ministers, and the sharp disagreement over major policy issues captured the headlines and inflamed people's passions. But the vast majority of political transactions were characterized by compromise, flexibility, and respect for the institutions and procedures of constitutional democracy. Over the years, working agreements among political rivals led to implementing farreaching policies, including state-sponsored industrialization; comprehensive national health, welfare, and educational systems; agrarian reform; and copper nationalization. 2 Dieses Bild trifft zumindest bis Anfang der 60er Jahre zu. Nicht explizit erwähnt sind hier allerdings die Vorbedingungen für eine solche Kompromißfähigkeit, nämlich a) die bis Mitte der SOer Jahre bestehende Unmöglichkeit für die Linksparteien, den Präsidenten zu stellen; b) die Benachteiligung der reformorientierten Parteien infolge des Ausschlusses zumindest eines Teils ihrer Klientel vom Wahlprozeß; und c) die langjährige Ausblendung und Tabuisierung von für das chilenische Gesellschaftssystem konstitutiven Fragen und Problemen.

22

A. Valenzuela, Chile. Origins..., a.a.O., S. 50.

81

Tabelle 1: Ergebnisse der chilenischen Präsidentschaftswahlen 1952-1970 Kandidaten Wahl 1952 Carlos Ibifiez del Campo (unabhängig) Aturo Matte (Liberale/Konservative) Pedro Alfonso (Radikale/Falange) Salvador Allende (Sozialisten/Kommunisten) Insgesamt Wahlberechtigt Wahl 1958 Jorge Alessandri (Liberale/Konservative) Salvador Allende (FRAP) Eduardo Frei (Christdemokraten) Luis Bossay (Radikale) Antonio Zamorano (linke Splitterparteien) Insgesamt Wahlberechtigt Wahl 1964 Eduardo Frei (Christdemokraten) Salvador Allende (FRAP) Julio Duran (unabhängig) Insgesamt Wahlberechtigt Wahl 1970 Salvador Allende (Unidad Populär) Jorge Alessandri (Nationale Partei) Radomiro Tomic (Christdemokraten) Insgesamt Wahlberechtigt

Stimmen absolut

in %

446439

46,8

265357

27,8

190360

19,9

51975 954131 1105029

5,5 100,0

389909

31,6

356493

28,8

255769

20,7

192077

15,6

41304 1235752 1497902

3,3 100,0

1409012

56,1

977902

38,9

125233 2512147 2915121

5,0 100,0

1070334

36,6

1031159

35,3

821801 2923294 3539747

28,1 100,0

-

-

-

-

(D. Nohlen, Chile. Das sozialistische Experiment, a.a.O., S. 370, sowie eigene Ergänzungen)

82

Die politische Entwicklung seit Anfang der 50er Jahre 23 muß in engem Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung gesehen werden, die durch ein stagnatives Wirtschaftswachstum und hohe Inflation gekennzeichnet war. Die einzelnen Regierungen versuchten, dieser Situation jeweils mit einer unterschiedlich ausgerichteten Wirtschaftspolitik - ohne Erfolg - Herr zu werden. Bereits die Regierungen der 'radikalen Präsidenten' hatten sich als unfähig erwiesen, die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend voranzutreiben und die Lebenssituation der Bevölkerung zu verbessern. Diese Situation in Verbindung mit dem Ansehensverlust der politischen Linken durch die Volksfrontpolitik fand ihren Ausdruck in der erneuten Wahl von Carlos Ibáñez (1952-1958) zum Präsidenten, der in seiner zweiten Regierungszeit hochgradig personalistisch, autoritär und repressiv regierte. Mit einem äußerst heterogenen Programm wandte er sich gegen alle etablierten Parteien und gegen alle in der Vergangenheit an Regierungen beteiligten Gruppen. Mit dem Versprechen, die Lebensverhältnisse durch einen Inflationsstopp zu verbessern und eine reformerische Linie zu verfolgen, erreichte er v.a. die Mittelschichten, große Teile der Arbeiterschaft, aber auch Gruppen der Landarbeiter und Bauern. Mit einem starken Staat versuchte er die Industrialisierung voranzutreiben, und mit der Wahlreform beschnitt er die Macht der Großgrundbesitzer in der chilenischen Politik. Gleichzeitig unterdrückte er aber alle Ansätze zur Gewerkschaftsbildung auf dem Lande und die Aktivitäten der Arbeiterbewegung. Ibáñez konnte jedoch die in ihn von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Die Lebenshaltungskosten stiegen rapide; durch die stagnierende Agrar- und Minenproduktion mußten Agrarimporte ausgeweitet werden, und in den Minengebieten stieg die Arbeitslosigkeit.24 Das Scheitern der Regierung Ibáñez bereitete den Weg für den Wiederaufstieg und die Vereinheitlichung einer programmatisch erneuerten politischen Linken sowohl im parlamentarischen wie auch im außerparlamentarischen Bereich. Die Sozialistische und die Kommunistische Partei schlössen sich 1956 mit verschiedenen kleineren Parteien zur Frente de Acción Popular (FRAP) zusammen. Im außerparlamentarischen Bereich kam es zur Vereinigung verschiedener Gruppierungen der Arbeiterbewegung und 1953 zur Bildung des Gewerkschaftsdachverbandes CUTCH (Central Unica de Trabajadores de Chile), dessen einzelne Mitgliedsverbände überwiegend sozialistisch oder kommunistisch ausgerichtet waren. Damit wurde die bis dato bestehende Fraktionierung der Linken überwunden und fortan 91

24

Vgl. dazu allgemein T. Moulian, Desarrollo político y estado de compromiso. Desajustes y crisis estatal en Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 8, 1982, S. 105-158, der auch immer wieder auf die Haltung der Unternehmer eingeht; und Th.E. Skidmore/P.H. Smith, Modern Latin America, New York, 1984, S. 109-139. Vgl. D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 166; B. Loveman, a.a.O., S. 261; und J. Petras, a.a.O., S. 167 f.

83

den konservativen Parteien mit einer sozialistischen Programmatik begegnet. Bei den Präsidentschaftswahlen 1958 wurde die FRAP mit ihrem Kandidaten Salvador Allende die zweitstärkste politische Kraft knapp hinter dem von der vereinten Rechten getragenen Jorge Alessandri, einem direkten Repräsentanten der chilenischen Unternehmerschaft. Eduardo Frei, der Kandidat der neu gegründeten Christdemokratischen Partei, erreichte den dritten Platz. Auch Jorge Alessandri versprach, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zu lösen. Orthodoxe wirtschaftliche Maßnahmen zur Erreichung der Geldwertstabilität kombinierte er mit rigorosen Fiskalmaßnahmen. Um Stagnation und Inflation zu überwinden, reorganisierte er die Staatsverwaltung, führte ein effektiveres Steuersystem ein und setzte auf steigende Privatinvestitionen. Das private Unternehmertum sollte zum Motor der Entwicklung werden, staatliche Wirtschaftsaktivitäten sich auf traditionelle Funktionen beschränken und möglichst minimiert werden. Reformorientierten Kräften, die auf sozialen und wirtschaftlichen Wandel drängten, widersetzte er sich. Erst mit dem Verlust der konservativ-liberalen Mehrheit im Kongreß Anfang der 60er Jahre und unter wachsendem Druck der USA und der von ihr protegierten 'Allianz für den Fortschritt' kam es zu zaghaften Reformen. Zu erwähnen sind insbesondere das Agrarreformgesetz, die Umbenennung und Umstrukturierung der Caja Agrícola in CORA (Corporación de Reforma Agraria) sowie die Bildung des INDAP {Instituto de Desarrollo Agropecuario) 1962. Von einer Agrarreform im eigentlichen Sinne kann aber nicht gesprochen werden, da Enteignungen nur in Ausnahmefällen zulässig waren und die Interessen der Großgrundbesitzer nicht angetastet wurden. Von den nach dem Agrarreformgesetz neu zu errichtenden landwirtschaftlichen Kleinbetrieben wurde nur ein minimaler Bruchteil geschaffen, nur wenige Familien erhielten überhaupt Land. Die Landbevölkerung reagierte auf diese Scheinreform mit zunehmender Radikalität. Bei den folgenden Munizipal- und Parlamentswahlen konnte die politische Linke bis dato nicht gekannte Stimmengewinne erzielen. Gleichzeitig nahm die gewerkschaftliche Organisation von Bauern und Landarbeitern schnell zu, wobei die sozialistischen und christdemokratischen Kräfte hier die Hauptrolle spielten.25 Anfang der 60er Jahre wurde die zunehmende Polarisierung und Radikalisierung der chilenischen Wählerschaft nur allzu deutlich. Angesichts der geringen Problemlösungskapazität der Regierung Alessandri und des zunehmenden Drucks in der Öffentlichkeit auf die politische und wirtschaftliche Rechte (Konservative und Liberale Partei, Großgrundbesitzer und Industrielle) gewannen diejenigen Parteien, die umfassende soziale Reformen und eine Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung forderten, gegenüber den Verteidigern der bestehenden Ordnung die

" 84

Siehe J. Petras/M. Zeitlin, Agrarian Radicalism in Chile, in: British Journal of Sociology, Vol. XIX, 1968, Num. 3, S. 254-270; und J. Petras, a.a.O., S. 104 ff.

Oberhand. 26 Ein Wahlsieg der Parteien der FRAP schien erneut nicht ausgeschlossen zu sein. Angesichts dieser Situation schloß sich die politische Rechte vor den Präsidentschaftswahlen 1964 zu einem einheitlichen Block zusammen und verzichtete zugunsten des Christdemokraten Eduardo Frei, den sie angesichts der perzipierten Bedrohung von links für das kleinere Übel hielt, auf einen eigenen Präsidentschaftskandidaten. Die FRAP präsentierte erneut Allende. Als 'unabhängiger' Kandidat trat Julio Duran an. Die Christdemokratische Partei errang mit 56% der Stimmen einen überwältigenden Wahlerfolg, der von der politischen Rechten, den Mittelschichten und einem Großteil der 'Marginalen' getragen wurde. Mit ihrer 'Revolution in Freiheit' war das Ziel einer entwickelten und gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung - einer 'kommunitären Gesellschaft' - verbunden, mit der sie sich sowohl gegenüber der traditionellen Rechten wie auch der marxistischen Linken abgrenzte. Angesichts der vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Probleme traten die Christdemokraten für ein umfassendes Reformprogramm in allen gesellschaftlichen Bereichen ein. 27 Dies zielte sowohl auf die drängendsten ökonomischen Probleme (weitreichende Agrarreform, Chilenisierung des Kupfers, Beseitigung von Monopolen in der Wirtschaft, Inflationskontrolle, Stimulierung der Exporte, Steuerreform, Lohn- und Preisstabilisierung) als auch auf genuin politische Probleme ab (Verfassungsreform, Stärkung der gewerkschaftlichen Organisation sowohl in den Industrie- und Bergbauzentren wie auch auf dem Lande, Ausweitung und Demokratisierung des Bildungswesens, Verbesserung des öffentlichen Gesundheitssystems und der Arbeitsverhältnisse sowie die Erhöhung des Lebensstandards der breiten Masse der Bevölkerung). Damit versuchte die Regierung Frei 'antioligarchische' und 'antiimperialistische' Maßnahmen einerseits mit einer Belebung der dynamischen Elemente der Privatinitiative andererseits zu verbinden, um so der verarmten Bevölkerung in den Industriegürteln rings um die Hauptstadt und den Slums die Möglichkeit grundlegender Reformen in Aussicht zu stellen und doch 26

"Increased participation in elections coincided, especially in the period after 19S8, with a sharp decline in right-wing power ... An important cause of the downfall of the Right was the changing social structure. The growth of an urban working class, the movement of rural workers to the city, and the increase in the number of industrial and white-collar workers were trends turned to political capital by the leftist parties." J. Petras, a.a.O., S. 109 und

27

Siehe zum folgenden ausführlicher M. Fleet, a.a.O., S. 80-127; J. Petras, a.a.O., S. 197255; D. Nohlen, a.a.O., S. 91-112; D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 180-241. Vgl. neben den erwähnten Autoren auch die unterschiedlichen Einschätzungen der Bedeutung der christdemokratischen Regierung bei P.E. Sigmund, The Overthrough of Allende and the Politics of Chile 1964-1976, Pittsburgh, 1976, S. 124 ff.; B. Stallings, Class Conflict and Economic Development in Chile 1958-1973, Stanford, 1978, S. 62; und M. Castells, La lucha de clases en Chile, Buenos Aires, 1974, S. 375 ff.

112.

85

nicht soweit zu gehen, daß die Interessen des in- und ausländischen Kapitals und der Mittelschichten nachhaltig bedroht wurden. Während der Großteil der politischen Reformvorhaben durchaus erfolgreich verwirklicht werden konnte28, scheiterte ein Teil der ökonomischen Reformen am Widerstand der Opposition, oder aber diese wurden verzögert und durch wirtschaftliche Interessengruppen aufgeweicht. So konnten z.B. Agrarreform und Kupfernationalisierung erst spät und dann mit begrenztem Nutzen für die chilenische Gesellschaft durchgesetzt werden. Gleichzeitig setzten die Reformen aber eine große soziopolitische Dynamik frei und führten zu einer umfassenden Politisierung auch bislang benachteiligter Schichten der Gesellschaft (Organisierung der 'Marginalen' in Nachbarschaftsvereinigungen und der Landbevölkerung in Landarbeitergewerkschaften etc.), die die Polarisierung der Gesellschaft weiter vorantrieb. Während die politische Rechte und die hinter ihr stehenden Gruppierungen bereits in den ersten Jahren der Regierung Frei die These vertraten, daß Frei nur den Kommunisten den Weg zur Regierung bereite, kritisierte die politische Linke die zu geringe Reichweite der Reformmaßnahmen. Sie verstand Frei von Anfang an als Reformer, der mit seinen Maßnahmen zwar eine Transformation der traditionellen Strukturen der chilenischen Gesellschaft anstrebte, grundsätzlich aber für den Erhalt der kapitalistischen Wirtschaftsordnung eintrat. Die Argumentation der Linken und die mit ihr verbundene Alternative zu Frei erhielt zusätzliches Gewicht dadurch, daß es auch seiner Regierung nicht gelang, die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden und die sozioökonomische Entwicklung zu dynamisieren, so daß nur noch eine radikale, sozialistische gesellschaftliche Transformationsstrategie als Ausweg aus der Misere erschien. Eine solche Strategie fand nicht nur innerhalb der marxistischen Linken der FRAP Anhänger, sondern immer mehr auch innerhalb der Radikalen Partei und den Christdemokraten selbst. Während sich der linke Flügel der Radikalen Partei in der zweiten Hälfte der 60er Jahre abspaltete und später in das Bündnis der Unidad Popular eintrat, war auch die ideologische Polarisierung und innerparteiliche Fraktionierung innerhalb der Christdemokratischen Partei unübersehbar. Die oficialistas unterstützten die offizielle Politik der Frei-Regierung, waren in der Parteibürokratie beherrschend und stellten einen Großteil der Abgeordneten in beiden Kammern des Kongresses. Die rebeldes dagegen vertraten v.a. populistische Positionen und einen christlichen Marxismus. Der Umsturz des kapitalistischen Systems war für sie der erste Schritt auf dem Weg zur 'kommunitären Gesellschaft'. Basis dieser Strömung waren die Parteijugend und die Arbeiter- und Bauernorganisationen. 1966 formierte sich offiziell eine dritte, zentristische Fraktion (die terceristas), deren Ziel es war, die Einheit der Partei zu erhalten. Zu ihr zählten v.a. jüngere Abgeordnete und die Mitarbeiter der von der 28

86

Vgl. B. Loveman, a.a.O., S. 288.

PDC geschaffenen Massenorganisationen (insbesondere der 'promoción popular' und der Agrarreforminstitutionen). Hier fanden sich sowohl Positionen der oficialistas wie auch der rebeldesMit der abnehmenden Popularität der Christdemokratischen Partei, wie sie sich etwa in den Parlamentswahlen 1965 und 1969 ausdrückte, und dem Scheitern zentraler ökonomischer Reformen der Regierung Frei spaltete sich 1969 ein Teil der linken PDC-Fraktion ab und formierte sich außerhalb der Partei neu in der MAPU (Movimiento de Acción Popular Unitaria). Damit rückte gleichzeitig die Möglichkeit der Bildung einer Volksfront für die Septemberwahlen 1970 in den Mittelpunkt der Überlegungen der politischen Linken. Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten parteiinterner Natur und über die einzuschlagende Strategie und Taktik kam es Ende 1969 zum Bündnis von Kommunisten, Sozialisten, Radikalen, der MAPU und zwei sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Splittergruppierungen und zur Bildung der Unidad Popular. In den Präsidentschaftswahlen von 1970 trat als Kandidat der UP wiederum Salvador Allende an. Angesichts der wirtschaftlichen Krise plädierte er für eine Fortsetzung und Vertiefung des Reformkurses und für einen Übergang zum Sozialismus. Der Kandidat der Christdemokratischen Partei, der dem linken Parteiflügel zuzurechnende Radomiro Tomic, drängte auf eine Intensivierung der 'Revolution in Freiheit'. Die politische Rechte, die angesichts der aus ihrer Sicht drastischen Natur der christdemokratischen Reformen nicht noch einmal einen Christdemokraten unterstützen wollte, stellte abermals Jorge Alessandri auf, der auf die alten Eliten und mit ihnen verbündeten Mittelschichten zielte, mit der Absicht, law and order wiederherzustellen. Allende ging mit einer knappen Mehrheit gegen Alessandri als Sieger aus den Wahlen hervor. 30 Bereits vor dem Jahr 1970 mobilisierte die politische Rechte - die Unternehmer eingeschlossen - in Anbetracht des möglichen Wahlsiegs von Allende ihre Kräfte. 31 Sie entwarfen eine Reihe von Strategien, Allende zunächst gar nicht erst ins Amt gelangen zu lassen, dann seine Politik zu sabotieren und zu obstruieren und - nachdem dies alles nicht die gewünschte Wirkung zeigte - ihn zu stürzen. Das noch während des Wahlkampfes im Oktober 1969 von Brigadegeneral Viaux durchgeführte 'Tacnazo* 32 war bereits ein staatsstreichähnliches Unternehmen. Der radikal29 30



32

Vgl. D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 200-209. Siehe dazu ausführlicher D. Nohlen, a.a.O., S. 113-145.

'

"La política de la Derecha durante el período de 1970-73 reconoce tres momentos fundamentales: i) los intentos para impedir el ascenso de Allende al gobierno; ii) la fase de la oposición divida; y iii) el predominio de la línea de preparación de condiciones insurreccionales.1' T. Moulian/I. Torres Dujisin, La Derecha en Chile. Evolución histórica y proyecciones a futuro, in: Estudios Sociales, Num. 47, 1986, S. 86. Tacnazo bezeichnet den Aufstand eines Regiments der angeblich apolitischen Militärs in der Stadt Tacna. Die genauen Hintergründe des Aufstands konnten nie geklärt werden. Siehe die verschiedenen Interpretationen bei B. Staffings, a.a.O., S. 120 f.

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ste Versuch, die Amtsübernahme Allendes zu verhindern, kann jedoch in dem tödlich endenden Attentat auf den Oberkommandierenden der Armee, General Schneider, im Oktober 1970 gesehen werden, dessen Zielsetzung es war, diese Aktion der Linken zuzuschieben und dadurch das Militär zum Eingreifen zu bewegen. Die wahren Hintermänner des Attentats fanden sich jedoch in den konservativen und rechtsradikalen Parteien.33 Eine wesentliche Schwäche der Regierung Allende bestand - neben der beträchtlichen Heterogenität der Parteien der UP - angesichts ihres weitreichenden sozioökonomischen Reformprogramms34 darin, daß sie im Parlament nicht über die Mehrheit der Stimmen verfugen konnte. Bereits bei der Wahl zum Präsidenten war Allende auf die Stimmen der Christdemokraten angewiesen, deren rechter Flügel für seine Zustimmung weitreichende Kompromisse und die strikte Verfassungsmäßigkeit der neuen Regierung forderte. Trotz äußerster Flexibilität Allendes liefen die Forderungen der Christdemokraten darauf hinaus, das Programm der UP, wo immer es möglich war, in der Reichweite einzuschränken. Die Verpflichtung auf die Verfassungsmäßigkeit kollidierte im Laufe der Transformationsstrategie im wirtschaftlichen und sozialen Bereich v.a. mit den radikalen Fraktionen innerhalb der UP (insbesondere dem Altamirano-Flügel der Sozialisten, der MAPU und der christlichen Linken), die eine schnellere Umgestaltung der Wirtschaft auch unter Umgehung bürgerlich-parlamentarischer Normen und Institutionen forderten. Während die Agrarreform noch auf Grundlage des Frei-Gesetzes durchgeführt werden konnte und die endgültige Nationalisierung des Kupfers eine unstrittige Angelegenheit war, mußte für die Enteignung von Unternehmen und den Aufbau eines sozialisierten Sektors der Ökonomie (Area de Propiedad Social) teils auf Gesetze aus der kurzlebigen Sozialistischen Republik zurückgegriffen werden.35 In politischer Hinsicht wollte die UP die kapitalistische Wirtschaftsordnung beseitigen, was die Zerstörung der Machtbasis des 'Monopolkapitalismus' und der 'Landoligarchie' zur Voraussetzung hatte. Damit waren zugleich drastische Veränderungen in den politischen Strukturen des Landes intendiert. Der aus zwei Häusern bestehende Kongreß sollte in eine 'Volkskammer' umgewandelt und die Abgeordneten mit einem imperativen Mandat versehen werden. Ein tiefgreifender Demokratisierungsprozeß auf 33

34

35

88

Dieser Vorfall war das erste politisch motivierte Gewaltverbrecher! in der chilenischen Geschichte und löste große Empörung in der Bevölkerung aus. Es führte zu einer breiten Solidarisierung mit der Regierung Allende und hatte damit vollkommen kontraproduktive Effekte für die politische Rechte. Siehe allgemein M. Falcoff, Modern Chile 1970-1989. A Critical History, New Brunswick, 1989, welches sich trotz des Titels wesentlich mit der Allende-Zeit beschäftigt; A. Joxe, Le Chili sous Allende, Paris, 1974; I.E. Garcds, Allende y la experiencia chilena. Las armas de la politica, Barcelona, 1976. Die wirtschaftspolitischen Ziele und Umgestaltungen der Regierung Allende werden im Kapitel IV genauer erörtert.

allen Ebenen der Gesellschaft und eine umfassende Mobilisierung der 'Volksmassen' sollte den Entscheidungen der Regierung erhöhte Legitimität verleihen. Die UP strebte eine schrittweise Ausdehnung ihres Einflusses in den politischen Institutionen (Gerichte, Kommunikationswesen, Verwaltung, Erziehungswesen) im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung an, zielte aber auf eine Verfassungsreform. Einzelne Maßnahmen der Regierung waren insbesondere dann erfolgreich, wenn Beschlüsse der Exekutive ausreichten, um Veränderungen herbeizuführen. Mit der zunehmenden Polarisierung des politischen Prozesses wurden auch bis dato als 'unpolitisch' betrachtete Institutionen wie die Contralorta General und die Streitkräfte immer stärker politisiert.36 Während erstere der politischen Rechten in immer größerem Umfang dazu diente, die Ungesetzlichkeit der Regierung Allende hervorzuheben, wurden die verfassungsloyalen Teile der Streitkräfte im Zuge der zunehmenden ökonomischen Krise 1972 zunächst in die Regierung aufgenommen, andere Teilstreitkräfte gingen langsam ein Bündnis mit den Unternehmern ein, die immer offener auf den Sturz der Regierung drängten. Sabotage und Boykottmaßnahmen seitens der Unternehmer und der politischen Rechten gehörten zum Alltag. Da die Auseinandersetzungen sich zudem immer stärker in den außerparlamentarischen Bereich verlagerten, verbündeten sich Führungskräfte der großen Unternehmerverbände (SNA und SOFOFA) mit rechtsextremen politischen Organisationen wie Patria y Libertad, PROTECO und Soberania, Orden y Libertad (SOL), die sog. 'weiße Garden' aufstellten, um Land- und Fabrikübernahmen zu verhindern oder vom Staat übernommenes Privateigentum zurückzuerobern.37 Trotz der geballten Opposition und der sich verschärfenden Wirtschaftskrise konnte die UP jedoch in den verschiedenen Wahlen der Jahre 1970 bis 1973 (Präsidentschafts-, Kommunal- und Parlamentswahlen) deutliche Stimmengewinne erzielen. Zuletzt erreichte sie im März 1973 bei den Parlamentswahlen knapp 44% der Stimmen (gegenüber 36% bei den Präsidentschaftswahlen).38 Entgegen aller Obstruktionspolitik der Rechten schien die Regierung auf parlamentarisch-demokratischem Wege nicht zu stürzen zu sein. Nach zwei 'Unternehmerstreiks' und dem Schulterschluß mit den umstürzlerischen Teilen der Militärs wurde dieses Ziel schließlich am 11. September 1973 auf intensives Betreiben der Unternehmerschaft mit einem Staatsstreich erreicht. Die US-Regierung und die multinationalen Kon36

37

38

Der Beginn der Politisierung der Streitkräfte liegt aber bereits länger zurück. Vgl. A. Joxe, The Chilean Armed Forces and the Making of the Coup, in: Ph. O'Brien (Ed.), Allende's Chile, New York, 1976, S. 244-272; F. Rivas Sánchez/E. Reiman Weigert, Die Streitkräfte Chiles. Ein Fall imperialistischer Durchdringung, Frankfurt/M., 1977. Zur Haltung der Unternehmer zur Regierung der UP siehe die Ausführungen im weiteren Verlauf der Arbeit. Vgl. D. Nohlen, a.a.O., S. 337.

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zerne begrüßten den Sturz der UP-Regierung, denn sie hatten vorher massive 'Hilfsleistungen' an die Opposition geleistet, die jene bedeutend gestärkt hatten. 39 Mit der starken Polarisierung der Gesellschaft und dem Gegeneinander von reformsozialistischen Kräften einerseits und bürgerlich-konservativen Schichten andererseits, die schließlich ihre überlegenen Machtpotentiale mobilisieren konnten, endete die langjährige chilenische Demokratie mit einem blutigen Staatsstreich. Der Militärputsch und die nachfolgende Diktatur bildeten die tiefste Zäsur in der jüngeren Geschichte des Landes. 40

2.

Die Pinochet-Diktatur

Der nicht in einem kohärenten alternativen System mündende Versuch der Überwindung des Kapitalismus seitens der UP, die Fragmentierung des Staates, der Legitimationsverlust politischer Konfliktregelungsmechanismen und die starke Polarisierung der Gesellschaft bildeten den Ausgangspunkt für das Militärregime. Daraus ergab sich für die Militärs die Aufgabe der Restrukturierung des Kapitalismus in Chile und der Desartikulierung aller mit dem vorherigen System verbundenen politischen und gesellschaftlichen Institutionen, an dessen Stelle ein staatlich-militaristisches System der Kontrolle und Repression trat. Der chilenische Autoritarismus hat sich dabei als außerordentlich dauerhaft und 'stabil' erwiesen, obwohl ihm eine Vielzahl von Hindernissen und politischer Druck entgegenstanden: eine starke Tradition der konstitutionellen Demokratie, eine Vielzahl etablierter politischer Parteien und Interessengruppen, eine breitgestreute interne Opposition, Massenproteste, schwere Wirtschaftskrisen und eine weitgehende internationale Isolation, nicht zuletzt Attentatsversuche auf General Pinochet und eine breite Demokratisierungswelle im Lateinamerika der 80er Jahre. Schon kurz nach dem Staatsstreich wurde klar, daß die Generäle die Macht nicht nach kurzer Zeit wieder an zivile Autoritäten übertragen würden, denn ihre zwei Hauptziele - die Zerstörung der politischen Linken und eine grundlegende UmgeJy

40

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Siehe zur hier nicht weiter ausgeführten Rolle der USA United States and Chile Düring the Allende Years 1970-1973. Hearings Before the Subcommittee on Interamerican Affairs of the Committee on Foreign Affairs, House of Representatives, Washington, 1975; Betrifft: Chile. Die ITT-Dokumente. US-Imperialismus in Lateinamerika, Frankfurt/M., 1972; J. Petras/M. Morley, The United States and Allende. Imperialism and the Overthrough of the Allende Government, New York, 1975; und E. Farnsworth/R. Feinberg/E. Leenson, Chile. El bloqueo invisible, Buenos Aires, 1973. Für eine Gegenüberstellung der Erklämngsanliegen, Ursachenanalysen, möglicher Alternativen und jeweiliger Stärken und Schwächen einzelner Analysen durch die einzelnen politischen Strömungen in bezug auf die Regiemngszeit Allende siehe die Übersicht bei A. Valenzuela/J.S. Valenzuela, Visions of Chile, in: Latin American Research Review, Vol. X, 1975, Num. 3, S. 169.

staltung der politischen Institutionen und des politischen Lebens - waren kurzfristig nicht erreichbar. Entsprechend interpretierten die Militärs ihre Intervention nicht als einfachen Staatsstreich, der das Ziel verfolgte, eine Regierung durch eine andere zu ersetzen, sondern als einen Krieg, der dem Ziel diente, einen absoluten Feind zu vernichten, der die Hälfte der Bevölkerung infiltriert habe. Sie sahen sich als "Retter Chiles vor dem Kommunismus" und legitimierten ihren Putsch mit der "völligen Unrechtmäßigkeit" der Regierung Allende, die fundamentale (Freiheits-) Rechte systematisch zerstört habe. Die "höchsten und ewigen Werte der Nation" sollten gegenüber der "Aggression des Marxismus" gerettet werden. Christlichbiologistische Rechtfertigungsmuster und ein unterliegendes absolutes Feindbild sollten es im Rahmen der "Doktrin der nationalen Sicherheit" erlauben, aus dem "gesunden Volkskörper" das "Krebsgeschwür Marxismus" herauszuschneiden. 41 Die Militärs machten für die desolate politische und wirtschaftliche Lage am Ende der Allende-Zeit aber nicht nur die politische Linke verantwortlich, sondern auch die "Schwächen der liberalen Demokratie", die marxistische Kräfte zuließ und zu Korruption und Demagogie gefuhrt habe. 4 2 Ihr zweites Hauptziel war dementsprechend, eine grundsätzliche Umgestaltung der chilenischen Gesellschaft, ihrer politischen Institutionen und Funktionsweise zu erreichen, die totalitäre Charakterzüge trug. Darüber, wie das erste Ziel zu erreichen war, hatte die Junta klare Vorstellungen. Eine weitaus weniger klare Konzeption unterlag der Neustrukturierung der politischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse. 43 2.1. Institutionalisierung und Konsolidierung des Militärregimes Regierten die Militärs nach dem Putsch zunächst über ein kollektives Führungsgremium in Form einer Junta de Gobierno (bestehend aus den höchsten Generälen der Waffengattungen), so gelang es Pinochet nach kurzer Zeit, eine extrem personalistisch ausgerichtete Diktatur zu errichten, die über zentralisierte Machtstrukturen verfügte. Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und der unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der zukünftigen Gestaltung des Landes und seiner strategischen Optionen unter den bis dahin mit gleichen Machtanteilen ausgestatteten Generälen schien das Überleben des Militärregimes 1975 ernsthaft in Frage gestellt zu sein. Die Etablierung einer de facto-Alleinherrschaft vollzog sich in mehreren Schritten. Zunächst mußte die kollegiale Junta in eine Ein-Mann-Herrschaft umge41

Vgl. R. Friedmann, Chile unter Pinochet. Das autoritäre Experiment (1973-1990), Freiburg, 1990, S. 31 ff., 47-54. Hier knüpften die Militärs direkt an die lange Tradition konservativen Denkens in Chile an. Siehe R. Cristi/C. Ruiz, Conservative Thought in Twentieth Century Chile, in: Canadian Journal of Latin American and Caribbean Studies, Vol. 15, 1990, Num. 30, S. 27-66. Siehe B. Loveman, a.a.O., S. 310 ff.; K.L. Remmer, Military Rule in Latin America, Boston, 1989.

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baut werden. Dazu diente Pinochet erstens die Sicherung der Vorherrschaft des Heeres gegenüber der Luftwaffe, der Marine und der Polizei und zweitens Gleichschaltungen und Säuberungen innerhalb des Heeres. Die Gleichschaltung bestand zunächst in der Neutralisierung des Kerns jener Offiziere, die den Putsch aktiv planten und durchführten, und der Säuberung von all jenen Elementen, die eine schnelle Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit befürworteten. Die ranghöchsten Generäle wurden in den Ruhestand versetzt. Die Kontrolle des Heeres wurde dem neugeschaffenen Geheimdienst DINA (Dirección Nacional de Inteligencia) übertragen. Erster Schritt auf dem Weg in die Alleinherrschaft war damit die Kontrolle der Junta, die durch die traditionelle Hierarchie der Waffengattungen (Heer, Marine, Luftwaffe, Polizei) erleichtert wurde. Die Unterstellung der Waffengattungen unter das Verteidigungsministerium, dem ein Heeresgeneral vorstand, der das bis dahin gültige Rotationsprinzip innerhalb der Junta aufhob, räumte Pinochet eine Vorteilsposition ein. Ein weiterer Schritt war das Gesetzesdekret D.L. 527 Mitte 1974, welches die Zusammenarbeit, Rangfolge und die Abstimmung der Junta und ihre Stellung im Staat bestimmte. Damit wurde Pinochet Chef der Junta, die zwar Inhaberin der legislativen Gewalt blieb, deren Vorsitzendem aber die gesamte exekutive Gewalt übertragen wurde. Die Junta war zudem nicht mehr befugt, den Vorsitzenden zu ernennen. Der Vorsitz stand vielmehr demjenigen Mitglied der Junta zu, welches den ersten Rang in der Hierarchie der Waffengattungen einnahm. Das Amt Pinochets war nicht mehr zeitlich begrenzt, und er selbst mußte nur noch im Falle des Todes, des Rücktritts oder absoluter Unfähigkeit aus dem Amt scheiden. Ende 1974 okkupierte Pinochet schließlich auch das Amt des Staatspräsidenten. Das erwähnte Statut mußte per Dekret mit Verfassungsrang geändert werden (D.L. 806). Die exekutive Gewalt wurde von nun an vom Präsidenten der Junta ausgeübt, der gleichzeitig als Präsident der Republik den Staat verwaltete und auch Staatsoberhaupt ist. 44 Damit war die Ämterkonzentration bei Pinochet umfassend: Er war gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Vorsitzender der Junta, Regierungschef und Staatspräsident. "Between 1973 and 1976 Pinochet not only utilized a wide variety of different resources to establish military cohesion and eclipse rival Service Chiefs. He also managed to distance himself frotn the military institution itself, creating a government that was eminently personal in nature and not responsive to pressures from the officer corps."45 44

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Zur frühzeitigen und schnellen Institutionalisierung des Militärregimes vgl. auch Th.G. Sanders, Military Government and National Organization, und Th.G. Sanders, The 'New Institutionality' and the 'Consultation', beide in H. Handelman/Th.G. Sanders (Eds.), Military Government and Movement Toward Democracy in South America, Indiana, 1981, S. 287306 bzw. 346-370. K.L. Remmer, Neopatrimonialism. The Politics of Military Rule in Chile 1973-1987, in: Comparative Politics, Vol. 21, 1989, Num. 2, S. 161.

Für die Konsolidierung der politischen Macht Pinochets und damit der Militärherrschaft können vier Faktoren verantwortlich gemacht werden. An erster Stelle zu nennen ist die verallgemeinerte Repression und Unterdrückung der Opposition, die in unterschiedlichem Ausmaß praktisch während der gesamten Regierungszeit bestehenblieb. Dazu diente zunächst die konsequente Ausnutzung des Notstandsrechts, mit dem die Menschen- und Bürgerrechte ausgehebelt bzw. außer Kraft gesetzt wurden. Der Ausnahmezustand (estado de emergencia) herrschte vom Tag des Putsches an bis zum August 1988; der Belagerungszustand (estado de sitió) vom Putsch bis zum März 1978. Danach wurde er noch zwei weitere Male (vom November 1984 bis Juni 1985 und vom September 1986 bis zum Ende desselben Jahres) verhängt. Das präsidentielle Ausnahmerecht nach den Übergangsartikeln der chilenischen Verfassung von 1980 galt vom März 1981 bis März 1989. Maßnahmen nach dem Notstandsrecht waren jedweder rechtlichen Überprüfung entzogen. 46 Die Verfolgung, Folterung und Ermordung des politischen Gegners traf dabei nicht nur die marxistische Linke, sondern ging weit darüber hinaus und bezog jede öffentlich artikulierte Opposition ein. Die Gewalt des Staates führte dabei wiederholt zur physischen Vernichtung ganzer Organisationen (z.B. MIR, PC), sofern deren Vertreter nicht vorher fliehen konnten. Hauptinstrumente der Repressionsmaßnahmen waren - neben regulären Einheiten der Armee - die Geheimdienste und die militarisierte Polizei (Carabineros).47 Mit der Gründung der DINA im Juni 1974 wurde der staatliche Terror institutionalisiert. Sie löste die Vielzahl der konkurrierenden Sicherheits- und Informationsdienste ab und koordinierte deren Arbeit. Setzte sie sich zunächst aus Angehörigen aller Teilstreitkräfte zusammen, so dominierte mit der Zeit das Heer. Die DINA entwickelte sich zu einem Herrschaftsinstrument Pinochets, welches einerseits der Unterdrückung der Opposition, andererseits der Konsolidierung seiner Machtposition gegenüber Widersachern im Militär diente. Selbst im Ausland lebende Chilenen waren vor Mordanschlägen nicht sicher. 48 1977 wurde die DINA aufgelöst. An ihre Stelle trat der CNI (Central Nacional de Informaciones). Mit dem Erstarken der Opposition seit Anfang der 80er Jahre waren vermehrt auch parastaatliche Organisationen (Asociación Chilena 46

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Vgl. D. Nolte, Staatsterrorismus in Chile, in: H.W. Tobler/P. Waldmann (Hrsg.), Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika, Frankfurt/M., 1991, S. 91 f. Siehe zur Polizei C. Maldonado Prieto, Los carabineros de Chile. Historia de una policia militarizada, in: Ibero-Americana. Nordic Journal of Latin American Studies, Vol. XX, 1990, Num. 3, S. 3-31. So fiel 1974 der ehemalige Oberbefehlshaber des Heeres General Prats einem Anschlag in Buenos Aires zum Opfer, 1975 überlebte der ehemalige Innenminister der Regierung Frei, Bernardo Leighton, schwer verletzt ein Attentat in Rom; 1976 wurde der ehemalige Botschafter und Minister der Regierung Allende, Orlando Letelier, in Washington in die Luft gesprengt - um nur die prominentesten Fälle zu nennen. Siehe E. Hojman, Memorial de la dictadura 1973-1989. Cronología de 16 años de pesadilla, Santiago, o.J. (1991).

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Anticomunista, Frente Nacionalista de Combate, Comando 11 de Septiembre u.a.), die als Tamorganisationen der Sicherheitsdienste fungierten, für Einschüchterungsversuche und Morde verantwortlich. Die Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen der Militärs können insofern als staatsterroristische Gewaltakte betrachtet werden, als mit ihnen über den Anschlag auf das jeweilige Opfer hinaus auch das Verhalten Dritter beeinflußt werden sollte. Angst und Einschüchterung in einem Klima genereller Rechtsunsicherheit dienten der Paralysierung von Opposition. Die chilenische Geheimpolizei bildete praktisch einen Staat im Staate, so daß der Hinweis auf die von Fraenkel vorgenommene Unterscheidung zwischen Normen- und Maßnahmestaat berechtigt erscheint. 'Weite Bereiche unterlagen den Regeln des Normenstaates, beispielsweise der gesamte wirtschaftliche Bereich. Menschenrechtsverletzungen, wie die Mißhandlung von Gefangenen, wurden explizit unter Strafe gestellt. In der Praxis setzte sich der Staat allerdings über diese rechdichen Schranken hinweg: Menschenrechtsverletzungen gehörten zur Alltagspraxis der staatlichen Sicherheitsorgane. Darüber hinaus ließ sich die Exekutive weitreichende Ausnahmevollmachten einräumen, die es ihr ermöglichten, die bürgerlichen Freiheitsrechte auch legal einzuschränken."49 Der Konsolidierung der politischen Macht des Pinochet-Regimes kam, zweitens, der disziplinierte und hierarchische Charakter der Streitkräfte samt ihrem pervertierten Militärprofessionalismus sowie die wachsende Macht der Geheimdienste zugute. Ironischerweise war es jetzt wieder der militärische Gehorsam gegenüber den Regierungsautoritäten, der ein bedeutender Faktor auch während langer Jahre der Demokratie war, der die Diktatur konsolidierte.30 Durch die bereits erwähnten Säuberungen und Umbesetzungen innerhalb des Militärs entfernte man unliebsame Personen und verstärkte Befehls- und Gehorsamsstrukturen. Direkt nach dem D. Nolte, Staatsterrorismus in Chile, a.a.O., S. 91. Verschiedene Autoren haben auch auf den Zusammenhang zwischen der Durchsetzung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und der politischen Repression hingewiesen. Die sich aus dem Neoliberalismus ergebenden hohen sozialen Kosten für die große Masse der Bevölkerung ließen sich nur in einem autoritären Rahmen bei gleichzeitiger Unterdrückung und damit 'sozialer Kontrolle' der Opposition durchsetzen. Im chilenischen Fall scheint dies angesichts des zu erwartenden Widerstands einer klassenbewußten Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung noch stärker als in anderen Ländern zu gelten. Vgl. J. Sheahan, Market-Oriented Policies and Political Repression in Latin America, in: Economic Development and Cultural Change, Num. 28, 1980, S. 267291; D. Pion-Berlin, Political Repression and Economic Doctrines, in: Comparative Political Studies, Num. 16, 1983, S. 37-66; und D. Pion-Berlin, Theories on Political Repression in Latin America. Conventional Wisdom and an Alternative, in: PS, Vol. 19, 1986, Num. 1, S. 49-57. Zur Geschichte der Militärs, ihren Beziehungen zur politischen Ordnung und der unter der Diktatur stattfindenden sukzessiven Militarisierung politischer Institutionen siehe C. Portales, Militarization and Political Institutions in Chile, in: P. Wallensteen/J. Galtung/C. Portales (Eds.), Global Militarization, Boulder, 1985, S. 123-144.

94

Putsch wurden traditionelle Unterordnungsnormen, Autoritäts- und Hierarchielinien wiederhergestellt, die in der letzten Phase der UP brüchig zu werden drohten. Mehr noch als über die Drohung mit Sanktionen wurde die Loyalität aber durch die Gewährung von Privilegien sichergestellt. Das Militär genoß als Institution einen Status wie nie zuvor, und loyale Offiziere und Generäle wurden mit Ämtern in der öffentlichen Verwaltung, in Botschaften oder mit direkten Regierungsposten belohnt. 31 Die wachsende Macht des Geheimdienstes DINA unter Führung von Manuel Contreras, einem engen Vertrauten Pinochets, sicherte die effektive Kontrolle über die Streitkräfte ab, da er nicht nur zur Brechung des inneren Widerstands von unten eingesetzt wurde, sondern Pinochet sich über ihn auch Gegner aus den eigenen Reihen entledigte. 32 Die Konsolidierung der Macht gelang, drittens, auch deshalb, weil die Opposition tief gespalten war. Dies betraf nicht nur die Linke, die unterdrückt und verfolgt wurde, sondern auch die bürgerliche Opposition, deren einzelne Gruppierungen aus ganz unterschiedlichen Motiven gegen die Diktatur waren, und natürlich auch beide Gruppierungen im Verhältnis zueinander, wo insbesondere die bürgerliche Opposition fürchtete, ein schnelles Ende der Diktatur könnte erneut zu einem Aufstieg der sozialistischen Kräfte führen und den sozioökonomischen Status quo ante wiederherstellen. Erst Ende der 70er Jahre begann zwischen Christdemokraten und einigen Gruppierungen der Linken ein Dialogprozeß über die gegenseitige Verantwortung für das Scheitern der politischen Demokratie. Dennoch blieben unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der einzuschlagenden Taktik und Strategie sowie der erreichten wirtschaftlichen Fortschritte bestehen und verhinderten lange Zeit die Bildung einer gemeinsamen Opposition.

52

Siehe C. Huneeus/J. Olave, La participación de los militares en los nuevos autoritarismos. Chile en una perspectiva comparada, in: Opciones, Num. 11, 1987, S. 119-162. Zur Rolle der Armee und zum Militärprofessionalismus siehe die ausführlichen Studien von G. Aniagada, Pinochet. The Politics of Power, Boston, 1988, S. 81-177; G. Amagada, La política militar de Pinochet, Santiago, 198S, S. 121-209; A. Varas, Los militares en el poder. Régimen y gobierno militar en Chile 1973-1986, Santiago, 1987; A. Varas, Fuerzas armadas y gobierno militar. Corporativización y politización castrense, in: Revista Mexicana de Sociología, Vol. 44, 1982, Num. 2, S. 397-411; sowie F. Agüero, Autonomía de las fuerzas armadas en el autoritarismo y la democracia en Chile, in: A. Varas (Coord.), La autonomía militar en América Latina, Caracas, 1988, S. 167-196; und St. Suffem, Les forces armées chiliennes entre deux crises politiques 1973-1989, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 85, 1987, S. 3-29.

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Schaubild 2: Die Verflechtung von Pinochet-Regime und Privatwirtschaft Regierungsposition

Privatwirtschaft

- Assessor im Wirtschaftsministerium - Wirtschaftsminister - Finanzminister

- Assessor von A. Edwards - Manager der grupo Edwards

- Assessor im Landwirtschaftsministerium - Präsident der Bco Central - Wirtschaftsminister - Minister f. Bergbau

- Präsident der Bco Unido de Fomento - Präsident des Club Hfpico

Alvaro Bardón

-

- Präsident der Bco de Concepción - Sozius Gemines

Rolf Luders

- Finanz- und Wirtschaftsminister

- Assessor von J . Vial - Manager und Sozius der grupo BHC

Sergio de la Cuadra

• Präsident der Bco Central • Finanzminister

- Direktor der Bco de Chile - Direktorium diverser Staatsunternehmen

Carlos Cáceres

- Präsident der Bco Central • Finanzminister • Innenminister

- Assessor von P. Ibáñez

Jorge Cauas

• Präsident der Bco Central • Finanzminister

- Präsident der Bco de Santiago - Präsident von ENTEL

Martin Costabai

- Direktor der Haushaltsabteilung

- Geschäftsführer von Pizarreño - Präsident von Pinturas Soquima

Jorge Selume

- Direktor der Haushaltsabteilung

- Unternehmer Selume Atala - Manager der Bco Osomo

Andrés Sanfuentes

- Assessor der Bco Central u. der Haushaltsabteilung

- Sozius Gemines

José Luis Zabala

• Chef der Studienabteilung der Bco Central

- Präsident der Bco de Concepción

Juan Carlos Mendez

- Direktor der Haushaltsabt.

- Sozius der Consultora Aninat y Méndez

José Piñera

• Arbeitsminister - Minister für Bergbau

- Direktor u. Eigentümer von Economía y Sociedad - Präsident von ENERSIS

Felipe Lamarca

- Direktor der Steuerabteilung

- Präsident von TICSA - Präsident von COPEC

Name

Sergio de Castro

Pablo Baraona

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Funktionär der CORFO Präsident der Bco Central Staatssekr. Wirtschaft Präsident Bco del Estado

José Luis Federici

• Wirtschaftsminister

- Manager bei Cruzat-Larrain

Manuel Martin

• Wirtschafts minister

- Unternehmer

Samuel Lira

• Bergbauminister

- Präsident SONAMI - Unternehmer

Hernán Buchi

- Intendent der Bankaufsicht - Sozius Agricola San Daniel S.A. . Staatssekr. Gesund.min. • Minister ODEPLAN • Finanzminister

Alvaro Saieh

- Assessor der Beo Central

-Geschäftsführer der Bco Osomo

Luis Escobar Cerda

• Finanz minister

- Unternehmer

Juan Villarzú

< Direktor der Haushaltsabt. - Sozius Gemines

Joaquín Lavin

• Assessor ODEPLAN

- Hrsg. Economía y Negocios von El Mercurio - Sozius Chile Export Ltda.

Ricardo Silva

- Chef d. Bilanzabteilung der Bco Central

- Direktor von Chilectra Generación - Hrsg. Econ. y Neg./El Mercurio

Maria Teresa Infante

- Assessorin ODEPLAN - Staatssekr. Gesund.min. - Arbeitsministerin

-Wirtschaftsberaterin

Miguel Kast

- Minister ODEPLAN - Arbeitsminister - Vizepräs, der Bco Central

- Unternehmer

Fernando Léniz

- Wirtschaftsminister

- Direktor El Mercurio

Juan Carlos Délano

- Wirtschaftsminister

• Präsident der CANACO • Unternehmer

Alfonso Márquez de la Plata - Landwirtschaftsminister - Arbeits-/Sozialminister - Regierungspräsidium

• Vizepräsident der SNA • Unternehmer

Jorge Prado

- Landwirtschaftsminister

- Präsident der SNA • Direktor Bco O'Higgins

Sergio Melnick Israel

• Minister ODEPLAN

• Unternehmer

Hernán Felipe Errázuriz

• Minister für Bergbau • Außenminister • Regierungspräsidium

• Unternehmer

Modesto Collados

• Wirtschaftsminister - Wohnungsbaumin.

- Präsident der Cámara Chilena de Construcción

(M. Delano/H. Traslavina, La herencia de los Chicago Boys, Santiago, 1989, S. 32 ff., 204 ff., und eigene Recherchen)

97

Wenn bislang von einer personalistischen Diktatur des Generals Pinochet gesprochen wurde, so darf doch dessen soziale Basis nicht außer acht gelassen werden. Diese kann als vierter und neben der Repression vielleicht auch bedeutendster Faktor der politischen Stabilisierung der Diktatur gelten. Denn die Dauerhaftigkeit des Militärregimes kann ohne die starke Unterstützung von Schlüsselsektoren der chilenischen Gesellschaft - seiner 'zivilen Komponente' - nicht verstanden werden. Die genuine soziale Basis der Diktatur waren die Unternehmer und Teile der Mittelschichten. Zusätzlich zur traditionellen politischen Rechten waren es konservative, gut organisierte Kräfte außerhalb des Parlaments, die das Regime stützten und legitimierten. Dies reichte von den Wirtschaftsverbänden SOFOFA, SNA und COPROCO über katholische hardliner wie das Opus Dei und ultrarechte Organisationen wie Patria y Libertad-, hinzu kamen rechtslastige think tanks wie das Centro de Estudios Públicos und die Corporación de Estudios Nacionales sowie die 'gremialista'-Bewegung. Insgesamt haben diese Organisationen dem PinochetRegime erfahrenes Personal für die Implementierung seiner Politik zur Verfügung gestellt und ideologische Unterstützung und Legitimation geliefert, die anderen autoritären Regimes im Cono Sur abgingen. "The collaboration of the right has also provided Pinochet with a source of experienced personal from outside the military realm. Although the regime has relied mainly on individuals without strong party or organizational attachments, former activists in the National Party and gremialista movement have filled top government posts, staffed such support organizations as the Secretaria Nacional de la Juventud, and rescued the regime in moments of crisis, most notably in 1983 when the former head of the National Party, Sergio Onofre Jarpa, assumed the post of minister of the interior. Expresidents Alessandri and Gabriel González Videla and other well-known political personages of the past have also lent the regime legitimacy by serving on the council of the state. The collaboration of the economic right has been even more important. Chile's large conglomerates have provided a source of expertise in the form of cabinet ministers such as José Piñera, who masterminded the privatization of Chile's social security system and the development of its new labor code after leaving the Cruzat financial empire. In addition, the economic right provided the link between Pinochet and the 'Chicago boys' who have dominated the management of the economy since 1973.

K.L. Remmer, Neopatrimonialism, a.a.O., S. 162. Vgl. auch M.A. Garretön, The Chilean Political Process, Boston, 1989, S. 141, der auf das System der Privilegierung von Unternehmerinteressen bei allgemeiner Abwesenheit politischer Partizipationskanäle für die übrige Bevölkerung hinweist.

Ein Großteil der Minister, Staatssekretäre und sonstiger hoher Funktionäre im Staatsapparat wies enge Bindungen an die Privatwirtschaft auf bzw. war auch selbst Unternehmer.54 Angesichts dieser engen Verflechtung von Politik und Wirtschaft überrascht es einigermaßen, immer wieder zu lesen, daß die Unternehmer wenig direkten Einfluß auf die Politikformulierung und auf politische Entscheidungsprozesse gehabt hätten. 55 Demgegenüber muß festgehalten werden, daß die Unternehmerschaft einen zentralen Einfluß auf die politische Entwicklung des autoritären Regimes ausgeübt hat. Waren die Unternehmerverbände in den Jahren 1970-1973 aktiv am Sturz der Regierung Allende beteiligt, so gehörten sie danach zu den aktivsten Befürwortern des Militärregimes. Führende Repräsentanten der Unternehmer wie der damalige Präsident der SOFOFA O. Saenz, aber auch Vertreter anderer großer Wirtschaftsverbände (z.B. der SNA) und Einzelpersönlichkeiten (wie M. Cruzat, S. Undurraga), arbeiteten mit den chilenischen Chicago Boys, Vertretern der konservativen und rechtsextremen Parteien (S. Onofre Jarpa, J. Guzmán) bereits vor dem Sturz der Allende-Regierung in Grundzügen das später umgesetzte Schockprogramm und die anzuwendende neoliberale Wirtschaftsstrategie aus. 56 Die Unterstützung für das autoritäre Projekt und die Identifizierung mit den Militärs ging soweit, daß Teile der Unternehmer ihre politischen und gremialen Aktivitäten zeitweilig 'einfroren', da diese angesichts der Repression des Staates und ihrer Übereinstimmung mit der Regierung sowie der 'unsichtbaren Hand des Marktes' für die führenden Köpfe des Unternehmerlagers schlichtweg unnötig wurden. Erst mit der Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre traten deutlich Differenzierungsprozesse ein, da sie den Rückhalt des Militärregimes in der Unternehmerschaft schmälerte. Betroffen waren neben einigen Großunternehmen v.a. kleine und mittlere Unternehmen, die teilweise mit der politischen Opposition zusammenzuarbeiten begannen. Zwar bezogen auch die Großunternehmer eine unabhängigere Position, sie vermieden es jedoch, allzu offene Kritik zu üben. Ihre Kritik beschränkte sich zudem wesentlich auf

55

56

Eine ausführliche Erörterung der Beziehungen von Unternehmern bzw. Unternehmerverbänden und Militärregierung findet sich in der konkreten Prozeßanalyse im Kapital VI. Siehe stellvertretend fur andere A. Valenzuela, Chile. Origins ..., a.a.O., S. 74, der schreibt: "It should be stressed that the business community, while supporting the government, had little direct influence in the formulation of public policy. Policies were made by an economic team that had the complete confidence of the president, and substantial latitude to implement policies without consulting affected groups. Hie use of a group of neutral technocrats with no strong constituency support, but with a clear and sophisticated understanding of economic policy, helped insulate the president from societal pressures and demands, contributing further to state autonomy and to his increasing powers." Siehe P. Constable/A. Valenzuela, A Nation of Enemies. Chile Under Pinochet, New York, 1991, S. 166 f., 199 ff.; M.A. Garretón, The Chüean Political Process, Boston, 1989, S. 123; und Latin American Bureau (Ed.), Chile. The Pinochet Decade. The Rise and Fall of the Chicago Boys, London, 1983, S. 30-41.

99

Aspekte der Implementierung der Wirtschaftspolitik, ohne den generellen Kurs in Frage zu stellen. Nie wurde Kritik an der Repression und Unterdrückung der politischen Opposition, der Gewerkschaftsbewegung, an Folter- und Mordpraktiken geübt. Die Mehrheit der Unternehmerschaft sah bis zum Schluß in Pinochet den Garanten für die Fortsetzung des seit Mitte der 80er Jahre zu verzeichnenden wirtschaftlichen Aufschwungs und für einen geordneten politischen Übergang. 57 Dies muß betont werden, obwohl es wesentlich die hegemonialen Kräfte innerhalb der Unternehmerschaft waren, die vom neoliberalen Wirtschaftsmodell und seiner Marktöffnung und Liberalisierung der Ökonomie profitierten, und das Gros der Klein- und Mittelunternehmen doch erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es widerspricht nicht zuletzt allen historischen Erfahrungen mit der chilenischen Unternehmerschaft, die doch in der Vergangenheit in ihrem Verhalten wesentlich auf den Staat orientiert war (Protektion, Subsidien, billige Inputs und Kredite etc.). Verschiedene Faktoren können die bedingungslose Unterstützung der Unternehmer zu Beginn der Militärdiktatur erklären: Zunächst war es die reale Bedrohung ihrer Interessen durch die Unidad Populär und der hohe Grad sozialer Mobilisierung, die ihr vorausging bzw. sie begleitete, der mit der Militärdiktatur ein Ende gesetzt wurde. Die Garantie des Überlebens der Unternehmerschaft als sozialer Klasse, die vollständige Restaurierung privatwirtschaftlicher Rahmenbedingungen sowie ihre Einschätzung, daß die Entwicklung des Landes mit der UP an einem point of no return angekommen sei, ließ sie die Politik des Militärregimes bereitwillig akzeptieren. Für die chilenischen Unternehmer und ihre Verbände bedeutete Demokratie - historisch betrachtet - ohnehin v.a. Einflußverlust und den Wahlsieg jener gesellschaftlichen Kräfte, die darauf aus waren, ihre Macht entscheidend zu unterminieren. Wie fragwürdig die ein oder andere Politik der Regierung Pinochet auch war, die Unternehmer bevorzugten die autoritäre Alternative gegenüber den Unwägbarkeiten demokratischer Verhältnisse. Dieser Sichtweise schlössen sich auch bedeutende Teile der Mittelschichten an. Des weiteren kam den Unternehmern die von den Chicago Boys in Aussicht gestellte Vision einer Gesellschaft ohne Politik (und auch ohne Klassenkampf), in der nach technokratischen Kriterien auf Basis der Privatinitiative entschieden wird und die damit quasi automatisch die Interessen der Unternehmerschaft fördert, weit entgegen. Dies setzte die ebenfalls im Interesse der Unternehmerschaft liegende Schwächung der Gewerkschaften und die Unterdrückung der Arbeiterbewegung voraus. Schließlich verband sich mit dem neoliberalen Projekt die Aussicht auf den Zugang zu hochqualitativen importierten Konsumgütern und die Verfügbarkeit über internationale Kredite und Devisen, die ein

57

Vgl. R. Friedmann, a.a.O., S. 274.

100

expandierendes internationales Finanzsystem zur Verfügung stellen würde. Alle genannten Faktoren besaßen eine große Attraktivität für die Unternehmer.58 Die genuine soziale Basis des diktatorischen Militärregimes waren also die Unternehmer und (v.a. selbständige) Segmente der Mittelschichten. Sie übten im Staat entscheidende Macht aus. Daß dies in einigen Aussagen in der Literatur bezüglich der 'Alleinherrschaft' Pinochets und ihres angeblich 'geringen Einflusses auf Politik' nicht zum Ausdruck kommt, liegt einerseits daran, daß das Militärregime sich eine große relative Autonomie selbst gegenüber der eigenen sozialen Basis sichern konnte, und zum anderen daran, daß in den einzelnen Phasen der Diktatur wechselnde Koalitionen von Unternehmern jeweils einen dominanten Einfluß auf den Politikprozeß hatten. Damit wurde Politik zwar im Interesse der Unternehmerschaft als sozialer Klasse, aber auch gegen einzelne Elemente dieser Klasse durchgesetzt.59 2.2.

Phasen der Militärdiktatur

Die politische Entwicklung des Militärregimes kann grob in drei Phasen unterteilt werden. 60 Die erste Phase reichte bis 1976/77 und ist gekennzeichnet durch eine uneingeschränkte Repression gegenüber den Linksparteien, der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sowie dem Widerstand in den Armenvierteln (poblaciones). Wie bereits erwähnt, ist daneben die Konsolidierung der personalistisch ausgerichteten Herrschaft Pinochets und die Formierung einer technokratischen Wirtschaftsequipe (Chicago Boys) von Bedeutung. Letztere gab dem Regime einen spezifischen Inhalt insofern, als die Militärs selbst über kein eigenes (politisches) Projekt verfügten und die Unternehmer aufgrund ihrer traditionellen

58

59

Vgl. E. Tironi, El liberalismo real. La sociedad chilena y el régimen militar, Santiago, 1986, S. 69 f.; und E. Tironi, Autoritarismo, modernización y marginalidad. El caso de Chile 1973-1989, Santiago, 1990, S. 132 f.; auch A. Valenzuela, a.a.O., S. 74. Bezüglich der Autonomie des Militärregimes hat A. Varas verschiedene Etappen unterschieden, denen auch jeweils ein unterschiedliches Machtgeflecht zugrundelag. In der 'bonapartistischen Phase' (1973-1980) setzte sich innerhalb der Unternehmerschaft langsam deijenige Sektor als hegemonial durch, der eng mit dem nationalen und internationalen Bankensystem verbunden war. Ihm kam auch die Vorherrschaft in der Regierung zu. Die 'caesaristische Phase' (1981-1983) war durch eine fast vollständige Autonomie der Exekutive gekennzeichnet, in der kein politisch-ideologisch unterscheidbarer Unternehmenssektor im besonderen repräsentiert wurde. Dem folgte eine "caudillistische Phase' (1984-1989), in der die verschiedenen Unternehmenssektoren auf einer neuen Basis wieder zusammengeführt wurden. Vgl. A. Varas, Los militares en el poder, a.a.O., S. 49-82, 177 f.; siehe für eine genauere Analyse das Kapitel VI. Vgl. M.A. Garretón, Reconstruir la política. Transición y consolidación democrática en Chile, Santiago, 1987, S. 76 ff.

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Hegemonieschwäche ebenfalls nicht in der Lage waren, ein solches schlüssig zu formulieren und zu begründen. In einer zweiten Phase (1977/78-1981/82) nahmen die Militärs eine umfassende Transformation der chilenischen Gesellschaft in Angriff, ohne auf die repressive Dimension ihrer Herrschaftsausübung zu verzichten. Die Umwandlung der Gesellschaft nach kapitalistischen Marktprinzipien fand sowohl im ökonomischen wie auch im politischen Bereich statt. Sie beinhaltete ein weltmarktorientiertes Entwicklungsmodell, welches durch die unrestringierte Öffnung 'nach außen', die Reduktion und Veränderung der Rolle des Staates und nicht zuletzt die Einführung bzw. die generelle Ausweitung von Marktprinzipien in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft gekennzeichnet war. In diese Phase fielen die 'sieben Modernisierungen' 6 1 - wie es in der offiziellen Terminologie des Militärregimes hieß - und die politische Institutionalisierung des Regimes in Form einer neuen Verfassung (1980). Nach 1981/82 begann eine dritte Phase für das Militärregime, die zunächst durch wiederholte Krisen und den Zusammenbruch des verfolgten Entwicklungsmodells gekennzeichnet war. Sie beinhaltete die zeitweilige Isolierung Pinochets, die zunehmende Fragmentierung der sozialen Basis der Diktatur, eine schwankende und wiedersprüchliche Politik in Form von Not- und Rettungsmaßnahmen in bezug auf das etablierte Modell und die Verschärfung der Repression angesichts der Reaktivierung der Opposition. Ziel der Politik Pinochets war es, die Stabilisierung der in Angriff genommenen sozioökonomischen Transformationsprozesse und das politische Überleben des Regimes nach den in der Verfassung vorgesehenen Transitionsregelungen sicherzustellen. 2.3.

Die Politik der 'Modernisierungen' und der 'Reformen'

Die 'Modernisierungen' des Militärregimes waren neben der Durchsetzung des neoliberalen Marktmodells der bedeutsamste Versuch einer Transformation der chilenischen Gesellschaft. Alle gesellschaftlichen Sektoren sollten von der Logik des Marktes und Marktprinzipien bestimmt werden, so daß die Politik demgegenüber in den Hintergrund treten könnte. Der Neoliberalismus implizierte ein Menschenbild, welches auf die vollständige Umkehr der bis dahin bestehenden Kultur abzielte: Ein Mensch mit Unternehmermentalität sollte geschaffen werden, aggres-

Die 'sieben Modernisierungen' bezogen sich auf die Arbeitsgesetzgebung, die Altersversorgung, das Gesundheitssystem, das Erziehungswesen, die Dezentralisierung der Verwaltung, die Landwirtschaft und die Justiz. Die ideologischen Grundlagen dieser 'Modernisierungen' werden ausführlich von P. Vergara, Auge y caída del neoliberalismo en Chile, Santiago, 1985, diskutiert.

siv, wettbewerbsorientiert, entpolitisiert, mit dem vorrangigen Ziel zu konsumieren und 'reich' zu werden. 62 a) Die reforma laboral Die Reform der Arbeitsgesetzgebung 1979 war notwendig geworden, um die zunehmende Unruhe der Gewerkschaften in den Betrieben zu unterdrücken bzw. in geordnete Bahnen zu lenken. Das alte Arbeitsrecht und die Kollektivverhandlungen waren seit dem Militärputsch außer Kraft gesetzt. Die Militärs waren in der Folgezeit mit äußerster Härte gegen die hochgradig politisierte, sozialistische Gewerkschaftsbewegung vorgegangen. Die Central Unica de Trabajadores (CUT) wurde einige Tage nach dem Putsch aufgelöst. Von den 130 Föderationen und Konföderationen überlebte nur ein Viertel. Ein Großteil der Gewerkschaftsführer wurde verfolgt und eingesperrt. Die Wahl der Gewerkschaftsführungen war verboten, Arbeiter und Angestellte konnten ohne Entschädigung wegen 'unerlaubter Handlungen' entlassen werden. Um das Terrain für den Plan Laboral zu bereiten, wurden 1978 Wahlen in den Gewerkschaften durchgeführt, damit die Regierung überhaupt mit einer Gruppe von Gewerkschaftsführern 'verhandeln' konnte. Diese Wahlen fanden ohne Wahlkampf und ohne Partizipation der verbliebenen Gewerkschaftsführer statt und führten dazu, daß eine Reihe von weitgehend unerfahrenen und entpolitisierten Gewerkschaftsführern die ersten Kollektivverhandlungen in der Diktatur bestreiten mußten. Der Mitte 1979 verkündete Plan Laboral bestand im wesentlichen aus den Gesetzesdekreten D.L. 2758 über Kollektivverhandlungen, D.L. 2756 über Gewerkschaftsorganisationen sowie D.L. 2200 über arbeitsvertragliche Regelungen. 63 Damit wurde das ehemals alternative 'Estatuto Social de la Empresa' als Reformbestrebung verworfen. 64 Die neuen Gesetze machten in Jahrzehnten erkämpfte Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung zunichte und paßten die Arbeitsbeziehungen einem Wirtschaftsmodell an, in dem die Rolle des Unternehmers absolut dominant war. Die neuen Bestimmungen zielten auf die Atomisierung der Gewerk62

64

Vgl. R. Friedmann, a.a.O., S. 74 f. Siehe zu den folgenden Punkten M. Delano/H. Traslaviña, La herencia de los Chicago Boys, Santiago, 1989, S. 73-90, und R. Friedmann, a.a.O., S. 74-96. Vgl. dazu die Darstellung des damaligen Arbeitsminsters José Piñera, La revolución laboral en Chile, Santiago, 1990. Er schreibt: "El Plan Laboral, aparte de sus efectos económicos y sociales, hizo una contribución importante al restablecimiento de la democracia en Chile ... La nueva legislación introdujo la lógica democrática al mundo del trabajo. El mundo sindical comenzó a vivir en democracia once años antes que el resto del país." (S. 141). Das vom ehemaligen Arbeitsminister und General der FACH Nicanor Díaz Estrada verfolgte Reformmodell des 'Estatuto Social de la Empresa' sah eine christdemokratisch ausgerichtete Gewerkschaftsbewegung mit gewissen Autonomiespielräumen innerhalb des autoritären Rahmens vor.

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schaftsbewegung und die Reduktion des Gewichts ihrer Institutionen. Das neue Gewerkschaftswesen sollte einen technisierten Charakter besitzen, also politisch neutral bzw. apolitisch sein. Der Plan Laboral sah formal das Recht vor, unabhängige Gewerkschaften gründen zu können, was jedoch angesichts der autoritären Rahmenbedingungen beinahe unmöglich war. Dies galt zudem nicht für den öffentlichen Sektor (Verwaltung, Staatsunternehmen), der von Gewerkschaften frei bleiben sollte, sowie für den Agrarsektor, wo Konflikte regelmäßig mit der Entlassung der Arbeiter endeten. Im Privatsektor wurde das Prinzip des closed shop abgeschafft und die Gründung konkurrierender Gewerkschaften erleichtert. Das Streikrecht wurde auf 59 Tage begrenzt, Aussperrung seitens der Unternehmer grundsätzlich gebilligt. Mit der Abschaffung der normas de inamovilidad wurde die Kontrolle der Unternehmer über die Arbeitskraft erhöht und jene selbst 'flexibilisiert'. Der Staat intervenierte nicht mehr als Vermittler in Arbeitskonflikten (comisiones tripartitas), diese wurden vielmehr in die Unternehmen verlegt. Die Gesetze verfügten zudem, daß Tarifverhandlungen für jedes Unternehmen einzeln und nach Lohngruppen getrennt durchgeführt werden müssen. Damit sollten Tarifverhandlungen ganz auf die Betriebsebene verlagert und beschränkt werden und die Verhandlungen selbst an die jeweilige Unternehmensstruktur und -Produktivität gekoppelt werden. Durch die damit verbundene Entsolidarisierung der Arbeiterbewegung sollten sich die Gewerkschaften funktional und lückenlos in das neoliberale Wirtschaftsmodell einfügen. Der Plan Laboral bedeutete einschneidende Restriktionen für die Gewerkschaftsbewegung, die sich deutlich in den ersten Tarifverhandlungen 1979 zeigten, die aufgrund der legalen Beschränkungen und der Arbeitsmarktlage sehr bescheiden ausfielen und nur einen kleinen Teil der Arbeiterschaft erfaßten. Die Wirtschaftskrise machte selbst diese geringen Fortschritte wieder zunichte, da mit dem Gesetz 18134 (1982) alle eher 'arbeitnehmerfreundlichen Regelungen' des Plan Laboral außer Kraft gesetzt worden waren. Damit wurden die Löhne praktisch per Regierungsdekret gesenkt. Die äußerst restriktiven Normen der 'Reform' konnten soziale Konflikte aber nicht zur Gänze unterdrücken und die Reaktivierung der Gewerkschaftsbewegung nicht verhindern.65

Dennoch waren die Folgen weitreichend: Waren 1973 noch ca. 1 Mio. Arbeiter (über 30% der Arbeitskraft) in Gewerkschaften organisiert, so 1989 weniger als 500000 (10% der Arbeitskraft). Die durchschnittliche Zahl der Arbeiter pro Gewerkschaft sank um über die Hälfte. Zudem hat sich der Charakter und die politische Ausrichtung der Gewerkschaften grundlegend verändert. Die sozialistisch-klassenkämpferische Linie ist vollständig gebrochen und durch einen moderat christdemokratischen Syndikalismus ersetzt worden. Siehe dazu insgesamt G. Campero/J.A. Valenzuela, El movimiento sindical en el régimen militar chileno 1973-1981, Santiago, 1984; J. Ensignia, Paro. Chilenische Gewerkschaften unter der Diktatur, Berlin, 1987; J. Rojas, Die chilenische Gewerkschaftsbewegung 1973-1984, Frank104

Die 'Reform' der Sozialversicherung Das chilenische Sozialversicherungssystem gehörte zu den fortschrittlichsten in ganz Lateinamerika. Nur Teile der Selbständigen und landwirtschaftliche Saisonarbeiter wurden von ihm nicht erfaßt. Grundlage dieses Systems war ein Solidarprinzip mit Umverteilung zwischen den Generationen, wobei sowohl die Unternehmer wie auch der Staat jeweils ihren Beitrag dazu leisteten. Mit dem Gesetzesdekret D.L. 3500 (1980) wurde das Marktprinzip auch im Bereich der Sozialversicherung eingeführt. Die Reform bestand zum einen in der Überleitung der akkumulierten Fonds der Arbeiter und Angestellten (Cajas de Previsión) in die neu geschaffenen AFPs (Administradoras de Fondos de Pensiones). Damit ging eine gigantische Privatisierung der Fonds einher, die jetzt von den groBen grupos económicos verwaltet wurden. 66 Die AFPs sind Unternehmen, die nach kapitalistischen Gewinnmaximierungsprinzipien arbeiten und die Gelder profitabel anlegen. Zwar unterliegen sie der Kontrolle durch die Superintendencia de AFP, aber die Tendenz ging gegen Ende der Militärdiktatur eindeutig in die Richtung, die Funktionsbestimmungen zu liberalisieren. Im Falle einer Pleite der AFP fallen die Kosten an den Staat zurück. Das neugeschaffene Sozialversicherungssystem basiert zum anderen auf der sog. individuellen Kapitalisierung, d.h. Grundlage für die Höhe der Renten und Versicherungsleistungen ist die persönliche Anstrengung jedes Einzelnen, ohne Berücksichtigung seiner sozialen Lage. Die Versicherten erhalten nach Erreichen des heraufgesetzten Pensionsalters eine feste Rente, die an die Inflation angepaßt wird. Darüber hinausgehende Erhöhungen sind nicht vorgesehen. Der Übergang zu den privaten Rentenversicherungsunternehmen wurde durch massive Anreize (niedrige Einstiegsquoten, Erhöhung der Löhne, Werbung, Vergünstigungen) gefordert, war aber zunächst freiwillig. Neben den zusätzlich zu erwartenden Gewinnen für die Unternehmer hatten diese einen weiteren Anreiz, das private Versicherungssystem zu propagieren: Sie entrichteten nun keine Beiträge mehr für ihre Arbeiter, womit die Unternehmer ihre Lohnnebenkosten erheblich senken konnten. Eine Gewinnbeteiligung der Lohnabhängigen an den AFPs ist nicht vorgesehen.67 Für das Gros der Bevölkerung ist das neue System äußerst nachteilig.68 Die unteren Einkommensschichten sowie Arbeitnehmer, die häufig arbeitslos sind, kön-

fift

furt/M., 1986; und D. Nolte, Zwischen Rebellion und Integration. Gewerkschaften in der chilenischen Politik, Saaibrücken, 1986, S. 391-458.

Zur ökonomischen Bedeutung dieser und anderer Privatisierungen siehe das Kapitel IV. Vgl. dazu J.P. A rellano, Políticas sociales y desarrollo. Chile 1924-1984, Santiago, 1985, S. 137-223; und J.P. Arellano, La segundad social en Chile en los años 90, in: Colección Estudios CIEPLAN,' Num. 27,' 1989,' S. 63-82. ¿o 00 Es bedarf schon einer gehörigen Portion Zynismus, wenn der Urheber der Reform, José Pinera, sein Buch zur Sozialversicherungsreform (El cascabel al gato. La batalla por la reforma provisional, Santiago, 1991) ausgerechnet den chilenischen Arbeitern widmet, jenen "pioneros en esta aventura de libertad*. 67

105

nen keine angemessene Rente ansparen, so daß die individuelle Kapitalisierung zur Reproduktion der extremen sozialen Ungleichheiten beiträgt. 69 Reichen die eingezahlten Mittel zur Deckung einer Mindestrente nicht aus, springt der Staat nach 20 Jahren Beitragszahlungen (früher 10 Jahre) ein. Die Reform des Sozialversicherungswesens zog eine Entkapitalisierung und Verschuldung des alten Systems nach sich. Abgesehen davon, daß durch die Abhängigkeit der Renten vom persönlichen Sparen der Individualismus gefördert wird, sind die Arbeiter in besonderer Weise auch von den Instabilitäten des neuen Systems infolge von politischen und wirtschaftlichen Krisen betroffen, die ihre Ersparnisse für das Alter bedrohen können. c) Die 'Reform' des Gesundheitswesens Ebenso wie das Rentenversicherungssystem war auch das chilenische Gesundheitssystem im lateinamerikanischen Vergleich weit vorangeschritten, wenn auch spezifische Mängel nicht geleugnet werden sollen. Es erfaßte nahezu die gesamte Bevölkerung (60% im staatlichen Gesundheitsdienst SNS, 20% in der Angestelltenkasse SERMENA, 10% als Privatpatienten und 4,5% in Institutionen der Streitkräfte) und erbrachte präventive und kurative Leistungen, führte Gesundheitsprogramme durch und bot medizinische Versorgung auch für unversicherte Arme. Die Reform des Gesundheitswesens hatte zwei Richtungen: einerseits die Reduktion der Kosten für den Staat, andererseits die Schaffung neuer Akkumulationsmöglichkeiten für die Unternehmer. Darüber hinaus führte die Reform zu Veränderungen im Bereich der kurativen Medizin und zu einer Restrukturierung des gesamten Gesundheitssektors. Letztere äußerte sich in der Munizipalisierung der Gesundheitseinrichtungen und der Privatisierung des Gesundheitswesens über die Schaffung der ISAPREs (Instituciones de Salud Previsional) per D.L. 3626 (1980). Die Umgestaltung des Gesundheitswesens 70 begann 1979 mit der Auflösung des SNS (Servicio National de Salud). An seine Stelle trat das Nationale System der Gesundheitsdienste (SNSS). Zeitgleich wurde ein Nationaler Gesundheitsfonds (FONASA) ins Leben gerufen. Die Übertragung des Marktprinzips auf das Gesundheitswesen wurde mit der freien Arzt- und Krankenhaus wähl, der verbesserten Effizienz und der Chancengleichheit der Bürger gerechtfertigt. Als private Körperschaft sollten die ISAPREs das staatliche Gesundheitssystem ersetzen. In soziopolitischer Hinsicht hob die Reform den progressiven Umverteilungseffekt des staatlichen Systems auf. Die 'Modernisierung' des Gesundheitswesens hat letztlich 69

70

Bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 30000 Pesos (1987) erhalten über 70% der Versicherten nur eine Rente von bis zu 10000 Pesos, weitere 12% bis zu 20000 Pesos. Siehe M. Queisser, Die Privatisierung des Gesundheitswesens in Chile: Patentrezept oder tödliche Arznei?, in: Nord-Süd aktuell, Num. 3, 1992, S. 449-453; und ausführlicher M. Queisser/O. Larranaga/M. Panadeiros, Adjustment and Social Development in Latin America During the 1980s. Education, Health Care and Social Security, München, 1993, S. 154-216.

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zur Herausbildung zweier unterschiedlicher, nebeneinander bestehender Systeme mit unterschiedlicher Klientel geführt. Das moderne private Gesundheitssystem der ISAPREs, zu dem nur eine kleine Gruppe der Gesellschaft mit hohen Einkommen Zugang hat, verfügt über sehr gut ausgestattete Krankenhäuser, Einrichtungen und gut ausgebildete Ärzte. Dem steht das staatliche Gesundheitssystem (FONASA) gegenüber, dem das Gros der Chilenen angehört, und dem praktisch die Risikofälle verblieben. Die qualitative Verschlechterung der Gesundheitsfürsorge zeigt sich hier in allen Bereichen (Ärzte, Medikamente, Geräte, Personal). Die Abwanderung von Versicherten in das private Gesundheitssystem der ISAPREs (1989 12% der Versicherten mit den höchsten Einkommen) hat zu einer Entkapitalisierung und damit zu einem generellen Niedergang der Dienstleistungen der FONASA geführt und das Defizit des staatlichen Sektors in diesem Bereich erhöht. Das neue Gesundheitssystem wirkt äußerst selektiv, da es große Teile der Bevölkerung diskriminiert. 71 d) Die 'Reform' des Erziehungswesens Auch auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung wurde eine Politik in Übereinstimmung mit dem neoliberalen Marktmodell betrieben, wobei die Rolle des Staates grundsätzlich geschwächt wurde. Das Erziehungswesen wurde vollkommen umstrukturiert und an Kriterien wie Wettbewerb, Rationalität, Effizienz ausgerichtet. Zunächst wurden die verschiedenen Ebenen des Erziehungs- und Bildungswesens politisch gesäubert. Im universitären Bereich wurden die zivilen Rektoren durch Militärs ersetzt und die universitäre Autonomie aufgehoben. Sozialistische, christdemokratische und generell Junta-kritische. Professoren wurden entlassen, die sozialwissenschaftlichen Institute geschlossen und Bibliotheken auf 'subversive' Inhalte hin durchforstet. Eine gezielte Politik der Entpolitisierung sollte regimetreue, unkritische und gegängelte Universitäten hervorbringen. Diese Politik setzte sich bis in den Primär- und Sekundarschulbereich fort. Die Entlassung von Lehrern und die Überprüfung von Bildungsinhalten legte den Grundstein für autoritäre und 'vertikalistische' Bildungsinhalte. Werte wie 'Autorität', 'Patriotismus', 'Nationalismus' und 'Elitismus' sollten bereits den Kindern mit auf den Weg gegeben werden, da die "moralische Erneuerung" von Grund auf stattfinden sollte. In den Lehrinhalten spiegelten sich entsprechend die Merkmale des Militärregimes wider: Antikommunismus, Ablehnung der liberalen Demokratie, Autoritarismus

71

Siehe auch J.P. Arellano, Sistemas alternativas de segundad social. Un análisis de la experiencia chilena, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 4, 1980; J.P. Arellano/R.E. Saez, Reforma de la previsión y la salud, in: H. Lavados (Ed.), Desarrollo social y salud en Chile, Santiago, 1982; und D. Raczynski, Reformas al sector salud. Diálogos y debates, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 10, 1983, S. 5-44.

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und Nationalismus. Konfliktive Themen wurden vollständig ausgeblendet, soziale Ungleichheiten als primär naturbedingt dargestellt. Neben diesen politischen Umerziehungsmaßnahmen sind weitere Maßnahmen wie die Munizipalisierung des Schulwesens, die Privatisierung der technisch-professionalen Ausbildung, die Torpedierung der Erwachsenenbildung und die weitgehende Privatisierung der Universitäten zu nennen. 72 1980 wurden die Schulen und andere Bildungsstätten den Munizipien unterstellt. Einzelne Dienstleistungen im Erziehungsbereich gingen auf private Träger über. Damit war in ökonomischer Hinsicht die Abwälzung eines Teils der Kosten für das Bildungswesen auf die Städte und Gemeinden verbunden, die angesichts ihrer steigenden Defizite strikte Haushaltskontrollen und Sparprogramme umsetzten, die wiederum in erster Linie das Erziehungswesen trafen. Da die Bürgermeister in den Kommunen von oben eingesetzt wurden, verlängerte sich auf diese Art und Weise praktisch die Macht und der Einfluß des Innenministeriums, so daß sich auf lokaler wie auf nationaler Ebene das autoritäre Regime reproduzieren konnte. Der Einfluß der Privatwirtschaft auf das Erziehungswesen hat sich in den Jahren der Pinochet-Diktatur beträchtlich ausgeweitet. Dies betrifft nicht nur die Ausgestaltung der privaten (und auch öffentlichen) Schulen nach wirtschaftlichen Effizienzkriterien, worunter die Ausstattung vieler Schulen deutlich gelitten hat. Die Bildungsinhalte und das Erziehungssystem sind beträchtlich heterogenisiert worden. Dies betrifft auch die Zulassung einer Vielzahl privater und die Umgestaltung und 'Effizienzsteigerung' der verbliebenen staatlichen Universitäten. Scharfe Zulassungsvoraussetzungen (Prueba de Aptitud Académica), Aufnahmeprüfungen und hohe Studiengebühren haben die Hochschulausbildung elitisiert und für untere und mittlere Einkommensschichten unerschwinglich gemacht. Durch den deutlich abnehmenden Finanzierungsanteil des Staates erhöhte sich die Studiendauer, und die Universitäten wurden gezwungen, Kosten zu reduzieren, was Forschung und Lehre in Mitleidenschaft zog. Die Mehrzahl der Universitäten hat ihre Bildungsinhalte auf die Privatwirtschaft ausgerichtet und v.a. 'rentable' Studiengänge eingerichtet. Technische Ausbildungsgänge überwiegen dabei. 73 Damit ist die Expansion des Bildungswesens in der Pinochet-Zeit zum Stillstand gekommen. In fundamentalen Bereichen hat sich sogar eine Umkehr bis dato positiver Trends ergeben (Ausgaben im Erziehungsbereich, Bildungsausgaben pro Kopf,

72

Siehe G. Labarca, Educación y sociedad. Chile 1964-1985, Amsterdam, 1985; M. Queisser/O. Larrañaga/M. Panadeiros, a.a.O. siehe dazu V. Aplabaza/H. Lavados (Eds.), La educación superior privada en Chile. Antecedentes y perspectivas, Santiago, 1988; M.J. Lemaitre/I. Lavados (Eds.), La educación superior en Chile. Riesgos y oportunidades en los '80, Santiago, 1985; und H. Lavados/E. Hill/V. Aplazaba (Eds.), El sistema educacional chileno, Santiago, 1986.

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Anteil am BIP, Kürzung bzw. Streichung von Unterstützungsprogrammen für Schüler und Studenten, Zugangsmöglichkeiten zu Bildungseinrichtungen etc.). e) Dezentralisierung und Regionalisierung In bezug auf die Dezentralisierung und Regionalisierung kommt - neben der neuen Verfassung von 1980 mit ihrer Aufhebung der Trennung von 'Regierung' und 'Staatsverwaltung' - der Gebietsreform und der Schaffung neuer Partizipationsorgane eine große Rolle zu. In der Praxis führte dies jedoch zu einem zentralisierten autoritären Staat mit nur geringen Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung. Das Land wurde zunächst in dreizehn größere Regionen, die einem Intendenten unterstellt waren, weiterhin in neue Provinzen (unter der Verwaltung eines Gouverneurs) und Gemeinden (mit Bürgermeistern an der Spitze) eingeteilt. Damit ging jedoch keine Dezentralisierung der Macht einher. Entscheidungen auf regionaler oder lokaler Ebene wurden seitens der von oben eingesetzten Militärintendenten, Gouverneure und Bürgermeister umgesetzt, die von Pinochet direkt ernannt wurden. Die Teilnahme der Bevölkerung am politischen Prozeß sollte sich über drei Institutionen vollziehen: den Consejos Regionales de Desarrollo (COREDES); den Consejos de Desarrollo Comunal (CODECOS); sowie auf nationaler Ebene dem Consejo Económico-Social (CES). Damit zielte die Militärregierung auf eine "authentische Partizipation" der Bevölkerung, die in Wirklichkeit jedoch eine entpolitisierte 'Partizipation' war. Die COREDES hatten das Ziel, den Intendenten zu beraten und eine effektivere Partizipation der Kommunen am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt der jeweiligen Region sicherzustellen. Ihre Unabhängigkeit und Autonomie wurde allerdings durch die 'solidarische Funktion' und die 'technische Kooperation' mit der Zentralregierung begrenzt. Die Zusammensetzung der COREDES hatte einen 'ausschließenden' Charakter gegenüber den Gewerkschaften und Basisbewegungen. Politisches Engagement wurde mit einem Sitz in den COREDES für unvereinbar gehalten. Die CODECOS waren dagegen die zentrale Instanz sozialer Partizipation in der neu geschaffenen Institutionalität auf kommunaler Ebene. Sie sollten u.a. dazu beitragen, den Bürgermeister zu bestimmen, dessen Amtsdauer und Aufgaben festzulegen und ihn zu beraten. Für die CODECOS gilt ähnliches wie für die COREDES. Es handelte sich um Organisationen ohne Entscheidungsbefugnisse, deren Empfehlungen nicht obligatorisch waren und die Bürgermeister zu nichts verpflichteten. Sie wiesen eine deutliche Überrepräsentation politischer Autoritäten auf und schlössen die genuinen Organisationen des Volkes quasi aus. Der CES wiederum war auf höchster Regierungsebene angesiedelt. Seine Aufgaben bestanden in erster Linie in der Beratung der Regierung in all jenen Bereichen, die ihr von Interesse sind. Die Mitglieder des CES wurden vom Präsidenten auf Vorschlag des Innenministers ernannt und 109

bestanden wesentlich aus Unternehmern, Vertretern staatlicher Organisationen und 'anerkannten Spezialisten'. Gesellschaftliche Organisationen hatten keinerlei Mitspracherechte.74 fl Die Umstrukturierung der Landwirtschaft Die Umstrukturierung der Landwirtschaft vollzog sich über die contrarreforma agraria, die Öffnung zum Weltmarkt und die ökonomische Liberalisierung im Agrarsektor. Die neoliberalen Politiken des Abbaus der Zölle, der Streichung von Subventionen und der Ausrichtung der Produktion an internationalen Faktorpreisen fand zunächst mit enthusiastischer Unterstützung der SNA (Sociedad Nacional de Agricultura) statt. In diesem Bereich können als wichtigste Ergebnisse die Entstehung einer Schicht mittelgroßer, dynamischer landwirtschaftlicher Unternehmenseinheiten sowie der Ausschluß der kleinbäuerlichen Einheiten und der Landarbeiter vom Modernisierungsprozeß festgehalten werden. Jene hatten einen Großteil der Kosten der Umstrukturierungen zu tragen.73 Die politischen Aspekte der Durchsetzung komparativer Kostenvorteile für die kapitalistisch arbeitenden Agrarier können in einer Arbeitsgesetzgebung gesehen werden, die niedrigste Löhne sicherstellte, den Arbeitskräfteeinsatz gesetzlich äußerst flexibel gestaltete, sich durch das Fehlen jeglicher Sozialgesetzgebung und Sicherheitsnormen am Arbeitsplatz auszeichnete sowie gewerkschaftliche Organisierung quasi verhinderte und Kollektivverhandlungen für nur zeitweilig beschäftigte Arbeiter (sog. temporeros) verbot. gl Die 'Reform' des Justizwesens Die Reform der Arbeitsgerichtsbarkeit wurde Mitte der 80er Jahre von Pinochet selbst wegen der Arbeitsüberlastung der ordentlichen Gerichte und der Steigerung ihrer Ineffizienz rückgängig gemacht. Die Veränderungen in der Arbeitswelt sollten 1981 ihr Komplement in der Abschaffung der Arbeitsgerichte fmden (D.L. 3648), eventuell noch auftretende Streitfalle von der gewöhnlichen Justiz verhandelt werden. Die Aufgaben einer spezialisierten Arbeitsgerichtsbarkeit wuchsen aber den normalen Gerichten schnell über den Kopf. Insbesondere nach der Wirtschaftskrise 1982/83 stapelten sich die Fälle. Fünf Jahre später ordnete Pinochet die Wiedereinsetzung der Arbeitsgerichte und entsprechend spezialisierter Richter an, nicht ohne allerdings die Arbeitsgerichte einer besonderen fiskalischen Austerität zu unterwerfen. 76 Das neoliberale Marktmodell durchdrang also alle Sphären der Gesellschaft. 74 /J

76

Siehe M. Delano/H. Traslavina, a.a.O., S. 89 f. Zu den ökonomischen Aspekten dieses Prozesses und der Landreform selbst siehe das Kapitel IV. Siehe M. Delano/H. Traslavina, a.a.O., S. 85 f.

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"El régimen militar se ha caracterizado por transferir al mercado parte importante de sus funciones de regulación económica y de administración de los servicios sociales, y por minimizar su papel como proveedor de canales de movilidad social. En el plano institucional, ha puesto en práctica un tipo de orden que fragmenta la sociedad, separando el plano social del político y autonomizando los diferentes niveles de decisión, lo cual afianza el poder burocrático del Estado, fomenta el particularismo de las organizaciones sociales y resta contenidos a la acción política. La implementación de políticas económicas ortodoxas, por otra parte, acarreó la declinación de la estructura social tradicional basada en relaciones salariales, sobresaliendo en cambio la consolidación de una enorme masa marginal, y el robustecimiento de grupos medios y superiores independientes. En estas nuevas condiciones, la acción colectiva no encuentra soportes culturales, institucionales y económicos en qué apoyarse, lo que bloquea la constitución de movimientos sociales capaces de hacer frente al poder del Estado y de proponer políticas públicas alternativas."77 Mit diesen Reformen ging eine weitreichende Funktionsveränderung des Staates einher, da das neoliberale Entwicklungsmodell eine radikale Veränderung der sozioökonomischen Grundstrukturen der Gesellschaft beinhaltete. Im ökonomischen Bereich sollte sich die Intervention des Staates auf die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Bereitstellung notwendiger öffentlicher Dienstleistungen (Justiz, Verteidigung) sowie die Unterstützung des Privatsektors über a) die Schaffung einer Basisinfrastruktur, die privat nicht rentabel herzustellen war, und der sukzessiven Privatisierung von Staatsunternehmen; b) die Eliminierung der Verzerrungen der Produktionsstruktur (Deregulierung und Liberalisierung des Wirtschaftssystems); und c) die Etablierung eines allgemeinen Orientierungsrahmens für die freie Entfaltung der Initiative der Individuen, womit eine Veränderung in den redistributiven Funktionen des Staates (Lohnpolitik, Steuersystem, Sozialausgaben) einherging, beschränken. Privatwirtschaftliche Akteure sollten die Rolle des Staates als dynamisches Element im Entwicklungsprozeß ersetzen. Das Restrukturierungsprojekt der Militärs erforderte zudem die Installierung eines autoritären Staates, der der Repräsentation gesellschaftlicher Interessen keinen Platz einräumte.7** Die wichtigsten Transformationen im politischen Bereich können a) in der Kräfteverschiebung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative; b) in der Modifizierung der Frage, wer in einem Gemeinwesen der Souverän sein soll; c) der politisch-administrativen Dezentralisierung auf regionaler Ebene; d) der Elimi77

' E. Tironi/P. Vergara/R. Baño, Chile en la post-crisis. Estado subsidiario y fragmentación social, in: CLACSO (Ed.), Hacia un nuevo orden estatal en América Latina? Bd. 1: Democratización/Modernización y actores socio-políticos, Buenos Aires, 1988, S. 57. Die abstrakten 'Interessen der Nation' standen für die Militärs oberhalb der Interessen einzelner Gruppen und Klassen der Gesellschaft. Dies verband sich mit einer rein technokratischen Sichtweise von Macht, die geleitet wurde von einer technischen Rationalität, deren Effizienz gerade von einem politisch-institutionellen Rahmen abhing, der partizipatorische und redistributive Forderungen 'neutralisierte'.

111

nierung aller Normen und Institutionen einer repräsentativen Demokratie; e) dem Aufbau eines Systems der inneren Sicherheit; und f) der Etablierung einer autoritären 'Kultur der Angst' gesehen werden. 79 Der 'estado de compromiso' - d.h. der durch einen 'demokratischen Klassenkompromiß1 und ein korporatives politisches Beziehungsgeflecht zwischen gesellschaftlichen Akteuren und Regierung gekennzeichnete Staat - wurde durch einen 'estado minimo' - d.h. einen Staat mit minimalen Funktionen und Interventionsmöglichkeiten in die Ökonomie - ersetzt. Im Kontext dieser Umstrukturierungen stellte die brüchige Legitimation des Militärregimes ein Hauptproblem dar. Die 'Legalisierung der Diktatur' und die Institutionalisierung des Regimes gipfelte gewissermaßen in der Ausarbeitung und Verabschiedung einer neuen Verfassung in einer ökonomisch günstigen und politisch vorteilhaften Situation. Seit dem Militärputsch hatte es verschiedene Anläufe der Formulierung einer "Verfassung der Freiheit" gegeben, die eine "neue Demokratie" etablieren sollte. Die Notwendigkeit einer zumindest scheinbaren Legitimation des Regimes wuchs insbesondere Mitte der 70er Jahre aufgrund internationalen und nationalen Drucks sowie interner Auseinandersetzungen in der Junta über den weiteren Fortgang der Diktatur und der Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen stark an. In dieser Situation trat Pinochet mit seinem 'Chacarillas-P\an' die Offensive an und verkündete eher diffus und noch ohne festen Zeitplan die Rückkehr zu einer demokratischen Ordnung. Gleichzeitig machte er jedoch deutlich, daß die neue Demokratie nicht in der bloßen Restauration politischer Verhältnisse und Institutionen bestehen dürfe, sondern dem "Wesen der Nation" entsprechend "autoritär, geschützt, integrativ, technifiziert und mit authentischer sozialer Beteiligung" ausgestattet sein würde. Sie sollte wesentliche Kernpunkte des bestehenden Herrschaftssystems aufrechterhalten: eine äußerst restriktive Partizipation der Bevölkerung, Ausschluß der Parteien und 'antidemokratischer Ideologien' vom politischen System sowie die konstitutionelle Absicherung des Wirtschaftsmodells. Bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung 80 wurde das Land mittels provisorischer Regelungen und durch sog. Verfassungsakte regiert. Kam zunächst dem Chef der Militärjunta die Rolle der Exekutive und der Junta selbst die der Legislative zu, so vereinte Pinochet später im Prinzip beide Positionen in seiner Person. Die neue Verfassung wurde in einem dubiosen Plebiszit im September 1980 ange70

80

Siehe dazu P. Vergara, Las transformaciones del Estado chileno bajo el régimen militar, in: Revista Mexicana de Sociología, Vol. 44, 1982, Num. 2, S. 413-452; P. Vergara, Las transformaciones de las funciones económicas del Estado en Chile bajo el régimen militar, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 5, 1981, S. 117-154; sowie P. Vergara, Auge y caída del neoliberalismo en Chile, a.a.O. Siehe Constitución Política de la República de Chile 1980, Santiago, 1990; sowie die späteren Ergänzungen und Korrekturen in Constitución Política de la República de Chile. Actualización del Apéndice, Santiago, 1990.

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nommen und trat im März 1981 in Kraft. 81 Die Bedeutung dieses Erfolgs der Militärregierung muß trotz aller Unregelmäßigkeiten im Wahlprozeß nicht so sehr im hohen Anteil von Zustimmung ausdrückender scheinbarer Loyalität zum Regime gesehen werden, sondern eher in der Fähigkeit des Regimes, die Gesellschaft zu desartikulieren, die traumatischen Erfahrungen und den Terror der vergangenen Jahre propagandistisch aufzubereiten, vollkommene Ungewißheit und Unsicherheit über Alternativen herzustellen und einen passiven Konformismus herbeizuführen. Die neue Verfassung untergliederte sich in zwei Teile: eine endgültige Verfassung, die ab dem 11.3.1989 gelten sollte; und einen Teil mit Übergangsvorschriften, die vom Zeitpunkt der Annahme des Plebiszits bis zum vollen Inkrafttreten gelten sollten (März 1981 bis März 1989).82 Die Übergangsbestimmungen (disposiciones transitorias) institutionalisierten den Ausnahmezustand für die gesamte Transitionsperiode und konstituierten eine autoritäre 'Übergangsdiktatur'. Die Macht des Präsidenten und der Junta wurde beibehalten und gefestigt, die Amtszeit von Pinochet auf weitere acht Jahre festgelegt. Danach hätte die Junta erneut Pinochet einstimmig als Nachfolger im Präsidentenamt vorschlagen können. Die Vorschriften über den Nationalkongreß (Senat und Abgeordnetenhaus) sollten erst mit der Wahl 1989 in Kraft treten; Parteien und parteipolitische Aktivitäten blieben bis auf weiteres verboten. Der per Verfassungsdekret neugeschaffene Staatsrat blieb bis zur Konstituierung des Senats in Funktion; der Nationale Sicherheitsrat bestand als Wächteramt der Streitkräfte auch noch über das Jahr 1989 hinaus. Die endgültige Verfassung, die 1990 in Chile in Kraft getreten ist, sieht als Staatsform eine demokratische Republik (Art. 4) in Form einer 'autoritären Demokratie1 vor, die durch einen starken Präsidentialismus und ein bedeutendes Gewicht des Militärs geprägt ist. Die Militärs agieren als Hüter der Verfassung und als 81

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Die neue Verfassung wurde mit 3,943 Mio. Ja-, gegen 1,729 Mio. Nein-Stimmen bei 915000 Enthaltungen angenommen. "It is evident that the plebiscite called by Pinochet demonstrated all the characteristics of a political act of this type of regime: an oppressive propaganda campaign on the behalf of the government and significant restriction of opposition propaganda; general intimidation of the population, especially in the poor urban neighborhood (poblaciones) and sectors farther away; unilateral presentation of a single option (a definitive constitution, an eight-year transition statute, and ratification of Pinochet as president for eight years with the possibility of another eight years) while limiting the choice to flat rejection without alternative proposal; absolute government control of the entire electoral process combined with a complex lack of guarantees for the opposition; the lack of electoral registers for control and means of independent appeal; and various forms of fraud during the voting process that altered the results.' M.A. Garretón, The Chilean Political Process, a.a.O., S. 139. Siehe zum folgenden die sehr differenzierte Untersuchung von I. Bustos, Die Verfassung der Diktatur. Die Entwicklung der Grundrechte in Chile, Berlin, 1987, S. 160-237; sowie aus anderer Perspektive D. Blumenwitz, Die Verfassungsentwicklung der Dritten Welt unter besonderer Berücksichtigung der chilenischen Entwicklung, München, 1983. 113

Garanten der institutionellen Ordnung (Art. 90-94). Über den neu geschaffenen Nationalen Sicherheitsrat haben sie die Möglichkeit, Politik in ganz unterschiedlichen Bereichen (Art. 95, 96) entscheidend mitzubestimmen. Im Nationalen Sicherheitsrat verfügen die Militärs über die Mehrheit der Stimmen und sind in allen Fragen der (extensiv verstandenen) 'nationalen Sicherheit' die maßgebliche Instanz. Die Verfassung schreibt zwar keine bestimmte Regierungsform vor, wendet sich aber eindeutig gegen das seit der Unabhängigkeit bestehende repräsentative System. Die Demokratie ist 'wehrhaft' und gegen liberal-demokratische Prinzipien insofern gerichtet, als spezielle Normen und Denkweisen vom System ausgeschlossen bleiben (Art. 8) 8 3 und damit allgemein anerkannte Grundrechte, die zwar formal in der Verfassung verankert sind (Art. 19-23), ausgehöhlt und unterminiert werden, zudem den außerordentlichen Beschränkungen der detailliert geregelten Ausnahmezustände unterworfen sind (Art. 39-41). Volkssouveränität und Parlamentsrechte werden zugunsten der Exekutive und des Nationalen Sicherheitsrates eingeschränkt. Die Souveränität geht nicht nur von der Nation - dem Volk - aus, sondern auch von den Staatsorganen (Art. 5). Den Parteien wurde das Privileg bzw. das Monopol der staatsbürgerlichen Betätigung genommen, die Rolle der Parteien selbst erheblich eingeschränkt (Art. 18, Art. 19 § IS). Dagegen schützt der Staat formal intermediäre Gruppen und gewährt Verbänden ausreichende Autonomie. Diese müssen sich aber politischen Äußerungen enthalten (Art. 15, Art. 19 § 19 und 23), womit der genuin politische Charakter dieser Gruppierungen verwässert wurde. Durch die Verfassung wird eine liberale Wirtschaftsordnung mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln als Kern und dem Subsidiaritätsprinzip des Staates in allen Bereichen festgelegt. Wirtschaftliche Freiheitsrechte werden weit stärker als in früheren Verfassungen geschützt (Art. 19 § 23-26). Das politische System ist formalrechtlich gewaltenteilig gegliedert (Art. 24-83). Die Regierungsverantwortung liegt ausschließlich beim Staatspräsidenten, der weitreichende Befugnisse hat. Die legislative Gewalt liegt beim Kongreß. Während die 120 Mitglieder der Abgeordneten-

° J In Art. 8, Abs. 1 der Verfassung hieß es: "Jede Handlung, die dazu bestimmt ist, Lehren zu verbreiten, die sich gegen die Familie richten, Gewalt oder eine Auffassung der Gesellschaft, des Staates oder der juristischen Ordnung totalitärer oder auf den Klassenkampf gestützter Art befürworten, ist verboten und widerspricht der institutionellen Ordnung der Republik." Da nicht weiter präzisiert ist, welche Lehren darunter fallen, ist willkürlichsten Bewertungen Tür und Tor geöffnet. Die Zielrichtung wird aber deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß bei den letzten freien Wahlen in Chile sich 44% der Bevölkerung für Parteien entschieden, die ihre politischen Aussagen auf den 'Klassenkampf stützten, weitere 30% auf jene politischen Kräfte entfiel, die den 'Klassenkampf als Tatsache anerkannten, ihre politischen Hinschätzungen darauf gründeten und ausgehend davon für strukturelle Veränderungen eintraten. Vgl. I. Bustos, a.a.O., S. 164. Dieser Artikel wurde neben dem Art. 118 als erstes von der demokratischen Regierung Aylwin noch im Zuge der Verhandlung des Transitionsprozesses abgeschafft.

114

kammer direkt für vier Jahre gewählt werden, besteht der Senat aus gewählten und zu einem Drittel designierten Mitgliedern. Die Mitwirkungsrechte des Parlaments in Gesetzgebungsverfahren sind begrenzt, und es hat so gut wie keine Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung. Die Kontrollfunktion kommt eher der Justiz zu. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof, dem Verfassungsgericht, dem Wahlprüfungsgericht, in Kriegszeiten Militärgerichten sowie den ordentlichen Gerichten. Das Verfassungsgericht ist eines der höchsten Staatsorgane geworden (nach dem Staatspräsidenten und dem Sicherheitsrat). Die neu etablierte institutionelle Ordnung ist nur schwer veränderbar (Art. 116-119): Bereits einfache Verfassungsänderungen bedürfen der Zustimmung von je drei Fünfteln der Abgeordneten und Senatoren. Der Präsident kann sie zurückweisen, woraufhin der Kongreß sie mit jeweils drei Viertel Mehrheit emeut bestätigen muß. Daraufhin kann der Präsident ein Plebiszit über die strittige Angelegenheit anstrengen. Für die Erweiterung der Kompetenzen des Kongresses und der Stellung der Parlamentarier müssen sowohl zwei Drittel der Mitglieder beider Kammern und der Präsident zustimmen. Vorschriften, die die 'Grundlagen der staatlichen Ordnimg 1 , das Verfassungsgericht, die Streitkräfte und den Nationalen Sicherheitsrat betreffen, sind einer Veränderung quasi entzogen. Jeweils zwei Drittel beider Kammern des Nationalkongresses müssen in zwei Legislaturperioden hintereinander einer diesbezüglichen Änderung zustimmen. Die Militärs zielten damit auf die grundlegende Kontinuität der eingeleiteten Veränderungen und Verschiebungen der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auch über den Tag hinaus, an dem sie vielleicht selbst nicht mehr unmittelbar die Macht ausüben. Es sollte eine 'demokratische Ordnung' etabliert werden, deren Kerngehalt selbst antidemokratisch ist. Die Verfassungsordnung beruht auf Grundpfeilern wie Autoritarismus, nationaler Sicherheit und neoliberalen Prinzipien, die kombiniert quasi als Staatsdoktrin in sie eingegangen sind. "Die Verfassung spiegelt die Strukturen eines Doppelstaates wider. Die wirtschaftliche, unternehmerische Betätigung soll, rechtlich abgesichert, ungestört vonstatten gehen, während in den übrigen Bereichen das autoritäre Prinzip verwirklicht ist." 84

84

R. Friedmann, a.a.O., S. 155. 115

Transitionsprozeß85 und Rolle der Opposition

2.4.

Die politische Entwicklung seit der Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre ist durch das Wiederaufleben und Erstarken der Oppositionsbeweging und die Absicht des Militärregimes gekennzeichnet, einen 'von oben* geregelten und überwachten Transitionsprozeß mit einer begrenzten Öffnung und schrittwdsen Liberalisierung zuzulassen. "In sum, the government initially confronted the crisis with a merely repressive logic that neither regulated nor actively intervened in the crisis. Since 1983, however, the government has been consciously managing the crisis to ensure regime survival and continuity according to the institutional deiign and timetable set forth in the constitution. This strategy has entailed various efforts: combining 'closings' with formal or informal liberalizing measures (the return of exiles, erratic acceptance of public demonstrationes, and so on); deepeiing institutionalizing measures that allow for transition from the military regime to an authoritarian regime; maintaining the pattern of personalization to ensure Pinochet's continued dominance; rejecting any kind of negotiation with the OTpoiition and any political arena for confrontation other than the 1988 plebiscite; and continuing to employ repression, whether by proscripitve terms, intimidation, or terrorist operations."8® Der von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen getragene Widerstand gegen das Pinochet-Regime konnte zwar mit repressiven Mitteln nie gänzlich unterdrückt werden 87 , doch lassen sich deutlich Protestwellen unterscheiden. Bis Anfang der 80er Jahre war zunächst eine klare Desartikulation der Protestbewegung festzustellen. Erst mit der Wirtschaftskrise und dem Zusammenbruch des neoliberalen Modells, der zu einer Erosion und Differenzierung der sozialen Basis des Regimes führte, kam es zu einer breiten Massenmobilisierung gegen die Diktatur, die sich zunächst in den nationalen Protesttagen 1983 und 1984 seitens de: Gewerkschaften und pobladores, später im Wiedererstarken der politischen Pa-teien und deren Hegemonie im Transitionsprozeß artikulierte. Seit der begrenzten Öffnung des Regimes stand der Übergang zur Demokratie und die geeigneten Mittel und Wege dazu im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Ziel der Militärs war es dagegen,

86 87

In Chile besitzt der Terminus Transition unterschiedliche Konnotationen. Zun einen bezeichnet er die in der Verfassung festgelegte Phase des Übergangs zur Derrokntie, die von der Verabschiedung der Verfassung bis zu ihrem endgültigen Inkrafttreten 1*89 reicht. Damit ist er ein wesentlich rechtlich geprägter Begriff. Zum anderen wird er aber in ergeren Sinn auch zur Kennzeichnung der Übergangsperiode verwendet, die vom verlöteten Plebiszit bis zur Amtsübernahme der Regierung Aylwin reicht. M.A. Ganetón, The Chilean Political Process, a.a.O., S. 154. Siehe B. Loveman, Military Dictatorship and Political Opposition in Ciile, 1973-1986, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs, Vol. 28, 1986/87, Tum 4, S. 1-38, der die verschiedenen Oppositionskräfte im einzelnen untersucht.

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gemäß dem selbstgesetzten Zeitrahmen bis 1989 an der Macht festzuhalten und einen geordneten Übergang zur 'geschützten Demokratie' zu garantieren. 88 Das Regime erließ eigens Gesetze, um politische Aktivitäten mit Normen zu regulieren, die das Politische gegenüber sozioökonomischen Konflikten und Gruppierungen autonomisierte. Durch den durch die Protesttage geschaffenen erweiterten Spielraum für die politischen Parteien war es möglich, 1983 die gemäßigte Opposition in dem Parteienbündnis der Alianza Democrática (AD) zusammenzuführen, die auf der Rechten von der Republikanischen Partei, im Zentrum von der Radikalen Partei, der Sozialdemokratischen Partei und den Christdemokraten, und auf der Linken von Teilen der Sozialistischen Partei und der kleinen Unión Socialista Popular gebildet wurde. Die Kommunistische Partei wurde aufgrund ihrer Strategie eines bewaffneten Widerstandes ausgeschlossen und schloß sich kurz darauf mit dem Almeyda-Flügel der Sozialistischen Partei und der MIR zum Movimiento Democrático Popular zusammen. Kurze Zeit später begann die Regierung mit dem neuernannten Innenminister S. Onofre Jarpa unter Vermittlung des Erzbischofs von Santiago, J.F. Fresno, den Dialog mit der AD, der die Opposition in zwei Lager spaltete. Diese Gespräche verliefen aber nach kurzer Zeit im Sande, da Pinochet zu keinerlei Konzessionen bereit war und die Opposition eine Alles-oderNichts-Strategie verfolgte. Zudem blieb jene in zentralen Fragen wie der zu verfolgenden Strategie und der Haltung zum bewaffneten Widerstand gegen die Diktatur gespalten.

oo Siehe allgemein zur Dynamik des Widerstands unter der Diktatur P. León, Dinámica sociopolítica en Chile 1970-1983, in: D. Camacho/R. Menjívar (Coord.), Los movimientos populares en América Latina, México D . F . , 1989, S. 463-524; zur Gewerkschaftsbewegung P. Frías Fernández, El movimiento sindical chileno en la lucha por la democracia 1973-1988, Santiago, 1989; zur Rolle der Parteien E. Araya, Chile zwischen Autoritarismus und Demokratie. Der Übergang zur Demokratie in Chile, Diss. Universität Mainz, 1992; zur Reaktion des Staates L. Vega, Estado militar y transición democrática en Chile, Madrid, 1994, S. 189 ff.

117

Schaubild 3:

118

Die Entwicklung der größeren politischen Parteien Chiles Anfang der 80er Jahre

Erst 1985 zeichnete sich erneut eine Veränderung der politischen Situation ab, als erstens die gemäßigten Oppositionskräfte zunehmend zu der Einsicht gelangten, daß mit einer Maximalstrategie dem Regime nicht beizukommen sei, zweitens sich auch im rechten Parteienspektrum eine deutliche Dispersion zeigte und sich einige Gruppierungen vom Pinochet-Regime zu distanzieren begannen: Der Partido Nacional bewegte sich stark auf die AD zu und der Movimiento de Unión Nacional nahm eine unabhängigere Position sowohl gegenüber der Regierung als auch der Opposition ein. Unter diesen Umständen wurde im August 198S der 'Acuerdo nacional para la transición plena a la democracia' unterzeichnet, dem sich 19 Parteien anschlössen. Im Gegensatz zur Strategie der AD, die noch den Rücktritt Pinochets, eine provisorische Regierung und eine verfassunggebende Versammlung forderte, akzeptierten diese Gruppierungen nun die Verfassung von 1980 im Gegenzug für bestimmte konstitutionelle Reformen. Der 'Acuerdo nacional' war deutlich weniger weitreichend als die ursprünglichen Vorschläge der AD und geriet entsprechend von der politischen Linken unter Beschuß. Pinochet wies erneut jegliche Verhandlungen über den Transitionsprozeß kategorisch mit dem Hinweis auf die Legitimität der Regierung infolge des Plebiszits 1980 zurück. Die gemäßigte Opposition konzentrierte sich nun darauf, das Regime im Rahmen seiner eigenen Institutionalität zu bekämpfen, und das hieß wesentlich, die Kräfte auf das vorgesehene Plebiszit 1988 zu konzentrieren. Dies schien auch deshalb der einzig mögliche Weg zu sein, weil zum einen 1986 die Strategien der Massenmobilisierung mit dem Ziel der Herstellung von 'Unregierbarkeit' und der schnellen Abdankung Pinochets nicht die gewünschten Erfolge zeitigten und es andererseits zu einer Vertiefung der Spaltung der Opposition insofern kam, als der bewaffnete Widerstand seitens der Kommunistischen Partei und das gescheiterte Attentat auf Pinochet von der Frente Patriótico Manuel Rodríguez (FPMR) die Fronten weiter verhärteten. Als Folge der nun einsetzenden verschärften Repression wurden auch die Handlungsspielräume der gemäßigten Opposition zeitweilig eingeschränkt.89 Das Parteiensystem, welches sich nach der Krise 1983 langsam wieder etablierte, war im wesentlichen gleich dem vor der Diktatur. Dennoch können gewichtige qualitative Veränderungen nicht übersehen werden.90 Die politische Linke war durch Repression und Exilierung stark dezimiert, zersplittert und polarisiert. Auf der einen Seite stand die Kommunistische Partei mit ihrer bewaffneten Volksaufstandsstrategie gegen Pinochet, auf der anderen war die Sozialistische Partei in eine 89

90

Vgl. G. Aniagada, Pinochet. The Politics of Power, a.a.O., S. 67-78; D. Nolte, Menschenrechte und politischer Wandel in Chile, in: Lateinamerika. Analysen - Daten - Dokumentation, Ntim. 11/12, 1989, S. 33-45. Siehe als Fallstudie auch M. Gleich, Chile. Spielräume der demokratischen Opposition zwischen Diktatur und Demokratie, Saarbrücken, 1991. Siehe H.W. Krumwiede/D. Nolte, Chile. Auf dem Rückweg zur Demokratie?, Baden-Baden, 1988, S. 67-95.

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Vielzahl von Gruppierungen zerfallen. Während die orthodoxen Strömungen an Einfluß verloren hatten, entwickelten sich andere Parteigruppierungen in eine sozialdemokratische Richtung. Auch die politische Rechte hatte sich nach der Selbstauflösung im Gefolge des Putsches stark zersplittert und zerfiel in eine traditionelle Rechte, in Neoliberale, Gremialisten und Nationalisten. Die Spaltung in unterschiedliche Gruppierungen und Organisationen konnte auch während des Transitionsprozesses nicht überwunden werden. Zwar unterstützten alle diese Gruppierungen die Diktatur, aber sie verfügten über kein gemeinsames Konzept bezüglich des Übergangs zur Demokratie und der zukünftigen Ausgestaltung der demokratischen Ordnung. Die Reorganisation der Rechtsparteien hat sich in vier Richtungen niedergeschlagen. Die traditionelle Rechte ist in der Partido Nacional zu finden, die sich aber im Laufe des Transitionsprozesses mehrfach gespalten und politisch stark an Einfluß verloren hat. Die Gruppe der Gremialisten gründete die UDI (Unión Democrática Independiente). Sie hatte hohe Ämter während der Diktatur inne und identifizierte sich mit dem Neoliberalismus ä la Chicago. Die Nationalisten waren in der Avanzada Nacional organisiert. Sie vertraten einen autoritär-militärischen Populismus und sprachen sich offen für den Fortbestand der Diktatur aus. Eine weitere Gruppierung stellte Renovación Nacional dar, die als gewichtigste Strömung der Neuen Rechten eher konservativ-liberalen Positionen nahesteht und sich (inzwischen) von der Diktatur distanziert hat. In der Mitte der Parteienlandschaft hat sich die Christdemokratische Partei als Gravitationszentrum herausgebildet; daneben hat sich die PPD (Partido por la Democracia) als eher sozialdemokratische Partei etablieren können, und nach wie vor spielt die Radikale Partei eine gewisse Rolle. Die Christdemokratische Partei bemühte sich in den 80er Jahren um den Aufbau einer breiten Oppositionsfront, die neben den Zentrumsparteien auch die demokratische Rechte und die gemäßigt sozialistische (eher sozialdemokratische) Linke umfaßte. Sie führte sowohl die 1983 gebildete AD wie auch später die Concertación de los Partidos por la Democracia an und trat für die Etablierung einer repräsentativen Demokratie mit marktwirtschaftlicher Wirtschaftsverfassung ein. Die Radikale Partei hat zunehmend an Einfluß verloren und ist weitgehend zersplittert. Auch sie trat für die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in Chile ein. 91 Die Frage, warum die Opposition in den Jahren nach 1983 scheiterte, die Diktatur zu stürzen, ist mit ganz unterschiedlichen Faktoren beantwortet worden. Grundsätzlich läßt sich sagen, daß dafür einerseits Fehler in der Einschätzung des Regimes und der Überschätzung der eigenen Stärke verantwortlich waren, andererseits aber die grundsätzliche Gespaltenheit der Opposition über prinzipielle und taktische Siehe zu den Parteien ausführlicher A.G. Fernández Jilberto, Military Bureaucracy, Political Opposition, and Democratic Transition, in: Latin American Perspectives, Vol. 18, 1991, Num. 1, S. 33-65; R. Friedmann, a.a.O., S. 181-218.

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Fragen dazu beigetragen hat, Konflikte entlang von Parteigrenzen und Ideologien aufbrechen zu lassen. Insbesondere die Frage der Massenmobilisierung, der Akzeptanz der Kommunistischen Partei, der Anerkennung der Verfassung von 1980 und das Konzept eines verhandelten Übergangs haben die chilenische Opposition immer wieder gespalten und eine erfolgreiche Zusammenarbeit verhindert. 92 "Chilean society remains severly fragmented, both ideologically and along class lines; the persistent lack of consensus and intense polarization which had preceded the military coup 1973, combined with the repression of the regime, has inhibited successful mobilization against the dictatorship. This inability of the opposition to resolve the differences (historical, personal, and ideological) which divide them from one another (not to mention the internal cleavages in most groups as well) has left the military itself as a pivotal arbiter of the government's fate." 93 2.5.

Plebiszit und Wahlen

Durch das wiederholte Scheitern der Opposition konnte die Übergangsphase ganz entsprechend dem in der Verfassung vom autoritären Regime festgelegten Transitionsplan stattfinden. Dazu war zunächst 1988 ein Plebiszit über den weiteren Verbleib Pinochets als Staatspräsident - was gleichbedeutend war mit der Fortsetzung des autoritären Regimes - vorgesehen. Im Falle der Ablehnung sah die Verfassung die Verlängerung der Amtszeit Pinochets um ein weiteres Jahr vor, an dessen Ende er Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchzuführen hatte. Die Chancen, das Plebiszit zu gewinnen, waren aber 1988 sehr viel schlechter als 1980. Zum einen befand sich die zivile Basis des Regimes in einem Zerfallsprozeß 94 , zum anderen hatte die Opposition durch die langen Erfahrungen mit der Diktatur einen 'politischen Lernprozeß' durchgemacht, der im Februar 1988 im Zusammenschluß aller Oppositionsparteien und dem Aufruf kulminierte, im Plebiszit mit 'NO' zu stimmen. 95 Die Unternehmer sprachen sich offen für das 'ST aus.9

"

94

95

Siehe dazu J.D. Livermoie, The Search for an Elusive Consensus: Democracy, Dictatorship, and 'Apertura' in Chile 1983-1986, in: Canadian Journal of Latin American and Caribbean Studies, Num. 25, 1988, S. 37 ff. B. Loveman, Military Dictatorship..., a.a.O., S. 31. Der Partido Nacional hatte sich bereits seit Mitte der 80er Jahre vom Regime distanziert und drängte auf eine möglichst rasche Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen. Auch Renovación Nacional sprach sich für freie Wahlen aus und erhob schwere Bedenken gegen die Kandidatur Pinochets. Lediglich Avanzada Nacional und die UDI unterstützten Pinochet bedenkenlos. Vgl. M.A. Garretón, La oposición política partidaria en el régimen militar chileno. Un proceso de aprendizaje para la transición, in: M. Cavarozzi/M.A. Garretón (Coord.), Muerte y resurrección. Los partidos políticos en el autoritarismo y las transiciones del Cono Sur, Santiago, 1989, S. 395-465. Dem 'Comando por el NO' gehörten die 17 Parteien PDC, PS-

121

Im Anfang Oktober 1988 stattfindenden Plebiszit stimmte die chilenische Bevölkerung mit absoluter Mehrheit (55% der Stimmen) gegen die Diktatur. Dennoch gaben 44% der Bevölkerung Pinochet ihr Placet zum Verbleib an der Macht. 97 Die verbleibende Zeit bis zu den Präsidentschaftswahlen nutzte Pinochet zur Absicherung autoritärer politischer und sozioökonomischer Grundstrukturen, die auch über den Wahltag hinaus Bestand haben sollten. Bei diesen politischen Schachzügen handelte es sich zum einen um einen Rückzug der Militärs aus dem Staatsapparat und dem Regierungssystem. Damit sollte die Institution Militär möglichst unbeschadet und integer einen Machtwechsel überstehen und auf die zukünftige Rolle einer Hüterin der Verfassung und der bestehenden Ordnung vorbereitet werden. Zum anderen ging es im Rahmen sog. 'Verfassungsorgangesetze' darum, autoritäre Enklaven als noch über die bereits verfassungsmäßig garantierten autoritären Bestimmungen hinausgehende Gegengewichte zu einem zu großen Reformeifer zukünftiger Regierungen zu etablieren (z.B. Wahlsystem, Streitkräfte, Zentralbank etc.). Zudem wurde der Privatisierungsprozeß von Staatsunternehmen (LAN, ENAMI, EMOS, ESVAL u.a.) beschleunigt vorangetrieben, um die Rolle des Staates auf eine absolutes Minimum zu reduzieren. Schließlich setzte sich der Erosionsprozeß der Basis des Regimes beschleunigt fort. Dies betraf nicht nur die bereits erwähnten Parteien, sondern es mehrten sich auch innerhalb des Militärs und des Staatsapparates Stimmen, die gegen eine Kandidatur Pinochets Stellung bezogen. Die 'Wa/ufo-Fraktion' innerhalb des Militärs kam der mehrheitlich nach einer Reform-Strategie 98 verfahrenden Opposition sogar mit einigen Modifikationen der Verfassung entgegen, die dann im Juli 1989 per Volksabstimmung angenommen wurden." In den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 1989 standen sich schließlich Patricio Aylwin als Kandidat des Mehrparteienbündnisses Concertación de los Partidos por la Democracia, das wesentlich mit dem 'Comando por el NO' identisch war, und der Kandidat der Diktatur, der ehemalige Finanzminister Hernán Büchi gegenüber, der offensiv für eine Fortführung des Werks der Militärdiktatur eintrat. Als dritter Kandidat von Bedeutung trat der Unternehmer Francisco Javier Errázu-

98

99

Almeyda, PS-Nufiez, PADENA, PH, IC, Los Verdes, MOC, MAPU, PPD, PRSD, PSD, PSH, PS-Mandujano, PR, MSOPO, PAC an. Siehe dazu ausführlicher das Kapitel VI. Siehe für eine ausführliche Analyse C.N. Caviedes, Elections in Chile. The Road Towards Redemocratization, Boulder, 1991, S. 24-54. Siehe H.W. Krumwiede/D. Nolte, Chile. Auf dem Weg zur Demokratie?, a.a.O., S. 13-24 und 113 ff. Es handelte sich dabei u.a. um die Beschränkung der Amtszeit des ersten gewählten Präsidenten von acht auf vier Jahre, die Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die Streichung des Art. 8 der Verfassung.

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riz mit einem vage neopopulistische Züge tragenden Wahlprogramm an.1®® Die Unternehmerschaft und die politische Rechte unterstützte Büchi als 'ihren' Kandidaten. Aus den Wahlen ging Aylwin mit einem Stimmenanteil von 55% gegenüber Büchi mit 29% und Errizuriz mit 15% als deutlicher Sieger hervor. Dennoch ist auch hier der hohe Anteil der Kandidaten des Regimes bemerkenswert, die den Stimmenanteil Pinochets im Plebiszit halten konnten. Gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen fanden Parlamentswahlen statt. Das neu etablierte Mehrheitswahlsystem101 zwang die Opposition, geschlossen anzutreten. Es kam zur Bildung von sieben Wahlbündnissen: Die Liste A umfaßte die Parteien der Concertatiön, die sich auf eine Reformstrategie festgelegt hatten. Die Opposition umfaßte zudem die Liste G (Unidadpor la Democracia), der die PS-Almeyda, PC, IC, PRSD, also Parteien mit marxistischer Politikausrichtung angehörten. Die alten Regimekräfte konnten sich dagegen nicht auf eine gemeinsame Liste einigen, sondern verteilten sich wie folgt: Liste B (Democracia y Progreso: RN, UDI und 'Unabhängige'); Liste C (Partido del Sur); Liste D (Alianza del Centro: AN, DR und 'Unabhängige'); Liste E (Partido LibercdlPSCH) und Liste F (Partido National). Auf die Oppositionslisten entfielen dabei knapp 58% der Stimmen im Senat und etwas über 59% im Abgeordnetenhaus.102

3.

Die Hinterlassenschaften des Pinochet-Regimes

Sechszehneinhalb Jahre Militärdiktatur haben Chile von Grund auf verändert. In der Perzeption der Generäle und der konservativen Technokraten hat das Militärregime eine 'gesunde' Ökonomie hinterlassen, haben die Politiker das Land von Grund auf modernisiert und die Militärs Chile vom Kommunismus befreit. Im Land herrsche wieder 'Ordnung', so daß Pinochet schließlich seine Mission für erfüllt erklären 100

Siehe A. Angell/B. Pollack, The Chilean Elections of 1989 and the Politics of the Transition to Democracy, in: Bulletin of Latin American Research, Vol. 9, 1990, Num. 1, S. 1-24. 101 "Die Junta rechtfertigte die Option für das Mehrheitswahlsystem mit der These Duvergers, wonach das Mehrheitsprinzip die Herausbildung eines Zwei-Parteiensystems begünstige und zur Stabilität der politischen Ordnung beitrage. Der Entscheidung für das Mehrheitswahlrecht lagen jedoch auch machtpolitische Gesichtspunkte (political engineering) zugrunde. Der diesem System inhärente Disproportionseffekt wurde durch eine gezielt veränderte Wahlkreisgeometrie (intentionierte, nicht akzidentielle Ziehung der Wahlkreisgrenzen nach der geographischen Streuung der Wählerschaft des Regimes) verstärkt. Das Ziel dieser Wahlpraxis (gerrymandering) war es, den Regimekräften im Parlament eine Sperrminorität (zwecks Blockierung von Verfassungsreformen) zu sichern." R. Friedmann, a.a.O., S. 283 f. 102 Siehe die Analyse bei R. Friedmann, a.a.O., S. 283-290. Damit hatte es gegenüber den letzten freien Wahlen in Chile einen bedeutenden Rechtsruck gegeben, wenn man unter Außerachtlassung auch programmatischer Veränderungen allein die Stimmverteilung berücksichtigt, die damals und heute auf die Links-, Mitte- und Rechtsparteien entfielen.

123

konnte ("misión cumplida").103 Von der zurückgelassenen 'Unordnung', der Unsicherheit, Unwürdigkeit, Demütigung und Erniedrigung sowie der Armut für Millionen von Chilenen ist in ihrem Diskurs nicht die Rede. Von der zerstörerischen Ausbeutung der Natur sprechen sie nicht. Für Tote, Verschwundene, Gefolterte und Exilierte des 'einseitigen Krieges' fühlen sie sich nicht verantwortlich, ebenso wenig für die damit verbundene 'soziale Schuld'. 104 Das neoliberale Entwicklungsmodell hat zu einer Umorientierung wirtschaftlicher Aktivitäten geführt und - am Weltmarkt ausgerichtet - produktive Sektoren geschwächt. Die ökonomische Rolle des Staates wurde auf ein Minimum reduziert. Es hat zu einer starken Konzentration des Reichtums geführt und hauptsächlich den größten Unternehmen des Landes genutzt, die durch die Expansion wirtschaftlicher Aktivitäten und die zunehmende Internationalisierung der Ökonomie in besonderer Weise profitiert haben. Aber nicht nur die Unternehmer als gesellschaftliche Klasse erlebten einen bedeutsamen Restrukturierungsprozeß. Das neoliberale Gesellschaftsmodell hatte auch für andere gesellschaftliche Gruppen Auswirkungen: Es führte zu hohen Arbeitslosenraten, zu einer Schwächung der Gewerkschaften, zu einer Desartikulierung und Verarmung der Bauern, zu einer Umstrukturierung und Heterogenisierung der Mittelschichten, die traditionelle Elemente ihrer Identität (Bindung zum Staat, Aufstieg über Bildung) verloren haben. Institutionelle Umstrukturierungen haben diese Veränderungsprozesse verstärkt. Die 'Modernisierungen' sollten bis in die neuralgischsten Zonen der Gesellschaft hinein Marktprinzipien verwirklichen und hatten beträchtliche Konsequenzen für die Organisationen der Arbeiterbewegung und der pobladores, die sich Fragmentierungsprozessen gegenübersahen, die Größe, Mitgliederzahl und Gewicht ihrer Organisationen verringerten. Entsprechend nahmen ihre Möglichkeiten, Einfluß auf die Politik zu erlangen, ab. Insbesondere die sozialen Bewegungen in den Armutsvierteln sind an den Rand der Gesellschaft gedrängt, im wahrsten Sinne des Wortes Siehe die Sichtweise des Erfolgs des Pinochet-Regimes durch seine Protagonisten in der Sondernummer der Zeitschrift Política: El gobierno militar en Chile. La visión de sus actores, in: Política, Edición Especial, Diciembre 1989. Bereits Mitte der 80er Jahre setzte mit der Wiedererlangung hoher wirtschaftlicher Wachstumsraten eine ideologische Offensive der Apologeten des Militärregimes ein, die auch auf den erfolgreichen politischen Umbau der chilenischen Gesellschaft verwiesen. Seinen genuinsten Ausdruck fand sie in dem Buch von J. Lavin, Chile. La revolución silenciosa, Santiago, 1987. Die Antwort hat in Anbetracht der offensichtlichen Schwächen des Modells Chile nicht lange auf sich warten lassen: E. Tironi, Los silencios de la revolución. Chile - la otra cara de la modernización, Santiago, 1988, beschäftigt sich mit den von den Propagandisten gem übersehenen Seiten des chilenischen 'Wunders'. Der Terminus wurde Ende 1991 für eine Polemik der Unternehmer gegenüber der Regierung Aylwin genutzt, nämlich als F. Lamarca (COPEC) angesichts einzelner Regierungsmaßnahmen von einer 'contrarrevolución silenciosa' sprach. 104 yg^ j Rojas Hernández, Rasgos visibles de la modernización autoritaria en una sociedad en transición a la democracia, in: Perspectivas, Num. 5, 1990, S. 66.

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'marginalisiert' worden. Die fortgesetzte Repression, die Ausschaltung des Repräsentativsystems und die Unterdrückung sozialer Partizipation dienten dazu, Politik von der Gesellschaft zu trennen, indem man die Intermediationsinstrumente, die für eine aktive Partizipation an Politik von unten nötig sind, abschnitt. Nicht umsonst ist heute häufig von einem 'Elitenkonsens' bezüglich der Demokratie die Rede. Politik blieb 'außerhalb' der Gesellschaft und wurde zum Monopol der Streitkräfte, in zunehmenden Maße von Pinochet selbst, und einer kleinen Gruppe von Technokraten. Individuelle und kollektive Verhaltensweisen waren durch die Repression des Regimes bedeutsamen Veränderungen unterworfen. Mit Ausnahme der 'höchsten' gesellschaftlichen und politischen Ebene läßt sich eine weitreichende Entstrukturierung kollektiver Verhaltensweisen feststellen. 105 Eine der wesentlichsten Folgen der Militärdiktatur kann entsprechend in der Atomisierung und Fragmentierung sozialer Strukturen gesehen werden, die in eine weitreichende Entpolitisierung der Gesellschaft mündete. Individuen sollen heute isoliert voneinander über den Markt vermittelt handeln, ohne auf ihre kollektiven Vertretungsorgane zurückgreifen zu müssen. Die große Zersplitterung macht nach den wirtschaftspolitischen Umbrüchen mit Arbeitslosigkeit, Informalisierung und Unterdrückung gesellschaftlicher Organisationen eine Mobilisierung für gemeinsame Ziele extrem schwierig. Die Unterordnung aller sozialen Beziehungen und Verhältnisse unter Marktprinzipien und die vorgebliche Neutralität eines 'subsidiären Staates' haben nicht nur Individualismus und Konkurrenzdenken gefördert, sondern auch kollektive Organisationsformen und solidarische Verhaltensweisen zu einem beträchtlichen Grad entwertet. Die untereinander in Konkurrenz stehenden Individuen sollen solidarisch sein nicht mehr miteinander, sondern mit dem bestehenden sozioökonomischen Wirtschaftsmodell. Dies wiegt um so schwerer, als gleichzeitig keine neuen kollektiven Akteure mit kohärenten Verhaltensweisen und ideologischen Überzeugungen entstanden sind. 1 0 6 Die Dispersion der chilenischen Gesellschaft ging weit über die einzelnen Klassen und Schichten hinaus. Sie betraf die Gesamtheit der Werte und Normen, die bis zur Etablierung des Autoritarismus in Chile vorherrschten und wesentlich durch Solidarität und relative Gewaltlosigkeit geprägt waren. Genau diese Werte wurden durch die neoliberale Ideologie zerstört. An ihre Stelle trat eine abstrakte individuelle Freiheit, die sich fortan im 'freien' Zugang zum Markt und zum Konsum ausdrückt und nicht mehr in erster Linie in Freiheit von Not als Voraussetzung für andere Freiheiten mündet. Individualisierung und Entsolidarisierung wurden weit 105

E.Tironi spricht in diesem Zusammenhang im Anschluß an Dürkheim von einem Zustand 'gesellschaftlicher Anomie'. Vgl. E. Tironi, Autoritarismo, modernización y marginalidad, a.a.O., S. 51-108. 106 Vgl. E. Tironi/P. Vergara/R. Baño, Chile en la post-crisis, a.a.O., S. 91.

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vorangetrieben, Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Anderen nahmen eklatant zu und erfuhren noch eine Verstärkung durch die dauerhafte Anwendung von Gewalt und Repression seitens des Staates, die eine vollkommen neue Erfahrung für die Chilenen darstellte. Auf diese Weise wurde eine 'Kultur der Angst' 1 0 7 und des 'Autoritarismus' 108 etabliert. Diese Angst rührte nicht nur von der Repression der staatlichen Terrororgane her, die einen jahrzehntelang mit der vollen Härte treffen konnte, sondern ergab sich auch aus wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit (geringe Arbeitsplatzsicherheit; hohe Arbeitslosigkeit; Auflösung kollektivvertraglicher Regelungen, die soziale Sicherheit boten etc.). Dies führte zu einer Zurückweisung all dessen, was zusätzlich zu Angst und Unsicherheit beitrug. Ziele und Perspektiven wurden individualistisch verkürzt, und es fand ein Rückzug in die 'Sicherheit' der Privatsphäre statt, da bei anderweitiger Interessenartikulation um Leib und Leben gefürchtet werden mußte. Die Internalisierung von Angst führte zu Konformismus und Anpassung und brachte gleichzeitig eine weitverbreitete soziale und politische Apathie hervor. 1 0 9 Durch die bewußt herbeigeführte Zerstörung des vorherrschenden kollektiven Referenzrahmens kam es für einen Großteil der Bevölkerung zu einer Zerstörung von Zukunftsperspektiven, zu einer Erosion von Kriterien dessen, was normal, wünschenswert und möglich ist. Während das Militärregime selbst die weitreichende Unsicherheit herbeiführte, bot es sich gleichzeitig als alleinige Ordnungsmacht und einzige Lösung der bestehenden Probleme an. 1 1 0 Der Neoliberalismus trug auch dazu bei, die integrativen Symbole und Verhaltensweisen der chilenischen Gesellschaft zu brechen, die Gefühle der Zusammengehörigkeit und Solidarität unter den Chilenen zu schwächen. Er griff frontal diejenigen Institutionen an, die historisch diese kollektive Kohäsion herzustellen in der Lage gewesen waren. Die Fähigkeit der einzelnen Gruppen und Schichten der Gesellschaft, friedlich zusammenzuleben, wurde nach dem Chaos der Unidad Popular durch die Erfahrung mit der Militärdiktatur deutlich verringert. 111 Die vom Militärregime vorangetriebene Modernisierung führte zu einer Struktur der Gesellschaft, in der eine kleine Gruppe immer reicherer, mit großen Handlungsspielräumen und individuellen Freiheiten ausgestatteter, kosmopolitischer und letztendlich 'moderner' Menschen der wachsenden Marginalisierung des Großteils der Bevölkerung gegenüberstand. Während die höchsten Einkommensschichten auf 107

108

10Q

Siehe P. Politzer, Miedo en Chile, Santiago, 1985; P. Constable/A. Valenzuela, A Nation of Enemies. Chile under Pinochet, New York, 1991, S. 140-165; N. Lechner, Los patios interiores de la democracia. Subjectividad y política, Santiago, 1988; E. Lira/M.I. Castillo, Psicología de la amenaza política y del miedo, Santiago, 1991. Siehe J.J. Brunner, La cultura autoritaria en Chile, Santiago, 1981.

Vgl. E. Tironi, Autoritarismo, modernización y marginalidad, a.a.O., S. 25 ff. Siehe N. Lechner, a.a.O., S. 97-101. 111 Vgl. E. Tironi, El liberalismo real, a.a.O., S. 120. 110

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dem Markt frei ihre Rentenversicherung, ihr Erziehungssystem und ihre Gesundheitsversorgung wählen konnten, mußte sich der Staat um das Überleben eines wachsenden Teils der Bevölkerung kümmern, der in extremer Armut lebte. Während einerseits als Ausdruck höchster Modernität die chilenische Wirtschaft auf Basis der Privatinitiative in den Weltmarkt integriert wurde, bestanden in ihrem Innern 'vormoderne' Arbeitsbeziehungen und ein informeller Sektor beträchtlichen Ausmaßes. Die chilenische Gesellschaft ist durch die Diktatur eine hochgradig segmentierte Gesellschaft geworden - manche sprechen auch von einer 'dualen Gesellschaft' -, in der es unter einer mächtigen Wirtschaftselite neben geschwächten Mittel- und Arbeiterschichten einen großen informellen Sektor gibt, deren Mitgliedern jegliche Möglichkeiten für soziale Mobilität abgehen. 112 Heute lebt eine Minderheit der Chilenen im Luxus. Für sie wurden die neoliberalen Schlagworte Wirklichkeit: Sie perzipieren Marktwirtschaft als Überfluß, der nicht mehr geteilt werden muß, und Privateigentum als persönliche Reichtumsanhäufung, bringen aber beide nicht mit Moral und sozialer Verantwortung in Verbindung. Die immer breiter werdende Kluft zwischen Arm und Reich zeigt sich also nicht nur im sozioökonomischen Bereich, sondern hat sich auch in unterschiedlichen 'Welten' bzw. 'Gesellschaften' innerhalb des Landes - "los dos Chiles" 113 - niedergeschlagen und für einen enormen Abstand zwischen den Bevölkerungsschichten gesorgt. Die Unternehmer erscheinen unter diesen Umständen als die wesentlichen Nutznießer der Diktatur: "Nadie niega que bajo el autoritarismo surgió una nueva clase empresarial. En general se trata de un empresariado autoritario, poco o nada dispuesto a establecer compromisos con los trabajadores. No tienen un proyecto de país ni de democracia, ni están dispuestos a cambiar las relaciones laborales dentro de la empresa. Si tienen conciencia respecto de su papel, pero en el mercado nacional e internacional, no en la sociedad. O quizás éste sea su cínico proyecto del país ... La guerra de la modernización ha dejado muertos, heridos y desvalidos por el camino. No sólo se ha arrasado con la naturaleza, también se ha devastado a los seres humanos. De los verdaderos héroes, sustentadores y víctimas de la modernización, poco se habla. Se tiende a separar la miseria del proceso de modernización capitalista, para dejar en primera plana a los nuevos empresarios dinámicos, provistos de iniciativa, con disposición al riesgo y capacidad empresarial. Pero estos empresarios han actuado en terreno devastado. Tanto la naturaleza como los seres humanos han representado la ventaja comparativa por excelencia para el capital. Factores baratos, degradados a lo mínimo, a fin de conquistar nuevos 119 113

SieheE. Tironi, Autoritarismo, modernización y marginalidad, a.a.O., S. 157. R . Cortázar/P. Melier, Los dos Chiles. O la importancia de revisar las estadísticas oficiales, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 21, 1987, S. 5-22. Diese unterschiedlichen Welten sind z.B. in Santiago deutlich sieht- und spürbar. Durchquert man einmal die Stadt etwa von Süd-Ost nach Nord-West so gibt es wohl kaum einen größeren Kontrast zwischen den Armuts- und Elendsvierteln einerseits und dem geradezu 'obszönen' Reichtum in Stadtvierteln wie Las Condes und Vitacura.

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mercados internacionales. Un empresario que no paga impuestos ni seguridad social, que puede despedir arbitrariamente trabajadores, que contrata fuerza laboral temporalmente y que no necesita negociar los bajos salarios con sindicatos ni proteger a sus trabajadores contra los frecuentes accidentes, es un empresario que no necesita 'arriesgar' nada. Este empresario, que estuvo protegido por el Estado de las fuerzas armadas, no tiene mucho de moderno ... Por lo demás, las modernizaciones ... han sido posible gracias a la desvalorización y sobreexplotación del trabajo humano."114

4.

Die Rückkehr zur Demokratie und die Regierungszeit Aylwin

4.1.

Die politischen Rahmenbedingungen der Regierung Aylwin

Bei der Rückkehr zur Demokratie waren die belastenden Legate der scheidenden Militärs kaum zu übersehen. Diese hatten es nicht nur geschafft, die chilenische Gesellschaft von Grund auf zu verändern, sondern auch ihre Grundinteressen über den sich abzeichnenden Regimewechsel hinaus zu sichern. 1 ^ Dies galt zum einen ganz unmittelbar für die materielle Absicherung der Anhänger der Militärdiktatur und der sie tragenden Institutionen, zum anderen aber auch für die gesetzliche Etablierung von Schutzvorkehrungen in bezug auf eine mögliche Bestrafung von Funktionsinhabem des Regimes im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen durch die demokratisch gewählte Regierung. Als bedeutendster Punkt erwies sich der Aufbau von Veto-Bastionen innerhalb des Regierungssystems, die den Handlungsspielraum der Regierung Aylwin einschränken und eine Revision von als zentral erachteten politischen Grundsatzentscheidungen verhindern sollten. Dazu dienten den Militärs neben den bereits erwähnten Regelungen in der Verfassung eine ganze Reihe von Maßnahmen: a) Die Zahl der zu besetzenden Positionen, über die die demokratische Regierung im öffentlichen Dienst frei verfügen konnte, wurde drastisch eingeschränkt. Dies gilt für die Ministerialbürokratie (einschließlich des Präsidialamtes) ebenso wie für die Bürgermeister. b) Die Höhe des Militäretats wurde weitgehend festgeschrieben. Bis in die letzten Amtstage Pinochets hinein wurden staatliche Liegenschaften und Sachmittel auf das Heer übertragen. 10% der Gewinne von CODELCO (Corporación del Cobre) fließen jährlich automatisch an die Militärs - ohne jegliche Kontrolle ziviler Autoritäten. 114 115

J . Rojas Hernández, Rasgos visibles de la modernización ..., a.a.O., S. 94 ff. Trotz langjähriger Diktatur und Unterdrückung von Freiheitsrechten ist die Mehrheit der Chilenen Anhänger demokratischer Werte und Strukturen geblieben. Siehe C. Huneeus, Los chilenos y la política. Cambio y continuidad bajo el autoritarismo, Santiago, 1987.

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c) Eine zivile Suprematie über das Militär wird es vorläufig nicht geben. Pinochet wird bis 1997 Oberbefehlshaber des Heeres bleiben. Ende 1989 hatte er zudem die Heeresführung umstrukturiert und mit engen Vertrauten durchsetzt. Der Geheimdienst wurde zwar offiziell aufgelöst, dies bedeutete aber de facto die vollständige personelle und institutionelle Eingliederung in die Armee. Über die in der Verfassung festgeschriebene neue Rolle der Streitkräfte kommt diesen eine weitreichende Autonomie gegenüber der zivilen Regierung zu, und über den Nationalen Sicherheitsrat haben sie große Eingriffsbefugnisse in politische Angelegenheiten. d) Der Kongreß hat keinerlei Befugnisse, Amtshandlungen der Militärregierung einer Überprüfung zu unterziehen. e) Die Wahlgesetzgebung und Wahlkreiseinteilung wurde so gestaltet, daß eine überproportionale Vertretung der gesellschaftspolitischen Rechten im Parlament gesichert ist. f) Undemokratisch ist auch die Ernennung von neun der siebenundvierzig Senatoren nach berufsständischen Prinzipien, die für eine Mehrheit der Opposition im Senat sorgt. g) In demokratischer Hinsicht bedenklich ist zudem die Erneuerung und Ernennung der Richter des Obersten Gerichtshofs kurz vor dem Ende der Diktatur. Das Angebot einer zeitlich befristeten, großzügigen Pensionsregelung wurde von sieben Richtern angenommen. Insgesamt konnte Pinochet seit der Niederlage im Plebiszit neun von insgesamt sechszehn Richtern des Obersten Gerichtshofs neu ernennen, die ihr Amt bis zum 75. Lebensjahr ausüben können. h) Für das Haushaltsjahr 1990 verabschiedete die Militärregierung einen äußerst knapp bemessenen Etat, der auf einer sehr optimistischen Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Steuereinnahmen basierte. Damit grenzte sie den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung Aylwin stark ein. i) Die Privatisierungspolitik von Staatsunternehmen wurde im letzten Amtsjahr Pinochets nochmals beschleunigt vorangetrieben, um die Rolle des Staates in der Ökonomie für zukünftige Regierungen so gering wie möglich zu halten. j) Im Bereich der Massenmedien wurden beinahe alle staatlichen Kontrollgremien mit jüngeren Anhängern des Pinochet-Regimes besetzt, deren Amtszeiten weit in die demokratische Regierungsperiode hineinreichten. k) Die Unabhängigkeit der Zentralbank wurde als politischer Schachzug kurz vor der Amtsübergabe der Regierungsgeschäfte proklamiert. Diese verfugt über eine weitreichende Autonomie in Finanzfragen und kann als Gegengewicht zum Finanz- und Wirtschaftsministerium fungieren. Die Führungsgremien wurden mit Vertretern der Chicago Boys durchsetzt und die Zusammensetzung des Direktoriums zunächst festgeschrieben.11® ^ V g l . D. Nolte, Chile. Ein hoffnungsvoller demokratischer Neubeginn, in: R. Tetzlaff (Hrsg.), Perspektiven der Demokratisierung in Entwicklungsländern, Hamburg, 1992, S. 186

129

4.2.

Die Reformpolitik der Concertaciön

Das Parteienbündnis der Concertaciön, in dem liberal-konservative Christdemokraten und sozialdemokratische Sozialisten dominierten, hatte sich ein ambitioniertes Programm gegeben, welches im ökonomischen Bereich zwar durch die grundlegende Kontinuität mit dem 'erfolgreichen' neoliberalen Wirtschaftsmodell gekennzeichnet war und auf die Sicherung wirtschaftlichen Wachstums und die Konsolidierung der Entwicklungsstrategie auf der Basis des neoliberalen Marktmodells abzielte117, aus dem sich aber im politischen Bereich sechs zentrale Aufgaben ergaben:11® - Die Verfolgung und Sühnung der Menschenrechtsverbrechen und die Versöhnung der Chilenen; - die Demokratisierung der Institutionen des Landes, was insbesondere auf die Beseitigung autoritärer Relikte in der Verfassung und den Gesetzgebungsverfahren abzielte; - die Reform des Justizwesens; - die Eindämmung des Einflusses der Streitkräfte und die Wiederherstellung der zivilen Suprematie über das Militär; - die Aufarbeitung der 'deuda social' und die Bekämpfung der Armut, um die sozial äußerst defizitäre Performanz des Militärregimes auszugleichen; - schließlich die Wiedereingliederung Chiles in die internationale Staatengemeinschaft nach der langjährigen politischen Isolierung während der Pinochet-Ära. Die dauerhafte Verletzung der Menschenrechte gehörte zu den herausragendsten Merkmalen des Militärregimes. Folter, Mord, Verschwindenlassen, Drohungen und Einschüchterungen sowie Exilierungen zählten zu seinen alltäglichen Praktiken. Die Militärs hatten mit der Auflösung der DINA 1978 bereits ein Amnestiegesetz für alle bis dato begangenen Verbrechen erlassen und in den Folgejahren eine Vielzahl gesetzlicher Bestimmungen verordnet, die u.a. dem Parlament eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen verbot. Im Moment des Regimewechsels bestand f.; und A. Heintz/P. Imbusch, Chile. Kein Modell, aber ein Lehrstück, in: Dritte Welt, Num. 5, 1992, S. 25 ff. 117 Siehe zur Kontinuität im ökonomischen Bereich und generell der wirtschaftlichen Leistungen der Aylwin-Regierung das Kapitel IV. Siehe als Überblick zur demokratischen Regierung die Darstellungen von O. Sunkel, La consolidación de la democracia y el desarrollo en Chile. Desafíos y tareas, in: Estudios Internacionales, Vol. XXV, 1992, Num. 97, S. 117-135; A. Valenzuela/P. Constable, Democracy in Chile, in: Current History, February 1991, S. 53-56 und 84-85; D. Nolte, Modellfall Chile? Die Bilanz nach einem Regierungsjahr, in: J. Ensignia/D. Nolte (Hrsg.), Modellfall Chile? Ein Jahr nach dem demokratischen Neuanfang, Hamburg, 1991, S. 15-42; und D. Nolte, Chancen und Risiken der demokratischen Konsolidierung in Chile. Ausblick nach den ersten 100 Tagen der Präsidentschaft von Patricio Aylwin, in: Lateinamerika. Analysen - Daten - Dokumentation, Num. 15, 1990, S. 31-46.

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ein dichtes Netz von Verfügungen, die eine Untersuchung der Verbrechen und eine Verurteilung der Täter nahezu unmöglich machte, zumal Pinochet 1989 selbst gedroht hatte, daß im Falle einer Bestrafung von Angehörigen der Militärs, der Polizei und der Geheimdienste die Demokratie gefährdet sei. Die Regierung versuchte entsprechend, einen Mittelweg zu beschreiten, und setzte zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen eine unabhängige Untersuchungskommission ein. Der 1991 vorgestellte Bericht der Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación - auch kurz nach ihrem Vorsitzenden Rettig-Bericht genannt -, der die Verbrechen dokumentiert, stellte praktisch den Schlußpunkt in der Diskussion über die Ahndung der Verbrechen und die strafrechtliche Verfolgung der Täter dar. 119 Er wirft den Staatsorganen die systematische Verletzung der Menschenrechte vor und kritisiert die unsägliche Rolle der Justiz als einem willfährigen Ausführungsorgan des Regimes während der Militärherrschaft. Eine weitergehende Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen wird es nicht geben, und die Schuldigen, die weitgehend bekannt und häufig noch in 'Amt und Würden' sind 120 , werden unbestraft davonkommen. Dies wiegt um so schwerer, als die Täter keinerlei Reue oder Schuldbewußtsein für ihre Taten erkennen lassen. 121 Einige Angehörige ermorderter Regimegegner erhielten vom Staat eine geringe Entschädigung. Die Aylwin-Regierung konnte damit ihr selbstgestecktes Ziel einer Sühnung der Menschenrechtsverletzungen und einer Aussöhnung der Chilenen nicht erreichen. So scheiterte ein zentraler Anspruch der demokratischen Regierung an den gegebenen Machtverhältnissen mit dem Resultat einer bleibenden Kluft in der chilenischen Gesellschaft.122

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Siehe Informe de la Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación (Informe Rettig), Tomo I und n , Santiago, 1991. 120 Siehe El Siglo, Especial: La DINA hoy, vom 9.2.1992. 121 Vgl. D. Nolle, Menschenrechte in Chile. Ist die Politik der Aussöhnung gescheitert?, in: Lateinamerika. Analysen - Daten - Dokumentation, Beiheft 10, 1991; sowie D. Nolte, Lateinamerikas Generäle zeigen keine Reue, in: Nord-Süd aktuell, Num. 2, 1991, S. 225231. 122 Siehe zum häufig beschworenen 'moralischen Dilemma' und zur letztlich falschen Entgegensetzung von Sühnung des Unrechts und Konsolidierung der Demokratie, die sich angeblich ausschließen sollen, die Auseinandersetzung von R. Huhle, Demokratisierung mit Menschenrechtsverbrechem? Die Debatte um die Sanktionen von Menschenrechtsverletzungen in den lateinamerikanischen Demokratien, in: D. Nolte (Hrsg.), Lateinamerika im Umbruch? Wirtschaftliche und politische Wandlungsprozesse an der Wende von den 80er zu den 90er Jahren, Hamburg, 1991, S. 75-108. Unterschiedliche Aspekte der Menschenrechtsfrage, die auch den Verbleib einer Zahl von Häftlingen in den Gefängnissen betreffen, die wegen politisch motivierter Vergehen von den Militärs verhaftet worden waren, und die ebenfalls einen kritischen Punkt der Regierung Aylwin betreffen, gibt Americas Watch, Human Rights and the Politícs of Agreement. Chile Düring President Aylwin's First Year, New York, 1991. 131

Die Demokratisierung der Institutionen des Landes stellte einen weiteren zentralen Punkt im Forderungskatalog der Parteienkoalition dar. Ihr zufolge könne der Transitionsprozeß zwar mit dem Regimewechsel als abgeschlossen gelten, aber eine weitere Demokratisierung sei so lange geboten, wie die schlimmsten autoritären Relikte der Diktatur nicht beseitigt seien. Die Schwierigkeiten mit einer entsprechenden Demokratisierung zeigten sich in bezug auf eine Verfassungs- und Gesetzgebungsreform (Ernennung und Abwahl des Oberkommandierenden des Heeres, Abschaffug ernannter Senatoren etc.) deutlich. Diese scheiterten bis zum Ende an der Opposition der konservativen Kräfte, denen ihre Mehrheit im Senat (aufgrund designierter Senatoren) und verkomplizierte Mehrheitsbildungen für solche Änderungen zugute kamen. Dies zeigte sich insbesondere bei der beabsichtigten Reform des verkrusteten und ineffizienten Justizwesens, dessen Spitze immer noch mit Sympathisanten des Pinochet-Regimes durchsetzt ist. Die Reformabsichten bezüglich des Rechts- und Justizwesens zielten allgemein auf eine größere Effizienz und Transparenz der Verfahren und auf eine rechtsstaatliche Rechtsprechung, die nach den schwerwiegenden Versäumnissen der Justiz unter der Militärdiktatur dringend geboten erschien. Während die Justiz selbst und Teile der Opposition sich mit einer besseren technischen und personellen Ausstattung des Justizapparates begnügen wollten, wollte die Regierung auch die Auswahlverfahren und die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs ändern. Die politische Rechte hat aber bislang erfolgreich eine Reform der Justiz verhindern können. Lediglich ein Richter des Obersten Gerichtes wurde im Zusammenhang mit Menschenrechtsverfahren wegen Amtsverfehlungen im Januar 1993 seines Amtes enthoben. Die Demokratisierung der Verwaltungsstrukturen, hier insbesondere der Kommunalgesetzgebung und der Gemeindeverfassung, gipfelte nach knapp zwei Jahren des Streits mit der Opposition Anfang 1992 in einer Kommunalreform, in dessen Mittelpunkt die direkte Wahl der Bürgermeister (und der Gemeinderäte) stand, die vorher von oben bestimmt wurden. Ende Juni 1992 fanden Kommunalwahlen statt. Damit sitzen zwar erstmals seit 18 Jahren wieder demokratisch legitimierte Volksvertreter in den Kommunen, jene sind allerdings nach wie vor finanziell und personell unzureichend ausgestattet, so daß eine angemessene Unterhaltung kommunaler Einrichtungen (Schulen, Krankenhäuser) wie schon in der Vergangenheit kaum möglich ist. Zudem bestehen weiterhin vielfältige Abhängigkeiten der Gemeinden von der Zentralregierung, und durch das geltende Wahlrecht kann die Opposition auch hier mit einer überproportionalen Repräsentation rechnen. Ein weiteres wichtiges Gesetz betraf die Dezentralisierung auf regionaler Ebene, mit der eine Verlagerung von Kompetenzen und zunehmend auch finanzieller Ressourcen verbunden war. Damit ging eine klarere Kompetenzverteilung auf den einzelnen Ebenen einher. Ein Regionalrat ist jetzt das oberste Entscheidungsgremium 132

bezüglich regionaler Entwicklungen, öffentliche Investitionen in Infrastrukturprojekte werden über den Nationalen Regionalentwicklungsfonds abgewickelt. Dennoch ist auf regionaler Ebene die Demokratisierung nicht so weit vorangeschritten wie auf kommunaler Ebene. Weitere Reformen scheiterten an den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Kongreß und den Änderungsmodalitäten für Gesetzesverfahren in diesem Bereich. Kurz vor dem Ende ihrer Regierungsperiode konnte die Aylwin-Administration lediglich eine Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten von acht auf sechs Jahre durchsetzen. Was die Eindämmung des Einflusses der Streitkräfte und die Wiederherstellung einer zivilen Suprematie über das Militär angeht, ist ja bereits auf die vielfältigen einschränkenden Übergangsbestimmungen hingewiesen worden. In diesem Bereich war von Anfang an deutlich, daß es eine Diskussion über die Rolle der Streitkräfte in der neuen Demokratie nicht geben würde, so daß sich als Folge das Verhältnis zwischen Regierung und Militär auch wenig geändert hat. Nach wie vor sind die Militärs ein Staat im Staate und verstehen sich in ihrer Funktion als 'Hüter der Ordnung' bzw. als 'Hüter der Verfassung' als vierte Gewalt neben Exekutive, Legislative und Judikative. Die wenigen Versuche seitens der Regierung, die zivile Kontrolle über das Militär auszuweiten, stießen auf den entschiedenen Widerstand von General Pinochet, der sich im Zweifelsfall nicht scheute, mit Mobilisierungsübungen des Heeres die Verhältnisse zu klären. Entsprechend fehlte der Regierung nicht nur die Macht zur Revision des Amnestiegesetzes von 1978 und zur Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen, sondern auch, um die verfassungsmäßige Rolle der Streitkräfte und die bestehende Superiorität der Militärjustiz über die zivile Justiz umzudefmieren. Ebensowenig gelang es der Regierung, die militarisierte Polizei (Carabineros), die bislang dem Verteidigungsministerium untersteht, dem Innenministerium zu unterstellen. Auch blieb ihr Einfluß auf die Polizeipraktiken (schneller und rücksichtsloser Gebrauch von der Schußwaffe, Mißhandlungen und Folterungen bei Verhören von Häftlingen etc.) begrenzt. Nur in bezug auf die Besetzung militärischer Führungspositionen konnte die Regierung ihren Einfluß geringfügig erweitern.123 Die Macht der Streitkräfte konnte damit bislang nur unwesentlich abgemildert werden.124

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Siehe R. Rabkin, The Aylwin Government and 'Tutelary' Democracy. A Concept in Search for a Case?, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs, Vol. 34, 1992-93, Num. 4, S. 119-194; B. Loveman, Misión cumplida? Civil-Military Relations and the Chilean Political Transition, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs, Vol. 33, 1991, Num. 1, S. 35-74. 124 Auf diese dringende Notwendigkeit hat A. Varas, Democratización castrense y desmilitarización del Estado, in: G. Martner (Coord.), Chile hacia el 2000. Desaños y opciones, Tomo I, Caracas, 1988, S. 199-222, hingewiesen. Siehe auch Fuerzas armadas, Estado y sociedad. El papel de las fuerzas armadas en la futura democracia chilena, Santiago, 1989.

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Von primordialer Bedeutung für die Concertación war daneben der Abbau der vom Militärregime geerbten 'sozialen Schuld', die Bekämpfung der extremen Armut und damit die Verwirklichung einer größeren sozialen Gerechtigkeit.125 Als Folge des Neoliberalismus lebte knapp die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, ein beträchtlicher Teil davon sogar in extremer Armut.12® Zwar ist die Einkommensverteilung nach wie vor äußerst unausgewogen und hat sich innerhalb der Regierungszeit Aylwin nicht spürbar verbessert, doch konnte die Zahl der Armen gesenkt werden. 127 Die Regierung hat diverse Wohnungsbauprogramme initiiert und sozialpolitische Maßnahmen (insbesondere in bezug auf Krankenhäuser und gesundheitliche Primärversorgung) ergriffen, beschränkt sich aber ansonsten ganz im Sinne des subsidiären Staates und nicht unähnlich der Regierung Pinochet auf die 'Bekämpfung' der extremen Armut.12" Neben der Erhöhung der Sozialausgaben ist einzig der neu eingerichtete Fondo de Solidaridad e Inversión Social (FOSIS) eine Neuerung, die allerdings zur effektiven Bekämpfung von Armut und Marginalität nur begrenzt wirksam wird. 129 Aufgrund der extrem geringen Umverteilungsspielräume ist zumindest kurz- und mittelfristig eine durchgreifende Verbesserung der Einkommenssituation der unteren Schichten ausgeschlossen. Die Fortsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells erfordert hier in gewisser Hinsicht geradezu Austerität. Vertreter der demokratischen Regierung haben bereits vor Regierungsantritt jeden verteilungspolitischen Populismus zurückgewiesen130 und

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Siehe zu den unterschiedlichen Konnotationen des Begriffs 'soziale Gerechtigkeit' P. Silva, State, Politics and the Idea of Social Justice in Chile, in: Development and Change, Vol. 24, 1993, S. 465-486. 126 Siehe E. Ortega R./E. Tironi B., Pobreza en Chile, Santiago, 1988, S. 28; CEPAL, Una estimación de la magnitud de la pobreza en Chile 1987, in: Colección Estudios CEEPLAN, Num. 31, 1991, S. 107-129; vgl. auch E. Tironi, Es posible reducir la pobreza en Chile, Santiago, 1989. 127 Siehe dazu ausführlicher das Kapitel IV. 19R 1¿0 Vgl. zur gescheiterten Armutsbekämpfung unter der Diktatur P. Vergara, Políticas hacia la extrema pobreza en Chile 1973-1988, Santiago, 1990. 129 Siehe N. Flaño, El Fondo de Solidaridad e Inversión Social. En que estamos pensando?, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 31, 1991, S. 153-164. 1 30 Dies deutete der Minister im Präsidialamt (Secretaría General de la Presidencia) E. Boeninger bereits vor einigen Jahren an: "El riesgo de mediano plazo no está en las amenazas de la derecha o la izquierda a la democracia: yo no creo en el golpismo recurrente y, como digo, no veo que desde la izquierda haya alternativa de sustitución a la democracia convencional. El peligro mayor está en la posibilidad de los desbordes populistas; en que el vector resultante de las presiones y demandas de los distintos sectores, y de sus intereses contrapuestos en el cotidiano desarrollo de la sociedad, conduzca en definitiva a una expresión populista. Este es un riesgo real, desde luego por una razón básica: porque la velocidad con que este país puede llegar a tener condiciones de vida en que las desigualdades que subsisten en el sistema sean tolerables es lenta." E. Boeninger, El marco político general y el marco institucional del pro134

damit eindeutige Signale an die Unternehmer und Militärs gegeben, die weitgehende Umverteilungsforderungen befürchteten. Dadurch, daß die demokratische Regierung statt sozialer Umverteilung mehr Chancengleichheit forderte, die in Zukunft die großen sozialen Disparitäten einebnen soll, wird aber Ungleiches gleich behandelt und angesichts der großen sozialen Disparitäten die Ungleichheit verstetigt. Auf die bestehenden Inkompatibilitäten zwischen einer größeren sozialen Gleichheit und der Aufrechterhaltung und Vertiefung des verfolgten Entwicklungsmodells ist immer wieder hingewiesen worden. 131 Wenngleich der Grad der Toleranz gegenüber sozialer Ungleichheit unter der Militärdiktatur eklatant zugenommen hat und die Akzeptanz eines lediglich langfristig zu bewerkstelligenden sozialen Ausgleichs seitens der Bevölkerung im Austausch gegen demokratische Verhältnisse nicht unterschätzt werden darf, so haben doch beide ihre Grenzen. Eine Konsolidierung der Demokratie dürfte ohne weitergehende soziale Umverteilungsmaßnahmen ausgeschlossen sein. Die langjährige außenpolitische Isolierung Chiles 1 3 2 , die bereits langsam in den 80er Jahren aufgebrochen wurde, ist mit dem Übergang zur Demokratie vollends überwunden worden, so daß Chile erneut ein allgemein anerkanntes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft geworden ist. Im Bereich der Außenpolitik fiel somit der Bruch mit der Vergangenheit am deutlichsten aus, weil hier die wenigsten Ambivalenzen der Politik zu verzeichnen waren. Erfolge der Regierung Aylwin können v.a. in der Beilegung von Grenzkonflikten mit den Nachbarländern (insbesondere Argentinien) sowie der friedlichen Regelung und Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu Peru und Bolivien gesehen werden. Ein Schwerpunkt der Außenpolitik des Landes lag zudem - durch die hohe Außenhandelsquote bedingt - im Außenwirtschaftsbereich. Diesbezüglich wären die Initiativen zur erfolgreichen weiteren Diversifizierung der Handelsbeziehungen und der Abschluß von bilateralen Freihandels- und Kooperationsabkommen zu erwähnen. 133 Der

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ximo gobierno, in: O. Muñoz (Comp.), Transición a la democracia. Marco político y económico, Santiago, 1990, S. 46. Siehe jüngst O. Muñoz, Las transformaciones del Estado en Chile, in: M. Tagle D. (Ed.), Los desafíos del Estado en los años 90, Santiago, 1991, S. 73-89; O. Muñoz, Estado, desarrollo y equidad. Algunas preguntas pendientes, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 31, 1991, S. 11-30; und U. Müller-Plantenberg, Chile. Am Ende der liberalen Revolution, in: Lateinamerika. Analysen und Berichte, Num. 14, 1991, S. 183-193. Siehe H. Muñoz, Las relaciones exteriores del gobierno militar chileno, Santiago, 1986; zum Verhältnis Chiles zu den USA W.F. Sater, Chile and the United States. Empires in Conflict, Athens, 1990, S. 188 ff.; und H. Muñoz/C. Portales, Una amistad esquiva. Las relaciones de Estados Unidos y Chile, Santiago, 1987. Zur Außenpolitik der Regierung Aylwin siehe H. Barrios, Die chilenische Außenpolitik unter Präsident Aylwin. Politikergebnisse und Strukturdefekte des Entscheidungsprozesses, Institut für politische Wissenschaft der Universität Heidelberg, Lateinamerikaforschung - Arbeitspapier Num. 12, Heidelberg, 1994.

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Diplomatie kommt damit auch die Funktion zu, weitere Exportmöglichkeiten für chilenische Produkte zu schaffen.134 Auch unter der Einschränkung, daß die Regierung Aylwin eine typische LJbergangsregierung war und der Transitionsprozeß durch eine Fülle von Zwängen erschwert wurde, fallt die Bilanz ihrer Amtszeit in politischer Hinsicht nicht besonders positiv aus. Bei einer gründlichen Analyse der politischen Verhältnisse nach der Diktatur wird man nämlich sagen müssen, "daß nur ein sehr kleiner Teil der angestrebten politischen Reformen im Hinblick auf eine Stärkung der Demokratie und die Beseitigung autoritärer Relikte verwirklicht werden konnte und daß in diesem Bereich die Kluft zwischen programmatischem Anspruch und Regierungspraxis besonders groß war." 135 4.3.

Zur politischen Kultur des demokratischen Chile

Neben der eher bescheidenen 'politischen Leistungsbilanz' der Regierung Aylwin haben sich unter der ersten demokratisch gewählten Regierung seit der Etablierung der Diktatur aber auch weitreichende Veränderungen in der politischen Kultur des Landes offenbart. Das Regierungsbündnis der Concertaciön hat zur Absicherung und Konsolidierung des Transitionsprozesses von Anfang an einem konsensualen, auf Ausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen bedachten Politikverständnis das Wort geredet, um wirtschaftliches Wachstum mit Effizienz, fortschreitender Demokratisierung und größerer sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Im Gegensatz zur Vergangenheit strebte sie damit keine 'Mehrheitsdemokratie' mehr an, sondern ein konsens-demokratisches Modell im Rahmen eines weitreichenden Konzertierungsprozesses. Die Regierung begründete dies damit, daß ein entsprechendes Konsensmodell im Zuge des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie nicht nur für mehr Stabilität, sondern auch für eine höhere Legitimität der neuen gesellschaftlichen Ordnung sorgen könne, da es durch Minderheitenschutz gesellschaftliche Eine stärkere Indienstnahme des diplomatischen Dienstes für Unternehmerinteressen fordert der Präsident des Unternehmerdachveibandes COPROCO, J.A. Guzman: "Esto es válido para nuestros representantes de ProChile y para los del servicio diplomático. Un país moderno tiene un servicio exterior básicamente de carácter comercial y económico. No creo que debamos mantener un servicio diplomático para las relaciones políticas, porque eso ha ido perdiendo importancia relativa. No digo que se deba duplicar el servicio, pero sí poner el acento en lo comercial y económico, y establecer un buen nivel de información con el sector privado." Interview mit J.A. Guzman, El Diario 25.10.1991, S. 23. D. Nolte, Eine Wahl mit vielen Siegern: Wie gefestigt ist die chilenische Demokratie vier Jahre nach dem Regimewechsel?, in: Lateinamerika. Analysen - Daten - Dokumentation, Vol. 10, 1993, Num. 25/26 (zitiert nach dem freundlicherweise vom Autor im vorais zur Verfügung gestellten Manuskript, S. 11). 136

Polarisierungen überwinde und auch undemokratische Gruppierungen in das politische System zu integrieren verstehe. Eine solch pragmatische Konsenssuche mag zwar einerseits unter bestimmten Bedingungen durchaus geboten und in Chile eine zentrale Vorbedingung für den Übergangsprozeß gewesen sein, um das Vertrauen entscheidender Machtfaktoren der Gesellschaft (Militärs, Unternehmer, politische Rechte) zu gewinnen136, führt jedoch andererseits zu nicht unbeträchtlichen Restriktionen des politischen Prozesses und erzeugt damit erst einen Teil der Probleme, die die Regierung Aylwin nicht zu lösen in der Lage war. "Damit ist ein Konflikt angedeutet, der grundlegend für das Modell der Concertaciön ist: Auf der einen Seite wird die Konsensdemokratie als Grundlage für Regierbarkeit angesehen, weil nur so eine destabilisierende Zuspitzung vorhandenen Konfliktpotentials zu vermeiden sei. Auf der anderen Seite jedoch blockiert die Konsensdemokratie gerade den Prozeß der Demokratisierung und konserviert die autoritären Strukturen. Dies birgt die Gefahr in sich, daß nach wie vor eine Minderheit, zumindest über ihre Veto-Macht, das Sagen hat und damit den von der Regierung angestrebten Konzertierungsprozeß selbst blockiert."137 Ein übergroßes Konsensbedürfnis und eine starke Konfliktscheu, die jeder demokratischen Streitkultur abträglich sind, können zu 'perversen' Effekten führen. Zum einen führt die übermäßige Abschwächung von politischen Ideologien zu einer rein instrumentalistischen Sichtweise von Politik, zum anderen gehen damit die immer auch einer normativen bzw. ethischen Begründung bedürfenden 'großen politischen Projekte' verloren, weil sie entweder der 'Realpolitik' oder einem weitverbreiteten 'Pragmatismus' untergeordnet werden. Resultat ist eine 'minimalistische Ideologie' und generell ein 'ideologischer Minimalismus', der Politik nur als kurzfristige Politik begreift und taktischem Kalkül und unmittelbarem Erfolgsstreben verhaftet bleibt. Die 'großen Themen' der Politik und langfristige politische Perspektiven gehen unter, wenn der Konflikt nicht als essentieller Teil des Politischen begriffen und anerkannt wird. Zwar mögen nach den traumatischen Erfahrungen der Unidad Populär und der Militärdiktatur mit ihren jeweiligen Konfrontationsstrategien ein größeres Harmoniebedürfnis und eine beträchtliche Konfliktscheu verständlich erscheinen, doch führte dies die Regierung Aylwin häufig dazu, bestehende oder aufbrechende Konflikte entweder 'einzufrieren' oder sogar zu 'pathologisieren'.138 136 Ygi Q sunkel, Demokratische Konsolidierung und Entwicklung in Chile, in: Journal für Entwicklungspolitik, Vol. Vm, 1992, Num. 4, S. 361 f. 137 L. Garda/E. Rivera/J.E. Vega, Chile, in: B. Töpper/U. Müller-Plantenberg (Hrsg.), Transformation im südlichen Lateinamerika. Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay, Frankfurt/M., 1994, S. 177; siehe auch T. Moulian, Démocratie de consensus ou démocratie de conflits?, in: Problèmes d'Amérique Latine, n o Num. 11,' 1993,' S. 17-23. 1JO

Siehe M.A. Garretón, Aprendizaje y gobernabilidad en la redemocratización chilena, in: Nueva Sociedad, Num. 128, 1993, S. 155 f. 137

Politik gerinnt unter diesen Bedingungen leicht zu einer punktuellen Verfahrenstechnik, und die Demokratie wird wesentlich auf formale Aspekte verkürzt. Nicht umsonst ist die neu etablierte chilenische Demokratie in die Nähe eines schumpeterianischen Demokratiemodells gerückt worden, in der politische Eliten um Wählerstimmen konkurrieren und die Partizipation der Wähler sich auf den Wahlakt beschränkt. Mobilisierungsprozesse außerhalb der etablierten politischen Kanäle (Wahlen und Parteien) gelten als dysfiinktional für die Methoden der Herrschaftsbestellung. Die sich aus dem paktierten Übergang zur Demokratie ergebenden Begrenzungen in bezug auf die Formen der Demokratie bewirken, daß bestimmte Konflikte und umstrittene Themen im politischen System keinen Ausdruck bzw. keine politische Repräsentation mehr finden, haben zu einer wachsenden Apathie der Bevölkerung geführt und elitäre Verselbständigungsprozesse innerhalb der Parteien befördert, die nun stärker von ihrer politischen Basis abgelöst agieren. 139 Wenn die chilenische Demokratie auf der Basis eines 'Elitenkonsenses' funktioniert, so bedeutet dies, daß ein Großteil der verschiedenen sozialen Bewegungen und weite Teile der Bevölkerung vom politischen Prozeß quasi ausgeschlossen sind14® und auf eine Zuschauerrolle reduziert werden. Dies ist nicht zuletzt ein Erklärungsfaktor für den so häufig beschworenen 'Konsens über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik1 und bezüglich des Entwicklungsmodells. Die unter der Diktatur eingetretene Entpolitisierung und die nachfolgende Enttäuschung darüber, daß die Effizienz des chilenischen Modells bislang auf eine Elite begrenzt blieb und an deren Grenzen auch ihre eigenen Grenzen findet141, haben zu einer weitreichenden Politikverdrossenheit gefuhrt, die Fragen nach der Qualität und Stabilität der chilenischen Demokratie aufwerfen. Kurz vor der Präsidentschaftswahl 1989 antworteten 70% der befragten Chilenen, sie hätten lediglich geringes oder gar kein Interesse an Politik. Im Oktober 1993 antworteten drei Viertel der nach ihren Gefühlen gegenüber der Politik Befragten mit Gleichgültigkeit, Langeweile, Mißtrauen und Unbehagen. Waren noch im ersten Amtsjahr der

Vgl. J. Maitínez/M. Palacios, El voto cambiante y la distancia social a la politica, in: Proposiciones, Num. 20, 1991, S. 34-58. 14 ® Siehe J. Petras/M. Morley, Social Movements and Politicai Class in Latin America, und dies., The New Class Basis of Chilean Politics, beide in J. Petras/M. Morley, US-Hegemony Under Siege. Class, Politics, and Development in Latin America, London, 1990, S. 157-189 bzw. 232-250; auch Ph. Oxhom, Where Did All the Protesters Go? Popular Mobilization and the Transition to Democracy in Chile, in: Latin American Perspectives, Vol. 21,1994, Num. 3, S. 49-68; V. Schild, Jenseits der 'Zivilgesellschaft'. Unsichtbare Aspekte des Übergangs von der Diktatur in Chile, in: Peripherie, Num. 47/48, 1992, S. 31-48. 1 4 1 Vgl. B. Töpper, Schlußfolgerungen, in: B. Töpper/U. Müller-Plantenberg (Hrsg.), a.a.O., S. 252.

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demokratischen Regierung 75% der Befragten zufrieden, so drei Jahre später lediglich weniger als 40%. Auch die Bewertung der politischen und staatlichen Institutionen fiel nicht gerade schmeichelhaft aus. 70% der Chilenen gab z.B. in einer jüngeren Umfrage an, daß die Justiz die Mächtigen begünstige. "In der Bevölkerung dominiert die Wahrnehmung, daß vor allem die Reichen, die Unternehmer und die Politiker von der Demokratie profitiert haben." 142 Diese Befunde passen zu einer ausgeprägt technokratischen Orientierung der Politik, die sich in den 80er Jahren auch bei einer Vielzahl ehemaliger Kritiker des neoliberalen Marktmodells und heutiger Politiker durchgesetzt hat. Nach dem Abgang der zentrale Positionen innehabenden Chicago Boys ist unter der Aylwin-Regierung an deren Stelle eine Gruppe von Technokraten aus dem christdemokratisch orientierten thirik tank CIEPLAN getreten. 143 Die nach meritokratischen Gesichtspunkten ausgewählten Funktionäre der demokratischen Regierung, die fast ausnahmslos über akademische Grade aus dem Ausland verfügen, können mit ihrem Diskurs von Modernisierung, Realismus, technischer Rationalität und Effizienz praktisch bruchlos an das autoritäre Regime anknüpfen. Dabei wird immer weniger über Ziele und Inhalte von Demokratie und Politik gestritten - Begriffe, die in Chile ohnehin weitgehend von partizipativen und egalitären Konnotationen gereinigt sind -, sondern es geht vielmehr technokratisch um Mittel und Wege zur 142

D . Nolte, Eine Wahl mit vielen Siegern, a.a.O., Manuskript S. 13, wo auch die vorgängigen Umfrageergebnisse abgedruckt sind, die zum Teil auf M.A. Garretón/M. Lagos/R. Mendez, Los chilenos y la democracia, La opinión pública 1991-1994, Santiago, 1992 ff., sowie CERC-Daten zurückgehen. Instruktiv auch die Beobachtungen eines hiesigen Zeitzeugens, der in einem Beitrag zur Präsidentschaftswahl 1993 folgendes schrieb: "In Chile gibt es noch eine Klassengesellschaft, so ähnlich, wie sie sich die Marxisten vorstellen und in Europa nicht mehr finden ... Die Löhne für Arbeiter und Angestellte sind immer noch sehr gering. Die sozialen Unterschiede sind noch sehr groß. Die Oligarchie stellt ihren Reichtum auch jetzt noch in provozierender Form zur Schau. Die Reichen können mit dem Übergang zur Demokratie zufrieden sein: Sie haben zwar einige ihrer Privilegien verloren, müssen mehr Steuern zahlen, doch die wirtschaftliche Macht haben sie trotz christlich-demokratischer und sozialistischer Minister in den Wirtschaftsressorts noch ziemlich fest in der Hand. Sie können allerdings jetzt nicht mehr sich selbst die Gesetze und Normen geben für ihre geschäftlichen Aktivitäten. Über den Verlust der politischen Macht kann sich die chilenische Oberschicht damit hinwegtrösten, daß sie selbst für gesetzwidriges Handeln unter dem früheren Regime von ihren jetzt regierenden politischen Feinden keineswegs zur Verantwortung gezogen wird. Auch die Militärs haben nichts zu befürchten mit Ausnahme der wenigen - wenn auch hochrangigen - Mitglieder der militärischen Geheimpolizei, die Ausländer mit diplomatischen Status oder Chilenen im Ausland umgebracht haben ... Chile mag eine, wie es die Regierung gern ausdrückt, wachsame Demokratie sein. Es ist gewiß auch eine ... überwachte Demokratie." W. Haubrich, Obwohl jener Herr, der General, noch immer da ist, in: FAZ vom 11.12.1993.

143

Siehe P. Silva, Technocrats and Politics in Chile. From the Chicago Boys to the CIEPLAN Monks, in: Journal of Latin American Studies, Vol. 23, Part 2, May 1991, S. 385-410.

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Erreichung eines bestimmten Ziels. Mit dieser Ablösung des homo politicus durch den homo technocraticus hat sich die zunehmende Technokratisierung der Politik auch in einem 'modernen' politischen Diskurs niedergeschlagen. Anstatt von 'Volk', 'Arbeitern', 'Marginalisierten' etc. zu reden, heißt es heute 'Zivilgesellschaft', 'Bevölkerung', 'die Chilenen', 'unser Land', 'Nation' e t c . 1 4 4 Auch im parteipolitischen Spektrum hat sich ein beträchtlicher Wandel vollzogen. Dieser betraf nicht so sehr die Neustrukturierung der Parteien und das politische Spektrum insgesamt, sondern vielmehr ihre inhaltlichen Positionen und damit einhergehend eine Verschiebung hin zu konservativen Grundpositionen, die in Parteiprogrammen, Entwicklungsstrategien und internationalen Orientierungen zum 144

Siehe P. Silva, Intelectuales, tecnócratas y cambio social en Chile. Pasado, presente y perspectivas futuras, in: Revista Mexicana de Sociología, Vol. 54, 1992, Num. 1, S. 156 ff. Nur am Rande soll hier auf die beträchtliche Entwicklung eingegangen werden, die führende Politiker der Regierung Aylwin seit Anfang der 80er Jahre durchgemacht haben. Über das von einigen 'politischer Lernprozeß', von anderen 'geistige Wende' genannte Umdenken schreibt J. Petras, Chile. Democracia y pobreza o pobreza de la democracia, Punto Final Extra, Agosto 1991, S. 18/19, zugespitzt und im einzelnen überzogen, tendenziell aber durchaus zutreffend, folgendes: "Los rebeldes y disidentes de ayer son los administradores conformistas y los promotores hoy día del capital extranjero. Foxley, Ffrench-Davis, Cortázar, los 'CIEPLAN boys' que comenzaron sus carreras como virulentos críticos del modelo neoliberal de Pinochet, son hoy día sus más firmes defensores. El ex mirista y actual ministro de Economía, Carlos Ominami, es hoy día un defensor entusiasta de la irrestrícta inversión extranjera. Los ex profesionales de SUR, Tironi y Campero, en un tiempo promotores de los movimientos sociales, se han unido a la nueva clase de administradores estatales que diseñan políticas para limitar las demandas populares dentro del orden establecido. Otros, como el vocero presidencial Enrique Correa - en un tiempo defensor de la resistencia armada - promueven ahora activamente políticas que faciliten la amnistía de los generales bajo el eslogan de 'verdad y reconciliación', mientras sus antiguos camaradas de la Resistencia languidecen en la cárcel. El punto estriba en que un número sustancial de antiguos intelectuales de Izquierda ha abdicado de sus responsabilidades para con el movimiento popular. Ellos resolvieron la tensión entre un compromiso con la lucha popular y la seducción de un estilo de vida burgués eligiendo inequívocamente este último. Y fueron más allá. Ahora tratan de borrar su pasado radical falsificando sistemáticamente la naturaleza de las pasadas luchas, los cambios positivos y los heroicos sacrificios, para justificar su actual acomodamiento junto a sus antiguos adversarios. En efecto, los ex izquierdistas argumentan que en las luchas del movimiento popular, se cometieron serios errores y se perseguían objetivos socio-polfcico-s 'utópicos', mientras que las élites que las reprimieron eran los realistas pragmáticos y los arquitectos de un exitoso modelo económico. Para 'vender' esta reescritura de la historia, los intelectuales ex izquierdistas usan su posición como antiguos partícipes destacados para respaldar sus confesiones de pasados errores, sus lamentos ante los 'excesos' utópicos y su 'descubrimiento' de las 'virtudes' del mercado y de la política electoral manejada por las élites. Estas bastante obsequiosas confesiones sirven a los propósitos de asegurarles certificados de respetabilidad desde la derecha de la estructura del poder." Vgl. dazu auch die Schwerpunktnummer zu 'Markt in den Köpfen' von Lateinamerika. Analysen und Berichte, Num. 17, Unkel/Rhein, 1993.

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Ausdruck kommt. Auffällig ist zunächst einmal die Verschiebung der Stimmenanteile, der im Vergleich zu den letzten freien Wahlen auf die Links-, Mitte- und Rechtsparteien entfällt. Des weiteren zu erwähnen wären nicht nur die Spaltungen und Wendungen der Sozialistischen Partei (Particto Socialista), deren 'erneuerter' Flügel heute in wirtschaftspolitischer Hinsicht neoliberale Positionen vertritt, sondern auch die Christdemokratische Partei, die mit der Wahl von Eduardo Frei RuizTagle zu ihrem Vorsitzenden einen eindeutigen Schwenk hin zu wirtschaftsliberalen Positionen vollzogen hat. Schließlich tendiert heute das politische Spektrum im Gegensatz zur strikten Polarisierung vergangener Zeiten zur Konvergenz in der 'Mitte'. Die politischen Hauptströmungen definieren sich als Mitte-Rechts (RN und UDI), Mitte-Links (Concertación) oder gar als Mitte-Mitte (Unión del Centro-Centró). Diese 'Magie der Mitte' deutet bereits den zumindest rhetorischen Abschied von den ideologischen Auseinandersetzungen früherer Zeiten an und macht zudem das Ausmaß der Diskreditierung deutlich, dem sich 'extreme' Parteien (in Chile lediglich die kommunistisch orientierten Parteigruppierungen) gegenübersehen. Nimmt man diese Entwicklungen im Kontext, so ist es wohl keine Übertreibung zu sagen, daß insgesamt ein neuer Politikstil Einzug gehalten hat, der im deutlichen Gegensatz zur Periode vor der Diktatur steht.

145

Vgl. O. Sunkel, a.a.O., S. 362.

141

IV. Die sozioökonomische Entwicklung Chiles und die Unternehmerschaft 1.

Zur historischen Entwicklung Chiles bis 1970

Chile war bis zur Unabhängigkeit (1810) eine der zurückgebliebensten Kolonien Spaniens. 1 Die von den hacendados (Großgrundbesitzern) angeführte Unabhängigkeitsbewegung wollte den starken ökonomischen Druck auf die Kolonie seitens Spaniens abschaffen und in direkte Wirtschaftsbeziehungen mit der damals schon bedeutendsten Macht Großbritannien eintreten. Während die spanische Vorherrschaft beseitigt werden konnte, blieben die spanischen Institutionen bestehen. Die Großgrundbesitzer wurden im neu errichteten Agroexportmodell auch die grundlegende politische Kraft. Sie beherrschten den Staat, so daß nicht wenige Autoren von einer Regierung von hacendados aus hacendados für hacendados sprechen. Nach der Unabhängigkeit wurde das Land rasch besiedelt, und es folgte im Gegensatz zum übrigen Lateinamerika eine Periode außergewöhnlicher Stabilität, die mit der autoritären Herrschaft von Diego Portales eingeleitet wurde. Die Zeit von 1820 bis 1880 kann als Phase der Unterwerfung Chiles unter den britischen Imperialismus gekennzeichnet werden: Als die eher protektionistische Politik zur Mitte des letzten Jahrhunderts zugunsten eines rigiden ökonomischen Liberalismus aufgegeben wurde, strömte rasch ausländisches Kapital nach Chile. Innerhalb weniger Jahrzehnte gerieten Bergbau (Salpeter), Handel, Banken unter britische Kontrolle, und britisches Kapital drang in nahezu alle Wirtschaftsbereiche ein. Das Eindringen des Auslandskapitals wurde durch Dispositionen der einheimischen Oligarchie erleichtert, mit der Ausbeutung von Naturressourcen wie mit der Führung von Latifundien umzugehen: Statt eigene unternehmerische Aktivitäten zu entfalten, lebte sie von den Erträgen aus der Verpachtung. 2 Der in jenen Jahren etablierte Freihandel diente somit zwar sowohl den Interessen Großbritanniens wie auch der chilenischen Oligarchie, legte aber zugleich den Grundstein für eine abhängige Entwicklung. Gleichzeitig kam es zu inneroligarchischen Spannungen über die Frage von Freihandel und Protektionismus, die im Bürgerkrieg 1871 kulminierten. Der damalige Präsident Balmaceda als Vertreter nationalistischer Interessen wurde dabei das

1 2

Vgl. I. Kinsbrunner, Chile. A Historical Interpretation, New York, 1973, S. 3-46. Vgl. D. Nohlen/D. Nolte, Chile, in: D. Nohlen/F. Nuscheier (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. 2: Südamerika, Bonn, 1992, S. 282.

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Opfer gleichgerichteter Interessen der chilenischen Oligarchie und des Auslandskapitals. Mit dem sog. 'Pazifik-Krieg' (1879-1884)3 begann eine neue Etappe der wirtschaftlichen Entwicklung, denn die heutigen Nordprovinzen Chiles, die dem Land damals von Bolivien und Peru zufielen, enthielten bedeutende Bodenschätze. Dem Salpeter kam dabei eine besondere Bedeutung zu. Es war bis zur Erfindung des künstlichen Düngers neben Guano das wichtigste Düngemittel und wurde in der Folgezeit (bis etwa 1930) Chiles wichtigstes Exportgut. Die Ausbeutung dieser Ressourcen, die enorme Gewinne abwarf, wurde in großem Stil vom britischen Kapital durchgeführt. Der chilenische Staat erhöhte seine Einkünfte hauptsächlich über Exportzölle. Die Besteuerung der Salpeterexporte trug in den Jahren 1895-1920 zu über 50% zu den gesamten Steuereinkünften bei, die Steuern aus dem Export machten 60-80% des gesamten staatlichen Steueraufkommens aus. 4 Ein Teil dieser Gelder gab der Staat für die Infrastruktur, insbesondere das Bildungssystem und den Eisenbahnbau aus. Abgesehen von einer Vergrößerung der Staatseinkünfte über die Besteuerung der Exporte konnten die Chilenen jedoch kaum vom Salpeterboom profitieren, da es sich um eine typische Enklave innerhalb der Wirtschaftsstruktur handelte, die nur wenig mit der übrigen Ökonomie verbunden war und zudem ausländisch kontrolliert blieb. Das Ende des Salpeterbooms zeichnete sich durch die Herstellung künstlichen Nitrats während des Ersten Weltkrieges ab. Das endgültige Aus kam dann mit der Großen Depression 1929, in der der Wert der Exporte auf das Niveau von 1880 zurückfiel. Die Salpeterexporte bedeuteten zwar einerseits einen großen Impuls für den chilenischen Exportsektor, und das Salpeter verwandelte sich in einen bedeutenden Motor des Wirtschaftswachstums. Andererseits verschärften sie aber durch ihre geringen linkage-Effekte Unterentwicklung und Abhängigkeit. Dem Staat kam trotz der vorherrschenden Laissez faire-Ideologie eine immer stärkere Rolle zu. Nicht nur stammte ein großer Teil seiner Einnahmen aus der Besteuerung des Außenhandels, sondern auch der Anteil der Regierungsausgaben am BSP verdoppelte sich bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Die großen Salpetervorkommen in den Provinzen Tarapacá und Antofagasta, die damals zu Peru und Bolivien gehörten, wurden von chilenischen Unternehmern entdeckt und seit 1860 auch durch britisches Kapital ausgebeutet. Als die Regieningen Perus und Boliviens die Vorkommen, die damals als die größten der Welt galten, in Besitz nehmen und die Chilenen vertreiben wollten, fühlte dies zum Krieg mit Chile, welches dann die nördlichen Provinzen samt den Salpetervorkommen gewann. Siehe M.J. Mamalakis, The Growth and Structure of the Chilean Economy. From Independence to Allende, New Häven, 1976, S. 38; P. Meiler, Una perspectiva de largo plazo del desarrollo económico chileno 1830-1990, in: M. Blomström/P. Meiler (Coord.), Trayectorias divergentes. Comparación de un siglo de desarrollo económico latinoamericano e escandinavo, Santiago, 1990, S. 55. 143

Die geringer werdende Bedeutung des Salpeters wurde durch den verstärkten Ausbau der Kupferindustrie ausgeglichen. Kupfer wurde nun wie ehedem Salpeter zum Hauptexportprodukt des Landes. Diese Entwicklung wurde noch dadurch verstärkt, daß es gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund der Expansion der Elektroindustrien und dem Bauwesen auf dem Weltmarkt zu einer starken Nachfrage nach Kupfer kam. Zudem machten technologische Innovationen auch den Abbau von Mineralien mit nur geringem Kupferanteil in großem Maßstab rentabel. Es waren diesmal nordamerikanische Firmen, die 1904 die größte unterirdische Kupfermine El Teniente und 1911 die größte im Tagebau kupferproduzierende Mine Chuquicamata in Betrieb nahmen und die Produktion schnell steigerten, so daß auf diese beiden Minen schließlich über 80% der chilenischen Produktion entfielen. Der chilenische Staat beschränkte sich hier ebenso wie im Fall des Salpeters darauf, Produktion und Export von Kupfer zu besteuern.^ In der Weltwirtschaftskrise wurde Chile aufgrund seiner hohen Abhängigkeit vom Weltmarkt schwer getroffen. Durch die Schwächung der Exportsektoren und den starken Preisverfall für Exportgüter wurde eine Umorientierung der Entwicklungsstrategie weg vom Weltmarkt und hin zum Binnenmarkt notwendig. Eine stärkere Industrialisierung über die Substitution von Importen wurde angesichts der Schwere der externen Schocks als unerläßlich betrachtet. 1932 war bezogen auf die Jahre 1927-1929 das BSP um fast 40% gefallen, Exporte und Importe hatten sich um ca. 80% reduziert, das Exportvolumen und die Preise von Nitrat und Kupfer waren um ca. 70% gefallen.^ Die einzelnen Variablen erholten sich nur langsam, und Bergbauprodukte behielten bis in die jüngste Geschichte des Landes hinein eine überragende Bedeutung für die chilenische Ökonomie. Mit den verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ging auch die liberale Wirtschaftspolitik zu Ende. Der immer stärker einsetzende Staatsinterventionismus wurde nun ein zentrales Element der nachfolgenden sozioökonomischen Entwicklung.7 Im Zuge der Importsubstitution kam dem Staat eine neue Rolle zu. Er förderte die Industrialisierung durch ein Bündel von Maßnahmen, welches einen hohen Zollschutz für den Binnenmarkt, billige Kredite und Steuerbefreiungen ebenso beinhaltete wie Wechselkurskontrollen, Importrestriktionen und öffentliche Investitionen. Die 1939 gegründete Corporación de Fomento de la Producción (CORFO) förderte in besonderem Maße direkt (mittels eigener Investitionen) oder indirekt (über finan5

6 7

Siehe zu weiteren Aspekten dieser Entwicklung C. Cariola/O. Sunkel, Un siglo de historia económica de Chile 1830-1930, Santiago, 1990, S. 13-193. Vgl. P. Meiler, Una perspectiva ..., a.a.O., S. 66 f. Siehe zum folgenden allgemein L. Spielmann, Staatsinterventionismus oder ökonomischer Liberalismus? Wirtschaftliche Entwicklungsstrategien in Chile von der Weltwirtschaftskrise bis Pinochet, Münster, 1993, S. 41-140; O. Muñoz, Economía y sociedad en Chile. Frustración y cambio en el desarrollo histórico, Apuntes CIEPLAN, Num. 108, Santiago, 1992.

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zielle Unterstützung und Kredite) industrielle Projekte und investierte in infrastrukturelle Bereiche. Sie blieb die Hauptinstitution zur Wachstumsförderung und der Implementierung von Entwicklungspolitiken. Die CORFO gründete zwischen Anfang der 40er und Mitte der SOer Jahre Staatsunternehmen im Zwischengüterbereich und bei den Basisindustrien: im Bereich der Energieversorgung das Empresa Nacional de Electricidad (ENDESA, 1944); im Bereich der Stahlherstellung die Compañía de Acero del Pacifico (CAP, 1946); für die Treibstoffherstellung das Empresa Nacional de Petróleos (ENAP, 1950); in der Zuckerproduktion die Industria Azucarera Nacional (IANSA, 1952). Hinzu kamen die Produktionsstätten für die Armee und die Flotte (FAMAE und ASMAR) sowie im Telekommunikationssektor (ENTEL - Empresa Nacional de Telecomunicaciones). Darüber hinaus verfugte der Staat über Unternehmen im Fischereibereich, in der Elektro- und Haushaltsgeräteindustrie, in der chemischen und Zementindustrie sowie in der Forstwirtschaft. Staatliche Unternehmen wurden also in strategischen Bereichen der Ökonomie gegründet, denen eine hohe Steuerungsfunktion zukam. Sie gehörten zu den größten chilenischen Unternehmen. Bis Anfang der 70er Jahre kam der CORFO über eigene Unternehmen oder die Kreditvergabe eine zentrale Rolle in der Wirtschaft zu. Über die Banco del Estado kontrollierte der Staat mehr als die Hälfte aller Kredite an den Privatsektor. Dazu hatte er den Im- und Exportbereich stark reguliert. Gegen Ende der 60er Jahre trug der Staat zu über 40% zum BSP bei, und auf ihn entfielen über 50% der Bruttoinvestitionen in fixem Kapital. Darüber hinaus war er bei 25% aller Bruttoinvestitionen indirekt beteiligt.8 Der Staat übernahm damit die Rolle des Förderers der Wirtschaft, war selbst unternehmerisch tätig und setzte die langfristigen Entwicklungsleitlinien. Die Industriellen (SOFOFA) waren mit einer aktiveren Rolle des Staates einverstanden und unterstützten die Bildung der CORFO, da die Protektion des Binnenmarktes erhöht wurde. Sie stimmten mit ihr darin überein, daß der Staat nationale Entwicklungsprogramme formulieren sollte, wenn die entsprechenden Ressourcen an den Privatsektor kanalisiert würden. Sie sprachen sich allerdings gegen die Schaffung von Staatsunternehmen aus, da dies zu einem ungleichen Wettbewerb führe. Hauptsorge der Landoligarchie war es dagegen, das Aufbrechen sozialer Konflikte auf dem Lande zu verhindern. Dies führte zu einem politischen Kompromiß: Die parlamentarischen Vertreter der Großgrundbesitzer sollten die Schaffung der CORFO gegen das Versprechen unterstützen, daß die Regierung nicht die Bildung von Landarbeitergewerkschaften fördert und die sozialen Verhältnisse auf dem Lande unangetastet bleiben. Auf diese Weise konnte die Agraroligarchie ihre Machtposition auf dem Lande erhalten.9 Siehe B. Stallings, Class Conflict and Economic Development in Chile, Stanford, 1978, S. 46 ff. Vgl. O. Muñoz/A.M. Amagada, Orígenes políticos y económicos del estado empresarial en Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 16, 1977.

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Damit wurden nicht nur dem bereits seit längerem bestehenden chilenischen Industriekapital günstige Expansionsmöglichkeiten und finanzielle Unterstützung gewährt, sondern auch den in den 30er und 40er Jahren neu entstehenden Sektoren der Industrieunternehmerschaft, die sich aus der rohstoffexportierenden Bourgeoisie und den großen Landbesitzern, den Unternehmensbereichen des Import-Exporthandels und des Distributionssektors, mittleren Kapitalen und europäischen und arabischen Händlern sowie aus mittleren und kleinen Industriellen und Handwerkern, die ihr Kapital vergrößern konnten, rekrutierten, ein besonderer Schutz und Förderung zuteil. Obwohl sich der gesamtökonomische Akkumulations- und Wachstumsprozeß in den kommenden Jahren im Rahmen einer abhängigen Weltmarktintegration vollzog, durchlebte Chile seit den 30er Jahren eine bedeutsame wirtschaftliche Entwicklung 10 , die allerdings nur bis Mitte der 50er Jahre anhielt, als sich die erste Phase der Importsubstitution zu erschöpfen begann. Externe Engpässe und ein in bezug auf die Nachfrage begrenzter Binnenmarkt hatten nur geringe dynamisierende Wirkungen auf die Ökonomie. Seit dieser Zeit war die Entwicklung von einer integralen Krise mit langandauernder Stagnation geprägt, die trotz kleinerer Aufschwünge zu Beginn der 60er Jahre nicht überwunden werden konnte. Dies spiegelte sich v.a. in den unterschiedlichen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten wider. Während das BSP in den 40er Jahren noch im jährlichen Durchschnitt um 3% wuchs, was bei dem geringen Bevölkerungswachstum zu einer deutlichen Erhöhung des BSP pro Kopf führte, sank das Wachstum seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre auf ca. 2% ab. Dies bedeutete bei der rascheren Bevölkerungszunahme jener Jahre eine Stagnation und sogar einen Rückgang des Pro Kopf-Einkommens. Verlief die Entwicklung im industriellen Sektor dynamisch, so konnte die Produktion des landwirtschaftlichen Sektors nicht einmal mit dem Bevölkerungswachstum standhalten. Damit verschoben sich auch die Gewichte der einzelnen Wirtschaftssektoren und ihr jeweiliger Beitrag zum BSP. Der Landwirtschaftssektor verringerte seinen Anteil, wohingegen der von Industrie, Handel und Dienstleistungen zunahm. Die chilenische Handelsbilanz wies über Jahre hinweg zum Teil beträchtliche Defizite auf, da insbesondere Kapitalgüter, aber nach wie vor auch in erheblichem Umfang Konsumgüter importiert werden mußten; auf der Exportseite wurde das Land immer abhängiger von Bergbauprodukten, wohingegen der Anteil der Agrargüterexporte zurückging, der von Industriegütern mit fallender Tendenz stagnierte. Die Verteilung der Erwerbsbevölkerung folgte der Gewichtsverlagerung der Wirtschaftssektoren. Die insgesamt eher stagnative Entwicklung und die geringen Wachstumsraten führten zu einer für damalige Verhältnisse relativ hohen Arbeitslosenrate, die für 10

Siehe allgemein M.J. Mamalakis, The Growth and Structure of the Chilean Economy, a.a.O.; M. Mamalakis/C.W. Reynolds, Essays on the Chilean Economy, Homewood/El., 196S; O. Muñoz, Chile y su industrialización. Pasado, crisis y opciones, Santiago, 1986.

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die Zeit von Mitte der 50er Jahre bis 1970 bei über 6% lag. Ein weiteres Problem der Jahre 1940-1970 bildete die Inflation, die im Durchschnitt 30% pro Jahr betrug. In direkter Verbindung damit stand eine sich schnell verschlechternde Einkommensverteilung: Anfang der 60er Jahre entfielen auf die obersten 5% der Bevölkerung 25% des gesamten Einkommens, auf die mittleren 45% knapp 60%, und auf die unteren 50% der Bevölkerung lediglich 15%. 11 Ähnliche Ungleichheiten existierten in der Reichtumsverteilung und in der Besitzstruktur, d.h. es gab eine ausgeprägte Besitzkonzentration in der Industrie und der Landwirtschaft, im Handelsund Finanzsektor. 12 Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung nach einzelnen Sektoren, so war der industrielle Sektor, der sich unter dem Schutz des Staates und dessen aktiver Beteiligung entwickelte, seit den 30er Jahren der dynamischste Sektor der Volkswirtschaft. Er verzeichnete bis Anfang der 50er Jahre hohe Wachstumsraten von 10%. Dieses Wachstum verlief stark zyklisch, und es gab Perioden mit absoluten Rückgängen der Produktion in den Jahren 1948/1949 und 1955-1958. Nach Sektoren aufgeschlüsselt nahm in den 60er Jahren die Produktion von Konsumgütern stark unterdurchschnittlich, die von Zwischengütern und Halbfertigprodukten im Einklang mit der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate des Industriesektors und des metallmechanischen Sektors (Maschinen, Fahrzeuge, Metallprodukte) stark zu. Der Importsubstitutionsprozeß war damit zwar partiell erfolgreich, verlief aber äußerst ungleichmäßig. Er vollzog sich in den 60er Jahren unter Partizipation des Auslandskapitals. Zwar blieb das Gesamtvolumen der Auslandsinvestitionen eher bescheiden, dennoch erlangten ausländische Unternehmen in den dynamischen Industriebranchen wichtige Beteiligungen. Von den 100 größten Industrieunternehmen wurden etwa die Hälfte in der Zeit von 1920-1970 dauerhaft vom Auslandskapital beherrscht, knapp 40% wiesen mehr oder weniger starke Minderheitsbeteiligungen auf. 13 Ein weiteres herausragendes Merkmal des industriellen Sektors war sein hoher Konzentrationsgrad. Wenige Unternehmen in den einzelnen Industriezweigen vereinigten jeweils das Gros der Produktion auf sich, einige Branchen 11

o

Siehe B. Stallings, a.a.O., S. 49 f. Überblicksdarstellungen dieser Periode finden sich bei D. Boiis/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 82-242; D. Nohlen, Chile. Das sozialistische Experiment, Hamburg, 1973, S. 36113; A. Pinto, Desarrollo económico y relaciones sociales, in: A. Pinto u.a., Chile hoy, México D.F., 1970, S. S-S4; S. Aranda/A. Martínez, Estructura económica: algunas características fundamentales, in: A. Pinto u.a., a.a.O., S. 55-172; zu den sozialen Kräfteverhältnissen J. Petras, Politics and Social Forces in Chilean Development, Berkeley, 1969; zu den unterschiedlichen Entwicklungsmodellen B. Stallings, a.a.O., S. 51-125, und R. FfrenchDavis/O. Muñoz, Desarrollo económico, inestabilidad y desequilibrios políticos en Chile 1950-1989, in: Colección Estudios CIEPLAN,»Num. 28,» 1990,• S. 121-156. Das Gros der Auslandsinvestitionen konzentrierte sich im Bergbau. Siehe O. Caputo/R. Pizarro, Dependencia y inversión extranjera, in: A. Pinto u.a., a.a.O., S. 173-212.

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waren sogar gänzlich monopolistisch strukturiert. 14 Die Unternehmer selbst reinvestierten ihre Gewinne weniger produktiv, als daß sie sie unproduktiv verwendeten bzw. dem privaten Konsum zuführten. 15 Das starke Anwachsen direkter staatlicher Wirtschaftsaktivitäten muß auch vor diesem Hintergrund gesehen werden, so daß sich die Interessen von Staat und Industrieuntemehmerschaft über lange Jahre überaus funktional ineinanderfügten. So entstanden im wesentlichen nicht konkurrenzfähige Industriezweige, deren Unternehmer in einem korporatistisch strukturierten Beziehungsgeflecht von Staat und Gesellschaft hauptsächlich auf billige Vorteile wie staatliche Förderung und Subsidiierung bedacht waren. ^ Es war nicht zuletzt die Konzentration des Erwerbsvermögens und die Errichtung von Oligopol- und Monopolstellungen, die zu geringer Investitionstätigkeit, zu niedrigem Produktionswachstum und zu großteils unausgelasteten Kapazitäten führte.

14

Siehe M. Zeitlin/R.E. Ratcliff, The Concentration of National and Foreign Capital in Chile 1966, in: J.S. Valenzuela/A. Valenzuela (Eds.), Chile. Politics and Society, New Brunswick, 1976, S. 297-337; D. Nohlen, Chile. Das sozialistische Experiment, Hamburg, 1973, S. 60. Dies hatte unter den gegebenen Umständen durchaus 'rationale' Gründe. "Die Gründe für die Erscheinungsformen dieses (besonders krassen) Beispiels eines deformierten, stagnierenden, unterentwickelten kapitalistischen Systems sind vielfältig und interdependent ... Gegenüber der Meinung, die chilenische Großbourgeoisie sei zu konsumorientiert, als daß sie in ausreichendem Umfang ihre Profite produktiv reinvestiere, muß der These beigepflichtet werden, daß ihr Investitionsgebaren im Einklang mit dem kapitalistischen Profitmaximierungskalkül in einem unterentwickelten Land steht. Ihr Problem besteht zuvörderst in der Schwierigkeit der rentablen Wiederanlage von Monopolprofiten. In ihrem eigenen Tätigkeitsbereich zu investieren, um damit die Produktion zu erweitern oder zu rationalisieren, ist aus mehreren Gründen nur in Ausnahmefällen opportun. Eine Steigerung der Produktionsmenge ist angesichts der schmalen und kaum sich erweiternden Märkte im eigenen Land wenig sinnvoll; für die Exportproduktion sind die Unternehmen in der Regel wenig konkurrenzfähig. Aus diesem Grund können häufig die Vorteile der durch die fortgeschrittene Technologie sich anbietenden Großserienproduktion (mit verringerten Stückkosten) nicht wahrgenommen werden, zumal auch von der Konkurrenzsituation und der Profitlage her keineswegs ein Zwang dazu ausgeht. Eine arbeitssparende Rationalisieningsinvestition braucht nicht vorteilhaft zu sein, da das Produktionselement 'Arbeit' ohnehin nicht sehr teuer ist und andererseits größere Anteile an Vorprodukten, Halbmaterialien und Energieelementen wiederum zu Kostensteigerungen führen können, da sie verhältnismäßig kostspielig sind oder aus dem Ausland bezogen werden müssen. Die Verauslagung von Kapital für die neue Anlage kann überdies nur gerechtfertigt werden, wenn hierdurch nicht die Überkapazitäten soweit erhöht werden, daß die vorherige Profitrate zumindest gehalten, wenn nicht übertroffen wird; doch kann die Verstärkung der Marktkontrolle durch vorübergehende Preissenkung und anschließende unangefochtene Preiserhöhung (insbesondere bei preisunelastischen, notwendigen Massenkonsumgütem) ein ebenso wichtiges Motiv sein. Wenn hier die Anlagemöglichkeiten erschöpft sind, kann es durchaus rational sein, Gold, Land oder Devisen zu kaufen bzw. andere unproduktive Anlagen von Geldkapital vorzuziehen." D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 128 f.

6

Vgl. V. Brodersohn, Sobre el carácter dependiente de la burguesía industrial, in: A. Pinto u.a., a.a.O., S. 322-344.

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Die chilenische Landwirtschaft war bis zur Mitte der 60er Jahre durch die in der Kolonialperiode entwickelte und seither nahezu unveränderte Besitz- und Betriebsstruktur geprägt, die durch die Monopolisierung des Bodens in wenigen Händen auf der Basis einer extensiven Produktionsstruktur für agrarische Exporte gekennzeichnet ist. Ihr sinnfälligster Ausdruck war die Hacienda?1 Mitte der 60er Jahre verfügten 85% aller Besitzungen nur über knapp 6% der landwirtschaftlichen Fläche, während 5,3% Großgrundbesitzer über knapp 87% der landwirtschaftlichen Fläche verfügen konnten.18 Zwar ging die Bedeutung der Landwirtschaft - was ihren Anteil am BSP und die in ihr beschäftigte Erwerbsbevölkerung angeht - kontinuierlich zurück, dies konnte aber nicht über die sich potenzierenden Krisentendenzen in diesem Sektor hinwegtäuschen. Seit Mitte der 30er Jahre hatte sich die agrarische Nutzfläche nicht mehr erweitert. Auch wenn die Hektarerträge zwischen 1935 und 1955 um 20% gesteigert werden konnten, so reichte dies doch nicht für die Ernährung einer schneller wachsenden Bevölkerung. Die kontinuierlich abnehmende Pro Kopf-Produktion machte Chile bereits Anfang der 40er Jahre zu einem Nettoimporteur von Grundnahrungsmitteln. Die Stagnation der Landwirtschaft ging immer stärker auch zu Lasten produktiver Investitionen in anderen Bereichen. Sie schuldete sich vornehmlich der Bodenkonzentration. Eine grundlegende Agrarreform (tiefgreifende Veränderungen in der Besitz- und Betriebsstruktur, den Arbeitsund sozialen Verhältnissen auf dem Lande), die die überkommenen Produktionsverhältnisse im Agrarbereich hätte überwinden können19, kam nicht zustande, obwohl das Industriekapital die Agraroligarchie als dominante Fraktion der Bourgeoisie abgelöst hatte. Daß es zu keinem Bruch zwischen Industriellen und Agrariern kam, ist zum einen auf den spezifischen Entstehungskontext des Industriebürgertums zurückzuführen, zum anderen auf die enge Verflechtung von Agrar- und Industriekapital über Familienbande. "Zwar büßte der Landbesitz als solcher seine frühere politische Bedeutung ein, doch verblieben die Latifundistas in den Zentren ökonomischer und politischer Macht. Erst die langanhaltende ökonomische Stagnation in Verbindung mit einer zunehmend schneller voranschreitenden sozialen und politischen Polarisierung auf dem Lande21 führte die christdemokratisch reformorientierte Regierung Frei dazu, 1967 ein Agrarreformgesetz zu verabschieden, dessen Schwerpunkt im Gegensatz zu gescheiterten Versuchen des konservati17 18 19 20

21

Vgl. C. Kay, El sistema señorial europeo y la hacienda latinoamericana, México D.F., 1980. Siehe D. Nohlen, a.a.O., S. 53. Siehe dazu D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 87-107. D. Nohlen, a.a.O., S. 54. Siehe auch M. Zeitlin/W.L. Neumann/R.E. Ratcliff, Class Segments: Agrarian Property and Political Leadership in the Capitalist Class of Chile, in: American Sociological Review, Vol. 41, 1976, Num. 6, S. 1006-1029. Siehe B. Loveman, Struggle in the Country Side. Poliücs and Rural Labor in Chile, 19191973, Bloomington, 1976; und J. Petras/H. Zemelman Merino, Peasants in Revolt. A Chilean Case Study, 1965-1971, Austin, 1972. 149

ven Präsidenten Alessandri 1962 eindeutig auf der Umstrukturierung der Produktionsverhältnisse lag und somit auf die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion entsprechend den Erfordernissen der gesamten Ökonomie, der sozialen Integration der Landarbeiter und der Umverteilung des Einkommens ausgerichtet war. Die Agrarreformbehörde CORA konnte nun Ländereien enteignen, deren Gesamtgröße 80 ha bewässerten Bodens überschritt, die schlecht oder gar nicht bewirtschaftet wurden, die im Eigentum 'juristischer Personen' (also von Kapitalgesellschaften) waren, und die nach dem Amtsantritt Freis rechtlich geteilt wurden, um einer Enteignung zu entgehen. Die Entschädigungshöhe richtete sich nach dem Fiskalwert der Ländereien. So fortschrittlich diese Gesetzgebung einerseits auch war, so bescheiden blieben jedoch andererseits die Ergebnisse der Land Verteilung. In der Amtsperiode Freis konnten 1410 fimdos mit einer Gesamtfläche von 3,6 Mio. ha enteignet werden, doch waren dies lediglich 13% der Latifundien mit 18% der landwirtschaftlichen und nur 12% der bewässerten Fläche. Das erklärte Ziel der Ansiedlung von 100.000 landlosen Familien von einer insgesamt dreifach höheren Zahl entsprechender Familien wurde nur zu einem Fünftel erreicht. 22 Die ökonomische und politische Macht der Latifundisten wurde infolge des langsamen Rhythmus der Enteignungen durch diese Reform nicht ernsthaft angetastet, da die traditionellen Formen der Kommerzialisierung und Kreditvergabe weitgehend bestehen blieben und sich Produktion und Produktivität nur langsam erhöhten. 23 Die weitreichendste Bedeutung der Freischen Agrarreform kann in der Gesetzgebung als solcher gesehen werden, denn sie ermöglichte einerseits die bis dahin unbekannte Organisierung und Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung, andererseits gab sie der Unidad Popular die verfassungsmäßigen Mittel zur Zerschlagung des traditionellen Großgrundbesitzes in die Hand. 24 Der Bergbausektor hatte in Chile seit jeher eine enorme wirtschaftliche und soziale Bedeutung. 25 Mit dem Ende des Salpeterbooms seit dem Ersten Weltkrieg erlangte das Kupfer wieder einen außerordentlichen Stellenwert. 2 ^ Seit der Erschließung der Kupferminen Anfang dieses Jahrhunderts blieben diese ununterbrochen unter US-amerikanischer Kontrolle. Durch den zügigen Ausbau und die enorme Produktionssteigerung dieser Minen (die sog. Gran Mineria) bildete sich in den Folgejahren eine Polarisierung zwischen Gran Mineria und dem mittleren und 22 j'i Vgl. D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 222 ff.

24 25

26

Zur politischen Opposition gegen die Landreform siehe R.R. Kaufman, The Politics of Land Reform in Chile 1950-1970. Public Policy, Political Institutions, and Social Change, Cambridge, 1972. Siehe S. Barraclough u.a., Chile. Reforma agraria y gobierno popular, Buenos Aires, 1973. Siehe zum folgenden allgemein C.W. Reynolds, Development Problems of an Export Economy. The Case of Chile and Copper, in: M. Mamalakis/C.W. Reynolds, a.a.O., S. 203398. Vgl. W.J. Barclay, The Political Economy of Copper, Michigan, 1976.

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kleinen Bergbau heraus, die mit einer Differenzierung von ausländischen und nationalen bzw. staatlichen Unternehmen zusammenfiel. "Von Anfang an schon bildete die völlig unter US-Herrschaft geratene 'Gran Minería' des Kupfers in geradezu idealtypischer Reinheit das Beispiel einer Enklavenwirtschaft, die fast vollständig isoliert vom chilenischen Wirtschaftskreislauf blieb, sich sehr rasch entwickelte, Riesenprofite abwarf und durch deren unmittelbare Transferierung in die USA der chilenischen Wirtschaft enorme Wachstumspotenzen entzog." 27 Der Anteil des Kupfers am Export erhöhte sich bis Ende der 60er Jahre auf fast 80%. Die Abhängigkeit von einem Exportprodukt zeigte sich nicht nur in den großen Schwankungen der Weltmarktpreise für Kupfer (die direkte Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung, die Importkapazität, die Finanzierung von Investitionen und den Staatshaushalt hatte), sondern auch darin, daß die Entscheidungen über Produktionsvolumen und Kommerzialisierung im Ausland getroffen wurden. Da beinahe die gesamte Produktion exportiert, die notwendige Maschinerie aus den USA importiert wurde und die kapitalintensive Produktion nur wenige Arbeitskräfte absorbierte, bestand der einzige Nutzen der Kupferproduktion für Chile in den auf die Produktion erhobenen Steuereinnahmen. Diese waren zunächst außerordentlich gering, stiegen aber im Laufe der Jahrzehnte an 2 8 , was mit der Haltung der USKonzerne korrespondierte, entsprechend weniger Neuinvestitionen für die Erweiterung der Produktion vorzunehmen. Der Versuch, die chilenische Partizipation an der Kupferproduktion zu erhöhen und über Neuinvestitionen sowohl die Kupferproduktion zu steigern wie auch die Weiterverarbeitungskapazitäten für Kupfer in Chile auszuweiten, kontrastierte mit dem Wunsch der Aufrechterhaltung höchster Profite seitens der US-Gesellschaften und führte zu einem konfliktiven Verhältnis zwischen chilenischem Staat und den US-Gesellschaften, die die Versuche zur Erhöhung des chilenischen Anteils nicht zuletzt aufgrund der nur halbherzig betriebenen Maßnahmen mit verschiedenen Mitteln abwehren konnten. Damit fielen die Interessen des chilenischen Staates und der ausländischen Konzerne immmer stärker auseinander. 2 ^ Erst die Regierung Frei betrieb energisch eine Nationalisierung des Kupfers auf dem Verhandlungswege. Die sog. 'Chilenisierung' umfaßte die folgenden Punkte: Chile übernahm zunächst 51% der Aktien der drei großen Unternehmen der Gran Minería mit der Option auf die übrigen 49% in den 70er Jahren. Das Abkommen sah gleichzeitig eine bedeutsame Erhöhung der Kupferproduktion vor, wobei die 27 28

D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 110 f. P. Melier spricht von 11% 1925 und 66% in den 60er Jahren. Siehe P. Melier, Una perspectiva de largo plazo ..., a.a.O., S. 59. Für eine Kritik der verfolgten Kupferpolitik siehe R. Ffrench-Davis, La importancia del cobre en la economía chilena, in: R. Ffrench-Davis/E. Tironi (Eds.), El cobre en el desarrollo nacional, Santiago, 1974. 151

dazu erforderlichen Investitionen von US-Unternehmen und Staat gemeinsam aufgebracht werden sollten. Die Kritik an der ausgehandelten Nationalisierung entzündete sich rasch, als klar wurde, daß Kosten und Nutzen zwischen US-Konzernen und chilenischem Staat sehr ungleich verteilt waren. Die Orientierung des Kaufpreises am Marktwert, die Gewährung von Steuer-, Einfuhr- und Devisenvergünstigungen bei weiterhin hohen Gewinnen etc. zugunsten der Kupferunternehmen und Investitionen, die ausschließlich zu Lasten des chilenischen Staates gingen, ließen diese Art der 'Chilenisierung' keineswegs als vorteilhaft erscheinen 30 , so daß angesichts zusätzlicher Boykottmaßnahmen der US-Konzerne bereits gegen Ende der 60er Jahre die Forderung nach einer vollständigen Nationalisierung dieser strategischen Ressource auch in den Reihen der Christdemokraten immer lauter wurde.

2.

Die Zeit der Unidad Popular

Die Machtübernahme der Unidad Popular unter Allende (1970-1973) stellte einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte des Landes insofern dar, als erstmals die kapitalistische Wirtschaftsverfassung radikal in Frage gestellt wurde. Dies markierte einen bedeutenden Unterschied zu den vorangegangenen Reformprozessen, die nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln als solches, sondern lediglich dessen Anachronismen abschaffen wollten. Die Staatsintervention diente bis dato dazu, die Wirtschaft zu regulieren und die Aktivitäten des Privatsektors zu ergänzen, um so den Prozeß der Kapitalakkumulation abzusichern und für eine Redistribution der Einkommen zu sorgen. Ziel der Politik der UP war die Beseitigung des Kapitalismus und der Übergang zum Sozialismus, der mittels der Enteignung des nationalen und transnationalen Großkapitals, der Verstaatlichung der Kupfer-, Eisenerz- und Salpeterminen, einer radikalen Agrarreform und dem Übergang zu einem sozialistischen Institutionengefüge bewerkstelligt werden sollte. 31 Durch eine weitreichende Umverteilung der Einkommen sollte eine größere Verteilungsgerechtigkeit erreicht werden. Damit betrieb die Regierung gleichzeitig eine strukturelle Transformation der Ökonomie und der politischen Strukturen, da politische und ökonomische Zielsetzungen untrennbar verbunden waren. Im Mittelpunkt stand die Bildung eines Sektors gesellschaftlichen Eigentums (Area de Propiedad Social, APS), der aus den 91 größten Industrieunternehmen des Landes, der Gran Mineria, dem privaten Bankensystem und den großen Handelsunternehmen gebildet werden sollte. Außenhandel und Basisdienstleistungen wurden ebenfalls verstaatlicht. Die Regierung kaufte über die CORFO entweder die 30 J

Siehe die detaillierte Kritik bei D. Boris/E. Boris/W. Ehrhardt, a.a.O., S. 194 ff. Siehe zum folgenden genauer St. de Vylder, Allende"s Chile. The Political Economy of the Rise and Fall of the Unidad Popular, Cambridge, 1976; und S. Bitar, Chile. Experiment in Democracy, Philadelphia, 1986.

152

Aktien der Unternehmen auf, um so zu einer Mehrheitsbeteiligung zu gelangen, oder die Unternehmen wurden im Zuge von 'Arbeitskonflikten' oder 'wirtschaftlichen Schwierigkeiten' unter Staatsaufsicht gestellt. Am Ende der Regierungszeit der UP kontrollierte die CORFO insgesamt 507 Unternehmen (gegenüber 46 1970). In 10% dieser Unternehmen besaß der Staat eine Beteiligung von weniger als 10%, in 4 % eine zwischen 10% und 5 0 % , und in 3 8 % der Fälle hielt der Staat eine Mehrheitsbeteiligung. Die verbleibenden Unternehmen waren 'interveniert' oder requiriert. Der industrielle Sektor der APS repräsentierte 32% der Umsätze, 24% der Beschäftigung, 69% des Kapitals und 32% des Kreditgeschäfts. 32 Im Agrarsektor wurde die Landreform beschleunigt 33 vorangetrieben und der Landbesitz auf 80 Basishektar begrenzt. Es wurde ein Reformsektor geschaffen, der schließlich 40% der bewässerten Fläche umfaßte. Die traditionellen Latifundien wurden beseitigt und die Macht der Großgrundbesitzer entscheidend unterhöhlt. Damit rüttelte die Regierung Allende nicht nur an den Grundpfeilern der alten Landbesitzerklasse, der ausländischen Konzerne und der traditionellen agroindustriellen Finanzoligarchie, sondern auch am Besitz der monopolistisch strukturierten Industriebourgeoisie, die v.a. unter der Regierung Frei expandiert war. 3 4 Die ökonomische Basis der Bourgeoisie wurde erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Die Steigerung der Binnennachfrage und die Ausweitung der Konsummöglichkeiten, die durch die redistributive Politik zugunsten der unteren Einkommensschichten, die günstige Devisensituation und die höhere Auslastung vorhandener Produktionskapazitäten möglich wurde, führte 1971 zu einem beträchtlichen Wachstum. Damit ging eine Beschäftigungsexpansion und eine Verringerung der Arbeitslosigkeit einher. Mit der Erschöpfung der Reserven und in dem Maße, wie sich die sozialen Konflikte in den Fabriken und den Minen verschärften, wurde die Inflation angeheizt, kam es zur Bildung von Schwarzmärkten und zur Stagnation der Ökonomie. Da dem Programm der UP hinsichtlich einer konsequenten Wirtschaftspolitik die innere Kohärenz fehlte und die Regierung selbst keine effektive Wirtschaftsplanung in Angriff nahm, führte die ungenügende Abstimmung der politischen und wirtschaftlichen Strategie schließlich zu schwerwiegenden Ungleichgewichten in der Ökonomie. Haushalts- und Fiskaldefizit wurden immer größer; J

33

34

Siehe Andres Sanfuentes, Los grupos económicos. Control y políticas, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 15, 1984, S. 139. Als Basishektar (hectar de riego básico - HRB) galt ein ha bewässerten Landes in der Zentralzone Chiles. Böden schlechterer Qualität, etwa im Norden, Süden oder an den Berghängen, wurden auf diesen Basishektar bezogen, so daß entsprechend die Grenze für Enteignungen hier weit über 80 ha liegen konnte. Siehe zu dieser Entwicklung H. Calderón, Veränderungen in der Klassenstruktur der chilenischen Bourgeoisie 1970-1980, in: H. Caldertín/J. Ensignia/E. Rivera, Chile. Der Monetarismus an der Macht, Hamburg, 1982, S. 16-23.

153

durch das Ausgabeverhalten des Staates kam es zu einer schnellen Geldentwertung. Die große politische Dynamik jener Jahre übertrug sich direkt auf die APS. Einerseits enthielt sie nicht nur erheblich mehr Unternehmen als ursprünglich geplant, denn die Regierung war durch Fabrikbesetzungen gezwungen, weit mehr und teils auch kleine und mittlere Betriebe zu verstaatlichen als beabsichtigt, andererseits brachte sie ein wachsendes Defizit des öffentlichen Sektors hervor (22% des BSP von 1973 gegenüber 3% 1970). Neben diesen eher UP-internen Faktoren darf aber nicht vergessen werden, daß das Programm der Regierung Allende gegen mächtige Segmente der Gesellschaft durchgesetzt werden mußte. Die Unternehmer trugen von Anfang an mit allen Mitteln zur Destabilisierung der Regierung Allende bei, forderten und organisierten schließlich den Sturz der Regierung mittels eines Militärputsches. Dem staatlichen Sektor gelang es trotz weitreichender Sozialisierungspolitik nicht, die führende Kraft in der Wirtschaft zu werden: 1973 kontrollierten staatliche Unternehmen ca. 40% der Industrieproduktion, nur knapp 30% des Handels entfielen auf den Staat; der überwiegend mittelständisch geprägte, aber strategisch wichtige Transportsektor blieb in privaten Händen; dagegen waren Bergbau und Banken zur Gänze verstaatlicht. Die Unternehmer behielten damit wichtige Schalthebel der Macht unter ihrer Kontrolle und vermochten bedeutende ökonomische Ressourcen zu mobilisieren. 35 Von zentraler Bedeutung für das Scheitern der UP war schließlich ihr Versäumnis, den Militärapparat umzustrukturieren, um sich der Loyalität der Streitkräfte zu versichern. Obwohl die Unidad Populär im ersten Regierungsjahr auch das private Kapital begünstigte, investierte es seine Gewinne nicht produktiv, sondern führte sie dem Konsum und der Spekulation zu. Insbesondere im Handel und mit Spekulationsgeschäften konnten hohe Gewinne gemacht werden. Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage sowie das Horten von Gütern seitens der Unternehmer führten zu Schwarzmärkten mit entsprechend hohen Preisen. Hinzu kamen destabilisierende Maßnahmen wie Kapitalflucht ins Ausland, der Investitionsstopp und die Stillegung der Agrarproduktion. Zu einer 'Waffe' in den Händen der Unternehmerschaft wurde schließlich ihre weiterhin bestehende Verfügung über Teile des Nahrungsmittelsektors, über den Handelssektor und v.a. das Transportwesen, die 1972 und 1973 in 'Unternehmerstreiks' zur flächendeckenden Paralysierung der Distribution von Gütern genutzt wurden. 36 35

36

Vgl. P.E. Sigmund, The Overthrough of Allende and Politics in Chile, 1964-1976, Pittsburgh, 1977; sowie Ph. O'Brien (Ed.), Allende's Chile, New York, 1976. Siehe B. Stallings, a.a.O., S. 125-153; ferner den Versuch einer Gesamtbewertung von F. Larrain/P. Meiler, La experiencia socialista-populista chilena: la Unidad Popular 1970-1973, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 30, 1990, S. 151-196; und M. Falcoff, Modem Chile 1970-1989. A Critical History, New Brunswick, 1991.

154

3.

Die Pinochet-Diktatur

Mit dem Militärputsch vom September 1973 begann ein tiefgreifender Transformationsprozeß der chilenischen Ökonomie und Gesellschaft. Auf die Stärke der Streitkräfte gestützt und mit beispielloser Repression wurde nun das politische Institutionengefüge und die sozioökonomische Struktur des Landes in Richtung auf eine Verbreiterung und Vertiefung des Kapitalismus umgestaltet.^7 Sollte ursprünglich nur die von der Unidad Popular angeblich mißachtete und verletzte Institutionalität wiederhergestellt und die ökonomischen Ungleichgewichte korrigiert werden, so stand kurze Zeit später mit der Durchsetzung einer neoliberal-monetaristischen Politik die seit den 20er Jahren verfolgte Industrialisierungsstrategie, die interventionistische Rolle des Staates und der sozioökonomische Reformprozeß seit 1965 selbst zur Debatte. Unmittelbares Ziel der Wirtschaftspolitik wurde die Bekämpfung der Inflation, die in erster Linie als monetäres Phänomen und strukturelles Problem der chilenischen Ökonomie ausgemacht wurde, die einer langfristigen Problemlösung bedurfte. Dahinter stand die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien in allen gesellschaftlichen Bereichen, die komplette Liberalisierung der Ökonomie (mit Ausnahme des Arbeitsmarktes), die beschleunigte Einbindung in den Weltmarkt und die Förderung der Auslandsinvestitionen, die von einer Restriktion der Nachfrage, der Eliminierung des Fiskaldefizits, der finanziellen Öffnung und der automatischen Anpassung an externe Schocks als kurzfristigen Maßnahmen begleitet werden sollte. Die Maßnahmen stützten sich auf eine Krisenanalyse seitens des Militärs, die die ökonomische Ineffektivität bisher verfolgter Entwicklungsstrategien betonte und diese auf den jahrzehntelang praktizierten Protektionismus im Rahmen der Importsubstitution, eine viel zu starke ökonomische Rolle des Staates und damit einhergehend Inflation, Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizite, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sowie eine verzerrte Ressourcenallokation zurückführte.^ Die Durchsetzung einer neuen Wirtschaftspolitik wurde nicht zuletzt ideologisch mit der 'Überpolitisierung' der chilenischen Gesellschaft und dem daraus resultierenden hohen Konfliktniveau bis 1973 begründet, die einer 'gesunden' ökonomischen Entwicklung im Weg stünde. Das Pinochet-Regime garantierte uneingeschränkt das Privateigentum an den Produktionsmitteln, unterdrückte gewaltsam die Arbeiterschaft und desartikulierte die Gewerkschaftsorganisationen, liberalisierte Märkte, Siehe C. Fortin, The Political Economy of Repressive Monetarism. The State and Capital Accumulation in Post-1973 Chile, in: C. Anglade/C. Fortin (Eds.), The State and Capital Accumulation in Latin America, Vol. 1: Brazil, Chile, Mexico, London, 1985, S. 175-184. Vgl. S. Bitar, Libertad económica y dictadura política, in: S. Bitar/J.G. Espinoza (Comp.), Chile. Liberalismo económico y dictadura política, Lima, 1980, S. 17-67; E. Tironi, El modelo neoliberal chileno y su implantación, CED, Documento de Trabajo, Num. 1, Santiago, 1982.

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eliminierte Preis-, Kapitalmarkt- und Außenhandelskontrollen und setzte den Rückzug des Staates aus der Ökonomie sowie eine Neudefinition seiner ökonomischen Rolle durch. Damit zielte die Politik der Militärs in unterschiedlichem Maße auf die Stärkung der privaten Unternehmerschaft im Entwicklungsprozeß und kam seit langem bestehenden Forderungen zumindest eines Teils der Unternehmer und ihrer Organisationen entgegen. Letztere errangen mit der Durchsetzung der oben genannten Maßnahmen, der Etablierung eines für sie äußerst günstigen politischen und ökonomischen Umfelds sowie der festen Entschlossenheit des Militärregimes, einen Bruch mit der Vergangenheit herbeizuführen, einen historischen Sieg. 3.1.

Etappen der Wirtschaftspolitik und der ökonomischen Entwicklung

Es lassen sich mehrere Etappen der Wirtschaftspolitik der Pinochet-Regierung Die erste Phase reicht vom September 1973 bis zum April 1975, dem Zeitpunkt der Verkündigung der Schockpolitik. In dieser Zeit versuchte die Regierung, die gravierendsten ökonomischen Folgen aus der Allende-Zeit in den Griff zu bekommen. Hauptziel war die Inflationsbekämpfung über die Eindämmung der Nachfrage. Daneben begann man mit einer langsamen Deregulierung der Ökonomie, die sich in einer Liberalisierung der Preise und einer deutlichen Abwertung der Währung niederschlug und von der Restriktion der Löhne, der Reduktion des Fiskaldefizits sowie der strikten Kontrolle der Expansion der Geldmenge begleitet wurde. Zur Inflationseindämmung und Reduzierung des Haushaltsdefizits diente ferner der Versuch der Eigenfinanzierung der öffentlichen Unternehmen und der APS. Damit sollte eine Reaktivierung der Ökonomie bewirkt und die Grundlagen für zukünftiges Wachstum geschaffen werden. Zugleich war das Regime bestrebt, zu einer 'Normalisierung' der Eigentumsverhältnisse zu kommen, d.h. Ländereien, die der Agrarreform anheimgefallen waren, sowie intervenierte oder requirierte Unternehmen zurückzugeben. Fundamentale Aspekte der grundsätzlich noch gradualistisch ausgerichteten Politik dieser ersten Phase lassen sich in folgenden Punkten systematisieren: a) Reduktion der Außenzölle und der Importrestriktionen; b) Auferlegung einer strikten 'Arbeitsdisziplin' über gewaltsame Maßnahmen wie die Suspendierung der Kollektivverhandlungen und das Verbot von Gewerk-

unterscheiden.-^

'JQ

Siehe C. Fortin, a.a.O., S. 153-160; R. Ffrench-Davis, El experimento monetarista en Chile. Una síntesis crítica, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 9, 1982, S. 5-40; R. Cortázar, Austerity under Authoritarianism. The Neoconservative Revolution in Chile, in: H. Handelman/W. Baer (Eds.), Paying the Costs of Austerity in Latin America, Boulder, 1989, S. 4363; R. Cortázar/A. Foxley/V. Tokman, Legados del monetarismo. Argentina y Chile, Buenos Aires, 1984, S. 39-48; R. García, El proceso de desindustrialización monetarista-autoritario, 1973-1984, in: Ibero-Americana. Nordic Journal of Latín American Studies, Num. 1/2, 1985, S. 51-83. 156

Schaftsaktivitäten, die Ausweitung der Arbeitszeit und eine äußerst rigide Lohnpolitik; c) Reduktion der Staatsintervention über die Eliminierung von Förderinstanzen für den industriellen Sektor und die Rückgabe von verstaatlichten Unternehmen im Besitz der CORFO; d) Liberalisierung der Kapitalmärkte, was freie Zinssätze und die Eliminierung von Krediten und Subsidien des Staates an den Privatsektor bedeutete und die Errichtung sog. financieras (Finanzierungsgesellschaften) erlaubte; e) Durchsetzung eines neuen Gesetzesdekrets (DFL 600 oder Estatuto del Inversionista Extranjero) über Auslandsinvestitionen, womit die uneingeschränkte Öffnung für Auslandskapital betrieben und dem ausländischen Kapital eine Reihe von Garantien gewährt wurde; f) regressive Steuerpolitik über die Senkung von Exportsteuern, Abschaffung der Vermögens- und Kapitalertragssteuer und deren Ersetzung durch eine allgemeine Mehrwertsteuer; damit einhergehend Senkung der Anteile der Arbeitgeber zu den Sozialversicherungsbeiträgen.4® Die unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolge in dieser Periode waren äußerst bescheiden: Die Inflation konnte nicht erfolgreich bekämpft werden, und insgesamt stagnierte die Ökonomie. Eine zweite unterscheidbare Phase reicht von der Verkündigung der Schockpolitik im April 1975 bis zur Abwertung des Peso im Juni 1976. Dies war die Zeit der Einführung des sogenannten Plan de Recuperación Económica, der eine radikal monetaristische Politik mit sich brachte sowie die uneingeschränkte Außenöffnung festschrieb und beschleunigte.41 In der konkreten Wirtschaftspolitik stachen insbesondere die drastische Reduktion der Staatsausgaben zur Beseitigung des Haushaltsdefizits (bis Anfang der 80er Jahre wies der Staatshaushalt dann einen teilweise hohen Überschuß auf) sowie die weitere Privatisierung von Staatsunternehmen (insbesondere der Banken) und die Liberalisierung des Kapitalmarktes (Freigabe der Zinssätze, freie Kreditvergabe, Lockerung der Mindestreservepflichten etc.) hervor. Damit war der Finanzsektor kaum noch Kontrollen der für Geldpolitik zuständigen Behörden ausgesetzt. Die Zollsätze sollten binnen drei Jahren auf durchschnittliche Werte zwischen 10% und 35% gesenkt werden, was realiter allerdings schon im Sommer 1977 der Fall war. Die schwere Rezession, der Nie4

® Siehe C. Fortin, a.a.O., S. 153 f.; R. Cortázar, Austerity under Authoritarianism, a.a.O., S. 44-48; A. Foxley, The Neoconservative Economic Experiment in Chile, in: J.S. Valenzuela/A. Valenzuela (Eds.), Military Rule in Chile. Dictatorship and Oppositions, Baltimore, 1986, S. 17 f. 41 Vgl. R. Zahler, Recent Southern Cone Liberalization Reforms and Stabilization Policies. The Chilean Case 1974-1982, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs, Vol. 25, 1983, Num. 4, S. 509-562.

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dergang der Löhne, die hohe Arbeitslosigkeit und die Schließung bzw. Pleite vieler Unternehmen waren eine direkte Folge der Schockpolitik, die der verarbeitenden Industrie schnell ihrer führenden Rolle im neuen Akkumulationsmodell beraubte und sie auf die exportorientierte Primärgüterproduktion, teils mit geringem Verarbeitungsgrad, übertrug. 42 Eine dritte Phase reicht von der Abwertung des Peso im Juni 1976 bis zum Dezember 1978. Sie beinhaltete die Fortsetzung der monetaristischen Schockpolitik bei gleichzeitiger langsamer Erholung und Stabilisierung der Mehrzahl der Wirtschaftsindikatoren auf dem Niveau von Ende der 60er Jahre. Die Außenöffnung betraf jetzt auch den Devisenhandel und Finanztransaktionen. In der Inflationsbekämpfung vollzog das Regime einen Wandel. 4 3 Sah man zunächst wesentliche Ursachen der Inflation im staatlichen Ausgabeverhalten und Haushaltsdefiziten sowie einer übersteigerten Nachfrage, so seither v.a. in internationalen Preis- und Wechselkursschwankungen. War die Wechselkurspolitik bis dato lediglich ein zusätzliches Instrument der Bekämpfung von Inflation gewesen, so wurde sie seit 1978 zum dominanten Mittel der Inflationsbekämpfung, und die Höhe des Wechselkurses fortan im voraus angekündigt. Dies führte zu einer unsteteren Wechselkurspolitik und machte zweimalige Aufwertungen des Peso erforderlich (Juli 1976, März 1977), die eine Verbilligung von Importen bedingten und zu einem enormen Zufluß (meist kurzfristiger) ausländischer Kredite führte. 44 Als Folge dieser Politik sanken Inflation und Arbeitslosigkeit, der Außenhandel nahm zu und die Löhne erholten sich leicht. Bezüglich der Auslandsinvestitionen wurde D F L 600 um D F L 1748 (März 1978) ergänzt, die ausländische Investoren dem chilenischen Kapital gleichstellte. Realwirtschaftlich ging die finanzielle Öffnung mit einer unkontrollierten Außenverschuldung einher. Da die verfolgte Politik immer stärker mit protektionistischen Prinzipien in Widerspruch geriet, zog sich das Land aus dem Andenpakt zurück. Die verarbeitende Industrie wurde durch die Zollsenkungen und die Importliberalisierung, in geringerem Maße auch durch den Rückzug aus dem Andenpakt, mit dem eine Reihe von industriefördernden Ausgleichsmaßnahmen und die territoriale Ausweitung des Binnenmarktes wegfielen, in Mitleidenschaft gezogen. 4 5

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Siehe R. García, Cambios industriales en Chile 1973-1987, in: R. Garcia (Ed.), Economía y política durante el gobierno militar en Chile 1973-1987, México D.F., 1989, S. 101-143; C. Fortin, a.a.O., S. 154. Siehe S. Edwards/A. Cox Edwards, Monetarism and Liberalization. The Chilean Experiment, Cambridge, 1987, S. 30-52; J. Ramos, Neoconservative Economics in the Southern Cone of Latin America 1973-1983, Baltimore, 1986, S. 70-108. Siehe R. Ffrench-Davis, Das monetaristische Experiment in Chile, Friedrich Ebert-Stiftung, Analysen aus der Abteilung Entwicklungsländerforschung, Num. 113, Bonn, 1983. Siehe C. Fortin, a.a.O., S. 155; R. Cortázar, a.a.O., S. 48-52.

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Die vierte Phase reicht von 1979 bis Mitte 1981 und gilt gemeinhin als Zeit des Wirtschaftsbooms: Hohe Wachstumsraten des BSP, eine geringer werdende Arbeitslosigkeit, ein Anstieg der Löhne und Gehälter sowie eine weiter zurückgehende Inflationsrate sind Kennzeichen dieser Periode. In diese Zeit fielen entscheidende Reformmaßnahmen des Regimes (die Verabschiedung einer neuen Verfassung 1980, administrative und institutionelle Reformen wie der Plan Laboral, die Privatisierung von Renten- und Krankenversicherung, die Überleitung des größten Teils des Erziehungswesens in die Oberhoheit der Munizipien etc.), die all jenen Bereichen stärker marktwirtschaftliche Organisationsprinzipien gaben. In der offiziellen Ideologie und Propaganda jener Jahre waren dies die Jahre des rmlagro chileno, einem Wunder, welches immerhin mit hohen Arbeitslosenzahlen, im historischen Durchschnitt hohen Inflationsraten, dem Anstieg der Beschäftigung v.a. in Niedrigstlohnkategorien und einer sich verschlechternden und größer werdenden Ungleichheit der Einkommensverteilung in Übereinstimmung gebracht werden muß. 46 Wirtschaftspolitisch ist diese Phase durch eine Modifikation der monetaristischen Politik gekennzeichnet. Zur Senkung der Inflationsrate wurde zunächst der Peso erneut abgewertet und dann im Juni 1979 in einer Paritat von 39 Pesos pro US-S fixiert.47 Damit verband sich die Hoffnung der Chicago Boys auf eine 'automatische Anpassung' des Binnenpreisniveaus an das international sehr viel niedrigere Inflationsniveau, wodurch Wechselkursanpassungen sich künftig erübrigen sollten. Die Folge war allerdings weniger ein Ausgleich der Inflationsraten, als vielmehr ein Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit chilenischer Exporte, der aus der knapp dreimal höheren Binneninflation gegenüber der Außeninflation resultierte. Bei fixiertem Wechselkurs führte dies bis Mitte 1981 real zu einer um 30% überbewerteten chilenischen Währung. Durch die gleichzeitige Liberalisierung des Außenhandels (freie Ein- und Ausfuhr) und quasi nicht mehr vorhandener Protektion (Zollsatz von 10%) mündete dies in einen Importboom und beträchtliche Handels- und Leistungsbilanzdefizite. Die Regierung hielt auch dann noch an ihrer passiven bzw. 'neutralen' Wirtschaftspolitik der automatischen Anpassung fest, als diese aufgrund verschiedener externer Schocks längst hätte aufgegeben werden müssen: Nicht nur sanken die chilenischen terms oftrade zwischen 1980 und 1982 um 30%, sondern auch die internationalen Zinssätze waren beträchtlich in die Höhe geschnellt. Vor dem Hintergrund des schnellen Anstiegs der Auslandsverschuldung stellte sich ein immer ungünstigerer Schuldendienstquotient ein. Zusammen mit

46

47

Siehe A. Garcia/J. Wells, Chile. A Laboratory for Failed Experiments in Capitalist Political Economy, in: Cambridge Journal of Economics, Num. 7, 1983, S. 287-304. Siehe S. Edwards/A. Cox Edwards, a.a.O.

159

einer sich abschwächenden Gesamtnachfrage führte diese Politik direkt in die Krise.48 Die fünfte Phase umfaßt die Zeit von Juni 1981 bis Mitte 1984. Sie beginnt mit der sich abzeichnenden Abschwächung der Konjunktur und führte 1982/83 direkt in die schwerste Krise in der Geschichte des Landes. Die Rezession war gekennzeichnet durch tiefe Ginbrüche im Wachstum, äußerst geringe Investitionsraten, ein Zahlungsbilanzdefizit, den bedeutenden Anstieg der Zinssätze, das abrupte Ende der Verschuldungsmöglichkeiten im Ausland sowie die Insolvenz Hunderter Industrieunternehmen. Dies führte zu massiven Entlassungen von Arbeitskräften, und die Arbeitslosigkeit stieg auf Rekordwerte. Der Sektor der verarbeitenden Industrie war wiederum besonders betroffen, aber auch die Landwirtschaft blieb von der Krise nicht verschont. Ein Großteil der Rezessionsursachen war dabei nicht in externen Faktoren zu sehen, sondern auf eine falsche Wirtschaftspolitik zurückzuführen. 49 Zunächst reagierte die Militärregierung ganz im monetaristisch-autoritären Rahmen mit dem Mechanismus der 'automatischen Anpassung' und wirkte durch ihre 'neutrale' Haushaltspolitik prozyklisch. Sie erlaubte eine größere Expansion der Geldmenge, eliminierte Pflichteinlagen, komplettierte diese Politik später mit einer Lohnsenkung (d.h. die Indexierung der Löhne an die Inflation, wie sie der Plan Laboral vorsah, wurde aufgehoben), der Kompression der internen Nachfrage und der Verringerung der Importe. Erst als die Rezession im ganzen Ausmaß durchschlug, gab man im Juni 1982 den fixen Wechselkurs auf und wertete die Währung um knapp 20% ab. Daraufhin wurde der Wechselkurs ganz frei gegeben und erst im darauffolgenden Jahr ein System täglicher Anpassungen eingeführt. Der Abwertungseffekt auf den Peso betrug bis dahin fast 1 0 0 % . D a s Regime mußte zudem eine Reihe von kurzfristigen Rettungsmaßnahmen ergreifen, weil die Abwertung des Peso viele vollkommen überschuldete Banken und Unternehmen in finanzielle Probleme gestürzt hatte. Durch die Abwertung bedingt mußten sie zur Tilgung ihrer Dollar-Verbindlichkeiten eine größere Summe chilenischer Pesos aufbringen, was sie finanziell vielfach überforderte. Da auch die größten Banken des Landes aufgrund spekulativer Aktivitäten und wegen hoher Außenstände in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, entschied sich das Militärregime im Januar 1983 zur 'Intervention' der Banken, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu

49 50

Vgl. L. Spielmann, Staatsinterventionismus oder ökonomischer Liberalismus?, Hamburg, 1993, S. 159 f.; C. Fortin, a.a.O., S. 156; H. Cortés Douglas, Lessons of the Past. The Role of External Shocks in Chilean Recessions 1926-1982, in: Ph.L. Brock/M.B. Connolly/L. González-Vega (Eds.), Latin American Debt and Adjustment. External Shocks and Macroeconomic Policies, New York, 1989, S. 40-51. Siehe S. Edwards/A. Cox Edwards, a.a.O., S. 199; R. Cortázar, a.a.O., S. 52-54. Siehe L. Spielmann, a.a.O., S. 161.

160

vermeiden. Fünf Großbanken wurden vom Staat übernommen, drei geschlossen und zwei direkter Staatsaufsicht unterstellt. 31 Mit der Übernahme dieser Banken kontrollierte der Staat nicht nur etwa die Hälfte des Kreditvolumens des Finanzsektors, sondern war über den hohen Verflechtungsgrad von Bank-, Industrie- und Handelsunternehmen auch in den Besitz einiger der größten Industrieunternehmen des Landes gekommen. Entgegen der monetaristischen Doktrin der Chicago Boys, den Staatseinfluß in der Ökonomie auf ein Minimum zu reduzieren, war der Anteil des Staates an Wirtschaftsunternehmen nie so groß und die Kontrollmöglichkeiten der Ökonomie nie so ausgedehnt wie nach dieser 'Intervention', weshalb einige Autoren auch vom 'monetaristischen Weg zum Sozialismus' gesprochen haben. Damit kam es zur Aufgabe der bis zum Extrem getriebenen radikal-monetaristischen Politik, wenn man auch grundlegende Prinzipien des monetaristischen Modells beibehielt. Gleichzeitig mit der Intervention übernahm die Regierung die externen Schulden dieser Unternehmen und trat in Umschuldungsverhandlungen mit der internationalen Finanzwelt ein. Doch weniger diese Umschuldungsverhandlungen, als vielmehr die großzügige direkte und indirekte Unterstützung dieser Unternehmen sollte ihr Überleben sichern. Die Maßnahmen, von denen insbesondere die größten Banken und viele Großunternehmer profitierten, beinhalteten im einzelnen: a) eine Vielzahl direkter Finanzhilfen und Stützungsmaßnahmen seitens der Zentralbank; b) die unmittelbare Übernahme eines beträchtlichen Teils der Schulden der Unternehmen durch den Staat; c) die Einrichtung spezieller Vorzugswechselkurse für Banken und Unternehmen mit Dollarverbindlichkeiten; d) die Umwandlung von Dollar-Schulden in Peso-Schulden; e) die konstante Abwertung des Peso in Übereinstimmung mit der Inflation und den Devisenvorräten; f) die Ausweitung der Kredit- und Verschuldungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, auch ohne daß diese eine ausreichende Sicherheit bieten konnten. Die Übertragungen, die auf diese Weise zustande kamen, haben 15% des BSP des Jahres 1982 ausgemacht. Bis Anfang 1984 konnte die Krise jedoch nicht überwunden werden. 52 Gesamtökonomisch betrachtet waren die Effekte der monetaristischen Politik verheerend, weil die Wirtschaftspolitik die produktiven Sektoren aufgrund der niedrigen Zölle und der hohen Kreditkosten entmutigte, gleichzeitig aber den Finanz-

52

Siehe B. Stellings, The Political Economy of Democratic Transition. Chile in the 1980s, in: B. Stallings/R. Kaufman (Eds.), Debt and Democracy in Latin America, Boulder, 1989, S. 186 f.; Ph.L. Brock, The Chilean Financial Collapse, in: Ph.L. Brock/M.B. Connolly/L. González-Vega (Eds.), a.a.O., S. 112-132. Siehe R. Ffrench-Davis, The Foreign Debt Crisis and Adjustment in Chile 1976-1986, in: St. Griffith-Jones (Ed.), Managing World Debt, New York, 1988, S. 113-140; R. FfrenchDavis, Notas sobre la crisis de la deuda extema en Chile, Apuntes CEEPLAN, Num. 55, Santiago, 198S; B. Stallmgs, Politics and Economic Crisis. A Comparative Study of Chile, Peru, and Colombia, in: J.M. Nelson (Ed.), Economic Crisis and Policy Choice. The Politics of Adjustment in the Third World, Princeton, 1990, S. 129 ff.

161

sektor förderte und die Spekulation anheizte. Damit wurden wirtschaftliche Disproportionalitäten verschärft, da hauptsächlich jene Sektoren wachsen konnten, die über natürliche komparative Kostenvorteile (Exportlandwirtschaft) oder hohe Gewinnmöglichkeiten (Bank- und Finanzsektor) verfügten. 53 Auf diese Art und Weise fand eine Umorientierung von Ressourcen statt, die sich sowohl in der Landwirtschaft - von den traditionellen Produkten hin zum Obstanbau -, als auch in der Industrie - weg von der binnenmarkt- hin zur weltmarktorientierten Produktion und generell weg von produktiv-industriellen Aktivitäten hin zu finanziellen und Dienstleistungsaktivitäten - zeigte. Eine sechste unterscheidbare Phase setzte Anfang 1984 ein, wo sich aufgrund einer pragmatischeren makroökonomischen Politik eine langsame Erholung des gescheiterten Modells bemerkbar machte. Diese ging nicht zuletzt auf eine gezieltere Ankurbelung der Konjunktur über eine systematischer betriebene Nachfragepolitik seitens des Staates zurück, die von einem stärkeren Protektionismus begleitet wurde. Dazu wurde zeitweilig auch ein größeres Haushaltsdefizit in Kauf genommen. Mit der Umsetzung des Plan Trienal de Desarrollo versuchte die Regierung, wichtige Wirtschaftsindikatoren wie Produktion, Beschäftigung, Einkommen und Handel wieder auf das Niveau von 1980 zu bringen. Im einzelnen bestanden die stimulierenden Maßnahmen aus: a) mehrfachen Abwertungen der Währung und einer Wechselkurspolitik, die einen hohen realen Austauschkurs des Peso aufrechterhielt, um damit Exporte zu erleichtern und Importe zu erschweren; b) der 18-monatigen Erhöhung der Zölle auf zunächst 35%, anschließend ihrer sukzessiven Absenkung auf 30% Mitte 1985, 20% 1986 und 15% Anfang 1988 zum Schutz der chilenischen Industrie; c) einer neuen Preispolitik für die Landwirtschaft, die v.a. in der Etablierung von Preisschwankungsbandbreiten für diverse Agrarprodukte bestand; d) der Aufrechterhaltung und Ausdehnung von Exportförderungsprogrammen sowie die Institutionalisierung der Exportförderung durch die Gründung von ProChile; e) der staatlichen Übernahme der Schulden bzw. der Subsidiierung des Privatsektors, die von einer Politik der billigen Kredite für die produktiven Sektoren der Ökonomie (insbesondere für die Landwirtschaft) begleitet wurde; f) sukzessiven Steuersenkungen;

«

Siehe J. Frieden, Debt, Development and Democracy. Modern Political Economy and Latin America 1965-1985, Princeton, 1991, S. 158-171.

162

g) der Übergang von einer radikal-monetaristischen zu einer pragmatischmonetaristischen Politik bei gleichzeitigem Festhalten an der in den vorangegangenen Jahren eingeleiteten Öffnung nach außen. 54 Die pragmatischere und flexiblere Politik wurde Anfang 1985 insofern modifiziert, als mit Hernán Büchi wieder stärker grundsätzliche Laissez faire-Politiken mit einzelnen staatsinterventionistischen Elementen kombiniert wurden. 55 Die Anpassungspolitik der folgenden Jahre wurde von einer Umstrukturierung der intervenierten Unternehmen und Banken bzw. ihrem späteren Verkauf an private Investoren begleitet. Die zweite Privatisierungswelle erfaßte auch solche Unternehmen, die sich bereits seit längerem in Staatsbesitz befanden. Insgesamt müssen die verfolgte Wirtschaftspolitik und die Politik der Privatisierungen als zwei Seiten einer Strategie betrachtet werden, die darauf abzielte, eine hochgradig privatisierte und in den Weltmarkt integrierte Ökonomie zu konsolidieren. Parallel dazu gelang es, die hohe Auslandsverschuldung zu entschärfen und sie über umstrittene Maßnahmen wie die Kapitalisierung der Schulden (debt-equity-swaps) sogar beträchtlich zu reduzieren. Diese Strategie mündete nicht nur in einer neuen Struktur der chilenischen Ökonomie, sondern führte auch zu hohen Wachstumsraten und einem dauerhaften Wirtschaftsaufschwung. Sie vertiefte die kapitalistischen Strukturen des Landes und konsolidierte die gesellschaftliche Stellung der Unternehmerschaft. Oscar Muñoz faßt die Situation am Ende der Pinochet-Ära treffend zusammen, wenn er schreibt: "A fines de la década de los 80 y después de 15 años de experiencia autoritaria y de una gran inestabilidad económica, el sector capitalista privado, sobre todo el gran capital, ha pasado de ejercer un alto grado de control sobre la economía y del proceso financiero. Con la excepción de muy pocos sectores de propiedad estatal, como la Gran Minería del cobre, el petróleo y algunos otros, la empresa privada ha ido asumiendo un papel de liderazgo y de predominio casi absoluto. Este ha sido un resultado que se explica por varios factores. En primer lugar, y a pesar de los sesgos desindustrializadores de las políticas aplicadas antes de 1981, sin duda la estrategia general de liberalización de los mercados, disminución de la intervención del Estado y garantías institucionales a la propiedad y a la empresa privada crearon un ambiente de confianza en el sector capitalista. Esto debe apreciarse en el marco del ambiente de amenazas expropiatorias que había prevalecido entre 1966 y 1973. En segundo lugar, las reformas económicas aplicadas después de la crisis de 1982-83, han sido instrumentos muy estimulantes para la inversión privada y el aumento de las exportaciones. Ellas incluyen la renegociación de las deudas, la socialización de muchas pérdidas, la privatización de empresas públicas que creó oportunidades para obtener altas ganancias de capital, la utilización del mercado secundario de pagarés de la deuda externa para estimular al capital extranjero a transformar deudas en propiedad de empresas nacionales y una polí54

55

Siehe B. Stallings, Politics and Economic Crisis, a.a.O., S. 136-142; N. Flaño, El neoliberalismo en Chile y sus resultados, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 101, Santiago, 1987. Vgl. B. Stallings, Political Economy of Democratic Transition, a.a.O., S. 190 ff.

163

tica macro-económica muy pragmática que ha buscado mantener un tipo de cambio real alto en forma estable, un menor nivel de tributación y un nivel bajo de salarios reales ... Estos resultados, y sobre todo las altas tasas de rentabilidad obtenidas por los grupos económicos privados han generado un ambiente de fuerte optimismo y euforia financiera."'6

56

O. Muñoz, Los empresarios y la industrialización en Chile. Una visión de largo plazo, CIEPLAN, Notas técnicas Num. 122, Santiago, 1988, S. 27 f.; siehe auch O. Muñoz, El Estado y los empresarios. Experiencias comparadas y sus implicaciones para Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 5-53; und O. Muñoz, El papel de los empresarios en el desarrollo. Enfoques, problemas y experiencias, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 19, 1986, S. 95-120.

164

Schaubild 4:

Grundlegende Strukturreformen der chilenischen Ökonomie in den 70er Jahren 1972

Post-1973 Privatisierung

- Staat kontrolliert mehr als 500 Unternehmen und Banken

- 1980 gehörten 23 Unternehmen dem öffentlichen Sektor an Preise

- Allgemeine Preiskontrollen

- Marktpreise (außer Löhne und Wechselkurse) Handelsregime

- System multipler Wechselkurse - Importquoten u. -beschiänkungen - Hohe Zölle (Durchschnitt 94%, Höchstzollsatz 220%) - Importgebühren

- Einheitlicher Wechselkurs - Generelle Importliberalisierung - Einheitlicher Zollsatz von 10% (Ausnahme Automobile)

Fiskalregime - Verkaufssteuern - Bedeutender Anteil öffentlich Beschäftigter - Hohe Haushaltsdefizite

- Allgemeine Mehrwertsteuer 20% - Starke Reduktion der öffentlichen Beschäftigung - Haushaltsüberschüsse (1979-81) Finanzmärkte

- Kontrollierte Zinssätze - Staatl. Eigentum der Banken - Allgemeine Kreditkontrollen

- Marktzinssätze - Reprivatisiening der Banken - Liberalisierung der Kapitalmärkte

Kapitalmobilitlt - Allgemeine Kontrolle der Kapitalbewegungen - Staat Hauptschuldner bei externen Krediten

- Graduelle Liberalisierung der Kapitalbilanz - Privatsektor Hauptschuldner bei externen Krediten

Arbeitsgesetzgebung - Starke Gewerkschaften mit großer Verhandlungsmacht - Entlassungen erschwert mit hohen Abfindungskosten - Obligatorische Lohnanpassung - Hohe Lohnnebenkosten (40% der Löhne)

- Atomisiening der Gewerkschaften mit geringsten Handlungsspieliäumen - Entlassungen problemlos möglich - Drastische Reduktion der Reallöhne - Reduktion der Lohnnebenkosten (3% der Löhne und Gehälter)

(P. Meller/P. Romaguera, Evoluciön macroeconömica, a.a.O., S. 5)

165

3.2.

Resultate der verfolgten Politik

Die Entwicklungsstrategie, die in den ersten Jahren des Pinochet-Regimes in Gang gesetzt wurde, hatte für die chilenische Ökonomie äußerst unterschiedliche Konsequenzen. Resultate der monetaristischen Wirtschaftspolitik sollen im folgenden zunächst anhand makroökonomischer und sektoraler Veränderungen sowie damit einhergehenden Verschiebungen der Export- und Beschäftigungsstrukturen verdeutlicht werden. Darüber hinaus lassen sich als Folge dieser Politik aber auch die enorme Konzentration der Wirtschaft, die hohe Verschuldung des Landes und der Anstieg von Armut begreifen. Durch ihre langjährige 'sektorneutrale1 Wirtschaftspolitik schuf die Regierung die Voraussetzungen für eine ungleichgewichtige und disproportionale Entwicklung. Diese Ungleichgewichte fanden ihren Ausdruck in einem doppelten Widerspruch: einerseits einer äußerst ungleichen Entwicklung sowohl in der Gesamtheit der Ökonomie wie auch einzelner Sektoren und sogar Subsektoren der Wirtschaft, die zu nebeneinander bestehenden hohen Wachstumsraten in einem Zweig, niedrigen Wachstumsraten in anderen Zweigen führte; andererseits in der ungleichen Entwicklung in der Gesamtheit der Unternehmerschaft und jeder einzelnen Unternehmenseinheit (seien dies Wirtschaftsgruppen oder Einzelunternehmen) aufgrund verschiedener Akkumulationsraten j e nach der Stellung innerhalb eines bestimmten Produktionszweigs, der sektoralen Einbindung in die Produktionsstruktur, der Produktion für den Binnenmarkt oder Weltmarkt und nicht zuletzt dem Zugang zu den Instanzen der politischen Macht. Entsprechend förderte der Akkumulationstyp des Militärregimes die Konzentration der Ökonomie und der Einkommensverteilung und trug einen 'ausschließenden' Charakter, weil er den Marktkräften ohne jegliche Regulierung seitens des Staates zur Durchsetzung verhalf. Kennzeichen des neuen Modells war nicht nur der langfristige Ausschluß breiter Segmente der Gesellschaft vom politischen Entscheidungsprozeß, sondern auch vom Marktgeschehen. Die Kombination von politischer Repression und wirtschaftlichem Liberalismus führte zur Verarmung und Verelendung weiter Teile der Gesellschaft, die sich mit einem deutlichen Niedergang ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Konsummöglichkeiten konfrontiert sahen. Bildete die Unterdrückung politischer Freiheiten und sozialer Rechte die Vorbedingung für das in Gang gesetzte Entwicklungsmodell, so war die Marginalisierung der breiten Masse der Bevölkerung die Folge. Selbst beträchtliche Segmente der Mittelschichten und sogar einige Unternehmer wurden durch den kapitalistischen Entwicklungstyp jener Jahre an den Rand gedrängt. Damit konnte die 'freie Marktwirtschaft' einem kleinen Kreis von Personen zugute kommen.

166

3.2.1. Gesamtwirtschaftliche Aspekte Betrachtet man die wirtschaftliche Performanz des Militärregimes zunächst nach ökonomischen Wachstumsindikatoren, so sind deutliche Unterschiede im Wachstum des BSP und einzelner Sektoren feststellbar. Auffällig in der Entwicklung des BSP sind zunächst die schweren Rezessionseinbrüche in den Jahren 1975 und 1982 mit jeweiligen Rückgängen von 13%. Beträchtlich schärfer fiel der Rückgang in der verarbeitenden Industrie mit über 20% aus. Demgegenüber zeigen sich im Agrarsektor zwar auch Rückgänge, diese sind aber im Vergleich zum Industriesektor auf den ersten Blick keineswegs dramatisch. Deutlich sichtbar sind auch die Zuwachsraten während der Boomphasen des Regimes gegen Ende der 70er und in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Im Durchschnitt betrug das Wachstum beträchtliche 8% in den Jahren 1977-1981 und 1986-1989. Tabelle 2: Wachstum des BSP und ausgewählter Sektoren 1970-1989 in %

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

BSP

Land-/ Forstw./ Fischerei

3,6 8,0

4.3 5,1 -3,2 -9,3 17,4 -3,1 4.4 6,9 -1.3 5.8 4.5 4,0 -0,6 -2,3 8.9 7.3 8,8 3.4 5,3 4,8

-0,1

-4,3 5,5 -12,9 3.5 9,9 8,2 8.3 7.8

6,2

-13,6 -2,8 5.9

2,0

5.6 5,8 7.4

10,0

Bergbau/ Minen*

Veraibeit. Industrie

Bauwesen

1,3 14,0 2,9

-6,6

-0,9 -25,5

6,0 8.5 9,3 7,9

7,7 6.4 -2,0 5.5 3.2 1.3

0,0

4,3 8,3

6,2 2.6

-20,9 3.1 8,9 2,7 7,9 5,6 8,6

10,0

21,1 -23,4 -14,1 1,9 17,8

1,6 10,1 6,3 12,7

(IDB Report 1991; Melier (Comp.), Resultados..., a.a.O.; * = bis 1980 bei Land-, Forstwirtschaft und Fischerei enthalten)

Zieht man ergänzend den Anteil der einzelnen Wirtschaftssektoren am BSP hinzu und stellt verschiedene Jahrgänge nebeneinander, so werden auch die Veränderungen in der sektoralen Zusammensetzung des Sozialprodukts deutlich. Hervorstechend ist zunächst die Entwicklung im Industriesektor, dessen Bedeutung infolge der monetaristischen Politik stark zurückging. Ein entsprechender Anstieg ist dage167

gen im tertiären Sektor zu verzeichnen. Bedenkt man, daß hier ganz unterschiedliche Sparten zusammengefaßt sind und daß die gesamten staatlichen Dienstleistungen gekürzt wurden, so läßt sich der Bedeutungszuwachs von Handel, Banken und finanziellen Dienstleistungen ermessen. Während der Beitrag der Landwirtschaft zum BSP eher gleich blieb, ging der Anteil des Bergbausektors leicht zurück. Gleiches gilt zumindest für die Zeit der Militärdiktatur auch für das Baugewerbe. Tabelle 3: Anteil der Wirtschaftssektoren am BSP 1970-1990 in %

Landwirtschaft Bergbau Industrie* Baugewerbe Tertiärer Sektor**

1970

1974

1980

1985

1990

9,8 10,3 26,6 4,2 49,1

8,5 7,8 27,2 6,6 49,9

8,3 7,2 23,7 5,3 51,0

9,6 8,7 23,0 5,8 52,9

9,1 7,4 23,0 5,9 54,4

(D. Nohlen/D. Nolte, Chile, a.a.O., S. 292; * = einschließlich Energie; " Dienstleistungen, Handel, Banken, Transportwesen)

= Öffentliche

Bei der Betrachtung weiterer Wirtschaftsindikatoren kommt v.a. der Inflation und der Investitionsquote Bedeutung für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung zu. Bezüglich der Inflation ist zunächst der starke Anstieg unter der Regierung Allende erkennbar, aber auch die nur langsam sinkende Rate in den ersten drei Jahren der Militärdiktatur. Danach ist allerdings durch die rigide Austeritätspolitik und anderen Maßnahmen der Regierung eine langfristig abnehmende Rate feststellbar, die im lateinamerikanischen Vergleich zu einer mehr oder minder stabilen Preisstruktur geführt hat. Die Investitionsquote (also der Anteil der Investitionen am BSP) fiel dagegen die gesamten 70er und 80er Jahre überaus bescheiden aus. Zur Erreichung eines nachhaltigen und dauerhaften Wirtschaftswachstums von 5% im Jahr wird eine Investitionsquote von mindestens 20% benötigt.

168

Tabelle 4: Überblick über verschiedene Wirtschaftsindikatoren 1970-1989

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

Inflation

Invest.quote

Exporte Mio. $

Importe Mio. $

36,1 26,5 260,5 605,9 369,2 343,3 197,9 84,2 37,4 38,9 31,2 19,7 9,9 27,3 19,8 30,7 19,5 19,9 14,7 17,0

20,4 18,3 14,8 14,7 17,4 15,4 12,7 13,3 14,5 15,6 17,6 19,5 15,0 12,9 13,2 14,8 15,0 16,5 17,0 18,6

2116 2185 2460 3835 4705 3836 3706 3831 3651 3804 4199 5223 7052 8080

1473 2151 2886 4190 5469 6513 3643 2845 3288 2955 3099 3994 4833 6502

Handels- Zahlungsbilanz bilanz

634 34 -426 -355 -764 -2677 63 986 363 849 1100 1229 2219 1578

281 118 712 1047 1244 67 -1165 -541 17 -99 -228 45 732 437

(P. Meiler (Comp.), Resultados ..., a.a.O.; P. Meller/P. Romaguera, a.a.O., S. 10, 28)

Die verfolgte Wirtschaftspolitik spiegelt sich auch in der Entwicklung der Handelsund Zahlungsbilanz wider. Zunächst ist bis zur schweren Krise Anfang der 80er Jahre eine Verdopplung der chilenischen Exporte feststellbar. Weit stärker haben allerdings durch die Liberalisierung der Ökonomie die Importe zugenommen, die sich im gleichen Zeitraum mehr als vervierfachten und zu einer beträchtlichen negativen Handelsbilanz führten. Ein wesentlicher Teil des Importzuwachses ist auf Konsumgüterimporte zurückzuführen, wohingegen der Anteil der Kapitalgüter und von Rohstoffen und Halbfabrikaten stark rückläufig war. Wenn dagegen die Zahlungsbilanz einen zunehmenden Überschuß aufwies, so wegen der hohen externen Kredite, die in jenen Jahren ins Land flössen. Während der Krise wurden die Importe stark gedrosselt, was zunächst bei gleichzeitig stagnierenden Exporten für einen Überschuß in der Handelsbilanz sorgte, der in dem Maße zunahm, wie sich die Exporte in der zweiten Hälfte der 80er Jahre überaus dynamisch entwickelten und damit auch Spielräume für eine erneute Erhöhung der Importe brachten. Die Zahlungsbilanz war allerdings durch hohe Kapitalabflüsse in Form von Schuldendienstleistungen und insgesamt verringerte Kreditzuflüsse bis 1986 mit Ausnahme eines Jahres negativ. Seit 1987 wiesen sowohl Handels- wie auch Zahlungsbilanz Überschüsse auf.

169

Tabelle 5:

Durchschnittswerte einiger Regierungsperioden in % BSP

1958-64 1964-70 1970-73 1973-89

3,7 3,9 1,1 3,4

Industrie Landwirtschaft* 7,2 4,1 3,1 1,9

3,6 2,8 -2,6 4,2

Wachstumsindikatoren

Inflation

Investitionsquote

25,8 26,2 218,1 57,3**

20,7 19,3 15,9 15,6

nach

(P. Melier (Comp.), Resultados ..., a.a.O.; * = einschließlich Forstwirtschaft und Fischerei; ** = 1976-89: 27,2%)

Resümiert man die makroökonomische Entwicklung unter der Militärdiktatur und vergleicht sie mit früheren Regierungen, so fällt die Bilanz nicht uneingeschränkt positiv aus. Die Daten der Tabelle 5 weisen nämlich sowohl bezüglich des BSP wie auch der Industrie gegenüber den Regierungen Frei und Alessandri teils beträchtlich niedrigere Wachstumsraten auf. Die Landwirtschaft ist dagegen deutlich stärker gewachsen als in vorangegangenen Perioden. Die Investitionsquote erreichte unter der Diktatur den geringsten Stand seit 1958, und auch bezüglich der Inflation ist das Ergebnis ambivalent. Nur unter Außerachtlassung der Inflationsjahre zu Beginn des Militärregimes liegt ihr Wert auf der Höhe vorangegangener Regierungen (mit Ausnahme Allendes). Diese Befunde sollen nicht die überaus positiven Ergebnisse der chilenischen Ökonomie seit Mitte der 80er Jahre leugnen, die sich zudem unter der Regierung Aylwin fortgesetzt haben. Sie können aber gegenüber einer allzu großen Modelleuphorie, die sich v.a. an wirtschaftlichen Wachstumsziffern orientiert, ein erstes Korrektiv sein. 3.2.2. Der industrielle Sektor Die Auswirkungen der monetaristischen Wirtschaftspolitik auf den Industriesektor waren tiefgreifend. Nicht nur relativierten die Chicago Boys die bis dato gültige, zentrale Rolle dieses Sektors im Entwicklungsprozeß, sondern darüber hinaus betrieben sie auch konsequent eine Politik, die sich an komparativen Kostenvorteilen auf dem Weltmarkt für chilenische Produkte orientierte. Die monetaristische Schockpolitik und ihre Implikationen (Restriktion der Nachfrage, Vorrang der Inflationsbekämpfung, Steuerung der Ökonomie über die Geldmenge etc.), die unrestringierte Außenöffnung über die Importliberalisierung und die Senkung der Zollsätze sowie die mangelnde internationale Konkurrenzfähigkeit führten zu einer bedeutsamen Umstrukturierung der Industrie. 37 Nur wenige, wesentlich export57

Siehe allgemein R. García, Cambios industriales en Chile 1973-1987, in: R. Garcia (Comp.), Economía y política durante el gobierno militar en Chile 1973-1987, México D.F., 1989, S. 101-143.

170

orientierte Branchen waren in den 70er Jahren durch diese Politik nicht in Mitleidenschaft gezogen worden (Nahrungsmittel, Holz, Papier und Zellulose). Die in der Importsubstitutionsphase am meisten durch Protektion begünstigten Branchen erlebten starke Einbrüche bei den Wachstumsraten (Textilindustrie, elektrische und nichtelektrische Maschinen, Basismetalle, Nichteisenmetalle). Hier ging auch die Zahl der Unternehmen stark zurück. Durch die Politik der Chicago Boys wurden bis 1982 weit über 2500 vornehmlich industrielle Unternehmen in den Ruin getrieben 58 , der Export industrieller Güter verringerte sich drastisch.39 Die verfolgte Wirtschaftspolitik und die externen Schocks hatten für verschiedene Unternehmenstypen unterschiedliche Konsequenzen: - Unternehmen in vormals hochgradig protektionierten Branchen, die nun mit billigeren Importen konkurrieren mußten, erlebten in der Zeit zwischen 1976 und 1979 einen Preisverfall ihrer Produkte. - Exportorientierten Unternehmen kamen in großem Umfang die mehrfachen Abwertungen 1974/75 und die Reduktion der Zölle für benötigte Importe zugute. - Beide Untemehmenstypen wurden jedoch durch die fortschreitende Überbewertung des Peso 1980-82 infolge des fixierten Wechselkurses in Mitleidenschaft gezogen, da sie an Konkurrenzfähigkeit verloren. - Die zunehmend mit Importen konkurrierenden Binnenmarktproduzenten waren zudem von der schweren Rezession Anfang der 80er Jahre betroffen.*® Zum Verständnis auch des politischen Verhaltens der Industrieunternehmer ist es nicht unerheblich, daß durch die Liberalisierung der Ökonomie nur knapp die Hälfte aller Unternehmen im Industriesektor negativ betroffen war, wenn auch zu bedenken ist, daß dieser Durchschnittsanteil für die einzelnen Branchen differierte. So verspürten etwa drei Viertel der Unternehmer im metallmechanischen Bereich die negativen Auswirkungen, dagegen lediglich ein Fünftel in der Holzwirtschaft.61 Den mit der beabsichtigten Umstrukturierung der Ökonomie einhergehenden Krisenprozessen paßten sich die verbliebenen Unternehmer auf verschiedene Arten an: a) Einige Unternehmen konnten sich auf der Basis komparativer Kostenvorteile und der Verarbeitung von im Lande vorfindbaren natürlichen Ressourcen restrukturieren. b) Ein Teil der Unternehmen nutzte die bestehenden VerschuldungsmöglichSiehe A. Mizala, Las reformas económicas de los años setenta y la industria manufacturera chilena, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 35, 1992, S. 158 f.; A. Mizala, Liberalización financiera y quiebra de empresas industriales. Chile 1978-82, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 67, Santiago, 1985. 59 Vgl. R.N. Gwynne, The Deindustrialization of Chile 1974-1984, in: Bulletin of Latin American Research, Vol. 5, 1986, Num. 1, S. 6 ff. ^ Vgl. V. Corbo/J.M. Sánchez, El ajuste de las empresas del sector industrial en Chile durante 1974-1982, in: Colección Estudios CIEPLAN,»Num. 35,, 1992, íi » S. 138 f. ol Vgl. A. Mizala, Las reformas económicas ..., a.a.O., S. 166.

171

keiten, um einem raschen Konkurs zu entgehen, und sorgte auf diese Weise über technologische Innovationen für betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen, c) Viele Unternehmen paßten sich den veränderten Umständen an, indem sie teurere nationale Produkte durch billigere Importe ersetzten bzw. sich sogar gänzlich dem Import-Export-Geschäft widmeten und so ihre Basis diversifizierten. d) Eine weitere Anpassungsstrategie bestand darin, die Vielfalt der produzierten Güter zu verringern und sich auf die konkurrenzfähigsten Produkte zu spezialisieren, e) Ein wesentlicher Teil der Anpassung wurde über den Arbeitsmarkt und die Lohnpolitik bewerkstelligt: Nicht nur wurden ca. 120.000 Industriearbeiter in den Jahren 197582 entlassen, sondern auch die Löhne der verbliebenen Beschäftigten im Industriesektor bis Mitte der 70er Jahre um über die Hälfte gesenkt (Index 1970 = 100; 1972 = 151; 1975 = 43), so daß für die Unternehmer ein gewisser Ausgleich für die umgesetzte Schockpolitik geschaffen wurde. Lohnsenkungen und Entlassungen von Arbeitskräften waren aufgrund der restriktiven Arbeitsgesetzgebung jederzeit und ohne Probleme möglich. 62 Zwar konnten sich einige Branchen bereits in der Zeit des Wirtschaftsbooms erholen, doch zu einer breitenwirksamen Verbesserung der Situation im industriellen Sektor kam es erst nach der schweren Rezession in den 80er Jahren. Dazu trug die Umorientierung der Wirtschaftspolitik nicht unerheblich bei. Da der Anpassungsprozeß im Industriesektor selbst fast ausschließlich in den 70er Jahren stattfand, konnte sich seit Mitte der 80er Jahre der restrukturierte Industriesektor erneut konsolidieren und seine Strukturen sich vertiefen. Einige Branchen konnten sich relativ dynamisch und unter Ausnutzung ihrer komparativen Kostenvorteile in den Weltmarkt integrieren (Nahrungsmittel, Getränke, Holz, Möbel, Papier, Nichteisenmetalle). Sie bildeten zugleich die Basis des Exports sog. nicht traditioneller Produkte aus dem industriellen Bereich. 63 Wenn somit zwar für die 70er und die Krise der 80er Jahre von einem Prozeß der realen Deindustrialisierung gesprochen werden kann, so ist dies für die Zeit nach der schweren Krise nur noch äußerst partiell richtig, ist doch eher eine industrielle Restrukturierung als die weitere Destruktion industrieller Kapazitäten festzustellen. 64 Dieser Restrukturierungsprozeß war sowohl auf intersektoraler wie fo

63

64

Siehe P. Melier, La apertura comercial chilena. Lecciones de política, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 35, 1992, S. 43 f.; V. Corbo/J.M. Sánchez, a.a.O., S. 134; und M. Velásquez, (Des)regulación del mercado del trabajo en Chile, in: Reestructuración y regulación institucional del mercado de trabajo en América Latina, OIT, Genf, 1993, S. 127-157. Vgl. O. Muñoz, Crisis and Industrial Reorganization in Chile, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs Vol. 31, 1989, Num. 1/2, S. 175; sowie V. Tokman, Global Monetarism and the Destruction of Industry, in: CEPAL Review, Num. 23, 1984, S. 107117. Siehe A. Díaz, L'industrie chilienne au sortir de la crise, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 94, 1989, S. 52-65; und D. Hachette de la Fresnaye, El sector industrial chileno 1974-

172

auch noch stärker auf intrasektoraler Ebene sichtbar 65 , so daB die chilenische Ökonomie eine regressive Transformation durchgemacht hat. Dies betrifft v.a. die Beziehungen einzelner Produktionssektoren (Konsumgüter, Zwischengüter, Kapitalgüter) zueinander. Vergleicht man etwa den Anteil von traditionellen Industriegütern, Zwischengütern, Transportausrüstungen und Maschinen am Sozialprodukt der verarbeitenden Industrie 1973-75 und 1982-84, so ergibt sich, daß sowohl der Anteil der Zwischengüter wie auch der von Maschinen und Transportausrüstungen stark zurückgegangen, der Anteil traditioneller Industrieprodukte hingegen leicht angestiegen ist. Die chilenische Ökonomie hat damit eine 'traditionellere' Ausrichtung insofern erhalten, als sich das Produktionsprofil des Landes stärker früheren ISI-Stadien angenähert hat. Gleichzeitig darf man aber innerhalb dieser regressiven Transformation nicht den beträchtlichen Spezialisierungszuwachs und den steigenden Beitrag der verarbeitenden Industrie zu den gesamten Exporten übersehen, der sich parallel zur Abnahme des industriellen Entwicklungsgrades des Landes und seiner technologischen Komplexität vollzog. Charakteristisch für die chilenischen industriellen Exporte blieb allerdings ihr geringer Verarbeitungsgrad und damit ihre geringe Wertschópfung. 66 3.2.3. Der Landwirtschaftssektor Auch bezüglich des Landwirtschaftssektors ließ sich das Militärregime seit Mitte der 70er Jahre von neoliberal-monetaristischen Prinzipien leiten: 67 Subsidiarität des Staates (i.e. Reduktion öffentlicher Ausgaben im Agrarsektor, Aufgabe aktiver Sektorpolitiken, Eliminierung von Krediten und Subsidien für benachteiligte geographische Zonen und Produzenten) und Abbau von Preiskontrollen (i.e. Aufhebung der Preisschwankungsbreiten) sollten auf der Basis der generellen Liberalisierung der Ökonomie (i.e. der Deregulierung des Grund- und Bodenmarktes) und der

65

00

1987, Instituto de Economía, Pontificia Universidad Católica de Chile, Documento de Trabajo, Num. IIS, Santiago, 1988. Vgl. R. Valdés, Cuantificación de la reestructuración sectorial generada por la liberalización comercial chilena, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 35, 1992, S. 55-83. Siehe C. Ominami, Deindustrialization and Industrial Restructuring in Latin America. The Examples of Argentina, Brazil, and Chile, in: P. Meiler (Ed.), The Latin American Development Debate. Neostructuralism, Neomonetarism, and the Adjustment Process, Boulder, 1991, S. 79-99; J. Gatica Barros, Deindustrialization in Chile, Boulder, 1989. Unmittelbar nach dem Militärputsch überwogen noch Kriterien wie die Betonung der Rolle des Staates für eine integrierte Planung des Agrarsektors, zur Orientierung des Preissystems und in bezug auf Subsidien und Kredite für die Exportförderung. Siehe allgemein A. Izquierdo, Agricultura chilena. Gobierno, economistas y empresarios 1974-1987, in: R. García (Comp.), a.a.O., S. 208-229; L. Cereceda/F. Dahse, Dos décadas de cambio en el agro chileno, Cuadernos del Instituto de Sociología, Pontificia Universidad Católica, Num. 2, Santiago, 1980; und P. Silva, Estado, neoliberalismo y política agraria en Chile 1973-1981, Amsterdam, 1987, S. 208-249.

173

Öffnung zum Weltmarkt (i.e. Abbau von Zollschranken auch im Agrarsektor) für eine effektive Allokation der landwirtschaftlichen Ressourcen sorgen und die 'Preisverzerrungen' aufheben. Was die Landreform der Regierung Allende anging, so war das Hauptziel der Politik der Militärs die Auflösung des sector reformado. Die Abschaffung der kollektiv bewirtschafteten Einheiten und die Restrukturierung der landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse war in der Bedeutung nur mit der Agrarreform selbst vergleichbar, da die vorherige Besitzstruktur nur äußerst unvollständig restauriert wurde. Der Großgrundbesitz, der die ökonomische Grundlage für die 'Rentier'-Mentalität der Agraroligarchie bot, blieb zerschlagen, und die Großgrundbesitzer konnten nie wieder ähnliche Machtpositionen erlangen wie zu früheren Zeiten. Von der gesamten im Zuge der Agrarreform enteigneten Fläche wurden im Prozeß der regularización 52% vom Staat geeigneten Nutznießern (hauptsächlich 'landwirtschaftliche Familieneinheiten' - Unidades Agrícolas Familiares) zugewiesen, die auch schon von der Agrarreform begünstigt worden waren. Knapp die Hälfte dieser Parzellen wurde allerdings in den folgenden Jahren aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder verkauft bzw. aufgegeben. 27% der enteigneten Flächen wurden an frühere Besitzer zurückgegeben. 22% wurden der CORA (Corporación de Reforma Agraria) zum Transfer, Verkauf oder zur Versteigerung an interessierte Unternehmen oder Individuen übereignet.68 Dies hat nicht nur zur Herausbildung und Stärkung eines kapitalistischen Agrarsektors mittlerer Größe geführt, sondern auch zur Entwicklung eines bäuerlichen Sektors beigetragen. Daneben besteht aber nach wie vor ein Subsistenzsektor in Form der Minifundien, die das Gros aller Betriebe ausmachen, fort. Der Großgrundbesitz hat stark an Bedeutung verloren. Die folgende Tabelle zeigt die veränderte Besitzstruktur in der Landwirtschaft auf.

68

Vgl. S. Gómez, Tenencia de la tierra. Chile 1965-1985, in: Estudios Sociales, Num. 49, 1986, S. 93; siehe ferner P. Silva, Autoritarismo, neoliberalismo y la eliminación del sector reformado en el agro chileno, in: Ibero-Americana, Vol. 18, 1988, Num. 1, S. 3-38; und P. Silva, The Military Regime and Restructuring of Land Tenure, in: Latin American Perspectives, Vol. 18, 1991, Num. 1, S. 15-32.

Tabelle 6: Veränderung der Besitzstrukturen in der Landwirtschaft 1965 Betriebe

1973 HRB»

Größe

Anzahl

%

%

0-5 5-20 20-40 40-80 > 80 Ref.sekt. Total

189529 26837 6980 4653 4876

81,4 11,5 3,0 2,0 2,1

9,7 12,7 9,4 12,8 55,4

232955 100,0

100,0

-

Betriebe

1987 HRB

Betriebe

HRB

%

%

Anzahl

%

%

191940 79,0 29351 12,1 8890 3,7 2,7 6569 260 0,1 5809 2,4 242819 100,0

9,7 15,3 12,7 19,7 2,7 39,9 100,0

195000 58000 11000 9000 3000

70,6 21,0 4,0 3,3 1,1

10,0 31,0 15,0 26,0 18,0

276000 100,0

100,0

Anzahl

-

-

(S. Gómez/J. Echenique, La agricultura chilena, a.a.O., S. 101, 106; HRB = bewässerter Basishektar, der einem ha bewässerten Landes im Zentraltal Chiles entspricht)

Durch die neoliberale Politik ist es sowohl zu einem starken regionalen Differenzierungsprozeß in der Landwirtschaft wie auch zwischen einzelnen Betriebsgrößenklassen gekommen. Der Differenzierungsprozeß ließ sich selbst innerhalb der Agrarbourgeoisie feststellen. Insbesondere jene Segmente, die die sog. '14 Grundnahrungsmittel' anbauten und für einen stagnativen Binnenmarkt produzierten, gerieten in eine schwere Krise. Dagegen wies die auf den Weltmarkt orientierte Produktion (Obstanbau, Forstwirtschaft) eine große Dynamik auf.*® Parallel zum Niedergang der landwirtschaftlichen Produktion im traditionellen Sektor der Landwirtschaft (Kartoffeln, Bohnen, Mais, landwirtschaftliche Inputs für die Industrie etc.) kam es mit der Fixierung des Wechselkurses und den hohen Zinssätzen zu einer starken Überschuldung von Bauern und Agrariern. Produktionsrückgänge und Rückgang der Anbauflächen nahmen insbesondere in der Krise 1982/83 dramatische Ausmaße an, gab es doch die größte Unterauslastung von Kapazitäten seit Jahrzehnten. Die genutzte Fläche für die Hauptagrarprodukte erreichte etwas über 850.000 ha. Ende der 60er Jahre lag diese Zahl noch bei 1.250.000 ha, und sogar auf dem Höhepunkt der Agrarreform erreichte sie noch 1 Mio. ha. 70 Neben den bereits beschriebenen Politiken wirkten sich Kredit- und Investitionsprobleme und die damit einhergehende Entkapitalisierung des Agrarsektors sowie nicht zuletzt ein deutlicher Rückgang des Gebrauchs von Düngemitteln, Pestiziden und Saatgut negativ auf die Produktion aus. Die Freigabe der

® Siehe C. Kay, La política agraria del gobierno militar de Chile, in: El Trimestre Económico, Num. 191, 1981, S. 567-601; sowie J. Crispi Soler, El agro chileno después de 1973. Expansión capitalista y campesinación pauperizante, in: Revista Mexicana de Sociología, Vol. 44, 1982, Num. 2, S. 494 ff. 70 Siehe S. Gómez/J. Echenique, a.a.O., S. 285, 293.

175

Preise und der Zollabbau verbilligten zudem Agrarprodukte, so daß die Landwirte zum Teil nicht einmal mehr die Produktionskosten decken konnten. Angesichts dieser Situation mußte das Militärregime seine 'Agrarpolitik' modifizieren. Preisschwankungsbreiten für diverse Produkte, Abgaben auf einige Importe und die de facto-Protektion bestimmter Produktionssparten gingen mit sukzessiven Umschuldungsabkommen einher und gewährten den Agrariern bessere Produktionsbedingungen. Die neue Wechselkurspolitik und die Erhöhung der Zölle beeinflußten die landwirtschaftliche Produktion ebenfalls positiv. Seit 1984 waren entsprechend wieder eine Ausdehnung der kultivierten Fläche und der verstärkte Einsatz moderner Technologien auf dem Lande zu verzeichnen. Mit der Reorientierung der Agrarpolitik und einer aktiveren Rolle des Staates konnten schließlich die rezessive Phase überwunden und wieder notwendig gewordene Nahrungsmittelimporte reduziert werden. Die große Instabilität des Agrarsektors wurde beendet. 71 Den dynamischen Sektor der Landwirtschaft bildeten der Obstanbau und die Forstwirtschaft. Beide besitzen aufgrund ihrer komparativen Kostenvorteile, der aktiven Exportförderungspolitik des Staates und der unterschiedlich starken Subsidiierung der Produktion eine starke Weltmarktorientierung. Der Obstanbau (Birnen, Pfirsiche, Äpfel, Nektarinen, Kirschen, Trauben etc.) durchlebte eine besonders dynamische Entwicklung. Sowohl die Anbaufläche wie auch die Produktion konnten kontinuierlich und mit beträchtlichen Wachstumsraten gesteigert werden. Zudem ist es zu einer Diversifizierung der Produktion (Kiwis, Avocados) und der Exportmärkte gekommen. 72 Obwohl der Obstanbau nur einen kleinen Teil der gesamten Landwirtschaft ausmacht, ist sein Gewicht in bezug auf den Technologisierungsgrad, die hohen ha-Erträge und insbesondere im Hinblick auf die Devisenerwirtschaftung bedeutsam. Im Obst- und Fruchtsektor hat sich unter der Militärdiktatur ein modernes und dynamisches Unternehmertum herausgebildet, welches über mittelgroßen Landbesitz verfügt (bis 50 ha). Großunternehmen (über 100 ha) stellen dagegen nur einen relativ geringen Teil der Betriebe.7-^ Der zweite, ebenfalls mit dem Export verbundene und sich äußerst dynamisch entwickelnde Bereich der Landwirtschaft war die Forstwirtschaft. Auch hier konnten sowohl die Produktion wie auch das Exportvolumen deutlich erhöht werden. Exportprodukte sind hauptsächlich Schnittholz, Zellulose, Papier, in zunehmendem Umfang aber auch weiterverarbeitete Produkte wie Möbel. 74 In bezug auf sein 71

72

74

Vgl. O. Muñoz/H. Ortega, La agricultura chilena y la política económica 1974-1988, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 98, Santiago, 1990, S. 5-15. Vgl. S. Gómez/J. Echenique, a.a.O., S. 295 f. Siehe J.M. Cruz, La fruticultura de exportación. Una experiencia de desarrollo empresarial, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 79-114; O. Muñoz, El Estado y los empresarios. Experiencias comparadas y sus implicancias para Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 39-43. Siehe S. Gómez/J. Echenique, a.a.O., S. 303.

176

Gewicht in der Ökonomie gilt Ähnliches wie für den Obstanbau. Die Forstwirtschaft weist aber noch mehr Verbindungen zur übrigen Nationalökonomie auf und stellt im Vergleich zum Obstexport deutlich höher verarbeitete Produkte her, wenn auch deren Wertschöpfungsanteil im Vergleich zur Industrie gering ist. 7 5 Mit der Entgegensetzung eines traditionellen und eines modernen Sektors und seinen unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken ist es zu einem beträchtlichen Dualismus in der Landwirtschaft gekommen. Die kapitalistisch betriebene Landwirtschaft mit guter technologischer Ausstattung verfügte über die besten Böden des Landes; ihr steht eine große Zahl von lediglich defizitär arbeitenden Minifundien gegenüber, deren Kennzeichen häufig Subsistenzproduktion und ländliche Armut sind. Entfiel noch Ende der 70er Jahre ein nicht unbedeutender Teil der Produktion von Grundnahrungsmitteln auf den arbeitsintensiven kleinbäuerlichen Sektor, so hat dieser Sektor angesichts der Intensivierung und Techniflzierung der kapitalintensiv betriebenen Landwirtschaft immer stärker an Bedeutung verloren. 76 Damit ging gleichzeitig ein äußerst ungleichgewichtiger Beitrag der einzelnen Betriebsgrößenklassen zum agrarischen Sozialprodukt einher. 3.2.4. Exportstruktur und -diversifizierung In eine von der Pinochet-Regierung gewünschte Richtung entwickelte sich der Exportsektor, der in den 70er und 80er Jahren besonders gefördert wurde. Dieser Sektor hat sich stark vergrößert und trug gegen Ende der 80er Jahre mit über 33% zum BIP bei (gegenüber lediglich 20% 1970), nachdem die Exporte in den Jahren der Militärdiktatur um jahresdurchschnittlich über 10% gewachsen waren. 7 7 Diese Entwicklung ist insbesondere vor dem Hintergrund der früheren Außenhandelsstruktur bedeutsam. Als klassische Export-Import-Ökonomie war Chile jahrzehntelang wesentlich von Salpeter- und später von Kupferexporten abhängig, um die Devisen für notwendige Importe zu erwirtschaften. Andere Exportprodukte spielten demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle.

75

7 fi

77

Siehe D. Messner/I. Dietrich/J. Friederici/R. Guttack/K. Kiehl/W. Klein, Hacia la competitividad industrial en Chile. El caso de la industria de la madera, DIE, Berlín, 1992. Siehe A. Rojas, Agricultura campesina y mercado de alimentos, Estudios e Informes de la CEPAL, Num. 35, Santiago, 1984; GIA, Capitalismo y campesinado en el agro chileno, Santiago, 1979. Siehe P. Meller (Comp.), Resultados económicos de cuatro gobiernos chilenos 1958-1989, Apuntes CIEPLAN, Num. 89, Santiago, 1990, S. 17.

177

Tabelle 7:

Exportstruktur Chiles: Beiträge der Wirtschaftssektoren zum Export in %

Bergbau/Minen Kupfer Salpeter/Jod Andere Landw./Forstw./Fischerei Landwirtschaft Fischerei Andere Industrie Nahrungsmittel Getränke Holz Papier/Zellulose Chemie Basismetalle Maschinen Transportmaterial Total Exportanteil am BSP

1950

1960

1970

1980

1989

82.1 50,0 25,7 6,4 12,9 5,6

86,6 68,4 8,2 9,9 5,1 3,5

85,5 75,5 1,9 8,1 3,0 2,0

59,3 46,1 1,9 11,4 7,3 5,2

55,4 49,8 1,6 3,9 12,3 8,8

7.3 4,9 1,2 0,6 0,2

1,6 8,3 1,6 0,1 0,4 1,2 0,6 3,7 0,3 0,0

0,8 11,6 2,6 0,2 0,8 3,0 1,0 2,1 0,7 0,5

0,8 33,4 8,0 0,5 6,3 6,2 3,5 6,0 1,4 0,9

0,7 32,3 10,5 0,5 4,3 5,2 3,5 5,1 0,7 0,5

0,6 1.4 0,2

100,0 22.2

0,1

100,0 15,7

0,1

100,0 20,6

1,2

100,0 23,7

2,8

100,0 33,5

(A. Jadresic, Transformación productiva, crecimiento y competitividad internacional. Consideraciones sobre la experiencia chilena, in: Pensamiento Iberoamericano, Num. 17, 1990, S. 44)

Aus der Tabelle geht deutlich der rasche Bedeutungsverlust der Bergbauprodukte in den 70er Jahren hervor. Machten diese jahrzehntelang über 80% der Exporte aus, so reduzierte sich deren Anteil gegen Ende der 80er Jahre auf knapp 55%. Dennoch blieb Kupfer das bedeutendste Exportprodukt. Die chilenischen Exporterlöse und die Entwicklung der Handelsbilanz hängen damit weiterhin überproportional von einem auf dem Weltmarkt starken Preisschwankungen unterliegenden Produkt ab. Dagegen sind die Exporte agroindustriellen Ursprungs rasch gestiegen. Die Landund Forstwirtschaft und die Fischerei vervierfachten ihren Anteil seit 1970. Der Sektor trug am Ende der Diktatur mit 12% zum Export bei. Das Gros des Exportzuwachses entfiel auf die Landwirtschaft, wo sich der Obstanbau besonders dynamisch entwickelte. Letzterer erzielte einen Großteil der Exporterlöse der Landwirtschaft (1975 : 63,3%; 1985: 84,3%). 78 Daneben ist eine rasche Exportentwicklung in der Fischerei zu konstatieren. Neben dem Export von frischen Fisch haben sich v.a. die Fischmehl- und Fischölindustrie als die bedeutendsten Aktivitäten dieses Sektors herausgebildet. Der Anteil industrieller Produkte am Export verdreifachte sich seit 1970 und betrug 1989 über 32%. Die dynamischsten Sektoren waren hier Nahrungsmittel, Papier und Zellulose sowie Holz. Der Export der letztgenannten Siehe A, Mizala, International Industrial Linkages and Export Development. The Case of Chile, in: CEPAL Review, Num. 46, 1992, S. 157. 178

Produkte beruhte auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, bei denen Chile auf dem Weltmarkt über hohe komparative Kostenvorteile verfugt. Die Unternehmen in der Holzwirtschaft sind vertikal integriert und weisen hohe Wachstumsraten a u f . 7 ' Daneben sind aus anderen Bereichen Halbfertigwaren mit höherem Verarbeitungsgrad getreten, deren Anteil am Gesamtexport aber insgesamt noch bescheiden ist (Basismetalle, Chemie, Maschinen, Transportausrüstungen). Da 90% der Exporte nach wie vor auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zurückgehen, ist Chile mit seinen Exportprodukten v.a. in wenig dynamische Segmente des Weltmarktes integriert, deren Einkommenselastizität in bezug auf die Nachfrage gering ist und deren Preise starken Schwankungen unterliegen 80 , da sie nur einen geringen Grad der Weiterverarbeitung und entsprechend eine geringe Wertschöpfung aufweisen. Kritisch ist weiterhin anzumerken, daß die chilenischen Exportaktivitäten mit einer intensiven Nutzung und einem hohen Verbrauch natürlicher Ressourcen einhergehen, so daß die ökologischen Schäden beträchtlich sind (Überforstung, Überfischung, Vergiftung der Umwelt durch den Bergbau etc.). 81 Der Exportsektor weist eine hohe Konzentration auf. 1979 kontrollierten lediglich zehn grupos económicos zwei Drittel der Exporte. An führender Stelle befanden sich in den 70er Jahren Cruzat-Larrain und Mustakis mit jeweils über 12%. An dritter Stelle kam der Staat mit seinen Unternehmen CODELCO und CAP. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre hatte sich das Bild beträchtlich gewandelt. Ein einziger Großkonzern (Angelini-Fletcher Challenge) kontrollierte zwei Fünftel des gesamten Außenhandels, die grupo Matte folgte mit über 10% Anteil. 82 Positiv zu beurteilen ist hingegen, daß eine weitgehende Diversifizierung der Abnehmerländer chilenischer Exporte erreicht werden konnte. Der Anteil lateinamerikanischer Länder verringerte sich zwischen 1976 und 1990 von knapp 27% auf 12,5%. Ebenfalls abgenommen hat die Bedeutung Europas für chilenische Exporte (von knapp 46% auf knapp 40%). Dagegen ist der Anteil der USA leicht von 12% auf 17% gestiegen. Insbesondere in Asien konnte Chile neue Märkte erschließen. Der Anteil der Exporte, der in diese Region ging, verdoppelte sich im angegebenen Zeitraum knapp von 14% auf 26%. Ca. zwei Drittel dieser Exporte entfielen auf Japan. 83 Problematisch ist, daß der Exportsektor selbst - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nur geringe linkages mit der übrigen Ökonomie aufweist und die Exportproduktion häufig Enklavencharakter trägt. ^ RH 81 82 83

Vgl. R.N. Gwynne, Non-traditional Export Growth and Economic Development. The Chilean Forestry Sector Since 1974, in: Bulletin of Latin American Research, Vol. 12, 1993, Num. 2, S. 147-169. Die terms oftrade für Chile sind zwischen 1970 und 1986 auf ein Drittel ihres Ausgangswertes gefallen. Vgl. O. Muñoz, El Estado y los empresarios, a.a.O., S. 37. Siehe E. Römpczyk, Chile - Modell auf Ton, Unkel/Rhein, 1994, S. 71-120. Siehe P. García, Cambios industriales..., a.a.O., S. 130. Vgl. D. Nohlen/D. Nolte, Chile, a.a.O., S. 299.

179

3.2.5. Beschäftigungspolitische Aspekte Neben den Daten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zu den einzelnen Wirtschaftssektoren ist auch ein Blick auf die beschäfitigungspolitischen Implikationen der neoliberalen Umstrukturierung der Ökonomie von Bedeutung. Tabelle 8:

Verteilung der erwerbstätigen Bevölkerung nach Sektoren in 1000 und in % 1975

Landwirtschaft Bergbau Industrie Elekt./Gas/Wasser Baugewerbe Handel Transp./Kom.wesen Finanzwesen Übrige Dienstl. Übrige Insgesamt

1988

in 1000

in %

in 1000

in %

518,1 82,3 456,8 20,5 120,5 398,6 176,2 71,4 786,6 19,1 2650,1

19,6 3,1 17,2 0,8 4,5 15,0 6,6 2,7 29,7 0.8 100,0

865,1 88,2 670,4 25,4 276,1 731,7 275,0 182,0 1150,9 1,0 4265,8

20,3 2,0 15,7 0,6 6,5 17,2 6,4 4,3 27,0 0,0 100,0

(Instituto National de Estadística)

Die Verschiebungen in den Beschäftigungsstrukturen reflektieren zu einem Gutteil den Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In der Regel entsprachen sich die geringere oder größere Bedeutung eines Sektors im Sinne seines Beitrags zum BSP und dessen Kapazitäten zur Beschäftigungsabsorption. Die Tabelle 8 gibt die Verteilung der erwerbstätigen Bevölkerung nach Wirtschaftssektoren wieder, wobei zu berücksichtigen ist, daß 1975 durch die schwere Rezession der Beschäfitigungsstand eher niedrig ausfiel und die Entwicklung zwischen den beiden Jahren nicht kontinuierlich verlief, da es 1982/83 durch die schwere Krise erneut zu einem starken Beschäftigungsrückgang kam. Auffällig ist zunächst, daß sich die Anteile der verarbeitenden Industrie und des Bergbaus signifikant verringert haben. In beiden Sektoren waren gegen Ende der 80er Jahre selbst unter Hinzurechnung der Sparte Elektrizität/Gas/Wasser nicht mehr Personen beschäftigt als in der Landwirtschaft. Im Bergbau sind die absoluten Beschäftigungszahlen nur geringfügig gestiegen. Die Landwirtschaft erfuhr wie die anderen Sektoren auch einen absoluten Beschäftigungszuwachs, im Unterschied zu den übrigen Branchen weitete sich aber auch ihr relativer Anteil an der Gesamtbeschäftigung aus. Von den produktiven Sektoren der Ökonomie stellte die Landwirtschaft die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung. Die drei Sektoren, die in bezug auf die Beschäftigungszahlen am stärksten wachsen und zusätzlich ihre relative Bedeu180

tung erhöhen konnten, waren das Finanzwesen, das Baugewerbe und der Handel. Im jährlichen Durchschnitt betrug der Beschäftigungszuwachs in der obigen Reihenfolge 7,5%, 6,6% bzw. 4,8%. Was den Dienstleistungsbereich angeht, so erhöhte sich zwar seine absolute Beschäftigtenzahl, sein Anteil an der Gesamtbeschäftigung verringerte sich aber. Insgesamt waren 1988 rund 55% der Bevölkerung im Handels- und Dienstleistungsbreich tätig. Dieser Anteil betrug 1975 erst 48%. Tabelle 9: Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Reallöhnen 1970 bis 1989

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

Aibeitslosenrate

Index der Reallöhne

5,7 3,8 3,1 4,8 9,2 16,4 19,9 18,6 17,9 17,7 15,7 15,6 26,4 30,4 24,4 21,4 16,0 12,2 9,0 6,3

100,0 122,7 96,1 77,6 65,0 62,9 64,7 71,4 76,0 82,2 89,3 97,3 97,6 86,9 87,1 83,2 84,9 84,7 90,3 92,8

(P. Meiler (Comp.), Resultados ..., a.a.O., S. 22; N. Flaño, El neoliberalismo en Chile y sus resultados, a.a.O., S. 51; R. Ffrench-Davis, Herencias y desafíos económicos de la democracia chilena, a.a.O., S. 26)

Unter beschäftigungspolitischen Aspekten interessant sind des weiteren Daten zur Arbeitslosigkeit und zu den durchschnittlichen Reallöhnen. Bezüglich der Arbeitslosigkeit ist zunächst festzustellen, daß es eine relative Entkoppelung von Konjunktur und Beschäftigungssituation gegeben hat. Die Arbeitslosenrate erreichte zunächst 1976 mit knapp 20% einen vorläufigen Höhepunkt und blieb bis 1988 auf hohem Niveau. In der Krise 1983 wurde mit über 30% eine Rekordmarke erreicht. In den verbliebenen Jahren der Diktatur sank die Arbeitslosenrate langsam, so daß sie 1989 'nur' noch 6,3% betrug. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate lag mit 17,3% in der Pinochet-Zeit beträchtlich über den Werten früherer Zeiten. Die Entwicklung während der 70er und 80er Jahre zeigt, daß die Strukturanpassung der Unternehmen zu einem beträchtlichen Teil über den Arbeitsmarkt und die Reallöhne bewerk181

stelligt wurde. Der Index der durchschnittlichen Reallöhne sank bis 1975 mit 63% auf das niedrigste Niveau seit 1970 und erholte sich bis zur Krise 1983 nur langsam. Mit der Krise sanken die Reallöhne erneut bis weit in die zweite Hälfte der 80er Jahre hinein ab, so daß erst in den letzten beiden Jahren der Diktatur eine Erholung einsetzte. Das Niveau der Reallöhne lag damit aber immer noch 8 Punkte unter dem Ausgangswert von 1970. 3.3.

Die Folgen des monetaristischen Modells

3.3.1. Die Konzentration der Ökonomie durch Entstaatlichung und Privatisierung Unter der Militärdiktatur vollzog sich ein rasanter Konzentrationsprozeß der Wirtschaft. Dieser läßt sich einerseits direkt mit der Privatisierung der unter Allende verstaatlichten Banken und Unternehmen, andererseits mit der von den Chicago Boys betriebenen Liberalisierung der Ökonomie in Verbindung bringen. Die Konzentration der wirtschaftlichen Macht vollzog sich in mehreren Schritten: In den Jahren unmittelbar nach dem Militärputsch wurden zunächst die requirierten oder 'intervenierten' Unternehmen und dann auch die Banken an ihre früheren Besitzer zurückgegeben. Parallel dazu wurden mit der Liberalisierung der Kapitalmärkte (insbesondere der Zulassung von financieras und durch die Befreiung der Zinssätze) und der Deregulierung des Außenwirtschaftsverkehrs (Aufhebung der Kreditbeschränkungen im Ausland) enorme Spekulations- und Bereicherungsmöglichkeiten geschaffen. Als dieser Prozeß zu einem Abschluß gekommen war, profitierten einige wenige Unternehmensgruppen von der Übertragung ehemaliger Staatsaktivitäten auf Privatpersonen (Renten- und Sozialversicherung etc.). Das Auseinanderbrechen der größten grupos in der Krise Anfang der 80er Jahre und die durch die Intervention des Finanzsystems seitens des Staates erworbene Kontrolle über die Ökonomie bildeten den Ausgangspunkt für eine zweite Privatisierungswelle, die weit über die erste hinausging und zu einer nachhaltigen 'Entstaatlichung' der chilenischen Ökonomie führte. Als Gradmesser für die Konzentration der Ökonomie sollen im folgenden betrachtet werden die Kontrolle einzelner Unternehmensgruppen über bestimmte Märkte und das Produktivvermögen des Landes, die Ausübung effektiver Kontrolle über das wirtschaftliche Surplus, nicht zuletzt auch ihre Kapazität, die Verwendung liquider Finanzmittel in Form von Krediten oder Ressourcen der Kapitalmärkte zu kontrollieren und im Eigeninteresse zu kanalisieren. Wie bereits erwähnt, ist die starke Konzentration der wirtschaftlichen Macht in Chile kein neues Phänomen. Bereits in den 60er Jahre wies die chilenische Ökono-

182

mie starke Konzentrationstendenzen auf. 84 Das Gros wirtschaftlicher Aktivitäten wurde von 20 grupos kontrolliert, von denen drei im Vergleich zu den anderen eine exponierte Stellung in bezug auf die Zahl und die Größe der von ihnen kontrollierten Unternehmen zukam. Es handelte sich um die grupos Augustín Edwards (mit Schwerpunkt im Zeitungswesen), Eliodoro Matte (Papier und Holz) und die Banco Hipotecario. Die letzte wurde gebildet von Javier Vial, Fernando Larrafn und Ricardo Claro (breit diversifiziert, mit Schwerpunkt im Finanzsektor). Weitere Konzerne von geringerer Bedeutung waren Menéndez Préndez (Schiffahrt und Fischerei), Anacleto Angelini (Fischerei und Forstwirtschaft), die Gebrüder Yarur (Textilindustrie und Dienstleistungen), Sumar (Textilindustrie), Hernán Briones (Zement und andere Grundstoffe), Roberto Lepe, Pierre Lehman und Helios Piquer (Dienstleistungen, Zwischengüter), Carlos Vial Espantoso (breit diversifiziert), Andrónico Luksic (Zwischengüter), Pedro Ibáñez (Nahrungsmittel) und Francisco Soza (Finanz- und Bauwesen). Die erwähnten grupos kontrollierten Ende der 60er Jahre einen bedeutenden Teil des Produktivvermögens. Dennoch gelang es nur wenigen der für damalige Verhältnisse bereits großen Konglomerate, die Zeit der Unidad Popular unbeschadet zu überstehen, weil ein Großteil ihrer Aktiva expropiiert wurde. Die Reprivatisierung dieser Unternehmen in den ersten Jahren des Militärregimes, insbesondere der Banken, bildete den Ausgangspunkt für die Bildung neuer Großkonzerne, die die Ökonomie bis 1982 beherrschten. Im Gegensatz zu früheren Zeiten hatten diese Unternehmen ihre Hauptbasis im Finanzsektor, waren horizontal und vertikal integriert und verfügten in nahezu allen Wirtschaftssektoren über Interessen. Herausragende Bedeutung kam dabei in den 70er Jahren den grupos Cruzat-Larrain und Vial zu. Zwischen 1974 und 1978 gab man einen Großteil der Unternehmen zurück oder verkaufte sie mitten in der schweren Rezession zu einem äußerst günstigen Preis. Nur der geringste Teil mußte bar bezahlt werden und langfristige, sehr billige Kredite, deren Deckung in eben den erworbenen Unternehmen bestand, führten zu einem beträchtlichen Einnahmeausfall des Staates. Die mit der Veräußerung der Unternehmen einhergehende Subsidiierung des privaten Kapitals belief sich auf 30% ihres Vermögenswertes. 85 Die Einnahmen in Höhe von 585 Mio. US-$ dien-

84

85

Siehe L.F. Rojas Rosas, Concentración económica, conglomerados empresariales e inserción transnacional. Chile 1964-1970, 1973-1978, Memoria de Titulo para optar al grado de Licenciado en Sociología, Pontificia Universidad Católica de Chile, Santiago, 1980; R. Lagos, La concentración del poder económico, Santiago, 1961; M. Zeitlin/R.E. Ratcliff, The Concentration of National and Foreign Capital in Chile, 1966, in: A. Valenzuela/ J.S. Valenzuela (Eds.), Chile. Politics and Society, New Brunswick, 1976, S. 297-337. Siehe A. Foxley, Experimentos neoliberales en América Latina, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 7, 1982. 183

ten dem Staat zur Reduzierung des Fiskaldeñzits und zur Stärkung und Effizienzsteigerung der in Staatsbesitz verbliebenen Unternehmen.86 Für die zweite Hälfte der 70er Jahre läßt sich die Konglomeratsbildung deutlich nachweisen. Betrachtet man die 250 größten Unternehmen des Landes, denen aufgrund ihrer Umsätze und des Vermögens, welches sie kontrollieren, eine strategische Bedeutung zukommt, so gehörte das Gros der ein oder anderen grupo an.87 Die sechs größten grupos económicos des Landes kontrollierten allein 40% der 250 größten Unternehmen und 54% des Vermögens jener Unternehmen. Das Gewicht der ausländischen Unternehmen war zu jener Zeit nicht so bedeutend, wie vermutet werden könnte. Die transnationalen Konzerne kontrollierten 14% der 250 größten Unternehmen und 12,6% ihrer Vermögenswerte. Tabelle 10:

Die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen der grupos anhand der 250 größten Unternehmen des Landes 1978 Unternehmen

grupos Cruzat-Larraín J. Vial E. Matte A. Luksic A. Angelini A. Edwards Yarur Banna R. Lepe Mantos Blancos H. Briones 30 weitere grupos Transnat. Konzeme 36 Einzelunternehmen Total

Vermögen

%

Mio.US-$

%

37 25 12 9 8 9 4 3 4 3

14,8 10,0 4,8 3,6 3,2 3,6 1,6 1,2 1,6 1,2

936,9 477,3 325,3 161,4 141,8 95,9 92,0 67,6 70,7 54,9

24,7 12,6 8,6 4,3 3,7 2,5 2,4 1,8 1,9 1,5

65 35 36 250

26,0 14,0 14,4 100,0

531,2 475,3 357,5 3787,0

14,0 12,6 9,5 100,0

Anzahl

(F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, a.a.O., S. SO)

Ein weiterer Indikator für die Konzentration der wirtschaftlichen Macht ergibt sich aus der Betrachtung des durch die größten Konzerne kontrollierten Gesamtvermögens der an der Börse operierenden Unternehmen. Wiederum ist zu bedenken, daß

^

Für eine Auseinandersetzung mit dieser Privatisierungsphase siehe D. Hachette/R. Luders, El proceso de privatización de empresas en Chile durante 1974-1982, in: Boletín Económico, Facultad de Ciencias Económicas, Pontificia Universidad Católica de Chile, Num. 22, 1987. Vgl. F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, FLACSO, Documento de Trabajo, Num. 18, Santiago, 1983, S. 47 f. Dies ist nur eine kleine Zahl der damals in der Ökonomie vorhandenen Unternehmen. 1978 existierten mehr als 2000 Aktiengesellschaften und annähernd 10000 andere Unternehmen.

184

an der Börse nur die größten chilenischen Unternehmen zu finden sind. Von den dort 1980 vorfmdbaren 191 Unternehmen kontrollierten die sechs größten grupos zwar lediglich 54, d.h. 28,3% der Unternehmen. Diese repräsentierten jedoch ein Vermögen von knapp 70% aller an der Börse operierenden Unternehmen. Tabelle 11:

Die Kontrolle der Aktiengesellschaften an der Börse durch die grupos 1980 Unternehmen Anzahl

6 grupos Einzelunternehmer u. übrige grupos Total

%

Vermögen Mio. US-$

%

54

28,3

3629,2

68,2

137 191

71,7 100,0

1695,1 5324,3

31,8 100,0

(F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, a.a.O., S. 47)

Auch ein Blick auf die Kontrolle der Kapitalmärkte seitens der grupos kann die Konzentration des produktiven und finanziellen Vermögens in den 70er Jahren verdeutlichen. Zweifellos bildete die mit dem Pinochet-Regime wiedererlangte Kontrolle der grupos über die Banken und das Finanzsystem und damit die Verfügung über enorme liquide Mittel einen fundamentalen Erklärungsfaktor für die spektakuläre Kapitalkonzentration jener Jahre. Die privatisierten Banken konnten durch einige wenige Großunternehmer und die grupos económicos angeeignet werden. Konzerne wie Cruzat-Larrain, Matte, Vial waren zudem durch die Rückgabe von Aktienpaketen in den Besitz von Banken gekommen und hatten über die frühzeitige Gründung von financieras bedeutende Ressourcen mobilisieren können. Gegen Ende der 70er Jahre existierte mit Ausnahme von Angelini keine einzige bedeutende grupo, die nicht wenigstens im Teilbesitz einer oder mehrerer Banken oder financieras war. Durch die teilweise breite Streuung der Aktienanteile war die effektive Kontrolle der Banken durch die grupos bereits mit relativ geringen Aktienpaketen möglich. Über jene Institutionen konnten die grupos fast die gesamten Finanzmärkte und insbesondere die ausländischen Kreditzuflüsse kontrollieren.

185

Tabelle 12: Die größten Aktionäre der privatisierten Banken 1978 Kontrolle Banco de Chile Banco Hipotecario Banco Hip. y Fom. Nac. Colocadora Nac. de Valores Banco de Santiago Banco Crédito y Inversiones Banco Continental Banco del Trabajo Banco Sudamericano Banco Unido de Fomento Banco Español Banco de Concepción Banco de Constitución Banco Ind. y Com. Exter.

J. Vial C. Crazat Familie Hirmas J. Vial C. Vial Cruzat-Lanaín F. Soza Cruzat-Lanaín Cruzat-Lanaín J. Yarur N. Yarur L. CORFO A. Edwards J. Said Saffíe Venezolanisches Kapital A. Luksic Asociación de Molineros Abalos y González Banco Sudamericano V. Puig Corporación de Molineros H. Ascun Gebrüder Sáenz A. Martínez E. Conea Montt Org. Las Condes G. Pico Cañas E. Matte

Aktienbesitz 31 % 10% 1096 80% 11% 55% 45% 100% 100% 77% 46% 54% 20% 20% 39% 21% 18% 20% 15% 56% 33% 10% 10% 10% 40% 30% 15% 100%

(F. Dahse, El mapa de la extrema riqueza, a.a.O., S. 150 ff.)

Der hohe Konzentrationsgrad der chilenischen Ökonomie kann auch über die Institutionen der Finanzmärkte verdeutlicht werden. Der Anteil der externen Kredite, die dem nationalen Banksystem zwischen 1978 und 1981 zufloß, erhöhte sich von 934 Mio. auf 6300 Mio. US-$ pro Jahr. Vom letztgenannten Betrag entfielen knapp 70% auf die zehn Banken der fünf größten grupos des Landes. Allein die Banken der zwei größten Wirtschaftsgruppen (Vial, Cruzat-Larrafn) kontrollierten 52% der externen Kredite.88 Die Auslandskredite, die über Artikel 14 des neuen Ley de Cambios Internacionales in das Land kamen, konzentrierten sich ebenfalls bei den größten grupos. Sie beliefen sich Ende 1981 auf 6,7 Mio. US-$. 62% dieser Summe kontraktierten die Banken, financieras und Unternehmen der grupos Vial, Cruzat-Larrafn, Luksic, Matte, Edwards und Angelini. Allein auf Cruzat-Larrafn und Vial entfielen wiederum knapp 50% dieser Mittel.89 Damit verfügten die Banken der größten grupos über das Gros der Kredite und konnten diese Ressourcen 88 89

F. Dahse, El poder ... , a.a.O., S. 54. Vgl. ebd., S. 55 f.

186

mit beträchtlichen Gewinnen anlegen. Die grupos nutzten diese Kredite a) für den Erwerb ehemaliger Staatsunternehmen oder fiir Übernahmen anderer Unternehmen; b) um Finanzmittel anzuhäufen und zu spekulieren; c) um ihre Unternehmen effizienter zu gestalten bzw. zu rationalisieren; d) jedoch nur marginal, um auch produktiv zu investieren. Die niedrigen Investitionsraten jener Jahre (ca. 14% des BSP) trotz einer fast gänzlich auf den Privatsektor entfallenden beträchtlichen Auslandsverschuldung lassen die Diskrepanz zwischen Realinvestitionen und Spekulation deutlich hervortreten. Neben den Möglichkeiten zur Auslandsverschuldung spielten auch die Fondos Mutuos, die Versicherungsgesellschaften (Compartías de Seguró) und die im Rahmen der Privatisierung der Renten- und Sozialversicherungssysteme geschaffenen Administradoras de Fondos Previsionales (AFPs) eine nicht unbeträchtliche Rolle. Alle drei wurden von den größten grupos kontrolliert. Von den Anfang der 80er Jahre existierenden einundzwanzig Fondos Mutuos gehörten acht der grupo CruzatLarrain, sieben der grupo Vial und eine der grupo Edwards. Die übrigen fünf gehörten weniger bedeutsamen Unternehmen, vom Umfang her waren sie zudem wenig bedeutend. Ende 1981 kontrollierten allein Cruzat-Larrafn und Vial über 80% des gesamten Kapitals (810 Mio. US-$) dieser Fonds. 90 Die Versicherungsgesellschaften erlebten in den 70er Jahren ein- spektakuläres Wachstum. Der gesamte Markt war fest in der Hand der grupos. Allein Cruzat-Larrafa, Vial, Edwards und Angelini kontrollierten 1981 46% der Umsätze im allgemeinen Versicherungsbereich. Bei den Lebensversicherungen entfielen 57% auf die Unternehmen der grupos Vial und Cruzat-Larrafa.91 Die Versicherungsgesellschaften erfüllten für die grupos einen doppelten Zweck: Einerseits waren sie Attraktionspunkte von Ressourcen, insbesondere von disponiblem Kapital, andererseits ein komplementäres Instrument zur Kontrolle der Aktiengesellschaften. Die neugeschaffenen AFPs fungierten als Aktiengesellschaften mit dem Zweck, die Einlagen für die Altersrenten und Sozialversicherungsbeiträge zu verwalten. Ende 1981 kontrollierten die beiden größten grupos 74% der Ressourcen. Das bedeutete, daß der Staat den grupos die Verwaltung und finanzielle Verwahrung über Finanzressourcen in Höhe von 600 bis 800 Mio. US-$ übertragen hatte. 92 Resümierend läßt sich also eine klare Konzentration der wirtschaftlichen Vermögenswerte bei einigen wenigen grupos feststellen. Diese grupos wiesen zudem durch ihre Organisationsform und die spezifischen Maßnahmen der Chicago Boys eine weit überdurchschnittliche Dynamik auf. Umsätze und Gewinne dieser Konzerne stiegen trotz krisenhafter Phasen in den 70er Jahren exorbitant.9^ 90 91 92 J

Vgl. ebd., S. 57 f. Vgl. ebd., S. 58 f. Vgl. ebd., S. 59 f. F. Dahse, El mapa de la extrema riqueza, a.a.O., S. 198 ff.

187

Die in Staatsbesitz verbliebenen Firmen wiesen Ende der 70er Jahre verschiedene Organisationsformen auf und waren verschiedenen staatlichen Stellen zugeordnet: a) Die CORFO kontrollierte weiterhin bedeutende Unternehmen im Telekommunikationssektor, Energiebereich (Elektrizität, Gas), in den Grundstoff- und Zwischengüterindustrien (Stahl, Chemie, Zucker), im Petroleumsektor sowie wichtige Infrastruktur (Eisenbahnen, Häfen, Luft- und Schiffahrt): Compañía Chilena de Electricidad Unilectra (prozentuale Beteiligung: 99,4); Empresa Nacional de Electricidad ENDESA (98,3); Empresa Portuaria de Chile EMPORCHI (100,0); Empresa Nacional de Petroleos ENAP (100,0); Compañía de Acero del Pacifico C A P (95,0); Compartía de Teléfonos de Chile C.T.C. (93,0); Ferrocarriles del Estado FF.CC. (100,0); Industria Azucarera Nacional IANSA (90,0); Sociedad Química y Minera de Chile SOQIMICH (100,0); Empresa Nacional de Telecomunicaciones ENTEL (100,0); Empresa Nacional de Carbon ENACAR (100,0); Empresa de Transportes Colectivos del Estado ETC (100,0); Linea Aérea Nacional L A N (100,0); Empresa Marítima del Estado EMPREMAR (100,0); Empresa Nacional de Explosivos ENAEX (100,0); Gas de Chile S.A. (30,0); Empresa de Comercio Agrícola ECA (100,0); Empresa Nacional de Computación ECOM (100,0); Sociedad Agrícola CORFO SACOR (100,0); Compañía Nacional de Teléfonos de Valdivia CONATEVAL (80,5); Complejo Forestal y Maderero Panguipulli COFOMAR (100,0); Compañía de Teléfonos de Coyhaique (34,0); Compañía Chilena El Litio S.A. (45,0); Empresa Mineria Aysén S.A. (100,0); Correos y Telégrafos (100,0); Transbordadores Marítimos Chiloé y Aysén TRANSMAR-CHILAY (51,0); Sociedad Factibilidad Celulosa Panguipulli Ltda. (51,0). b) Die Banco del Estado war als Zentralbank dem Finanzministerium unterstellt. c) Die dem Staat gehörenden Unternehmen der Gran Minería (Corporación del Cobre - CODELCO; Empresa Nacional de Minería - ENAMI) unterstanden dem Ministerium für Bergbau und Minenwesen. d) Des weiteren gab es 15 Staatsunternehmen, die verschiedenen Ministerien zugeordnet waren. Zu erwähnen sind hier die dem Finanzministerium unterstellten Polla Chilena de Beneficencia, Instituto de Seguros del Estado-, die dem Verteidigungsministerium unterstellten Fabrica y Maestranza del Ejército FAMAE und Astilleros y Maestranzas de la Armada ASMAR; die dem Ministerium für öffentliche Angelegenheiten unterstellten Dirección General de Metro, Empresa Metropolitana de Obras Sanitarias EMOS, Empresa Nacional de Riego; die dem Präsidialamt bzw. dem Erziehungsministerium unterstellten TV Nacional de Chile, Radio

188

Nacional de Chile sowie die Corporación de Televisión de la Universidad de Chile.94 Durch die Privatisierungen der 70er Jahre war der Anteil des Staates am Bruttoproduktionswert der Ökonomie zwar beträchtlich gesunken93, dennoch bildeten die Staatsunternehmen Ende der 70er Jahre noch ein beträchtliches Segment der chilenischen Ökonomie. Mit CODELCO, ENAP, EN AMI, CAP, ENDESA und CHILECTRA waren sechs der zehn größten Unternehmen des Landes in Staatsbesitz verblieben. Im Gefolge der schweren Krise Anfang der 80er Jahre kam es zu einer Reorganisation der Struktur der wirtschaftlichen Macht und der dominanten grupos. Die Militärregierung sah sich zur 'Intervention' des privaten Bankensystems gezwungen, um dieses vor dem endgültigen Zusammenbruch zu retten. Auch eine Reihe führender grupos der 70er Jahre (Cruzat-Larrafn, Vial, Contreras, Sahli-Tassara, Calaf-Damioni etc.) ging aufgrund völliger Überschuldung in die Pleite.9** Durch die Konglomeratsstruktur der großen Konzerne und die Verschachtelung unterschiedlicher Unternehmenseinheiten wurde der Staat temporär zum größten Anteilseigner in der Ökonomie und hatte ein viel stärkeres Gewicht als zu Zeiten der Unidad Popular. Entsprechend kam dem Reprivatisierungsprozeß der 80er Jahre eine weitaus größere Bedeutung zu als dem der 70er Jahre. Nicht nur der Umfang (dem Staat flössen durch die Verkäufe 1,2 Mrd. US-$ an Fiskaleinnahmen zu), sondern auch die Geschwindigkeit, mit der die Privatisierungen durchgeführt wurden (innerhalb von vier Jahren war der Prozeß de facto abgeschlossen), stellte einen bedeutenden Unterschied zu den Anfangen der Militärdiktatur dar. 97 Der Privatisierungsprozeß umfaßte dabei sowohl eine Reorganisierung des Finanzsystems als auch eine 'Normalisierung' der Eigentumsstrukturen der großen Industriekomplexe. Im Laufe dieser Entwicklung wurden schließlich auch im langjährigen Staatsbesitz befindliche Unternehmen privatisiert und das Gewicht des Staates auf ein Minimum reduziert. Die folgende Tabelle 13 vergleicht die ursprünglich geplante mit der 94

93

Q7 y

Vgl. ebd., S. 185 ff. Im Zuge der ersten Privatisieningswelle wurde ein Teil der Unternehmen auch einfach liquidiert. Siehe auch E. Boeninger/E. Palma, Empresas estatales. El caso chileno y un análisis general, in: Estudios Sociales, Num. 38, 1983, S. 81-138. Siehe O. Muñoz/H. Schamis, Las transformaciones del Estado en Chile y la privatización, in: Adonde va América Latina? Balance de las reformas económicas, CIEPLAN, Santiago, 1992, S. 286. Vgl. Los imperios de los 70, la caída de los 80, los grupos de los 90, in: Estrategia. La voz de la libre empresa, 21.10.1991, S. 16-21. Die Vorteilhaftigkeit einer Organisation als grupo gegenüber nationalen Unternehmen betonen J. Galvez/J. Tybout, Microeconomic Adjustments in Chile during 1977-81. The Importance of Being a grupo, in: World Development, Num. 8, 1985, S. 969-994. Siehe M. Marcel, La privatización de empresas públicas en Chile 1985-88, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 125, Santiago, 1989, S. 3. 189

effektiv durchgeführten Privatisierung und verdeutlicht das hohe Privatisierungstempo. Tabelle 13:

Entwicklung der Ziele und Resultate der Privatisierung öffentlicher Unternehmen Privatisierungsziel (%)

CAP COFOMAP COLBUNb CTC CfflLMETROa CHILGENERa CHILQUINTA ab ECOM EMECb EMELb ENELATb ENACAR HNAEX ENDESA ENTEL IANSA LAB Chile LAN Chile PILMAIQUEN b PULLINQUE b SOQU1MICH SCHWAGER TELEX EDELNOR EDELMAG ISE Chile Films EMPREMAR c PEHUENCHE EMOS C ESVALc

9'85

12'86 12'87

9*88

49 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 49 0 0 0 0 0 0 0 0

80 100 30 51 100 49 100 100 100 100 100 49 100 30 30 49 49 33 100 100 65 49 100 0 0 0 0 0 0 0 0

100 100 51 100 100 100 100 100 100 100 100 49 100 55 75 100 63 60 100 100 100 100 100 100 100 33 100 35 50 49 49

100 100 51 100 100 100 100 100 100 100 100 49 100 49 51 56 49 60 100 100 100 100 100 49 49 33 0 0 0 0 0

Effektive Privatisierung 12'86 52 k.A. 0 11 63 35 63 100 100 100 0 0 0 0 30 46 23 0 100 0 55 0 100 0 0 0 0 0 0 0 0

12'87 100 k.A. 30 25 100 65 100 100 100 100 100 0 100 20 33 49 49 0 100 100 82 33 100 0 0 0 0 0 0 0 0

9'88 100 100 30 75 100 100 100 100 100 100 100 1 100 51 51 88 63 33 100 100 100 46 100 2 67 0 0 0 0 0 0

(M. Marcel, La privatización de empresas públicas en Chile 1985-88, a.a.O., S. 16; a = Unternehmen, die aus der Teilung von CHILECTRA hervorgegangen sind; b = Tochterunternehmen von ENDESA; c = Die rechtliche Grundlage für die Privatisierung wurde erst nach 1988 geschaffen.) Auch bezüglich der Motivationen der Privatisierung lassen sich Unterschiede zur ersten Privatisierungswelle erkennen. Zeichneten sich die Unternehmen damals fast durchgängig durch größere Defizite aus und waren sie eine Belastung für den Staatshaushalt, so wiesen die in Staatsbesitz verbliebenen Unternehmen eine gesunde Struktur auf und erzielten hohe Gewinne. Die häufig den Staatsunternehmen unterstellte größere Ineffizienz gegenüber Privatunternehmen traf in diesem

190

Fall nicht zu, da der Staat die Unternehmen in den 70er Jahren saniert und konsolidiert hatte. Hier traten also in erster Linie ideologische Gründe des Militärregimes in den Vordergrund, ohne die bedeutende kurzfristige Erhöhung der Fiskaleinnahmen außer acht zu lassen. 9 8 Desweiteren sollten aber auch Möglichkeiten und Voraussetzungen für die in jener Zeit betriebene Kapitalisierung der Auslandsschulden über sog. debt-equity-swaps geschaffen und nicht zuletzt den AFPs rentable Anlagemöglichkeiten für ihre großen Kapitalmengen geboten w e r d e n . " Dabei kamen insbesondere vier Methoden zur Anwendung: Etwa die Hälfte der Unternehmensanteile wurde zwischen 1985 und 1988 an Unternehmen verkauft, deren Aktien an der Börse gehandelt wurden. Ca. 15% umfaßten Verkäufe an die AFPs. Ein dritte Art der Privatisierung bestand in der Veräußerung von Aktienanteilen an die Arbeiter und Angestellten des Unternehmens selbst bzw. an öffentlich Beschäftigte. Durch diese von der Regierung als capitalismo populär100 bezeichneten Strategie, die den Aktienbesitz an den privatisierten Unternehmen breit streuen sollte, wurden knapp 24% der Unternehmensanteile veräußert. Sowohl im Fall der AFPs wie auch im Fall des capitalismo populär mußten dazu erst besondere Bedingungen geschaffen und Gesetze entsprechend geändert werden. Eine weitere Form der Privatisierung bestand schließlich in der öffentlichen Ausschreibung von Aktienpaketen der Unternehmen und ihrem Verkauf an den meistbietenden interessierten Käufer. Auf diese Art und Weise gingen 10% der Staatsunternehmen in Privatbesitz über. Die

99 IAA

l w

Die Privatisierungen waren wesentlich durch die neoliberale Ideologie des Militärregimes inspiriert. Der damalige Finanzminister betonte zu Beginn immer wieder "la importancia de la propiedad privada como fundamento de la sociedad libre y de la economía social de mercado," In regierungsnahen Kreisen sah man das 'Problem' wie folgt: "El fondo de la cuestión tiene que ver con el tipo de sociedad al que se aspira: un sistema socialista donde el Estado juega un rol preponderante o uno capitalista que impulse el desarrollo cimentado en la empresa privada y en la iniciativa individual." Siehe die Ausführungen des Finanzministers in Estado de la Hacienda Publica 198S, S. 23, die andere in Qué Pasa, Num. 815, 2026.11.1986, beide nach M. Marcel, a.a.O., S. 53. Vgl. O. Muñoz/H. Schamis,' a.a.O.,' S. 288. ° Siehe dazu E. Errfzuriz/J. Weinstein, Capitalismo popular y privatización de empresas públicas, Documentos de Trabajo, Num. 15, Programa de Economía del Trabajo, Academia de Humanismo Cristiano, Santiago, 1986. 'Capitalismo popular' - wörtlich Volkskapitalismus bedeutet die breite Aktienstreuung in Volkshand und/oder die Ausgabe von Belegschaftsaktien, um eine zu große Besitzkonzentration zu vermeiden. Absicht der Regierung Pinochet war es, damit zukünftigen Enteignungen bzw. Verstaatlichungen vorzubeugen und diese zu verunmöglichen. Bei breiter Streuung des Aktienbesitzes kann bereits mit relativ geringen Aktienanteilen entscheidende Kontrolle über ein Unternehmen erreicht werden. Eine Vielzahl von Aktieninhabern steuert das Kapital bei, ohne über ein effektives Mitsprache- bzw. Entscheidungsrecht zu verfügen. Die profitabelsten Unternehmen von Vial und Cruzat-Larrain befinden sich heute in der Hand weniger mächtiger Großunternehmen und grupos sowie der AFP - mit volkskapitalistisch gestreutem Aktienbesitz.

191

Tabelle 14 gibt einen Überblick über die Art der Privatisierung einzelner Unternehmen. Tabelle 14:

CAP CHILMETRO CHILGENER CKLQUINTA EMEC EMELSA EMELAT ENDESA PILMAIQUEN PULLINQUE ECOM SCHWAGER ENAEX ENTEL CTC TELEX Chile IANSA LAB Chile SOQUIMICH TOTAL

Privatisierung öffentlicher Verkaufsanteile in % AFP

Börse

capital. popular

24,0 14,0 17,0

58,5 45,0 80,0 74,0

41,5 31,0 6,0 9,0 100,0

29,0

51,0

20,0

16,2

76,8

100,0 7,0

54,5 11,9

45,5 15,4

10,7

8,2 26,0 14,3

36,7 65,8 56,0 51,7

32,7 25,9 18,0 23,9

Unternehmen

1985-1987

und

Ausschreibung

100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 61,9 100,0 30,6 10,1

(M. Marcel, La privatización de empresas públicas en Chile 1985-88, a.a.O., S. 20)

Der Privatisierungsprozeß ist nicht nur wegen seiner insgesamt geringen Transparenz (Intentionen der Privatisierung, Mittelverwendung, Vetternwirtschaft, Privatisierungen bis kurz vor dem Regimewechsel etc.) kritisiert worden, sondern auch wegen der vornehmlich aus ideologischen Gründen stattfindenden Übertragung staatlichen Vermögens auf Privatleute, der ein lediglich kurzschlüssiges Einnahmekalkül zugrundelag.101 Zudem ist insbesondere auf die hohen Kosten für den Staat durch die beträchtliche Subsidiierung des privaten Kapitals hingewiesen worden, da die Unternehmen weit unter ihrem tatsächlichen Wert verkauft wurden. Seriöse Berechnungen gehen von 50-60% des Wertes der in den Jahren 1985-1988 privatisierten Unternehmen aus, die den neuen Käufern erlassen wurden. Die Differenz zwischen einem Vermögenswert von annähernd 2,8 Mrd. US-$ und erzielten Erlö-

101

Vgl. P. Rozas/G. Marín, 1988: El 'mapa de la extrema riqueza' 10 años después, Santiago, 1988, S. 288 f.

192

sen durch Verkäufe seitens des Staates von 1,2 Mrd. US-$ kam unmittelbar der Privatwirtschaft zugute. 102 Eine Konsequenz der Art und Weise der Privatisierung war, daß transnationale Konzerne einen zunehmenden Einfluß in der Ökonomie gewannen. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wurden über 50% der Auslandsinvestitionen über sog. debtequity-swaps getätigt 103 , zudem waren die Unternehmen aufgrund ihrer hohen Profitabilität besondere Attraktionspunkte für das Auslandskapital und leicht zu erwerben. Dies zeigte sich nicht nur bei der Reprivatisierung der intervenierten Banken, von denen ein nicht unbeträchtlicher Teil in ausländischen Besitz überging bzw. ausländische Unternehmen starke Minderheitsbeteiligungen aufwiesen, sondern auch im eigentlichen Privatisierungsprozeß. Entweder gerieten die privatisierten Unternehmen ganz unter ausländische Kontrolle oder es kam zu joint ventures zwischen chilenischem und ausländischem Kapital. Als spektakulärste Assoziierungen können gelten die Verbindung der grupo Angelini mit dem neuseeländischen Konzern Carter Holt Harvey (COPEC); die Bindung der grupo Luksic mit den Paulaner Brauereien (CCU); die Aktienverkreuzung der grupo Matte mit dem neuseeländischen Konzern Fletcher Challenge. Die Allianzbildungen bei den Nutznießern der Privatisierung - den verbliebenen lokalen grupos und dem transnationalen Kapital führten seit 1985 in allen Bereichen zu einer starken Durchdringung der chilenischen Ökonomie mit ausländischen Konzernen. 104 Die neue Eigentumsstruktur der ganz oder teilweise privatisierten Unternehmen zeigt dies eindeutig: -

-

102

Die zehn größten privaten Aktionäre kontrollierten im Durchschnitt 70% der Aktien der an den Privatsektor transferierten Unternehmen. In nur vier der siebzehn privatisierten Unternehmen kontrollierten die zehn größten Aktionäre Anteile von weniger als 50%, in den dreizehn übrigen lag ihr Anteil über 50%. Dreizehn von neunzehn der zwischen 1986 und Mitte 1988 privatisierten Unternehmen wiesen einen starken Einfluß des Auslandskapitals auf. In vier der dreizehn Unternehmen betrug dessen Aktienanteil über 50%.

Siehe M. Marcel, a.a.O., S. 61; zu den unterschiedlichen Berechnungsmethoden ebda., S.

IM 57-64.

Siehe dazu G. Marín/P. Rozas, Conversión de la deuda externa, rearticulación de los grupos económicos y transnacionalización de la economía chilena, PRIES-Cono Sur, Documento de Trabajo, Num. 8, Santiago, 1988; auch abgedruckt in Realidad Económica, Num. 81, 1988, S. 74-93. 104 Siehe P. Rozas/G. Marín, a.a.O., S. 79-279. Zum Verhalten der transnationalen Konzerne in Chile während der 70er Jahre siehe Las empresas transnacionales en la economía de Chile 1974-1980, Estudios e Informes de la CEPAL, Num. 22, Santiago, 1983.

193

-

In acht von dreizehn Unternehmen, in denen das Auslandskapital präsent ist, hielten die transnationalen Konzerne mehr als 50% der Aktien der 10 größten Aktionäre.105 Der Staat verfügte damit nur noch über die größten Kupferminen (CODELCO) sowie die Ausbeutung und Raffinierung von Petroleum (ENAP). Damit wurde die Privatwirtschaft entscheidend gestärkt. 3.3.2. Die Verschuldung des Landes Die große externe Verschuldung Chiles kann als eine weitere Folge der Militärdiktatur begriffen werden, denn bis Mitte der 70er Jahre waren die Außenstände des Landes bei zwar ansteigender Tendenz eher gering. Dies hatte seine Ursachen v.a. in den strengen Kapitalmarktkontrollen und der noch begrenzten Liquidität der internationalen Kapitalmärkte. Zudem war der chilenische Staat über seine verschiedenen Institutionen der Hauptschuldner in bezug auf externe Kredite. Damit standen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen einer schnellen Ausweitung der Verschuldung entgegen.106 Dies änderte sich mit den Reformen des Finanzsektors seit Mitte der 70er Jahre, deren Ausgangspunkt die (Re-)Privatisierung der Banken und die Zulassung sog. Finanzierungsgesellschaften (financieras) gewesen ist. Ganz gemäß der neoliberalen Philosophie setzte die Regierung bei der weiteren Umstrukturierung dieses Sektors auf die Kräfte des freien Marktes und die dominante Rolle des Privatsektors. Der Grad der Statsintervention in die Ökonomie wurde deutlich reduziert, was sich insbesondere in der Liberalisierung der Preise (hier der Zinssätze) und der Märkte (hier der Kapitalmärkte) niederschlug. Der Weg zur freien und nahezu imbeschränkten Auslandskreditaufnahme führte über die Liberalisierung der Kapitalbilanz. Mit der Modifikation des Ley de Cambios Internacionales wurde es Privatpersonen und Unternehmen erlaubt, Kredite im Ausland aufzunehmen, und der freie Zugang zu den internationalen Devisenmärkten sichergestellt. Einzige 'Restriktion' seitens des Staates war die Festlegung einer Höchstgrenze der Verschuldung von Unternehmen und Banken; diese lag aber bei dem zwanzigfachen des Eigenkapitals. Parallel dazu wurde der gesamte Finanzsektor dereguliert und insbesondere Kontrollen der Bankenaufsicht abgeschafft. Die chilenischen Kapitalmärkte waren entsprechend nur äußerst gering reguliert. Damit war nicht nur eine spektakuläre Aasweitung finanzieller Aktivitäten verbunden, sondern auch ein enormes Verschuldungswachstum, welches noch zusätzlich durch zwei weitere Faktoren angeheizt wurde. Zum einen beförderte die schnelle Handelsliberalisierung den Import zuvor nicht vorhandener Konsumgüter und generell die 'Konsumneigung' weiter 105 10

Siehe P. Rozas/G. Marin, a.a.O., S. 66 f., 69. ®Vgl. R. Ffrench-Davis/J. de Gregorio, Orígenes y efectos del endeudamiento externo en Chile, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 99, Santiago, 1987.

194

Bevölkerungsteile, die durch die Öffnung der Kapitalbilanz finanziert wurde. Zum anderen hat zur hohen Auslandsverschuldung des Landes nicht zuletzt die Wechselkurspolitik beigetragen. Der Ginsatz des Wechselkurses als Antiinflationsinstrument und seine anschließende mehrjährige Fixierung führten nicht nur zu einer verzögerten Anpassung und sukzessiven Überbewertung der Währung, sondern ebenfalls zu einem äußerst geringen realen Zinssatz für Auslandskredite, was die Kreditaufnahme enorm beschleunigte. Da die internen Zinssätze weit über den internationalen Raten lagen, bildete die Verschuldung im Ausland und die Wiederanlage der Gelder im Landesinnern ein äußerst lukratives Geschäft. 107 Tabelle 15: Die Entwicklung der chilenischen Auslandsverschuldung in Mio. US-$ Externe Verschuldung in Mio. $ 1960-64 1965-69 1970-74 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

1233 2086 3749 5288 5233 5613 7011 8663 11207 15591 17159 18037 19659 20529 20825 20660 18960 17538

Wachstum in % 69,2 79,7 41.0

-1.0

7.3 24,9 23,6 29,4 39.1

10,1 5,1 9,0 4.4 1.5 -0,8 -8,2 -7,5

Ausl.ver./ Exporte 2.4 2,3 3,1 3.3 2.5 2.6 2,9 2.3 2.4 4.1 4.6 4.7 5,4 5,4 5,0 4,0 2,7 2.2

Ausl.ver. % des BSP 41,0 52,7 64.7 74.4 67,9 62.5 66,9 67.8 71,3 86,2 108,3 113.2 113.3 116,0 114.7 104.8 86,2 69,0

Schuldendienst % der Exporte k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 56,1 97,4 95.7 70.4 74.5 62,1 56,5 37.8 k.A. k.A.

(A. Butelmann, Financiación externa, a.a.O., S. 61, 69, 76; P. Meller, Adjustment and Equity in Chile, Paris, 1992, S. 59)

Die Tabelle 15 zeigt denn auch den starken Anstieg der Verschuldung in den Jahren 1978 bis 1982. Die Wachstumsraten dieser Verschuldung, die 1978 und 1979 schon bei knapp 25% lagen, stiegen in den beiden Folgejahren nochmals deutlich auf 30% bzw. 40% an, so daß sich die Gesamtsumme der Verschuldung beim Ausbruch der Krise auf über 17 Mrd. US-$ belief.

107

" " S i e h e A. Butelmann, Financiación extema, in: P. Meller u.a., Chile. Evolución macroeconómica, financiación externa y cambio político en la década de los 80, Madrid, 1992, S. 6268; J. Goñi, Deuda externa de Chile, in: R. García (Comp.), a.a.O., S. 180-200.

195

Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist mit der Reorganisierung der Ökonomie durch das Miltärregime und die Chicago Boys nicht mehr der Staat der Hauptschuldner in bezug auf diese Kredite, sondern der Privatsektor, und hier insbesondere die Banken und sonstigen Finanzinstitutionen. Diese betätigten sich nicht nur als Kreditvermittler, sondern nutzten die Gelder in großem Maße zur Spekulation. Von allen kontraktierten Krediten entfielen bis Ende 1982 über 80% auf den Privatsektor, lediglich 10% auf den Staat und knapp 7% auf ausländische Kreditnehmer. 108 Die Kredite konzentrierten sich zudem bei einigen wenigen Großkonzernen. Mitte 1982 entfielen auf die grupos Cruzat-Larrafn und Vial mehr als 60% der Kredite. Die fünf größten Wirtschaftsgruppen konzentrierten 85% aller Kredite an den Privatsektor auf sich. 109 In der Gesamtheit der Unternehmerschaft kam es zu großen Disparitäten, weil die größten Unternehmen des Landes nicht nur einen präferentiellen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten hatten, sondern auch die Kredite nur an eine begrenzte Zahl von meistens zur eigenen grupo gehörenden Unternehmen weitervermittelten. Kleine und mittlere sowie selbst einzelne größere Unternehmen blieben dagegen vom Zugang zu billigen internationalen Krediten ausgeschlossen. Wie die Möglichkeiten zur externen Verschuldung eine wesentliche Voraussetzung der Konsolidierung und exorbitanten Dynamik der grupos in den 70er Jahren waren, so wurde mit der Krise Anfang der 80er Jahre die völlige Überschuldung der Wirtschaftskonglomerate deutlich, als die internationalen Zinssätze stark stiegen und die Schuldendienstquoten einzelner Banken und Unternehmen immer ungünstiger wurden. "Die Krise offenbarte die unkontrollierte und problematische Entwicklung des Finanzsektors. Die unseriöse bis kriminelle Finanzpolitik der Hausbanken der großen Unternehmensgruppen trug maßgeblich zur Überschuldung des Landes bei.' 1 1 0 Die Regierung mußte in den Finanzsektor intervenieren und die größten Banken unter Staatsaufsicht stellen, um der ausufernden Finanzkrise Herr zu werden. Damit garantierte der Staat nicht nur einen beträchtlichen Teil der Schulden der privaten Unternehmen vor ausländischen Kreditgebern, sondern übertrug auch einen Teil dieser Verbindlichkeiten direkt auf den Staat. Nur so erklärt sich der starke Anstieg der öffentlichen Schulden seit 1983 gegenüber dem langsamen Rückgang der privaten Verschuldung. Gleichzeitig begann der Staat, große Summen in den Finanzsektor zu kanalisieren und die überschuldeten Unternehmen beträchtlich zu subsidiieren. Dies geschah v.a. über einen Vorzugswechselkurs (dólar preferenciat) und iflft

Siehe P. Rozas/G. Marín, Estado autoritario, deuda externa y grupos económicos, Santiago, 1988, S. 46. 109 Siehe J. Goñi, a.a.O., S. 199; und die detaillierte Auflistung bei P. Rozas/G. Marin, Estado autoritario..., a.a.O., S. 53-163. 110 D . Nohlen/D. Nolte, Chile, a.a.O., S. 293.

196

die Umwandlung der Dollar-Schulden in Peso-Verbindlichkeiten (des-dolarizaciön). Im ersten Fall konnten Dollar-Schuldner bei der Zentralbank günstiger nationale Währung in Dollar tauschen, um den mehrfachen, teils drastischen Abwertungen zu entgehen, die die Dollar-Verbindlichkeiten erheblich gesteigert hätten. Durch die Abwertungen bedingte Verluste konnten so seitens der Schuldner kompensiert werden. Die Umwandlung der Dollar-Schulden in Peso-Schulden erlaubte es den Schuldnern, die Verbindlichkeiten zu reprogrammieren und die Devisenaufbringung zur Bezahlung der Zinsen und Tilgungen auf den Staat zu verlagern. Dies erwies sich auch insofern als günstig für die Schuldner, als die Tilgungszeiten gestreckt und die Unternehmen in einer Situation neue Vorzugskredite erhielten, in der diese kaum kreditwürdig waren. 111 Der Staat subventionierte über die Zentralbank die privaten Unternehmen allein in der Zeit 1983-1985 mit 6 Mrd. US-$. Dies entsprach in jenen Jahren jeweils mehr als 30% des BSP. 112 Damit kam es zu einer beträchtlichen Sozialisierung der Verluste der verschuldeten Banken und Unternehmen. Seit 1983 sah sich die chilenische Regierung durch die Verschuldungssituation auch gezwungen, zur Verbesserung ihrer Kreditwürdigkeit Anpassungsprogramme mit dem IWF zu unterzeichnen, die zwar einerseits zu einer erneuten Kreditzufuhr, andererseits aber zu einer stärkeren Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der Regierung an den Prioritäten des IWF führten. Die Anpassungsprogramme mit den sukzessiven Umschuldungsrunden (1983-84: Stand fly-Programm des IWF und Neukredite in Höhe von 500 Mio. US-$ SDR und 295 Mio. US-$ CFF; 1985-87: Extended Fund Facifi/y-Programm des IWF mit Krediten in Höhe von 750 Mio. US-$ SDR und 70,6 Mio. US-$ CFF; 1985-88: Structural Adjustment Loan-Programm der Weltbank mit 750 Mio. US-$ Krediten) sahen zunächst die abrupte Reduzierung des Defizits der Bilanz der laufenden Posten und die pünktliche und vollständige Bezahlung des Schuldendienstes vor. Zentrale Elemente der Programme waren: 113 - Fiskalpolitik: Kontrolle des Defizits des öffentlichen Sektors als wesentlicher Bestandteil der Anpassungspolitiken, mit nachfolgend restriktiver Fiskalpolitik, um Druck auf die Geldmenge zu vermeiden. - Geldpolitik: Neutralisierung der geldpolitischen Wirkungen der Subsidiierung des privaten Unternehmertums seitens der Zentralbank durch die Restriktion des für den Staat bestimmten Kreditvolumens und eine strikte haushaltspolitische Austerität; Rekapitalisierung der Zentralbank. - Lohnpolitik: Ermöglichung einer realen Absenkung der Löhne über das bestehende Maß hinaus mittels der Abschaffung der Lohnindexierung und der Herab111

Vgl. A. Butelmann, a.a.O., S. 73 f.; P. Meiler, Evoluciön macroeconömica, a.a.O., S. 35 f. Siehe ebd., S. 37. 113 Siehe P. Meiler, Adjustment and Equity in Chile, Paris, 1992, S. 37, 48-52. 112

197

Setzung der Höchstgrenzen bei Lohnverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und nachfolgend eine generell restriktive Lohnpolitik. Wenn zwar auf diese Weise eine nicht unbeträchtliche Neukreditzufuhr seitens des IWF stattfand und die Anpassungsprogramme dazu dienten, angesichts des wirtschaftlichen Chaos das Vertrauen der Gläubiger in das angeschlagene Wirtschaftsteam der Regierung zu bringen, so waren mit der Umsetzung des Programms doch auch beträchtliche Kosten verbunden: Erstens schrieben die IWF-Programme eine austeritäre Politik und den Ausgleich externer Bilanzen mit restriktiven Mitteln in einem Moment der verallgemeinerten Krise vor, in dem selbst Unternehmerkreise auf eine Reaktivierung der Ökonomie und eine stärker expansive Ausgabenpolitik des Staates drängten, um die Nachfrage anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.114 Zweitens lag das Schwergewicht des Stand fly-Programms auf der Kontrolle des Fiskaldefizits, ohne daß eine genaue Analyse der Ursachen der externen Ungleichgewichte vorgenommen worden wäre. Drittens ließ der IWF keinen Zweifel daran, daß die verspielte Kreditwürdigkeit nur zurückgewonnen werden würde bei pünktlicher und kompletter Leistung des Schuldendienstes. Die Zielvorgaben des IWF und die effektiven Resultate der chilenischen Wirtschaftspolitik gehen aus der Tabelle 16 hervor. 115 Tabelle 16:

IWF-Vorgaben und reale wirtschaftliche Entwicklung in Chile 19831987

IWF

1983 real

IWF

-1602 4,0 25 -485 1,7

-1117 -0,7 20,7 -541 2,6

-1300 4,5 20 0 0

1984 real

IWF

-2060 -1380 6,3 2,0-4,0 23,1 25 17 80 2,2 3,0-3,5

1985 real

IWF

-1329 -1300 2,4 3,0-5,0 26,4 15-20 -99 15 3,2 2,3

IWF

1987 real

-1137 -1000 5,7 3,0-5,0 17,4 10-15 -228 10 2,3 1,7

-811 5,7 21,5 45 0,3

1986 real

(P. Meiler, Evolución macroeconómica, a.a.O., S. 32. (1) = Defizit in der Bilanz der laufenden Posten in Mio. US-$; (2) = Wachstum des BSP in %; (3) = Inflation in %; (4) = Zahlungsbilanz in Mio. US-$; (S) = Defizit des öffentlichen Sektors in % des BSP) 114

Siehe speziell zu diesem Punkt R. Ffrench-Davis, El conflicto entre la deuda y el crecimiento en Chile. Tendencias y perspectivas, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 26, 1989, S. 61-90. 115 Daß die Verhandlungen zwischen IWF und Militänegime in nicht-konfrontativer Weise jeweils so schnell zu einem Ergebnis führten, läßt sich auf die große ideologische Übereinstimmung beider Akteure und die Akzeptanz orthodoxer Anpassungskonzepte zurückführen, die in anderen Staaten des Kontinents häufig erst durchgesetzt werden mußte. Nicht umsonst hat die Regierung insbesondere seit Mitte der 80er Jahre das Label erhalten, "más fondista que el Fondo" zu sein. Zudem war das 'klassische' Strukturanpassungsprogramm seitens der Chicago Boys schon vor der Verschuldungskrise durchgeführt worden. 198

Fast ausnahmslos bewegten sich die Resultate chilenischer Politik in Übereinstimmung mit den IWF-Vorgaben. Dies ging bis zur Festlegung der kurz- und mittelfristigen Entwicklungsstrategie des Landes, die wesentlich durch das Strukturanpassungsprogramm der Weltbank bestimmt wurde: Das wirtschaftliche Wachstum sollte auf der Diversifizierung und Ausweitung der Exporte auf der Basis komparativer Kostenvorteile beruhen, um mit den Deviseneriösen in geordneter Weise Zinsen und Tilgungen auf die Auslandsschuld bezahlen zu können; durch gleichzeitige Kontrolle der Neuverschuldung sollten sich parallel dazu die wichtigsten Verschuldungsindikatoren langsam verbessern und die Wirtschaftspolitik auch an diesem Ziel ausgerichtet werden.11® Von Beginn der Anpassungsperiode an bis 1987 gab es eine überaus enge Zusammenarbeit von IWF und Weltbank einerseits, um die 'Stabilisierungspolitiken' abzustimmen und die chilenische Regierung in den Umschuldungsverhandlungen mit den internationalen Banken zu unterstützen; von Chicago Boys, bestimmten Unternehmerkreisen und IWF andererseits, um die Wirtschaftspolitik der Regierung mit den Interessen der dominanten Teile der Unternehmerschaft und der Gläubigerbanken zu 'konzertieren', ohne daß dabei zunächst die Höhe der Verschuldung abgebaut werden konnte. Diese ist bis Mitte der 80er Jahre durch die Neukreditvergabe von 3,5 Mrd. US-$ weiter gewachsen und auf über 20 Mrd. US-$ angestiegen. Erst seither konnte über nicht unumstrittene debt-equity-swapsil7 ein beträchtlicher Teil der Schulden kapitalisiert oder über die Einnahmen aus der Privatisierung von Staatsuntemehmen 'zurückgekauft' und reduziert werden. Chile hat dabei eines der größten und umfassendsten Programme zur Reduktion der Schulden umgesetzt. Bis 1990 hat die chilenische Regierung Auslandsschulden in Höhe von 9,6 Mrd. US-$ über die genannten Mechanismen abbauen können, was knapp der Hälfte aller Schulden von 1985 entsprach. Wenn sich dieser Abbau nicht zur Gänze in der Verschuldungshöhe niedergeschlagen hat, so deshalb, weil das Land gleichzeitig Neukredite von multilateralen Organisationen und internationalen Banken erhalten hat. 118 Resümiert man abschließend Kosten und Nutzen der Verschuldung, so wird man sagen müssen, daß sich beide äußerst ungleich verteilt haben: Die Kosten sind weitgehend auf den Staat und damit die Allgemeinheit entfallen, indem jener die privaten Schulden garantiert und später zum Teil auch übernommen hat, so daß heute 'gesunden' Unternehmen ein Staat mit nach wie vor beträchtlichen Schulden gegen116

Vgl. P. Meiler, Adjustment and Equity in Chile, a.a.O., S. 52 ff. Siehe R. Ffrench-Davis, Debt-Equity-Swaps in Chile, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 129, Santiago, 1989. < 10 110 Siehe zu den Mechanismen der Reduktion und der genauen Aufschlüsselung nach Kategorien A. Butelmann, a.a.O., S. 81-84; zu den Quellen der Neukreditvergabe P. Meiler, Evolución macroeconómica, a.a.O., S. 34. 117

199

übersteht, der zudem bereits erhebliche Transfers an den Privatsektor geleistet hat. Den Nutzen hatten einige wenige Unternehmensgruppen und Banken, die erst durch die Verschuldungsmöglichkeiten selbst, später durch die Subsidiierung seitens des Staates beträchtliche Gewinne verbuchen konnten. Nicht zuletzt haben auch ausländische Investoren durch den billigen Verkauf von Staatsuntemehmen im Rahmen der Kapitalisierung der Schulden profitiert. 3.3.3. Die Polarisierung der Einkommensverteilung und die Zunahme der Armut Eine der dramatischsten Folgen der Diktatur war die starke Polarisierung der Einkommensverteilung und die Zunahme von Armut, damit einhergehend die sich extrem ungleich gestaltende Verteilung von Lebenschancen. Die Anhäufung einer enormen 'sozialen Schuld' (deuda social) ist ein direktes Resultat der verfolgten Wirtschaftspolitik: Unterdrückung und gänzliche Rechtlosigkeit der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, Kürzung der Sozialausgaben, verschlechterte Versorgung der Bürger im Gesundheits-, Erziehungs- und Wohnbereich etc. haben zu hohen Arbeitslosenraten und Lohnverlusten geführt und sukzessive die Lebensbedingungen der breiten Masse der Bevölkerung zugunsten einer kleinen privilegierten Schicht verschlechtert. Einen ersten Eindruck der großen sozialen Ungleichheit vermittelt die Verteilung des privaten Konsums im Großraum Santiago während der Jahre 1969-1988. Tabelle 17:

Die Verteilung des privaten Konsums im Großraum Santiago 19691988 in %

Haushalte

1969

1978

1988

20% ärmste 20% 20% 20% 20% reichste

7,7 12,1 16,0 21,0 43,2

5,2 9,3 13,6 20,9 51,0

4,4 8,2 12,6 20,0 54,9

(D. Nohlen/D. Nolte, Chile, a.a.O., S. 322)

Die Tabelle 17 verdeutlicht die starke Verschlechterung des privaten Verbrauchs bei 60% der ärmsten Haushalte und den bedeutenden Anstieg bei den 20% reichsten Haushalten. Lediglich das dazwischenliegende Quintil konnte seinen Konsum-Standard in etwa aufrechterhalten. Während der Anteil der unteren 60% von 1969 noch 35,8% auf 1988 25,2% zurückging, ist eine entsprechende Steigerungsrate bei den reichsten 20% der Bevölkerung in Santiago feststellbar. Ihr Anteil erhöhte sich im genannten Zeitraum von bereits beträchtlichen 43,2% auf knapp 55%. Damit hat es

200

eine bedeutende Einkommensumverteilung zugunsten der bereits privilegierten Schichten gegeben. Daneben sind v.a. Daten über das Ausmaß und zur Entwicklung der städtischen und ländlichen Armut in Chile aussagekräftig. Die Tabelle 18 gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung von Armut und extremer Armut während der Diktatur. Tabelle 18: Haushalte in Armut und extremer Armut in Chile und Santiago in %

Chile 1970 1987 Santiago 1969 1980 1988

Extreme Armut

Armut

Insgesamt

6,0 13,5

11,0 24,6

17,0 38,1

8,4 14,4 22,9

20,1 25,9 26,8

28,5 40,3 49,7

(Daten für 1970 aus O. Altímir, La dimensión de la pobreza en América Latina, Santiago, 1979, S. 63; für 1987 aus CEPAL, Una estimación de la magnitud de la pobreza en Chile 1987, a.a.O., S. 107-129; für Santiago aus PREALC, Pobreza y empleo. Un análisis del período 1969-1987 en el Gran Santiago, Documentos de Trabajo, Num. 348, Santiago, 1990.)

Deutlich sichtbar ist zunächst die gestiegene Zahl der chilenischen Haushalte unter der Armutsgrenze, die sich gegenüber 1970 mehr als verdoppelt hat (von 17% auf 38%). Eine ähnliche Steigerung ist in bezug auf den Großraum Santiago feststellbar (von 28,5% auf 49,7%). Auffällig ist hier, daß gegenüber einem eher langsamen Anwachsen der Haushalte unter der allgemeinen Armutsgrenze insbesondere die Zahl der Haushalte unter der extremen Armutsgrenze stark und nachhaltig gestiegen ist, und sie sich gegenüber Ende der 60er Jahre beinahe verdreifacht hat. Damit ist ein wachsender Teil der in 'einfacher' Armut lebenden Bevölkerung unter die extreme Armutsgrenze und gleichzeitig ein immer größerer Teil der Haushalte unter die allgemeine Armutsgrenze gerutscht.

201

Tabelle 19:

Haushalte und Bevölkerung in städtischen und ländlichen Zonen unter der Armutsgrenze 1987 in % der jeweiligen Gesamtheit Extreme Armut

Städte Allgemeine Armut*

Extreme Armut

Land Allgemeine Armut*

13,0 308207

36,6 865070

15,7 82583

44,9 236328

13,5 390790

38,1 1101398

Bevölkerung in % 16,1 Anzahl 1602666

42,5 4233192

19,8 478519

52,1 1259553

16,8 2081185

44 4 5492745

Haushalte in % Anzahl

Gesamtheit Extreme Allgemeine Armut Armut*

(CEPAL, Ura estimación de la magnitud de la pobreza en Chile 1987, a.a.O., S. 117, 118; * = in der allgemeinen Armut ist die extreme Armut enthalten)

Die Gesamtzahl der Armen belief sich 1987 in Chile auf knapp 5,5 Mio. Menschen. Dies entsprach etwa 45% der Bevölkerung. In absoluten Zahlen gesehen fand sich das Gros der Armen in den Städten. Anteilsmäßig jedoch lag der Wert auf dem Land beträchtlich über dem der Städte. Über die Hälfte der Landbevölkerung gehörte 1987 zu den Armen. Die Armut in Chile weist zudem eine regionale Akzentuierung auf: So lebte etwa in den Städten der Vm. und IX. Region mehr als 55% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, gefolgt von der X. Region mit 50%. Die größten Bevölkerungsanteile unter der Armutsgrenze auf dem Lande fanden sich in der IX. Region (64%), der VIII. Region (60%), der IV. Region (57%), gefolgt von der X. und VII. Region mit jeweils 50%. In der IX. Region fand sich auch der höchste Anteil von in extremer Armut lebender Bevölkerung. Waren dies in den ländlichen Gebieten über 36%, so in den Städten noch 28% der Bevölkerurg. In der IX., X., VIII. und IV. Region lebten insgesamt gesehen weit über die Hilfte der Bevölkerung in Armut. 119

4.

Die politische Ökonomie der Demokratie

4.1.

Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen der Regierung Aylwin

Die Wirtschaftspolitik der demokratisch gewählten Regierung Aylwin war im wesentlichen durch Kontinuität in bezug auf die grundlegende wirtschaftspolitische Ausrichtung ihrer Amtsvorgänger gekennzeichnet. Der wirtschaftspolitische Kurs des Militärregimes wurde grundsätzlich fortgesetzt, da das Wirtschaftsmodell 119

Siehe CEPAL, Una estimación de la magnitud de la pobreza en Chile 1987, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 31, 1991, S. 112.

202

inzwischen auch von den ehemaligen Kritikern des Neoliberalismus als erfolgreich eingeschätzt wurde und darin der beste Ausgangspunkt für eine Modernisierungsstrategie gesehen wurde, die eine weltmarktorientierte Industrialisierung bzw. Spezialisierung mit politischer Demokratie und der Verwirklichung größerer sozialer Gerechtigkeit zusammenbrachte. Die Strategie der Concertaciön basierte auf folgenden Überlegungen: -Die Herstellung stabiler und verläßlicher Rahmenbedingungen bildete den Ausgangspunkt für jegliche Entwicklung und Entfaltung wirtschaftlicher Aktivitäten. Sie wurde als unerläßliche Voraussetzung eines nachhaltigen Wachstumsprozesses mit größerer sozialer Gerechtigkeit angesehen. Dies beinhaltete gleichzeitig, daß größere Reformvorhaben - wenn sie überhaupt durchgeführt werden sollten - auf breite Übereinkünfte wichtiger gesellschaftlicher Akteure basieren mußten. -Die Öffnung der chilenischen Volkswirtschaft zum Weltmarkt mußte aufrechterhalten werden, da nur so Wachstums- und Produktivitätspotentiale freigesetzt würden, die einer 'kleinen' Ökonomie wie der chilenischen mit einem begrenzten Binnenmarkt positive Impulse liefern könnte. Zudem war die Öffnung zum Weltmarkt in der Perzeption der politischen Akteure eine grundlegende Voraussetzung für die Überwindung der Krise der Importsubstitution gewesen. -Der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Stabilität und der makroökonomischen Gleichgewichte wurde höchste Priorität eingeräumt. Damit war bei den Technokraten der Concertaciön die Einsicht verbunden, in jedem Fall einen verteilungspolitischen Populismus zu vermeiden, was wiederum nur einen graduellen, langfristig angelegten sozialen Fortschritt bedeuten konnte und tiefergehende kurzfristige Verbesserungen der sozialen Lage der Mehrheit der Bevölkerung quasi ausschloß. -Das private Unternehmertum sollte wie in der Vergangenheit der Hauptträger der Entwicklung des Landes sein. Da dem Staat aufgrund der Politik des Militärregimes - sei es als 'Unternehmerstaat', sei es über wirtschaftspolitische Instrumente selbst kaum effiziente Interventionsmöglichkeiten in die Ökonomie verblieben waren, war die wirtschaftliche Performanz des Landes in besonderem Maße von einer guten Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft abhängig. Das bedeutete aber, daß die Interessen der Unternehmerschaft nicht ernsthaft angetastet werden durften. 120 Die Regierung hat sich aber nicht nur in großem Maßstab an die alten Parameter angepaßt, sondern auch versucht, das verfolgte neoliberale Offenmarktmodell zu vertiefen und zu erweitern. Dazu sollte eine 'zweite Phase aktiver Weltmarktintegration' dienen, die über eine gezielte staatliche Strukturpolitik wettbewerbsfähige Sektoren der Ökonomie mit einem höheren Wertschöpfungsanteil fördert und damit lOA

Vgl. J. Vial/A. Butelmann/C. Celedón, Fundamentos de las políticas macroeconómicas del gobierno democrático chileno (1990-1993), in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 30, 1990, S. 64 ff.

203

nationale Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt ausnutzt. Die Überwindimg der Abhängigkeit von nur gering verarbeiteten Produkten, eine Abmilderung der Exportabhäagigkeit vom Kupfer und eine Einbindung in dynamischere Segmente des Weltmarkts zählten zu den expliziten Zielsetzungen der Regierung. Ein weiterer Unterschied zur Wirtschaftspolitik des Militärregimes kann darin gesehen werden, daß das anzustrebende Wirtschaftswachstum mit größerer sozialer Gerechtigkeit verbunden und die 'soziale Schuld' abgetragen bzw. erleichtert werden sollte. Darauf setzte die Regierung Aylwin einen besonderen Akzent.121 Die wesentliche Kontinuität in der Wirtschaftspolitik erklärt sich nur ungenügend durch die institutionellen Beschränkungen und praktischen Begrenzungen, die die neue Regierung als Erblast der transición negociada zu tragen hatte. Das PinochetRegime war zwar bestrebt, durch ein weitgespanntes Netz von Übergangsbestimmungen und ökonomischen Restriktionen sowie durch den Aufbau von Vetopositionen zur Einschränkung des Handlungsspielraums der neuen Regierung die Gefahr grundlegender Reformen auszuschließen, um eine Umkehrung zentraler politischer und ökonomischer Grundsatzentscheidungen in der Ökonomie zu verhindern. Dazu dienten u.i. die Unabhängigkeit der Zentralbank, die dem Wirtschafts- und Finanzministerium wichtige wirtschaftspolitische Hebel entzog; die hastige Privatisierung von durchgängig hochrentablen Staatsunternehmen bis kurz vor dem Regimewechsel, um die neue Regierung wichtiger Einnahmequellen zu berauben; die Festschreibung und Erhöhung des Militäretats, die wichtige Haushaltsmittel band; sowie die Aufrechterhaltung der Bestimmung, daß 10% der Einnahmen von CODELCO ohne zivile Kontrollmöglichkeiten an das Militär abgeführt werden müssen. Durch die vom Militärregime geerbte hohe Verschuldung müssen jährlich bis weit in die 90er Jahre hinein Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von ca. 1,5 Mrd. US-$ transferiert werden, die den Finanzierungsspielraum der demokratischen Regierung stark einschränken. Zudem stellte das sog. 'quasi-fiskalische Defizit' aus der Übernahme der Schulden des Privatsektors durch die Zentralbank im Zuge der Rettungsaktion der Banken 1982/83 einen beträchtlichen Unsicherheitsfaktor dar. Dieses Defizit entsprach etwa 40% der Aktiva der Zentralbank und verursachte bei

121

Siehe A. Foxley, La política económica para la transición, in: O. Muñoz (Comp.), Transición a la democracia. Marco político y económico, Santiago, 1990, S. 101-119; A. Foxley, Los desafíos económicos de Chile, Apuntes CIEPLAN, Num. 65, Santiago, 1987; C. Ominami, Lai nuevas políticas para la presencia de Chile en los mercados internacionales. Exposición realizada el 27 de Septiembre de 1990, Consejo chileno para las relaciones internacionales, Señe de Conferencias 1990, Santiago, 1990; und C. Ominami/R. Madrid, Chile. Elementos pira la evaluación del desarrollo exportador, in: Proposiciones, Num. 18, 1990, S. 120-144; und D. Messner, Wirtschaftspolitische Neuorientierungen in Chile - vom autoritären Neoliberalismus zu einer Strategie aktiver Weltmarktintegration, in: Journal für Entwicklingspolitik, Vol. Vm, 1992, Num. 2, S. 135-148.

204

dieser jährliche Verluste in Höhe von 400-800 Mio. US-$ (1,5-3% des BSP). 1 2 2 Vielmehr muß sie auch auf eine 'ideologische Wende' der führenden Köpfe der Regierungsequipe zurückgeführt werden, die von Vertretern des CIEPLAN - einem der Regierung nahestehenden Forschungsinstitut - wie folgt reflektiert wurde: "A ello contribuyó también la evolución ideológica que estaban teniendo los dirigentes políticos de la Conceitadón, los que aníes la inminencia de un triunfo electoral y antes los signos positivos que mostraba la evolución de la economía, optaron por matizar las críticas del pasado al modelo de mercado, reconocer los aspectos positivos de la estructura económica vigente, y sobre todo, reconocer la importancia de la propiedad privada y de los empresarios en el desarrollo ... Se produjo así una asociación de ínteres entre la clase empresarial y lo que sería el gobierno de la Concertación, que disminuyó las desconfianzas y generó un ambiente distendido para establecer relaciones de cooperación entre el Estado y los empresarios. " 1 2 ^

4.2.

Wirtschaftspolitik und Reformen

Die einzelnen Maßnahmen der Wirtschaftsequipe der Regierung Aylwin waren einerseits auf die Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Aufrechterhaltung der makroökonomischen Gleichgewichte gerichtet, andererseits auf eine weltmarktorientierte Wachstumsstrategie, die zugleich mit einer größeren Verteilungsgerechtigkeit und dem Abbau der Armut einhergehen sollte. 124 Die Schwierigkeiten, diese Ziele miteinander zu harmonisieren, waren beträchtlich, basierte doch das Wirtschaftswachstum unter dem Militärregime auf einer Politik der Exportförderung und der großzügigen Subventionierung der Exportwirtschaft über die Währungs- und Privatisierungspolitik. Eine weitere Voraussetzung für Wachstum üüd wirtschaftliche Stabilität war zudem die Kürzung von Sozialausgaben und die Restriktion der Löhne, so daß eine Lösung der sozialen Probleme nur 122

Siehe R. Ffrench-Davis, Herencias y desafíos económicos de la democracia chilena, in: Nueva Sociedad, Num. 111, 1991, S. 23-32; J. Petras, El 'milagro económico' chileno: crítica empírica, in: Nueva Sociedad, Num. 113, 1991, S. 146-158; und M. Queisser, Chile. Wirtschaftspolitische Herausforderungen für die junge Demokratie, in: ifo Schnelldienst 9/92, S. 31-36. 12 ^ O. Muñoz/C. Celedón, Chile en transición. Estrategia económica y política, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 37, 1993, S. 110 (Herv. v. Verf.). Vgl. auch die äußerst kritischen Positionen gegenüber der neoliberalen Wirtschaftsprogrammatik, wie sie Alejandro Foxley, Carlos Ominami, Ricardo Ffrench-Davis u.a. in früheren Zeiten vorgebracht haben, mit späteren Sondierungen etwa in CIEPLAN, Balance económico y social del régimen militar, Apuntes CIEPLAN, Num. 76, Santiago, 1988. 124 Vgl. U. Müller-Plantenberg, Chile. Am Ende der liberalen Revolution, in: Lateinamerika. Analysen und Berichte 14, Berlin, 1991, S. 183-193; und U. Müller-Plantenberg, Die real existierende Marktwirtschaft in Lateinamerika, in: Lateinamerika. Analysen und Berichte 15, Münster, 1992, S. 1-13.

205

auf Kosten der für den wirtschaftlichen Erfolg zentralen Elemente möglich zu sein schien. Eine einfache Fortsetzung des bisherigen Rohstoffexportmodells war also zur Durchsetzung der ambitionierten Ziele der demokratischen Regierung nicht möglich. Das bedeutete, daß für eine Kompatibilisierung von Wachstum und sozialem Ausgleich das Exportmodell in eine 'zweite Phase' überführt werden mußte, die durch eine Erhöhung des nationalen Wertschöpfungs- und Verarbeitungsgrades, die verstärkte Einführung technologischer Innovationen und die zunehmende Verflechtung der Wirtschaftssektoren untereinander gekennzeichnet war. Anpassungen an Krisen sollten nicht mehr wie in der Vergangenheit wesentlich über den Arbeitsmarkt und die Lohnhöhe, sondern über technologische Rationalisierung erfolgen. Damit sollten aus den relativ statischen komparativen Kostenvorteilen dynamische Wettbewerbsvorteile werden. 125 Die neue Regierung mußte also neben eine Wachstumsstrategie eine Verteilungsstrategie stellen, die voneinander relativ unabhängigen Logiken folgten, und im Rahmen eines umfassenden Konzertierungsprozesses durchsetzen.126 Neben der Absicherung des allgemeinen Wachstumsprozesses bestanden die vordringlichsten Maßnahmen der demokratischen Regierung in der Umsetzung einer Steuerreform und der Reformierung der Arbeitsgesetzgebung.127 Ein zentraler Punkt der Concertación war eine aktivere Sozialpolitik, mit der die enorme 'soziale Schuld', die die Militärdiktatur angehäuft hatte, beseitigt werden sollte. Zur Reduzierung der Armut waren nach Berechnungen der Regierung ca. 600 Mio. US-$ zusätzliche Ausgaben nötig, die in Ermangelung anderer Finanzierungsquellen durch eine Erhöhung der Besteuerung aufgebracht werden sollten, um ein größeres Haushaltsdefizit zu vermeiden. Eine gelungene Steuerreform wurde damit zur Voraussetzung für eine Erweiterung der Umverteilungsspielräume, wenn kein verteilungspolitischer Populismus betrieben werden sollte. Zur Durchsetzung dieser Steuerreform war die Regierung auf die Zusammenarbeit mit der Opposition angewiesen, da sie im Senat aufgrund der designierten Senatoren über keine Mehrheit verfügte. Entsprechend nahm der Finanzminister selbst die Verhandlungen mit der wichtigsten Oppositionspartei Renovación Nacional GIN) auf, um mit dem Hinweis auf die langfristige Bedrohung der Stabilität und der wirtschaftlichen Wachstumschancen zu einer Übereinkunft zu gelangen.

125

Vgl. L. García/E. Rivera/J.E. Vega, Chile, in: B. Töpper/U. Müller-Plantenberg (Hrsg.), Transformation im südlichen Lateinamerika. Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, Chile und Uruguay, Frankfurt/M., 1994, S. 171 f. 126 Siehe für eine ausführliche Diskussion O. Muñoz, Estado, desarrollo y equidad. Algunas preguntas pendientes, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 31, 1991, S. 11-30. 127 Siehe dazu allgemein P. Thiery, Staat, Ordnungspolitik und Entwicklung in Chile, in: Vierteljahresberichte, Num. 132, 1993, S. 193-206.

206

Der Vorschlag der Regierung sah die Erhöhung der Besteuerung der Unternehmensgewinne von 10% auf 20% und die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16% auf 18% vor. Daneben wurde eine Redefinition der Progressionsstufen angestrebt, wobei die maximale Besteuerungsrate wie zuvor bei 50% liegen sollte. Eine verbesserte Steuererhebung und eine Korrektur bestimmter Defizite sollten schließlich die (teils 'legale* bzw. offiziell geduldete) Steuerhinterziehung beenden (Abschaffung der sog. renta presunta). Sowohl die politische Opposition wie auch Unternehmerkreise äußerten sich angesichts dieser Vorschläge äußerst kritisch. Ihre Kritik richtete sich dabei nicht gegen die Notwendigkeit der Erhöhung von Sozialausgaben, sondern insbesondere gegen den mit der Reform angeblich einziehenden Etatismus und die Erhöhimg der Steuerbelastung der Unternehmen, mit der Investoren entmutigt würden. Dennoch kam die Regierung schließlich auf der Basis einer Veränderung ihrer ursprünglichen Vorschläge mit RN zu einer Übereinkunft. Diese sah entgegen der ursprünglichen Intentionen eine Anhebung der Gewinnsteuern von 10% auf 15% vor, die zudem auf vier Jahre begrenzt blieb, sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16% auf 18%. Die Progressionsstufen änderten sich kaum, und die Besteuerung auf der Grundlage der renta presunta blieb im Agrarsektor bestehen. Die Regierung verpflichtete sich ihrerseits, die höheren Steuereinnahmen ausschließlich für Sozialprogramme zu verwenden. Damit wurden die ursprünglichen Vorschläge erheblich von der Opposition verwässert.128 Die Reform der Arbeitsgesetzgebung war ein weiterer zentraler Punkt im Programm der demokratischen Regierung. Nach wie vor bestanden im Bereich der Arbeitsbeziehungen die äußerst restriktiven gesetzlichen Bestimmungen des 1979 verabschiedeten Plan Laboral, der die Arbeitnehmer stark benachteiligte, da er das Streikrecht begrenzte, Kollektivverhandlungen über die Betriebsebene hinaus nicht kannte, Entlassungen ohne Begründungen und mit geringsten Abfindungen festschrieb, Gewerkschaftszentralen unterdrückte, die Zersplitterung des Gewerkschaftswesens beförderte und die Arbeitskraft umfassend flexibilisierte. Die Reformanstrengung der Concertación zielte auf die Überwindung der institutionalisierten Schwäche der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und verbesserte Verhandlungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerseite mit den Arbeitgebern ab. Mit einer ausgewogeneren Beziehung beider Seiten sollte eine langfristige Stabilität erreicht werden, die nicht durch staatliche Repression zustande kommt, sondern durch freiwillige Identifikation mit der Institutionalität der Arbeitsgesetzgebung, die zudem nur dann positiv von einzelnen gesellschaftlichen Akteuren aufgenommen werden würde, wenn sie nicht allzu ungerecht sei. Die neue Gesetzgebung sollte des weiteVgl. C. Celedón/O. Muñoz, La política económica durante la transición a la democracia en Chile 1990-92, in: Estudios Sociales, Num. 75, 1993, S. 87 f.; und J. Vial/A. Butelmann/C. Celedón, a.a.O., S. 66-69.

207

ren nach Meinung der Regierung keine Rückkehr zum konfrontativen und ideologischen Stil der Arbeitsbeziehungen der Vergangenheit beinhalten. Unter Berücksichtigung ihres Wirtschaftsprogramms, welches die Kontinuität des zum Weltmarkt geöffneten marktwirtschaftlichen Systems als conditio sine qua non beinhaltete, mußte die Regierung erreichen, daß sich die Arbeiter einerseits als potentielle Nutznießer der neuen Gesetzgebung fühlten, ohne andererseits allzu große Lohnforderungen zu stellen und soziale Verbesserungen zu fordern, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Frage gestellt hätten. Die Neuregelung sollte schließlich direkte Verhandlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern fordern, ohne daß der Staat in diese Beziehungen involviert ist. Während die Gewerkschaften auf eine Änderung der restriktiven Regelungen drängten, betrachteten die Unternehmer die Arbeitsgesetzgebung nachgerade als Voraussetzung der wirtschaftlichen Entwicklung. Entsprechend bestand die Strategie der Regierung in einer Konzertierung der Interessen von Unternehmern, Gewerkschaften und Staat. Die Verhandlungen der drei Parteien führten zunächst zum Abschluß eines Basisabkommens ('Acuerdo Marco'), der den Ausgangspunkt und die Grundlage für die konkreten Verhandlungen über die Arbeitsreform bildete. Darin kamen sie überein, daß zur Absicherung des Wachstumsprozesses die Investitionen und die Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gefördert werden sollen. Die Arbeitnehmerseite erkannte die Legitimität des Privateigentums an den Produktionsmitteln, das private Unternehmertum als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, den Markt als Allokationsmechanismus von Ressourcen sowie die Entideologisierung von Gewerkschaftsverhandlungen an. Die Arbeitgeberseite anerkannte die Legitimität der Gewerkschaften als Verhandlungspartner und die Notwendigkeit der Erhöhung der Minimallöhne. Die Regierung ihrerseits sollte über die makroökonomischen Gleichgewichte wachen und eine austeritäre Fiskalpolitik betreiben. Ihr fiel zudem die Aufgabe zu, die extreme Armut zu bekämpfen. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Bestimmungen wurden schließlich einige Modifikationen der Arbeitsgesetzgebung verabschiedet, die v.a. die Legalisierung der bisher verbotenen Gewerkschaftszentralen, die Angabe von Gründen im Falle von Entlassungen und entsprechender Entschädigungszahlungen, die legale Dauer von Streiks und die Einsetzung von Streikbrechern sowie die Finanzierung der Gewerkschaften betrafen. Unter bestimmten Bedingungen wurden Lohnverhandlungen auch auf einer über das einzelne Unternehmen hinausgehenden Ebene zugelassen. 129 Deutlich sichtbar ist, daß die Modifikationen gänzlich im Rahmen der neoliberalen Systemlogik blieben und die mit der Gesetzgebung einhergehende strukturelle Privilegierung der Unternehmerseite keineswegs aufgehoben wurde.

129

Siehe J. Vial/A. Butelmann/C. Celedón, a.a.O., S. 76-82; C. Celedón/O. Muñoz, a.a.O., S. 88-91. Beide Reformen werden ausführlicher in der Prozeßanalyse im Kapitel VII behandelt.

208

4.3.

Die Resultate der Wirtschaftspolitik

Die realwirtschaftliche Entwicklung ist in der Regierungszeit Aylwin insgesamt sehr günstig verlaufen. Läßt man die wichtigsten wirtschaftlichen Indikatoren Revue passieren, so wuchs das BSP im Durchschnitt um über 6% pro Jahr, die Inflationsrate konnte sukzessive gesenkt werden und betrug 1993 nur noch 12%, die Arbeitslosigkeit sank offiziell auf unter 5%, die Investitionsrate lag im Durchschnitt der Jahre bei 25%, was der höchste Wert seit Jahrzehnten ist. Bis einschließlich 1992 wuchsen die Exporte um jahresdurchschnittlich über 8%. Dies alles deutet auf eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung hin, die nicht nur vor dem Hintergrund der teilweise erheblich schlechteren Performanz anderer lateinamerikanischer Ökonomien beachtlich ausfallt. 130 Tabelle 20: Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung 1990-1993

BSP Inflation Arbeitslosigkeit Minimallohnzuwachs Durchschnittslöhne Investitionsrate Exporte Mio. US-S Kupfer Importe Handelsbilanz Bilanz lfd. Posten Ausl.versch. Mrd. US-$

1990

1991

1992

1993

Durchschnitt

2,1 27,3 6,0 7,6 1,8 24,6 8310 4021 7037 1273 0 18,6

6,1 18,7 6,5 9,4 4,9 22,3 8929 3617 7353 1576 93 18,0

10,3 12,7 4,9 4,7 4,5 25,1 9986 3886 9237 749 -583 18,9

6,0 12,2 4,8 5,4 3,6 27,5 9215 3500 10209 -995 -2310 20,2

6,3 17,6 5,6 6,7 3,7 24,9 -

-

(P. Meiler, L'économie durant le récent gouvernement démocratique, a.a.O., S. 73, 73; O. Suirez, Les limites d'une croissance fondée sur l'exportation des ressources naturelles, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 11, 1993, S. 57)

Dennoch dürfen auch bedenkliche Entwicklungen hinter diesen Erfolgsziffern nicht übersehen werden. Betrachtet man z.B. die Entwicklung der Handelsbilanz, so ist es nach einem langsamen Rückgang der Überschüsse 1993 erstmals wieder zu einer negativen Handelsbilanz gekommen. Dies ist v.a. auf das im Vergleich zum starken Exportwachstum noch stärkere Wachstum der Importe zurückzuführen. Insbesondere Konsumgüterimporte sind beträchtlich, Zwischen- und Ausrüstungsgüter dagegen weitaus geringer gestiegen. Die Grenzen des exportorientierten Wirtschaftswachstums deuteten sich 1993 mit dem Einbruch der Exporte an, die zugleich die Für einen entsprecherden Vergleich siehe P. Meiler, L'économie durant le récent gouvernement démocratique (1990-1993), in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 11, 1993, S. 7678.

209

Schwachstellen der bisherigen Diversifizierung offenbarten: Nach wie vor basieren 90% der Exporte auf natürlichen Ressourcen und Primärgütern. Der Rückgang der Kupferexporte - dem nach wie vor wichtigsten Devisenbringer des Landes - ist nicht nur auf die ungünstigen terms of trade der frühen 90er Jahre zurückzuführen, sondern auch auf eine defizitäre Entwicklung des Kupfersektors, insbesondere von CODELCO. Zum einen lagen dessen durchschnittliche Produktionskosten Ende 1993 über dem Weltmarktpreisniveau - im Gegensatz zu den beträchtlich niedrigeren Produktionskosten der privaten Minen. Zum anderen hat die Regierung keine substantiellen Modifikationen im Kupferbergbau vorgenommen, so daß die Produktion seit 1991 stagnierte und die Regierung mit einer partiellen Privatisierung ihrer Anteile sympathisierte.131 Neben dem Bergbau blieben auch die Wachstumsraten der Landwirtschaft hinter dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum zurück. Sieht man einmal von den äußerst dynamisch:n Sektoren des Obst- und Gemüseanbaus ab, zeigt sich mit aller Schärfe die Strukturkrise der traditionellen Landwirtschaft. Der Einbruch der Obstexporte 1993 ist v.a. auf Restriktionen der Abnehmerländer zurückzuführen, die deutlich machen, daß auch von dieser Seite her die Exporte nicht unbegrenzt ausgeweitet werden können. Da 70% der Obstexporte aus Äpfeln und Weintrauben bestehen, ist die Diversifizierung im Obstexport nach wie vor unzureichend. Die chilenische Wettbeweibsposition beruhte jahrelang auf niedrigen Produktionskosten (v.a. Löhne), so daß eine Verbesserung der Wettbewerbsvorteile v.a. technologische Innovationen in der Produktions- und Vermarktungskette und den Ausbau systemischer Wetbewerbsvorteile voraussetzt. Momentan befinden sich allerdings allenfalls die großen Unternehmen auf dem Weg in eine solche 'zweite Phase des Exportmodells'.132 Gestiegen ist seit 1990 auch die externe Verschuldung. Sie erreichte zum Ende der Regiemngszeit Aylwin mit über 20 Mrd. US-$ wieder die Höchstwerte von Mitte der 30er Jahre. Zwar hat sich die unmittelbare Belastung durch den Schuldendienst verringert, doch stellt die Höhe der Auslandsverschuldung nach wie vor ein strukturelles Entwicklungshemmnis dar. 133 Lassen sich diese 'Schattenseiten' noch mit den Wachstumsraten und der erreichten Stabilisierung der Ökonomie relativieren, so wird man den Erfolg bzw. Mißerfolg der Regierung Aylwin v.a. an der effektiven Bekämpfung der Armut messen müssen. Das Regierungsprogramm der Parteien der Concertadön zielte an

Vgl. O. Suärez, Les limites d'une croissance fondée sur l'exportation des ressources naturelles, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 11, 1993, S. 61 ff. 132 133

Vgl. L . Garcia/E. Rivera/J.E. Vega, a.a.O., S. 186-196. Siehe H. Sangmeister, Auslandsverschuldung

als strukturelles Entwicklungshemmnis -

Argentirien, Brasilien, Chile im Vergleich, in: D. Nohlen/M. Fernindez/A. v. Klaveren (Hrsg.), Demokratie und Außenpolitik in Lateinamerika, Opladen, 1991, S. 177-210.

210

zentraler Stelle auf die Kompatibilisierung einer freien Marktwirtschaft auf der Basis eines dynamischen Privatsektors und einer exportorientierten Wachstumsstrategie mit der Verbesserung der Einkommensverteilung und der Bekämpfung der Armut im Kontext makroökonomischer Gleichgewichte ab. Ein an internationaler Wettbewerbsfähigkeit orientiertes Wachstum wurde dabei als Voraussetzung für größere Verteilungsgerechtigkeit und Gleichheit angesehen. Unter der neuen Regierung konnten die Sozialausgaben dank der Steuerreform und der damit einhergehenden temporären Mittelzuflüsse an den Staat ausgeweitet werden. Zunächst wurden 1990 die Mindestlöhne und Mindestrenten beträchtlich angehoben. Bis Ende 1993 erhöhte sich zudem das Volumen der Ausgaben des Staates im Sozialbereich um 40%. Die Mittel wurden in die Bereiche Gesundheit, Erziehung und Wohnung kanalisiert, wobei die jeweiligen Programme gezielt auf die Verbesserung der Infrastruktur in den ärmsten Regionen ausgerichtet wurden. Die staatlichen Gelder wurden stärker fokussiert und über spezielle Programme, wie den mit bescheidenen Mitteln ausgestatteten FOSIS, der Assistenzcharakter im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe ausgeweitet. Zu bedenken ist allerdings, daß knapp die Hälfte aller Sozialausgaben des Staates in das Alterssicherungssystem fließen, da der Staat aufgrund der Umstellung der Systeme unter der Diktatur die Verbindlichkeiten des alten Systems übernehmen und für die Deckung der Defizite sorgen mußte. An zweiter Stelle stand 1993 mit 20% Anteil an den öffentlichen Sozialausgaben der Erziehungssektor, gefolgt vom Gesundheitswesen (18%) und dem Wohnungsbau (9%). Die 40%ige Ausweitung der Sozialausgaben muß zudem mit den gestiegenen Kosten kontrastiert werden, die pro Einwohner für Gesundheit, Erziehung und Wohnung aufgebracht werden mußten, und die sich von 1990 bis 1993 um durchschnittlich 27% erhöhten. Der Anteil der staätlichen Sozialausgaben am BSP stieg zwar von 1990 14% auf 15,3% 1993 an, lag aber ebenso wie der entsprechende Anteil pro Kopf der Bevölkerung noch unter den Werten von 1980 und sogar 1970.134 Die im Vergleich zur Militärdiktatur expansivere Sozialpolitik baute auf der Dualisierung der Gesellschaft auf, die über die graduelle Steigerung der Sozialausgaben bestenfalls langfristig und auf der Grundlage selbst eines beträchtlichen Wirtschaftswachstums über trickle downStrategien nur ungenügend aufgehoben werden kann. Dennoch ist durch diese Maßnahmen nach Angaben des Planungsministeriums die Zahl der Armen um ca. 1,3 Mio. Menschen reduziert worden. Statt 5,4 Mio. Menschen am Ende der Diktatur lebten 1993 'nur' noch 4,1 Mio. Menschen unterhalb der Armutsgrenze.135 134

135

Siehe D. Raczynski, Les politiques sociales. Trajectoires et défies actuels, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 11, 1993, S. 96 f.; M. Queisser, a.a.O., S. 35. Siehe J. Ruiz-Tagle, Reducción de la pobreza y distribución de los ingresos en Chile, in: Mensaje, Num. 425, 1993, S. 463-486. Problematisch an dieser Reduktion könnte sein, daß sie über einen einzigen Indikator - nämlich erhöhte Einkommen - zustande gekommen ist, so

211

Die Einkommensverteilung selbst konnte durch den wirtschaftlichen Wachstumsprozeß und die einzelnen Maßnahmen der Regierung nur marginal verbessert werden. Während die unteren 40% der Bevölkerung zwischen 1990 und 1992 einen Prozentpunit zulegen konnten, verloren die oberen 20% der Einkommensbezieher etwas mehr als 1%. Damit ist es in der Regierungszeit Aylwin nur zu einer äußerst begrenzten Umverteilung der Einkommen gekommen. Tabelle 21: Die Einkommensverteilung in Chile 1988 bis 1992 40% Ärmste 40% Mittlere 20% Reichste

1988 12,6 32,8 54,6

1990 14,1 32,2 53,7

1992 15,1 32,5 52,4

(P. Melier, L'économie durant le récent gouvernement démocratique (1990-1993), a.a.O., 75)

Die weitergehende Reduzierung der Armut wird somit zukünftigen Regierungen vorbehalten bleiben, da die 'neue Sozialpolitik1 wesentlich von der Modernisierungsgeschwindigkeit der Ökonomie abhängig ist und nach gemeinsamer Auffassung von Regierung und Opposition mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes kompatibel sein muß. Dies bietet unter den gegebenen Umständen aber bestenfalls die Voraussetzung für eine langsame Verbesserung der ungleichen Einkommensverteilung und zur langfristigen Überwindung der Armut.

daß sich damit die Lebensumstände der Menschen nicht grundsätzlich und automatisch verbessern nässen.

212

V. Organisationsstrukturen und Geschichte der Unternehmerverbände 1.

Die Organisationsstruktur der chilenischen Unternehmerschaft

Die chilenische Unternehmerschaft verfügt über eine ganze Reihe von Organisationen zur Durchsetzung und/oder Verteidigung ihrer Interessen, die teils bis in das letzte Jahrhundert zurückreichen. Es existiert sowohl ein Dachverband wie auch sektorspezifische Verbände jeweils für die großen wie auch für die kleinen und mitderen Unternehmen. Daneben gibt es Verbände, die die selbständigen Gruppierungen der Mittelschichten repräsentieren. Diese im lateinamerikanischen Vergleich zwar relativ hochentwickelte Organisationsstruktur reflektiert zugleich die offensichtlich große Interessenheterogenität innerhalb der Unternehmerschaft.1 Gerade der Fall Chile zeigt, daß die Interessen der Unternehmer ohne ihre Organisierung im Laufe der Entwicklung weder effektiv zu verteidigen noch durchzusetzen waren. Rechüiche Grundlage für die Verbände bildet die chilenische Verfassung von 1980 und sich daran anschließende Bestimmungen. Der Art. 19, der die Rechte und Pflichten der Bürger festlegt, garantiert in seinem § 15 die Vereinigungsfreiheit und verbürgt das Recht, sich ohne vorherige Erlaubnis zusammenzuschließen und zu organisieren. Ausgenommen sind nach der gültigen Verfassung nur Assoziationen, die gegen die Moral, die öffentliche Ordnung und die Staatssicherheit verstoßen. Niemand kann gezwungen werden, einer Assoziation anzugehören. In § 19 heißt es, daß ein Gesetz die Mechanismen der Autonomie der gremialen Institutionen regelt. Einzige Auflage ist eine Registrierung im Registro de Asociaciones Profesionales des Wirtschaftsministeriums. Direkte parteipolitische Aktivitäten sind den Verbänden wie auch den Gewerkschaftsorganisationen untersagt. In § 21 des Artikels wird schließlich das Recht eines jeden Einzelnen verbürgt, jedwede wirtschaftliche Aktivitäten in Übereinstimmung mit der Moral, der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit zu entfalten.2 Zur Bildung einer gremialen Assoziation sind mindestens 25 natürliche oder 4 juristische Personen notwendig. Der Begriff der 'gremialen' Assoziation bzw. Organisation ist in Chile aber nicht nur ein allgemeines Synonym für (Unternehmer-)Verband, sondern der gremialismo bildete seit den 30er Jahren auch das spezifische Selbstverständnis eines Großteils

2

Siehe F.F. Estrada/M.L. Masi, El empresariado latinoamericano. Algunos aspectos de sus organizaciones y de su pensamiento, Buenos Aires, 1983. Vgl. Constitución Política de la República de Chile 1980, Santiago, o.J. (1991), S. 15 ff.

213

der Unternehmerverbände und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu ihrer quasi offiziellen Ideologie. Er stellte eine erneuerte Form korporativer Staatsvorstellungen der 30er Jahre dar, deren Ähnlichkeiten mit Elementen des italienischen Faschismus und seinem korporativen Ständestaat unübersehbar sind. Den Verbänden sollte auf Kosten der politischen Parteien ein stärkeres Mitspracherecht in der Politik zugestanden und die Einflußmöglichkeiten der Parteien begrenzt werden. Damit war die Intention verbunden, im politischen Entscheidungsprozeß von den Parteien unabhängige Einflußkanäle - etwa in von den Verbänden dominierten, neu zu schaffenden Koordinationsorganen - zu institutionalisieren und in politischer Hinsicht scheinbar neutrale Entscheidungsfindungsorgane im Staat mit Verbandsvertretern zu besetzen. Dies sollte zu einer 'Vertechnisierung' der Politik und einer besseren Berücksichtigung der Unternehmerinteressen im Staat führen. Der gremialismo wurde somit eine Rechtfertigungsideologie für eine eigenständige Politik der Wirtschafts- und Berufsverbände unter Umgehung der Parteien in dem Moment, als jene nicht mehr automatisch eine effektive Interessenvertretung der Unternehmerschaft im Parlament sicherzustellen in der Lage waren.3 Offiziell verstanden und verstehen sich die gremios als apolitische Institutionen. Sinn und Zweck des gremialismo wird deutlich in einer Rede von J. Larraín (SNA) auf der ersten Versammlung der COPROCO 1934: 'Debemos fortalecer nuestra organización gremial. Debemos llevarla hasta sus últimas consecuencias. El gremio será el intermediario entre el ciudadano y el Estado, el vocero legítimo de las aspiraciones del trabajo. De su seno saldrán representaciones genuinas y no delegaciones desvinculados de la masa ciudadara." 4

Antidemokratische und antiliberale Denkströmungen waren von Anfang an fest in der Unternehmerschaft und ihren Verbänden verankert und gewannen in dem Maße an Bedeutung, wie ihre soziale Position und ihr politischer Einfluß bedroht waren. Einzelne Elemente eines technokratisch-autoritären Gesellschaftsmodells durchzogen die Reden der Verbandsführer zwischen 1930 und der Pinochet-Diktatur immer wieder.^ Wihrend der Diktatur bildete der gremialismo eine der wichtigsten ideologischen Grundlagen konservativen Denkens.

3

4

5

Siehe D. Nolte, Zur Strategie konterrevolutionärer Eliten. Die Politik der chilenischen Unternehinerveibände während der Regiemngszeit von Salvador Allende, in: Jahrbuch für Geschieht; von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas, Bd. 22, 198S, S. SOS; und P. Garcia. Los gremios patronales, Santiago, 1973, S. 82-86. COPROCO, Primera Convención de la Confederación de la Producción y del Comercio, Santiago, 1934, zitiert nach D. Nolte, Untemehmerverbände in der chilenischen Politik. Von den Anfängen bis zum Ende der Radikalen Präsidentschaften, in: Iberoamerikanisches Archiv, Vol. 13, 1987, Num. 4, S. 569. Vgl. D. Nolte, Untemehmerverbände in der chilenischen Politik, a.a.O., S. 570.

214

Im Laufe der Diktatur bildeten sich zumindest vier wichtige ideologische Konsenspunkte innerhalb der Unternehmerschaft heraus. Diese betrafen - die Verteidigung des Privateigentums als natürliches und unverletzliches Recht der Menschen; - die Unternehmensfreiheit als Grundlage aller Freiheit; - das Mißtrauen gegenüber den politischen Parteien, die in einem demokratischen politischen System einen ihrer Meinung nach unproportional großen und negativen Einfluß auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes ausüben; - nicht zuletzt die Vorstellung, daß die Demokratie gegen ihre 'Feinde' (i.e. Kommunisten und Sozialisten) geschützt werden müsse, was im chilenischen Fall in der Aufrechterhaltung einer besonderen Rolle des Militärs als 'Wächter der Verfassung' und 'Hüter' einer geschützten Demokratie zum Ausdruck kommt. Gehören die drei erstgenannten Punkte zum gemeinsamen Repertoire der Mehrzahl von Unternehmern auch anderer Länder6, so stellt der letztgenannte Aspekt ein Spezifikum Chiles dar, welches erst mit dem Militärregime eingeführt wurde und breite Akzeptanz in der chilenischen Unternehmerschaft gefunden hat. Die Unternehmerverbände mit nationaler Reichweite gruppieren sich hauptsächlich um zwei Dachorganisationen herum: zum einen die Confederación de la Producción y del Comercio, die hauptsächlich große, teils auch mittlere Unternehmen repräsentiert; zum anderen den Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio, in dem sich im wesentlichen kleine, aber auch mittlere Unternehmen wiederfinden. Dennoch sind längst nicht alle Unternehmen Mitglied des einen oder anderen Dachverbandes. Ist die Repräsentation in quantitativer Hinsicht eher begrenzt, so ist sie in qualitativer Hinsicht (Produktionsvolumen, Umsätze, Beschäftigung etc.) doch beträchtlich. Beide Organisationen agieren in der Regel als offizielle und anerkannte Sprachrohre ihrer jeweiligen Sektoren und vermögen in Krisenzeiten, große Teile der Unternehmer hinter ihren politischen Strategien zu einigen. Während die COPROCO die ältesten und traditionsreichsten Unternehmerverbände organisiert, die in ihrer Mehrheit bereits im letzten Jahrhundert entstanden und eine wichtige politische und soziale Rolle in der Entwicklung des Landes spielten, sind im CPTC vergleichsweise junge Unternehmerverbände mit entsprechend geringeren Traditionslinien zusammengeschlossen. Die meisten von ihnen entstanden erst in der Zeit von 1940 bis 1970.

6

Vgl. G. Arriagada, Los empresarios y la conccrtación social, in: PREALC (Ed.), Política económica y actores sociales. La concertación de ingresos y empleo, Genf, 1988, S. 75-116; und D. Vogel, Why Businessmen Distrust their State, in: British Journal of Political Science, Num. 8, 1978, S. 45-78.

215

1.1.

Die Confederación de la Producción y del Comercio (COPROCO)

Die 1935 gegründete COPROCO ist als Confederación de Federaciones y Asociaciones Gremiales der oberste Dachverband des chilenischen Privatsektors, der über die sechs sektoralen Organisationen der chilenischen Unternehmerschaft ca. 40000 Unternehmen aus allen Bereichen der Wirtschaft repräsentiert. Seit ihrer Gründung sind in ihr die ältesten Unternehmerverbände des Landes zusammengeschlossen: - aus dein Landwirtschaftssektor die Sociedad Nacional de Agricultura (SNA), die 1838 gegründet wurde; - aus dem Handelssektor die Cámara Nacional de Comercio (CANACO), die 1858 gegründet wurde; - aus dem Bergbaubereich die Sociedad Nacional de Minería (SONAMI), die 1883 gegründet wurde; - aus den industriellen Bereich die Sociedad de Fomento Fabril (SOFOFA), die ebenfalls 1883 gegründet wurde. Zwei weitere Organisationen konstituierten sich erst später und wurden auch entsprechend spät Mitglieder der COPROCO: - aus dem Bausektor die Cámara Chilena de la Construcción (CCC), die 1951 gegründet wurde und noch im gleichen Jahr der COPROCO beitrat; - aus dem Finanzsektor die Asociación de Bancos e Instituciones Financieras de Chile (ABIF), die 1943 gegründet und erst 1979 Mitglied der COPROCO wurde. Schaubild 5: Organigramm der Confederación de la Producción y del Comercio Confederación de la Producción y del Comercio Sociedad Nacional de Agricultura

Cámara Nacional de Comercio

Sociedad Nacional de Minerfa

Sociedad de Fomento Fabril

Cámara Chilena de la Construcción

Asociación de Bancos e Instituciones Financieras

- 21 gr emule Assoziatioien

- 21 Handelskammern • 28 spezialisiert! Institutionen

- 31 gremiale Assoziationen

- 22 gremiale Assoziationen - 6 Mitgliedsassoziationen

- 1 5 regionale Delegationen

- 35 Banken - 4 Finanzierungsgesellschaften

Was die Mitgliedertypologie angeht, so ist die COPROCO ein Dachverband, in den die nationalen Sektorverbände (wie SNA, SOFOFA, SONAMI etc.) eingebunden sind. In diese sind wiederum die Basisorganisationen (regionale Delegationen, gremiale Assoziationen und lokale Handelskammern) inkorporiert. In letzteren sind natürliche und juristische Personen oder Unternehmer Mitglieder. Das hierarchische Organisationsprinzip ist allerdings nicht stringent durchgehalten. 216

Die COPROCO als nationaler Dachverband versteht sich nicht nur als Wirtschaftsverband, der die Interessen seiner Mitglieder vertritt und Dienstleistungen für sie zur Verfügung stellt, sondern als genuiner Arbeitgeberverband, der die Unternehmer nach außen repräsentiert und in Verhandlungen mit Gewerkschaften und Staat tritt. Der ehemalige Präsident Manuel Feüú drückte dies einmal so aus: "Nuestra propuesta no solo es gremial. Nuestra propuesta es nacional. Quisiéramos que este documento fuese acogido por la opinión pública como expresión de nuestro amor a Chile y de nuestro decidido compromiso con el desarrollo de todo el país. Nos definimos como hombres de trabajo y como agentes para la creación de nuevas oportunidades ... Bajo el amparo de reglas del juego estables y claras lo que mejor sabemos y más nos gusta (es) trabajar, invertir, crear nuevas fuentes de trabajo y de riqueza ... Los invitamos a sumarse a la lucha por el desarrollo de Chile y el bienestar de todos los chilenos."7 Hauptziel der COPROCO ist die Förderung und Verteidigung der Interessen der Unternehmerschaft auf nationaler und regionaler Ebene gegenüber der Regierung, um die Entwicklung des privaten Unternehmertums in Chile zu fordern und den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der Nation voranzutreiben. Fundamentale Rolle des privaten Unternehmertums sei es, als Motor der Entwicklung zu fungieren und Reichtum und Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei kommt der Koordinierung der Interessen der Einzelverbände primordiale Bedeutung zu. "Su actual campo de acción y el de sus ramas se ha ampliado hacia la búsqueda de soluciones concretas en materia de desarrollo social, cultural, económico y laboral, buscando caminos adecuados, que a través de mecanismos de probada eñciencia entregan aportes y proporcionan la capacidad empresarial como respuesta a las necesidades y requerimientos de la comunidad."® Organisationsmäßig höchste Autorität ist der Präsident, der einem comité ejecutivo vorsteht, das gebildet wird von eben jenem Präsidenten, dem Vizepräsidenten (falls vorhanden), den Ex-Präsidenten des Dachverbandes, den Präsidenten der sechs Mitgliedsorganisationen und je einem von den Zweigorganisationen gewählten consejero delegado. Dem Exekutivkomitee fällt die Aufgabe zu, die Dienstleistungen und Aktivitäten der COPROCO zu organisieren und die Arbeit der Kommissionen zu lenken9, die Organisation zu verwalten und die COPROCO über ihren Präsi7 8 9

COPROCO, Libertad de emprender. Condición para el desarrollo, Santiago, 1989, S. 7 f. COPROCO, Qué es la Confederación de la Producción y del Comercio?, Santiago (o.J.). Gegenwältig existieren dreizehn Kommissionen, die sich mit folgenden, weit über wirtschaftliche Fragen hinausgehenden Bereichen beschäftigen: Comisión Política Económica; Comisión del Medio Ambiente; Comisión O.I.T.; Comisión Análisis Político; Comité Económico; Comisión Energía Eléctrica; Comisión Educación; Comisión Laboral e Integración Social-, Comisión ALADI; Comisión Tributaria; Comisión de Salud y Previsión Social; Comité de Relaciones y Negociación Internacional; Comisión de Apoyo para la Acción de Empresarios por el Desarrollo.

217

denten vor Staat und Regierung zu repräsentieren sowie den consejo nacional einzuberufen. Der cornejo nacional ist das zweithöchste Gremium der COPROCO. Ihm gehören der Präsident, der Vizepräsident (falls vorhanden), die Ex-Präsidenten der COPROCO, die Präsidenten der Zweigorganisationen, zehn von jedem Zweig bestimmte consejeros sowie die Präsidenten der consejos regionales an. Seine Aufgabe ist es. die allgemeinen Normen und Richtlinien der COPROCO zu bestimmen, die Organisierung der Unternehmer landesweit zu fördern und über die Aufnahme neuer Verlande zu bestimmen. Die COPROCOfinanziertihre Arbeit ausschließlich über die Beiträge ihrer Mitglieder.10 Die Corfederación de la Producción y del Comercio bekennt sich in ihren Prinzipien und allgemeinen Grundsätzen11 zur unverletzlichen Würde des Menschen und zur Freiheit als oberstem moralischen Wert der menschlichen Existenz. Gerechtigkeit und Toleranz komme dabei besondere Bedeutung zu. Die COPROCO messe einer Wirtschaftsordnung großes Gewicht zu, die auf Gleichheit und Gerechtigkeit basiere, die Partizipationsmöglichkeiten für die Mitglieder der Gesellschaft beinhalte und Nutzen für alle verbürge. 'La justicia que nos mueve posee un contenido de ética privada y de ética social. Privadz, porque obliga a dar a cada cual lo que le corresponde; social, porque obliga i quienes disponen de mayores recursos a coadyuvar en la satisfacción de las necesidades de los más desvalidos."

Toleranz, Pluralismus und Demokratie seien Werte im gesellschaftlichen Leben, die durch Uniformität und Standardisierung bedroht würden. Der freien Initiative und der individuellen Freiheit komme im Denken der COPROCO oberste Priorität zu. Dies schließe natürlich auch die unternehmerische Freiheit, die uneingeschränkte Anerkennrag des Privateigentums, der freien Marktwirtschaft ein, da das Recht auf Privateigentum ein fundamentales Menschenrecht sei, das als unerläßliches Element für die freie, individuelle und autonome Entwicklung eines jeden Menschen betrachtet werde.12 Vgl. M. Valdés, Organizaciones de empleadoras chilenas, a.a.O., S. 137 f. Siehe COPROCO, Libertad de emprender, a.a.O., S. 11-30. Die folgenden Zitate im Text sind dieser Broschüre entnommen. ^ Die chilenischen Unternehmer sind auch im lateinamerikanischen Kontext organisationsmäßig eingebuiden. Zu erwähnen sind die Asociación de Industríales Latinoamericanos (AILA), der die Industriellenveibände der Mitgliedsländer des ALALC repräsentiert. Der Handelssektor ist im Consejo Interamericano de Comerciantes (CIC) und der Asociación Iberoamericana de Cámarai de Comercio (AICO) zusammengeschlossen. Der Consejo Interamericano de CornereiJ y Producción (CICYP) weist sowohl industrielles wie auch Handelskapital als Mitglieder uis. Für den Agrarsektor fehlen vergleichbare Institutionen. Lediglich die Viehzüchter verfigen über die Confederación Interamericana de Ganaderos (CIAGA). Siehe F.F. EstradaAi.L. Masi, a.a.O., S. 35 f.

11

218

Sociedad National de Agricultura (SNA1 Die 1838 gegründete SNA ist der älteste Unternehmerverband Chiles. Seine Mitglieder sind hauptsächlich die großen Landwirtschaftsunternehmer der Zentralzone (IU.-Vn. Region), deren Produktion zum einen auf den Export von Früchten und Obst konzentriert ist, die zum anderen aber auch sog. traditionelle Produkte wie Weizen, Reis, Mais, Bohnen etc. anbauen und durchgängig produktiv und profitabel arbeiten. Darüber hinaus gehören der SNA als Verband dritten Grades aber auch die größten agroindustriellen und monopolistisch strukturierten Unternehmen der Forstwirtschaft an. Höchstes Organ der SNA ist ein Rai, der aus gewählten consejeros (die die diversen Regionen des Landes vertreten) und Honoratioren (nominierte Personen, die sich um die SNA Verdienste erworben haben), den Ex-Präsidenten und den Präsidenten der regionalen Assoziationen besteht. Der consejo wählt ein Direktorium, aus dem wiederum Präsident und Vizepräsident gewählt werden. Neben diesen permanenten Institutionen gibt es mit den Zweigkomitees eine Reihe von gelegentlich zusammentretenden Organen, die eine relativ große Anzahl von Mitgliedern umfassen. Die wichtigsten Komitees existieren momentan in den Sparten Weizen, Milch, Oligonosen und Wein. Die SNA verfugt landesweit über 21 gremiale Assoziationen.13 Die Mitgliedschaft umfaßt sowohl Einzeluntemehmer wie auch Unternehmen, wobei ca. Jüngster Zusammenschluß ist der Consejo Empresario de América Latina (CEAL), der die potentesten Unternehmer aus Mexiko, Brasilien, Chile, Kolumbien, Venezuela und Argentinien zusammenschließt und insgesamt 230 Mitglieder hat. Von chilenischer Seite gehören dazu Anacleto Angelini, Eliodoro Matte, Carlos Abumahor, Wolf von Appen, Roberto de Andraca, Manuel Feliú, Carlos Cardoen, Ricardo Claro, Alvaro Saieh, Pedro Ibáñez, Eduardo Guilisasti. Im 15-köpfigen Direktorium sitzen Manuel Feliu, Ex-Präsident der SONAMI und der COPROCO, Präsident der Banco de Concepción mit breit gestreuten Wirtschaftsinteressen, und Eliodoro Matte von der grupo Matte mit der Compañía Manufacturera de Papeles y Cartones (CMPC). Siehe Qué Pasa vom 27.1.1992, S. 36 f.: Club Privado. Dies sind die Asociación de Empresarios Agrícolas de Productos de Exportatción de la V. Región; Sociedad Agrícola del Norte; Asociación de Pequeños Agricultores de 'Elqui'; Asociación Gremial de Agricultores de ¡a Provincia de Petorca; Asociación Gremial de Agricultores de la Provincia Quillota; Asociación Gremial de Agricultores de San Amonio; Asociación de Agricultores de Aconcagua-San Felipe; Asociación de Agricultores de Maria Pinto; Asociación Gremial de Agricultores de San Bemado; Asociación Gremial de Agricultores de Maipo; Asociación Gremial de Agricultores de Melipilla; Asociación de Agricultores Rancagua-Machali; Asociación de Agricultores 'Rio Claro' de Rengo, Malloa, Quinta Tilcoco; Asociación Gremial de Agricultores de las Provincias de Colchagua y Cardenal Caro; Asociación Gremial de Agricultores San Vicente, Tagua Tagua y Pichilemu; Asociación Gremial de Agricultores de Mataquito, Hualañe, Licanten, Vichuquen y Curepto; Asociación Gremial Agrícola Central; Asociación de Agricultores de Linares, Asociación de Agricultores de Nuble; Sociedad Agrícola, Ganadera y Maderera Curacautin; Asociación Gremial de Empresarios Agrícolas 'El Lago' (Pto. Varas); Asociación de Ganaderos de Magallanes.

219

zwei Drittel der 4000 Assoziierten Einzelunternehmer sind. Sie kontrollieren ca. 15% der bndwirtschaftlichen Anbaufläche des Landes. Die SNA finanziert ihre Tätigkeiten nur zum Teil aus den Beiträgen ihrer Mitglieder. Weitere, nicht zu unterschät2ende Einnahmequellen sind die jährlich stattfindende Ausstellung landwirtschaftlicher und industrieller Güter FISA (Feria Internacional de Santiago), die elf 'escuelas técnicas' (neun landwirtschaftliche, zwei industrielle), der Besitz von Radiostationen, die Caja de Compensaciones (mit ca. 140000 Mitgliedern) und eine landwirtschaftliche Experimentierstation. Die SNA befürwortete den Freihandel und die freie Preisbildung, spricht sich aber dennoch für die Etablierung von Preisschwankungsbreiten aus, um abrupte Preisänderangen auf dem Weltmarkt wie auf dem Binnenmarkt auszugleichen, da nur so die landwirtschaftliche Produktion vor den zyklischen Schwankungen des Weltmarktes geschützt werden könne. Die Agrarpreise sollen sich aber zumindest mittelfristig an den Tendenzen des Weltmarktes orientieren. Die Agrarier Chiles haben den Landwirtschaftssektor schon immer als etwas Besonderes dargestellt: "El agn, además de ser un sector productivo, además de ofrecer empleos, generar divisas, proveer alimentos y perspectivas de industrialización, representa también a nuestro juicio un modo de vida y de una herencia cultural formidable. La tierra téne sus ciclos y la vida rural tiene su propio ritmo y su propia lógica. Los intentos de homologar vida rural y vida urbana lastimaron profundamente en el pasado a un sector importante de la población y se tradujeron en serios problemas sociales de disociación y desarraigo en los ciudades, cuya repetición debiéramos evitar a toda costa."14 Saciedad de Fomento Fabril CSOFOFAI Die 1883 fegründete SOFOFA repräsentiert v.a. große und mittlere Industriekapitale. In jüngster Zeit hat sie aber auch einige kleinere Industriekapitale inkorporiert. Die interne Struktur der SOFOFA besteht aus einem consejo directivo, welcher einem corrité ejecutivo und einer mesa directiva Aufgaben überträgt. Der consejo besteht am 26 gewählten consejeros, sieben Ehrenmitgliedern und 28 Vertretern der gremialen Assoziationen (22 Zweigvertreter) bzw. der 'Mitgliedsassoziationen' (6 Industrieverbände einer Stadt bzw. Region). Die 22 gremialen Assoziationen, die die Unternehmer gleicher oder ähnlicher Aktivität in einem entsprechenden Verband orgaiisieren 15 , und die 6 Mitgliedsassoziationen der Provinzen1*' bilden die 14

COPROCO, Libertad de emprender, a.a.O., S. 34. ^ Dies sini die Asociación Gremial de Procesadores de Alimentos de Otile 'Aspaco'; Asociación Grtmial de Fabricantes de Vidrios, Cerámico y Refractorias; Asociación Gremial de Fabricarles de Pinturas y Tintas 'Asapint'; Asociación Gremial de Industriales de Cecinas; Asociación Gremial de Industriales de Calzado 'AsimcaV; Asociación Gremial de Fabricantes de Alatrbras y Derivados; Asociación Gremial de Industriales de Curtidurías 'Asimcurt';

220

Basisorganisationen der SOFOFA. Über diese beiden Instanzen werden ca. 4500 Unternehmer repräsentiert, wobei die Zahl der Unternehmer als Einzelmitglieder in der SOFOFA selbst nicht signifikativ ist. Hinzuzuzählen sind aber noch die 2000 direkt angegliederten Unternehmen, so daß sich die Gesamtzahl der in der SOFOFA vertretenen Unternehmer auf ca. 6500 beläuft. Nach eigenen Angaben repräsentiert die SOFOFA damit 70%-80% der Industrieproduktion. Sie finanziert sich über ihre 28 Mitgliedsverbände sowie die Beiträge der 2000 übrigen Unternehmen. Darüber hinaus erhält sie Gelder aus der Zusammenarbeit mit privaten Technikinstituten. Von ihren Prinzipien her weist die SOFOFA heute im Gegensatz zu früheren Zeiten eine Weltmarktorientierung auf und heißt eine ökonomische Liberalisierung gut, da nur so eine breite und beschleunigte Modernisierung des Landes möglich sei. "Para la industria chilena la apertura es fundamental. Fundamental porque nuestro mercado interno es de dimensiones reducidas. El gran mercado potencial es el internacional."17 Deshalb befürworten die Unternehmer eine kohärente und dauerhafte Exportstrategie mit stabilem Wechselkurs, steuerlichen und anderen Exportanreizen und staatlicher Flankierung auf dem Weltmarkt. Das Land müsse sich entsprechend seiner Kapazitäten und Ressourcen auf bestimmte Produkte spezialisieren, wobei der Weltmarkt und nicht der Staat die Spezialisierung lenken solle. Sociedad Nacional de Minería (SQNAMD Höchstes Organ der 1883 gegründeten SON AMI ist ein consejo directivo, in dem 31 gremiale Assoziationen aus dem Bergbausektor und zwei sindicatos profesionales organisiert sind, ferner eine Produzentenvereinigung und 16 Unternehmen aus dem Produktions- und Dienstleistungsumfeld der Gran Mineria und Mediana MineríaDamit sind neben den Basisorganisationen auch individuelle Sozios und Asociación Gremial de Industriales de Goma 'Asigom'; Asociación Gremial de Industrias Metalúrgicas y Metalmecanica 'Asimet'; Asociación Gremial de Industriales de Plástico 'Asipla'; Asociación Gremial de Industriales de la Madera 'Asimad'; Asociación Gremial de Industriales Químicos 'Asiquim'; Asociación Gremial de Tintorerías y Estampados Industriales de Chile; Asociación Gremial de Licoristas de Chile; Asociación de Impresores de Chile 'Asimpres'; Cámara de la Industria Cosmética; Cámara de la Industria Farmacéutica; Corporación Chilena de la Madera 'Corma'; Instituto Textil de Chile; Asociación Gremial de Molineros del Centro; Asociación de Industrias Lácteos 'Asilac'; Asociación de Exportadores de Manufactureras ASEXMA. ^ Dies sind die Asociación de Industriales de Arica 'Asinda'; Asociación de Industriales de Antofagasta 'A.I.A.'; Asociación de Industriales de Valparaíso y Aconcagua 'Asiva'; Asociación de Industriales del Centro 'Asicent'; Cámara de la Producción y del Comercio de Concepción; Asociación de Industriales de Malleco-Cautin 'Asinca'. 17 COPROCO, Libertad de emprender, a.a.O., S. 63. ^ Dies sind die Asociación Gremial Minera de Arica, de Iquique, de Tocopilla, de Antofagasta, de Talial, de Chañara, de Diego de Almagro, de El Salado, de Inca de Oro, Cablera, de

221

Assoziatioien der ganzen Spannbreite extraktiver Aktivitäten vertreten. Durch die SON AMI vurden Anfang der 80er Jahre ca. 3100 Mitglieder entweder als juristische oder íatürliche Personen repräsentiert. Die SONAMI finanziert ihre Aktivitäten über de Beiträge ihrer Mitglieder sowie einem Anteil, den die mittleren und kleinen Uiternehmer im Bergbau an die ENAMI (Empresa Nacional de Minería) abfuhren. Seit ihrer Gründung widmete sich die SONAMI neben der Interessenvertretung ihrer Mitgleder mit einem eigenen Bulletin der Verbreitung wissenschaftlich-technischen Wssens aus dem Bergbausektor. Eine ihrer ersten Aufgaben war die Durchsetzmg eines Código de Mineria 1888 und dessen spätere Erneuerung 1930. Zugleich htte sie maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des 'Gesetzes 4109' (1926), da.1 dem Staat die Petroleumexploration übereignete. Die SONAMI konnte in der Vergangenheit in verschiedene staatliche Organe stimmberechtigte Repräsentanten mtsenden (z.B. in die CORFO, CODELCO, ENAMI, Junta General de Aduanas, INAP, um nur einige wenige zu nennen).19 Die grundsätzlichen Prinzipien der SONAMI wurden durch die wechselvolle Geschichte des Bergbaus in Chile und den bestehenden starken staatlichen Einfluß in diesem Sektor bestimmt. Nur so ist die Betonung klarer Spielregeln, dauerhafter und konstaiter Wirtschaftspolitiken, juristischer Sicherheit bezüglich der privaten Investitionin und der Entschädigung im Falle von Enteignungen zu verstehen. Obgleich de Koexistenz von Staat und Privatwirtschaft im Bergbau lange Jahre anerkannt vurde, ist die SONAMI häufiger für die vollständige Privatisierung der Produktioismittel in diesem Bereich eingetreten. Die weitere Öffnung der Ökonomie, freie Preisbildung, Respektierung und Nichtdiskriminierung ausländischer Investorenbilden weitere Elemente ihrer handlungsleitenden Prinzipien. Cámara Nicional de Comercio (CANACOI Die 1858 jegründete CANACO ist der Zweitälteste Unternehmerverband Chiles. Er repräsentiert hauptsächlich Handelsunternehmen mittlerer Größe. Ein Direktorium aus 27 Pesonen, dem ein Präsident und ein Vizepräsident vorstehen, vertritt die folgenden hstanzen:

Copiapó de Tierra Amarilla, de Vallenar, de Freirina, de Domeiko, de La Sirena, de Andacollo, di Ovalle, de Ptmitaqm, de Combarbala, de Illapel, de Salamanca, de Cabildo, de Petorca, de Catemu, de San Felipe, de Putaendo, de Melipilla, de ¡a Sexta Región, de Temuco.de El Huacho; Sindicato Profesional Pirquineros Huasco y Freirina; Sindicato Profesional de Obreros Pirquineros Tierra Amarilla; Asociación de Productores No-Metalicos; dazu die Cía. Minería Disputada de Las Condes; Cía. Acero del Pacifico; Cía. Minera Rio Huasco i.a. Unternehmen mehr. Vgl. M.Valdés, a.a.O., S. 142 f„

222

21 Handelskammern der Regionen und Provinzen; 20 28 spezialisierte Institutionen, teils mit regionaler, teils mit nationaler Reichweite; 21 - 37 größere Handelsunternehmen.22 In den genannten Kammern und Institutionen finden sich ca. 30000 Unternehmen des Handels als Mitglieder. Daneben werden aber auch ausländische Handelskammern vertreten. Der Verband finanziert sich rein über die Beiträge seiner Mitglieder. Die Mitarbeit an Gesetzesvorhaben (wie z.B. dem Código de Comercio von 1865), die Erstellung von Studien zwecks Kommentierung von Regierungsprojekten, Bereitstellung von Informationen und Dienstleistungen für die Mitglieder sowie die Schaffung eines Tribunal de Comercio als unternehmerfreundliches Schiedsgericht gegen eine zu starke staatliche Regulierung des Handels gehörten in der Vergangenheit zu den Aufgaben der CANACO. Sie verfugte über Stimmrecht in zentralen staatlichen Organen wie der Junta General de Aduanas, dem Registro Nacional de Comerciantes, Pequeños Industriales y Artesanos, im Direktorium der Banco Central und der Banco del Estado, dem Registro Nacional de Viajantes und der CORFO, was ihr eine beträchtliche Machtposition einräumte. -

20

21

22

Dies sind die Cámara de Comercio de Arica; de Comercio y Industrias de Iquique A.G., de Coquimbo A.G.; Cámara Regional de Comercio de Valparaiso A.G.; Cámara de Comercio de Antofagasta A.G., de Curavaci A.G., de Saruiago A.G., de Curicó A.G., de Talca A.G., de Linares A.G., de Chillan A.G; Cámara de Comercio y Industrias de San Antonio A.G., de Rancagua A.G., de Valdivia A.G., de Osorno A.G.; Cámara de la Producción y del Comercio de Concepción A.G.; Cámara de Comercio de Concepción A.G., de Temuco A.G.; Cámara de Comercio, Turismo e Industrias de Puerto Varas A.G.; Cámara de Comercio y Industrias de Puerto Mona A.G., de Magallanes A. G. Dies sind die Asociación de Empresarios del Area Metropolitana A. G., Chilena de Empresas de Turismo A.G.-Achet, de Comerciantes de Fruto del País A.G., de Corredores de Productos Agrícolas y Ganado A.G.-Acopag, de Comerciantes de Calzado A.G., de Distribuidores de Neumáticos A.G.-Acopag, de Empresas de Aseo A.G.-AEA, de Exportadores de Chile A.G., de Supermercados y Autoservicios de Chile A.G.-Asach, Nacional de Armadores A.G.ANA, Nacional de Importadores A.G., de Comerciantes y Consignatarios de Vehículos Motorizados A.G, de Corredores de Propiedades A.G.-Acop, de Dueños de Establecimientos Comerciales A.G.-Sideco, de Usarlos ZOFR1 A.G., Chilena de Gastronomía - Achiga A.G., Chilena de Agencias de Carga Aerea A.G., Chilena de Administradoras de Consorcios A.G., Nacional de Aeronavegación Comercial A. G.-Anaco, de Distribuidores de Combustibles A.G.-Adico, Chilena de Empresas de Iitformatica A.G.; Cámara Franca de Punta ArenasPARENAZON; Cámara Marítima de Chile A.G.; Cámara de Venta Directa de Otile A.G.; Cámara Aduanera de Chile A.G.; Federación Gremial de la Industria Hotelera y Gastronómica de Chile F. G.; Asociación Chilena de Comerciantes e Industriales en Automobiles A.G.ACCIA; Cámara Chilena de Refrigeración y Climatización A.G. Dazu zählen Unternehmen wie Abastible Comercial Ltda.; Gildemeister S.A.C.; Viña Concha y Toro S.A.; Shell Chile S.A.P. etc. 223

Die CANACO hat eine besonders starke Freihandelsorientierung und plädiert für freien Wettbewerb, über dessen Aufrechterhaltung der Staat wachen muß. Er sollte auch die Chancengleichheit garantieren, die sich angesichts der großen Heterogenität des Handelssektors wesentlich über den gleichen Zugang zu Krediten und das Verbot des illegalen Handels materialisieren soll. "En este ámbito se aprecia con toda claridad la importancia que reviste para el funcionamiento de una economía libre, privada y de inspiración social, la existencia de un estado pequeño pero muy eficiente, técnicamente bien dotado, ágil y con buena capacidad de reacción frente al resguardo de los intereses generales del país y frente a la promoción del bien común de la sociedad.1,23 Cámara Chilena de la Construcción ( C C O Dieser Verband ist innerhalb der COPROCO der jüngste. Er wurde erst 1951 geschaffen und organisiert v.a. große und mittlere Unternehmen des Bauwesens. Höchste Instanz ist ein directorio, welches die Beschlüsse des consejo nacional umsetzen soll. Der consejo nacional geht aus der Generalversammlung hervor und besteht mehrheitlich aus Mitgliedern aus Santiago, zu einem geringeren Teil aus Mitgliedern der 15 regionalen Delegationen. 24 Daneben existieren sogenannte spezialisierte Kommissionen, die sich mit aktuellen ökonomischen Fragen beschäftigen. Der Verband organisiert ca. 1200 Mitglieder, von denen drei Viertel Unternehmen, ein Viertel individuelle Unternehmer sind. Damit werden nach eigenen Angaben ca. 80% der Aktivitäten des Bausektors im CCC repräsentiert. Der Verband finanziert sich ausschließlich über die Beiträge seiner Mitglieder. Wichtige Aktivitäten des CCC in der Vergangenheit waren die Schaffung des Fondo de Asignación Familiar (1952), die Etablierung eines Departamento de Promoción de Cooperativas de Vivienda zur Bereitstellung technischer Hilfe, die Erarbeitung von Plänen zur zukünftigen Wohnungssituation samt Handlungsvorschlägen für die Regierungen 1964, 1970 und 1973, und nach 1973 die dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Militärregime in bezug auf ihre Wohnungsbaupolitik. 25 Asociación de Bancos e Instituciones Financieras (ABIF) Diese Asociación existiert seit 1943. Sie vertritt 35 nationale und ausländische Banken - unter ihnen die größten - sowie vier financieras.26 Sie ist neben der 23 24

25

COPROCO, Libertad de emprender, a.a.O., S. 46. Das sind die Delegación Consejo Regional Arica, Iquique, Antofagasta, El Loa, Copiapó, La Serena, Valparaiso, Rancagua, El Maule, Concepción, Temuco, Valdivia, Puerto Montt, Coyhaique und Punta Arenas. Vgl. M. Valdés, a.a.O., S. 146 f. Das sind die American Express Bank; die Banco Concepción; Banco Continental; Banco de A. Edwards; Banco de Boston; Banco de Crédito e Inversiones; Banco de Chile; Banco de la Nación Argentina; Banco de Santiago; Banco del Desarrollo; Banco del Pacifico; Banco do

224

CANACO der einzige Verband, der offiziell neben nationalen auch internationale Kapitale repräsentiert. Grundprinzip dieses Verbandes ist die freie Marktwirtschaft mit absoluter Subsidiarität des Staates. Entsprechend wird jede staatliche Intervention oder Regulation im Bankenbereich strikt abgelehnt. "Los empresarios no consideramos indispensable o necesaria la participación empresarial del Estado en el mercado bancario. A nuestro juicio, el sector privado es capaz y está preparado para desarrollar en forma más eficiente todas las actividades y responder a todas las necesidades propias de este ámbito, en términos técnica y socialmente satisfactorios."27 Weitere wichtige Punkte stellen die Verteidigung der Öffnung zum Weltmarkt und die Betonung des Wettbewerbs mit ausländischen Banken dar. Tabelle 22: Mitgliederzahl und Einflußbereich der Verbände der COPROCO Gründungsjahr

Unternehmen

1838 1883 1883 18S8 1951 1943

1200 3072 6500 30000 360 43 40815

Soc. Nac. de Agricultura Soc. Nacional de Minería Soc. de Fomento Fabril Cám. Nacional Comercio Cám. Chil. Construcción Asociación de Bancos Total

Mitglieder Unternehmer 2800 44 -

840 3684

Einflußbereich UnterUnternehmen nehmer

_ -

9960 -

600 44 10600

11600 400 -

3200 -

15200

(G. Campero, Los gremios empresariales, a.a.O., S. 319)

1.2.

Der Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio (CPTC)

Neben der COPROCO existiert als weiterer Dachverband hauptsächlich der kleinen und mittleren Unternehmerschaft der 1983 geschaffene Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio. Im Gegensatz zur COPROCO sind dessen Mitglieder hauptsächlich individuelle Unternehmer, die in eine der vier nationalen Unterorganisationen eingebunden sind. Die Mitgliederzahl des Consejo beträgt ungefähr 188000 Personen. Höchstes Organ ist ein comité directivo, das aus jeweils drei

27

Brasil S.A.; Banco del Estado de Sao Paulo S.A.; Banco Santander; Banco Exterior S.A.; Banco BHIF; Banco BICE; Banco Internacional; Banco O'Higgins; Banco Osomo y la Unión; Banco Real; Banco Segurity Pacific; Banco Sudamericano; Banco Sudameris; Bank of America; Centrobárico; City Bank N.A.; The Chase Manhattan N.A.; Chicago Continental Bank; Republic National Bank of New York; The Bank of Toldo; The Hongkong and Shanghai Banking Corp.; Banco Manufacturen Hanover Bank Chile; ABN Tanner Bank; N.M.B. Bank Chile; sowie Financiera Atlas; Financiera Condell; Financiera FÜSA; Financiera Cono Sur. COPROCO, Libertad de emprender, a.a.O., S. 84.

225

Repräsentanten einer jeden Unterorganisation besteht, aus dem dann ein Präsident mit besonderen Vollmachten hervorgeht. Zwar kam dem CPTC zur Zeit seiner Gründung aufgrund der politischen Auseinandersetzungen jener Jahre eine nicht unwichtige Rolle zu, aber er konnte nie die normalen Funktionen eines ordentlichen Unternehmerdachverbandes erfüllen. Den einzelnen Mitgliedsverbänden kommt in jedem Fall mehr Gewicht zu. Schaubild 6:

Organigramm des Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio

Confederación Nacional Unida de la Mediana y Pequeña Industria Servicios y Artesanado

Confederación de Productores Agrícolas

Confederación Gremial del Comercio Detallista Establecido y déla Pequeña Industria de Chile

Consejo Superior Nacional del Transporte Terrestre

- 51 gremiale Assoziationen - 5 regionale Föderationen

- 60 gremiale Assoziationen - 6 Zweigassoziationen

• 12 regionale Föderationen

- 5 Unterorganisationen

Confederación Nacional Unida de la Mediana y Pequeña Industria. Servicios y Artesanado ÍCONUPIA1 Die CONUPIA wurde 1970 gegründet und repräsentiert kleine und mittlere Industrieunternehmer aus dem ganzen Land. Sie untergliedert sich in 51 gremiale Assoziationen. Ferner sind ihr fünf regionale Föderationen (V. Region, Fempia, Fechipan, Vm. Region, Cono Sur) angegliedert. Während sich die gremialen Assoziationen aus dem Hauptstadtbezirk nach Produktionszweigen gliedern (z.B. Joyeros, Rdojeros y Afines; Cuero y Calzado-, Gráficos-, Maderas y Muebles etc.), dominieren in den Provinzen territoriale Organisationskriterien gegenüber solchen der Branche. Höchstes Organ der CONUPIA ist ein 18-köpfiges Nationales Direktorium, welches die Regionen des Landes repräsentiert und dem ein Präsident vorsteht. Hauptziel der CONUPIA ist die Entwicklung, Stärkung und Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder. Sie will die kulturellen, technischen und professionellen Fähigkeiten der Klein- und Mittelindustrie fördern, den Einsatz angepaßter Technologien verantreiben, Exportmöglichkeiten auch für kleine und mittlere Unternehmen schaffen und die technische Assistenz in bezug auf die Vermarktung verbessern. 226

Nach eigenen Angaben vertritt die CONUPIA 40000 Mitglieder, repräsentiert 90% der Industrieunternehmen und 75% der Arbeitskräfte. Die Mitglieder der CONUPIA tragen zu 40% zum Industrieprodukt und zu 8% zum BSP bei. Einer ihrer bedeutendsten Mitgliedsverbände ist die Asociación Gremial de la Mediana y Pequeña Industria de Chile-Santiago (AMPICH-Santiago), ferner die AMPICH aus Talcahuano und Concepción.28 Confederación de Productores Agrícolas (CPA1 Obwohl die CPA erst seit 1973 existiert, reichen ihre Ursprünge bis in die 60er Jahre zurück. Die CPA ist das Produkt einer Fusion der Confederación de Sindicatos de Empresarios Agrícolas mit der Confederación de Pequeños Agricultores, einer Institution ohne besonderen Einfluß. Die CPA umfaßt 60 gremiale Assoziationen, von denen ungefähr 40 nochmal in sechs regionalen Föderationen (Aconcagua, O'Higgins, San Fernando, Talca, Los Angeles, Osorno) zusammengeschlossen sind. Die 20 verbliebenen verteilen sich auf die übrigen Regionen des Landes. Neben den 60 gremialen Assoziationen existieren 6 Zweigassoziationen für Weizen, Zuckerrüben, Reis, Tabak, Milch und Mais. Die Gesamtzahl ihrer Mitglieder umfaßt 20000 landwirtschaftliche Produzenten. Confederación Gremial del Comercio Detallista Establecido y de la Pequeña Industria de Chile Die bereits 1938 gegründete Confederación umfaßt v.a. mittlere und kleine Händler im ganzen Land. Ihre Mitgliederzahl beträgt ca. 120000 Personen, die sich auf 250 Basisorganisationen (territorial organisierte Kammern und zweigmäßig spezialisierte gremiale Assoziationen) verteilen. Die 250 Basisorganisationen sind wiederum in 12 regionalen Föderationen zusammengeschlossen. Als socios colaboradores fungieren einige Einzelunternehmen {Cía. Chilena de Tabacos, Cía. de Seguros Aseguradora de Magallanes S.A., Transportes Progreso S.A., Productos El Gaitero, Cía. Chilena de Fósforos etc.). Consejo Superior Nacional del Transporte Terrestre Der Consejo Superior Nacional del Transporte Terrestre wird von fünf Unterorganisationen gebildet: - Die Confederación de Dueños de Camiones de Chile wurde 1953 gegründet und repräsentiert ca. 24000 Fuhrunternehmer, die sich auf 84 gremiale Assoziatio50

Die CONUPIA weist internationale Bindungen an die Sociedad Latinoamericana de la Pequeña y Mediana Empresa (SLAMP), deren Mitbegründer sie war, an die Confederación Latinoamericana y del Caribe de la Pequeña y Mediana Industria (CLAMPI) sowie zur Unión Internacional de la Artesanía, Pequeñas y Medianas Empresas (UIAPME) auf.

227

nen verteilen. Diese sind wiederum in 7 regionalen Föderationen zusammengeschlossen (IV.-X. Region, Area Metropolitana, Provincia de Magallanes). - Die Federación de Sindicatos de Taxistas Independientes de Chile (FENATACH) ist 1943 gegründet worden und besteht aus 118 Basisorganisationen im ganzen Land. Ihre Mitgliederbasis bilden ca. 5000 Taxifahrer. - Die Fedtración Nacional de Dueños de Taxibuses de Chile wurde 1958 gegründet und organisiert ca. 2000 Mitglieder mit 3000 Fahrzeugen. Die Mitglieder sind in 32 Assoziationen zusammengefaßt, die ihrerseits wieder die Basis für 8 Provinzföderationen bilden. (z.B. Arica, Santiago, Concepción, Temuco). - Die Federación Nacional de Transporte Rural, Interurbano e Internacional (FENABUS) wurde 1966 gegründet und weist eine Mitgliederzahl von über 1000 Unternehmern mit 3400 Bussen auf. Die Mitglieder verteilen sich auf 17 regionale und lokale sowie 12 gremiale Assoziationen, wobei letztere v.a. von Unterneimen gebildet werden, deren Busse zwischen den großen Städten verkehren (z.B. Sol de Pacifico, Ruta 68, Pullman Bus). - Die Federación Regional de Asociaciones de Dueños de Autobuses de la V. Region organisiert trotz ihres Namens auch Busunternehmer aus Concepción und Antofagasta. Sie wurde bereits 1918 gegründet und hat ca. 700 Mitglieder mit 1600 Bussen, die sich auf 8 gremiale Assoziationen verteilen. Tabelle 23: Mitgliederzahlen und Einflußbereich des CPTC Gründungsjahr CONUPIA CPA Conf. Grem. Comercio Detallista Conf. Sup. Nicional Transporte - Conf. Dueños Camiones - Fed. Sind. Taxistas Independientes - Fed. Nac. Dueños Taxibuses - Fed. Nac. Transporte Rural - Fed. Reg. Asoc. Dueños Autobuses Total

Mitglieder: Unternehmer

Einflußbereich

1970 1973 1938

15000 20000 120000

35000 150000 250000

1953 1943 1958 1966 1918

24000 5000 2000 1057 700 187757

60000 40000 2000 1057 700 538757

(G. Campero,Los gremios empresariales, a.a.O., S. 319)

Außerhalb cieser beiden Dachverbände findet sich nur noch ein Verband mit regionalem Chankter und beträchtlichem Mobilisierungspotential, der kleine und mittlere Unternehmer der Landwirtschaft organisiert: das Consorcio de Sociedades Agrícolas del Sur (CAS). Es untergliedert sich in sechs Landwirtschaftsgesellschaften (Sociedad Agrícola del Bio-Bio, Sociedad Agrícola de Malleco, Sociedad de Fomente Agrícola de Temuco, Sociedad Agrícola y Ganadera de Valdivia, 228

Sociedad Agrícola de Chile) und zwei gremiale Assoziationen (Asociación Gremial de Agricultores de la Provincia de Llanquihue, Organización Ganadera y Agrícola Austral) und hat ungefähr 5000 Mitglieder. 1.3.

Resümee

Betrachtet man abschließend die Organisationsstruktur der chilenischen Unternehmerschaft als Ganzes (und insbesondere den Industrie- und Landwirtschaftssektor), so läßt sich feststellen, daß es eine Parallelität der Organisationen einerseits für kleine und teils auch mittlere Unternehmen, andererseits für große und mittlere Unternehmen gibt. Diese Zweiteilung der Organisationsstrukturen ist sowohl für die Dachverbände (COPROCO und CPTC) als auch im Hinblick auf die industriellen (SOFOFA und CONUPIA) und landwirtschaftlichen Interessen (SNA und CPA/CAS) bemerkenswert, deutet sie doch auf unterschiedliche Interessen und vermeintliche Interessengegensätze zwischen Groß- und Kleinunternehmen auf allen drei Ebenen hin. Bei den jeweiligen Verbänden handelt es sich realiter aber nur insofern um konkurrierende Verbände eines Wirtschaftszweigs, als es bei den mittelgroßen Unternehmen eine gewisse Überschneidung bei der organisationsfähigen Klientel gibt, ansonsten aber Gewichte und Akzente klar verteilt sind. Die in manchen Zweigen relativ häufig anzutreffende Doppelmitgliedschaft kann dagegen nicht als Organisationskonflikt zwischen Einzelverbänden gesehen werden, da es für Unternehmen mit weitgespannten Interessen (z.B. grupos) durchaus funktional sein kann, sowohl beispielsweise in der SNA als auch in der SOFOFA organisiert zu sein. Innerhalb der COPROCO kommt der SNA und der SOFOFA bestimmender Einfluß zu. Gegen Ende der 70er Jahre galt dies zeitweilig auch für die Asociación de Bancos. Dies resultiert zunächst aus dem Gewicht der vertretenen Sektoren und ihrem Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Bruttosozialprodukt. Bei der SNA wäre zudem auf eine traditionell herausgehobene Stellung in der Geschichte des Landes hinzuweisen. Gründe für die Machtverteilung innerhalb der COPROCO können aber auch in der Struktur der vertretenen Interessen gefunden werden. Gegenüber dem Handelssektor sind z.B. die Interessen der Industriellen und Agrarier erheblich homogener. Der zeitweilig große Einfluß der Asociación de Bancos dankte sich dem Gewicht der in ihr vertretenen in- und ausländischen Banken und deren bedeutender Stellung in der Ökonomie, ihrem Beitrag zur Formierung der grupos económicos und der Finanzintermediation, die dieser zahlenmäßig kleinen Organisation in der Pinochet-Zeit beträchtlichen Einfluß innerhalb der COPROCO bescherte. In der CANACO werden mehrheitlich Handelskapitale mittlerer Größe repräsentiert, und der Sektor weist gegenüber produktiven Aktivitäten eher eine subordinierte Stellung auf. Die CCC ist dadurch, daß sie sowohl 229

große wie auch mittlere Bauunternehmer umfaßt, recht heterogen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieses Sektors war jahrzehntelang von öffentlichen Aufträgen abhängig und wies somit nur eine geringe Autonomie gegenüber dem Staat und seiner Baupoütik auf. Bezüglich der SONAMI ist schließlich darauf hinzuweisen, daß ihre Mitglieder zwar zu einem Gutteil zur Devisenerwirtschaftung beitragen, aber gegenüber der in Staatsbesitz befindlichen Gran Minería lange Jahre eine untergeordnete Stellung innehatten. Dies begann sich erst in den 90er Jahren langsam zu ändern. Die im Consejo de la Producción, del Transporte y del Comercio zusammengeschlossenen Verbände sind insgesamt sehr viel heterogener als die der COPROCO. Dies betrifft sowohl ihre Mitgliederbasis als auch die Spannbreite der repräsentierten Sektoren. Innerhalb der CPTC nimmt die CONUPIA eine herausragende Stellung ein. Von Bedeutung ist noch die CPA. Die soziale Basis der beiden übrigen Verbände ist relativ atomisiert, finden sich doch hier zum großen Teil Kleinsthändler oder Bisunternehmer mit nur begrenzter ökonomischer Basis. Die Verbände der Großunternehmer, insbesondere SNA und SOFOFA, beanspruchen de Hegemonie über den gesamten Wirtschaftszweig und versuchen ihrem eigenen Anspruch nach, auch die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmer zu vertreten. In der Realität sind deren Interessen in jenen Verbänden aber - wenn überhaupt - nur unzureichend repräsentiert, so daß sich die kleinen und mittleren Unternehmer dort nur unzulänglich vertreten fühlen. Interessengegensätze zwischen den großen und kleinen Unternehmern resultieren aber nicht nur aus der unterschiedlichen Wirtschafte macht und dem Grad der Dispersion des Sektors (also der viel größeren Zahl der Unternehmen im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen), sondern ist auch Resultat eines unterschiedlichen Selbstverständnisses von Groß- und Kleinunternehmern.29 Damit haben sozialstrukturelle Charakteristika nicht unerhebliche Auswirkungen auf ihr gesellschaftliches Bewußtsein, Selbstverständnis uid ihr soziales und politisches Verhalten. Während die kleinen und mittleren Untenehmer sich als hombres de trabajo verstehen, was auf eine gewisse 'selfmofe-Meitalität' und die eigene persönliche Anstrengung und Leistung zur Existenzsicherung verweist, scheint bei den Großunternehmern eher das Selbstverständnis von 'kosmopolitischen Kapitalisten' und Investoren durch. Für die kleinen und mittleren Unternehmer ist der Großunternehmer aufgrund seiner wirtschaftlichen Mackt zugleich eine Person mit großem politischen Einfluß und wird häufiger als Spekulant denn als Produzent gesehen. Aufgrund seiner Ursprünge und Bindungen an die traditionelle Oligarchie werden ihm 'aristokratische Lebensformen1 und eine gewisse Verachtung der 'Handarbeit' zugeschrieben. Letzteres stellt insbesondere unter den immigrierten europäischen und arabischen Unternehmern ein 29

Siehe zim folgenden G. Campero, Los empresarios chilenos en el régimen militar y el postplebisciD, Ms., O.I. (1990), S. 8 ff.

230

beträchtliches Ressentiment gegenüber dem Großkapital dar. Die kleinen und mittleren Unternehmer betrachten sich dagegen allein schon aus numerischen Gründen-*0 als die 'wahren nationalen Unternehmer', die deshalb staatliche Protektion und Förderung verdient hätten. Diese Sichtweise ist v.a. unter Händlern, Transportunternehmern, Minenbesitzern und Agrariern der Provinz stark verbreitet. Die Großunternehmer stehen dagegen in einer liberal-kapitalistischen Tradition, die die Funktionsprinzipien eines freien Marktes höher schätzt als regulative Eingriffe seitens des Staates zum Schutz von Unternehmern mit geringer Produktivität. Sie befürworten heute im Gegensatz zu früheren Zeiten durchweg eine offene und internationalisierte Ökonomie mit einer extremen Privatisierung ökonomischer Aktivitäten und einer Reduktion der Rolle des Staates. Entsprechend besitzen sie eine (wirtschafts)liberale Sichtweise von Gesellschaft und Politik. Gemäß den bisherigen Unterscheidungen lassen sich die Unternehmerverbände nach bestimmten Kategorien typologisieren^1, so daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Verbänden nochmal deutlich hervortreten. Zum einen ließen sich die Interessenvertretungsorgane der Unternehmer in 'offizialistische' und 'autonome' Verbände klassifizieren, was auf ihre Abhängigkeit vom oder Nähe zum Staat verweist. 'Offlzialistisch' wären die Verbände etwa dann, wenn sie vom Staat ins Leben gerufen wurden, damit jener einen bevorzugten Verhandlungspartner hat, oder diese von staatlichen Stellen finanziert werden. 'Autonom' wären sie zu nennen im Falle der Unabhängigkeit vom Staat (oder auch bei einer Gründung des Verbandes direkt durch Unternehmer). Zum anderen lassen sich die Verbände nach der Reichweite der von ihnen zum Ausdruck gebrachten Interessen klassifizieren. Beschränken sie sich auf die Interessenvertretung der Unternehmer als direkte Produzenten und erbringen sie im wesentlichen Dienstleistungen für ihre Mitglieder, so sollen sie 'korporativ' genannt werden. 'Politisch' wären dagegen jene Verbände, die sich darüber hinaus mit der Vertretung des Verbandes nach außen beschäftigen und über die unmittelbar korporativen Interessen hinausweisende globalere Fragen thematisieren, denen politischer Charakter zukommt. Ein drittes Klassifikationskriterium kann in der territorialen Reichweite der Verbände gesehen werden. Hier Die große Mehrheit der Unternehmen in Chile besteht aus kleinen und mittleren Einheiten, die sich über den Industrie-, Landwirtschafts-, Minen-, Handels- und Dienstleistungssektor verteilen. Die Großunternehmer bilden bei einer Gesamtheit der vom Nationalen Statistikinstitut (INE) erfaßten 276000 Unternehmen nur eine verschwindend geringe Zahl. Ca. 240000 Unternehmenseinheiten können als Mikro- bzw. Kleinstuntemehmen klassifiziert werden und nur 36000 als kleine, mittlere oder große Unternehmen, wobei hier das Gros aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht. Siehe J. Martínez/A. León, Clases y clasificaciones sociales, CED-SUR, Santiago, 1987. Siehe F.F. Estrada/M.L. Masi, a.a.O.; S. Gómez, Nuevos dilemas en el campo latinoamericano. Estructuras, empresarios, organizaciones y demandas, FLACSO, Documento de Trabajo, Num. 438, 1989, Santiago, S. 15 ff.

231

wären landssweit organisierte, 'nationale' von auf bestimmte Zonen des Landes konzentrierten 'regionalen' Verbänden zu unterscheiden. Schließlich können die Verbände auch nach den vertretenen Wirtschaftsinteressen selbst eingeteilt werden. 'Horizontal' strukturierte Verbände wären dann solche, deren Mitglieder verschiedenen Wirtschaftssektoren angehören und die sektorübergreifend agieren, wohingegen 'vertikil' strukturierte Verbände nur Unternehmer eines einzigen Sektors vertreten und zweigzentriert organisiert sind. Bezieht man die einzelnen Kriterien wechselseitig aufeinander, so ergibt sich folgendes Schema: Schaubild 7: Typologie der Unternehmerverbände nach Organisationskriterien Industrie/ Baugewerbe

Landwirtschaft/ Bergbau

Dienstleistungen

National /Politisch/ Autonom/Vertikal

SOFOFA CCC

SNA SONAMI

CANACO Asoc. Bancos

National/Korporativ/ Autonom/Vertikal

CONUPIA

CPA

Com. Detallista Transp. Terrestre

Dachverband

Typus National /Pol tisch/ Autonom/Horizontal

COPROCO

National/Korporativ/ Autonom/Horizontal

CPTC

Regional/Korporativ/ Autonom/Vertikal

CAS

2.

Anmerkungen zur Geschichte der Verbände und ihrer Rolle im Entwicklungsprozeß

2.1.

Die Sociedad Nacional de Agricultura (SNA)

Die Geschbhte der SNA ist aufs Engste mit der Geschichte Chiles selbst verwoben.32 183S erstmals von der 'santiaguinischen Aristokratie' als Sociedad Chilena Zur Geschichte der SNA siehe als Übeibliclc J. Carrière, Landowners and Politics in Chile. A Study of the 'Sociedad Nacional de Agricultura' 1932-1970, Amsterdam, 1981; Th.C. Wright, Landowners and Reform in Chile. The Sociedad Nacional de Agricultura, 19191940, Uóana, 1982; M. Montt Balmaceda, Organizaciones de empleadores en Chile, Santiago, 1977, S. 1-30; P. García, ILos gremios patronales, Santiago, 1973; D. Nolte, Unternehmervcrbànde in der chilenischen Politik, a.a.O., S. 54S-S96; El Campesino: Edición Especial Sesquicentenario SNA, Mayo 1988.

232

de Agricultura y Colonización zur Förderung der Landwirtschaft und des wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts des Landes gegründet, war sie doch nicht mehr als ein Privatclub, der zwar die führenden Politiker jener Zeit zusammenführte, aber relativ bald an Bedeutung verlor. 1856 wurde sie als Sociedad Chilena de Agricultura y Beneficiencia erneut gegründet, existierte aber wiederum nur für zwei Jahre. Erst 1867, nach der dritten Gründung, konsolidierte sich die SNA endgültig mit dem Ziel, die landwirtschaftliche Entwicklung und agrarische Aktivitäten über die Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen zu erleichtern und die Interessen der Landwirtschaft zu verteidigen. Das letztgenannte Ziel - als Interessenvertretungsorgan der Großgrundbesitzer zu fungieren - mußte sie allerdings in der damaligen Zeit nicht wahrnehmen, da Großgrundbesitz und Staat eng verbunden waren, die Landbesitzer den politischen Prozeß vollständig dominierten und ihre hegemoniale Stellung durch niemanden gefährdet werden konnte. 33 In den ersten Jahren ihrer Existenz konnte sich die SNA vollständig der Modernisierung der Landwirtschaft widmen. Der Einsatz von Maschinen und Saatgut sowie die Verbesserung der Zucht- und Anbaumethoden standen dabei neben eher philantropischen Funktionen wie der Verbesserung des Erziehungswesens und der Errichtung von Hospitälern im Vordergrund. Zu den hervorstechendsten Aktivitäten der SNA gehörten in jenen Jahren die Edition von den für damalige Zeiten vermutlich besten landwirtschaftlichen Zeitschriften ('Boletín de la SNA', später 'El Campesino'); die Organisation einer Landwirtschaftsausstellung, die seit 1869 jährlich stattfand; die Schaffung der Escuela de Artes y Oficios 1848, aus der die Universidad Técnica del Estado hervorging; die Gründung des Hospital Veterinario 1877; die Organisierung eines Genealogischen Nationalregisters 1882; die Errichtung einer landwirtschaftlichen Versuchsanstalt einige Jahre später; die Gründung biologischer Labors zur Entwicklung tierischer Impfstoffe; schließlich die Gründung der SOFOFA und der SON AMI 1883 sowie des Landwirtschaftsministeriums 1924. Bis zur Gründung dieses Ministeriums fungierte die SNA quasi als solches. Die Mitgliedschaft der SNA war bis Anfang des 20. Jahrhunderts eng begrenzt. Ihre Mitgliederzahl fluktuierte im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts zwischen 200 und 300 Personen und erhöhte sich erst Anfang dieses Jahrhunderts durch die Inkorporierung zweier weiterer Assoziationen auf 700. Die meisten Mitglieder waren Großgrundbesitzer: Zwei Drittel verfügten über sehr große, ein Drittel immerhin noch über große Ländereien. Diese lagen zu über vier Fünftel im Valle Central,34 Bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts hinein verfügte ein beträchtli33

34

Vgl. M. Cavarozzi, El orden oligárquico en Chile 1880-1940, in: Desarrollo Económico, Vol. 18, 1978, Num. 70, S. 231-263 (auch als La etapa oligárquica de dominación burguesa en Chile, in: Canadian Journal of Latin American Studies, Vol. 4, 1979, Num. 8, S. 1-43). Siehe Th.C. Wrighf, Landowners and Reform..., a.a.O., S. 8 f.

233

eher Teil der Senatoren und Abgeordneten über umfangreichen agrarischen Grundbesitz und gehörte der SNA an. 35 Ein beträchtlicher Teil der Präsidenten und Vizepräsidenten der SNA übernahm Regierungsfunktionen und wurde Staatspräsident oder Minister.36 Die oligarchische Ordnung konnte so ohne große Erschütterungen aufrecht erhalten werden. Diese absolute Dominanz und vollständige Beherrschung des politischen Lebens änderte sich erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts, nachdem es bereits vorher aufgrund der veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für chilenische Agrarproäikte und die zunehmende Diskussion um die Nahrungsmittelpreise zu einer stärkeren Umorientierung der SNA in Richtung auf eine pressure group gekommen war, die sich immer stärker der Notwendigkeit gegenübersah, ihre partikularen Interessen mit Nachdruck zu vertreten. Dazu trug nicht nur das Auftreten von sozialistischen und anarchistischen Gewerkschaften bei, sondern auch der Aufstieg der Mittelschichten in das politische System, die auf Reformen drängten und tradierte Politikmuster und Machtstrukturen veränderten. Wirtschaftliche Krisenerscheinungen und die Wahl Arturo Alessandris zum Präsidenten 1920 zeigten der SNA, daß ihre traditionellen Enflußkanäle zunehmend erodierten und ihre politische Vertretung im Parlament über die konservativen Parteien keine Gewähr dafür bot, weiterhin entscheidenden Einfluß ausüben zu können. "The sdvent of mass politics in Chile and its implications for landowners had a profound and lasting impact on the SNA. With their interests under attack and their conventional sources of political power on the wane, landowners turned increasingly to their voluntary association for defense, and after 1919 the SNA's politicil role clearly superseded developmental activities as the organizations primaryraisond'etre." 37 Die SNA wurde in der Folgezeit das Hauptinstrument der Großgrundbesitzer zur Verteidigung der landwirtschaftlichen Interessen. Je aktiver und je politischer diese Rolle jedoch wurde, desto mehr wurde sie von breiten Teilen der Bevölkerung als

36

37

im Ab{eordnetenhaus waren dies zwischen 1834-1891 41%, 1909 sogar 46%; im Senat betrüget die entsprechenden Werte zwischen 1834-1891 45%, 1909 53% und 1912 sogar 57%. Vgl. K.L. Remitier, Party Competition in Argentina and Chile. Political Recruitment and PuUic Policy, 1890-1930, London, 1984, S. 115. Wesentlich höhere Zahlen nennt A.J. Bauer, Chilean Rural Society from the Spanish Conquest to 1930, Cambridge, 1975, S. 216, für das Abgeordnetenhaus: 1854 37%, 1874 44% und 1902 54%; für den Senat 1854 48%, 1874 7C%, 1902 73% und 1918 67%. Siehe S Gómez, Los empresarios agrícolas, Santiago, 1972, S. 19 ff.; und S. Gómez, Organizadores empresariales rurales. Los casos de Brasil y de Chile, in: Revista Paraguaya de Sociolo;ia, Vol. 24, 1987, Num. 70, S. 20 f. Th.C. Wright, Landowners and Reform ..., a.a.O., S. 46.

234

fortschrittsfeindlich und für sozialen Wandel hinderlich wahrgenommen.38 Dieses Bild kontrastierte scharf mit dem der SNA im 19. Jahrhundert, als jene noch als Organisation des landwirtschaftlichen Fortschritts einer kleinen Elite von Großgrundbesitzern erschien. Es zerbrach in dem Maße, wie sich die SNA als Verteidiger obsoleter Institutionen und anachronistischer Privilegien zeigte. Um die Vergrößerung ihres Einflusses bemüht, verbreiterte die SNA in den Folgejahren ihre Mitgliederbasis und erweiterte sie regional. Bis 1930 stieg die Mitgliederzahl auf über 2000, bis Anfang der 40er Jahre auf über 4000 an. Durch die Gründung territorialer Organisationen und die Aufnahme von bereits bestehenden regionalen Verbänden konnte sie erstmals auch Landwirte entlegenerer Landesteile inkorporieren. Doch trotz der damit einhergehenden Reorganisation des Verbandes behielten die Großagrarier des Volle Central ihren Einfluß in der Vereinigung bei. Daneben intensivierte die SNA ihre formellen Bindungen an den Staat und die parteipolitischen Institutionen, da die persönlichen Beziehungen der SNA zur Regierung in dem institutionalisierten System der Entscheidungsfindung weniger nützlich geworden waren.39 Der Beginn dieser neuen personellen, aber gleichwohl formalen Verflechtung kann in dem Aufbau des Landwirtschaftsministeriums durch die SNA 1924 gesehen werden, wodurch ihre Partizipation an der Regierung institutionalisiert wurde. Der erste Agrarminister war entsprechend Vizepräsident der SNA. Derartige Situationen einer direkten Interessenverflechtung zwischen Staat und den Agrariern der SNA waren in der Folgezeit relativ häufig anzutreffen, so daß es zu einer starken Identifikation zwischen dem Unternehmerverband und dem Ministerium kam. 40 In der Zeit von Anfang der 30er Jahre bis Anfang der 60er Jahre lassen sich durchgehend Verbindungen der SNA mit diversen Instanzen des nun stärker korporatistisch geprägten politischen Systems feststellen.41 Auf Kabinettsebene war die SNA zu allen Zeiten direkt in der Regierung repräsentiert. Eine Ausnahme bildet in gewisser Hinsicht die Regierung Frei, wo nur der Agrarminister H. Trivelli Bin38

39

41

Siehe P.W. Drake, The Political Responses of the Chilean Upper Class to the Great Depression and the Threat of Socialism, 1931-1933, in: F. Copie Jäher (Ed.), The Rich, the WellBorn, and the Powerful. Elites and Upper Classes in History, Urbana, 1973, S. 304-337. Vgl. J. Carrière, Landowners and Politics ..., a.a.O., S. 43-58. "Durante los primeros años del Ministerio se dan situaciones que pueden ser consideradas extremas en cuanto a la identificación de las personas que ejercen el cargo de titular del Ministerio y, a la vez, la máxima autoridad de la SNA. Así por ejemplo, Don Luis Larraín Prieto mientras ejercía el cargo de Ministro de Agricultura no renunció a la presidencia de la SNA, en sus palabras: 'por no creer que hagan incompatible su ejercicio en el desempeño de la cartera1. En este caso particular se llega a situaciones que constituyen absurdos formales como las que ocurren con el despacho y recepción de la correspondencia que da entre el Ministerio y la SNA." S. Gómez, Organizaciones empresariales rurales ..., a.a.O., S. 21. Siehe zum folgenden J. Carrière, Landowners and Politics ..., a.a.O., S. 58-72.

235

düngen zur SNA aufwies. Auch die Beziehungen der SNA zum Kongreß waren bis Mitte der 60er Jahre intensiv. Sowohl im Abgeordnetenhaus wie im Senat saß eine nicht unbeträchtliche Zahl von Repräsentanten der SNA. Dazu bestanden unzählige freundschaftliche Kontakte zu Abgeordneten, die vielfaltige informelle Einflußmöglichkeiten schufen, falls die Interessen der SNA durch eine ihr nicht genehme Gesetzgebung bedroht wurden. Die Mitgliedschaft in Institutionen des Staates, die beträchtlichen Einfluß auf die Ausrichtung der (Wirtschaftspolitik hatten (z.B. Zentralbank, CORFO etc.), war ein weiterer wichtiger Einflußkanal. Hier waren in der Regel neben der SNA auch Handels-, Industrie- und Bergbauinteressen vertreten. Die Verbandsvertreter hatten in diesen Institutionen fast immer Stimmrecht und konnten direkt über grundsätzliche wirtschaftspolitische Orientierungen mitbestimmen. In den Institutionen, in denen sie nur einen Beraterstatus hatten, waren sie gewöhnlich in der Lage, genügend moralischen und politischen Druck auf die ordentlichen Mitglieder auszuüben, um sie von ihren Interessen zuwiderlaufenden Entscheidungen abzubringen. Die Repräsentation in diesen Gremien sicherte der SNA ständige und vertrauenswürdige Informationen über die weiteren Intentionen der Regierung. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die Bindungen der SNA an die politischen Parteien. Insbesondere die Konservative und die Liberale Partei vertraten ihre Interessen im Parlament. Wichtige offizielle Posten innerhalb dieser Parteien waren mit Mitgliedern der SNA besetzt, und deren Repräsentation blieb über die Jahre hinweg relativ konstant. Trotz der engen Verbindungen zwischen der SNA und verschiedenen Staatsorganen und der Regierung gab es eine Vielzahl von Interessenkonflikten zwischen dem Staat und dem Agrarierverband sowie zwischen Agrariern und Industriellen. Seit Mitte der 20er Jahre war die SNA damit beschäftigt, die neue Arbeits- und Sozialgesetzgebung in der Landwirtschaft und später, in den Jahren 1939/40 und 1946/47, erfolgreich die Zulassung von Landarbeitergewerkschaften zu bekämpfen, mit denen die extremen Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse auf den Latifundien hätten abgemildert werden können.42 Insgesamt war das Konfliktspektrum in den Jahren 1932 bis 1964 jedoch sehr viel breiter. Es reichte von Zollfragen über die Beiträge der Agrarier zur Sozialversicherung, von Regierungskrediten für Infrastrukturmaßnahmen bis hin zur Festsetzung von Höchstpreisen.43 Knapp ein Viertel 42

43

Vgl. J. Carrière, Landowners and the Rural Unionizaúon Question in Chile 1920-1948, in: Boletín de Estudios Latinoamericanos y del Caribe, Num. 22, 1977, S. 34-52. Vgl. J. Carrière, Landowners and Politics ..., a.a.O., S. 99 ff., der insgesamt 824 Konflikte festgestellt hat, die er in vier Kategorien zusammenfaßt (Arbeitskräftefragen, Produktivitätsfragen, Handel/Zölle/Preise und Übrige). Carrière hat versucht, verschiedene Konfliktebenen zu bilden, um die Intensität der Auseinandersetzungen deutlich zu machen. Auf dem ersten Konfliktriveau hat die SNA Empfehlungen für einen Wandel in der Regierungshaltung ausgesprochen, die Ober eine leichte Lobbytätigkeit in Form eines Besuchs oder Anrufs nicht hinausging. Mit dem zweiten Konfliktniveau ging Kritik an bestimmten Aspekten der Regie-

236

der Konflikte ereignete sich während der Präsidentschaften Aguirre Cerda und Rios (1939-1946 - Volksfrontzeit), jeweils ca. 20% in der Regierungszeit González Videla (1947-1952) und Ibáñez (1953-1958). Die geringste Konfliktivität verzeichneten die Regierungen A. Alessandri (1933-1938) mit ca. 18% und J. Alessandri (1959-1964) mit 15%. Über 90% aller Konflikte blieben allerdings auf den untersten beiden Konfliktniveaus - gingen über Kritik und begrenzte Lobbytätigkeit also nicht hinaus -, weitere 7% erreichten lediglich die dritte Konfliktstufe, wobei das Gros der höheren Konfliktstufen in der Volksfrontzeit zu verzeichnen ist. Knapp ein Drittel der Konflikte beinhaltete auch einen intersektoralen Konflikt mit Interessen anderer Unternehmenssektoren.44 Betrachtet man nun die Erfolgsquote der SNA in diesen Konflikten, dann läßt sich feststellen, daß in knapp 40% der Fälle die von der SNA kritisierten politischen Entscheidungen revidiert wurden, in weiteren 30% immerhin noch ein Teilerfolg erzielt werden konnte und sie in 30% aller Fälle ihre Interessen nicht durchsetzen konnte. Bringt man die einzelnen issues allerdings in eine gewisse Wertigkeit, so zeigt sich, daß, wenn Konflikte grundlegende Interessen der SNA berührten, die langfristig negative Folgen gezeitigt und die Kräfteverhältnisse auf dem Lande entscheidend verändert hätten, die Erfolgsquote sehr viel höher lag. Dies trifft für den gesamten Bereich der Arbeitsbeziehungen, etwa Kompensationen für die Landarbeiterschaft (73%), Sozialversicherungsbeiträge (65%), Landarbeitergewerkschaften (64%), sowie auf die Landreform selbst zu, wo die SNA in 75% erfolgreich bzw. teilweise erfolgreich war. Weniger als 20% der Konflikte endeten in diesen Bereichen mit einer absoluten Niederlage der SNA. Dagegen lag die Erfolgsquote im Bereich der Umverteilung staatlicher Ressourcen und der Preis- und Zollpolitik erheblich niedriger. Betrachtet man die Konflikte zudem unter dem Aspekt eines gleichzeitigen Interessengegensatzes mit der Industrie, so zeigt sich, daß die Erfolgschancen der SNA bei bestehenden intersektoralen Konflikten rapide sanken: In nur einem Fünftel der Fälle konnte sie sich durchsetzen, über 50% der Fälle endeten mit einer Niederlage. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß der Interessen-

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rungspolitik einher, der über den extensiven Gebrauch der Kontakte zur Regierung und den politischen Parteien Nachdruck verliehen wurde. Das dritte Konfliktniveau beinhaltete die vollständige Zurückweisung der Regierungspolitik oder die Verurteilung bestimmter Regierungsmaßnahmen, die die Inanspruchnahme aller Lobbymöglichkeiten, die Mobilisierung aller Agrarverbände und Appelle an die öffentliche Meinung nach sich zogen. Das vierte Konfliktniveau beinhaltete ebenfalls die Verurteilung von Regierungsmaßnahmen, betraf aber nicht nur die Agrarier, sondern auch industrielle Interessen. Die Reaktion war identisch mit dem dritten Konfliktniveau, schloß aber die Mobilisierung der Interessengruppen anderer Wirtschaftssektoren mit ein. Siehe dazu auch J. Carrière, Conflict and Cooperation among Chilean Sectoral Elites, in: Boletín de Estudios Latinoamericanos y del Caribe, Num. 19, 1975, S. 16-27.

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gegensatz wischen Industrie und Landwirtschaft aufgrund der engen Bindungen von landwirtschaftlichen und industriellen Eliten nicht besonders ausgeprägt war. 4 5 Bringt iran abschließend noch Erfolgsquote und Konfliktniveau zusammen, so läßt sich feststellen, daß die SNA weit überdurchschnittlichen Erfolg auf der höchsten Konflikts tufe hatte. 60% der issues konnten hier revidiert werden, in 25% der Fälle (teilte sich immerhin noch ein Teilerfolg ein. Resümierend läßt sich sagen, daß es bei allgemeiner Betrachtung der Konfliktniveaus richtig ist, daß die SNA den iberwiegenden Teil der Konflikte nicht für sich entscheiden konnte. Bringt man allerdings in die Konflikte eine gewisse Wertigkeit, so zeigt sich, daß ein Großtel der grundlegenden Konflikte mit primordialer Bedeutung für die SNA diese für sich entscheiden konnte.4*' Partielle und moderate Reformen in untergeSiehe MJ. Mamalakis, Public Policy and Sectoral Development. A Case Study of Chile 1940-58, in: M.J. Mamalaki s/C.W. Reynolds, Essays on the Chilean Economy, Homewood/m, 1965, S. 54-59. 4 ** D. Nolte (Untemehmerverbände in der chilenischen Politik, a.a.O., S. 575) betrachtet dagegen die SNA auf Basis der gleichen Daten von Carrière nur "als moderat erfolgreich", "eine Bilanz, de den Mythos eines allmächtigen Agrarierverbandes erschüttert." Hätte er die Konflikte nach unterschiedlichen Qualitäten anstatt lediglich nach Quantitäten aufgeschlüsselt, wäre er vahrscheinlich ebenfalls zu dem Schluß gekommen, daß die vitalsten Interessen der Agrarier lange Zeit gesichert werden konnten. Auch an anderer Stelle stellt Nolte die SNA in ein zu günstiges Licht, wenn er schreibt: "Im Widerspiuch zu gängigen Annahmen setzte sich die SNA für eine an kapitalistischen Prinzipien orientierte Modernisierung der Landwirtschaft ein. Diese Bestrebungen brachen sich jedoch ai den fehlenden staatlichen Anreizen für derartige Innovationen. Die staatliche Industriali sieiungspolitik führte statt dessen zu einer Benachteiligung der Interessen des Agrarsekors." (S. 577) Die Aussage geht teilweise ebenfalls auf die von Carrière erhobenen Daten ztrück, die die SNA in der Hälfte der Konfliktissues als die Initiatorin ausweist. Ein Blick auf die einzelnen issues zeigt jedoch, daß dies immer und nur dann der Fall war, wenn es darum ging, die Verwertungsbedingungen des landwirtschaftlichen Kapitals zu verbessern (Saatgut, Düngemittel, Bewässerung, Vermarktungszentren, Lagerhallen, Transport, Marketing, Kredite etc.), in den Fällen von gesellschaftlicher Tragweite aber war sie der eindeutig reaktive Teil (alle Fragen der Arbeitsbeziehungen und der Landreform). Hier führte die SNA wesentlich Abwehrkämpfe. Wright (Landowners and Reform ..., a.a.O., S. 77) weist darauf hin, daß "the fundamental strategic question was whether to try to defend the status quo in its 'entirety" - was angesichts der sich rasch verändernden sozialen Kräfteverhältnisse eine aussichtslos« Strategie gewesen wäre - "or to offer concessions in an attempt to preserve the essential.1 among landowners rights and privileges. Within the latter opinion were several variants: 1) make minimal concessions under immediate pressure to forestall mass movemeits, revolutions, or coup d'etats; 2) remedy or eliminate the most glaring situations or institutions that the left could successfully exploit to its advantage; or 3) offer substantive but moderate reforms in the hope of creating a more stable society and political system, thereby mating landowners' essential prerogatives more secure." Der Argumentation von Nolte folgend ieße sich fragen, warum denn - wenn sich die Agrarier für eine an kapitalistischen Prinzipim orientierte Modernisierung der Landwirtschaft einsetzten - die landwirtschaftliche Entwickling über mindestens 30 Jahre bis 1970 stagnierte? Der Hinweis Noltes auf die staat238

ordneten Bereichen wurden als Zugeständnisse für akzeptabel gehalten, um die fundamentalen Interessen der Landoligarchie zu sichern. Die 60er Jahre waren für die SNA von besonderer Bedeutung, weil sich in dieser Zeit die Kräfteverhältnisse auf dem Lande fundamental zu ihren Ungunsten veränderten. Hervorzuheben sind die Agrarreformbestrebungen und die Zulassung von Landarbeitergewerkschaften, mit denen die SNA ihre langjährige Dominanz und fundamentale Interessen bedroht sah. 47 Diese Bedrohung fiel um so nachhaltiger aus, als die politische Rechte parlamentarisch einen weiteren Niedergang erlebte und die SNA in der Regierung Frei nur über einen vergleichsweise bescheidenen realen Einfluß verfügte. Damit konnten die Agrarier als einzig verläßliches Organ zur Interessenvertretung lediglich auf die SNA zurückgreifen. Diese verbreiterte ihre Mitgliederbasis und rief die Landbesitzer auf, die SNA zur Verteidigung ihrer Interessen zu stärken. Dabei kamen ihr auch die Organisationsbestrebungen der Christdemokraten und der damit einhergehende Aufbau neuer Landwirtschaftsorganisationen wie Campesinokoopeiaüvea und der Confederación Nacional de Pequeños Agricultores de Chile insofern entgegen, als diese zumindest in einigen Punkten ähnliche Interessen vertraten wie die großen Landwirte der SNA. Noch bedeutsamer waren die sogenannten Unternehmersyndikate, die durch die Reform der Gesetzgebung in bezug auf Landarbeitergewerkschaften ermöglicht und durch die SNA organisiert wurden. Ein beträchtlicher Teil der mittleren und großen Landwirte war 1970 im Dachverband Confederación Nacional de Sindicatos de Empleadores Agrícolas de Chile (CONSEMACH) organisiert. Neben dem Aufbau dieser Organisationen und der Verbreiterung der eigenen Mitgliedschaft forderte die SNA die Bildung von Allianzen mit anderen Assoziationen und bereits existierenden Agrariervereinigungen, um eine möglichst breite Front landwirtschaftlicher Interessen gégéñ die Agrarreform zu mobilisieren. Durch die Umstrukturierung ihrer internen Organisation wurden 1969 sowohl der CAS (Consorcio de Sociedades Agrícolas del Sur) wie auch der CONSEMACH und andere kleinere Produzenten in

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liehe Industrialisierungspolitik und die Priorität, die dem industriellen Sektor zugemessen wurde, verfängt dabei nur zum Teil. Muñoz hat derartige Erklärungsvarianten als "traditionelle Erklärungen" gekennzeichnet, da der Agrarsektor zwar zunehmend diskriminiert wurde, aber die Agrarier in der Regel nicht die Lasten tragen mußten, da diese von ihnen über höhere Preise einfach auf die Landbevölkerung abgewälzt oder durch anderweitige Subsidien ausgeglichen werden konnten. Zudem ist umstritten, welchen Beitrag die Agrarier zur Industrialisierung geleistet haben, zumindest in bezug auf einen möglichen Werttransfer aus der Landwirtschaft. Bis in die 50er Jahre hinein waren die internen terms of trade zudem keineswegs ungünstig für die Landwirtschaft. Vgl. dazu Th.C. Wright, a.a.O., S. 178; J. Carrière, a.a.O., S. 191; O. Muñoz, Chile. Frustración y cambio en el desarrollo histórico, Apuntes CIEPLAN, Num. 108, Santiago, 1992, S. 16; D. Story, Sectoral Clash and Industrial ization in Latin America, Syracuse, 1981, S. 20. Vgl. zu dieser Zeit S. Gómez, Los empresarios agrícolas, Santiago, 1972.

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der SNA d v c h wechselseitige Vertretungen im Vorstand repräsentiert. Der Präsident der CONSEMACH, Benjamin Matte Guzman, wurde sogar Präsident der SNA, obwchl die Großgrundbesitzer den Verband immer noch dominierten. Angesichts der Enteignungspolitik der Regierung Frei ergriff die S N A permanent Initiativen, um ene gemeinsame Basis aller Landwirte und Produzenten herzustellen und den Großgnindbesitz zu verteidigen. Sie hoben dafür v.a. auf Punkte wie Preise, Kredite, Steuern und Eigentumsrechte ab, die das gesamte Spektrum der landwirtschaftlichen Unternehmer betrafen. Eine programmatische Erneuerung fand insofern statt, tls die SNA nach dem verlorenen Kampf um die Verabschiedung des Agrarreforngesetzes 1967 aus der Defensive heraus neue Verteidigungspositionen aufbaute. Nicht mehr der Großgrundbesitz und das Privateigentum als solches sollten verteidigt werden, sondern nur noch wirtschaftlich effizienter Landbesitz. 4 ® Als Angesichs dieser Veränderungen müssen noch einige ideologiekritische Bemerkungen zur SNA genacht werden: a) Bezüflich der Erklärung der landwirtschaftlichen Stagnation seitens der Agrarier existieren eine Fülle von Aussagen, die diese Zurückgebliebenheit rechtfertigen. Die Grundargumentatior der SNA war, daß dieses Zurückbleiben auf den Industrialisierungsprozeß zurückzuführen sei, welcher vom Agrarsektor im allgemeinen und den Landwirten im besonderen zu zahlen gewesen sei. Zwar enthält diese Argumentation einen wahren Kern, sie übersieht jedoch zvei fundamentale Aspekte: Einerseits wurden die Kosten, die der Agrarsektor effektiv zu tngen hatte, von den Agrariern auf die Landbevölkerung abgewälzt; andererseits müßte min, damit ihr Argument eine gewisse Logik hätte, unterstellen, daß zumindest bis zum Begnn der Industrialisierung der Agrarsektor nicht zurückgeblieben war, was nur schwer zt demonstrieren wäre. b) Die SNA hat zu jeder Zeit ihre partikularen Interessen als Verband mit denen des gesamten Agrarsektors und jene mit den allgemeinen Interessen des Landes gleichgesetzt. Diese abiolute Identität von Partikularinteresse und Allgemeininteresse zieht sich wie ein roter Fadm durch die Geschichte der SNA. c) Ein veiterer Punkt betrifft die Art der argumentativen Auseinandersetzung, die die SNA bezüglich der Agrarreform an den Tag gelegt hat. Als zunächst eine Reform des Landbesitzes gefordert wurde, ohne daß eine konkrete Gefahr der Umsetzung bestand, argumentierte die SNA mit dem Erhalt des Privateigentums als grundlegende Bedingung für die Freiheit des Menschet überhaupt und dem privaten Unternehmertum als effizientesten Instrument der sozioökoiomisehen Entwicklung. Diese Argumentation trat in dem Moment in den Hintergrund, w> Bauern um Land kämpften und der Forderung nach einer Agrarreform mit Landbesetzunpn Nachdruck verliehen - somit eine direkte Bedrohung der Interessen der SNA stattfand. Jetzt verschärfte sich der Ton: Den städtischen Sektoren wurde Unverständnis für die Probbme des Landes unterstellt und ihnen vorgeworfen, künstliche Spaltungen zwischen Stadt und Land einzuführen. Die Beweggründe für eine Agrarreform seien wesentlich politischer Naur, und sowieso würden die Forderungen nur von Kommunisten erhoben, um das Chaos und anschließend die Diktatur einzuführen. Vgl. S. Gómez, Organizaciones empresariales runles ..., a.a.O., S. 22 f. Siehe auch C. Malges, The Politics of Agrarian Reform in Chile. Tie Role of Political Parties and Organized Interest Groups, Ph.D. Dissertation, Columbu University, 1968; und als ideologiekritische Studie zur chilenischen Unternehmerschaft, de sich mit entsprechenden Argumentationsmustern auseinandersetzt, die Arbeit von 240

Ergebnis dieser Entwicklungen konnte die SNA schließlich 1970 erstmals mit einiger Berechtigung von sich behaupten, einen Großteil der ländlichen Produzenten zu repräsentieren und das Sprachrohr der gesamten Landwirtschaft zu sein. 4 ' Die SNA konnte zwar die Umsetzung der Landreform verzögern, aber nicht verhindern. Ihr ohnehin geringer Zugang zur Regierung Frei und ihr noch begrenzterer Einfluß auf deren Politik schrumpfte unter der Unidad Popular vollends zusammen. Angesichts der Beschleunigung der Landreform und der Weigerung der UP, illegale Landbesetzungen zu ahnden, mußte sich die SNA auf die Forderung beschränken, wenigstens die Integrität des kleinen und mittleren Landbesitzes zu respektieren. Um nicht grundsätzlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln im Agrarsektor zu gefährden, nahm die SNA eine gemäßigtere Haltung zum Enteignungsprozeß ein: Landbesitz bis 80 Basishektar sollte gesetzlich garantiert werden; die Nichtenteignungsfähigkeit von Landbesitz unterhalb dieser Größe sollte gesichert werden; die Enteignungen sollten ordnungsgemäß durchgeführt werden; in der Diskussion um die Agrarreform wurden v.a. technische Aspekte in den Vordergrund geschoben, um Einfluß zu sichern. Gleichzeitig wurde der Widerstand gegen die Politik der UP organisiert und deren Illegitimität öffentlichkeitswirksam herausgestellt. In dem Maße, wie die Politik der UP auch die übrigen Sektoren der Unternehmer bedrohte und in Mitleidenschaft zog, konnte der Widerstand auf einer breiteren Front organisiert werden. Sowohl SOFOFA wie auch COPROCO wurden aktiviert und organisatorisch gestärkt. Die Bemühungen um einen Zusammenschluß gipfelten in der Frente Nacional de Actividad Privada (FRENAP), die auch die Organisationen der kleinen und mittleren Unternehmer einschloß. Die betriebene Destabilisierungspolitik fand schließlich ihren Höhepunkt in zwei Unternehmerstreiks, von denen der zweite im September 1973 zum Sturz der Regierung Allende führte. 50 Der Coup der Generäle war in Wirklichkeit ein Coup der gremios.51 Wright faßt wichtige Aspekte der Entwicklung zusammen, wenn er schreibt: "As indicated by SNA statements and actions betwcen 1919 and 1940, organized landowners' adherence to the rules of constitutional democracy was contingent on the successful defense of their interests at an acceptable cost. By the 1930s, a majority within the SNA had adopted the view that tactical concessions, both

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A. Mattelart/C. Castillo/L. Castillo, La ideología de la dominación en una sociedad dependiente. La respuesta ideológica de la clase dominante chilena al reformismo, Buenos Aires, 1970. Gleichwohl bestanden ausgeprägt oligarchische intern« Strukturen fort. Gleiches gilt im übrigen in unterschiedlichem Ausmaß auch für die anderen Untemehmerverbände. Siehe G. Amagada, La oligarquía patronal chilena, Santiago, 1970; und P. Garda, Los gremios empresariales, a.a.O., S. 96-98. Siehe dazu D. Nolle, Zur Strategie konterrevolutionärer Eliten, a.a.O., S. 477-511.

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token and substantive, were an acceptable price to pay for the prevention of structural reform. However, when reform first threatened to pass acceptable limits under the Popular Front, the SNA had quickly revealed its unwillingness to accept the full consequences of political democracy. In the 1960s, under mounting pressure for change, the SNA's preemptive strategy and the Christian Democratic reforms ensued. The 1967 agrarian reform and unionization laws severely circumscribed landowners' traditional rights over property and labor, leaving them without further concessions to offer in defense of their own and the broader upper-class interests; the limits of acceptable cost had been reached and, for many landowners, exceeded. When faced after 1970 with mobilized rural masses and a government unable or unwilling to protect landowners' remaining legal rights, the SNA responded in a manner consistent with its fifty years' experience in resisting reform. Having exhausted all effective means of defense within the existing institutional order, the landowners abandoned their severely strained allegiance to the Chilean political system and embraced the common Latin American elite response to the challenge of reform - the destruction of liberal democracy. 2.2.

Die Sociedad de Fomento de Fabrä (SOFOFA)

Mit der Herausbildung eines verarbeitenden Gewerbes ist es in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts erstmals zu Versuchen gekommen, auch die Industriellen zu organisieren. Nachdem dies mehrfach fehlgeschlagen war, kam es 1883 auf Initiative der Regierung und unter maßgeblicher Beteiligung der SNA zur Gründung der SOFOFA. 53 Ihre Hauptaufgaben bestanden in der Förderung und Verbreiterung der Industrialisierung auf einem hohen technischen Niveau und zum Wohl des Landes. Von Beginn an war die SOFOFA aufs Engste mit dem Staat verbunden, von dem sie in den ersten Jahren ihres Bestehens (wie im übrigen auch die SNA und die im gleichen Jahr gegründete SONAMI) eine jährliche Unterstützungszahlung erhielt. Dies spiegelte sich auch im Selbstverständnis der SOFOFA als •'l Siehe A. Mattelart, La bourgeoisie a l'ecole de Lenine. Le 'gremialisme' et la ligne de masse de la bourgeoisie chilienne, in: Politique Aujourd'hui, Janvier 1974, S. 22-46. 52 Th.C. Wright, Landowners and Reform ..., a.a.O., S. 204 f. Siehe als allgemeinen Überblick über die Geschichte und Entwicklung der SOFOFA H.W. Kirsch, Industrial Development in a Traditional Society. The Conflict of Entrepreneurship and Modernization in Chile, Gainesville, 1977; J.E. Vargas, La Sociedad de Fomento Fabril 1883-1928, in: Historia, Num. 13, 1976, S. 5-53; D.L. Johnson, Industry and Industrialists in Chile, Ph.D. Dissertation, Stanford Univerity, 1967; P.L. Gonzalez. La Sociedad de Fomento Fabril. Su labor durante 50 años, Santiago, 1933; R. Bürbach, The Chilean Industrial Bourgeoisie and Foreign Capital 1920-1970, Ph.D. Dissertation, Indiana University, 1975; M. Montt Balmaceda, a.a.O., S. 33-55; P. Garcia, a.a.O., S. 111-118; D. Nolte, Unternehmerverbände in der chilenischen Politik ..., a.a.O.; Chile. Cien años de industria, Editado por la Sociedad de Fomento Fabril con motivo del Centenario de su creación (18831983), Santiago, 1983.

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einen die Regierung beratenden und unterstützenden Förderverein wider. Normalerweise händigte sie dem jeweils neuen Präsidenten Empfehlungen aus, die er während seiner Amtszeit umsetzen sollte, und erarbeitete Memoranden und Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung. Die Tätigkeit der SOFOFA war wesentlich darauf gerichtet, die industrielle Entwicklung des Landes voranzutreiben. Dies schlug sich etwa in der Zollpolitik, bei den Frachttarifen, in der Einwanderungspolitik, der Errichtung von Schulen, die eine technische Ausbildung anboten, der Organisierung von Industriemessen u.a.m. nieder.54 Daneben wurden aber auch Forderungen einzelner Industrieller weitergeleitet, wenn sie als gerechtfertigt betrachtet wurden. In dem wirtschaftsliberalen und freihändlerischen Umfeld jener Jahre verfocht der Verband einen gemäßigt protektionistischen Kurs, der hauptsächlich in Forderungen nach schützenden bzw. fordernden Zolltarifen, der Bevorzugung einheimischer Produzenten und der staatlichen Subventionierung beim Aufbau neuer Industriezweige sowie der Erweiterung und Verbesserung der Infrastruktur bestand. Forderungen nach einem stärkeren Protektionismus hätten sich an den etablierten Interessen des Agrar- und Handelssektors sowie nicht zuletzt den Interessen der Minenbesitzer gebrochen.55 Der SOFOFA gehörten bis zur Jahrhundertwende ca. 175 korporative oder individuelle Mitglieder an, unter ihnen die meisten Großunternehmen des Landes. Anfang dieses Jahrhunderts stieg die Mitgliederzahl stark an. Waren 1903 noch 221 Mitglieder zu verzeichnen, so 1904 bereits 735 und 1907 1178. In den 20er Jahren stabilisierte sich die Zahl bei ca. 1050 Personen, ohne allerdings die in der Cámara Industrial de Valparaíso und der Cámara Industrial de Valdivia Assoziierten mitzurechnen.56 Seit der Jahrhundertwende wandelte sich das Selbstverständnis der SOFOFA langsam von einer industriellen Fördergesellschaft und einem reinen Berufsverband hin zu einer Interessenorganisation der chilenischen Industrie. Dafür waren mehrere Faktoren verantwortlich: - der Legitimationsverlust der oligarchischen Ordnung und seiner Spielregeln, der sich insbesondere im Einflußverlust der traditionellen Parteien zeigte (die Libe54 55

56

Siehe P. Garcia, a.a.O., S. 112; und H.W. Kirsch, a.a.O., S. 42 f. Zu bedenken ist, daß es bei den verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten eine starke Personalidentität gab. Bezeichnend ist nicht nur, daß die SNA maßgeblich an der Gründung der SOFOFA mitwirkte, sondern auch, daß bis zu Beginn dieses Jahrhunderts die Industriellen im Vorstand der SOFOFA nur eine Minderheit waren. 1910 hatten sie einen Anteil von 35%, erst 1928 erreichte er 55%. Siehe J.E. Vargas, a.a.O., S. 47; und M. Zeitlin, The Civil Wars in Chile (Or the Bourgeois Revolutions that Never Were), Princeton N.J., 1984. Vgl. H.W. Kirsch, a.a.O., S. 129 f. Die Mitgliederzahl der SOFOFA stieg im Laufe der Jahre weiter an. Anfang der 40er Jahre zählte sie ca. 1200 Mitglieder, Ende der 50er Jahre ca. 1700, und in der zweiten Hälfte der 60er Jahre ca. 2200 Mitglieder. Vgl. dazu D. Nolte, Unternehmerverbände ..., a.a.O., S. 579; und R. Bürbach, a.a.O., S. 46.

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rale Partei und in geringerem Umfang die Radikale Partei waren die Interessenvertreter der Industriellen); - die zunehmenden sozialen Unruhen und die Organisierung der Arbeiterschaft, die Druck auf die Unternehmer und den Staat auszuüben begannen; - die unter A. Alessandri (1920-1924) einsetzende Sozialgesetzgebung, die die Industriellen ablehnten; - die Reformen im Bereich des Steuerrechts und der schließlich 1931 verabschiedete Codigo del Trabajo, die angesichts des komplizierten Regelungswerks neue Anforderungen an die Unternehmerverbände stellten57; - der Zusammenbruch der nach außen orientierten Entwicklungsstrategie in der Weltwirtschaftskrise, der sich bereits mit dem langsamen Niedergang der Nitratindustrie angedeutet hatte, und eine Neudefinition der Rolle des Staates in der Ökonomie erforderte, auf die die Unternehmer reagieren mußten; - schließlich die rasche Entwicklung des industriellen Sektors selbst und die ihm zukommende führende Rolle in der Ökonomie. Von Anfang an gehörte die SOFOFA zum sozialen und politischen Establishment.38 Dies läßt sich nicht nur an der Mitgliedschaft vieler Industrieller in den bedeutendsten und elitärsten Clubs jener Jahre (Club de la Unión, Club Hípico de Santiago, Valparaiso Spotting Club) und der engen personellen Verflechtung der Unternehmer verschiedener Wirtschaftszweige untereinander zeigen, sondern drückt sich auch in den engen Bindungen der Industriellen an den Staat samt deren Einbindung in den wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozeß aus.59 Zwischen 1883 und 1930 hatten 36% der 146 Vorstandsmitglieder der SOFOFA ein hohes öffentliches Amt entweder als Abgeordnete, Senatoren oder als Minister inne. Bereits 1867 entsandte sie einen ständigen Repräsentanten in die Comisión Revisora 57

Die 'soziale Frage' war für die Unternehmer zur damaligen Zeit kein brennendes Problem. An den Gesetzen wurden hauptsächlich die ökonomischen Folgelasten kritisiert. Nolte hat darauf hingewiesen, daß aus der Akzeptanz der Arbeits- und Sozialgesetzgebung seitens der Unternehmerschaft nicht auf eine generell aufgeschlossene Haltung gegenüber den Organisationsbestrebungen der Arbeiterschaft geschlossen werden darf. Die Unternehmer bildeten in den 20er Jahren spezielle Kampforganisationen - auf dem Lande die Unión Agraria, im industriellen Bereich die Asociaciones del Trabajo -, deren Ziel es war, die Ausbreitung der Gewerkschaftsbewegung einzudämmen und die bestehenden Gewerkschaften zu zerschlagen. Siehe D. Nolte, Unternehmelverbände..., a.a.O., S. S61; und D. Nolte, Zwischen Rebellion und Integration - Gewerkschaften in der chilenischen Politik, Saarbrücken, 1986, S. 21-117. "Estas organizaciones se insertaban dentro de una sociedad que no conocía resquebrajaduras entre el poder político y la riqueza económica. Ambos eran patrimonio exclusivo de una misma clase social", schreibt G. Amagada, La oligarquía patronal chilena, Santiago, 1970, S. 29, der in diesem Zusammenhang auf die bis dato nicht bestehende Notwendigkeit der Repräsentation von Untemehmerinteressen hinweist. Vgl. A. Pinto, Estado y empresa privada. Una visión retrospectiva de la experiencia chilena, in: El Trimestre Económico, Vol. 53, 1986, Num. 1, S. 105-148.

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de la Tarifa Avalúo, der in der Festlegung von Zöllen eine entscheidende Rolle zukam. Mit der Dezentralisierungspolitik Carlos Ibáñez' (1927-1931) wurden neue Ministerien und besondere Staatsorgane geschaffen, in die die SOFOFA jeweils Vertreter entsandte. 1925 wurde sie stimmberechtigtes Mitglied im Consejo de Vías de Comunicación, im Consejo de Agricultura, im Consejo de Enseñanza Comercial, der Banco Central sowie im Consejo de Vigilancia de las Fábricas y Maestranzas del Ejercito u.a. 1927 wurde das Ministerio de Fomento mit Zuständigkeitsbereich für die Landwirtschaft, die Industrie, öffentliche Arbeiten und Transport gegründet, welches über seine Unterabteilung Dirección General de Industrias Fabriles insbesondere Industrieinteressen förderte. Der erste Minister dieses Ressorts, der Großhändler und Industrielle Carlos Ibáñez, verfügte in einer der ersten Amtshandlungen, daß alle formalen Kontakte zwischen dem Industriesektor und dem Staat über die SOFOFA und ihre Organisationen herzustellen seien und es einzelnen Industriellen nicht länger erlaubt sei, individuell in den Ministerien vorzusprechen. Damit wurde die Rolle der SOFOFA als Vermittler zwischen Industrie und Regierung enorm gestärkt. "From the outset of the administration of Carlos Ibáñez, the annual reports of the SFF reflect an atmosphere of complete mutual understanding between the association and the govemment."60 Dieser Zustand blieb im Prinzip bis Anfang der 60er Jahre erhalten und gilt auch für die Volksfrontzeit 1938-1941. Der Aufstieg der Frente Popular - in der unter Führung der Radikalen Partei auch Kommunisten und Sozialisten kooptiert waren -, der ursprünglich als Bedrohung der Bourgeoisie und insbesondere der Industriellen wahrgenommen wurde, brachte für diese gänzlich andere als die erwarteten Resultate. Die anfänglich befürchtete negative Betroffenheit wurde in dem Maße zerstreut, wie die Radikale Partei äußerst repressiv auf Arbeiterforderungen reagierte und eine sehr Unternehmer-, besser industriefreundliche Politik betrieb. Wichtige Ministerien waren mit Industriellen besetzt, und auch später - bis weit in die 50er Jahre - wurde das strategisch wichtige Finanzministerium von Personen geführt, die zumindest das Vertrauen der Unternehmer genossen (von Roberto Wachholz unter Aguirre Cerda bis hin zu Jorge Alessandri unter González Videla).61 Auch während der nachfolgenden Radikalen Präsidentschaften (bis 1952) waren die Industriellen die Hauptnutznießer der betriebenen Importsubstitutionspolitik und des Protektionismus, und die Beziehungen zwischen den jeweiligen Regierungen und dem Industriellenverband gestalteten sich weitgehend reibungslos. Den relativen Einflußverlust der den Industriellen nahestehenden Parteien und den sukzessiven Einflußgewinn von Gewerkschaften und Linksparteien kompensierten die Unter61

H.W. Kirsch, a.a.O., S. 133; die vorhergehenden Informationen von ebda., S. 130 ff. Vgl. M. Cavarozzi, The Government and the Industrial Bourgeoisie in Chile: 1938-1964, Ph.D. Dissertation, University of California, Berkeley, 1975, S. 155-167. 245

nehmer mit einer verstärkten Institutionalisierung der Mitwirkung ihrer Verbände am politischen Entscheidungsprozeß, der sich insbesondere auf staatliche und/oder halbautonome Institutionen wie z.B. die CORFO richtete. Dies war zwar kein neuer Prozeß, gewann aber angesichts der Ausweitung staatlicher Funktionen in der Ökonomie ständig an Bedeutung. Damit sollte die Dominanz von 'wirtschaftlichen' im Gegensatz zu '(parteipolitischen' Entscheidungskriterien in Zeiten gesichert werden, in denen andere Einflußkanäle erodierten. Wichtigste Ergebnisse dieser Bestrebungen waren die Schaffung eines 'Nationalen Wirtschaftsrates1 unter aktiver Beteiligung der SOFOFA, dem ein obligatorisches Konsultationsrecht in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten eingeräumt werden sollte, sowie die Entsendung von Vertretern der Unternehmerschaft in die Führungsgremien der staatlichen Wirtschaftsförderungsbehörde CORFO. 62 Die CORFO hatte die Aufgabe, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes planend bzw. koordinierend sowohl über direkte Investitionen als auch über die Unterstützung der Privatwirtschaft voranzutreiben. Die Gründung der CORFO stieß bei den Industriellen auf allgemeine Zustimmung, da sie sahen, daß diese Institution ihren Interessen durchaus entgegenkam. Eine übermäßige Belastung der Unternehmer zur Finanzierung der CORFO konnte vermieden werden, gleichwohl waren sie die Hauptnutznießer der Kreditvergabe. Ihre Interessen in den Leitungsorganen der CORFO waren ausreichend repräsentiert, so daß die 'technische Effizienz' gegenüber einer 'Politisierung der Entscheidungsfindung' dominierte. Gleichzeitig konnten mit der CORFO staatliche Direktinvestitionen in jenen Bereichen abgelehnt werden, die in Konkurrenz zur Privatwirtschaft standen. Die Industriellen begrüßten eine verstärkte Staatsintervention insbesondere in Basisindustrien wie der Stahlerzeugung und im Energiebereich und wiesen sie nur zurück, wenn sie ihren eigenen Investitionsmöglichkeiten und -interessen zuwiderlief. Die positive Haltung der Industriellen ging nicht zuletzt auf die weitgehende Entscheidungsautonomie dieser Institution gegenüber der politischen Führung zurück. "Einer der wenigen Konfliktpunkte zwischen der CORFO und den Industriellen bildete die Frage der Art und Weise des Transfers von öffentlichen Mitteln in den Industriesektor. Während sich die Industriellen in ihrer Mehrheit für Kredite aussprachen, bevorzugten die Technokraten der CORFO die Kapitalbeteiligung der Entwicklungsbehörde bei der Neugründung von Unternehmen oder bei der Unterstützung bereits bestehender Unternehmen. Die Industriellen verteidigten ihre Position mit dem Argument des Schutzes der Privatinitiative und den Gefahren

Siehe zum folgenden D. Nolte, Unternehmerverbände ..., a.a.O., S. 582 f.; O. Muñoz/A.M. Amagada, Orígenes políticos y económicos del estado empresarial en Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 16, 1977; und M. Cavarozzi, The Government..., a.a.O., S. 116 ff.

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direkter Regierungskontrollen. Der wahre Grund für ihre Präferenz für Kredite waren jedoch die bei Rückzahlung zu erwartenden Inflationsgewinne.

Neben der CORFO waren die Industriellen bzw. die SOFOFA in beinahe allen wichtigen staatlichen und halbstaatlichen Organisationen mit Stimmrecht vertreten. Die quasi-korporatistische Verflechtung zwischen Staat und Unternehmerschaft erstreckte sich auf die Banco Central, die Banco del Estado, die Junta General de Aduanas, den Consejo National de Seguridad, den Consejo del Servicio de Seguro Social, den Ilustre Corte del Trabajo de Santiago und den Consejo de Servicio Nacional de Salud, um nur einige aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu nennen. Mitte der 60er Jahre war die SOFOFA in mehr als 40 solcher Organismen, Direktorien und öffentlichen Institutionen vertreten.64 Obwohl die Radikalen Präsidenten den Interessen der Industriebourgeoisie weitestgehend entgegenkamen und die betriebene Importsubstitutionspolitik mit den hohen Zollschranken ihnen direkt nützte, fiel das Endurteil der SOFOFA über diese Periode (1938-1952) - insbesondere seit der Demissionierung J. Alessandris nach zweijähriger Amtszeit als Finanzminister 1948 - weitgehend negativ aus. Kritisiert wurde v.a. die Einkommens- und Sozialpolitik, die zu übermäßigen Einkommenssteigerungen und einem unkontrollierten Ausbau der Sozialleistungen gefuhrt hätten. Zudem wurde der Staatseinfluß auf die Wirtschaft beklagt, der sich hauptsächlich auf die Ausdehnung der Preiskontrollen bezog, die infolge der Krisentendenzen der Ökonomie mit der hohen Inflation Anfang der SOer Jahre verhängt wurden. Dies führte zu einer deutlichen Abkühlung der Beziehungen der SOFOFA zur Radikalen Regierung, die noch dadurch verstärkt wurde, daß 'ihr' Präsidentschafts-

63 ¿j

D. Nolte, Unternehmerverbände ..., a.a.O., S. 584. Siehe dazu C. Menges, Public Policy and Organized Business in Chile. A Preliminary Analysis, in: Journal of International Affairs, Vol. XX, 1966, Num. 2, S. 343-36S; sowie C. Pizairo, Políticas públicas y grupos de presión en Chile, 1965-1970. Un análisis exploratorio, Estudios CIEPLAN, Num. 26, Santiago, 1978. Menges weist auch auf die vielfältigen informellen EinfluBkanlle hin: "In a small, stratified society the range of informal contacts with party leaders is so great and policy disputes between some parties and the business associations so few that there is little need to make any elaborate arrangements for contact." C. Menges, Public Policy ..., a.a.O., S. 356. Die häufig anzutreffende Interessenidentität zwischen Industriellen und Staat zeigte sich auch im häufigen Wechsel von Personen aus hochrangigen öffentlichen Ämtern und der Privatwirtschaft und umgekehrt. F. Galofre hat darauf hingewiesen, daß es einen ständigen Austausch zwischen Staat und Privatwirtschaft auf der höchsten Ebene gab, wobei der Rollenwechsel in keinster Weise als Prinzipienwiderspruch bzw. gar verstoß gesehen wurde. Siehe F. Galofre, Entrepreneurial and Governmental Elites in Chilean Development, Ph.D. Dissertation, Tulane University, New Orleans, 1970. Auf die frühzeitige Interessenverflechtung geht Ch. Pregger-Roman, Economic Interest Groups within the Chilean Government, 1851-1891. Continuity and Discontinuity in Economic and Political Evolution, in: Science and Society, Vol. 43, 1979, Num. 1, S. 202-233, ein.

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kandidat Arturo Matte Larrain - von der liberalen und konservativen Partei lanciert - bei den Wahlen 1952 durchfiel und Ibänez Präsident der Republik wurde. Diese Entwicklungen fanden ihr Pendant innerhalb der SOFOFA, gingen dort doch die Meinungen über die einzuschlagende Taktik gegenüber der neuen Regierung weit auseinander. Es setzten sich schließlich die Interessen durch, die eine härtere Haltung gegenüber der Regierung befürworteten und auf eine effektivere Interessenvertretung drängten.63 Die Industriellen sollten zu allen Mitteln greifen, wenn informelle Einflußnahme nicht zu den gewünschten Resultaten führe, die SOFOFA gestärkt werden, um ihre Effektivität zu erhöhen; um die Meinungen der Politiker nachhaltiger zu beeinflussen, war eine engere Zusammenarbeit mit 'akzeptablen Parteien1 vorgesehen. Der Aufstieg einer neuen Generation von Industriellen innerhalb der SOFOFA hatte auch Auswirkungen auf die traditionellen Kanäle der Einflußnahme (Kontrolle öffentlicher und parastaatlicher Organismen, gemeinsame ideologische Überzeugungen und normative Orientierungen von hochrangigen Staatsbeschäftigten und Industriellen, familiäre und freundschaftliche Bindungen zwischen wichtigen Politikern und prominenten Mitgliedern der Industriellen, aber auch der Gesamtheit der Unternehmerschaft). Zum einen waren die Abhängigkeiten vom Staat bedeutend größer als die der ersten Generationen von Industriellen, zum anderen verfügte diese Gruppe über andere Beziehungen zu den Rechtsparteien und war insgesamt politisierter, was zu einer nachdrücklicheren Verfolgung und effizienteren Organisierung ihrer Interessen sowie zu einer stärkeren formalen Repräsentation in den verschiedenen Staatsorganen führte. 66 Mit der Regierung Jorge Alessandri (1958-1964) wurde eine neue Etappe der Beziehungen zwischen Staat und Unternehmerschaft eröffnet, denn die Regierung repräsentierte direkt die chilenische Unternehmerschaft, und jene identifizierte sich vollständig mit dieser.

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In den Worten ihres damaligen Präsidenten D. Arteaga: " ... entrepreneurial associations must change their approach. The interests of the Industrialists must be defended with greater energy; there should be fewer banquets and less temporization with the Ministers and the President of the Republic. We must become conscious of the economic power we represent and of the fact that we can fight the public powers on an equal foot." Industria, Febrero 1951, zitiert nach M. Cavarozzi, a.a.O., S. 247 f. Siehe M. Cavarozzi, a.a.O., S. 245-317. Ideologisch blieben die Positionen der SOFOFA eigentümlich gespalten. Seit ihrer Gründung vertrat sie Positionen des ökonomischen Liberalismus, in denen ein freies Unternehmertum, freier Wettbewerb und ein Markt ohne staatliche Interventionen für das Wohl der gesamten Nation sorgen sollten. Diese hehren Postulate kontrastierten jedoch mit der staatlichen Protektion und Förderungspolitik, von deren Existenz die Industriellen großtdls abhängig waren. Bis Ende der 60er Jahre widersetzten sich die Industriellen allen Initiativen, die ihre doktrinären Ansprüche in die Realität umzusetzen versuchten. Diese Inkonsistenzen hat G. Campero einmal zu Recht als Überideologisierung bezeichnet.

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"The Alessandri Government ... led to an attempt by the Chilean bourgeoisie to retake direct control of the State apparatus. It was the first time in 20 years that a member of the bourgeoisie had held the presidency, and the industrialista welcomed the victory enthusiastically."67 Jorge Alessandri war führender Kopf der grupo Matte-Alessandri, eines der größten Industrieunternehmen Chiles, und langjähriger Präsident der SOFOFA und der COPROCO. Ein Großteil der Minister und Staatssekretäre wurde direkt aus den Reihen der SOFOFA und der Unternehmerschaft rekrutiert (Luis Marty fungierte als Wirtschaftsminister, Patricio Huneeus als Transportminister, Jorge Fontaine als Minister für Bergbau und Minen, Rodolfo Opazo wurde Präsident der strategisch wichtigen Zollkommission etc.). Die Nähe ging soweit, daß die Regierung die SOFOFA wissen ließ, sie möge doch alle ihre Wünsche über die Ministerien unter Umgehung des Parlaments direkt einbringen.^® Während die Regierung Ibáñez ursprünglich ein staatskapitalistisches Konzept verfolgte, versuchte Alessandri demgegenüber einen 'gesünderen' Kapitalismus zu etablieren, der auf der Entwicklung der größten und effizientesten Unternehmen des Landes beruhte, die sich langsam auf den Weltmarkt hin orientieren sollten. Damit war der Versuch verbunden, den traditionellen unternehmerischen Korporatismus zu überwinden und eine 'Klassenrationalität' gegenüber den unmittelbaren Einzelinteressen der Unternehmer durchzusetzen, die zugleich eine größere Autonomie gegenüber den direkten Notwendigkeiten und Erfordernissen einzelner Sektoren implizierte. 69 Die Dynamisierung des chilenischen Kapitalismus scheiterte aber ebenso wie unter seinem Vorgänger an den wirtschaftlichen Zwängen (externer Engpass mit Zahlungsbilanzkrise) und der mangelnden Unterstützung der Industrieunternehmer, die trotz äußerst günstiger Rahmenbedingungen kaum investierten. 70 Im Gegensatz zu Ibáñez hatte dies bei Alessandri weitergehende Konsequenzen. Es zeigte nämlich die Unfähigkeit der direkten Repräsentanten der Unternehmerschaft, die weitere und v.a. dynamische kapitalistische Entwicklung im Rahmen demokratischer Institutionen mit effektiver Unterstützung der Bourgeoisie und bei gleichzeitiger Integration der Arbeiterschaft sicherzustellen. Alessandris Scheitern führte zu einer weitgehenden Delegitimierung der Interessen der Unternehmerschaft in der Öffentlichkeit und schwächte die politischen Mechanismen, die ihre Superiorität bisher gesichert hatten. 67

B. Stallings, Class Conflict and Economic Development in Chile, 1958-1973, Stanford, ¿o 1978,* S. 80. ° ° Siehe zum Verhältnis der Industriellen zur Regierung Alessandri M.S. Gómez, Los empresarios manufactureros frente al proyecto de modernización industrial de Jorge Alessandri, Tesis de Titulo, Instituto de Sociología, Pontificia Universidad Católica de Chile, Santiago, 1983. ® Siehe T. Moulian/I. Torres Dujisin, Discusiones entre honorables. Las candidaturas presidenciales de la derecha 1938-1964, Santiago (o.J.), S. 325 ff. 70 Siehe dazu im einzelnen M. Cavarozzi, a.a.O., S. 368 ff.

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Während die SOFOFA Alessandris Wirtschaftsprogramm anfänglich enthusiastisch begrüßte und zwischen 1959 und 1961 die Verbandsführung das offizielle Sprachrohr der Regierung für die Industriellen war, distanzierten sich seit 1962 mit dem Wiederauftreten der Inflation, der Einführung von Preis- und Wechselkurskontrollen und den Konzessionen an Arbeiter in Lohnfragen immer weitere Kreise der SOFOFA von 'ihrer' Regierung. Es kam zu einem Rückzug der Unternehmer aus den als strategisch betrachteten Ressorts der Regierung, ohne mit den politischen Zielen der Regierung Alessandri zu brechen. Damit gerieten die Industrieunternehmer gewissermaßen politisch in die Defensive, aus der sie erst zehn Jahre später wieder herauskommen sollten.71 Das Verhalten der Industrieunternehmer war die ganzen 60er Jahre durch ein wachsendes Mißtrauen gegenüber dem politischen System geprägt. Die Industriebourgeoisie bemerkte, daß es angesichts der größer werdenden Lücke zwischen den Entwicklungserfordernissen des kapitalistischen Sektors der Ökonomie einerseits und den objektiven soziopolitischen Bedingungen des Landes und der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung andererseits immer weniger effizient für sie war, sich auf parlamentarische Spielregeln und Mechanismen der Konfliktaustragung einzulassen. Die Konservative und die Liberale Partei konnten mit dem Aufkommen der Christdemokraten und der Links-Parteien die Interessen der Unternehmer kaum noch effizient im Parlament vertreten. Die beabsichtigte Schwächung des Parlamentarismus und der Parteien war nach dem Alessandri-Debakel in das Gegenteil umgeschlagen, so daß die SOFOFA ihren Einfluß in den Staatsorganen zu konzentrieren versuchte, die frei vom Druck gewerkschaftlicher oder parteipolitischer Interessen waren. Als später auch die Exekutive und der Kongreß zu politischen 'Kampfarenen' wurden, richtete die SOFOFA ihre Interventionen auf die Contraloria General, die Judikative und schließlich an die Streitkräfte, um endgültig das parlamentarische System abzuschaffen.72 71

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Das Dilemma der SOFOFA bestand darin, daß sich zumindest der Vorstand mit der politischen Linie der Regierung vollständig identifizierte und beide eng zusammenarbeiteten. In dem Moment, wo die Regierung Maßnahmen beschloß, die den Interessen der Industriellen zuwiderliefen, war die SOFOFA aufgrund ihrer Nähe zu Alessandri nicht handlungsfähig und konnte die Interessen ihrer Mitglieder effektiv nicht vertreten, was zu einem wachsenden Legitimationsverlust des Verbandes unter den Mitgliedern führte. Antidemokratisches Denken der SOFOFA offenbarte sich nicht erst mit dem Sturz der verfassungsmäßigen Regierung Allende 1973. Die ganze Idee der Gremien weist einen stark antidemokratischen Kern auf, zielt sie doch darauf ab, die Repräsentation des Volkes über das Parlament auszuhebein bzw. zu umgehen. Immer dann, wenn für die Unternehmer politisch schwer kalkulierbare Entwicklungen eintraten (Mitte der 20er Jahre, Ende der 50er Jahre), gewannen technokratisch-autoritäre Argumentationsmuster an Bedeutung. Die Zunahme des Staatseinflusses und von Sozialleistungen wurden häufig als Fehlentwicklungen und Folge der 'Massendemokratie' betrachtet, wobei der Begriff 'Massendemokratie' eindeutig pejorativ zu verstehen ist und entsprechend eine Demokratiekritik beinhaltete. Vorstellungen eines techno-

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Die Ungewißheit für die Unternehmer erhöhte sich in den 60er Jahren auch insofern, als es absehbar war, daß es zu bedeutenden Veränderungen in der Landbesitzstruktur kommen würde, gewerkschaftliche Rechte auf die Bauern ausgeweitet würden und der Kupfersektor nationalisiert werden würde. Mit der Regierungsübernahme der Christdemokraten 1964 ging ein radikales Reformprogramm in bezug auf die zurückgebliebensten sozioökonomischen Strukturen des Landes einher, das in den Augen der SOFOFA die Legitimität des Privateigentums generell in Frage stellte. Dennoch wird man grundsätzlich festhalten müssen, daß die Interessen der Industriellen unter der Regierung Frei nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. 73 Die Bedrohungsperzeption führte zum Zusammenrücken der unterschiedlichen Verbände der chilenischen Bourgeoisie. Die SOFOFA versuchte insbesondere Kleinunternehmen und Handwerksbetriebe einzubinden, indem sie eine grundsätzliche Interessenidentität mit jenen Gruppierungen hervorhob. Die Stärkung der COPROCO und die Integration der Unternehmerverbände auf höchster Ebene dienten dazu, eine gemeinsame Aktions- und Verteidigungsfront aufzubauen. Höhepunkt dieser Kampagne war zunächst die 1967/68 abgehaltene Convención Nacional de la Producción y del Comercio. Hier wurden offensiv die Vorzüge der Privatwirtschaft und des Privateigentums vertreten. Damit gelang es zwar, die Interessenheterogenität der Unternehmerschaft zugunsten des grundlegenden gemeinsamen Interesses am Privateigentum und dessen Sicherung zu überwinden, aber weder konnte die Machtübernahme der Unidad Popular verhindert noch deren Sozialisierungspolitik zunächst abgewendet werden.74 Anfangs versuchte die SOFOFA - im Verbund mit den anderen Fraktionen der Bourgeoisie -, die Machtübernahme Allendes zu verhindern, dann arbeitete sie kontinuierlich auf den Sturz der sozialistischen Regierung hin, da sie davon ausging, daß ohne diesen Schritt ein wirksamer Schutz der Eigentumsrechte ihrer Mit-

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kratisch-autoritären Gesellschaftsmodells offenbarten sich später auch in der Übereinstimmung wichtiger Verbandsvertreter mit der rechtsextremen Patria y Libertad, die sehr enge Bindungen sowohl zur SNA als auch zur SOFOFA aufwies. Innerhalb der SOFOFA gab es während der Regierung Frei jeweils eine Pro- und eine AntiRegierungsfraktion. Die Trennlinien verliefen nach der Einschätzung der neuen Gesetzgebung Cber Eigentumsrechte. Vier Änderungen in bezug auf die konstitutionelle Garantie des Privateigentums wurden 1964 eingeführt: a) die Betonung auch der sozialen Funktionen des Eigentums; b) die Stärkung der konstitutionellen Bestimmungen zum Staatsbesitz; c) die Festlegung von Normen für die Enteignung und Entschädigung; und d) die Ausweitung der Bestimmungen über entschädigungslose Enteignungen. Diese Änderungen sollten das gesetzliche Regelungswerk für die Agrarreform bilden, wurden aber von einigen Industriellen angesichts der Vagheit einzelner Bestimmungen und einer möglichen späteren Ausdehnung als Angriff auf das Privateigentum allgemein betrachtet. Siehe B. Stallings, a.a.O., S. 100. Vgl. O. Muñoz, Industrialización y grupos de Ínteres, Apuntes CIEPLAN, Num. 7, 1977, S. 38 ff.; sowie D. Cusack, The Politics of Chilean Private Entetprise under Christean Democracy, Ph.D. Dissertation, University of Denver, 1970.

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glieder nicht zu sichern sei.73 Von Anfang an war dabei den Industriellen klar, daß der Sturz der Regierung nicht allein durch Delegitimierungskampagnen, Sabotageaktionen, das Schüren sozialer Unruhen und den gesicherten Zugang zu den Massenmedien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu erreichen wäre, da das soziale Störpotential der Unternehmerverbände zu gering sein würde und ihre spezifischen Interessen gesamtgesellschaftlich nur begrenzt bündnisfähig waren. Die großen Unternehmerverbände fanden ihre Bündnispartner und damit ihre Massenbasis bei den Kleinunternehmern (insbesondere Einzelhändler und Fuhrunternehmer) und Teilen der Mittelschichten (insbesondere den profesionales), die für sie den Vorteil hatten, daß sie hochgradig organisiert waren und Störmaßnahmen beträchtlichen Ausmaßes durchfuhren konnten.7** Die gemeinsamen Interessen, die dieses Bündnis zusammenhielten, können in der Sicherung des Privateigentums, der Verteidigung des gesellschaftlichen Status Quo und verbesserten Einflußmöglichkeiten auf die Politik gesehen werden. So kamen die Finanzressourcen der Großverbände und ihr Zugang zu den Massenmedien mit dem sozialen Störpotential der Kleinunternehmer und Mittelschichten zusammen. Damit die Kleinunternehmer überhaupt in das Bündnis einwilligten - es bestanden ja weiterhin erhebliche Interessengegensätze zwischen Groß- und Kleimmternehmera -, suggerierten die Großunternehmer, daß ein Angriff auf sie nur die Vorstufe zur Abschaffung des gesamten Privateigentums bilde. Gleichzeitig arbeiteten die Verbände darauf hin, daß die Großunternehmer die kleinen Industriellen und Händler als Verbündete akzeptierten. Die profesionales der Mittelschichten mußten mit einer anderen Strategie überzeugt werden. Die großen Unternehmerverbände unterstützten die Bildung neuer Organisationen, die zwar nicht viele Mitglieder hatten, aber mit sehr guten Propagandaapparaten ausgestattet waren. Mit Organisationen wie der 1971 geschaffenen Confederación Unica de Profesionales de Chile (CUPROCH) und der 1972 gebildeten Frente Nacional de Profesionales wurde von außen auf die gemäßigter handelnden übrigen Interessenvereinigungen eingewirkt. Zu Beginn des Jahres 1972 war sowohl der Aufbau einer Bündnisfront abgeschlossen als auch eine entsprechende Infrastruktur geschaffen. Damit konnten die großen Unternehmerverbände anfangen, diese Infrastruktur für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Die gemeinsamen Interessenlagen blieben jedoch weiterhin hauptsächlich negativ bestimmt, nämlich durch die Perzeption der Bedrohung der eigenen ökonomischen Existenzbasis und des sozialen Status. DemgegenSiehe zur Rolle der Untemehmerveibände während der Regierungszeit Allende D. Nolte, Zur Strategie konterrevolutionärer Eliten, a.a.O., S. 477-511. 7 ** Die Mitgliedszahlen beliefen sich bei den Einzelhändlern auf über 100000, bei den Kleinindustriellen auf ca. 36000. In der Confederación de Colegios Profesionales waren ca. 70000 Personen der selbständigen Mittelschichten organisiert. Siehe D. Nolte, Zur Strategie..., a.a.O., S. 498 f.; und P. Garda, a.a.O., S. 135 f.

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über gingen die politischen Ziele weit auseinander: Während die SOFOFA, die SNA und die COPROCO auf den Sturz der Regierung hinarbeiteten, wollte die Mehrzahl der mittelständischen Organisationen nur eine Kurskorrektur erzwingen. Der Oktoberstreik des Jahres 1972 war die erste Aktion, die aus den Organisationsund Bündnisbestrebungen der Bourgeoisie erwuchs und nahezu alle Gegner der UP in einer gemeinsamen Front einigte.77 Zwar konnte die Regierung Allende den Streik durch taktische Zugeständnisse an die Kleinunternehmer und die Integration des Militärs in die Regierung schließlich beenden, aber durch die Art der politischen Auseinandersetzung und der radikalisierten Ideologie der Großunternehmer kam es schließlich im August 1973 zu einer zweiten großen Streikbewegung, die diesmal - "hasta las últimas consecuencias" - eine eindeutig politische Stoßrichtung hatte, nämlich den Sturz der Regierung herbeizuführen.78 Nachdem dieses Ziel am 11. September 1973 erreicht war und das Militär die Regierung Allende gestürzt hatte, desintegrierte die heterogene Koalition in Anbetracht der weitergehenden Zielvorstellungen rasch.7® 2.3.

Die Confederación de la Producción y del Comercio (COPROCO)

Die COPROCO wurde 1933 auf maßgebliche Initiative der SNA und der SOFOFA unter formeller Obhut der Asociación Patronal Chilena gegründet und 1935 durch Regierungsdekret rechtlich anerkannt.80 Die Unternehmer reagierten damit auf die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruchprozesse der 20er Jahre (endgültiges Ende der oligarchischen Herrschaft, Aufstieg neuer Akteure in das politische System, Organisierung der Arbeiterschaft etc.), die Veränderungen infolge der Weltwirtschaftskrise, von der Chile besonders hart betroffen wurde, sowie die ihr folgenden sozialen und politischen Unruhen (die kurzlebige sozialistische Republik 1932) und das Erstarken der Gewerkschaftsbewegung. Die Angst vor der Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Position durch die Wirtschaftskrise und vor sozialen Umwälzungen einerseits sowie Bestrebungen in Richtung auf eine Neustrukturierung und Intensivierung der Einflußmöglichkeiten der Unternehmer auf 77



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Siehe dazu ausführlicher D. Nolte, Zur sozialen Basis konterrevolutionärer Massenbewegungen. 'El paro de octubre* in Chile 1972, in: Iberoamerikanisches Archiv, Vol. 10, 1984, Num. 4, S. 393-448. Die Fuhrunternehmer bildeten wieder das Fußvolk der Großverbände. "Ohne das Wissen um den fortgeschrittenen Stand der militärischen Verschwörung wären vermutlich viele Protagonisten im August und September kein so hohes persönliches Risiko eingegangen", schreibt D. Nolte, Zur Strategie ..., a.a.O., S. 506. Siehe auch R.E. Ratcliff, Capitalists in Crisis. The Chilean Upper Class and the September 11 Coup, in: Latin American Perspectives, Num. 1, 1974, S. 78-91. Die folgende Darstellung lehnt sich an D. Nolte, Untemehmerverbände ..., a.a.O., S. 564570, an.

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das politische System andererseits waren die wesentlichen Antriebsmomente zur Gründung eines Dachverbandes der sektoralen Interessenorganisationen. "Las amenazas de quebranto económico no han desaparecido; las amenazas de disolución social se ciernen sobre el país, crecen y se hacen cada vez más graves, al amparo de las deficiencias legislativas y de la desarmonía que ellas introducen entre el capital y el trabajo. Nos hemos reunido, señores, para conjurar esas amenazas."®1 Die Unternehmer waren sich bewußt, daß mit der Organisierung ihrer Interessen in Form eines Dachverbandes eine weitere Stärkung ihrer Organisationen einhergehen kann. 82 Die neue Organisation sollte zunächst dazu dienen, den sich ausbreitenden Staatseinfluß in der Wirtschaft und die entstehende Sozialgesetzgebung zu bekämpfen. Bezüglich der Rolle des Staates ging es darum, daß dieser nur dann produktivinvestiv tätig werden sollte, wenn die Privatinitiative fehle bzw. ungenügend sei oder staatliche Aktivitäten in der Ökonomie im höheren Interesse der Nation unabwendbar und gefordert seien. Ansonsten solle der Staat die Privatwirtschaft fordern und stimulieren. Um ihre Interessen in diesem Sinne sicherzustellen, forderte die COPROCO ein institutionalisiertes Mitbestimmungsrecht der Unternehmer über einen neu zu schaffenden Consejo Nacional de Economía. Des weiteren übte die COPROCO heftigste Kritik an der einsetzenden Sozialgesetzgebung, die als Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln gesehen wurde. "En un principio, al iniciarse hace diez o más años atrás la legislación social, se dijo que se trataba de buscar la armonía de los intereses contrapuestos entre patrones y asalariados, entre la fortuna privada y la riqueza pública, etc.; pero andando el tiempo este ideal de armonía ha desaparecido para dar paso a un verdadero fanatismo de persecución contra el patrón y el capitalista."8-* Die Notwendigkeit einer Sozialgesetzgebung wurde schlichtweg bestritten und soziale Konflikte als das Werk von Demagogen betrachtet, die durch die Verbreitung marxistischer Irrlehren willige Gefolgschaft erhielten. Durch die erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeiten der unteren Bevölkerungsschichten aufgeschreckt, bemühte sich auch die COPROCO, von den traditionellen Vermittlungsorganen im politischen Prozeß unabhängige Kanäle der Einflußnahme zu institutionalisieren. Ähnlich wie der SNA und der SOFOFA gelang es ihr, in den wichtigsten staatlichen und halbstaatlichen Organen präsent zu sein. Antidemokrati81

R9 °

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So drückte es J. Larrafn von der SNA bei der Gründungsversammlung der COPROCO 1934 aus. Siehe D. Nolte, Unternehmerverbände..., a.a.O., S. 566. "Separados, valemos poco; unidos, formamos una fuerza considerable." COPROCO, Primera Convención ..., a.a.O., zitiert nach D. Nolte, Unternehmerverbände..., a.a.O., S. S66. El Campesino, zitiert nach D. Nolte, Untemehmerverbinde ..., a.a.O., S. 567 f.

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sches und antiliberales Denken gewann in dem Maße auch in der COPROCO an Bedeutung, wie die soziale Position der Unternehmer und ihr politischer Einfluß bedroht schienen. Obwohl die COPROCO zur Verteidigung der Interessen der Unternehmerschaft in einem veränderten soziopolitischen Umfeld beitragen sollte und just deshalb gegründet wurde, kam ihr in den nächsten drei Jahrzehnten unter den chilenischen Unternehmerverbänden nur marginale Bedeutung zu. Die weitgehende Lähmung der COPROCO hat sicherlich eine Ursache in der spezifischen Konstituierung als Dachverband der Unternehmerschaft, der ganz unterschiedliche Interessen organisieren und repräsentieren mußte und in dem Maße handlungsunfähig wurde, wie starke sektorale Interessenkonflikte etwa zwischen Industriellen und Agrariern auftraten. Mehr noch dürfte zur langjährigen Peripherisierung der COPROCO im Verbandsspektrum allerdings die grundlegende Sicherung der Interessen der Unternehmerschaft in jener Zeit beigetragen haben, die die COPROCO als Kampfinstrument entbehrlich machte. Erst seit Mitte der 60er Jahre nahm ihre Bedeutung angesichts der akuteren Bedrohung des Privateigentums - zunächst der Agrarier in Gestalt der Landreform, später auch der Industriellen über die Errichtung der Area de Propiedad Social - rasch zu. Je stärker die Bedrohung der Interessen der Unternehmerschaft wahrgenommen wurde, desto mehr rückte der Dachverband in den Mittelpunkt. Über seine spezifische Funktion als Koordinierungsinstrument der Unternehmerschaft kam ihm bis zum Ende der Allende-Zeit besondere Bedeutung in den Aktionen der Unternehmer zu. Danach verlor er zunächst erneut an Gewicht und Einfluß. 84 2.4.

Warum konnten die Unternehmer ihre Interessen nicht effektiv verteidigen?

Geht man von der Prämisse aus, daß in kapitalistisch verfaßten Gesellschaften die Unternehmer aufgrund ihrer sozialstrukturellen Position und sozioökonomischen Basis eine privilegierte Gruppe in der Gesellschaft darstellen, die über besondere Machtressourcen verfügen, um ihren Einfluß und ihre Privilegien relativ dauerhaft absichern und gegenüber Druck von unten verteidigen können, und weiß man andererseits um das langjährige enge Beziehungsgeflecht zwischen Unternehmern und Staat in Chile und die großen Einflußmöglichkeiten der Unternehmer auf politische Entscheidungsprozesse, so stellt sich fast automatisch das Bild einer mächtigen, herrschenden Klasse ein. Wie erklärt sich dann aber die unsichere Situation, in der sich die Unternehmerschaft seit spätestens Mitte der 60er Jahre befand? Wie konnte der ökonomische 84

Zur Rolle der COPROCO (wie auch anderer Verbände) in der Zeit der Unidad Populär siehe auch G. Campero, Los gremios empresariales, a.a.O., S. 33-88.

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Entwicklungsprozeß mit einem permanenten Einflußverlust der Unternehmer einhergehen und schließlich im Debakel der Unidad Popular enden? Wie soll man die Schwäche der Großgrundbesitzer angesichts der Landreform und die Schwäche der Industriellen in Anbetracht der Enteignungspolitik der Regierung Allende erklären? Warum waren die oftmals allmächtig erscheinenden Unternehmerverbände nicht in der Lage, wenigstens die grundlegenden Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen? Um diese Fragen zu beantworten, ist es notwendig, nach den verborgenen Schwächen einer scheinbar soliden Organisation der mächtigen und größten Unternehmerverbände des Landes zu fragen und darüber hinaus auch das gesamtgesellschaftliche Umfeld zu betrachten. Urzüa85 nennt zunächst fünf Schwachpunkte: An erster Stelle steht die geringe Repräsentativität der Unternehmerverbände aufgrund ihrer formellen Position in der Sozialstruktur. Auf der Convención Nacional de la Producción y del Comercio legte die COPROCO 1968 Zahlen über die Mitgliedschaft der ihr angegliederten Verbände vor. In jenem Jahr gab es knapp über 1000 gremiale Assoziationen, die der COPROCO angegliedert waren. Dennoch repräsentierte die Cámara Nacional de Comercio nur knapp 11% ihres Sektors, die Sociedad Nacional de Agricultura knapp 13%, die Sociedad de Fomento Fabril 17% und die Sociedad Nacional de Mineria immerhin 55% der Unternehmen ihres Sektors. Durchschnittlich waren dies gerade 15% der Unternehmen, d.h. formell wurden 85% der potentiellen Mitglieder eines Sektors nicht durch den jeweiligen Verband repräsentiert. Von den insgesamt 640000 Unternehmern und Selbständigen war eine Minderheit von nicht mehr als 30% in den erwähnten 1000 gremialen Assoziationen organisiert. Dieser Anteil wird erheblich geringer, wenn man die Selbständigen der Mittelschichten herausrechnet.Legt man jedoch das wirtschaftliche Gewicht dieser Organisationen als Maßstab der Repräsentativität zugrunde, so repräsentierten die Verbände 80% des Produktionsvolumens und der Handelsumsätze. Angesichts der hochgradigen Konzentration der chilenischen Ökonomie organisierte die COPROCO damit die Kernbereiche wirtschaftlicher Macht. Der geringe Repräsentativitätsgrad in bezug auf die Unternehmenszahl und die Mitgliedsassoziationen konnte sich so in eine Schwäche bei der Einflußnahme der Verbände transformieren, die sich auch vor dem Hintergrund eines ohnehin nur verschwindend kleinen Anteils der Unternehmer an der Gesamtbevölkerung negativ auswirken mußte. Die zweite Schwäche ergab sich daraus, daß ein Großteil der Einflußkanäle der Verbände lange Zeit informeller Natur war, über persönliche Kontakte lief und offiziell nicht abgesichert war. Dies war ein charakteristisches Muster in einem 85

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Vgl. R. Urzüa, Notas acerca de la estructura de poder en Chile, in: A. Sanfuentes (Ed.), Hacia un nuevo diagnóstico de Chile, Santiago, 1973, S. 129 ff. Siehe Convención Nacional de la Producción y del Comercio 1967-1968, Comisión de Organización Empresarial, Santiago, 1969, S. 226.

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kleinen Land wie Chile, wo 'man sich auf höchster Ebene einfach kennt' und eine Institutionalisierung der Beziehungen schlichtweg überflüssig ist. Der Erfolg der Einflußnahme ist dabei wesentlich von der Persönlichkeit der Verbandsfuhrer sowie von der Empfänglichkeit der Minister, Präsidenten und anderen Personen abhängig, auf die Druck ausgeübt wird. Dies schien solange kein Problem zu sein, wie enge familiäre oder freundschaftliche Bindungen und wirtschaftliche Verflechtungen bestanden, wurde aber zu einer größer werdenden strukturellen Schwäche, als dies nicht mehr der Fall war und eine Interessenharmonie von Staat und Unternehmern nicht mehr unterstellt werden konnte. 87 Der dritte Schwachpunkt lag im hohen Monopolisierungsgrad der Macht innerhalb der Verbände. Alle Verbände wiesen jahrzehntelang ausgeprägt oligarchische und undemokratische Strukturen auf, die einer Minderheit ein Machtmonopol sicherten. Sowohl in der SOFOFA wie auch in der SNA waren Mitglieder des Vorstandes zwischen 1930 und 1965 zu 70% mehr als zehn Jahre im Amt. Dazu trugen undemokratische Wahlverfahren entscheidend bei. 88 Die Offenheit und Durchlässigkeit der Verbandsführung wurde damit erheblich eingeschränkt. Die vierte Schwäche war die reale oder als solche wahrgenommene Abhängigkeit der Unternehmer vom Staat. Ein Großteil des wirtschaftlichen Erfolgs der chilenischen Unternehmer hing direkt von Subsidien und Transferleistungen des Staates oder indirekt vom gewährten Protektionismus ab. Korporatistische Klientelbeziehungen schufen nicht selten 'Rentier'-Mentalitäten, die das Handeln der Unternehmer eher auf Staatspfründe ausrichteten als auf die dynamische, relativ risikoreiche Erschließung neuer Märkte. Damit war die Durchsetzungsfähigkeit von Interessen der Unternehmerschaft potentiell eingeschränkt, hatten staatliche Stellen doch umgekehrt ein Druckmittel, um auf die Unternehmerseite einzuwirken. Ein letzter Schwachpunkt kann schließlich darin gesehen werden, daß es den chilenischen Unternehmern nicht gelungen war, ein kohärentes Bündel ideologischer Überzeugungen und politischer Glaubenssätze zu entwickeln, die sich dazu eigneten, ihre Sichtweise der Welt und die Rolle der Unternehmer im Entwick87

QO

Vgl. dazu R.E. Ratcliff, Kinship, Wealth, and Power. Capitalists and Landowners in the Chilean Upper Class, Ph.D. Dissertation, University of Wisconsin, Madison, 1973; und M. Zeitlin/R.E. Ratcliff, Landlords and Capitalists. The Dominant Class of Chile, Princeton N.J.,' 1988,' S. 186-251.

°° Als quantifizierbare antidemokratische Praktiken nennt G. Amagada: "renovación parcial; el voto plural; los consejeros honorarios; los expresidentes; los representantes de empresas servicios creados por el gremio." Hinzu kommen antidemokratische Effekte durch "la elección indirecta; la falta de mecanismos que permiten la formación de corrientes electorales; el voto completo; los escrutinios parciales; las cartas poderes; la votación por correo, el voto abierto; las juntas electorales." Siehe G. Amagada, La oligarquía patronal chilena, a.a.O., S. IIS; vgl. auch O.G. Garretón/J. Cisternas, Algunas características del proceso de toma de decisiones en la gran empresa. La dinámica de la concentración, Santiago, 1970.

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lungsprozeß zu legitimieren. Statt dynamisch-innovativer Gedanken und ambitionierter Visionen, die offensiv im Wettbewerb mit anderen gesellschaftlichen Gruppen nach außen getragen wurden, zeigten sich in der Gedankenwelt der Mehrheit der chilenischen Unternehmer einfache Werte des Konservativen und der Abwehr sozialen Wandels, die den Elitegruppen der Gesellschaft eigenen Vorurteile gegenüber anderen Schichten und traditionelle Legitimationsmuster des Status Quo. 89 Damit erwies sich das, was funktional für die Integration der Gesellschaft 'von oben' und die Teilnahme an einem klientelistischen politischen System war, zunehmend als Hindernis für die Verbreiterung der Organisation und die Ausstrahlungskraft unternehmerischer Ideen in der Gesellschaft.9® Dies mußte sukzessive Folgen für die Fähigkeit zur Verteidigung unternehmerischer Interessen haben. Dennoch kann dies nur ein erster Ansatzpunkt der Erklärung für die mangelnde Interessenvertretungskapazität der chilenischen Untemehmerverbände sein, da die oben genannten Faktoren mehr oder weniger stark auch in anderen Staaten Lateinamerikas vorzufinden sind, dort aber nicht in solch desaströsen Folgen mündeten wie in Chile. Zu einer angemessenen Erklärung müssen darüber hinaus chilenische Spezifika in Betracht gezogen werden. Erstens wäre die mangelnde ökonomische Performanz der Agrarier und Industriellen zu erwähnen, die zu einer langanhaltenden Stagnation der Ökonomie führte und sich der geringen Produktivität des traditionellen Latifundiums und den monopolistischen, aufgrund der mangelnden Konkurrenz zu wenig Innovation anreizenden Strukturen im Industriesektor schuldete. Dadurch, daß sich die Gewinne der Unternehmer schnell entwickelten, der Gewinn für die Gesamtgesellschaft eher gering blieb, war es nur zu offensichtlich, daß die Interessen der Unternehmerschaft nicht mit den Interessen der 'Nation' - wie die Verbände immer glauben machen wollten - zusammenfielen. Dies führte in breiten Bevölkerungsschichten zu einer Diskreditierung des privaten Unternehmertums und ihrer Werte, die noch durch das Verhalten der ausländischen Konzerne im Kupferbergbau verstärkt wurde. Hinzu kam eine relativ starke Position des Staates in ökonomischen Angelegenheiten, der durchaus eine Alternative zu bieten schien. Zweitens hatten die Unternehmer und ihre Verbände sowie die politische Rechte allgemein keine umsetzbaren Vorschläge zur Lösung der ökonomischen Dauerkrise und der drängenden gesellschaftspolitischen Probleme in Chile anzubieten. Dies trat während der Präsidentschaft von Jorge Alessandri und seinem Modernisierungsprojekt deutlich zutage, welches nicht zuletzt an der lethargischen Haltung der Unternehmer und ihrer mangelnden Innovations- und Investitionsfreude scheiterte, und entscheidend zu ihrer Delegitimierung beigetragen hat. OQ

90

Siehe D.L. Johnson, The National and the Progressive Bourgeoisie in Chile, in: Studies in Comparative International Development, Vol. 4, 1968, Num. 1, S. 76. Vgl. R. Urzda, a.a.O., S. 133.

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Drittens ist die hohe Legitimität und Anerkennung des demokratischen Systems, seiner Spielregeln und Institutionen zu nennen, in dessen Zentrum das Parlament mit seinen institutionalisierten Konfliktregelungsmustera stand. Über das Parlament und aufgrund der kontinuierlichen Ausweitung des Wahlrechts war es schließlich möglich, daß auch in Opposition zur Unternehmerschaft stehende Parteien und Gruppierungen immer stärker Einfluß auf das politische System und die Geschicke des Landes auszuüben und traditionell konservative Bastionen zu erschüttern vermochten. Damit ist als weiteres Element, viertens, auf den Charakter der Opposition hinzuweisen. Es entstand nicht nur schon relativ frühzeitig eine sozialistische, klassenbewußte Arbeiterbewegung, sondern auch eine schlagkräftige, gut organisierte Sozialistische und Kommunistische Partei. Linksparteien und sozialistische Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung waren eng verbunden und verfügten über eine Massenbasis, die sich sowohl auf außerparlamentarischer wie auch parlamentarischer Ebene artikulieren konnte. Diese Gruppierungen konnten zudem im Gegensatz zu den Unternehmern auf ein bis dato nicht gescheitertes Gesellschaftsprojekt und ein kohärentes Programm mit konkreten Lösungsvorschlägen für die Probleme des Landes zurückgreifen. Schließlich darf die langjährige Neutralität des Militärs nicht unerwähnt bleiben, welches sich bis zur Allende-Zeit als treuer Anhänger der verfassungsmäßigen Ordnung erwies und nicht in den politischen Prozeß intervenierte. Diese Faktoren aus dem soziopolitischen Umfeld schufen bei zunehmender Polarisierung der Gesellschaft und der sich verstärkenden Radikalisierung weiter Teile der Gesellschaft die Bedingungen dafür, daß die chilenische Unternehmerschaft ihre Hegemonie zusehends einbüßte und schließlich nur noch über einen Militärputsch und die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung ihre Interessen zu sichern verstand.

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VI. Das politische Verhalten der Unternehmender bände in der Ära Pinochet (1973-1990) 1.

Einleitung

Bezüglich des politischen Verhaltens und der Rolle der Unternehmerverbände hat die kurze Zeitperiode der Unidad Populär deutlich gemacht, daß die Unternehmer keineswegs eine einheitliche Gruppe bzw. Bewegung darstellen, sondern eine Vielzahl von Spaltungen und Interessengegensätzen in ihrem Innern bestehen (große vs. kleine Unternehmen, Aufteilung nach unterschiedlichen Branchen etc.). Eine einheitliche Bewegung mit einiger Schlagkraft konnte nicht vor Oktober 1972 aufgebaut werden, und hier dankte sich ihre Einheitlichkeit v.a. außergewöhnlichen Umständen wie der fortgesetzten Bedrohung ihrer grundlegenden Existenz- und Reproduktionsbedingung, nämlich des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln. Die Mobilisierung aller Unternehmerverbände und Gremien (bis weit in die Mittelschichten hinein) war wesentlich eine Widerstandsaktion gegen die Regierungspolitik der Unidad Populär. Erst die Verletzung ihres grundsätzlichsten Guts durch die sozialistische Regierung setzte die ideologische Kraft frei, die kleine Produzenten und Händler mit den Großunternehmern und den selbständigen Professionalen vereinte. Insofern ist es wohl richtig, daß "nur bei Bedrohung oder Gefährdung gemeinsamer Interessen ... die Unternehmerverbände normalerweise zu einem geschlossenen Handeln fähig (sind)." 1 Die Vereinigung der Unternehmerverbände hinter einer gemeinsamen Strategie hatte zudem genuin reaktiven Charakter und schuf nicht die Grundlage für ein gemeinsames Projekt von Wirtschaft und Gesellschaft, welches nach dem Sturz der Regierung Allende hätte zum Tragen kommen können. Dies hatte verschiedene Gründe: - Obwohl alle gremialen Vereinigungen ein gemeinsames Interesse an der Verteidigung des Privateigentums hatten, verfugten die einzelnen Verbände und ihre jeweiligen Führungen nicht über umfassendere Ideen zur Gestaltung der Gesellschaft. Die Perspektive der Unternehmerverbände war entsprechend weniger durch klare Vorstellungen der Transformation gekennzeichnet als durch die Wiederherstellung der Funktionslogik des Marktes auf der Basis einer kapitalistischen Ökonomie im allgemeinen. 1

D. Nolte, Unternehmer, in: D. Nohlen (Hrsg.), Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 6: Dritte Welt, München, 1987, S. 614.

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-

2.

Die bestehende ökonomische Interessenheterogenität zwischen den großen, mittleren und kleinen Unternehmern und ihren Verbänden stand gemeinsamen Zielvorstellungen, die über einen Basiskonsens hinausgingen, entgegen. Diese Interessengegensätze brachen nach dem Sturz der UP wieder auf und führten zu einer unterschiedlichen Einschätzung der notwendigen Maßnahmen, welche die neue Regierung zur 'Normalisierung' ergreifen sollte. Zielten COPROCO und SOFOFA v.a. auf die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung einer allgemeinen Akkumulationslogik ab, die durch die sozialisierenden Maßnahmen der vorherigen Regierung gefährdet wurde, so die Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer auf eine effektive Beteiligung am politischen Entscheidungsprozeß, der - ganz im Sinne der Tradition 'gremialen' Denkens - gerade verhindern sollte, daß sich Entwicklungen wie unter der UP wiederholen konnten.

Die Unternehmer in der Phase des 'nationalen Wiederaufbaus' (1973-1975)

Nachdem die Unternehmer die treibende und zentrale Kraft im Kampf gegen die Allende-Regierung gewesen waren, überrascht es wenig, daß sie nun den Putsch einhellig begrüßten und der neuen Regierung ihre Unterstützung für den 'nationalen Wiederaufbau' - die Phase der reconstrucción nacional war in der Perzeption der Militärs und der Unternehmer die Zeit der Wiederherstellung der durch die UP verletzten Ordnung - zusicherten. Die gesellschaftliche Perzeption der Bedeutung des Militärputsches war äußerst unterschiedlich. Während auf der einen Seite diejenigen standen, die den Putsch guthießen und im folgenden die wichtigste soziale Basis des Militärregimes wurden, entwickelte sich auf der anderen Seite eine nachhaltige Oppositionsbewegung derjenigen gesellschaftlichen Sektoren, die in dem Prozeß eine strategische Niederlage ihres sozioökonomischen und politischen Denkens sahen. Das im folgenden etablierte Militärregime muß also als Reaktion der besitzenden Klassen auf die von der Unidad Popular verfolgte Politik begriffen werden, die in der vollständigen Desartikulierung und Zerstörung der ökonomischen Basis der Unternehmer hätte gipfeln können. Darüber hinaus stellte die Rettungsaktion der Militärs aber auch den Versuch der 'Neubegründung' der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft dar, der einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit und der seit den 30er Jahren verfolgten Entwicklungsstrategie beinhaltete und notwendigerweise auf ein autoritäres, ausschließendes politisches Modell hinauslief. Die effektive Einbindung in den Weltmarkt und die Transnationalisierung der Produktionsstrukturen erforderten einen neuen Akkumulationstyp, der mit dem bestehenden politischen System und der sozialen Beteiligung breiter Bevölke-

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rungsschichten inkompatibel war. Wirtschaftliches und politisches Modell waren so aufs Engste miteinander verbunden.2 Die Aktionen der Unternehmer in der Zeit des 'nationalen Wiederaufbaus' waren von der soziopolitischen Idee geleitet, einerseits der 'Nation' grundlegende Werte und Normen erneut beizubringen, andererseits einen Prozeß der sozialen und ökonomischen Reorganisation des Landes zu initiieren. Die Energie, welche die Unternehmer zur Verwirklichung dieser Ziele aufwandten, läßt sich nur vor dem Hintergrund der traumatischen Erfahrungen mit der Unidad Popular sowie der Perzeption der Militärregierung als 'ihrer' eigenen Regierung verstehen, war doch niemals zuvor eine solche so eng mit ihren eigenen Kämpfen verbunden gewesen und praktisch aus diesen hervorgegangen, wie die Pinochet-Diktatur. Vom Tag des Putsches bis Ende 1974 identifizierten sich die Unternehmer vollständig mit der Regierung und gewährten dieser ihre bedingungslose Unterstützung. Erst danach tauchten erstmals Zweifel, vereinzelte Proteste und eine gewisse Beunruhigung in einzelnen Sektoren der Unternehmerschaft gegenüber der vom Regime eingeschlagenen Wirtschaftspolitik auf (Ende 1974 bis Mitte 1975). Dennoch wurde während der gesamten Phase der Charakter des Regimes als 'eigene' Regierung nicht in Zweifel gezogen. Aus allen Äußerungen jener Zeit spricht deutlich das Bewußtsein der Verbände, daß sie die grundlegenden konstitutiven Akteure des Militärregimes seien, die das neue Regime bedingungslos unterstützten. Dies trifft nicht nur für die Verbände der Großunternehmer, sondern auch für kleine und mittlere Unternehmerverbände zu. Die COPROCO rief wenige Tage nach dem Putsch dazu auf: "Es hora de trabajar unidos, sin rencores ... por la patria, por sus hijos." Alle Verbände unterzeichneten am 12.10.1973 ein Dokument, in dem sie ihre Verbundenheit mit dem Militärregime und den Aufgaben des 'Wiederaufbaus' ausdrückten. Die Cámara Nacional de Comercio gab in einer öffentlichen Anzeige Anfang Oktober ihre "adhesión incondicional" gegenüber der Militärregierung und ihren Aufgaben bekannt, und die Cámara Chilena de la Construcción bekräftigte: "Esperamos que la Junta Militar permanezca en el gobierno tanto tiempo como sea necesario para desterrar Oos malos) que encontraron fértil terreno ... abonado por una democracia desvirtuada por la demagogia."^ Die Phase des 'nationalen Wiederaufbaus' kann als diejenige Etappe der Militärdiktatur gelten, in der die Regierungspolitik die größten ideologischen Vereinheitlichungstendenzen bei den Unternehmern herbeiführte. Der offizielle Diskurs der Regierung mit seiner Betonung des freien Unternehmertums, der Priorität des 2

i

Siehe P. Vergare, Auge y caída del neoliberalismo en Chile, Santiago, 1985; M.A. Ganetón, The Chilean Politicai - Process, Boston, 1989. Siehe zu diesen Äußerungen G. Campero, Los gremios empresariales en el período 19701983. Comportamiento sociopolitico y orientaciones ideológicas, Santiago, 1984, S. 94, mit weiteren Belegen.

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Marktes und des Wettbewerbs sowie der Bedeutung der Privatinitiative als den grundlegenden Konzepten der neu zu schaffenden Ordnung wurde von den Unternehmern unterschiedlicher Wirtschaftsbranchen noch in ihrem je eigenen Sinn interpretiert und konnte leicht mit ihren allgemeinen Vorstellungen in Übereinstimmung gebracht werden. Unter diesen Bedingungen waren sowohl Importsubstitutionsindustrien wie auch Agrarier der Ansicht, daß mit der Militärdiktatur ihre jeweiligen Sektoren privilegiert und im Mittelpunkt des neu zu etablierenden Entwicklungsmodells stehen würden. Das Fehlen eines gemeinsamen sozioökonomischen Projekts 4 , welches über allgemeine ökonomische Vorstellungen hinausging, sowie die Sicherung und Repräsentation ihrer grundlegenden Interessen durch das Militärregime führte seitens der Unternehmerverbände zu einem Abtreten ihres politischen und ökonomischen Führungsanspruchs an die neue Regierung. Damit orientierten sich die Verbände wieder stärker an einer 'korporativen' Rolle, womit zugleich ihr Charakter als soziale Bewegung, den sie in den Jahren 1972 und 1973 erreicht hatten, in den Hintergrund trat. Die Sicherheit, die ihnen die neue Regierung bezüglich ihres Überlebens und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten als besitzende Klassen bot (Sicherung des Privateigentums, ökonomischer Liberalismus), ließ die Frage nach dem politischen Regime und dessen konkreter Ausgestaltung als beantwortet erscheinen und führte zu einer stärkeren Rückbesinnung auf genuin wirtschaftliche Aufgaben. Dies traf nicht nur für die großen Interessenverbände SNA, SOFOFA und SONAMI zu, deren Kennzeichen in der Vergangenheit eine häufige und direkte Intervention in politische Angelegenheiten war, sondern auch auf diejenigen Unternehmenssektoren und ihre Führer, die sich durch einen 'nationalistischeren' und 'etatistischeren' Diskurs auszeichneten (z.B. CONUPIA), der vom wirtschaftlichen Liberalismus weit entfernt war.

4

Im Rückblick haben sich dazu verschiedene Untemehmerpersönlichkeiten geäußert. Der damalige Präsident der SOFOFA, Orlando Sáenz, betonte: "Yo diría que había un embrión de proyecto en ciertas personalidades, pero que no tenía mayor arraigo en el sector de donde estas provenían ... en el año 1973 el sector empresarial no tenía un proyecto nacional... si lo hubiera tenido no se habría dejado colonizar de los patadas por los Chicago Boys." Manuel Valdés, der ehemalige Präsident der COPROCO, schrieb: "No hubo un proyecto nacional de los gremios, ese era un problema que tenía que abordar el que llegase al poder. Lo importante era salvarse del naufragio. Una vez llegados a tierra se vería que se hacía ... solamente después que las Fuerzas Armadas llegaron al poder ... recogieron lo que la Escuela de Economía de la Universidad Católica había elaborado al respecto." Angel Fantuzzi, Präsident von ASIMET, sagte dazu: "Los empresarios no tenemos por qué tener un proyecto si nuestra idea es libertad de empresa, libertad individual y una serie de cosas que no necesitan proyecto. Los partidos políticos hacen proyectos ... En el 73 nosotros no teníamos proyecto ... pero sí aceptamos lo que el gobierno planteó: la libre empresa y una serie de valores que considerábamos fundamentales." Siehe diese Äußerungen bei G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 132.

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Das durch den Militärputsch geschaffene unmittelbare Beziehungsgeflecht zwischen Unternehmern und Staat favorisierte diejenigen Gruppen mit direktem Zugang zu den militärischen Machthabers Da die gesamte Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sowie Teile der Mittelschichten mit Repression verfolgt wurden, verstärkte sich die überlegene Position der Unternehmer im sich herausbildenden autoritären Institutionengefüge quasi automatisch. Zur Besetzung von Ministerien und Positionen im Staat griffen die Militärs auf bereits etablierte Bindungen aus der Zeit vor dem Staatsstreich zurück. Insbesondere die Marine, die den Putsch innerhalb der Militärs zunächst anführte, hatte über ihren 'alten Kameraden* Roberto Kelly - einem Marine Captain mit engen wirtschaftlichen Bindungen an die grupo Edwards - enge Beziehungen zum sog. 'Montags-Club'5 etabliert, den die Militärs bereits vor dem Putsch beauftragt hatten, ein Wirtschaftsprogramm für die Zeit der Diktatur zu entwerfen. Dies geschah damals in der Wirtschaftsabteilung der SOFOFA, die diese Aktivitäten unter dem Codewort 'El Ladrillo' koordinierte.6 Das von 'El Ladrillo' entworfene politische und wirtschaftliche Programm fand im 'Montags-Club' sowohl bei Vertretern traditioneller wie internationalisierter grupos breite Zustimmung. Es beinhaltete die Öffnung der chilenischen Märkte zur ausländischen Konkurrenz und die Verfolgung einer exportorientierten Wachstumsstrategie ebenso wie die Reprivatisierung von verstaatlichten Unternehmen. Die Inflationsbekämpfung sollte über die Liberalisierung der Preise und das Einfrieren der Löhne und Gehälter erfolgen. Die Bildung eines privaten Kapitalmarktes wurde angestrebt. Dem 'Montags-Club' gehörte der engste Kreis hochrangiger Unternehmen svertreter an, der die Konspiration gegen die Allende-Regierung vorbereitete und plante. Seine sieben Mitglieder H. Cubillos (grupo Edwards), J. Ross (Edwards), R. Silva E. (Edwards), O. Sáenz (Edwards), E. Sanfuentes (Edwards), J. Vial (BHC) und M. Cruzat (BHC) trafen sich regelmäßig Montags. Nur Orlando Sáenz war hochrangiges Mitglied in einem Verband (SOFOFA). 'El Ladrillo' gehörten zehn hochrangige Persönlichkeiten an, von denen sechs Unternehmer waren. Drei von ihnen gehörten zur grupo Edwards (E. Undurraga, E. Sanfuentes, S. de Castro), drei zur grupo BHC (M. Cruzat, J. Braun, P. Baraona). Von diesen waren zwei Mitglieder der Nationalen Partei (Undurraga und Baraona), wobei erstgenannter auch hochrangiges Mitglied der SOFOFA, letztgenannter in der SNA war. Die verbliebenen vier Personen gehörten der PDC an (A. Bardón, A. Sanfuentes, J.L. Zabala, J. Villarzú) und hatten als Ökonomen in der Regierungszeit Frei wichtige Positionen in der Zentralbank inne. Das verbindende Element zwischen diesen Personen über Zugehörigkeiten zu grupos, Verbänden und Parteien hinweg war ihr Universitätsabschluß aus Chicago, der nur J. Braun und E. Undurraga fehlte, und eine damit einhergehende Ideologie. Siehe zum 'Montags-Club' und zu 'El Ladrillo' ausführlicher A. Cavallo/M. Salazar/O. Sepúlveda, La historia oculta del régimen militar, Santiago, 1988; Centro de Estudios Públicos, El Ladrillo. Bases de la política económica del gobierno militar chileno, Santiago, 1992; A. Fontaine, Los economistas y el Presidente Pinochet, Santiago, 1988; und Latín American Bureau (Ed.), Chile. The Pinochet Decade, London, 1983.

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Die Beziehungen zwischen Militär und 'Montags-Club' wurden nach dem Putsch ausgedehnt. Wieder war es Roberto Kelly, den die Militärs beauftragten, geeignete Empfehlungen fur einen zivilen ökonomischen Beraterstab zusammenzustellen. Kelly griff erneut auf Mitglieder des 'Montags-Clubs', insbesondere Orlando Säenz (SOFOFA) und Sergio Undurraga (Edwards) zurück, die ihrerseits entsprechende Personen benannten. Repräsentanten der traditionellen grupos wurden auf wichtige Ministerposten und Positionen innerhalb des Staates berufen, so daß zunächst nicht der Eindruck eines radikalen Bruchs mit der Importsubstitutionsvergangenheit entstand: Fernando Llniz, ein Unternehmer mit engen Bindungen an die grupos Edwards und Matte, wurde im Oktober 1973 Wirtschaftsminister; Raul Säez avancierte zum Chef des zivilen ökonomischen Beraterstabs. Er stand traditionellen Importsubstitutionsindustrien nahe und war einer der ersten Direktoren der CORFO. Orlando Säenz, Präsident der SOFOFA, wurde Koordinator für die Umschuldung der chilenischen Auslandsverbindlichkeiten und Roberto Kelly selbst Minister von ODEPLAN, der staatlichen Planungsagentur. Aber auch die stärker international ausgerichteten Konglomerate im 'Montags-Club1 wurden von den Militärs berücksichtigt: Die Chicago Boys bekleideten wichtige Stabsstellen in den Ministerien und füllten unter Führung der traditionellen Konglomerate die zweite Reihe. Die Zentralbank blieb den Christdemokraten vorbehalten. 7 "As a result of these networks, the leaders of the business and landowning associations - the outer, public, gradualist coalition - found at the highest level of government congenial counterparts with whom to exchange views on economic policy. According to prominent participants of that period, such as Orlando Säenz (SFF) and Manuel Valdds (CPC), major policy disagreements between big business and government officials did not for the most part exist. Moreover, the ministries were very receptive to businessmen who sought to iron out small differences or to gain some advantage. Of course, this did not mean that differences over policy between the private and public sector were entirely absent. The privatization of textile firms, price stabilization, and financial sector reform produced friction at times. Moreover, complaints mounted as the Chicago Boys gained control over the economic policy-making apparatus and more business groups found themselves excluded."®

Der Politikprozeß favorisierte in dieser Zeit also diejenigen Unternehmer, die einen graduellen Anpassungsprozeß unterstützten, da Personen mit engen Bindungen an die traditionellen grupos die wichtigsten wirtschaftlichen Ministerien kontrollierten und des weiteren Vertreter der Spitzenverbände der Wirtschaft privilegierten Zugang zu politischen Schlüsselinstitutionen im Staat hatten. Die Beziehungen zwiSiehe E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking in Authoritarian Chile 1973-1988, Ph.D. Dissertation, University of California, San Diego, 1991, S. 208 ff. E. Silva, Capitalist Coalitions, the State, and Neoliberal Economic Restructuring. Chile 1973-88, in: World Politics, Vol. 45, 1993, Num. 4, S. 542.

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sehen Regierung und Unternehmern waren dabei wenig institutionalisiert und personalistisch geprägt. Nach dem erfolgreichen Militärputsch brach die zeitweilig vereinheitlichte, aber überaus heterogene Bewegung der Verbände, die zum Sturz der Regierung Allende geführt hatte, wegen der unterschiedlichen Vorstellungen über die zukünftige Rolle der Bewegung unter jetzt gänzlich veränderten Bedingungen rasch auseinander. "El Movimiento Gremial se mostró brutalmente débil al momento de jugar un rol de construcción social y política, lo que indica que su fuerza previa descansó, sobre todo, en un principio de oposición a un antagonista (la Unidad Popular) pero que carecía de una identidad ideológica suficientemente fundada y menos tal vez de una visión del cambio social. Si alguien tuvo realmente esta última visión fue probablemente la cúpula SFF, COPROCO, pero muy alejada de una concepción de movimiento social, salvo en la fase del derrocamiento, puesto que luego se deñnó sólo como actor económico y cedió la conducción política al poder militar y quién declaró garante de sus intereses fundamentales."^ Die Frage nach der weiteren politischen Rolle der Verbändebewegung wurde insofern akut, als von seiten des Präsidenten des Comando Nacional de Acción Gremial, L. Vilarín, die Bildung einer Confederación Unica del Trabajo (CUT) vorgeschlagen wurde, die H. León (Cámara Chilena de la Construcción), M. Valdés (Confederación de Sindicatos de Empleadores Agrícolas) und J. Bazán (iConfederación Unica de Profesionales de Chile CUPROCH) unterstützten. Vilarín zielte mit der CUT speziell auf die kleinen und mittleren Unternehmer sowie Professionale ab. Daraufhin machte der Präsident der Cámara Nacional de Comercio, J. Martínez, Pläne öffentlich, eine Confederación Multigremial del Trabajo (CMT) gründen zu wollen, die angeblich von der COPROCO und ihren Mitgliedsverbänden sowie Teilen der CUPROCH und der Confederación del Transporte Terrestre unterstützt wurde, um Groß- und Kleinunternehmer zusammenzuführen. An der zentralen Organisation sollten jene Gremien beteiligt sein, die gegen die Unidad Popular mobilisiert hatten. 10 Beide Gruppierungen kamen nicht zustande, weil im Kreis der Verbandsführer diesbezüglich keine einheitliche Auffassung bestand. So bezeichnete es z.B. der damalige Präsident der COPROCO als Irrtum, die Gremien in eine politische Partei oder eine Alternative zu diesen verwandeln zu wollen und betonte v.a. die Autonomie der Verbände gegenüber dem Staat. Verbandspräsidenten wie Domingo Durán von der CPA verwiesen dagegen auf die außergremiale Funktion, die die Verbände wahrgenommen hätten. Dies sei zwar aufgrund der ® G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 100. In einem Interview mit der Zeitung El Mercurio vom 22/9/73 sagte Martínez folgendes: "Los últimos acontecimientos han revelado la magnitud de la fuerza gremial en Chile ... Esta fuerza gremial no debe destruirse. Por el contrario debe constituirse y robustecerse como un dique de contención contra eventuales intentos de retrocesos." Zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 95.

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außergewöhnlichen politischen Umstände jener Jahre geschehen und als ein vorübergehendes Phänomen zu sehen, dennoch dürfte das angehäufte Gewicht der Bewegung nicht verspielt werden und müsse sich in einer mehr oder weniger starken Institutionalisierung ihrer Interessen niederschlagen.11 Damit lassen sich in der ersten Phase der Diktatur zwei Konzeptionen differenzieren, die sich in anderer Form in den 70er Jahren noch mehrfach reproduziert haben. Diejenige Richtung, die als soziale Basis der Proteste gegen Allende diente, sah die dringende Notwendigkeit, die Organisationsstruktur der Gremien zu verbessern und ihre Macht zu stärken. Sie strebte eine substantielle und effektive Beteiligung der Verbände an der Formulierung der Wirtschaftspolitik der Regierung und der staatlichen Verwaltung ah, die einen eher korporativen Charakter tragen sollte. Hinter dieser Konzeption standen Sektoren wie die Transportunternehmer, Kleinhändler, Landwirte der Provinzen und einige kleine und mittlere Industrielle. Von den großen Verbänden sprach sich nur die SNA für einen geordneten Korporatismus aus, der formellere und institutionalisiertere Zugangskanäle zur Regierung etabliert hätte. Dem stand eine Strömung gegenüber, die von den Verbänden der Großunternehmer (COPROCO) getragen wurde, die einem korporativen Verhältnis zum Staat eher ablehnend gegenüberstanden. Damit war die Vorstellung verbunden, daß ihnen als natürlichen Bündnispartnern des Militärs aufgrund ihres Gewichts im Falle von personalistisch gestalteten Beziehungen eine privilegierte Rolle zufallen würde. Sie optierten angesichts der Stabilisierungs- und Konsolidierungsbedingungen des Regimes und der vor ihm stehenden Aufgaben für das 'Einfrieren' der Gremienbewegung. Die Verbände sollten eher als technische Hilfsorganisationen fungieren. Die Frage, ob man die Gremienbewegung aufrechterhalten oder demobilisieren solle, hatte durchaus einen politischen Charakter: Befürworter der Gremien erachteten es für notwendig, die Macht der Unternehmer als Bewegung zu erhalten, um kollektive Verhandlungspartner der Militärs auf der politischen Bühne sein zu können und an strategischen Entscheidungen der Militärs beteiligt zu werden, um sie gegebenenfalls zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Umgekehrt dachten diejenigen, die auf eine Entmobilisierung der Bewegung setzten, daß die politische Entscheidungsgewalt letztlich allein in den Händen der Regierung liegen sollte, zu der sie dann einen privilegierten Zugang hätten. Während also die kleinen und mittleren Gremien aufgrund ihrer Rolle eine aktive Teilnahme an der Regierung forderten, bevorzugten die anderen die Delegation der Regierungstätigkeiten an die Junta und ihre Minister, solange und insofern ihre grundlegenden Interessen gesichert waren. Die Vertreter korporativ-institutioneller Regelungen und Strukturen befanden sich nach dem Putsch gegenüber den großen Wirtschaftsverbänden in einer schwachen Position: Zum einen opponierten jene Verbände gegen korporative Strukturen 11

Vgl. dazu G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 96 f.

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oder standen ihnen gleichgültig gegenüber, zum anderen waren gerade zentrale Befürworter eines korporativen Projekts von der Politik ausgeschlossen. Fehlende Vermittlungsinstanzen zwischen Staat und Gesellschaft schwächten zudem die Befürworter eines gesellschaftlichen Korporatismus weiter. Da unmittelbar nach dem Coup Großunternehmer in Schlüsselstellungen des Staates aufrückten und ihre Verbände guten Zugang zu den Instanzen der politischen Macht hatten - was nur in begrenztem Umfang für kleine und mittlere Unternehmer zutraf war für sie eine korporatistische Lösung nicht wünschenswert und angesichts der exklusiven und häufigen Zusammentreffen von Führungsgruppen dieser Verbände mit Ministem, Staatssekretären und der obersten Militärhierarchie auch überflüssig. In Anbetracht derartig günstiger Bedingungen unterstützten die dominanten Unternehmerkreise die Schaffung formaler Mechanismen der Interessenvermittlung nicht, zumal damit auch die Gefahr bestand, eventuell Arbeiter und Mittelschichten formal integrieren zu müssen. Sie bevorzugten ein System, in dem sie allein ihre Interessen verhandeln konnten. Dazu dienten ad hoc- und personalistische Beziehungen zwischen Regierung und Unternehmern weit besser als geregelt korporatistische Bindungen. Innerhalb der Militärs existierten gegenüber den Forderungen einiger Gremien, in bezug auf ihre wirtschaftlichen und politischen Vorstellungen formell als privilegierte Gesprächs- und Verhandlungspartner des Regimes anerkannt zu werden, unterschiedliche Positionen. Obwohl die allgemeinen wirtschaftspolitischen Orientierungen von Regierung und Unternehmerverbänden weitgehend übereinstimmten, bestanden in einzelnen Punkten der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Während einige Sektoren der Streitkräfte, wie der Kommandant der Luftwaffe General Leigh, sich für eine stärkere Berücksichtigung und effektive Einbindung der Gremien in den politischen Entscheidungsprozeß aussprachen, waren andere Sektoren, insbesondere die zunehmend an Einfluß und Gewicht gewinnenden Technokraten um die Chicago Boys, dagegen. Sie argumentierten, daß es nicht möglich sei, eine gemeinsame Regierung von Unternehmern und Militärs zu etablieren, weil dies die dringend benötigte Unabhängigkeit der Junta in Fragen der Restrukturierung und Anpassung vermindern würde. Diese Argumentation setzte sich schließlich durch und führte zur Zurückweisung der Forderung nach direkter, offizieller politischer Partizipation seitens einiger Gremien, die mit einer Zurückdrängung des Einflusses und der teilweisen Entmachtung nationalistischer Sektoren innerhalb der Streitkräfte und des Staates einherging. 12 Die gradualistische Wirtschaftspolitik in den ersten anderthalb Jahren nach dem Putsch (mit dem Hauptziel der Inflationsbekämpfung und ihren Elementen Liberalisierung der Preise, drastische Abwertung der Währung, Durchsetzung einer 12

Siehe G. Campero, Los empresarios chilenos en el régimen militar y el post-plebiscito, ILET, Ms., S. 14.

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restriktiven Lohnpolitik, Rückgabe besetzten Landes und requirierter und/oder intervenierter Unternehmen sowie einer leichten Öffnung zum Weltmarkt)13 stellte einen Kompromiß dar zwischen den Gruppen, welche die Importsubstitution befürworteten (und in der Vergangenheit eine Öffnung Chiles zum Weltmarkt abgelehnt hatten) und denjenigen Gruppen, die aufgrund ihrer internationalisierten Aktivitäten eine stärkere Öffnung der chilenischen Ökonomie befürworteten und reflektierte so die Interessen der Putschkoalition. Durch die mit der Unterdrückung intermediärer Vereinigungen (z.B. Parteien, Gewerkschaften) und der Beendigung des Koiporatismus einhergehenden weitgehend unvermittelten Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft kam den wirtschaftlichen Interessen der mächtigsten Akteure des Privatsektors ausschlaggebende Bedeutung zu. Für die Besitzer und das Top Management der wichtigsten Wirtschaftsgruppen leiteten sich die Einflußmöglichkeiten aus der substantiellen wirtschaftlichen Macht ihrer Unternehmen her, für die Unternehmerverbände der COPROCO ergaben sich Macht und Einfluß aus ihrer Kapazität der legitimen Interessenvertretung der jeweiligen Wirtschaftssektoren. Beide Gruppen konnten direkt ihren Einfluß auf die Regierung geltend machen, um ihre politökonomischen Präferenzen durchzusetzen. Neben direkten Kontakten nutzten sie Leitartikel in Chiles führenden Tageszeitungen als Medium, um in politische Debatten einzugreifen. Insbesondere die Zeitung El Mercurio, die einem der mächtigsten und traditionsreichsten Konglomerate - dem Edwards Clan - gehörte, erfüllte diesen Zweck. Aus entsprechenden Beiträgen ist ersichtlich, daß auch die traditionellen grupos (Edwards, Matte, Luksic, Yarur-Banna, Briones, Lepe) eine graduelle Öffnung der chilenischen Ökonomie zumindest auf regionale Märkte, die größeren von ihnen sogar zum Weltmarkt hin befürworteten, weil sie über die entscheidenden wirtschaftlichen Ressourcen zur Anpassung und Modernisierung ihrer Unternehmenseinheiten verfügten. Den internationalisierten grupos (BHC, CruzatLarrafn, Menéndez, Angelini), die durch Bankkapitale dominiert wurden und den Export verarbeiteter Produkte sowie internationale Handels- und Agroexportaktivitäten umfaßten und die von ihren wirtschaftlichen Interessen her für eine weitergehende Liberalisierung der Ökonomie hätten eintreten können, kam aufgrund der Nationalisierungspolitik der UP unmittelbar nach Etablierung des Militärregimes keine markante öffentliche Rolle zu. Sie unterstützten aber ebenfalls die eingeleitete graduelle Öffnung der Ökonomie. In den mächtigsten Unternehmen Chiles fanden die Militärs entscheidenden Rückhalt für ihre Politik. Obwohl den traditionellen grupos zu dieser Zeit eine wichtige Funktion im politischen Prozeß zukam, war die Rolle der Verbände der Großunternehmer sowohl in öffentlichen Debatten wie auch in Verhandlungen mit der Regierung noch weit bedeutsamer. Unter den Auspizien der COPROCO fanden ständig Treffen einzelner 1 Siehe T. Moulian/P. Vergara, Estado, ideología y políticas económicas en Chile (19731979), Santiago, 1980.

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Mitgliedsverbände mit Regierungsvertretern statt, die den zukünftigen Kurs der Regierung abstimmten. Die SNA forderte u.a. die freie Verkäuflichkeit von Grund und Boden, eine freie Preisbildung für Landwirtschaftsprodukte, Subventionen für Getreide, die Liberalisierung agrarischer Exporte und die Rationalisierung von agrarischen Importen. Forderungen der SOFOFA beinhalteten die vollständige Reprivatisierung der durch die Unidad Popular übernommenen Unternehmen, und die Cámara Nacional de Comercio verhandelte mit der Regierung über Steuerfragen. Alle Verbände der COPROCO - SOFOFA, SNA, SONAMI, CANACO, CCC - befürworteten den graduellen Anpassungsprozeß, der auch Zollsenkungen beinhaltete, wobei die SOFOFA diesbezüglich noch die größten Bedenken artikulierte und die Agrarier der SNA sich von allen Verbänden am explizitesten für graduelle Zollsenkungen aussprachen, weil die alten Zollstrukturen ihrer Meinung nach die Landwirtschaft über dreißig Jahre hinweg diskriminiert hätten. Da aber ein beträchtlicher Teil der Mitglieder der SNA-Führung 'traditionelle' Produkte herstellte, die einer gewissen Protektion vor internationaler Konkurrenz bedurften, sprachen sie sich nicht für eine vollständige Liberalisierung aus. Die SNA trat für einen Zollschutz über veränderte Instrumentarien ein. Insbesondere forderte sie die Festlegung von Preisschwankungsbreiten. Aufgrund ihrer Position auf dem Weltmarkt sprachen sich SONAMI und CANACO ebenfalls für Zollsenkungen aus. Für beide Verbände stellte die internationale Ökonomie einen wichtigen Referenzrahmen dar. Die Großhändler vertretende Cámara Nacional de Comercio arbeitete nach dem Militärputsch eng mit COPROCO und Regierung zusammen, um zu einer Reformierung der Zollstrukturen zu kommen, die von ihren Mitgliedern enthusiastisch begrüßt wurde. Auch die Sociedad Nacional de Minería sprach sich in der Hoffnung auf größere Investitionen im Minensektor für Zollsenkungen aus, obwohl sie als Organisation durch die Nationalisierung der Kupferminen geschwächt wurde. Selbst die SOFOFA trat in Anbetracht wachsender Schwierigkeiten und Engpässe des chilenischen Entwicklungsmodells für den Abbau der Zollsätze ein. Dieser sollte aber langsam und langfristig vor sich gehen sollte, damit den Industriellen genügend Zeit zur Anpassung bleibe.14 Damit unterstützten alle Sektoren des Großunternehmertums - von den Verbänden der COPROCO bis hin zu den grupos - eine graduelle Anpassung der Ökonomie zur Durchsetzung eines anderen Wirtschaftsmodells. Diese Haltung ist nur bezüglich der SOFOFA einigermaßen überraschend und erklärungsbedürftig, votierte sie doch traditionell für eine hohe Abschottung des Binnenmarktes zum Schutz ihrer Industrien vor der Weltmarktkonkurrenz. Für ihre Zustimmung zu

14

Siehe E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 168-180.

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einer graduellen Liberalisierung der Ökonomie können verschiedene Faktoren verantwortlich gemacht werden: - Die enge Verflechtung von grupos und SOFOFA führte dazu, daß letztere 1973 und 1974 von Personen der traditionellen grupos und transnationalen Konzerne dominiert wurde. Sie unterstützten einen graduellen Anpassungsprozeß, weil sie die wirtschaftlichen Mittel dazu hatten. Von den vier Mitgliedern des Direktoriums der SOFOFA hatten der Präsident und zwei Vizepräsidenten enge Bindungen zu traditionellen Konglomeraten. Der Schatzmeister entstammte einer internationalisierten grupo. Von den siebzehn Mitgliedern des Exekutivkomitees gehörten sechs den traditionellen grupos, zwei transnationalen Konzernen und drei internationalisierten grupos an. Von den einunddreißig Mitgliedern des Rats der SOFOFA entstammten zwar sechzehn Personen international nicht wettbewerbsfähigen Wirtschaftsbranchen (Metall-, Textil-, Elektro-, Chemieindustrie), was einen stärkeren Protest gegen Zollsenkungen hätte erwarten lassen. Doch von diesen sechzehn hatten sechs Mitglieder Interessen in anderen Wirtschaftsbereichen (Handel, Finanzen, Landwirtschaft), vier waren hochrangige Persönlichkeiten der internationalisierten grupo Vial (BHC), und zwei arbeiteten für einen multinationalen Konzern. Die Notwendigkeit zum Protest gegen die verfolgte Politik war also bei zwölf von sechzehn Ratsmitgliedern nur äußerst partiell gegeben. Damit waren die lediglich auf den Binnenmarkt gerichteten und dort in nicht wettbewerbsfähigen Zweigen verankerten Industriellen eine Minderheit in der SOFOFA. 15 - Eine Reihe nationaler Faktoren spielte eine wichtige Rolle. Erstens führten die Erfahrungen mit der Nationalisierungspolitik der UP zu wirtschaftsliberaleren Positionen der Industriellen und zu einer stärkeren Betonung von Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit, die eine Reduktion der Rolle des Staates und eine Öffnung zum Weltmarkt voraussetzte. Zweitens befanden sich die Industriellen durch die Nationalisierungspolitik der UP noch in einer Schwächeperiode, die ihre Hauptaufmerksamkeit eher auf die Reprivatisierung denn auf die Zollpolitik richtete. Drittens schließlich fanden sich Industrielle im Verarbeitungssektor für den Binnenmarkt isoliert gegenüber anderen Unternehmenssegmenten, die für eine Reduktion der Zollschranken eintraten. Damit bestanden lediglich in der SOFOFA als einem von mehreren großen Verbänden Bedenken gegen eine Liberalisierung, die sich allerdings nicht durchsetzen konnten. - Schließlich trugen auch internationale Faktoren zur Verhaltensänderung der SOFOFA bei. Die Importsubstitution brachte im Laufe der Jahre immer stärker externe Engpässe hervor, die sich mit den Ölpreiserhöhungen 1973 nochmals verschärften und die Notwendigkeit alternativer Devisenerwirtschaftung drastisch vor Augen führte, zumal seit den 60er Jahren auch die Kreditvergabe seitens intematio15

Siehe dazu E. Silva, Capitalist Coalitions, the State ..., a.a.O., S. 538.

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naler öffentlicher Gläubiger als Ausgleichsfinanzierung gesunken war. Dagegen nahm die Bedeutung privater Bankkredite zu, mit denen ein Bedeutungszuwachs von Handels- und Finanzaktivitäten und ein sukzessiver Ansehensverlust der alten ISI-Industrien verbunden waren, und wertete internationalisierte Aktivitäten insbesondere im Finanzbereich auf. Die genannten Faktoren schwächten die Position protektionistisch eingestellter Industrieller zusätzlich, da mit einem hohen Zollschutz für verarbeitete Güter nicht länger Wirtschaftswachstum und damit verbunden eine gewisse soziale und politische Stabilität des Landes garantiert werden konnte.16 Selbst wenn die SOFOFA als Verband für die Beibehaltung hoher Zollsätze eingetreten wäre, hätte sie keine Unterstützung anderer Unternehmenssegmente erhalten. Damit war der Politik des Militärregimes die ungeteilte Zustimmung der Unternehmerverbände sicher. Äußerungen von Jorge Fontaine (COPROCO), Raúl Sahli und Orlando Sáenz (SOFOFA), Vertretern der SNA, der Cámara Nacional de Comercio und von ASIMET, aber auch der kleineren Verbände (z.B. seitens Domingo Durán von der Confederación de Sindicatos de Empleadores Agrícolas, der CONUPIA, der Confederación de Dueños de Camiones und der Confederación de Dueños de Autobuses y Taxibuses) zeigen dies. Sie verdeutlichen die Unterstützung der Regierung und die Hoffnungen, die sich mit dem radikalen Neuanfang und den angekündigten tiefgreifenden Reformen verbanden. Mit ihnen ging die Überzeugung einher, daß die ergriffenen 'Notstandsmaßnahmen' schnell zur Wiederherstellung der makroökonomischen Gleichgewichte und auf den Wachstumspfad zurückführen würden und zwar eine kurze Zeit Opfer erforderten, es dann aber zur Konsolidierung der Ökonomie auf der Basis des privaten Unternehmertums, des freien Wettbewerbs und freier Preisbildung komme.17 Dennoch wuchs bereits zur damaligen Zeit bei einigen Unternehmern die Besorgnis wegen des technokratischen Zuschnitts und zunehmend ultraliberalen Charakters der Wirtschaftspolitik. Sie verstärkte sich in dem Maße, wie sich die wirtschaftliche Situation keineswegs zu bessern begann und über die dekretierten Zollsenkungen im April 1974 eine Vielzahl von Produkten frei importiert werden konnte, was direkt kleine Händler und Industrielle traf. Mit der Ernennung von Jorge Cauas zum Finanzminister im Juli des gleichen Jahres wurde die Öffnungspolitik weiter vorangetrieben und der Kampf gegen die Inflation nicht nur über die Freigabe der Preise, sondern auch über die Reduktion des Fiskaldefizits betrieben. Die Liberalisierung des Kapitalmarktes, die Erleichterung von Auslandsinvestitionen und eine Steuerreform (Abschaffung der Kapital- und Senkung der Gewinnsteuern) ergänzten diese Politik. Gleichzeitig setzte sich in den Sektoren der kleinen und mittleren Unternehmer immer stärker der Eindruck durch, daß sie von jeder effek17

Vgl. E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 180-201. Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 101 ff.

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tiven Beteiligung an der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik ausgeschlossen waren und die Militärregierung ein ihren Vorstellungen zuwiderlaufendes Modell umsetzte. Die im politischen Bereich erwartete größere Macht für die Gremien (inklusive institutionalisierter Formen der Mitsprache und Intervention in politischsoziale Angelegenheiten) und die im ökonomischen Bereich erhoffte stärkere staatliche Protektion und Förderung wurden durch die Regierungsmaßnahmen nicht in Betracht gezogen. Angesichts der Tatsache, daß sie die wirkliche Massenbasis waren, welche die Installierung der Diktatur erst ermöglicht hatte, war ihre Reaktion durch Frustration und zunehmende Ungewißheit geprägt. Dagegen reagierte der strategische Kern der Unternehmerverbände um die COPROCO aggressiv auf die relative Orientierungslosigkeit der kleineren Verbände und profitierte vom in Gang gesetzten Wirtschaftsmodell. Die Herausforderung durch den Wettbewerb und die damit einhergehende Effizienz stilisierte der Verband zum neuen Ethos der Unternehmer. In seinem Diskurs verbanden sich wirtschaftliche Herausforderungen mit der patriotischen Mission des Wiederaufbaus und einer Position der 'Disziplin' gegenüber den Regierungsautoritäten. Damit stellte sich eine Interessengemeinschaft zwischen jenen und dem Pinochet-Regime her, die zwar mehr auf der Ebene allgemeiner Prinzipien und Normen angesiedelt war, denn um die spezifische Ausgestaltung des politischen oder wirtschaftlichen Modells kreiste, aber die Verbände der COPROCO trotz einzelner Differenzen doch viel stärker mit der Politik des Militärregimes verband als mit Positionen von Transportunternehmern, Kleinhändlern, mittleren und kleinen Landwirten sowie professionalen Mittelschichten. Damit tauchten die alten 'Feindschaften' und Gegensätze zwischen großen und kleinen Unternehmern wieder auf.1®* Die Wirtschaftspolitik wurde in der Folgezeit in immer stärkerem Maße von einem technokratischen Segment im Staatsapparat bestimmt. Dies führte aufgrund der großen Übereinstimmung bezüglich der allge18

Der unterschiedliche Nutzen der dekretierten Maßnahmen kommt in Äußerungen von Rafael Cumsille, Präsident der Comerciantes Detallistas, zum Ausdruck, der die Resultate der Wirtschaftspolitik evaluierend schrieb: "Hay un poder económico que no tiene partido ni religión y sólo le preocupan sus intereses ... no luchamos para que en este país un pequeño grupo fuera beneficiado ... esta política perjudica a la clase media y pobre." El Mercurio vom 21/11/74. Solche Äußerungen, die von SIDECO und CONUPIA unterstützt wurden, bezeichnete Jorge Fontaine, Präsident der COPROCO, als "demagogisch": "Hay sectores más audaces y otros que esperan que todo les sea aclarado ... éstos van a perder el tren." Diese Aussagen reflektieren zudem die Art der Auseinandersetzung zwischen dem Kem der Großunternehmer (COPROCO, SOFOFA, SNA) und den kleinen Händlern und Industriellen. Siehe dazu G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 108 f. Die zunehmenden Gegensätze beschrieb auch der Präsident der SOFOFA, Orlando Sáenz, einer der wichtigsten Figuren in der Mobilisierung der Unternehmer gegen die UP, im Januar 1975 in der Zeitschrift Visión: "Las fuerzas cívicas organizadas que existían hace quince meses hoy se encuentran notablemente disminuidas. La mística que las cohesionó durante el tiempo marxista se ha ido debilitando y han aflorado notables diferencias entre ellas." 273

meinen Prinzipien und der Funktionsweise der Ökonomie zwischen Großunternehmern und Regierung quasi zu einer ideologischen Kooptation der einflußreichsten Unternehmerverbände (COPROCO, SNA, SOFOFA), die in der Folgezeit die offiziellen strategischen und theoretischen Positionen der Regierung bezüglich der Entwicklung des Landes übernahmen und diese an ihrer Basis verbreiteten.

3.

Die Phase der Umsetzung des neoliberalen Modells und des nachfolgenden Wirtschaftsbooms (1975-1981)

Die Zeit von Mitte 1975 bis Mitte 1981 ist durch die radikale Umsetzung des monetaristischen Wirtschaftsmodells durch die Wirtschaftsequipe der Chicago Boys und die nachfolgende Intensivierung und Konsolidierung ihrer Strategie der ökonomischen Liberalisierung bestimmt. Mit ihr wurde die chilenische Wirtschaft sukzessive und definitiv zum Weltmarkt hin geöffnet und die Unternehmer verstärkt der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt. Der Rückzug des Staates aus seinen traditionellen Aufgaben und die einzelnen Mechanismen zur Durchsetzung eines international offenen Marktmodells (Zollsenkungen, Wechselkurs- und Verschuldungspolitik etc.) führten im ökonomischen Bereich weniger zu einer Produktions- als vielmehr zu einer Spekulationshaltung, die sehr unterschiedliche Konsequenzen für die Unternehmer hatte. Teile der Unternehmer akzeptierten die ideologischen Doktrinen der Chicago Boys, Teile lediglich die grundsätzlichen Orientierungen des Militärregimes; alle unterstützten jedoch die Diktatur in politischer Hinsicht bedingungslos. Innerhalb dieses 'Konsenses' wuchsen aber die Spannungen infolge der drastischen Anpassungen, die das neoliberale Modell den an staatliche Protektion gewöhnten Unternehmern abverlangte, und der zunehmenden Auflösung althergebrachter Produktionsstrukturen des Landes, die für einige Sektoren der Unternehmerschaft positive Wirkungen zeigte (insbesondere für Exporteure, Handels- und Finanzinteressen), andere dagegen in eine tiefe Krise stürzte (Importsubstitutionssektoren der verarbeitenden Industrie, traditionelle Sektoren der Landwirtschaft). Die Persistenz einer Vielzahl von Konflikten in dieser Zeit übertrug sich aber (noch) nicht in eine offene Krise des Systems und in einen generellen Vertrauensverlust seitens der Unternehmer in 'ihre' Regierung. Dies hatte mehrere Gründe: - Obwohl die Schockpolitik und ihre Folgen tiefgreifende Auswirkungen auf viele Unternehmenssektoren hatten (insbesondere kleine und mittlere binnenmarktorientierte Unternehmer), griff doch die Regierungspropaganda, daß bestimmte schmerzhafte Anpassungsprozesse durchgemacht werden müßten, bis eine allgemeine Besserung der ökonomischen Situation einträte. Diese insbesondere von den Großunternehmern gestützte Position betonte zudem, daß die kurzfristigen negativen Auswirkungen der Anpassung keineswegs mit den langfristigen Vorzügen des 274

Modells als solchem verwechselt werden dürften. Demgegenüber konnten die kleinen und mittleren Unternehmer keine viablen Alternativen entwickeln, sondern versuchten, sich gegen die sie am stärksten in Mitleidenschaft ziehenden Aspekte der umgesetzten Politik zu verteidigen. Auf diese Weise führten die permanenten Konflikte zwischen kleinen und mittleren Unternehmern einerseits sowie großen Unternehmern und der Regierung andererseits nicht zu einer Oppositionsbewegung mit konsistenten und umfassenden Alternativen der wirtschaftspolitischen Neugestaltung. - Der wirtschaftliche Boom seit 1977 schuf ein subjektives Klima der Prosperität. Auch wenn offensichtlich war, daß der ökonomische Erfolg nur für einige wenige Unternehmenssektoren Realität wurde und keineswegs für die gesamte Unternehmerschaft zutraf (geschweige denn für die gesamte Bevölkerung), entwickelte sich dieses durch die Massenkommunikationsmittel der Regierung bzw. der regierungsnahen Presseorgane (z.B. El Mercuriö) in großem Stil verbreitete Gefühl nicht zuletzt zu einer erheblichen psychologischen Barriere, die noch dadurch verstärkt wurde, daß die Kritiker aus den Reihen der benachteiligten Unternehmenssektoren kaum über eine angemessene Öffentlichkeit verfügten. Da zudem durch die medienwirksamen Kampagnen ein Bild kolportiert wurde, welches darauf abzielte zu zeigen, daß die wirtschaftliche Erfolglosigkeit v.a. im persönlichen Versagen des einzelnen zu suchen sei (Inefflzienz oder zu geringe unternehmerische Neigungen), erschienen die Forderungen und Konflikte der benachteiligten Sektoren als Reaktionen, denen objektiv keine Berechtigung zukam. - Die große Mehrheit der Unternehmer und ihrer Organisationen maß der politischen Loyalität gegenüber der Militärregierung weit größere Bedeutung zu als der Kritik an wirtschaftlichen Maßnahmen, die ja sehr unterschiedliche Auswirkungen hatten. Dies wurde insbesondere in bezug auf die in der Boomphase durchgesetzten 'Modernisierungen' der Gesellschaft und die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 1980 deutlich. 19 Die Konflikte, die sich zwischen verschiedenen Unternehmerfraktionen und jenen und der Regierung in den Jahren zwischen 197S und 1981 konstant ereigneten, nahmen je nach politisch-ökonomischer Konjunktur unterschiedliche Verlaufsformen an, führten aber in keinem Fall zu einem Bruch mit der Regierung. Die Konflikte lassen sich insgesamt unter drei größere Themenbereiche subsumieren: a) der Notwendigkeit, bestimmten Wirtschaftsaktivitäten bzw. Produkten im Sinne einer ökonomisch verstandenen 'nationalen Sicherheit' einen 'strategischen Charakter' beizumessen: Dies traf insbesondere auf den Landwirtschaftssektor und dort wiederum auf einige Grundnahrungsmittel zu. Das Land könne es sich diesbezüglich nicht leisten - so die Standardargumentation -, sich den Unwägbarkeiten des Vgl. G. Campero, Los empresarios chilenos en el régimen militar ..., S. 15 ff.

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Weltmarktes auszusetzen und müsse folglich eine eigenständige agrarische Ernährungsbasis bewahren, auch wenn dies der neoliberalen Doktrin zuwiderlaufe. Die Verfechter sogenannter strategischer Produkte zielten damit auf nationalistische Einstellungen innerhalb des Militärs. V.a. die kleinen und mittleren Landwirte des Südens (CPA u.a.) waren hier die Hauptakteure, die in einzelnen Konfliktfällen mit der Unterstützung der SNA, in anderen ohne die SNA agieren mußten, was zu einer ganzen Reihe von ernsten Konflikten zwischen beiden Verbänden und mit der Regierung führte. Der Ausgang der Konflikte wurde im einzelnen noch durch die Haltung der Industriellen (SOFOFA) mitbestimmt und beeinflußt. b) der Krise der nationalen Industrie (insbesondere der Importsubstitutionssektoren) samt ihren Auswirkungen auf die externe Dependenz des Landes sowie damit einhergehend die Frage der richtigen Applikation der Wirtschaftspolitik: Hier wiesen Kritiker aus den Reihen der Industriellenverbände darauf hin, daß die Art der Umsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells weite Bereiche der in mehr als 40 Jahren entstandenen industriellen Produktionskapazitäten des Landes zerstören bzw. schwer in Mitleidenschaft ziehen würde. Diesbezüglich entwickelte sich im Laufe der Zeit in den einzelnen Sektoren der Industrieunternehmerschaft eine immer größere Konvergenz. c) des dualen Charakters der wirtschaftlichen Entwicklung als Folge des Wirtschaftsmodells: Aufgrund der unterschiedlichen Einbindung verschiedener Wirtschaftssektoren in das Modell der Weltmarktöffhung - so die Kritiker - komme es zu einer zunehmenden Dualisierung der Produktionsstrukturen. Während Teile der Ökonomie äußerst erfolgreich seien, erlebten andere eine langanhaltende Krise, die zu einer äußerst ungleichen Entwicklung führe und in gefährliche soziale Spannungen münden könnte. Mit dem Wirtschaftsboom habe sich diese Entwicklung noch dramatisiert.2® 3.1.

Der Aufstieg der Chicago Boys und die Durchsetzung einer neuen dominanten Unternehmerkoalition

Die erste Phase der Militärdiktatur fand ihr offizielles Ende mit der Verkündung des Plan de Recuperación Económica und der Durchsetzung der sog. Schockpolitik im April 1975. Damit war gleichzeitig das Ende der eine gradualistische Anpassungs- und Wirtschaftspolitik favorisierenden Koalition unternehmerischer Interes20

Siehe zu den folgenden Kapiteln grundlegend G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O.; £ Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policy Making ..., a.a.O.; E. Rivera, Innerbürgsrliche Auseinandersetzungen und Wirtschaftspolitik unter der Militärdiktatur in Chile 1973-1978, Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bei der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der FU Berlin, Berlin, 1981.

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sen gekommen, in dessen Zentrum noch die für den Binnenmarkt produzierenden Großunternehmer des Industriesektors standen, die durch die traditionellen grupos económicos und die SOFOFA repräsentiert wurden. Sie wurden von internationalisierten grupos und agrarischen Großunternehmern verdrängt, die eng mit den Chicago Boys verbunden waren. Die aufstrebende neue Koalition maß der Industrialisierung keine hervorgehobene Bedeutung mehr bei, sondern betonte Finanzaktivitäten und Primärgüterexporte des Land- und Forstwirtschaftssektors. Die Machtverschiebung zugunsten der internationalisierten (insbesondere Vial und Cruzat-Larrafn) und zuungunsten der traditionellen grupos war die Konsequenz einer Situation, in der nationale und internationale Faktoren zusammengespielt hatten. 21 - Die Nationalisierungspolitiken der Unidad Popular hatten einen Großteil des Unternehmenssektors geschwächt und insbesondere die traditionellen grupos in Mitleidenschaft gezogen. Die Rückgabe dieser Unternehmen in Privatbesitz stellte nach dem Putsch eine der höchsten Prioritäten der Unternehmer dar, die auch wesentlicher Verhandlungspunkt zwischen SOFOFA und Wirtschaftsministerium waren. Die Unternehmer wollten aber nicht nur eine Rückkehr zum status quo ante, sondern den Privatisierungsprozeß auch auf die Unternehmen ausgedehnt wissen, die traditionell in Staatsbesitz waren. Kurz nach dem Staatsstreich gab die Militärregierung requirierte und/oder intervenierte Unternehmen an die früheren Besitzer zurück, wodurch die internationalisierten grupos • insbesondere Vial und CruzatLarrafn - gestärkt wurden. Beide hatten sich geweigert, ihre Besitztümer an die UP zu 'verkaufen', so daß sie 'lediglich' interveniert wurden und entsprechend kein langes Procedere für die Rückgabe notwendig war. Beide Konzerne bestanden an zentraler Stelle aus Bankunternehmen und Finanzgesellschaften. Die schnelle Verfügung über große Geldkapitalmittel und gute Beziehungen zur internationalen Finanzwelt verliehen ihnen im Prozeß der Reprivatisierung und des Aufbaus bzw. der Reform des Kapitalmarktes22 einen entscheidenden Vorsprung gegenüber den traditionellen grupos. Diese verfugten nicht über eigene Banken, kontrollierten keine Finanz- und Dienstleistungsaktivitäten nennenswerten Ausmaßes und mußten zudem länger über die Rückgabe ihrer 'verkauften' Kapitalanlagen verhandeln.2-*

22

23

Siehe zum folgenden allgemein E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymakiiig .... a.a.O., S. 233-261. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang war die Schaffung sog. financieras, die als Nicht-Bankinstitutionen galten und mit nicht regulierten Zinssätzen arbeiten konnten. Cmzat-Larrain und Vial waren die ersten grupos, die solche financieras etablierten. Siehe CORFO, Privatización de empresas y activos 1973-1978, Santiago, O.J.; J.P. Arellano, De la liberalización a la intervención. El mercado de capitales en Chile 1974-1983, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 11, 1983, S. 5-49 ; und F. Dahse, El mapa de la extrema riqueza, Santiago, 1979.

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- Bis 1975 gelang es der 'gradualistischen Wirtschaftskoalition' nicht, der Wirtschaftskrise Herr zu werden. Ausbleibende Erfolge in der Inflationsbekämpfung und der Stabilisierung der Ökonomie ließen die Wirtschaftspolitiker für radikalere Reformen empfänglicher werden. Die einzigen, die aber zur damaligen Zeit über konkrete und theoretisch konsistente Vorstellungen verfügten, mittels welcher Maßnahmen die Wirtschaft reaktiviert und später auch konsolidiert werden könnte, waren die Chicago Boys. Je länger die schlechte ökonomische Lage anhielt, desto erfolgversprechender erschien eine deflationäre Schockpolitik, die - so wie später durchgeführt - produktive Investitionen in fixe Kapitalanlagen gegenüber Finanztransaktionen stark benachteiligte. Damit erhöhte sich einerseits das Prestige der Chicago Boys, andererseits erfuhren die internationalisierten grupos durch die Resultate der Schockpolitik einen Bedeutungszuwachs. Da zudem die Reprivatisierung der bedeutendsten Banken gegen Ende 1975 in die Hochphase der Rezession fiel, war die starke Konzentration der Bankkapitale bei einigen grupos vorgezeichnet. - Nicht zuletzt haben die Machtverschiebungen innerhalb der Junta dazu beigetragen, den internationalisierten grupos und den Chicago Boys zur Dominanz zu verhelfen. Im Gegensatz zu späteren Behauptungen Pinochets war es die Marine und nicht das Heer, die den Staatsstreich mit führenden Unternehmern vorbereitete, plante und später auch die Kontakte mit dem 'Montags-Club' hielt. Entsprechend war die Marine zunächst für die Wirtschaftsangelegenheiten zuständig und sozusagen das 'gradualistische' Gegenstück zu der entsprechenden Fraktion der Unternehmer innerhalb der Armee. In dem Maße, wie in der Junta unterschiedliche Vorstellungen über den weiteren Verlauf der Diktatur (wirtschaftspolitische Maßnahmen, Rückkehr zur Demokratie etc.) auftraten und Pinochet seine 'Alleinherrschaft' gegen andere Waffengattungen konsolidieren konnte, verloren auch deren wirtschaftspolitische Präferenzen an Bedeutung. Die Chicago Boys boten gegenüber den Beratern der traditionellen grupos den Vorzug, nicht nur loyal zu Pinochet zu stehen, sondern des weiteren auch nur geringe Bindungen an jene gesellschaftlichen Akteure aufzuweisen, die eine schnelle Rückkehr zur Demokratie befürworteten. 24 - Darüber hinaus haben auch internationale Faktoren zu dieser Machtverschiebung beigetragen. Zunächst wären zu erwähnen die weltweite Rezession Anfang/Mitte der 70er Jahre und die fallenden Preise für Kupfer auf dem Weltmarkt, die in Zeiten starker Ölpreissteigerungen einen Ausfall dringend benötigter Devisen bedeuteten. Diese weltwirtschaftlichen Bedingungen favorisierten diejenigen internationalisierten grupos, die über den Export nichttraditioneller, halbverarbeiteter Produkte potentiell zur Devisenerwirtschaftung beitragen konnten, gegen24

Siehe ausführlicher A. Cavallo/M. Salazar/O. Sepúlveda, La historia oculta del régimen militar, Santiago, 1988, S. 47-70; Latín American Bureau (Ed.), Chile. The Pinochet Decade, a.a.O., S. 46-55.

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über denen, die für den Binnenmarkt produzierten und in der Perzeption von Teilen des Militärs eben zum Verbrauch nicht selbst erwirtschafteter Devisenreserven beitrugen. Zusätzlich konnten diese grupos über ihre Beziehungen zu den internationalen Finanzmärkten als Kreditvermittler für den nationalen Markt fungieren und Finanzmittel zur Expansion der Ökonomie bereitstellen, womit ihnen eine wichtige Rolle bei der Integration in den (monetären) Weltmarkt zufiel. Unter diesen Umständen konnten die internationalisierten grupos, ausgestattet mit überlegenen finanziellen Möglichkeiten und der Kontrolle über die dynamischsten Sektoren der Ökonomie (angefangen von finanziellen Dienstleistungen über die Forstwirtschaft und Fischerei, den Export von Landwirtschafts- und Minengütern hin zum Import-Export-Geschäft), auf eine Verschärfung der Anpassung nach monetaristischen Prinzipien drängen. Ihr wesentliches Sprachrohr wurde die größte Zeitung des Landes - El Mercurio die der grupo Edwards gehörte, welche sich rasch diversifiziert hatte und nicht nur über den 'Montags-Club' enge Bindungen an die Unternehmensgruppen von Vial und Cruzat-Larrafn aufwies. 25 Dies war um so leichter, als die Chicago Boys bereits wichtige Positionen im Staat 'erobert' hatten und in zunehmendem Maße die (moderaten) Christdemokraten aus Schlüsselpositionen • etwa der Zentralbank - verdrängten und von dort die Propagierung eines neoliberalen Marktmodells vorantrieben. Zentrale Persönlichkeiten der internationalisierten grupos, die bereits am 'Montags-Club' und an 'El Ladrillo' partizipiert hatten, halfen dabei, eine neue Politik zu konzipieren. Von höchstem symbolischen Wert war nicht zuletzt die Einladung zu einer weit beachteten Konferenz über Wirtschaftspolitik von Vials BHC-grupo an die Chicagoer Ökonomen Arnold Harberger und Milton Friedman im März 1975, bei der diese sich scharf gegen die gradualistische Politik der Regierung wandten. Dies war zugleich der direkteste Angriff gegen die herkömmliche Wirtschaftspolitik seitens der internationalisierten grupos.2i* Die internationalisierten Unternehmerkreise unterstützten die radikal liberale Wirtschaftspolitik mit ihren Elementen Deregulierung der Finanzmärkte, scharfe Zollsenkungen, Deflationierung der Wirtschaft und schnelle Privatisierung, weil sie ihren wirtschaftlichen Interessen entsprachen. Die Wahl und Durchsetzung eines monetaristischen Modells kam also einer politischen Allianz zwischen Teilen des Militärregimes (insbesondere Pinochet und dem Heer) und einem bestimmten Sektor der chilenischen Unternehmerschaft (den internationalisierten grupos) gleich, 25

Siehe G. Sunkel, El Mercurio. 10 años de educación político-ideológica 1969-1979, Santiago, 1983. Siehe zur Geschichte der Chicago Boys in Chile J.G. Valdés, La escuela de Chicago. Operación Chile, Buenos Aires, 1989; zur Durchsetzung der Chicago Boys im Staatsapparat V. Montecinos, Economics and Power. Chilean Economists in Government 1958-1985, Ph.D. Dissertation, University of Pittsburgh, 1988; sowie A. Fontaine, Los economistas y el Presidente Pinochet, Santiago, 1988.

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die im Verband mit den Chicago Boys bis Anfang der 80er Jahre die Politik in Chile monopolisieren konnten. Die Ökonomen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universidad Católica in Santiago wiesen schon lange vor dem Militärregime enge Bindungen zu den mächtigsten grupos auf, so daß es wenig überraschen kann, daß Schlüsselpositionen im Staat (Finanz- und Wirtschaftsministerium, Zentralbank, CORFO, Haushaltsabteilung etc.) von Absolventen der Chicagoer Universität besetzt wurden. Die internationalisierten grupos und die Chicago Boys hatten gegenüber anderen Unternehmern und grupos für das Regime zwei Vorteile. In dem Maße, wie sie die Ökonomie zu dominieren begannen, stärkte Pinochet sie durch die Ernennung solcher Personen in Schlüsselpositionen des Staates, die mit ihrer wirtschaftlichen Ideologie deren Politikforderungen durchzusetzen in der Lage waren und sich jenen verpflichtet wußten. Ohne die extreme Zentralisierung der politischen Macht in den Händen Pinochets hätten die internationalisierten grupos mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eine derartig dominante Position erringen können. Umgekehrt konnte Pinochet ihrer Unterstützung in der Ausgestaltung seiner politischen Macht sicher sein, weil grupos und Chicago Boys von seinem personalistischen Herrschaftsstil in vielfältiger Weise abhängig waren und erst durch ihn die Chicago Boys in die Lage versetzt wurden, relativ isoliert von allen anderen Unternehmerfraktionen, von den Unternehmerverbänden und natürlich allen gesellschaftlichen Gruppierungen Politik zu betreiben. Zudem waren die Zielsetzungen der mächtigsten grupos, ihrer Chicago Boys und der Spitzen des Militärregimes eng miteinander verwoben, insofern als sie alle eine grundlegende Restrukturierung der chilenischen Ökonomie anstrebten, die mit den alten Übeln der Importsubstitutionsphase radikal brach und damit gleichzeitig auch die Macht der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung schwächen wollte. "The consolidation of Pinochet's personal power gave the coalition of Chicago Boys and the internationalist conglomerates, whom Pinochet backed, great leeway in policy-making. Moreover, when he took over the Ministry of Finance, Jorge Cauas gave himself the power to appoint all subordinate positions without prior approval by the junta. This allowed him, and his Chicago Boys advisers and collaborators, to build a tight, ideologically cohesive network in the state administration. The fact that the Chicago Boys were beholden only to General Pinochet, or to ministers that served at his pleasure, gave them the power to largely, but not totally, ignore demands made by peak associations. Policy debates and sequences, however, reveal that during this period the Chicago Boys occasionally had to bow the demands from peak associations at the behest of Pinochet. Thus, within the policy process, the Chicago Boys' real triumph was their capacity to exclude business organisations from policy design. They accomplished this by keeping the policy process ad hoc, that is, they resisted pressure to institutionalize channels of

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access for business and landowning groups. Moreover, even where such access existed it was tenuous and ineffectual. Beginnend schon im Jahre 1974, endgültig jedoch seit 1975, sind sukzessive alle wichtigen Positionen innerhalb der Schlüsselministerien von Chicago Boys mit engen Bindungen an die internationalisierten Konzerne (v.a. Cruzat-Larrain und Vial, daneben aber auch Edwards und Aetna) besetzt worden. Im April 1975 ersetzte Sergio de Castro, ein Chicago Boy mit engen Bindungen an die grupo Cruzat-Larrain, Fernando Léniz als Wirtschaftsminister. Damit wurde die Position von Raúl Sáez als Koordinator für wirtschaftliche Angelegenheiten überflüssig. Beide zählten zu den sog. 'Traditionalisten' (i.e. den Verfechtern einer gradualistischen Wirtschaftspolitik) und hatten große Differenzen mit de Castro und dem schon amtierenden Finanzminister Jorge Cauas, die sich auch innerhalb des Militärs reproduzierten. Mit der Durchsetzung der monetaristischen Politik verlagerte sich das Zentrum wirtschaftspolitischer Entscheidungsprozesse vom Wirtschafts- auf das Finanzministerium, das bereits mit einem Chicago Boy besetzt war. Dies gab Jorge Cauas eine beträchtliche Kontrollmöglichkeit über eine Reihe weiterer Ministerien (Wirtschaft, Landwirtschaft, Minen, Arbeit, Transport, öffentliche Arbeiten, ODEPLAN, CORFO) und reflektierte den Bedeutungszuwachs des Finanzsektors sowie der monetaristischen Politikausrichtung selbst. Mit diesen Ernennungen und Umstrukturierungen konsolidierte sich die Macht der Chicago Boys in Regierungspositionen schnell. Bis Anfang 1983 war ihre Hegemonie im Staat ungebrochen, folgten doch im Finanzministerium auf Jorge Cauas mit Sergio de Castro (Cruzat-Larrain), Sergio de la Cuadra (Aetna) und Rolf Lüders (BHC) nur Chicago Boys mit engen Verbindungen zu den internationalisierten grupos, im Wirtschaftsministerium dagegen Vertreter der mächtigsten Unternehmenskonglomerate (teils Chicago Boys) nach, die aber die neoliberale Doktrin teilten. Zu erwähnen sind hier Pablo Baraona (Cruzat-Larrain), Roberto Kelly (BHC), José Federici (Cruzat-Larrain), die Armeegeneräle Ramos und Danüs (nur letzterer mit Bindungen an Edwards) und schließlich Rolf Lüders (BHC). Auch die Zentralbank wurde von Chicago Boys und Vertretern der größten grupos dominiert, in geringerem Umfang auch die CORFO und die Haushaltsabteilung.28 Die 27

E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 273 f. ® Ein allgemeiner vollständiger Überblick über die Verflechtung von Unternehmerinteressen und Regierungsämtern findet sich im Politikkapitel. Dort wird auch deutlich, daß sich die Präsenz von Chicago Boys und Vertretern der mächtigsten internationalisierten grupos nicht auf die genannten Ministerien beschränkte. Hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle lediglich José Piñera (Arbeits- und später Bergbauminister), Alfonso Márquez de la Plata (Agrar-, später Arbeits- und Sozialminister) und José Federici (Transportminister), die alle von Cruzat-Larrain kamen. Siehe M. Delano/H. Traslaviña, La herencia de los ChicagoBoys, Santiago, 1989, S. 32-36; F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, FLACSO, Contribuciones Num. 18, Santiago, 1983, S. 12 f., 16, 25, 28.

2

281

gesamte Politik, die von diesen Personen in jener Zeit konzipiert und implementiert wurde - angefangen bei der Schockpolitik über die Restrukturierung der Kapitalmärkte bis hin zu den Zollsenkungen fand die ungeteilte Zustimmung der internationalisierten grupos. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Verflechtung von Schlüsselpositionen des Staates mit den Chicago Boys bzw. bestimmten wirtschaftlichen Interessen in den Jahren 1975-1982:

282

Schaubild 8:

Die Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Macht in den Jahren 1975-1982

Ministerium/ Name

Zeitperiode

Verband

grupo

Finanzen: Cauas de Castro de la Cuadra Luders

07/74-12/76 12/76-04/82 04/82-08/82 08/82-02/83

-

C-L C-L Aetna BHC

X X

Wirtschaft: de Castro Baraona Kelly Federici Ramos Danús Loders

04/75-12/76 12/76-12/78 SNA/SFF 12/78-12/79 12/79-12/80 12/80-04/82 Armee 04/82-08/82 Armee 08/82-02/83 -

C-L C-L BHC C-L

Zentralbank: Präsidenten: Baraona Barddn de la Cuadra Kast Cáceres Vizepräsidenten: de la Cuadra Errázuriz de la B a n a Tapia CORFO: Soza Danüs Ramos Varela Ramírez

-

Edw BHC

1974-1976 1976-1981 1981-1982 1982-1982 1982-1983

SNA/SFF

-

IO

1976-1981 1981-1981 1981-1982 1982-1983

-

Aetna BHC

-

C-L BC Aetna

RM

Unternehmenstyp EK TNK N F

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X X X

X

X

X

X

X

X X

X X X

X

-

-

CB

X X

X X

X

X

X

-

07/74-09/75 10/75-07/79 08/79-12/80 12/80-03/81 03/81-08/83

Armee Armee Armee Armee

Haushaltsabteilung: Méndez Costábal

1975-1981 1981-1984

Landwirtschaft: Márquez de la Plata Toro Prado

04/78-12/80 12/80-12/81 12/81-10/88

Matte

X

C-L Edw

X

C-L

X

-

C-L/L/M

X

SNA Polizei SNA

C-L

X

-

X

X

X X

X

-

X

X

X

X

( E . Silva, Capitalist Coalitions and E c o n o m i c Policymaking . . . , a . a . O . , S . 3 0 2 . Erläuterungen: R M = Kern der radikal monetaristisehen Untemen merkoalition; E K = Erweiterter Kreis d e r radikal monetaristischen Unternehmerkoalition; T N K = Transnationaler Konzern; N = Neutral, d.h. weder eindeutig internationalisiert noch traditionell; F = Finanzinteressen; C B = ChicagoBoy; C - L = Cruzat-Larrafn; B H C = Banco Hipotecario de Chile/Vial; E d w = Edwards; 1 0 = Ibáñez Ojeda; L = Luksic; M = Matte)

283

Aber auch umgekehrt hat häufig ein Wechsel von Regierungsposten in die Privatwirtschaft stattgefunden (als Beispiele sollen lediglich erwähnt werden der Wechsel des ehemaligen Zentralbankpräsidenten Alvaro Bardón, des Ex-Finanzministers Sergio de Castro und des Ex-Staatssekretärs (Subsecretario de Gobierno) Jovino Novoa zur grupo Edwards). Der beständige Austausch zwischen öffentlichem und privatem Sektor stärkte nicht nur die Bindungen zwischen beiden Akteuren, sondern war auch ein Mechanismus, der den entsprechenden Kapitalen zu jeder Zeit einen beträchtlichen Informationsvorsprung gegenüber anderen Sektoren der Wirtschaft sicherte, was in Zeiten nicht formell geregelter Interessenrepräsentanzen und fehlender institutioneller Zugangskanäle von großer Bedeutung war. 2 9 Verstärkt wurde dies noch durch beträchtliche wirtschaftliche Unsicherheiten für bestimmte Teile der Unternehmerschaft. Damit handelten weder die Streitkräfte abgelöst von gesellschaftlichen Interessen, noch die Chicago Boys autonom nur gemäß der monetaristischen Wirtschaftsdoktrin, sondern im ökonomischen, politischen und sozialen Interesse des mächtigsten und konzentriertesten Segments der Unternehmerschaft. War der Staatsstreich noch das Produkt des erfolgreichen Kampfes aller Unternehmer (unterstützt von Teilen der Mittelschichten und den USA) gegen die Regierung der Unidad Popular und hatte damit zunächst eine einer gradualistischen Wirtschaftspolitik verpflichtete Unternehmerkoalition die Oberhand, so konnten in der Folgezeit die Vertreter der größten grupos económicos und des chilenischen Finanzkapitals den politischen Prozeß immer stärker hegemonisieren und nach ihren Interessen ausgestalten. Die große Reichtumskonzentration bei den grupos und die Zentralisierung der Macht insbesondere bei den Banken übersetzte sich in jener Periode direkt in politische M a c h t . Z w a r wurden so die allgemeinen Interessen der chilenischen Unternehmerschaft als Ganzes gewahrt, sektorale bzw. spezifische Interessen einzelner Unternehmensbranchen jedoch - sofern es sich um andere als die des Finanzkapitals handelte - nicht berücksichtigt.31 29

31

Siehe M. Delano/H. Traslaviña, a.a.O., S. 32-36; F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, a.a.O., S. 12 f., 16, 25, 28; A. Sanfuentes, Los grupos económicos. Control y políticas, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 15, 1984, S. 140 f. Einen Reflex auf diese Tatsache bilden auch repräsentative Umfragen in jenen Jahren in den mittleren und höheren Gesellschaftsschichten. Mit der Aussage, daß es einen großen Einfluß der grupos in der Politik gebe, war ein Großteil der Befragten einverstanden (50%) oder mit Abstrichen einverstanden (30%). Eine enge Verbindung zwischen grupos económicos und politischem Regime sahen zwischen 60% und 70% der Befragten. 70% Zustimmung erfuhr die Frage, ob es die größten grupos seien, die auch den größten politischen Einfluß hätten. Siehe G. Jiménez, Análisis político de los grupos económicos, Instituto Chileno de Estudios Humanísticos, Santiago, 1981, S. 50 ff. Vgl. K. Stenzel, Markets against Politics in the Chilean Dictatorship. The Role of Professional Economists, in: Vierteljahresberichte, Num. 113, 1988, S. 325-334.

284

"La nouvelle bourgeoisie financière contrôle désormais et domine l'État comme jamais auparavant. Ce secteur est en outre très concentré, réduit en nombre et exclusif. L'ouverture à d'autres secteurs sera déterminée par leur volume financier ... Cette bourgeoisie appuyée sur l'appareil financier a obtenu une hégémonie quasi totale sur les autres secteurs de la bourgeoisie et l'a exercée en tournant à son avantage l'appareil de l'État. En outre, à la différence du passé, l'homogénéité d'intérêts lui a permis d'esquisser et de mettre en oeuvre un projet politique cohérent; il commence par un modèle économique, mais il devient avec le temps une stratégie visante à modifier les bases structurelles de la société chilienne. Son but dernier est d'établir de fondements 'stables' pour son extension en tant que secteur dominant. La décadence du secteur industriel et la baisse de l'emploi non seulement renforcent la prépondérance financière, mais elles diminuent aussi la force contestaire de la classe ouvrière qui avait grandie avec l'industrialisation. Le taux élevé du chômage est dirait-on 'fonctional' dans ce schéma. Dès lors, la destruction d'autres centres de pouvoir et une stratégie classique de renforcement. L'affaiblissement de l'appareil de l'État n'obéit donc pas seulement à des raisons d'efficience économique' ou d'application de la doctrine orthodoxe', mais il vise au fond à empêcher que le pouvoir de l'État puisse demain servir de frein à l'hégémonie que la bourgeoisie financière se construit aujourd'hui... Pour la première fois dans sans histoire, le Chili voit l'hégémonie d'une bourgeoisie financière, au projet politique déterminé, avec à son service la force de l'appareil de l'État, sans aucun pouvoir capable de contester, que ce soit la bourgeoisie elle-même ou un autre secteur social. Im Mittelpunkt der radikal neoliberalen Unternehmerkoalition befand sich also eine Kerngruppe internationalisierter grupos, die zusammen mit einigen privilegierten Großunternehmern auf eine rückhaltlose Umgestaltung der Ökonomie und eine vollständige Öffnung zum Weltmarkt drängte. Die führenden Köpfe dieser grupos hatten quasi einen exklusiven Zugang zum Staat und damit zur Politik. Darüber darf allerdings nicht vergessen werden, daß insbesondere in der Boomphase der Konjunktur zwischen 1978 und 1981 die Unterstützung bezüglich der monetaristischen Wirtschaftspolitik seitens der chilenischen Unternehmerschaft weit über diesen Kernbereich hinausging und auch die Verbände der COPROCO - sofern diese nicht ohnehin den eingeleiteten Entwicklungen positiv gegenüberstanden - umfaßte. Die in jenen Jahren außergewöhnlich hohe internationale Liquidität führte schließlich auch solche Unternehmen und grupos an die radikale Unternehmerkoalition heran, die sich wenige Jahre zuvor noch vehement gegen eine derartig weitreichende Öffnung zum Weltmarkt ausgesprochen hatten; diese bildeten den erweiterten Unterstützungskreis für die monetaristische Politik. Dies muß insbesondere auch im Hinblick auf die Industriellen der SOFOFA und die Agrarier der SNA betont werden. Die massive externe Verschuldung heizte den Wirtschaftsboom an und erlaubte den Binnenmarktproduzenten, sich zu verschulden, um zu überleben, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu diversifizieren oder zu verändern. Die Ausstrahlungskraft des « J

R. Lagos, Le secteur émergent de la bourgeoisie, in: Amérique Latine, Num. 6, 1981, S. 60. 285

Modells reichte bis weit in die Mittelschichten hinein. Sie verfugten in einem Ausmaß wie nie zuvor über billige Dollars, um importierte Konsumgüter und Dienstleistungen kaufen zu können, die bis dato den Oberschichten vorbehalten waren. Obwohl es also einen 'organischen Nexus' zwischen neoliberaler Technokratie und den mächtigsten Wirtschaftsgruppen gab und diese beträchtliche ökonomische und politische Macht anhäufen konnten, da sie nicht nur durch jede der einzelnen Wirtschaftsmaßnahmen, sondern auch durch den generellen Rückzug des Staates begünstigt wurden, kann das Verhältnis von Unternehmern (hier führenden grupos) und Staat nicht rein instrumentell gefaßt werden. Die Beziehung zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht und die Übersetzung der einen in die andere ist in jedem Fall ein komplexer Prozeß, in dem insbesondere die Prozeßdynamik der Machtkonsolidierung zu bedenken ist. Zum einen folgte die neoliberale Wirtschaftspolitik einer 'globalen Rationalität' insofern, als sie sich weniger um das Wohl eines bestimmten Segments der Unternehmerschaft kümmerte, sondern die Stabilisierung der gesamten Ökonomie zu erreichen versuchte. Mit der unterschiedslosen Öffnung der Ökonomie, dem Rückzug des Staates, der Privatisierung der Staatsunternehmen und staatlicher Dienstleistungen sowie weiteren von der Wirtschaftsequipe durchgeführten Maßnahmen wurden aber bestimmte Fraktionen des privaten Kapitals auf Kosten und zum Schaden anderer Fraktionen begünstigt. Zum anderen konsolidierte sich die hegemoniale Position der erwähnten grupos erst im Verlauf der Umsetzung der neoliberalen Politik vollständig und muß auch als Resultat der dem Modell inhärenten Dynamik begriffen werden, was jedoch weder ihre herausgehobene Stellung in der Ökonomie zu Beginn der Schockpolitik noch ihre damit einhergehenden politischen Einflußmöglichkeiten in Abrede stellen soll. 33 3.2.

Die Unternehmer und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung

Die gesamten Auswirkungen der wegen der anhaltend schlechten Wirtschaftslage und den sich verschärfenden ökonomischen Ungleichgewichten angewandten monetaristischen Schockpolitik zeigten sich gegen Ende 1975. Sie verschärfte die Wirtschaftskrise noch und führte direkt in eine schwere Rezession. Das BSP war im Vergleich zum Vorjahr um 12,9% zurückgegangen. In der Industrie und im Bauwesen waren die Auswirkungen mit einem Rückgang von 25,5% bzw. 26% noch weit stärker. Bergbau, Handel und Transportwesen durchlebten ebenfalls eine tiefe Krise. Nur die Landwirtschaft blieb von den Auswirkungen der Schockpolitik zunächst relativ verschont.

33

Vgl. P. Silva, Estado, neoliberalismo y politica agraria en Chile 1973-1981, Amsterdam, 1987, S. 141 ff.

286

Die Reaktion der Unternehmer auf diese Situation kommt gut in einer Äußerung von Domingo Arteaga, dem Präsidenten der SOFOFA, zum Ausdruck. Darin wies er auf die Notwendigkeit hin, zwischen der Schockpolitik und dem durchzusetzenden Wirtschaftsmodell zu unterscheiden. Erstere sei kurzfristig notwendig zur Inflationsbekämpfimg und zur Beseitigung wirtschaftlicher Ungleichgewichte, somit Voraussetzung für die langfristig zu gewinnende Prosperität und das wirtschaftliche Wachstum. Die Antiinflationspolitik dürfe nicht mit der allgemeinen Wirtschaftspolitik verwechselt werden. Dabei bekräftigte Arteaga mit dem Hinweis auf die inkohärente Politik der vergangenen Jahre mit ihren schlechten Resultaten und chaotischen Folgen ausdrücklich die Hoffnung der Unternehmer auf den transitorischen Charakter der Anpassung, für die in dieser Situation auch Opfer gebracht werden müßten. Gleichzeitig kritisierte er in seinem Diskurs die alte protektionistische Politik und den Staatsinterventionismus, die zu wirtschaftlichen Strukturen gefuhrt hätten, die nicht den Notwendigkeiten des Landes entsprächen und Mittelmäßigkeit und Abhängigkeit hervorgebracht hätten. Dagegen beschwor er die Notwendigkeit einer nationalen Kräftebündelung und lobte die Vorteile der neuen Wirtschaftsstrategie: die freie Preisbildung, die Öffnung der Ökonomie nach außen und das Ende der Unternehmerfunktion des Staates. "Señores, la política que se está aplicando es plenamente concordante con los planteamientos que siempre tuvimos los industriales. Está removiendo en la medida de lo posible los insalvables obstáculos que nos impidieron el paso hasta ahora. Las nuevas responsabilidades debemos asumirlas en medio de circunstancias que no son de nuestra hechura ni de nuestro agrado. Hemos heredado el producto de una fiebFe socializante que nos llevó al caos con cuyas consecuencias tenemos que convivir todavía por algún tiempo ... Pasar del caos a la prosperidad no es desafío para hombres pequeños ni se puede enfrentar sin mucho coraje. El país ha demostrado a través de estos treinta meses que está a la altura de la tarea y nuestras empresas han soportado con estoicismo y con mucho fe el duro momento que estamos sufriendo ... La peor de la batalla ya ha pasado; ahora es preciso redoblar los esfuerzos para asegurar la victoria. Dieses Zitat verdeutlicht die große Übereinstimmung offizieller Verlautbarungen des Industriellenverbandes mit der Regierung und zeigt, daß die Wirtschaftsequipe in politisch-ideologischer Hinsicht auf die Überzeugungen der einflußreichsten Unternehmensfuhrer zählen konnte, zumal sich diese Haltung nicht nur auf die SOFOFA beschränkte, sondern auch bei anderen Verbänden, insbesondere der SNA, der Cámara Nacional de Comercio und generell der COPROCO wiederfand, wenn sie auch selten so explizit formuliert wurde wie von Domingo Arteaga. Der strategische Kern der Unternehmerverbände erwies sich somit trotz Krise als treuer Anhänger des Militärregimes.

34

El Mercurio 6/4/76. 287

Die Schockpolitik fand anfanglich die nahezu ungeteilte Zustimmung der großen Unternehmer. 35 Ihre Akzeptanz dieser Politik läßt sich v.a. auf die Einschätzung zurückfuhren, daß das wichtigste nach wie vor die Konsolidierung des Regimes sei, die nicht durch eine Konfrontation zwischen verschiedenen Unternehmersektoren oder Auseinandersetzungen dieser mit der Regierung gefährdet werden dürfe. Bestehende Diskrepanzen wurden zu dieser Zeit noch jenem Ziel untergeordnet. Zahlreiche Äußerungen, nicht nur des strategischen Kerns der Unternehmerverbände (COPROCO, SNA, SOFOFA), sondern auch der kleinen und mittleren Unternehmer (CONUPIA), belegen die Zustimmung zu dieser Politik. Dem lag wesentlich die Überzeugung zugrunde, daß es angesichts der schlechten Wirtschaftslage notwendig sei, die mit der Schockpolitik einhergehenden und als temporär erachteten Opfer um des zukünftig zu gewinnenden Wohlstands wegen zu akzeptieren. 36 Von den kleinen und mittleren Händlern, den Transportunternehmern, kleineren Industriellen und den Landwirten der CPA liegen aus dieser Zeit kaum öffentliche Äußerungen der Kritik oder Zustimmung zu einzelnen Maßnahmen der Regierung vor. Bezüglich der etablierten politischen Ordnung standen aber auch sie der Regierung nahe. Bis Ende 1976 wurden von ihnen nur spezifische Forderungen angesichts der allgemeinen Krisensituation erhoben, welche die Notwendigkeit der Anpassung an die neuen Umstände oder des Untergangs erkennen ließen. 37 Seit 1976 kam es in Chile zu einer langsamen, aber stetigen und schließlich in einem Wirtschaftsboom gipfelnden Erholung der Ökonomie. Zwar konnten über die Stabilisierungspolitik mittels eines Schocks der Haushalt ausgeglichen, die Zahlungsbilanz und die monetäre Situation in Ordnung gebracht und damit eine Vertiefung des neoliberalen Modells in Angriff genommen werden, aber die wirtschaftliche Entwicklung und der nachfolgende Aufschwung erwiesen sich als ein höchst selektiver und hochgradig heterogener Prozeß. Insbesondere die Importsubstitutionsindustrien (der Textilsektor, der metallmechanische Bereich und die Elektroin35

36

37

Die Entschlossenheit, mit der diese Politik durchgeführt wurde, verband sich von Anfang an mit eindeutigen Signalen an die nationalen Unternehmer. So verkündete Jorge Cauas am 25/4/75 in El Mercurio: "Los empresarios deberán colaborar con la política de gobierno ... de ninguna manera se escucharán los tardíos lamentos de los que discrepan de la política." Zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 122. Siehe die vielfältigen Belege bei G. Campero, a.a.O., S. 124 ff. Abweichende Einschätzungen existierten zu jener Zeit lediglich in der Cámara de Comercio de Valparaiso, der CPA und den Comerciantes Detallistas. In einem Rückblick auf diese Zeit hat Domingo Durán die Situation wie folgt beschrieben: "Muy pocos dirigentes estuvimos en la línea de combate, la gran masa de los representantes de gremios y particularmente ... los que se agrupan en los más influyentes ... se transformaron en verdaderos embajadores, en verdaderos abogados del gobierno dentro de los gremios..." Zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 122 f. Siehe G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 140 ff.

288

dustrie) und die traditionelle Güter (z.B. Weizen) produzierenden Unternehmer im Agrarsektor befanden sich aufgrund der verstärkten ausländischen Konkurrenz weiterhin in der Krise. Das Transportwesen und der Handel erlebten zunächst nur geringe Zuwachsraten, die Aktivitäten im Bauwesen waren weiter geschrumpft, bis schließlich ab 1978 alle Wirtschaftsbereiche hohe Zuwächse zeigten, ohne daß allerdings die Selektivität des Wachstums in bezug auf bestimmte Produktarten überwunden wurde. Damit kam es zu einer immer größeren Scherenbewegung zwischen den Unternehmen, die sich in das neue Wirtschaftsmodell eingliedern konnten und von ihm begünstigt wurden, und jenen, die durch die neuen Spielregeln benachteiligt wurden. In bezug auf die Unternehmerverbände verlief die Trennlinie in etwa zwischen den einflußreicheren und größeren Verbänden (COPROCO, SNA, SOFOFA) einerseits und dem Gros der Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer (CPA, CAS, Kleinhändler, Transportunternehmer, Kleinindustrielle) andererseits. Aber auch innerhalb der Verbände ist die Trennung sieht- und spürbar geworden, da alle Vereinigungen sowohl Boom- wie auch Krisensektoren repräsentierten. Die Frage also, warum die Verbände der COPROCO besonders 'regimetreu' waren, muß zumindest für die noch kurz zuvor eine gradualistische Politik befürwortende SOFOFA und für die SNA gesondert behandelt werden. Eine erste Annäherung an diese Problematik hat zunächst die streng hierarchischen Strukturen und ausgeprägten Oligarchisierungstendenzen innerhalb der Verbände zu berücksichtigen. Dadurch wurden von beiden Verbänden häufig die Interessen derjenigen Großunternehmer vertreten, die Weltmarktorientierungen aufwiesen oder eng in internationale Finanzkreisläufe eingebunden waren (v.a. die SNA). Dennoch kann die Dominanz des Großkapitals in diesen Verbänden das bedingungslose Eintreten für die Militärdiktatur und das zumindest indifferente Verhalten gegenüber dem neoliberalen Wirtschaftsmodell oder gar dessen Bejahung nicht gänzlich erklären. Dafür müssen vielmehr die wirtschaftlichen Interessen der hochrangigen Mitglieder dieser Verbände und deren Beziehungsgeflecht zu eher binnenmarktorientierten oder internationalisierten grupos genauer untersucht werden. Die beiden nachfolgenden Schaubilder, die die Ratsmitglieder der SOFOFA und der SNA und ihre wirtschaftlichen Interessen für die Zeitperiode 1973/75 bis 1977/80 differenzieren, verdeutlichen, daß ein Großteil der Mitglieder enge Bindungen an grupos mit Anpassungskapazitäten aufwies oder sie selbst neben der Produktion verarbeiteter Güter für den Binnenmarkt noch in anderen Sektoren der Ökonomie präsent, d.h. also diversifiziert waren und von den neuen Außenwirtschaftsstrategien zu profitieren hofften. Von den einunddreißig Ratsmitgliedern der SOFOFA in der Periode 1975-1977 hatten einundzwanzig wirtschaftliche Interessen in international nicht wettbewerbsfähigen Branchen, zehn ausschließlich in wettbewerbsfähigen Sektoren der verarbeitenden Industrie. Von den genannten einundzwanzig waren jedoch nur acht ohne 289

jegliche Verbindung zu einer internationalisierten grupo oder ohne Interessen in mindestens einem weiteren Wirtschaftsbereich außerhalb der verarbeitenden Industrie. Von weiteren acht ausschließlich für den Binnenmarkt produzierenden Mitgliedern gehörten vier zu internationalisierten grupos, einer arbeitete für einen multinationalen Konzern, und weitere drei führten traditionelle Unternehmen mit erheblichen Anpassungskapazitäten an die neuen Verhältnisse. Betrachtet man dagegen die Ratsmitglieder der SNA in der Periode 1973-77, so zeigen sich hier weitaus weniger Bindungen an internationalisierte grupos. Die weitaus meisten von ihnen (neunzehn von neunundzwanzig) produzierten nur traditionelle landwirtschaftliche Produkte, einer produzierte auch für den Export und neun weitere hatten nur Interessen in der Exportproduktion. Nur wenige Mitglieder verfügten darüber hinaus über Interessen im nichtlandwirtschaftlichen Sektor (vier), und lediglich zwei wiesen Bindungen an internationalisierte grupos (Cruzat-Larrafn) auf.

290

Schaubild 9:

Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SOFOFA 1975-1977

Name Abumohor Agüero Amunátegui Arteaga Aspillaga Ayala Bolocco Casanova Daroch Elton Falcón Garcés Garib Ipfnza Krumm Kunstmann Lira López Menéndez Pinto Piquer Riveros Ross Sáenz Sahli Sarquis Simonetti Saits Urquidi Vergara Zañartu

BN

BK

Wirtschaftsinteresse m F A TNK

X X

X X

X

X X X

X

X

X X X X X X X

X X X X X X X X X

T

L/P/L BHC&C-L

X

de Caso Matte

X X

X

X

X

Said

X

Ibáñez

X

X X X

X X

Typ

X

BHC

X X X X X X

grupo

X X

X X

X X

Angelini Vial Menéndez Matte L/P/L C-L Sáenz Sa/Ta

X

X X

X X X X

X X X

X

X X X

X

Vial

X

Andina Angelini

X X

(E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking . . . , a.a.O., S. 284. Erläuterungen: BN = Binnenmarktproduzenten in international nicht wettbewerbsfähigen Sektoren; BK = Binnenmarktproduzenten, die international konkurrenzfähig sind; IH = Internationale Handelsaktivitäten; F = Finanzaktivitäten; A = Landwirtschaftliche Aktivitäten; TNK = Transnationale Konzemaktivitäten; T = Traditionelles Unternehmen bzw. grupo; I = Internationalisiertes Unternehmen bzw. grupo; L/P/L = Lepe/Piquer/Lehmann; BHC = Banco Hipotecario de Chile/Vial; C-L = Cruzat-Larrain; Sa/Ta = Sahli/Tassara)

291

Schaubild 10: Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SNA 19731977 Name Ariztfa R Airau U. Balmaceda V. Baraona U. Bascuñán A. Bismarck E. Correa Va. Correa Vi. Covarrubias L Godoy M. Infante G. Infante L. Márquez d.l.P. Matte G. Montt M. Moore R. Moreno A. Moreno M. Munita V. Ochagavia V. Rufz-Tagle F. Tagle V. Ulloa M. Valdés L. Valdés V. Valdés Va. Valdés Vi. E. Valdés Vi. M. Valdés Z.

Primäres Sekundäres Weiteres Interesse Interesse Interesse T Ex T Ex F BI IH x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

grupo

C-L

C-L

(E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking .... a.a.O., S. 285. Erläuterungen: T = Traditionelle landwirtschaftliche Aktivitäten; Ex = Landwirtschaftliche Exportproduktion; F = Finanzielle Interessen; BI = Binnenmarktorientierte industrielle Interessen; IH = Internationale Handelsaktivitäten; T = Traditionelles Unternehmen bzw. grupo; I = Internationalisiertes Unternehmen bzw. grupo; C-L = Cnizat-Larrain)

292

Betrachtet man nun die weitere Entwicklung der Zusammensetzung des Rats von SOFOFA und SNA in der Periode 1978-80, so zeigt sich eine noch stärkere Gewichtsverlagerung hin zu diversifizierten und/oder exportorientierten Unternehmungen. In diesem Zeitabschnitt hatten innerhalb der SOFOFA mit 16 von 34 weniger als die Hälfte ihrer Repräsentanten ausschließlich Interessen in international nicht wettbewerbsfähigen Sektoren der verarbeitenden Industrie. Die Mehrzahl von ihnen wies dagegen eine diversifiziertere Struktur auf und war mindestens in einem weiteren wirtschaftlichen Bereich aktiv. Knapp die Hälfte gehörte zudem dem engeren und weiteren Umfeld der die radikale Unternehmerkoalition konstituierenden grupos an. Entsprechend profitierte die Mehrheit von ihnen weiterhin von der Expansion der Handels-, Finanz- und Dienstleistungsaktivitäten sowie vom Export-Import-Geschäft, auch wenn ihre Binnenmarktunternehmen aus der verarbeitenden Industrie eventuell notleidend waren. Entsprechendes gilt in noch stärkerem Maße für die SNA. Nur fünf von einundzwanzig Mitgliedern des Rats widmeten sich ausschließlich dem Anbau traditioneller Produkte. Mit Ausnahme zweier weiterer, die aber ausschließlich international wettbewerbsfähige Produkte anbauten, waren alle anderen in mindestens einem weiteren Bereich tätig. Die folgenden Schaubilder verdeutlichen die Situation:

293

Schaubild 11: Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SOFOFA 1978-1980 Name BN Abumohor Agüero Arteaga Aspillaga Ayala Baraona Behrmann Bolocco Calderón Casanova Daroch El ton Fell Garib Ipinza Knise Kunstmann Lira Lizana López Mendoza Ovalle Picjuer Reisenegger Riveras Ross Sahli Sarquis Saits Tocomal Urquidi Vergara Vidaurre Zañartu

Wirtschaftliches Interesse A B K IH F

X X X

X

Typ TNK

X

X

X

X

RM

EM

TN

I

L/P/L

X X X

grupo

X X

de Caso Matte BHC BHC

X X

BHC

X

X

X X X

X X

Edwards

X

X

Ibáñez

X X

X

X

X

X X X X X X X X X X X X

Angelini BHC C-L

X

X X

L/P/L

X

X X

X

X X X X

X X X

X

C-L Sa/Ta

X

BHC Angelini

X

Andina BHC Angelini

X

(E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking . . . , a.a.O., S. 312. Erläuterungen: BN = Binnenmarktproduzenten in international nicht wettbewerbsfähigen Sektoren; BK = International wettbewerbsfähige Binnenmarktproduzenten; IH = Internationale Handelsaktivitäten; F = Finanzaktivitäten; A = Landwirtschaftliche Interessen; TNK = Transnationale Konzemaktivitäten; RM = Kern der radikal monetaristischen Untemehmerkoalition; EM = Erweiterter Kreis der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition; TN = Traditionelles oder neutrales Unternehmen bzw. grupo; I = Internationalisiertes Unternehmen bzw. grupo; BHC = Banco Hipotecario de Chile/ViaJ; L/P/L = Lepe/Piquer/Lehmann; C-L = Cruzat-Larrain; Sa/Ta = Sahli/Tassara)

294

Schaubild 12: Die wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder der SNA 19781980 Name TI Ariztfa Aixau Balmaceda Bascuiiàn Bismarck Correa Val. Correa Vili. Covarrubias Fuchslocher Godoy Hevia Infante G. Infante L. Moreno Ochagavia Riesco Tagle Ulloa Valdés V. Valdés Val. Valdés Vial

Wirtschaftliches Interesse Ex F

W

grupo

x X

IH

Im In

BHC

(E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 313. Erläuterungen: T — Traditionelle Land Wirtschaftsproduzenten; TI = Land wirtschaftsproduzenten mit international wettbewerbsfähigen traditionellen Produkten; Ex = Exportorientierte Landwirtschaftsproduzenten; F = Finanzaktivitäten; W = Weitere Interessen in anderen ökonomischen Bereichen; BHC = Banco Hipotecario de Chile/Vial; IH = Internationale Handelsaktivitäten; Im = Importinteressen; In = Industrielle Interessen)

Ein Interessenkonflikt bedeutsamen Ausmaßes zwischen SOFOFA bzw. SNA und den Chicago Boys bzw. der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition konnte sich angesichts dieser Zusammensetzung der Führungsgremien der Verbände nicht oder nur in Ansätzen entwickeln. Die Repräsentanten der beiden wichtigsten Organisationen der COPROCO profitierten also wenigstens teilweise von dem umgesetzten Wirtschaftsmodell, auch wenn sie - was zumindest für die SOFOFA zutraf von den unmittelbaren Regierungsgeschäften ausgeschlossen wurden. Entsprechend hatten sowohl SOFOFA wie auch SNA aufgrund der internen Mehrheitsverhältnisse und einer beträchtlichen Verselbständigungstendenz gegenüber ihrer sozialen Basis nur wenig Anreize, ihre Verbandsmacht dazu zu nutzen, den generellen wirtschaftlichen Kurs des Regimes zu ändern. Wenn sie sich artikulierten, drängten sie bestenfalls auf Modifikationen des eingeschlagenen Weges, ohne diesen zunächst selbst zu hinterfragen. So verliehen sie dem Regime und der radikalen Unternehmerkoalition beträchtliches Prestige und den nötigen politischen Rückhalt. 295

Damit muß aber denjenigen Interpretationen widersprochen werden, die in einer 'Überideologisierung' der Verbandsführer das entscheidende Motiv für das angesichts des durchaus zweischneidigen Nutzens auch für größere Unternehmen nur scheinbar nicht ihren Interessen entsprechende Verhalten von SOFOFA und SNA sehen. Campero schreibt: "Muy esencialmente debe considerarse el peso del ideologismo de una capa dirigente, que en una situación de rigidez creada por la imposibilidad de renovar vía elecciones las directivas y por el cuadro global de inmovilismo político, copó sin contrapesos mayores de representatividad de los gremios empresariales. Así entonces, si bien el gran empresario en general apoyó el modelo e influyó en ese sentido, la posición a veces casi misionaría de las dirigencias del núcleo en referencia obedece, para nosotros, más bien a un fenómeno de sobreideologización de un cuadro dirigente ... que va más allá incluso de sus bases sociales. ° Wenn überhaupt von einer 'Überideologisierung' gesprochen werden kann, dann hatte diese ihren realen Kern in bestimmten Erfahrungen der Unternehmer mit der jüngeren politischen Vergangenheit des Landes und wirkte sich insbesondere in bezug auf Regimeloyalitäten aus. Zur Erklärung des politischen Verhaltens von SOFOFA und SNA in dieser Periode der Diktatur taugt dieser Begriff nicht. Eher ließen sich damit - wenn auch ebenfalls nur partiell - bestimmte Aspekte des Verhaltens kleiner und mittlerer Unternehmen, die durch die Restrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft stark benachteiligt wurden, erklären, da der in einen Boom mündende Aufschwung v.a. für einige individuelle Großunternehmer und die mächtigsten grupos económicos Erfolg bedeutete. Wenn auch die durch die Wirtschaftsmaßnahmen benachteiligten Unternehmerverbände Kritik an der Implementation einzelner Regierungsmaßnahmen übten, so reichte diese Kritik doch nie zum Aufbau einer politischen Opposition gegen das verfolgte Wirtschaftsmodell, zumal alle Gremien und Verbände in politischer Hinsicht Anhänger des Pinochet-Regimes blieben. Die großen und einflußreichsten Verbände teilten zudem auch die ökonomischen Grundlagen und Prämissen und versuchten diese an ihrer Basis zu verbreitern. Die Kritik verstummte schließlich einerseits aufgrund des anhaltenden Aufschwungs, da mit ihm nicht nur ein realer Wachstumsprozeß, sondern auch ein subjektives Klima des Erfolgs einherging, welches durch die größeren Verbände und die Massenmedien öffentlichkeitswirksam verbreitet wurde, andererseits weil sie über die Umsetzung der politischen 'Modernisierungen' und die Verabschiedung einer Verfassung durch die politische Loyalität zum Regime konditioniert wurde. Konsequenz war die Neutralisierung der Kritik in einem öffentlichen Klima des Triumphalismus über die überwundene Wirtschaftskrise, die initiierten Reformen und die 'erfolgreiche Modernisierung' von Wirtschaft und Gesellschaft. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 171.

296

3.3.

Die Rolle der Industrieverbände

Aufgrund der langanhaltenden rezessiven Folgen der Schockpolitik begann sich zur Jahresmitte 1976 in einigen Verbänden der Industriellen Beunruhigung breit zu machen, da sichtbar wurde, daß die transitorische Phase bis zur Überwindung der negativen Effekte der Wirtschaftspolitik nicht so kurz sein würde, wie ursprünglich vom Regime verkündet. Die wirtschaftliche Konjunktur blieb bescheiden und die Inflation hoch, nur wenige Branchen zeigten Erholungsanzeichen. In diesem wirtschaftlichen Kontext waren es v.a. drei Themen, die die Industriellen öffentlich verfochten: a) die exzessive finanzielle Belastung der Unternehmen (sowohl steuerlicher wie auch kreditpolitischer Art); b) die Geschwindigkeit der Umsetzung des neuen Wirtschaftsmodells; und c) die Auswirkungen der neoliberalen Politik auf die Wirtschaft - insbesondere die Industriestruktur des Landes und ihre Überlebensfahigkeit. Die angeblich zu hohe steuerliche Belastung der Unternehmen gehörte zu den Dauerklagen der großen Unternehmerverbände. Zusammen mit den hohen Zinssätzen für Kredite und den Zollsenkungen - so der Vizepräsident der SOFOFA, Hernán Daroch - würde dies zu einer enormen Belastung führen, welche die Unternehmer unmöglich tragen könnten, zumal durch die Wirtschaftspolitik schon ungeahnte Opfer von den Industriellen verlangt würden. Die Wirtschaftspolitik müsse zudem so gestaltet werden, daß den Unternehmern genügend Zeit zur Anpassung bleibe und deren Expansionskapazität nicht beeinträchtigt werde. Dazu seien ein klares Urning und eine bessere Abstimmung zwischen Regierung und Industriellen vonnöten.39 Diese Debatte wurde allerdings schnell um die Frage der adäquaten Umsetzung des neuen Wirtschaftsmodells und der Konsequenzen für den Industriesektor erweitert. Insbesondere die Verbände der Metallindustrie (ASIMET) und der Textilindustrie (Instituto Textil) erwiesen sich in der Folgezeit als Kritiker der Regierungspolitik.4® Der Präsident von ASIMET, Jorge Cheyre, betonte zwar nachdrücklich, daß er die Politik der Regierung unterstütze, wies aber auf die exzessive Geschwindigkeit des Modernisierungsprozesses und fehlende Richtlinien der Regierung hin, die zu Unwägbarkeiten führten und Investitionen verhinderten. Im Laufe der Jahre sei ein Industriesektor beträchtlichen AusSiehe entsprechende Äußerungen von Hernán Daroch und Manuel Valdés (Präsident der COPROCO) in Ercilla, Num. 2135, Junio-Julio 1976 bzw. Qué Pasa, Num. 271, Junio de 1976, nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 143 f. Siehe insbesondere ASIMET, Informe sobre readecuación industrial; ASIMET, Chile es y debe ser un país industrial, Julio 1976; P. Winn/M.A. Ibáñez, Textile Entrepreneurs and Workers in Pinochet's Chile, 1973-1989, Institute of Latin American and Iberian Studies, Columbia University, Papers on Latin America, Num. 1S, 1990. Die Durchsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells war insofern traumatisch für diese Industriellen, weil sie hohen Zollschutz und Inflation gewöhnt waren, die es ihnen erlaubten, ineffizient zu produzieren und die höheren Kosten auf die Konsumenten abzuwälzen. Zollreduktion und Wechselkurspolitik trafen ihre traditionellen Verhaltensweisen am Nerv.

297

maßes entstanden, dem nicht mehr das entsprechende Gewicht und die notwendige Bedeutung zugemessen werde. 41 Die sich hinter diesen Äußerungen verbergende Grundproblematik kann darin gesehen werden, daß die Handlungen der Industrieunternehmer und der Wirtschaftsequipe unterschiedlichen Logiken folgten. Während erstere eine Ausrichtung der Wirtschaftspolitik an Entwicklungskriterien wie produktiven Investitionen und einer Produktionsstruktur auf Basis der nationalen Industrie forderten, folgten letztere streng monetaristischen Marktprinzipien und einer wesentlich internationalen Orientierung. Über den Einsatz fiskalischer Instrumente wurde eine Einbindung in internationale Wirtschaftskreisläufe nach komparativen Kostenvorteilen angestrebt, die der Industrialisierung keine Priorität mehr zumaß. Daß diese unterschiedlichen Logiken nicht immer deutlich zutage traten, ist darauf zurückzufuhren, daß sie in der Regel von einer gemeinsamen übergeordneten Ideologie zugedeckt wurden - der Herstellung einer freien Marktwirtschaft und der Bedeutung des freien Unternehmertums -, die für eine gegenseitige Anerkennung und Akzeptanz beider Akteure sorgte und Einvernehmlichkeit über die allgemeine wirtschaftliche Orientierung herstellte. Gerade dies erschwerte auf Seiten der Verbandsführer das Erkennen der internen Kohärenz der wirtschaftspolitischen Maßnahmen in dieser Phase der Diktatur und machte auf Seiten der Regierung die Ignoranz gegenüber Klagen und Forderungen der Industrieverbände und Unternehmer verständlich. Spätestens 1977 nahm die Strategie der Regierung, einen radikalen Bruch mit der importsubstituierenden Industrialisierung und dem staatlichen Protektionismus zu vollziehen, Gestalt an. Die Option einer nach außen geöffneten Wirtschaft erforderte eine stirkere Spezialisierung nach komparativen Kostenvorteilen und wurde v.a. über zwei grundlegende Mechanismen durchgesetzt: die sukzessiven Zollsenkungen und den Preis des Dollars (Wechselkurs). Die Industrieverbände erklärten sich damit einverstanden, forderten aber im Gegenzug eine vorhersehbare abgestimmte Strategie und Investitionserleichterungen, um sich an die Öffnung zum Weltmarkt anpassen zu können. Mit der Vertiefung der Liberalisierungsstrategie kam es v.a. aufgrund von drei Faktoren zu Spannungen mit der Regierung: erstens wegen der mit der Wirtschaftspolitik einhergehenden Tendenz, die monetäre 41

Siehe Ercilla, Num. 2145, Septiembre 1976. In der gleichen Ausgabe stellte Helios Piquer, Mitglied des Direktoriums der ASIMHT, fest: *Si por un error se destruye una industria o un sector industrial, éste no será recreado y no sería raro que en pocos años más tengamos que abastecemos de los mismos bienes que hoy exportamos, de los países que hoy son nuestros clientes ... No estamos de acuerdo en que se fomenten las importaciones indiscriminadamente, con una publicidad insolente para el que no puede consumir lo que se le ofrece ... creemos que los divisas debieran utilizarse en la activación interna ya que somos un país pobre ... y en este punto discrepamos del equipo económico ... La ortodoxia de un sistema económico determinado tiene que hacer concesiones al pragmatismo necesario para adecuarse a las condiciones particulares de un país."

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(spekulative) Seite des Wirtschaftsprozesses gegenüber der produktiven Seite überzubetonen; zweitens wegen der hochgradigen Beliebigkeit und großen Ermessensspielräume der Regierung in Fragen der Beschleunigung und Vertiefung der neoliberalen Strategie, die ihre Entscheidungsfindung für die Unternehmer nur schwer kalkulierbar machte; drittens wegen der für einige Sektoren der Industrie verheerenden Folgen der Umstrukturierungspolitik.42 In bezug auf den ersten Punkt war es zunächst die Schaffung eines Kapitalmarktes mit einer formalen und informellen Struktur, die Spekulationsmöglichkeiten großen Ausmaßes schuf. Zwar wurde dieser Markt aufgrund von Firmenzusammenbrüchen und Krisen schnell reguliert, aber die Finanzlogik blieb intakt. Hohe Zinssätze erschwerten Investitionen und förderten die Kanalisierung potentieller Investitionsmittel aus der Produktion heraus in die Spekulation bzw. in Bereiche wie den Handels- und Finanzsektor, in denen kurzfristig hohe Gewinne gemacht werden konnten. Dieser Prozeß verschärfte sich noch mit der Öffnung gegenüber den internationalen Kapitalmärkten (Reform des Ley de Cambio Internacionales) und der damit einhergehenden Eliminierung der Beschränkungen für externe Kreditaufnahmen. Im Mittelpunkt dieses Prozesses standen die hoch monopolisierten Wirtschaftsgruppen aus dem Finanzsektor, die zu zentralen Akteuren der Spekulation wurden.43 Sie waren diejenigen, die zusammen mit einigen Großunternehmen mit Verbindungen zur Bank- und Finanzwelt über Zugang zu billigen externen Krediten verfugten, die sie mit großen Gewinnen in Chile wieder anlegten. Der Zugang zu den internationalen Finanzmärkten blieb kleinen und mittleren Unternehmern sowie der Mehrzahl der Industriellen verschlossen, die sich damit zusätzlich zur Zollsenkung benachteiligt sahen. Selbst das Anfang 1977 neu in Kraft gesetzte Estatuto de Inversión Extranjera, welches außergewöhnlich günstige Bedingungen in bezug auf Gewinntransfers und Steuererleichterungen für ausländische Investoren etablierte, erzielte zunächst nur geringe Erfolge und konnte die wachsende Entkapitalisierung des Industriesektors nicht verhindern. Spannungen erwuchsen zusätzlich aus den Schwierigkeiten im Zugang zu Krediten, den hohen Kreditkosten und den damit verbundenen Benachteiligungen für industrielle Produzenten. Klagen kamen sowohl von Seiten der Großindustrie (SOFOFA) wie auch der kleinen und mittleren Industrie (CONUPIA). Auf dem 3. Encuentro Nacional de la Empresa (ENADE) 1977 wiesen die Unternehmer darauf hin, daß Kredite extrem teuer seien und der restriktive Kreditzugang gelockert werden müsse, um neue Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. Für die Unternehmer war dies aber eher ein 'pragmatisches* denn ein 'doktrinäres' Problem.44 42 43 44

Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 158-166. Vgl. F. Dahse, La mapa de la extrema riqueza, Santiago, 1979, S. 14 f. In diesem Sinne verkündete der Präsident der COPROCO, Manuel Valdés, in einem Interview mit der Zeitschrift Hoy, Num. 2, Junio de 1977: "El sector privado tiene muy pocos

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In bezug auf den zweiten Punkt - die großen Ermessensspielräume der Regierung in der Wirtschaftspolitik und damit einhergehende Unwägbarkeiten - forderten die Industrieverbände v.a. die Herstellung klarer und verläßlicher Regeln seitens der Regierung und einen zwischen beiden Akteuren paktierten Weg der Anpassung an das neue Modell. Die Differenzen bestanden hier in der Frage des Rhythmus der Außenöffnung und der Reichweite der Schutzzoll- und Wechselkurspolitik. Für die Industrieverbände ging es dabei in erster Linie um die Art und Weise der Zollsenkungen und der Veränderung alter Importsubstitutionsstrukturen. Hintergrund war hier die Entscheidung der Regierung, den Prozeß der Zollsenkungen beschleunigt voranzutreiben. Entgegen vorangegangener Konsultationen sollten die Durchschnittszölle, die Anfang 1977 auf 20% abgesenkt worden waren, in einem erheblich schnelleren Tempo auf einheitlich 10% gedrückt werden. Parallel dazu sollte der Dollarkurs neu festgesetzt werden, damit er sich in Zukunft automatisch an die Inflation anpassen könne. Die Industriellen (SOFOFA) reagierten darauf überrascht und verunsichert, waren sie doch kurz zuvor mit der Bitte um eine Revision der Zollsätze an das Comité Asesor de Polüica Arancelaria (CAPA) herangetreten und hatten einen allgemeinen Zoll von 35% gefordert. Deutlich drückten auch COPROCO und ASIMET ihre Unzufriedenheit mit dem veränderten Zollsenkungsrhythmus aus, deren Reaktionen diesmal feindselig waren. Der Industriesektor habe einen schweren Schlag erlitten, die Glaubwürdigkeit der Regierung stünde auf dem Spiel. Der angekündigte Zollsatz würde einen noch größeren Niedergang der nationalen Industrie bedeuten und das Überleben eines beträchtlichen Teils der Industrie in Frage stellen. 45 Die Chicago Boys zeigten sich den Forderungen der Industriellen gegenüber emeut unsensibel. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß die Reaktion der Unternehmer auf die angekündigten Maßnahmen insgesamt unterschiedlich war und je nach ökonomischer Lage und Auswirkungen der Zollsenkungen variierte, so daß keine gemeinsame Strategie der Unternehmer zustande kam. Erschwerend wirkte sich erneut aus, daß die Reaktionen von SOFOFA und ASI-

45

elementos de juicio (um zu investieren, P.I.); la toma de decisiones se transforma en un juego de adivinanzas que tiene sus riesgos, el principal de ellos es la tendencia a volcarse en el mercado financiero donde, por lo menos, hay ciertas constantes." Ganz dem doktrinären Denken des Neoliberalismus verhaftet betonte Miguel Kast (ODEPLAN) in der gleichen Ausgabe: "Las altas tasas de interés son garantía de buenos proyectos ..." Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 162 ff. Das Ausmaß der Spannung zwischen Regierung und Verbänden verdeutlicht eine Äußerung von Orlando Sáenz, dem Ex-Präsidenten der SOFOFA, in Hoy, Num. 29, Diciembre de 1977: "A juzgar por las reacciones públicas generados por estos anuncios, es indudable que ellas han provocado la primera grieta profunda en la confianza del único sector civil que de verdad se había comprometido en la ideología y estrategia económica del régimen, esto es la alta burguesía empresarial y financiera..."

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MET durch die grundsätzliche politische Übereinstimmung konditioniert und die ansonsten guten Beziehungen zur Regierung nicht aufs Spiel gesetzt wurden. Was drittens die deindustrialisierenden Auswirkungen der Wirtschaftspolitik betraf, so lassen sich ähnliche Konfliktlinien wie im Fall der Zollsenkungen feststellen. Die von der Entscheidung zur Öffnung der Ökonomie am stärksten betroffenen Sektoren, wie die Metall,- Textil- und Elektroindustrie, artikulierten die größten Bedenken. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist aber, daß es ihnen nicht darum ging, Importsubstitution und Protektionismus, unter denen sie groß geworden waren, zu verteidigen, sondern einen klar definierten Platz in der neuen Strategie für die verarbeitende Industrie zu erhalten. Während die SOFOFA betonte, daß Chile weder nur Agrarland sein noch sich lediglich auf extraktive Aktivitäten spezialisieren dürfe, sondern eine Entwicklungsstrategie verfolgen müsse, die den Interessen aller Produktionssektoren gerecht werde - was eine deutliche Kritik an der Indifferenz der Chicago Boys einschloß -, unterstrich ASIMET, die verfolgte Strategie würde zu einem Verschwinden von industriellen Produktionskapazitäten beitragen und industrielle Importe begünstigen. Die Schwächung der Industrie würde zu einer größeren Abhängigkeit des Landes führen. 46 Verbände wie das Instituto Textil, der Metall- und Elektroindustrie, der Plastikbranche (ASIPLA), der Schuhindustrie (ASINCAL) sowie einige Regionalverbände wie AVISA (Valparaíso und Aconcagua) und die Cámara de la Producción y del Comercio de Concepción äußerten in Anbetracht einer rasch zunehmenden Zahl von Firmenzusammenbrüchen in ähnlicher Weise wie ASIMET ihre Bedenken.47 Das Gros dieser Gremien, die alle Mitglieder der SOFOFA waren, fand aber äußerst schlechte Mobilisierungsbedingungen vor und war nicht in der Lage, alternative Wirtschaftspolitiken zu entwerfen. Wenn auch keine breite Bewegung gegen die Regierungspolitik zustande kam, so existierte doch ein beträchtliches Verteidi46

47

Vgl. die bei G. Campero wiedergegebenen Äußerungen von Hernán Daroch (SOFOFA) und Jorge Cheyre (ASIMET) in Hoy, Num. 14, Agosto 1977, sowie die Deklaration der SOFOFA in El Mercurio vom 7/12/1977. Paradigmatisch ist auch die Äußerung von Jorge Cheyre in Ercilla, Num. 2212, Diciembre 1977: "La indefensión en que se está colocando a la industria chilena, en especial al sector metalmecánico, está poniendo en peligro la existencia misma del sector, mediante una destrucción progresiva, absolutamente innecesaria del activo industrial que el país ha logrado formar a lo largo de los últimos SO años. Este debilitamiento industrial nos acarreará mayor dependencia y aumentará la brecha que nos separa de los países industrializados." Die statistischen Daten der SOFOFA weisen die Zahl der Firmenzusammenbrüche im industriellen Sektor wie folgt aus: 1973: 25; 1974: 28; 1975: 82; 1976: 132: 1977: 224; 1978: 321; 1979: 368; 1980 (1. Trimester): 130. Nach Informationen der CONUPIA gab es 1977 20% weniger Firmen als 1974, und AMPICH (Asociación de Mediemos y Pequeños Industriales de Chile) erklärte, daß von ihren 8000 Mitgliedern 1974 im Oktober 1977 nur noch 3500 übrig geblieben seien. Siehe G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 220, 165.

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gungspotential für die industriellen Vermögenswerte. Der reinen Logik der Weltmarktkonkurrenzfähigkeit stand damit die Vorstellung einer 'programmierten' Umstrukturierung entgegen, die zwar die Rolle und das Profil des industriellen Sektors verändern wollte, die industrielle Basis aber selbst unangetastet ließ und nicht gefährdete. Trotz der dramatischen Zahl der Firmenzusammenbrüche und des beträchtlichen Rückgangs der Wertschöpfung fast der Gesamtheit der importsubstituierenden Industrien, die bis 1970 das Rückgrat der Industrialisierung des Landes dargestellt hatten, sowie dem heterogenen Charakter des Aufschwungs akzeptierten die Führungskräfte der Industrieverbände in den nächsten Jahren den Ausgang der Krise und betrachteten ihn in gewisser Weise als Neuanfang in eine alternative Zukunft. Nach der Schwere der Schockpolitik samt den nachfolgenden Turbulenzen führten die hohen Wachstumsraten bis 1980 zu einer Minderung der Spannungen und zu einer Neutralisierung der Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung. Auch wenn nicht alle Wirtschaftssektoren an dem neuen Boom partizipieren konnten, so hatten sie doch angesichts des wiedererlangten Wachstums die Hoffnung, sich später in das neue Modell eingliedern zu können, so daß die Konfrontation zwischen einzelnen Verbänden und der Regierung zwischen 1978 und 1980 deutlich abnahm. Im Gegensatz etwa zum Agrarsektor - und in geringerem Umfang auch den Kleinunternehmern wo eine hohe Konfliktivität sowohl zwischen den traditionellen Sektoren und der Regierung wie auch zwischen dem Führungspersonal der verschiedenen Agrarverbände fortbestand, verstummten die kritischen Stimmen in der Industrie zusehends. Nur wenige Sektoren, wie der Textil- und der metallmechanische Sektor, machten über ihre Verbände weiter auf die Krise der verarbeitenden Industrie aufmerksam, ohne daß es allerdings zu ernsteren Konflikten kam. Im Gegenteil, der ideologische Diskurs des strategischen Kerns der Unternehmerverbände gewann zusehends an Gewicht und wurde absolut dominant. Von den Chicago Boys und den hegemonialen Sektoren der Verbände wurde das größte erreichte Wirtschaftswachstum in der Geschichte des Landes als Erfolg der neoliberalen Politik gefeiert und die Unternehmer identifizierten sich mehr denn je mit der Regierung Pinochet. 48 Dies zeigte sich insbesondere angesichts der politischen Die diesbezüglichen Äußerungen der Veibandspräsidenten sprechen eine deutliche Sprache. So verkündete Hernán Daroch (SOFOFA) am 13/1/79 in El Mercurio: "El sector industrial registrará el crecimiento más grande de su historia en este año ... debido a la tendencia expansiva mostrada por el rubro ... ésto gracias a la apertura de la economía chilena al exterior." Und Manuel Valdés (COPROCO) bestätigte: "El éxito se debe a la coherencia del sistema y a la efectiva participación de empresarios y trabajadores." Selbst ASIMET und Instituto Textil stimmten hier zu. Der Präsident von ASIMET machte darauf aufmerksam, daß nach der schmerzhaften Schockpolitik eine zwar geringere Anzahl von metallverarbeitenden Untenehmen existiere, diese aber auf einer stärkeren industriellen Basis und mit höherer Effizienz arbeiteten. Auch das Instituto Textil war der Ansicht, daß die kritische Phase der 302

'Modernisierungen' und des anstehenden Plebiszits über die Verabschiedung einer neuen Verfassung, wo die Verbände vollkommen mit der Regierung übereinstimmten. Für das Führungspersonal der größten Unternehmerverbände war es nur logisch, die Prinzipien des in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreichen Modells auch in die politische Sphäre zu übertragen. Wirtschaftlicher und politischer Erfolg wurden im Gegensatz zu späteren Zeiten, in denen die Unternehmer auf einer strikten Trennung beider Sphären bestanden, als eng zusammenhängend und sich gegenseitig stimulierend betrachtet.49 Der von den großen Industrieverbänden verbreitete Diskurs des Booms und des Erfolgs hielt bis Anfang 1981 an und breitete sich bis dahin mehr oder weniger homogen in anderen Verbänden des Industriesektors aus. Die Führungsgremien der Verbände folgten stärker der offiziellen Regierungslinie als ihrer eigenen Basis, von der Teile zunehmend Schwierigkeiten hatten, ihre Kritik an der Wirtschaftspolitik zu artikulieren, so daß die Vorwürfe nur in sehr fragmentierter Weise an die Öffentlichkeit gelangten. Parteinahme für das Regime und für das Wirtschaftsmodell waren in der SOFOFA und in der COPROCO weitaus stärker verbreitet als in den übrigen Industrieverbänden, da diese sich fast gänzlich zum Sprachrohr der Regierung machten und es in weitaus geringerem Maße als notwendig erachteten, den Teil ihrer sozialen Basis zu repräsentieren, der nicht von der Öffnungspolitik profitierte. Die Übernahme offizieller Regierungspositionen und der Grad der Anpassung gingen in der SOFOFA viel weiter als bei den Verbänden der kleinen und mittleren Industrie. Die kleinindustriellen Unternehmen gehörten zu jenen Unternehmenssegmenten, die am stärksten von der Verringerung industrieller Aktivitäten betroffen waren. Der industrielle Wertzuwachs lag 1979 nur um knapp 5% höher als 1967, wohingegen die Gesamtheit der Ökonomie im gleichen Zeitraum um 39% gewachsen war. Die Zahl der Kleinunternehmen im industriellen Sektor verringerte sich in jenen Jahren um über 10%, und auf den Binnenmarkt orientierte Industriebranchen Ökonomie zu diesem Zeitpunkt überwunden sei. Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 192 f. Die Reaktionen auf die Botschaft des Präsidenten zum 11. September 1979 verdeutlichen den Rückhalt der Regierung in diesem Teil der Unternehmerschaft. 'Ahora que el país tiene una base sólida puede abordar las tareas políticas y sociales planteadas por el Presidente ... la más importante es la decisión de mantener este esquema de desarrollo que da confianza a los inversionistas privados nacionales y extranjeros", so Hernán Daroch (SOFOFA). Manuel Valdés (COPROCO) betonte: 'Estamos orgullosos los chilenos por haber recuperado nuestro camino de dignidad, libertad y paz social. Ahora hay una tarea (social y política) en conjunto por realizar." Und Jorge Cheyre (ASIMET) betonte: "Cualquier persona después de escuchar se siente oigullosa de los gobernantes que tenemos ... La recuperación del país es la obra titánica de un gran estadista ... Chile ha avanzado mucho sin elecciones ... Los plazos para retornar a la democracia (planteados por el presidente) están dentro de lo lógico." Zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 195.

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(Textil, Kautschuk, Glas, Steingut, Elektroartikel), in denen kleine und mittlere Unternehmen überproportional vertreten waren, gehörten noch Ende der 70er Jahre zu den typischen Krisenbranchen. Aufgrund der großen Dispersion dieses Sektors wie auch der relativen Schwäche seiner Verbandsorganisationen gegenüber der SOFOFA waren ihnen nur geringe Erfolge in der Abwehr der Wirtschaftspolitik beschieden. Weder der Aufbau einer Entwicklungsbank, um Zugang zu billigeren Bankkrediten zu erlangen, noch die Forderung nach einem speziellen gesetzlichen Rahmen zur Förderung der Kleinindustriellen konnten durchgesetzt werden. Stattdessen wuchsen Klagen über den unlauteren Wettbewerb infolge des enormen Konkurrenzdrucks.5® Resümierend kann zunächst festgehalten werden, daß eine Reihe von Industriesektoren - etwa der metallverarbeitende Sektor (ASIMET), die Textilindustrie (Instituto Textil), die chemische und die lederverarbeitende Industrie - und deren Verbandsvertretungen von Anfang an gegen die Art und Weise der Liberalisierung der chilenischen Ökonomie mit ihrer drastischen Deflation, den radikalen Zollsenkungen und hohen Zinssätzen opponierten. Als Dachorganisation dieser Verbände nahm die SOFOFA einen weitaus gemäßigteren Standpunkt ein und drückte erst relativ spät ihre 'Besorgnis' über die Zollsenkungen aus, die weite Teile des Industriesektors in Mitleidenschaft zogen. Eine langsamere und mit den Industriellen abgestimmte Öffnung der Ökonomie konnte seitens der Verbände nicht durchgesetzt werden und fand keine Berücksichtigung bei der Regierung. Die Konflikte endeten ausnahmslos als Mißerfolg für die Verbände. 3.4.

Die Rolle der Agrarverbände

Im Agrarsektor kam es in den Jahren 1975 bis 1981 zu den nachhaltigsten Disputen und Konflikten sowohl zwischen den einzelnen Verbänden dieses Sektors wie auch zwischen jenen und der Regierung.51 Die Anwendung der Schockpolitik und die uneingeschränkte Öffnung der Ökonomie nach außen zeitigten im Landwirtschaftssektor sehr ungleiche Resultate, obschon dieser Sektor bereits seit 1974 geringe Wachstumsraten aufwies. Während einige Sparten, wie die Produktion von Obst und Gemüse für den Export, die Holzindustrie und bestimmte viehwirtschaftliche Aktivitäten sich unter Bedingungen des freien Marktes und der Außenöffnung schnell entwickelten, befanden sich traditionelle Produkte und allgemein die gesamte auf den Binnenmarkt orientierte Landwirtschaft in einer schweren Krise, 50 51

Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 196. Siehe dazu allgemein P. Silva, Estado, neoliberalismo y política agraria en Chile 1973-1981, Amsterdam, 1987, S. 274-296; P. Silva, Landowners and the State. From Confrontation to Cooperation?, in: P. Silva/C. Kay (Ed.), Development and Social Change in the Chilean Countryside, Amsterdam, 1992, S. 275-288.

304

da sie sich zunehmendem Wettbewerbsdruck durch Importe und dem Fehlen jeglicher aktiver staatlicher Förderungspolitik gegenübersahen. Die Ergebnisse in den einzelnen Sparten waren durch eine große Heterogenität und ausgeprägte Boomund Krisenphasen geprägt. Zudem verfügten die auf den Binnenmarkt orientierten Landwirte im Gegensatz zu den dynamischen Branchen nur über einen sehr begrenzten Zugang zu Krediten. Damit war eine Differenzierung der Unternehmerschaft verbunden. Einige Unternehmer mit besseren agroklimatischen Bedingungen wiesen einen hohen Kapitalisierungsgrad und große Gewinnspannen auf, die ihnen gute Akkumulationsbedingungen schufen. Da sie zudem vertikal (Infrastruktur, Verarbeitung) und horizontal (Kauf von Ländereien) integriert und geographisch diversifizierter waren, stellten sie die fundamentalen Protagonisten der landwirtschaftlichen Modernisierung dar. Dagegen hingen die Agrarier der benachteiligten Zonen (z.B. solche im Norden oder Süden des Landes) sowie diejenigen, die sich dem Anbau traditioneller Produkte widmeten, exzessiv von Krediten ab, deren Höhe in keiner Verbindung mehr zur Rentabilität stand, und überschuldeten sich rasch.52 Entsprechend verliefen die Trennlinien in einzelnen Konflikten zum einen zwischen allen Agrarverbänden und der Regierung, zum anderen zwischen der SNA, die zum strategischen Kern der Unternehmerverbände gehörte und von allen Verbänden die engsten personellen Verflechtungen mit der Diktatur aufwies, und den Verbänden der kleinen und mittleren Agrarier der Regionen (CPA und CAS). Die SNA übte zwar in der Phase der Schockpolitik Kritik an der Regierung, überschritt aber nie die Grenzen des neoliberalen Modells, dessen Anhänger sie war. Dabei wies sie zunächst noch auf die Notwendigkeit der Anpassung des neoliberalen Modells an die Realität des campo hin. 53 Resultat des offiziellen Schweigens der Regierung angesichts der Forderungen der Agrarverbände war eine Polemik zwischen diesen und dem damaligen Agrarminister, dem General (Carabineros) Vallejos, über die 'Führung' des Sektors. Für die Verbandsführer waren Minister und Mitarbeiter des Agrarministeriums übermäßig technokratisch eingestellt, und sie betrachteten diese insgesamt nicht als den Agrariern nahestehend. Auch der Staatssekretär (Subsecretario) im Ministerium sprach sich für eine größere staatliche Regulierung agropekuarischer Aktivitäten aus und kritisierte den exzessiven Liberalismus. Resultat der Auseinandersetzung war der Rücktritt des Ministers und des Staatssekretärs im Juli 1976. Neuer Siehe S. Gómez/J. Echenique, La agricultura chilena. Las dos caras de la modernización, Santiago, 1988, S. 201 ff. Der Präsident der SNA, Alfonso Márquez de la Plata, sagte im Juni 1976 in einem Interview mit der Zeitschrift Qué Pasa, Num. 271: "Estamos absolutamente de acuerdo con esta política económica y consideramos que no hay otra. Pero estimamos que deben adoptarse las medidas que la hagan practicable." Und auf die Notwendigkeit einer Kurskorrektur hinweisend hieß es: "Ciertas medidas podrían complementar el proceso sin cambiar su esencia ... pero los funcionarios no comprenden o no toman conciencia de lo que se les plantea."

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Agrarminister wurde nun General (Carabineros) MacKay, Staatssekretär wurde Sergio Romero, der zuvor Generalsekretär der SNA gewesen war. Kurz darauf wechselte Germán Riesco von der SNA auf den Direktorposten des Oficina de Planificación Agrícola (ODEPA). Die neue Ministerriege lag zwar auf Regierungslinie, stand aber agrarischen Interessen weitaus näher als die vorige. Damit hatten die agrarischen Interessenverbände zumindest einen Teilsieg errungen, da jetzt direkte Vertreter der SNA Regierungsgeschäfte wahrnahmen, was in jener Zeit für andere Verbände der Wirtschaft nicht zutraf, wohl aber für einige grupos?* Damit waren die Spannungen zwischen Agrariern und Regierung aber keineswegs beendet, denn unabhängig von der Größe ihrer Besitzungen fochten die Landwirte, die traditionelle Produkte für den Binnenmarkt herstellten, für eine angemessene Protektion. Ein Hauptstreitpunkt jener Jahre war die Frage, ob bestimmten landwirtschaftlichen Aktivitäten ein 'strategischer' Charakter zugewiesen werden sollte oder nicht. SNA und CPA schlugen der Regierung vor, bestimmte Produkte, welche die Nahrungsmittelbasis des Landes bildeten, für strategisch wichtig zu erklären und damit nicht der Weltmarktkonkurrenz auszusetzen. Wenn es keine Selbstversorgungsmöglichkeiten mit Grundnahrungsmitteln gebe, würde die Abhängigkeit des Landes stark steigen, womit die 'nationale Sicherheit' und die 'Autonomie des Landes1 gefährdet s e i e n . D i e Debatte entbrannte in den Jahren 1977 und 1978 in voller Schärfe und führte nicht nur zur Konfrontation zwischen Agrarverbänden und Regierung, sondern auch zwischen jenen und den einflußreichsten Verbandsführern der Industrie.36 Sie bestand fort, obwohl im April 1977 der Präsident der SNA, Alfonso Márquez de la Plata, zum neuen Landwirtschaftsminister ernannt wurde und nun die höchsten Vertreter des Landwirtschaftsministeriums höchste Repräsentanten der SNA waren. Und sie bestand fort, obwohl

56

Siehe G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 147 f. Zur Eröffnung der Feria Internacional de Santiago (FISA) 1976 drückte dies der Präsident der SNA, Alfonso Márquez de la Plata, so aus: "Los productos básicos deben ser producidos internamente aún a precios mayores que el mercado internacional, ellos tienen carácter estratégico y deben establecerse estímulos para éstos... No se debe caer en tentaciones que pueden traer la quiebra a la producción nacional... No podemos depender de un mercado sobre al que no tenemos influencia ... Frente a la agresión extema es necesario un adecuado autoabastecimiento de ciertos productos fundamentales agrícolas que son estratégicos." El Campesino, Octubre 1976. Die SNA argumentierte mit den 'strategischen Produkten' als Rechtfertigung für einen gewissen Zollschutz seit dem Juni 1974. Vgl. El Campesino, Julio 1974. So unterstützten Domingo Arteaga (Präsident der SOFOFA) und Ernesto Ayala, ein einflußreicher Industrieller und Präsident von 'La Papelera', in der Zeitschrift Ercilla, Num. 2166 vom Februar 1977, indirekt die Position der Regierung, indem sie auf den ihrer Meinung nach zweischneidigen und wenig präzisen Terminus 'strategische Industrien* hinwiesen. "No creo en el concepto de industrias estratégicas. Ese concepto es falso y nada tiene que ver con la seguridad nacional", so Arteaga.

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die Agrarier bereits die Festlegung von seit langem geforderten Preisschwankungsbreiten für Weizen, Raps und Zuckerrüben erreicht hatten. Im Grunde drehte sich dieser Konflikt um die Angemessenheit einer orthodoxen Anwendung von Marktprinzipien unterschiedslos auf alle Wirtschaftssektoren. Die doktrinäre Anwendung monetaristischer Grundsätze, wie sie von seiten der Regierung betrieben und von der SNA - von einer leichten Kritik abgesehen - im Grunde mitgetragen wurde, stand den Forderungen der durch das Modell benachteiligten Sektoren der Landwirtschaft gegenüber, einen größeren Pragmatismus in der Wirtschaftspolitik an den Tag zu legen. Damit waren auch unterschiedliche Sichtweisen über die weitere landwirtschaftliche Entwicklung verbunden. Während sich in der Phase der Konsolidierung des neoliberalen Wirtschaftsmodells die Agrarverbände noch generell für die Durchsetzung von Marktprinzipien und die Öffnung nach außen ausgesprochen hatten, stellten sie mit der Anwendung des Modells auf die Landwirtschaft deren Resultate in Frage. Sie zielten auf eine stärker nationale Perspektive der landwirtschaftlichen Entwicklung, die einer gewissen Binnenmarktlogik verhaftet war, wie sie in der Vergangenheit sowohl das Regierungshandeln als auch das Verhalten des Agrarsektors kennzeichnete. Unabhängig von der grundlegenden ideologischen Akzeptanz neoliberaler Marktprinzipien entwickelten sich in der Folgezeit einerseits die eher internationale Orientierung am Weltmarkt und die damit einhergehende Erhöhung der Konkurrenz und andererseits die stärker protektionistische Perspektive, die auf die Bewahrung gewisser landwirtschaftlicher Produktionssparten mit entsprechender Autonomie gegenüber Produkten aus dem Ausland zielte, immer stärker auseinander. Die Bruchlinie verlief mitten durch die SNA. Während Márquez de la Plata, von Cruzat-Larrafn kommend, die internationale Orientierung favorisierte und mit den Chicago Boys übereinstimmte, vertrat der neue Präsident der SNA, Francisco Bascuñán, eine gemäßigtere Richtung. 57 Die Debatte um die 'strategischen Produkte', deren Produktion zu sichern sei, gewann in dem Maße an Persistenz, wie sich die landwirtschaftliche Entwicklung weiterhin ungleichmäßig entwickelte, insbesondere die Produktion von Grundnah57

Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 157. Der Präsident der SNA, Francisco Bascuñán, betonte bei der Eröffnung der FISA 1977: Das Wirtschaftsmodell "debe considerar las condiciones especiales de la agricultura; no pueden aplicarse las mismas reglas indistintamente ... El país debe asegurarse un determinado autoabasteci miento de ciertos productos fundamentales de manera de disminuir razonablemente nuestra dependencia exterior ... Esto puede implicar ciertas medidas de fomento y estímulos que algunos poderian considerar incompatibles ... Seguimos estando en posición de inferioridad frente a otros sectores ... Se han producidos efectos graves en la viticultura, la remolacha y el maiz ... hay aguda descapitalización." Die ambivalente Haltung der SNA kommt am Schluß der Rede Bascuñáns zum Ausdruck: "Por encima de cualquier vicisitud, seguiremos empeñados en esta tarea junto a nuestro gobierno, pues comprendemos que este es el único camino que tiene como término un Chile próspero, grande y soberano." El Campesino, Noviembre 1977.

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rungsmitteln großen Konjunkturschwankungen ausgesetzt war und sich im Prinzip permanent in der Krise befand. Besonders betroffen waren Weizen, Raps und Zukkerrüben. Für die Anbieter dieser Produkte traf die Sichtweise der Regierung, daß die Landwirtschaft als Ganzes Fortschritte erzielte, kaum zu, da sich deren Analyse v.a. auf die Exportbranchen (die Holzwirtschaft und den Obstanbau) bezog, die für eine positive Handelsbilanz und günstige Wachstumsindizes sorgten. Die geringen Vorgaben der Regierung über eine wünschenswerte landwirtschaftliche Entwicklung und die unterschiedslose Öffnung der Ökonomie zum Weltmarkt führten im Verbund mit den durch die Wirtschaftspolitik induzierten hohen Kreditkosten - und damit zusammenhängend zunehmend höherer Verschuldung des Landwirtschaftssektors - zu einem Klima der Unsicherheit unter den betroffenen Landwirten und zu anhaltenden Konfrontationen über verschiedene Aspekte der Agrarpolitik. Dies betraf v.a. die als vollkommen unzureichend aufgefaßte Preisstützung über Preisschwankungsbreiten für Weizen, Raps und Zuckerrüben. Die nachhaltige Entkapitalisierung weiter Teile des Agrarsektors und die Überschuldung stellten für die benachteiligten Landwirte die von der Regierung festgestellten Fortschritte in Frage. Die Kommunikation zwischen diesen Agrariern (CPA und CAS) und der Regierung brach fast vollständig ab - obwohl und gerade auch deshalb, weil als Agrarminister ein ehemaliger Präsident der SNA fungierte und damit alte Animositäten zwischen den Verbänden des Agrarsektors wieder auftauchten. Dies führte zu Mißverständnissen und langfristigen Verstimmungen, die bei den erwähnten Agrarverbänden und regionalen Produzentenvereinigungen wie der Asociación de Productores de Trigo (ANPT) immer stärker zu der Überzeugung führten, daß nur über den Aufbau einer gemeinsamen Front gegen die betriebene Agrarpolitik und deren Helfershelfer unter den Verbänden Abhilfe geschaffen werden k ö n n e t 8 Doch auch die SNA - obwohl den erfolgreichen Branchen der Landwirtschaft näherstehend - konnte sich nicht gänzlich den negativen Folgen der Krise entziehen und wies mehrfach auf die Schwierigkeiten der Landwirte hin (hohe Kreditkosten, Preise, Dumping, starke Entkapitalisierung, wachsende Verschuldung, unzureichende Kredite, keine Zugangsmöglichkeiten zu billigen Krediten für kleine und

CO

Ein gutes Stimmungsbild der Situation liefern Äußerungen des Präsidenten der ANPT Carlos Podlech: "Detrás de la caída de la producción de trigo hay grandes firmas y grupos económicos que traen este trigo importado ... Tras una frustrada espera de cinco años llegó la hora de luchar de nuevo, no ya contra el MCR (Movimiento Campesino Revolucionario, die eng mit dem MIR verbunden war und in der Zeit der Unidad Popular die Landbesetzungen anführte; P.I.), sino contra los grupos económicos que sólo están mirando su propio negocio sin tomar en cuenta ... el porvenir del país." Hoy, Num. 74, Octubre de 1978. Und kurze Zeit später sagte Podlech über die Kontakte zwischen dem Ministerium und seiner Zweigorganisation: "Un diálogo de sordos no tiene objeto. Damos por terminado las conversaciones con el Ministro." Hoy, Num. 82, Diciembre de 1978.

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mittlere Landwirte, genereller Verfall der Rentabilität in bestimmten Branchen etc.). 59 Im Januar 1979 rief die CPA schließlich zur Bildung einer Frente de Unidad Nacional auf, deren Hauptziel es sein sollte, sich bei der Regierung Gehör zu verschaffen. An dieser Initiative beteiligten sich neben der CPA noch Rafael Cumsille (Comercio Detallista), Juan Jara (Taxistas), Leon Vilarín (Transportunternehmer), Miguel Jacob Helo (Profesionales y Técnicos) sowie Nelson Radice und Roberto Parragué (Kleinindustrielle), also die Repräsentanten der von der Wirtschaftspolitik am stärksten betroffenen Branchen. Bei der Frente de Unidad Nacional handelte es sich aber nicht um eine Verbändekoalition oppositioneller Kräfte. Wie in der Vergangenheit folgten diese Verbände politisch weiterhin dem Militärregime. Ihre Forderungen zielten eher auf eine ökonomische Kurskorrektur, wobei stärker 'nationale' Prinzipien die Wirtschaftspolitik bestimmen sollten. Die Bewegung mündete im Februar 1979 in die Gründung der Confederación de la Pequeña y Mediana Empresa (CPME), an der die CPA (vertreten durch Domingo Durán), die CONUPIA (Roberto Parragué), der Kleinhandel (Rafael Cumsille), die Taxifahrer (Juan Jara) und die Transportunternehmer (León Vilarín) beteiligt waren. Die CPME funktionierte ebenfalls mehr als Koordinationsinstrument denn als wirklicher Dachverband. Dennoch war sie, wie schon die Frente de Unidad Nacional, Ausdruck der Dualisierung der Wirtschaft und ihrer daraus resultierenden Benachteiligung; sie spiegelte die realen Konfliktlinien innerhalb der Unternehmerverbände wider und war damit das Gegenstück zur COPROCO, die für den Boom und den wirtschaftlichen Erfolg des neoliberalen Modells stand. Im Juli 1979 übergab die CMPE in einer Zusammenkunft mit dem Präsidenten Pinochet eine Reihe von Petitionen, die einen Wandel in der Wirtschaftspolitik forderten. Gleichzeitig erklärte sie, daß dies das Ende des Monopols der COPROCO bei dieser Art von Kontakten sei. 60 Im Zentrum der Auseinandersetzungen während der Zeit des Wirtschaftsbooms standen die kleinen und mittleren Landwirte, deren Diskurs sich zunehmend radikalisierte und die immer häufiger auch mit der SNA aneinander gerieten, da sich in der Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage zwei deutlich voneinander unterscheidbare Schemata abzeichneten: Die Perspektive einer erfolgreichen Konsolidierung des Wirtschaftsmodells, deren offensichtlichster Ausdruck gerade der Boom war, kontrastierte mit der trotz hohen Wirtschaftswachstums bestehenden Dualisierung der Ökonomie und der Krise der 'traditionellen' Landwirte. Während die

60

"La aplicación de esta estrategia exige una visión muy pragmática de la realidad y característica del sector, pués de no ocurrir así se pondría seriamente en peligro el éxito de dicho modelo económico", so Francisco Bascuñán (Präsident der SNA) zur Eröffnung der FISA 1978. El Campesino, Noviembre 1978. Vgl. dazu G. Campero, Los gremios empresariales..., a.a.O., S. 197 f., 200 f.

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CPA, unterstützt von der ANPT und der APA (Asociación de Productores de Arroz), erklärte, gegenüber der Agrarpolitik der Regierung sei es nötig, sich zu organisieren und gemeinsam zu handeln, reagierte die SNA genau gegenteilig. Die Konfrontation nahm mit der Übernahme der Präsidentschaft der S N A im April 1979 durch Germán Riesco, dem ehemaligen Direktor des Oficina de Planificación Agrícola (ODEPA) und Parteigänger des neoliberalen Wirtschaftsmodells, seinen Lauf und dauerte die erste Hälfte des Jahres 1979 an. 6 1 Grundsätzlich ging es weiterhin um den Kurs der landwirtschaftlichen Entwicklung und die diesbezüglich unterschiedlichen Vorstellungen der einzelnen Verbandsblöcke, in denen die Kontroversen 'globale landwirtschaftliche Entwicklung' (CPA) versus 'Spezialisierung auf moderne Exportpole' (SNA-Regierung) sowie die Frage der Wiederherstellung staatlicher Funktionen zur Planung und Implementierung bestimmter Entwicklungen im Zentrum standen. Die CPA verfocht dabei die Perspektive einer gemischten Wirtschaft im Agrarsektor und sprach sich gegen eine rein private, nur nach Marktprinzipien funktionierende Ökonomie aus. Der CAS trat dagegen stärker für eine 'subsidiäre Rolle des Staates' ein. Gleichzeitig kam es erstmals mit den verschärften Auseinandersetzungen zu rudimentären politischen Forderungen. Angesichts der unnachgiebigen Haltung der Chicago Boys forderte die ANPT eine Kon-

Zum Antritt der Präsidentschaft der SNA erklärte Riesco: "El sector agrícola no pretende ni pedirá tratos especiales ... La acción se orientará a ayudar a los productores a que se adapten con éxito al nuevo esquema económico ... Hay un sector que no ha aprovechado plenamente las ventajas del modelo escogido ... La meta no es la autoabastecicimiento sino la rentabilidad." El Mercurio 18/4/79, Hoy, Num. 101, Mayo 1979. Dagegen betonte die CPA: "Ningún agricultor ha pedido tratamiento especial. Lo que se pide es el mismo tratamiento que tiene la agricultura en el mundo entero ... Se quiere confundir el apoyo al gobierno con la incondicionalidad ... Hay un cinturón de civiles que rodean a los militares, los cuales han deslizado la creencia que quien no siente una adhesión ciega por el gobierno está en su contra ... Lo que se pide es que las autoridades planifiquen el desarrollo agrícola ... que la dieta nacional provenga de un 50% de los campos chilenos." Ähnlich äußerte sich Heriberto Schilling von der CAS. Siehe El Mercurio 24/4/79 und Hoy, Num. 101, Mayo 1979. Daraufhin entgegnete Riesco, daß er nicht mit Minderheiten polemisieren werde. Die Jahre 1975/76, in denen min über die Wirtschaftspolitik diskutiert habe, seien vorüber. Die neu geschaffene Realität sei allgemein gut für die Landwirte und für Chile. In einem später von Seiten der CPA an Riesco gerichteten Brief heißt es: "Qué quería Ud? Que la Confederación guadará silencio para que el equipo económico, con cuyos enfoques concuerda ciegamente, continúe ignorando el acontecer agrícola de importantes sectores que son arrastrados a la destrucción o desaparecimiento de sus cultivos, sin que haya sido posible encontrar otra alternativa ... Asistimos al triste espectáculo de una teoría económica que nos fue planteado como tal y como tal la aceptamos, sin embargo, ella se ido transformando en un intransigente sistema político, tan dogmático como el que le conocimos a Vuscovic (der Wirtschaftsminister der Regierung Allende, P.I.) ... compartimos una economía de mercado pero aplicado con flexibilidad ... somos leales a las Fuerzas Armadas pero no a los economistas." El Mercurio 2/6/79. Siehe zum folgenden G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 204 ff. 310

trollinstanz in Form eines Parlaments als Gegengewicht zur Exekutive, die den zurückgebliebenen Sektoren alternative Artikulationsmöglichkeiten bieten sollte, um die Hegemonie der dominanten Sektoren an der Macht einzudämmen. Die Opposition richtete sich nicht gegen das Militärregime als solches, sondern gegen die monetaristische Wirtschaftsequipe. In der zweiten Hälfte des Jahres 1979 verminderten sich die Spannungen zwischen CPA/CAS und SNA angesichts der sie gemeinsam betreffenden Probleme. Zum einen entschied die Regierung, die steuerliche Belastung für landwirtschaftliche Güter in Anbetracht gestiegener Preise für Agrarland infolge freier Kommerzialisierungsmöglichkeiten beträchtlich zu erhöhen. Dies rief den gemeinsamen Protest von CPA und SNA hervor, ohne daß es allerdings gelang, die Regierung umzustimmen. Jahre später kulminierte dieser Konflikt in der Frage der angemessenen Bewertung der Rentabilität des Agrarsektors. Zum anderen traten CPA und SNA Mitte des Jahres an die Regierung mit der Bitte heran, die 1977 etablierten Preisschwankungsbreiten für Weizen zu eliminieren, da sie als unzulänglich betrachtet wurden. Die CPA hatte die Festlegung von Preisschwankungsbreiten ursprünglich gegenüber anderen protektionistischen Maßnahmen akzeptiert, da sie in ihnen eine Möglichkeit sah, bestimmten Produkten einen 'strategischen Charakter' zu verleihen. Nicht einverstanden war sie allerdings mit der festgesetzten Höhe der Preise, die sie als so niedrig betrachtete, daß die Rentabilität der Produzenten gefährdet sei. Der Verband trat mit seiner Forderung nach einem Abbau der Preisschwankungsbreiten nicht etwa für die Liberalisierung des Agrarmarktes ein, sondern suchte angesichts einer hochgradigen Monopolisierung der Vermarktungsstrukturen durch die Mühlenbetriebe, die auch die Preisbildung bestimmten, effektivere Schutzbestimmungen für die Produzenten durchzusetzen. Neben höheren Preisen richtete sich die Forderung der CPA auf die Bildung einer gemischtwirtschaftlichen Vermarktungs- und Abnahmegesellschaft, welche die Weizenpreise zu regulieren in der Lage wäre. Auch die SNA war der Meinung, daß die Höhe der Preise zu niedrig sei und forderte effektivere Schutzbestimmungen als die Preisschwankungsbreiten (z.B. einen hohen realen Wechselkurs, direkte Subventionen etc.). Ansonsten war sie aber für eine freie Vermarktung und lehnte die von der CPA geforderte stärkere Regulierung ab. Die Regierung ging auf diese Vorschläge nur insofern ein, als sie zwar die Preise für bestimmte noch mit Bandbreiten ausgestattete Produkte liberalisierte, gleichzeitig aber - entsprechend den Vorschlägen der SNA - auch noch die letzten staatlichen Abnahmegesellschaften für Weizen und Raps, die vom Empresa de Comercio Agricola (ECA) betrieben wurden, liquidierte und ansonsten ihren Liberalisierungskurs in der Landwirtschaft fortsetzte.^ 2

^

Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 207 f.; E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 279 f.

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Erst Anfang 1980 kam es dann zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen den der Wirtschaftspolitik kritisch gegenüberstehenden Gremien und der Regierung bzw. der SNA. Die Entscheidung der Regierung, die Unternehmen der staatlichen Industria Azucarera Nacional (IANSA) in Linares und Los Angeles zu verkaufen, die die Zuckerrübenproduktion der Region verarbeiteten, ließ die Debatte über die Funktionen des Staates in der Landwirtschaft erneut aufleben. Während Domingo Durán von der CPA die Verkaufspläne als alarmierend bezeichnete und darauf hinwies, daß die Subsidiarität des Staates spätestens bei der Gefährdung des Gemeinwohls des Landes aufhören müsse, vertrat Germán Riesco von der SNA eine vollkommen entgegengesetzte Position: die Maßnahme führe zu höherem Wettbewerb und nütze Produzenten wie Konsumenten, da der Staat ein schlechter Unternehmer sei. Die Frage der Art und Weise des staatlichen Einflusses reproduzierte sich auch in bezug auf die Weizenproduzenten und rief eine Reihe von Zweigverbänden (z.B. ANPT, Federación Agrícola de Osorno, Sociedad Agrícola de Bio-Bio, CPA) auf den Plan, die auf den anhaltend krisenhaften Verlauf der Landwirtschaft hinwiesen und direkt an den staatlichen Erfindungsgeist appellierten, um der Krise Herr zu werden. Dabei wurde nicht nur das den Interessen der Produzenten entgegenstehende Wirtschaftsmodell scharf kritisiert, sondern sogar die Forderung erhoben, bestimmte Sektoren der Landwirtschaft zum nationalen Katastrophengebiet zu erklären und die dafür von der Verfassung vorgesehenen Ressourcen als Ausgleich zu mobilisieren. Das Agrarministerium denunzierte diese Äußerungen als Paternalismus und Suche nach Subsidien, wohingegen die CPA auf einer aktiveren Rolle des Staates bestand. Die Konfrontation zwischen CPA und Regierung erreichte im Juni 1980 einen vorläufigen Höhepunkt. Auf einer Versammlung von 4000 Landwirten in Talca wurde als Reaktion auf die Krise nicht nur die Federación de Productores Agrícolas de Talca geschaffen, sondern die Teilnehmer forderten insgesamt entschiedenere Aktionen der Gremien gegen die durch die Wirtschaftspolitik verursachte Krise und eine aktivere staatliche Politik im Interesse der Agrarier, die verläßliche Rahmenbedingungen schaffen und die Rentabilität des Sektors sicherstellen sollte.63 Im folgenden sollen an zwei Konflikten paradigmatisch ihre Ausdrucks- und Verlaufsformen sowie unterschiedliche Allianzen der sozialen Akteure erörtert werden, wie sie sich aus den größeren Auseinandersetzungen ergaben. Im ersten ® Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 213 ff. Die Welt der SNA bringt dagegen Germán Riesco zum Ausdruck: "Después de cuatro décadas de decrecimiento ... comprobamos con complacencia la recuperación de nuestro sector a partir de 1973. Restablecidos el orden ... y el respeto al derecho de propiedad ... liberados de la odiosa discriminación económica ... como consecuencia del sistema de sustitución de importaciones que imponía sobre nuestros hombres gran parte del costo de la exagerada protección industrial en que se basaba ... hemos iniciado la magna tarea de desarrollar nuestras tierras." El Campesino, Octubre 1979.

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Konflikt ging es um die Festsetzung der Weizenpreise für die Saison 1976-77, im zweiten, dem sog. Milchkonflikt (1977), um die Modifikation der Zölle für importierte Milch. 64 Die kämpferischen Protagonisten in beiden Konflikten waren die kleinen und mittleren Unternehmer des Südens und ihre Verbände. Die SNA hatte dagegen die Verteidigung der Interessen des benachteiligten Teils ihrer Mitgliedsbasis aufgegeben und den Verband in ein Instrument der Regierung verwandelt. Sie versuchte die Kosten des Wirtschaftsmodells und der Regierungspolitik herunterzuspielen. Exkurs: Der Konflikt um die Weizenpreise 1976 Die Auseinandersetzung um die Festsetzung eines angemessenen Weizenpreises für die Saison 1976-77 muß vor dem Hintergrund der schwierigen ökonomischen Situation der Mehrheit der landwirtschaftlichen Produzenten gesehen werden, die infolge der schrittweisen Liberalisierung der Ökonomie entstanden war. Offensichtlichster Ausdruck dieser Lage war der abrupte Produktionsrückgang in der Landwirtschaft 1975-76, dessen Ursachen zum Großteil in der von der Militärregierung umgesetzten Wirtschaftspolitik zu suchen sind. Die Festlegung der Weizenpreise wurde von den Produzenten mit großer Spannimg erwartet, handelte es sich doch um ein Produkt, welches bei weitem die größte Anbaufläche des Landes einnahm und bei dem ein breites Spektrum von Produzenten ganz unterschiedlicher Größenordnungen und geographischer Zonen betroffen war. Außerdem fungierte der Weizenpreis für diverse weitere agrarische Produkte als Referenzpreis. Zur Festsetzung der Weizenpreise trafen sich die Agrarverbände im April 1976 mit hohen Regierungsvertretern. Die Unternehmerverbände (SNA, CPA, CAS und die Confederación de Cooperativas Agrícolas COPAGRO) erzielten über die Probleme der Landwirtschaft schnell Einigkeit. Sie billigten grundsätzlich die Wirtschaftspolitik, betonten aber, daß diese angemessen umgesetzt werden müsse, was nur durch eine entsprechende Kredit- und Preispolitik, Vermarktungskanäle und Außenhandelsstrategien, die eine genügend hohe Rentabilität für die Produzenten sicherstellten, zu bewerkstelligen sei. Die Regierungsposition in dieser Angelegenheit war gespalten: Während das Secretaría General de Gobierno (dem ein General des Heeres vorstand) geostrategisch argumentierte und zu dem Schluß kam, daß die landwirtschaftliche Selbstversorgung mit Weizen ein historischer Imperativ sei, betonte der Wirtschaftsminister schlicht und deutlich, daß der Landwirtschaftssektor sich diszipliniert in die 'soziale Marktwirtschaft' einzuordnen habe, was eben die Akzeptanz der Öffnung zum Weltmarkt und die zentrale Rolle des Marktes in der Allokation von Ressourcen einschließe. Die unterschiedlichen Standpunkte konnten ^

Siehe zum folgenden ausführlicher S. Gómez, Organizaciones empresariales rurales y políticas estatales en Chile. Coyunturas de conflictos y consensos, FLACSO, Documento de Trabajo, Num. 392, Santiago, 1988, S. 6-28.

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nicht ausgeglichen werden. Ende September erhielten die Agrarier zunächst Rükkendeckung von El Mercurio. Die Zeitung betonte, daß die Landwirtschaft nicht begünstigt werden wolle, aber einen Umgang erwarte, der in realistischer Weise die besonderen agrarischen Bedingungen berücksichtige. Nach den vielen Irrtümern der Vergangenheit (i.e. Agrarreform, Benachteiligung der Landwirtschaft zugunsten der Industrie) würden die Landwirte wenigstens gerechte Preise für ihre Produkte erwarten. Selbst General Pinochet zeigte sich Ende Oktober 1976 den Nöten der Agrarier gegenüber aufgeschlossen und kündigte eine Politik an, die nicht die gleichen Normen auf die Landwirtschaft wie auf die Industrie anwenden werde. Damit stellte sich zunächst Erleichterung bei den Verbänden ein, wurden die Äußerungen von der SNA doch so interpretiert, daß die Regierung begriffen habe, mit welchen Maßnahmen die Entwicklung des Landwirtschaftssektors anzukurbeln sei. Um so größer war die Überraschung, als Anfang Dezember 1976 der Preis des Weizens im Diario Oficial mit 278 $ pro Tonne plus einer täglichen Anpassungsmarge festgelegt wurde. Die Landwirte hatten einen Mindestpreis von 350 $ erwartet und wiesen darauf hin, daß sie unter diesen Bedingungen nur 70% ihrer Produktionskosten decken könnten. Entsprechend ließen die Reaktionen nicht auf sich warten. In ihrer moderat gehaltenen Erklärung bezeichnete die SNA die Nachricht als die negativste des Jahres und stellte mit Enttäuschung fest, daß ihre Vorschläge überhört worden seien. Wenn die Produzenten dies vorher gewußt hätten, hätten sie die Aussaat verweigert, um den Weizen nicht mit Verlust verkaufen zu müssen. CAS und CPA reagierten schärfer. Die CAS sei durch die Maßnahme in Alarmzustand versetzt worden, da sie zum Verlust eines für das Land lebenswichtigen Produktionssektors führen und sich schließlich in eine größere Abhängigkeit vom Ausland übersetzen würde, die bereits jetzt unter dem Blickwinkel 'nationaler Sicherheit' untragbar sei. Da die Maßnahme zu früheren Absichtserklärungen der Regierung im Gegensatz stehe, impliziere sie einen schweren Vertrauensverlust in deren Politik. Die CPA äußerte die Hoffnung auf eine Revision der Entscheidung und wies ebenfalls auf den möglichen Vertrauensbruch hin. 65 Gegenüber der fortgesetzten Protestwelle wies der Wirtschaftsminister darauf hin, daß der festgesetzte Preis immer noch über dem des importierten Weizens liege, was eine beträchtliche Subsidiierung der Produzenten einschließe. Angesichts der Reaktionen der Verbände wechselte El Mercurio ins Regierungslager. Die Protestreaktionen von jenen, die am meisten von der Maßnahme profitierten, seien nicht gerechtfertigt. Das Verhalten der Unternehmer sei zu verurteilen, da es mit einer freien Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren sei. El Mercurio beschuldigte nun die Verbände, sozialistische Praktiken zu kultivieren, indem protektionistische Maßnahmen, Förderung und Subsidiierung durch billige Kredite und Produktionsanreize mittels steuerlicher 65

Siehe die einzelnen Stellungnahmen in El Mercurio vom 10/12/1976 und 12/12/1976.

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Ausnahmeregelungen gefordert würden. Damit spreche man die Sprache der Unidad Popular. Eine Berücksichtigung der Unternehmerinteressen würde das Land neuerlich in den Sozialismus fuhren. 66 Mit der Vertiefung und Ausweitung des neoliberalen Modells in der Landwirtschaft blieben die festgesetzen Preise bestehen und die Forderungen der Unternehmer unberücksichtigt. Im Konflikt um die Festsetzung des Weizenpreises handelten die Unternehmerverbände der Landwirtschaft zwar gemeinsam, konnten ihr Ziel aber aufgrund offensichtlicher Schwächen in der Interessenvertretungspolitik nicht erreichen. Auf der einen Seite paßte sich die SNA nur äußerst ungenügend in die Oppositionsrolle ein. Zwar hatte sie mehr als ein Jahrzehnt ihre Struktur und Funktionsweise ganz an der Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder ausgerichtet und dabei ihr anderes programmatisches Ziel, die Förderung landwirtschaftlicher Aktivitäten und die Entwicklung des Agrarsektors, hintangestellt, doch zeigte die Führung der SNA unter 'ihrer' Militärregierung und mit deren Maßnahmen konfrontiert nur geringe Sensibilität und noch weniger Kraftanstrengungen für die Belange der Mehrheit der Landwirte. Diese Rolle spielte auf der anderen Seite die CPA unter ihrem Präsidenten Domingo Durán - allerdings mit deutlichen Grenzen. Die Organisation verfügte nämlich weder über genügend solide Strukturen noch über entsprechende Ressourcen finanzieller Art, um effektiv handeln zu können. Als Nachfolgeorganisation der Confederación de Empleadores Agrícolas, die ja eigens zur Bekämpfung der Gewerkschaftsbewegung auf dem Lande gegründet worden war, verlor sie mit der Unterdrückung dieser Bewegung durch die Militärs seit 1973 an Bedeutung. Zudem verfügte die CPA kaum über Föderationen in der Provinz, die ordentlich funktionierten und finanziell hinreichend ausgestattet waren. Nicht zuletzt trennte auch ein bestimmter Führungsstil die CPA und die SNA voneinander. Die ironisch-sarkastische Art Duráns kontrastierte mit der förmlichen, traditionellen Art der Spitze der SNA und rückte ihn damit stärker in die Nähe der aggressiven und traditionell nur wenig auf den Staat ausgerichteten Haltung der CAS. In dem Maße, wie auch Differenzen zwischen großen und kleinen Landwirten sichtbar wurden, war es für die Regierung einfach, ihren Standpunkt in der Frage des Weizenpreises durchzuset-

Siehe El Mercurio, Columna Temas Económicas, 18/12/1976. An anderer Stelle hielt der ExPräsident der SOFOFA, Orlando Sáenz, dieser weitreichenden Kritik entgegen, daß die hohen Kosten für die Inputs der Landwirte und die horrende Kredithöhe eine Konkurrenz selbst zum festgesetzten Preis erschwere. Vgl. Orlando Sáenz, La asignación de recursos y su mito, La Tercera 19/12/1976. fn Vgl. S. Gómez, Organizaciones empresariales ..., a.a.O., S. 44 ff.

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Exkurs: Der sog. Milchkonflikt 1977 Der Konflikt um die Höhe der Zölle für importierte Milch zwischen einem Teil der Unternehmerorganisationen und der Regierung Pinochet muß ebenfalls vor dem Hintergrund der abnehmenden Protektion der chilenischen Wirtschaft und der Öffnung gegenüber dem Weltmarkt gesehen werden.68 Um die Tragweite dieses Konflikts zu verstehen, muß zunächst kurz auf die Entwicklung der chilenischen Milchwirtschaft im Süden des Landes eingegangen werden. Seit 1960 wurden im Sinne eines integralen Entwicklungsprojekts seitens der CORFO und mittels internationaler Kredite Produktionskapazitäten installiert, die auch die Verarbeitung und Vermarktung von Milchprodukten im Lande selbst sicherstellten. Damit erfuhren zugleich die Unternehmerorganisationen des Südens (in diesem Fall die CAS, v.a. in den Provinzen Cautín, Valdivia, Osorno und Puerto Montt) eine bedeutende Aufwertung. Drei weitere Punkte müssen zum Verständnis des Konflikts in Betracht gezogen werden: a) der Hauptabnehmer von Milchprodukten in Chile war der Staat über das Gesundheitsministerium; b) ein beträchtlicher Teil der benötigten Menge Milch wurde importiert (ca. 20%) und mit einem hohen Zoll belegt, um die starke Subsidiierung der Produktion der Exportländer auszugleichen; c) der Zoll wurde jeweils vierteljährlich neu festgesetzt, um Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ausgleichen zu können. Mitte Juli 1977 wurde bei einer solchen Revision seitens des Wirtschaftsministeriums entschieden, den Zoll einseitig erheblich (von 300 US-$ auf 130 US-$ pro Tonne) abzusenken, was mit einem Preisanstieg für Milch auf dem Weltmarkt und einem effektiveren Verbraucherschutz begründet wurde. Angesichts dieser Maßnahme kündigte der Präsident der CPA den unmittelbaren Zusammenbruch der nationalen Milchwirtschaft an und rief alle beteiligten Produzenten und Händler zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, in der die Regierung aufgefordert wurde, ihre Entscheidung nochmals zu überdenken. Gegenüber dem Protest der Landwirte erwiderte das Wirtschaftsministerium, daß, falls die Landwirte nicht die nötige Effizienz zur Produktion von Milch erreichten, es besser wäre, wenn sie ihre Kühe gleich schlachten würden. Der Konflikt verschärfte sich noch deutlich im Ton, als der Wirtschaftsminister erklärte, bei seinen Entscheidungen noch nie die Landwirte konsultiert zu haben und daß es nicht um eine verhandelbare Entscheidung gehe. 69 Verschiedene Akteure aus dem Unternehmerlager wurden in den Konflikt einbezogen. Der Präsident der COPROCO solidarisierte sich mit den Milchproduzenten und erklärte, daß die Maßnahme der Regierung vorher nicht im Comité Asesor de 68

Siehe hierzu auch S. Gómez/J. Echenique, a.a.O., S. 215 ff.; sowie S. Gómez, Instituciones y procesos agrarios en Chile, FLACSO, Santiago, 1982, S. 111-126. Diese Aussage entbehrt insofern nicht einer gewissen Ironie, als er selbst Anfang der 70er Jahre noch aktives Mitglied der SNA und sogar einer der IS consejeros nacionales dieses Verbandes gewesen war. Siehe El Campesino, Diciembre 1973, S. 7.

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Política Arancelaría des Finanzministeriums, an dem auch ein Vertreter der COPROCO teilnahm, behandelt worden war, weshalb er sich aus der Kommission zurückzog. Auch der Präsident der SOFOFA brachte öffentlich seine Diskonformität mit der Maßnahme zum Ausdruck. Die SNA forderte die Regierung auf, den Import von Milch solange auszusetzen, bis das Problem gelöst und das Wirtschaftsministerium den Zolltarif erneut geprüft habe. Äußerungen über die äußerst negativen Konsequenzen der Herabsetzung der Zölle für die Milchwirtschaft multiplizierten sich und führten langsam zu einer verallgemeinerten Kritik an der extrem liberalen Position der Regierung.70 Angesichts der sich zuspitzenden Situation wurde eine spezielle Kommission, bestehend aus Wirtschafts-, Gesundheits- und Agrarminister, gebildet, die sich der Frage eines adäquaten Zolls widmen sollte. Über das Agrarministerium erreichten Milchproduzenten und betroffene Industrielle Eingang in die Kommission. Das Gesundheitsministerium, dem General Matthei von der Luftwaffe vorstand, hatte bereits vorher den Kauf von Milch im Ausland bis zur Lösung des Konflikts zeitweilig eingestellt und damit eine flexiblere Haltung an den Tag gelegt. Die Positionen beider Ministerien kontrastierten scharf mit der Intransigenz des Wirtschaftsministeriums in den Händen der Chicago Boys, die den Konflikt abermals verschärften, indem sie im Fernsehen darauf verwiesen, daß die Landwirte sich nicht künstlich auf Kosten der Konsumenten bereichern dürften. 71 Berichte über die chilenische Milchwirtschaft nahmen in den Medien stark zu und füllten den Platz der Nachrichtensendungen. Fast ausnahmslos wiesen sie auf die Notwendigkeit hin, Produktion und Vertrieb von Milch im Lande aufrechtzuerhalten. Die Führungsgremien der CPA organisierten Reisen in den Süden, um den Verantwortlichen den hohen Stand der Produktion vor Augen zu fuhren. Der inzwischen zum scharfen Kritiker des monetaristischen Modells konvertierte Ex-Präsident der SOFOFA, Orlando Sáenz, beleuchtete auch die genuin politische Seite des Konflikts und das Verhalten der Verbände:

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Diesbezüglich erklärte der Präsident der SNA: "Lo más grave que tiene la agricultura en estos momentos, es la pérdida de alternativas. Hoy, con falta de alternativas, sólo un loco podría invertir en tierras, (es necesario) definir con honestad lo que interesa a Chile. Si se está abierto a la producción que puede haber en cualquier parte del globo, la que pueda ser más barata, no cabe ninguna alternativa agrícola para el país. No cabe ... salvo pequeños sectores que no alcanzan a ser el uno por ciento de la producción nacional, que son frutales con microclimas especiales." La Segunda 18/8/1977. "No pueden pretender utilidades a costa de empobrecer artificialmente a los consumidores y que debían sentir, por lo menos, un poco de vergüenza cada vez que piden un impuesto a los importadores." Diese Äußerung veranlaßte den Präsidenten der CPA, Domingo Durán, zu der Bemerkung: "No hay madre en este país que haya parido al h(...) que me venga a decir a mi sinvergüenza ... Y quién cresta va a responder en este país cuando nos demos cuenta del error? Son imbeciles los europeos o los norteamericanos por proteger a sus productores o somos nosotros los ... huemules?" Las Ultimas Noticias 21/8/1977.

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"Esta polémica de leche, además de abrir una indiscreta cortina sobre el drama del productor chileno, desnuda también una tragedia política. Los organismos representativos de las actividades productivas empiezan, demasiado tarde, por cierto, a darse cuenta a qué posiciones imposibles lo ha conducido su apoyo obsecuente, irrestricto, e indiscriminado a la política económica oficial. Con una miopía simplemente suicida, aceptaron transformarse de dirigentes gremiales en simples altoparlantes de una política que, en unos pocos años, ha desecho la base económica de los sectores que representan. Como consecuencia de ello, han pagado el precio de una atroz pérdida de representatividad, cosechando apenas el despectivo distanciamiento que siempre tiene la omnipotencia para quienes han dejado de ser útiles ... Ambos dramas además, el económico y el político están magistralmente sintetizados en esta frase que ingresará a la antología de los juicios célebres de ese periodo 'que se comen las vacas'." 72 Mitte Oktober, einige Tage vor Ablauf der 90-Tage-Frist für den umstrittene Zolltarif, beendete die eingesetzte Kommission ihre Arbeit. Wichtigstes Resultat war die Anhebung der Zölle von 130 US-$ auf 248 US-$ pro Tonne 73 - trotz negativer Bewertung durch das Wirtschaftsministerium. Die Milchproduzenten hatten damit den Konflikt für sich entschieden. Die Auseinandersetzung machte deutlich, wie stark die hegemoniale Position der SNA erschüttert war, da die Führung des Konflikts fast ausschließlich bei der CPA und beim CAS lag. 74 Zum Erfolg der Milchproduzenten hatten mehrere Faktoren beigetragen. Ganz allgemein befanden sie sich in einer potentiell machtvollen Position. Erstens gab es unter ihnen eine relativ große Homogenität (es handelte sich fast ausschließlich um mittelgroße Unternehmen) und ihre Produktionsanlagen waren geographisch eng konzentriert (v.a. in den Provinzen Cautín und Llanquihue). Zweitens konnten die Milchproduzenten auf die Unterstützung der Industrie zählen, die ihre Produkte weiterverarbeitete, da es eine enge Verbindung zwischen den der Produktion vorund nachgelagerten Bereiche gab. Ein Teil der Milchproduzenten war zudem über Kooperativen selbst Eigentümer der Verarbeitungsbetriebe. Drittens war die Milchwirtschaft eine relativ spezialisierte Produktionsbranche, die nur über geringe Diversifikationsmöglichkeiten und damit Alternativen verfügte. Die 'erfolgreiche' 72 73

74

La Tercera 14/8/1977. Daneben sollte der Zoll dem Wechselkurs des Dollars angepaßt werden und jeweils sechs Monate lang gültig sein. Das Gesundheitsministerium verpflichtete sich, zunächst die gesamte nationale Milchproduktion aufzukaufen, bevor Milch importiert werde. Die SNA brachte später ihr Unbehagen mit der Form der Konfliktregelung seitens der CPA und des CAS in ihrem 'Memoria de Actividades' 1976-77, El Campesino Octubre-Noviembre 1977, S. 67, wie folgt zum Ausdruck: "Queremos dejar expresa constancia de que la experiencia vivida en este caso nos ha permitido constatar, una vez más, que el diálogo y los estudios fundados son el único camino para la expresión de nuestras inquietudes y problemas, y que en cambio en nada ayudan a la causa agrícola las posiciones estridentes y catastrofistas que, al parecer, más que procurar la solución a los problemas, persiguen una posición de demagógico y anacrónico populismo."

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Konfliktlösung hing zudem auch von der Stellung der Unternehmer im Produktionsprozeß ab. Die Milchproduzenten aus dem Süden Chiles leben normalerweise auf ihrem Land, führen spezialisierte Arbeiten selbst aus und beschäftigen vergleichsweise wenige Arbeiter. Dies markiert einen fundamentalen Unterschied zu den mittleren Landwirten der Zentralzone, die nur teilweise auf dem Grund und Boden, den sie bewirtschaften, leben, höchstens Verwaltungstätigkeiten ausführen und eine hohe Zahl von Arbeitern beschäftigen. Die Milchproduzenten des Südens waren weitaus autonomer und weniger abhängig vom Staat und konnten entsprechend stärkeren Druck auf die Regierung ausüben.73 3.5.

Die Verbände des Finanz- und Dienstleistungssektors

Die Situation und die Lage der Unternehmer im Dienstleistungssektor, also insbesondere von Banken, Handels- und Transportunternehmen, stellte sich sehr unterschiedlich dar. Während man im Bereich der Banken und des Großhandels (insbesondere jenes Segments, welches durch die Asociación de Bancos e Instituciones Financieras (ABIF) und die Cámara Nacional de Comercio und damit der COPROCO vertreten wurde) eine generelle Begünstigung der Unternehmer durch die ökonomische Logik des neoliberalen Wirtschaftsmodells feststellen konnte, war die Situation im Kleinhandel (Comercio Detallista) und bei den Transportunternehmern sehr unterschiedlich. Obwohl Unternehmerverbände wie die ABIF und die CANACO formell als Organisation vom Politikprozeß ausgeschlossen waren, hatten sie wenig Grund zur Klage. Sowohl finanzielle Dienstleistungen wie auch Handelsaktivitäten boomten als Resultat des fixen Wechselkurses, der geringen Importsteuern und der generellen Liberalisierung der Ökonomie, so daß sich nach der Reprivatisierung durch das Pinochet-Regime schnell wieder eine große Dynamik des Banksektors einstellen konnte. Die monetaristische Politik, die zum Abbau von Regulationen im Bereich der Bank- und Finanzgesellschaften führte, den Aufbau eines funktionsfähigen Kapitalmarktes förderte und rechtliche Kreditaufnahmebeschränkungen im Ausland abbaute, räumte den Bankkapitalen gegenüber der übrigen Wirtschaft, insbesondere den produktiven Sektoren, eine überaus vorteilhafte Position ein. Wie schnell die Banken zur zentralen Schaltstelle der Ökonomie wurden, belegen nicht nur ihre 'neue' Kreditvermittlerposition (Scharnier zwischen den internationalen Kapitalmärkten und dem Binnenmarkt infolge hoher Liquidität auf dem Weltmarkt) und die schnelle Expansion in den 70er Jahren (der Anteil des Finanzsektors am BSP verdoppelte sich), sondern auch die Tatsache, daß die größten Banken in jenen Jahren das Zentrum der mächtigsten grupos económicos bildeten. Die größten grupos, Cruzat-Larrafn und Vial, konnten gerade wegen der engen Verflechtung mit einer ^

Vgl. S. Gómez, Organizaciones empresariales ..., a.a.O., S. 46 f.

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Bank und dem unbegrenzten Zugang zu billigen externen Krediten ein derartiges Wachstum an den Tag legen. Nur am Rande sei hier vermerkt, daß Javier Vial selbst langjähriger Präsident der ABIF war und Manuel Cruzat ebenfalls zu den höchsten Repräsentanten des Verbandes gehörte. Spekulationsaktivitäten und Finanztransaktionen gewannen angesichts vielfältiger wirtschaftlicher Unsicherheiten und den durch die Wirtschaftspolitik hervorgerufenen Unwägbarkeiten in bezug auf die Erweiterung der Produktionskapazitäten schnell die Oberhand. Die großen Bankkapitale waren nicht nur wesentliche Nutznießer der neoliberalen Politik, sondern bereits die Wahl des radikal neoliberalen Modells entsprach einer politischen Allianz zwischen dem Regime und einem bestimmten Sektor der chilenischen Unternehmerschaft. Die größten grupos económicos - und damit das Finanzkapital - dominierten in dieser Periode zusammen mit den Militärs den Staatsapparat. Es kommt nicht von ungefähr, daß aus dem Verband der Banker (Asociación de Bancos) weder Kritik an einzelnen Maßnahmen noch am generellen wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung geübt wurde, waren doch direkte Vertreter der mächtigsten Unternehmen des Sektors für die Politik verantwortlich. Ein weiterer uneingeschränkter Nutznießer des neoliberalen Modells war die Cámara Nacional de Comercio, die der COPROCO angehörte. Ihre zumeist großen Unternehmen mit gutem Zugang zum Weltmarkt und Waren für die höheren Einkommensschichten profitierten ebenfalls in besonderer Weise von der Liberalisierung der Ökonomie. Insbesondere die Senkung der Zölle und die Etablierung eines 'realistischen' Wechselkurses schufen Erfolgsbedingungen, die sich nur ungenügend im starken Anstieg der Konsumgüterimporte widerspiegelten. Die Benachteiligung produktiver Investitionen zeigte sich in dem Sektor daran, daß zumindest ein Teil des produzierenden Gewerbes angesichts der Handelsliberalisierung diese Aktivitäten aufgab, um sich dem lukrativeren Import-ExportGeschäft zu widmen. Sowohl die Cámara Nacional de Comercio wie auch das Registro Nacional de Comerciantes (RNC) und das Sindicato de Comerciantes (SIDECO), beide besetzt mit Händlern aus dem Zentrum Santiagos und den 'besseren Vierteln', standen fest hinter der Regierungspolitik.76 So heißt es z.B. in einer Verlautbarung der Cámara Nacional de Comercio aus ihrer Jahresversammlung 1979 gemäß El Mercurio vom 24/11/1979: "Esta política económica es la que da mayores posibilidades de desarrollo. La mayoría de los comerciantes se ha adaptado al sistema de mercado." Siehe zum Bank- und Handelssektor ausführlicher E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 307 ff., und G. Campero, a.a.O., S. 209 ff. Der Vollständigkeit halber sollen noch die Verbände des Bausektors und des Minenwesens erwähnt werden. Die Cámara Chilena de la Construcción expandierte in der Zeit des Wirtschaftsbooms dank des Überflusses an internationalen Krediten ebenfalls stark und der Settor erreichte in der Folgezeit der Depression Mitte der 70er Jahre wieder seinen vorherigen Anteil am BSP. Dagegen wuchsen infolge des festen Wechselkurses die Sorgen der Sociedad Nacional de Minería als Vertretungsorgan der verbliebenen privaten Kupfer- und

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Anders erging es den kleinen Unternehmen des Handelssektors (Comercio Detallista) und den Transportunternehmern, die eher mittelständische bzw. kleine Unternehmenseinheiten waren. Diese Unternehmensschichten erhielten seit der Phase der Schockpolitik keinerlei Unterstützung von Regierungsseite mehr. Entsprechend wurden sie von den Implikationen des Wirtschaftsmodells stark in Mitleidenschaft gezogen.77 Obwohl diese Sektoren die Basis der Mobilisierung gegen die AllendeRegierung bildeten und deren Sturz einhellig befürworteten, wuchsen Widerstand und Kritik gegen die Wirtschaftspolitik der Chicago Boys nach einer Phase anfänglicher Anpassung, da sich der allgemeine Kurs der Regierung spätestens seit 1975 in zunehmendem Maße von ihren Vorstellungen entfernte. Diese Gremien, die sich selbst vorzugsweise als hombres de trabajo oder trabajadores independientes betrachteten, um sich vom Unternehmer (für sie gleich dem Großkapital) und der Logik des Handels- und Finanzkapitals (für sie gleich den großen Wirtschaftsgruppen) zu distanzieren, waren zwar in den Auseinandersetzungen jener Jahre zunächst nur marginal präsent, meldeten sich später aber unüberhörbar zu Wort. Die Interessen der Kleinhändler betrafen dabei v.a. um Preiskontrollen und spezifische Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Mitglieder. Die Transportunternehmer hatten ebenfalls einige Konflikte mit der Wirtschaftspolitik der Regierung (z.B. über die Frage des Imports von Lastkraftwagen, der Liberalisierung der Preise, der fehlenden Verkehrspolitik, der Freigabe der Routen in Santiago etc.). Die Öffnung der Ökonomie verstärkte in diesem Sektor direkt oder indirekt einen ruinösen Konkurrenzprozeß.78 Bei diesen Gremien läßt sich ein genuin korporatives Verhalten mit nur sporadischen Meinungsäußerungen feststellen, bei dem die Verteidigung der unmittelbaren Interessen ihrer Mitglieder (z.B. gegen Arbeitslosigkeit) im Mittelpunkt stand. Dennoch wuchs hier in der zweiten Hälfte der 70er Jahre die Beunruhigung. Was die Transportunternehmer angeht 79 ,

77 78

79

Mineralienexporteure. In dem Maße, wie der chilenische Peso durch die Fixierung des Wechselkurses übeibewertet wurde, war es für diese Exporteure potentiell schwieriger, ihre Produkte auf dem Weltmarkt abzusetzen, da sie sich verteuerten. Dies wurde allerdings nicht vor 1981 zum Problem, als der Wert des Dollars stieg, anstatt wie bislang zu fallen. Unter den Bedingungen eines fixen Wechselkurses und in dem Maße, wie der Dollar stärker wurde, verteuerten sich die chilenischen Waren im Ausland und konnten generell schlechter abgesetzt werden. Ansonsten profitierten die Unternehmen beider Verbände aber vom eingeschlagenen Wirtschaftskurs, so daß sie dem Unterstützungskreis der Chicago Boys zugerechnet werden können. Siehe L. v. Hemelryck, El desarrollo de la pequeña y microempresa en Chile. Un desafío para el futuro, in: Proposiciones, Num. 20, 1991, S. 155. Siehe S. Morales, Empresarios del transporte. Diagnóstico de un sector social a nivel del Area Metropolitana, SUR, Documento de Trabajo, Num. 61,1986. León Vilarín, Präsident der Confederación de Dueños de Camiones, betonte im September 1978 in einem Interview mit der Zeitschrift Hoy, Num. 68: "El gremio está viviendo condiciones insoportables. Consideramos que primero está Chile pero esto no debe entenderse

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so hatte sich zwar nach der Rezession 1975 die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen wieder erhöht, aber das Führungspersonal ihrer Verbände verwies darauf, daß sich über die freie Preisbildung, die hohen Kosten für Inputs, v.a. aber wegen der Zunahme der Kfz und Lkw infolge der Zollsenkung ein Überangebot eingestellt habe, welches den Sektor in eine tiefe Krise gestürzt hätte. 80 Die Konflikte der Transportunternehmer mit der Regierung manifestierten sich zusehends radikaler. Die Confederación de Dueños de Camiones bat im Januar 1979 die Regierung um die Bildung eines Consejo Nacional de Transporte - eine Bitte, die das Regime abschlägig beschied. Ebensowenig reagierte es auf die Proteste gegen die Freigabe der Tarife, die León Vilarin als "Gesetze des Dschungels" bezeichnete. Einen Monat später forderten die Busunternehmer eine Erhöhung der Tarife und die Transporteure eine Senkung der Autobahnbenutzungsgebühren. Im März wandten sich die Taxiunternehmer gegen das von der Regierung verhängte Dekret 'libertad de paraderos'. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung des Sektors spitzte sich die Lage zu. Die Konfrontationen erreichten im September 1979 zunächst einen Höhepunkt. Zum Jahrestag des Militärputsches versammelten sich über 600 Transportunternehmer in Leyda. Führende Köpfe des Verbandes forderten mehr Gerechtigkeit auf der Basis größerer Gleichheit. Wenn Minister unfähig seien, müßten sie zurücktreten. Der 1973 eingeleitete Kurs müsse korrigiert werden. Zwar schaffte es die Regierung, die Interessen der Transportunternehmer durch partielle Konzessionen auseinanderzudividieren, die Auseinandersetzungen gewannen jedoch auf dem außerordentlichen Nationalkongreß der FENATACH im Januar 1980 erneut an Schärfe. Die Transportunternehmer gingen angesichts ihrer dramatischen Situation soweit, erneut über einen Streik wie 1972 gegen die Regierung Allende nachzudenken. Ihre Kritik richtete sich nicht allein gegen die technokratische Wirtschaftsequipe, sondern weitete sich auch auf die großen Wirtschaftsgruppen aus. 81 Die Konflikte spitzten sich mit der Umsetzung der Maßnahmen

80

Ol

como capacidad infinita de espera ... y si me piden una definición del régimen yo considero que estamos viviendo bajo una dictadura económica administrada por un grupo de civiles con el respaldo de las Fuerzas Armadas ... No fue esto lo que pidió la ciudadanía el once de Septiembre de 1973 ... Lo que los economistas llaman sobreoferta no es otra cosa que la cesantía de los camioneros, que afecta por lo menos a un 30% de nuestros socios ... Varios miles dejaron de trabajar; fueron condecorados con el título de ineficientes que dan ahora ... Si es cierto que este sistema, a la larga como se dice, puede ser bueno, serían pocos los sobrevivientes que llegarán a ver el éxito." Zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 180. Nach Angaben von ODEPLAN und INE nahm der Lkw-Park zwischen 1977 und 1979/80 von 30094 auf 72850 zu. Parallel dazu erhöhte sich die Tonnage. Ähnliche Entwicklungen vollzogen sich bei Taxen und Bussen. Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 196.

'

Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 198 ff. In einem Interview mit der Zeitschrift Hoy, Num. 129, Januar 1980, betonte León Vilarin: "Hay un pequeño número

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durch die Regierung und nachfolgenden Taxiblockaden der Innenstadt von Santiago derartig zu, daß nach einer Sitzung der FENATACH im April 1980 ihr Präsident Juan Jara aufgrund seiner 'extremen' Kritik an der Regierung verhaftet und wegen Beleidigung angeklagt wurde. 82 Obwohl sich die Kleinhändler in einem dynamischeren Marktsegment befanden, sahen sie sich einer Verteuerung von Inputs, einer wachsenden Verschuldung sowie einer äußerst restriktiven Nachfrage gegenüber, die sie besonders traf, weil sie in den konsumnahen Bereichen agierten. Ein beträchtlicher Einkommensrückgang und hohe Arbeitslosigkeit waren die Folgen. Angesichts dieser Situation verlegte der Präsident der Confederación de Comercio Detallista, Rafael Cumsille, die Kritik an bestimmten Aspekten der Wirtschaftspolitik immer stärker auf die politische Führung des Landes und betonte - den Transportunternehmern und kleinen Landwirten ähnlich - die Notwendigkeit, sich gegenüber der Wirtschaftspolitik der Regierung Pinochet organisieren zu müssen, um die Regierung von ihrer Degenerierung durch die Neoliberalen zu 'retten'. Die Vorstellung, daß die Militärregierung in die Hände einer monetaristischen Oligarchie gefallen sei, die sie deformiere und ihres wahren Charakters beraubt habe, war in den der CPME angeschlossenen Gremien weit verbreitet. Entsprechend betrachteten jene die Chicago Boys als ihre wahren Gegenspieler, da diese sich in das eigentliche Hindernis verwandelt hätten, damit die Gremien gemeinsam mit den Militärs eine Gesellschaft aufbauen könnten, die auf Privateigentum und Produktionsmethoden basiere, die sie verkörperten. 83 Ihre Kritik richtete sich dabei gegen den Autoritarismus im ökonomischen Bereich, ohne jenen im politischen Bereich zu hinterfragen.

Q9

de chilenos groseramente ricos y groseramente poderosos. Y aunque lo nieguen el poder económico conlleva poder político ... La situción de la clase media, que somos mayoría en Chile, es dramática. Se ha proletarizado pero no ha desaparecido ... Pero la caldera social por esto mismo aumenta de temperatura." Julio Lagos von der Confederación de Dueños de Camiones fügte später hinzu: "La política económica creó dos clases en este país: los muy ricos y los muy pobres. Además deterioró a la clase media ... Creíamos que este gobierno iba hacer un gran esfuerzo por rescatar a las clases más necesitadas de la miseria y la hambruna." Hoy, Num. 156, Julio 1980. Zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 218.

Im einzelnen sagte Jara: "Basta de tonterías, basta de que un grupo de señoritos ... apoyados en las bayonetas de las Fuerzas Armadas y de Orden, pisoteen a los gremios. Son los mismos que no estuvieron en Chile en los grandes acontecimientos, quienes vienen a imponer una política económica que la califican como la mejor y salvadora para el país ... A todo el transporte terrestre esta política lo está llevando a la quiebra ... Ha llegado el momento de decir basta, de rescatar al gobierno de los manos de un grupo privilegiado." Hoy, Num. 143, Abril 0*5 1980;' El Mercurio 10/4/1980. Siehe zu diesem Segment des Handelssektors ausführlicher G. Campero, Los gremios empresariales .... a.a.O., S. 209 ff.

323

3.6.

Die Haltung der Unternehmerverbände zu politischen Entwicklungen

Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Entwicklung haben die Unternehmerverbände die politische Entwicklung des Regimes weitaus weniger 'kommentierend' begleitet, geschweige denn, daß sich innerhalb der Verbände größere Debatten über das politische Projekt des Regimes eingestellt hätten. Das mag zum einen daran liegen, daß die Unternehmer der Konsolidierung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses fundamentale Bedeutung zumaßen und weder den Diskussionen um das politische Regime noch einer eventuellen Demokratisierung größere Beachtung schenkten. Ihre Forderungen beschränkten sich in der Regel auf Partizipation an wirtschaftspolitischen Entscheidungen und zeigten eine deutliche Priorität für die Institutionalisierung des Regimes mit Sicherung des Privateigentums, der freien Marktwirtschaft und stabilen Akkumulationsbedingungen. Insofern waren die Unternehmer weitaus mehr an wirtschaftspolitischen denn an genuin politischen Fragen interessiert. Zum anderen ist allerdings die enge Verflechtung des Pinochet-Regimes mit Teilen der privaten Unternehmerschaft hervorzuheben, die an sich einen politischen Charakter hatte. Prominente Unternehmer oder den Unternehmern eng verbundene Personen nahmen nicht nur Minister- und hohe Verwaltungsposten ein, sondern auch umgekehrt wechselten Politiker nicht selten in das Unternehmerlager. In Schlüsselbereichen des politischen Systems waren Unternehmer direkt verantwortlich für die Konzipierung und Durchsetzung der Politik der 'Modernisierungen' und anderer wegweisender Entscheidungen. Das Schweigen der Unternehmer zu bestimmten politischen Ereignissen kann aufgrund gemeinsamer Interessen durchaus als Zustimmung zur Politik des Militärregimes, zumindest aber als Indifferenz, gewertet werden. Dies zeigte sich z.B. deutlich im Prozeß der politischen Institutionalisierung des Regimes und der Verabschiedung einer neuen Verfassung 1980. 1976 begann das Pinochet-Regime mittels der Verabschiedung der Verfassungsakte 2, 3 und 4 mit der Institutionalisierung der Diktatur. Im Plan von Chacarillas 1977 kündigte die Junta den langsamen, schrittweisen Übergang zu einer "neuen Demokratie" an, deren bestimmende Prinzipien 'autoritär', 'authentisch', 'geschützt' sowie 'technifiziert' sein sollten, und legte Übergangsfristen bis zum Ende der 80er Jahre fest. Die Unternehmerverbände folgten der Regierungslinie indem sie betonten, daß es zur Verwirklichung politischer Freiheiten noch eines gewissen Übergangszeitraums bedürfe. In diesem Sinne machten sie eine Unterscheidung zwischen Militärregime und Regierung: Während der zukünftige Regimetyp dauerhaft implantiert werden sollte, spielten die jeweiligen Regierungen nur temporär eine Rolle. Entsprechend findet sich in dieser Zeit keine Äußerung des strategischen Kerns der Verbände, die auf ein demokratisches politisches System abzielte.84 Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 181 f.

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Auch in bezug auf die sog. 'Modernisierungen' war seitens der Unternehmerverbände kein Wort der Kritik zu vernehmen, wurden doch die Unternehmer insgesamt durch den Versuch, Gesellschaft und Politik nach den gleichen Prinzipien wie die Wirtschaft umzugestalten, mittelbar und unmittelbar privilegiert und ihr Handeln stark aufgewertet. Die freie Konkurrenz der Individuen sollte auf einem freien Markt das traditionelle politische System ersetzen, so daß bereits die Teilnahme am Marktgeschehen für die Unternehmer gleichbedeutend mit wirklicher Demokratie war. 8 5 Der Zwangscharakter dieses politischen Projekts wurde von den Unternehmern nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar gutgeheißen, ging doch mit ihm gleichzeitig eine Schwächung und Zerstörung der Kräfte einher, die für sie 'Subversion' und 'Anti-Nation' schlechthin versinnbildlichten. Für nicht unbedeutende Teile der Unternehmer verband sich mit diesem Projekt eine Art von 'kapitalistischer Modernität', die sie der 'historischen Zurückgebliebenheit' und den 'obsoleten Politiken' der vergangenen vierzig Jahre entgegensetzten, deren Kristallisationspunkt eine Parteiendemokratie mit politischen Akteuren und Institutionen gewesen war. Die Unterstützung, welche die Unternehmer der Diktatur politisch praktisch bedingungslos gewährten, ist angesichts der Resultate des Wirtschaftsprozesses und der in jenen Jahren zunehmenden Dualisierung der Produktionsstrukturen insofern erstaunlich, als die benachteiligten Unternehmersektoren ja ihre Kritik an der Wirtschaftspolitik und dem monetaristischen Marktmodell auch auf das politische System hätten ausweiten können, was allerdings nie geschehen ist. Diejenigen Verbandsführer, die der Regierungsstrategie positiv gegenüberstanden, proklamierten im Gegenteil die Übertragbarkeit des wirtschaftlichen Erfolgs auch auf die politische Ebene, während die der Wirtschaftspolitik kritisch gegenüberstehenden Sektoren versuchten, das ihren Interessen zuwiderlaufende Wirtschaftsmodell vom Unterstützung verdienenden und real unterstützten politischen Regime zu differenzieren und zu trennen. Nur so ist es verständlich, daß von Beginn des Institutionalisierungsprozesses an die Verbandsführungen um die meiste Unterstützung nachgerade konkurrierten. Dies zeigte sich besonders ausgeprägt nach der Verkündung des Plebiszits zur Annahme der Verfassung Mitte 1980 durch die Regierung. Fast alle Äußerungen der großen Unternehmerverbände zur neuen Verfassung orientierten sich an der offiziellen Rhetorik der Regierung, drückten ihre bedingungslose Zustimmung aus und überboten sich in Servilitätsbekundungen.8® Die dem Regime oe OJ

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Siehe L. Mármora/D. Messner, Chile im lateinamerikanischen Kontext, in: J. Ensignia/D. Nolte (Hrsg.), Modellfall Chile?, Hamburg, 1991, S. 63. So veröffentlichte die COPROCO Mitte August 1980 eine Deklaration zum Plebiszit, in der sie betonte: "Apoyo al esfuerzo del gobierno en aras de construir el futuro institucional del país ... y seguir avanzando en el desarrollo económico, social y la integración de los chilenos." El Mercurio 14/8/1980. Gegen Ende des gleichen Monats unterstrich die SOFOFA,

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nahestehenden Verbände erachteten die neue Verfassung nicht nur als Garantie für eine überaus günstige institutionelle Entwicklung, sondern sie beschworen gleichzeitig die akute Krise für den Fall, daß die Verfassung nicht angenommen werden würde. Dies verdeutlicht erneut sowohl den hohen Grad der Kooptation, den das Regime unter den Verbandsführern der COPROCO erreicht hatte, wie auch die nach wie vor bestehenden ideologischen Muster einer Gegenüberstellung von Militärregime oder Chaos. Das Trauma der Unidad Populär und die in ihr kulminierende Periode klassenbezogener Politikkonzepte dürften ebenso wie das Fehlen von Alternativen und die generelle 'Rechtssicherheit' der Diktatur für die Unternehmer dazu beigetragen haben, daß die Verbände ihre Reihen um das Verfassungsprojekt schlössen und auf jegliche Kritik in ihrem Pro-Regime-Diskurs verzichteten. Aber auch in den in ökonomischen Fragen der Regierung kritisch gegenüberstehenden Gremien trat man bedingungslos für ihr politisches Projekt ein.®7 Die uneingeschränkte Verteidigung des Privateigentums durch die Verfassung, die daß die neue Verfassung "ofrecia una democracia auténtica". Die Erklärung wurde von 23 Assoziationen und den sechs regionalen Gruppierungen der SOFOFA unterschrieben. Bereits zuvor hatte der Präsident der SOFOFA darauf hingewiesen, daß es die Annahme der Verfassung erlaube, normal weiterzuarbeiten. El Mercurio 14/8/1980. Die ASIMET bekundete der Regierung in einem öffentlichen Kommuniqué ihre "incondicional y formal apoyo a su gestión como gobernante y al plebiscito convocado." El Mercurio 24/8/1980. Ähnlich äußerten sich die SNA und ihre Mitgliedsorganisationen (El Mercurio 22/8/1980). Auch die CONUPIA gab ihre volle Unterstützung für die Regierung und das Plebiszit zu verstehen (El Mercurio 27/8/1980). Diese und weitere Äußerungen der Cámara Chilena de la Construcción, der Cámara Nacional de Comercio und des wiederauferstandenen Comando de Acción Gremial finden sich bei G. Campero, Los gremios empresarial..., a.a.O., S. 223 f. Die CPA rief Mitte August 1980 dazu auf, dem Plebiszit zuzustimmen, was allerdings "no debe interpretarse como una aprobación que incluye los errores cometidos por determinados sectores del gobierno ... Apoyamos a las Fuerzas Armadas ... pero estamos en frontal desacuerdo con los medidas económicas aplicadas en el sector agrícola, que son incompatibles con su realidad y que han deteriorado el desarrollo de muchas zonas ... Por encima del tenor litoral de la Constitución importa el espíritu con que los gobernantes aplican sus principios ... La Constitución, como toda obra humana contiene vacíos en especial la ausencia de un adecuado poder ñscalizador en el plazo que media hasta el regreso a la plenitud democrática." El Mercurio 21/8/1980. Auch die ANPT äußerte sich kritisch zur Wirtschaftspolitik, versicherte aber seine "adhesión al General Pinochet". El Mercurio 21/8/1980. In einer Deklaration von 46 Agrarorganisationen, darunter auch die benachteiligter Zonen und Sektoren, sprach man sich uneingeschränkt für die Annahme der Verfassung aus, da "tiene espíritu democrático y respeta el derecho de propiedad." El Mercurio 22/8/1980. In einem offenen Brief des Instituto Textil an die Regierung heißt es: "Hay que ser conscientes que el gobierno ha dado la seguridad que se pedía en 1973." El Mercurio 9/9/1980. Die Händler betonten, daß die Verfassung "ampara la propiedad privada y asegura la iniciativa individual, ... garantiza libertad económica y auténtica democracia." El Mercurio 26/8/1980. Eine der wenigen Ausnahmen in der generellen Zustimmung büdete León Vilarfn (Dueños de Camiones). Siehe G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 22S. 326

durch das Regime garantierte Sicherheit (von einigen auch als 'Freiheit' mißverstanden) und die Präsenz der Streitkräfte ließen die Zweifel dieser Gremien in bezug auf ökonomische Fragen in den Hintergrund treten und führten in politischer Hinsicht zur positiven Parteinahme für das Regime. Daß die Unternehmer dabei die autoritäre, geschützte und technifizierte Verfassung als vollständige und authentische Demokratie verstanden, verweist einmal mehr auf ein unentwickeltes Demokratieverständnis und fortbestehende autoritäre Denkmuster. Mit der Annahme des Plebiszits und der Verabschiedung der Verfassung erzielte das Regime einen Triumph und konnte sich politisch konsolidieren, da es sich einerseits auf den wirtschaftlichen Erfolg, andererseits aber auch auf die politische Zustimmung (nicht nur der Unternehmer) berufen konnte. Die Zeit gegen Ende der 70er Jahre war durch großes gegenseitiges Vertrauen zwischen Unternehmern und Politik gekennzeichnet. Ein Großteil der kritischen Stimmen aus dem Untemehmerlager verstummte nun bis zur Jahresmitte 1981, als die ersten Anzeichen der Krise des Wirtschañsmodells mit dem Zusammenbruch der Compañía Refinadora de Azúcar de Viña del Mar (CRAV) auftauchten.

4.

Die Unternehmer in der Krise des Wirtschaftsmodells (19811983)

Zwischen Ende 1981 und Ende 1983 brach sich die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes Bahn. Zweistellige Produktionsrückgänge in fast allen Sparten der Ökonomie, Rückgang des BSP und des Pro Kopf-Einkommens, ein Anschwellen der Arbeitslosigkeit auf bisher ungekannte Ausmaße können die Dramatik der damaligen Situation nur ungenügend verdeutlichen. Konnte die Regierung in der vorangegangenen Boomphase noch den Erfolg des von ihr umgesetzten neoliberalen Modells mit zunehmender Berechtigung herausstellen und das Bild einer 'kapitalistischen Revolution' verbreiten, in dessen Mittelpunkt eine neue finanzkapitalistische und technokratische Klasse mit eigenen ideologischen Glaubenssätzen stand, so führte nun die Schwere der Krise nicht nur zum Zusammenbruch des Modells mit weitreichenden Folgen für die einzelnen sozialen Akteure, sondern über den beträchtlichen Glaubwürdigkeitsverlust der Chicago Boys und der sie tragenden Unternehmerkoalition zu einer Neustrukturierung der Dominanzverhältnisse innerhalb des Staates und der Unternehmerschaft. Im Verlauf der Krise verschärften sich gesellschaftliche Konflikte und Auseinandersetzungen, die sich nun nicht mehr einzig und allein auf den ökonomischen Bereich beschränkten, sondern die etablierte politische Ordnung in Frage stellten. Beredter Ausdruck dessen ist der Aufruhr der kleinen und mittleren Unternehmer und das Wiedererstarken der

327

Gewerkschaftsbewegung, die sich trotz Unterdrückung wiederholt mit nationalen Protesttagen Gehör verschaffte. Die ersten Anzeichen einer allgemeinen Krise waren zur Jahresmitte 1981 unübersehbar. Unter den Bedingungen eines fixierten Wechselkurses führte der rapide Wertzuwachs des Dollars zu einem immer teureren Peso, so daß sich die chilenische Exportdynamik infolge des zunehmenden Wettbewerbsverlustes auf dem Weltmarkt stark abschwächte. Sich verringernde Deviseneinnahmen und in die Höhe schnellende internationale Zinssätze brachten einen beträchtlichen Verlust an Währungsreserven. Durch die Politik der 'automatischen Anpassung' stiegen auch die internen Zinssätze in die Höhe, Produktion und Nachfrage schwächten sich ab. Eine gewisse Fanalwirkung hatte der Zusammenbruch der Compañía Refinadora de Azúcar de Viña del Mar (CRAV) Mitte 1981. Die Bedeutung der Pleite zeigte sich nicht nur darin, daß CRAV zu einer der größten Wirtschaftsgruppen des Landes gehörte (grupo Ross) und damit erstmals der vermeintlich erfolgreiche Pol des Wirtschaftsmodells von krisenhaften Tendenzen erfaßt wurde, sondern auch darin, daß CRAV in der Öffentlichkeit ein Image als repräsentatives Unternehmen mit hoher Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz genoß, welches nachgerade modellhaft den Erfolg der Wirtschaftsstrategie verkörperte. Darüber hinaus offenbarte der Zusammenbruch von CRAV aber auch den hochgradig spekulativen Charakter, den die Wirtschaft angenommen hatte, sowie den hohen Monopolisierungsgrad der Ökonomie.88 Damit stand die Glaubwürdigkeit des Modells selbst auf dem Spiel.89 Trotz der unübersehbaren Signale stellte sich bei den größeren Untemehmerverbänden und den grupos eine passive Abwartehaltung ein, die die Schwere und Bedeutung der Situation nicht adäquat erfaßte. Erst als im vierten Quartal 1981 das BSP beträchtlich zurückging und die Wirtschaft in eine schwere Rezession abglitt, die die Schwächen eines Wirtschaftsmodells offenbarte, welches v.a. auf externen Krediten basierte, dem es an produktiven Investitionen nationaler wie transnationaIer Akteure mangelte und das nur noch über einen geschwächten Industriesektor und eine desartikulierte Landwirtschaft verfugte, breitete sich bei den Verbänden und vielen überschuldeten Unternehmern Besorgnis aus. Die führenden Köpfe der Unternehmerverbände reagierten - obwohl auch ein zuvor erfolgreicher Teil der Unternehmerschaft schwer getroffen wurde - auf die Krise nicht einheitlich. 88

89

Eigentlicher Auslöser der Pleite von CRAV war eine Finanzspekulation großen Stils. In Erwartung steigender Zuckerpreise hatte das Konsortium 170.000 Tonnen Zucker im Ausland sowie die gesamte Zuckerrübenemte Chiles von 1981 aufgekauft. Als die Zuckerpreise entgegen der Erwartung fielen, ereignete sich für das Unternehmen die Katastrophe, da es vollkommen überschuldet war. Mit der Pleite des Unternehmens wurde die gesamte grupo Ross in den Abgrund gezogen. Der Zusammenbruch hatte beträchtliche Rückwirkungen auf Zulieferer und Gläubiger der grupo. Siehe O. Muñoz, Chile. The Collapse of an Economic Experiment and its Political Effects, Apuntes CIEPLAN, Num. 57, Santiago, 1985.

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Die Regierung reagierte auf die sich mehrenden Krisenanzeichen über Finanzminister Sergio de la Cuadra mit der Behauptung, daß sowohl interne wie auch externe Krisenfaktoren lediglich Übergangscharakter hätten und es weder für eine Änderung der Wirtschaftspolitik noch gar des Wirtschaftsmodells eine Veranlassung gebe. Die Anpassung werde - da über den Markt vermittelt - adäquat sein und 'automatisch' stattfinden.90 Der Kern der internationalisierten grupos - Cruzat-Larrafn und BHC - unterstützte die Chicago Boys und die radikal monetaristische Wirtschaftspolitik, da er gegen eine Abwertung wie auch eine Regierungsintervention zur Senkung der Zinssätze und diskriminierende Sektorpolitiken war, die seinen wirtschaftlichen Interessen widersprochen hätten. Dagegen waren die Unternehmensgruppen der erweiterten radikalen Koalition - Edwards, Matte, Angelini, Aetna u.a. - aufgrund ihrer internationalen Lage nicht so bedingungslos in ihrer Unterstützung für das Regime. Sie kritisierten insbesondere die hohen Zinssätze. Alle grupos dieses Kreises hielt jedoch der fixe Wechselkurs zusammen, denn die Unternehmen hatten sich im Zuge der wirtschaftlichen Expansion hoch in US-Dollar verschuldet, so daß eine Abwertung ihre Verbindlichkeiten vervielfacht hätte. In der zentralen Frage eines fixen Wechselkurses fand der Kern der internationalisierten grupos zudem Verbündete in der SOFOFA und der SNA. Beide Verbände verteidigten die Fixierung, weil auch ihre Mitglieder (insbesondere Produzenten für den Binnenmarkt) hohe Dollarschulden angehäuft hatten. Da die Verbände zudem eine schnelle Erholung der internationalen wirtschaftlichen Konjunktur erwarteten, sahen sie keine Notwendigkeit für drastische Maßnahmen.91 Die COPROCO und ihre Mitgliedsverbände übernahmen erneut offiziell Regierungspositionen, als sie

91

Die dogmatische Intransigenz und das starre Denken in monetaristisehen Kategorien seitens der Regierungsvertreter während des weiteren Verlaufs der Krise ist kaum zu úbeibieten. So verlautete zu Beginn der Krise im Juli 1981: "El período de ajuste debiera completarse a la brevedad y, después del mismo, la economía funcionará en forma normal." Im Juli 1982 (!) verkündete Finanzminister de la Cuadra: "Nadie puede poner en duda el éxito de la política económica del gobierno." Alvaro Bardón betonte mehrfach: "Lo mejor que puede hacer el gobierno es no hacer nada." Alvaro Donoso (ODEPLAN): "No hay que interferir los mecanismos de ajuste automático." Pablo Baraona (Banco Central): "En términos gruesos, no veo que podría hacerse responsablemente en cuanto a intervención gubernamental." Pinochet bekräftigte den verfolgten Wirtschaftskurs im Juli 1982 wie folgt: "En la ciencia militar, cambio de objetivo es un error monumental." Diese und weitere Äußerungen des vollkommenen Realitätsverlustes (etwa in bezug auf die Aufrechterhaltung eines fixen Wechselkurses von Wirtschaftsminister Danús im Mai 1982 und zum "Pseudoproblem" des Zahlungsbilanzdefizits von Alvaro Bardón) sind abgedruckt bei St. de Vylder, Chile 1973-1984. Auge, consolidación y crisis del modelo neoliberal, in: Ibero-Americana. Nordic Journal of Latin American Studies, Vol. XV, 1985, Num. 1-2, S. 25-33, hier S. 36. Die nach Auffassung der Chicago Boys einzige Gefährdung der automatischen Anpassung - die entsprechend beseitigt wurde - bestand in der Rigidität der Löhne nach unten, da seit dem Plan Laboral die Nominallöhne an den Inflationsindex gekoppelt waren. Vgl. E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 314-323.

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betonten, daß die Anzeichen einer internationalen Rezession keine Revision des Wirtschaftsmodells erforderten 92 und die Krise nur schwach und von kurzer Dauer sei. Erst zum Jahreswechsel anerkannte die SNA als erster Verband der COPROCO die Existenz einer allgemeinen Wirtschaftskrise. Bereits zur Eröffnung der FISA 1981 hatte ihr Präsident Germán Riesco darauf hingewiesen, daß die Krise den Agrarsektor erreicht habe und sich im Preisverfall für landwirtschaftliche Güter, in wachsenden Schwierigkeiten mit den Exportmärkten und einer durch hohe Kreditkosten induzierten Entkapitalisierung des Sektors niederschlage. Die Schwere der Krise erfordere umgehende Korrekturmaßnahmen seitens der Regierung, die v.a. in direkter oder indirekter staatlicher Unterstützung bestehen sollten. 93 In der Folgezeit schlössen sich SOFOFA und andere der COPROCO zugehörige Verbände dieser Einschätzung an, da die Regierung die Krise durch ihre prozyklische Wirtschaftspolitik verschärfte. Die Cámara Chilena de la Construcción betonte für den Fall der Fortsetzung der automatischen Anpassung eine unnötige Verlängerung der Krise im Bausektor. Einzig die Asociación de Bancos, die durch die großen Finanzkonglomerate beherrscht wurde, unterstützte die Regierungskoalition bis zum Ende mit ihrer Sichtweise der 'automatischen Anpassung'. 94 In dem Maße, wie die Behauptung des lediglich transitorischen Charakters der Krise an Glaubwürdigkeit verlor, schlössen sich auch Teile der radikal monetaristischen Unternehmenskonglomerate der Kritik an und forderten eine Kurskorrektur der Regierung.

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94

Paradigmatisch kann hier die Position von Bruno Casanova, dem damaligen Präsidenten der SOFOFA, festgehalten werden: "Plena conformidad con la mantención de la línea ... que reafirma la coherencia y continuidad de la política económica y social... plena confianza en que el Sistema se siga implementando con la mayor agilidad posible ... El sector industrial se ha readecuado a las nuevas condiciones ... porque tiene la fe que S.E. reclamo de todos los chilenos." El Mercurio 1/10/1981, nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 236. Und an gleicher Stelle äußerte sich die COPROCO: "El camino que el gobierno ha eligido es el correcto ... ha permitido resultados altamente positivos ... No por ciertos obstáculos debemos detemos." Im Organ der SNA El Campesino vom Oktober 1981 ist die Rede wiedergegeben, die wie folgt endet: "La gravedad del momento hace imprescindible la urgente implantación de las medidas correctivas correspondientes." Zu dieser Äußerung haben sicherlich auch der Zusammenbruch der zwei größten Obstexportunternehmen des Landes und die Veröffentlichung von revidierten Daten Ober die Landwirtschaft seitens des ODEPLAN beigetragen, die erhellten, daß im Gegensatz zu dem bis dato angenommenen durchschnittlichen Wachstum der Jahre zwischen 1974 und 1979 der Agrarsektor bis 1980 erheblich geringer gewachsen war. Vgl. dazu allgemein G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 235-244.

330

4.1.

Der Höhepunkt der Proteste der kleinen und mittleren Unternehmer

Im Gegensatz zu den Verbänden der COPROCO radikalisierten die bereits zuvor benachteiligten Sektoren der Unternehmerschaft ihre Positionen und trieben die Konfrontation mit der Regierung gegen Ende 1982 auf die Spitze. Die meisten kleinen und mittleren Unternehmer (insbesondere CPA, Confederación de Comercio Detallista, die verschiedenen Sektoren des Transportwesens und teils auch die CONUPIA) stimmten der These des transitorischen Charakters der Krise von Anfang an nicht zu, da sie ihre Situation schon seit geraumer Zeit als kritisch einstuften. Für sie war der Zusammenbruch der CRAV nur die logische Folge der Ausweitung einer durch die unhaltbare Wirtschaftspolitik hervorgebrachten Krise auf alle Wirtschaftssektoren. In diesem Teil des Verbandsspektrums kam es nach dem Zusammenbruch des Zuckerunternehmens im Zuge der akkumulierten Spannungen zu einer Potenzierung des Konfliktstoffs, die sich in einer kämpferischen Haltung dieser Verbände niederschlug, welche im Oktober 1982 ihren Höhepunkt erreichte. Bereits Anfang Januar 1982 kamen ASEXMA, CPA und COUNPIA überein, das Comité de Defensa del Producto Nacional zu gründen. In der zweiten Jahreshälfte 1981 gab es insbesondere seitens der Agrarverbände eine Vielzahl von Verlautbarungen, deren gemeinsamer Tenor die Forderung nach einer grundlegenden Korrektur der Politik der Regierung war und die auch deren Unterstützung der großen Wirtschaftsgruppen kritisierten.95 Aber auch die Verbände des Transportsektors (Confederación de Dueños de Camiones, Dueños de Autobuses, Taxistas), der Kleinhändler (Confederación de Comercio Detallista) und ein Teil der Kleinindustriellen in der CONUPIA äußerten sich extrem kritisch. Wie bei den Agrariern kulminierten die Äußerungen auch hier in der Forderung nach einer grundlegenden Lösung für den Privatsektor.Die zeitweilig beigelegten Konfrontationen brachen nun mit neuer Schärfe aus, und einziger Konvergenzpunkt der Verbände blieb die politische Unterstützung des Militärregimes. Zwar gab es in den Jahren 1981/82 zwischen CPA und SNA angesichts der Wirtschaftskrise gewisse Übereinstimmungen bezüglich der Perspektiven des Agrarsektors, die sich hauptsächlich aus der Ernüchterung der SNA über den überschätzten Wachstumsprozeß in der Landwirtschaft ergaben; dies reichte aber keineswegs für gemeinsame Aktionen der beiden Agrarverbände aus.

^

Siehe die verschiedenen Deklarationen der CPA, ANPT, CAS, Asociación Nacional de Remolacheros (ANR) und weiterer Verbände bei G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 245. Im Dezember 1981 kam die CAS auf einer Versammlung ihrer Führungskräfte in Temuco zu dem Schluß: "Ha sido conclusión unánime que la difícil situación del sector se está tomando extremadamente crítica ... Ya no es tiempo de aplicar pequeños correctivos ... sino de efectuar un cambio profundo en la orientación económica." Siehe dazu G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 246 f. 331

In den Verlautbarungen der Verbandsfuhrer aus der Landwirtschaft wurde verstärkt auf die Notwendigkeit einer staatlichen Intervention und stärkeren Regulation hingewiesen sowie die größere Abhängigkeit vom Ausland und von den großen Banken infolge der Überschuldung des Sektors betont. Eine Erklärung der Rezession aus externen Gründen wurde wiederholt zurückgewiesen.'7 Die Confederación de Dueños de Camiones drängte über ihren Präsidenten León Vilarín auf ein Plebiszit über die Wirtschaftspolitik, um die wahre Unterstützung bzw. Ablehnung der Bevölkerung festzustellen. Kleinhändler und Landwirte bildeten eine gemeinsame Kommission, um ihre Schulden bei den Banken kollektiv zu verhandeln. Die kleinen und mittleren Unternehmer reaktivierten nun verstärkt diejenigen Organisationen, die ihnen schon im Kampf gegen die Unidad Popular Stärke verliehen hatten. So sollte die Bildung eines multigremio gemäß dem Comando Nacional de Acción Gremial unter Einschluß der Berufsverbände der Professionalen und sogar der Gewerkschaften es den Verbänden erlauben, der Krise aktiv entgegenzutreten und Druck auf die Regierung und die sie unterstützenden großen Verbände auszuüben. Wenn auch hinter der Reaktivierung des multigremio kaum eine abgestimmte und geplante Strategie stand, so drückte sich hier doch die gemeinsame Überzeugung von Landwirten, Transportunternehmern und Kleinhändlern bezüglich der Notwendigkeit aus, größeren Druck auf die Regierung auszuüben. Ihrer Meinung nach konnte bei dem fortgeschrittenen Stand der Krise nur noch der Staat die Maßnahmen ergreifen, um das Land aus der Krise zu führen. Obwohl es letzlich nicht zur Bildung eines multigremio kam, begannen sich doch aus den vermehrten Kontakten gemeinsame, meist spontane Aktionen zu entwickeln. Diese gingen weit über die Erklärungen der Verbände in früheren Jahren hinaus. Kleine und mittlere Unternehmer begannen mit dem Ausverkauf ihres Eigentums und der Einstellung der Zahlungen auf die Schulden; in vielen Städten weigerten sich Transportunternehmer, Waren zu befördern, und die Händler gingen nicht mehr ihren Geschäften nach. Angesichts der unhaltbaren Situation wurde erneut über einen Streik auf nationaler Ebene nachgedacht. Der Druck auf die Regierung wuchs, so daß sie ohne Erfolg versuchte, durch partielle und ungenügende Zugeständnisse gegenüber den Unternehmern die Lage zu entschärfen. Die Starrheit der Regierungspositionen erlaubte in der Regel keinen Dialog, sondern verschärfte die Situation, so daß selbst 07

Die CPA hat in einem Dokument mit dem Titel 'Posición de Productores Agrícolas' hervorgehoben: "Rechazamos los ... equivocados planteamientos del Ministro de Hacienda (i.e. keinerlei staatliche Intervention, Abqualifízierung der Forderungen der Landwirte als 'Bitte um Privilegien', P.I.). La actual recessión es autogenerada en gran medida y obedece más a erróneas determinaciones del equipo económico ... que a factores de orden internacional ... Carece de justificación un sistema que protege al comercio bancario ... mientras se desprotege a la agricultura ... La crisis de la agricultura ha dejado de ser un problema de los agricultores para transformarse en un grave problema nacional." El Mercurio 24/2/1982.

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El Mercurio auf den längst politischen Charakter der Debatte hinwies. 98 Gemeinsamer Ansatzpunkt für kollektives Handeln der Unternehmer war ihre große Verschuldung bei den staatlichen und privaten Banken, wies aber in dem Maße darüber hinaus, wie sich die Regierung mehr oder weniger unnachgiebig zeigte. Entsprechend zielten sie immer mehr darauf, das zivile Segment der Regierung, welches die Wirtschaftspolitik gestaltete, zu ersetzen. Damit erhoben die Verbände aber im Prinzip politische Forderungen, stellten doch die Chicago Boys nicht nur die Wirtschaftsequipe der Regierung dar, sondern waren gleichzeitig ein integraler Bestandteil der politischen Führung des Militärregimes. In der Folgezeit spitzten sich die Auseinandersetzungen in diesem Segment der Unternehmerschaft weiter zu. Der Ruf fast aller Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer nach einer Kurskorrektur und nach staatlicher Unterstützung wurde seitens der Regierung mit dem Hinweis auf einen Rückfall in Praktiken der Vergangenheit zurückgewiesen. ANPT, CPA und Transportunternehmer machten immer deutlicher, daß es für Chile keinen Ausweg außer einem radikalen Wandel der Wirtschaftspolitik gebe, da die soziale Situation im Lande bereits äußerst explosiv sei. Kulminationspunkt der Mobilisierung und der Konfrontation mit der Regierung war die sog. 'Deklaration von Valdivia' vom Oktober 1982, die zwar ihren Ursprung in den Gremien jener Stadt und Region im Süden des Landes hatte, der aber in der Realität eher nationaler Charakter zukam und die weit über sektorale Forderungen hinausging. Die 'Deklaration von Valdivia' und die ihr nachfolgenden Manifestationen sollten nach Meinung der Unternehmer die 'Funktionsfahigkeit von Nation und Gesellschaft' wiederherstellen. Von rein ökonomischen und korporativen Vorstellungen ausgehend wurde eine Perspektive entwickelt, die auf Veränderungen im nationalen Rahmen abzielte. Wenn auch die Deklaration nicht explizit gegen das politische Regime gerichtet war, so war ihr politischer Charakter unübersehbar. So heißt es u.a.: "Frente a la desastrosa situación que se manifiesta en todas las actividades económicas de la zona, los gremios de la producción y el comercio de Valdivia se ven en la imperiosa necesidad de formular un público llamado a las autoridades nacionales, para que arbitren urgentes medidas destinadas a impedir y paliar los efectos de la paralización de la actividad productiva y comercial ... Observamos con profunda alarma como se está destruyendo todo el aparato productivo agrícola e industrial por la vía de las ejecuciones judiciales, desarticulando unidades económicas vitales ... La liquidación de los activos a un vil precio está generando un caos social enorme, manifestado en la cesantía de miles de chilenos. Este acelerado proceso conduce a su vez a la desaparición de toda una clase empresarial con las consecuencias políticas y sociales que ello significa para el futuro del país QQ

70

In einem Leitartikel vom Februar 1982 heißt es: "Se trata de un debate político que asume la forma de una disidencia económica ... La creciente animación de este debate permite imagi-

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... Nos sentimos en el deber patriótico de levantar nuestra voz de alerta frente a lo que podría sobrevenir de no mediar la intervención de las autoridades ... No deseamos el caos que ya se está enseñorando sobre nosotros. Es vital impedir que se siga destrozando el patrimonio productivo ... en aras de salvar el sistema financiero ... Es más importante para los intereses permanentes de la república preservar el patrimonio y la supervivencia del sector productivo y de los fuentes de trabajo, con una primerísima prioridad ... Responsabilizamos a los conductores de la política económica vigente del quiebre del aparato productivo nacional (los que) dieron margen a un verdadero trasvasije de la riqueza del sector productivo al sistema financiero ... Es nuestro deber como ciudadanos defender nuestro patrimonio productivo y que pertenece a la comunidad que de él vive ... Con dignidad y patriotismo podremos reaccionar inmediatamente que las autoridades den señal de un cambio sustancial que todo el país espera.*^ Nach der Verabschiedung der Deklaration kam es in verschiedenen Städten des Landes zu Mobilisierungen der kleinen und mittleren Unternehmer. Proteste und Demonstrationen beträchtlichen Ausmaßes gab es in Lanco, Valdivia, Osorno und Temuco, wobei es häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei und den Repräsentanten der Gläubigerbanken kam. Am radikalsten waren sie in Temuco, wo Ende November ein Streik den gesamten Handel lähmte und die Landwirte das Stadtzentrum besetzten. Verschiedene Unternehmerverbände erklärten ein kollektives Moratorium für ihren Schuldendienst. 100 In einer in Rancagua veröffentlichten Erklärung wurden die Forderungen der 'Deklaration von Valdivia' bekräftigt und für Dezember wurde zu einer Asamblea Nacional de Empresarios in Temuco aufgerufen, deren Ziel die Stärkung des multigremio sein sollte. Zu diesem Zweck wurden auch die oppositionellen Gewerkschaftsverbände CNS (Coordinadora Nacional Sindical) und UDT (Unión Democrática de Trabajadores) eingeladen. Ferner sollten auf der Versammlung globalere Vorschläge beraten und verabschiedet werden, die u.a. eine politische Öffnung des Regimes und eine stärkere Beteiligung der Bürger forderten. Einige Verbandsführer traten sogar für die Einrichtung eines Parlaments ein, welches als Gegengewicht und Kontrollinstanz zur Regierung agieren sollte. Unter den 'radikaleren' Verbandsführern (Weizenproduzenten und Fuhrunternehmer) bestand die Überzeugung, daß mit ökonomischem Druck der Gremien ein Austausch der Wirtschaftsequipe erreicht und damit der neoliberale Machtblock entscheidend geschwächt werden könnte. Einige Sektoren

" 100

nar que su desenlace ha de tener consecuencias políticas." Zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 23 f. El Mercurio 24/10/1982, zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 264 f. Es handelte sich u.a. um die Federación de Dueños de Camiones de Concepción, die Taxifahrer, die Fuhrunternehmer der IV. Region, die Unternehmer von Puerto Montt, die Landwirtschaftsassoziationen von Chillán, San Carlos und Río Bueno sowie die Provinzföderationen der Kleinhändler.

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der Gremien entwickelten eine genuin politische Perspektive, die sie - in dem Maße, wie sie aggressiver wurde und den Schulterschluß zu den Gewerkschaften suchte - in die Nähe der Opposition gegen das Militärregime rückte. Andere begnügten sich in ihren Forderungen mit veränderten Kräfteverhältnissen und traten weniger für eine politische Opposition gegen die Regierung ein, sondern forderten mit Nachdruck Raum für politische Konzertationsmaßnahmen.1^1 Angesichts des politischen Charakters der Asamblea de Temuco reagierte die Regierung hart und verbot die Versammlung, da sie ihrer Meinung nach weit über eine rein gremiale Betätigung hinausging. Dagegen bestanden die ANPT und ihr Präsident Carlos Podlech als Organisatoren darauf, die Versammlung durchzuführen. Carabineros blockierten schließlich am 3/12/1982 die Zugänge zur Sociedad de Fomento Agrícola de Temuco. Die nachfolgenden Auseinandersetzungen endeten mit der Festnahme und Exilierung Podlechs. Kurz darauf wurde auch Manuel Bustos, der Führer des CNS, des Landes verwiesen. Diese drastische Antwort der Regierung verdeutlicht den Grad der Bedrohung, den das Militärregime in den Unternehmerprotesten sah. Es nahm dabei den Bruch mit diesem Sektor in Kauf, der 1973 der Schlüsselfaktor in der Installierung des Regimes gewesen war. Wenn die Versammlung selbst auch nicht mehr stattfinden konnte, unterstrichen die einzelnen Verbandsführer doch in einer vorbereiteten Deklaration ihre Forderungen in aller Deutlichkeit: "Hacemos un público y respetuoso llamado al supremo gobierno destinado a convencerlo de la urgente e imperiosa necesidad de producir cambios sustanciales en las actuales políticas, que cumplan con el objetivo de sacar al país del estado de desastre económico y financiero en que está inmerso, situación que, de prolongarse, desembocará irremediablemente en un caos político y social ... La crisis que aflige al país es de una profundidad tal, que no solamente nos tiene postrados económicamente sino moralmente ... Hemos perdido la fe en este gobierno, no podemos seguir creyéndole; y no solamente hemos perdido fe, sino que nuestra propia identidad como clase media trabajadora, cuya mantención y crecimiento fue un día orgullo de nuestra patria y permitió la existencia de una avanzada democracia en el concierto de los países latinoamericanos ... Es un hecho incuestionable que cualquier solución económica que se intente pasa necesariamente por una apertura política, procurando un amplio consenso de todas fuerzas políticas democráticas y organizaciones intermedias, que resulta en una real participación de éstas en la elaboración de un plan de emergencia nacional ... Depositamos asimismo, toda nuestra confianza en el patriotismo de las Fuerzas Armadas, a quienes sabemos preocupados de la grave situación del país, cuyas trascendentes decisiones deben mirar únicamente a los superiores y permanentes intereses de la comunidad nacional. * ^

l®1 Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 268. 102 'Declaración de Temuco', Hoy Num. 281, Diciembre 1982, zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 269 f. Gleichzeitig schlugen die Verbandsführer einen 335

Damit ging die 'Deklaration von Temuco' weit über das anderthalb Monate zuvor in Valdivia verabschiedete Manifest hinaus, wurde doch jetzt eine politische Öffnung gefordert, die eine gewisse Konzertierung der Interessen aller gesellschaftlichen Kräfte mit dem Militärregime sicherstellen und die schwere Krise mittels eines Notstandsplans überwinden sollte. Mit ihrem harten Durchgreifen schaffte es die Regierung, die Protestbewegung beträchtlich zu desartikulieren. Den noch bis Mai 1983 zu verzeichnenden vereinzelten Mobilisierungen wurde immer dann mit der gesamten Staatsgewalt begegnet, sobald die Verbandsführer 'Politik machten'. Da die Regierung zugleich bestimmte partielle Lösungen in bezug auf die Verschuldung anbot, um die Unternehmerbewegung zu schwächen, erodierte der Zusammenhalt der Unternehmer. Hinzu kam, daß die kritischen Gremien zu keiner Zeit Rückhalt von den Großunternehmern der COPROCO erhielten, obwohl bestimmte Sektoren der SOFOFA und der SNA ebenfalls schwer von der Krise betroffen waren und die Kosten für eine fortgesetzte Mobilisierung immer größer wurden. 103 Damit war der Höhepunkt der Proteste der kleinen und mittleren Unternehmer bereits überschritten und jene erreichten nie wieder das Ausmaß des Jahres 1982. Nach der Niederlage der kleinen und mittleren Verbände und dem Zerfall der größten Wirtschaftsgruppen ging die Initiative des Unternehmerhandelns auf die Verbände der COPROCO über. Diese Unternehmenssektoren setzten in der Krise auf eine Verhandlungsstrategie mit dem Militärregime, um eine Änderung der Wirtschaftspolitik zu erzwingen und die konfliktivsten Punkte zwischen Regierung und Verbänden zu lösen. Sie sprachen sich deutlich gegen eine direkte Mobilisierung der Verbände aus, um eine zusätzliche Destabilisierung des Regimes, der etablierten Ordnung und der institutionellen Stabilität des Landes zu vermeiden. Da sie zudem die Verfolgung politischer Ziele durch die Gremien selbst ablehnten, war es nur konsequent, eine mit dem Regime verhandelte und paktierte Reaktivierung der Ökonomie anzustreben.

nationalen Notstandsplan vor, der folgende Maßnahmen beinhaltete: Intervention der nationalen Banken, Eliminierung automatischer Anpassungsregeln im Finanzbereich, Abwendung von IWF-Auflagen, aktive Geldpolitik, Festsetzung der Zinssätze durch die Banco del Estado, Moratorium und Neuverhandlung der Schulden, stärkere Protektion für Industrie und Landwirtschaft sowie Etablierung von angemessenen Preisschwankungsbreiten für grundlegende Produkte des Agrarsektors. 103ygj q c a m p e r o > ^ empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 28. 336

4.2.

Das Ende der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition und die Formierung einer pragmatisch neoliberalen Koalition unter Führung der COPROCO

Die Zeit der schweren Rezession Anfang der 80er Jahre war gekennzeichnet durch das Zerbrechen der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition wesentlich infolge des Zusammenbruchs der größten Finanzkonglomerate Cruzat-Larrain und Vial einerseits, der langsamen Neuformierung einer pragmatisch neoliberalen Unternehmerkoalition andererseits und einem Übergang der Hegemonie von den grupos auf die Verbände der COPROCO. Dadurch, daß die bis dato dominanten grupos sukzessive an Einfluß verloren und die radikale Unternehmerkoalition mit anhaltender und sich vertiefender Krise zerfiel, die neue Koalition unternehmerischer Interessen sich aber nur langsam zusammenfand, konnten Staat und Regierung zwischenzeitlich eine beträchtliche Autonomie gegenüber ihrer sozialen Basis gewinnen. Die Spitzenverbände der Industrie (SOFOFA) und der Landwirtschaft (SNA) blieben bzw. wurden im Laufe der Krise zeitweilig vom politischen Entscheidungsprozeß ausgeschlossen. Bis zur Mitte des Jahres 1982 begünstigte die Wirtschaftspolitik noch diejenigen grupos, die den Kern der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition bildeten. Doch die Schwere der wirtschaftlichen Depression brachte schließlich alle Unternehmenssegmente gegen die Politik der Chicago Boys und den Kern der internationalisierten Konglomerate in Opposition. Da die Unternehmer nicht länger bereit waren, die vorgeblich 'neutrale' Politik des Staates zu tolerieren, pochten sie auf wirtschaftspolitische Maßnahmen, die stärker auf die Bedürfnisse der einzelnen Wirtschaftssektoren zugeschnitten sein sollten. Da sie über keinen direkten Zugang zu den politischen Entscheidungszentren verfugten, wandten sie sich vehement an ihre Verbände, um Forderungen zu artikulieren und ihnen den entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Die COPROCO bildete fortan für 'dissidente' internationalisierte grupos und Einzelunternehmer das Forum, aus dem schließlich eine pragmatisch neoliberale Unternehmerkoalition erwuchs, die ab Ende 1983 den politischen Prozeß dominierte. Mit der sich vertiefenden Krise und der intransigenten Haltung der Chicago Boys begannen die Verbände der COPROCO eindringlich, Veränderungen dieser Wirtschaftspolitik zu fordern. Daß Pinochet und die Chicago Boys die Forderungen dieser Unternehmenssegmente so lange ignorieren konnten, lag zum einen an der im Vergleich zur radikalen Koalition zunächst bestehenden mangelnden inneren Kohäsion, zum anderen an ihrer relativen ökonomischen Schwäche und schließlich an dem nach wie vor hochgradig 'ausschließenden' Charakter des politischen Systems. Die mangelnde interne Kohäsion der Oppositionskoalition gegen die Chicago Boys und entsprechend eine ihrer größten Schwächen kann in zersplitterten Loyalitäten gesehen werden, handelte es sich doch um eine partielle, fragmentierte Koalition, die nur für einen begrenzten Wandel eintrat. Einige Unternehmer unterstützten nach wie vor die 337

radikale Koalition in Fragen des Wechselkurses, andere forderten ein Ende der 'automatischen Anpassung'. Der Wandel in der Wirtschaftspolitik sollte zudem ohne politischen Wandel vonstatten gehen. Die nur halbherzig vorgetragenen Forderungen nach stärkerer Protektion und weiteren sektorspezifischen Politiken verdeutlichten, daß diese Koalition ebenfalls eine zum Weltmarkt offene, freie Marktwirtschaft favorisierte. Ihre Verhandlungsmacht wurde auch durch die Erwartung einer sich schnell erholenden internationalen Konjunktur unterminiert. Da die ökonomische Stärke der neuen Koalition letztendlich von ihrem Beitrag zur Devisenerwirtschaftung und zum Wirtschaftswachstum abhing, hätte die Wiederherstellung günstiger externer Verschuldungsmöglichkeiten zur Überlebensfahigkeit der radikal neoliberalen Koalition beigetragen. In dem Maße, wie ein wirtschaftlicher Aufschwung in einer Situation fehlender externer Verschuldungsmöglichkeiten wieder stärker von einer Reaktivierung des Binnenmarktes, produktiven Investitionen und der Exportförderung abhing, war das Regime zum eigenen Überleben gezwungen, sich der soliden Unterstützung eines Teils der Unternehmerschaft zu versichern. Dies um so mehr, je schärfer die Proteste der kleinen und mittleren Unternehmer ausfielen und sich die politische Opposition von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen der Armutsviertel verstärkt artikulierte. Diese Unterstützung konnten in der gegebenen Situation nur die Kräfte der pragmatisch neoliberalen Koalition sein. Schließlich hatte auch die personalistische Herrschaftsausübung Pinochets und die Abschottung der Chicago Boys gegenüber gesellschaftlichem Druck den Wandel in der Wirtschaftspolitik behindert. Die nicht-institutionalisierte und personalistische Beziehung zwischen Machtgruppen, Ministerien, der Junta und dem Präsidenten erleichterte es der Exekutive, Forderungen der 'dissidenten' Unternehmenssegmente zu ignorieren. Das Fehlen formeller Interessenvermittlungsstrukturen ermöglichte nur einer kleinen Gruppe von Unternehmern den Zugang zur Politik und zu den institutionellen Machtzentren, so daß die auf Veränderung drängende Unternehmerkoalition ihren Druck erst genügend konzentrieren und homogenisieren mußte. 104 Die Unterschiede zwischen der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition und der pragmatisch neoliberalen Koalition lassen sich in einigen Punkten resümieren: Während die radikale Fraktion eine prozyklische Wirtschaftspolitik mit fixen Wechselkursen, 'automatischer Anpassung' und strikter Neutralität gegenüber einzelnen Wirtschaftssektoren verfocht, trat die pragmatische Koalition für eine größere Flexibilität der Wirtschaftspolitik ein und sprach sich für antizyklische Maßnahmen aus, die einen hohen realen Wechselkurs, niedrigere Zinssätze, eine expansivere Geldpolitik, öffentliche Arbeiten und Projekte, Schuldenerleichterungen und eine Senkung der Löhne beinhalteten. Dennoch war auch die pragmatische Koali104 Ygj 338

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silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 323 ff.

tion neoliberal orientiert, insofern als sie eine zum Weltmarkt offene und freie Marktwirtschaft verteidigte, differenzierte Zollsätze zurückwies und lediglich Schutz gegenüber unfairem Wettbewerb forderte. Mit der radikalen Fraktion teilte sie Ansichten bezüglich der Notwendigkeit einer freien Preisbildung, der zentralen Rolle des privaten Unternehmertums und einer möglichst geringen Staatsintervention. Sie war wie jene stark antietatistisch und antikorporatistisch eingestellt und hoffite, den politischen Prozeß für sich monopolisieren zu können. Dennoch war sie insgesamt weniger ideologisiert und favorisierte nach den jüngsten Erfahrungen eine flexiblere Wirtschaftspolitik. Beide Fraktionen der Unternehmerschaft unterschieden sich auch hinsichtlich der Führung der jeweiligen Koalitionen. Während diese in der radikalen Koalition von den mächtigsten Wirtschaftsgruppen mittels der Chicago Boys ausgeübt wurde, hatte sie in der pragmatischen Koalition der strategische Kern der Unternehmerverbände um die COPROCO inne. Darüber hinaus war die pragmatisch neoliberale Koalition breiter als die radikal neoliberale, da sie sowohl internationalisierte grupos wie auch Binnenmarktproduzenten umschloß. Dominant waren innerhalb beider Koalitionen die Großunternehmer. 105 Die pragmatisch neoliberale Unternehmerkoalition gewann mit der sich zuspitzenden Krise an Kohäsion. Konvergenzpunkt war zunächst im März 1982 die Forderung der COPROCO nach einer Abwertung des Peso, um die Wirtschaft zu reaktivieren. Kurze Zeit später brach die grupo Matte aus dem weiteren Unterstützerkreis der radikalen Koalition aus. Mitte April attackierte der Vorsitzende des zentralen Unternehmens dieser Gruppe (La Papelera), der über großes Prestige verfugende Industrielle und frühere Präsident der Republik Jorge Alessandri, die Politik der Regierung, indem er auf die Schwere der Krise hinwies, die mit der These der 'automatischen Anpassung1 verbundene Passivität der Politiker kritisierte und grundlegende Korrekturmaßnahmen forderte.10*' Damit befanden sich endgültig alle grupos aus dem weiteren Umfeld der radikalen Unternehmerkoalition, sofern sie nicht in der Krise zusammengebrochen waren, wie auch die COPROCO selbst erklärtermaßen in Opposition zu den Chicago Boys. Die Formierung der pragmatisch neoliberalen Koalition wurde auch durch verbandsinterne Entwicklungen vorangetrieben. - Erstens gab es über das Comité de Defensa del Producto Nacional Anknüpfungspunkte zwischen großen und kleinen bzw. mittleren Unternehmern und ihren Verbänden, da jenes Comité neben der CPA maßgeblich durch ASIMET ^

Siehe zu diesen Punkten C. Hurtado Ruiz-Tagle, De Balmaceda a Pinochet. Cien años de desarrollo y subdesarrollo en Chile y una disgresión sobre el futuro, Santiago, 1988, S. 8589; E. Silva, The Political Economy of Chile's Regime Transition. From Radical to 'Pragmatic' Neo-liberal Policies, in: P.W. Drake/I. Jaksic (Ed.), The Struggle for Democracy in Chile 1982-1990, Lincoln, 1991, S. 98-127. ^ S i e h e G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 243.

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ins Leben gerufen wurde, einem Verband, der Mitglied der SOFOFA war und innerhalb des Spektrums der COPROCO wohl den gegenüber der Wirtschaftspolitik der Chicago Boys kritischsten Pol darstellte. - Zweitens gab es unter den Industriellen immer häufiger öffentliche Debatten um den richtigen Kurs in der Wirtschaftspolitik, die die Diskrepanzen mit dem umgesetzten Wirtschaftsmodell deutlich zutage treten ließen. Führende Köpfe der SOFOFA wiesen auf die sukzessiven Zollsenkungen als die künstlichen Ursachen der Krise der Industrie hin und betonten die durch die inadäquate Wirtschaftspolitik und den fehlenden Pragmatismus der Regierung verursachten unnötigen Kosten. Diese Kritik konnte in einer allgemeinen Krisensituation nicht mehr ignoriert werden. - Drittens markierte die Wahl neuer Führungsgremien innerhalb der SOFOFA und der COPROCO einen Durchbruch für die pragmatisch neoliberale Koalition, die dadurch an Zusammenhalt gewann und zudem erheblich nachdrücklicher auf politische Veränderungen drängen konnte. Die Ersetzung der alten Führungskräfte drückte die grundlegende Unzufriedenheit der Mitglieder mit der passiven und unterordnenden Haltung gegenüber Regierungspositionen aus. Die neue Führung von SOFOFA und COPROCO und ihre wirtschaftlichen Interessen reflektierte die Zusammensetzung der pragmatischeren Koalition, die aus dissidenten internationalisierten grupos und Produzenten für den Binnenmarkt bestand. 107 Im Juli 1982 fand zunächst die Neuwahl von dreizehn der sechsundzwanzig consejeros der SOFOFA statt, wobei es durch die Aufstellung von zwei untereinander in Konkurrenz stehenden Listen zum ersten Mal seit Jahrzehnten fast zur Spaltung des Verbandes kam. Zwar setzte sich in den Wahlen selbst die 'Regierungslinie' gegen die kritischeren Sektoren (Instituto Textil, Asociación de Industriales de Plástico, Asociación de Industriales Químicos, ASIMET, Asociación de Fabricantes de Conservas, Asociación de Industriales de Valparaíso) durch, aber der Vorgang verdeutlichte die Schwächung der Position jener Verbandsmitglieder, die sich der Regierung anpaßten und unterordneten. Trotz der Binnenmarktorientierung vieler Mitglieder der SOFOFA wurde Ernesto Ayala zum neuen Präsidenten gewählt. Dieser hatte enge Bindungen an die internationalisierten grupos, entstammte er doch dem zur grupo Matte gehörenden Unternehmen 'La Papelera'. Ayala verkörperte den erfahrenen kapitalistischen Unternehmer der alten Garde, der immer für die freie Marktwirtschaft eingetreten war, sich aber dennoch klar von den Chicago Boys und ihren doktrinären Positionen unterschied. Die übrigen Mitglieder des Direktoriums gehörten traditionellen Unternehmenssektoren innerhalb der SOFOFA wie dem Textilsektor (Eugenio Ipinza), der Metall- (Fernando Agüero) und PlastikSiehe zum folgenden E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 328-333; G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 254 f.

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Industrie (Pedro Lizana) an. Dagegen hatte das alte Direktorium eine viel stärker internationale Ausrichtung: Der ehemalige Präsident Bruno Casanova war Besitzer einer der wenigen überlebenden und prosperierenden Gummiproduktehersteller in Chile und im Import-Export-Geschäft tätig. Von den übrigen drei Mitgliedern arbeiteten zwei für multinationale Konzerne (Fernando Krumm, Alberto Llona); Gonzalo Equiquen war Manager eines großen Druckereibetriebs. Bei der Wahl der neuen Führungsgremien der COPROCO im Juli ging es ähnlich turbulent wie bei der SOFOFA zu. Die scharfe Kritik an der Leitung des Verbandes durch Domingo Arteaga verband sich mit Anschuldigungen mangelnder Interessenrepräsentation der Mitglieder und führte zum Rücktritt Arteagas. Der neue Präsident Jorge Fontaine hatte die COPROCO schon zu Zeiten der Unidad Populär geführt, und bezüglich seiner wirtschaftlichen Interessen stand er für eine Machtbalance zwischen dominanten internationalisierten und gut repräsentierten traditionellen Sektoren der Unternehmerschaft: Er verfügte über breit diversifizierte Unternehmen, die in ganz unterschiedlichen Branchen sowohl für den Binnenmarkt wie auch für den Weltmarkt produzierten. Mit dem Wechsel an der Spitze der COPROCO und der SOFOFA hatten beide Verbände nun eine Führung, die eine kritischere Haltung gegenüber der Wirtschaftspolitik einnahm, ohne mit dem Wirtschaftsmodell selbst zu brechen, was ihrer Einschätzung nach mit beträchtlichen destabilisierenden politischen Folgen verbunden gewesen wäre. Der deutlich aggressivere Führungsstil kam von nun an in der scharfen Kritik gegenüber der Regierung zum Ausdruck. Die Forderungen nach einer alternativen Lösung der Wirtschaftskrise rissen nicht mehr ab. Daß zwischen der Formierung und dem Aufstieg der pragmatisch neoliberalen Koalition und realen Veränderungen in der Wirtschaftspolitik ein enger Zusammenhang bestand, läßt sich an zwei Punkten zeigen: Zum einen wurden in der Politik in zunehmendem Maße explizite Forderungen der neuen Unternehmerkoalition aufgegriffen und umgesetzt; zum anderen wurden größere Veränderungen immer kurz nach Treffen der Spitze der COPROCO mit Pinochet eingeleitet. Darüber hinaus war die Beziehung zwischen bestimmten Forderungen der COPROCO und Modifikationen der Politik dergestalt, daß die 'Responsivität' der Regierung vom Ausmaß der Kohäsion und Solidität der neuen Unternehmerkoalition abhing. Daß die neue Koalition in der ersten Jahreshälfte 1982 nur partielle Erfolge erzielen konnte, lag a) am Grad der erreichten Kohäsion der Koalition, d.h. am Ausmaß internen Konsenses über bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen, b) an der relativen Stärke der sich neu formierenden Koalition, d.h. ihrer Fähigkeit bzw. ihrem Potential, zum Wirtschaftswachstum beizutragen, und c) am Politikprozeß selbst, d.h. an fehlenden Mechanismen der Interessenvermittlung zwischen Staat und Gesellschaft, mit der Folge, daß der neuen pragmatischen Koalition zunächst der institutionelle Zugang zu den Zentren der Macht fehlte. Während also anfänglich die Bereitschaft 341

des Regimes gering war, auf Forderungen seitens dieser Unternehmerkoalition zu reagieren und es nur zu geringfügigen Konzessionen seitens der Regierung kam, so änderte sich dies im Zeitverlauf beträchtlich. Die Maßnahmen wurden aber von den Unternehmern als zu gering erachtet und kaum als Reaktivierungspolitik gesehen, zumal sie in eine völlig widersprüchliche Wirtschaftspolitik eingebettet blieben. Bis zur Mitte 1982 machte die Regierung der aufstrebenden Koalition dann in dem Maße weitere Zugeständnisse, wie sie an Zusammenhalt gewann. Die Solidität der Koalition manifestierte sich insbesondere in der Fähigkeit der COPROCO, ein gut integriertes Maßnahmenpaket mit Politikempfehlungen zu erarbeiten und im Gegensatz zu den zufalligen und unberechenbaren Maßnahmen der Regierung einen globalen Lösungsansatz vorzustellen. Ein von der COPROCO ausgearbeitetes Memorandum stellte den ersten Versuch dar, ein eigenes Wirtschaftsprogramm der Untemehmerverbände zur Überwindung der Krise zu formulieren. Darin wurde insbesondere auf vier dringliche Notwendigkeiten hingewiesen: a) den Wettbewerbsverlust für chilenische Produkte zu überwinden, b) den Rückgang der Währungsreserven aufzuhalten, c) den negativen Erwartungen der Unternehmer zu begegnen, d) das Fiskal- und Haushaltsdefizit zu verringern. Dazu sollte die Währung um über 30% abgewertet werden, Importe besteuert und Exporte subsidiiert, die Zinssätze gesenkt und die Verbindlichkeiten der Unternehmer umgeschuldet sowie Löhne und Gehälter um 15 bis 20% gesenkt werden. 108 Die Formulierung eines weitergehenden Programms stieß aber innerhalb der COPROCO auf ernste Schwierigkeiten, da sich sehr unterschiedliche Positionen zu einzelnen Aspekten der Wirtschaftspolitik fanden und die Differenzen zwischen den Einzelverbänden groß waren. Die Art der Protektion und die Festlegung einer angemessenen Zollhöhe sowie die Einschätzung der Wirtschaftspolitik der Regierung stellten nach wie vor Hauptstreitpunkte dar. Bezüglich des ersten Punktes ging es um die Frage, ob es angesichts der Krise eine Modifizierung der Zollsätze geben solle und wenn ja, ob diese lediglich vorübergehend oder permanent modifiziert werden sollten. Dieser Punkt stellte den Rat der SOFOFA vor eine Zerreißprobe, und erst im November des Jahres konnte er sich mit knapper Mehrheit auf differenzierte Zollsätze zwischen 0% und 35% verständigen. Damit stand die SOFOFA aber innerhalb des Verbandsspektrums der pragmatischen Koalition allein, da sich die SNA dezidiert gegen differenzierte Zölle aussprach und SONAMI bereits vorher ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht hatte. Asociación de Bancos und CANACO nahmen diesbezüglich eine ambivalente Haltung ein, so daß die COPROCO der Thematisierung dieser Frage auswich und schließlich die Position der SOFOFA nicht unterstützte. Auch über die Art der Protektion herrschte, abgesehen von einer generellen Einigkeit über unfairen Wettbewerb und Anti-Dumping108

Siehe G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 255.

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Regeln, kein Einverständnis, so daß sich SOFOFA, SONAMI und SNA direkt mit ihren Forderungen an die jeweiligen Ministerien wandten. Während die SOFOFA dort für differenzierte Zollsätze eintrat, sprach sich die SNA erneut für die Festlegung von Preisschwankungsbreiten für traditionelle Produkte aus, und SONAMI forderte Subventionen für den Fall, daß der Kupferpreis unter eine bestimmte Marke absackte. Der Erfolg der Verbände war unterschiedlich. Während SONAMI gegen Ende 1982 ihre Forderungen durchsetzen konnte, mußte die SNA bis 1983 warten, und die Forderung der SOFOFA wurde gänzlich abgelehnt. ^ In bezug auf die Wirtschaftspolitik der Regierung kreisten die Debatten darum, ob die eingeleiteten Maßnahmen zur Reaktivierung der Ökonomie ausreichten oder ob weitergehende Schritte zur Konjunkturbelebung notwendig seien. Diese Debatte wurde schließlich hin zu umfassenderen Schritten entschieden, weil die Regierung trotz sich verschärfender Krise auf partiellen Korrekturen beharrte, insgesamt einen desolaten Eindruck machte und nur halbherziges Krisenmanagement betrieb. Entsprechend prallten die Positionen einer Mehrheit in der COPROCO mit denen des Regimes in dem Maße aufeinander, wie dessen partielle und erratische Maßnahmen mit den umfassenderen Forderungen der Verbände kontrastierten.11® Mit dem Grad der Kohäsion wuchs der Druck der Koalition in bezug auf eine Abwertung der Währung und die Aufgabe des fixen Wechselkurses, dem Herzstück der radikal monetaristischen Politik. Gleichzeitig drängte die COPROCO auf die Ersetzung von Finanzminister Sergio de Castro, der kurz nach der scharfen Kritik Jorge Alessandris abgelöst wurde. Im dem Maße, wie sich die wirtschaftliche

tOQ w S i e h e dazu E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 334 f., mit vielfältigen weiteren Belegen. den ohnehin bestehenden Unterschieden zwischen großen und kleinen Unternehmen kamen Differenzen zwischen grupos und einzelnen Großunternehmen eines Sektors, zwischen Industriellen und Agrariern sowie zwischen jenen und dem Handels- und Finanzsektor. In der Krise traten Differenzen zwischen den Verbänden deutlich zutage und teilweise seit langem gärende Konflikte brachen offen aus. Zwischen den produktiven Sektoren und dem Finanzsektor bestanden Spannungen ob der hohen Zinssätze, der exzessiven Liberalisierung der Kapitalmärkte, einer fehlenden Prioritätensetzung in der Kreditpolitik und bezüglich der Ethik und Funktionsprinzipien des Finanzsektors. Hinzu kamen unterschiedliche Einschätzungen der Wechselkurspolitik und in der Frage des Umgangs mit der Verschuldung und deren Neuverhandlung. Generell sprach sich der Handels- und Finanzsektor für eine stärkere Liberalisierung der Ökonomie und niedrigere Zollsätze aus. Zu diesen und weiteren Widersprüchen zwischen den einzelnen Sektoren siehe J. Ruiz-Tagle, Crisis y políticas económicas y sociales en Chile. Posición de los actores y escenarios futuros, in: CLACSO (Ed.), Hacia un nuevo orden estatal en América Latina?, Vol. 3: Los actores socioeconómicos del ajuste estructural, Buenos Aires, 1988, S. 138-142; N. Flaño/G. Jimenez, Empleo, política económica y concertación. Que opinan los empresarios, Instituto Chileno de Estudios Humanísticos, Santiago, 1987, S. 100 ff.

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Situation weiter verschlechterte111, die großen Finanzkonglomerate nicht mehr zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen konnten und zu einem Hindernis für Pinochet wurden, öffnete sich dieser langsam gegenüber der pragmatisch neoliberalen Koalition, da sie die einzige gesellschaftliche Kraft war, die das Regime unterstützte. Auf die Position des Wirtschafts- und Finanzministers berief er zwar Personen mit großen Sympathien für das radikal monetaristische Modell; diese entstammten aber nicht direkt den Kerngruppen der entsprechenden Koalition. Untergeordnete Positionen besetzte er mit den 'internationalisierten' Gruppen nahestehenden Personen, die aber gleichzeitig enge wirtschaftliche Bindungen an die pragmatische Koalition aufwiesen. Damit gelang ihm einerseits eine Distanzierung von den Kerngruppen der radikalen Koalition, andererseits blieb er weitgehend unabhängig von der pragmatisch neoliberalen Koalition, ohne deren Belange komplett zu ignorieren. Auf den Posten des Finanzministers wurde Sergio de la Cuadra, auf den des Wirtschaftsministers der General Luis Danús berufen. Sergio de la Cuadra war ein Chicago Boy mit engen Bindungen an die radikale Koalition, obwohl er selbst von einem multinationalen Konzern kam (Aetna). Danús war Armeegeneral mit engen wirtschaftlichen Bindungen an die grupo Edwards, die den erweiterten Kreis der radikal monetaristischen Fraktion ebenfalls verlassen hatte, aber für seine Sympathien dem Monetarismus gegenüber bekannt. Auch die Besetzung anderer Ministerposten reflektierte die partielle Öffnung gegenüber der pragmatischen Koalition. Präsident der Zentralbank wurde Carlos Cáceres, der enge Bindungen an die Ibañez Unternehmensgruppe aufwies, somit weder direkt den internationalisierten noch den traditionellen Sektoren zugerechnet werden konnte. Auf den Posten des Landwirtschaftsministers wurde bereits Ende 1981 der damalige Vizepräsident der SNA, Jorge Prado, berufen, dessen wirtschaftliche Interessen im Obstexport, im Weizenanbau und generell im Import-Export-Geschäft lagen.112 Obwohl mit diesen Veränderungen schließlich im Juni 1982 die Abwertung des Peso einherging und sich die Kommunikationsstrukturen zwischen COPROCO und Regierung über die Berufung von Cáceres und Prado verbesserten, brachten sie kaum eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Ausrichtung des Regimes mit sich. Erst in der zweiten Jahreshälfte 1982 reflektierte die Politik der Regierung zunehmend grundlegende Forderungen der pragmatischeren Koalition - wesentlich als Folge von erneuten Umbesetzungen auf Ministerposten. Ausschlaggebend dürfte 111

Die Produktionsindexe der SOFOFA zeigten Einbrüche von über 20%, und die CONUPIA gab an, daß 50% der Kapazitäten der kleinen und mittleren Unternehmen paralysiert seien. Die Zahl der Firmenzusammenbrüche belief sich in diesem Jahr auf über 800. Insgesamt waren in den Jahren 1975 bis 1982 über 2700 Unternehmen in den Ruin getrieben worden. Siehe A. Mizala, Liberalización financiera y quiebra de empresas industriales. Chile 1978-82, CEEPLAN, Notas técnicas, Num. 67, Santiago, 1985, S. 5. 112 Vgl. dazu A. Cavallo/O. Sepúlveda/M. Salazar, La historia oculta ..., a.a.O., S. 290; und E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 343 f.

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die Ersetzung von de la Cuadra und Danüs im August 1982 durch den neuen Minister Rolf Lüders gewesen sein, der jetzt sowohl dem Wirtschafts- wie auch dem Finanzministerium vorstand. Luders war in der BHC bis zu seinem Zerwürfnis mit Javier Vial über die Umschuldung der Unternehmensverbindlichkeiten mit der Zentralbank der zweite Mann gewesen. Er stand zwar den Chicago Boys nahe, gehörte aber nie dem inneren Kreis dieser Gruppe an. Mit seiner Ernennung wich die Regierung weiter von der radikal monetaristischen Politik ab, und die Führungskräfte der COPROCO waren in Lüders' Ministerien weitaus willkommener als in der Vergangenheit. Damit hatte die pragmatisch neoliberale Koalition erstmals wieder direkten Zugang zu Schlüsselministerien des Staates. Da zudem eine Vielzahl anderer Ministerien von Lüders' Oberhoheit abhängig war, eröffnete dessen flexiblere und offenere Haltung gegenüber der neuen Unternehmerkoalition gleichzeitig beträchtliche Handlungsspielräume und Einflußmöglichkeiten für die Verbände. Angesichts dieser Situation vereinbarten COPROCO und Lüders im September ein Maßnahmenpaket zur Konjunkturbelebung (Schaffung öffentlicher Nachfrage, Kredite für den Bausektor und die Landwirtschaft sowie Umschuldungsmechanismen), doch die Verbände bestanden in Anbetracht des geringen Umfangs mit Nachdruck auf ihrer Forderung nach einem umfassenden Reaktivierungsplan. Sie forderten eine Lösung in der Frage der Überschuldung der Unternehmer und wiesen die vorgeschlagene Klassifizierung der Regierung in 'viable' und 'nichtviable' (d.h. vollkommen überschuldete) Unternehmen sowie die sukzessive Liquidierung der letzteren zurück, da diese Methode ihren Vorstellungen einer Neuverhandlung der Schulden mit dem Ziel einer Belebung der produktiven Sektoren entgegenstand. Die immer noch restriktive und passive Geldpolitik sollte außerdem gelockert werden. 113 Der Druck der COPROCO erhöhte sich 1983 weiter. Die Ökonomie, so ihre Forderung, sollte mit den Mitteln einer substantiellen Ausweitung der Geldmenge, der Schaffung staatlicher Nachfrage, der Neuverhandlung der Schulden und Reaktivierung der Exporte mittels Exportanreizen angekurbelt werden. Gleichzeitig kriti113

In einer Presseerklärung der COPROCO zum Jahreswechsel heißt es: "Hacemos esta declaración en la esperanza de contribuir a cerrar la creciente y peligrosa brecha que observamos entre los planteamientos oficiales y la dura realidad de la empresa chilena en la hora actual... La tendencia de las últimas semanas se inclina por la pendiente de la crisis financiera con sus previsibles consecuencias económicas y sociales ... La causa inicial de estos problemas es la crisis que afecta a la totalidad del mundo agravada sustancialmente por errores en que se incurrió en la conducción económica del país ... y en el hecho aún se continúa incurriendo en ellos ... Los errores antes referidos no invalidan ni desvirtúan, en modo alguno, el sistema de economía social de mercado ... de manera que, debida y oportunamente superados, dicho sistema demostrará, una vez más, su eficacia social y histórica." El Mercurio 5/12/1982, zitiert nach G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 275. 345

sierte der Verband die mit dem IWF-Abkommen einhergehenden Restriktionen (Begrenzung des Fiskaldefizits und der internen Kredite, Vorrang der Inflationsbekämpfung). Angesichts der immer bedrohlicher werdenden Wirtschaftssituation und des Höhepunkts der Finanzkrise sah sich die COPROCO gezwungen, eine Alternative zur bisherigen Wirtschaftspolitik zu bieten, um politische Reformen und einen politischen Ausgang der Krise, der zu jener Zeit weder von der Regierung noch von den Unternehmern kontrollierbar gewesen wäre, zu verhindern. Ein entscheidender Schritt in der Durchsetzung der pragmatisch neoliberalen Koalition kann schließlich in dem endgültigen Ende der großen Finanzkonglomerate, die den Kern der radikalen Unternehmerkoalition bildeten, gesehen werden. Im Januar 1983 kam es nach einer ersten Intervention der Regierung im Finanzsektor 1981, die acht Banken betraf, zur Intervention fünf weiterer Banken, zur Liquidierung zweier financieras seitens des Staates und damit zum Zusammenbruch der mächtigsten internationalisierten grupos. Dieser zweite staatliche Eingriff hatte beträchtliche Rückwirkungen auf die Ökonomie, weil über die Banken und ihre Verflechtung und Interdependenz in Form der grupos ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wirtschaft vor dem Zusammenbruch stand. Da die Banken einen zentralen Pfeiler in der Reproduktion des Wirtschaftsmodells bildeten, mußte der Staat das Finanz- und Bankensystem samt deren Verbindlichkeiten übernehmen. Damit kam es für das Regime und das monetaristische Wirtschaftsmodell zu einer politischen und ideologischen Legitimationskrise größten Ausmaßes, waren doch die monetaristischen Prinzipien der Liberalisierung und Deregulierung der Ökonomie auf einmal ad absurdum geführt und die Unhaltbarkeit der Anwendung des Monetarismus in Reinform erwiesen worden. Da die größten erfolgreichen Wirtschaftsgruppen als die Hauptverantwortlichen für den ökonomischen Niedergang erschienen, bedeutete ihre Zerstörung gleichzeitig das Ende der Hegemonie der ' Finanzoligarchie' über den Staat und Teile der Unternehmerschaft.114 Bedingt durch die schwere Vertrauenskrise wurde das Kabinett erneut umgebildet und Carlos Cäceres zum Finanzminister, Manuel Martfn zum Wirtschaftsminister ernannt. 115 Anfang März 1983 stellte das Wirtschaftsministerium einen nationalen Notstandsplan (Plan de Emergencia Econömicä) vor, der bei den Unternehmern Hoffnungen auf einen Wandel in der Wirtschaftspolitik weckte. Die wichtigsten Maßnahmen dieses Plans bestanden in 114

Auf Ähnlichkeiten und Zusammenhänge zwischen dem Legitimationsverlust der Finanzgruppen in der Krise 1981-83 und dem vergleichbaren Legitimationsverlust der Großgrundbesitzer in den 20er Jahren weist F. Dahse, El poder de los grandes grupos económicos nacionales, FLACSO, Contribuciones, Num. 18, Santiago, 1983, S. 84 ff. hin. 115 Während Cáceres den Monetaristen der Chicagoer Schule nahestand und die internationalisierten Unternehmersegmente repräsentierte, war Martin - ein Unternehmer der Nahrungsmittelbranche - Vertreter der Binnenmarktproduzenten innerhalb der pragmatischen Koalition.

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einer 30%igen Umschuldung der Schulden privater Unternehmer; der Aufhebung des freien Wechselkurses und der Anpassung des Dollars an die Inflation; - der zeitweiligen Erhöhung der Zölle und ihrer anschließenden erneuten Absenkung; - der Erhöhung der Mehrwertsteuer und einzelner Verbrauchssteuern.116 Die Reaktionen der COPROCO auf diese Maßnahmen waren zwar positiv, weil sie sich mit ihren Vorstellungen tendenziell deckten; dennoch machte der Verband deutlich, daß dies nur der Anfang eines Bündels von Rcaktivierungsmaßnahmen für die Ökonomie sein könne. Insgesamt hielt die COPROCO den restriktiven Plan de Emergencia nicht für eine adäquate Antwort auf ihre Forderungen, insbesondere bezüglich der Hilfestellung in der Verschuldung und der Wiederankurbelung der Wirtschaft. Noch deutlich kritischer äußerten sich die Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer, die auf die ihrer Meinung nach nur äußerst partielle Lösung der Probleme verwiesen und keine substantiellen Änderungen in der Wirtschaftspolitik zu erkennen vermochten. Die Vorstellungen der COPROCO gingen inzwischen über allgemeine Forderungen hinaus. Ihr Präsident Jorge Fontaine schmiedete die Verbände um verschiedene programmatische Positionen herum zusammen, um ihr Gewicht in den Auseinandersetzungen mit der Regierung zu erhöhen. Die COPROCO forderte neben Hilfestellungen für den privaten Sektor bei der Umschuldung der Kreditverbindlichkeiten, die tilgungsfreie Zeiten, präferentielle Kredite und gestreckte Rückzahlungsfristen umfassen sollten, auch eine Ausweitung der Geldmenge, um die Nachfrage zu stimulieren und die Zinssätze zu senken. Die Vergabe öffentlicher Arbeiten und das Aufstellen von Wohnungsbauprogrammen sollten die Wirtschaft zusätzlich stimulieren, ein hoher realer Wechselkurs sollte Exporte anregen und Binnenmarktproduzenten vor unlauterem Wettbewerb schützen. Die COPROCO betrachtete zudem bessere Kommunikationskanäle zwischen Unternehmerverbänden und Regierung als unerläßlich. Die Erhöhung des Fiskaldefizits, die größere Liquidität der Ökonomie und ein breiterer Umschuldungsrahmen sollten die Wirtschaft mittels einer Steigerung der effektiven Nachfrage ankurbeln. Das Risiko inflationärer Prozesse nahm die COPROCO angesichts der weitaus größeren - aus hoher Arbeitslosigkeit und sozialer Unzufriedenheit resultierenden - destabilisierenden politisch-sozialen Risiken bewußt in Kauf, da die Glaubwürdigkeit der Regierung - wie die zunehmenden Proteste der Gewerkschaften zeigten - stark erodiert war. Die Vorstellungen zur Belebung der Ökonomie waren von dem Gedanken getragen, bestimmte Freiräume eröffnen zu müssen, um die Stabilität des Regimes abzustützen, gleichzeitig aber

116

Vgl. G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 277 f.

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'politische Lösungen' zu vermeiden, weil es für die Unternehmer nach wie vor keine Alternative zum Militärregime und seinen 'Sicherheitsgarantien' gab. Im Juli hatte die COPROCO ihre Forderungen in ein Programm unter dem Titel Recuperación Económica: Análisis y Proposiciones eingebracht, in dem sie konkrete Vorschläge zur Überwindung der Krise machte. Darin schlug sie eine Neuverhandlung der gesamten Schulden des privaten Sektors zu einem realen Zinssatz von 5% vor, weiterhin die Erhöhung der öffentlichen Ausgaben auch über Neuverschuldung bis zu einem Fiskaldefizit in Höhe von 4% des BSP, die Tolerierung einer Jahresinflation von 30%, die Förderung von arbeitsintensiven Industrieprojekten und eine größere Flexibilität in den Verhandlungen mit dem IWF, mit denen eine schnelle Reaktivierung der Ökonomie erreicht werden sollte. 117 Die Vorstellungen des Untemehmerverbandes und die offizielle Regierungspolitik wichen noch immer beträchtlich voneinander ab, schlug ersterer doch eine deutlich flexiblere und weniger restriktive Vorgehensweise vor: Tabelle 24:

Umschuldung Zinssätze Fiskaldefizit Inflation

Unterschiede von COPROCO und Regierung im Reaktivierungsprogramm 1983 Regierung 30% U.F.+7% 2,3 % d.BSP

20%

COPROCO 100% U.F.+5% 4% d. BSP 30%

(G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 280)

Der Plan der COPROCO stieß keineswegs auf ungeteilte Zustimmung, da die Kosten-Nutzen-Verteilung für einzelne Unternehmen und Branchen sehr unterschiedlich war. Nicht alle Verbände unterstützten z.B. eine derartig weitreichende Entschuldung, wie sie von der COPROCO angestrebt wurde. Diskrepanzen zeigten sich auch innerhalb der SOFOFA und der Cámara Nacional de Comercio, da es in beiden Verbänden sowohl Sektoren gab, die dem Plan der COPROCO zustimmten, als auch andere, die dem der Regierung näherstanden. Darüber hinaus entwickelten die Einzelverbände der COPROCO beinahe ausnahmslos Vorstellungen zur stärker sektorspezifischen Reaktivierung ihres jeweiligen Wirtschaftszweigs, die teilweise sehr unterschiedlich ausfielen. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß zumin117

Siehe COPROCO, Recuperación económica. Análisis y proposiciones, Santiago, o.J. (1983); sowie E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 331, 369 ff.; G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 277 ff. Fragen der Protektion und der Zollsätze blieben aufgrund der uneinheitlichen Vorstellungen der Einzelverbände der COPROCO ausgeblendet.

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dest ein Teil der Verbandsführer für die Beibehaltung einer politisch wie ökonomisch restriktiven Linie eintrat. Die kleinen und mittleren Unternehmer, v.a. die radikaleren Sektoren dieses Verbandssegments (Transportunternehmer, Teile der CPA), lehnten den Plan mit der Begründung ab, daß die COPROCO genau jene Unternehmenssektoren repräsentiere, die für die überaus kritische Situation der Ökonomie verantwortlich seien (u.a. die Banken), und die Neuverhandlung aller Schulden auch Briefkastenfinnen einschließe, die in den Händen der großen Konzerne nur der Spekulation gedient hätten. Die Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer zeigten sich auch kritisch gegenüber dem Notstandsplan der Regierung. Die Verantwortlichen des Plans hingen mit Ausnahme des Ministers Martin alle der Denkströmung an, die das Land ins Chaos geführt habe. Für eine vernünftige wirtschaftliche Perspektive und die Wiederherstellung des Vertrauens sei daher die Ersetzung jener Personen eine unerläßliche Voraussetzung. Erst später nahmen CPA und Kleinhändler eine positivere Haltung gegenüber dem Plan der COPROCO ein. 118 Obwohl die Regierung Mitte August 1983 über Carlos Cáceres betonte, es werde keinen globalen Reaktivierungsplan geben, folgte sie doch zunehmend den Vorschlägen der COPROCO und setzte Kernforderungen des Verbandes um. Die offizielle Ablehnung der Regierung läßt sich zum einen auf ihre Absichtserklärung gegenüber dem IWF, zum anderen auf die uneinheitlichen Positionen der Verbände in einzelnen Fragen zurückführen. Sicherlich spielte nicht zuletzt die zunehmende Politisierung der Debatte eine Rolle, die die Regierung um jeden Preis vermeiden wollte. Die Strategie der großen Unternehmerverbände bestand angesichts der sozialen Krise und dem politischen Legitimationsverlust der Regierung fortan darin, ihre langfristigen und grundlegenden Interessen abzusichern. Ein Dilemma für die Unternehmer kann darin gesehen werden, daß sie zwar einerseits die Rückkehr zu einem stärker interventionistisch agierenden Staat ablehnten, andererseits diese aber in gewissem Umfang nötig war, um die mit großer Vehemenz vorgetragenen Forderungen der sozialen Bewegungen (Gewerkschaften, pobladores) nach einem Systemwechsel, welche die Unternehmer als antagonistisch zu ihren Interessen perzipierten und als unmittelbare Bedrohung empfanden, abzufangen. Diese Bedrohungsperzeption hat im Verbund mit der weitgehenden Erfüllung ihrer Forderungen durch das Militärregime bei den wichtigsten Verbandsführern dazu geführt, ihre Interessen am besten bei Aufrechterhaltung des autoritären Regimes gewahrt zu sehen. ^ Seit dieser Zeit versuchten auch die Großunternehmer, wirtschaftliches no

110

^

Die Auseinandersetzungen um die einzelnen Pläne sind nachgezeichnet bei G. Campero, Los gremios empresariales ..., a.a.O., S. 277-284. Vgl. O. Muñoz, El estado y los empresarios. Experiencias comparadas y sus implicancias para Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 46; G. Campero/R. Cortá349

Modell (die freie Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip) und politisches Modell (die autoritäre Diktatur) strikt zu trennen und prinzipiell als zwei getrennte und voneinander unabhängige Sphären zu betrachten. 120

5.

Die Rolle der Unternehmerverbände in der Zeit 1983 bis 1989/90

Die Zeitperiode von 1983 bis 1989 kann in mehrere Etappen eingeteilt werden. Die erste Periode (1983-1985) war durch eine wachsende Konvergenz der Positionen der Regierung und der großen Unternehmerverbände gekennzeichnet, in deren Verlauf eine pragmatischere Haltung der Regierung zu einer Modifizierung wirtschaftspolitischer Leitlinien führte und die Verbände der COPROCO ihre Dominanz innerhalb des Unternehmersektors konsolidierten. Die Verbände setzten weiterhin auf eine mit dem Regime verhandelte wirtschaftliche Reaktivierung und unterstützten die seitens der Militärs eingeleitete kontrollierte 'politische Öffnung' gemäß dem in der Verfassung von 1980 vorgesehenen Zeitplan. Eine zweite unterscheidbare Phase reicht vom Amtsantritt Hernán Büchis als Finanzminister bis zum Plebiszit (1985-1988). In diesen Jahren konnten die Großunternehmer und ihre Verbände die gewonnene Vorherrschaft dank der konjunkturellen Belebung und des wirtschaftlichen Aufschwungs ausbauen, und sie begannen, eine konsistente und aggressive Unternehmerideologie zu entwickeln, in deren Mittelpunkt dynamische Unternehmer als zentrale Akteure der chilenischen Gesellschaft standen. Eine letzte Phase umfaßt schließlich den Zeitraum der engeren politischen Transition vom verlorenen Plebiszit (1988) bis zu den Präsidentschaftswahlen 1989 und dem nachfolgenden Übergang zur demokratisch gewählten Regierung von Patricio Aylwin.

zar, Actores sociales y la transición a la democracia en Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 115-158. Trotz aller Differenzen mit der Regierung und der desaströsen Effekte der Wirtschaftspolitik in den Jahren 1981-83 dürfen die für die Unternehmer positiven Seiten des Militärregimes aber nicht übersehen werden. Es garantierte das Privateigentum uneingeschränkt, 'disziplinierte' die Arbeiterbewegung und desartikulierte die Gewerkschaften, liberalisierte die Märkte und den Außenhandel, eliminierte Preiskontrollen und führte zum Rückzug des Staates aus der Ökonomie. Dies waren in der Vergangenheit Forderungen zumindest der großen Verbände gewesen, die mit der Umsetzung dieser Prinzipien durch das Militärregime einen historischen Sieg errangen. Weiterhin zu nennen wären die Verbreitung kapitalistischer Werte in der Gesamtgesellschaft und ihre Umgestaltung nach Marktprinzipien, welche die Unternehmer auch in kultureller Hinsicht stärkten. Vgl. O. Muñoz, El papel de los empresarios en el desarrollo. Enfoques, problemas y experiencias, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 20, 1986, S. 106.

350

5.1.

Die Konsolidierung der pragmatisch neoliberalen Unternehmerkoalition und die Rolle der Unternehmerverbände

Im ersten Zeitabschnitt zeichnete sich die Wirtschaftspolitik des Militärregimes durch eine erheblich größere Flexibilität aus als in der gesamten Zeit zuvor. Sie war das Resultat von mindestens vier sich überlagernden Prozessen: -Erstens führte das Militärregime die von ihm gehuldigten radikal-monetaristischen Prinzipien durch seine Anwendung selbst ad absurdum. Nach zehn Jahren Militärregime waren das Gewicht des Staates in der Ökonomie und seine Eingriffsmöglichkeiten durch die notwendig gewordene Intervention des Finanz- und Banksektors, die einer Quasi-Verstaatlichung gleichkam, größer als jemals zuvor in der chilenischen Geschichte. Dies widersprach nicht nur den von der Regierung postulierten freien Marktkräften und dem neoklassischen Ideal einer staatsfreien Ökonomie, sondern erforderte angesichts der damit verbundenen schweren Wirtschaftskrise nachgerade einen 'aktiven' Staat, der in hohem Maße regulierend und steuernd eingriff. Dies konvergierte nicht unerheblich mit Forderungen der Unternehmerverbände, angesichts des bedrohlichen Ausmaßes der Krise seine Handlungskapazitäten zur Reaktivierung der Ökonomie voll auszuschöpfen. -Zweitens führte die Krise zu einer Neuformierung der Fundamentalopposition und der Herausbildung einer breiten sozialen Protestbewegung, die sich seit Mai 1983 in den nationalen Protesttagen niederschlug und in der Bildung der Alianza Democrätica (AD) gipfelte. Sie brachte das Militärregime in eine extrem schwierige politische Situation und stellte dessen Überleben ernsthaft in Frage. Ein beträchtlicher Teil der Unternehmerschaft wurde wegen seiner engen Verbindungen oder der weitgehend bedingungslosen Anpassung und Unterwerfung an das Militärregime ökonomisch, noch stärker aber politisch mit diesem identifiziert und für die desaströse Situation des Landes mitverantwortlich gemacht. Zwar lehnte die Mehrheit der Unternehmer die Protestaktionen der Opposition, die statt einer begrenzten Liberalisierung eine grundsätzliche Demokratisierung des politischen Systems anstrebte, entschieden ab. Die Möglichkeit einer klassenübergreifenden Allianz war jedoch ein Faktor, der zur Annäherung von Regierung und den Unternehmerverbänden der COPROCO beigetragen hat. -Drittens hat auch die katastrophale wirtschaftliche Situation mit dem Druck der Unternehmer und deren machtvollem Insistieren auf einer Veränderung der Wirtschaftspolitik zu einer solchen Flexibilisierung beigetragen. Die wirtschaftlichen Wachstumserfolge wurden durch die tiefen Einbrüche 1975 und 1982/83 mehr als relativiert und das Produktionspotential des Landes infolge der absoluten Außenöffnung und der externen Kreditfinanzierung beträchtlich destabilisiert. Da Teile der Unternehmer am wirtschaftlichen 'Erfolg' selbst nur begrenzt partizipierten, gleichwohl ideologische Grundüberzeugungen nach wie vor mit der Regierung teil351

ten, hätte ein Bruch der Unternehmer mit dem Regime zu dieser Zeit eine Niederlage für die besitzenden Klassen insgesamt bedeutet. Die ökonomische Entwicklung stellte sich für sie als Nullsummenspiel und Stagnation dar. Damit war der Versuch, den Privatsektor zum Motor der Entwicklung zu machen, trotz der überaus günstigen Bedingungen zunächst gescheitert. Angesichts der mit der politischen Destabilisierung des Regimes einhergehenden Bedrohung mußte die Regierung Pinochet die Bindungen an ihre traditionelle Basis stärken und gegenüber der neuen aufstrebenden Unternehmerkoalition Konzessionen machen. Umgekehrt begannen auch die Unternehmer angesichts der sozialen Krisensituation ihre Reihen um die Regierung herum zu schließen. -Zur größeren Flexibilität der Regierungspolitik hat schließlich auch die Besetzung von Schlüsselministerien mit Repräsentanten der neuen Unternehmerkoalition beigetragen, die nun von den Schaltstellen des Staates aus ihre wirtschaftlichen Forderungen durchsetzen konnten. Dies war die entscheidende Verbindung, um politische Forderungen der Verbände und Resultate der Politik in Übereinstimmung zu bringen. Zwischen der Vorstellung des Plans Recuperación Económica seitens der COPROCO im Juli 1983 und dem ersten Quartal 1985 hatte die pragmatisch neoliberale Koalition von der Regierung substantielle Konzessionen erhalten. Wichtige Wirtschafitsindikatoren befanden sich in Übereinstimmung mit den Forderungen der Verbände: Das Fiskaldefizit lag zwischen 4% und 5%; die kurzfristigen Zinssätze hatten sich um über die Hälfte reduziert; die Regierung hielt einen hohen realen Wechselkurs aufrecht. Eine Anfang 1984 durchgeführte Steuerreform kam den Petitionen der COPROCO und ihrer Mitgliedsverbände mit einer Reduktion der Einkommenssteuer und verschiedener Gewinnsteuern zur Stimulierung von Investitionen sehr nahe. Einzig die Inflation bewegte sich mit knapp über 20% eher an der Marke der Regierung als an den von der COPROCO für zulässig gehaltenen Werten. Im Mai 1984 gab die Regierung einen neuen Modus für die Umschuldung interner Verbindlichkeiten der Unternehmen bekannt, die mit Forderungen der COPROCO doch mehr oder weniger konsistent waren und einer weitgehenden Entschuldung gleichkamen. Kleine und mittlere Schuldner der produktiven (i.e. nichtfinanziellen) Wirtschaftssektoren konnten 100%, größere Schuldner bis zu drei Viertel ihrer Außenstände innerhalb von zehn Jahren zu einem Realzins von zunächst 5%, später 6% entschulden.121

Siehe J.P. Arellano, Crisis y recuperación económica en Chile en los años 80, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 24, 1988, S. 63-84; J.P. Arellano/M. Marfán, Ahorro-inversión y relaciones financieras en la actual crisis económica chilena, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 20, 1986, S. 61-93; J.P. Arrelano, La difícil salida al problema del endeudamiento interno, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 13, 1984, S. 5-25; und M. Marfán,

352

Darüber hinaus entsprach die Regierung den stärker sektoralen Forderungen der Verbände, die nicht direkt im Programm der COPROCO enthalten waren. Bereits im März 1983 erreichte die SOFOFA eine Erhöhung der Zollsätze von 10% auf generell 20%. Im Verlauf des Jahres wurde auf fast alle Textilprodukte, Schuhe, Holz, Papier, Gummi und wichtige Inputs des Bausektors ein Zusatztarif von 15% aufgeschlagen. Die damit verbundene höhere Protektion, die günstigen Konditionen für eine langfristige Um- und Entschuldung sowie die spätere Durchsetzung einer Politik der Stimulierung industrieller Exporte entsprachen gänzlich Forderungen des Industriellenverbandes. Diese Maßnahmen müssen vor dem Hintergrund der schweren Krise des Industriesektors und der beträchtlichen Deindustrialisierung des Landes gesehen werden. Auch die Landwirtschaft profitierte von den im Sinne der Verbände getroffenen Regierungsmaßnahmen. Stützungskäufe für Weizen, Wein und Öl stellten eine neue Vermarktungspolitik dar und gingen einher mit der Vergabe neuer Kredite zu beträchtlich geringeren Zinssätzen. Spezialkredite wurden zunächst an die Produzenten von Getreide, später an all diejenigen, die sog. traditionelle Produkte anbauten, vergeben. Die Etablierung von Referenzpreisen und Preisschwankungsbreiten für Ölprodukte und Weizen wurde begleitet von höheren Zöllen (Importaufschlägen) zum Ausgleich von Subsidien, die auf ausdrückliches Drängen der SNA auch auf Milchprodukte ausgeweitet wurden. Hintergrund dieser Maßnahmen war eine Ereignisfolge, die vom Zusammenbruch der CRAV und der beiden damals größten Obstexportuntemehmen SAFCO und Pruzzo y Co. über die von der SNA im August 1981 organisierte Konferenz 'Jornadas de Análisis de la Política Económica y Social y sus efectos en la transformación de la agricultura' in Viña del Mar und die Bestellung ausländischer Gutachter Anfang 1982 reichte, die mit ihrem Abschlußbericht (Informe Hardiri) den Positionen der Agrarier gegenüber der Regierung zusätzliche Legitimation verliehen. Sie setzte sich fort in der bereits erörterten Mobilisierung der Landwirte des Südens und ihrer nachfolgenden Repression sowie der verheerenden Ernteresultate 1982/83, welche die niedrigsten des Jahrhunderts waren. 122 Nicht zuletzt erhielt auch der Handels- und Finanzsektor Unterstützung durch die Regierung. Die CANACO forderte in der ersten Jahreshälfte 1983 Spezialkredite zu günstigen Konditionen und erhielt sie von der Zentralbank. Der Finanzsektor wurde zwischen 1982 und 1985 seitens des Staates mit 7 Mrd. US-$ gestützt, wenn man den präferentiellen Dollarkurs, die Aufkäufe uneinbringlicher Schuldtitel durch die

199

Una evaluación de la nueva reforma tributaria, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 13, 1984, S. 27-52.

' " V g l . zum Industrie- und zum Landwirtschaftssektor E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 375 ff. mit weiteren Belegen; und S. Gómez, Organizaciones empresariales rurales ..., a.a.O., S. 28-37.

353

Zentralbank, die weitreichende Umschuldung und sog. Nothilfekredite einbezieht. Aufgrund des finanziellen Debakels wurden in diesem Sektor effektivere Kontrollmöglichkeiten etabliert und die Bankenaufsicht verschärft. Später kam dem neuen Bankgesetz eine wichtige Regelungs- und Normalisierungsfunktion z u . 1 2 3 Diese Veränderungen in der Wirtschaftspolitik fanden ihre Entsprechung auf der Ebene der Ministerien und anderer hochrangiger Positionen in der Staatsverwaltung, so daß die pragmatisch neoliberale Koalition auch über diesen Weg seit 1982 ständig an Einfluß gewann. 1 2 4 Das folgende Schaubild gibt zunächst einen Überblick über die Verflechtungen von wirtschaftlicher und politischer Macht in den Jahren 1983-1988 und zeigt im Vergleich mit dem Schaubild 8 deutlich den Einflußverlust der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition und der Chicago Boys in hohen Regierungsämtern.

123 Ygj_ j p Arellano, La difícil salida ..., a.a.O.; P. Rozas/G. Marín, El 'mapa de la extrema riqueza' 10 años después, Santiago, 1989. Angesichts der im Prinzip bis 198S anhaltenden Paralysierung und Stagnation der Ökonomie übernahm der Staat auch die Aufgabe, die Auslandsveipflichtungen der Unternehmen umzuschulden und den Privatsektor, insbesondere das Großkapital, stark zu subsidiieren. Hatten die Transfers und Subsidien des öffentlichen Sektors an private Unternehmen in den Jahren 1979/80 'nur' 4% des BSP ausgemacht, so erhöhten sie sich im Zeitraum 1982-85 auf 8,5%. Unter anderem diese Finanzspritzen ermöglichten den Aufschwung seit Mitte der 80er Jahre, war doch der Anteil der privaten Investitionen am BSP von 14,6% 1979/81 auf 6,1% 1982/85 gesunken. Gleichzeitig wurden die Löhne und Gehälter der abhängig Beschäftigten stark gesenkt, und der Staat zog sich aus seinen den breiten Massen zugute kommenden sozialen Verpflichtungen zurück. Siehe O. Muñoz, El papel de los empresarios ..., a.a.O., S. 106; und generell zur Umorientierung der Politik Th.A. Schmidt, Neoliberaler Pragmatismus oder pragmatischer Neoliberalismus Bemerkungen zur chilenischen Wirtschaftspolitik zwischen 1983 und 1990, in: asien, afrika, lateinamerika, Vol. 20, 1993, S. 879-889. i ii Siehe zum folgenden ausführlicher E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 384-392; sowie die zusammenfassende Übersicht bei E. Silva, Capitalist Coalitions, the State, and Neoliberal Economic Restructuring. Chile 1973-1988, in: World Politics, Vol. 45, 1993, Num. 4, S. 552-555. 354

Schaubild 13: Die Verflechtung von wirtschaftlicher und politischer Macht in den Jahren 1983-1988 Ministerium/ Name

Zeitperiode

Verband

Finanzen: Cáceres Escobar Bachi

02/83-04/84 04/84-02/85 02/85-04/89

Wittschaft: Martín Passicot Collados Délano

04/83-08/83 08/83-04/84 04/84-07/85 CCC 07/85-07/87 CANACO

grupo

X

1983-1984 1984-1985 1985-1986

BHC

Vizepräsidenten: Tapia Ossa Ruiz Serrano

1982-1983 1983-1984 1984-1985 1985-1986

Matte

Haushaltsabteilung: Costabai Fuenzalida Selume Landwirtschaft: Prado

03/81-08/83 08/83-12/83 12/83-10/88

CB

I

x X

Armee Armee Armee M/L/E

1981-1984 1984-1985 1985-1986 12/81-10/88

x

IO

Zentral t>¡nft: Präsidenten: Errázuriz Ibáñez Seguel

CORFO: Ramírez Pérez Hormazábal

Unternehmens typ RM EK TNK N F

x

x X

X

SNA

(E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 386. Erläuterungen: RM = Kern der radikal monetaristischen Unternehmerkoalition; EK = Erweiterter Kreis der radikal monetaristischen Unternehmerkoaliüon; TNK = Transnationaler Konzern; N = Neutral, d.h. weder internationalisiertes noch traditionelles Unternehmen; F = Finanzaktivitäten; CB = Chicago Boy; I = Internationalisiertes Unternehmen; IO = Ibáñez Ojeda; L = Luksic; BHC = Banco Hipotecario de Chile/Vial; M = Matte; E = Edwards)

Bereits die Ersetzung von Minister Rolf Lüders im Februar 1983 durch Carlos Cäceres im Finanz- und Manuel Martin im Wirtschaftsministerium war ein Schritt in diese Richtung. Cäceres stand zwar für die weitere Dominanz der international ausgerichteten Unternehmersegmente und monetaristisches Gedankengut, anerkannte aber die Bedeutung der auf den Binnenmarkt orientierten Unternehmer. 355

Martín - selbst Unternehmer der Nahrungsmittelbranche - war den binnenmarktorientierten Produzenten innerhalb der pragmatisch neoliberalen Koalition verpflichtet, auch wenn er der COPROCO selbst nicht nahestand. Beide, Martin und Cáceres, waren verantwortlich für das Reaktivierungsprogramm des Regimes vom März 1983, das wichtige Forderungen der sich neu formierenden Koalition aufnahm. Da das Verhältnis der beiden zueinander jedoch aufgrund unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen in der Wirtschaftspolitik nicht spannungsfrei war, ersetzte Pinochet Martin im August 1983 mit dem gegenüber Cáceres neutraleren Andrés Passicot. Gleichzeitig drängte die aufstrebende Unternehmerkoalition weiter auf die Ersetzung von Chicago Boys, die noch mittlere Positionen in den Ministerien und anderen Institutionen des Staates innehatten. Kurze Zeit später machte Pinochet Modesto Collados zum Minister für Wohnungsbau (Vivienda y Urbanización). Collados war ein direkter Vertreter der pragmatisch neoliberalen Koalition. Zur Zeit seiner Berufung war er Präsident der Cámara Chilena de la Construcción, und als Minister setzte er die innerhalb der COPROCO von der CCC entwickelten Vorstellungen bezüglich der Reaktivierung des Sektors um, die er als deren Präsident wesentlich mitentworfen hatte. Auf die Position des Innenministers berief Pinochet Sergio Onofre Jarpa, der über enge Bindungen an traditionelle Untemehmenssektoren verfügte. Zudem hatte Jarpa zwei 'politische' Vorteile: In der Strategie des Militärregimes diente er nicht nur dazu, angesichts der starken Proteste der Opposition einen möglichen Verhandlungsweg mit jener zu eröffnen, sondern auch dem Zweck, Proteste der kleinen und mittleren Unternehmer (v.a. der Transportunternehmer) zu neutralisieren. Sergio Onofre Jarpa besaß in diesen Kreisen hohes Ansehen, war er doch Präsident der Confederación Democrática (CODE) gewesen, die die politischen Parteien gegen die Allende-Regierung zusammenschloß. Über diese Organisation hatte er enge Kontakte zum Comando Multigremial und genoß das Vertrauen der Führungskräfte der Händler, Transportunternehmer und kleinen und mittleren Landwirte. Er sprach sich für eine wirtschaftliche Reaktivierung aus, die mit einer über die engen Grenzen der Verfassung hinausreichenden politischen Liberalisierung einherging, und etablierte schnell Kontakte zur Alianza Democrática. Diese brachen aber ab, als klar wurde, daß Jarpa keinen Verhandlungsspielraum hatte. Angesichts anhaltender Massenmobilisierungen und zunehmender Kritik an Cáceres' austeritärer Politik gestaltete Pinochet im April 1984 erneut sein Kabinett um. Sowohl der neue Finanzminister Luis Escobar, wie auch der umgesetzte Wirtschaftsminister Modesto Collados repräsentierten die pragmatisch neoliberale Koalition, womit im Staat ein deutliches Übergewicht zu deren Gunsten entstanden war. Entsprechend war ihre Amtszeit auch eine Periode, in der viele der politischen Forderungen der pragmatischen Koalition umgesetzt wurden. Aufgrund seiner poli356

tischen Geschichte und seinen wirtschaftlichen Interessen war Escobar ein mustergültiger Repräsentant der neuen Unternehmerkoalition. Er war als Unternehmer in einem transnationalen Konzern mit weitreichenden Kontakten zur internationalen Finanzwelt tätig, hatte aber gleichzeitig Verbindungen zu den Binnenmarktproduzenten (über die Banco de Fomento de Valparaiso, einer regionalen Entwicklungsbank). Während der Präsidentschaft Jorge Alessandris war er bereits einmal Wirtschaftsminister gewesen, später fungierte er als chilenischer Repräsentant bei IWF und Weltbank. Er befürwortete eine expansive Geldpolitik, differenzierte Zollsätze und ein größeres deficit spending. Ahnliches gilt für Collados, der aber für einheitliche Zölle eintrat. Er war bereits Mitte der 60er Jahre unter Eduardo Frei Minister und Architekt des Mitte 1984 verabschiedeten Programa Trienal, welches viele Vorschläge der Unternehmerverbände aufnahm. Das Escobar-Collados-Team verdrängte damit endgültig radikal monetaristische Personen aus den Spitzen des Staates. Daneben waren wichtige weitere Ministerien mit Vertretern der pragmatisch neoliberalen Koalition besetzt worden. Als Landwirtschaftsminister fungierte seit Ende 1981 (bis Ende 1988) Jorge Prado, seinerzeit Vizepräsident der SNA, mit dem Schwerpunkt seiner Wirtschaftsaktivitäten im Import-Export-Geschäft (Obst) und sekundären Interessen in der Produktion von Getreide für den Binnenmarkt. Samuel Lira, der Ex-Präsident der SONAMI, stand seit August 1982 (ebenfalls bis Ende 1988) dem Ministerium für Bergbau vor. Mit Collados und Escobar an der Spitze routinisierte sich die Partizipation der Unternehmerverbände der COPROCO an der Politik, und ihr direkter Einfluß schlug sich in vielfältigen Ergebnissen nieder. Der von Collados ausgearbeitete Dreijahresplan (.Programa Trienal) bei einer direkten Vertretung der Verbände in den Sektorkommissionen war nur das deutlichste Beispiel. Die Zusammenarbeit der Spitzenverbände der Wirtschaft mit 'ihren' Regieningsvertretern führte zur Übersetzung der inzwischen mehrfach verfeinerten Vorschläge des einst von der COPROCO entworfenen Programms Recuperación Económica in chilenische Politik. Darüber hinaus eröffnete Collados im Mai 1984 mit der Bildung des Consejo Económico Social (CES) einen weiteren Partizipationskanal für die Unternehmer. Der CES brachte den öffentlichen Sektor mit den Unternehmens- und Gewerkschaftssektoren zusammen. Obwohl er nur beratende Funktion hatte, diente er als weiteres offizielles und formelles Forum zwischen Regierung und Untemehmerverbänden, in dem den Gewerkschaften nur eine Statistenrolle zufiel. Über die Wirtschaftskommissionen konnten die Verbände ihre Kritik oder Unterstützung an bestimmten Regierungsvorschlägen vorbringen. Als Teil der 'neuen Institutionalität' des Regimes stellte der CES für Unternehmer wie Regierung ein effizienteres Parti-

357

zipationsorgan dar als die als 'altmodisch' abqualifizierten Institutionen der repräsentativen Demokratie. 125 Wie das Gespann Collados-Escobar die Interessen der pragmatisch neoliberalen Koalition repräsentierte, so zeigte es auch deren Spannungen. 126 Größter Streitpunkt innerhalb der Unternehmerkoalition waren nach wie vor die Zölle. Während die SOFOFA mehrheitlich für differenzierte Zollsätze eintrat, die den Anforderungen der einzelnen Sektoren besser gerecht werden sollten, standen alle anderen Verbände dem ablehnend gegenüber. 1 2 7 Da Escobar im Kabinett die SOFOFAPosition unterstützte, brachte ihn dies regelmäßig in Konflikt mit der dominanten Strömung der Befürworter eines einheitlichen Zolltarifs, die Collados vertrat. Entsprechend fand die kurzzeitige Anhebung der Zollsätze auf 35% die Zustimmung der SOFOFA, stieß aber auf die Kritik aller anderen Verbände (und ob der damit verbundenen höheren Importpreise selbst von Teilen der SOFOFA). Als Escobar die selektiven Zuschläge auf die Zollsätze auf weitere Produkte ausweiten wollte, führte die scharfe Kritik an seinen Maßnahmen seitens Collados und der Wirtschaftsverbände im Februar 1985 zu seiner Entlassung. Auf Escobar als Finanzminister folgte Hernán Büchi. Obwohl oder gerade weil er eine 'neutrale' Figur innerhalb der pragmatisch neoliberalen Koalition war, wurden durch ihn bestehende Spannungen und Rivalitäten zwischen den internationalisierten und binnenmarktorientierten Segmenten der pragmatisch neoliberalen 125

126

127

Vgl. A.Z. Lecaros, Representación de los intereses de la sociedad en el estado y los consejos económicos y sociales, M.A. Tesis, Instituto de Ciencias Políticas, Pontificia Universidad Católica, Santiago, 1989. "The pragmatic coalition did not represent as significant an advance in intra-upper class accomodation between internationalists and producers for domestic markets as might seem at first glance. T o be sure, intraclass tensions within the pragmatic coalition were less severe than in the radical coalition ... But the fact that differences in the pragmatic coalition were less overt should not obscure their existence and significance. The pragmatic coalition still evidenced a strong, if more submerged, clash between exporters and manufacturers for domestic markets. This was a continuation of the fundamental intra capitalist rift that began in 1974: it represented a continuing struggle between modernizers (internationalists) and traditionalists (producers for domestic markets).' E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking . . . , a.a.O., S. 423. Viele der Großindustriellen, die in der Zeit von 1982 bis 1985 den Rat der SOFOFA dominierten, hatten sich in den 70er Jahren verschuldet, modernisiert und ihre Unternehmen auch konsolidier Von den 35 Ratsmitgliedem produzierten mit Ausnahme von 8 alle in Subsektoren, die mit einem relativ geringen Zollschutz leben konnten. Die Interessen der Ratsmitglieder waren in der Chemie- und Metallproduktion, bei Maschinen und Elektrogütem konzentriert. Die massive Deindustrialisierung war also auch von einer beträchtlichen Restrukturierung des Industriesektors begleitet. Darin kann auch der Grund gesehen werden, warum die SOFOFA nicht nachdrücklicher für eine effektivere Protektion eingetreten ist. Siehe E. Silva, ebd., S. 367; und PREALC, Monetarismo global y respuesta industrial. El caso de Chile, Documento de Trabajo, Num. 232, 1984.

358

Unternehmerkoalition abgeschwächt. Mit Büchi begann ein Interessenausgleich, der für beide Pole der Koalition dauerhaft eine verträgliche Situation herstellte. 128 Wenn auch damit der unmittelbare Einfluß der Verbände im Finanzministerium nicht mehr gegeben war, so wurde dieses Manko doch dadurch ausgeglichen, daß sich Büchi ausdrücklich wirtschaftlichen Interessen verpflichtet wußte. Mit der neuen Konsensualität zwischen den Verbänden sowie zwischen jenen und dem Staat, zu der auch die einsetzende Erholung der Ökonomie beigetragen haben dürfte 1 2 9 , kann der Beginn der zweiten hier unterschiedenen Phase verortet werden. Welchen Grad an Kohäsion und auch Dominanz die pragmatisch neoliberale Koalition inzwischen erreicht hatte, verdeutlicht eine Polemik zur Jahresmitte 1985, die die Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses im Agrarsektor betraf. Sie fand ihren Ausgangspunkt in der Beobachtung eines Preisanstiegs für einige Grundnahrungsmittel, die von einem Professor der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universidad Católica auf höhere Gewinnspannen der landwirtschaftlichen Produzenten zurückgeführt wurde und ihn in El Mercurio zu folgender Argumentation veranlaßte: Die Weizenpreispolitik würde die Agrarier bevorzugen, die Konsumenten von Weizenprodukten dagegen in Mitleidenschaft ziehen und insbesondere die ärmsten Gesellschaftsschichten treffen. Diese Argumentation wurde von den Vertretern der großen Agrarverbände als globale und ungerechtfertigte Kritik an der umgesetzten Politik perzipiert, und die Antwort der so Beschuldigten ließ nicht auf sich warten. Neben dem Hinweis auf die Erholung des Sektors (Anstieg der Produktion, Erhöhung der Beschäftigung und Bedeutung bei der Devisenerwirtschaftung) standen polemische Anwürfe gegen die 'Ignoranten' und die 'gescheiterten Theoretiker' der Chicagoer Schule. Gegenüber dem Wiederaufleben des ökonomischen Fanatismus müßten die Verbände ihre Reihen schließen, um das zu verteidigen, was ihnen jahrelang vorenthalten worden sei: adäquate Bedingungen für die Entwicklung des Agrarsektors und die Ausschöpfung seines Potentials für den Fortschritt des Landes. 1 3 0 In diesem Fall standen die Unternehmerverbände fest zusammen und vertraten eine einheitliche Position. Die SNA wurde von der Asociación Nacional de Productores de Trigo ebenso unterstützt wie von der '"Büchi war ein junger Bürokrat, der unter Pinochet Karriere gemacht hatte und selbst nicht unternehmerisch tätig war. Er hatte sich in den Jahren 1983-84 als ODEPLAN-Minister und davor als Superintendente de Bancos Meriten erworben. 19Q 7 ^ Dies schlug sich auch in einer öffentlichen Erklärung von COPROCO, SNA und Cámara Nacional de Comercio vom Februar 1985 nieder, in der es heißt: "La orientación económica es adecuada ... El gobierno está avanzando en la consolidación del sector privado ..." Zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 38. 130 Der Präsident der SNA, Manuel Valdés, erklärte: "En este momento no hay un sólo dirigente que no esté con la cara pintada y con hacha de guerra, porque no vamos a permitir, de ninguna manera, que se ponga en jaque está política." La Tercera 6/6/1983. 359

CONUPIA und der SOFOFA. Einige Tage später setzte die Regierung der Polemik ein Ende, indem sie betonte, daß die gegenwärtige Politik fortgesetzt würde, was die Verbände mit Befriedigung und Erleichterung aufnahmen.131 Insgesamt spiegelt der hier wiedergegebene Streit das veränderte Szenario gegenüber den 70er Jahren wider und verdeutlicht den Legitimationsverlust der orthodoxen Monetaristen und ihrer Politik. Zur Mitte des Jahres 1985 wurde auch Modesto Collados als Wirtschaftsminister ersetzt. Ihm folgte der damalige Vizepräsident der CANACO Juan Carlos Délano nach, der zwar ein Verfechter niedriger und einheitlicher Zollsätze war, sich im Falle unfairen Wettbewerbs aber für eine selektive Protektion der Industrie aussprach und damit unterschiedliche Koalitionsinteressen miteinander versöhnte. Unter seiner Führung wurden die Verbindungen zwischen pragmatisch neoliberaler Koalition und den Institutionen des Staates ausgeweitet und stärker institutionalisiert. Anfang 1986 schuf Délano innerhalb des Wirtschaftsministeriums zwei ständige 'Nationale Kommissionen' (Comisiones Nacionales) für Industrie und Handel. Sie räumten der COPROCO und ihren Mitgliedsverbänden einen Platz in den politikvorbereitenden Arbeitsgruppen auf höchster Regierungsebene ein. Die Comisiones Nacionales bildeten eine Ergänzung zur weiter zunehmenden Einbeziehung der Wirtschaftsverbände in Beratungs- und Planungsstäbe der Regierung und zu der Aufwertung des CES, an dessen Kommissionssitzungen nun jeweils ein hochrangiges Regierungsmitglied teilnahm. Die Führer der Wirtschaftsverbände erhielten auch Zugang zu den 'legislativen Kommissionen', die durch die Verfassung von 131

Siehe S. Gómez, Organizaciones empresariales míales ..., a.a.O., S. 37-43. Interessant an diesem Fall ist auch die Haltung, die Zeitungen wie El Mercurio und Estrategia einnahmen, die durchaus als Sprachrohr verschiedener Fraktionen des Kapitals gelten können. Estrategia - die traditionellen Sektoren der pragmatisch neoliberalen Koalition repräsentierend - nannte es paradox und bedauerlich, daß die Streitauslöser ausgerechnet jene seien, die über mehrere Jahre direkt verantwortlich für die Umsetzung von Maßnahmen waren, die die Landwirtschaft an den Rand des endgültigen Ruins getrieben hätten (Estrategia 10-16/6/1985). El Mercurio die eher radikal monetaristischen Sektoren vertretend - wies darauf hin, daß die protektionistische Politik nationale Produkte unnötig verteuere, der großen Mehrheit des Volkes künstlich höhere Kosten auferlege und die Konsumenten damit belaste. Der tiefere Sinn des Rufs nach Preisschwankungsbreiten sei eigentlich die Fixierung von Preisen, die den Landwirt von allen Risiken befreie; der Sinn offizieller Vermarktungsstellen und -kanäle sei es, den Absatz der Produktion sicherzustellen, dem sich dann alsbald Forderungen nach einem kostenlosen Technologietransfer und billigen Inputs anschließen würden. Eine Politik mit solchen Charakteristila würde einer neuen Agrarreform gleichkommen. Die Drohung mit dem Thema Agrarreform gewann für den Mercurio auch noch in anderer Hinsicht an Relevanz. In einem Modell nämlich - so dessen Argumentation -, in dem die Preise vom Staat garantiert, die Inputs subsidiieit und die Kredite künstlich verbilligt würden, sei es absurd, daß die Gewinne allein an den Privatsektor fielen. Falls nochmals eine Agrarreform auf der Tagesordnung stehen sollte, bestünde die Gefahr, daß man emeut nur wenige Gegenargumente gegen eine solche Politik vorbringen könnte. El Mercurio 4/6/1985 und 7/6/1985.

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1980 ins Leben gerufen wurden, um einen gesetzgeberischen Rahmen für den Übergang zu einer 'geschützten' Demokratie zu etablieren. Gesetzesentwürfe zirkulierten innerhalb der Verbände der COPROCO, die jene korrigieren, verbessern oder zurückweisen konnte. Damit hatten die Verbände bzw. ihre führenden Köpfe nicht zuletzt die Möglichkeit, selbst Gesetzesvorhaben einzubringen. 132 Das enge Beziehungsgeflecht zwischen Privatwirtschaft und Staat erlaubte es den Unternehmerverbänden im Zeitraum seit 198S, ihre materielle Basis in außergewöhnlicher Weise zu stärken. Zwei Punkte standen dabei im Vordergrund. Zum einen forderte die SOFOFA seit langem besondere Anreize zur Förderung sog. nicht-traditioneller Exporte. Damit sollte die wirtschaftliche Basis der Unternehmen gestärkt wie auch ihr Beitrag zur Devisenerwirtschaftung erhöht werden, die sie nochmals in eine deutlich herausgehobenere Position versetzen würden. 133 Die Regierung erließ entsprechende Dekrete im Dezember 1985 zunächst für kleine und mittlere Unternehmer, sodann im Mai 1988 ein weiteres Dekret, welches sich in voller Übereinstimmung mit der SOFOFA befand, sah es doch diverse Steuererleichterungen und Ausnahmeregelungen für zum Export bestimmte Industrieprodukte vor. Zum anderen forderten alle Verbände eine rasche Privatisierung von Staatsunternehmen, die nicht nur die im Zuge der Intervention der Banken bzw. der mächtigsten grupos übernommenen Unternehmenseinheiten beinhalten, sondern auch andere Staatsunternehmen umfassen sollte. Bereits 1984/85 hatten die Verbände auf die ihrer Meinung nach dringliche Privatisierung der Staatsunternehmen nachdrücklich hingewiesen und wiederholt ihre Besorgnis ob der Implikationen der massiven Intervention des Bankensystems ausgedrückt. Probleme mit der Trennung der Industrieunternehmen von den Banken, der Entschuldung und Sanierung ließen die Regierung schließlich auf einer Einzelfallbasis die betroffenen Unternehmen verkaufen. Die Privatisierung traditioneller Staatsunternehmen hatte dagegen einen anderen Charakter und Stellenwert, waren diese doch nicht in finanziellen Schwierigkeiten, so daß entschieden werden mußte, nach welchen Kriterien privatisiert werden solle. Zwischen 1985 und 1988 sind die Kriterien auf Druck der Verbände zunehmend ausgeweitet worden, da diese für eine extensive Privatisierung eingetreten waren. 134 Die diesbezüglichen Regeln legte eine Kommission aus Wirtschafts- und Finanzminister, ODEPLAN, CORFO und einem Vertreter Pinochets fest. Die anschließend durchgeführte Privatisierung führte zu einer beträchtlichen Rekonzentration der Ökonomie in den Händen der mächtigsten nationalen grupos (Angelini, Matte, Luksic u.a.), aber auch einiger transnationaler Konzerne. Die 132

Siehe E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 405 ff. Vgl. ASEXMA, Medidas de fomento a las exportaciones chilenas ponen el mundo en sus manos, Santiago, 1988. 134 Siehe die Debatten um den Staat als Unternehmer im von der SOFOFA herausgegebenen Revista Industria, Num. 4 und 5, 1984, und Num. 2, 1985. 133

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Bedingungen und Preise, zu denen diese Staatsunternehmen veräußert wurden, waren äußerst vorteilhaft für die Käufer. 135 Der hohe Grad der Verständigung und die enge Verflechtung zwischen Unternehmern und Regierung auf der Basis eines neuen Konsenses drückte sich nicht nur darin aus, daß ein bedeutender Teil der Minister den Verbänden der COPROCO entstammte oder diesen nahestand, sondern auch darin, daß die Unternehmerverbände seit der Krise Anfang der 80er Jahre wieder über offiziell anerkannte Mitspracherechte und Entscheidungsbefugnisse in staatlichen Organisationen verfugten. Diese Beteiligungsmöglichkeiten am wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozeß unterhalb der Ministerialbürokratie waren bis zu jener Krise langsam ausgetrocknet worden.13** Das umfassende, alle Ebenen des Staatsapparates durchziehende enge Beziehungsgeflecht wird im Memoria der SOFOFA unter dem bezeichnenden Stichwort 'Presencia Nacional' (früher noch 'Relaciones con Autoridades') wie folgt beschrieben und dürfte auch für die anderen Verbände der COPROCO symptomatisch sein: "Como ha sido característico del accionar de la Mesa Directiva (der SOFOFA, P.I.), se mantuvo como en años anteriores, canales expeditos de comunicación personal con todos los sectores. Innumerables fueron las reuniones tenidos con las máximas autoridades de Gobierno, así como fue muy grato contar con la presencia de ellas en actos y seciones celebradas en la Sociedad. En la persona de S.E. el Presidente de la República se encontró siempre una actitud muy deferente por conocer la realidad industrial y sus inquietudes. Al efecto, recibió a la Mesa Directiva en seis oportunidades, además de honrar con su presencia la tradicional Comida Anual de la Industria, que se realiza el 28 de octubre, con la participación de Ministros de Estado, Embajadores y 650 empresarios. Con la H. Junta de Gobierno, las relaciones fueron también constantes, dadas sus funciones de Poder Legislativo y la transcendencia que pasa el sector tiene el estudio y despacho de los leyes. En este sentido merece mención el haber sido citados en varias oportunidades ante las Comisiones Legislativas para exponer nuestra posición en diversas materias de importancia. Así también, se mantuvo un nexo muy fluido y permanente con todos los ministros de Estado, Subsecretarios, Jefes de Gabinete y Asesores, todo lo cual permitió sugerir ideas o hacer diversos planteamientos, que consultando el más alto interés nacional favorecieran los fines de la industria. En este sentido, cabe destacar la estrecha relación habida con el señor Ministro de Economía, especialmente a través de la Comisión Nacional de la Industria y otros complementarios que él puso en funcionamiento; así como con el Banco Central, CORFO, PROCHILE, Impuestos Internos y algunos empresas del Estado. 135

Siehe M. Marcel, La privatización de empresas públicas en Chile 1985-88, CIEPLAN, Notas técnicas, Num. 125, Santiago, 1989. ^ Siehe W.E. Dugan/A. Rehren, Impacto del régimen político en la intermediación de intereses. Instituciones públicas y grupos empresariales en Chile, in: Política, Num. 22/23, 1990, S. 117-136.

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Sin duda, cada uno de los contactos señalados fueron de gran utilidad para el accionar de la Sociedad, ya que, además de exponer en detalle a las autoridades diversos planteamientos, permitió analizar a fondo con ellas muchas situaciones, que habitualmente no se agotan cuando la relación es puramente formal o por vía epistolar. Dentro de estas relaciones de tipo personal, no puede dejar de mencionarse también el valioso aporte que ha significado la participación de varios empresarios y consejeros en el Consejo Económico y Social."13' 5.2.

Zum politisch-ideologischen Verhalten der Verbände

In der zweiten Phase des Militärregimes in den 80er Jahren (1985-1988) standen neben der Formierung und Durchsetzung der pragmatisch neoliberalen Koalition und ihrer wirtschaftspolitischen Positionen im Umfeld einer verallgemeinerten Wirtschaftskrise v.a. politisch-ideologische Entwicklungen im Vordergrund. Dazu hatten die Überwindung der Wirtschaftskrise und die Etablierung eines stabilen, engen Beziehungsgeflechts zwischen dem strategischen Kern der Unternehmerverbände (COPROCO, SOFOFA, SNA), die zugleich die Interessen der pragmatisch neoliberalen Koalition vertraten, und der Regierung beigetragen. Ein weiterer Faktor war die mit der Ernennung von Hernán BQchi zum Finanzminister erreichte Beilegung einer Vielzahl 'kleinerer', sektoraler oder korporativer Interessenkonflikte innerhalb der Unternehmerschaft, die die Konsensfindung und Vereinheitlichung von Positionen der COPROCO erschwert hatten. Mit der Durchsetzung ihrer Interessen in der Regierung drängten die großen Unternehmerverbände in dieser Phase darauf, ihre Interessen auch gegenüber der prodemokratischen Oppositionsbewegung abzusichern, damit das Wirtschafismodell und die pragmatisch neoliberale Politik bei zukünftigen Regierungen Bestand haben würden und dem politischen Prozeß selbst entzogen blieben. Zur Annäherung von Regierung und Unternehmern der pragmatisch orientierten Koalition hatte nicht unerheblich das Auftauchen einer massiven Oppositionsbewegung gegen das Regime seit Mitte 1983 beigetragen.138 Die nationalen Protesttage, zunächst von der Gewerkschaftsbasis und den pobladores initiiert, wurden schnell von der Alianza Democrática (AD) - einem Bündnis der Mitte-Links-Parteien mit Schwerpunkt bei den Christdemokraten - dominiert, deren Ziel es war, die von der Verfassung vorgesehene begrenzte Liberalisierung in eine vollständige Demokratisierung zu überfuhren. Freie kompetitive Wahlen und die Herstellung der Bürgerrechte sollten zusammen mit der Aufhebung der verschiedenartigen Ausnahmezustände und der Restriktionen für politische Parteien den Weg frei machen, um Pino137 138

Memoria, Período 1986/87, Sociedad de Fomento Fabril. Siehe zum folgenden E. Silva, Capitalist Regime Loyalties and Redemocratization in Chile, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs, Vol. 34, 1992-93, Num. 4, S. 77117.

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chet möglichst bald von der Macht zu verdrängen. Um einen schnellen Übergang zur Demokratie zu erreichen, war ein Verhandlungsprozeß mit den Militärs (nicht mit Pinochet) und den konservativen gesellschaftlichen Kräften notwendig. Entsprechend versuchte AD, die Spannungen zwischen Großunternehmern und Regierung über wirtschaftspolitische Fragen zu nutzen und die Unternehmerschaft des Landes von einem Regimewechsel zu überzeugen. Sowohl die Christdemokratische Partei wie auch die Alianza Democrätica versuchten eine implizite Allianz mit Unternehmern und konservativen politischen Parteien auf der Basis eines moderaten Wirtschaftsprogramms herzustellen, welches auf die Forderungen der pragmatisch neoliberalen Koalition zugeschnitten war und das Versprechen beinhaltete, im Falle eines Regimewechsels einen kapitalistischen Entwicklungsweg zu verfolgen. Doch trotz dieses Entgegenkommens konnten die auf eine schnelle Demokratisierung drängenden Kräfte die Unterstützung der Großunternehmer nicht gewinnen. Diese machten sich im Gegenzug die Oppositionsbewegung zunutze, indem sie dem Regime mit der Bildung einer klassenübergreifenden Allianz drohten, um ihre pragmatisch neoliberalen Positionen gegenüber den Chicago Boys durchzusetzen. 139 Je mehr sich schließlich die Differenzen von Unternehmerverbänden und Militärregime verringerten, ging auch die Aussicht auf eine schnelle und frühzeitige Demokratisierung zurück. Es war damit nicht so sehr ein potentieller threat from below, der die Unternehmer an die Regierung band, sondern deren zunehmende Konzessionen sowohl wirtschaftlicher (wirtschaftspolitische Maßnahmen) wie auch politischer Art (Ministerposten, Unterdrückung der Opposition, Garantie grundlegender Interessen etc.). Für die aufstrebende Unternehmerkoalition stellte mithin die Verhandlungsstrategie gegenüber der Konfrontation eine gewinnbringendere Alternative dar, insbesondere weil das Regime auf eine stabile Unterstützungsbasis für den in den engen Grenzen der Verfassung gehaltenen Liberalisierungskurs angewiesen war. Der Zugang zu den politischen Entscheidungszentren, bei gleich1V) In dieser Zeit veröffentlichte die pragmatisch neoliberale Koalition Warnungen, daß ihre Bindung an das autoritäre Regime nicht bedingungslos sei. Zwar betonte die COPROCO, nicht mit dem Regime brechen zu wollen und ihr Wirtschaftsprogramm als eine Verhandlungsplattform zu verstehen, um zu einem konstruktiven Dialog und Konsens mit der Regierung zu kommen. Gleichzeitig warnten SOFOFA und Jorge Fontaine (COPROCO) aber, daß das Überleben des freien Unternehmertums bei einer Fortsetzung der drastischen deflationären Wirtschaftspolitik auf dem Spiel stünde und der Bruch vorprogrammiert sei. Diese implizite Drohung wurde noch dadurch verstärkt, daß sich bestimmte Gruppen innerhalb der SOFOFA und der SNA mit den weitaus kämpferischeren kleinen und mittleren Unternehmern hätten verbinden können und einzelne Verbandsführer (wie Carlos Podlech von der ANPT, Angel Fantuzzi von ASIMET) oder Unternehmer (wie German Riesco von der SNA und Efrain Friedman von der SOFOFA) ein solches Bündnis offen befürworteten oder die Opposition bereits unterstützten. Siehe E. Silva, Capitalist Coalitions and Economic Policymaking ..., a.a.O., S. 382 f. mit weiteren Belegen.

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zeitigem Ausschluß aller anderen Gruppierungen der Gesellschaft, zementierte die dominante Position der Untemehmerkoalition. Bereits Ende 1983 hatten sich die Hoffnungen der AD auf eine schnelle und substantielle Liberalisierung zerschlagen: Pinochet hatte den 'Dialog' mit der AD über Sergio Onofre Jarpa abgebrochen, die abtrünnigen Unternehmer der kleinen und mittleren Verbände gaben ihre Opposition weitgehend auf und kehrten ins Regierungslager zurück. Doch auch der nächste Versuch der AD, wenn schon nicht die Unternehmer für eine implizite Allianz, so doch für einen expliziten 'Sozialpakt' zwischen Kapital und Arbeit zu gewinnen14®, um sie wenigstens von ihrer Oppositionshaltung gegen einen raschen Transitionsprozeß abzubringen, scheiterte. Die Unternehmer drückten ihre Bedenken hinsichtlich der property rights (effektiverer Schutz gegenüber möglichen Enteignungen, Frage der Staatsunternehmen etc.) und einer möglichen Stärkung der Arbeiterbewegung infolge von Veränderungen der Arbeitsgesetzgebung aus. Zudem hatte die pragmatisch neoliberale Koalition zu diesem Zeitpunkt (1984) noch weniger Anreize, einem Konzertierungsprojekt zuzustimmen als zuvor, da sie von der Regierung alles bekam, was sie forderte. Damit war klar, daß die pragmatisch neoliberale Koalition das Regime in dem Maße bedingungslos unterstützte, wie sie zur dominanten und ausschließlich politikbestimmenden Kraft wurde. Vor diesem Hintergrund ergab sich für die Unternehmerverbände die Notwendigkeit, ihre mittel- und langfristigen Interessen auch politischideologisch abzusichern. Die Kampagne seitens der COPROCO und der SOFOFA zur Erhaltung und Absicherung der grundlegenden, für sie äußerst positiven Reproduktionsbedingungen und der Grundpfeiler des Wirtschaftsmodells betonte "Wachstum mit Austerität". Damit sollten ihre sektoralen Interessen in einem Klima von makroökonomischer Stabilität und bei einem weitgehenden Ausschluß anderer sozialer Akteure von der Politik geschützt werden. Gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Aufrechterhaltung der makroökonomischen Gleichgewichte hatten eine fiskalische Austerität zur Voraussetzung, die den Privilegien der Unternehmer in vielfältiger Weise entgegenkam. Seit Ende 1985 wurde die pragmatisch neoliberale Koalition nicht müde zu betonen, daß ihr Wirtschaftsmodell nicht nur ihren, sondern auch den allgemeinen chilenischen Interessen am besten entspräche und größere

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Vgl. Proyecto alternativo, 3 Bde., Santiago, 1984. Bereits hier sind die offiziellen PDCPositionen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik enthalten, die später integraler Bestandteil des Transitionsprozesses zur Demokratie wurden. Siehe insbesondere Proyecto alternativo, Bd. 2: Bases de una estrategia de desarrollo económico social en democracia, S. 173-265. Siehe auch A. Foxley, Algunas condiciones para una democratización estable. Q caso de Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 9, 1982, S. 139-169; und CIEPLAN, Reconstrucción económica para la democracia, Santiago, 1983.

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Veränderungen dieses Modells lediglich zu nicht wünschenswerten Turbulenzen und Instabilitäten führen würden. Gleichzeitig versuchten die führenden Kräfte der COPROCO und der SOFOFA, das Ansehen und die Legitimität des privaten Unternehmertums in der Öffentlichkeit zu verbessern und Initiativen zu entwickeln, die auf die Stärkung einer auch in politisch-ideologischer Hinsicht soliden gesellschaftlichen Führungsrolle abzielten. Ziel dieser Entwicklung war die Erringung einer 'kulturellen Hegemonie' seitens der Unternehmer, die ihre Position auch außerhalb der ökonomischen Sphäre in der Gesellschaft konsolidieren sollte. Dazu trug nicht nur die konjunkturelle Belebung der Ökonomie seit 1985 bei, die sie als Erfolg der von ihnen durchgesetzten pragmatischeren Politik betrachteten, sondern ebenso die Verbreitung eines Bildes des verantwortlichen Unternehmers als der zentralen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Damit sollte auch eine in weiten Teilen der Gesellschaft bestehende Perzeption der Unternehmer als den Hauptverursachern der Krise überwunden werden. In der Strategie der Unternehmer kam dabei der Thematisierung sozialer Probleme eine besondere Rolle zu, weil ohne eine Lösung der 'sozialen Frage' zumindest langfristig keine stabile und nachhaltige Entwicklung des Landes möglich schien. Im Zentrum des unternehmerischen Diskurses standen fortan Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsprobleme sowie die rhetorische Betonung einer 'sozialen Marktwirtschaft'. Das private Unternehmertum wurde als 'Motor der Entwicklung' der Gesellschaft und die Unternehmen selbst wurden als Orte 'sozialer Harmonie' präsentiert, in denen Konflikte obsolet seien. Über die Einbindung Chiles in den Weltmarkt mittels einer Exportstrategie sollte der Privatsektor als Träger der 'Modernisierung des Landes' erscheinen. Führende Repräsentanten der Verbände, aber auch Pinochet selbst, riefen dazu auf, die Prinzipien und Erfolge des privaten Unternehmertums mit Nachdruck zu verbreiten und zu verteidigen. 141 In diesem Zusammenhang müssen sowohl die Einladung der Unternehmerverbände an die oppositionellen Gewerkschaftszentralen CDT und CNT zu einem Dialog über 'soziale Konzertierung' zwischen Unternehmern und Arbeitern im August 1985 wie 141

So heißt es z.B. in einer offiziellen Stellungnahme des Vize-Präsidenten der SOFOFA, Fernando Agüero, vom Januar 1985: "Los dirigentes empresariales deben presentar permanentemente ante la opinión pública, las universidades, y ante todos los sectores de influencia la verdad de la empresa privada ... así habrá cada vez más personas que compartan nuestras ideas." In seinen Ausführungen auf der 7. ENADE 1985, die nicht zufällig unter dem Motto 'Una estrategia para la empresa' stand, äußerte sich der "Excmo. Señor Presidente de la República, Capitan General Don Augusto Pinochet Ugarte" wie folgt: " ... reitero que no basta el respeto irrestricto por el gobierno a los principios e instituciones a que me he referido (i.e. freie Entfaltung der Persönlichkeit, Privateigentum, subsidiäre Rolle des Staates, Freiheit und Gleichheit, P.I.) también se requiere que ellos sean difundidos y defendidos especialmente por el sector privado." Siehe 7. ENADE '85: Una estrategia para la empresa, Documento Final, in: Empresa, Edición Extraordinaria, S. 96.

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auch die Unterstützung der Aufhebung des Ausnahmezustandes (Estado de Sitio) im Juni 1985 gesehen werden. Auf dem jährlich stattíindenen 'Encuentro Nacional de la Empresa' (ENADE), einem Forum des Meinungsaustauschs und der Diskussion der Verbände der COPROCO, an denen jeweils auch hochrangige Repräsentanten des Staates teilnahmen, standen 1985 soziale Fragen im Vordergrund. Erstmals sprach dort der Präsident der COPROCO, Jorge Fontaine, politische Themen wie die Transition zur Demokratie direkt an. Der von verschiedenen Führern der politischen Opposition unterzeichnete Acuerdo Nacional para la Transición hacia la Democracia Plena wurde als ein erster Schritt zur Verständigung der unterschiedlichen Gesellschaftssektoren begrüßt. Allen Bürgern, mit Ausnahme der Feinde der Demokratie, solle die Mitarbeit an einem friedlichen, schrittweisen und geordneten Transitionsprozeß ermöglicht werden, der sich an den Kurs der Verfassung anlehne. Nur über eine Verbesserung der Einkommen und eine Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten sei zudem eine sozial friedliche Transition zu bewerkstelligen.142 Im Rahmen der einzelnen Initiativen versuchten die Unternehmer, ein eigenes, konsistentes Profil zu gewinnen und eine wesentlich auf die Verteidigung der gültigen Wirtschafts- und Sozialordnung gerichtete aktive Rolle zu spielen. Die Strategie der großen Unternehmerverbände nach 1985 zielte darauf ab, den "Kampf der Ideen" zu gewinnen, wie es der damalige Präsident der SON AMI und spätere Präsident der COPROCO Manuel Feliú einmal apodiktisch nannte. Es reiche nicht aus, für die Erhöhung des Bruttosozialprodukts zu kämpfen, wenn die Ideale des freien Unternehmertums nicht von der Bevölkerung geteilt würden. 143 Die Kampagne um den Sieg im Kampf der Ideen zielte auf die Überwindung des historisch schlechten Images der Unternehmer ab. Den Kampf der Ideen, so Gonzalo Vial auf der ENADE 1986, hätten die Unternehmer bis 1973 verloren, da sie lediglich eine defensive Position bezüglich ihrer Werte und ihrer Rolle in der Gesellschaft eingenommen hätten. Unternehmertum und damit verbundene Reichtumsanhäufung hätten nur ein geringes soziales und moralisches Prestige genossen, was allerdings seinen realen Grund in einer äußerst defizienten ökonomischen Performanz gehabt habe (sehr geringe Investitionsraten, langsame Kapitalakkumulation, langfristig geringe Produktivität der Unternehmen, nicht genutzte Weltmarktchancen etc.). Damit sei ein Bild der Unternehmer in der Öffentlichkeit entstanden, daß diese allein mit ihren eigenen wirtschaftlichen Zielen beschäftigt, in einer Vielzahl korporativer i ¿o Siehe den Diskurs von Jorge Fontaine, La empresa chilena. Condiciones actuales y sus perspectivas, in: Empresa, 7. ENADE '85, S. 8. I 4 3 "No basta con ser los motores del desarrollo, es también necesario ganar la batalla de las ideas." M. Feliú, La empresa de la libertad, Santiago, 1988, S. 13. Das Buch stellt für die chilenischen Unternehmer, zumal von einem ihrer klügsten Köpfe mit politischen Ambitionen geschrieben, eine Art Bibel des freien Unternehmertums dar.

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Spannungen zerstritten seien und ihnen ein soziales Bewußtsein insofern fehle, als sie den gesellschaftlichen Konsequenzen des Kapitalismus und den Folgen ihrer von kurzfristigen Gewinnerwägungen bestimmten Handlungen gleichgültig gegenüberständen. In bezug auf sozialen Fortschritt sei die chilenische Unternehmerschaft aufgrund ihres ungenügenden sozialen Gewissens und ihrer Bindungen an die alte Oligarchie als Haupthindernis wahrgenommen worden. Die privaten Unternehmer hätten so nur über eine geringe Legitimation verfügt. Entsprechend ginge es im Kampf der Ideen darum, ein neues Unternehmerbild zu schaffen: Der Unternehmer sollte als Motor der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes und aktiver Förderer sozialer Harmonie und gesellschaftlichen Ausgleichs erscheinen, der eigentlich schon immer für eine 'wahre' Demokratie eingetreten sei, über innovatorische Kapazitäten und technologische Kompetenz verfüge und dem die sozialen Probleme i n Lande keineswegs gleichgültig seien. Diese offensive Strategie der Verbandsführer wurde als die beste F o r m und Möglichkeit gesehen, die Kontinuität des durch die Militärdiktatur geschaffenen wirtschaftlichen und sozialen Systems zu sichern und gleichzeitig eine führende Rolle in der Gesellschaft für sie zu gewährleisten. 144 Ob die eingeschlagene Strategie rein taktischer Natur war, um den Unternehmern mit Blick auf das bevorstehende Plebiszit 1988 ein positiveres Image zu verleihen, oder ob es sich wirklich um eine neue modernere Ideologie handelte, die auf reale Überzeugungen der Unternehmer zurückzuführen war, läßt sich nur schwer eindeutig sagen. Für den taktischen Charakter der 'neuen' Überzeugungen sprechen das oftmals in schlagendem Gegensatz zur Rhetorik stehende reale Verhalten der Unternehmer und die Rechtfertigungsargumentationen für untragbare soziale Verhältnisse im Lande immer dann, wenn Herrschaftsverhältnisse berührt wurden. Dies zeigte sich nicht nur im Rahmen der Auseinandersetzungen mit Positionen der A D in den Jahren 1986 und 1987, w o die Unternehmer jegliche Regulierung seitens zukünftiger Regierungen, eine neuerliche staatliche Partizipation in der Ökonomie wie auch Joint Ventures zwischen Staat und privatem Kapital ablehnten und eine extensive Privatisierung unterstützten, sondern auch im Hinblick auf bescheidenste wirtschaftliche Reformvorschläge im Interesse größerer sozialer Gerechtigkeit und damit eventuell einhergehender Umverteilungen, die - wenn überhaupt - ihre Grenzen innerhalb des neoliberalen Marktmodells finden und über den Markt vermittelt sein sollten. Veränderungen an der äußerst repressiven Arbeitsgesetzgebung waren

144 y g ] q vial, Algunos rasgos característicos del empresario chileno, in: 8. ENADE '86: El empresario. Motor del progreso, S. 35-41; O. Muñoz, El papel de los empresarios ..., a.a.O., S. 101-105; G. Campero, Los empresarios ante la alternativa democrática: el caso de Chile, in: C. Garrido N. (Coord.), Empresarios y Estado en América Latina, México D.F., 1988, S. 245-266. 368

gänzlich tabu. 145 Zudem läßt sich während dieser Phase der Militärdiktatur die Herausbildung eines relativ soliden Kerns von 'Ideologen' im Untemehmerlager beobachten, deren explizites Ziel es war, Positionen in der öffentlichen Meinung zu erobern, die die Unternehmer niemals zuvor innegehabt hatten. 146 Dazu war ohne Zweifel auch die ob ihres ökonomischen Dogmatismus kritisierte Philosophie der Chicago Boys nützlich, denn sie stellte ein Bündel von 'modernen* und 'individualistischen' Ideen bereit, die 'wissenschaftlich' fundiert waren und zur Durchsetzung und Legitimation der neokonservativen Hegemonie beitrugen. Kernelemente des 'neuen' Untemehmerdiskurses können wie folgt zusammengefaßt werden: 147 - Verbreitung einer optimistischen Sichtweise bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung unter Betonung, daß es zum bestehenden Wirtschaftsmodell keine Alternativen gebe und es das einzige sei, mit dem das Land den Weg aus der Unterentwicklung schaffen könne; - Unternehmer bzw. privates Unternehmertum als Motor dieses Modells und als Träger von Entwicklung, Fortschritt, Modernität und Effizienz; - Wirtschaftliche Freiheit als Basis für politische und Bedingung eigentlich jeglicher Freiheit in der Gesellschaft; damit gekoppelt privates Unternehmertum als höchster Ausdruck von Freiheit und als Voraussetzung für Gerechtigkeit; - Unternehmer als zentrale Akteure und private Unternehmen als Orte der Reichtumsproduktion und -Verteilung sowie Quelle sozialer Harmonie; - Freiheit 'zu unternehmen' als Quelle von Modernität und Fortschritt, der gegenüber der Staat lediglich günstige Rahmenbedingungen sichern und die schwächeren sozialen und ökonomischen Sektoren der Gesellschaft, die nicht über gleiche Konkurrenzbedingungen am Markt verfügen, schützen solle; - Streben nach Gewinnmöglichkeiten und Anhäufung von Reichtum als legitimer Zweck an sich, da nur so die Entwicklung eines 'Unternehmergeistes' gefördert werde, der zum Erreichen von Fortschritt und Modernität nötig sei; 145

Verlautbarungen in den Verbandsorganen El Campesino, Revista Industria und den Jahresbe-

richten der Verbände in jenen Jahren sprechen eine deutliche Sprache und sind häufig übervoll mit entsprechenden neoliberalen 'Codewörtem'. 146 Dazu gehörten nicht nur die Führer der großen Verbände (herausragend hier Manuel Feliü), sondern auch exponierte Unternehmer der grupos (wie Eliodoro Matte, Anacleto Angelini und diverse Mitglieder des Edwards-Clans). Der Verbreitung ihrer Ideologie dienen nicht zuletzt auch die umfangreichen 'vida social'-Seiten gleich am Anfang der größten chilenischen Tageszeitung El Mercurio, die häufig den gesamten ersten Teil der Ausgabe füllen. Diese Seiten, die sich in Europa eher in der Regenbogenpresse und nicht in den führenden Zeitungen des Landes finden, erfüllen die wichtige ideologische Funktion, eine 'bürgerliche Kultur' demonstrativ nach außen zu tragen und das ausschweifende Leben der 'Schönen' und 'Reichen' zu dokumentieren. 147 Siehe zum folgenden G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 43 ff.

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Unternehmer als 'soziale Akteure' mit Interesse an der Demokratie als einem System, in dem sich die Unternehmen am besten entwickeln könnten, falls jene 'modern' sei und die Unternehmensfreiheit garantiere. Wenn au:h viele dieser Überzeugungen seit langem zum Repertoire von Unternehmerdiskursen anderer Länder gehörten, so kann doch das Neue im chilenischen Fall darin gesehen werden, daß sie von den Verbandsführern erstmalig in der Öffentlichkeit als quasi offizielle Vorstellungen der Unternehmer(-Verbände) verbreitet wurden und damit offensiv zu alternativen Denkmustern in Konkurrenz traten. Damit müssen aber zumindest noch zwei weitere Legitimationsstrategien der Unternehmer angesprochen werden, nämlich zum einen die Betonung einer 'sozialen Marktwirtschaft', zum anderen die von 'Demokratie', und beiden unterliegend ein soziobiologisches Menschenbild. Die 'soziale Marktwirtschaft' gehört in Chile zu den ideologisch aufgeladensten Konzeptionen überhaupt, vertrat doch das Militärregime beinahe von Beginn an die Meinung, nach dem Militärputsch eine 'soziale Marktwirtschaft' etabliert zu haben. Dieser Ansicht schlössen sich auch die Unternehmer an, ohne daß für sie das Adjektiv mehr als eine leere Worthülse war und angesichts der Wirtschaftspolitik und ihren sozialen Folgen wohl auch nicht mehr sein konnte. Sieht man einmal vom Gebrauch des Wortes Demokratie ab, so dürfte kein anderes Konzept während der Diktatur weiter von der gesellschaftlichen Realität in Chile entfernt gewesen sein als dieses. Das unterstreicht auch das vollkommen unentwickelte Verständnis des Sozialen in der Marktwirtschaft seitens der Unternehmer. 148 Der legitimatorische

So betont der Unternehmer Francisco Javier Errázuriz, mehrfach Minister unter Pinochet und Präsidentschaftskandidat 1989, daß "la economía social de mercado en definitiva está basada en la libertad, en la libertad de emprender, en la libertad necesaria para llegar a una concertación social. Lo que nos creemos los liberales, somos partidarios de esa libertad. Creemos en las libertades económicas como base y fundamento del desarrollo de las sociedades, libertades que deben complementarse - para darles durabilidad - con las libertades políticas, pues unas con las otras - juntas - son las que les permiten a éstas - a las libertades - cualquiera sea su forma de expresión, que aquellas tengan en el tiempo la continuidad que se requiere para que las personas puedan desarrollarse y prosperar en paz." (S. 121) Ricardo Claro, ebenfalls ein führender Unternehmer der Landes, definiert das Konzept wie folgt: "La Economía Social de Mercado es un sistema que utiliza al mercado como instrumento pero que tiene como ingrediente esencial ciertos elementos de la Doctrina Social de la Iglesia. Dentro de estos elementos, el concepto de Bien Común es algo principalísimo." (S. 129) Beide Äußerungen in Economía Social de Mercado y Concertacion Social. Experiencias de un diálogo chileno-alemán, Instituto Chileno de Estudios Humanísticos, Santiago, o.J. (1988). Der Kreis schließt sich, wenn Eliodoro Matte an anderer Stelle darauf hinweist, daß schon die Koexistenz von Privateigentum und offenen, kompetitiven Märkten bewirke, daß Eigeninteresse und 'bien común' zusammenfielen. Siehe F. Léniz/E. Matte, La misión del empresario en el mundo moderno, Centro de Estudios Públicos, Documento de Trabajo, Num. 158, 1991, S. 7. Zur Rekonstruktion des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft siehe K.G. Zinn, Soziale Marktwirt-

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und affirmative Charakter des Konzepts tritt angesichts der enormen sozialen Ungleichheiten und der starken Diskrepanzen zwischen Unternehmerdiskurs und Untemehmerhandeln deutlich zutage. Was die inhaltliche Ausgestaltung der Demokratie angeht, so ist ja bereits auf die Übereinstimmung der Unternehmer mit der 'authentischen', 'wahren' und 'geschützten' Demokratie der Militärs hingewiesen worden. In den 80er Jahren wiesen die Unternehmerverbände insgesamt nur selten auf die Notwendigkeit der Rückkehr zu demokratischen Regierungsformen hin und wenn, dann im Rahmen der von der Diktatur bestimmten einschränkenden Vorgaben. Aber selbst ihre Präferenz für ein 'demokratisches Regierungssystem' ä la Pinochet entsprach mehr einem normativen Streben und bildete keinen Wert an sich, da nicht einmal politischer Wettbewerb dafür zentral sein sollte. Die Unternehmer hingen demgegenüber einem nicht- oder nur äußerst begrenzt kompetitiven politischen System bzw. einer Demokratie ohne Parteien an, in der die öffentliche Meinung über andere Kanäle als Wahlen zur Geltung kommen sollte, und favorisierten eine starke Exekutive, die ihre Interessen präferentiell durchsetzen sollte. Das Interesse an der Demokratie war zudem von bestimmten Garantien für die Unternehmer abhängig, die später dem demokratischen Kräftespiel entzogen bleiben sollten. Forderungen nach einer Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen brachen sich nicht zuletzt an ihrer Unterstützung Pinochets im Plebiszit 1988. Demokratie war für sie im Prinzip schon mit der ökonomischen Freiheit von Unternehmern und Konsumenten und der Teilnahme am Marktgeschehen verwirklicht. Das sich aus diesen Vorstellungen ergebende politische System kam bestenfalls einem autoritären Kapitalismus nahe. 149 Dem lag ein stark individualistisches, durch kruden Materialismus, Egoismus, Besitzdenken bestimmtes, sozialdarwinistische Züge tragendes Menschenbild zugrunde, in dem Ungleichheit und Konkurrenzkampf der menschlichen Existenz naturgegeben seien, weshalb Freiheit auch weder mit Gleichheit noch mit Gerechtigkeit zu verbinden sei. Das Höherwertige werde quasi natürlich selektiert. Zu diesen Umrissen einer neuen Untemehmerideologie kam noch ein in jenen Jahren entwickelter, beachtlicher Geschichtsrevisionismus hinzu, dessen zentrale Elemente

schaft. Idee, Entwicklung und Politik der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung, Mannheim, 1992. Siehe G. Campero, El tema de la democracia en los organizaciones empresariales y los sindicatos de trabajadores, in: Opciones, Numero especial, Agosto 1984, S. 170-176; A. Varas, The Crisis of Legitimacy of Military Rule in the 1980s, in: P.W. Drake/I. Jaksic (Eds.), The Struggle for Democracy in Chile 1982-1990, Lincoln, 1991, S. 88 f.; und das erwähnte Buch Manuel Feliús, a.a.O., mit vielen Passagen.

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heute in Chile in den dominanten Diskurs über die Vergangenheit des Landes Eingang gefunden h a b e n . 1 5 0 Mit diesem Bündel an Überzeugungen traten die Unternehmerverbände in den Jahren 1986 und 1987 verstärkt an die Öffentlichkeit. Ein wichtiges Medium fir die Verbreitung der Vorstellungen der Unternehmer waren die modernen Massenlommunikationsmittel, insbesondere die Zeitungen (El Mercurio, Estrategia, El Diirio) und die offiziellen Verbandsorgane (Industria der S O F O F A , El Campesino der SNA etc.). Fast täglich füllten führende Persönlichkeiten der Unternehmerehaft mit öffentlichen Interventionen die Spalten, u m ihre Botschaften zu verbreiten Im Gegensatz zu früheren Zeiten beschränkten sie sich inhaltlich immer w e n i g e auf rein ökonomische und korporatistische Fragen, sondern im Mittelpunkt Staden vielfach politisch-ideologische Aspekte, die das Bild eines hochgradig mobilisérten und aktiven Unternehmersektors mit sozialer Verantwortung zeigten, der ;eine Positionen offensiv zu vertreten verstand. In der Politik der Unternehmer dienten auch öffentlichkeitswirksame Ereignisse, die eine große Anzahl von Unternehnern

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Manuel Feliü bezeichnet z.B. die Jahre des Staatsinterventionismus vor 1970 als irralonale Epoche, die durch widersprüchliche Politikkonzepte und die langsame Aushöhlung deiFreiheit gekennzeichnet war, die auf ihrem Höhepunkt in der Perversität und politischen Inverantwortlichkeit der Unidad Popular kulminierte. Die UP-Regierung habe sich als eizige, ununterbrochene Abfolge von Aktionen gegen Recht und Demokratie dargestellt. Zur Erklärung des Aufstiegs der UP wird eine paranoide Züge tragende Verschwörungstheorie boiüht. Chile "era objeto de una sistemática y desembozada estrategia de penetración ideológca de corte insurrecional, dirigida desde Cuba, desarrollada con la complicidad de la izquieri local y europea y apoyada subterráneamente por la Unión Soviética y sus satélites." (90 Die Reaktion der Mehrheit der Bürger (!) sei aber energisch und eindeutig gewesen. In deieinen oder anderen Weise seien alle Chilenen (!) in bestimmtem Maße für die Ereignisse (u. der Militärputsch) verantwortlich. Die Legitimität des Putsches könne nicht geleugnet wercn; er habe angesichts einer kurz bevorstehenden, massiven ausländischen Intervention einer dringenden und nicht mehr verzögerbaren Imperativ dargestellt. Angesichts der terrorisischen Bedrohung (gemeint ist die UP) seien die Menschenrechtsverletzungen zwar bedauerlicl, aber auch unausweichlich gewesen und von Einzelpersonen innerhalb der Streitkräfte bepngen worden, deren solide moralische und ehrenhafte Prinzipien (!) nicht in Abrede gestellt terden könnten. Die Schuld falle eigentlich nicht ihnen zu, sondern müsse bei einem breiten Sgment der Bevölkerung gesucht werden. "No puede olvidarse que todo el amargo capitule de la situación y menoscabo de los derechos humanos en Chile durante el gobierno militaino es otra cosa que una maligna y postrera consecuencia de la perversión de los hábitos dexinvivencia ciudadana que llevó a cabo la Unidad Popular." (114) Dagegen habe das Miliar die Freiheit gebracht und ein Wirtschaftssystem umgesetzt, was nicht zu den sukzessive Frustrationen früherer Etappen führe, sondern Entwicklung, Modernisierung und tessere Lebensbedingungen für alle Chilenen bedeute. Siehe M. Feliü, a.a.O., S. 91-117. Inteessant an diesen Ausführungen ist nicht nur das Gesagte, sondern auch, was verschwieger wird. Eine noch ärgere Geschichtsklitterung findet sich nur bei Augusto Pinochet, Memoria de un soldado, 3 Bde., Santiago, 1991.

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versammelten, zur Verbreitung ihrer Ideen. 131 Eine besondere Ausprägung erhielt diese Politikstrategie insbesondere nach der Wahl des ehemaligen Präsidenten der SONAMI, Manuel Feliü, zum Präsidenten der COPROCO. Feliü war einer der führenden intellektuellen Köpfe der Unternehmer mit 'politischer Berufung', der dem Sieg im 'Kampf der Ideen' primordiale Bedeutung beimaß. Er gehörte zum Kern jener als Sinnvermittler und Stichwortgeber fungierenden 'Ideologen', die sich in weitaus stärkerem Maße als etwa Jorge Fontaine oder Eliodoro Matte durch großes politisches Geschick und Gewandtheit auszeichneten und deren Handlungen eine längerfristige strategische Vision zugrunde lag. 1 5 2 Andere Aktivitäten in diesem Sinne stellten Einladungen an die verschiedenen Oppositionsparteien dar, ihre politischen Programme und sozioökonomischen Vorstellungen mit den Unternehmern zu diskutieren. Öffentliche Aufrufe dieser Art richteten sich z.B. mit der Bitte an den Führer der Sozialistischen Partei, Ricardo Lagos, er möge doch die Haltung seiner Partei zum Privateigentum, zur Weltmarktöfihung und zu anderen zentralen Aspekten des Wirtschaftsmodells darlegen; ähnliche Appelle gingen im Laufe des Jahres an die Christdemokraten und die anderen Oppositionsparteien. Besondere Aufmerksamkeit wurde allerdings den sozialistischen Parteien gewidmet, die den Unternehmern - zumindest in ihren Verlautbarungen - als besonders gefährlich galten. Häufig erfolgte eine öffentliche Kommentierung und Auseinandersetzung mit den programmatischen Positionen dieser Parteien. Dialogprozesse zwischen den Spitzen der größten Oppositionsparteien und den Unternehmerverbänden kamen auch auf gemeinsamen Veranstaltungen, Konferenzen etc. in Gang. Während die Sozialisten zu jener Zeit noch mit großem Argwohn betrachtet wurden, machten führende Repräsentanten der Christdemokraten deutlich, daß sie mit der grundlegenden Ausrichtung der Wirtschaftspolitik einver131

So erklärte z.B. Manuel Feiiii aus Anlaß der Eröffnung einer Bank der Sociedad Nacional de Minería: "La empresa privada es el auténtico soporte de una sociedad libre, es el símbolo mismo de la iniciativa privada, abierta siempre al que tenga el valor del emprendimiento ... Debemos sentimos orgullosos de lo que hacemos, el título de empresario se gana en la dura batalla diaria con constancia, capacidad, entereza, principios, imaginación y, sobre todo, valor ... El Estado debe crear las condiciones propicias ... el resto lo haremos nosotros ... haciendo lo que sabemos hacer: trabajar en procura del éxito." El Mercurio 21/7/1986, zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 45. 15 ^Die folgenden Äußerungen Feliús bei seiner Wahl zum Präsidenten der COPROCO bedürfen keines weiteren Kommentars: "He aceptado presidir la CPC porque creo que los empresarios somos capaces de organizamos frente a ideales comunes, capaces de luchar unidos para que los principios de la empresa privada sean difundidas por los gobiernos que vengan ... No importa qué gobierno sea eligido si somos capaces de hacerlo comprender que la empresa privada es la fuente más genuina de la libertad y la democracia ... Una de nuestras tareas es tratar que los políticos comprenden la necesidad de mantener la empresa privada como fuente de desarrollo, empleo, inversión y, sobre todo, de modernicismo ..." El Mercurio 27/7/1986, zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos..., a.a.O., S. 46. 373

standen seien und die Unternehmer von ihrer Seite bei einem eventuellen Regimewechsel nach dem Plebiszit wenig zu befürchten hätten. 153 Derartige Aussagen machten Annäherungen möglich, die einige Jahre zuvor noch undenkbar erschienen waren. Erwähnenswert sind des weiteren Veranstaltungen und Kongresse der Verbände, die primär ideologische Themen zum Inhalt hatten (wie z.B. das Primer Encuentro Empresarial del Norte im August 1986) oder der Strategieabstimmung dienten. Diesbezüglich ist insbesondere ein Treffen von Führern der Mitgliedsverbände der COPROCO in Viña del Mar zu nennen, das der Erarbeitung langfristiger Perspektiven diente. Als Ziele nannte Manuel Feliü, sich eine für die Verbreitung der Vorteile des Systems des privaten Unternehmertums angemessene Struktur zu geben sowie in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht langfristige und klar definierte Vorstellungen der Unternehmer zu entwickeln, damit jede neue Regierung wisse, was die Unternehmer dächten und wollten. Ebenfalls im August des Jahres richtete sich ein Congreso de Nuevos Empresarios an den Unternehmemachwuchs. Er diente der Verankerung einer angemessenen 'Unternehmermentalität', die über viele Jahre hinweg durch etatistisches Denken blockiert worden sei und nur Mittelmäßigkeit erzeugt habe. Unter starker Beteiligung von Junguntemehmern aus dem Ausland hatte dieser Kongreß eher einen Schulungscharakter, um mit dem Bild des apolitischen Unternehmers zu brechen: Die chilenischen Unternehmer müßten sich zu den politischen und ökonomischen Problemen des Landes äußern, denn falls sie politisch nicht sensibel genug seien, würden andere Gruppierungen der Gesellschaft erneut die Oberhand gewinnen, die Führungsrolle übernehmen und über die Geschicke des Privateigentums entscheiden. Die liberale Ordnung entspreche der menschlichen Natur. Manuel Feliü betonte, daß niemals wieder die Berechtigung des privaten Unternehmertums in Frage gestellt werden dürfe: "No debemos permitir nunca más que crear empresas, ganar dinero, sobresalir, vivir mejor como fruto de nuestro trabajo sea motivo de vergüenza y vituperio en

" - S i e h e z.B. Äußerungen von Alejandro Foxley, Empresarios, gobierno y democracia, in: Hoy, Num. 462, 26 de Mayo al 1 de Junio de 1986, S. 32 f.; Patricio Aylwin, Empresarios, trabajadores y desarrollo nacional, in: Economía Social de Mercado y Concertación Social, a.a.O., S. 137-144, insbesondere S. 139; auch Alejandro Foxley, Los desafíos económicos de Chile, Apuntes CIEPLAN, Num. 65, Santiago, 1987. Auf dem 10. Encuentro Nacional de la Empresa 1988 (ENADE '88) waren neben den politischen Repräsentanten des alten Regimes auch zwei 'strategische' Köpfe der neuen Regierung eingeladen, um ihre Positionen in für die Unternehmer besonders sensiblen Bereichen darzulegen: der spätere Finanzminister Foxley sprach über die Grundlagen einer zukünftigen, 'alternativen* wirtschaftlichen Entwicklung und der spätere Arbeitsminister René Cortázar über die Arbeitsbeziehungen. Siehe 10. ENADE '88: La libre empresa y el futuro de Chile, Santiago, 1988, S. 46-56 bzw. 8997.

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esta sociedad ... Donde la libertad creadora es impulsada, encontramos sociedades pujantes y desarrolladas."154 Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Kampagne mit dem Encuentro Nacional de la Empresa im November 1986, welches unter dem bezeichnenden Motto 'El empresario. Motor del Progreso' stand, und an dem erstmals auch die Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer teilnahmen, die in den ersten zehn Jahren der Militärregierung sowohl mit der COPROCO wie auch mit der Regierung im Streit lagen. Dies verdeutlicht den beträchtlichen Hegemoniegrad, den die COPROCO in der Führung des Unternehmenssektors erreicht hatte, und die damit einhergehende Unterordnung der kleinen und mittleren Unternehmen.155 Wurden schon auf früheren Konferenzen der ENADE die ökonomische Entwicklung kritisch diskutiert und wirtschaftspolitische Vorschläge und Maßnahmen erarbeitet, so trugen die Schlußfolgerungen der 8. ENADE '86 nochmals deutlich politischeren Charakter. Stärken und Schwächen sowie Vor- und Nachteile für die Unternehmer wurden in bezug auf die wirtschaftliche und politische Rolle des Unternehmers, die Führung der Unternehmen, das Wirtschaftssystem, die Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern sowie zukünftige Herausforderungen gegenübergestellt, um einen konkreten Handlungsrahmen vorzugeben, wie das Bild des Unternehmers in der Öffentlichkeit zu verbessern sei. In einem generellen Klima des Optimismus wurde ein sensiblerer Umgang mit sozialen Notlagen, eine Analyse der 'Irrtümer' in den Arbeitsbeziehungen der Vergangenheit und eine effektivere soziale Rolle angemahnt, die allerdings auf der Grundlage streng marktwirtschaftlicher Prinzipien die soziale Ungleichheit gleichsam als naturgegeben betrachtete und von realen Macht- und Herrschaftsverhältnissen abkoppelte.156 Damit war zumin154

E1 Mercurio 19-20/8/1986, zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 48, der auch die vorangegangenen Ereignisse erwähnt. 155 Die Ziele des Treffens formulierte der Präsident der COPROCO wie folgt: "Por primera vez el sector privado nacional tratará de definir la posición del empresariado dentro de la sociedad hacia el ñituro, en lugar de tratar temas contingentes económicos o de empresas como ha sido lo usual... Estamos preocupados de visualizar todo un esquema, no sólo económico y social sino también político ... Nos preocupa la empresa privada en la sociedad mirando el futuro. Nosotros no estamos trabajando en un plazo corto, sino en el largo plazo ... Tenemos que definirnos para un futuro en que la empresa privada tenga una importancia vital en el desarrollo de Chile." El Mercurio 5/11/1986, zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos, a.a.O., S. 48 f. 156 Vgl. ICARE (Ed.), 8. ENADE '86: El empresario. Motor del progreso. Conclusiones de las sesiones de análisis y debate, Santiago, 1986. In bezug auf die 'natürliche' Ungleichheit in der Gesellschaft führte José Pinera auf der 9. ENADE '87 folgendes aus: "Es indudable que en Chile todavía hay múltiples aspectos de la economía y de la sociedad que reflejan atraso, inequidades, anacronismo y subdesarrollo ... Precisamente, la existencia de bolsones de pobreza (en varias poblaciones marginales alrededor de Santiago) o de instituciones casi intocados por la modernización (el Poder Judicial) ha llevado a algunos que, al menos, reconocen

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dest von der Ideologie her in den dynamischen Sektoren der Ökonomie ein einheitlicher Unternehmertyp entstanden, der den wirtschaftlichen Wettbewerb anerkannte, über großes Selbstbewußtsein verfügte und liberalen Marktmodellen anhing. Die 'ideologische Kampagne' der Unternehmerverbände zeigte insofern Effekte, als sie es schaffte, ein Bild des Unternehmers mit großer sozialer Betroffenheit und einer aktiven Rolle in Gesellschaft und Politik zu verbreiten. Dies war auch deshalb nötig, um in dem näherrückenden Plebiszit das ihnen in weiten Teilen der Bevölkerung anhaftende negative Image und das Bild eines sich durch die Militärdiktatur stark bereichert habenden Sektors zu überwinden, was insofern einen zentralen Aspekt bildete, als die Unternehmer in der Gesellschaft nach wie vor als die mit dem Pinochet-Regime am engsten verwobene Gruppierung erschienen. Der Erfolg ihrer Kampagne war in anderer Hinsicht noch bedeutsamer. Mit der Konsolidierung der ökonomischen Macht der pragmatisch neoliberalen Koalition im Staat und der überaus guten Wirtschaftskonjunktur in der zweiten Hälfte der 80er Jahre veränderte sich das politische und sozioökonomische Programm der in der Alianza Democrätica zusammengeschlossenen Oppositionskräfte zusehends.157 War 1985 z.B. noch von einem größeren Anteil des Staates in der Ökonomie die Rede, so 1988 nur noch von einer gemischten Wirtschaft, die sich aber lediglich auf die Industriepolitik (Zielvorgaben für das Wirtschaftswachstum, Steueranreize für Investitionen, Spezialkredite für bestimmte Branchen etc.) beschränken sollte. Staatsunternehmen wurden überhaupt nicht mehr erwähnt. In der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums beschränkte sich die Opposition auf die durch das neoliberale Modell vorgegebenen engen Grenzen. Darüber hinaus verstummten Umverteilungsforderungen immer häufiger zugunsten von Aufrufen zur 'nationalen Versöhnung' der Chilenen. Mit dem Näherrücken des Termins für das Plebiszit wurde immer offensichtlicher, daß die Zurückweisung und Ablehnung der AD durch die dominanten Unternehmerfraktionen mehr mit ihrer Abneigung gegen eine selbst bescheidene sozialdemokratische Reformpolitik zu tun hatte als mit einer realen la existencia de un Chile moderno a criticar esta experiencia por haber creado 'dos Chile', el moderno y el retrasado ... Pero con todo lo comprensible que es la impaciencia que origina la comprobación de que existen sectores o grupos humanos que no avanzan a la velocidad del resto, es un error creer que es posible una modernización uniforme. La historia prueba cuando los países dan un 'salto hacia adelante' no todas las personas, grupos e instituciones avanzan ñncronizadamente. El progreso siempre es desigual. Lo importante es que esa desigualdad no nazca de situaciones o privilegios injustos como aquellos que dispensaba el Estado intervencionista de ataño - sino de la propia dinámica de una sociedad libre y que exista un Estado que concentre su acción en ayuda a los más rezagados. En este sentido no hay dos Chile sino múltiples Chile, reflejo del progreso en una sociedad libre." Siehe ICARE (Ed.), 9. ENADE '87: El factor humano y la excelencia empresarial, Santiago, 1988, S. 181. 157 Vgl. zum folgenden E. Silva, Capitalist Regime Loyalties ..., a.a.O., S. 96 ff.

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Furcht vor dem Sozialismus. Im Gegenzug zur schrittweisen Abschwächung bzw. Aufweichung einstiger AD-Positionen und deren vollständiger Akzeptanz des neoliberalen Marktmodells wurde die pragmatisch neoliberale Koalition schon im Laufe des Jahres 1987 gewahr, daß sie keinen Grund mehr hatte, um ihre Eigentumsrechte und die Zukunft des Marktmodells zu furchten - und zwar gleichgültig, wer das Plebiszit gewinnen würde. Ihre einzige Beunruhigung bestand noch darin, daß eine größere Staatsintervention zu wirtschaftlichen Instabilitäten führen könnte. In dem Maße, wie es die Alianza Democrdrtca also nicht schaffte, wichtige Untemehmerfraktionen in eine explizite politische Koalition für einen Regimewechsel einzubinden, folgte sie diesen implizit in der konservativen ökonomischen Ausrichtung, um den Demokratisierungsprozeß abzusichern. Damit verpflichtete sich die AD immer stärker dem Wirtschaftsmodell der pragmatisch neoliberalen Koalition, um im Austausch die Zustimmung für den politischen Wandel zu erhalten. "Within the context of Chile's new political institutions, the Concertacidn now favors the economic interests of the conservatives and places reformers at a disadvantage because, in essence, the democratic opposition traded away broad economic reform in return for political democratization. At the heart of the pact was the fact that reformist political parties - representing the middle class and some sectors of labor - explicitly committed themselves to pragmatic neoliberalism. In return, businessmen, landowners, and conservative political parties accepted limited political change. Stretching the narrow limits of this constraining political bargain has proved difficult for reformers."^®

Da die reformorientierten Kräfte, die auf eine Demokratisierung drängten, in eine stillschweigende Allianz mit der pragmatisch neoliberalen Koalition eintraten, bedeutete dies im Ergebnis für die Arbeiterbewegung, Bauern und pobladores den Ausschluß oder zumindest die Hintanstellung ihrer Interessen auch im Fall einer zukünftig von demokratischen Kräften umzusetzenden Wirtschaftspolitik, die primär den Interessen des privaten Kapitals verpflichtet war. Das Verhalten der Unternehmer und ihrer Verbände wurde entsprechend bis zum Plebiszit im Oktober 1988 v.a. durch zwei Faktoren bestimmt: in ideologischer Hinsicht durch einen sehr allgemein gehaltenen liberalen Diskurs; in politischer Hinsicht - wesentlich durch die Übernahme einer pragmatisch neoliberalen Wirtschaftspolitik durch die Militärregierung und den eigenen großen Einfluß auf den politischen Entscheidungsprozeß verursacht - durch die uneingeschränkte Verteidigung des Militärregimes und Unterstützung Pinochets, der sie selbst vor den geringsten wirtschaftlichen und sozialen Reformen 'schützte'.

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Ebd„ S. 99. 377

5.3.

Die Unternehmer in der Kampagne um das Plebiszit 1988 und in der postplebiszitären Phase

Die verbleibende Zeit bis zum Plebiszit war durch die Mobilisierung der Mehrheit der Unternehmerschaft für den Verbleib des Militärregimes an der Macht und der entsprechenden Beeinflussung der öffentlichen Meinung bestimmt. Derjenige Unternehmenssektor, welcher der COPROCO verbunden war, führte die Aktionen der Unternehmer in der Kampagne für ein 'SI' in der Abstimmung an. Damit erwies er sich erneut als die entscheidende zivile Stütze der Regierung, der seit der ENADE 1988 zudem noch eine beträchtliche Meinungsführerschaft über die kleinen und mittleren Unternehmer zukam und ideologisch homogenisierend wirkte. Die Unternehmer schienen so ein relativ einheitlicher Block unter der Führung der COPROCO zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, daß die Kritik bestimmter Unternehmersegmente an der Regierung und ihrer Politik fortbestand und sie sich der Strategie der COPROCO nicht unterwarfen.159 Eine erste der Regierungspolitik und der Haltung der COPROCO kritisch gegenüberstehende Gruppe bestand aus einigen Unternehmern der Metallbranche, den Fuhrunternehmern und kleinen Händlern. Sie unterstrichen, daß sie an der wirtschaftlichen Erholung nach wie vor nur geringen Anteil hätten und die 'Sozialpolitik' der Regierung zur Verbesserung der sozialen Situation für ungenügend hielten. Weiterhin bestanden sie darauf, die Rückkehr zur politischen Demokratie zu beschleunigen. Teile der Fuhrunternehmer und der Händler hatten sich zeitweilig den anhaltenden Protesten der Opposition angeschlossen und partizipierten 1986 an der Asamblea de Civilidad, an der auch Gewerkschaften, Verbände der Professionalen, Jugendorganisationen und die Frauenbewegung beteiligt waren. Später schlössen sie sich dem Acuerdo Social Ampllo (ACUSO), einer Nachfolgeorganisation der Asamblea, an. Die wichtigste dem Regime gegenüber kritisch eingestellte Persönlichkeit in einem von den Großunternehmern beherrschten Umfeld blieb der Unternehmer der Metallindustrie Gustavo Ramdohr, der seit Juni 1985 Präsident von ASIMET war. Daneben wäre Angel Fantuzzi zu erwähnen, ein ExPräsident von ASIMET, der 1983 zeitweilig zusammen mit Sergio Onofre Jarpa einen Verstindigungsprozeß zwischen Regime und Opposition zu initiieren versucht hatte, um dsn Übergangsprozeß zur Demokratie zu beschleunigen. Ihr Einfluß auf die Kampagne blieb jedoch begrenzt, weil sie sich öffentlich nicht für die Opposition exponieren wollten und trotz 'kritischer' Haltung eine eher neutrale Position einnahmen. Daneben läßt sich als zweite Gruppierung ein kleines Segment von neuen, mehrheitlich jüngeren Unternehmern identifizieren, die im Bereich der Hochtechnologie ^

siehe zun folgenden G. Campero, Les chef d'entreprises chiliens et le procesus de démocratisation, in: Problèmes d'Amérique Latine, Num. 84, 1989, S. 102-112.

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(Software-Produktion), in bestimmten Exportbranchen und in der Produktion modemer Dienstleistungen verwurzelt waren, die sich ebenfalls nicht der politischen Linie der COPROCO anschlössen. Diese Unternehmer, die in der Regel kleine, aber technologisch weit fortgeschrittene Unternehmenseinheiten betrieben, die sie erst im Gefolge der Wirtschaftskrise entwickelt hatten, besaßen eine hohe Qualifikation und entstammten teilweise den professionalen Mittelschichten. Da ihnen aber eine solide Organisationsstruktur fehlte, äußerten sich ihre Mitglieder im Zuge der Plebiszitkampagne lediglich individuell zugunsten der Opposition. Ihre Rolle blieb damit sekundär. Eine dritte unterscheidbare Gruppe organisierte sich im August 1988 als Empresarios por la Democracia. Diese Organisation umfaßte einerseits kleine Unternehmer, die vor 1973 Parteigänger der UP waren und nach dem Putsch ihr Unternehmen als Subsistenzmittel betrieben, andererseits Professionale und technische Berufssparten, die Management-Funktionen in privaten Unternehmen ausübten und Mitglieder der Oppositionsparteien waren. Die 'Unternehmer für die Demokratie' wurden zwar als Oppositionsgruppe in der Öffentlichkeit wahrgenommen, ihr Gewicht in der Unternehmerschaft selbst war aber äußerst gering. Schließlich muß die Unión Social de Empresarios Cristianos (USEC) erwähnt werden, die mit der Kirche verbundene katholische Unternehmer und hochrangige Angestellte repräsentierte. Ihre Forderungen nach einer neuen Politik wurzelten in den moralischen und ethischen Prinzipien der Katholischen Soziallehre. Wenn auch einige prominente USEC-Mitglieder öffentlich die demokratische Koalition für das 'NO' unterstützten und USEC generell der Christdemokratie nahestand, verhielt sich dieser Teil der Unternehmer gegenüber dem Plebiszit insgesamt eher neutral, lehnte aber die Positionen der COPROCO ab. Wie im Fall der drei anderen Gruppierungen handelte es sich hier um einen kleinen Kreis von Unternehmern mit nur begrenztem Einfluß in der Gesamtheit der Unternehmerschaft. Damit war die Führungsposition der pragmatisch neoliberalen Koalition und der COPROCO weder in Frage gestellt noch ernsthaft herausgefordert. Die COPROCO verfolgte zwei sich ergänzende Strategien: auf ideologischer Ebene die Intensivierung des 'Kampfes der Ideen', auf politischer Ebene die explizite Unterstützung der Regierung. Um auf der ideologischen Ebene erfolgreich zu sein, wurde eigens durch die COPROCO die Organisation Empresarios por el Desarrollo ins Leben gerufen, die von wichtigen Führungspersönlichkeiten der COPROCO, der SOFOFA und des Dachverbandes der kleinen und mittleren Unternehmer angeführt wurde. Die politische Arbeit übernahmen sog. comités cívicos, die sich im August 1987 konstituiert hatten und denen der Ex-Präsident der COPROCO, Jorge Fontaine, vorstand. Die Selbsteinschätzung dieser 'Bürgerkomitees' als 'unabhängige Organisationen' hinderte sie nicht daran, sich offiziell mit den Prinzipien und Zielen

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der Regierung zu identifizieren. 160 Anfang 1988 traten die Verbände der COPROCO offen für die Option Pinochet ein. Im Zentrum sowohl der ideologischen wie auch der politischen Strategie stand die Betonung von 'Fortschritt' und 'Modernität', die das Land - gemäß den Unternehmern - unter der Militärdiktatur und seinem sozioökonomischen Modell erreicht habe. Indem sie insbesondere diese beiden Aspekte hervorhoben, versuchten sie, weitaus sichtbarere und konfliktivere Aspekte der Regierung - z.B. ihren autoritären Charakter und die repressive Praxis - aus der Debatte auszusparen oder sie zu relativieren. Die Unternehmer wünschten nicht (mehr), mit der diktatorischen Seite, sondern mit der 'erfolgreichen' und 'modernen' Seite des Regimes identifiziert zu werden. Mehr noch war ihr Handeln darauf gerichtet, Unternehmer und Privatunternehmen als reinsten Ausdruck dieser Modernität zu präsentieren und von der Zukunft statt der Vergangenheit zu sprechen. Ihr Diskurs zielte auf eine 'liberale Ordnimg', auf eine 'freie Gesellschaft' auf Basis der 'Unternehmensfreiheit' und der 'Integration in die moderne Welt'. In dieser Perspektive versuchten sie auch, sich von Pinochet zumindest verbal zu distanzieren, stellte diese Person doch insofern ein Problem für viele Unternehmer dar, als sein Name eine Trennung von 'Diktatur' und 'Modernisierung' beträchtlich erschwerte. Neben der 'Modernisierung' konzentrierte sich die Kampagne der Unternehmer immer stärker auf ihre 'soziale Rolle'. Bereits die ENADE 1987 zielte auf die Verbesserung des Images der Unternehmer in sozialen Fragen, insbesondere bezüglich der Arbeitsbeziehungen innerhalb des Unternehmens und der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Kosten-Nutzen-Verteilungen, ab. Damit sollte zugleich eine bestimmte Art von 'Fortschritt' und 'sozialer Harmonie' als selbstreferentielle, identifikationsstiftende Konzeption ihrer Beziehung zur Gesellschaft verbreitet werden. 1 6 1

160

Vgl. die Äußerung von Jorge Fontaine in El Mercurio vom 6/8/1987. In der gleichen Ausgabe betonte Manuel Feliú (Präsident der COPROCO), daß er die Initiative unterstütze, weil "revela interés de los empresarios por participar en actividades fundamentales para constituir una democracia estable, permanente y moderna y con un ejercicio profundo de la libertad a que todos aspiramos." Zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 52. 161 Auf der ENADE '87 wurde diese Strategie von Manuel Feliú wie folgt zum Ausdruck gebracht "Hay que procurar que los valores, principios y sobre todo los beneficios de la libre empresa sean compartidos por la mayoría de nuestros compatriotas ... Hay que colaborar en la solución de los problemas de los más débiles ... Hay algunos que no dan beneñcios pudiendo hacerlo, a la espera que el mercado lo exija ... Debemos restringir el consumismo, vivir con mayor sobriedad ... La empresa privada no teme a la democracia sino que la desea ... Ser el motor del desarrollo ... nos ha permitido ser protagonistas del futuro ... construir un estado moderno que nos ha colocado a la vanguardia de los países subdesarrollados... Los empresarios han hecho posible este Chile moderno." El Mercurio 23/11/1987 und 25/11/1987, zitiert nach G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 54.

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Diese Vorstellungen wurden ständig wiederholt und sind in der ein oder anderen Form in allen öffentlichen Stellungnahmen der Führungskräfte der COPROCO, der SOFOFA und der SNA in den Jahren 1987 und 1988 enthalten gewesen. In den Verlautbarungen war andauernd von den sozialen Problemen des Landes die Rede; es wurden Vorschläge für die Ausweitung der Beschäftigung und zur Erhöhung der Löhne unterbreitet und nie versäumt, auf die herausragende Rolle des privaten Unternehmertums im politischen und sozialen Leben hinzuweisen, die nicht mehr verloren gehen dürfe. Alle diese Aktivitäten waren dem Ziel untergeordnet, die Ideen der Unternehmer als gesellschaftlich vernünftige und allgemeingültige Prinzipien des Zusammenlebens zu verbreiten und ihr soziales Interesse zu demonstrieren. Auf dieser Grundlage übernahmen die Empresarios por el Desarrollo ab Mitte 1988 die Führung im 'Kampf der Ideen'. Ein von einer Vielzahl von Unternehmern unterzeichnetes Dokument mit dem Titel 'Compromiso por la libertad' galt der Organisation quasi als ideologische Prinzipienerklärung. Dieses systematisch in der Öffentlichkeit verbreitete Manifest mit den Punkten Unternehmerfreiheit, subsidiärer Staat, freie Marktwirtschaft und freier Wettbewerb, Freihandel, Solidarität und 'bien común' sollte nicht nur die Unternehmerdiskurse strukturieren helfen, sondern der Organisation auch über 1988 hinaus als Leitlinie gelten. Die comités cívicos unterstützten dagegen die Option Pinochet politisch direkter, und im Gegensatz zu Empresarios por el Desarrollo, die sich nicht für oder gegen das 'SI' oder das 'NO' aussprachen, sondern die ideologischen Botschaften lieferten, engagierten sich die 'Komitees' direkt in der politischen Alltagsarbeit. Zu erwähnen sind hier insbesondere Solidaritätsaktionen mit (selbständigen) pobladores in den Armenvierteln der Städte und die Gründung der Fundación Solidaridad.162 Bis in die letzten Monate vor dem Plebiszit hielten sowohl Empresarios por el Desarrollo wie auch die Comités Cívicos ihren zukunftsgerichteten Fortschrittsdiskurs aufrecht. Als jedoch kurz vorher fast alle Meinungsumfragen die Opposition als Sieger auswiesen, veränderte sich die Strategie der Unternehmer sowohl im Ton als auch im Inhalt. Nun griff eine aggressive Einschüchterungsstrategie um sich, die auf die Gefahren und das kommende Chaos für den Fall hinwies, daß die Regierungsoption ('S/') im Plebiszit verlieren würde. Ein Rückgang der Investitionen, weniger Arbeitsplätze, ein Einbruch in der wirtschaftlichen Entwicklung, gar eine Rückkehr zu etatistischen Verhältnissen und zum Sozialismus wurden beschworen. Dies alles deutete auf die antizipierte Niederlage der Regierungsoption durch die pragmatisch neoliberale Unternehmerkoalition und die COPROCO hin. Eine größere Unsicherheit für die Unternehmer entstand aus der Befürchtung, gegenüber

i ftiSiehe G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 55 f. 381

den demokratischen gesellschaftlichen Kräften trotz eines innerverbandlich vereinheitlichten Diskurses an Terrain verlieren zu können. 163 Mit dem Sieg der Oppositionskräfte im Plebiszit Anfang Oktober 1988 wurde die eigentliche Übergangsphase zu demokratischen Regierungsformen eingeleitet, die mit der Regierungsübernahme von Patricio Aylwin ihren Abschluß fand. 1 6 4 Die kurz vor dem Plebiszit verbreiteten Katastrophenszenarien der Unternehmer wurden nicht Realität. Führende Repräsentanten des Unternehmersektors riefen in Anerkennung des Wahlresultats zu Ruhe und Besonnenheit sowie zur Einheit aller Chilenen auf. Gleichzeitig verbanden sie damit die Forderung, von gegenseitigen Revanchegedanken Abschied zu nehmen und eine 'echte' nationale Versöhnung einzuleiten. Die vor dem Plebiszit vorherrschende Mischung aus Zweckoptimismus und alten Ängsten vor den Oppositionskräften wich einem Klima, das anfänglich durch Ratlosigkeit gekennzeichnet war, da viele Unternehmer fest an einen Sieg ihrer Option glaubten, obwohl die Umfragen in eine andere Richtung gedeutet hatten. Des weiteren befürchteten Teile der Unternehmer, daß ein Sieg der Opposition in den nun bevorstehenden Wahlen angesichts ihrer bedingungslosen Unterstützung für das Regime Konsequenzen für sie haben könnte. Die pessimistische Grundstimmung wurde aber durch die dem Plebiszit folgende Ruhe und Normalität sowie die Tatsache, daß bis zur endgültigen Regierungsübergabe gemäß den Vorgaben der Verfassung - mit ihrem die Regimekräfte eindeutig begünstigenden Procedere noch mehr als ein Jahr Zeit blieb, relativ schnell überwunden. Es lassen sich drei Reaktionsformen der Unternehmer in der Folgezeit des Plebiszits differenzieren. Die Reaktion eines Teils der Unternehmerschaft bestand im Rückzug in den traditionellen Korporatismus, um in Anbetracht eventuell bevorstehender größerer politischer Umwälzungen seine Interessen optimal vertreten zu können. Diese Sektoren hielten Investitionen zurück oder suchten nach Investitionsmöglichkeiten im Ausland. Sie stellten ihre politischen Aktivitäten in der Öffentlichkeit ein, und nicht wenige Unternehmer entließen oppositionelle Gewerkschaftsführer, um rechtzeitig

Siehe zur Haltung auch anderer Akteure im Übergangsprozeß G. Campero/R. Cortázar, Actores sociales y la transición a la democracia en Chile, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 25, 1988, S. 115-158; M. Cavarozzi, Patterns of Elite Negotiation and Confrontation in Argentina and Chile, in: J. Higley/R. Gunther (Ed.), Bites and Democratic Consolidation in Latin America and Southern Europe, Cambridge, 1992, S. 208-236; zu deren unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen und bestehenden Gemeinsamkeiten J. Marshall/F. Morandé, Propuestas económicas, consensos y conflictos, in: M.A. Garretón (Ed.), Propuestas políticas y demandas sociales, Vol. II: Las propuestas Economía, Salud/ Previsión/ Vivienda/ Medio Ambiente, Santiago, 1989, S. 29-172. Siehe zum Übergang allgemein M.A. Garretón, Las condiciones sociopolíticas de la inauguración democrática en Chile, FLACSO, Documento de Trabajo, Num. 444, 1990. ^ S i e h e zura folgenden G. Campero, Les chefs d'entreprise ..., a.a.O.

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vor der Etablierung demokratischer Verhältnisse ihre Betriebe von möglichem Konfliktpotential zu 'säubern'. 165 Zweitens artikulierten sich die dem Regime kritischer gegenüberstehenden Sektoren in der Öffentlichkeit wieder deutlicher, nachdem sie in den drei vorangegangenen Jahren durch die Führung der COPROCO fast vollständig marginalisiert worden waren. Diese Sektoren vertraten ihre politischen und sozialen Vorstellungen nachdrücklicher und versuchten, ihre Organisationsstruktur zu verbessern, was bis Mitte 1989 erhebliche Erfolge zeitigte. Die Aktionen wurden angeführt von Organisationen wie ASEXMA (Asociación de Exportadores de Manufactureras No Tradicionales) und deren Präsident Gustavo Ramdohr (Ex-Präsident von ASEMET). In dessen Vorstellungen verband sich die Verteidigung der nationalen modernen Industriesektoren mit dem Interesse an größerer sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Gleichheit. Den Kern dieser Gruppe bildeten jüngere Unternehmer, die im Exportgeschäft erfolgreich waren und der Linie der COPROCO in bezug auf ihre Reaktivierungskampagne nicht folgen wollten, da sie eine größere Sensibilität für die sozialen und ökonomischen Erfordernisse einer tiefergehenden Demokratisierung des politischen Lebens zeigten. Wenn diese Gruppe auch absolut betrachtet nicht der Opposition zuzurechnen war, so besaß sie durch die Führung Ramdohrs doch ein nicht unbeträchtliches 'demokratisches Gewissen1. Nicht von ungefähr war es dieser Sektor, der den Meinungsaustausch mit den Parteien der Opposition über ökonomische und soziale Fragen im Rahmen einer zukünftigen Demokratie initiierte. Insgesamt blieb dieses Segment der Unternehmer, zu dem auch Händler und Fuhrunternehmer zählten, aber weiterhin in die Empresarios por el Desarrollo eingebunden.166 Die dritte und weitaus bedeutendste Strömung versuchte dagegen, den 'Kampf der Ideen' fortzufuhren und auszuweiten, um die Unternehmer als Hauptakteure im politischen Leben zu verankern. Dazu wollten sie sich nicht nur auf ihre ökonomische Rolle beschränken, sondern v.a. eine aktivere politische Rolle übernehmen. Dies war um so vordringlicher, als die großen Unternehmer und Führungskräfte 165

Diese Verhaltensweisen wurden von COPROCO und ASIMET scharf kritisiert. Roberto Fantuzzi erklärte in La Epoca vom 16/10/1988: "Cualquier empresario que votó SI y que quiere ganar las elecciones no debería conducirse de esa forma ni provocar caos." Und noch energischer erklärte Manuel Feliú auf der ENADE '88: "En la hora presente los empresarios chilenos no podemos hacer el grotesco papel de avestruces, escondiendo la cabeza en la arena mientras las cazadores de plumas se acercan impávidos y lo despluman impunes. No podemos ocultarnos a la realidad del porvenir político. Nos espera un año de dura e incesante contienda, de combate cotidiano con las armas de la razón, de la persuasión eñcaz, de la fuerza demonstrativa de los hechos en un mundo moderno de medios de comunicación masivos de efectos inmediatos. No será un año para pusilánimes o poltrones." Siehe ICARE (Ed.), 10. ENADE '88: La libre empresa y el futuro de Chile, Santiago, 1989, S. 245. 166 Vgl. G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 58 f. 383

der COPROCO begriffen hatten, daß ohne die Diktatur nur durch ihre Präsenz im Staat und einer aktiven Einflußnahme eine Berücksichtigung ihrer Interessen auch durch die neue Regierung erreicht werden könnte. Da das etablierte Wirtschaftsmodell samt seiner ökonomischen Ausrichtung erklärtermaßen beibehalten werden sollte, würden sich die Unternehmer auch in Zukunft aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht in einer privilegierten Position im politischen System wiederfinden. 167 Unter Führung ihres Präsidenten Manuel Feliü ließ die COPROCO nach dem Plebiszit keinen Zweifel daran, als mächtigster Unternehmenssektor eine entscheidende Rolle sowohl im Präsidentschaftswahlkampf wie auch in der kommenden Demokratie übernehmen zu wollen. Angesichts der Zersplitterung und Zerstrittenheit der politischen Rechtsparteien wies Feliü mehrfach darauf hin, daß für den Fall einer möglicherweise wenig effektiven zukünftigen parlamentarischen Rechten die Unternehmer selbst ihre Interessen und Positionen einer 'freien Gesellschaft' verteidigen müßten. Auf der ENADE 1988 schwor er die Unternehmer auf ihre zukünftig aktivere politische und soziale Rolle ein, da nur so sichergestellt werden könne, daß die Unternehmer auf einem sicheren und vorhersehbaren, von Unwägbarkeiten (mögliche soziale Destabilisierung des Systems durch eine als exzessiv betrachtete Politisierung; fiskalische Ungleichgewichte durch populistische Umverteilungsmaßnahmen) keineswegs freien Weg den Übergang zur Demokratie schafften und im ' Kampf der Ideen' die Oberhand behielten. Die Strategie der COPROCO konzentrierte sich auf vier Punkte: a) Vertiefung ideologischer Grundüberzeugungen und vollständige Identifikation mit dem Wirtschaftsmodell bei gleichzeitiger Demonstration einer größeren Autonomie und Distanz gegenüber dem autoritären Staat: Dabei kam der pragmatisch neoliberalen Koalition zugute, daß Pinochet nach der Niederlage im Plebiszit als Präsidentschaftskandidat nicht mehr in Frage kam, und es dadurch erleichtert wurde, die 'Modernisierungsleistungen' des Regimes von seinem autoritär-repressiven Charakter abzulösen und als von ihm unabhängige Kraft aufzutreten. Das 'liberale Ordnungsmodell' und die 'freie Gesellschaft' konnten so mit größeren Erfolgsaussichten und größerer Glaubwürdigkeit propagiert werden. 168 b) Eröffnung von Dialogkanälen mit der politischen Opposition mit dem Ziel, die Inititiave in den Konzertierungsprozessen zu übernehmen und eine taktische Annäherung an das Mitte-Links-Parteienbündnis zu vollziehen: Zum Ende des Jahres rief die COPROCO die Gewerkschaftszentralen CDT und CUT auf, in einen Dialogprozeß mit den Unternehmern einzutreten, um zu einer Konzertierung ihrer Interessen zu gelangen. Auch wenn hier zunächst nur der CDT partizipierte, ver-

1C7 1(8

Siehe zun folgenden ebda., S. 59 ff. Siehe C. Montero, El actor empresarial en transición, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 37, 1993, S. 54 f.

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deutlichte das Treffen doch das Interesse der Verbandsführer an einer Annäherung der Positionen von Arbeitern und Unternehmern.1® c) Ausweitung des Bildes vom sozial verantwortlich handelnden Unternehmer, dem die Belange von Arbeitern und Angestellten keineswegs gleichgültig sind: Insbesondere die 'charismatischen' Führungspersönlichkeiten der Verbinde entfalteten in den Massenmedien systematisch einen Diskurs, der verbal auf ihre 'Besorgnis' in bezug auf das niedrige Lohnniveau, die Notwendigkeit der Ausweitung der Beschäftigung und harmonischer Arbeitsbeziehungen hinwies. d) Einladung und Aufforderung an die politischen Parteien und die Opposition, in ihren Programmen die Rolle des privaten Unternehmertums, der Marktwirtschaft und der Einschätzung des aktuellen Wirtschaftsmodells für den Fall einer möglichen Regierungsübernahme zu präzisieren: Diesbezüglich versuchte die COPROCO nicht nur, bereits vor dem Wahltermin explizite Garantien für die Rolle und Existenzberechtigung des privaten Unternehmertums bei den verschiedenen Oppositionskräften zu erlangen, sondern stärkte gleichzeitig in organisatorischer und ideologischer Hinsicht die Unternehmerverbände, damit diese für kommende Auseinandersetzungen vorbereitet wären. Die einzelnen Parteien der Concertación garantierten den Unternehmern stabile Wirtschaftsbedingungen auf der Basis des neoliberalen Modells und der Weltmarktintegration. Die Botschaft an den Privatsektor lautete explizit, daß es weder eine Restauration bestimmter Verhältnisse noch eine Rückkehr zur Vergangenheit geben, man das Privateigentum und die individuelle Initiative als Wachstumsimpuls nicht behindern werde und in einem Geist der Verständigung durchzuführende Reformen die grundlegende Kontinuität des Wirtschaftsmodells nicht infragestellen werde. 170 Unmittelbar nach dem Plebiszit entschied die COPROCO auch, ihr Hauptinstrument im 'Kampf der Ideen' - die Empresarios por el Desarrollo - organisatorisch zu stärken. Bereits Ende Oktober 1988 begann die Organisation eine große Pressekampagne unter dem Motto: 'Una sociedad libre. La gran empresa de todos los chilenos'. Unterstützung erhielten die Verbände auch von den Unternehmern nahestehenden rechtslastigen think tanks wie dem Centro de Estudios Públicos und dem Instituto Libertad y Desarrollo, die ihre Positionen intellektuell unterfütterten. Letztere waren privat finanzierte Institute, die mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet worden waren, in die Auseinandersetzungen jener Jahre einzugreifen.171 In der ^

Siehe M. Albuquerque/E. Rivera, Concertación sindical-empresarial. Caminos que se abren? CIASI, Serie Documentos, Num. 3, Santiago, 1990; CIASI, Documentos de la Concertación sindical/empresarial, Serie Documentos, Num. S, 1990. 170 So die Ankündigung von Präsidentschaftskandidat Aylwin vor einem Forum der Konrad Adenauer-Stiftung im Herbst 1989 über 'Empresarios-Trabajadores-Estado'. Siehe C. Montero, El actor empresarial en transición, a.a.O., S. 55 f. 171 Das Centro de Estudios Públicos definierte sich als "lugar de formación de dirigentes y líderes, y un semillero de ideas e informaciones en materias de asuntos públicos." Ihr Präsi-

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Durchsetzung ihrer Strategie verfügten die Unternehmer über zwei 'Waffen 1 , über die sie niemals zuvor in dieser Art besessen hatten: zum einen über den dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg, den sie sich und dem durch die Militärs etablierten Modell zuschrieben; zum anderen über einen ideologischen Diskurs mit einem Bündel von gemeinsamen Überzeugungen (Markt als grundsätzlicher Mechanismus der Ressourcenallokation, Individualismus, Antietatismus, technokratische Entscheidungsfindung etc.), der sie nicht nur auf symbolischer Ebene einte, sondern auch zu einer wachsenden Kohäsion der gesamten Unternehmerschaft beigetragen hatte, so daß ihre Interessenheterogenität merklich abgenommen hatte. Die freie Marktwirtschaft und eine rudimentäre Rolle des Staates bildeten den gemeinsamen Referenzrahmen für ihr Handeln und Denken. Während damit die Diktatur 1988 politisch gescheitert war, gingen die Unternehmer in jeglicher Hinsicht gestärkt aus ihr hervor. Die von der COPROCO repräsentierten Unternehmer fanden trotz Niederlage im Plebiszit historische Bedingungen vor, die sie zu zentralen Akteuren im politischen und sozialen Prozeß machten. Das erfolgreiche Erringen einer kulturellen Hegemonie sicherte ihre ökonomische Machtposition ab und bestimmte in den nächsten Jahren die Logik ihres Handelns. Das Bild eines modernen, weltoffenen Unternehmers mit sozialem Bewußtsein kontrastierte dabei mit dem Korporatismus, Partikularismus und der kurzfristigen Interessenorientierung vergangener Zeiten. Die Unternehmer waren damit aus ihrer defensiven gesellschaftlichen Rolle herausgetreten und ein offensiver Akteur geworden, der seine Anschauungen konsistent und aggressiv nach außen vertrat und ständig in politische, wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten intervenierte. Kernpunkte ihrer Ideologie fmden heute in Chile breite Resonanz. 172 Mit dieser Strategie wurden die Unternehmer zu den bevorzugten Gesprächspartnern auch der zukünftigen demokratischen Regierung, ohne ihre politisch-ideologischen Überzeugungen aufzugeben. Ihre Machtposition wurzelte dabei zum einen in einem konsolidierten, mit ausländischem Kapital assoziierten Privatsektor, zum anderen aber auch in der großen Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, der in vielfältiger Hinsicht von den Unternehmern abhängig war. Auf der Basis des erreichten Konsenses über die grundlegende Ausgestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Wirtschaftspolitik mußten sie nun nicht mehr selbst in der Regierung vertreten sein, um ihre Interessen abzusichern.

dent, Eliodoro Matte, war Besitzer eines der größten Unternehmen des Landes. Im Direktorium und wissenschaftlichen Beirat saßen Mitglieder der grupo Angelini, von Aetna, CAP, Pizarreño, SOQUIMICH, Endesa u.a. Dagegen wies das Instituto Libertad y Desarrollo eine stärkere Präsenz von Ex-Ministem und hohen Funktionären des Militärregimes auf. ^ Vgl. CEPAL, Chile. Transformaciones económicas y grupos sociales 1973-1986, Documento LC/R 692, Santiago, 1988. 386

Dennoch konnte die Strategie der pragmatisch neoliberalen Unternehmerkoalition nicht problemlos umgesetzt werden. Auf drei Punkte ist hinzuweisen: An erster Stelle wäre ihr geringer Erfolg zu nennen, das ihnen anhaftende negative Image in der Öffentlichkeit abzustreifen. Alle Meinungsumfragen, einschließlich der von ihnen selbst in Auftrag gegebenen, zeigten, daß sich ihr Prestige und Ansehen bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht entscheidend verbessert hatte. Zwar konnten sie das Bild eines modernen, dynamischen und effizienten Unternehmers verbreiten, in weitaus geringerem Maße jedoch ein Image als ein an sozialen Problemen und am Gemeinwohl interessierten gesellschaftlichen Akteur. Ebensowenig war ihr Versuch erfolgreich, die repressiven Aspekte des Militärregimes (für die Pinochet stehen sollte) von seinen 'modernen' Aspekten (für die die Unternehmer stehen wollten) zu separieren. Insbesondere die Jugend betrachtete die Unternehmer - entweder positiv oder negativ, aber in jedem Fall eindeutig - als 'Verbündete Pinochets'. 1 ^ Zweitens wäre darauf hinzuweisen, daß - obwohl die Verbände der COPROCO über ihren Diskurs einen beträchtlichen Homogenisierungsgrad innerhalb der Unternehmerschaft erreichen konnten - unter den kleinen und mittleren Unternehmern eine Gegenströmung zum Neoliberalismus fortbestand. Der 'Erfolg' des Wirtschaftsmodells blieb ungleich verteilt, und zumindest ein Teil dieses Unternehmenssegments betrachtete die durchgesetzte Wirtschaftspolitik trotz ihres größeren Pragmatismus als für sie schädlich. 174 Ferner blieben hier nationalistische Vorstellungen einer stärkeren Betonung der Entwicklung einer nationalen Industrie und eines größeren Staatsinterventionismus bestehen. Es waren Segmente der kleinen und mittleren Unternehmer, die nachdrücklich lokale und regionale Produktions^

Alle repräsentativen Meinungsumfragen jener Jahre reflektieren die großen sozialen Unterschiede in der chilenischen Gesellschaft. Auf die Frage, ob die Differenz zwischen den armen poblacioites und dem barrio alto so groß sei, daJB man von zwei verschiedenen Ländern sprechen könne, antworteten 85% der Befragten mit Ja. Auf die weitergehende Frage, ob sich eine Albeitertochter und ein Untemehmersohn kennenlernen, Freundschaft schließen und heiraten könnten, sagten im ersten und zweiten Fall 60%, im dritten Fall sogar drei Viertel der Befragten, dies sei schwierig. Auf die Frage, welche Organisationen bzw. Sektoren der Gesellschaft große Macht besäßen, rangierten die Unternehmer regelmäßig hinter den Streitkräften und der Regierung. Auf die Frage, welche Sektoren größere Macht besitzen sollten, rangierten die Unternehmer, Banker und das Auslandskapital mit den Streitkräften aber ganz unten auf der Skala. Die Frage, in welchem Ausmaß die verschiedenen Organisationen und Gruppen dazu beitrügen, die Probleme des Landes zu lösen, glaubten drei Viertel der Befragten im Falle der Streitkräfte 'gar nicht' oder 'wenig', über 80% der Befragten äußerten sich so im Falle der Unternehmer. Siehe A. Alaminos, Chile. Transición, política y sociedad, Madrid, 1991, S. 25 ff. 11A 1/4 Siehe Estudio social y de opinión pública entre pequeños y medianos empresarios de Santiago, Septiembre 1987, Centro de Estudios Públicos, Documento de Trabajo, Num. 95, 1987; vgl. dagegen Estudio social y de opinión pública en el estrato alto de Santiago, Centro de Estudios Públicos, Documento de Trabajo, Num. 84, 1987.

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strukturen gegen die Intemationalisierung der Ökonomie und das Auftauchen großer nationaler und transnationaler Handels- und Exportunternehmen verteidigten. Die Differenzen mit den für die Intemationalisierung und AußenöffhuEg eintretenden Großunternehmern blieben in dieser Frage groß, zumal jene Prozesse beträchtliche Konsequenzen für die regionalen Gesellschaftsstrukturen hatten, wo der klassische, auf die Region beschränkte Unternehmer gegenüber den nationalen oder transnationalen Großunternehmen an Macht, Einfluß und Bedeutung verlor. Eine dritte Schwäche der Strategie der großen Unternehmerverbände kann darin gesehen weiden, daß zwar der mit der COPROCO verbundene Sektor ein eigenes politisches und soziales Profil gewonnen hatte, aber sich auf der parlamentarischen Ebene lediglich auf eine zersplitterte und in sich zerstrittene politische Rechte stützen konnte. Zwar repräsentierten Parteien wie Renovación Nacional und Unión Democrática Independiente im engeren Sinne Unternehmerinteressen, aber nur der Erstgenannten kam signifikante Bedeutung auch in Wahlen zu. Zudem bestand innerhalb dieser Partei neben einer starken neoliberalen Strömung eine eher nationalistisch ausgerichtete und Kritik am neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell von rechts artikulierende Richtung. Einige wenige Repräsentanten der grupos económicos liebäugelten mit christdemokratischen Positionen. Damit fanden die politischen Ideen der Unternehmer in einzelnen Parteien nur partiellen direkten Rückhalt und erforderten eine aktive Interessenvertretungspolitik.175 In dem verbleibenden Zeitraum bis zur Präsidentschaftswahl und der nachfolgenden Amtsübergabe an die demokratisch gewählte Regierung Aylwin versuchte das Regime, mit Unterstützung der Unternehmer im zukünftigen 'demokratischen' System starke autoritäre Enklaven zu etablieren, um in grundlegenden Fragen der Wirtschaftspolitik und in bezug auf das liberale Ordnungsmodell die Kontinuität mit der Pinochet-Zeit abzusichern. Dazu dienten die Einengung staatlicher Entscheidungsbefugnisse und Handlungsspielräume, die Verabschiedung eines extrem restriktiven Haushaltsentwurfs und die weitergehende Privatisierung öffentlicher Unternehmen bis in die letzten Monate der Diktatur hinein, die mit entschiedener Unterstützung der großen Unternehmerverbände umgesetzt wurde. Mit der Kontinuität von Pinochet als Oberbefehlshaber der Streitkräfte behielten die Unternehmer einen machtvollen Garanten und 'Wächter' für den Fortbestand des sozioökonomischen Systems. Da der Übergangsprozeß zur Demokratie vollständig im Rahmen der Verfassung von 1980 stattfand, und diese Verfassung endgültig mit dem Regimewechsel in Kraft trat, bildete sie mit ihren restriktiven Bestimmungen eine weitere Fessel für die reformorientierten Kräfte der neuen Regierung.

175

Vgl. G. Campero, Los empresarios chilenos ..., a.a.O., S. 63 f.

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In der Wahlkampagne unterstützte das Gros der Unternehmer (v.a. die COPROCO, aber auch beträchtliche Segmente der kleinen und mittleren Unternehmer) wie schon in den Plebisziten 1980 und 1988 die Diktatur, indem sie für die Kandidatur des Ex-Finanzministers Hernán Büchi votierten, der die sozioökonomische Kontinuität mit der Diktatur und die technokratische Modernisierung des Entwicklungsmodells verkörperte. Er galt den Unternehmern als der eigentliche Architekt des 'Wirtschaftswunders' seit Mitte der 80er Jahre und genoß großes Vertrauen im Unternehmersektor. Dagegen vermochte der Unternehmer Francisco Javier Errázuriz mit seinem konservativen und vage populistische Züge tragenden Programm die Unternehmerschaft nicht für sich zu gewinnen. Zwar konnten die Kandidaten des Regimes in der Wahl nicht den Sieg davontragen, bemerkenswert ist aber der von ihnen erzielte hohe Stimmenanteil von ca. 45%, der als Indiz für die Ausstrahlungskraft einer neokonservativen und neoliberalen Politikkonzeption gelten kann. Wenn auch die Unternehmerverbände damit zum zweiten Mal hintereinander eine Niederlage gegen die vereinten Kräfte der demokratischen Opposition erlitten, so waren sie weit davon entfernt, ein geschlagener Akteur zu sein, hatten sie es doch geschafft, ihre wirtschafte- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen in einem längeren Prozeß auch der neuen Regierung 'aufzuherrschen'. Während des Übergangs zur Demokratie drückten die hegemonialen, pragmatisch neoliberalen Sektoren der Unternehmerverbände nochmals deutlich ihren Dank für die Militärdiktatur aus. Paradigmatisch und stellvertretend für andere Verbände sollen hier zum Abschluß Äußerungen des Präsidenten der COPROCO, Manuel Feliü, sowie der SNA wiedergegeben werden, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Feliü betonte: "La patria tiene mucho que agradecer a sus Fuerzas Armadas - nuestra historia está jalonada de episodios protagonizados por héroes militares que nos enorgullecen - pero, si en este siglo, hay hechos que serán merecedores de figurar en las páginas más relevantes de la historia, sin duda, uno de ellos será este Gobierno Militar que hizo posible a los chilenos volver a creer en sí mismos, como protagonistas de su presente y forjadores de nuestro futuro ... La empresa privada chilena nunca dejará de agradecer a este Gobierno que preside S.E., que haya creído en nosotros y nos haya dada las herramientas que nos permiten hoy presentar al mundo un Chile que está derrotando progresivamente el subdesarrollo. Especialmente, debemos agradecer aquí a S.E., el Presidente de la República, Capitán General Don Augusto Pinochet Ugarte, su visión, que le permitid tener fe en nosotros, cuando nosotros mismos dudabamos de nuestras capacidades."^

176

Manuel Feliú, Democracia y libertad económica, in: ICARE (Ed.), 9. ENADE '87: El factor humano y la excelencia empresarial, Santiago, 1988, S. 11. Ähnliche Dankbarkeitsäußerungen listen P. Constable/A. Valenzuela, A Nation of Enemies. Chile under Pinochet, New York, 1991, S. 220 f. auf.

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Aus Anlaß dar Eröffnung der FISA '89 veranstaltete die SNA aus Dankbarkeit und in Anerkenmng der "historischen Mission der Befreiung und des nationalen Wiederaufbaus curch die Streitkräfte und Carabineros" während der Phase 1973 bis 1990 eine Hommage, bei der General Pinochet eine Medaille in Gold mit dem Sähmann als traditionellem Emblem der SNA verliehen wurde. Der Präsident der SNA betonte bei dieser Gelegenheit, daß "en estos momentos, en que las Fuerzas Armadas y Carabineros de Chile, que han demostrado una vez más ser la fuente inagotable de reservas morales de la Nación, se aprestan a culminar su histórica misión, los agricultores chilenos queremos teitimoniar a S.E. el Presidente de la República, y por su intermedio a todos los Institutos Armados y a Carabineros, en un sencillo pero elocuente recuerdo, nuestro profundo reconocimiento e imperecedera gratitud. Pero por encima de este homenaje, queremos asegurarle a nuestras Fuerzas Armadas y de Orden que los hombres de campo recogemos el solemne compromiso de seguir contribuyendo sin clandicaciones y con toda nuestra capacidad y energía, al progreso y desarrolb de nuestra querida patria." 177

177

El Campesino, Diciembre de 1989, S. 32.

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VII. Unternehmerverbände und demokratische Regierung (1990-1993) 1.

Einführende Bemerkungen

Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, war das Unternehmerverhalten in der Pinochet-Diktatur durch eine generell enge Bindung an das autoritäre Regime gekennzeichnet, wobei in den verschiedenen Etappen jeweils unterschiedliche Gruppierungen der Unternehmerschaft besonderen Zugang zur Politik hatten: War dies in den 70er Jahren hauptsächlich eine kleine Gruppe um den Kern einer radikal monetaristischen Koalition der mächtigsten Wirtschaftsgruppen, so nach einer Phase der stärkeren Verselbständigung der Exekutive in der Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre eine pragmatisch neoliberale Koalition um die Spitzenverbände der Wirtschaft herum. Die Unternehmer und ihre Verbände waren die wichtigste zivile Basis des Regimes. Trotz einer Serie von Konflikten - insbesondere in den Jahren 1973-1983 - bewahrten die chilenischen Unternehmer ihre grundsätzliche politische Unterstützung für Pinochet. Im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Staaten wurde diese Unterstützung über all die Jahre bis zum Schluß aufrechterhalten, weil jeweils die wichtigsten Unternehmersegmente aktiv in den Politikprozeß einbezogen und nicht ausgeschlossen waren. Dies zeigte sich nicht nur in der aktiven Parteinahme für Pinochet im Plebiszit 1988, sondern auch in der Unterstützung des Kandidaten der Diktatur, Hernán Büchi, in der Präsidentschaftswahl 1989. Damit kontrastierte das Verhalten der Unternehmer gegenüber den sowohl im Plebiszit wie auch in der Präsidentschaftswahl siegreichen Parteien der Concertación um Patricio Aylwin, zeigten die Unternehmer und ihre Verbände doch überraschenderweise ein beträchtliches Maß der Zustimmung für die allgemeinen Regeln und Funktionsprinzipien des demokratischen Systems: Akzeptanz der Wahlresultate der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, Respektierung der individuellen Freiheitsrechte, Recht auf freie Meinungsäußerung für verschiedene soziale Gruppen und Schichten etc. In der Regierungszeit Aylwin ließen sich nur wenige wirtschaftliche Drohgebärden (voto implícito) ausmachen, die sich über Polemiken hinaus etwa in Investitionsverweigerungen u.a.m. materialisierten. Die Frage, wie ein solch scheinbar paradoxes Verhalten zu erklären ist, läßt sich mit zwei Faktoren beantworten: a) der Art des Übergangs zur Demokratie und b) der bereits vor dem Regierungswechsel erreichten 'Verständigung' zwischen Unternehmern und wichti-

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gen Repräsmtanten der zukünftigen Regierung über grundlegende Fragen der Wirtschaftspolitk. Bezüglict des letztgenannten Punktes ist bereits auf die verschiedenen Initiativen der Unternihmer(verbände) im 'Kampf der Ideen' und hinsichtlich der ideologischen Konensualisierung bestimmter Grundprinzipien des neoliberalen Wirtschaftsmoddls mit den Kräften der Opposition hingewiesen worden. Im Prozeß der taktischen uid rhetorischen Distanzierung vom Pinochet-Regime und den Parteien der politisclen Rechten sowie der damit einhergehenden Bündelung ihrer Kräfte auf die Verteidgung des etablierten Wirtschaftsmodells wurden bereits lange vor dem Regimewecisel Beziehungen zwischen den Unternehmerverbänden und den wahrscheinlichei Repräsentanten der neuen Regierung geknüpft. Insbesondere die Zeit nach der Nederlage im Plebiszit war für die Unternehmer entscheidend, um die für sie real besehenden oder als solche perzipierten Unsicherheiten des Übergangs zur Demokratie in einer Verhandlungsstrategie mit potentiellen Regierungsvertretern zu minimieren Dies führte dazu, daß zu Beginn der Präsidentschaft Aylwin ein allgemeines Klina des Vertrauens und der Verständigung zwischen Regierung und Unternehmirn vorherrschte. 1 Ausdruck dessen ist auch, daß in den führenden Tageszeituigen des Landes wiederholt Äußerungen von Unternehmern und Verbandspräsicenten wie Manuel Feliü (COPROCO) und Jorge Prado (seit 1989 Präsident der SFA), die durch ihre aktive und explizite Unterstützung der Diktatur und ihres Präsicentschaftskandidaten Büchi bekannt waren, publiziert wurden, in denen diese ihr Vertrauen in die neue Regierung und die Bereitschaft zur Teilnahme am demokratisihen Willensbildungsprozeß sowie ihre Loyalität gegenüber der Demokratie ausdockten. Dieses Vertrauen ging zum einen auf die Person von Patricio Aylwin zuück, der als konservativ und gemäßigt galt und ob seines besonnenen Charakters sowie seiner Fähigkeit, Bündnisse zu schmieden, gelobt wurde. 2 Zum anderen be-uhte es auf dem Vertrauen in seine Wirtschaftsequipe, insbesondere in Finanzminlter Alejandro Foxley und Wirtschaftsminister Carlos Ominami. Bereits lange vor hrem Amtsantritt hatten diese keinen Zweifel daran gelassen, daß die pragmatiscl neoliberale Unternehmerkoalition keine grundlegenden Veränderungen der Wirtsclaftspolitik und keine Umorientierung des Wirtschaftsmodells zu erwarten hatte, leide Minister genossen ob ihrer 'technischen Rationalität' und ihrer

Siehe A. Rehren/R. Heredia, Organizaciones empresariales y consolidación democrática en Chile, listituto de Ciencia Política, Universidad Católica de Chile, Trabajo presentado al XVH Coigreso Internacional de LASA, Los Angeles, 1992; O. Muñoz/C. Celedón, Chile en tiansiciór. Estrategia económica y política, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 37, 1993, S . l l l . Zusätzlici erleichtert wurde das gegenseitige Verständnis noch dadurch, daß Aylwin 1973 als Senator Iräsident und führender Kopf der PDC war und im Parlament mit anderen den Sturz der Regitrung Allende betrieben hatte.

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Fähigkeit, populistischen Druck bereits im Vorfeld zu entschärfen, bei den Unternehmern einen hohen Vertrauensvorschuß.3 Damit war bereits vor der Amtsübergabe klar, daß die zukünftige Regierung die grundsätzliche Orientierung der Ökonomie beibehalten und die extensiv verstandenen property rights der Unternehmer respektieren würde, so daß nur durch 'irrationale Maßnahmen1 populistischen Zuschnitts die etablierte Vertrauensbasis ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Genau dies war aber angesichts der vielfältigen Äußerungen der zukünftigen Mandatsträger extrem unwahrscheinlich, zumal diese versuchten, mit der Unternehmerschaft einen 'Kompromiß' für den Zeitraum der Transition zu schließen und destabilisierende Aktivitäten in wirtschaftspolitischer Hinsicht zu vermeiden. Die Regierung gewann das Vertrauen durch Garantien wie die uneingeschränkte Respektierung des Privateigentums, die Aufrechterhaltung der makroökonomischen Gleichgewichte (was eine orthodoxe Politikausrichtung beinhaltete) und der grundlegenden Orientierung im Außenwirtschaftsbereich etc., die entscheidende Kontinuitätslinien mit dem vorangegangenen Wirtschaftsmodell darstellten. Die Verbandsführer der Unternehmerschaft stellten all diese 'Vorleistungen' positiv in Rechnung und hoben die 'Mäßigung' der Concertaciön gerade auch in bezug auf bestimmte 'etatistische' und 'populistische' Züge ihres Programms hervor. Durch ihre Anpassung an Untemehmerpositionen konnte die Regierung eine harmonische Beziehung zu den Unternehmern etablieren und aufrechterhalten, die lediglich temporär durch manche Reformbestrebung der Regierung getrübt wurde. Die demokratische Regierung machte im folgenden die Verbandsfuhrer der COPROCO zu ihren Hauptgesprächs- und Verhandlungspartnern, was die großen Linien der Wirtschaftspolitik anging. Demgegenüber legten die Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer erneut ein sehr viel korporativeres Verhalten an den Tag. Als zweiter Faktor, der das 'prodemokratische' Verhalten der Unternehmer nach der Präsidentschaftswahl erklären kann, sind spezifische Elemente des chilenischen Transitionsprozesses selbst zu nennen. Diese haben zunächst etwas mit grundlegenden Unterschieden des chilenischen Militärregimes im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Diktaturen zu tun. An drei Aspekte soll hier erinnert werden: den Siehe als christdemokratische Position A. Foxley, Chile y su futuro. Un país posible, Santiago, 1987. Die Zeitschrift Qué Pasa beschäftigte sich mit dem wirtschaftlichen Liberalismus der 'erneuerten Sozialisten'. Dort heißt es: "Las nuevas recetas socialistas ... son más liberales que el PDC" und "agradaiía(n) a cualquier discípulo de Milton Friedman ... Los puntos principales que los economistas del socialismo renovado desean ... se acercan más a los postulados de Milton Friedman que a los de Marx." Der damalige 'sozialistische' Wirtschaftsminister Ominami wird dort mit dem Satz zitiert: "No estamos por coartar al sector empresarial. Por el contrario, somos partidarios de que los empresarios tengan mayores oportunidades para desarrollarse." Siehe Qué Pasa, Num. 1120, 28 de Septiembre de 1992, S. 48-51.

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hohen Personalisierungsgrad der Diktatur, die auf die Person Pinochets zugeschnitten war und ihm eine doppelte interne 'Legitimität' (nämlich hierarchisch-institutionell und politisch-staatlich) verlieh; die hohe Transformationskapazität des Regimes in bezug auf politökonomische und soziale Strukturen der chilenischen Gesellschaft; und nicht zuletzt den Prozeß der politischen Institutionalisierung des Regimes mittels einer Verfassung, die autoritäre Strukturen auch nach 1989 fortschrieb. Alle drei Punkte kamen unmittelbar den Unternehmern zugute. Daraus resultierte eine 'Transition von oben1, bei der alle Schritte und einzelnen Maßnahmen durch das autoritäre Regime festgelegt wurden. Auslöser dieses Prozesses war eine Legitimitätskrise beträchtlichen Ausmaßes, die zwar stark genug war, die politischen Kosten der Aufrechterhaltung des Regimes signifikant zu erhöhen, aber nicht zu dessen Kollaps führte. Vielmehr waren es Differenzierungsprozesse im Innern des Regimes (die Spaltung der Militärs in blandos und duros sowie die nachfolgende zunehmende Isolierung der letzteren) und seiner zivilen Basis, die angesichts des sozialen Drucks von Gewerkschaften, pobladores u.a. das Regime zu einer begrenzten politischen 'Liberalisierung' greifen ließen, um einerseits das Projekt von Militärs und Chicago Boys nicht zur Gänze zu gefährden und andererseits seine grundlegenden Pfeiler auch über den Regimewechsel hinaus zu verlängern. Damit konnte die Diktatur selbst die Kontrolle über den Transitionsprozeß behalten und ihn gemäß den eigenen Vorgaben vollziehen. Wenn auch die demokratische Opposition schließlich im Plebiszit und bei den Präsidentschaftswahlen triumphieren konnte, war doch der Weg dahin durch sukzessive politische Niederlagen gekennzeichnet.4 Als das Militärregime 1990 abtrat, war es im Gegensatz zu vielen Nachbarstaaten nicht geschlagen und die Militärs selbst waren nicht desavouiert, sondern es ging in der eigenen Wahrnehmung sowie der seiner Anhänger aufgrund einer 'positiven Leistungsbilanz' erfolgreich zu Ende. Dieser Sichtweise schlössen sich auch Teile der Opposition an. Entsprechend war der Transitionsprozeß eher durch Kontinuitätslinien denn durch Brüche gekennzeichnet; letztere kamen nur partiell als Folge bestimmter Vorverhandlungen des Regimes mit der Opposition zustande. Die Kontinuitätselemente mit der Diktatur sicherten den Unternehmern beträchtliche Rechte und brachten Garantien mit sich, welche die verbliebene geringe Unsicherheit des Übergangs für jene beträchtlich reduzierte (Gültigkeit der Verfassung von 1980, Präsenz von Pinochet als Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs, designierte Senatoren und Bürgermeister, Erschwernis von Verfassungsänderungen, grundlegende institutionelle und teils sogar personelle Absicherung des Wirtschaftsmodells etc.). Da der Übergang zudem von einer gesellschaftlichen Konzertierung zwischen Unternehmern,

Vgl. M.A. Garretón, La redemocratización política en Chile. Transición, inauguración, evolución, in: Estudios Públicos, Num. 42, 1991, S. 101-133. 394

Gewerkschaften und Staat begleitet wurde, konnten die Unternehmer(verbände) einer Demokratisierung zustimmen, ohne viel befürchten zu müssen. Damit bestätigt der chilenische Fall geradezu mustergültig Schlußfolgerungen von O'Donnell und Schmitter in bezug auf die Transitionsforschung. Diese hatten, die Metapher eines Schachspiels verwendend, darauf hingewiesen, daß Voraussetzung für den Übergang zur Demokratie die Unverletzlichkeit der Rechte der Unternehmer und die Unantastbarkeit des Militärs sei: "First, all previously known transitions to political democracy have observed one fundamental restriction: it is forbidden to take, or even to checkmate, the king of one of the players. In other words, during the transition, the property rights of the bourgeoisie are inviolable ... The second restriction is a corollary to the first, although it has its own autonomous basis: it is forbidden to take or even to circumscribe too closely the movements of the transitional regime's queen. In other words, to the extent that the armed forces serve as the prime protector of the rights and privileges covered by the first restriction, their institutional existence, assets, and hierarchy cannot be eliminated or even seriously threatened."5 Die Unternehmer mußten also nicht damit rechnen, daß ihre grundlegenden Interessen ernsthaft berührt oder eingeschränkt würden, und hatten darüber hinaus in Pinochet einen Garanten für die von ihm etablierten und weiterhin gültigen grundlegenden Regeln und Orientierungen der Politik. So ist es nicht erstaunlich, daß Umfrageergebnisse bei Unternehmern und Verbandsführern die Dynamik der Ökonomie und den erreichten Grad der Verständigung zwischen Unternehmern und Politik widerspiegelten. Gerade unter jenen, die die stärksten Zweifel bezüglich der Wirtschaftspolitik der neuen Regierung und der ökonomischen Performanz im Vorfeld artikulierten, gab es keinerlei Mißtrauensbekundungen. Anfänglich noch bestehende Bedenken hinsichtlich der Kontinuität grundlegender Prinzipien (wie des liberalen Marktmodells, der property rights, der Außcnöffnung und der freien Preisbildung) lösten sich schnell auf. 6 Die Gesamtheit der Transitionsbedingungen stellte also für die Unternehmerschaft einen doppelten Anreiz dar, insofern der Übergang zur Demokratie für sie von dem Kalkül bestimmt wurde, in einem politischen Umfeld des sozialen Friedens hohe Wachstumsraten und attraktive 5

6

G. O'Donnell/Ph.C. Schmitter, Tentative Conclusions about Uncertain Democracies, in: G. O'Donnell/Ph.C. Schmitter/L. Whitehead (Eds.), Transitions From Authoritarian Rule. Prospects for Democracy, Part IV, Baltimore, London, 1986, S. 69. "The statement of one respondent that 'it has been a surprise that has exceeded all my expectations and couldn't be better' was typical of all the responses ... Indeed, one respondent, when asked his position about changes in economic policy introduced by the new government, quipped 'What changes?" E. Bartell, Business Perceptions and the Transition to Democracy in Chile, Ms. S. 24, Conference on Business Elites and Democracy in Latin America, Kellogg-Institute for International Studies, University of Notre Dame, In., May 3-5 1991.

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Gewinne mit ihren Investitionen erzielen zu können und ihr Handeln obendrein durch die neue Demokratie sowie durch die wirtschaftspolitische Institutionalität und Stabilität legitimiert zu sehen. Dieser Option gaben sie den Vorzug vor einer mit autoritären Verhältnissen einhergehenden höheren Gewinnspanne, die aber ständig politisch in Frage gestellt wurde und unter denen ihrem Handeln zur Gewinnmaximierung nur eine geringe Legitimation zukam.7 Die großen Unternehmerverbände konnten somit die sich mit der Demokratisierung eröffnenden neuen Partizipationskanäle nutzen und legten ein sehr viel stärker politisches denn korporatives Verhalten an den Tag, was ihnen eine effektive Beteiligung an der Politikformulierung sicherte. Hervorzuheben wäre ihre Initiative im Konzertierungsprozeß, in den einzelnen Reformprojekten der Regierung (Steuerreform, Reform der Arbeitsgesetzgebung, der beabsichtigten Verfassungsreform) wie auch im alltäglichen Politikprozeß (Frage der Anpassung, Definition der Außenwirtschaftspolitik, Privatisierungen, öffentliche Sicherheit und Ordnung). Das bedeutete keineswegs, daß die Unternehmer quasi über Nacht eine demokratische Gesinnung ausgebildet hätten. Ganz im Gegenteil bewahrten die Großunternehmer und ihre Verbände die Spezifika ihres Verhaltens ebenso wie ihre ideologischen Positionen und politischen Präferenzen. Dies wurde im Laufe der Regierungszeit Aylwin mehrfach deutlich. Die folgenden Ausführungen zum politischen Verhalten der Unternehmer(verbände) während der Regierungszeit Aylwin werden jeweils vier unterschiedliche Aspekte berücksichtigen. Der erste Aspekt ist das Verhältnis der Unternehmer zum politischen System. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Unternehmer und ihre Verbände die demokratischen Spielregeln unter den erörterten Bedingungen zu akzeptieren bereit waren und ein komplexes Beziehungsmuster mit den Rechts- bzw. den Zentrumsparteien unterhielten. Dabei mußten sie sich als autonomer sozialer und politischer Akteur präsentieren, da die politische Rechte in mehrere Parteien gespalten war (RN, UDI, UCC, teils PDC) und der Rekurs auf traditionelle Repräsentationsmuster und -kanäle über diese Parteien sich innerhalb der Unternehmerschaft schnell in deutliche Politikdifferenzen hätte umsetzen können, was ihre Handlungspotentiale eingeschränkt hätte. Die Unternehmerschaft ist heute über ihre Verbände stärker direkt auf der politischen Bühne präsent als in der Vergangenheit, wo korporativen Interessenrepräsentanzen gegenüber dem Staatsapparat stärkeres Gewicht zukam. Damit kommt nicht nur der COPROCO als Dachverband eine besondere Rolle zu, sondern auch den Äußerungen bestimmter herausragender Unternehmerpersönlichkeiten, die in der Regel durch Verlautbarungen der den Unternehmern nahestehenden think tanks Unterstützung erhalten.

Siehe O. Muñoz, Hacia una nueva racionalidad de la acción del Estado en América Latina, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 36, 1992, S. 190 f.

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Der zweite Aspekt betrifft die Verbindungen der Unternehmer zum Staat. Die Akzeptanz der Demokratie seitens der Unternehmer hat diese im Transitionsprozeß eine scheinbar 'pragmatische Politik' betreiben lassen. Durch die Etablierung harmonischer Beziehungen zwischen den Großverbänden und der Wirtschaftsequipe entwickelten sich Regierungsinitiativen und Unternehmeraktivitäten in einem Klima des Dialogs und des Konsenses. Dies bedeutete jedoch nicht, daß die Beziehungen konfliktfrei waren. Doch die großen Streitpunkte zwischen Regierung und Verbänden (Steuerreform, Reform der Arbeitsgesetzgebung) wurden nicht als offene Konfrontation und damit Infragestellung der grundsätzlichen Orientierung der Ökonomie gefuhrt, sondern entfalteten sich als Debatte innerhalb der Grenzen des neoliberalen Modells. Dabei stand wie in allen wirtschaftspolitischen Fragen ein 'technischer Diskurs' im Vordergrund, in dem mehr über den angemessenen Einsatz bestimmter Mittel und die Schwerpunktsetzung auf einzelne wirtschaftspolitische Instrumente 'gestritten' wurde denn über die grundsätzliche Zielbestimmung von Politik. Eine offene Konfrontation zwischen den Akteuren wurde vermieden. Indem die Regierung selbst den Verbänden der COPROCO die Rolle privilegierter Gesprächs- und Verhandlungspartner zugewiesen hatte, benachteiligte sie andere gesellschaftliche Akteure, seien dies Kleinunternehmer oder Gewerkschaften. Der dritte wichtige Aspekt betrifft das Verhältnis zwischen Unternehmern und anderen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere Arbeitern und Gewerkschaften. Trotz aller Dialoginitiativen und Konzertierungsversuche {Marco de Referenda, Acuerdo Marco) herrschte zwischen diesen Akteuren ein starkes gegenseitiges Mißtrauen vor. So manifestierte sich in der noch zu erörternden Reform der Arbeitsgesetzgebung die Angst der Unternehmer vor erstarkenden Gewerkschaften, und in Fragen der Arbeitsbeziehungen nahmen sie eine stärker ideologische als 'technische' Haltung ein. Trotz Arbeitsfriedens und sehr gemäßigter Forderungen der Gewerkschaften erachteten die Unternehmer die Aufrechterhaltung der autoritären Arbeitsgesetze aus der Diktatur als notwendig. Dabei zeigte sich deutlich, daß innerhalb der Unternehmerschaft alte Phantasmen, wie die Bedrohung des etablierten Ordnungsmodells durch die Gewerkschaften, noch virulent waren, und die Verbände sich mit weiteren Mitspielern im politischen Prozeß nur schwer abfinden mochten. Trotz partieller Reformen der Arbeitsgesetzgebung sind autoritäre Strukturen auf Betriebsebene nicht aufgebrochen worden und auch heute noch die gleichen wie zur Zeit der Diktatur. Insbesondere hier kontrastierte der 'demokratische', 'modernisierende' Diskurs der Verbandsführer mit den alten Praktiken, die gegenüber potentiellen Instabilitäten quasi unverändert aufrechterhalten wurden, und ließen die Gewerkschaften nachdrücklichere Forderungen stellen. Ein vierter Aspekt für die Bestimmung des politischen Verhaltens der Unternehmer kann in ihrer politischen Kultur gesehen werden. Traditionell wies die chilenische Unternehmerschaft in politischer, sozialer und ideologischer Hinsicht eine 397

große Heterogenität auf, die mit der Militärdiktatur und spätestens seit Mitte der 80er Jahre über den sog. 'Kampf der Ideen' homogenisiert wurde, da die Unternehmer als soziale Klasse nun über eine explizite Ideologie mit markantem sozialen Profil verfügten, die ihnen eine größere Legitimation verleihen sollte. Dieser Diskurs kontrastierte jedoch mit einer Realität, die durch eine weniger günstige ökonomische Situation (wie im Falle der kleinen und mittleren Unternehmer) oder durch Armut, niedrige Löhne und prekäre Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse (wie im Falle der Arbeitnehmer) gekennzeichnet war, welche die Unternehmer nicht nur während der Anwendung des radikal monetaristischen, sondern auch des pragmatisch neoliberalen Marktmodells entscheidend mit zu verantworten hatten. Während der 'Kampf der Ideen' v.a. in der Betonung einer 'ökonomischen Rationalität' auf makroökonomischer Ebene seine Stärke hat, kann seine Achillesferse im Sozialen gesehen werden, denn ohne redistributive Effekte und die Betonung sozialen Ausgleichs zugunsten des von der Dynamik des Modells ausgeschlossenen Teils der Bevölkerung dürfte die Ideologie wohl kaum konsensfähig sein. Die Zustimmung zu den sozial ausgerichteten Reformvorschlägen der Regierung hätte somit ein Prüfstein für eine über soziale Rhetorik hinausgehende Verankerung eines 'sozialen Gewissens' sein können. Die Beziehungen zwischen Unternehmern und Staat dürfen aber nicht nur einseitig von den Unternehmern her betrachtet werden, da sie auch durch unterschiedliche Verhandlungstile der Regierung geprägt gewesen sind. Diesbezüglich wäre zu erwähnen, daß die politische Initiative im ersten Amtsjahr fast ausschließlich von der Regierung Aylwin ausging, und die Unternehmer auf Politikvorgaben immer reagierten. Nicht vor Ablauf des Jahres 1991 schafften es Unternehmerverbände und politische Rechte, den politischen Diskurs stärker auf ihre Themen (Privatisierung, Rolle des Staates, Stopp des Modernisierungsprozesses, öffentliche Sicherheit und Ordnung etc.) zu konzentrieren. Unterschiedliche Verhandlungstaktiken mit jeweils verschiedenen Gesprächspartnern schufen für die Regierung Raum zum Manövrieren. Zum einen handelte sie einseitig, ohne Vorverhandlungen mit den Unternehmerverbänden zu führen. Dies war z.B. der Fall in der Frage der Anpassungspolitik von März bis November 1990, in der die Regierung mittel- und langfristige Überlegungen (wie die Aufrechterhaltung der makroökonomischen Gleichgewichte) über sektorale oder korporative Nachteile stellte. Dem lag allerdings ein impliziter Konsens zwischen Regierung und Unternehmern zugrunde. Zum anderen verschob die Regierung ihre Verhandlungen in das Parlament, was erneut auf Kosten korporativer Arrangements ging. Die Steuerreform kam beispielsweise durch eine politische Übereinkunft mit Renovación Nacional zustande, was damals sowohl Unternehmerverbände als auch Gewerkschaften überraschte. Eine weitere Verhandlungsvariante bewegte sich schließlich gleichzeitig im korporativen und politischen Bereich und bezog in unterschiedlichem Ausmaß Arbeiter, 398

Unternehmer, Parteien und die Regierung selbst mit ein. Dies trifft z.B. auf den Konzertierungsprozeß (Marco de Referencia, Acuerdo Marco) zu, der zwar zunächst nur eine Absichtserklärung von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften war, seine Legitimation aber zu einem Gutteil aus der Zustimmimg der Regierung bezog. Dies trifft auch auf die Reform der Arbeitsgesetzgebung zu, die obwohl sie die Unternehmer weiterhin stark begünstigte - weder für diese noch für die Arbeiter vollkommen zufriedenstellend ausfiel. Nicht zuletzt muß auf die von der Regierung erfolgreich ausgeblendeten Themen und das Non-decision-making hingewiesen werden, welches in Fragen der Rolle des Staates, weitergehender Privatisierungen und der Modernisierung des Landes zum Tragen kam. Diese Themen konnten die Unternehmerverbände erst später mit ihrer Kritik an den Sozialausgaben, der stockenden Privatisierung der restlichen Staatsunternehmen im Besitz der CORFO und den Investitionsrestriktionen für AFPs u.a. besetzen. Aus der langjährigen Benachteiligung breiter Bevölkerungsschichten ergab sich für die Regierung die Notwendigkeit, partielle Reformen zur Verwirklichung größerer sozialer Gerechtigkeit einleiten zu müssen. Die Unternehmer zeigten ein gewisses politisches Verständnis und Konzessionsbereitschaft für bestimmte Notwendigkeiten des Transitionsprozesses immer dann, wenn grundlegende Ausgestaltungen des Wirtschaftsmodells nicht tangiert wurden. Damit bewerteten sie mittel- und langfristige Interessen höher als kurzfristige Nutzenmaximierungskalküle. Erschienen zwar die Unternehmer einerseits als 'moderner' politischer und sozialer Akteur, so blieb doch andererseits zwischen ihrem Diskurs und ihrer Praxis ein beträchtliches Spannungsverhältnis bestehen. Im folgenden wird das politische Verhalten der Unternehmerverbände am Beispiel des Konzertierungsprozesses, der Anpassungspolitik, der Steuerreform sowie der Reform der Arbeitsgesetzgebung aufgezeigt. Daneben wird ihre Haltung zur Rolle des Staates, zur Privatisierung verbliebener Staatsunternehmen und zur Modernisierung des Landes sowie bezüglich der Beziehungen zwischen der Regierung Aylwin und der Unternehmerschaft thematisiert.8

2.

Der Konzertierungsprozeß

Einer der bedeutendsten Prozesse während der Transitionsphase zur Demokratie kann im Grad der Verständigung zwischen Unternehmern und Gewerkschaften über die soziale Konzertierung ihrer Interessen gesehen werden. Bereits vor dem Plebiszit und insbesondere vor und nach den Präsidentschaftswahlen führten eine Reihe von Gesprächen zwischen beiden Akteuren zu gemeinsamen Erklärungen und zur o

Siehe dazu allgemein G. Campero, Empresarios. Entre la modernidad y la legitimidad, in: CIESU/FESUR/ICP, Organizaciones empresariales y políticas públicas, Montevideo, 1992, S. 196-203.

399

Verabschiedung mehrerer Dokumente, in denen die zukünftigen Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geregelt wurden. Es handelt sich dabei um den am 31/1/1990 verabschiedeten 'Marco de Referenda para el Dialógo' zwischen COPROCO und CUT sowie den 'Acuerdo Marco' zwischen Regierung, COPROCO und CUT vom 27/4/1990. Dem war bereits im Dezember 1989 eine gemeinsame 'Declaración' von COPROCO und CUT vorausgegangen. Den beiden Rahmenabkommen folgten drei weitere Vereinbarungen, von denen zwei regionalen (Valparaiso und Iquique) und einer sektoralen Charakter (Metallbranche) hatte.9 Der Dialogprozeß selbst ging auf Initiativen der Unternehmerverbände zurück, die seit 1989 versuchten, bestehende Unsicherheiten bezüglich des Transitionsprozesses zu reduzieren. Die Unternehmer fürchteten hier insbesondere Animositäten seitens des Gewerkschaftssektors aufgrund ihrer protagonistischen Rolle in der Diktatur. War der noch vor der Regierungsübergabe unterzeichnete 'Marco de Referenda para el Dialógo' ein lediglich zweiseitiger Prozeß, so partizipierte die demokratische Regierung schließlich am 'Acuerdo Marco', nachdem Präsident Aylwin bei der Regierungsübernahme die bereits erreichte Verständigung zwischen Unternehmern und Gewerkschaften äußerst positiv hervorgehoben hatte und auf eine Vertiefung des Konzertierungsprozesses drängte. Dieser war schon im Programm der Concertaciön de los Partidos por la Democracia ein wichtiger Punkt, sollte doch der Abschluß einer Rahmenübereinkunft zwischen COPROCO und CUT dazu dienen, soziale Konflikte im Transitionsprozeß möglichst zu vermeiden. Entsprechend wurde die Konzertierung der Interessen von Unternehmern und Gewerkschaften seitens der Regierung als eine der grundlegenden Bedingungen ihrer zukünftigen Regierungsfähigkeit betrachtet. Darüber hinaus war sie daran interessiert, ihre konsensuale Verhandlungsstrategie auf weitere Felder auszudehnen. Im folgenden werden die grundlegenden Inhalte der beiden Rahmenvereinbarungen systematisch dargestellt und diskutiert.1® Allgemeiner Charakter und Ziele des 'Marco de Referenda' und des 'Acuerdo Marco' Grundlegendes Ziel der Übereinkünfte war es, einen Beitrag zur politischen und ökonomischen Stabilität des Landes und zur Herstellung harmonischer Sozialbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern während der Transitionsphase zu leisten. Die Vereinbarungen zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften dienten nicht etwa dazu, Kollektivverhandlungen zu ersetzen, sondern "

Siehe CIASI, Documentos de la Concertaciön sindical/empresarial, Serie Documentos Num. 5, Santiago, 1990. Siehe dazu grundlegend L. Abramo/M. Espinosa, Los empresarios chilenos en la transición, ILET, Ms., S. 27-36; CLACSO/PNUD, Las relaciones Estado - sector privado en Chile. Formulación de políticas económicas, conflictualidades y consensos, Ms., Kap. IV.

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diese einfacher und problemloser zu gestalten und für weitere sektorale oder regionale Übereinkünfte - etwa in bezug auf stabile und gleichgewichtigere Arbeitsbeziehungen - Verständigungs- und Anknüpfungspunkte aufzuzeigen. Damit war eine generelle Annäherung beider Akteure angestrebt: Politische, soziale und ideologische Kompromißformeln sollten während des Konsolidierungsprozesses der Demokratie ihre Gültigkeit und Verbindlichkeit für alle Beteiligten behalten. Weitere Punkte des 'Marco de Referencia' betonten - die Überwindung der strikten Verteidigung partikularer bzw. sektoralcr Interessen zugunsten des 'Gemeinwohls'; - die gegenseitige Anerkennung 'normaler Diskrepanzen' zwischen Unternehmens- und Gewerkschaftssektor, um zu vermeiden, daß natürliche Interessenunterschiede sich erneut in eine Bedrohung für die soziale Ordnung verwandelten; - die Notwendigkeit, eine 'konfrontative Vergangenheit' zugunsten harmonischer Sozialbeziehungen zu überwinden. 11 Der 'Marco de Referencia' ebnete den Weg für den 'Acuerdo Marco' unter Beteiligung der Regierung. Zentrale Inhalte des erstgenannten Abkommens (wie die Definition der Rolle der Privatunternehmer und des Staates, der allgemeinen Funktionsprinzipien des Wirtschaftssystems, der Rolle von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften) wurden ohne Veränderung in den 'Acuerdo Marco' übernommen. Hinzu kamen lediglich einzelne Bemerkungen zum Entwicklungsmodell, die im ersten Dokument fehlten. Der spezifische Beitrag der Regierung kam am deutlichsten in dem Hinweis zum Ausdruck, ein notwendiges Gleichgewicht zwischen Entwicklung, größerer sozialer Gerechtigkeit und Demokratie anstreben zu wollen. Gegenseitige Anerkennung von Unternehmern und Gewerkschaften Die gegenseitige Anerkennung der Legitimität der Verhandlungspartner und ihrer Bedeutung als soziale Akteure (was auch die Anerkennung 'natürlicher Differenzen' zwischen beiden Seiten einschloß) kann unter chilenischen Bedingungen als ein wesentlicher Punkt des Konzertierungsprozesses betrachtet werden, muß man doch bedenken, daß die Unternehmer und ihre Verbände mehr als anderthalb Jahrzehnte dazu beigetragen hatten, Gewerkschaften und Arbeiterbewegung zu unterdrücken, und die gegenseitige Perzeption häufig durch Feindbilder geprägt war. In den 11

Manuel Feliú (COPROCO) hat den 'Marco de Referencia' diesbezüglich als historischen Einschnitt bezeichnet, der einen auf 'technischem' Verständnis basierenden und auf das Gemeinwohl zielenden Lösungsweg eröffne. "Creemos que se requiere imprimir a las relaciones sociales un carácter absolutamente distinto al que tuvo en el pasado. Todos sabemos que nuestro pasado de relaciones de trabajo estuvo caracterizado por una concepción confrontacional y reivindicacionista, que personalmente creo, no sólo le produjo serios daños a la empresa, sino a los propios trabajadores, y a la comunidad nacional en su conjunto." Zitiert nach L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 28.

401

Dokumenten wird die Bedeutung von Unternehmern und Arbeitern für den Wirtschaftsprozeß hervorgehoben, beide werden als 'Produzenten des Reichtums' und Förderer von Wachstum und Entwicklung bezeichnet. Als Konsequenz der gegenseitigen Anerkennung ergab sich die Respektierung ihrer jeweiligen Repräsentationsorgane: Sowohl Gewerkschaften wie auch Unternehmerverbänden käme in der Gesellschaft eine wichtige Funktion und 'legitime' Rolle zu, wenn sie 'frei', 'repräsentativ', 'autonom' und 'technifiziert' handelten. Unter diesen Bedingungen wurden sie als 'Stabilitätsfaktoren' des demokratischen Systems und nicht mehr als 'Agenten des Chaos' betrachtet. Nicht vergessen werden sollte allerdings, daß es sich bei den Vereinbarungen um Absichtserklärungen handelt. Das hier zum Vorschein kommende sozialpartnerschaftliche Gedankengut übersieht, daß sich höchst ungleiche Partner 'gegenseitig anerkannten', die sich zudem in der Vergangenheit eher in einem Opfer-Täter-Verhältnis gegenüberstanden: Während Arbeiter unter der Diktatur permanent mit der Politik von Unternehmer(verbände)n konfrontiert waren, konnten sich diese zumindest der Organisationen der Arbeiterbewegung entledigen. Die starke Betonung von Stabilität, Effizienz und Technifizierung stellt insofern ein Problem dar, als gewerkschaftliche Aktivitäten in dem Maße delegitimiert werden können, wie ihre unter demokratischen Verhältnissen an sich normalen Funktionen von Unternehmern und Regierung als 'konfrontativ' betrachtet werden. V.a. in bezug auf die Handlungsfähigkeit übersehen die Vereinbarungen strukturelle Unterschiede in der Organisationsfähigkeit, den Machtressourcen und Einflußmöglichkeiten beider Akteure. 'Freies' (d.h. von Politik freies), 'autonomes' (d.h. nicht mit politischen Parteien verbundenes oder an diese angelehntes), 'repräsentatives' (d.h. auf die jeweilige Mitgliederbasis eng begrenztes) und 'technifiziertes' (d.h. apolitisches) Handeln kommt in jedem Fall der mit überlegenen Machtressourcen ausgestatteten Seite zugute und benachteiligt die Gewerkschaften. Diese Problematik trat insbesondere in der Reform der Arbeitsgesetzgebung immer wieder zutage. Entwicklungsmodell: Weltmarktöffaung und Wirtschaftswachstum Alle Dokumente des Konzertierungsprozesses zeigen einen Grundkonsens zwischen Unternehmern, Gewerkschaften und Staat hinsichtlich der fundamentalen Aspekte des Entwicklungsmodells. Anhaltendes Wirtschaftswachstum wird in enger Verbindung mit der Liberalisierung der Märkte, der Steigerung der Exportkapazitäten und der internen und externen Sparquote sowie der Aufrechterhaltung makroökonomischer Gleichgewichte gesehen. Einem möglichst reibungslosen Wachstumsprozeß kommt dabei zentrale Bedeutung zu, denn nur mittels ökonomischen Wachstums könnten die Lebensqualität der Bevölkerung erhöht und die sozialen Verhältnisse verbessert werden. Als Basisprinzipien des Wirtschaftsprozesses wurden die Respektierung der Freiheitsrechte der Bürger, des Rechts auf Eigentum, des Rechts 402

zur Arbeit (d.h. die Freiheit, zu 'unternehmen' oder zu 'arbeiten') sowie auf 'Erhalt der Früchte der eigenen Arbeit' vereinbart. In dieser Regelung kann einer der zentralen Siege der Unternehmerverbände im 'Kampf der Ideen' gesehen werden: Privateigentum, Gewinnstreben und damit verbunden Konkurrenzdenken erfahren heute eine positive Bewertung und besondere Legitimität in einem Land, in dem diese Prinzipien aufgrund des politischen Projekts einer starken sozialistischen Bewegung historisch in der Defensive waren. Im Gegensatz zum 'Marco de Referenda' betont der 'Acuerdo Marco' stärker Solidaritätsaspekte und erweitert die inhaltliche Bestimmung von 'Modernisierung'. Diese wird nicht mehr nur in Termini der technischen Entwicklung, der Effizienz und Produktivität gefaßt, sondern umschließt auch die Modernisierung politisch-sozialer Strukturen, die Formen des Zusammenlebens und erstreckt sich nicht zuletzt auf den Erhalt der natürlichen und 'menschlichen' Ressourcen. In den Regional- und Sektorabkommen wurde zusätzlich noch auf die Notwendigkeit der Stärkung regionaler Entwicklungsprozesse sowie einer Reindustrialisierung hingewiesen. Rolle des privaten Unternehmertums Die starke Betonung der Rolle des privaten Unternehmertums samt seiner Motorfunktion im ökonomischen Entwicklungsprozeß in den Konzertierungsdokumenten kann als weiterer Erfolg der Unternehmer verbucht werden. Zusammen mit wettbewerblich strukturierten, offenen und freien Märkten stellt dies die zwischen den Parteien vereinbarte Grundlage für die 'gleichgewichtige' und 'gerechte' Verteilung des erzeugten Reichtums dar. Damit haben die Gewerkschaften das private Unternehmertum als unerläßlich zur Beschleunigung des Wachstumsprozesses und als Hauptquelle neuer produktiver Arbeitsplätze anerkannt. Der Faktor Arbeit solle aber - so der 'Marco de Referenda' - 'gleichgewichtig' und 'würdig' entlohnt werden. Nicht nur um die Entwicklungs- und Wohlfahrtsziele zu erreichen, sondern auch um den wettbewerbsmäßigen und technologischen Herausforderungen gewachsen zu sein, müsse der Betrieb als 'Einheit' von Unternehmern und Arbeitern effizient organisiert werden. Dazu sollen eine vertraglich gesicherte 'movilidad laboral' sowie eine andere Organisation und Verteilung der Arbeit dienen. Diese Konzepte einer 'Flexibilisierung der Arbeit' finden sich im 'Acuerdo Marco' unverändert; die drei übrigen Abkommen beschränken sich diesbezüglich darauf, die Bedeutung der Rolle und Funktion des privaten Unternehmertums hervorzuheben. Rolle des Staates Auch in der Definition der Rolle des Staates haben sich die Unternehmerverbände gegenüber den Gewerkschaften mit ihren Positionen weitgehend durchsetzen können. Der Staat soll nur die allgemeinen Rahmenbedingungen der Ökonomie festlegen und sein Institutionengefüge in den Dienst von 'Fortschritt' und 'Entwicklung' 403

stellen, dessen zentrale Protagonisten eben private Unternehmer und Märkte sind. Darüber hinaus kommt dem Staat die Rolle zu, für 'Stabilität' zu sorgen und die 'makroökonomischen Gleichgewichte' aufrechtzuerhalten. Daneben soll er - im Rahmen der liberal-marktwirtschaftlichen Prinzipien - für die Bekämpfung der Armut zuständig sein. In den Regionalabkommen wird der 'subsidiäre Staat' direkt erwähnt, der private Initiative nicht hemmen und alle Aktivitäten, die Individuen und gesellschaftliche Gruppen in Eigenregie übernehmen könnten, diesen überlassen soll. Im Sinne ordoliberaler Vorstellungen ist der Staat für die Vermeidung von 'Marktverzerrungen' infolge monopolistischer Praktiken, den Erhalt der natürlichen Umwelt und die Förderung einer gerechteren Einkommensverteilung zuständig. Konkrete Beschlüsse Auf der Grundlage der oben genannten allgemeinen Leitlinien enthielten die verschiedenen Übereinkommen auch eine Reihe konkreter Beschlüsse. Bezüglich des 'Marco de Referencia' bzw. des 'Acuerdo Marco' sind zu erwähnen: - die Bildung paritätisch besetzter 'technischer' Kommissionen im Bereich der Kollektivverhandlungen und der Arbeitsbeziehungen; - die gemeinsame Unterstützung für ein Regierungsgesetz zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 26.000 Pesos zum 1.6.1990 (nominal + 44%); - die Erhöhung der Familienzuweisungen und verschiedener Pensionsarten mit Inflationsausgleich sowie die Bezahlung der verschiedenen Reformen der Regierung über eine Steuerreform, ohne die 'fiskalischen Gleichgewichte' zu gefährden; - die Festigung gemeinsamer Initiativen in diversen Bereichen des Arbeits- und Wirtschaftslebens und die Bekräftigung eines permanenten Willens zum Dialog. Daneben sahen die drei anderen Abkommen teils weiterreichende, teils variable Vereinbarungen vor, wie etwa - die Konstituierung von Arbeitsgruppen für gemeinsame Initiativen zur Erhöhung des Erziehungs- und Ausbildungsniveaus (so die 'Declaración de Valdivia')] - die Erhöhung des Minimallohns auf 30.000 Pesos und die Erfüllung der Arbeitsgesetzgebung in bezug auf Arbeitsverträge, 48-Stunden-Woche, Bezahlung von Überstunden, Respektierung der Gewerkschaftszugehörigkeit und Respektierung der 'Würde' des Arbeiters (so die 'Declaración de Iquique'); - die Empfehlung an alle Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, die untere Lohngrenze unter Berücksichtigung von Zusatzzahlungen nicht unter 33.000 Pesos sinken zu lassen (so die Übereinkunft der metallverarbeitenden Industrie und der entsprechenden Zweiggewerkschaften).12 Siehe die einzelnen Punkte des Dokuments bei CIASI, Documentos de la concertación sindical/empresarial, a.a.O.

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Bedenkt man, daß der 'Marco de Referenda.' und der 'Acuerdo Marco' zwei Übereinkünfte sind, die nicht nur die gegenseitigen Handlungsspielräume der Unternehmer und der Gewerkschaften (in geringerem Maße auch des Staates) festlegten, sondern den Rahmen für nachfolgende Verhandlungen zwischen den einzelnen sozialen Akteuren absteckten, so muß abschließend auf zwei Punkte hingewiesen werden. Erstens reflektieren die Vereinbarungen ganz deutlich den erreichten Grad der Hegemonie der großen Unternehmerverbände und ihrer pragmatisch neoliberalen Politik sowie die Schwächung der Gewerkschaften nicht nur in bezug auf aktuelle sozioökonomische Fragen, sondern auch im Vergleich zum status quo ante. Zweitens kommt sowohl dem 'Marco de Referencia' wie auch dem 'Acuerdo Marco' aufgrund des begrenzten Organisation- und Repräsentationsgrades der vertragschließenden Verbände nur eine eingeschränkte Legitimität zu. Die COPROCO repräsentiert nur einen Bruchteil der Unternehmer des Landes; ein Großteil der Unternehmen ist entweder gar nicht organisiert oder findet sich in den Verbänden der kleinen und mittleren Unternehmer. Wenn auch die Verbände der Großunternehmer beträchtliche ökonomische Bedeutung haben und ihre ideologische Ausstrahlungskraft auf andere Unternehmenssektoren beachtlich sein mag, bleibt rein organisatorisch ihre Repräsentativst doch eingeschränkt. Ähnliches läßt sich für die Gewerkschaften sagen. Nach den gewaltsamen Umstrukturierungen von Ökonomie und Gesellschaft in den Jahren der Diktatur, die zu einer strukturellen Schwächung der Gewerkschaften führten, sowie durch das langjährige Verbot der Verbände der Arbeiterbewegung bedingt, repräsentierten diese gegen Ende der 80er Jahre gerade noch 10% der erwerbstätigen Bevölkerung. Wenn zwar hier ebenfalls eine gewisse Solidarität mit den Vereinbarungen über den Kern der Organisationen hinaus unterstellt werden kann, so ist die Repräsentativst doch auch in diesem Sektor stark gemindert. Die Bedeutung der Rahmenabkommen für die Gesamtgesellschaft muß daher insofern relativiert werden, als weite Teile der Bevölkerung weder direkt noch indirekt an ihnen beteiligt waren. 13 Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß für die Unternehmer die Verbände nur eines von verschiedenen Instrumenten der Interessenartikulation sind, so daß im Falle der Abweichung von den verhandelten Resultaten unabhängig von den Verbänden weitere Mittel und Wege der Interessenwahrung zur Verfügung stehen. Die Gewerkschaftsmitglieder sind dagegen zwingend auf positive Verhandlungsergebnisse ihrer Führungen angewiesen, da ihnen ansonsten effektive Alternativen aufgrund der Individualisierung fehlen. Dies ist auch unter dem Aspekt wichtig, daß die vereinbarten Dokumente zur Konzertierung lediglich Absichtserklärungen ohne bindenden Charakter darstellen. n

Vgl. G. Amagada, Los empresarios y la concertación social, in: PREALC, Política económica y actores sociales, Genf, 1988, S. 75-115; E. Tironi, Sindicalismo y concertación social. Alcances teóricos, in: PREALC, a.a.O., S. 45-74.

405

3.

Die Anpassungspolitik 1990

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit sah sich die Regierung Aylwin genötigt, der durch die starken Ausgabensteigerungen der Militärregierung in den Jahren 1988 und 1989 verursachten 'Überhitzung' der Ökonomie durch eine Politik der ökonomischen Anpassung zu begegnen, da es zu einem erheblichen Inflationsdruck gekommen war, der die favorisierten makroökonomischen Gleichgewichte bedrohte. Hinzu kamen Krisensignale aus dem externen Sektor (hoher Schuldendienst, Verfall der Exportpreise, restriktive Kreditfinanzierungsmöglichkeiten etc.), die dazu führten, daß die Regierung einseitig ohne korporative Abstimmung von März bis November 1990 eine ökonomische Anpassungspolitik verfolgte. 14 Die Unternehmer erklärten vor der Amtsübernahme der Regierung der Concertación, daß sie Vertrauen in die Wirtschaftspolitik und die ökonomische Entwicklung des Landes hätten, da die Regierung Aylwin ausdrücklich eine 'moderne' Wirtschaftspolitik mit wesentlichen Kontinuitätselementen zur Diktatur betreiben wollte. Wenn sie die Regierung selbst politisch auch nicht als Bedrohung empfanden, so sahen sie aber größere Gefahren durch populistischen Druck von unten, dem die Regierung möglichst entschieden entgegentreten sollte. Diesbezügliche Befürchtungen verflüchtigten sich jedoch mit einer Realpolitik, die keine Spielräume für populistische Experimente ließ. Entsprechend äußerten die Unternehmer zu Beginn des Jahres 1990 Wachstumserwartungen von 6% für die chilenische Ökonomie, die deutlich über den von der Regierung projektierten 4% lagen. Damit setzten die Unternehmer(verbände) auf die Ausschöpfung der Wachstumspotentiale der chilenischen Ökonomie ('Wachstum um jeden Preis'). Die Regierung war dagegen der Überzeugung, daß ohne eine Kontrolle der Inflation die gesamte mittel- und langfristige Wachstumsstrategie gefährdet sei. Da fiskalpolitische Instrumente zur Korrektur der Ungleichgewichte durch die noch bestehende Einschränkung der Handlungsspielräume der Regierung infolge der Auferlegung einer strikten fiskalpolitischen Austerität durch den Haushaltsentwurf des PinochetRegimes nicht in Frage kamen, griff die Regierung als zentralen Anpassungsmechanismus auf eine Geldpolitik mit hohen Zinssätzen zurück, die sie über die Zentralbank regulierte, um die interne Kreditnachfrage abzuschöpfen. Dies hatte einen direkten Einfluß auf den Wachstumsrhythmus der Ökonomie, der stark zurückging. Was die Notwendigkeit der Anpassung anging, so wurden sowohl die Sache an sich als auch die Mittel und Wege von Regierung und Unternehmern unterschiedSiehe zur Vorgeschichte J. Vial/A. Butelmann/C. Celedón, Fundamentos de las políticas macroeconómicas del gobierno democrático chileno (1990-1993), in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 30, 1990, S. 83-87; zur ökonomischen Notwendigkeit der Anpassung R. Ffrench-Davis, Desarrollo económico y equidad en Chile. Herencias y desafíos en el retorno a la democracia, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 31, 1991, S. 45-49.

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lieh eingeschätzt. Setzten die Unternehmer, wenn überhaupt, auf Anpassungspolitiken ähnlich denen des Militärregimes (Kürzung der Sozialausgaben und Reduktion des öffentlichen Sektors), was jeweils zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen eines Teils der Bevölkerung führte, so versuchte die Regierung Aylwin gemäß ihrer Philosophie eine Anpassung vorzunehmen, die in Übereinstimmung mit ihren anderen Zielen stand und mit größerer Verteilungsgerechtigkeit einherging, um schließlich erneut zu einem stabilen Wirtschaftswachstum zu gelangen. Fiskalpolitisch wirksam wurden auch die Steuerreform, die Ressourcen zum Staat transferierte, und eine Lohnpolitik, die eine Erhöhung der Mindestlöhne und Renten vorsah. Die Debatte um die Anpassungspolitik offenbarte zwei konträre Positionen. Während Regierung und Zentralbank zur energischen Inflationsbekämpfung eine äußerst umsichtige, schon beinahe konservative Anpassungsstrategie verfolgten, die zu einem drastischen Einbruch in den Wachstumsraten führte, schlugen die Unternehmer eine entschieden liberalere und expansivere Politik vor und kritisierten die offizielle Politik als exzessiv restriktiv.15 Die politische Option der Unternehmer bestand unter den gegebenen Umständen in einer 'sanften Anpassung', die weder die Investitionen, noch die Beschäftigung, noch die durchschnittliche Wachstumsrate der letzten Jahre entscheidend verändern sollte. Unter Führung der SOFOFA sprachen sich die Unternehmer offen gegen jegliche abrupten bzw. scharfen Anpassungsmaßnahmen aus. Was die verteilungspolitischen Effekte der Anpassung anging, traten sie für eine geringere Erhöhung der Minimallöhne ein, die die Ökonomie abfangen könne. Der Präsident der COPROCO wies für den Fall einer darüber hinausgehenden Erhöhung auf die möglichen rezessiven Effekte der Anpassungsmaßnahmen seitens der Zentralbank hin. Bis in das dritte Quartal 1990 hinein betonten die Unternehmer zudem den Schaden durch die hohen Zinssätze, wohingegen die Zentralbank ihre Zinspolitik aufrechterhielt und darauf verwies, daß die Inflationsgefahr keineswegs gebannt sei. Gleichzeitig verwarf sie aufgrund der befriedigenden Handelsbilanzüberschüsse eine Abwertung der Währung und hielt einen für den Exportsektor günstigen Wechselkurs aufrecht. 16 Trotz der unterschiedlichen Sichtweisen kamen während der Anpassungsperiode weder Alternativvorschläge, noch qualifizierten die Verbände die makroökonomische Politik als inkonsistent ab. Diskrepanzen beschränkten sich auf die Dauerhaftigkeit und die Intensität der Anpassungsmaßnahmen, die insbesondere durch die Verschärfung der Anpassungsstrategie im zweiten und dritten Quartal des Jahres zu einer wachsenden Beunruhigung der Unternehmer führten. Insbesondere die Cámara Chilena de la Construcción insistierte mehrfach auf festgelegten Zeiträu15

Siehe O. Muñoz/C. Celedón, a.a.O., S. 111. Vgl. zum folgenden M. Claude/R. Pizarra, Política económica y racionalidad en la conducta empresarial (Informe Preliminar), unveröff. Ms.

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men für die Anpassung und einer mittelfristigen Festlegung des Zinsniveaus, damit sich das Investitionsverhalten daran orientieren könne. Zudem sollte die Regierung über eine härtere Austeritätspolitik einen eigenen Beitrag zur Anpassung leisten. Die Anpassungspolitik erlebte ihre kritischste Phase, als sich das Wirtschaftswachstum zwar deutlich abschwächte, ohne daß allerdings die Inflation aufgrund externer Verursachungsfaktoren signifikant reduziert werden konnte.17 Der Präsident der COPROCO, Manuel Feliú, unternahm als erster einen Vorstoß, das Wachstum wieder zu erhöhen und dabei die Inflation in Kauf zu nehmen.18 Als Abgeordnete der Concertación die hohe Inflation der Preissetzungsmacht des Handels zuschrieben, reagierte der Sektor sofort. Die Cámara Nacional ele Comercio betonte, daß die Unternehmer immer schon auf die möglichen negativen Effekte dieser und anderer fiskalischer Maßnahmen der Regierung (wie der Steuerreform) hingewiesen hätten, und die höheren Inflationsraten nur darauf zurückzuführen seien. 1 ' Die Regierung setzte sich mit ihren langfristigen strategischen Überlegungen zur Stabilität der makroökonomischen Gleichgewichte gegenüber möglichen sektoralen oder korporativen Nachteilen zwar durch; dennoch forderten die Verbände immer nachdrücklicher, einen stärkeren Akzent auf das Wirtschaftswachstum zu legen. Seitens der Verbände wurde jetzt zusätzlich auf die mögliche Inkohärenz zwischen Wechselkurs- und Geldpolitik hingewiesen, wodurch bereits ein wachsender Devisenüberschuß entstanden sei. Die Asociación de Bancos forderte nachhaltige Reaktivierungsmaßnahmen für die Ökonomie und wies darauf hin, daß die Effekte der Anpassung sich bereits zur Genüge sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Unternehmern gezeigt hätten. Die Unternehmerverbände betonten, daß im Falle der Fortsetzung der Anpassungspolitik die Wachstumsziele des kommenden Jahres ebenfalls in Frage gestellt würden, was gänzlich untragbar sei, hohe Zusatzkosten verursache und zusätzliche stabilisierende Maßnahmen fiskalischer Art seitens der Regierung erforderlich mache. Zwar wurde zunächst die Anpassungspolitik noch aufrechterhalten, schließlich aber 'konsensual' unter zunehmendem Druck der Unternehmer im November von der Zentralbank offiziell für beendet erklärt, und die Zinssätze wurden wieder gesenkt. Sowohl die Regierungsseite wie auch die Untemehmerverbände projektierten für 1991 ein hohes Wirtschaftswachstum und eine stark abnehmende Inflationsrate. Was die sozialen und redistributiven Effekte der Anpassungspolitik betraf, schwächte sich zwar die Arbeitsmarktdynamik leicht 17 | Q 10

19

SieheO. Mufloz/C. Celedón, a.a.O., S. 115 f. "No se ha logrado el efecto esperado en el control de la inflación, esta sigue en un ritmo deseado, lo que tiene causas más bien cambiarías que monetarias ... lo que más preocupa es el ingreso a un ritmo mediocre de crecimiento, que podría llegar a ser nulo de mantenerse la situación actual. Eso es más peligroso que una inflación desbocada." El Mercurio 4/7/1990. Vgl. El Mercurio 5/7/1990.

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ab, dafür kam es aber zu realen durchschnittlichen Lohnzuwächsen, so daß sich gegen Ende des Jahres das Wachstum der Kaufkraft in Übereinstimmung mit der Produktivität entwickelte. 20 Da die Investitionen sich während des gesamten Anpassungsprozesses günstig entwickelten, konnten die von der Regierung für das Jahr 1991 festgelegten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen (stabiler Wachstumsprozeß mit größerer sozialer Gerechtigkeit, Konsolidierung der institutionellen Stabilität, weitergehende Öffnung zum Weltmarkt, Aufrechterhaltung zentraler makroökonomischer Gleichgewichte und Zurückweisung populistischer Experimente) allesamt erreicht werden, und sie bewegten sich wieder im Rahmen der Vorstellungen der Unternehmerverbände. Die Ausgabenpolitik des Staates wurde eng begrenzt, und die Zentralbank sorgte dafür, daß die Ökonomie nicht über ihre produktiven Kapazitäten hinaus wuchs. Im weiteren Verlauf der Entwicklung stellte sich mit der günstigen wirtschaftlichen Performanz eine zunehmende Kritik der Unternehmerschaft ein, die auf die Verbindung von Geld- und Wechselkurspolitik seitens der Regierung abzielte. Insbesondere die hohen Devisenreserven der Zentralbank lösten Debatten über die Auswirkungen und Möglichkeiten des 'neuen Reichtums' aus, die einmal um den permanenten oder transitorischen Charakter der Gelder kreisten, zum anderen die Verwendungsmöglichkeiten der Devisenreserven und die sich damit eröffnenden Perspektiven für die Ökonomie in den Mittelpunkt rückten. Wichtige Segmente des Privatsektors bezeichneten die Haltung der Regierung und die selektive Verwendung der Mittel als 'zurückhaltend' und 'furchtsam' und forderten eine weitere Liberalisierung des Außenhandels in Form einer Öffnung der Kapitalbilanz und größerer Wechselkursfreiheiten, wohl wissend, daß diese Maßnahmen bestimmten Zielsetzungen der Regierung, wie der Stabilität der Wechselkurse, einer adäquaten Finanzierung der Zahlungsbilanz und Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten seitens des Staates, diametral entgegenstanden. Die Regierung reagierte darauf mit einer weiteren Liberalisierung und Flexibilisierung bestehender Bestimmungen. 21

20 21

Vgl. M. Claude/R. Pizarro, a.a.O., S. 10 f. Es handelt sich dabei um die Erlaubnis einer Beteiligung der Banken an den Versicherungsgesellschaften und AFPs, die Ermöglichung von Auslandsgeschäften seitens der AFPs, Flexibilisierung der Gesetze für chilenische Investitionen im Ausland, Erleichterung von Exportaktivitäten, geringere Besteuerung auf Einkünfte in ausländischen Währungen, Erhöhung des Teils der Einlagen, der im Außenwirtschaftsverkehr seitens der Banken eingesetzt werden darf, begünstigende Bestimmungen für das Auslandskapital und die Liberalisierung der Devisenmärkte. Siehe M. Claude/R. Pizarro, a.a.O., S. 15 ff., die dazu Stellungnahmen der Untemehmerverbände aufgelistet haben.

409

4.

Die Steuerreform

Die Steuerreform22 stellte zusammen mit der Reform der Arbeitsgesetzgebung einen zentralen programmatischen Punkt in den Forderungen der Parteien der Concertaciön dar. 23 Mit beiden Reformen beabsichtigte die Regierung einerseits, einen Schritt in der Transformation der von der Diktatur hinterlassenen Institutionalität voranzukommen, und andererseits, Elemente größerer Gleichheit (equidad) in das übernommene Wirtschaftsmodell einzufügen. Die Ökonomie sollte nach Ansicht von Regierungsvertretern nicht nur 'modern' und 'effizient', sondern auch 'solidarischer' organisiert werden, wozu die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft gemäß ihren Möglichkeiten beitragen sollten. Das Hauptziel des Steuerreformprojekts der Regierung bestand angesichts ihrer eingeengten Handlungsspielräume in der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen für eine Erhöhung der Sozialausgaben zugunsten der ärmsten Bevölkerungsschichten. Deren Umfang hatte sich wesentlich als Folge der Politik der Militärdiktatur auf knapp 50% der Bevölkerung ausgeweitet. Von diesen wiederum lebte ein nicht unbeträchtlicher Teil in extremer Armut. Um die 'makroökonomischen Gleichgewichte' nicht zu gefährden, konnte der Staat zusätzliche Mittel nicht über eine Defizitfinanzierung aufbringen, sondern nur über eine höhere Besteuerung.24 Um eine solche Steuerreform aber erfolgreich - d.h. gegen den Widerstand der Unternehmer - durchzusetzen, bedurfte sie nicht nur der Zustimmung des Kongresses, sondern auch deijenigen Gesellschaftsschichten, die einen Großteil der Mittel bereitstellen sollten: Unternehmer und höchste Einkommensbezieher. Gemäß ihrer politischen Philosophie versuchte die Concertaciön, über Verhandlungen mit der Opposition zu einer entsprechenden Übereinkunft zu gelangen. Die Steuerreform hatte einen eminent politischen Charakter, weil sie einen der ersten Testfälle für den neuen demokratischen Geist der Kooperation und Verständigung zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten darstellte und einer Mehrheit im Senat bedurfte. Bereits vor der Amtsübernahme appellierte der zukünftige Finanzminister Alejandro Foxley an die Solidarität aller Chilenen, um die Lebensbedingungen der Ärmsten zu verbessern, und kündigte eine Steuerreform in diesem Sinne an. Ein ursprünglicher Entwurf, der eine Erhöhung der Steuersätze auf die einbehaltenen Gewinne der Unternehmer von 10% auf 15%-20%, eine stärkere Steuerprogression, die Herstellung einer größeren Effizienz der Besteuerung und damit einer höheren Steuergerechtigkeit vorsah, wurde noch vor der Amtsübernahme der neuen

23

24

Siehe zum folgenden grundsätzlich L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 37-49. Vgl. C. Celedón/O. Muñoz, La política económica durante la transición a la democracia en Chile 1990-1992, in: Estudios Sociales, Num. 75, 1993, S. 77-95. Siehe M. Maicel, El financiamiento del gasto social, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 31, 1991, S. 53-60.

410

Regierung im März 1990 sowohl der größten Oppositionspartei Renovación National wie auch der COPROCO zur Prüfung zugeleitet. Damit war ein Appell zur 'Mäßigung' und Unterstützung verbunden. Die Unternehmer versuchte Foxley mit dem Argument zu gewinnen, sie müßten ein großes Interesse an der Reform haben, da nur so die Aufrechterhaltung langfristiger sozialer und ökonomischer Stabilität im Lande möglich sei. Außerdem müßten sie eine simple Verteidigungshaltung ihrer partikularen Interessen aufgeben, um zum Wohl der Bevölkerungsmehrheit beizutragen.25 Die erste Reaktion der Unternehmer war negativ und bestand in der Zurückweisung der Vorschläge der Regierung. Die Unternehmerverbände kritisierten dabei nicht so sehr die Ausweitung der Sozialausgaben für die Ärmsten, sondern v.a. die Art und Weise, wie die Mittel dafür aufgebracht werden sollten. Die Kritik konzentrierte sich auf den zentralen Punkt des Reformprojekts: die Besteuerung der Unternehmensgewinne. Über die unmittelbaren wirtschaftlichen Kosten der Reform für die Unternehmer hinaus war deren Position aber auch mit einem stärker politischen Faktor und grundsätzlichen Prinzip verbunden: nämlich der Kritik an einer möglichen Rückkehr zum Etatismus und der Bedeutung privater Investitionen als einziger Legitimations- und Effizienzressource des Wirtschaftswachstums. Um dies gebührend hervorzuheben, versteiften sich die Unternehmer auf eine Kritik an der Größe und Dimension des Staates, an seiner angeblich ineffizienten Ressourcenaufbringung und v.a. der -Verwendung. Statt einer zusätzlichen Belastung der Unternehmen, die positive Investitionshaltungen entmutige, könne der Staat Ressourcen über die weitergehende Privatisierung von Staatsunternehmen und eine größere Austerität mobilisieren. Damit verschob sich zeitweilig die Debatte um die Steuerreform auf die Rolle des privaten Unternehmertums und des Staats in bezug auf die Garantie eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Die Unternehmer hoben dabei immer einseitig die Privatinitiative hervor und qualifizierten die Rolle des Staates pauschal ab. Nur das private Unternehmertum sei für Investitionen zuständig, was zugleich sein fundamentaler Beitrag zur Verbesserung der ökonomischen Situation des Landes sei. Die einzig wirklich effiziente und legitime Form zur Verbesserung der Lebensbedingungen der großen Masse der Bevölkerung bestünde in der Ausweitung produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten, die wiederum nur durch höhere Investitionen und hohes Wirtschaftswachstum erreicht werden könne. Entsprechend dürften diese Mittel nicht besteuert werden. Das Wirtschaftsmodell müsse grundsätzlich die Bedingungen für rentable Investitionen sicherstellen und alles vermeiden, was selbst mit guten Absichten gegen dieses Ziel verstoße. Der Staat habe sich in den Konzertierungsdokumenten verpflichtet, politische und soziale Bedingungen "... si uno quiere tener estabilidad a largo plazo en un pafs, hay que contribuir al bienestar de la mayoría para que esta se sienta contenta o satisfecha y dispuesta a hacer un esfuerzo productivo." So Foxley am 1/2/1990 in El Mercurio. 411

zu garantieren, damit sich private Investitionen entfalten könnten. Entsprechend müsse er seine Ausgaben umstrukturieren, um verfügbare Ressourcen auf die Sozialpolitik zu konzentrieren.26 Der Präsident der COPROCO, Manuel Feliú, betonte, die Durchführung der Steuerreform sei absolut negativ für das Land. Die Unternehmer dürften nicht entmutigt, sondern 'private Investitionen' müßten begünstigt und 'öffentliche Ausgaben' beschnitten werden. Die Lösung bestände nicht in höheren Steuern auf die Gewinne der Unternehmen, sondern in der Verringerung fiskalischer Ausgaben und damit in einer größeren Austerität des Staates.27 Andere Unternehmensführer äußerten sich ähnlich. Sie übernahmen die Argumentation der Regierung insofern, als sie auf die Notwendigkeit einer höheren Ressourcenmobilisierung für Sozialprogramme hinwiesen; diese sollte aber nicht über eine Gewinnbesteuerung erfolgen, die sie als Bestrafung unternehmerischen Handelns ansahen. Insbesondere Fernando Agüero (Präsident der SOFOFA) wies wiederholt auf den seiner Meinung nach falschen Mechanismus der Ressourcenaufbringung hin, der nicht vereinbar sei mit der Notwendigkeit, die Investitionen zu erhöhen, und schloß sich der Argumentation von Feliú an. Zudem verwies er zustimmend auf eine Initiative der Cámara Nacional de Comercio, die eine zeitweilige Erhöhung der Mehrwertsteuer als 'klareren, effizienteren und schnelleren Modus' der Erhöhung der Einnahmen des Staates vorgeschlagen hatte, über die sich zudem unter den beteiligten Sektoren leicht Einverständnis erzielen ließe. Falls in dieser Angelegenheit überhaupt Unternehmen belastet würden, müßte auch der Konsum stärker besteuert werden. In eine ähnliche Richtung zielte auch die Argumentation von José Antonio Guzmán (Präsident der Cámara Chilena de la Construcción), der zwar ebenfalls die Legitimität von Ressourcenmobilisierungen für den Staat nicht grundsätzlich in Abrede stellte, aber betonte, daß nicht über höhere Steuern, sondern über eine Verbesserung und Effizienzsteigerung der Besteuerung gleiche Effekte erzielt werden könnten. Der Präsident der Cámara Nacional de Comercio, Daniel Platovsky, wies auf die Möglichkeiten einer Verringerung der Steuerhinterziehung und eines damit einhergehenden, effizienteren Steuersystems hin, die einen Teil des geplanten Reformprojekts überflüssig machen könnten. Während im folgenden die CUT und ihr Präsident Manuel Bustos die vorgesehene Steuerreform der Regierung unterstützten, beharrte Manuel Feliú auf seiner ablehnenden Haltung. Nach einer Versammlung mit allen Führern der Zweigverbände der COPROCO erklärte er dagegen die Bereitschaft der Unternehmer, einen Teil der

26 27

Siehe L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 38 f. "Hay que aumentar la inversión, y no pasar recursos del desarrollo productivo - que es lo que hace el sector privado - a gasto, que es lo que hace el ñsco." So Manuel Feliú in El Mercurio vom 8/2/1990.

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von der Regierung benötigten SSO Mio. US-$ bereitzustellen, falls damit eine höhere Besteuerung abgewendet werden könne.2® Die neue Regierung brachte ihren Gesetzentwurf rasch im Parlament ein, ohne daß sich ihre ursprüngliche Absicht, entsprechend dem Konzertierungsprozeß konsensual die Unterstützung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zu erhalten, verwirklichen ließ, da sie bei diesen Gruppen nur über partiellen Rückhalt verfügen konnte. Die Unternehmer lehnten das Reformprojekt weiterhin ab und bestanden darauf, daß vor dem parlamentarischen Weg ein Konsens unter den beteiligten Akteuren erzielt werden sollte. So erhofften sich die Unternehmer größere Mitspracherechte und Einflußmöglichkeiten, zumal die Regierung im Parlament mit der konservativen Oppositionspartei Renovación Nacional zusammenarbeitete. Die Gewerkschaften unterstützten zwar das Projekt, wiesen aber gleichzeitig darauf hin, daß eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auch die ärmsten Bevölkerungsschichten treffe, denen ja gerade die Reform zugute kommen solle, und daher partiell kontraproduktiv sei. Sie erinnerten die Regierung an versprochene Kompensationsleistungen für den Fall einer Erhöhung der Mehrwertsteuer (wie erhöhte Familienzuweisungen, Anhebung der Minimallöhne, Ausgabe von Gutscheinen zur Verbilligung von öffentlichen Transportmitteln etc.), die nicht mehr zur Debatte standen. Gleichzeitig forderte Bustos einen höheren Beitrag der Unternehmer zugunsten der Arbeiter, da jene in den letzten Jahren spektakuläre Gewinne gemacht hätten, die dies mehr als rechtfertigten. Bereits in der zweiten Märzhälfte 1990 zeichnete sich eine Übereinstimmung zwischen Regierung und Renovación Nacional ab. Die Oppositionspartei machte ihre Zustimmung allerdings von einer Zusage zur künftigen 'Mäßigung* der Regierung in Steuerfragen sowie von einem 'ausgewogenen' Vorschlag bezüglich der Lastenverteilung abhängig. Die Form, in der diese schließlich erreicht wurde, bestand darin, sowohl die Gewinne (und damit mögliche Investitionen) als auch den Konsum zu besteuern. Für eine Verabschiedung im Parlament einigte man sich schließlich auf das folgende Gesetzespaket, das clort die notwendigen Stimmen von Renovación Nacional erhielt: - Erhöhung der Steuern auf die Unternehmensgewinne im ersten Jahr auf 10%, im zweiten und dritten Jahr auf 1S%, und anschließend erneute Absenkung der Steuerquote auf 10% im vierten Regierungsjahr. - Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16% auf 18%, was eine geringere Besteuerungsnotwendigkeit der Gewinne der Unternehmen bedeutete. - Gestaltung der Steuerprogression dergestalt, daß Einkünfte bis 100.000 Pesos steuerfrei bleiben, daß Einkünfte von 100.000 bis 300.000 Pesos nur gering

28

Siehe dazu L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 38 ff.

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besteuert werden, so daß auf Einkünften über 300.000 Pesos der Schwerpunkt der steuerlichen Belastung liegt. Die zusätzlichen Steuermittel sollten ausschließlich in Sozial- und Hilfsprogramme zugunsten der ärmsten Bevölkerungsteile fließen. Unión Democrática Independiente (UDI) und SOFOFA wiesen die erzielte Übereinkunft zwischen RN und Regierung zurück. Obwohl sich die UDI mit der Zielsetzung der Reform anfreunden konnte, so doch nicht mit der vorgeschlagenen Herkunft der zusätzlichen Mittel. Der Präsident der SOFOFA, Fernando Agüero, forderte die Regierung auf, solange zu verhandeln, bis man einen Kompromiß erzielt habe. Agüero betrachtete die Steuerreform als unverhältnismäßig hohe Belastung der Unternehmer und ihrer Gewinne, die die bestehende Steuerstruktur tiefgreifend verändere. Diese Struktur wurde von ihm als wesentlicher Wachstumsimpuls der letzten Jahre betrachtet, so daß mit der Steuerreform zukünftig eine schwere Hypothek auf der Industrie laste.29 Für die Sozialprogramme müsse die Regierung eine 'gesunde' Finanzierung finden, die nicht darin bestehen könne, daß 60% der zusätzlichen Mittel von den Unternehmern aufgebracht würden. Es liege in der Verantwortung des Staates und nicht der Unternehmer, mittels sozialer Vorsorge und entsprechender Programme für die Ärmsten zu sorgen. Als Quelle der Mittelbeschaffung könne der Staat selbst dienen, und zwar mittels einer 'Rationalisierung seiner Ausgaben', einer 'Entschlackung' hinsichtlich derjenigen Aufgaben, die Privatleute ebenso gut oder besser erfüllen könnten, und einer anderen Verwendung seiner erhöhten Einnahmen aus dem Kupfergeschäft. Angesichts der Finanznöte des Staates sei es mehr als diskutabel, wenn seine Ausgaben weiter stiegen und staatliche Beteiligungen an 'gemischten Unternehmen' aufgestockt würden. Mitte Mai legte die SOFOFA ihre Kritik gegenüber der Steuerreform der Finanzkommission des Senats dar: "Consideramos que el gobierno no está haciendo los esfuerzos necesarios; antes que recurrir a impuestos a las familias y a las empresas, debería redistribuir el propio presupuesto del Estado, debido a que el Estado, hoy cuenta con los niveles históricamente más altos de recursos que haya tenido. El Estado podría destinar esos recursos para satisfacer las necesidades sociales ... La economía nacional está atravesando por un delicado proceso de ajuste en que la actividad se está resistiendo. Es muy probable que el segundo semestre pueda decrecer la actividad industrial. El desempleo estaría aumentando. La Reforma Tributaria podría

^ Wie stark ideologisch derartige Positionen geprägt sind, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß das Steuemiveau in Chile zu den niedrigsten in Lateinamerika gehört und Besitzeinkommen und Kapitaleinkünfte extrem niedrig besteuert werden. Steuerfragen sind immer auch Machtfragen. Die angeblich zu hohe Steuerbelastung der Unternehmen war ohnehin eine Dauerklage der Unternehmerverbände.

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significar un aumento de los problemas que está pasando en este momento la economía nacional."3® Joaquín Lavin (UDI) widersetzte sich der Steuerreform ausgerechnet mit dem Argument, daß die selbst innerhalb der Concertación umstrittene Erhöhung der Mehrwertsteuer hauptsächlich die Ärmsten treffe, die keine Möglichkeiten hätten, sich der Steuererhöhung zu entziehen. Diese vorgebliche Sorge um die Ärmsten wurde aber schnell durch die Sorge um die Gewinnbesteuerung der Reichen abgelöst. Für den Fall der Verabschiedung des Gesetzespakets drohte er mit möglichen Formen des 'zivilen Ungehorsams' seitens der Unternehmer: "Las empresas y los más ricos saben cuidarse. Probablemente en el futuro los balances de las empresas mostrarán menos utilidades. Los empresarios saben que hacer cuando aumentan los impuestos."31 Auch Lavín empfahl den Rückgriff auf andere Mittel des Staates (z.B. die Stabilisierungsfonds für die Kupferpreise, die Verkleinerung des 'aufgeblähten' Staatsapparates etc.). Der Präsident der Cámara Nacional de Comercio, Daniel Platovsky, drückte dagegen seine Zustimmung zur Steuerreform aus. Sie ziele auf die Verbesserung der sozialen Lage der ärmsten Bevölkerungsschichten und reflektiere durchaus die Besorgnisse der Unternehmer, indem sie deren Gewinne so gering wie möglich besteuern würde. Auswirkungen auf das Investitionsverhalten seien zwar nicht auszuschließen, würden aber dadurch in Grenzen gehalten, daß die Steuerreform lediglich temporären und punktuellen Charakter habe und die Armut auf diese Weise nicht effektiv bekämpft werden könne. Innerhalb der Cámara Nacional de Comercio gab es aber auch kritischere Stimmen, die insbesondere auf die negativen Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung für die Konsum- und Absatzmöglichkeiten abhoben und sich Argumente der UDI bezüglich der Gewinnbesteuerung zu eigen machten. Auf mögliche Absatzrückgänge infolge der Preissteigerungen wies auch der Präsident der Confederación de Comercio Detallista, Patricio Aedo, hin. 32 Die Haltung der Unternehmer zur Übereinkunft zwischen Regierung und Renovación Nacional war also nicht einheitlich. Manuel Feliú betonte nach der endgültigen Verabschiedung des Gesetzespakets die politische Bedeutung der Übereinkunft für die Stabilisierung der Spielregeln der Demokratie und die wechselseitige Anerkennung der Akteure. Er sah in der Vereinbarung unter strategischen Aspekten einen politischen Gewinn für die Unternehmer, der ihre erhöhten ökonomischen Kosten aufwog. 33 Die einzige konkrete Forderung seinerseits an die Regierung 30 31 32 33

So der Repräsentant der SOFOFA, Jaime Alé, in El Mercurio vom 16/5/1990. Joaquín Lavin, zitiert nach L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 45. Siehe entsprechende Äußerungen bei L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 45 f. "Desde el punto de vista del país, lo más interesante es que se haya logrado un consenso entre los dos grupos políticos más importantes del país, y el hecho de que se está enfrentando la realidad en el marco de grandes entendimientos entre diferentes sectores. Lo que en verdad

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blieb eine große Transparenz in der Verwendung der zusätzlichen Mittel des Staates. Selbst wenn die Reform in der einen oder anderen Weise das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigungshöhe und die Löhne beeinflussen könne, sei damit doch die stabile ökonomische Entwicklung des Landes garantiert. Der Präsident der Cámara Chilena de la Construcción, José Antonio Guzmán, sah in der Steuerreform einen ausgewogenen Versuch, sowohl Unternehmer als auch Konsumenten gleichmäßig zu belasten, der das Investitionsverhalten nicht signifikant beeinflussen werde. Führende Vertreter der grupos económicos betonten zudem, daß eine Besteuerung in der vorgesehenen Höhe tragbar und aus Legitimationsgründen angesichts der sozialen Situation im Lande auch erforderlich sei. 34 Mit der Steuerreform sollte auch eine Reform der bis dato gültigen renta presunta einhergehen, die v.a. den Widerstand des Agrarsektors hervorrief. Die Debatte drehte sich im Kern darum, ob die Agrarunternehmen - wie auch die Unternehmen im Kupfer- und Bergbausektor generell • weiterhin auf der Basis antizipierter Gewinne besteuert würden, wofür die Agrarier in ihrer großen Mehrheit eintraten, oder ob die Besteuerung aufgrund der realen Einkünfte und Gewinne der Landwirtschafts- und Bergbauunternehmungen erfolgen sollte, wie die Regierung mit ihrer Reform anstrebte. Damit intendierte sie eine höhere Steuergerechtigkeit und eine geringere, 'offiziell' geduldete Steuerhinterziehung. Die erwarteten zusätzlichen Einnahmen sollten ebenso teilweise für Sozialprogramme bereitgestellt werden. Gegen die beabsichtigten Reformen der Regierung artikulierte die SNA ihre Opposition am schärfsten. Die Hauptargumente der SNA für die Beibehaltung des bestehenden Besteuerungsprinzips können wie folgt zusammengefaßt werden: - Die Schwierigkeiten, die im Agrarsektor anfallenden Renten angemessen zu verbuchen, würde eine Umstellung des Systems schwierig machen, die Besteuerung erschweren und die Steuerflucht begünstigen. - Da der größte Teil der Investitionen im Agrarsektor auf Basis der renta presunta kalkuliert und vorgenommen würde, veränderte ein Wechsel dieses Systems nicht nur gewohnte Gewinnmargen, sondern ziehe auch die Performanz der Unternehmen in Mitleidenschaft. - Die Schwierigkeiten mit der Umstellung des Buchungs- und Besteuerungssystems würden zudem nicht annähernd die erwarteten Resultate des neuen Systems aufwiegen. Die Regierung selbst habe anerkannt, daß der zusätzliche Betrag des Agrarsektors bei einer Änderung des Besteuerungssystems 7 Mio. US-$ nicht überinteresa es la estabilidad de las reglas del juego y el hecho de que esas reformas se aplicarán en forma transitoria, y que una vez superado el problema que las generó, la situación volverá a la normalidad." Manuel Feliú, La Epoca 28/3/1990. Siehe C. Montero, El actor empresarial en transición, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 37, 1993, S. 62. 416

schreiten würde, was relativ unbedeutend wäre, wenn man die zusätzlichen Kosten der Umstellung und die 'Reibungsverluste' einbezöge. 35 Dieser Argumentation schlössen sich andere Verbände wie die FEDEFRUTA und die Asociación Gremial de Agricultores de Nuble an. 3 6 Die Kritik der Agrarier vermied zwar die offene Konfrontation mit der Regierung und erkannte grundsätzlich die Notwendigkeit höherer Sozialausgaben an, dennoch waren die in der Argumentation enthaltenen impliziten Drohungen nicht zu übersehen. Aufgrund des Drucks und der Geschlossenheit der Agrarverbände herrschte bereits auf der ENAGRO '90, dem größten Treffen von Agrarunternehmern und Regierungsvertretern, eine Atmosphäre gegenseitiger Verständigung und Kompromißbereitschaft vor. Diese läßt sich dadurch erklären, daß die Agrarier (insbesondere die SNA) merkten, daß die Regierung nicht auf der Umsetzung um jeden Preis bestand und zu Konzessionen bereit war, falls die Agrarier im Gegenzug ihre 'Opposition' gegen die allgemeine Steuerreform in Grenzen hielten. Da diese aber unterschiedslos auf alle Sektoren der Volkswirtschaft abzielte und den mittelfristigen ökonomischen Interessen der Agrarier keineswegs entgegenstand, hatte die neutralere Haltung gegenüber der Reform für sie den politischen Vorteil, sich nicht erneut ein antidemokratisches Image aufdrücken lassen zu müssen und als reaktionär zu erscheinen, zumal die Reformmaßnahme in der Bevölkerung breite Unterstützung fand. Damit wurde die für die Agrarier vorteilhafte renta presunta aufrechterhalten. 37 Die durch einen politischen Kompromiß zwischen Regierungsparteien und Renovación Nacional möglich gewordene Steuerreform wurde schließlich vom Kongreß verabschiedet und trat zum 1.7.1990 in Kraft. Sie wurde auch von denjenigen sozialen Akteuren, die gegen die Reform votiert hatten, als Faktum akzeptiert, da ein weitgehender Konsens über die Notwendigkeit einer Erhöhung der Sozialausgaben bestand. Damit konnte die Regierung die Sozialausgaben im Haushaltsjahr 1992 real um 10% steigern. Die einzige politische Kraft, die ihre Kritik an der Reform weiterhin aufrecht erhielt, war die UDI. Führende Vertreter dieser Partei (wie Hernán Büchi) suggerierten, daß die niedrige Investitionsrate 1991 und das langsamere Wachstum der Arbeitsplätze direkte Folgen dieser Reform seien und sie in der Konsequenz gerade die Ärmsten träfen. Demgegenüber wiesen Regierungsvertreter darauf hin, daß jene aus einer Mißperzeption der Unternehmerschaft und ihrer zögerlichen Investitionshaltung resultierten. Zum Ende der Regierungszeit der ersten demokratischen Regierung wiesen die Unternehmerverbände allesamt mit 35 36

37

Vgl. L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 48. Der Präsident der FEDEFRUTA, Ricardo Aritzia, behauptete, daß die Aufhebung der renta presunta "va a significar aumento del costo y pérdida de tiempo, va a gravar a todos y no va a beneficiar a nadie." El Mercurio 12/4/1990. Vgl. P. Silva, Landowners and the State, a.a.O., S. 285 ff.; und C. Celedón/O. Muñoz, a.a.O., S. 88.

417

Nachdruck darauf hin, daß die Rückkehr zur ursprünglichen Situation vor 1990 unbedingt einzuhalten sei.-'8

5.

Die Reform der Arbeitsgesetzgebung

Die Reform des 1979 vom Militärregime erlassenen Código de Trabajo stellte ein weiteres Schlüsselelement in der Politik der demokratischen Regierung Aylwin dar, die auf die Abmilderung der gesetzlich verankerten Schwäche der Gewerkschaftsbewegung und ihrer geringen Verhandlungsmacht gegenüber den Unternehmern abzielte. Für eine langfristige Stabilität des Landes und friedliche, konfliktfreie Arbeitsbeziehungen sei im Sinne einer größeren Verteilungsgerechtigkeit nicht nur eine Erhöhung der Reallöhne dringend geboten, sondern auch eine Verbesserung des Beschäftigungsschutzes und eine gegenseitige Anerkennung der legitimen Vertretungsorgane von Arbeitern und Unternehmern. Mit der Reform der Arbeitsgesetzgebung sollten die bestehenden Diskriminierungen für die Gewerkschaften abgeschafft und die Verhandlungs- und Tarifautonomie zwischen Unternehmern und Gewerkschaften hergestellt werden, ohne zum früheren konfrontativen, vielfältig ideologisierten und wenig flexibilisierten Zustand der Arbeitsbeziehungen zurückzukehren. 39 Die Arbeitsreform war somit nicht nur ein Hauptantriebsmotiv für den sozialen Konzertierungsprozeß der Jahre 1989-90, sondern auch eine der mit größtem Nachdruck vertretenen Forderungen der Gewerkschaftsbewegung. Demgegenüber verteidigten die Unternehmerschaft und ihre Verbände die aus der Diktatur übernommene Arbeitsgesetzgebung und bestanden auf ihrer unbedingten Aufrechterhaltung, da nur so das etablierte Wachstumsmodell sowohl in ökonomischer wie auch in institutioneller Hinsicht Kohärenz gewinne. Die Unternehmer betrachteten die Arbeitsbeziehungen als Kernpunkt des erfolgreichen Wirtschaftsmodells und die bestehenden Arbeitsgesetze als vollkommen zufriedenstellend. Da ihnen zudem fundamentale Bedeutung für das freie Marktmodell zukomme, würde eine Veränderung einer Bedrohung der gewünschten Stabilität gleichkommen. Mit diesen gegensätzlichen Positionen haftete der Reform auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen ein besonderes Konfliktpotential an und beschwor die Gefahr einer Radikalisierung der Meinungen einzelner sozialer Akteure herauf. 40

18 39

Siehe C. Montero, El actor empresarial en transición, a.a.O., S. 62. Vgl. C. Celedón/O. Muñoz, a.a.O., S. 88-91. Siehe allgemein CIASI, El movimiento sindical y las relaciones laborales, Serie Documentos, Num. 8, Santiago, 1991; F. Echeverría, Movimiento sindical en la transición democrática. Sindicalización y institucionalidad laboral, SUR, Santiago, 1991; sowie I. Rojas, Las reformas laborales, in: Economía y trabajo en Chile, PET, Santiago, 1991.

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Die Regierung versuchte, wie im Fall der Steuerreform, mit Unternehmern (COPROCO) und Gewerkschaften (CUT) zu einem Grundkonsens und anschließender Übereinkunft zu gelangen, bevor ein Reformpaket auf den parlamentarischen Weg gebracht würde. Der gewichtigste Unterschied zur Steuerreform bestand darin, daß die Regierung diesmal weder von den Gewerkschaften noch von den Unternehmern den nötigen Rückhalt bekam und die entsprechenden Verhandlungen sich sehr viel komplexer als bei den vorangegangenen Reformvorhaben gestalteten. Die unterschiedlichen Positionen drückten sich auch in abweichenden Einschätzungen der Dringlichkeit der Reform aus. Während die Gewerkschaften auf eine schnelle Reform drängten, insistierten die Unternehmer auf einer vorherigen Einigung zwischen Gewerkschaften, Staat und Unternehmerverbänden im Rahmen der Konzertierung, die entweder extrem unwahrscheinlich oder äußerst langwierig sein würde. Die wesentlichen Punkte des Disputs drehten sich a) um die Beendigungsmöglichkeiten von Arbeitsverträgen, b) um die Reichweite von Kollektivverhandlungen, c) um das Streikrecht und d) um die Gewerkschaftsorganisation. Damit sollten die Arbeitnehmer nach Absicht der Regierung eine gewisse Stabilität der Beschäftigimg wiedererlangen, im Falle von Entlassungen Entschädigungen erhalten, das Streikrecht zurückgewinnen, ohne im Fall von Streiks um ihren Arbeitsplatz furchten zu müssen, und gewerkschaftliche Organisationsstrukturen sollten wieder auf überbetrieblicher Ebene zum Tragen kommen. Die strittigen Punkte versuchte die Regierung sowohl auf parlamentarischer Ebene mit den Oppositionsparteien wie auch im außerparlamentarischen Bereich mit der COPROCO und der CUT zu verhandeln. 41 In einer Vielzahl von Treffen und Verhandlungen machten die Unternehmer von Anfang an klar, daß sie das bestehende Regelungswerk ohne Abstriche als gut empfanden, es als grundlegenden Pfeiler des Akkumulationsregimes betrachteten, welches zu einem 'exzellenten Klima' in den Unternehmen geführt hätte, und sich jeglicher Modifikation des Status quo widersetzten. 42 Da die unterschiedlichen Standpunkte nicht ausgeglichen werden konnten und es weder zu einer Annäherung der Positionen von COPROCO und CUT noch zu sonstigen greifbaren Ergebnissen kam, schlug die Regierung die Strategie ein, politische Verhandlungen über die Reform im Parlament zu führen. Unterschiedliche Sichtweisen bestanden aber nicht nur zwischen Gewerkschaften und Unternehmern, sondern entwickelten sich zunehmend auch innerhalb der Concertaciön. Im Juli 1990 brachte sie per Eilantrag das Reformpaket im Senat ein, da dort aufgrund der designierten Senatoren und der 41 42

Siehe zum folgenden allgemein L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 50-80. Nach einer Verhandlungsrunde mit der PDC, an der auch Fernando Agüero (SOFOFA) und Raúl García (SNA) teilnahmen, erklärte Manuel Feliü (COPROCO): "Lo ideal es que no haya cambios en la legislación laboral, por que ello deteriorará el desarrollo económico logrado por el país, y quisiéramos que el país siga creciendo." El Mercurio 5/5/1990.

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ungünstigen Kräfteverhältnisse der größte Widerstand zu erwarten war, im Abgeordnetenhaus dagegen eine Mehrheit für die Reform sicher zu sein schien. Die Unternehmer erwiesen sich bei der Reform als besonders unnachgiebig. So bestand Manuel Feliü (COPROCO) darauf, daß das Reformvorhaben die eingeschlagene erfolgreiche Entwicklungsstrategie in Frage stellen und zu Instabilitäten führen würde, die nicht im Interesse des Landes sein könnten. Die vorgesehene Arbeitsreform würde schwerwiegende Probleme und Konsequenzen für kleine und mittlere Unternehmen sowie den Landwirtschafts- und Handelssektor haben, in denen 'flexibilisierte' Arbeitsbeziehungen von nöten seien. Als Alternative zum Reformvorhaben der Regierung präsentierte Feliü den Aufbau einer gesonderten Arbeitslosenversicherung, die eventuell auftretende Probleme bei der Beendigung von Arbeitsverträgen abmildern und damit einhergehende Entschädigungszahlungen vermeiden sollte. Die Logik dieses Vorschlags bestand darin, das Konfliktpotential nach außerhalb des Unternehmens zu verlagern und innerhalb des Betriebs 'Ruhe und Ordnung' aufrechtzuerhalten. Die Unternehmer würden zur Finanzierung eines entsprechenden Fonds beitragen. 43 Der Präsident der SOFOFA unterstützte den Vorschlag Feliüs und verwies auf einen bereits bestehenden ähnlichen Mechanismus im Industriesektor. Agüero zufolge müßte in jedem Fall ein System verhindert werden, welches Entschädigungszahlungen für die Arbeiter gemäß der Dauer der Beschäftigung festlege. 44 In den Versammlungen der Regierung mit COPROCO und CUT/CDT lehnten letztere das Regelungswerk weiterhin ab. Während es den Gewerkschaften zu wenig weitreichend erschien, da zwar über eine Entschädigungsregelung die Sicherheit und Stabilität des Arbeitsplatzes erhöht werden würde, aber realiter nur wenige Arbeiter überhaupt den Anspruch darauf erwerben könnten und 90% der alten Regelungen bestehen blieben, widersetzten sich die Unternehmer mit Nachdruck obligatorischen Kollektivverhandlungen auf Zweigebene für Unternehmen mit bis zu SO Beschäftigten, da dies die Konfliktivität zwischen den 'persönlichen Beziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern' in diesen Unternehmen erhöhen und zu einer Politisierung der Arbeitsbeziehungen führen würde. Zudem betrachteten sie auch eine unter bestimmten Umständen obligatorische Streitschlichtung im Streikfall als nicht akzeptable Einmischung in das Unternehmen von dritter Seite. Der Versuch, die Stabilität der Beschäftigung über die Verminderung möglicher Ertlassungsgründe zu erhöhen, wurde insbesondere von der SOFOFA strikt abgelehnt.45 43 44 45

Vgl. El Mercurio 11/7/1990 und 20/7/1990. Vgl. El Mercurio 24/7/1990. Fernando Agüero betonte in diesem Sinne: "La única garantía real de estabilidad para los trabajadores de una empresa es el crecimiento de ésta, y ésta, a su vez, depende de la inversión, la permanencia de las reglas del juego y un sistema de libertad económica que aliente el espi-

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Die Cámara Chilena ele la Construcción verteidigte die Beendigung von Arbeitsverträgen ohne Angabe von Gründen (desahúcio) mit dem Hinweis auf die besonderen Bedingungen des Sektors: Es handele sich um Dienstleistungsaktivitäten, in denen nur wenig dauerhaft beschäftigtes Personal gebraucht würde und in dem die Zahl der Beschäftigten stark schwanke. Auch wenn gemäß Verbandsführung die Mehrzahl der Entlassungen aus Gründen des Art. 155 b und c des Código del Trabajo vorgenommen würden (Ablauf der vereinbarten Beschäftigungsdauer bzw. reguläre Beendigung des Arbeitsvertrags), so sei doch die Aufrechterhaltung des Art. 155 f nötig, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von dauerhaft Beschäftigten ins Ermessen des Arbeitgebers stellte, ohne daß einer der zuvor genannten Gründe vorlag. 46 Die Agrarier brachten ihre Position sehr deutlich auf der ENAGRO '90 zum Ausdruck. Bei dieser Gelegenheit sprachen sie sich nicht nur gegen über die jeweilige Unternehmensebene hinausgehende Kollektivverhandlungen aus, sondern verteidigten auch die 'offensichtlichen Vorteile' der bestehenden Arbeits- und Gewerkschaftsgesetzgebung und von auf die Betriebsebene beschränkten Lohnverhandlungen. Die Eliminierung des desahúcio vermindere über eine Kostenerhöhung nicht nur den Anreiz zu höherer Beschäftigung, sondern schränke auch die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers ein und stelle seine Handlungsfähigkeit vollkommen ungerechtfertigterweise in Frage. Arbeitseffizienz und Produktivität würden in Mitleidenschaft gezogen. In bezug auf Zeit- und Saisonarbeiter müsse jede Gesetzgebung den 'eigenen Charakter' der Tätigkeiten im Agrarsektor berücksichtigen.47 Der Präsident der Asociación Industrial de Valparaíso (AVIS A), Alfredo Droppelmann, wies darauf hin, daß jegliche Änderung der Arbeitsgesetze in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Wirtschaftspolitik erfolgen müsse und weder die dynamisierenden Prinzipien des freien Marktes noch die Entwicklungskapazitäten der Unternehmer in irgendeiner Weise einschränken dürfe. Entsprechend sprach er sich gegen folgende Punkte aus: - Entschädigungen ohne Obergrenze; - über die Unternehmensebene hinausgehende Kollektivverhandlungen, da sie nur die Bildung mächtiger Gewerkschaftsorganisationen förderten, die Verhandlungen selbst politisierten und von den wahren Interessen der Arbeiter entfernten;

46 47

ritu creativo de los empresarios. El proyecto de ley que está en el Senado no contribuye a esos efectos, y, en consecuencia, debiera ser profundamente modificado: no se puede alentar la estabilidad del empleo medíante disposiciones amiempleo, que desalientan la creación de nuevos puestos de trabajo." El Diario Financiero 26/7/1990, zitiert nach L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 57. Vgl. El Mercurio 21/6/1990. Vgl. El Mercurio 2/7/1990. 421

-

unbegrenzte Streiks, die eine beträchtliche Einschränkung der Eigentumsrechte darstellten und einer Enteignung des Unternehmers gleichkämen.4® Eine weitere Argumentationsvariante brachte schließlich der Präsident der SONAMI (Hernán Guiloff) vor, der darauf verwies, daß die Mehrzahl der vorgeschlagenen Änderungen gegen den Geist des 'Acuerdo Marco' verstoße und sich negativ auf das Wachstum der Beschäftigung und der Ökonomie auswirken werde. Die 'höheren Interessen des Landes' seien durch die Reform berührt, hätte doch nicht zuletzt die bestehende Arbeitsgesetzgebung dafür gesorgt, daß der Exportsektor sich so dynamisch entwickelt habe. 49 Der Vizepräsident der SOFOFA und 'Unternehmer des Jahres 1990', Hernán Briones, brachte die Haltung der Verbände auf den Punkt: "Los verdaderos empresarios somos enemigos de aquellas leyes laborales que, buscando proteger artiñcialmente al trabajador, sólo crean antagonismos, entraban la acción del empresario y politizan sus directivas sindicales. El gremio empresario debe tener el más profundo respeto por los trabajadores, por que ellos constituien el más valioso activo de la compañía."^® Im Laufe der Zeit verhärteten sich die Auseinandersetzungen, und die Debatte gewann an Schärfe, zumal auch auf parlamentarischer Ebene die Verabschiedung der Gesetzesreform ins Stocken geraten war, da sowohl UDI wie auch RN die Reformen zu verhindern suchten bzw. diese so gering wie möglich halten wollten. Die CUT drohte, dem Reformvorhaben der Regierung gänzlich ihre Unterstützung zu entziehen, falls nicht substantielle Verbesserungen bezüglich der grundsätzlichen Benachteiligung der Gewerkschaften und der ungleichgewichtigen Arbeitsbeziehungen erreicht würden, und die Regierung hinter ihren eigenen Zielsetzungen zurückbleibe. Manuel Feliú betonte, daß Unternehmer, Gewerkschaften und Staat sich im 'Acuerdo Marco' auf eine marktwirtschaftliche Entwicklungsstrategie geeinigt hätten. Die Reform des Arbeitsrechts sei daher "anacrónico, dirigista y falsamente protector de los derechos del trabajador". Er qualifizierte sie als Rückschritt und Rückkehr zu vergangenen Zeiten ab: "Es imposible avanzar en la modernización de nuestra economía si en lo que son su base - sus empresas - optamos no por el futuro, sino que por la regressión; no Í Q

49 50

Vgl. entsprechende Äußerungen in El Mercurio 8/8/1990 sowie die folgende Äußerung vom 12/7/1990 in El Mercurio: "Una política de libre mercado debe mantener la libertad del empresario para contratar y poner término al contrato de sus trabajadores ... Se puede liberalizar las leyes en algunas materias en benefìcio de los trabajadores, pero manteniendo la libertad empresarial... Por ejemplo, el derecho a huelga debe tener limitaciones que impidan daños irreparables a la productividad de las empresas, debe ser limitado en el tiempo, y debe haber posibilidades de contratar el personal necesario para que la industria pueda producir sin interrupciones." Vgl. El Mercurio 27/7/1990. Siehe El Mercurio 20/7/1990.

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por el mercado, sino por el intervencionismo, o por la integración social en torno a la empresa, sino por el conflicto y la desintegración."^1 Falls die Gesetzgebung den Faktor Arbeit verteuere, indem sie disproportionale Entschädigungsleistungen vorsehe, die umfassende Flexibilisierung der Arbeit einschränke oder rückgängig mache und ein expropriierendes Streikrecht einführe, dann werde die Ökonomie in wenigen Monaten ins Stocken geraten und sich nur noch eine durchschnittliche Wachstumsrate einstellen, die die Arbeitslosigkeit erhöhen und eine Kette sozialer Konflikte auslösen würde. Die einzig tragbare Form, die Löhne und das Wohlergehen der Arbeiterschaft zu verbessern, bestände in der Erhöhung der Produktivität der Unternehmen und im wirtschaftlichen Wachstum. Die Unternehmer mobilisierten alle Einflußkanäle, über die sie verfügten, um eine Reform zu verhindern. In den Verhandlungen mit den Gewerkschaften und dem Staat blockten sie prinzipiell alle Initiativen ab; zusätzlich mobilisierten sie die öffentliche Meinung mit Drohungen über die Medien und Katastrophenszenarien für den Fall der Verabschiedung der Reform. Schließlich intensivierten sie ihre Kontakte zu den Rechtsparteien und Senatoren, die sich im Parlament gegen die Reformen sperrten. So appellierte der Präsident der Cámara Nacional de Comercio, Daniel Platovsky, an die Parlamentarier, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und zu vermeiden, daß die Demokratie erneut zu - sich aus unberechtigten Forderungen ergebenden - Arbeitskonflikten führe, die eine 'effiziente' Führung des Unternehmens verhindern und die Anreize, neue Beschäftigte einzustellen, vermindern würden. Über die Verteuerung der Arbeitskraft würden letztlich nur die Konsumenten selbst geschädigt, da sich z.B. für kleine und mittlere Unternehmen allein die aus den Entschädigungen ergebenden Mehrkosten auf ein Drittel beliefen. Kollektivverhandlungen über die unmittelbare Unternehmensebene hinaus würden nur zur 'Politisierung' der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen führen. Auch Platovsky machte sich das Argument zu eigen, daß die Neuregelung gar nicht im Interesse der Arbeiter sein könne, da deren Arbeitsbedingungen ganz unterschiedlich seien, und daß sie darüber hinaus sogar demokratiefeindlich sei insofern, als die Verhandlungsführung bei den Gewerkschaften monopolisiert werde, was bedeutende Gruppen der Arbeiterschaft ausschließen würde.^ Insbesondere die Agrarier der SNA wandten sich gegen jegliche Einschränkung der Unternehmerfreiheit (handele es sich dabei um Entlassungen, Entscheidungskapazitäten oder Kollektivverhandlungen). Der Generalsekretär der SNA, Raúl Garcfa, der den Dialog zwischen Unternehmern und CUT koordinierte, wies darauf hin, daß er zwar mit zentralen Zielen der Reform der Regierung konform gehe (z.B. relativ stabile Beschäftigungsverhältnisse zu erreichen und ruhige, konfliktfreie Arbeitsbeziehungen zu

51 52

Siehe El Mercurio 3/8/1990. Vgl. El Mercurio 7/8/1990.

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etablieren), aber das vorgeschlagene Instrumentarium für wenig hilfreich halte, da es zu einer größeren Rigidität auf dem Arbeitsmarkt und zu einer Verteuerung der Arbeitskraft fuhren würde. 53 Auf parlamentarischer Ebene näherten sich die Positionen von Opposition und Regierung einander an, als UDI und RN die einseitige Beendigung von Arbeitsverträgen ohne Angabe von Gründen als nicht länger tragbar erachteten und zumindest einer partiellen Streichung des Art. 157 zustimmten. Trotz dieser Annäherung der Parteien bestanden im Senat noch weitreichende Interessenunterschiede fort, die aber schließlich nach intensiven Verhandlungen in eigens dafür vorgesehenen Kommissionen 'konsensual' gelöst werden konnten. Man einigte sich - auf grundsätzliche Obergrenzen für die Entschädigung nach der Beschäftigungsdauer für Arbeiter in der Industrie im Falle der Entlassung und einem Beschäftigungsbeginn nach dem 14.8.1991; - auf die Zahlung einer Entschädigung von einem Monatslohn pro Beschäftigungsjahr für vor dem 14.8.1991 Beschäftigte und von 15 Tagen pro Beschäftigungsjahr für Hausangestellte ab dem 1.1.1991. Nach Ansicht des Arbeitsministers bestanden weitere Erfolge der Vereinbarungen darin, daß - jegliche Entlassung begründet werden mußte und der Art. 155 f des Codigo del Trabajo (Entlassung ohne Angabe von Gründen) gestrichen wurde; - der Art. 157 abgeschafft und somit der Schutz der Arbeiter insofern verbessert wurde, als der Weg vor die Arbeitsgerichte wieder offen war. Schließlich einigte man sich auch auf eine gesetzliche Regelung, welche die Bildung von Gewerkschaftszentralen 'erleichterte'. Hier akzeptierte die Regierung den Vorschlag der Oppositionsparteien, daß 5% der Gewerkschaftsmitglieder eine Gewerkschaftszentrale gründen könnten (bis Mitte 1992 akzeptierte man ein Quorum von 3%). Darüber hinaus wurde vereinbart, daß Kollektiv- und Tarifverhandlungen auch auf überbetrieblicher Ebene zulässig seien, insofern ihnen eine freiwillige Übereinkunft der beteiligten Akteure zugrunde liege. Zudem wurde die zeitliche Begrenzung des Streikrechts aufgehoben, und die Mechanismen für die 'Wiederaufnahme der Arbeit' bei/nach Streiks (i.e. Rückkehr der Streikenden an den Arbeitsplatz oder Neueinstellung von Personen zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Produktion und Organisation) wurden wie folgt geregelt: freiwillige "Hay senas inconsistencias en las reformas laborales frente a la economía social del mercado, especialmente en las proposiciones que deliberada o indeliberadamente apuntan a debilitar la capacidad del empresario de organizar y dirigir su empresa; materias que son atentatorias contra la capacidad de administrar, organizar o dirigir, que afectan el poder de decisión del empresario, en especial en la capacidad de despido, negociación colectiva y organización sindical. En ellas se pueden estar incubando situaciones que a la postre pueden resentir seriamente el funcionamiento del modelo de economía vigente." Raúl García in El Mercurio 13/8/1990.

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Beendigung des Streiks oder Streikende für den Fall, daß mehr als 50% der Streikenden freiwillig die Arbeit wieder aufnähmen; falls das letzte Angebot der Unternehmer einen 100% Inflationsausgleich beinhalte, könnten streikende Arbeiter durch andere ersetzt werden. Läge der Inflationsausgleich in der letzten Offerte der Unternehmer unterhalb der Inflationsrate, so dürften Streikende nicht durch andere Arbeiter ersetzt oder individuell wieder arbeitswillige Streikende eingestellt werden, es sei denn, dem ginge ein Schiedsspruch voraus. 54 Sowohl RN wie auch UDI hielten aber einen Teil ihrer Kritik aufrecht: Während RN davon sprach, daß Konflikte nur auf Unternehmensebene gelöst werden könnten, da das Unternehmen der Arbeits- und Lebenszusammenhang von Arbeitern und Unternehmern und somit eine Einmischung von außen (etwa von über Betriebsgewerkschaften hinausgehenden Organisationen der Arbeiterbewegung oder des Staates) in keinem Fall akzeptabel sei, wies die UDI auf den Zwangs- und Monopolcharakter der Gewerkschaftszentralen hin und sprach sich für einen sindicalismo de base mit 'technifiziertem', 'nicht politisierten' Charakter aus. Die Dachverbände der Gewerkschaften betrieben nur direkt Politik mit der Regierung am Parlament vorbei und seien keineswegs 'authentisch', da sie nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die der Gewerkschaftsführer vertreten würden.55 In der Abgeordnetenkammer erhielt das Reformprojekt schließlich seinen letzten 'Schliff: Hier mußte auf Druck der Opposition eine Klausel akzeptiert werden, die Entlassungen aus 'Betriebsnotwendigkeiten' heraus und Entschädigungszahlungen im Entlassungsfall generell erst nach 11 Monaten (gegenüber ursprünglich 5 Monaten) Arbeitszeit vorsah. Daß die Einschätzung der Gesetzesreform durch die Unternehmerverbände schließlich überwiegend positiv ausfiel, dürfte wohl darauf zurückzufuhren sein, daß trotz der Veränderungen des von den Unternehmern befürworteten früheren Arbeitsrechts ihre strukturelle Privilegierung und ihre Interessen hinsichtlich der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Kontrolle der Arbeiter kaum eingeschränkt wurden. Da zudem die zusätzlichen Kosten für die Unternehmer (nach der Größe der Unternehmen differenziert) sehr gering ausfielen, ist es nicht verwunderlich, daß die Verbände letztendlich voller Anerkennung für die Regierung und ihre nicht konfrontative Verhandlungsführung sowie die Arbeit des Senats waren. 56 Einzig Jaime Paredes (ASIMET) sowie der Präsident der Cámara Chilena 54 55 56

Vgl. L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 69 ff. Siehe entsprechende Äußerungen in El Mercurio 27/8/1990 und 3/9/1990. So betonte Fernando Agüero (SOFOFA): 'Se han fortalecido dentro del gobierno las posiciones más proclives a la economía social de mercado, a mantener la apertura de la economía, el rol subsidiario del Estado en materia productiva, y una economía en general libre. Del mismo modo es muy valioso el interés de la autoridad en mantener los equilibrios macroeconómicos. A Chile no llegó el populismo económico junto con la democracia, lo que sí ocurrió en otros países. Y esto tenemos que cuidarlo todos los chilenos." Estrategia 17-23/9/1990. Und der

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de la Construcción und designierte Nachfolger Feliús in der COPROCO, José Antonio Guzmán, äußerten sich kritischer und wiesen auf die Einschränkung der Unternehmerkompetenzen und die Signale in Richtung auf eine Veränderung der Entwicklungsstrategie hin, die von mittleren Ebenen bestimmter politischer Parteien artikuliert würden. Diesen müsse man entgegentreten, zumal Elemente wie unbegrenztes Streikrecht, die Unmöglichkeit, Streikende durch andere Arbeiter zu ersetzen, und überbetriebliche Verhandlungen einer freien Marktwirtschaft wesensfremd seien und entsprechend überwunden werden müßten. Noch weitaus deutlicher leitartikelte El Mercurio, indem die Zeitung die Concertación der "typischen Polarisierung der extremen Linken" beschuldigte und die Gesetzgebung ironischerweise als Attentat auf die Freiheit der Arbeiter bezeichnete.57 Dagegen herrschte seitens der Verbände ein vorsichtigerer Ton vor, der unnötige Konfrontationen mit der Regierung vermied. Damit kam es seitens der großen Unternehmerverbände zu einer Art Arbeitsteilung zwischen Unternehmern, Rechtsparteien und konservativen Medien, die die Autonomie der Verbände unterstrich und es ihnen erlaubte, ihre Position als politischer Akteur zu konsolidieren. In einer Bewertung der Auseinandersetzung der Unternehmer mit der Reform der Arbeitsgesetzgebung58 kann man zwischen zwei Arten von Argumenten unterscheiden, die den harten Widerstand der Unternehmer gegen das Projekt erklären: Zum einen diejenigen Argumente, die sich aus der inneren Logik des Wirtschaftsmodells ergeben (Möglichkeit von Entlassungen, Einstellungen und Abfindungszahlungen also Fragen, welche die Verfügungsgewalt der Unternehmer über den Faktor Arbeit betreffen), zum anderen diejenigen, die ideologische und politische Überzeugungen der Unternehmer betreffen (Streikrecht, Kollektivverhandlungen, Gewerkschaftsorganisationen - also Fragen der Machtverteilung innerhalb eines Unternehmens). In den Auseinandersetzungen um die Arbeitsreform zeigten die Unternehmer im makropolitischen Bereich eine größere Bereitschaft zu Konzessionen als in bezug auf Modifikationen der ökonomischen Grundlagen des Wirtschaftsmodells. Dies

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Präsident der Cámara Nacional de Comercio, Daniel Platovsky, hob hervor: "Hay que ser honesto, porque hemos visto un manejo, especialmente económico, muchísimo mejor de lo que se esperaba ... no cabe duda que el gobierno sigue ratificando su compromiso con una economía social de mercado; si bien tenemos algunas críticas con respecto de algunas políticas puntuales." Estrategia 27/8-2/9/1990. So heißt es etwa dort: "Se ha plegado a los criterios marxistas tradicionales que siempre han procurado consagrar el monopolio sindical y la centralización del poder de decisión de los representantes de los trabajadores en unos pocos dirigentes, más fíeles a las directivas de los partidos políticos que al sentir de sus bases ... Las reformas laborales son actualmente miradas como la amenaza más grave que se cieme en nuestro medio contra el futuro desarrollo económico." El Mercurio 3/11/1990. Die Äußerungen von Paredes und Guzmán finden sich in Estrategia vom 3/9/1990 und 6-12/8/1990. Siehe dazu L. Abramo/M. Espinosa, a.a.O., S. 81-85.

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betraf insbesondere die unter der Diktatur eingeleitete hohe Flexibilisierung der Arbeitskraft, die für das Gros der Unternehmer weitaus wichtiger war und eine größere Bedeutung hatte als etwa die mögliche Flexibilisierung der Produktionsstrukturen.59 Die Flexibilisierung der Arbeitskraft wurde unter der Diktatur zumindest in vierfacher Hinsicht vorangetrieben: a) numerisch, d.h. in bezug auf die Zahl der Arbeiter und der geleisteten Arbeitsstunden; b) funktional, d.h. die Beschäftigten wurde ohne gesetzliche oder gewerkschaftliche Einschränkungen in verschiedenen Funktionen eingesetzt; c) substitutiv, d.h. Lohnarbeitsverhältnisse wurden durch Subkontraktverhältnisse ersetzt, und d) salarial, d.h. Anpassung der Lohneinkommen an die Erfordernisse neuer Märkte bei zunehmender Differenzierung der Löhne. Dies führte zur Segmentierung des Arbeitsmarktes in einen relativ kleinen, stabilen und höher bezahlten 'Kernbereich1 und eine große Mehrheit von schlecht bezahlten Arbeitern unter prekären und äußerst instabilen Bedingungen. Angesichts dieser für das Wirtschaftsmodell konstitutiven Bedingungen wird der Widerstand der Unternehmer gegen die Reformbestrebungen des Codigo del Trabajo, mit denen ein höherer Schutz der Arbeiter bezüglich Einstellungen und Entlassungen erreicht werden sollte, erklärlich. Gleichzeitig bedeutete das Eintreten für den flexiblen Einsatz von Arbeitskräften die Aufrechterhaltung instabiler und prekärer Arbeitsbedingungen, die Entqualifizierung bestimmter Arbeiten und die Aufrechterhaltung niedriger Löhne, was einen Gutteil der Wettbewerbsfähigkeit Chiles auf den Weltmärkten ausmacht. Die von den Unternehmern selbst äußerst extensiv definierte 'Unternehmerfreiheit' sowie die mit der Reform perzipierte Bedrohung des Privateigentums und der freien Verfügungsgewalt der Unternehmer blieben angesichts äußerst vager Entlassungsklauseln (z.B. aus 'Betriebsnotwendigkeiten' heraus) unverständlich, gaben sie doch den Unternehmern weiterhin beträchtliche Ermessensspielräume und Flexibilisierungspotentiale. Was die ideologischen und politischen Überzeugungen der Unternehmer angeht, so reflektieren sich diesbezüglich in vielfältiger Weise ihre Befürchtungen hinsichtlich stärkerer Gewerkschaftsorganisationen, des Streikrechts und der Ausweitung von Kollektivverhandlungen. Auch in diesen Punkten war die Haltung der Unternehmer bis zuletzt intransigent, auch wenn ihnen die Neuregelungen (z.B. in bezug auf überbetriebliche Tarifverhandlungen) einen beträchtlichen Handlungsspielraum einräumten. Die übertriebenen Reaktionen der Unternehmer auf das unbegrenzte Streikrecht (als quasi unternehmensenteignend) und die Bildung von Gewerkschaftszentralen spiegelten eine Sichtweise der Rolle der Gewerkschaften wider, die mehr durch Bedrohung geprägt war, als daß die Gewerkschaften legitime Verhandlungs- und Gesprächspartner zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ^

Siehe dazu A. Díaz, Las diversas nociones de modernización tecnológica. Notas para una reflexión crítica, SUR, Documento de Trabajo, Num. 115, Santiago, 1991; A. Díaz, La reestructuración industrial autoritaria en Chile, in: Proposiciones, Num. 17, 1989, S. 14-35.

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waren. Das Mißtrauen der Unternehmer gegen die Gewerkschaften, welches auf abstrakter Ebene einigermaßen abgebaut werden konnte, zeigte sich auf der Betriebsebene unvermindert, da die Unternehmer zu keinerlei Modifikationen der Betriebsverfassungen und der innerbetrieblichen Machtstrukturen bereit waren, zumal und gerade weil mit dem Übergang zur Demokratie eine partielle Stärkung der Gewerkschaftsverbände als unausweichlich für friedliche, konfliktfreie Arbeitsbeziehungen akzeptiert werden mußte. Auch die Reform der Arbeitsgesetzgebung zeigt, wie groß die Distanz zwischen dem eher 'harmonisierenden' Diskurs der Unternehmer und ihren realen Taten war. Die CUT wiederholte bei mehreren Gelegenheiten, daß sie die erreichte Reform zwar als einen Fortschritt gegenüber dem früheren Zustand, aber dennoch als ungenügend betrachte, da die strukturelle Schwäche der Gewerkschaften im Prinzip durch die Systemlogik der Reformen festgeschrieben werde und die Vorgabe der Regierung, eine mehr oder weniger große Kräfteparität zu erzielen, nicht erreicht worden sei. Zwar müßten die Reformen unter den Bedingungen des Transitionsprozesses als politischer Erfolg gelten, weil zum einen ein Verhandlungsfeld für weitergehende Fragen eröffnet worden und zum anderen die ausdrückliche Anerkennung der Legitimität der Gewerkschaften durch die Unternehmerverbände erfolgt sei, diese würden aber im Zuge einer demokratischen Konsolidierung ungenügend werden, weil die Gewerkschaften noch auf vielfältige Weise benachteiligt seien und ihr Aktionsradius von den Unternehmern eingeschränkt werde. Zudem ließen die Unternehmer nach wie vor eine größere soziale Verantwortlichkeit vermissen und würden jegliche betriebsinterne Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten blockieren.60

6.

Die Frage weitergehender Privatisierungen von Staatsunternehmen

Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, war in den ersten Amtsjahren Patricio Aylwins die Regierung mit ihren Initiativen Konzertierung, Anpassungsprozeß, Steuerreform, Arbeitsreform der aktive Teil und die Unternehmerschaft der reaktive Teil. Dies änderte sich langsam seit der zweiten Jahreshälfte 1991, wo sowohl Unternehmer wie auch die politische Rechte Themen anschnitten, die bis dato von der Concertaciön ausgespart worden bzw. im ersten Regierungsjahr nicht Gegenstand der Politik gewesen waren. Zu erwähnen sind hier insbesondere die Rolle des Staates (Umfang, Aufgaben und Funktionen), eine weitergehende Privatisierung von Siehe dazu die einzelnen Äußerungen von Gewerkschaftsführern und entsprechende Analysen in F. Echeverrfa/J. Rojas Hernández, Añoranzas, sueños, realidades. Dirigentes sindicales hablan de la transición, Santiago, 1992. 428

Unternehmen der CORFO, die Kritik an den Restriktionen bezüglich der AFPs, die öffentliche Sicherheit und Ordnung und generell die weitere 'Modernisierung' des Landes, die die Regierung angeblich gestoppt habe. Damit setzte sich seitens der Unternehmer ein deutlich kritischerer Ton gegenüber der Regierung durch, und diese sah sich gezwungen, permanent auf die Aktivitäten und 'Vorwürfe' der Unternehmer zu reagieren. Die Kritik der Unternehmer und der politischen Rechten richtete sich dabei weniger auf das, was die Regierung tat, als auf das, was sie nicht tat. Sie zielte auf das in manchen Bereichen von der Regierung geschaffene 'politische Vakuum' und wurde dabei 'technokratisch' formuliert, so daß ihr politischer Charakter nicht immer deutlich zutage trat. Im Unternehmerdiskurs jener Zeit hingen die Rolle des Staates, die Privatisierungen und die weitere 'Modernisierung' des Landes eng zusammen. Ganz gemäß der Philosophie des (Neo-)Liberalismus galt es für die Unternehmer, den Staat so weit wie möglich zurückzudrängen, da er private Initiative ersticke, vormundschaftlich auftrete und die freie Entfaltung des Individuums behindere. Als 'Nachtwächterstaat' sollte er sich seinen fundamentalen Aufgaben zuwenden, die in der Landesverteidigung, der Aufrechterhaltung einer Basisinfrastruktur sowie der Bekämpfung der Armut bestünden. 'Der Staat* war den chilenischen Unternehmern grundsätzlich zu groß und zu ineffizient, zumal seine Aufgaben durch Übertragung an Private ihrer Meinung nach besser und effektiver gelöst werden konnten. Für soziale Sicherheit könne und dürfe er nur in sehr begrenztem Umfang sorgen, da dies schon die Unternehmer über die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Gewährung einer angemessenen Entlohnung täten. Wirtschaftliche Aktivitäten des Staates seien grundsätzlich kontraproduktiv und würden am Sinn von Staaten vorbeigehen. Deshalb habe die Pinochet-Regierung ein derartig radikales Entstaatlichungsprogramm durchgesetzt; und deshalb stelle nun auch der Stopp einer weitergehenden Privatisierung eine große Disharmonie zwischen Unternehmern und Regierung dar. Die 'Zauberworte' der Unternehmer lauteten in diesem Zusammenhang: 'Vertrauen in den Privatsektor", der seine Überlegenheit bereits erwiesen habe, 'höhere Effizienz' gegenüber den Staatsunternehmen, 'bessere Allokation der Ressourcen' durch Marktkräfite, 'mehr Freiheit' durch ungehemmten Individualismus und Gewinnstreben ohne staatliche Regulierung sowie 'größere Gleichheit' durch die gleichberechtigte Teilnahme am Markt gegenüber Ungleichbehandlungen durch den Staat. Staatsunternehmen stellten ohnehin nur eine Belastung für den Staat dar, der als Unternehmer per se unterlegen sei und in Zeiten großer Finanznöte über eine 'Rationalisierung' (i.e. der euphemistische Ausdruck für den unterschiedslosen Verkauf von Staatsunternehmen) neue Finanzquellen zur Bekämpfung der Armut erschließen könne, womit Steuerreformen und zusätzliche 'Belastungen' für die Unternehmer überflüssig würden. Aber nicht nur die Privatisierung, sondern auch die beschleunigte Erschließung neuer Aufgabenfelder für private Unternehmer

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müßten seitens der Regierung vorangetrieben werden. Vorbildlich habe dies wiederum die Regierung Pinochet mit ihren 'Modernisierungen' getan, die aus Chile eine Gesellschaft freier und gleicher Individuen gemacht habe. 61 Dies alles bedeutete dann im Unternehmerdiskurs 'Fortschritt', 'Rationalität' und 'Moderne'. 62 Im Kern dieser und ähnlicher Argumentationen der Unternehmer(verbände) stand das Thema der Privatisierung, welches auf der ENADE '91 einen vorläufigen Höhepunkt fand und danach nur unerheblich abebbte. Bei diesem Treffen der großen Unteraehmerverbände und hoher Regierungsautoritäten insistierten die Unternehmer in besonderer Weise auf der Notwendigkeit, den Privatisierungsprozeß wieder aufzunehmen, damit der Staat zu einer höheren fiskalischen Ersparnis komme. Die Regierung müsse endlich eindeutige Signale geben und wagemutigere Mittel der Liberalisierung und Privatisierung umsetzen, die ihre politische Unterstützung für und ihr Vertrauen in den Privatsektor verdeutliche, falls sie den Sprung zu den entwickelten Nationen schaffen wolle. Die Haltung der chilenischen Regierung sei angesichts der großen Privatisierungsanstrengungen und -erfolge rund um den Globus anachronistisch. Für eine Privatisierung ständen ganz oder teilweise noch die größten Staatsunternehmen des Landes zur Verfügung: das Kupferunternehmen CODELCO, als wichtigste Finanzinstitution des Landes die Banco del Estado, das Erdölunternehmen ENAP, das Elektrizitätsunternehmen Colbún, das Dienstleistungsunternehmen EMPORCHI sowie eine Reihe kleiner und mittlerer Unternehmen im Dienstleistungs- und Telekommunikationssektor. In diesem Sinne hat es der Präsident der SOFOFA, Hernán Briones, als den größten Fehler der Regierung bezeichnet, den Privatisierungsprozeß gestoppt zu haben. 63 Siehe diese und andere Argumentationslinien in der Gazette Libertad y Desarrollo vom Instituto Libertad y Desarrollo sowie das vom gleichen Institut (ILD) und dem Center /or Private Enterprise (CIPE) herausgegebene Buch Soluciones privadas a problemas públicas, Santiago, 1981. Nicht ganz so ideologisch, aber ebenso nachdrücklich und mit wissenschaftlichem Anspruch argumentiert das Centro de Estudios Públicos und seine Zeitschrift Estudios Públicos, in dessen Direktorium und beratenden Gremien sich die ganze Crème de la Crème der chilenischen Unternehmerschaft findet und dessen Ehrenpräsident nicht umsonst Friedrich August von Hayek ist. Welches eingeschränkte Verständnis die Unternehmer von 'Moderne' haben, zeigt eine Äußerung Manuel Feliüs in El Mercurio vom 21/2/1992, wo es heißt: "No obstante que nuestro país se modernizó a pasos agigantados, el proceso dista mucho de estar concluido. La modernización es pura y simplemente el efecto de ir abriendo espacios cada vez más amplios a la libertad individual y a la competencia en nuestra economía y en las estructuras de nuestra sociedad. En eso consiste. Modernizar no es llenamos de centros comerciales, edificios de vidrio y acero o redes computacionales futuristas, sino dar más libertad a los particulares, reducir el tamaño del Estado y generar mayor competencia allí donde no lo hay en grado suficiente." Siehe auch die Beiträge in Libertad y Desarrollo, Num. 3, 1991, S. 6, 10 ff. "Detener el proceso de privatizaciones. Ese ha sido el - gran - error. Es uno de los factores que están influyendo más negativamente en los empresarios." El Mercurio 17/11/1991. Auf die Bedeutung weiterer Privatisierungen ging Eliodoro Matte auf der 13. ENADE wie folgt 430

Die Kritik der Unternehmer(verbände) und der politischen Rechten wies eine große Homogenität auf und konzentrierte sich auf die Infragestellung unternehmerischer Aktivitäten des Staates und Ansichten in der Regierung Aylwin, den unter dem Militärregime umgesetzten Privatisierungsprozeß nicht weiter fortzusetzen. Die Zeitung El Mercurio griff dabei wiederholt die CORFO ob ihrer Positionen an und rückte Staatsunternehmen pauschal in die Nähe des Marxismus. Die Option der Regierung kritisierte sie als eine, welche die Vorzüge und Effizienz des privaten Unternehmertums nicht zur Kenntnis nehmen wolle und Staatsaktivitäten legitimiere, die nicht zum Aufgabenfeld des Staates gehörten und die das wirtschaftliche Wachstum und den Modernisierungsprozeß behinderten.64 Der öffentliche Diskurs der größten Oppositionsparteien knüpfte hier nahtlos an. Renovación Nacional präsentierte der Regierung im ersten Halbjahr 1991 einen 'Privatisierungsplan', der das Ziel verfolgte, den Prozeß der 'Modernisierung' der Ökonomie zu vervollständigen, um die Produktivität zu erhöhen und technologische Innovationen zu fordern. Mittels weiterer Privatisierungen könnten nicht zuletzt Ressourcen für soziale Projekte aufgebracht werden. Nachdem dieser Plan von der Regierung ihrer Ansicht nach nicht angemessen gewürdigt wurde, ritten RN wie auch UDI Attacken gegen deren 'sozialistische Grundhaltung' Führende Unternehmerpersönlichkeiten und Verbandsführer schlössen sich an und wiesen auf die zur weiteren Modernisierung des Landes bestehende Notwendigkeit hin, das Gewicht des Staates zu reduzieren und ihn auf seine genuinen Aufgaben zu beschränken. Den mangelnden Privatisierungswillen brandmarkten sie als 'Ausflüchte', deren Ursachen sie im 'sozialisierenden Gedankengut' der Regierung sahen, welches der weiteren Entwicklung des Landes abträglich sei. 66 Die Kritik

^ 66

ein: "Aunque sea tillado de majadero o de muy majadero, creo que el tema de las privatizaciones ... es estremadamente importante. No por ideologismos, sino por que éstas crean mayores oportunidades y mejoran la asignación de recursos." El Mercurio 24/11/1991. "Las actuales autoridades parecen mirar las privatizaciones sólo como un mal necesario ... En todo caso, resulta de meridiana claridad que la actual administración parece más interesada en buscar argumentos para mantener o incrementar el volumen de los activos en manos del Estado que en traspasarlos al sector privado." (El Mercurio 19/1/1991). "Historicamente no es posible entender la idea y la práctica de las estatizaciones si no es en relación con los fundamentos filosóficos del pensamiento socialista, especialmente en su vertiente marxista." (El Mercurio 4/6/1991). Siehe weitere Äußerungen in El Mercurio vom 16/3/1991, 7/6/1991 und 27/6/1991. Siehe P. Halpern/E. Bousquet, Percepciones de la opinión publica acerca del rol económico y social del Estado, in: Colección Estudios CIEPLAN, Num. 36,1992, S. 103 f. Der Ex-Präsident der SOFOFA, Femando Agüero, äußerte sich wie folgt: "El gobierno utiliza resquicios para no privatizar. Su obligación legal es privatizar y no buscar los medios para hacer fracasar la privatización." (El Mercurio 1/8/1991). Auf der gleichen Linie lagen die Aussagen von Hernán Briones, dem Präsidenten der SOFOFA: "Lo que se requiere es privatizar de veras. Achicar el tamaño del Estado, terminar con su participación en calidad de 431

der Unternehmer und der politischen Rechten zielte auf eine pauschale Verringerung der Staatsaktivitäten in der Ökonomie ab. Der Privatisierungsprozeß dürfe nicht einmal vor CODELCO halt machen, selbst wenn der Kupferbergbau aufgrund seines hohen Kaufpreises erneut an das Auslandskapital fallen würde. Bei der Privatisierung komme es nicht darauf an, ob ein Unternehmen ausländisch oder national dominiert werde. Falls CODELCO aufgrund seiner Größe nicht als Einheit verkauft werden könne, solle es die Regierung in einzelne Unternehmenseinheiten aufspalten und dann privatisieren. Die Position der SOFOFA wurde von allen Verbänden der COPROCO und von exponierten Einzelunternehmern unterstützt.67 Die sich in Fragen einer möglichen Verfassungsreform zur Vertiefung und Konsolidierung der Demokratie äußerst unwillig zeigenden Verbände der COPROCO und ihre Vertreter (wie Hernán Briones von der SOFOFA, Jorge Prado von der SNA und José Antonio Guzmán selbst) waren im Falle der Privatisierung von CODELCO zu einer gesetzlichen Änderung bereit und kritisierten diesbezüglich den mangelnden Willen der Regierung, eine entsprechende Reform auf den Weg zu bringen. Argumentative Unterstützung erhielten die Unternehmerverbände insbesondere vom Instituto Libertad y Desarrollo. Es betonte in einer äußerst zweifelhaften Rechnung, daß eine mittelfristige Privatisierung von 50% der CODELCO keinerlei Verlust für den Fiskus bedeuten, sondern sich im Gegenteil der Wert des Kupferuntemehmens für den Staat durch die Privatisierung noch beträchtlich erhöhen würde.68 Die Regierung Aylwin wies sowohl die Forderungen nach weitergehenden Privatisierungen wie auch die Argumentation der Unternehmerverbände zurück, vertrat aber hinsichtlich der massiven Kritik keine einheitliche Position. Während Finanzminister Alejandro Foxley und Wirtschaftsminister Carlos Ominami ihre Bereitschaft erklärten, die Frage der Privatisierung pragmatisch zu betrachten und durchaus zur Privatisierung einiger Unternehmen bereit waren, vertraten René Abeliuk (CORFO) und Aylwin selbst eine eindeutig ablehnende Position.69 Ominami betonte, daß man aus der Frage der Privatisierung weder eine Prinzipienfrage noch ein Dogma machen solle. Es komme darauf an, die produktiven Kapazitäten im Lande zu erhöhen, was nicht über eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse geschehen könne. Hier seien insbesondere die privaten Unternehmer gefordert.

67

68 69

empresario en ámbitos que no le son propios y allegar recursos frescos al fisco, como los que permitirían incrementar el gasto fiscal." (El Mercurio 31/12/1990). So haben z.B. Juan Carlos Délano, der Präsident der Cámara Nacional de Comercio, und Eliodoro Matte, der Präsident der CMPC, explizit darauf hingewiesen, daß man auch CODELCO privatisieren müsse, und zwar egal, welcher nationalen Herkunft der Käufer sei. Siehe Estrategia 25/11/1991. Vgl. auch Äußerungen in El Diario 22/11/1991 und El Mercurio 24/11/1991. Vgl. Estrategia vom 26/11/1991 und El Mercurio vom 27/11/1991. Vgl. P. Halpem/E. Bousquet, a.a.O., S. 101 ff., wo auch die Haltung der Gewerkschaften zu dieser Frage wiedergegeben und eine Einschätzung versucht wird.

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Eine stärkere Assoziierung mit dem Privatsektor schloß er nicht aus. Auch Foxley betonte trotz weitgehender Übereinstimmung mit Aylwin und Abeliuk seine flexible Position, wies aber darauf hin, daß in Chile ein kleiner Unternehmersektor existiere, der in Fragen der Privatisierung eine ausgeprägte Überideologisierung zeige. Innerhalb der Unternehmerschaft beständen noch Reste einer rentenkapitalistischen Mentalität fort, die über die Übernahme von Staatsunternehmen zu relativ niedrigen Preisen schnelle Gewinne machen wollten, ohne neue Unternehmen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. 70 Dagegen betonten Abeliuk und Aylwin die über eine subsidiäre Rolle hinausgehenden Aufgaben des Staates und wiesen auf die bereits beträchtliche Privatisierung der Ökonomie hin. Aylwin widersprach der Möglichkeit, aus den Erlösen der Privatisierung von Staatsunternehmen dauerhaft Sozialausgaben finanzieren zu können. Bei einem Treffen mit Vertretern der SOFOFA sagte er, daß man sich bei Privatisierungen nicht von Dogmen leiten lassen dürfe, die Staatsunternehmen per se als schlecht betrachteten. Die Staatsunternehmen würden gut bewirtschaftet und arbeiteten äußerst effizient. Außerdem hätten die Unternehmer die Verfassung von 1980, in der der Staatsbesitz für die Gran Minería und die Erdölausbeutung festgeschrieben worden sei, explizit unterstützt. 71 Die Frage weitergehender Privatisierungen blieb ein Dauerthema und führte schließlich dazu, daß die Regierung emsthaft in Betracht zog, CODELCO partiell oder ganz zu reprivatisieren. Eine Reihe unbedeutenderer Unternehmen wurde im Laufe der Zeit an den Privatsektor veräußert. Daß die Funktion und die Rolle des 70

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Siehe entsprechende Äußerungen von Carlos Ominami in Estrategia vom 25/11/1991: "Hay que tener énfasis en el aumento de la capacidad productiva como el gran esfuerzo que deben hacer los empresarios y no concentrar la atención en puntos menores que pueden dañar el clima de acuerdo que existe en el campo económico." Alejandro Foxley äußerte sich wie folgt in El Diario vom 25/10/1991: "No comparto las visiones simplistas que asocian modernidad a la necesidad de privatizar empresas estatales como requisito para el incremento de la inversión privada ... Sería lamentablemente que esta hegemonía (i.e. die intellektuelle Hegemonie des Neoliberalismus, P.I.) nos llevara a un vacío, a una posición acrítica donde finalmente conceptos como la privatización como sinónimo de modernización sean aceptados en forma de verdades absolutas." Die Argumentation der Unternehmer sei "una visión sesgada por un enfoque ideológico." La Epoca 5/9/1991. Auf die Frage seiner Haltung zu weitergehenden Privatisierungen antwortete Abeliuk in El Mercurio vom 30/3/1990: "Muy simple. Así como no sigue la privatización tampoco hay proceso de reestatización. No vamos a expropiar, ni a estatizar; no vamos a comprar empresas ni vamos a hacer nada por nuestra cuenta para traerlas de vuelta a manos del Estado." Und Patricio Aylwin sagte in El Mercurio vom 20-26/5/1993 (Edición Internacional): "En la actual etapa de desarrollo de nuestra economía profundizar el proceso de privatizaciones, que había sido bastante profundo y drástico en la etapa anterior, no es aconsejable." Siehe auch die Replik des Instituto Libertad y Desarrollo auf Foxley in Libertad y Desarrollo, Num. 5, 1991; El Mercurio übertitelte ein Interview mit Foxley polemisch mit '£/ hombre de No'.

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Staates eng umrissen blieben, dafür sorgten Unternehmerverbände und die konservativen Oppositionsparteien.

7.

Die Beziehungen zwischen Unternehmerverbänden und demokratischer Regierung

Die Beziehungen zwischen Unternehmern und Regierung bzw. Staat sind seit den neoliberalen Strukturreformen des Militärregimes ein zentraler Bestandteil der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Organisations- und Funktionsfähigkeit der Ökonomie, weil mit ihnen seither ein 'neuer politischer Konsens1 bezüglich eines weniger interventionistischen Staates und einer gleichzeitigen Stärkung von Marktkräften (und damit einer protagonistischen, stärker politischen Rolle der Unternehmer) verbunden ist. Der strukturellen Verbundenheit von Unternehmern und Staat in kapitalistischen Marktwirtschaften 72 - auch unter demokratischen Bedingungen - entsprachen unterschiedliche Konflikt- und Konsenskonjunkturen in den Amtsjahren der Regierung Aylwin. Herrschte anfänglich noch ein gewisses Gefühl der Unsicherheit und des Mißtrauens der Unternehmer ob der Einhaltung der Versprechungen der demokratischen Regierung und gewisse Vorbehalte gegenüber dem demokratischen System an sich vor, so wandelten sich die Beziehungen in dem Maße, wie die Regierung durch ihre Politik eindeutige Signale an die Unternehmer im Sinne einer grundlegenden Kontinuität in der Wirtschaftspolitik und einer Unantastbarkeit ihrer property rights entsandte. Eine äußerst unternehmerfreundliche Politik, die einen Großteil der Forderungen und Vorstellungen der Unternehmer aufnahm und umsetzte, qualifizierte die Regierung Aylwin in den Augen der Unternehmer zur Führung der Amtsgeschäfte. Umgekehrt ließ die Unternehmerschaft ihre anfänglich negative Sichtweise einer Regierungsübernahme der Parteien der Concertaciön in dem Maße hinter sich, wie sie merkte, daß es nicht zu einer Umkehr der eingeschlagenen Entwicklungsstrategie und der damit einhergehenden zentralen Rolle des privaten Unternehmertums kommen würde, sondern die Regierung vielmehr eine Vertiefung dieser Strategie und des Weltmarktmodells anstrebte. Selbst eine größere soziale Gerechtigkeit sollte mit marktförmigen Mitteln erreicht werden. Die Legitimation des privaten Unternehmertums und seine Rolle als eigenständiger sozialer und politischer Akteur wurden damit beträchtlich gestärkt. Mit der Wiederherstellung der politischen Demokratie versuchte die Regierung Aylwin zunächst, unter den wichtigsten gesellschaftlichen Kräften (Unternehmerverbänden und Gewerkschaften) einen breiten Konsens über das Ord79

Siehe zu den Ambiguitäten einer notwendigen Beziehung und der gegenseitigen Abhängigkeit für den chilenischen Fall die Ausführungen von C. Montero, El actor empresarial en transición, a.a.O., S. 41 f.

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nungsmodell und einige Reformen des Systems herzustellen und die offene Konfrontation mit diesen Gruppen zu vermeiden, da ihrer Ansicht nach ansonsten alle Anstrengungen zur Konsolidierung der Demokratie hätten kontraproduktiv werden können. Bereits die Bestimmung der Minister und sonstigen hochrangigen Angestellten in den Ministerien (Staatssekretäre, Direktoren, Abteilungsleiter etc.) zeigte ein beträchtliches Entgegenkommen der Regierung gegenüber den 'Sicherheitsbedürihissen' der Unternehmer. Beispielhaft läßt sich dies im Agrarministerium zeigen, wo keiner der Berufenen eine prominente Rolle im Landreformprozeß gespielt hatte noch als Vertreter einer Stärkung der Gewerkschaften auf dem Lande bekannt war, sondern sowohl Minister wie auch Staatssekretäre den moderatesten und technokratischsten Sektoren der Regierungskoalition angehörten bzw. sogar 'Unabhängige' waren. Dies trifft z.B. für solche Schlüsselinstitutionen des Ministeriums wie das Instituto de Investigación Agrícola (INIA), das Instituto de Desarrollo Agropecuario (INDAP), die Corporación Nacional Forestal (CONAF) und den Servicio Agrícola y Ganadero (SAG) zu, die von Agraringenieuren geleitet wurden. Die Bestimmung von Juan Augustfn Figueroa zum Agrarminister reflektierte den Wunsch der Regierung, möglichst offene Kommunikationskanäle mit der SNA zu etablieren, war Figueroa doch Mitglied der bürgerlich gemäßigten Radikalen Partei und selbst Landbesitzer. Er verfügte somit über die 'richtigen' Beziehungen und politischen Fähigkeiten im nichtkonfrontativen Umgang mit den Agrariern. Die Kontinuität in der Wirtschaftspolitik auch im Agrarsektor und die Etablierung guter Beziehungen zwischen Ministerium und SNA waren um so wichtiger, als Jorge Prado nach seinem Ausscheiden als Landwirtschaftsminister im Oktober 1989 neuer Präsident der SNA geworden war und als solcher de facto das Agrarministerium bis zum Ende der Diktatur weitergeleitet hatte. Diese Art von co-gobierno mußte die Regierung Aylwin vermeiden, ohne gleichsam einen allzu großen Statusverlust der SNA eintreten zu lassen. "Until now, relations between the democratic government and landowner organisations have been remarkably good. The availibility of adequate communication channels between the state and the agrarian entrepreneurs seems to be essential both for social and economic progress in the countiy-side, and for political stability as a whole. Landowner organisations have always been, and still are, one of the most cohesive and best organized sectors amongst Chilean dominant groups. Any serious and prolonged clash between the state and these organisations would certainly imperil the consolidation of democratic rule in the country." 7 ^

Insgesamt läßt sich daher sagen, daß es zwischen Regierung und Unternehmer(verbände)n eine breite gegenseitige Verständigung und Übereinstimmung über C. Kay/P. Silva, Rural Development, Social Change, and the Democratic Transition, in: C. Kay/P. Silva (Eds.), Development and Social Change in the Chilean Countryside, Amsterdam, 1992, S. 295. Siehe zum Vorangegangenen ebd., S. 285 ff.

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die grundsätzliche Orientierung der Ökonomie gab, die sich im Laufe der Zeit noch verstärkt hat. Das schließt nicht aus, daß es in Einzelaspekten auch zu unterschiedlichen Einschätzungen und Konflikten zwischen beiden Akteuren kam. Dies war etwa 1990 in der Frage der Anpassungspolitik der Fall, noch stärker bezüglich der Steuerreform und der Reform der Arbeitsgesetzgebung, die eine beträchtliche Oppositionshaltung seitens der Unternehmerverbände und bei Repräsentanten der politischen Rechten auslösten, da sie als Hindernis für den weiteren Wachstumsprozeß und für private Investitionen betrachtet wurden. Die Regierung rechtfertigte die partiellen Reformen mit ihrer Politik des sozialen Ausgleichs und der langjährigen Vernachlässigung der 'sozialen' Frage durch das Militärregime und kam in der endgültigen Verabschiedung dieser Reformen Unternehmerinteressen durchaus entgegen. Diese Maßnahmen, wie auch die verfolgte Anpassungspolitik, dienten letztlich der Stabilisierung und Absicherung der marktwirtschaftlichen Ausrichtung des Wirtschaftssystems. Konflikte zwischen Unternehmern und Regierung gab es auch 1991 in bezug auf die Frage der weitergehenden Privatisierung und der generellen Rolle des Staates in der Ökonomie. Kleinere Dispute entfalteten sich etwa zwischen der SNA und der Regierung über das neue Fischereigesetz, über den Umgang mit der weiterhin bestehenden Überschuldung des Agrarsektors, über das Komplementaritätsabkommen im Agrarsektor mit Argentinien sowie zwischen Regierung und mittleren und kleinen Unternehmen im Transportsektor über die Regulierung des chaotischen Busverkehrs in Santiago. Größere Meinungsverschiedenheiten bestanden zwischen Regierung und Unternehmerverbänden in der Frage der Verfassungsreform, wo die Verbände der COPROCO offen ihr politisches Gewicht ausspielten, um die bestehenden Einschränkungen der politischen Demokratie aufrechtzuerhalten. Zentrales Argument der Unternehmer war, daß die politische Institutionalität des Landes ideal an die liberale Wirtschaftsordnung gekoppelt sei und somit die besten Bedingungen für eine freie Marktwirtschaft bestünden.74 Die angesprochenen Punkte und der verfolgte Kurs auf sozialem Gebiet führten bei einigen Unternehmenssektoren zu einer äußerst kritischen Haltung gegenüber der Regierung. Auf einem den Beziehungen von Unternehmern und Regierung gewidmeten Seminar im Herbst 1991 artikulierte Felipe Lamarca, Präsident von COPEC, einem der größten Unternehmen des Landes, diese Kritik in seinem Diktum einer contrarrevolución silenciosa. Er lehnte sich dabei an einen Buchtitel von Joaquín Lavin (La revolución silenciosa) an, in dem dieser die vielen kleinen 'Erfolge' und 'Fortschritte' des Pinochet-Regimes auf sozialökonomischem Gebiet als eine stille Revolution feierte. Im Kern ging es Lamarca darum, ein Bild der Regierung zu zeichnen, die selbst nicht von dem Wirtschaftssystem überzeugt sei, 74

Siehe Confederación de la Producción y del Comercio, La CPC en torno a proyectos de Reforma Constitucional, vom 17/8/1992; vgl. C. Montero, El actor empresarial en transición, a.a.O., S. 62.

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welches sie tagtäglich zur Anwendung bringe, und deshalb mit einer wenig sichtbaren Obstruktionspolitik seine Grundlagen zu unterminieren trachte. Entsprechend sah Lamarca seit Beginn der Demokratie eine Reihe von entmutigenden Signalen für die Unternehmer (Steuererhöhungen, Arbeitsreformen, Einschränkung der Unternehmensfreiheit, bürokratische Erschwernisse bei Investitionsvorhaben und wirtschaftliche Ineffizienz des Staates, Zunahme der Delinquenz und des Terrorismus, denen nicht genügend und entschieden genug begegnet würde), die darauf abzielten, die sozialen Kräfteverhältnisse im Lande grundsätzlich zu verschieben und die Errungenschaften des Wirtschaftsmodells zurückzudrängen, um Marktwirtschaft und privates Unternehmertum zu schwächen. Dabei seien es nicht unbedingt Kräfte in der Regierung selbst, sondern im mittleren Verwaltungsbereich, die die Anstrengungen und Bemühungen der Unternehmer zum Wohl des Landes hintertrieben. 75 Eine ähnliche Meinung drückte der Präsident der CMPC Eliodoro Matte aus. Zwar seien der Präsident und die Minister der freien Marktwirtschaft verpflichtet, aber die Häufung negativer Signale könne sich in der Zukunft als schwerwiegend für die Entwicklung des Landes herausstellen. 76 Dieser scharfen Kritik am Kurs der Regierung pflichtete später publizistisch El Mercurio bei, der eine Vielzahl von Elementen der 'Konterrevolution' aufzeigte und das sich ausbreitende, wachsende Mißtrauen der Unternehmer gegenüber dem angeblich widersprüchlichen Kurs der Regierung als nicht nur verständlich, sondern auch als absolut berechtigt hinstellte. 77 Damit gab es machtvolle Gruppierungen innerhalb der Unternehmerschaft um die größten Wirtschaftskonzeme herum, die sich weder mit der demokratischen Regierungsform noch mit dem Kurs der Regierung Aylwin abfmden wollten. Überdies dienten diese angesichts der Marktkonformität der Regierung und ihrer Maßnahmen überraschenden Äußerungen dazu, mittels rhetorischer Radikalität präventiv das Terrain für zukünftige Reformbestrebungen abzustecken und damit der Regierung Grenzen ihrer Reformpolitik aufzuzeigen. Die konzilianteren Sektoren innerhalb "Siento que en Chile estamos en este momento en una especie de contrarrevolución silenciosa. Que no hay una verdadera correspondencia entre lo que piensan las autoridades económicas y lo que realmente ocurre a los empresarios en el dfá a día. Hay allí un elemento extraño que debe ser erradicado de inmediato ... Algo en el país está deteriorándose ... Alguien no está creyendo en algo, y hay la sensación de que lo que piensan los ministros no es lo mismo que piensan los mandos medios, que parecen tener otras prioridades. Como consecuencia, el empresario está teniendo contratiempos con sus proyectos; no se le recibe cuando tiene dificultades o ideas que pueden ser beneficio para el país, por lo que está prefiriendo retacarse." So Felipe Lamarca in El Diario 29/10/1991. 76 "No se trata de grandes noticias, pero silenciosamente están ocurriendo hechos que sumados y prolongados en el tiempo, pueden tener mucha gravedad." So Eliodoro Matte in El Diario 29/10/1991. 77 Siehe Los empresarios y las señales de Aylwin, in: El Mercurio vom 24/11/1991; und Hay contrarrevolución?, in: El Mercurio vom 4/12/1991.

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der Unternehmerschaft, wie der Präsident der COPROCO (José Antonio Guzmán), machten dagegen deutlich, daß es keine contrarrevolución silenciosa gebe. 78 Über solche kritischen Verlautbarungen bestimmter Konzerne hinaus herrschte zumindest seitens des strategischen Kerns der Unternehmerverbände ein zwar distanzierteres Verhältnis zur neuen Regierung wie gegenüber dem PinochetRegime vor, aber gleichzeitig gab es auch ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und der grundsätzlichen Verständigimg über die Wirtschaftspolitik. In einer Zusammenkunft der COPROCO samt ihrer Zweigverbände mit dem Präsidenten betonte José Antonio Guzmán unmißverständlich: "Le hemos hecho presente al Jefe de Estado que, lamentablemente, creemos que 1991 ha dado una impresión falsa en cuanto a las relaciones empresarios-gobierno. Por nuestra parte, las hemos estimado muy satisfactorio y esperamos que en el presente año continúen en la misma forma." 79 Dieser Einschätzung ließen sich mühelos Äußerungen der Verbandsführer der SNA und der SOFOFA hinzufügen. Die Regierung hatte nicht nur bereits über die Besetzung der Ministerien und anderer hoher Ämter sowie über die Kontinuität einiger Chicago Boys in Schlüsselpositionen der Staatsverwaltung und Staatsunternehmen 'positive Signale' an die großen Unternehraerverbände gesandt, sondern sie versuchte auch ansonsten, ihr Vertrauen zu gewinnen. Dies zeigte sich z.B. im Außenwirtschaftsbereich, wo es eine enge Kooperation zwischen Unternehmern und Staat gab. Bezüglich der Integration in den Weltmarkt, der Ablehnung eines Beitritts zum Mercosur und des 78

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'Sin duda que existen elementos, especialmente de manejo de algunos sectores que emiten o toman medidas que van en contra del modelo de economía de libre mercado, pero de ahí a señalar que haya una contrarrevolución sistemática me parece que no hay suficientes antecedentes como para afirmarlo." El Diario 29/10/1991. Guzmán stand wegen seiner konzilianteren Haltung der demokratischen Regierung gegenüber oft in der Schußlinie radikalerer Unternehmersektoren, die an seiner Führung der COPROCO mehrfach Kritik übten. Dies ging soweit, daB er bei wichtigen Regierungstreffen hoher Unternehmer nicht eingeladen und bei Zusammenkünften von eine härtere Linie verfolgenden Unternehmensrepräsentanten ausgegrenzt wurde, was ab und an bis zum öffentlichen Eklat führte. Estrategia 14/1/1992. Auf die Frage, ob die Unternehmer Vertrauen in die Regierung hätten, antwortete der Ex-Präsident der COPROCO, Manuel Feliú, in einem Interview: "No hay razón para tener desconfianza ... Estos dos años han servido para darnos cuenta de que tenemos un Gobierno que ha aceptado un modelo económico social de mercado y que también basa sus esperanzas de crecimiento económico en el desarrollo empresarial privado." Estrategia 13/1/1992. Auch von Regierungsseite war nichts anderes zu vernehmen. Gewissermaßen stellvertretend für die Regierung antwortete Alejandro Foxley auf die Frage nach seinen Beziehungen zu den Unternehmern kurz und knapp "Muy buena". El Mercurio 12/7/1992. Den gleichen Eindruck gewann der Autor in einer Reihe von Interviews mit den Präsidenten oder hohen Repräsentanten der wichtigsten Untemehmerverbände Chiles zwischen Oktober 1991 und März 1992, in denen die Beziehungen zwischen Unternehmern und Regierung und die Empfänglichkeit (receptividad) der Regierung durchweg als sehr gut bezeichnet wurden.

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Abschlusses bilateraler Freihandelsabkommen mit diversen Staaten des Kontinents gab es keinerlei Meinungsverschiedenheiten zwischen COPROCO und Regierung. Beide arbeiteten in der Konzeptionierung und Abstimmung einzelner Strategien so eng zusammen, daß Anfang 1993 die Kontakte institutionalisiert wurden. Die Comisión de Relaciones Económicas Internacionales setzte sich aus hohen Regierungsvertretern und Repräsentanten der Unternehmerschaft zusammen und war ein ständiges Konsultativorgan, welches der gegenseitigen Abstimmung der Handelspolitik diente. Die Unternehmerverbände waren auch an der Vorbereitung und Ausgestaltung der oben genannten bilateralen Abkommen stets aktiv beteiligt, und hochrangige Repräsentanten der Verbände nahmen an Auslandsreisen von Regierungsmitgliedern teil, die im weitesten Sinne Fragen der Handelsliberalisierung zum Gegenstand hatten. Halboffizielle Institutionen wie ProChile dienten der Exportförderung und der Absicherung von Exportstrategien ebenso wie der diplomatische Dienst des Landes, dessen Schwerpunkt auch im wirtschafts- und handelspolitischen Bereich lag. 81 Dazu diente nicht zuletzt auch die offene Einladung an die Unternehmer zur Mitwirkung an Entscheidungen des Staates, die von der Regierung als gegenüber dem Militärregime bedeutende Änderung in der Art zu regieren hingestellt wurde. Die Unternehmer würden in allen Ministerien jederzeit offene Türen vorfinden.82 Ausnahmslos wiesen die Verbände der COPROCO gute Beziehungen zum Wirtschafts- und Finanzministerium, zum Präsidenten und weiterhin zu den für die jeweiligen Wirtschaftssektoren zuständigen Ministerien (insbesondere zum Agrar-, Bergbau- und Arbeitsministerium, aber auch zu MIDEPLAN und dem Secretaría General de Gobierno) sowie zu staatlichen Institutionen wie der CORFO und der Zentralbank auf. Darüber hinaus verfügten sie über exzellente Kontakte zu den Medien, zu den größten und/oder privaten Universitäten des Landes sowie zu Rechtsparteien, Kirche etc., die entweder der direkten Einflußnahme oder der Verbreitung von Unternehmerpositionen dienten.83 80

Ol Siehe O. Muñoz/C. Celedón,' Chile en transición,' a.a.O.,' S. 112. 01 Siehe P. Birle/P. Imbusch/Ch. Wagner, Unternehmer und regionale Integration in Lateinamerika, in: H J . Lauth/M. Mols (Hrsg.), Integration und Kooperation auf dem amerikaniR1 schen Kontinent, Mainz, 1993, S. 85 ff. Den Unterschied zur Diktatur drückte Wirtschaftsminister Carlos Ominami wie folgt aus: "El sector empresarial, y por cierto el sector laboral, perciben un cambio en la forma de gobernar que existe hoy día. El sector empresarial durante el período anterior tenía, en muchos casos, dificultades de acceso a los ministerios y había una conducción bastante iluminada, que no sentía la necesidad de tener grandes consultas ni discusiones con nadie. Creo en ese campo hay un cambio de actitud muy importante y el sector empresarial tiene puertas muy abiertas en todos los ministerios, especialmente en los ministerios del sector económico." Industria, Q-I Num. 1046,' Junio-Julio 1991,' S. 13. Siehe dazu Sociedad de Fomento Fabril, Memoria Anual 1990-1991; Sociedad Nacional de Agricultura, Memoria de Actividades 1990 und 1991 sowie deren monatlich erscheinende

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Anlaß für permanente Konsultationen gab es aber nicht nur auf dieser Ebene, sondern zum Meinungs- und Gedankenaustausch und zur Abstimmung von Projekten dienten auch eine unzählige Menge teils informeller, teils formeller Kontakte zwischen Regierungsvertretern und Unternehmern. Zu erwähnen sind hier neben Arbeitsessen, privaten Einladungen und gesellschaftlichen Anlässen wie Festen, Eröffnungen, Bällen etc. auch die stärker institutionalisierten Treffen von hohen Regierungsvertretern und höchsten Unternehmerkreisen im Rahmen des alljährlich stattfindenden Encuentro Nacional de la Empresa (ENADE), von Messen und Ausstellungen wie FISA und ENAGRO, des Comida Anual de la Industria, des Día de Campo sowie von unzähligen Seminaren und Konferenzen, die von Unternehmerseite aus organisiert wurden.84 Die ENADEs spiegelten jeweils auch den Stand der Beziehungen zwischen Unternehmern und Regierung wider und verdeutlichten allein schon durch die Themenwahl die sukzessive Annäherung beider Akteure und das zunehmende Vertrauen der Unternehmer in die demokratische Regierung. Auf der ENADE '89 standen hauptsächlich makroökonomische Themen auf der Tagesordnung, welche die Besorgnis der Unternehmer über das zukünftige Entwicklungsmodell Chiles ausdrückten. Dies schlug sich eindeutig in der Wahl des Oberthemas - "Quo Vadis, Chile?" - nieder. Alle Präsidentschaftskandidaten wie auch zukünftige Minister der Wirtschaftsressorts waren eingeladen, und politische Themen beherrschten einen Großteil der Debatten. Die Sorge um die Aufrechterhaltung eines Ordnungsmodells in Übereinstimmung mit Unternehmerinteressen stand nach den in Angriff genommenen Reformen der Regierung noch expliziter im Mittelpunkt der ENADE '90 ("Mutatis Mutandis. Perspectivas de la economía mundial e implicaciones para América Latina"). Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus sahen sich die Unternehmer keinen ideologischen Herausforderungen mehr gegenüber, und der erreichte Grad der Verständigung mit den Parteien der Concertación drückte sich in einem allgemeinen Klima des Optimismus und der Zuversicht bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Nachdem die Unsicherheiten des Transitionsprozesses für die Unternehmer im Verlaufe des Jahres 1991 gänzlich überwunden waren, fand die ENADE '91 unter dem Oberthema "Transitus. Más allá de la transición" statt. Bei dieser Gelegenheit betonten die Unternehmer, daß die verfolgte Wirtschaftspolitik und die Performanz der wirtschaftlichen Entwicklung alle ihre Erwartungen übertroffen hätten, so daß die mittel- und langfristigen Perspektiven des Exportmodells in den Mittelpunkt rückten. Diesbezüglich wurden Zeitschrift El Campesino, die diese Aktivitäten dokumentieren. Beide Verbände sahen eine Hauptaufgabe darin, die Kontakte zur Regierung und zu staatlichen Institutionen zu stärken und möglichst dauerhaft zu institutionalisieren. Diese Treffen werden zum Gutteil auf den Vida jocía/-Seiten in El Mercurio dokumentiert, die diesbezüglich äußerst instruktiv sind.

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die bis dato nicht ausgeschöpften, großen Wachstumspotentiale der chilenischen Ökonomie hervorgehoben und Chile erstmals in die Nähe der südostasiatischen Schwellenländer gerückt. Die Regierung wurde ausdrücklich ob ihrer Verpflichtung auf die Entwicklungsstrategie mit all ihren Implikationen und der erfolgreichen Transition gelobt. In einem generellen Klima des Optimismus fand schließlich die ENADE '92 unter dem Motto "Ad Portas: En el umbral de la prosperidad?" statt. Die Organisatoren des Encuentro - das ICARE {Instituto Chileno de Administración Racional de la Empresa) und die COPROCO - formulierten eine mittelfristige Strategie, mit der zum einen innerhalb eines Jahrzehnts die Armut im Lande beseitigt werden, zum anderen Chile im gleichen Zeitraum den Sprung aus der Unterentwicklung schaffen sollte. Dazu war ein Bündel von Maßnahmen vorgesehen, die ein Wachstum des BSP von 7%, eine Investitionsrate von 24% des BSP, eine einstellige Inflation und eine Arbeitslosenrate von 4%-5% sowie effizientere Ausgaben des Staates und eine Reduktion der Steuerbelastung ermöglichen sollten. Projektiertes Ziel war ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 7000 US-$. Diese Sichtweise der Dinge wurde von den Ökonomen der Regierung zur Gänze geteilt.85 Während für die Verbände der COPROCO bezüglich des Beziehungsgeflechts zur Regierung und zum Staat eher auf Kontinuität in einem gewandelten politischen Umfeld zu verweisen wäre, trifft dies für die mittleren und kleinen Unternehmer nicht zu, da für diese in den Jahren der Militärdiktatur die Kommunikationskanäle zur Regierung aufs äußerste eingeschränkt waren. Seit 1975 hatte es mit Ausnahme der Jahre 1982-84 so gut wie keine Unterstützung mehr für die kleinen und mittleren Unternehmer gegeben, so daß es insbesondere Nicht-Regierungsorganisationen waren, die in bescheidenem Umfang finanzielle und technische Hilfe leisteten. Mit dem Regimewechsel 1990 wurden alle traditionellen Förderungsmöglichkeiten insbesondere für die kleinen, eingeschränkt auch für mittlere Unternehmer reaktiviert (CORFO, IFOP, Sernap, Sercotec, Intec, CIREN-CORFO, INDAP, ENAMI etc.) und einige neue Programme auf den Weg gebracht (Fontec, FONDES, FOSIS). Insgesamt maß die neue Regierung den kleinen und mittleren Unternehmern innerhalb der festgelegten Entwicklungsstrategie eine weitaus größere Bedeutung zu als die Regierung Pinochet. Hinzu kamen langfristige Abkommen mit Nicht-Regierungsorganisationen (wie Cooperativa Liberación, CEFOPE, SERCAL, GEA, Fondo de Proyectos Productivos de SUR, Trabajo para Hermanos, FINAM, Apyme etc.), die spezifische Hilfsmaßnahmen durchführten und Kreditlinien sowie umfassende Beratungstätigkeiten bereitstellten. Zusätzlich verabschiedete die Regierung Programme zur produktiven Modernisierung dieser Unternehmer im Bereich von Wissenschaft und Technologie und stellte über Sercotec Kontakte zu Großun-

oc OJ

Vgl. C. Montero, El actor empresarial en transición, a.a.O., S. 59 f.

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temehmen zur Verbesserung der interindustriellen Verflechtung her. 86 Die Vielzahl der Aktivitäten kann aber nicht über die nur begrenzte Mittelausstattung der Förderung in diesem Bereich hinwegtäuschen. Entsprechend wurde der Regierungswechsel samt Rückkehr zur Demokratie von Teilen dieses Sektors begrüßt87 und die Verbesserung der Beziehungen gelobt. Die Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer fanden jetzt wie die Großverbände der COPROCO offene Türen in den Ministerien vor, was sich in einer Vielzahl von Treffen und Versammlungen, insbesondere zwischen der CONUPIA und den Ministem der verschiedenen Ressorts (Inneres, Wirtschaft, Finanzen, MIDEPLAN, Secretaría General de Gobierno, Arbeit und Soziales, CORFO) und staatlicher Institutionen (ProChile, Banco del Estado, Staatsunternehmen), niederschlug. An Veranstaltungen der CONUPIA und der kleinen und mittleren Unternehmer im weiteren Sinne (z.B. Día del Industrial, Messen, Seminare) partizipierten Minister und Staatssekretäre, so daß sich die Beziehungen dieses Unternehmenssegments zur Regierung allgemein zur Zufriedenheit des Sektors entwickelten.88 Dennoch beinhaltete der Zugang zur Regierung für die kleinen und mittleren Unternehmer nicht automatisch auch Einflußmöglichkeiten auf deren politische Entscheidungen, sofern es über finanzielle und technische Aspekte der Unterstützung und Beratung hinausging. Zudem hatten - im Gegensatz zu den Großunternehmern kleine und mittlere Unternehmer kaum Möglichkeiten individueller Einflußnahme, da sie weder ausreichende Ressourcen mobilisieren noch entsprechenden Druck ausüben konnten. Die allgemeine Feststellung guter Beziehungen zwischen Regierung und kleinen und mittleren Unternehmen bedeutete nicht, daß sich jene wider0£ 00 87

88

Siehe L. v. Hemeiiyck, Hl desarrollo de la pequeña y microempresa en Chile. Un desafío para el futuro, in: Proposiciones, Num. 20, 1991, S. 154 ff. Im Revista AMPICH, dem offiziellen Organ der Asociación Gremial de la Mediana y Pequeña Industria de Chile, findet sich eine der wenigen Grußadressen an die Regierung Aylwin von Unternehmerseite: "En el Gobierno de las Fuerzas Armadas se establecieron las reglas que llevarían al país a un cambio en su conducción. Es así que hoy podemos decir, con satisfacción, que hemos vuelto en paz y armonía plena a la democracia y hemos recuperado el sitial que ocupaba nuestra nación entre los países de más antigua tradición democrática. Por tal razón, saludamos respetuosamente a S.E. el presidente de la República don Patricio Aylwin Azocar y le deseamos éxito como gobernante, le ofrecemos nuestro modesto apoyo desde el lugar de nuestros trabajos.* So das Editorial der Revista AMPICH, Num. 57, März 1990. So heißt es in der Zeitschrift CONUPIA, Num. 110, 1991, S. 4 f.: "... hoy día podemos decir con orgullo y gran satisfacción que cada vez que una autoridad gubernamental ... desea tomar una decisión o realizar algún programa o acción en el sector de la pequeña y mediana industria, consulta el parecer de CONUPIA y, no tan solo eso, sino que la involucra activamente ... A nivel gubernamental se han recibido innumerables gestos que respaldan lo señalado, ya que cada vez que se ha debido recurrir a alguna autoridad, ya sea para hacerle partícipe del accionar o plantear alguna aspiración del sector, la directiva ha sido atendida con prontitud y grandes demostraciones de interés por resolver los problemas.*

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spruchs- und konfliktfrei gestalteten. Beispielhaft seien hier nur der Streik der Transportunternehmer im April 1990 aus Anlaß der Regulierung und Rationalisierung des Busverkehrs in Santiago durch die Regierung erwähnt, sowie die 'Ausgrenzung' der Verbände der kleinen und mittleren Unternehmer aus den Konzertierungsprozessen, den direkten Beratungen über die Steuer- und Arbeitsreform, in denen jene außer in den Kommissionen über keinerlei Mitsprache- und Partizipationsmöglichkeiten verfügten, obwohl sie zu den am stärksten betroffenen Sektoren zählten.89 Allerdings kann in den meisten Fällen ein Einverständnis mit den Positionen der COPROCO unterstellt werden. Resümierend muß bezüglich der Beziehungen von Unternehmern und demokratischer Regierung zunächst gesagt werden, daß sich die Regierung der Concertación gegenüber den Unternehmerverbänden in einer Position der Schwäche befand, die ihr nur einen geringen Handlungsspielraum ließ. Die Unternehmer befanden sich dagegen aufgrund der Kontrolle von Schlüsselvariablen der wirtschaftlichen Entwicklung in einer privilegierten Position, die sie gegenüber der Regierung ausnutzen konnten, um ihre Reformabsichten zu begrenzen oder gänzlich zu boykottieren. Dazu diente den Unternehmern, die spätestens seit der Endphase der Militärdiktatur als autonome politische Akteure auftraten, eine Arbeitsteilung von UnternehmerVerbänden, ihnen ideologisch nahestehender Institutionen und konservativen Parteien. Das politische Handeln der Unternehmer zielte dabei in zwei Richtungen: Zum einen drängten sie auf die unbedingte Beibehaltung der grundlegenden Prinzipien der unter der Diktatur etablierten freien Marktwirtschaft. Dazu evaluierten sie ständig einzelne Regierungsmaßnahmen nach Maßstäben 'reiner Theorie' und wiesen jegliche Wirtschaftspolitik zurück, die damit nicht in Übereinstimmung zu bringen war. Neben der ständigen Betonung dessen, was sein sollte, konzentrierten sie sich auf die Kommentierung dessen, was die Regierung zu tun unterließ. Kam der erste Teil der Strategie in Fragen der Steuerreform und der Arbeitsgesetzgebung zur Anwendung, so der letztere in Fragen der Privatisierung, der Verbrechensbekämpfung etc. Zum anderen entwickelten die Unternehmer eine ideologische Offensive, die das als erfolgreich eingeschätzte Wirtschaftsmodell mit der Institutionalität der begrenzten politischen Demokratie zusammenbrachte. Dies war eine weitere wichtige Grundlage unternehmerischer Argumentationen gegen die verschiedenen Reformbemühungen der Regierung (Steuerreform, Arbeitsgesetzgebung, Verfassungsreform etc.), in die sich die Unternehmerverbände aktiv einmischten. Ihr Verhalten in den einzelnen Reforminitiativen machte deutlich, daß die Unternehmer danach trachteten, jene soweit wie irgend möglich zu verhindern oder ihnen ihren eigenen ideologischen Stempel aufzudrücken.90 Siehe entsprechende Äußerungen im Revista AMPICH, Num. 59, Agosto-Septiembre 1990, S. 14 f. Vgl. C. Montero, El actor empresarial en transición, a.a.O., S. 61 ff.

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Die Unternehmer haben sich mit der 'geschützten' politischen Demokratie arrangiert, obwohl sie noch im Plebiszit 1988 mit großer Mehrheit für einen Verbleib Pinochets im Amt votiert und im Wahlkampf 1989 die Kandidaten der Diktatur unterstützt hatten. Sie traten erfolgreich für die Beibehaltung antidemokratischer Institutionen im Lande ein. Ihr Arrangement ist ihnen nicht nur durch vielfältiges Entgegenkommen und effektive Garantien der Regierung und die Mäßigung der Gewerkschaften, sondern auch durch ihren politischen Legitimationsgewinn erleichtert worden, so daß sie nicht um ihre Interessen furchten mußten. Obwohl die Unternehmer damit wichtige Akteure im Übergangsprozeß zur Demokratie waren, lehnten sie eine weitergehende Demokratisierung der Institutionen des Landes doch strikt ab, da sie in ihr die Gefahr einer neuerlichen Politisierung des Staates sowie seiner Aufgaben und Funktionen sahen, die alte Phantasmen Wiederaufleben ließ. Zudem verließen sie sich lieber auf 'autoritäre Enklaven' und undemokratische Herrschaftskonstellationen innerhalb des politischen Systems denn auf einen wirklich offenen, kompetitiven politischen Prozeß zur Durchsetzung ihrer Interessen. Damit konnten sie eine ihren Interessen entsprechende Organisation des politischen Systems sicherstellen und das politische Kräftespiel auf die engen Grenzen der 'geschützten' Demokratie beschränken. Ein Regierungswechsel über die politischen Systemgrenzen und die etablierten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus ist damit unmöglich. Der genuin konservative Charakter der Vorstellungen der Unternehmerverbände zeigte sich darin, daß Demokratie möglichst keine Rotation der Macht beinhalten und elitenorientiert sein soll. In dieser Art der Demokratie gäbe es zwar Wahlen, aber keinerlei Optionen, die eine Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse oder des größeren sozioökonomischen Modells beinhalten. 91 Dies sind im Verbund mit der Sicherung und Respektierung ihrer grundlegenden Interessen die Bedingungen der chilenischen Unternehmer(verbände) für die Unterstützung demokratischer Herrschaftsformen. Die Prinzipien des freien Marktes, der Antietatismus und die Verbreiterung ökonomischer Handlungsspielräume für die Unternehmer stellen wesentliche Konsens- und auch Kohäsionspunkte für eine ansonsten heterogene Unternehmerschaft dar. 'Demokratischer' Diskurs und 'Pragmatismus' der Unternehmerverbände können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie heute - trotz ihrer zur Schau gestellten Weltoffenheit - die neben den Militärs ideologisierteste und autoritärste gesellschaftliche Gruppierung Chiles sind. Ihre mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Wahrheiten rücken einen 'wertfreien Markt' in das Zentrum jedweder gesellschaftlicher Beziehungen, und allein die Möglichkeit der Teilnahme am Marktgeschehen

Vgl. H. Zemelman, Chile. El régimen militar, la burguesía y el estado (Panorama de problemas y situaciones 1974-1987), in: P. González Casanova (Coord.), El Estado en América Latina. Teoría y práctica, México D.F., 1990, S. 291-322.

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ist für sie im Grunde bereits Demokratie.92 Die Unternehmer werden demokratische Herrschaftsformen damit nur solange stützen, wie ihre grundlegenden Interessen und property rights auf die eine oder andere Art geschützt sind.

05 Siehe L. Märmora/D. Messner, Chile im lateinamerikanischen Kontext. Ein Modell für Demokratisierung und Entwicklung in der gesamten Region?, in: J. Ensignia/D. Nolte (Hrsg.), Modellfall Chile?, Hamburg, 1991, S. 63.

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VIQ. Synthese zu Kernfragen des Verhältnisses von Unternehmern und Politik Im Verhältnis der Unternehmer zur Politik lassen sich im historischen Entwicklungsverlauf mindestens drei Phasen eindeutig gegeneinander abgrenzen. Zunächst wäre die Phase der oligarchischen Republik von der Unabhängigkeit Chiles bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts hinein zu unterscheiden: In dieser Zeit bildeten die Unternehmer bzw. die Agraroligarchie die unangefochten dominante Gruppierung der Gesellschaft, welche die Politik direkt bestimmte und den Staat beherrschte. Zwar sind aus dieser Zeit immer wieder Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Fraktionen der Unternehmerschaft gut dokumentiert, weil sie sich nicht zuletzt in kurzen Bürgerkriegen niedergeschlagen haben, aber die herausragende Stellung und Dominanz der auf Landbesitz gestützten Agraroligarchie wurde in dieser Periode nie ernsthaft in Frage gestellt. Die Interessen der Agraroligarchie, die sich im Zeitverlauf selbst differenzierten, setzten sich über das Parlament und die einzelnen Parteien, die jeweils unterschiedliche Fraktionen des privaten Kapitals repräsentierten, durch. Im oligarchischen Staat - formal als repräsentative Demokratie organisiert - konzentrierte sich die politische, soziale und ökonomische Macht bei einer kleinen landbesitzenden Klasse, die eng mit Handels-, Banken-, Mineninteressen und später auch mit einer sich herausbildenden verarbeitenden Industrie verbunden war. Die Fundamente der oligarchischen Republik erodierten in den 20er Jahren schnell. Ihr Ende kam spätestens mit der Weltwirtschaftskrise und dem nachfolgenden Aufstieg des Volksfrontbündnisses unter Aguirre Cerda 1938. Damit begann eine zweite Phase, in der sich ein stärker korporatistisches Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Unternehmern herausbildete, in das durch den Aufstieg der Mittelschichten und der Arbeiterbewegung in das politische System auch neue, bis dato ausgeschlossene gesellschaftliche Akteure einbezogen wurden. Der estado de compromiso initiierte einen beschleunigten Entwicklungsprozeß über eine auf den Binnenmarkt gerichtete Industrialisierung und einen starken Staatsinterventionismus und bezog einen Gutteil aller sich politisch artikulierenden gesellschaftlichen Schichten ein. Die einzige Gruppierung, die weiterhin ausgeschlossen blieb, waren die Bauern. Mittelschichten, Professionale und Staatsangestellte, die nun auch ein eigenständiges Interesse an der Expansion staatlicher Aktivitäten zur Absicherung der eigenen Position in der Gesellschaft entwickelten, erhielten Unterstützung von einer sich herausbildenden Industriebourgeoisie, die zwar nicht hegemonial agierte, aber ein politisch und ökonomisch mächtiger Akteur war. Darüber hinaus wurden die Mittelschichten auch von der Arbeiterbewegung (insbesondere 446

dem Bergbau- und Industrieproletariat) unterstützt, die mit langsamen Verbesserungen ihrer sozialen Lage an das System gebunden wurde. Die alten landbesitzenden Klassen und ihre Verbündeten im Finanz- und Handelssektor, die die Fähigkeit, direkt die politische Macht auszuüben, verloren hatten, wurden zunächst von der Herrschaftsausübung ausgeschlossen, konnten aber ihre soziale und ökonomische Macht aufrechterhalten und blieben ein zentraler Akteur innerhalb der privaten Unternehmerschaft. Dazu war insbesondere das stillschweigende Zugeständnis vom Staat wichtig, daß der Industrialisierungsprozeß ohne Veränderungen der Eigentums- und Machtstrukturen auf dem Lande stattfinden würde. Die von den Mittelschichten getragene Politik der Jahre 1938-1952 bewegte sich entsprechend zwischen einer stärkeren Berücksichtigung der Interessen der Arbeiterbewegung und denen der Industrieunternehmerschaft, in zunehmendem Maße auch der Agraroligarchie. Im Fortgang der Industrialisierung kam es zu einer Veränderung der Machtverhältnisse innerhalb des privaten Kapitals, und die Industriebourgeoisie wurde zunehmend dominant. Dies ging einher mit einer zeitweiligen Unterdrückung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Innerhalb der Bourgeoisie bildete sich eine Gruppe mächtiger Industrieunternehmer heraus, die sich von der traditionellen Rechten zu unterscheiden begann und eigene Vorschläge für die Überwindung der sich seit dieser Zeit immer stärker bemerkbar machenden Stagnation der Ökonomie, der Inflation und Ausbreitung der Armut entwickelte. Die Regierung Jorge Alessandri repräsentierte diese Interessenkoalition aus industriellen Großunternehmern unter Einschluß der traditionellen Agraroligarchie. Alessandri, langjähriger Präsident der COPROCO und führender Kopf eines der größten Unternehmen des Landes (Compañía Manufacturera de Papeles y Cartones, CMPC), versuchte, den staatlich 'gelenkten' Industrialisierungsprozeß stärker auf die private Unternehmerschaft zu übertragen, scheiterte allerdings an der mangelnden Unterstützung seines Modernisierungsprojekts durch die Unternehmer. In dem Maße, wie die Ökonomie weiterhin stagnierte und sich die Dynamik der Importsubstitution erschöpfte, gerieten die Unternehmer in die Defensive. Die zunehmende politische Polarisierung und ideologische Radikalisierung der 60er Jahre führte die chilenische Unternehmerschaft angesichts der Reformbestrebungen der Regierung von Eduardo Frei erneut zusammen. Im Gegensatz zur erwarteten Spaltung der Unternehmer in eine Industriebourgeoisie, die sich durch die Reformpolitik gestärkt sah, und eine Agraroligarchie, die in Mitleidenschaft gezogen wurde, kam es zu einer Annäherung und wachsenden Konvergenz der Positionen von wirtschaftlicher Rechten (Unternehmerschaft) und politischer Rechten (konservative Parteien), die schließlich in eine gemeinsame Verteidigungsallianz von Industriebourgeoisie und Großgrundbesitzern mündete. In dem korporatistisch geprägten Beziehungsgeflecht und den Strukturen des estado de compromiso waren die Unternehmer in einem zunehmend durch den 447

Staat, die Gewerkschaftsorganisationen und politischen Parteien geprägten politischen Umfeld eine Interessengruppe unter anderen - allerdings mit einer langjährigen struktnrellen Absicherung ihrer Interessen. Die Identität der Unternehmerschaft war in vielfältiger Hinsicht vom Staat abhängig und ihre Aktivitäten auf diesen hin orientiert. Die Unternehmerverbände hatten in der Regel direkten Zugang zur Regierung entweder über Kommissionen, über hohe Positionen im Staatsapparat oder über Vertretungen in staatlichen Unternehmen und anderen Institutionen. Bis weit in die 60er Jahre hinein geriet die Politik immer stärker unter den Druck der Verbände. Insgesamt waren die Beziehungen zwischen Staat und Privatsektor jedoch durch ein wachsendes gegenseitiges Mißtrauen geprägt. Dieses ergab sich nicht nur aus den unterschiedlichen Funktionslogiken, denen die Handlungen von Staat und privater Unternehmerschaft folgten, sondern ebenso aus dem Stigma, daß auch die Industrieunternehmerschaft mit der traditionellen Agraroligarchie eng verbunden war und so das Mißtrauen der Mittelschichten hervorrief. Darüber hinaus ist auch die herausgehobene Rolle des Staates zu erwähnen, dem als Agent im Entwicklungsprozeß erhebliches Gewicht zukam und der von seiten der Unternehmer immer stärker als Bedrohung empfunden wurde. Dies war der Fall, obwohl er deren Interessen bis 1970 weitgehend absicherte und über die Bereitstellung von Subsidien und Protektion beträchtlichen Ausmaßes rentistische und klientelistische Verhaltensweisen stärkte und weniger auf langfristig produktive Ziele hin orientierte. Durch die wachsende ökonomische Instabilität kam es zu permanenten Spannungen zwischen Staat und Unternehmerschaft. Insbesondere die Versuche, die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Inflation über Preis- und Wechselkurskontrollen einzudämmen, führten zu Friktionen zwischen den einzelnen Regierungen und den Unternehmern. Die größten Konflikte zwischen Staat und privater Unternehmerschaft resultierten allerdings aus der ideologischen und politischen Radikalisierung seit Ende der 60er Jahre, die in die politischen, ökonomischen und sozialen Transformationen der Unidad Populär mündeten. Die Mobilisierung aller Verbände unter Einschluß von kleinen und mittleren Unternehmern und selbständigen Mittelschichten zur Verteidigung des Privateigentums führte schließlich zum Militärputsch, in dem die Unternehmer neben den Militärs selbst die entscheidende Rolle spielten. Eine dritte Entwicklungsetappe begann schließlich mit dem Militärputsch im September 1973, der zugleich einen fundamentalen Bruch mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Vergangenheit Chiles herbeiführte. In ihm kulminierten eine Wachstums- und Produktivitätskrise mit einer sozialen und politischen Krise und nicht zuletzt einer Krise des Staates, in deren Folge es zu einer Umorientierung der Entwicklungsstrategie und einer weitreichenden Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kam, von der auch die Beziehungen

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des Staates zu einzelnen gesellschaftlichen Akteuren, insbesondere den Unternehmern, betroffen waren. Mit der Abschaffung der politischen Demokratie und mit der Verfolgung der Opposition reflektierte die Politik des Militärregimes in der Phase der wirtschaftlichen und politischen 'Normalisierung' (1973-75) die Interessen der Putschkoalition und der Unternehmerschaft als Gesamtheit. Der radikale Bruch mit der Vergangenheit sollte zu einer 'Neugründung des Kapitalismus' in Chile führen und die Unternehmer in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken. Die Wirtschaftspolitik des Militärregimes war in dieser Phase noch unentschlossen und gradualistisch ausgerichtet, insofern als die einzelnen Maßnahmen des Regimes sowohl industriellen wie auch agrarischen Interessen entgegenkommen sollten. Wichtige Ministerposten und Positionen in der Staatsverwaltung wurden mit Unternehmern besetzt, die entweder aus den Großkonzernen (grupos económicos) oder den Untemehmerverbänden stammten, teils auch Persönlichkeiten der Christdemokratischen Partei waren. Durch den hochgradig 'ausschließenden' Charakter des Militärregimes und die Politik der Junta erhielten die Unternehmer nicht nur ihre bedrohte ökonomische Macht zurück, sondern wurden direkt mit politischer Macht ausgestattet. Ihre Interessen wurden nun grundlegend und dauerhaft abgesichert. Der Versuch der Ausbalancierung der Interessen der Unternehmerschaft endete allerdings mit dem Übergang zur sogenannten Schockpolitik 197S. Bis dato hatte sich innerhalb des Militärregimes ein Konflikt zwischen den orthodox monetaristische Maßnahmen befürwortenden Chicago Boys, die als Berater im Wirtschaftsund Finanzministerium tätig waren, und den einen gradualistischen Ansatz vertretenden Unternehmern der Industrie im Wirtschaftsministerium zugespitzt. Damit setzte sich eine radikal monetaristische Unternehmerkoalition (bestehend aus den größten, hauptsächlich im Finanzsektor angesiedelten und internationalisierten Konzernen) durch, die den Staatsapparat bis 1981 vollständig beherrschte und die Unternehmerverbände vom politischen Prozeß weitgehend ausschloß, obwohl zumindest die Verbände der COPROCO die nun umgesetzte Politik zustimmend begleiteten und das Militärregime unterstützten. Diese Gruppierungen waren in der zweiten Hälfte der 70er Jahre die hauptsächliche soziale Basis des Militärregimes. Von der Öffhungs- und Deregulierungspolitik des Regimes konnten die größten Finanzkonglomerate in besonderer Weise profitieren, und Vertreter der bedeutendsten grupos wurden auf die Position des Wirtschafts- und Finanzministers berufen. Marktprinzipien sollten in alle Sphären der Gesellschaft übertragen werden. Dazu dienten insbesondere die 'sieben Modernisierungen', die den Zweck verfolgten, das gesellschaftliche Leben zu fragmentieren und zu atomisieren sowie soziale Beziehungen zu individualisieren. Kollektive Verhaltensformen der Bürger sollten entmutigt werden. Die Institutionalisierung des Regimes (Verfassung) zielte auf eine erhöhte Legitimität, die seinen Zwangscharakter überdecken sollte. In dem Maße, 449

wie sich die radikal monetaristische Unternehmerkoalition konsolidierte, entwikkelte sich allerdings auch das Konfliktpotential innerhalb der Unternehmerschaft. Die Konfliktlinien verliefen zwischen der Finanz- und Handelsbourgeoisie, welche die Unterstützung der Chicago Boys und der internationalen Finanzinstitutionen hatte einerseits, und Teilen der Industriellen und Agrarier andererseits, da diese durch die betriebene Wirtschaftspolitik immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die dogmatische Anwendung monetaristischer Prinzipien brachte schließlich Anfang der 80er Jahre alle Gruppierungen des privaten Kapitals in Gegensatz zur radikal monetaristischen Koalition und den Chicago Boys, und mit dem Zusammenbruch der größten Untemehmenskonglomerate in der Krise zerbrach diese Koalition. In der Krise (1981-1983) folgte eine stärkere Verselbständigung der Politik, die zu einer sukzessiven Ersetzung der Chicago Boys mit neutraleren Personen aus der Unternehmerschaft und zu einer pragmatischeren Politik führte. In politischer Hinsicht hatte die Krise für die Unternehmer weitreichende Implikationen, bedeutete sie doch eine Neustrukturierung der Machtverhältnisse innerhalb der Unternehmerschaft und eine Neudefinition ihres Verhältnisses zum Staat. Die großen Finanzkonglomerate konnten jetzt die Macht im Staate nicht mehr über die ihnen verbundenen Chicago Boys hegemonisieren, sondern es bildete sich eine pragmatisch neoliberale Unternehmerkoalition unter Führung der Verbände der COPROCO heraus, die in dem Maße Einfluß auf den politischen Prozeß gewann, wie sich das Regime angesichts einer starken Opposition und verallgemeinerten Krise einer soliden Unterstützungsbasis zum Überleben versichern mußte. Die neue Unternehmerkoalition repräsentierte sowohl die Interessen der internationalisierten, d.h. exportorientierten Großunternehmen wie auch die von Binnenmarktproduzenten, die international weniger oder gar nicht konkurrenzfähig waren. Waren die Einflußkanäle der Unternehmer auf die Politik in der Phase der Schockpolitik im wesentlichen noch personalistisch geprägt und ad hoc - was einer kleiner mächtigen Gruppierung der Privatwirtschaft einen präferentiellen Zugang zum Staat sicherte -, so wurden sie nun stärker institutionalisiert und der Zugang der großen Unternehmerverbände zum Regime sichergestellt. Die Interessen dieser neuen Koalition wurden in der Folgezeit von direkten Repräsentanten der großen Unternehmerverbände umgesetzt, so daß es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu einer vollständigen Harmonisierung der Interessen von Unternehmerschaft und autoritärem Staat kam. Die politischen Bedingungen der Militärdiktatur und die einzelnen Maßnahmen der Wirtschaftspolitik bildeten die Grundlage und den Ausgangspunkt für beträchtliche Umverteilungsprozesse zugunsten der höchsten Einkommensbezieher und der stärksten Gruppierungen des privaten Kapitals. Die Unterdrückung der Arbeiterund Gewerkschaftsbewegung, Reallohnsenkungen, hohe Arbeitslosigkeit und suk450

zessive Krisen auf der einen Seite, staatliche Maßnahmen wie Steuererleichterungen, großzügige finanzielle Stützungen (Subsidien, Privatisierungspolitik, Exportanreize etc.) privater Unternehmer, die staatliche Intervention der Banken zur Rettung der Privatwirtschaft und die Umschuldung ihrer Verbindlichkeiten auf der anderen Seite begünstigten Monopolisierungs- und Konzentrationsprozesse. Den wiederholten Privatisierungswellen unter der Diktatur (zunächst nach dem Sturz der Regierung Allende aufgrund ihrer Sozialisierungspolitik, dann Mitte der 80er Jahre aufgrund der Intervention des Bankensystems) und der Entstaatlichung kam eine beträchtliche Bedeutung zu. Zum einen dienten sie dazu, das Vertrauen der Unternehmer und privater internationaler Investoren in den Staat bzw. das Militärregime wiederherzustellen. Zum anderen ging mit den Privatisierungen ein beträchtlicher Einkommenstransfer vom Staat zu den konzentriertesten Sektoren der Unternehmerschaft einher, der eine starke Gewichtsverlagerung auf die Großunternehmen bedeutete. Dies führte in der Konsequenz dazu, daß der Staat heute (außer bei einem Teil der Kupferunternehmen) keine Unternehmerfunktionen mehr wahrnimmt noch sonstige wirtschaftliche Aktivitäten von Bedeutung unter seiner Kontrolle hat. Durch den Umbau des Staates zugunsten der Privatinitiative ist nicht zuletzt eine grundlegende Funktionsveränderung eingetreten, die seine Interventionsmöglichkeiten in die Ökonomie eng begrenzen. Damit ist den Unternehmern die zentrale Rolle im Entwicklungsprozeß des Landes zugefallen. Aus den Transformationen der Pinochet-Diktatur sind sie gestärkt und in vielerlei Hinsicht erneuert hervorgegangen. Der Bedeutungszuwachs und die gewonnene Legitimität ihres Handelns konnten die Unternehmer und ihre Verbände auch unter der demokratischen Regierung Aylwin sicherstellen. Sie schafften es nicht nur, die grundlegende Ausrichtung des zum Weltmarkt geöffneten Wirtschaftsmodells abzusichern, sondern auch die Wirtschaftsequipe der neuen Regierung auf eine Fortsetzung der pragmatisch neoliberalen Politik zu verpflichten. Während sich die Parteien der Concertaciön im Zuge des Transitionsprozesses langsam Unternehmerpositionen annäherten, konnten die Unternehmerverbände ihre politisch-ideologischen Orientierungen aufrechterhalten. Gleichzeitig verstanden sie es, genügend Druck und Gegenmacht zu mobilisieren, um die Reformabsichten der Regierung, wo immer es möglich war, einzuschränken bzw. ganz zu verhindern, in jedem Fall im Rahmen des neoliberalen Marktmodells zu halten. Durch die Transformationen von Wirtschaft und Gesellschaft und die weitreichende Internationalisierung der Ökonomie wurde zudem eine Reformpolitik enorm erschwert.

451

Schaubild 14: Konspekt zu Regimetypen, Wirtschaft, Politik und Unternehmern in Chile 1970-1993

vor 1970

|

UNIDAD POPULAR

1970

|

P I N O C H E T -

1973

1975

REGIMETYP

Korporal, geprägte bürgerlichparlamentarische Demokratie

Sozialistisches Transformationsregime

POLITIK

Zunehmender Reformprozeß

Politisierung der gesamten Gesellschaft

Verbot und Repression der Opposition

Institutionalisiening: Verfassung, '7 Modernisierungen'

WIRTSCHAFT

'Chilenisierung' des Kupfers, Agrarreform

Sozialisierung der Prod. Mittel, Nationalisierung des Kupfers, Agrarreform, Area Prop. Social

Gradualistische Politik, Inflationsbekämpfung, Reprivatisierung, Liberalisierung, Deregulierung

Radikal-monctaristische Schockpolitik, weitestgehende Liberalisierung und Deregulierung

Alle

Große Finanzkonglomerate (CnizatLarrafn, Vial u.a)

Dominante Untemehmerkoalition Benachteiligte Unternehmer



Langsame Erosion der Macht der Unternehmer und ihrer Verbände

Alle

Verhalten der Verbände

Zaghafte Zugeständnisse bis Opposition

Opposition und Sturz der Regierung

OPPOSITION

Parteipolitische Opposition konservativer und linker Kräfte

Unternehmer, konservative Parteien

452

Autoritäre

' au s -

Kleine und mittlere Unternehmer, einzelne Branchen

Unterstützung und Zustimmung zum Militärregime

Großverbände: passive und aktive Unterstützung, zunehmende Opposition kleiner und mittlerer Verbände

A r b e i t e r b e w e g u n g , P a r t e i e n ,

CONCERTACIÓN

D I K T A T U R 1981

s c h l i e ß e n

1983

de'

1989/90

D i k t a t u r

1993 'Geschützte' Demokratie mit autoritären Enklaven

Zunehmende Verselbständigung des Regimes

Reartikulation der Opposition, nationale Protesttage, Absicherung des Modells mit Repression und begrenzter Liberalisierung

Wirtschaftskrise, erratische, prozyklische Maßnahmen

Pragmatisch-neoliberale Politik, Privatisierung von Banken und Staatsunternehmen

ökonomische Reformen, 2. Phase aktiver Weltmarktintegration

Übergangsperiode, Erosion der grupos

Confederación de la Producción y del Comercio (COPROCO)

COPROCO (und kleine und mittlere Unternehmer

Mit verschärfter Krise zunehmend alle Unternehmer

Einzelne kleine und mittlere Unternehmer

Einzelne Unternehmer

Zunehmende Opposition und Proteste der Verbände

Aktive politische und ökonomische Unterstützung des Regimes durch COPROCO u.a.

Generelle Zustimmung zur Politik, punktuelle Forderungen und Kritik

G e w e r k s c i a f t e n, p o b l a d o r e s

Konzertierung, politische Reformen

Konservative Parteien und einzelne Unternehmer

453

Obwohl sich die großen Unternehmerverbände und ein beträchtlicher Teil der Unternehmerschaft bis zuletzt mit dem Pinochet-Regime identifizierten, haben sie sich doch durch die Art des Übergangsprozesses und das weitreichende Entgegenkommen der Regierung Aylwin in Fragen der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Ökonomie mit der Demokratie arrangiert, die ihre Interessen nun genauso absichert wie einst die Diktatur. Sowohl die Unternehmerverbände wie auch einzelne Großunternehmer gehörten zu den bevorzugten Gesprächs- und Verhandlungspartnern der Regierung Aylwin. Die B eziehungen zwischen der Unternehmerschaft und der Regierung Aylwin waren entsprechend gut und nur durch kleinere Konflikte gekennzeichnet. Durch beträchtliche Wandlungsprozesse innerhalb der Unternehmerschaft selbst befinden sich die Unternehmer und ihre Verbände heute in einer hegemonialen Position in der Gesellschaft. Das von ihnen vertretene Wirtschaftsund Wachstumsmodell hat eine breite Ausstrahlung auch in andere Gesellschaftsschichten hinein, es ist in ideologischer Hinsicht konkurrenzlos und wird politisch selbst von der Linken nicht hinterfragt. Die Unternehmer waren in Chile nicht nur traditionell ein wichtiger politischer Machtfaktor, sondern seit jeher auch ein bedeutsamer politischer Akteur. Unternehmer müssen dies aufgrund ihrer sozialstrukturellen Position zu einem gewissen Grad immer sein. Dies äußerte sich nicht nur in formal garantierten Beteiligungsrechten ihrer Interessenorganisationen am politischen Entscheidungsprozeß, sondern auch durch eine Vielzahl vom informellen, personalistischen und klientelistischen Beziehungsmustern zwischen Staat und Unternehmern. Dabei kam mal den Unternehmerverbänden, mal einzelnen Unternehmerpersönlichkeiten die entscheidende Rolle zu. In Chile ist unter den autoritären Verhältnissen der Pinochet-Diktatur eine Unternehmerschaft entstanden, die weitaus autonomer gegenüber politischen Parteien und dem Staat agiert als in vergangenen Zeiten. Die größere Unabhängigkeit und Autonomie gegenüber diesen Akteuren hat zu einer Stärkung des Organisationspotentials ihrer Interessenverbände geführt. Die Privilegierung von Unternehmerinteressen hat in den letzten Jahrzehnten eine neue Qualität gewonnen, da heute wie niemals zuvor ein gesellschaftlicher Konsens über die Existenzberechtigung des privaten Unternehmertums im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung besteht. Die Unternehmer nutzten zur Wahrung ihres Einflusses und zur Interessendurchsetzung das gesamte Spektrum unternehmerischer Handlungsoptionen. Dies reichte in unterschiedlichen Phasen der jüngeren Geschichte Chiles von den klassischen Formen der Einflußnahme ('Lobbying', Überzeugung, Pflege freundschaftlicher Kontakte etc.) über traditionelle Kanäle (Wahrnehmung von Anhörungsrechten, Mitarbeit in Parlamentsausschüssen, staatlichen Kommissionen und bei Konzertierungsmaßnahmen etc.) und die direkte Repräsentanz im Staatsapparat (Ministerposten, Besetzung hochrangiger Positionen in der Verwaltung und staatli-

454

chen Organismen etc.) bis hin zur aktiven Mobilisierung für einen Staatsstreich als letztem Mittel der Wahrung ihrer grundlegenden Interessen. Individuelle und kollektive Handlungsstrategien ergänzten sich dabei und kamen je nach Situation wechselnd oder sukzessive zur Anwendung. Dies war wiederum wesentlich davon abhängig, wie stark die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen ihren Interessen entgegenkamen und ihnen auch Möglichkeiten der autonomen Interessenartikulation boten. Daß es kein mechanisches Determinationsverhältnis von aktivem politischen Verhalten der Unternehmer und ihrer Verbände und der Durchsetzung ihrer Interessen gibt, hat die Pinochet-Diktatur deutlich gemacht. Eine geringe politische Aktivität der Unternehmer bzw. ihrer Verbände bedeutet umgekehrt nicht, daß sie über keine politische Macht verfügen. Dennoch wird man diesbezüglich insbesondere auf die unterschiedlich starken Interessengegensätze innerhalb der Unternehmerschaft rekurrieren müssen, um deren konkretes Verhalten im Einzelfall erklären zu können. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Unternehmerschaft sowie zwischen einzelnen Unternehmenssegmenten und dem Staat waren gerade in der Periode der Diktatur heftig, obwohl diese ihre grundlegenden Interessen in besonderer Weise geschützt und gegen Anfechtungen 'von unten1 abgesichert hat. Außerdem dürften auch Dominanzverhältnisse innerhalb der Unternehmerschaft eine besondere Rolle spielen, die sich nicht nur aus der unterschiedlichen Verfügungsgewalt über Kapitalmengen, sondern auch aus der übereinstimmenden Entwicklung einzelner Unternehmen mit dominanten Weltmarkttrends ergeben. So kann es Phasen geben, in denen die Unternehmerschaft als Ganzes großen Einfluß auf die Politik hat (wie in den Jahren 19731975), nur einzelne große Wirtschaftsgruppen politikbestimmend werden (wie 1975-1981), eine größere Verselbständigung des Staates gegenüber den Interessen der Unternehmerschaft eintritt (wie 1981-1983) oder den Verbänden der Großunternehmer eine hegemoniale Stellung im politischen System zukommt (1984-1989). Daß das Verhältnis von Unternehmern und Staat ein wechselseitiges ist, hat sich deutlich nicht zuletzt in der Phase der demokratischen Regierung Aylwin gezeigt. Die erreichte Homogenität der Unternehmerschaft und das Ausmaß an sozialer Kohäsion hat neben ihrer bedeutend gestärkten Stellung im Produktionsprozeß selbst und dem Entgegenkommen der Regierung dafür gesorgt, daß die Unternehmer die einflußreichste gesellschaftliche Gruppierung geblieben sind. Zwar haben sich die Formen der Einflußnahme gegenüber der Diktatur allein schon durch den Regimewechsel verändert, damit war aber keinerlei Abschwächung ihres Einflusses verbunden. Wenn die Unternehmer auch nicht mehr direkt in der Regierung vertreten sind, so werden ihre Interessen doch durch die neue Regierung explizit und erklärtermaßen berücksichtigt. Offene Türen finden die Unternehmer v.a. in den wichtigsten Ministerien und beim Präsidenten selbst (Exekutive) vor, die nach wie vor im Zentrum des politischen Entscheidungsprozesses stehen. Daneben ist es aber 455

seit Mitte der 80er Jahre aufgrund eines gewandelten Selbstverständnisses der Unternehmer auch zu einem stärkeren öffentlichen Engagement ihrerseits gekommen (Präsenz in den Massenmedien, Absicherung ihrer politisch-ideologischen Positionen durch Institutionen der Zivilgesellschaft etc.). Wie bereits aus einzelnen der vorhergehenden Passagen erhellt, waren die Beziehungen zwischen Unternehmern und Staat bzw. Regierung keineswegs konfliktfrei, sondern durch unterschiedliche Konsens- und Konfliktkonjunkturen gekennzeichnet. So wie es sinnvoll ist, die Unternehmerschaft als Gesamtheit zu differenzieren und in einzelne Segmente zu zerlegen, so ist es auch bezüglich des Konsenses bzw. des Konflikts der Unternehmer mit der Regierung notwendig, verschiedene Konfliktstufen zu unterscheiden. Bedient man sich der in Kapitel II vorgeschlagenen Abstufung, so wird man zunächst einmal auf allgemeiner Ebene eine weitgehende Übereinstimmung von Unternehmern sowohl mit dem Pinochet-Regime wie auch der demokratischen Regierung Aylwin feststellen können. Dies trifft insofern zu, als die grundlegenden Unternehmerinteressen zu keiner Zeit gefährdet oder auch nur angetastet wurden. Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch für einzelne Phasen unterschiedliche Konfliktstufen feststellen. Die höchste Konfliktstufe zwischen Unternehmern und Staat wurde zweifellos in der Regierungszeit der Unidad Populär erreicht (Stufen 5 und 6: Performanz- und Herrschaftskrise). Eine vollständige Umkehrung der Konfliktivität ist dann während der ersten Phase des Militärregimes festzustellen. Die Beziehungen zwischen beiden Akteuren gestalteten sich 19731975 weitgehend konfliktfrei. Für den weiteren Verlauf der Militärdiktatur ist eine stärkere Differenzierung angebracht. In der Zeit bis 1981 gestalteten sich die Beziehungen für die großen Finanzgruppen konfliktfrei, für die Verbände der COPROCO war dagegen die Konfliktstufe 2 zutreffend, für die kleinen und mittleren Unternehmer sowie einzelne Mitgliedsverbände der SOFOFA galt die Konfliktstufe 3. In der Krise des Wirtschaftsmodells (1981-1983) steigerte sich die Konfliktivität. Während die Verbände der COPROCO sich auf der Konfliktstufe 3 bewegten, befanden sich die kleinen und mittleren Unternehmer auf der Konfliktstufe 4. Danach trat eine sukzessive Abschwächung des Konfliktniveaus ein, die schließlich für die Verbände der COPROCO zu weitgehend konfliktfreien Beziehungen zur Regierung führte (Stufe 1); für die kleinen und mittleren Unternehmer wurde Stufe 2 erreicht. Mit dem Übergang zur Demokratie schwankte die Konfliktivität je nach Issue zwischen den Niveaus der Stufe 1 und 3. Sieht man einmal von der häufig radikalen Rhetorik der Unternehmer ab, läßt sich ihr Verhalten gegenüber den einzelnen Maßnahmen der Regierung wie folgt charakterisieren: Konzertierung (Konfliktstufe 1), Anpassungspolitik (Stufe 2), Steuerreform (Stufe 2), Arbeitsreform (Stufe 2-3), Privatisierungspolitik (Stufe 2-3). Insgesamt hat es damit eher eine grundsätzliche Übereinstimmung gegeben, wenn auch punktuelle Forderungen und Kritik an einzelnen Maßnahmen geäußert wurden. 456

Damit läßt sich nun auch die Bedeutung von Variablen wie Entwicklungsstil und Regimetyp ermessen. Grundsätzlich schätzten die Unternehmer einen ihnen zugute kommenden Entwicklungsstil mehr als einen bestimmten Regimetyp. Ihnen dürfte das politische Regime eher gleichgültig sein, solange bestimmte grundlegende ordnungspolitische Vorstellungen und Privilegien für sie als Gesamtheit abgesichert sind. Kommt der vorherrschende Entwicklungsstil ihren Interessen nach günstigen Verwertungsbedingungen und Gewinnmöglichkeiten entgegen, und werden ihre Interessen auch von der Regierung repräsentiert bzw. von ihrer Seite auf diese rekurriert, so ist ein Arrangement mit demokratischen Herrschaftsformen - wie nach der Diktatur - möglich und wahrscheinlich. Gerade im chilenischen Fall ist jedoch das Fortbestehen antidemokratischen Denkens innerhalb der Unternehmerschaft offensichtlich (starke Identifikation mit dem Pinochet-Regime, Verteidigung autoritärer Relikte unter der Demokratie etc.), so daß bei einer weitergehenden Identifizierung der Unternehmer mit den Werten der politischen Demokratie und der Demokratie als Wert an sich Skepsis angebracht ist. Da es für das 'demokratische Gewissen' der Unternehmer noch keinen Testfall gegeben hat, wird sich ihre Verteidigung der Demokratie in einer ernsthaften Krise erst erweisen müssen.

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