Sämtliche Werke: Band 4 [Reprint 2022 ed.]
 9783112649329

Table of contents :
VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE
VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE
ERSTE VORLESUNG. BEGRÜNDUNG UND ENTWICKLUNG DER PRINZIPIELLEN METHODIK ZUM STUDIUM DER ARBEIT DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN - DER REFLEXBEGRIFF - DIE VERSCHIEDENARTIGKEIT DER REFLEXE - DIE SIGNALTÄTIGKEIT DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS IHRE ALLGEMEINSTE PHYSIOLOGISCHE EIGENSCHAFT
ZWEITE VORLESUNG. DIE TECHNISCHE METHODIK DER OBJEKTIVEN UNTERSUCHUNG DER FUNKTION DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN - DIE SIGNALISIERUNG IST EIN REFLEX - UNBEDINGTE UND BEDINGTE REFLEXE DIE BEDINGUNGEN, DIE ZUM ENTSTEHEN DER BEDINGTEN REFLEXE FÜHREN
DRITTE VORLESUNG. DIE BILDUNG BEDINGTER REFLEXE MIT HILFE BEDINGTER UND AUTOMATISCHER REIZE - AGENZIEN, AUS DENEN BEDINGTE REIZE GEBILDET WERDEN KÖNNEN - DIE HEMMUNG BEDINGTER REFLEXE
VIERTE VORLESUNG
FÜNFTE VORLESUNG
SECHSTE VORLESUNG
SIEBENTE VORLESUNG. DIE ANALYSIERENDE UND SYNTHETISIERENDE TÄTIGKEIT DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN
ACHTE VORLESUNG. DIE ANALYSIERENDE UND SYNTHETISIERENDE PUNKTION DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN
NEUNTE VORLESUNG. DIE IRRADIATION UND KONZENTRATION DER NERVENPROZESSE IN DER RINDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN
ZEHNTE VORLESUNG. DIE IRRADIATION UND KONZENTRATION DER NERVENPROZESSE IN DER GROSSHIRNRINDE
ELFTE VORLESUNG DIE GEGENSEITIGE INDUKTION DES ERREGUNGS- UND HEMMUNGSPROZESSES
ZWÖLFTE VORLESUNG. DIE FORTBEWEGUNG DER NERVENPROZESSE UND IHRE GEGENSEITIGE INDUKTION
DREIZEHNTE VORLESUNG. DIE RINDE ALS MOSAIK
VIERZEHNTE VORLESUNG. DER ÜBERGANG DER RINDENZELLE IN DEN HEMMUNGSZUSTAND UNTER DEM EINFLUSS EINES BEDINGTEN REIZES
FÜNFZEHNTE VORLESUNG. INNERE HEMMUNG UND SCHLAF - IN IHREN PHYSIKALISCHCHEMISCHEN GRUNDLAGEN EIN UND DERSELBE PROZESS
SECHZEHNTE VORLESUNG. DIE ÜBER GANGSPHASEN ZWISCHEN WACHZUSTAND UND VOLLEM SCHLAF DES TIERES (DIE HYPNOTISCHEN PHASEN)
SIEBZEHNTE VORLESUNG. DIE VERSCHIEDENEN TYPEN DES NERVENSYSTEMS - PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS FUNKTIONELLER EINWIRKUNGEN
ACHTZEHNTE VORLESUNG. PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS FUNKTIONELLER EINWIRKUNGEN
NEUNZEHNTE VORLESUNG. PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS OPERATIVER EINGRIFFE
ZWANZIGSTE VORLESUNG. PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS OPERATIVER EINGRIFFE
EINUNDZWANZIGSTE VORLESUNG. PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS OPERATIVER EINGRIFFE
ZWEIUNDZWANZIGSTE VORLESUNG. EINE ALLGEMEINE CHARAKTERISIERUNG UNSERER FORSCHUNG: IHRE AUFGABEN, IHRE SCHWIERIGKEITEN UND UNSERE FEHLER
DREIUNDZWANZIGSTE VORLESUNG. ANWENDUNG DER ERGEBNISSE UNSERER TIEREXPERIMENTE AUF DEN MENSCHEN
LISTE DER GEDRUCKTEN ARBEITEN DER MITARBEITER DES VERFASSERS
ANHANG ZUR DEUTSCHEN AUSGABE
INHALTSVERZEICHNIS

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I. P. PAWLOW SÄMTLICHE W E R K E BAND IV

I. P. PAWLOW SÄMTLICHE W E R K E BAND IV

1953

AKADEMIE-VERLAG

"BERLIN

RIAB^OB, rioJiHoe coöpaHHe C O H H H C H H H , T O M IV 2. vervollständigte Auflage, Moskau-Leningrad 195]

H. N.

Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR im Verlag der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Redakteur von Band IV der russischen Ausgabe: E. S. Airapetjanz Gesamtredaktion der deutschen Ausgabe: Dr. Lothar Pickenhain, Berlin Redakteur von Band IV: Dr. Lothar Pickenhain, Berlin

Die Herausgabe dieses Werkes wurde gefördert vom Kulturfonds der Deutschen Demokratischen Republik

Erschienen im Akademie»Verlag, Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Lizenz-Nr. 202:103/30/53 Alle Rechte vorbehalten Copyright 1953 by Akademie-Verlag GmbH. Gesamtherstellung: (125) Greif, Graphischer Großbetrieb, Berlin N 54 Bestell- und Verlagsnummer 5020/IV Printed in Germany

Die ,, Vorlesungen über die Arbeit der Großhirnhemisphären" wurden im Jahre Militär-Medizinischen 1924 von I . P . P A W L O W auf dem Lehrstuhl für Physiologie der Akademie gehalten. Sie wurden zum ersten Male im Jahre 1927 veröffentlicht. Im gleichen Jahre erschien eine zweite Auflage der „ Vorlesungen". Im Jahre 1935 bereitete P A W L O W eine dritte Auflage der ,, Vorlesungen" zum Druck vor, die im Jahre 1937 erschien. Alle drei Auflagen enthalten den gleichen Text. Die „ Vorlesungen" wurden wörtlich nachgedruckt in den ,,Sämtlichen Arbeiten", (1947). Sie werden auch in der vorliegenden Ausgabe der „Sämtlichen Werke" P A W L O W S in unveränderter Form wiedergegeben.

VORLESUNGEN ÜBER DIE ARBEIT DER G R O S S H I R N H E M I S P H Ä R E N

Dem Andenken

unseres

Sohnes

VIKTOR sei diese die Frucht

Arbeit,

fünfundzwanzigjährigen

unablässigen

Denkens,

gewidmet

VORWORT ZUR E R S T E N AUFLAGE Jm Frühjahr 1924 hielt ich in der Militär-Medizinischen Akademie eine spezielle Vorlesung, in der ich bestrebt war, eine vollständige, systematische Darstellung der Ergebnisse unserer damals beinahe 25jährigen Arbeit über die Physiologie der Großhirnhemisphären des Hundes zu geben. Meine Hörer waren Studenten der Medizin und der Naturwissenschaften. Diese Vorlesungen wurden stenographiert, und ich hatte die Absicht, sie dann später zu veröffentlichen. — Als ich mich aber an die Durchsicht der Stenogramme machte, fand ich die ganze Darstellung mangelhaft, so daß ich sie wesentlich umarbeiten mußte. Diese Arbeit nahm IV2 Jahre in Anspruch, in denen in meinen Laboratorien die rege Bearbeitung dieses Gegenstandes fortgeführt wurde. Während dieser Zeit haben einige Teile des Tatsachenmaterials in den zuerst verfaßten Kapiteln bedeutende Veränderungen und Berichtigungen erfahren, aber im vorliegenden Buch lasse ich alles so, wie es ursprünglich niedergeschrieben wurde. Ich verfolge damit die besondere Absicht, in den letzten, später abgefaßten Vorlesungen die neuesten Ergebnisse unserer Forschung zu geben und so die Besonderheit der Arbeit auf diesem Gebiet noch deutlicher hervortreten zu lassen. In diesen Vorlesungen habe ich mich darauf beschränkt, unser gesamtes Tatsachenmaterial wiederzugeben, und habe daher die ganze Literatur des Gebietes beinahe gar nicht berührt. Eine vollständige Bearbeitung der Literatur über unser Thema würde meine auch ohnedies nicht leichte Arbeit noch bedeutend erschweren. Außerdem wollte ich den ganzen Stoff nach Möglichkeit einheitlich darstellen, gerade so wie er sich bei mir in Gedanken geordnet hat. Täte ich das nicht, so wäre ich gezwungen, anderen Anschauungen entgegenzutreten, andere Fragestellungen zu besprechen, eine Wertung verschiedener widersprechender Tatsachen vorzunehmen und dann auch für die einen einzutreten, die anderen aber einer scharfen Kritik zu unterziehen. Natürlich wird man in unserem Material nicht wenig Wiederholungen (12j 1 ) von Ergebnissen anderer Autoren finden. Aber die Frage der Priorität hat uns nicht interessiert; denn wir sind fest davon x

) Die im Text in Kursivschrift textes an (dt. Red.)

eingefügten

Zahlen

geben die Seitenzahl

des russischen

Original-

XII überzeugt, daß sich auf diesem Gebiet für alle, die es bearbeiten wollen, genügend Möglichkeiten für ihre Initiative und ein unübersehbares Arbeitsfeld erschließen. Wir glauben aber zugleich daran, daß ein ganz außergewöhnlicher Siegeszug dieser Forschung anbrechen wird, wenn ihr Programm durch neue Mitarbeiter eine Erweiterung erfährt, wenn andere Gesichtspunkte und neue Fragestellungen auftauchen, wenn andere Versuchsanordnungen erfunden werden usw. Mir bleibt noch eine Dankespflicht zu erfüllen. Meinen herzlichen Dank allen meinen Mitarbeitern! Ihre gewissenhafte Arbeit haben sie mit meiner Arbeit zu unserem gemeinsamen Werk vereinigt. Wenn ich die gemeinsame Arbeit angeregt, geleitet und zusammengefaßt habe, so stand doch auch ich selbst stets im Banne des Scharfsinns und des Gedankenreichtums meiner Mitarbeiter. Im Bereich des Denkens, beim ständigen Gedankenaustausch, kann man kaum genau abgrenzen, was dem einen und was dem anderen gehört. Es bleibt aber einem jeden die Genugtuung und die Freude, seinen Anteil am gemeinsamen Werk zu erkennen. 12. Juli 1926

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Die erste Auflage des Buches war unerwartet schnell vergriffen, und doch könnte ich schon jetzt auf Grund der Arbeiten meiner Laboratorien in der neuen Auflage einige Ergänzungen und Veränderungen vornehmen. Leider bin ich durch Krankheit daran gehindert. Es bleibt mir nichts übrig als zu hoffen, daß ich die Möglichkeit habe, den Inhalt dieses Buches bei einer eventuellen dritten Auflage in vollen Einklang mit unserem Forschungsmaterial zu bringen. In dieser zweiten Auflage sind nur einige technische Verbesserungen vorgenommen und die Schreibund Druckfehler berichtigt worden. Außerdem ist das Verzeichnis der Veröffentlichungen meiner Mitarbeiter durch neue Arbeiten ergänzt worden. Im Mai 1927

VORWORT ZUR D R I T T E N AUFLAGE Diese dritte Auflage meiner „Vorlesungen über die Arbeit der Großhirnhemisphären" ist ein Nachdruck der zwei ersten Auflagen (1926 *) und 1927) ohne Veränderungen oder Zusätze. Auf diese Weise entspricht sie keinesfalls mehr unserem heutigen Laboratoriumsmaterial, das seit jener Zeit gewaltig angewachsen ist. Dennoch hat das vorgelegte Buch ein legitimes Recht zu erscheinen. Es stellt die grundlegende, erste systematische Darstellung unseres Tatsachenmaterials dar und umfaßt mehr als drei Viertel der Zeit unserer bisherigen Arbeit, die sich mit der Physiologie und Pathologie der höheren Nerventätigkeit beschäftigt hat. Alles weitere, was von uns in den letzten acht Jahren zusammengetragen worden ist, kann nur im Rahmen dieses Buches richtig verstanden und im Gedächtnis festgehalten werden. Die allerneuesten Ergebnisse und besonders ihre Deutung muß man in meinem anderen Buche suchen: „Zwanzigjährige Erfahrungen mit dem objektiven Studium der höheren Nerventätigkeit (des Verhaltens) der Tiere". Auf diese Weise sind diese beiden Bücher eng miteinander verbunden. Die bevorstehende neue Ausgabe der „Zwanzigjährigen Erfahrungen" macht den Leser mit den Ergebnissen meiner Laboratorien, man kann sagen, bis in die letzten Tage hinein bekannt. Die Ausführungen dieses Buches sind aber sehr knapp, sozusagen fragmentarisch. Eine Synthese beider Bücher, d. h. eine neue systematische Darstellung unseres gesamten Materials in einem Buche, ist das große Werk, dessen Verwirklichung ich mir als meine letzte wissenschaftliche Aufgabe gestellt habe. Diese Arbeit wird weniger als ein Jahr in Anspruch nehmen. Möge das Schicksal geneigt sein, meine Kräfte in diesem Alter zu erhalten, bis ich diese meine wichtige Lebensaufgabe erfüllt habe. Akademiemitglied

IWAN PAWLOW.

Leningrad, November 1935

x

) Das angeführte Datum ist unrichtig: Die erste und zweite Auflage erschienen 1927. — Red.

Die folgenden 4 Aufnahmen von I . P . P A W L O W wurden während einer wissenschaftlichen Sitzung in der Psychiatrischen Klinik des AllunionsInstitutes für experimentelle Medizin gemacht ( Leningrad

1933)

ERSTE

VORLESUNG

B E GRÜNDUNG UND E N T W I C K L U N G D E R P R I N Z I P I E L L E N METHODIK ZUM STUDIUM D E R A R B E I T D E R GROSSHIRNHEMISPHÄREN - D E R REFLEXBEGRIFF - DIE VERSCHIEDENARTIGKEIT DER REFLEXE D I E S I G N A L T Ä T I G K E I T D E R GROSSHIRNHEMISPHÄREN A L S I H R E A L L G E M E I N S T E PHYSIOLOGISCHE EIGENSCHAFT Meine Damen und Herren! Betrachtet man die nachfolgenden Tatsachen, so kann man sich des höchsten Staunens nicht erwehren. Die Großhirnhemisphären, dieser höchste Teil des Zentralnervensystems, besitzen eine recht beträchtliche Größe. Dabei sind sie von einem ungemein kompliziertem Bau; sie bestehen aus Millionen (beim Menschen aus Milliarden) von Zellen, d. h. Zentren, Herden der Nerventätigkeit. Diese Zellen von verschiedener Größe, Gestalt und Lage sind durch unzählige Verzweigungen ihrer Fortsätze miteinander verbunden. Bei einer so äußerst komplizierten Konstruktion der Großhirnhemisphären darf natürlich vorausgesetzt werden, daß sie auch eine ungemein komplizierte Funktion besitzen. Folglich könnte man annehmen, daß sich hier dem Physiologen ein grenzenlos weites Forschungsgebiet erschließt. Das zunächst, und dann: Denken Sie an den Hund, diesen treuen Begleiter und Freund des Menschen seit prähistorischen Zeiten, und vergegenwärtigen Sie sich die verschiedenen Rollen, in denen er während seines Lebens auftritt: als Jagdhund, als Wachhund usw. Wir wissen, daß sein ganzes, äußerst kompliziertes Verhalten, also seine höhere Nerventätigkeit (denn wer will es bestreiten und behaupten, das sei keine Nerventätigkeit), hauptsächlich an die Großhirnhemisphären gebunden ist. Wenn wir dem Hunde die Großhirnhemisphären entfernen ( G O L T Z und nach ihm andere), so wird er nicht nur für die eben erwähnten Tätigkeiten unbrauchbar, sondern er wird auch als selbständiger Organismus an und für sich untauglich. (16) Er ist schwer geschädigt und, sich selbst überlassen, ohne äußere Hilfe dem Untergang ausgeliefert. Folglich kann man sich einerseits nach der Struktur, andererseits nach der Funktion einen Begriff davon machen, eine wie große physiologische Arbeit den Großhirnhemisphären zufällt. Und wenn wir gar an den Menschen denken! — Ist seine höchste Tätigkeit nicht an die normale Struktur und Funktion der Großhirnhemisphären gebunden ? Sobald der komplizierte Bau seiner Großhirnhemisphären auf irgendeine Weise beschädigt oder zerstört wird, wird auch der Mensch zum Invaliden. Er kann nicht mehr frei und gleichberechtigt unter den Seinen leben; er muß überwacht werden. i/IV

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ERSTE

VORLESUNG

In erstaunlichem Gegensatz aber zu diesem unübersehbaren Umfang der Großhirnfunktionen steht das spärliche physiologische Material über diesen Teil des Zentralnervensystems. Bis zu den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat es überhaupt noch keine Physiologie der Großhirnhemisphären gegeben; sie waren für den Physiologen unzugänglich. Im Jahre 1 8 7 0 haben FRITSCH und HITZIG zum ersten Male die üblichen physiologischen Methoden der Reizung und Zerstörung zum Studium dieses Teiles des Zentralnervensystems mit Erfolg angewandt. Bei der Reizung ganz bestimmter Rindenstellen treten in bestimmten Gruppen der Skelettmuskulatur ganz regelmäßig Kontraktionen ein (motorische Region der Hirnrinde). Bei der Entfernung dieser Rindenstellen entstehen bestimmte Störungen in der normalen Funktion der entsprechenden Muskelgruppen. Bald darauf zeigten H. M Ü N K , F E R R I E R U. a., daß auch die anderen Teile der Großhirnrinde, die für künstliche Reize unerregbar zu sein schienen, als gesonderte funktionelle Einheiten zu betrachten sind. Die Entfernung, die Exstirpation dieser Teile verursacht bestimmte Defekte in der Funktion bestimmter rezeptorischer Organe: der Augen, der Ohren und der Haut. Diese Tatsachen wurden und werden auch heute noch von einer großen Anzahl von Forschern sehr rege bearbeitet. Das Thema ist präzis gefaßt und reich an Einzelheiten, besonders in bezug auf die motorische Region; die Ergebnisse haben auch schon in der Medizin wichtige praktische Anwendung gefunden. Es handelt sich aber bis jetzt fast immer nur um eine Erweiterung der anfangs festgestellten Tatsachen. Dabei muß man sich aber folgenden wesentlichen Umstand vergegenwärtigen. Das gesamte höhere, komplizierte Verhalten der Versuchstiere, das an die Funktion der Großhirnhemisphären gebunden ist, wie (17) die oben erwähnten und später oft bestätigten Ergebnisse von GOLTZ nach Entfernung der Großhirnhemisphären bei Hunden gezeigt haben, ist durch alle diese Untersuchungen fast nicht berührt und auch bis jetzt noch nicht in das Programm der künftigen physiologischen Forschung aufgenommen worden. Was erklären uns denn die gegenwärtig bekannten Tatsachen aus der Physiologie der Großhirnhemisphären im Gesamtverhalten der höheren Tiere? Wo gibt es ein allgemeines Schema der höheren Nerventätigkeit? Wo sind die allgemeinen Regeln dieser Tätigkeit ? Vor diesen berechtigten Fragen stehen die Physiologen der Gegenwart wahrhaftig mit leeren Händen da. Wie konnte es aber kommen, daß das Untersuchungsobjekt so kompliziert in seinem Aufbau und so reich an Funktionen ist, während die Untersuchungen des Physiologen gewissermaßen in eine Sackgasse geraten sind und nicht frei und unbegrenzt weiterschweifen, wie man es in einem solchen Fall erwarten sollte ? Sollte es hierfür nicht einen besonderen Grund geben? Ein solcher besteht tatsächlich, und er ist auch klar ersichtlich: die Funktion, die von den Großhirnhemisphären ausgeübt wird, wird gewöhnlich nicht von demselben Standpunkt aus betrachtet und untersucht, wie die Funktion der übrigen Körperorgane, ja selbst die der anderen Teile des Zentralnervensystems. Diese Funktion der Großhirnhemisphären hat die besondere Bezeichnung „psychische Funktion"

Die Physiologie der Großhirnhemisphären

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erhalten. Sie wird danach beurteilt, wie wir sie empfinden und bei uns selbst wahrnehmen und wie wir sie nach Analogie mit uns selbst auch bei den Tieren vermuten. Für den Physiologen hat sich auf diese Weise eine sehr eigenartige und schwierige Lage ergeben. Einerseits scheint die Untersuchung der Funktion der Großhirnhemisphären gleich der aller anderen Teile des Organismus Aufgabe des Physiologen zu sein, andererseits aber hat es den Anschein, als ob dieser Gegenstand einer anderen Wissenschaft angehöre, der Psychologie. Wie soll sich nun der Physiologe hierzu stellen ? Soll er diese Frage so lösen, daß er sich zuerst die psychologischen Methoden und den psychologischen Wissensschatz zu eigen macht und erst dann an die Untersuchung der Großhirnhemisphären herangeht ? Bei einem solchen Vorgehen würde aber eine wesentliche Schwierigkeit entstehen. Es ist nur natürlich, daß sich die Physiologie bei der Analyse der Lebenserscheinungen ständig auf die exakten Wissenschaften stützen muß: auf die Mechanik, die Physik, die Chemie. Aber in unserem Falle liegt die Sache ganz anders. Hier wäre der Physiologe gezwungen, sich auf eine Wissenschaft zu stützen, die sich im Vergleich mit der Physiologie keiner Vollkommenheit rühmen kann. Noch vor kurzem war es strittig, ob die Psychologie überhaupt als Naturwissenschaft, ja sogar ob sie überhaupt als Wissenschaft anzusehen sei. Ohne auf das Wesen der Angelegenheit einzugehen, will ich (18) hier nur einige wenige Tatsachen anführen, die aber meiner Ansicht nach doch recht überzeugend sind. Vor allem halten die Psychologen selbst ihr Fach gar nicht für eine exakte Wissenschaft. Der hervorragende amerikanische Psychologe JAMES bezeichnete noch vor kurzem die Psychologie nicht als eine Wissenschaft, sondern nur als eine „Hoffnung auf eine Wissenschaft". Eine weit bedeutsamere Äußerung stammt von WUNDT, der früher selbst Physiologe war, später zu einem berühmten Psychologen und Philosophen geworden ist und sogar als Begründer der sogenannten experimentellen Psychologie angesehen wird. Vor dem Weltkriege, im Jahre 1913, wurde in Deutschland die Frage aufgeworfen, ob nicht im Lehrplan der Hochschulen die Psychologie von der Philosophie getrennt werden sollte und ob nicht zwei Lehrstühle anstatt eines bestehen sollten. W U N D T trat als Gegner dieser Trennung auf und führte unter anderem folgenden Grund an: Es sei nicht möglich, meinte er, für die Psychologie ein allgemeingültiges, bindendes Prüfungsprogramm aufzustellen, da jeder Hochschullehrer seine eigene Psychologie habe. Geht hieraus nicht hervor, daß die Psychologie noch nicht zu einer exakten Wissenschaft geworden ist ? Unter diesen Umständen gewinnt der Physiologe nichts, wenn er sich der Psychologie zuwendet. Wenn man den Entwicklungsgang der Naturwissenschaften in Betracht zieht, so ist es ganz natürlich, zu erwarten, daß nicht die Psychologie der Physiologie der Großhirnhemisphären zu helfen hat, sondern daß vielmehr die physiologische Erforschung dieses Organs bei den Tieren zur Grundlage einer exakten wissenschaftlichen Analyse der subjektiven Welt des Menschen werden muß. Folglich muß der Physiologe seinen eigenen Weg gehen, und dieser Weg ist schon längst vorgezeichnet. DESCARTES verglich die Tätigkeit der Tiere, im Gegensatz zu der des Menschen, mit einer Maschine und hat schon vor 300 Jahren L'/IV

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ERSTE

VORLESUNG

den Begriff des Reflexes als einer Grundform der Funktion des Nervensystems aufgestellt. Jede beliebige Tätigkeit eines tierischen Organismus ist die gesetzmäßige Antwort auf ein ganz bestimmtes äußeres Agens, wobei diese Verknüpfung der Funktion eines Organs mit einem bestimmten Agens, als Ursache und Wirkung, über bestimmte Nervenbahnen zustande kommt. Damit war die Erforschung des Nervensystems der Tiere auf eine feste naturwissenschaftliche Grundlage gestellt. Im 18., 19. und 20. Jahrhundert haben die Physiologen tatsächlich den Reflex begriff erfolgreich angewandt, jedoch nur für die niederen Abschnitte des Zentralnervensystems. Mit der Erforschung der einzelnen Teile dieses Systems stieg aber die Physiologie höher und höher hinauf, bis schließlich, nach SHERRINGTONS klassischen Arbeiten über die Rückenmarkreflexe (19), sein Nachfolger MAGNUS den reflektorischen Charakter aller Grundprozesse der lokomotorischen Tätigkeit bewies. Damit hat sich also die Reflexvorstellung bei ihrer Anwendung auf das Zentralnervensystem bis hart an die Großhirnhemisphären vollkommen bewährt. Man darf hoffen, daß man auch die noch komplizierteren Funktionen des Organismus, in denen die lokomotorischen Grundreflexe als Elemente enthalten sind, Vorgänge, die wir vorläufig mit den psychologischen Bezeichnungen Wut, Angst, Spiel usw. bezeichnen müssen, in absehbarer Zeit mit der einfachen Reflextätigkeit derjenigen Teile des Gehirns in Verbindung bringen kann, die unmittelbar unter den Großhirnhemisphären liegen. Einen kühnen Versuch, die Reflexvorstellung auf die Großhirnhemisphären zu übertragen und dieses Schema nicht nur für Tiere, sondern auch für den Menschen zu benutzen, unternahm auf dem Boden der Physiologie seinerzeit der russische Physiologe I. M. SETSCHENOW. In seiner Schrift „Reflexe des Gehirns", die im Jahre 1863 in russischer Sprache erschien, machte er den Versuch, die Funktion der Großhirnhemisphären als eine Reflextätigkeit darzustellen, d. h. sie zu determinieren. In diesem System werden die Gedanken als Reflexe mit gehemmtem effektorischem Endglied aufgefaßt und die Affekte als verstärkte Reflexe mit weiter Irradiation der Erregung. Einen gleichen Versuch unternahm in neuester Zeit C H . RICHET, als er den Begriff des psychischen Reflexes aufstellte, bei dem die Reaktion auf einen gegebenen Reiz durch seine Kombination mit den in den Großhirnhemisphären vorhandenen Spuren früherer Reize bestimmt wird. Es muß überhaupt vermerkt werden, daß die Physiologen der neueren Zeit die Verknüpfung gegenwärtiger Reize mit Spuren früherer Reize als besonderes Charakteristikum der höheren Nerventätigkeit betrachten, die an die Großhirnhemisphären gebunden ist. (Das assoziative Gedächtnis von J . L O E B , die Lernfähigkeit und die Ausnutzung der Erfahrungen bei anderen Physiologen.) Aber über gewisse theoretische Vermutungen geht das alles nicht hinaus. So wurde denn immer stärker das Bedürfnis fühlbar, zur experimentellen Analyse dieses Gegenstandes überzugehen, und dabei rein objektiv, nur von außen her, an die Aufgabe heranzutreten, genauso, wie es in der gesamten übrigen Naturwissenschaft üblich ist. Die ersten Schritte in dieser Richtimg wurden durch die unlängst entstandene vergleichende Physiologie bedingt, die selbst wieder dem Einfluß der Evolutionstheorie ihre Entstehung verdankt. Als die Physiologie das

Die Abgrenzung gegen die Psychologie

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gesamte Tierreich zum Gegenstand ihrer Forschung machte und dabei natürlich auch dessen niederste Vertreter beachten mußte, war sie gezwungen, wenigstens in bezug auf diese den anthropomorphen Standpunkt ganz und gar zu verwerfen (20) und ihren wissenschaftlichen Scharfsinn nur auf diejenigen Beziehungen zu richten, die zwischen den äußeren, das Tier treffenden Einflüssen und der ebenfalls rein äußeren, wahrnehmbaren Antworttätigkeit des Tieres, seinen Bewegungen, bestehen. Hier hat J . L O E B S Lehre von den tierischen Tropismen ihren Ursprung, hier entspringt der Vorschlag einer objektiven Terminologie zur Bezeichnung der tierischen Reaktionen ( B E E R , B E T H E , U E X K Ü L L ) . Hier beginnen auch die Arbeiten der Zoologen an den niedersten Vertretern des Tierreichs, Arbeiten, die rein objektiv durchgeführt wurden, in denen wir nur eine Gegenüberstellung der äußeren Einwirkungen auf das Tier und seiner äußeren Antwortreaktionen darauf finden, wie z. B . die klassische Arbeit von JENNINGS U. a. Unter dem Einfluß dieser neuen Richtung in der Biologie und dank der ganz besonders sachlichen Denkart der Amerikaner entsteht bei den amerikanischen Psychologen, die sich ebenfalls der vergleichenden Psychologie zugewandt haben, das Bestreben, Tiere unter den verschiedensten äußeren Bedingungen, in die sie absichtlich gebracht werden, zu beobachten und so ihre äußere Tätigkeit einer experimentellen Analyse zu unterziehen. Als Ausgangspunkt systematischer Forschungen dieser Art muß man mit Recht die Arbeit von THORNDIKE „Animal Intelligence" (1898) betrachten. Zu diesen Untersuchungen wurden die Versuchstiere in einen Kasten oder Käfig gesetzt. Außerhalb des Käfigs befand sich das Futter, das dem Versuchstier leicht sichtbar war. Das Tier war natürlich bestrebt, das Futter zu erreichen, mußte aber dazu die Tür des Käfigs öffnen; diese hatte jedoch in den verschiedenen Versuchen einen verschiedenen Verschluß. Die Zahlen und die Kurven der Versuchsergebnisse zeigten, wie rasch und in welcher Weise die Lösung der Aufgabe vom Versuchstier erreicht wurde. Der ganze Vorgang wurde als eine Bildung von Assoziationen, von Verbindungen zwischen den optischen und taktilen Reizen einerseits und den ausgelösten Bewegungen andererseits betrachtet. Mit dieser Methode und bestimmten Variationen davon studierten dann viele Forscher die verschiedensten Probleme der Assoziationsfähigkeit der Tiere. Beinahe gleichzeitig mit THORNDIKE und ohne von seinen Arbeiten zu wissen, wurde ich unter dem Eindruck eines Laboratoriumsereignisses auch auf den Gedanken gebracht, diesem Gegenstand gegenüber denselben Standpunkt einzunehmen. Als ich mit eingehenden Forschungen über die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen beschäftigt war, sah ich mich gezwungen, auch die sogenannte psychische Erregung der Verdauungsdrüsen in den Bereich meiner Untersuchungen einzubeziehen. Als ich nun mit einem meiner Mitarbeiter versuchte, (21) diese Tatsache einer eingehenden Analyse zu unterziehen und mich dabei anfangs der allgemein angenommenen Schablone, nämlich der psychologischen Denkart bediente, d. h. mir vorstellte, was wohl das Versuchstier bei unseren Versuchen denken oder fühlen mochte, da stieß ich auf ein im Laboratorium ganz außergewöhnliches Ereignis. Ich war nicht mehr imstande, mich mit meinem

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ERSTE

VORLESUNG

Mitarbeiter zu verständigen. Ein jeder von uns blieb bei seiner Meinung, und e3 war lins unmöglich, einander durch bindende Versuche zu überzeugen. Durch diesen Zwischenfall wurde ich ganz entschieden gegen die psychologische Behandlung der Frage eingenommen, und so kam mir der Gedanke, auch diese Erscheinungen rein objektiv von außen her zu untersuchen, d. h. genau zu bestimmen, welche Reize in einem bestimmten Augenblick das Tier treffen, und dann genau zu verfolgen, was für Tätigkeiten das Tier als Antwort auf diese Reize entwickelt, sei es in Form von Bewegungen oder, wie in meinem Falle, in Form von Sekretionen. Dies war der Anfang einer Forschung, die nun schon 25 Jahre dauert und an der viele mir lieb und teuer gewordene Mitarbeiter teilgenommen haben, die ihre Gedankenarbeit wie auch ihrer Hände Werk mit der meinen hilfreich verbanden. Natürlich hatten wir verschiedene Stadien der Arbeit zu überwinden; denn nur ganz allmählich vermochten wir in den Gegenstand einzudringen, und nur nach und nach gewährte er uns weitere Ausblicke. Anfangs hatten wir nur vereinzelte, unzusammenhängende Tatsachen, jetzt aber ist schon ein reiches Material vorhanden. Und so ist es mir denn möglich, den ersten Versuch zu machen, alles von uns Errungene bis zu einem gewissen Grade systematisiert darzustellen. Heute bin ich imstande, Ihnen eine rein physiologische Lehre von der Arbeit der Großhirnhemisphären vorzulegen, eine Auffassung, die der tatsächlichen morphologischen und funktionellen, komplizierten Struktur der Großhirnhemisphären jedenfalls mehr entspricht, als die gewöhnliche Lehre von den Funktionen dieses Organs, die doch bis jetzt eigentlich nur aus wenigen unzusammenhängenden Bruchstücken bestand, mögen diese auch von größter Wichtigkeit und Tragweite gewesen sein. So kommt es, daß in dieser neuen, streng objektiven Richtung zur Erforschung der höheren Nerventätigkeit hauptsächlich meine Laboratorien (über 100 Mitarbeiter haben sich an meiner Arbeit beteiligt) und die amerikanischen Psychologen arbeiten. Von den anderen physiologischen Laboratorien haben sich bisher nur wenige mit diesem Gegenstand beschäftigt, sie sind später als wir an diese Arbeit gegangen, und ihre Versuche gehen meist nicht über die ersten Orientierungsversuche auf diesem Gebiet hinaus. Zwischen uns und den Amerikanern aber besteht bisher noch folgender bedeutender Unterschied. Dort wird die objektive Forschung von den Psychologen durchgeführt, und wenn sie sich auch nur (22) die Erforschung rein äußerer Tatsachen zur Aufgabe machen, so denken sie doch in bezug auf Fragestellung, Analyse und Formulierung der Ergebnisse psychologisch. Daher tragen auch ihre Arbeiten kein rein physiologisches Gepräge, mit Ausnahme der Gruppe der „Behavioristen". Wir dagegen sind von der Physiologie ausgegangen und stehen auch stets auf einem rein physiologischen Standpunkt. Das gesamte Gebiet wird von uns rein physiologisch untersucht und systematisiert. Nunmehr will ich zur Darstellung unseres Materials übergehen, wobei ich vorerst bei dem Begriff des Reflexes im allgemeinen, der Reflexe in der Physiologie und den sogenannten Instinkten verweilen will. Unser Grundbegriff, von dem wir ausgehen, ist der DESCARTESsche Begriff des Reflexes. Dieser Begriff ist natürlich ein rein wissenschaftlicher, denn die

Der Reflexbegriff

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Erscheinung, die er bezeichnet, läßt sich genau determinieren. Er sagt aus: auf irgendeinen rezeptorischen Nervenapparat wirkt irgendein Agens aus der Außenwelt oder der Innenwelt des Organismus ein. Diese Einwirkung wird in einen Nervenprozeß umgewandelt, in die Erscheinung der Nervenerregung. Diese Erregung läuft über die Nervenfasern wie über Leitungen ins Zentralnervensystem. Von hier wird sie über feststehende Verbindungen durch andere Leitungsbahnen zum ausführenden Organ geleitet, wo sie schließlich in den spezifischen Zellprozeß dieses Organs umgewandelt wird. Auf diese Weise ist jedes Agens mit einer bestimmten Tätigkeit des Organismus gesetzmäßig wie Ursache und Wirkung verbunden. Es ist vollkommen klar, daß die gesamte Tätigkeit eines jeden Organismus streng gesetzmäßig verlaufen muß. Wenn der tierische Organismus — um einen biologischen Ausdruck zu gebrauchen — nicht genau der Umwelt angepaßt wäre, so würde er über kurz oder lang aufhören zu eidstieren. Wenn das Tier, statt sich zum Futter zu bewegen, sich von ihm entfernen würde, wenn es statt vor dem Feuer zu fliehen, ins Feuer rennen würde und dergl., so würde es sehr bald auf irgendeine Art zugrunde gehen. Ein Tier muß derart auf die Erscheinungen der Außenwelt reagieren, um durch seine gesamten Antwortreaktionen seine Existenz zu sichern. Zu derselben Einsicht gelangt man, wenn man das Leben in Begriffen der Mechanik, der Physik und der Chemie erfassen will. Jedes materielle System kann nur solange als gesonderte Einheit existieren, wie seine inneren Kräfte, die Anziehungskraft, die Kohäsion usw., den äußeren (23) Einflüssen, die auf das gesamte System einwirken, das Gleichgewicht halten. Das gilt genauso für jeden gewöhnlichen Stein, wie für eine hochkomplizierte chemische Substanz. Denselben Gedankengang müssen wir auf den Organismus übertragen. Als bestimmtes, geschlossenes materielles System kann er nur solange existieren, wie er in jedem Augenblick mit allen ihn umgebenden Bedingungen im Gleichgewicht steht. Sobald aber dieses Gleichgewicht ernstlich gestört wird, hört er auf, als ein derartiges einheitliches System zu existieren. Die Reflexe sind die Elemente dieser fortwährenden Anpassung, dieser ununterbrochenen Gleichgewichtseinstellung. Die Physiologen haben bisher schon eine große Zahl von Reflexen erforscht, und sie fahren fort, diese gesetzmäßigen, maschinenartig ablaufenden Reaktionen des tierischen Organismus zu studieren; sie untersuchen die Reaktionen, die von der Geburt des Tieres an gesetzmäßig ablaufen, die angeboren, d. h. durch die Organisation des gegebenen Nervensystems bedingt sind. Gleich wie die Triebwerke von Maschinen, die von Menschenhand geschaffen werden, können auch die Reflexe von zweierlei Art sein: positive und negative oder hemmende, oder mit anderen Worten: sie können eine bestimmte Tätigkeit in Gang bringen oder eine schon bestehende Tätigkeit hemmen. Mit dem Studium dieser Reflexe beschäftigen sich die Physiologen zwar schon lange, aber von der Erkenntnis gesetzmäßiger Zusammenhänge sind sie noch sehr, sehr weit entfernt. Es werden zwar immer neue Reflexe entdeckt. Aber die rezeptorischen Apparate, die den Anstoß von äußeren, wie auch besonders von inneren Agenzien aufnehmen, sind bis jetzt noch in vielen Fällen hinsichtlich ihrer Eigen-

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ERSTE

VORLESUNO

Schäften ganz unerforscht; die Bahnen, auf denen die Erregung im Zentralnervensystem verläuft, sind oft wenig bekannt oder noch nicht einmal festgestellt und wenn man von Reflexen auf hemmende efferente Nerven absieht, so ist der zentrale Mechanismus der hemmenden Reflexe ganz unklar; auch die Verknüpfungen und die gegenseitige Beeinflussung verschiedener Reflexe sind bisher nur sehr wenig geklärt. Trotzdem dringen die Physiologen immer tiefer in den Mechanismus dieser maschinenartigen Tätigkeit des Organismus ein, und wir haben allen Grund zu hoffen, daß wir auch über diese Tätigkeit einst erschöpfende Kenntnis besitzen werden und imstande sein werden, sie zu lenken. Zu diesen gewöhnlichen Reflexen, diesem alten Studienobjekt der Physiologen in ihren Laboratorien, die sich hauptsächlich auf die Tätigkeit einzelner Organe beziehen, kommen nun noch angeborene Reaktionen hinzu, die ebenfalls über das Nervensystem gesetzmäßig zustande kommen und an streng bestimmte Bedingungen gebunden sind. (24) Dies sind die Reaktionen der verschiedenen Tiere, die die Tätigkeit des Gesamtorganismus betreffen und als allgemeines Verhalten oder Benehmen der Tiere sichtbar werden; man bezeichnet sie mit dem Spezialausdruck „Instinkte". Da in bezug auf die wesentliche Gleichartigkeit dieser Reaktionen mit den Reflexen noch kein völliges Einvernehmen herrscht, sehe ich mich genötigt, diesen Punkt etwas eingehender zu behandeln. Den Gedanken, daß diese Reaktionen ebenfalls Reflexe seien, verdankt die Physiologie dem englischen Philosophen H E R B E R T S P E N C E R . Später haben Zoologen, Physiologen und vergleichende Psychologen viele eindeutige Beweise dafür erbracht, daß diese Ansicht wirklich richtig ist. Ich will hier systematisch die Gründe anführen, die dafür sprechen, daß es auch nicht ein einziges wesentliches Merkmal gibt, durch das sich die Reflexe von den Instinkten unterscheiden. Als erstes gibt es eine Unmenge ganz unmerklicher "Übergänge von den gewöhnlichen Reflexen zu den Instinkten. Nehmen wir z . B . ein Hühnchen; es vollzieht sofort, nachdem es aus dem Ei geschlüpft ist, die Bewegung des Pickens auf jeden Reiz, der sein Auge trifft, seien es kleine Gegenstände oder Flecken auf der Unterlage, auf der es sich bewegt. Wodurch unterscheidet sich nun diese Reaktion von der Kopfbewegung oder vom Lidschluß, wenn dicht am Auge ein Gegenstand Vorbeikommt ? Von letzterer Bewegung sagt man, sie sei ein Schutzreflex, die Pickbewegung aber wird als Nahrungsinstinkt bezeichnet. Wird aber das Picken durch einen Keck auf dem Boden hervorgerufen, so beschränkt sich j a die ganze Bewegungsreaktion nur auf ein Vorbeugen des Kopfes und auf eine Bewegung des Schnabels. Es wurde ferner die größere Kompliziertheit der Instinkte im Vergleich zu den Reflexen als besonderer Unterschied hervorgehoben. Nun gibt es aber ungemein komplizierte Reflexe, und doch wird niemand sie als Instinkte bezeichnen. Nehmen wir den einfachen Vorgang des Erbrechens. E r ist höchst kompliziert. Eine große Anzahl quergestreifter und glatter Muskeln sind an ihm in ganz speziell geordneter Weise beteiligt, Muskeln, die weitab voneinander liegen und in der Regel ganz anderen Funktionen des Organismus dienen; auch verschiedene Sekretionsvorgänge, die zu anderer Zeit ebenfalls anderen Funktionen des Organismus dienen, nehmen daran teil.

Instinkte sind Kettenreflexe

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Ein weiterer Punkt, in dem man einen Unterschied sah, besteht in der langen Reihe aufeinanderfolgender Handlungen bei den Instinkten im Vergleich zur Einfachheit des Reflexvorganges. Nehmen wir als Beispiel den Nestbau oder überhaupt die Einrichtung der Wohnstätte bei Tieren. Hier gibt es natürlich (25) eine lange Kette von ineinander greifenden Handlungen: das Auffinden des Baumaterials, sein Herantragen, seine Bearbeitung und Befestigung. Man kann auch diese Tätigkeit als Reflexvorgang auffassen, wenn man nur zugibt, daß das Ende des einen Reflexes zum Erreger des nächsten Reflexes wird, d.h., daß es sich um Kettenreflexe handelt. Aber diese Verkettung von aufeinanderfolgenden Tätigkeiten bildet gar keine, ausschließlich den Instinkten zukommende Eigenschaft. Es sind uns auch viele Reflexe bekannt, die eine Verkettung von Tätigkeiten darstellen. Nehmen wir den folgenden Fall. Wir reizen irgendeinen afferenten Nerven, z . B . den n.ischidiacus; es zeigt sich ein reflektorischer Blutdruckanstieg. Das ist der erste Reflex. Der hohe Blutdruck im linken Ventrikel und im Anfangsteil der Aorta wird nun zu einem selbständigen Reiz, der einen weiteren Reflex auslöst: es werden die Endigungen des n. depressor cordis gereizt, was einen depressorischen Reflex in Gang bringt, der wiederum die Wirkung des ersten Reflexes einschränkt. Nehmen wir noch den neuesten Kettenreflex, den uns M A G N U S gezeigt hat. Wenn man eine Katze, der die Großhirnhemisphären entfernt worden sind, von einer gewissen Höhe herabfallen läßt, so kommt sie meist auf die Füße zu stehen. Wie kommt das ? Die Veränderungen in der räumlichen Lage des Otolithenapparates im Ohr rufen bestimmte reflektorische Kontraktionen der Halsmuskeln hervor, durch die der Kopf des Tieres in die normale Lage zum Horizont gebracht wird. Dies ist der erste Reflex. Die Endglieder dieses Reflexes, die Kontraktionen bestimmter Halsmuskeln und überhaupt die Stellung des Halses, sind wiederum Erreger eines anderen Reflexes auf bestimmte Rumpfund Extremitätenmuskeln, die im Endresultat die richtige aufrechte Lage des Tieres ergeben. Man glaubte noch folgenden Unterschied zwischen den Reflexen und Instinkten feststellen zu können. Die Instinkte hängen oft von ganz bestimmten inneren Zuständen und Bedingungen des Organismus ab. So wird z. B. das Nestbauen nur dann betrieben, wenn die Zeit der Fortpflanzungstätigkeit herannaht. Oder ein noch einfacherer Fall. Wenn ein Tier satt ist, so sucht es nicht mehr nach Nahrung oder hört auf zu fressen. Dasselbe sieht man auch bei dem Geschlechtsinstinkt, der sowohl an das Lebensalter des Organismus als auch an den Zustand der Geschlechtsdrüsen gebunden ist. Überhaupt spielen hier die Hormone, die Produkte der endokrinen Drüsen eine große Rolle. Aber auch das ist nicht nur den Instinkten eigen. Die Intensität der Reflexe, ja ihr Zustandekommen oder Fehlen (26) hängt unmittelbar von der Erregbarkeit der Reflexzentren ab; der Grad der Erregbarkeit aber steht in ständiger Abhängigkeit von den chemischen und physikalischen Eigenschaften des Blutes (automatische Reizung der Zentren), wie von der Wechselwirkung der verschiedenen Reflexe aufeinander. Schließlich wird manchmal noch darauf Gewicht gelegt, daß die Reflexe sich nur auf die Tätigkeit einzelner Organe beziehen, während die Instinkte

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VORLESUNG

den ganzen Organismus, d. h. eigentlich sein ganzes Skelettmuskelsystem einbeziehen. Aber aus den Arbeiten von M A G N U S und D E K L E Y N wissen wir, daß auch das Stehen, das Gehen und überhaupt die Körperhaltung im Raum ebenfalls Reflexe sind. So sehen wir denn, daß die Reflexe ebenso wie die Instinkte ganz gesetzmäßige Reaktionen des Organismus auf bestimmte Einwirkungen sind, und es liegt deshalb gar keine Notwendigkeit vor, diese Reaktionen mit verschiedenen Worten zu bezeichnen. Die Bezeichnung „Reflex" hat natürlich den Vorzug, denn diesem Wort ist von Anfang an ein streng wissenschaftlicher Sinn beigelegt worden. Die Gesamtheit dieser Reflexe ist die Grundlage der Nerventätigkeit sowohl beim Menschen als auch beim Tier. Es ist daher von größter Wichtigkeit, alle diese grundlegenden Nervenreaktionen des Organismus eingehend zu erforschen. Leider sind wir zur Zeit weit davon entfernt, wie schon aus dem Gesagten hervorgeht und wie man besonders im Hinblick auf diejenigen Reflexe betonen muß, die man früher als Instinkte bezeichnete. Unsere Kenntnisse von den Instinkten sind sehr beschränkt und unzusammenhängend. Nur in groben Zügen besteht hier eine Gruppierung in Nahrungsinstinkt, Selbsterhaltungsinstinkt, Geschlechtsinstinkt, elterliche und soziale Instinkte. Fast in jeder Gruppe gibt es noch eine ganz beträchtliche Anzahl einzelner Glieder, von deren Existenz wir gar nichts ahnen, die wir mit anderen Gliedern verwechseln oder deren Lebenswichtigkeit wir zum mindesten stark unterschätzen. Wie unvollkommen dieser Gegenstand noch ist und wieviele Lücken er noch aufweist, sei hier an einem Beispiel aus unserer Arbeit dargelegt. Bei einer Arbeit, über die ich weiter unten berichten werde, standen wir eine Zeitlang völlig ratlos da und konnten überhaupt nicht verstehen, was mit unserem Versuchstier eigentlich vor sich ging. Für diese Versuche nahmen wir einen Hund, der offensichtlich ein sehr kluges Tier war, das sehr bald mit uns allen Freundschaft schloß. (27) Dieser Hund erhielt eine anscheinend ganz leichte Aufgabe. E r wurde auf den Tisch ins Gestell gebracht, und seine Bewegungen wurden durch leichte Schlingen an den Füßen, die gar keinen Druck ausübten, eingeschränkt (wobei er sich anfänglich vollständig ruhig verhielt). Auf diesem Tisch wurde weiter nichts mit dem Hunde vorgenommen, als daß ihm, mit Pausen von einigen Minuten, wiederholt kleine Portionen von Futter vorgelegt wurden. Zu Anfang stand der Hund ruhig und fraß auch gern das vorgelegte Futter, dann aber wurden bei ihm Anzeichen einer gewissen Erregung bemerkbar, und je länger der Hund im Gestell stand, desto stärker wurde diese Erregung: E r suchte sich loszureißen, kratzte den Boden, biß und nagte an den Schlingen und Ständern des Gestells usw. Diese ununterbrochene Muskelanstrengung führte bei ihm zu einer beschleunigten Atmung mit fortwährendem Speichelfluß, und so geriet er in einen Zustand, in dem er für unsere Arbeit völlig unbrauchbar wurde; denn dieser Erregungszustand hielt bei ihm wochenlang an und verschlimmerte sich immer mehr. Lange Zeit konnten wir nicht daraus klug werden, was eigentlich los war. Wir stellten die verschiedensten Vermutungen über die möglichen Gründe eines solchen Verhaltens an und unterwarfen sie eingehenden Unter-

Beispiele für angeborene Reflexe

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suchungen. Aber obwohl wir schon viele Erfahrungen mit Hunden hatten, blieben unsere Bemühungen doch ohne Erfolg, bis wir schließlich auf den Gedanken kamen, daß es sich dabei eigentlich um eine sehr einfache Sache handelt, nämlich um den Freiheitsreflex, oder anders ausgedrückt, daß dieser Hund keine Beschränkung seiner Bewegungen vertragen konnte. Wir überwanden diesen Reflex durch einen anderen, den Nahrungsreflex. Wir fingen nämlich an, dem Hunde seine ganze Tagesportion nur im Gestell zu geben. Zuerst fraß er nur wenig und magerte auch merklich ab, aber nach und nach begann er besser zu fressen, bis er schließlich, im Gestell stehend, seine volle Tagesportion zu sich nahm; zugleich verhielt er sich auch während unserer Versuche viel ruhiger, der Freiheitsreflex war gehemmt. Es ist ganz klar, daß der Freiheitsreflex ein höchst wichtiger Reflex oder, allgemeiner gesagt, eine höchst wichtige Reaktion eines jeden Lebewesens ist. Und doch wird dieser Reflex nur selten erwähnt, er ist gleichsam noch nicht endgültig anerkannt. Nicht einmal bei J A M E S wird er unter den speziell menschlichen Reflexen (Instinkten) genannt. Wenn aber der tierische Organismus keinen reflektorischen Protest, kein Ankämpfen gegen die Beschränkung seiner Bewegungen erheben würde, so genügte es, daß ein Tier nur auf einen ganz unbedeutenden Widerstand stieße, und die Verrichtung so mancher wichtigen Tätigkeit bliebe dann aus. Wir wissen, daß bei einigen Tieren dieser Freiheitsreflex eine solche Intensität erreicht, daß diese Tiere bei Einbuße ihrer Freiheit, bei Beschränkung ihrer Bewegungsmöglichkeit die Aufnahme von Futter verweigern, dahinsiechen und schließlich eingehen. Nehmen wir ein weiteres Beispiel: Es gibt einen anderen Reflex, den man Untersuchungsreflex nennen könnte (28) oder, wie ich ihn oft bezeichne, den Reflex: „Was ist das?". Auch dieser Reflex ist wohl kaum genügend beachtet worden, er ist aber auch ein Reflex von grundlegender Bedeutung. Bei der geringsten Schwankung oder Veränderung der Umgebung stellen Menschen und Tiere die entsprechenden rezeptorischen Apparate in der Richtung ein, aus der die Ursache dieser Störung einwirkt. Der biologische Wert dieses Reflexes ist unbestreitbar. Wenn beim Tier diese Reaktion nicht vorhanden wäre, so würde sein Leben jeden Augenblick gefährdet sein. Dieser Reflex geht aber beim Menschen noch viel weiter und äußert sich schließlich in Form jenes Wissensdranges, der unsere Wissenschaft geschaffen hat, die uns die höchste, unbegrenzte Orientierungsmöglichkeit in der uns umgebenden Umwelt erschließt. Noch viel weniger geordnet und in seiner Bedeutung überhaupt noch nicht erkannt ist das Gebiet der negativen, hemmenden Reflexe (Instinkte). Diese treten bei allen starken, aber auch bei ungewöhnlichen schwachen Reizen auf. Hierher gehört unter anderem auch die sogenannte tierische Hypnose. So sehen wir denn, daß die grundlegenden Reaktionen des Nervensystems bei Tier und Mensch als Reflexe angeboren sind. Und ich wiederhole es noch einmal : Es ist höchst wichtig, ein vollständiges Verzeichnis und ein entsprechendes System dieser Reflexe zu haben, denn die ganze übrige Nerventätigkeit des Organismus ist, wie wir sehen werden, auf dem Fundament dieser angeborenen Reflexe aufgebaut.

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VORLESUNG

Obwohl nun diese eben beschriebenen Reflexe eine Grundbedingung für die Integrität des Organismus in seiner Umgebung bilden, reichen sie doch allein noch nicht aus, um eine dauernde, sichere Existenz des Organismus zu gewährleisten. Dies kann durch Versuche an Hunden, denen die Großhirnhemisphären exstirpiert wurden, leicht bewiesen werden. Bei solchen Hunden bleiben, wenn man von den inneren Reflexen absieht, die fundamentalen äußeren Reflexe bestehen. Der Hund strebt nach dem Futter. Destruktiven Reizen weicht er aus. Bei ihm besteht der Untersuchungsreflex: Bei Geräuschen spitzt er die Ohren und hebt den Kopf. Auch der Freiheitsreflex ist bei ihm vorhanden: wenn man ihn anfaßt, so sträubt er sich. Und dennoch ist solch ein Hund ein Krüppel; sich selbst überlassen, kann. er unmöglich existieren. In seiner jetzigen Nerventätigkeit fehlt etwas Sehr Wichtiges. Was ist das ? Nun, man kann leicht bemerken,, daß bei einem solchen Hunde die Zahl der Agenzien, die Reflexe hervorrufen, sehr gering geworden ist: Es sind nur sehr nahe, sehr elementare (29) und sehr allgemeine Einwirkungen. Eine Differenzierung kann er nicht vornehmen und deswegen ist die Gleichgewichtseinstellung dieses höheren Organismus in seiner Umwelt in weiten Bereichen seiner Lebenstätigkeit sehr vereinfacht, sie ist zu beschränkt, ja offensichtlich ungenügend geworden. Nehmen wir noch ein ganz einfaches Beispiel, von dem unsere Untersuchungen ihren Ausgang genommen haben. Wenn einem normalen Versuchstier Futter oder irgendeine anwidernde Substanz in das Maul gerät, so fließt darauf sofort Speichel, der die Futtersubstanzen benetzt, löst und chemisch verändert, die anwidernden Substanzen dagegen entfernt und das Maul von ihnen reinsßült. Das ist ein Reflex, der durch die physikalischen und chemischen Eigenschaften dieser Stoffe bei ihrer Berührung mit der Mundschleimhaut ausgelöst wird. Dieselben Gegenstände und Substanzen rufen aber genau die gleichen Reaktionen hervor, wenn sie sich vor dem Hunde in einer gewissen Entfernung befinden und nur auf sein Auge und seine Nase einwirken können. Und mehr noch, dieselben Reaktionen sehen wir schon dann, wenn vor dem Hunde nur die Schüssel steht, aus der vorher die Nahrungsstoffe in sein Maul gelangt sind. J a , noch viel mehr! Dieselbe Wirkung hat auch das Erscheinen des Menschen, der gewöhnlich diese Dinge bringt, ja selbst der bloße Schall seiner Schritte aus dem Nebenzimmer. Und all diese vielfältigen, entfernten, komplizierten und fein spezialisierten Reize verlieren für immer ihre Wirkung, sobald man dem Hunde seine Großhirnhemisphären entfernt. Es bleiben dann nur noch die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Stoffe bei unmittelbarer Berührung der Mundschleimhaut wirksam. Der unmittelbare Vorteil aber, den die verlorenen Reize normalerweise hatten, war beträchtlich: Trockenes Futter traf in der Mundhöhle sofort mit einer großen Menge der entsprechenden Flüssigkeit zusammen; die anwidernden Substanzen, die oft die Mundschleimhaut schädigen, werden durch die Schicht des schon Vorhandenen Speichels von der Schleimhaut ferngehalten, rasch verdünnt und weggespült usw. Wieviel größer aber wird die Bedeutung dieser Reize, wenn durch sie die motorischen Komponenten des Nahrungsreflexes in Gang gebracht werden, d.h., wenn es sich darum handelt, die Nahrung zu erreichen.

Signaltätigkeit — Grundtätigkeit der Großhirnhemisphären

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Nehmen wir noch den wichtigen Fall des Schutzreflexes. Ein starkes Raubtier braucht zu seiner Ernährung kleine, schwache Tiere. Die letzteren müßten aufhören zu existieren, wenn sie ihre Verteidigung erst dann beginnen sollten, wenn der Feind sie schon in seinen Klauen und mit seinen Zähnen erfaßt hat. Ganz anders liegen die Dinge, wenn die Schutzreaktion (30) schon beim bloßen Erblicken des Feindes aus der Ferne, bei den ihn begleitenden Geräuschen und dergl. beginnt. Dann hat das schwächere Tier die Möglichkeit zu fliehen oder sich zu verbergen, d. h., es hat alle Aussicht, unversehrt zu bleiben. Wie können wir aber ganz allgemein den Unterschied charakterisieren, den wir im Verhalten des normalen und des großhirnlosen Hundes zur Außenwelt bemerken ? Welcher Art ist der allgemeine Mechanismus und worin liegt das allgemeine Prinzip dieses Unterschiedes ? Es ist unschwer zu bemerken, daß die Reaktionen des Organismus unter normalen Verhältnissen nicht nur durch die für den gegebenen Organismus wesentlichen Agenzien der Außenwelt hervorgerufen werden, d.h. durch solche Agenzien, die für den Organismus unmittelbar fördernd oder schädigend sind, sondern daß dieselben Reaktionen auch noch durch eine geradezu unzählige Menge anderer Einflüsse ausgelöst werden können, die nur als Signale der ersteren dienen. Aus den oben angeführten Beispielen wird das klar ersichtlich. Weder das Aussehen eines starken Tieres, noch die Geräusche, die von ihm ausgehen, vernichten das kleinere Tier; das besorgen seine Zähne und Krallen. In den Reflexen, von denen bis jetzt die Rede war, haben, wenn auch in verhältnismäßig beschränkter Zahl, diese signalisierenden oder, um einen Ausdruck SHERRINGTONS ZU gebrauchen, distanten Reize, immer mitgespielt. Ein wesentliches Zeichen dieser höheren Nerventätigkeit, mit der wir uns beschäftigen werden und die beim höheren Tier wahrscheinlich wohl nur den Großhirnhemisphären zukommt, besteht nicht nur darin, daß in ihr unzählige Signalreize mitwirken, sondern auch noch darin, daß diese unter bestimmten Bedingungen ihre physiologische Wirkung verändern können. In dem oben angeführten Beispiel mit der Speichelreaktion wirkt bald die eine, bald die andere Schüssel, bald der eine, bald der andere Mensch, aber in genauer Abhängigkeit davon, aus welcher Schüssel das Futter oder die anwidernden Substanzen dem Hunde in das Maul gelangten, wer sie brachte, wer sie dem Hunde reichte oder gewaltsam einführte. Augenscheinlich verfeinern diese Umstände im höchsten Maße die maschinenartige Tätigkeit des Organismus, sie verleihen ihr eine noch viel höhere Vollkommenheit. Die Umwelt des Tieres ist so unendlich kompliziert und bietet einen derart rastlosen Wechsel von Einwirkungen, daß das komplizierte, geschlossene System eines Organismus nur dann Aussichten hat, mit ihr im Gleichgewicht zu bleiben, wenn es selbst die jeweiligen Schwankungen mitmachen kann. So gelangen wir denn zu der Einsicht, daß die Grundtätigkeit und zugleich auch die allgemeinste Tätigkeit der Großhirnhemisphären eine Signaltätigkeit ist, die über eine Unmenge von Signalen mit stets wechselnder Signalbedeutung verfügt. (31)

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VORLESUNG

D I E TECHNISCHE METHODIK D E R O B J E K T I V E N UNTERSUCHUNG D E R FUNKTION D E R GROSSHIRNHEMISPHÄREN - D I E SIGNALISIERUNG I S T E I N R E F L E X - U N B E D I N G T E UND B E D I N G T E R E F L E X E D I E B E D I N G U N G E N , D I E ZUM E N T S T E H E N D E R B E D I N G T E N R E F L E X E FÜHREN Meine Damen und Herren! In der vorigen Vorlesung habe ich Ihnen die Gründe auseinandergesetzt, die uns veranlaßten, die gesamte Nerventätigkeit der höheren Tiere ausschließlich mit objektiven Methoden zu erforschen, d. h. sie rein von außen her als Tatsachenmaterial zu untersuchen, ohne in irgendwelcher Weise auf phantastische Erwägungen darüber einzugehen, was ein Hund dabei in seinem Inneren, nach Analogie mit uns selbst, durchleben mag. Gerade so ist es ja in der ganzen Naturwissenschaft üblich. Ich habe Ihnen zugleich mitgeteilt, daß sich uns von diesem Standpunkt aus die gesamte Nerventätigkeit des Tieres in folgenden Zügen darstellt : Erstens in Form von angeborenen Reflexen, d. h. in Form von gesetzmäßigen Verbindungen gewisser äußerer Agenzien, die auf den Organismus einwirken, mit ganz bestimmten Antwortreaktionen des Organismus. Dabei wurde festgestellt, daß es nur relativ wenige solcher Agenzien gibt, daß sie nur aus der Nähe wirken und von recht allgemeinem Charakter sind. Bis zu einem gewissen Grade kann dieser Mechanismus natürlich die Existenz eines Organismus sichern, aber bei weitem nicht in genügendem Maße (das betrifft ganz besonders die höheren Tiere). Daher ist ein Tier, dem ein gewisser Teil seiner Nerventätigkeit genommen wird und das dadurch nur über diese angeborenen Reflexe verfügt, sich selbst überlassen, lebensunfähig und dem Tode ausgeliefert. Das tägliche Leben in seiner ganzen Fülle fordert genauere und speziellere Verbindungen und Beziehungen zwischen Tier und Außenwelt. Diese zweite weitergreifende Verbindung kann nur (32) durch die höchsten Anteile des Zentralnervensystems, durch die Großhirnhemisphären, hergestellt werden. Genauer gesagt, geht es dabei darum, daß eine Unmenge aller möglichen Agenzien der Natur als Signale wirken, und zwar als zeitweilige, sehr veränderliche Signale für diejenigen, grundlegenden, verhältnismäßig wenigen Agenzien, durch die die angeborenen Reflexe ausgelöst werden. Nur auf diese Weise kann eine genaue und feine Gleichgewichtsemstellung zwischen Organismus und Außenwelt erreicht werden. Diese Funktion der Großhirnhemisphären habe ich als Signalfunktion bezeichnet. An erster Stelle muß ich jetzt die technische Seite unserer Methodik behandeln. Wie sollen wir die Signalfunktion der Großhirnhemisphären studieren, an

Methodik der objektiven Untersuchung

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welchem Organ und mit welchem Verfahren ? Man könnte natürlich zu diesen Untersuchungen jeden beliebigen Reflex benutzen, denn die Signalreize lassen sich mit allen Reflexen verbinden. Aber die historische Entwicklung unserer Arbeit brachte es mit sich, daß wir, wie schon früher erwähnt, unsere Aufmerksamkeit zwei Reflexen zuwandten: dem Nahrungsreflex und dem ganz gewöhnlichen Abwehrreflex, der zustande kommt, wenn dem Hunde, unserem Versuchsobjekt, irgendwelche anwidernden Substanzen in das Maul gelangen. Diese Wahl erwies sich in vieler Hinsicht als sehr vorteilhaft. Während z. B. der Abwehrreflex auf elektrische Hautreize das Tier in höchste Unruhe und Erregung versetzt, während der Sexualreflex (ganz abgesehen von seiner langen Periodizität und der Abhängigkeit von bestimmten Altersstufen) eine ganz besondere Umgebung fordert, sind der Nahrungsreflex und der erwähnte schwache Abwehrreflex auf anwidernde Substanzen, die in das Maul gelangen, ganz alltägliche, normale und einfache Funktionen. Eine andere, höchst wichtige Eigenart unserer Methodik ist die folgende: Sowohl der Nahrungsreflex als auch die Reaktion auf anwidernde Substanzen, die in das Maul gelangen, bestehen beide aus zwei Komponenten. Auf der einen Seite ist das Tier bestrebt, die Nahrung mit dem Maul zu ergreifen, es kaut und verschluckt sie, die anwidernden Stoffe hingegen wirft es wieder aus. Auf der anderen Seite kommt aber zu dieser Muskeltätigkeit noch eine sekretorische Tätigkeit hinzu. Auf Nahrungsstoffe und auf anwidernde Stoffe fließt sofort Speichel, der die mechanische und chemische Bearbeitung der Nahrung fördert bzw. das Maul von ungeeigneten Substanzen reinigt. Gerade diese sekretorische Komponente der Reflexe benutzten wir für unsere Versuche. (33) Auf den motorischen Teil des Reflexes achteten wir nur dann, wenn das für besondere Zwecke nötig war. Der sekretorische Reflex erwies sich als sehr geeignet. Die Sekretion erlaubt nämlich eine sehr genaue Messung; wir können die Intensität des Speichelreflexes in Tropfen oder in Teilstrichen eines kalibrierten Zylinders oder Röhrchens messen. Dies wäre bei der motorischen Komponente dieser Reflexe viel schwerer gewesen, denn die Bewegungen sind sehr mannigfaltig und äußerst kompliziert. Dazu wären sehr feine Instrumente nötig, und auch diese würden in bezug auf die Abstufung der Reaktionen niemals jene Genauigkeit erreichen, die die Messung der sekretorischen Komponente zuläßt. Nicht ohne Bedeutung war anfangs auch der Umstand, daß sich bei Beobachtung der Speichelsekretion anthropomorphe Deutungen nicht so sehr aufdrängen, wie das bei der Beobachtung von Bewegungen der Fall ist. Alle unsere Versuchshunde werden vor Beginn der Arbeit einer kleinen vorbereitenden Operation unterzogen, durch die das normale Ende des Ausführungsganges der Speicheldrüse nach außen in die Haut verlagert wird. Es wird ein Stück der Mundschleimhaut, das die Öffnung eines Speicheldrüsenganges trägt, an der Stelle, wo der Speichelgang in die Mundhöhle einmündet, umschnitten, der Ausführungsgang ein Stück in die Tiefe freipräpariert und dann das Ende des Ganges durch einen Schnitt in der Wange in die Haut eingeführt und hier vernäht. Im Ergebnis dieser Operation fließt der Speichel dann nicht in das Maul des Tieres, sondern auf die Wange oder unter die Schnauze. Dadurch ist

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VORLESUNG

es sehr leicht, die Arbeit der Speicheldrüsen zu verfolgen. Sie brauchen nur mit irgendeinem K i t t (wir verwenden MENDELEjEWschen Kitt) ein Trichterchen an der entsprechenden Hautstelle zu befestigen, und Sie sind imstande, die Speichels ekretion genau zu verfolgen.

Wir haben auch noch ein anderes Verfahren: Wir verkitten an dieser Stelle luftdicht eine hohle Halbkugel aus Glas, die zwei Röhrchen trägt, von denen das eine nach oben, das andere nach unten gerichtet ist1). Durch das untere Röhrchen wird der Speichel nach jeder Reizung abgesaugt. Das obere Röhrchen ist durch Luftübertragung mit einem horizontal liegenden, mit farbiger Flüssigkeit gefüllten Glasrohr verbunden. Wenn nun der Speichel aus dem Ausführungsgang der Drüse in die, an die Wange angekittete gläserne Halbkugel fließt, so ruft die geringste Füllung dieser Halbkugel eine Bewegung der gefärbten Flüssigkeit in dem kalibrierten Glasrohr hervor, und Sie können die Größe dieser Bewegung in Teilstrichen der kalibrierten Röhre angeben2). Es läßt sich auch leicht eine genaue automatische elektrische Registrierung der Tropfenzahl erreichen, wobei alle Tropfen von genau gleicher Größe sein müssen. Gehen wir nun an die Schilderung der allgemeinen Versuchsanordnung. Da es sich um die Untersuchung der Funktion der Großhirnhemisphären handelt, dieses großartigen (34) Signalapparates von höchster Empfindlichkeit, bedarf es keiner weiteren Erörterungen, um zu begreifen, daß durch diesen Apparat auf das Tier in einem fort zahllose verschiedenartige Reize einwirken. Jeder dieser Reize übt auf das Tier eine bestimmte Wirkung aus, und alle diese Reize stoßen außerdem noch miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Wenn Sie also keine speziellen Maßnahmen gegen diese Einwirkungen treffen, die oft geradezu chaotisch sein können, so werden Sie aus dem, was vor Ihren Augen vor sich geht, gar nicht klug werden können, alles wird Ihnen als ein unbegreifliches Durcheinander erscheinen. Die Beobachtungsbedingungen müssen also vereinfacht werden. Als erstes stellen wir unsere Tiere gewöhnlich in ein Gestell. Früher verfuhren wir so, daß es nur dem Experimentator gestattet war, bei dem Hunde in dem isolierten Zimmer zu sein. Aber später erwies sich auch das noch als ungenügend. Der Experimentator selbst ist ja eine Quelle unendlich vieler Reize. Die geringste Bewegung von ihm, sein Atmen, seine Atemgeräusche, seine Augenbewegungen, all das wirkt auf das Versuchstier und kompliziert die Erscheinungen, die wir untersuchen wollen. Daher waren wir gezwungen, den Experimentator aus dem Zimmer zu entfernen, um so seine Einwirkungen auf das Tier weitgehend auszuschalten. Aber in den üblichen Laboratorien erwies sich auch das noch als ungenügend. Denn die Umgebung, in der sich der Hund befindet, ist ja tatsächlich ununterbrochenen Schwankungen ausgesetzt; fortwährend ertönen neue Geräusche, es geht jemand am Zimmer vorbei, man klopft, man spricht, von der Straße dringt Lärm herein, die Wand erbebt von einem vorbeifahrenden Wagen, oder es laufen Schatten über die Fenster u. a. m. So dringen zufällige fremde

! ) s. Anhang

S. 371, Abb. 2 (dt.

Red.)

2)

S. 372, Abb. 3 (dt.

Red.)

s. Anhang

Methodik der objektiven Untersuchung

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Reize in die Großhirnhemisphären ein, mit denen man rechnen muß. Im Institut 'für experimentelle Medizin ist daher auf Kosten eines gebildeten Moskauer Kaufmanns ein Speziallaboratorium erbaut worden. Die Aufgabe bestand vor allem darin, das Laboratorium nach Möglichkeit gegen Einwirkungen von außen zu schützen. Zu diesem Zweck ist es von einem Graben umgeben, und es wurden noch einige andere spezielle Vorrichtungen beim Bau des Gebäudes getroffen. I m Inneren des Gebäudes sind alle Arbeitszimmer (vier in jedem Stock) durch einen kreuzförmigen Korridor voneinander getrennt. Das obere und das untere Stockwerk, in denen sich die Arbeitszimmer befinden, sind durch ein mittleres Stockwerk voneinander getrennt. Schließlich sind noch in jedem Arbeitszimmer der Raum, in dem sich der Hund befindet, und der Raum, in dem der Versuchsleiter arbeitet, durch eine aus mehreren schalldichten Schichten bestehende Wand besonders sorgfältig voneinander isoliert. Um nun auf das Tier in verschiedener Weise einwirken und seine Reaktionen registrieren zu können, wurden besondere, (35) teils pneumatische, teils elektrische Leitungen angelegt 1 ). Auf diese Weise ist eine möglichst vereinfachte und beständige Umgebung während der Versuchsdauer für das in der Zelle befindliche Tier sichergestellt. Zum Schluß muß noch eine sehr wichtige Bedingung erwähnt werden, die wir aber gegenwärtig nur als pium desiderium") bezeichnen können. Wenn der gesamte verwickelte Komplex von Einflüssen, die auf das Tier von außen einwirken, zum Gegenstand der Untersuchung werden soll, so muß der Experimentator natürlich alle diese Reize beherrschen, sie in seinen Händen halten. Er muß eine sehr große Zahl von Instrumenten zur Verfügung haben, damit er bald die einen, bald die anderen Reize einwirken lassen und Reizkombinationen herstellen kann, wie sie auch im Leben vorkommen. Leider müssen wir auch heute noch oft die Unvollkommenheit selbst der modernsten Instrumente für unsere Untersuchungen schmerzlich empfinden. Die Funktion der Großhirnhemisphären geht ständig weit über das hinaus, was uns unsere Instrumente zu untersuchen gestatten. Es mag vielleicht jemand, der von unseren Versuchsbedingungen hört, einwenden, daß dies eine sehr künstliche Versuchsanordnung ist. Hierauf antworten wir folgendes. Erstens wird es in Anbetracht der unendlichen Mannigfaltigkeit der verschiedenen Lebensbedingungen wohl kaum möglich sein, etwas wirklich nie Dagewesenes, absolut Neues anzuwenden. Zweitens ist es bei der Untersuchimg dieser unübersehbar komplizierten Erscheinungen gar nicht zu umgehen, sie zu zerlegen und in einzelne Gruppen aufzuteilen. Wendet nicht die Tierphysiologie bis heute ständig Vivisektionen an, und untersucht sie nicht sogar isolierte Organe und Gewebe ? Wir setzen unsere Versuchstiere einer begrenzten, streng bestimmten Anzahl von Bedingungen aus, um den Einfluß dieser Bedingungen nacheinander zu untersuchen. Sie werden noch des öfteren sehen, wie Veränderungen in den Lebensbedingungen der Tiere, die durch unsere Versuchsanordnungen zustande gekommen sind, uns oft sehr wichtige Tatsachen in die Hand gegeben haben. !) s. Anhang 8. 373 Abb. 4, 8. 374 Abb. 5 (dt. Red.) ) dt.; frommen Wunsch (dt. Red.)

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2/IV

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VORLESUNG

Dies ist in ganz allgemeinen Zügen unsere prinzipielle und technische Methodik. Nun wollen wir zur Untersuchung der Signalfunktion der Großhirnhemisphären übergehen und mit einem Versuch beginnen. Versuch: Sie sehen einen Hund, der so vorbereitet ist, wie ich es Ihnen beschrieben habe. Solange keine speziellen Agenzien auf das Tier einwirken, bleiben die Speicheldrüsen, wie Sie sich selbst überzeugen können, in Ruhe; es fließt kein Speichel. Nun lassen wir aber das Ticken eines Metronoms auf das Ohr des Hundes einwirken. (36) Wie Sie sehen, beginnt nach 9 Sekunden Speichel zu fließen, und in 45 Sekunden erhalten wir 11 Tropfen Speichel. Sie sehen also, wie vor Ihren Augen ein Reiz, der mit der Nahrung gar nichts zu tun hat (das Ticken eines Metronoms), die Speicheldrüsen in Tätigkeit versetzt; diese Tätigkeit müssen wir als einen Teil des Nahrungsreflexes ansehen. Sie sahen noch eine andere, die motorische Komponente dieses Reflexes. Der Hund hat sich nach der Seite gewandt, von der ihm gewöhnlich das Futter vorgelegt wird, und er hat angefangen, sich zu belecken. Das, was Sie soeben gesehen haben, ist gerade die zentrale Erscheinung, die durch die Funktion der Großhirnhemisphären zustande kommt. Mit ihr werden wir uns im weiteren dauernd beschäftigen. Wenn Sie einen Hund nehmen, dem die Großhirnhemisphären entfernt sind, so werden Sie bei einem derartigen Reiz niemals eine Speichelsekretion erhalten. Außerdem wird es Ihnen wohl ganz klar sein, daß diese Funktion eine Signalfunktion ist: das Ticken des Metronoms ist ein Signal für das Futter, denn das Tier reagiert darauf mit der gleichen Reaktion wie auf das Futter. Zeigen wir dem Hund Futter, so tritt das gleiche ein. Versuch: Wir zeigen dem Tier sein Futter, und Sie sehen, daß die Speichelreaktion nach 5 Sekunden einsetzt und daß wir im Verlauf von 15 Sekunden 6 Tropfen Speichel erhalten. Es Verhält sich genauso wie beim Metronom. Hier haben wir wiederum ein Signalisieren, d.h. eine Funktion der Großhirnhemisphären. Die Reaktion ist im Verlauf des individuellen Lebens des Versuchstieres entstanden, sie ist keine angeborene Reaktion. Diese Tatsache ist von I . S . Z I T O W I T S C H im Laboratorium des verstorbenen Prof. W. I . W A R TANOW festgestellt worden. ZITOWITSCH nahm Junghunde von der Hündin weg und fütterte sie längere Zeit ausschließlich mit Milch. Als die jungen Hunde einige Monate alt waren, verpflanzte er ihnen die Ausführungsgänge der Speicheldrüsen in die Haut und verschaffte sich so die Möglichkeit, die Speichelsekretion ganz genau zu verfolgen. Wenn er nun diesen Hunden irgendeine andere Nahrung als Milch zeigte, z.B. Fleisch oder Brot, so fand überhaupt keine Speichelsekretion statt. Der Anblick des Futters an und für sich ist also kein Reiz für die Speichelsekretion, er gehört nicht zu den Agenzien, die von Geburt an mit der Speichelsekretion verbunden sind. Erst als diese jungen Hunde mehrmals Fleisch und Brot gefressen hatten, begann auch das bloße Sehen von Brot und Fleisch speicheltreibend zu wirken. Jetzt werden wir das sehen, was man gewöhnlich als Reflex bezeichnet. Versuch: Wir geben dem Hund Futter, und nach 1 bis 2 Sekunden fließt Speichel. Dies ist schon die Wirkung der mechanischen und chemischen (37)

Die Signalfunktion ist ein Reflex

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Eigenschaften des Futters auf die Mundschleimhaut, es ist ein Reflex. Sie erkennen den Grund, warum ein Hund ohne Großhirnhemisphären, von Futter umgeben, vor Hunger umkommen kann: er wird erst dann zu fressen beginnen, wenn das Futter mit seinem Maul in Berührung kommt. Aus dieser Tatsache wird klar ersichtlich, wie unvollkommen, wie grob und wie begrenzt die gewöhnlichen Reflexe sind, und wie hoch die Bedeutung von Signalen zu werten ist. Für uns entsteht aber sofort die sehr ernste Frage, was denn eigentlich das Signalisieren an und für sich ist und wie man es vom rein physiologischen Standpunkt aus auffassen muß. Wir wissen, daß der Reflex eine unausbleibliche, gesetzmäßige Reaktion des Organismus auf ein äußeres Agens ist, eine Reaktion, die mit Hilfe bestimmter Teile des Nervensystems zustande kommt. Es ist ganz klar, daß wir im Signalisieren alle Teile des Nerven Vorganges wiederfinden, den wir als Reflex bezeichnen. Für das Zustandekommen eines Reflexes ist ein äußerer Reiz nötig; im Falle unseres ersten Versuches war er, wie Sie gesehen haben, durch das Ticken des Metronoms gegeben. Dieser Reiz versetzt den Hörapparat des Hundes in Tätigkeit, und dann wird die Erregimg über den Hörnerven ins Zentralnervensystem geleitet, wo sie auf diejenigen Nerven übergeht, die zur Speicheldrüse führen und sie zur Tätigkeit anregen. Im Versuch mit dem Metronom wird Ihnen vielleicht der Umstand besonders aufgefallen sein, daß vom Beginn der Metronomwirkung bis zum Beginn der Speichelabsonderung mehrere Sekunden vergingen, während bei Reflexen dieser Zeitraum gewöhnlich nur Teile von Sekunden beträgt. Aber diese lange Latenzzeit ist von uns durch ganz besondere Maßnahmen erzeugt worden. In der Regel tritt auch bei den Signalreizen die Wirkung ebenso rasch und prompt ein wie bei den gewöhnlichen Reflexen; hiervon wird später die Rede sein1). Beim Reflex trägt die Antwortreaktion unter ganz bestimmten Bedingungen einen völlig gesetzmäßigen Charakter. Genau dasselbe sehen wir im Falle der Signalisierung. Es muß allerdings zugegeben werden, daß in diesem Falle die Wirkung von einer größeren Zahl von Bedingungen abhängt. Das bringt aber natürlich keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden Erscheinungen mit sich. Auch die Reflexe können j a gesetzmäßig durch ganz bestimmte Bedingungen aufgehoben oder gehemmt werden. In unserem Falle sehen wir genau dasselbe. Wenn wir die Umstände gut untersucht haben, So gibt es auch hier keinerlei Zufälligkeiten. Auch hier verlaufen die Versuche genau nach unserem Plan. In dem Speziallaboratorium, von dem ich oben sprach, (38) kann man sehr oft sehen, daß während einer Versuchsdauer von 1 bis 2 Stunden auch nicht ein einziger Tropfen Speichel fällt, der nicht durch Reize hervorgerufen wäre, die absichtlich gesetzt wurden; in den gewöhnlichen Laboratoriumsräumen kommt es natürlich oft vor, daß zufällige Reize den Versuch entstellen. Nach allem, was ich mitgeteilt habe, scheint mir auch nicht ein einziger Grund zu bestehen, der dem widerspräche, die Erscheinung, von der ich bisher als ) Vergi. Vorlesung 6, S. 72 (dt. Red.)

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VORLESUNG

von einer ,.Signalfunktion'' gesprochen habe, als Reflex zu bezeichnen. Es bleibt aber noch ein Umstand übrig, der, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag, dennoch auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem alten Reflex und jener neuen Erscheinung hindeutet, die ich soeben auch als Reflex bezeichnet habe. Die Nahrung ruft durch ihre mechanischen und chemischen Eigenschaften bei jedem Tier von Geburt an die entsprechenden Reflexe hervor. Der neue Reflex aber, von dem Sie soeben ein Beispiel gesehen haben, hat sich erst allmählich während des individuellen Lebens des Tieres ausgebildet. Ist das nicht ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Reflexen 1 Nimmt uns diese Tatsache nicht ganz und gar das Recht, unseren neuen Reflex als Reflex zu bezeichnen ? Nun, es ist zweifellos ein Grund, diese Reaktion abzutrennen und zu unterscheiden; es nimmt uns aber in keiner Weise das wissenschaftliche Recht, sie als Reflex zu bezeichnen. Man muß sich klar vor Augen halten, daß es sich hier um eine ganz andere Frage handelt: nicht um den Mechanismus als solchen, sondern um die Entstehung dieses reflektorischen Mechanismus. Nehmen Sie als Beispiel unsere Fernsprechverbindung. Sie kann auf zwei verschiedene Arten zustande kommen. Ich könnte meine Wohnung mit dem Laboratorium durch eine direkte Leitung verbinden und so unmittelbar das Laboratorium anrufen. Aber auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo ich mit dem Laboratorium über eine Zentrale verbunden werde, bleibt das doch immer noch eine Telefonverbindung. Der Unterschied ist ja nur der, daß ich im ersten Falle eine stets fertige Leitung zur Verfügung habe, im anderen Falle aber muß erst eine Verbindung hergestellt werden. In dem einen Falle ist der Verbindungsmechanismus schon vollständig fertig vorhanden; im anderen Falle muß dieser Mechanismus jedesmal erst für den gegebenen Fall vervollständigt werden, um vollkommen funktionstüchtig zu sein. Genau dasselbe sehen Sie auch in dem von uns besprochenen Fall: Das eine Mal ist der Reflex schon fertig gegeben, das andere Mal muß er gewissermaßen erst vorbereitet werden. Vor uns steht nun die Frage, wie dieser neue reflektorische Mechanismus entsteht. Da die Bildung dieses neuen Reflexes, wie wir heute noch sehen werden, unter bestimmten physiologischen Bedingungen unfehlbar und leicht eintritt, (39) ist durchaus kein Grund vorhander, eine Fehlerquelle darin zu sehen, daß wir den inneren Zustand des Tieres unbeobachtet lassen. Die Erscheinung des Entstehens neuer Reflexe liegt bei voller Kenntnis aller Umstände völlig in unseren Händen. Sie ist eine ganz gesetzmäßige Erscheinung, und es besteht nicht der geringste Grund, sie nicht für eine ebenso physiologische Erscheinung zu halten, wie alle anderen, mit denen es der Physiologe zu tun hat. Diese neuen Reflexe haben wir als bedingte Reflexe bezeichnet und sie den angeborenen als den unbedingten Reflexen gegenübergestellt. Diese Bezeichnung wird immer mehr und mehr gebräuchlich. Vom Standpunkt unserer Forschung aus ist diese Benennung vollständig berechtigt. Im Vergleich mit den angeborenen Reflexen hangen diese neuen Reflexe wirklich von sehr vielen Bedingungen ab, sie sind tatsächlich bedingt: erstens müssen ganz bestimmte Bedingungen bestehen, damit diese Reflexe sich überhaupt bilden, zweitens

Unbedingte und bedingte Reflexe

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hängt auch ihr normaler Ablauf von einer sehr großen Anzahl von Bedingungen ab. Der Forscher hat bei ihrem Studium mit seh/, sehr vielen Bedingungen zu rechnen. Natürlich kann unsere Bezeichnung mit Recht auch durch eine andere Bezeichnung ersetzt werden. Man kann die alten Reflexe angeborene und die neuen erworbene Reflexe nennen, oder die ersteren als Artreflexe, da sie für jede Tierart charakteristisch sind, den letzteren als individuellen Reflexen gegenüberstellen, weil diese Reflexe bei verschiedenen Tieren derselben Art, ja sogar bei ein und demselben Tier zu verschiedener Zeit oder unter verschiedenen Bedingungen variieren. Es wäre auch richtig, die ersteren als Leitungsreflexe und die letzteren als Schließungsreflexe zu bezeichnen. Hinsichtlich der Anerkennung einer nervalen Schließung in den Großhirnhemisphären, der Bildung neuer Verbindungen, dürfte hier vom theoretischen Standpunkt aus wohl kaum irgendein Einspruch erhoben werden. Sowohl in der Technik, als auch im täglichen Leben wird dieses Prinzip der Schließung so oft angewandt, daß es recht sonderbar wäre, wenn dieses Piinzip im Mechanismus der höheren Nerventätigkeit, die ja höchst komplizierte und äußerst feine Beziehungen herzustellen hat, Überraschung auslösen sollte. Es ist nur ganz natürlich, wenn sich neben den reinen Leitungsvorrichtungen auch noch SchließungsVorrichtungen vorfinden. Der Physiologe dürfte um so weniger etwas dagegen einwenden, als schon seit mehreren Jahrzehnten das deutsche Wort „Bahnimg" 1 ) in der Physiologie des Nervensystems als Bezeichnung für die Bildung neuer Verbindungen gebräuchlich ist. Der bedingte Reflex ist eine ganz alltägliche und weitverbreitete Erscheinung. (40) Darunter fällt ja offenbar all das, was wir bei uns selbst und bei Tieren mit den Worten Dressur, Disziplin, Erziehung und Gewohnheit bezeichnen. All das sind Verbindungen, die sich im Verlauf des individuellen Lebens gebildet haben, Verbindungen zwischen bestimmten äußeren Agenzien und einer bestimmten Antworttätigkeit. Mit dem bedingten Reflex hat der Physiologe einen sehr großen Teil der höheren Nerventätigkeit, ja vielleicht sogar diese Tätigkeit in ihrem ganzen Umfange, in der Hand. Nun wollen wir zu der Frage übergehen, unter welchen Bedingungen sich der bedingte Reflex bildet, von welchen Bedingungen die Schließung eines neuen Nervenweges abhängt. Grundbedingung hierfür ist das zeitliche Zusammenfallen irgendeines äußeren Reizes mit der Wirkung eines unbedingten Reizes. In unserem Falle stellt das Futter den unbedingten Reiz für die Nahrungsreaktion dar. Wenn also bei einem Tier die Nahrungsaufnahme mit der Wirkung irgendeines Agens zusammenfällt, das früher keinerlei Beziehung zur Nahrung hatte, so wird dieses Agens zum Erreger derselben Reaktion, die das Futter hervorruft. In dem Falle, den Sie gesehen haben, ist es auch so gewesen. Wir ließen das Ticken des Metronoms auf den Hund mehrmals einwirken und begannen gleichzeitig den Hund zu füttern, d.h., wir riefen den angeborenen Nahrungsreflex hervor. Wurde dieser Vorgang öfter wiederholt, so konnte man bald sehen, *) im Original deutsch (dt.

Red.)

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VORLESUNO

daß schon das Metronom allein die Speichelsekretion und die entsprechenden Bewegungen hervorzurufen begann. Dasselbe findet im Falle des Abwehrreflexes statt, wenn dem Hunde ungenießbare, anwidernde Stoffe ins Maul eingeführt werden. Wenn wir nämlich unserem Versuchstier eine schwache Säurelösung in das Maul eingießen, so kommt ein unbedingter Säurereflex zustande: Das Tier führt verschiedene Bewegungen aus, es schüttelt heftig mit geöffnetem Maul den Kopf, befördert die Säure mit Hilfe der Zungenbewegungen hinaus usw., und gleichzeitig setzt eine reichliche Speichelsekretion ein. Sie können mm durch jedes beliebige äußere Agens genau die gleiche Reaktion erhalten, wenn Sie es nur mehrmals gleichzeitig mit dem Eingießen von Säure ins Maul des Tieres einwirken lassen. So ist das zeitliche Zusammenfallen eines früher indifferenten Agens mit der Wirkung eines unbedingten Agens, das einen bestimmten unbedingten Reflex hervorruft, die erste Grundbedingung für die Bildung eines bedingten Reflexes. Eine zweite wichtige Bedingung besteht in folgendem. Bei der Bildung eines bedingten Reflexes muß das indifferente Agens (41) der Wirkung des unbedingten Reizes ein wenig vorausgehen. Wenn wir in umgekehrter Reihenfolge verfahren, d.h., zuerst den unbedingten Reiz einwirken lassen und erst dann das indifferente Agens hinzufügen, so bildet sich kein bedingter Reflex 1 ). A. N. KRESTOWNIKOW hat in unserem Laboratorium ganz verschiedenartige, hierauf bezügliche Versuche ausgeführt, aber das Resultat war immer dasselbe. Hier gebe ich einige seiner Versuchsergebnisse wieder. Bei einem Hunde wurde Vanillingeruch 427mal mit dem Eingießen von Säure ins Maul kombiniert, wobei man stets mit dem Eingießen von Säure begann und erst 5 bis 10 Sekunden darauf den Vanillingeruch hinzufügte. Der Vanillingeruch wurde nicht zum bedingten Erreger der Säurereaktion, wogegen der Geruch von Amylazetat, der in weiteren Versuchen dem Eingießen der Säure vorausging, schon nach 20maligem zeitlichen Zusammenfallen dieser beiden Reize zu einem guten bedingten Reiz geworden war. Bei einem anderen Hunde war lautes Läuten einer elektrischen Klingel, das 5 bis 10 Sekunden nach Beginn des Fütterns einsetzte, nach 374maliger gleichzeitiger Wirkung ebenfalls nicht zum bedingten Erreger der Nahrungsreaktion geworden, während sich unsere Drehscheibe (optischer Reiz), deren Wirkung dem Füttern vorausging, schon nach 5 Kombinationen als bedingter Reiz erwies. Später wurde die gleiche elektrische Klingel, als man sie vor der Fütterung anwandte, schon nach einer einzigen Kombination zu einem bedingten Reiz. Diese Versuche sind an 5 Hunden durchgeführt worden. Das Resultat blieb immer dasselbe, ob nun das neue Agens 5 bis 10 oder 1 bis 2 Sekunden nach Beginn des imbedingten Reflexes einsetzte. Zur größeren Sicherheit wurde bei all diesen Versuchen zur Beurteilung der Frage, ob sich bedingte Reflexe gebildet hatten, nicht nur die sekretorische, sondern auch die motorische Reaktion des Versuchstieres sorgfältig verfolgt. Die erste Gruppe von Bedingungen, von denen die Bildung der bedingten Reflexe abhängig ist, wird demnach durch die zeitlichen Verhält!) s. a. 8. 195, aber 8. 326 (dt. Red.)

Entstehungsbedingungen der bedingten Reflexe

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nisse zwischen dem unbedingten Reiz und demjenigen Agens gegeben, aus dem der bedingte Reflex gebildet werden soll. Was nun den Zustand der Großhirnhemisphären selbst anbetrifft, so ist es als Vorbedingung für die Bildung bedingter Reflexe in erster Linie notwendig, daß sich die Großhirnhemisphären in Tätigkeit befinden. Wird das Versuchstier mehr oder weniger schläfrig, so wird die Bildung der bedingten Reflexe entweder sehr verzögert oder auch ganz unmöglich. Anders gesagt, die Bildung neuer Verbindungen , der ganze Vorgang der Schließung neuer Nervenwege ist eine Funktion (42) des Wachzustandes des Tieres. Zweitens aber müssen die Großhirnhemisphären während der Bildung eines neuen Reflexes von jeglicher anderen Tätigkeit frei sein. Wenn wir einen neuen bedingten Reflex bilden wollen, so dürfen während dieser Zeit keine anderen äußeren Reize auf das Tier einfallen, die irgendeine andere Tätigkeit des Organismus auslösen. Wird dieser Umstand nicht beachtet, so werden solche Reize sehr störend wirken und in vielen Fällen die Bildung unseres bedingten Reflexes sogar verhindern. Wenn z. B. während unserer Bemühungen, einen bedingten Reflex zu bilden, auf den Hund, der im Gestell steht, von irgendeinem Teil des Gestells störende Einflüsse einwirken (Druck, Quetschen u. ähnl.), so können wir sehr viele Male unseren Reiz mit einem unbedingten Reiz, ja sogar mit mehreren von ihnen gemeinsam wirken lassen, es bildet sich kein bedingter Reflex. Oder erinnern Sie sich des Hundes, von dem oben die Rede war, der die Beschränkung seiner Bewegungen durch das Gestell durchaus nicht vertragen konnte! 1 ) Deshalb gilt für uns fast ausnahmslos die Regel: Wenn wir ein Tier frisch in den Versuch nehmen, d . h . ein Tier, bei dem ein derartiger Versuch noch nie durchgeführt worden ist, dann läßt sich der erste bedingte Reflex nur schwer bilden und erfordert viel Zeit. Das ist auch ganz verständlich, da die ganze Umgebung im Versuchszimmer und alle Versuchsbedingungen bei den verschiedenen Tieren eine ganze Menge besonderer Reaktionen hervorrufen, d.h., zu einer ganzen Reihe unbekannter Funktionen der Großhirnhemisphären führen. Hierzu muß jedoch folgendes gesagt werden. Wenn wir auch nicht immer wissen, was das für Nebenreflexe sind, die auf die Bildung unseres bedingten Reflexes störend einwirken, und wenn wir sie auch nicht immer zu beseitigein vermögen, so kommt uns doch in diesem Falle eine Eigenschaft der Nerventätigkeit selbst zu Hilfe. Wenn nämlich die ganze Umgebung, in der sich das Tier immer während der Versuche befindet, keine irgendwie schädlichen Einflüsse enthält, so verlieren mit der Zeit fast alle störenden Nebenreflexe allmählich ganz von selbst an Stärke. In diese Gruppe von Voraussetzungen gehört natürlich auch der allgemeine Gesundheitszustand der Versuchstiere, der eine normale Funktion der Großhirnhemisphären gewährleistet und die Wirkimg innerer pathologischer Reize ausschließt, die die Großhirnhemisphären erreichen könnten. Schließlich kommt noch eine letzte Gruppe von Bedingungen hinzu, die die Eigenschaften sowohl desjenigen (43) Agens betreffen, aus dem der bedingte Reiz gebildet werden soll, als auch die Eigenschaften des unbedingten Reizes. !) s. o. S. 10/11 (dt. Red.)

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ZWEITE

VORLESUNG

Ein bedingter Reflex läßt sich leicht aus mehr oder weniger indifferenten Agenzien bilden. Streng genommen, gibt es überhaupt keine völlig indifferenten Agenzien. Wenn Sie ein normales Tier vor sich haben, so wird es bei der geringsten Veränderung der Umgebung (wenn irgendein noch so schwacher Laut ertönt, wenn der geringste Geruch sich verbreitet oder die Beleuchtung des Versuchsraumes sich ändert usw.) immer sofort mit dem schon erwähnten Untersuchungsreflex, mit dem Reflex: „Was ist das?", also mit einer bestimmten Bewegungsreaktion antworten. Wenn aber dieses relativ indifferente Agens sich wiederholt, so wird es seine Wirkimg auf die Großhirnhemisphären sehr bald von selbst verlieren. Auf diese Weise verschwindet dann das Hindernis für die Bildung eines bedingten Reflexes. Wenn aber das Agens zur Gruppe der starken Reize gehört oder gar an und für sich eine spezielle Reizwirkung ausübt, so wird natürlich die Bildung unseres bedingten Reflexes sehr erschwert oder in besonderen Fällen überhaupt immöglich sein. Man muß stets im Auge behalten, daß wir in der Mehrzahl der Fälle die frühere Lebensgeschichte unserer Versuchstiere nicht kennen. Wer weiß, welche Begegnungen im Leben des Tieres stattgefunden haben ? Wer weiß, welche bedingten Verbindungen sich früher bei ihm gebildet haben? Andererseits aber hat sich gezeigt, daß wir als neues Agens sogar einen starken unbedingten Reiz benutzen können und daß es möglich ist, auch einen solchen in einen bedingten Reiz zu verwandeln. Nehmen wir einen schädigenden Reiz, z. B . die Einwirkung starken elektrischen Stromes auf die Haut, eine Verletzung oder eine Verbrennung der Haut. Das sind natürlich unbedingte Reize, die den Abwehrreflex hervorrufen. Der Organismus wird auf solche Reize immer mit einer lebhaften Bewegungsreaktion antworten, die entweder darauf gerichtet ist, den entsprechenden Reiz zu beseitigen oder sich Von ihm zu entfernen. Es gelingt aber auch, auf Solche Reize bedingte Reflexe anderer Art zu bilden. Ein solcher schädigender Reiz wurde von uns z . B . zu einem bedingten Erreger des Nahrungsreflexes gemacht. Dabei konnten wir, wenn starker elektrischer Strom auf die Haut einwirkte, keine Spur einer Abwehrreaktion sehen; im Gegenteil, statt dessen war stets eine rege Nahrungsreaktion vorhanden: Der Hund drehte sich um und strebte nach der Seite, von der gewöhnlich das Futter vorgelegt wurde, er beleckte sich und eine ergiebige Speichelsekretion trat ein. (44) Ich führe ein Originalprotokoll aus einer Arbeit von M. N. J E R O F E J E W A über diese Frage an.

Zeit

4h 4h 5h 5h 5h

23' 45' 07' 17' 45'

Abstand der Spulen des Induktionsapparates in cm (Stromstärke) 4 4 2

0 0

Ort der Reizung

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Bewegungs reaktion

6 5 7 9 6

Nahrungsreflex ohne jede Abwehrreaktion

Wie üblich Desgl. Neue Hautstelle Desgl. Desgl.

Entstehungsbedingungen der bedingten Reflexe

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Nach, einer jeden elektrischen Reizung wurde der Hund einige Sekunden lang gefüttert. Das gleiche sahen wir bei einem anderen Hunde, wenn seine Haut gebrannt oder bis zum Bluten gestichelt wurde. Wenn empfindsame Seelen ihre Entrüstung über diesen Versuch äußerten, so konnten wir ihnen zeigen, daß ihr Verhalten in diesem Falle einem Mißverständnis entspringt. Natürlich konnten wir auch hierbei nicht in die Innenwelt des Tieres eindringen und ausfindig machen, was es empfindet. Aber wir hatten sehr deutliche Beweise dafür, daß selbst die feinsten objektiven Erscheinungen, die den Zustand eines Tieres begleiten, das starken schädlichen Reizen unterworfen wird, in unserem Falle ausblieben. Bei unseren Hunden, bei denen die Reflexe in der oben beschriebenen Art verändert waren, traten bei.diesen Reizungen keinerlei bemerkenswerte Veränderungen im Puls und in der Atmung ein. Dies wäre aber der Fall, wenn diese schädlichen Reize früher nie mit einer Nahrungsreaktion verbunden gewesen wären. Sie sehen, welche Folgen die Umschaltung der Nervenerregung von einer Bahn auf eine andere haben kann. Diese Umschaltung der Reflexe hängt aber noch von einer bestimmten Voraussetzimg ab. Es muß ein bestimmtes Verhältnis zwischen den imbedingten Reflexen vorhanden sein. Diese Umwandlung des unbedingten Reizes eines Reflexes in einen bedingten Reiz eines anderen Reflexes ist nur dann möglich, wenn der erste Reflex .physiologisch schwächer, wenn er biologisch weniger wichtig ist als der zweite Reflex. Diesen Schluß muß man, wie mir scheint, aus den weiteren Versuchsergebnissen von Jerofejewa ziehen. Wir schädigten die Haut des Hundes und machten daraus einen bedingten Nahrungsreiz. Wir müssen aber annehmen, daß dies nur möglich war, (45) weil der Nahrungsreflex stärker ist als der Abwehrreflex auf Schädigungen der Haut. Wir alle wissen ja aus der alltäglichen Beobachtung, daß bei den Raufereien und Beißereien der Hunde, die um das Futter ausgefochten werden, die Haut der Tiere oft verletzt und beschädigt wird, d.h., daß der Nahrungsreflex den Abwehrreflex überwiegt. Aber auch dem ist eine Grenze gesetzt. Es gibt einen Reflex, der viel stärker ist als der Nahrungsreflex, das ist der Instinkt der Lebenserhaltung, der Selbsterhaltungsinstinkt. Von diesem Standpunkt aus kann man folgende Tatsache verstehen, die uns unsere Experimente gezeigt haben. Wenn starker elektrischer Strom an Hautstellen angelegt wird, die unmittelbar über RnocheDteilen liegen, also von keinen dickeren Muskelschichten bedeckt sind, so gelingt es niemals, einen solchen Reiz zum Erreger der bedingten Nahrungsreaktion zu machen, d. hdie Abwehrreaktion auszuschalten. Diese Tatsache ist so zu verstehen, daß die afferenten Nerven, die bei einer Schädigung des Knochens stark gereizt werden und eine sehr ernste Gefahr für die Existenz des Organismus signalisieren, nur mit Mühe oder überhaupt nicht mit den Hirnteilen, von denen die Nahrungsreaktion ausgeht, in zeitweilige Verbindung treten können. Es sei nebenbei bemerkt, daß aus den mitgeteilten Tatsachen der Vorteil klar zutage tritt, den uns die Anwendung des unbedingten Nahrungsreflexes für unsere Versuche bietet, denn der Nahrungsreflex befindet sich in der hierarchischen Ordnung der Reflexe an höchster Stelle.

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ZWEITE VORLESUNG

Wenn einerseits, wie wir uns soeben überzeugen konnten, starke Agenzien, ja sogar Agenzien, die schon an und für sich eine spezielle Wirkung ausüben, unter bestimmten Bedingungen zu bedingten Reizen werden können, so gibt es andererseits natürlich auch eine minimale Stärke des Agens, unterhalb deren es nicht mehr als bedingter Reiz funktionieren kann. So kann z.B. aus Wärmereizen mit einer Temperatur unter 38° bis 39° C, die an die Haut appliziert werden, kein bedingter Reiz gebildet werden (Versuche von 0 . S. Solomonow). Ebenso wie man mit Hilfe eines sehr starken unbedingten Reizes, in unserem Falle eines Nahrungsreizes, einen für Umschaltungen sehr ungeeigneten Reiz, der schon im Komplex eines anderen Reflexes, ja sogar eines unbedingten Reflexes, seinen festen Platz hat, dennoch in einen bedingten Reiz verwandeln kann, gelingt es umgekehrt, wenn der unbedingte Reiz schwach ist, gar nicht oder nur nach sehr viel Mühe, auch aus sehr geeigneten, d. h. beinahe indifferenten Agenzien einen bedingten Reflex zu bilden. Dabei müssen wir bedenken, daß schwache unbedingte Reize entweder unter allen Bedingungen nur eine schwache Wirkung haben oder daß es sich nur um zeitweilige (46) schwache Reize handelt, die bei einem anderen Zustande des Organismus sehr stark sind, wie das z. B. beim Nahrungsreiz der Fall ist. Nehmen wir ein hungriges Tier, so ruft die Nahrung bei ihm natürlich einen sehr starken unbedingten Nahrungsreflex hervor, der bedingte Reflex wird sich in solch einem Falle sehr bald bilden und auch eine beträchtliche Stärke erreichen. Bei einem stets satten Versuchstier wird der unbedingte Reflex viel geringer sein, und einen bedingten Reflex werden Sie in diesem Falle überhaupt nicht oder erst nach längerer Zeit bilden können. Wenn wir alle eben erwähnten Bedingungen berücksichtigen, und das ist gar nicht so schwer, so erhalten wir ausnahmslos einen bedingten Reflex. Sollte man da das Entstehen eines bedingten Reflexes nicht für einen rein physiologischen Vorgang halten ? Wir lassen auf das Nervensystem des Hundes eine Reihe bestimmter äußerer Agenzien einwirken und als Ergebnis dieser Einwirkung bildet sich ganz gesetzmäßig eine neue Nervenverbindung; es vollzieht sich eine bestimmte Schließung von Nervenbahnen. Demnach haben wir einen typischen Reflexvorgang vor uns, wie wir ihn oben geschildert haben. Wo bleibt hier noch Platz für irgendwelche außerphysiologischen Vorgänge ? Warum soll der bedingte Reflex und der Vorgang seines Entstehens nicht reine Physiologie, sondern etwas anderes sein ? Ich sehe durchaus keinen Grund, über diese Erscheinungen irgendwie anders zu denken, und ich erlaube mir, die Vermutung auszusprechen, daß bei derartigen Fragen gewöhnlich eine gewisse Voreingenommenheit der Menschen eine recht abträgliche Rolle spielt. Der Mensch ist nicht geneigt, eine Determinierung seiner höheren Nerventätigkeit zuzugeben. Die Ursache hierfür liegt in der großen Kompliziertheit unserer subjektiven Erlebnisse, die natürlich in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle heute noch nicht bis zu ihren letzten Ursprungsreizen analysiert werden können. (47)

DRITTE

VORLESUNG

D I E BILDUNG B E D I N G T E R R E F L E X E MIT H I L F E B E D I N G T E R UND AUTOMATISCHER R E I Z E - AGENZIEN, AUS D E N E N B E D I N G T E R E I Z E GEBILDET W E R D E N KÖNNEN - D I E HEMMUNG B E D I N G T E R REFLEXE 1. D I E ÄUSSERE HEMMUNG Meine Damen und Herren! Am Ende der vorigen Vorlesung habe ich Ihnen die Bedingungen aufgezählt, bei denen sich der bedingte Reflex bildet. Dabei sprachen wir immer nur von der Bildung eines bedingten Reflexes mit Hilfe eines unbedingten Reflexes, d. h., das neue Agens trat mit einer Reaktion in Verbindung, die gleichzeitig mit der Wirkung dieses Agens durch einen unbedingten Reiz hervorgerufen wurde. Aber dieser Umstand, die Teilnahme eines unbedingten Reflexes, ist durchaus keine absolute Forderung. Ein neuer bedingter Reflex läßt sich auch mit Hilfe eines anderen bedingten Reflexes bilden, nur muß dieser gut ausgearbeitet sein. Sie haben die bedingte Wirkung des Metronoms gesehen. Das war ein starker, gut ausgearbeiteter Nahrungsreiz. Trotz der ungewöhnlichen Versuchsumgebung (Hörsaal, große Menschenmenge) zeigte das Metronom prompt eine ganz beträchtliche Wirkung. Nun hat sich aber gezeigt, daß man mit Hilfe eines derartigen starken bedingten Reizes einen anderen bedingten Reflex bilden kann. Wenn wir jetzt irgendein neues, mehr oder weniger indifferentes Agens nehmen und es nur gleichzeitig mit dem Metronom wirken lassen, d. h., ohne dem Tier dabei Futter zu geben, so verwandelt sich dieses neue Agens ebenfalls in einen Nahrungsreiz (Versuche von G . P . S E L J O N Y , D. S . F U R S I K O W und J . P . F R O L O W ) . Einen so entstandenen Reflex bezeichnen wir als einen sekundären bedingten Reflex oder einen Reflex zweiter Ordnung. In den Einzelheiten des Verfahrens, das zur Bildung dieses Reflexes führt, finden wir aber wiederum wesentliche (48) Besonderheiten. Wenn der früher ausgearbeitete bedingte Reflex in Wirkung tritt, ist es nicht nur überflüssig, daß das neue Agens mit seiner Wirkung fortdauert, sondern im Gegenteil, die Wirkung dieses neuen Agens muß eine bestimmte Zeit vor dem Wirkungseintritt des bedingten Reizes aufhören. Nur in einem solchen Falle läßt sich aus dem neuen Agens ein bedeutender und beständig wirkender, posi iver bedingter Reiz mach e r . Für neue Agenzien mittlerer physiologischer Stärke beträgt dieser Zeitraum mindestens 10 Sekunden. Für starke Reize ist er bedeutend länger. Wenn wir nun diesen Zeitraum verkürzen, d. h. wenn wir die Wirkung des neuen Agens der Wirkung des alten bedingten Reizes zeitlich nähern, so stoßen wir auf eine ganz andere Erscheinung. Dies ist eines der feinsten und interessantesten Details in der Physiologie

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DRITTE

VORLESUNG

der Großhirnhemisphären, das heute schon ausreichend analysiert ist. In allen Einzelheiten kann dieser Vorgang aber erst später in einer anderen Vorlesung erörtert werden1). Hier das Protokoll eines entsprechenden Versuches aus einer Arbeit von F R O L O W (Versuch vom 1 5 . November 1 9 2 4 ) . Ein Hund hat primäre bedingte Nahrungsreflexe auf das Ticken eines Metronoms und auf ein Klingelzeichen; das Erscheinen eines schwarzen Quadrates vor den Augen des Tieres ist ein sekundärer bedingter Reiz, der durch eine Kombination mit dem Metronom allein bei einer Pause von 15 Sekunden ausgearbeitet worden ist. Das schwarze Quadrat erscheint 10 Sekunden vor den Augen des Tieres, das Klingelzeichen und das Ticken des Metronoms dauern jedesmal 30 Sekunden. Im vorliegenden Versuch wird das Quadrat zum zehnten Male angewandt. Zeit 1h 1h 2h 2h 2h 2h 2h

49' 57' 07' 07' 10" 07' 2 5 " 20' 27'

Bedingter Reiz Ticken des Metronoms Klingel Schwarzes Quadrat Pause Ticken des Metronoms Klingel Ticken des Metronoms

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 13,5 16,5 2,5 3,0 12,0 13,5 9,5

Mit einem bedingten Nahrungsreiz zweiter Ordnung gelingt es nicht, einen bedingten Reflex dritter Ordnung zu bilden. Stattdessen treten bei Anwendung der angeführten Prozedur (49) Erscheinungen ganz anderer Art auf. Einen tertiären bedingten Reflex konnten wir erhalten, wenn wir von bedingten Reflexen ausgingen, die mit unbedingten Abwehrreflexen verbunden waren, und zwar von bedingten Abwehrreflexen auf starke elektrische Reizung der Haut. Aber auch in diesem Falle kommen wir nicht über einen tertiären Reflex hinaus, und außerdem treten wiederum die erwähnten andersartigen Erscheinungen auf. Ich will einen Versuch von D. S. F U R S I K O W über bedingte Reflexe dritter Ordnung anführen. Bei einem Hunde rief der elektrische Hautreiz an einer Vorderpfote als unbedingter Reiz eine Abwehraktion hervor. Ein mechanischer Hautreiz an einer Hinterpfote, der bisher für das Tier ganz indifferent war, wurde durch unser übliches Verfahren zu einem primären bedingten Erreger dieses Abwehrreflexes gemacht. Aus einem gluckernden Geräusch wurde in der eben beschriebenen Weise ein sekundärer bedingter Reiz gebildet. Durch Kombination eines früher indifferenten Tones von 760 Schwingungen mit diesem gluckernden Geräusch wurde ein tertiärer Reiz hergestellt. Bei jedem dieser neuen bedingten Reize wurde die Latenzzeit (vom ersten bis zum dritten Reiz) allmählich größer, und die s. Vorlesung 5, 8. 57 (dt. Red.)

Bedingte Reflexe aus bedingten und automatischen Reizen

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Abwehrreaktion wurde immer schwächer. Alle diese Reflexe hielten sich aber bei entsprechenden Bekräftigungen während eines ganzen Jahres. Der Versuch, ein neues Agens (einen rotierenden Gegenstand vor den Augen des Hundes) mit dem tertiären Reiz zu kombinieren, führte zu den andersartigen Erscheinungen, von denen später die Rede sein wird. Bedingte Reflexe, die auf die eben beschriebene Weise erhalten werden, bezeichnen wir allgemein als Kettenreflexe. Wir müssen also zwei Arten der Bildung bedingter Reflexe unterscheiden: einmal die Bildung mit Hilfe eines unbedingten Reflexes, zum anderen die Bildung mit Hilfe eines gut ausgearbeiteten bedingten Reflexes. Aber es gibt noch einen scheinbar ganz eigenartigen Fall, durch den sich bedingte Reflexe bilden lassen. Schon vor langer Zeit haben wir auf Grund gewisser Überlegungen folgende Versuche unternommen (Versuche von N.A.PODKOPAJEw). Einem Versuchshunde wurde eine kleine Dosis Apomorphin subkutan injiziert, 1 bis 2 Minuten danach ließ man im Versuchsraum eine bestimmte Zeit lang einen Ton von bestimmter Frequenz erklingen. (50) Während der Wirkung dieses Tones begann das Erbrechen als Reaktion auf das Apomorphin: der Hund begann unruhig zu werden, sich zu belecken, es setzte eine Speichelsekretion ein, und bisweilen kam es zu geringen Brechbewegungen. Als wir diesen Versuch mehrmals wiederholt hatten, genügte schon das Erklingen des Tones allein, um dieselbe Reaktion in schwächerem Maße hervorzurufen. Aus dienstlichen Gründen war PODKOPAJEW leider verhindert, diese Versuche zu Ende zu führen und zu variieren. Vor kurzem hat ein Bakteriologe eines Taschkenter Laboratoriums, W . A . KRYLOW, bei seinen serologischen Untersuchungen folgendes beobachten können. E r injizierte Hunden wiederholt subkutan Morphium. Es ist j a bekannt, daß die Wirkung subkutaner Morphiuminjektionen mit Übelkeit, starker Speichelsekretion und Erbrechen beginnt, und erst danach der Schlaf eintritt. Bei regelmäßigen Morphiuminjektionen, die tagein, tagaus vorgenommen wurden, stellte KRYLOW sehr bald fest, daß schon nach 5 bis 6 Tagen allein die Vorbereitung des ganzen Versuches und die ganze Umgebung zur Entwicklung der gleichen Wirkung führten, wie die Morphiuminjektion selbst: es setzte eine sehr starke Speichelsekretion ein, darauf folgten Brechbewegungen, dann Erbrechen, und schließlich schlief das Tier ein. In diesem Falle ist also das Erbrechen nicht durch das Morphium hervorgerufen worden, das auf dem Blutwege auf das Brechzentrum einwirkt, sondern durch die Gesamtheit aller äußeren Reize, die während der Morphiuminjektion auf das Tier einwirkten. Auch hier handelt es sich um eine sehr mannigfaltige, fern wirkende Verknüpfimg. Im besten Falle genügt es schon, wenn der Experimentator vor so einem Versuchstier erscheint, um die ganze Folge dieser Erscheinungen in Gang zu setzen. Genügte dieser Reiz nicht, so brauchte man nur die Schachtel der Spritze zu öffnen oder mit dem Rasieren der Injektionsstelle zu beginnen, sie mit Alkohol abzureiben oder gar irgendeine indifferente Flüssigkeit zu injizieren. J e mehr Morphiuminjektionen das Tier erhalten hatte, desto weniger Eingriffe waren nötig, um das ganze Bild der Morphiumvergiftung hervorzurufen. KRYLOW hat uns alle diese Tatsachen mit Leichtigkeit im Laboratorium demonstriert, und durch

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VORLESUNG

einige spezielle Versuchsanordnungen konnte die Identität dieser Erscheinungen mit unseren bedingten Reflexen festgestellt werden. Den beschriebenen Versuch können wir auch vor Ihnen ohne Schwierigkeiten durchführen. Hier sehen Sie einen Hund, der schon mehrmals eine Morphiuminjektion bekommen hat. (51) E r wird auf dem Tische von einer ihm ganz fremden Person gehalten und bleibt dabei ganz ruhig. Jetzt erscheint vor ihm der Experimentator, der ihm gewöhnlich die Injektionen macht. Der Hund beginnt unruhig zu werden und sich zu belecken. Wenn der Experimentator jetzt beginnt, die Haut abzureiben, fließt bei dem Hunde reichlich Speichel, und Sie sehen, wie die Brechbewegungen beginnen. Dieser Versuch macht uns einige altbekannte Beobachtungen verständlich, daß z. B . Hunde, denen die Nebenschilddrüsen entfernt worden sind, oder Hunde, bei denen eine EcKSche Fistel mit Unterbindimg der vena portae angelegt ist, wenn sie einmal Fleisch gefressen haben, nicht wieder dazu zu bringen sind, Fleisch anzunehmen. Offensichtlich genügt jetzt schon der bloße Anblick oder der Geruch des Fleisches, um bis zu einem gewissen Grade diejenigen pathologischen Reize hervorzurufen, die bei ihnen während der Fleischvergiftung unter den angeführten Bedingungen auftraten; es kommt zu einer negativen Reaktion auf Fleisch. Nach all den angeführten Versuchen entsteht mm die Frage: Auf welche Weise und durch welchen Prozeß kommt diese neue Nervenverbindung, diese Schließung von Nervenbahnen zustande? Es bietet keine Schwierigkeiten, diese Frage auf Grund von Tatsachen zu beantworten. Ein unbedingter oder ein gut ausgearbeiteter bedingter Reiz ruft natürlich einen Tätigkeitszustand in einem bestimmten Teil des Gehirns hervor. Wir wollen solche Stellen, nach der allgemein angenommenen Terminologie, als Zentren bezeichnen, ohne aber mit diesem Wort irgendeine Vorstellung von bestimmten, gesonderten anatomischen Gebilden zu verbinden. Offensichtlich werden zu diesem Zentrum auch die Erregungen geleitet, die zu derselben Zeit durch äußere Agenzien in den Zellen der Großhirnrinde entstehen. Der W e g zu einem derartigen Zentrum ist für diese Reize offensichtlich sehr erleichtert, er ist nach einigen Kombinationen gebahnt. Das ist die klare Sprache der Tatsachen. Von einer solchen Auffassung der Tatsachen waren wir ausgegangen, als wir seinerzeit den oben erwähnten Versuch mit Apomorphin anstellten, der dann durch die Morphiumversuche so gut bestätigt wurde. Wenn die Erregungen aus den Zellen der Großhirnhemisphären in Richtung auf ein reflektorisch erregtes Zentrum fortgeleitet werden, so muß ein Zentrum, das durch innere Agenzien, durch die Zusammensetzung und die Eigenschaften des Blutes automatisch gereizt wird, dieselbe Wirkung haben, was sich auch vollständig bestätigt hat. In dem ganzen eben mitgeteilten Tatsachenmaterial gibt es aber noch eine hierher gehörende, wichtige Besonderheit. Äußere Reize, die von der Geburt (52) des Tieres an immer zu einem bestimmten Zentrum geleitet wurden, können von diesem abgelenkt werden in Richtung auf ein anderes Zentrum und sich mit diesem Zentrum verbinden, wenn dieses physiologisch stärker ist als das ursprüngliche Zentrum. Dieses Verschmelzen, dieses Verknüpfen verschiedener Erregungen, die in verschiedenen Punkten des Gehirns entstehen, dieses Schließen

BOdungsmechanismus der bedingten Reflexe

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von NervenVerbindungen ist der erste Nervenmecjianismus, mit dem wir beim Studium der Tätigkeit der Großhirnrinde bekannt werden . Es bleibt natürlich die weitere Frage, wo denn nun diese Schließung vor sich geht, ob in der Großhirnrinde oder ob auch niedere Teile des Gehirns sich daran beteiligen. Beide Möglichkeiten sind denkbar. Es ist ja möglich, daß die Erregung aus den Zellen der Großhirnrinde direkt in solche Zentren übergeht, die außerhalb der Rinde gelegen sind. Man kann es sich aber auch anders vorstellen. Die in der Rinde gelegenen Zellen der afferenten Fasern, die von allen tätigen Organen, von allen Punkten des Organismus kommen, stellen die kortikalen rezeptorischen Zentren des gesamten Organismus dar; wenn nun diese Zellen bei der Arbeit bestimmter Organe unter dem Einfluß unbedingter, bedingter oder auch automatischer Reize in Tätigkeit versetzt werden, so konzentrieren sie auf sich die Erregungen anderer Rindenzellen, die durch Agenzien der Außenwelt erzeugt werden. Noch wahrscheinlicher ist es aber, daß bei unversehrtem Gehirn alle Reize, die im Wachzustand des Tieres unbedingte Reflexe hervorrufen, vor allem zu bestimmten Zellen der Großhirnhemisphären geleitet werden; diese Zellen werden dann zu Punkten, zu denen die verschiedenen Reize hinströmen, die zur Bildung bedingter Reflexe führen. Nun können wir der Reihe nach zur nächsten Frage übergehen: Was kann zu einem bedingten Reiz gemacht werden ? Diese Frage ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. In ganz allgemeiner Form ist sie freilich leicht zu beantworten. Zu einem bedingten Reiz kann jegliches Agens der Natur werden, für das bei einem gegebenen Organismus ein rezeptorischer Apparat vorhanden ist. Aber diese ganz allgemeine Feststellung muß dann einerseits analysiert und ergänzt, andererseits aber auch eingeschränkt werden. Die erste Möglichkeit, die äußeren Reize zu klassifizieren, ist die nach ihrer Zusammensetzung. Als Einzelreiz kann ein winziger Bruchteil (53) eines äußeren Agens dienen, wie z. B. die sehr feine Abstufung eines Tones, eine ganz bestimmte, wenn auch kaum unterscheidbare Lichtintensität usw. Allein schon dadurch wächst die Zahl der möglichen Reize ins Unendliche. Auch hier wird natürlich durch die Vollkommenheit und Feinheit der rezeptorischen Apparate eine Grenze gesetzt. Andererseits aber wirkt die Natur auf das Tier auch durch die Summe mehrerer, oft sehr vieler Elemente ein, durch sogenannte komplexe Reize. Wenn wir z.B. das Gesicht eines Menschen von dem eines anderen unterscheiden, so ziehen wir gleichzeitig Formen, Farben, Schatten und Größenverhältnisse in Betracht; genau dasselbe findet statt, wenn wir uns in einer Gegend orientieren wollen und dergl. Die Zahl solcher Komplexreize kann man für unbegrenzt halten. Wie unendlich viele Kombinationen lassen sich aus einer so ungeheuren Anzahl elementarer Reize bilden, wie wir sie eben angedeutet haben! Aber hier gibt es eine Grenze, die durch den Bau der Großhirnhemisphären gesetzt ist. Ich will an dieser Stelle nur einen ganz allgemeinen Begriff von der möglichen Menge der einzelnen bedingten Reize geben. Der ganze Gegenstand, der ja für uns von größter Wichtigkeit ist, wird im einzelnen in späteren Vorlesungen behandelt werden. So kann denn eine jede Erscheinung der Natur, die in Gegenwart eines Tieres entsteht, in einen bedingten Reiz verwandelt werden. Aber auch das Aufhören

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VORLESUNG

einer Erscheinung kann zu einem bedingten Reiz werden. Es mag z. B. in einem Versuchszimmer das Metronom fortwährend ticken. Während dieses Tickens wird ein Hund ins Zimmer gebracht, das Ticken geht ununterbrochen weiter. Wenn wir jetzt unter diesen Umständen das Ticken unterbrechen und sofort nach Stillstand des Metronoms einen unbedingten Reflex hervorrufen, in unserem Falle also Futter reichen oder dem Tier Säure ins Maul gießen, so wird nach einigen solchen Kombinationen das Aufhören des Tickens als bedingter Erreger dieser unbedingten Reaktionen wirken (Versuche von G. P. S E L J O N Y und I. S. M A KOWSKI).

Nicht nur das vollständige Aufhören, sondern auch die Abschwächung einer Erscheinung kann zu einem bedingten Reiz werden, wenn sie nur mit einer gewissen Geschwindigkeit einsetzt. Wenn man auf das Aufhören einer Erscheinung einen bedingten Reiz gebildet hat und dann diese Erscheinung allmählich abklingen läßt, so wird dies keinen bedingten Reflex hervorrufen. (54) Hier ein Versuch von S E L J O N Y . Der Ton d 4 einer Orgelpfeife von ganz bestimmter Intensität rief, wenn er plötzlich aufhörte, eine bedingte Speichelsekretion von 32 Tropfen in der Minute hervor. Derselbe Ton wurde nun ganz allmählich abgeschwächt, so daß er erst nach 12 Minuten vollkommen verklungen war. In diesem Falle trat keinerlei Wirkung ein. In solchen Fällen wirkt nicht das Erscheinen eines wirksamen Agens als bedingter Reiz, sondern sein Verschwinden, sein Aufhören oder seine mehr oder weniger starke Abschwächung. Man kann natürlich eine Unmenge solcher bedingter Reize herstellen. Hiernach müssen wir unsere frühere Feststellung über die Agenzien, die zu bedingten Reizen gemacht werden können, dahin verändern, daß Schwankungen der äußeren Umgebung sowohl in positiver, als auch in negativer Richtung zu bedingten Reizen werden können. Eine weitere Gruppe von bedingten Reizen, die eigentlich nur eine geringe Variation der vorhergehenden Gruppe darstellt, ist die folgende. Als bedingter Reiz kann nicht nur ein eben bestehender, gerade auf das Tier einwirkender Reiz wirksam sein, sondern auch der Rest seiner Wirkung, der im Nervensystem nach Aufhören des Reizes zurückbleibt. Der Versuch wird in folgender Weise angestellt. Wir lassen irgendein äußeres Agens, sagen wir einen Ton, y2 bis 1 Minute lang auf das Tier einwirken; dann warten wir und füttern das Tier erst nach einer Pause von 1 bis 3 Minuten, oder wir gießen ihm nach dieser Pause Säure ins Maul. Wenn wir dieses Verfahren mehrmals wiederholen, so werden wir folgendes sehen. Das Agens selbst wird während seiner Wirkung keine Reaktion hervorrufen, nach seinem Aufhören aber erhalten wir die entsprechende Nahrungs- oder Säurereaktion. Zum bedingten Reflex wird nicht das Vorhandensein des gegebenen Reizes, nicht das Klingen unseres Tones, sondern die Spur, die er im Zentralnervensystem zurückläßt. Aus diesem Grunde müssen wir Reflexe auf gegenwärtige Reize und Reflexe auf Reizspuren (Spurenreflexe) unterscheiden. Ich gebe hier ein Versuchsprotokoll aus einer Arbeit von über einen Reflex auf Reizspuren wieder.

F . S . GROSSMAN

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Agenzien, aus denen sich bedingte Reize bilden lassen

Ein mechanischer Hautreiz ist zum bedingten Spurenreflex der Säurereaktion gemacht worden. Die Reizung dauert jedesmal eine Minute, darauf folgt eine Pause von einer Minute und erst danach wird die Säure ins Maul gegossen. (55) Versuch vom 18. Februar 1909 Speichelsekretion (in Tropfen) Zeit

Bedingter Reiz

während des Reizes (in 1 Minute)

12h 12 h 1h 1h

40' 50' 15' 27'

Mechanischer Hautreiz Desgl Desgl Desgl

0 0 0 0

, „ , . darauffolgenden Pause von 1 Minute 0,5 10 11 14

Bemerkung

Durch Eingießen von Säure bekräftigt

Was nun die Spurenreflexe betrifft, so unterscheiden wir hier folgende Fälle: Wenn ein Reflex auf eine frische Spur einige Sekunden nach dem Aufhören des Agens gebildet wird, so bezeichnen wir ihn als kurzen Spurenreflex. Lassen wir aber nach Aufhören des Reizes eine gewisse Zeit verstreichen, beträgt die Pause bis zum Einsetzen des unbedingten Reizes eine Minute oder mehr, dann sprechen wir von einem langen oder späten Spurenreflex. Wir müssen diese Fälle auseinanderhalten, denn zwischen den bedingten Reflexen auf gegenwärtige Reize und den späten Spurenreflexen besteht, wie später gezeigt wird, ein ganz wesentlicher Unterschied. Ich komme schließlich noch zu einem letzten, besonderen Agens, das sich von allen vorher genannten Reizen dadurch unterscheidet, daß es in vielen unserer Versuche sozusagen von selbst zum bedingten Reiz werden kann. Was die Spurenreize anbelangt, so kann hier kein Mißverständnis entstehen. Im Nervensystem bleibt nach jeder Reizung für eine gewisse Zeit eine Spur zurück. In allen Teilen des Nervensystems ist uns die Erscheinung der sog. Nachwirkung bekannt. Aber obgleich das neue Agens, von dem ich eben sprechen will, durchaus nicht weniger real ist als alle anderen Agenzien, treten doch einige Schwierigkeiten für das klare Verständnis dieser Erscheinung auf. Ich beginne mit einer Beschreibung der allgemeinen Versuchsanordnung. Wir nehmen einen Hund und füttern ihn mehrmals unter strengem Einhalten gleicher Pausen zwischen den Flittergaben, einem anderen Hunde gießen wir Säure ins Maul, wobei wir die gleichen Pausen einhalten. Wenn wir dies mehrere Male wiederholen, so erhalten wir folgendes Ergebnis. Genau nach Ablauf unserer Pause beginnt beim ersten Hunde die Nahrungsreaktion, beim zweiten die Säurereaktion, ohne daß wir ihnen Nahrung oder Säure geben. (56) Ich führe ein Beispiel aus einer Arbeit von J. P. Feokritowa an. Ein Hund befindet sich im Gestell und wird alle 30 Minuten gefüttert. In verschiedenen Versuchen wird nach 1 bis 3 Fütterungen eine Fütterung ausgelassen. 3/IV

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VORLESUNG

Dann sieht man, daß um die 30. Minute nach der letzten Fütterung die Speichelsekretion und die den Nahrungsreizen eigene Bewegungsreaktion beginnt. Zuweilen fällt diese Reaktion genau in die 30. Minute, bisweilen kann sie sich aber aueh um 1 bis 2 Minuten verspäten. Wenn man den Versuch oft genug wiederholt hat, so gibt es in den Pausen zwischen den Fütterungen keine Spur einer Reaktion. Wie ist das Ergebnis dieses Versuches zu verstehen? Wir müssen sagen, daß in diesem Falle die Zeit als bedingter Reiz auftritt. Der eben angeführte Versuch kann auch in etwas anderer Form durchgeführt werden. Wir können das Tier alle halben Stunden füttern und zugleich die Wirkung irgendeines Agens hinzufügen, d. h. jede halbe Stunde wird dem Füttern ein bestimmter Reiz um einige Sekunden zuvorkommen. Dann erhalten wir einen Reflex auf eine Reizsumme. Diese besteht aus dem Reizagens und der Reizwirkung eines bestimmten Zeitintervalls, in diesem Falle der 30. Minute. Prüfen wir unseren Reiz 5 bis 8 Minuten nach der letzten Fütterung, so hat er gar keine Wirkung. Prüfen wir ihn später, so zeigt er zwar eine Wirkung, aber nur eine geringe. 20 Minuten danach ist er stärker, nach 25 Minuten noch stärker und 30 Minuten nach der Fütterung hat er seinen vollen Effekt. Wenn dieses Agens systematisch in keinem anderen Zeitintervall durch Füttern bekräftigt wird als nur in der 30. Minute, so wirkt es schließlich selbst in der 29. Minute nicht mehr; nur in der 30. Minute behält es seinen vollen Effekt. Versuch. Ich führe einen Versuch, ebenfalls aus der Arbeit von F e o k b i t o w a , an. Immer 30 Sekunden vor der Fütterung wird als Reiz das Ticken des Metronoms angewandt. Intervall zwischen den Fütterungen 30 Minuten. Versuch vom 20. Dezember Zeit 3h 4h 4h 4h

30' 00' 29' 30'

Bedingter Beiz für 30 Sekunden Ticken des Metronoms . . Desgl Desgl Desgl

1911 Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 10 7 0 7

(57)

Zur Bildung eines solchen Reflexes auf die Zeit kann man natürlich beliebige Intervalle wählen. In unseren Versuchen sind wir über 30 Minuten nicht hinausgegangen. Wie ist es vom Standpunkt der Physiologie aus zu verstehen, daß die Zeit als bedingter Reiz erscheint ? Eine genaue, bestimmte Antwort kann auf diese Frage natürlich einstweilen noch nicht gegeben werden. Aber einen gewissen Begriff kann man sich hiervon doch machen. Wie bemerken und registrieren wir überhaupt den Lauf der Zeit? Wir benutzen dazu verschiedene Erscheinungen mit zyklischem Ablauf, Auf- und Untergang der Sonne, die Bewegungen der

Agenzien, aus denen sich bedingte Reize bilden lassen

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Uhrzeiger auf dem Zifferblatt usw. Nun gibt es aber auch in unserem Körper viele zyklische Erscheinungen. Das Gehirn empfängt •während des Tages Reize, es ermüdet; darauf folgt die Wiederherstellungsperiode. Der Magen-Darmkanal ist periodisch bald mit Nahrung gefüllt, bald entleert er sich wieder usw. Da nun jeglicher Zustand eines, beliebigen Organs auf die Großhirnhemisphären eine bestimmte Wirkung ausübt, so können wir schon hierin einen Weg sehen, wie der Organismus zwischen zwei bestimmten Zeitpunkten unterscheidet. Nehmen wir einmal kurze Zeitperioden. Wenn ein Reiz eben einsetzt, so wird er sehr heftig empfunden. Wenn wir z.B. ein Zimmer betreten, in dem irgendein Geruch verbreitet ist, so werden wir diesen Geruch zuerst sehr stark empfinden, später aber immer weniger. Der Zustand einer Nervenzelle erfährt unter dem Einfluß eines Reizes eine Reihe von Veränderungen. Genau dasselbe findet auch im entgegengesetzten Falle statt. Wenn ein Reiz aufhört, so wird er anfangs noch sehr heftig empfunden, später klingt er allmählich ab, er wird immer blasser und blasser, bis wir ihn schließlich überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Das heißt, wir haben wieder eine ganze Reihe verschiedener Zustände der Nervenzelle vor uns. Von diesem Standpunkt aus werden uns beide eben erwähnten Gruppen von Erscheinungen verständlich, die Reflexe auf das Aufhören eines Reizes und die Spurenreflexe, ebenso die Reflexe, in denen die Zeit zu einem bestimmten Reiz wird. In dem angeführten Versuch wird das Tier in bestimmten Perioden gefüttert. Im Zusammenhang damit werden natürlich bestimmte Organe ihre spezielle Arbeit ausführen, d. h., die Gewebe dieser Organe durchlaufen stufenweise ganz bestimmte Veränderungen. Alles das hat seine bestimmte Wirkung auf die Großhirnhemisphären, es wird von ihnen aufgenommen und ein bestimmter Moment dieser Veränderungen wird zum bedingten Reiz. Wenn wir nun auf unser gesamtes Tatsachenmaterial über die Reize, aus denen sich bedingte Reflexe bilden lassen, zurückblicken, so müssen wir unsere Formulierung zum Schluß noch einmal anders fassen und in folgender Weise erweitern: Die zahllosen Schwankungen der Umwelt und, Innenwelt des Organismus, von denen sich eine jede in ganz bestimmten Zuständen der Nervenzellen der Großhirnrinde ividerspiegelt, (58) können zu einzelnen bedingten Reizen werden. Ich gehe nun zu einem weiteren reichen Tatsachenmaterial über. Bis jetzt haben wir immer nur von Reflexen positiven Charakters gesprochen, d.h. von solchen Reflexen, die als Endresultat eine positive Tätigkeit hervorrufen: Bewegungen oder eine Drüsensekretion. Solchen Erscheinungen liegt im Nervensystem stets ein Erregungsprozeß zugrunde. Aber wir kennen noch eine andere Seite der Nerventätigkeit, die in ihrer Bedeutung für das Leben der ersten durchaus nicht nachsteht, den Vorgang der Hemmung. So müssen wir folglich erwarten, daß wir beim Erforschen der Funktion der Großhirnhemisphären als einer höchst komplizierten Funktion auch den Erscheinungen der Hemmung begegnen werden, die ständig und in höchst komplizierter Weise mit den Vorgängen der Erregung verflochten sind. Ehe wir aber zur Betrachtimg dieser Hemmungsvorgänge übergehen, halte ich es für notwendig, einige Tatsachen über die zentralen Hemmungserscheinungen der unbedingten Reflexe mitzuteilen. 3*/IV

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VORLESUNG

Die physiologischen Tatsachen gestatten uns, bei normaler Tätigkeit zwei Arten von zentraler Hemmung zu unterscheiden, die man als direkte und indirekte oder auch als innere und äußere Hemmung bezeichnen könnte. Einerseits kennen wir in den verschiedenen Innervationsmechanismen der Skelettbewegungen, der Blutzirkulation, der Atmung u. a. direkte Hemmwirkungen, die über bestimmte afferente Nerven oder auch bestimmte Wirkstoffe des Blutes auf bestimmte Zentren wirken. Andererseits wird die zentrale Nerventätigkeit durch Erscheinungen indirekter Hemmung durchkreuzt. Dies sind Fälle, wo ein gegebenes Zentrum dadurch in den Zustand der Hemmung verfällt, daß gleichzeitig und während der Arbeit dieses Zentrums durch Reizungen anderer afferenter Nerven oder durch andere automatische Reizungen irgendein anderes Zentrum in Tätigkeit versetzt worden ist. Dasselbe können wir auch bei den komplizierten Reflexen wiederfinden, die gewöhnlich als Instinkte bezeichnet werden. Wir sehen z. B., daß viele Insekten, besonders Raupen, bei der geringsten Berührung augenblicklich bewegungslos niederfallen. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine unmittelbare Hemmung des ganzen motorischen Nervenapparates. Als Beispiel der indirekten Hemmung nehmen wir folgenden Fall: Ein eben aus dem Ei geschlüpftes Küchlein übt sofort den Pickreflex nach Nahrung aus, wenn es Gesichtsreize von kleinen Gegenständen empfängt, die auf dem Boden verstreut sind. Wenn aber (59) ein aufgenommener Gegenstand die Mundhöhle stark reizt, so wird der Pickreflex gehemmt und durch den Abwehrreflex, d.h. durch Bewegungen zum Hinauswerfen des aufgenommenen Gegenstandes ersetzt. So sehen wir denn, daß in dem einen Falle die Hemmung als unmittelbare Wirkung von Erregungen auftritt, die in das betreffende Zentrum einströmen, das ist die innere Hemmung. Im anderen Falle ist die Hemmimg das Ergebnis von Einwirkungen anderer tätiger Zentren, das ist die äußere Hemmung. Bei den bedingten Reflexen finden wir beide Arten der zentralen Hemmung wieder. Da die äußere Hemmung der bedingten Reflexe ganz genau, ohne den geringsten Unterschied der äußeren Hemmung der unbedingten Reflexe entspricht, will ich mit ihr beginnen. Der einfachste, täglich zu beobachtende Fall ist folgender. Sie befinden sich mit Ihrem Hunde in einem besonderen Versuchszimmer, wo die ganze Umgebung längere Zeit keine Veränderungen aufgewiesen hat. Nun setzt aber ganz plötzlich irgendeine Veränderung ein: es dringt von außen irgendein Geräusch herein, die Beleuchtung des Zimmers ändert sich plötzlich (wenn die Sonne von Wolken verdeckt wird oder plötzlich wieder hell scheint), durch die Türspalte kann ein frischer Luftzug hereinziehen, der vielleicht noch neue Gerüche mit sich bringt. Alle diese Erscheinungen führen sofort je nach ihrer Stärke entweder zu einer mehr oder weniger beträchtlichen Abschwächung des bedingten Reflexes oder auch zu seinem vollständigen Verschwinden, wenn sie mit ihm zeitlich ungefähr zusammentreffen. Die Erklärung dieser Erscheinung ist ganz einfach und bietet gar keine Schwierigkeiten. Ein jeder von diesen neuentstehenden Reizen ruft ja sofort den Untersuchungsreflex hervor. Dieser Reflex besteht darin, daß der entsprechende Rezeptor in Richtung des neuen Reizes eingestellt wird, der Hund

Die Hemmung unbedingter und bedingter Reflexe

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spitzt die Ohren, er sieht sich um, er schnüffelt, und dieser Untersuchungsreflex hemmt unseren bedingten Reflex. Aus diesem Grunde erfordert die Untersuchung der bedingten Reflexe ein besonderes Gebäude, wie ich es in der vorigen Vorlesung geschildert habe. Das Eindringen unerwarteter, zufälliger Reize ist in solchen Spezialräumen so gut wie ausgeschlossen oder jedenfalls sehr erschwert. Verständlicherweise muß man hier noch folgenden Umstand mit in Betracht ziehen. Wir wissen, daß jedes Agens, sei es auch nur ein rasch vorübergehendes, nicht nur während seines Bestehens eine Wirkung ausübt, sondern auch noch nach seinem Abklingen, (60) es bleibt eine sogenannte Nachwirkung im Nervensystem zurück. Wenn also unser bedingter Reiz bald auf dieses Agens folgt, so wird der Reflex trotzdem mehr oder weniger gehemmt sein. Hierbei muß noch berücksichtigt werden, daß die verschiedenartigen, zufälligen Reize, ebenso wie die mit Absicht angewandten Zusatzreize sehr verschieden schnell im Nervensystem abklingen. Es gibt Reize, die schon nach 2 bis 3 Minuten keine Wirkung mehr zeigen und solche, deren Nachwirkung 10 Minuten dauert; wir kennen aber auch Reize, deren Nachwirkung sich tagelang halten kann. Dies ist speziell bei Geschmacksreizen und ganz besonders bei Nahrungsreizen der Fall, und mit dieser Eigenschaft muß man ernsthaft rechnen. Die Wirkung eines neuen Zusatzreflexes wird natürlich sehr verschieden sein, je nachdem, mit welchen bedingten Reflexen wir es zu tun haben, ob üiit neuen oder schon gut gefestigten, alten. Es ist ganz natürlich, daß ein junger Reflex sich leichter hemmen läßt, als ein gut gefestigter. Dies ist der Grund, weshalb in meinem Laboratorium in früheren Zeiten, wo der Versuchsleiter noch mit dem Hunde in demselben Zimmer sitzen mußte, oftmals folgende, geradezu komische Tatsache vorkam. Wenn ein Mitarbeiter an seinem Hunde einen neuen bedingten Reflex ausgearbeitet hatte, so forderte er mich gewöhnlich auf, am Versuch teilzunehmen und dann — konnte er mir nichts vorführen. Ich brauchte nur im Zimmer zu erscheinen, und der Reflex erlosch. Die Tatsache ist einfach verständlich. Ich stellte für den Hund einen neuen Reiz dar, er betrachtete und beschnupperte mich, und das genügte, um den jungen, eben gebildeten bedingten Reflex vollständig zu hemmen. Oder ein anderer Fall. Ein Mitarbeiter hatte bei seinem Hunde gute und beständige bedingte Reflexe ausgearbeitet und mit ihnen vielerlei Versuche angestellt. Übergab man aber diesen Hund einem anderen Experimentator zur Arbeit, so blieben diese Reflexe für längere Zeit aus. Dasselbe können wir häufig beobachten, wenn ein Hund aus einem Arbeitsraum in einen anderen, besonders aber aus einem Laboratorium in ein anderes gebracht wird. Um vieles stärker wirken natürlich nach Art der äußeren Hemmung für das Tier spezifische Reize, z. B. der Anblick eines Vogels für Jagdhunde, der Anblick einer Katze für die meisten Hunde, Rascheln unter dem Fußboden für gewisse Hunde und ähnliches, sowie überhaupt sehr starke und völlig ungewohnte Reize. Was die zuletzt angeführte Gruppe von Reizen betrifft, so sind hier die Verhältnisse noch viel komplizierter. Nach ihrem Verhalten zu starken und ungewöhnlichen Reizen lassen sich alle Hunde (61) in zwei Gruppen einteilen. Die einen reagieren auf solche Reize positiv, d.h. in aggressiver Weise; sie werfen sich

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kampfbereit auf den Urheber des Reizes und beginnen fürchterlich zu bellen. Die anderen reagieren mit einer passiven Abwehrreaktion; sie versuchen, sich aus dem Gestell loszureißen und wegzulaufen, oder sie werden ganz starr und bewegungsunfähig, sie zittern und werfen sich auf den Boden, und es kommt sogar vor, daß sie urinieren, was sie unter gewöhnlichen Bedingungen im Gestell niemals tun. Bei diesen Hunden sehen wir also ein Überwiegen des Hemmungsreflexes, wobei die Hemmung natürlich auch auf unseren bedingten Reflex übergreift. Da in diesem Falle die Hemmung primär von anderen Teilen des Gehirns ausgeht und sich erst von hier aus auf den Punkt des bedingten Reflexes ausbreitet, ist es statthaft, auch diesen Fall der Hemmung als äußere Hemmung der bedingten Reflexe aufzufassen. Aber alle Fälle, die wir soeben aufgezählt haben, haben eines gemeinsam: ihre vorübergehende Wirkung, weshalb wir die in diesen Fällen wirkenden Agenzien als erlöschende oder zeitweilige Hemmreize bezeichnen. Wenn solche Reize mehrmals auf ein Tier einwirken, ohne dabei von irgendwelchen wesentlichen Folgen für das Tier begleitet zu sein, so werden sie früher oder später für das Tier indifferent, ihre hemmende Wirkung auf die bedingten Reflexe erlischt. Ein derartiger Versuch, d . h . ein Versuch mit erlöschender Hemmwirkung, ist auch hier vor Ihnen durchgeführt worden. Der Hund, an dem der Metronomversuch gezeigt wurde, befand sich schon während der Vorlesung am Tage zuvor hier im Hörsaal, und einer meiner Mitarbeiter hat schon damals an ihm diesen Versuch mehrmals wiederholt; damals aber habe ich Sie nicht darauf aufmerksam gemacht. Der Versuch wollte nämlich anfangs nicht gelingen, der bedingte Reflex war gehemmt. Erst ganz allmählich hat sich dann das Tier von der Hemmwirkung dieser neuen, ungewohnten Umgebung frei gemacht. Vor mehreren Jahren habe ich auch einen Kursus über bedingte Reflexe gehalten, und damals bediente ich mich folgenden Verfahrens. Vom Anfang des Kursus an stellte ich im Hörsaal die nötige Zahl von Hunden auf, mit denen meine Mitarbeiter dort zur Vorbereitung wiederholt die entsprechenden Versuche durchführten, unabhängig vom Gang meiner Vorlesungen. Wenn dann ein bestimmter Versuch an die Reihe kam, so konnte ich ihn im richtigen Augenblick vorführen, ohne daß während des ganzen Kurses ein Fehlschlag eingetreten wäre. Aus verschiedenen äußeren Gründen bin ich leider (62) verhindert, gegenwärtig das gleiche zu tun; ich werde nur selten imstande sein, Ihnen Versuche zu zeigen und werde mich hauptsächlich darauf beschränken, Ihnen Versuchsprotokolle aus unseren gedruckten Arbeiten oder aus den laufenden Arbeiten meines Laboratoriums zu demonstrieren. Unter den Erscheinungen der äußeren Hemmung finden wir außer dieser Untergruppe noch die Untergruppe der beständigen Hemmreize, die trotz Wiederholung ihre Hemmwirkung nicht verlieren, sondern ständig behalten. Sie haben z. B. einen bedingten Säurereflex. Wenn Sie nun vor diesem Säurereflex dem Hunde etwas füttern, d. h. bei ihm denjenigen Teil des Gehirns, dasjenige Zentrum in Erregung versetzen, das beim Fressen des Tieres arbeitet, so wird hiernach der Säurereflex für längere Zeit vollständig oder in beträcht-

Die äußere Hemmung der bedingten Reflexe

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lichem Ausmaß gehemmt sein. Diese Hemmung aber wird immer stattfinden, sooft Sie den Versuch auch wiederholen. Man muß demnach diese Wirkung als beständige Hemmung bezeichnen, und solcher beständigen Hemmreize gibt es viele. Wenn Sie z. B. einen Säurereflex bilden wollen und dabei unvorsichtigerweise die Säure nicht genügend verdünnen oder wenn Sie zu oft oder zu viel von ihr eingießen, so entsteht bei dem Hunde eine Stomatitis; dadurch wird der bedingte Säurereflex gehemmt und die Hemmung wird anhalten, bis der pathologische Zustand der Mundschleimhaut beseitigt ist. Es kann z. B. auch vorkommen, daß der Hund irgendeine Hautaffektion hat und dabei durch die Halteriemen des Gestells eine starke Heizung entsteht; dann kommt es ebenfalls zu einem Abwehrreflex, und die bedingten Reflexe, besonders aber der Säurereflex, werden gehemmt sein. In dieser Beziehung können natürlich sehr viele verschiedenartige Fälle vorkommen, wie z.B. der folgende. Anfangs geht der Versuch ganz gut, dann aber fangen die Reflexe plötzlich an, immer schwächer zu werden und verschwinden schließlich ganz. Was mag vor sich gegangen sein ? Es genügt, wenn wir den Hund auf den Hof hinausführen, wo er sofort uriniert; danach gibt er wieder ganz normale Reflexe. Offensichtlich hat die Erregung des Miktionszentrums unsere bedingten Reflexe gehemmt. Nehmen wir als weiteres Beispiel die Zeit der Läufigkeit bei Hündinnen. Wenn ein Hund kurz vor dem Versuch in die Nähe einer solchen Hündin kommt, so werden auch bei dieser alle bedingten Reflexe mehr oder weniger gehemmt sein. Hier wirkt offensichtlich der Erregungszustand des Geschlechtszentrums hemmend usw. Demnach sehen Sie, daß es sehr viele Bedingungen gibt, durch die unsere Reflexe gehemmt werden können; nicht ohne guten Grund haben wir sie gerade als bedingte Reflexe bezeichnet. (63) Es ist aber dennoch leicht möglich, alle diese Bedingungen zu beherrschen, Hemmungen zu beseitigen oder sie nicht aufkommen zu lassen. — Dies sind alle Fälle der äußeren Hemmung, und diese Hemmungsart ist, ich wiederhole es noch einmal, durch folgendes charakterisiert: Sobald im Zentralnervensystem irgendeine andere, zum gegebenen bedingten Reflex nicht gehörende Nerventätigkeit entsteht, so äußert sich diese sofort in einer Verminderung oder gar im Verschwinden des bedingten Reflexes; diese Wirkung ist aber vorübergehend, sie äußert sich nur so lange, wie der verursachende Reiz oder dessen Nachwirkung besteht. (64)

VIERTE

VORLESUNG

2. D I E I N N E R E HEMMUNG D E R B E D I N G T E N R E F L E X E a) DAS ERLÖSCHEN DER BEDINGTEN REFLEXE Meine Damen und Herren! Am Ende der letzten Vorlesung habe ich Sie mit den Erscheinungen der sogenannten äußeren Hemmung der bedingten Reflexe bekannt gemacht, d . h . mit den vielen Fällen, wo die bedingten Reflexe mit anderen Reizen im Gehirn zusammentreffen, wobei unsere bedingten Reflexe mehr oder weniger abgeschwächt werden oder auch ganz verschwinden können. Heute wollen wir uns mit einer anderen Art von Hemmung beschäftigen, m i t den Erscheinungen, die wir als innere Hemmung bezeichnen. Das sind Fälle, bei denen der positive bedingte Reiz unter bestimmten Bedingungen selbst zu einem Hemmreiz, zu einem negativen Reiz wird, dann nämlich, wenn dieser selbe Reiz in den Zellen der Großhirnhemisphären nicht mehr einen Erregungs-, sondern einen Hemmungsprozeß hervorruft. So haben wir neben den positiven bedingten Reflexen auch negative bedingte Reflexe. Der augenfällige Unterschied zwischen der äußeren und der inneren Hemmung besteht in folgendem. Die äußere Hemmimg entsteht unter den angeführten Bedingungen sofort, die innere Hemmung dagegen entwickelt sich immer ganz allmählich, und sie läßt sich bisweilen nur sehr langsam und mühsam ausarbeiten. Ich will meine Beschreibung mit dem Fall von innerer Hemmimg beginnen, auf den wir bei unserer Forschung über die bedingten Reflexe zuerst gestoßen sind, und ich will mich in bezug auf seine Erklärung bis zu einem gewissen Grade auch an die historische Entwicklung halten, denn unsere gegenwärtige Ansicht über diese Tatsachen h a t sich natürlich nur sehr allmählich herausgebildet. (65) Sie sehen wieder denselben H u n d vor sich wie voriges Mal, und wir lassen auf ihn den gleichen Reiz einwirken, das Ticken des Metronoms. Mein Assistent wird die Zahl der Speicheltropfen, die während der 30 Sekunden dauernden Wirkung des Metronoms abfließen, laut zählen und Ihnen außerdem in Sekunden die Zeit angeben, die vom Beginn der Metronomwirkung bis zum Beginn der Speichelsekretion vergeht. Wir bezeichnen dieses Zeitintervall gewöhnlich als Latenzzeit, obgleich es aus Gründen, die Sie später erfahren werden, besser wäre,

Das Erlöschen der bedingten Reflexe

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hierfür eine andere, geeignetere Bezeichnung zu schaffen1). In unserem heutigen Versuch wird aber der Hund nach der Metronomwirkung nicht gefüttert, wie das sonst der Fall gewesen ist, wir bekräftigen also den bedingten Reflex nicht (unsere übliche Ausdrucksweise). Nach 2 Minuten wiederholen wir das gleiche und dann noch mehrmals. Wir erhalten folgendes Versuchsergebnis: Latenzzeit (in Sekunden)

Speichelsekretion (in Tropfen)

3 7 5 4 5 9 13

10 7 8 5 7 4 3

Hier wollen wir vorläufig den Versuch abbrechen, damit wir in der heutigen Vorlesung noch die Möglichkeit haben, einige wichtige Einzelheiten hinzuzufügen. Es ist ersichtlich, daß der bedingte Reflex unter den gegebenen Bedingungen bei Wiederholung allmählich immer schwächer wird. Hätten wir unseren Versuch weiter fortgesetzt, so wäre die Speichelsekretion schließlich völlig ausgeblieben. Diese Erscheinung, daß bedingte Reflexe, die nicht mit den entsprechenden imbedingten Reflexen kombiniert werden, rasch und mehr oder weniger stufenweise an Wirkung einbüßen, haben wir, ohne dabei irgend etwas hinsichtlich der Natur dieser Erscheinung vorwegnehmen zu wollen, als Erlöschen bezeichnet. Über diese Erscheinung haben wir ein großes Material zusammengetragen, von dem ich Ihnen jetzt das wichtigste vortragen will. Gestatten Sie mir, zunächst noch einiges über unsere Terminologie zu sagen. Früher haben wir unter den bedingten Reflexen natürliche bedingte und künstliche bedingte Reflexe unterschieden; (66) die erstere Art bildet sich sozusagen von selbst auf das Futter als Fernreiz und auf die verschiedenen Einzelheiten des ganzen Verfahrens beim Eingießen von Säure ins Maul des Hundes; die zweite Art, die künstlichen bedingten Reflexe, wurden von uns auf solche Agenzien gebildet, die mit der Nahrung und mit dem Einführen anwidernder Stoffe ins Maul gewöhnlich nichts gemein haben. In den Eigenschaften dieser beiden Reflexgruppen lassen sich aber nicht die geringsten Unterschiede aufweisen. Die unendlich mannigfaltigen Agenzien, aus denen wir unsere bedingten Reize bildeten und bilden, sind für uns nicht nux deshalb von Wichtigkeit, weil sie ohne Schwierigkeiten gleichartig und genau wiederholt werden können, weil sie leicht zu handhaben und in ihrer Intensität bequem zu regulieren sind, sondern auch deshalb, weil sie unserer Forschung einen unermeßlichen Horizont eröffnen. 1)

s. a. Vorlesung 6 (dt.

Eed.)

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VIERTE

VORLESUNG

Sie werden sich im folgenden selbst davon überzeugen. Die Bildung künstlicher bedingter Reflexe benutzten wir ursprünglich nur dazu, um die Richtigkeit unserer Vorstellung vom Entstehen der natürlichen bedingten Reflexe zu prüfen; aber in der Folge hat uns dieses Verfahren das Hauptmaterial unserer ganzen Untersuchungen geliefert. Gerade an dieser Stelle halte ich es für nötig, das zu erwähnen, denn gerade zu Beginn unserer Arbeit haben wir sehr viele Versuche mit natürlichen bedingten Reflexen angestellt, und heute werde ich Ihnen einige derartige Versuchsprotokolle vorführen. Was nun den Ablauf des Erlöschens, seine allmähliche Entwicklung und Regelmäßigkeit betrifft, so sind hier oft große Schwankungen zu beobachten. Diese Schwankungen hängen von zweierlei Bedingungen ab. Erstens von äußeren Bedingungen. Für ein regelmäßiges Schwächerwerden eines bedingten Reflexes, der ohne Bekräftigung mehrmals wiederholt wird, sind Gleichförmigkeit und Beständigkeit des bedingten Reizes sowie das Ausbleiben selbst kleinster Schwankungen in der Umgebimg des Versuchstieres erforderlich. Bei Versuchen mit natürlichen bedingten Reflexen kann sich das Futter bald näher, bald weiter vom Versuchstier befinden, das Futter kann einmal unbewegt auf demselben Fleck stehen, ein andermal auch nur geringe Ortsveränderungen erfahren. Jeder dieser Umstände führt zu sehr starken Schwankungen im Erlöschen des bedingten Reflexes; der Reflex wird bald stark abnehmen, bald wieder merkbar anwachsen. Bei unseren künstlichen Agenzien ist es natürlich leicht, einen Reiz absolut gleichmäßig zu halten, und diese Ursache von Schwankungen damit vollkommen auszuschalten. Starke und plötzliche Veränderungen der Umgebung schwächen natürlich sofort den bedingten Reflex ab, denn das sind Fälle äußerer Hemmung; mit dem Verschwinden dieser Veränderungen verstärkt er sich sofort wieder etwas. Besonders interessant ist aber die Wirkung ganz schwacher, unbedeutender Veränderungen der Umgebung. Sie vermögen das Erlöschen zeitweilig aufzuhalten oder zu beseitigen. Ein solcher Fall ereignete sich in unserem heutigen (67) Versuch bei der fünften Wiederholung des Reflexes. Die Verstärkung des Reflexes von 5 auf 7 Tropfen fiel deutlich mit einer gewissen Bewegung unter den Zuhörern in diesem Augenblick zusammen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in der Physiologie der Großhirnhemisphären, und wir kommen in unserer heutigen Vorlesung noch einmal darauf zurück. Aber auch wenn sowohl der Reiz als auch die Umgebung ganz gleichmäßig sind, können bisweilen Schwankungen beobachtet werden, und zwar Schwankungen rhythmischen Charakters. Diese hängen offenbar von andersartigen Bedingungen ab, von inneren Bedingungen, die beim Erlöschen des Nervenprozesses entstehen. Diese Erscheinung werden wir späterhin noch öfter antreffen. Die Geschwindigkeit des Erlöschens, d. h. die Geschwindigkeit, mit der die Wirkung eines bedingten Reflexes auf Null absinkt, wenn der Reflex wiederholt wird, ohne durch den unbedingten Reflex bekräftigt zu werden, hängt ebenfalls von vielen Bedingungen ab. An erster Stelle muß hier die Individualität des Versuchstieres erwähnt werden. Unter sonst gleichen Versuchsbedingungen erlöschen die bedingten Reflexe

Das Erlöschen der bedingten Reflexe

43

bei gewissen Tieren rasch, bei anderen nur sehr langsam. Diese Erscheinung steht in klarem Zusammenhang mit dem allgemeinen Charakter des Nervensystems des betreffenden Tieres. Bei lebhaften, leicht erregbaren Hunden erlöschen die bedingten Reflexe meist langsam; bei ruhigen, sozusagen soliden Hunden aber erlöschen sie rasch. Ferner ist natürlich die Stärke, die die Ausarbeitung eines bestimmten Reflexes erreicht hat, sozusagen die Festigkeit dieses Reflexes, von Bedeutung. J e jünger ein bedingter Reflex ist, je weniger Bekräftigungen er erfahren hat, desto rascher wird er erlöschen und umgekehrt. Einen entscheidenden Einfluß auf die Geschwindigkeit des Erlöschens übt auch die Stärke des unbedingten Reflexes aus, mit dessen Hilfe der bedingte Reflex gebildet worden ist. Ich führe hier die entsprechenden Versuche von B . P . B A B K I N an, die alle an ein und demselben Hunde ausgeführt worden sind. Eine bestimmte Menge einer l%igen Lösung von extr. Quassiae ergibt im Mittel von 10 Versuchen als unbedingten Reflex 1,71 cm 3 Speichel und als bedingten Reflex 0,3 cm 3 bei einer Reizdauer von einer Minute. Eine bestimmte Menge einer 0,l%igen Salzsäurelösung ergibt im Mittel von 5 Versuchen 5,2 cm 3 Speichel als unbedingten Reflex und 0,9 cm 3 als bedingten Reflex während der gleichen Zeit. In beiden Fällen handelt es sich um einen natürlich bedingten Reflex, d. h. diese Stoffe werden als Fernreize benutzt. Die Versuche wurden unter sonst gleichen Versuchsbedingungen ausgeführt. Die Zahlen geben den Gang des Erlöschens wieder. (68) Salzsäure (in cm3) 1,0 0,6 0,4 0,3 0,15 0,2 0,1 0

Extr. Quassiae (in cm3) 0,35 0,1 0

Ferner zeigt die Dauer des Erlöschens eine deutliche Abhängigkeit von der Größe der Pause zwischen den einzelnen Wiederholungen des erlöschenden Reflexes. J e kürzer die Pause, desto kürzer die Zeit, in der das vollkommene Erlöschen des Reflexes erreicht wird; in einem solchen Falle sind meist viel weniger Wiederholungen erforderlich und umgekehrt. Zur Erläuterimg dieses Verhältnisses führe ich einen Versuch aus einer Arbeit v o n BABKIN

an.

Der Hund wird bei strengem Einhalten gleicher Intervalle immer genau eine Minute lang mit Fleischpulver aus der Ferne gereizt. Die folgenden fünf Versuchsreihen sind am gleichen Tage ausgeführt. In den Pausen zwischen den Versuchsreihen hatte der Hund Ruhe und wurde mit Fleischpulver gefüttert.

44

VIERTE

VORLESUNG

Reizung alle 2 Minuten Speichelsekretion (in cm3) 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 12 h

46' 49' 52' 55' 58' 01'

0,6 0,3 0,1 0,2 0,15 0

Reizung alle 4 Minuten 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

10' 15' 20' 25' 30'

0,7 0,4 0,3 0,1 0

Reizung alle 8 Minuten 1h 1h 2h 2h 2h 2h 2h

47' 56' 05' 14' 23' 32' 41'

0,4 0,3 0,2 0,15 0,1 0,2 0

Reizung alle 16 Minuten 2 y. 3h 3h 3h 4h 4h 4h 5h 5h

Speichelsekretion (in cm3)

23' 40' 57' 14' 31' 48' 05' 22'

0,6 0,6 0,5 0,3 0,1 0,2 0,1 0,1 (69)

Reizung alle 2 Minuten 5h 5h 5h 5h 5h 5h 5h

27' 30' 33' 36' 39' 42' 45'

0,6 0,3 0,3 0,2 0,1 0,05 0

So sehen wir, daß der Reflex bei einem Intervall von von von von von

2 Minuten 4 Minuten 8 Minuten 16 Minuten 2 Minuten

in in in in in

15 Minuten erloschen ist, 20 Minuten erloschen ist, 54 Minuten erloschen ist, 2 Stunden noch nicht völlig erloschen ist, 18 Minuten erloschen ist.

Eine letzte Bedingung besteht schließlieh noch darin, wie oft solche Versuche mit Erlöschen an ein und demselben Tier vorgenommen werden. Wenn diese Versuche an einem Hunde oft wiederholt werden, so wird die Zahl der Reizungen, die bis zum vollständigen Erlöschen, notwendig ist, immer kleiner, bis schließlich schon ein einmaliges Ausbleiben der Bekräftigung durch den unbedingten Reflex genügt, um ein, vollständiges Erlöschen des bedingten Reflexes herbeizuführen. Dies ist allerdings nur bei einem Teil der Hunde der Fall. Die Tatsache des Erlöschens der bedingten Reflexe ist noch in folgender Beziehung von höchstem Interesse. Die Abschwächung eines Reflexes beim Erlöschen wirkt sich nicht nur auf den bedingten Reflex aus, der selbst im Erlöschen ist (den primär erloschenen Reflex), sondern auch auf andere bedingte Reflexe, die an diesem Vorgang sozusagen gar nicht unmittelbar beteiligt sind (sekundär erloschene Reflexe). Diese Wirkung zeigt sich dabei nicht nur an solchen bedingten Reflexen, die mit demselben unbedingten Reiz verbunden sind (wir

45

Das Erlöschen der bedingten Reflexe

nennen solche Reflexe gleichartige bedingte Reflexe), sondern sie erstreckt sich auch auf bedingte Reflexe, denen ein ganz anderer unbedingter Reflex zugrunde liegt (andersartige bedingte Reflexe). J a , wenn das Erlöschen eines bedingten Reflexes einen sehr starken Grad erreicht hat, können selbst unbedingte Reflexe davon ergriffen werden. So hatten wir z. B. einen Hund, bei dem eine bestimmte Salzsäuremenge im Mittel etwa 6 cm 3 Speichel gab. Nachdem bei diesem Tier ein weitgehendes Erlöschen des bedingten mechanischen Hautreflexes eingetreten war, (70) ergab der Säurereflex bei gleicher Säuremenge nur 3,8 cm 3 Speichel (Versuch von I . J . PERELZWEIG). Am stärksten tritt diese Erscheinung des sekundären Erlöschens bei mehr oder weniger gleichartigen bedingten Reflexen auf. Sie ist bei uns in allen Einzelheiten untersucht worden. In allen Fällen sekundären Erlöschens hat der Grad des Erlöschens ausschlaggebende Bedeutung. Sehr starkes Erlöschen kann vieles ausgleichen, kleine Unterschiede verschwinden lassen. Wenn man aber nur ein mäßiges Stadium des Erlöschens erreicht, so können viele Einzelheiten deutlich hervortreten. Geht man von der Gleichheit der übrigen Bedingungen aus, so kann man wohl sagen, daß die Wirkung des Erlöschens eines bedingten Reflexes auf andere gleichartige bedingte Reflexe von der relativen physiologischen Stärke dieser letzteren Reflexe abhängt. Diese physiologische Stärke hängt Von einer ganzen Reihe von Bedingungen ab: davon, wie lange der Reflex bei dem Versuchstier besteht, ob er häufig oder selten und wann er zuletzt bekräftigt wurde, davon, ob mit dem Versuchstier schon oft Versuche mit Erlöschen durchgeführt wurden, und schließlich davon, ob der Reflex am gegebenen Versuchstage schon eine Bekräftigung erfahren hat oder nicht. J e größer nun die physiologische Stärke eines Reflexes im Vergleich zur Stärke des primär erlöschenden oder erloschenen Reflexes ist, um so weniger wird dieser Reflex durch das sekundäre Erlöschen beeinflußt und umgekehrt: das primäre Erlöschen eines starken Reflexes führt zum vollständigen sekundären Erlöschen aller schwachen Reflexe. Hier ein Versuch aus einer Arbeit von B A B K I N . Der Versuchshund hatte drei bedingte Reize, die alle den Säurereflex hervorriefen: das Klingelzeichen, das Ticken eines Metronoms und den mechanischen Hautreiz. Die bedingten Reize wirkten 30 Sekunden ein. Am Tage vorher wurde ein Versuch durchgeführt, der die relative Stärke der einzelnen bedingten Reize zeigen sollte.

Zeit

3 3 4 4 4

Ii h h h h

24' 41' 05' 41' 51'

Bedingter Reiz

Ticken des Metronoms Klingel Mechanischer Hautreiz Ticken des Metronoms Klingel

Speichelsekretion (in Tropfen)

Bemerkung

5 8 4 12 13

Alle Reize wurden bekräftigt

(71)

46

VIERTE

VORLESUNG

Versuch mit dem Erlöschen. Intervall 3 Minuten. Zeit 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

07' 10' 13' 16' 19' 22' 25' 28' 31' 34' 37'

Bedingter Reiz Ticken des Metronoms . . . . Desgl Desgl Desgl Desgl Desgl Desgl Desgl Mechanischer Hautreiz . . . . Ticken des Metronoms . . . . Klingel

Speichelsekretion (in Tropfen) 13 7 5 6 3 2,5 0 0 0 0 2,3

Bemerkung

1

Keine Reizung wurde bekräftigt

Wie Sie aus diesem Versuchsprotokoll ersehen, hatte das Erlöschen eines bedingten Reizes von mittlerer Stärke das vollständige Erlöschen eines schwachen Reizes zur Folge, während ein stärkerer Reiz noch eine gewisse Wirkung zeigte. Dasselbe kann man auch beobachten, wenn man komplexe Reize (d. h. Reize, die aus mehreren verschiedenen Agenzien bestehen) erlöschen läßt und dann die Wirkung des Komplexreizes und die seiner Komponenten prüft. Beim Erlöschen eines Komplexreizes erlöschen auch seine Komponenten. Wenn der Komplex aus zwei gleich starken Reizen besteht und die eine dieser Komponenten erlischt, so erlischt auch die andere, aber die Reizsumme, der Komplexreiz, kann noch immer eine gewisse Wirkung haben. Beim Erlöschen der stärkeren Komponente erweist sich die schwächere allein als ganz unwirksam und umgekehrt, beim Erlöschen der schwächeren Komponente behält die stärkere ihre Wirkung, wenn sie auch schwächer ist. Wenn die stärkere Komponente im Einzelversuch die schwächere vollständig verdeckt, so wird beim Erlöschen dieser stärkeren Komponente auch der Komplexreiz seine Wirkung vollständig einbüßen. (Von den verschiedenen Beziehungen der einzelnen Agenzien, aus denen sich bedingte Komplexreize zusammensetzen, wird in einer späteren Vorlesung genauer berichtet werden.) 1 ) Für unser Verständnis des Vorgangs des Erlöschens verdienen folgende Beziehungen besonderes Interesse. Wir haben einen Komplexreiz, in dem die schwächere Komponente von der stärkeren vollständig verdeckt wird, d. h-, beim Einzelversuch erweist sie sich als ganz unwirksam. Wenn wir nun diesen schwachen Reiz mehrere Male hintereinander allein wiederholen und ihn dabei durch den unbedingten Reiz nicht bekräftigen, so zeigt sich, daß erstaunlicherweise nicht nur die stärkere Komponente, sondern auch der Komplexreiz erloschen ist. Hier ein derartiger Versuch aus einer Arbeit von P e r e l z w e i g . (72) 3

) s. Vorlesung 8, S. 113 (dt.

Red.)

47

Das Erlöschen der bedingten Reflexe

Die zur Untersuchung verwendeten bedingten Säurereize sind: ein Komplexreiz, der aus der gleichzeitigen Wirkung eines mechanischen und eines thermischen (t = 0° C) Hautreizes besteht, und die Einzelreize. Dauer jedes Reizes eine Minute. Zeit 12 h 12 h 12 h 2h 2h 2h 3h 3h 4h 4h

00' 25' 55' 07' 30' 55' 25' 40' 05' 25'

Reiz Komplexreiz Desgl Desgl Temperaturreiz Desgl Desgl Mechanischer Hautreiz Komplexreiz Desgl Mechanischer Hautreiz

Speichelsekretion (in cm3) 1,0 1,0 1,4 0 0 0 0 0,05 1,0 1,0

Bemerkungen

Alle Reize bekräftigt Alle Reize nicht bekräftigt Alle Reize bekräftigt

Ich habe bisher von schwachem oder starkem Erlöschen gesprochen, von einem Grad des Erlöschens; zu diesem Punkte muß ich noch einiges hinzufügen. Die Intensität des Erlöschens wird nicht nur durch die erreichte Verminderung des bedingten Reflexes bestimmt und nicht nur durch das Erreichen des Nulleffektes; sie kann auch noch weiter anwachsen. Wir haben dann ein weiteres, sozusagen unsichtbares Erlöschen. Wenn wir einen durch Erlöschen unwirksam gewordenen bedingten Reiz weiter wiederholen, so vertiefen wir, verstärken wir den Prozeß des Erlöschens. Nach Feststellung dieser Tatsache wird eine eigenartige Besonderheit des oben mitgeteilten Versuchs verständlich, daß nämlich ein an und für sich unwirksamer Reiz nach mehrmaligem isoliertem Wiederholen eine beträchtliche Wirkung auf die nachfolgenden Reize ausüben kann. Deshalb muß man bei allen Versuchen, in denen ein Erlöschen vorkommt, auf die Tiefe des Erlöschens achten. Wie die Tiefe, die Intensität des Erlöschens über die Nullwirkung hinaus festgestellt werden kann, soll in Verbindimg mit einem weiteren Punkte, zu dem wir nun übergehen wollen, dargestellt werden. Was geschieht weiter mit einem erloschenen Reflex ? Wie kann er seine verlorene Wirkung wiedererlangen ? Wenn man einen erloschenen Reflex ganz und gar sich selbst überläßt und der Experimentator absolut nichts vornimmt, was diesen Reflex beeinflussen könnte, so zeigt sich, daß er nach Ablauf einer bestimmten, mehr oder weniger langen Zeit seine Wirkung wiedererlangt. (73) Das kann sich natürlich nicht auf ganz junge, noch im Entstehen begriffene Reflexe beziehen, die noch sehr schwach und unbeständig sind. Solche Reflexe werden in gewissen Fällen nach ihrem Erlöschen zweifellos besondere Maßnahmen zur Wiederherstellung erfordern, man wird sie speziell bekräftigen müssen, indem man sie wieder mit ihrem unbedingten Reiz kombiniert. Alle gut

48

VIERTE

VORLESUNG

ausgearbeiteten Reflexe aber erlangen bald nach ihrem Erlöschen von selbst ihre alte Wirkungsstärke wieder. Eine Methode zur Prüfung der Stärke des Erlöschens besteht gerade darin, den Zeitraum zu bestimmen, der unter sonst gleichen Bedingungen erforderlich ist, damit ein erloschener Reflex seine frühere Wirkungsstärke wiedererlangt. Die selbständige Wiederherstellung eines erloschenen Reflexes geht mit sehr verschiedener Geschwindigkeit vor sich; sie kann schon in einigen Minuten zustande kommen, aber auch Stunden dauern. Ich gebe hier einige Beispiele. Es wird alle 3 Minuten ohne Bekräftigung eine Reizung durch Fleischpulver auf Distanz vorgenommen (aus einer Arbeit von B A B K I N ) . „ . Zeit 11 h 11 h 11 Ii 11 h 11 h 11 h

Speichelsekretion o. (in cnr)

33' 36' 39' 42' 45' 48'

0,6 0,3 0,1 0 0 0 Pause von 2 Stunden

1 h 50'

0,15

E i n anderer Versuch (aus einer Arbeit von M. I.ELJASSON). Die Reizung durch Fleischpulver auf Distanz wird alle 10 Minuten vorgenommen, jedesmal ohne Bekräftigung. „ .

Speichelsekretion (in Tropfen)

1 h 42' 1 h 52' 2 h 02'

8 3 0

elt

Pause von 20 Minuten 2 h 22'

7

(74)

Der Versuch zur Demonstration des Erlöschens, den wir heute vor Ihren Augen durchgeführt haben, ist vor 23 Minuten abgebrochen worden. Wir wollen nun sehen, wie das Ticken des Metronoms jetzt wirkt. Wir erhalten: Latenzzeit (in Sekunden)

Speichelsekretion (in Tropfen)

5

6

Die Wiederherstellung erloschener bedingter Reflexe

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Beim letzten Versuch erhielten wir Latenzzeit (in Sekunden)

Speichelsekretion (in Tropfen)

13

3

Die Wirkung des bedingten Reizes hat sich also ganz von selbst bis zu einem gewissen Grade wiederhergestellt. Die großen Schwankungen in der Geschwindigkeit, mit der sich die erloschenen bedingten Reflexe wiederherstellen, hängen von mehreren Bedingungen ab. Vor allem und am häufigsten hängt sie wohl vom Grad, von der Tiefe des Erlöschens ab. Ferner ist die Individualität der Versuchstiere, der Typ ihres Nervensystems von sehr großer Bedeutung. Einen merklichen Einfluß hat auch die Stärke des bedingten Reflexes. Schließlich hat auch der Umstand einen ganz bedeutenden Einfluß, wie oft vorher Versuche mit dem Erlöschen gemacht worden sind. Die Rückkehr eines erloschenen Reflexes zu seiner gewöhnlichen Wirkung kann auch beschleunigt werden. Man braucht nur den unbedingten Reflex anzuwenden, mit dessen Hilfe der gegebene bedingte Reflex gebildet worden ist; der unbedingte Reflex kann hierbei allein oder auch gleichzeitig mit dem erloschenen bedingten Reflex angewandt werden, d. h. den letzteren bekräftigen. Durch dieses Verfahren kommt man um so schneller zum Ziel, je weniger tief der bedingte Reflex erloschen war. Bei schwachem Erlöschen genügt es, dieses Verfahren einmal anzuwenden, bei sehr tiefem Erlöschen muß man es mehrmals wiederholen. Dies ist die zweite Möglichkeit, die Tiefe des Erlöschens zu bestimmen. Die Frage, ob die Wiederherstellung der Wirkung eines erloschenen bedingten Reflexes durch alleinige Anwendung des entsprechenden unbedingten Reflexes mit gleicher Geschwindigkeit erzielt wird oder ob die gleichzeitige Anwendung des bedingten und des imbedingten Reflexes die Wiederherstellung beschleunigt, ist bisher noch nicht genau geklärt. Wir haben sie erst jetzt systematisch in Angriff genommen1). Das ganze Tatsachenmaterial über das Erlöschen, das ich Ihnen mitgeteilt habe, hat vielleicht Ihre Aufmerksamkeit etwas ermüdet, weil es nicht unter einem allgemeinen Gesichtspunkt zusammengefaßt ist. Es hat uns aber nach lind nach zur Lösung einer für uns äußerst wichtigen Frage verholfen, der Frage nämlich, was diese Erscheinung, die wir als Erlöschen bezeichnen, eigentlich darstellt. (75) Wir waren gezwungen, diese Erscheinung des Erlöschens als eine besondere Art der Hemmung anzusehen, denn unsere Tatsachen widersprachen allen anderen möglichen Erklärungen. Daß dieses Erlöschen keine Zerstörung des bedingten Reflexes, kein Zerreißen der neu geknüpften Nervenbahnen ist, wird zweifellos dadurch bewiesen, daß sich der erloschene Reflex nach einer gewissen Zeit ganz von selbst wiederherstellt. !) Die Ergebnisse dieser Versuche s. S. 323 (dt. Red.) 4/IV

50

VIERTE

VORLESUNG

Es wäre auch, noch möglich, an ein Ermüden gewisser Teile der an unseren Reflexen beteiligten nervalen und sekretorischen Apparate zu denken. Aber ebenso wie die Vorstellung einer Zerstörung des Reflexes war auch der Gedanke, daß es sich beim Erlöschen um eine Ermüdung handeln könnte, mit unseren Tatsachen nicht in Einklang zu bringen. Daß von einer Ermüdung der sekretorischen Elemente keine Rede sein kann, ist aus dem gesamten Tatsachenmaterial klar ersichtlich, denn wenn die bedingten Reflexe immer durch den unbedingten Reflex bekräftigt werden, so sondern sie immer, sooft man den Versuch auch wiederholt, große Mengen Speichel ab, und die Wiederherstellung eines erloschenen Reflexes wird durch eine zusätzliche Sekretionstätigkeit, durch Anwendung des unbedingten Reizes, erzielt. Dabei ist die Sekretionsarbeit beim erloschenen Reflex ganz minimal. Aber auch als Ermüdung der Nervenelemente kann das Erlöschen nicht aufgefaßt werden. Ich bitte Sie, sich jenen Versuch ins Gedächtnis zurückzurufen 1 ), bei dem nur eine Komponente eines komplexen Hautreizes, und zwar die schwächere, der Temperaturreiz, der einzeln für sich gar keine positive Wirkung hervorrief, mehrere Male wiederholt wurde, ohne vom unbedingten Reflex gefolgt zu werden (der Vorgang des Erlöschens). Dies führte zum Erlöschen der stärkeren mechanischen Komponente und sogar zum Erlöschen des komplexen Reizes. Dabei hatte überhaupt gar keine positive Tätigkeit stattgefunden. Wo ist also der Teil, der hierbei ermüden konnte ? Und wenn man hier durchaus Ermüdung sehen will, so kommt noch folgende Schwierigkeit hinzu: es war ja der thermische Nervenapparat der Haut, der mit allen seinen Elementen mehrmals hintereinander gereizt wurde, während nun der Apparat zur Aufnahme von mechanischen Reizen, der gar nicht gearbeitet hat, ermüdet sein soll. So kommen wir durch Ausschluß anderer Möglichkeiten zu der Überzeugimg, daß jene Erscheinung, die wir als Erlöschen bezeichnet haben, ein Hemmungsjrrozeß ist, eine Hemmung. Von diesem Gesichtspunkt aus lassen sich fast alle soeben mitgeteilten Tatsachen, die für das Erlöschen charakteristisch sind, leicht verstehen. (76) Die scheinbar spontanen rhythmischen Schwankungen, die man während des Erlöschens der bedingten Reflexe bisweilen beobachten kann, werden leicht verständlich, wenn man sie als Zeichen eines Kampfes, eines Strebens nach einem Gleichgewicht zwischen den Erregungs- und Hemmungsprozessen auffaßt. Ebenso wird auch der Einfluß der Individualität auf diese Prozesse leicht erklärlich, denn wir wissen ja aus der Erfahrung des täglichen Lebens, wie sehr die Hemmfähigkeit des Nervensystems bei den verschiedenen Personen schwankt. Eine große Zahl von Beispielen werde ich Ihnen noch an unseren Versuchstieren in den weiteren Vorlesungen vorführen 2 ). Es ist klar, je stärker der bedingte Reflex, d.h. je intensiver der Erregungsprozeß ist, desto stärker muß auch die K r a f t des Hemmungsprozesses sein, und desto länger muß die Zeit sein, die nötig ist, um s. S. 47 (dt. 2

) s. S. 231 (dt.

Red.) Red.)

Das Erlöschen — ein Hemmungsprozeß

51

den Erregungsprozeß zu überwinden. Da sich bei Wiederholungen des unbekräftigten bedingten Reizes die Hemmung von Mal .zu Mal summieren muß, ist es auch ganz natürlich, daß bei geringeren Zeiträumen zwischen den ulibekräftigten Reizen die maximale Hemmung viel rascher erreicht wird. Auch der Fall, daß bei öfterem Wiederholen der Versuche mit dem Erlöschen der bedingten Reflexe dieses Erlöschen immer rascher vor sich geht, wird nun leicht verständlich, denn dieses Wiederholen, dieses Üben verstärkt den Hemmungsprozeß, was uns aus den täglichen Beobachtungen an uns selbst geläufig ist; diese Tatsache werden wir bei unserem weiteren Studium der bedingten Reflexe öfter antreffen. Der Einfluß, den das Erlöschen eines bedingten Reflexes auf andere, nicht nur gleichartige, sondern auch andersartige bedingte Reflexe, ja sogar auf unbedingte Reflexe ausübt, findet seine Erklärung darin, daß man eine Ausbreitung des Hemmungsprozesses von seinem Ausgangspunkt aus über das gesamte Gehirn annehmen muß. Dieser Erscheinung werden wir uns in einer der nächsten Vorlesungen eingehend widmen 1 ). Es bleibt aber von allen oben erwähnten Tatsachen, die zur Erscheinung des Erlöschens gehören, noch eine übrig, der wir nun unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen, da sie bisher für uns noch ganz dunkel bleibt. Ich meine hier die großen Schwankungen während des Vorgangs des Erlöschens, die sehr oft in deutlichem Zusammenhang mit zufällig in der Umgebimg auftauchenden Reizen auftreten. Es braucht bloß irgendein, nicht zu den speziellen Reizen gehörender Laut zu erklingen, es braucht nur die Intensität der Zimmerbeleuchtung eine plötzliche Schwankung zu erleiden oder dergleichen, und der Ablauf des Erlöschens ist gestört, der bedingte Reflex nimmt sofort wieder an Größe zu. Mit demselben Erfolg wirken natürlich auch alle (77) neuen Zusatzreize, die wir absichtlich anwenden, um diese Erscheinung zu untersuchen. Beispiele solcher Versuche sollen weiter unten angeführt werden 2 ). Hierher gehört noch eine weitere Tatsache, die uns lange Zeit rätselhaft schien. Nehmen Sie folgenden Fall: Wir bringen den natürlichen bedingten Reflex auf Fleischpulver zum Erlöschen. Wie unsere Kontrollversuche zeigen, stellt sich dieser Reflex von selbst nach einer halben bis einer Stunde wieder her. Wir verfahren jedoch folgendermaßen: Sobald wir beim Erlöschen die Nullwirkung erhalten haben, gießen wir dem Hunde Säurelösimg ins Maul. Wir warten eine Zeitlang, bis die Speichelabsonderung aufgehört hat, und versuchen dann erneut (etwa 5 Minuten nach der letzten Nullwirkung) unseren natürlichen Nahrungsreflex auf den Fernreiz von Fleischpulver. Jetzt sehen wir fast den vollen bedingten Reflex. Wie konnte das vor sich gehen, wo wir doch wissen, daß die bedingten Reflexe einen streng spezifischen Charakter haben, d.h., daß ein bestimmter Reiz immer nur eine ganz bestimmte Reaktion hervorruft ? Hier erhält der erloschene bedingte Nahrungsreflex seine Wirkung dadurch wieder, daß wir ein Agens anwenden, das einen ganz anderen Reflex, den Säurereflex, hervorruft. Der Säurereflex ist s. Vorlesungen 9 und 10 (dt. Red.) ) s. S. 53 (dt. Red.)

2

«•/IV

52

VIERTE

VORLESUNG

vom Nahrungsreflex deutlich verschieden, sowohl in bezug auf die Zusammensetzung des sezernierten Speichels als auch durch die hervorgerufene Bewegungsreaktion. Also, was ist hier vor sich gegangen ? Tatsächlich die Beseitigung eines Hemmungsprozesses. — Alle oben angeführten Fälle, in denen die Hemmung beseitigt wurde, haben eine gemeinsame Eigenschaft. Das Aufheben der Hemmungswirkung ist nur eine zeitweilige Erscheinung und findet nur so lange statt, wie der bestimmte Reiz, der dieses Verschwinden der Hemmung verursacht, oder seine sichtbare oder unsichtbare Nachwirkung fortdauern. Ich will Ihnen einen interessanten diesbezüglichen Fall aus dem Leben unseres Laboratoriums mitteilen. Verschiedene unserer Mitarbeiter gingen in ihren Ansichten ganz schroff auseinander, ob es möglich sei, einen erloschenen Nahrungsreflex durch einen Säurereflex wiederherzustellen. Die einen bezeugten diese Tatsache mit voller Gewißheit, die anderen leugneten sie ebenso entschieden. Welche Ansicht war nun richtig? Wie es oft im Leben und in der Wissenschaft vorkommt: beide Seiten hatten recht. Durch Versuche, die I . W . S A W A D S K I ausführte, wurde eine vollständige Klärung herbeigeführt. Die Ursache dafür, daß der Versuch in verschiedenen Händen verschiedene Resultate ergab, lag in einem von beiden Seiten übersehenen Versuchsdetail. Die einen prüften die Wirkimg des erloschenen bedingten Nahrungsreflexes sofort oder nur wenige Minuten, nachdem die Speichelabsonderung des Säurereflexes aufgehört hatte; die anderen dagegen ließen nach dem Säurereflex eine längere Zeit verstreichen und prüften erst dann die Wirkung des erloschenen bedingten Nahrungsreflexes. Als S A W A D S K I diesen Umstand berücksichtigte, (78) war er imstande, beide Tatsachen in ein und demselben Versuch vorzuführen. Hier gebe ich einen dieser Versuche wieder. Zeit

Speichelsekretion (in Tropfen) aus der Submaxillaris Parotis

Reiz

2 h 28' Reiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute Desgl 2 h 40' 2 h 52' 3 h 05' Desgl 3 h 18' 3 h 20' Eingießen von Säurelösung ins Maul des Hundes 3 h 23'50"' Speichelsekretion auf Säurelösung hört auf 3 h 31' Reiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute 3 h 34' Füttern mit Fleischpulver für 1 Minute 3 h 46' Reiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute 3 h 47' Füttern mit Fleischpulver für 1 Minute Reiz auf Distanz durch Meischpulver für 1 Minute 4 h 05' 4 h 15' 4 h 25' 4 h 35' 4 h 45' 4 h 51' Eingießen von Säure ins Maul des Hundes 4 h 54' 20" Aufhören der Speichelsekretion Reiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute 4 h 55'

..

16 9 7 5 0

..

1

12 6 4 5 0 0 —

.. ..

8

10 —



..

9 7 4 1 0

7 6 3 0 0

..

7

5

53

Schwankungen beim Erlöschen bedingter Reflexe

Sie sehen, daß 7 Minuten nach dem Aufhören der Speichelsekretion auf Säure die Wiederherstellung des bedingten Reflexes nur gering ist und nur die eine Speicheldrüse betrifft; nach 40 Sekunden aber ist die Wiederherstellung an beiden Drüsen sehr beträchtlich. Der zeitweilige Charakter der Wiederherstellung kann auch bei anderen Reizen, mit denen wir immer arbeiten, gezeigt werden. Auch diese Reize verursachen unregelmäßige Schwankungen in der gewöhnlich gradlinig absinkenden Kurve des Erlöschens oder auch nach vollständigem Erlöschen. (79) Hier ein anderer Versuch von Zeit

1h 1h 2h 2h 2h 2h 2h

53' 58' 03' 08' 13' 18' 20'

2 h 23' 2 h 28'

SAWADSKI

an einem anderen Hunde.

Reiz

Beiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute Desgl Desgl Derselbe Reiz + mechanischer Hautreiz Derselbe Reiz + Klopfen unter dem Tisch Reiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute Ich trete ins Zimmer, spreche und verlasse das Zimmer nach 2 Minuten Reiz auf Distanz durch Fleischpulver für 1 Minute Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) aus der Submaxillaris Parotis 7 2 0 1 0 0

11 4 0 3 2 0

2 0

5 0

Wie man sieht, haben auch hier sowohl die unmittelbar wirkenden Reize (die ersten beiden Reize) als auch die latente Nachwirkung eines Reizes (der letzte Reiz) eine wiederherstellende Wirkung auf den erloschenen Reflex ausgeübt. In den eben angeführten Versuchen hält die wiederherstellende Wirkung nur einige Minuten an, was mit der kurzen Dauer der Zusatzreize und ihrer kurzen Nachwirkung im Zusammenhang steht. Bei einigen speziellen Zusatzreflexen aber, die ich bei der äußeren Hemmung erwähnt habe und die einen anhaltenden Charakter tragen, läßt sich dementsprechend^ auch die wiederherstellende Wirkung während des ganzen Versuchs zeigen. In diesen Fällen kann dann eine gerade und regelmäßig abfallende Kurve beim Prozeß des Erlöschens oder ein vollständiges und dauerhaftes Erlöschen überhaupt nicht erreicht werden. Weiter muß ich noch auf folgenden wichtigen Umstand hinweisen, der zu diesem Punkte ebenfalls in Beziehung steht. Während unserer ganzen Arbeit haben wir wiederholt ein gleichzeitiges Bestehen mehrerer verschiedener Reflexe beobachten können. In diesem Falle tritt natürlich eine gegenseitige Beeinflussung dieser Reflexe deutlich zutage, und man sieht, wie bald der eine, bald der andere Reflex überwiegt, oder wie sie sich gegenseitig neutralisieren. Wenn man z. B. den mechanischen Hautreiz zu einem bedingten Reiz machen will, so stellen sich diesem Vorhaben oftmals bereits bestehende unbedingte Hautreflexe entgegen; das Tier macht Kratzbewegungen, (80) es versucht, den Reizapparat abzu-

54

VIERTE

VORLESUNG

schütteln und ähnliches, und so kann es bei einigen Tieren, allerdings nur bei wenigen, soweit kommen, daß es ganz unmöglich wird, einen gleichmäßigen und beständigen bedingten Reflex auf mechanische Hautreize zu bilden. Dieselbe Erscheinung läßt sich auch bei hohen Tönen beobachten, die bei gewissen Hunden eine ganz ausgesprochene negative Bewegungsreaktion hervorrufen können. Diese Fälle sind so zu verstehen, daß unbedingte Reflexe als Agenzien aus der Gruppe der äußeren Hemmreize die bedingten Reflexe ständig mehr oder minder hemmen. Dann muß man aber erwarten, daß so hartnäckig bestehende unbedingte Reflexe noch viel stärker und häufiger die regelmäßige Entwicklung des Erlöschens stören, da doch der Prozeß des Erlöschens viel labiler ist als der Erregungsprozeß. Beispiele für solche Fälle und eine ins einzelne gehende experimentelle Analyse werden in einer der nächsten Vorlesungen gebracht werden. Alle angeführten Tatsachen gestatten uns, die besprochene Erscheinung, die zeitweilige Wiederherstellung eines erlöschenden oder eines erloschenen bedingten Reflexes, die zeitweilige Aufhebung der Hemmung, als Enthemmung zu bezeichnen. Diesen Ausdruck wollen wir künftig zur Bezeichnung dieses Prozesses benutzen. Es entsteht aber noch folgende wichtige Frage: Welcher Unterschied besteht denn zwischen der Wiederherstellung eines erloschenen bedingten Reflexes durch Anwendung seines unbedingten Reizes und dem Prozeß, den wir Enthemmung genannt haben ? Es ist nicht schwer, den tatsächlichen Unterschied zwischen diesen beiden Fällen festzustellen. In dem einen Falle sehen wir ein beständiges, in dem anderen nur ein vorübergehendes Wiederkehren der Reflexwirkung; in dem einen Falle wird die Wirkimg durch das spezielle Agens hervorgerufen, mit dem der bedingte Reiz schon vorher verbunden war, im anderen Falle geschieht das unter dem Einfluß völlig fremder Reize. Was nun den Hauptgrund dieses Unterschiedes anbetrifft, so ist es schwer, j a vielleicht sogar unmöglich, sich aus dem Tatsachenmaterial, über das wir gegenwärtig verfügen, darüber Klarheit zu verschaffen. Auch im ersten Falle handelt es sich ja nur um die Beseitigung einer Hemmung, denn jeder Gedanke, der bedingte Reflex könne durch das Erlöschen zerstört sein, wird j a durch die Tatsache ausgeschlossen, daß ein erloschener bedingter Reflex sich früher oder später mit Sicherheit ganz von selbst wiederherstellt. So ist man denn doch gezwungen, einen gewissen Unterschied im Mechanismus selbst zu sehen, durch den der Hemmungsprozeß in diesen beiden Fällen beseitigt wird. (81) Wie soll man sich aber den inneren Mechanismus dieser Enthemmung vorstellen ? Es ist ganz natürlich, daß von einer grundlegenden Erklärung des Prozesses der Enthemmung gar keine Rede sein kann, da wir noch nicht einmal wissen, was Hemmimg und was Erregung ihrem Wesen nach sind. Ich halte es nur für nötig, hier auf die Gegenüberstellung folgender Tatsachen hinzuweisen. Es sind genau dieselben Agenzien, die durch von ihnen hervorgerufene Zusatzreflexe die positiven bedingten Reflexe hemmen und die, wenn ihre reflexerregende Wirkung an und für sich nur schwach oder durch Wiederholung geschwächt ist,

Die Enthemmung erloschener bedingter Reflexe

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die Enthemmung der erloschenen bedingten Reflexe hervorrufen. (Diesbezügliche Tatsachen werden wir in der nächsten Vorlesung bringen.) Stützt man sich auf diese Erwägung, so hat man einen, sozusagen ganz schematischen, rein logischen Grund, die Enthemmimg als eine Hemmung der Hemmung anzusehen, eine Ausdrucksweise, die wir früher auch angewandt haben. Man muß sich aber dessen bewußt sein, daß dies natürlich noch keine Erklärimg ist. Das wichtigste Ergebnis aus all dem Versuchsmaterial, das ich Ihnen in dieser Vorlesung mitgeteilt habe, ist also folgendes: Der positive bedingte Reiz kann ziemlich rasch, sozusagen akut, aber dennoch stufenweise in einen negativen bedingten Reiz, in einen hemmenden Reiz übergeführt werden. Wir haben es also stets sowohl mit positiven als" auch mit negativen bedingten Reflexen zu tun. (82)

FÜNFTE

VORLESUNG

2. D I E I N N E R E H E M M U N G b) DIE BEDINGTE HEMMUNG Meine Damen und Herren! I n der vorigen Vorlesung sind wir mit dem ersten Fall von innerer Hemmung, mit dem Prozeß des Erlöschens, bekannt geworden. Wir verstehen d a r u n t e r die zeitweilige Umwandlung eines positiven bedingten Reizes in einen negativen, in einen hemmenden Reiz. Um das zu erreichen, mußte der entsprechende bedingte Reflex in kurzen, Minuten dauernden Zeiträumen wiederholt werden, ohne daß auf ihn der unbedingte Reflex folgte. Heute will ich zu einem zweiten Fall von innerer Hemmung übergehen, den wir ebenfalls in allen Einzelheiten untersucht haben. Ich beschreibe Ihnen zuerst unseren Grundversuch. Nehmen wir an, wir haben einen gut ausgearbeiteten positiven bedingten Reiz. Zu diesem Reiz fügen wir nun ein neues Agens hinzu und reproduzieren diese Kombination immer wieder, ohne einmal, und sei es auch in großen Abständen von Stunden oder Tagen, den unbedingten Reiz folgen zu lassen. Der allein wirkende bedingte Reiz wird aber immer bekräftigt. Die Kombination aus den beiden Reizen fängt nun allmählich an, unwirksam zu werden, d . h . , unser bedingter Reiz hat, wenn er in Verbindung mit dem Zusatzreiz wirkt, seine Wirkimg verloren, wogegen er, allein angewandt, die frühere Wirkungsstärke zeigt. Diese Erscheinung nennen wir bedingte Hemmung. Die Bezeichnung ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt, denn auch das Erlöschen ist eine bedingte Hemmung, weil es ebenfalls durch eine spezielle Ausarbeitimg unter ganz bestimmten Bedingungen entsteht. Ein Rückblick auf die Geschichte, wie diese Tatsache entdeckt wurde, mag diese Bezeichnung rechtfertigen. Da es sich hier u m das Hinzutreten, um die Mitwirkung eines neuen äußeren Agens handelt, haben wir in der ersten Zeit diese Erscheinung m i t der äußeren Hemmung für identisch gehalten und erst viel später, als die N a t u r (83) dieser Erscheinung als eine innere Hemmung klargestellt war, wurde sie zum Unterschied von der äußeren Hemmung mit dem Adjektiv „bedingt" versehen. Sie werden später sehen, daß es besser gewesen wäre, diese Erscheinung als „Differenzierungshemmung" zu bezeichnen. Die Ausarbeitung der bedingten Hemmung bietet dadurch ein, ganz besonderes Interesse, daß sie uns die vielseitige Kompliziertheit der Erscheinungen, mit

57

Die bedingte Hemmung

denen wir es hier zu tun haben, klar vor Augen führt. Andererseits zeigt sie uns aber auch zugleich die Möglichkeit, durch Versuche in diese so sehr komplizierten Verhältnisse Licht und Klarheit zu bringen und sich in ihnen zurechtzufinden. Ich halte es daher für nützlich, diesen Punkt etwas genauer zu behandeln. Beim Ausarbeiten der bedingten Hemmung treten vor allem höchst eigenartige zeitliche Beziehungen in bezug auf das Zusammentreffen des bedingten Reizes mit dem Zusatzreiz hervor. Wenn das Agens des Zusatzreizes einige Sekunden (3 bis 5 Sekunden) früher beginnt als der bedingte Reiz (unser gewöhnlicher Fall) oder gleichzeitig mit ihm oder auch einige Sekunden nach ihm einsetzt und dann eine gewisse Zeitlang beide Reize gleichzeitig wirken, so entwickelt sich die bedingte Hemmung ziemlich leicht. Wenn aber der Zusatzreiz in dem Augenblick aufhört, in dem der bedingte Reiz einsetzt, so bringt die bedingte Hemmung in vielen Fällen eine merkliche Belastung für das Nervensystem des Tieres mit sich. Das Tier wird unruhig und vollführt verschiedene Abwehrreaktionen. Wenn man aber zwischen das Ende des Zusatzreizes und den Anfang des bedingten Reizes eine Pause von ein paar Sekunden einschaltet, so wird überhaupt keine Wirkung sichtbar. Wenn man diese Pause auf ungefähr 10 Sekunden vergrößert (der gewöhnlichste Fall), so wird das Zusatzagens zu einem bedingten Reiz, wie das schon früher mitgeteilt worden ist 1 ); das ist dann der Vorgang, mit dessen Hilfe sich bedingte Reflexe zweiten Grades bilden lassen. Nur wenn man ein ganz ungemein starkes Agens als Zusatzreiz benutzt, z.B. eine Autohupe, kann sich die bedingte Hemmung auch noch bei einem Zwischenraum von 20 Sekunden bilden. Ich führe hier einen Versuch aus einer Arbeit von F R O L Ö W an. Eine Autohupe wirkt 10 Sekunden lang und ist von einem bedingten Nahrungsreiz, dem Ticken des Metronoms, (84) durch eine Pause von 10 Sekunden getrennt. Die erste Anwendung der Autohupe hatte auf die Größe des bedingten Reflexes absolut keine Wirkung. Dann aber verlängerte man die Zwischenzeit auf 20 Sekunden und wiederholte diese Kombination immer wieder, ohne den bedingten Reiz zu bekräftigen. Das führte allmählich zu einer Herabsetzimg der Metronomwirkung. Versuch vom 28. Dezember 1924: Die Autohupe wird zum zweiten Male angewandt. Zeit 1h 1h 1h 1h

41' 48' 48' 10" 48' 30"

!) s. S. 27 (dt.

Reiz Ticken des Metronoms Autohupe Pause Ticken des Metronoms

Red.)

Dauer des Reizes (in Sekunden) 30 10 20 30

Speichelsekretion (in Tropfen) 9

0 0 6

58

FÜNFTE

VORLESUNG

Versuch vom 21. Januar 1925: Die Autohupe wird zum 13. Male angewandt. Zeit lh 2h 2h 2h

Dauer des Reizes (in Sekunden)

Reiz

58 Ticken des Metronoms 09' Autohupe 09' 10" Pause 09' 3 0 " Ticken des Metronoms

..

20 10 20 30

Speichelsekretion (in Tropfen) 8,5 0 0 1

Es muß betont werden, daß die oben angegebenen Zeitverhältnisse Mittelwerte sind, die j e nach der Stärke der Zusatzagenzien gewisse Schwankungen zeigen. So sehen wir in diesem Fall ein höchst interessantes Zusammentreffen von Erregungs- und Hemmungsprozessen. Wie ist ein so sehr verschiedener Ablauf der Erscheinungen unter scheinbar so wenig verschiedenen Bedingungen zu verstehen ? Wir haben uns zur folgenden Auffassung der geschilderten Tatsachen entschlossen und stützen uns dabei auf ihre Ubereinstimmung mit unserem übrigen Tatsachenmaterial. Wenn das Zusatzagens und der bedingte Reflex zeitlich genau oder auch nur ungefähr zusammenfallen, d. h., wenn im letzteren Falle noch die frischen Spuren des Zusatzagens wirken, so bilden sie zusammen einen neuen besonderen Reiz, der zum Teil dem bedingten Reiz gleicht, (85) zum Teil aber auch von ihm verschieden ist. In der siebenten Vorlesung werden wir aber sehen, wie einander ähnliche Reize, z. B. nahe Töne oder verschiedene Stellen der Haut usw., von denen einer zu einem bedingten Reiz gemacht wird, auch schon von selbst eine bedingte Reizwirkung äußern und wie sie dann, bei systematischer Wiederholung, ohne Bekräftigung diese Wirkung einbüßen und zu Hemmreizen werden. Das wäre also in unserem Falle die Phase der Entwicklung einer bedingten Hemmung. Wenn aber das Zusatzagens vom bedingten Reiz zeitlich mehr oder weniger entfernt ist, d.h., wenn ein Verschmelzen beider Agenzien zu einem Reize sehr erschwert oder gar unmöglich gemacht ist, dann findet der ganz gewöhnliche Prozeß der Bildung eines bedingten Reizes aus dem Zusatzreiz statt, wobei der alte bedingte Reiz genau die Rolle übernimmt, die in gewöhnlichen Fällen bei der Hauptmasse der bedingten Reflexe den unbedingten Reizen zukommt. Wenn man dieser Ansicht beistimmt, so ist es leicht zu verstehen, warum die Zwischenzeit vom Zusatzagens bis zum bedingten Reiz beim Entstehen der inneren Hemmung um so länger sein kann, je stärker das Zusatzagens ist. Ein starkes Agens hinterläßt eine längere Nachwirkung, die auch noch bei einer längeren Zwischenzeit mit dem bedingten Reflex verschmelzen kann und so imstande ist, mit ihm eine gemeinsame besondere Wirkung auf das Nervensystem auszuüben. Mag nun unsere Erklärung richtig oder falsch sein, das Verfolgen dieser Erscheinungen an und für sich liefert uns ein für den Experimentator sehr ermutigendes Beispiel dafür, wie sich auch in einem so äußerst komplizierten Falle von zentraler Nerventätigkeit doch gewisse Gesetzmäßigkeiten enthüllen lassen. Es muß aber erwähnt werden, daß sich neben diesem gewöhnlichen Ablauf der Erscheinungen bisweilen Fälle finden, bei denen an normalen, intakten Hunden ebenso wie an Hunden, die einem operativen Eingriff im Bereich der

Die bedingte Hemmung

59

Großhirnhemisphären, unterzogen worden sind, bei offensichtlich erhöhter Erregbarkeit des Nervensystems und bei Vollkommen gleichzeitiger Wirkung des Zusatzagens und des bedingten Reizes deutlich und für lange Zeit die Bildung eines sekundären bedingten Reflexes stattfindet und nicht die Entwicklung einer bedingten Hemmung, wie man es doch unter den gegebenen Versuchsbedingungen erwarten sollte; ja, es kann auch vorkommen, daß beide Erscheinungen gleichzeitig nebeneinander vorhanden sind. Ich führe einen solchen Fall aus einer Arbeit von N. A. KASCHEKININOWA an. Ein mechanischer Hautreiz ist bedingter Säurereiz, das Ticken des Metronoms (86) bildet den Zusatzreiz für die Hemmkombination. Der bedingte Reiz hat allein eine Wirkungsstärke von 29 Tropfen in einer Minute. Als die Hemmkombination zum 25. Male angewandt wurde, gab sie bei einer Wixkungsdauervon einer Minute nur 3 Tropfen. Nach der 34. Wiederholung der Hemmkombination wurde das Ticken des Metronoms allein auf seine Wirkung geprüft. Dieser Reiz rief eine Speichelsekretion von 8 Tropfen hervor, obwohl er vor seiner Anwendung in der Hemmkombination überhaupt keine speicheltreibende Wirkung gehabt hatte. Vielleicht kommt dieselbe Erscheinung in sehr schwacher und flüchtiger Form viel öfter vor. Der ganze Gang der Entwicklung einer bedingten Hemmung ist ebenfalls sehr verschieden. In dem einen Fall kann das erste Zusammentreffen eines Zusatzreizes mit einem positiven Reflex sofort eine Verminderung oder sogar ein Verschwinden des bedingten Reflexes verursachen; bei Wiederholung dieser Kombination stellt er sich wieder her, um dann aufs neue ganz allmählich auf Null abzusinken. Bei anderen Zusatzagenzien aber kann die Sache umgekehrt damit anfangen, daß die Kombination beider Reize im Vergleich zur gewöhnlichen Wirkung des bedingten Reizes eine wesentlich stärkere Wirkung ergibt; erst beim Wiederholen des kombinierten Reizes beginnt seine Wirkung allmählich nachzulassen, bis sie schließlich ganz ausbleibt. Bei einer weiteren Variation kann es vorkommen, daß die anfängliche Verminderung der bedingten Wirkung durch den Zusatzreiz einer Erhöhung der Wirkung im Vergleich zur Norm Platz macht und erst dann der allmähliche Abfall der Wirkung beginnt, bis die ständige Null Wirkung erreicht ist. Was bedeutet das und wovon hängen diese Variationen ab 1 Es hat sich gezeigt, daß diese Variationen von der Intensität der Reflexe abhängen, die der Zusatzreiz hervorruft. Die zu Anfang sofort auftretende Verminderung der Wirkung der Kombination bildet zweifellos den Prozeß der äußeren Hemmung. Nehmen wir an, der Zusatzreiz ruft einen starken Orientierungsreflex hervor; dann wird er auch von Hause aus den positiven bedingten Reflex hemmen. Ein anderer Zusatzreiz, der nur von einem schwachen Orientierungsreflex begleitet wird, wird dazu führen, daß die Folge der Erscheinungen mit einer verstärkten Wirkung des kombinierten Reizes beginnt; das ist dann zweifellos eine Enthemmung, denn bei unseren gewöhnlichen bedingten Reflexen gibt es zu Beginn der Wirkung des bedingten Reizes eine Phase der inneren Hemmung, die (87) durch den schwachen Orientierungsreflex aufgehoben wird. Mit dieser Phase werden wir in der nächsten Vorlesung näher bekannt werden, wo der dritte Fall der inneren Hemmung

60

FÜNFTE

VORLESUNG

besprochen •werden soll. Daß die Wirkung der Kombination von bedingtem Reiz und Zusatzreiz zuerst verringert ist und erst dann von einer Verstärkung abgelöst wird, hat seinen Grund darin, daß durch Wiederholung des Zusatzreizes die Reflexe, die durch diesen Reiz hervorgerufen werden, bedeutend abgeschwächt werden. Diese Reflexe des Zusatzreizes werden also zuerst den bedingten Reflex hemmen, ihn aber enthemmen, wenn sie selbst an Stärke nachlassen. Genauer werden wir das noch am Ende der heutigen Vorlesung sehen. Alle möglichen Agenzien der Außenwelt können als Zusatzreize zur Entwicklung einer bedingten Hemmung dienen; es kommen dabei natürlich nur solche Agenzien in Betracht, für die das Tier entsprechende rezeptorische Körperoberflächen hat. In den Protokollen unserer weiteren Versuche werden wir noch viele Beispiele dafür kennenlernen. Die Zusatzagenzien können, wie oben erwähnt, nicht nur dann als bedingte Hemmreize dienen, wenn sie gleichzeitig mit dem bedingten Reiz wirken, sondern auch in Form von möglichst frischen Reizspuren, d.h., wenn das Ende des Zusatzreizes fast unmittelbar in den bedingten Reiz übergeht. W i e ich schon gezeigt habe, ist es nur bei sehr starken Agenzien möglich, auch bei größerem Intervall eine bedingte Hemmung auszuarbeiten. Wenn aber die Hemmkombination vollständig ausgearbeitet ist, dann ist auch ein sehr großes zeitliches Abrücken des Zusatzreizes vom bedingten Reiz möglich; die Hemmwirkung der Kombination kann dabei selbst nact einer Minute noch erhalten sein. Es sind auch Versuche gemacht worden, die Zeit als Agens der inneren Hemmung zu benutzen. Ich lasse hier die Beschreibung eines Versuches von K . N . K R S H Y S C H K O W S K I folgen. Bei einem Hunde war ein Ton bedingter Säurereiz und die mechanische Reizung einer bestimmten Hautstelle ein Zusatzreiz, der den Säurereflex bedingt hemmte. Diese bedingte Hemmung wurde nun im Verlauf einer langen Zeit aus besonderen Gründen nur immer 19 bis 20 Minuten nach der Säureeingießimg angewandt. Hieraus entwickelte sich dann folgende Sachlage: Wenn der Ton, selbst ohne mechanischen Hautreiz, 19 oder 20 Minuten nach dem Eingießen von Säure angewandt wurde, ergab sich nur eine minimale oder gar keine Speichelsekretion. (88) Zwischenzeit zwischen den bedingten Reizen, die bekräftigt werden (in Minuten)

Speichelsekretion (in Tropfen)

13 12 19 33 19 33

9 14 0 11 3 8

D i e bedingte H e m m u n g

61

Die Geschwindigkeit, mit der sich die bedingte Hemmung ausarbeiten läßt und auch ihre Stärke (vollständige oder nur teilweise Hemmung) hängen von einer Reihe Von Bedingungen ab. An erster Stelle ist hier die Individualität des Versuchstieres, der Typ seines Nervensystems zu nennen; er kann leicht erregbar, gut ausgeglichen oder leicht hemmbar sein. Bei einigen Hunden kann sich die Ausarbeitung der Hemmung über eine sehr lange Zeit hinziehen, und es kann auch vorkommen, daß eine vollständige Hemmung überhaupt nicht erreicht wird. Bei anderen Hunden dagegen entsteht schon nach wenigen Wiederholungen der Hemmkombination eine vollständige, dauerhafte Hemmung. Einen deutlichen Einfluß hat auch die Intensität des Zusatzreizes. So sahen wir bei einem Hunde (Versuch von G. W.MISCHTOWT), bei dem das Ticken des Metronoms zu einem bedingten Säurereiz gemacht worden war, daß ein Temperaturreiz an der Haut (4 bis 5° C) in der bedingten Hemmkombination erst nach etwa 30maliger Wiederholung anfing, eine Hemmung hervorzurufen; eine vollständige Hemmung wurde auch nach 145 Wiederholungen nicht erreicht. Nach einer 4 Monate langen Unterbrechung des Versuches wurde eine Temperatur Von 1° C angewandt und mit dieser nach 12 Wiederholungen eine vollständige Hemmung erreicht. Aber auf dieses Ergebnis hat auch die relative Stärke der beiden Reize, des bedingten Reizes und des Zusatzreizes, einen ganz entscheidenden Einfluß. So läßt sich z.B. aus einer Temperatur von 45° C als Hautreiz keine absolute Hemmkombination mit einem bedingten Reflex auf das Ticken des Metronoms ausarbeiten, wogegen derselbe Reiz am gleichen Tier leicht zu einem Hemmreiz für einen bedingten Lichtreiz gemacht werden kann (Versuch von FTJRSIKOW).

Schließlich. beansprucht noch folgende Tatsache unsere Aufmerksamkeit. Unter sonst völlig gleichen Bedingungen erfordert bei jedem Versuchshunde das Ausarbeiten der ersten bedingten (89) Hemmung gewöhnlich viel mehr Zeit, als die Ausarbeitung weiterer Hemmungen. Bis jetzt habe ich von einer bedingten Hemmimg gesprochen, ohne aber irgendwelche Beweise dafür zu geben, daß es sich dabei tatsächlich um eine Hemmung handelt und nicht lediglich um ein Verschwinden der Reizwirkimg bei ständig fehlender Bekräftigung durch den unbedingten Reiz. Solche Beweise werden sich nach und nach aus dem Material ergeben, das wir zu dieser Frage gesammelt haben und das ich Ihnen jetzt mitteilen will. Nehmen wir den ersten Beweis! Als was haben wir das Zusatzagens zu betrachten, durch dessen Beteiligung die bedingte Hemmung hervorgerufen wird ? Worin besteht die eigentliche Funktion dieses Reizes ? Diese Frage kann natürlich nur dadurch beantwortet werden, daß man die Wirkung dieses Agens unter anderen Versuchsbedingungen untersucht. Wird das Zusatzagens dann, wenn sich schon eine vollständige bedingte Hemmung entwickelt hat, für sich allein angewandt, so ruft es keinerlei sichtbare Wirkung hervor. Wenn es aber in Kombination mit anderen bedingten Reizen angewandt wird, mit denen es früher niemals gleichzeitig gewirkt hat, dann tritt seine Rolle ganz deutlich hervor. Diese anderen bedingten Reize erleiden, wenn

62

FÜNFTE

VORLESUNG

man zu, ihnen das Zusatzagens einer Hemmkombination hinzufügt, sofort eine deutliche Abnahme ihrer Wirkung. Diese Wirkung zeigt sieh nicht nur an gleichartigen Reflexen, d.h. an solchen, die mit demselben unbedingten Reiz gebildet worden sind, sondern auch an andersartigen bedingten, j a sogar an unbedingten Reflexen. Hier die entsprechenden Versuche. Bei einem Hunde wurden drei bedingte Nahrungsreflexe gebildet: auf das Aufleuchten einer elektrischen Lampe vor den Augen des Hundes, auf die Bewegung einer Drehscheibe und auf den Ton eis einer Orgelpfeife. Zum bedingten Reflex auf die Drehscheibe wurden unabhängig voneinander zwei verschiedene bedingte Hemmungen ausgearbeitet: eine bedingte Hemmung auf einen mechanischen Hautreiz und eine auf das Ticken eines Metronoms (Versuch von N . I . LEPORSKI).

I. Zeit 1 h 38' 1 h 50' 2 h 14' 2 h 25' 2 h 43'

Keiz für 1 Minute Bewegung der Drehscheibe Aufleuchten der Lampe Aufleuchten der Lampe + mechanischer Hautreiz Drehscheibe wird durch Fütterung bekräftigt Drehscheibe + mechanischer Hautreiz

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 16 17 2

(90)

0

II.

1 h 30' 1 h 40' 1 h 54' 2 h 03' 2 h 23'

Ton eis + Ticken des Metronoms Ton eis Bewegung der Drehscheibe Drehscheibe wird durch Fütterung bekräftigt Drehscheibe + Ticken des Metronoms

3 20 18 0

I m ersten Versuch hat der mechanische Hautreiz zum ersten Male mit dem Aufleuchten der Lampe zusammengewirkt, und Sie sehen, die Hemmwirkung ist, wenn auch nicht vollständig, so doch sehr stark. I m zweiten Versuch sehen Sie dieselbe Wirkung durch das Ticken des Metronoms hervorgerufen, das zum ersten Male zum Ton eis hinzugefügt wird. So sehen wir, daß ein Agens, das als bedingter Hemmer eines bedingten Reflexes ausgearbeitet worden ist, bei der ersten Begegnung auch andere bedingte Reflexe hemmt, die durch denselben imbedingten Reiz gebildet worden sind. Genau dieselbe Wirkung kann aber ein ausgearbeiteter bedingter Hemmreiz bei der ersten Einwirkung auch auf andersartige bedingte Reflexe ausüben, d.h. auf solche, die ihre Entstehung einem anderen unbedingten Reflex verdanken. Ein Versuchshund hat einen bedingten Nahrungsreflex auf das Ticken eines Metronoms; das Ertönen eines Pfiffes ist Zusatzreiz der Hemmkombination mit dem Ticken des Metronoms; ein mechanischer Hautreiz stellt einen bedingten Säurereflex dar (Versuche von B A B K I N ) .

63

Die bedingte Hemmung

Zeit

Reiz für 1 Minute

3 h 08' 3 h 15'

Mechanischer Hautreiz Desgl

3 h 25'

Mechanischer Hautreiz und Pfeifen

3 h 30'

Mechanischer Hautreiz

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 3 8 | Tropfen^* 11

(91)

Was nun die Stärke der bedingten Hemmung bei Versuchen mit Reflex kombinationen betrifft, so hängt sie von der Intensität der komplexen Reflexe ab, die man der Hemmwirkimg aussetzt. Ich will auch hierfür einen Versuch aus einer Arbeit von LEPORSKI anführen. Ein Hund hatte drei verschiedene bedingte Nahrungsreflexe, und zwar auf die Bewegung der Drehscheibe, auf das Aufleuchten einer Lampe und auf einen Ton. Aus einem mechanischen Hautreiz wurde einzeln ein bedingter Hemmreiz für einen jeden dieser drei Reflexe ausgearbeitet. Dabei war für jede dieser drei einzelnen Reflexkombinationen die Hemmung vollständig, kein einziger Tropfen Speichel kam zur Absonderung. Wurden alle drei Reize gleichzeitig angewandt, so verursachte das eine viel stärkere Speichelsekretion als bei dem stärksten der Einzelreize.

Zeit

1 2 2 2 2

h h h h h

40' 00' 10' 27' 51'

Reiz für 1 Minute

Ton Ton, Drehscheibe und Lampe gleichzeitig Drehscheibe Komplexreiz + mechanischer Hautreiz Drehscheibe und mechanischer Hautreiz

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 21 32 23 9 0

Der bedingte Hemmreiz, der jeden Reflex, einzeln genommen, vollständig hemmte, konnte den Komplex aus allein drei Reizen, der einen stärkeren Reiz darstellte, nur teilweise hemmen. Aus den angeführten Versuchen muß mit vollem Recht der Schluß gezogen werden, daß es das Zusatzagens ist, das im Falle der bedingten Hemmung die Hemmwirkung ausübt, daß dieses Agens also zu einem wirklichen bedingten Hemmer geworden ist; diese Bezeichnung wollen wir künftig für derartige Reize verwenden. Es ist selbstverständlich, daß die gleiche hemmende Wirkung auch bei Anwendung der vollen Hemmkombination stattfindet, wobei diese Hemmwirkung noch lange bestehen kann, nachdem die Reizung selbst aufgehört hat. Diese Nachhemmung kann Minuten dauern, aber auch einige Viertelstunden fortbestehen,

64

FÜNFTE

VORLESUNG

und sie kann nicht nur an einem einzeln angewandten bedingten Reiz gesehen werden, der zur Hemmkombination gehört, (92) sondern auch an allen übrigen, ja selbst an andersartigen bedingten Reizen. Hierzu einige Versuche. I. Bei einem Hunde stellt die rotierende Drehscheibe einen bedingten Nahrungsreiz dar, ein Ton der Halbtonpfeife mit 30 000 Schwingungen ist ein bedingter Hemmer (Versuche von P . N . N I K O L A J E W ) . Zeit

3h 3h 3h 3h 4h

05' 26' 38' 58' 10'

Reiz für 1 Minute

Bewegung der Drehscheibe Desgl Bewegung der Drehscheibe + Ton Bewegung der Drehscheibe Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 7 6 0 1 2

Nach dem Aufhören der Hemmkombination war der bedingte Reiz aus dieser Kombination nach mehr als 30 Minuten immer noch abgeschwächt. II.

Bei einem Hunde stellt die rotierende Drehscheibe einen bedingten Säurereiz dar, ein Ton ist bedingter Nahrungsreiz und eine mechanische Hautreizung der bedingte Hemmer des letzteren (Versuche von N. P . P O N I S O W S K I ) . Zeit

12 h 12 h 12 h 12 h

23' 32' 46' 48'

Reiz für 30 Sekunden

Bewegung der Drehscheibe Desgl Mechanischer Hautreiz + Ton Bewegung der Drehscheibe

Speiehelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 5 12 0 1

Hier erweist sich ein andersartiger bedingter Reflex als nachgehemmt. (93) Genauso wie die volle Hemmkombination ruft der bedingte Hemmer, auch wenn er allein angewandt wird, eine Nachhemmung hervor. Nun noch zwei Einzelheiten zu diesem Punkt. Man kann diese Nachhemmung auch durch Summation verstärken. Wenn wir die Hemmkombination nicht einmal, sondern mehrere Male nacheinander anwenden, so nimmt dieNachhemmung an Stärke zu, und zwar um so mehr, je öfter die Hemmkombination wiederholt wird.

Die bedingte Hemmung

65

Versuch: Das Ticken eines Metronoms ist bedingter Nahrungsreiz, die Bewegung der Drehscheibe bedingter Hemmer dieses Reizes (Versuche von O . M . TSCHEBOTAREWA).

Zeit

3h 3h 3h 3h 4h

32' 40' 50' 52' 04'

Beiz für 30 Sekunden

Ticken des Metronoms Desgl Metronom + Bewegung der Drehscheibe Ticken des Metronoms Desgl -

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 5 6 0 3 5

Versuch mit demselben Hunde am nächsten Tage. 12 h 1h 1h 1h 1h 1h

59' 06' 15' 19' 25' 32'

Ticken des Metronoms Desgl Metronom + Bewegung der Drehscheibe Desgl Ticken des Metronoms Desgl

7 8 1 0 2 6

Am ersten Versuchstage war die Anfangsgröße des bedingten Reflexes kleiner; aber 1 y2 Minuten nach der Hemmkombination angewandt, war der bedingte Reflex nur um die Hälfte verringert (3 Tropfen statt der ursprünglichen 6). Am zweiten Tage wurde die Hemmkombination zweimal angewandt, und noch 5y2 Minuten danach war der bedingte Reflex viermal kleiner als zu Beginn des Versuchstages (2 Tropfen statt 8). Noch eine zweite Tatsache, die sich auf die Nachhemmung bezieht, ist von großer Wichtigkeit: wenn die Hemmkombination in einer Reihe von Versuchen wiederholt wird, so wird die Dauer der Nachhemmung (94) immer kürzer. Anfangs kann die Nachhemmung noch 20 bis 30 Minuten und länger anhalten, sie geht aber schließlich auf einige Minuten, ja selbst auf Sekunden zurück. Hier ein Versuch aus einer Arbeit von N I K O L A J E W vom 2 . Juni 1 9 0 9 . Die Bewegung der Drehscheibe ist bedingter Nahrungsreiz, ein Ton bedingter Hemmer dieses Reizes. Zeit

3h 3h 3h 3h 4h 5/IV

05' 26' 38' 58' 10'

Reiz für 30 Sekunden

Bewegung der Drehscheibe Desgl Bewegung der Drehscheibe + Ton Bewegung der Drehscheibe Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 7 6 0 1 2

66

FÜNFTE

VOBLESUNG

Versuch am gleichen Hund am 10. Januar Zeit 2 h 16' 2 h 37' 2 h 41'

Reiz für 30 Sekunden

1910 Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Bewegung der Drehscheibe Bewegung der Drehscheibe + Ton Bewegung der Drehscheibe

8 0 12

Was nun die planmäßige Zerstörung der Wirkung der Hemmkombination und des bedingten Hemmers betrifft, so ist diese Erscheinung im ganzen recht kompliziert und von uns bisher von experimenteller Seite aus noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Ich will hier hur die sicher festgestellten Beziehungen mitteilen. Um die Hemmwirkung einer Kombination rasch vollständig zu zerstören, muß man natürlich ein Verfahren einschlagen, das dem Vorgang, durch das die bedingte Hemmwirkung entsteht, direkt entgegengesetzt ist, d.h., man muß jedesmal nach Wirkung der Hemmkombination den unbedingten Reiz des gegebenen Reflexes folgen lassen. Wir führen einen Versuch von K R S H Y S C H K O W S K I an. Der Ton einer Orgelpfeife ist bedingter Säurereiz, ein mechanischer Hautreiz Hemmer dieses Reflexes. Zeit 10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11 h 12 h 12 h

43' 67' 09' 23' 35' 49' 03' 25'

Reiz für 1 Minute Ton Ton und mechanischer Hautreiz Desgl Desgl Desgl Desgl Desgl Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 10 0 0 1 3 5 10 14

Bemerkungen

(95) Bekräftigt durch Eingießen von Säure

Es ist äußerst interessant, daß ein regelmäßiges Abwechseln des oben angeführten Verfahrens der Zerstörung des bedingten Reflexes einer gegebenen Kombination mit seiner üblichen Bekräftigung den Verlauf der Zerstörung der Hemmwirkung sehr stark verlangsamt. Diese Tatsache soll später im einzelnen untersucht und analysiert werden1). Neben dieser allmählichen Abschwächung der Hemmwirkung der Hemmkombination gibt es auch noch eine schnelle Zerstörung der Hemmkombination, die rasch auftritt und ebenso rasch verschwindet. Wenn während der Wirkung der Hemmkombination auf das Versuchstier Reize einfallen, die Von uns zur Gruppe der sogenannten äußeren Hemmer, und zwar zu den erlöschenden Hemmreizen mittlerer Stärke gerechnet werden, so zeigt die Hemmkombination eine mehr oder weniger starke positive Wirkung, die ja. ihrer einen Komponente, dem bedingten Reiz, bei Einzelanwendung zukommt. ») s. S. 157 (dt. Red.)

Die Zerstörung der bedingten Hemmung

67

Durch ein Agens der erlöschenden Hemmung ist also die Hemmwirkung des kombinierten Reizes beseitigt worden, d.h., wir treffen auch hier dieselbe Erscheinung, mit der wir schon beim Erlöschen der bedingten Reflexe bekannt geworden sind, die Erscheinung der Enthemmung. Ich gebe hier einige Versuche aus einer Arbeit von N I K O L A J E W wieder, die diese Verhältnisse erläutern. Die Drehscheibe ist bedingter Nahrungsreiz, ein Ton bedingter Hemmer dieses Reizes. Das Ticken des Metronoms, der mechanische und der thermische Hautreiz diese sind Zusatzreize. Versuch vom 16. Dezember Zeit

2 2 2 2 3 3

h h h h h h

12' 30' 37' 53' 05' 25'

1909 Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute

Reiz für 1 Minute

Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung

der Drehscheibe der Drehscheibe + Ton + Metronom der Drehscheibe + Ton der Drehscheibe der Drehscheibe + Ton der Drehscheibe

10 5 0 7 0 8

(96)

Versuch vom 21. Dezember 1909 2 2 2 3 3 3

h h h h h h

25' 47' 57' 12' 21' 36'

Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung

der der der der der der

Drehscheibe Drehscheibe + Ton mechanischer Hautreiz Drehscheibe + Ton Drehscheibe Drehscheibe + Ton Drehscheibe

...

12 3 0 8 0 8

Versuch vom 22. Dezember 1909 2 h 37' 2 h 55' 3 h 04' 3 h 16' 3 h 31'

Bewegung Bewegung (50° C) Bewegung Bewegung Bewegung

der Drehscheibe der Drehscheibe +

Ton +

der Drehscheibe + Ton der Drehseheibe der Drehscheibe + Ton

thermischer Hautreiz

9 7 0 11 0

Wir sehen, daß die Anwendung neuer Reize, Ticken des Metronoms, mechanischer Hautreiz und Wärmereiz, während ihrer Wirkung stets die Hemmfunktion der Hemmkombination beseitigt, so daß diese Kombination mehr oder weniger ihre ursprüngliche positive Wirkung wiedergewinnt. Sehr interessant ist folgender Versuch am gleichen Hunde. Um ein ganz neues Enthemmungsagens anzuwenden, wurde der Hund in ein anderes Versuchszimmer gebracht, wo ein Apparat zum Verbreiten von Gerüchen aufgestellt war. Dieser 5*/IV

68

FÜNFTE

VORLESUNG

Apparat wirkte nicht nur dadurch, daß er als neuer Gegenstand vor den Augen des Hundes auftauchte, sondern auch durch den Lärm des elektrischen Motors und dadurch, daß der Hund ständig von einem Luftzug umströmt wurde. Es war also ein ganzer Komplex von neuen, vorher nie angewandten Reizen, denen der Hund jetzt während der ganzen Versuchszeit ausgesetzt war. Hier der entsprechende Versuch. E r wurde am Tage nach dem letztgenannten Versuche durchgeführt, am 23. Dezember 1909. (97)

Zeit

1h 1h 1h 1h 1h 1h 1h 2h 2h 2h

02' 18' 25' 31' 40' 48' 58' 06' 20' 28'

2 h 35' 2 h 53' 3 h 07'

Reiz für 1 Minute

Bewegung Bewegung Desgl Bewegung Bewegung Desgl Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung

der Drehscheibe der Drehscheibe + Ton der Drehscheibe der Drehscheibe + Ton der der der der

Drehscheibe Drehscheibe + Ton Drehscheibe Drehscheibe + Ton

Bewegung der Drehscheibe Bewegung der Drehscheibe + Ton + Kampfergeruch Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minuten 14 9 6 11 4 2 7 1 7 Kein voller Tropfen 6 6 Kein voller Tropfen

Der ganze Komplex neuer Reize enthemmte die Hemmkombination, aber die Wirkung dieser Nebenreize auf das Tier wurde immer schwächer; anderthalb Stunden nach Beginn des Versuches war ihre Wirkung ganz verschwunden. Das ist auch dann oft der Fall, wenn neue Zusatzreize angewandt werden, die als äußere Hemmer wirken. Es muß noch betont werden, daß wir es in diesem Falle mit einem Hunde zu tun hatten, der sich schon sehr lange im Laboratorium befand und der während vieler Versuche sehr vielen und mannigfachen Einflüssen ausgesetzt worden war, so daß Veränderungen und Neuerungen in der Umgebung auf ihn fast gar keinen Einfluß mehr hatten; wenn sie jedoch irgendeine Wirkung hatten, so war diese stets nur von kurzer Dauer. Dieser Hund wurde gegen solche Veränderungen der Umgebung in ganz kurzer Zeit vollständig indifferent. Daher ist die erste Wirkung der neuen Umgebung eine Enthemmung. Dasselbe sehen wir auch bei der Reizung durch Kampfer. Nur bei seiner ersten Anwendung hat der Kampfergeruch die Hemmkombination enthemmt, bei seiner nächsten Anwendung war er schon für das Tier indifferent. Ganz anders verlief der Versuch von N I K O L A J E W an einem anderen Hunde, der wohl ein Neuling im Laboratorium war, vielleicht auch seinem Nervensystem nach einem anderen Typ angehörte. Er war leichter hemmbar.

Die Enthemmung bedingter Hemmreize

69

Versuch vom 15. Februar 1910. Die Drehscheibe ist bedingter Nahrungsreiz; ein Ton bedingter Hemmer dieses Reflexes. Das Metronom wird als Zusatzreiz angewandt. (98) Zeit

1 1 h 25' 11 h. 41' 1 1 h 52' 12 h 04' 12 h 14' 12 h 26'

Reiz für 30 Sekunden

Bewegung Bewegung Bewegung Desgl Bewegung Bewegung

der Drehscheibe der Drehscheibe + Ton + Metronom der Drehscheibe der Drehscheibe + Metronom der Drehscheibe

Speichelsekretion. (in Tropfen) in 30 Sekunden 4 0 4 5 0 5

Der Versuch wurde am folgenden Tage mit dem gleichen Ergebnis wiederholt. Am dritten Tage (17. Februar 1910) ließ man zu Beginn des Versuches das Metronom eine Minute lang ticken. Der weitere Versuch verlief folgendermaßen: Zeit

11 h 11h 11 h 11 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

15' 32' 39' 54' 09' 14' 27' 34' 40'

Reiz für 30 Sekunden

Bewegung Bewegung Bewegung Desgl Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung Bewegung

der Drehscheibe der Drehscheibe + Ton + Metronom der Drehscheibe der der der der der

Drehscheibe + Ton + Metronom Drehscheibe Drehscheibe + Metronom Drehscheibe Drehscheibe + Ton

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 9 5 4 3 2 5 3 4 0

Im Versuch vom 15. Februar hat es den Anschein, als wenn das Ticken des Metronoms als Zusatzreiz bei seiner ersten Anwendung die Hemmkombination gar nicht enthemme; man muß aber in Betracht ziehen, daß das gleiche Ticken des Metronoms, einem bedingten Reiz hinzugefügt, die Wirkung dieses bedingten Reizes vollständig hemmte. Folglich ist die Nullwirkung bei der ersten Anwendung des kombinierten Reizes, Bewegung der Drehscheibe + Ton + Ticken des Metronoms, auch nicht als ungestörte Wirkung der inneren Hemmung aufzufassen, sondern sie ist als Nullwirkung einer äußeren Hemmung anzusehen, die durch die sehr starke Wirkung des Metronoms bei seiner erstmaligen Anwendung als Erreger eines Zusatzreflexes zustande kommt. Als aber das Ticken des Metronoms in dem Versuche vom 16. Februar und besonders zu Beginn des Versuches vom 17. Februar mehrfach in Kombination angewandt worden war, da verlor es seine Bedeutung als Erreger von Nebenreflexen und somit auch die Hemmwirkimg, (99) die es vorher auf den positiven bedingten Reiz ausgeübt hatte, fast ganz oder überhaupt, vollständig. Daher konnte seine enthemmende

70

FÜNFTE

VORLESUNG

Wirkung auf die Hemmkombination nunmehr auch im Versuch vom 17. Februar ganz deutlich zutage treten. Es mag -vielleicht scheinen, daß unsere Ausdrucksweise bei der Erörterung der letzten Versuche sehr willkürlich oder gar gekünstelt ist, aber eine derartige Schematisierung der komplizierten Erscheinungen ist im Anfang unumgänglich notwendig, solange ihr innerer Mechanismus der Analyse noch unzugänglich bleibt. Durch die angewandte Ausdrucksweise sollen ja nur bestimmte, den Tatsachen entsprechende Verhältnisse und die Reihenfolge der Erscheinungen in ihrer gesetzmäßigen Folge zum Ausdruck gebracht werden. Die Enthemmung einer Hemmkombination kann auch durch Reize, die zur Gruppe der einfachen, beständigen Hemmer gehören, erreicht werden. Ich führe wiederum einen diesbezüglichen Versuch aus einer Arbeit von N I K O L A J E W an. Die Bewegung der Drehscheibe ist bedingter Nahrungsreiz, ein Ton bedingter Hemmer dieses Reflexes. Zeit

1h 2h 2h 2h

47' 00' 23' 39'

2 h 44' 2 h 55' 3 h 02'

Reiz für 1 Minute

Bewegung der Drehscheibe Bewegung der Drehscheibe + Ton Bewegung der Drehscheibe Zweimaliges Eingießen von 10 cm 3 5%iger Sodalösung ins Maul des Hundes Bewegung der Drehscheibe + Ton Desgl Bewegung der Drehscheibe

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Minute 10 0 10 2,5 0 6

Die latente Nachwirkung der Sodalösung, die zur Hemmkombination hinzugefügt wurde, hat diese enthemmt. Wenn aber zur Hemmkombination die latente Nachwirkung eines sehr stark wirkenden Agens hinzukommt, z . B . einer starken Chininlösung, dann kann zu Anfang ein Ausbleiben der Enthemmung beobachtet werden, was auf dieselben Beziehungen zurückzuführen ist, die wir im letzten Versuch kennengelernt haben, als wir das Ticken des Metronoms als Enthemmer anwandten. Aber auch hier beim Chinin braucht nur vom Moment der Chininwirkung auf die Mundschleimhaut bis zur Anwendung der Hemmkombination eine längere Zeit zu verstreichen, d.h., die latente Nachwirkung braucht nur etwas (100) abgeschwächt zu sein, und man kann auch die enthemmende Wirkung dieses Agens ganz deutlich sehen. Der ganze Verlauf ist genau derselbe, wie wir ihn in den vorigen Versuchen beim Ticken des Metronoms gesehen haben. Alle Tatsachen, die ich Ihnen über die bedingte Hemmung mitgeteilt habe, lassen ganz klar hervortreten, daß der Prozeß, der bei der bedingten Hemmung vor sich geht, und derjenige Prozeß, der sich beim Erlöschen abspielt, zwei völlig übereinstimmende, gleiche Prozesse sind. Die Hauptbedingung, die zur

Die bedingte Hemmung

71

Entwicklung beider Prozesse führt, ist dieselbe, nämlich das Ausbleiben des unbedingten Reizes. Und ferner: Beide Prozesse entwickeln sich nur allmählich. Sie werden durch Wiederholungen verstärkt. Die Nachhemmung bleibt nicht nur auf den positiven bedingten Reiz beschränkt, der dem Erlöschen oder der bedingten Hemmung ausgesetzt ist, sondern sie breitet sich auch auf andere gleichartige und andersartige bedingte Reize aus. Schließlich können beide Prozesse sehr leicht, aber nur für kurze Zeit, durch ungewohnte Zusatzreize aufgehoben werden. Ein Unterschied zwischen beiden Fällen besteht nur darin, daß beim Erlöschen der positive bedingte Reiz, allein angewandt, seine Wirkung verliert, bei der bedingten Hemmimg dagegen seine Wirkung nur dann ausbleibt, wenn er gleichzeitig mit einem Zusatzagens angewandt wird, so daß er in diesem Falle gewissermaßen einen anderen Reiz darstellt. (101)

SECHSTE

VORLESUNG

2. DIE I N N E R E HEMMUNG c) DAS VERSPÄTEN DER BEDINGTEN REFLEXE

Meine Damen und Herren! Ich gehe heute zum dritten Fall der inneren Hemmung über, den wir das Verspäten nennen. Es ist klar, daß beim Ausarbeiten eines bedingten Reflexes die Zeit, die vom Beginn des bedingten Reizes bis zum Einsetzen des unbedingten Reizes vergeht, sehr verschieden genommen werden kann. Diese Zwischenzeit kann sehr kurz sein, z. B. 1 bis 5 Sekunden betragen oder auch Bruchteile einer Sekunde dauern (es ist jedoch in Betracht zu ziehen, und es wurde bereits gezeigt, daß der bedingte Reiz unbedingt als erster einsetzen muß 1 )), aber sie kann auch länger, ja minutenlang dauern. Auf diese Weise entstehen verschiedene bedingte Reflexe, denen wir auch verschiedene Bezeichnungen geben. Wir sprechen einerseits von zusammenfallenden oder, genauer gesagt, von nahezu zusammenfallenden Reflexen, und andererseits von abgerückten oder verspäteten Reflexen. Das Intervall vom Beginn des bedingten bis zum Einsetzen des unbedingten Reizes spielt im allgemeinen eine sehr wichtige Rolle, denn erstens bedingt es die Hemmung, mit der wir uns jetzt beschäftigen werden, und zweitens bestimmt es, wie wir später sehen werden 2 ), auch das endgültige Schicksal eines jeden bedingten Reflexes. Wenn das Intervall immer nur klein ist und 1 bis 5 Sekunden nicht übersteigt, so setzt auch bei Ausarbeitung des bedingten Reflexes die Speichelsekretion sehr rasch ein, sofort nach Beginn des bedingten Reizes. Wird das Intervall vergrößert, so wird sich die Speichelsekretion immer mehr und mehr verspäten, d. h. vom Einsetzendes bedingten Reizesabrücken. Ein solches Verspäten kann bis zu einigen Minuten betragen. Dieses Verspäten des bedingten Reflexes kann auf verschiedene Weise erreicht werden. Einmal können wir am Anfang (102) unseres Versuches einen fast zusammenfallenden Reflex bilden. Die bedingte Reaktion beginnt dann schon nach 1 bis 3 Sekunden. Dann lassen wir das Intervall allmählich größer werden, sagen wir, jeden Tag um 5 Sekunden. Dementsprechend wird auch der bedingte Effekt immer später auftreten, solange bis wir schließlich ein endgültiges 1

) s. 8. 22 (dt.

2

Red.)

) s. Vorlesung 14, S. 188 (dt.

Red.)

Das Verspäten der bedingten Reflexe

73

Intervall zwischen dem Beginn beider Reize beibehalten und auf diese Weise ein bestimmtes Verspäten, erhalten. Zum andern können wir von einem fast zusammenfallenden Reflex unmittelbar auf einen weit abgerückten übergehen. Dann wird die schon ausgearbeitete Reaktion zunächst für längere Zeit vollständig verschwinden, und es beginnt, wie sich einige meiner Mitarbeiter in ihren Arbeiten ausgedrückt haben, eine lange Nullperiode. Diese endet dann damit, daß sich ungefähr in dem Augenblick, wo gewöhnlich der unbedingte Reiz einsetzt, eine Speichelsekretion einstellt. Beim Wiederholen dieser Versuche nimmt die Speichelsekretion zu, wobei sich ihr Anfang allmählich dem Einsetzen, des bedingten, Reizes nähert. Schließlich aber bleibt der Anfang der Speichelsekretion in einem beträchtlichen Abstand von dem Einsetzen des bedingten, Reizes stehen. Unmittelbar mit einem sehr weiten Abstand zu beginnen, ist kaum möglich, weil sich dann bei der Mehrzahl der Hunde bald ein, schläfriger Zustand entwickelt und es nicht mehr gelingt, bei ihnen bedingte Reflexe auszuarbeiten. Wegen der erwähnten Schwierigkeiten haben wir uns mit letzterem Verfahren M'enig befaßt, und es ist daher bis jetzt noch nicht genügend untersucht. Hier das Beispiel eines verspäteten Reflexes aus einer Arbeit von S A W A D S K I , dem das Verdienst zukommt, diese Fälle von innerer Hemmung besonders eingehend untersucht zu haben. Bei einem Hunde ist das Pfeifen bedingter Säurereiz. Der Beginn des bedingten Reizes ist vom Beginn des unbedingten durch ein Intervall von 3 Minuten getrennt. Zeit 3 h 12' 3 h 25' 3 h 40'

Speichelsekretion (in Tropfen) in Abständen von 30 Sekunden

Reiz Pfeifen . Desgl. . . Desgl. . .

0 0 0

0 0 0

2 4 2

2 3 2

4 6 3

4 6 6

Die Geschwindigkeit, mit der sich das Verspäten entwickelt, ist in den einzelnen Fällen sehr verschieden. Vor allem steht sie in großer Abhängigkeit von der Individualität des Tieres, vom Charakter seines Nervensystems. Bei der einen Gruppe von Hunden (103) stellt sich das Verspäten sehr schnell, bei anderen hingegen sehr langsam ein: die Speichelsekretion hält sich hartnäckig am Anfang des bedingten Reizes und rückt nicht von ibm ab. Es gibt Hunde, bei denen sich das Verspäten schon im Verlauf eines Versuchstages einstellt, bei anderen dagegen führt erst monatelange Arbeit zum gewünschten Erfolg. Bei den Hunden der ersten Gruppe geht das Verspäten oft recht bald in Schlaf über, und daher ist man gezwungen, sich bei einigen dieser Hunde bei systematischer Arbeit über dieses Thema auf kurz abgerückte Reflexe zu beschränken, d.h., sich mit einer geringeren Speichelsekretion zu begnügen als bei anderen. Weiter ist die Art der bedingten Reize von ganz entscheidender Bedeutung. Mechanische und thermische Hautreize sowie Lichtreize können viel schneller zu einem Verspäten führen als akustische Reize. Dies geht unter sonst gleichen Bedingungen mit der schwächeren bedingten Wirkung der erstgenannten Reize

74

SECHSTE

VORLESUNG

im Verhältnis zu den letztgenannten parallel. Um diese Beziehungen zu erläutern, gebe ich hier Versuche aus einer Arbeit von W . W . J A K O W L E W A wieder. Ein Hund hat drei bedingte Nahrungsreize: Ticken des Metronoms, mechanische Hautreizung und Aufleuchten einer Lampe. Versuch vom 9. April 1924: Der unbedingte Reiz ist vom bedingten 30 Sekunden abgerückt. Zeit 10 h 15' 10 h 25' 10 h 35'

Reiz für 30 Sekunden Aufleuchten der Lampe Mechanische Hautreizung Ticken des Metronoms

Latenzzeit (in Sekunden)

Speichelsekretion (in Teilstrichen) in 30 Sekunden

3 2 2

30 30 53

Versuch vom 24. April 1925: Im Verlauf eines Jahres wurden die Reflexe dieses Hundes oftmals zu verschiedenen Versuchen verwandt. Dann wurden sie weiter abgerückt: erst um eine Minute, dann um zwei Minuten. Alle Reflexe wurden als abgerückte Reflexe die gleiche Zahl von Malen wiederholt. (104) Zeit 9 h 40' 9 h 48' 10 h 10'

Reiz für 2 Minuten Ticken des Metronoms Mechanische Hautreizung Aufleuchten der Lampe

Latenzzeit (in Sekunden) 1 36 75

Speichelsekretion (in Teilstrichen) in je 30 Sekunden 40 0 0

32 10 0

30 20 13

26 18 20

Die lange durchgeführte Übung des kurzen Abrückens ist hier von großer Bedeutung; sie läßt in manchen Fällen für eine lange Zeit keine Entwicklung eines wesentlich stärkeren Verspätens zu, wenn der unbedingte Reflex vom Beginn des bedingten Reizes weiter abgerückt wird. Bei einem Reiz ein und derselben Art, z. B. einem akustischen, scheint es für die Entwicklung des Verspätens noch von Wichtigkeit zu sein, ob das entsprechende Agens im Verlauf der ganzen Zeit ununterbrochen oder mit Unterbrechung wirkt. Bei ununterbrochenem Reiz entwickelt sich das Verspäten rascher. So setzt sich die Wirkung des bedingten Reizes in den Fällen, in denen der unbedingte Reiz vom Beginn des bedingten zeitlich sehr weit abgerückt ist, aus zwei Phasen zusammen, die oft von gleicher Dauer sind: aus einer Anfangsphase, die keine Wirkung zeigfr, und einer zweiten Phase, in der eine Wirkung stattfindet. Wie ist aber das Ausbleiben der Wirkung während der ersten Phase zu verstehen ? Muß der Erregungsprozeß erst längere Zeit anwachsen, muß er sich im Verlauf einer längeren Zeit summieren, um erst dann einen sichtbaren Effekt zu äußern, oder soll man annehmen, daß der Erregungsprozeß schon lange vor Beginn der sichtbaren Wirkung in ausreichender Stärke existiert und nur durch irgend etwas verdeckt, maskiert wird? Schon das gewöhnliche Verfahren, mit dessen Hilfe wir die verspäteten Reflexe ausarbeiten, spricht gegen die erste Annahme. Denn

Die beiden Phasen des Verspätens

75

schon beim ersten kurzen Abrücken haben wir einen voll entwickelten Reflex. Warum sollte denn der bedingte Reiz, wenn er länger dauert, mehr Zeit zum Summieren nötig haben ? Sollte diese Erscheinung mit einem Ermüden zusammenhängen, so müßte sich eine allmähliche Abschwächung der Wirkung entwickeln. Das ist aber nicht der Fall. Die Wirkung tritt zwar mit einer gewissen Verspätung ein, aber beim ersten Verfahren zur Herstellung des Verspätens, wie es am Anfang dieser Vorlesung angegeben wurde, wächst die Wirkung allmählich an, und auch beim zweiten Verfahren erlischt sie zwar anfangs, erscheint dann aber von neuem und wächst allmählich zu einem Maximum an, das sich dann als beständiger Reizerfolg einstellt. Es kann also nur die zweite Annahme zu Recht bestehen, nämlich die, daß wir es hier mit einer Maskierung des Erregungsprozesses, (105) mit seiner zeitweiligen Hemmung, zu tun haben. Das läßt sich auch durch die Tatsache beweisen, daß der Erregungsprozeß in der ersten Phase schnell sichtbar gemacht werden kann. Wenn wir während der unwirksamen Phase auf unser Versuchstier irgendeinen neuen Reiz einwirken, lassen, der bisher in keiner speziellen Verbindung mit der Speicheldrüsentätigkeit des Tieres stand, so erhalten wir sofort eine oft recht ergiebige Speichelsekretion, und es tritt auch die diesem bedingten Reiz eigene Bewegungsreaktion ein, d.h., der bedingte Reflex setzt sogleich ein und nimmt seinen gewöhnlichen Verlauf. Hier gebe ich einige Versuche von SAWADSKI wieder. Der mechanische Hautreiz ist bedingter Säurereiz. Der bedingte Reiz beginnt immer 3 Minuten vor Einsetzen des unbedingten und dauert während der ganzen Wirkungszeit des letzteren fort. Das Ticken des Metronoms hat bisher in keinerlei Beziehung zu dem Säurereflex gestanden. Speichelsekretion (in Tropfen) in je 30 Sekunden 9 h 50' 10 h 03' 10 h 15' 10 h 30' 10 h 50'

Mechanischer Hautreiz . Desgl Mechanischer Hautreiz -h Ticken des Metronoms Mechanischer Hautreiz . Desgl

0 0

0 0

3 0

7 5

11 11

19 13

4 0 0

7 0 0

7 0 5

3 3 10

5 12 17

9 14 19

Ein weiterer Versuch an demselben Hunde, wobei die geräuschlose Bewegung einer Drehscheibe als Zusatzreiz verwendet wurde. Zeit 11 h 46' 12 h 02' 12 h 17'

Speichelsekretion (in Tropfen) in je 30 Sekunden

Reiz Mechanischer Hautreiz Desgl Desgl

. ...

31) 0 0

0 0 0

0 0 0

2 2 2

4 6 7

5 9 9

1 ) Während der 10. Sekunde des mechanischen Hautreizes bewegte der Hund eine Pfote und schlug dabei gegen ein Metallbecken.

76

SECHSTE

Zeit 12 h 30' 12 h 52'

VORLESUNG

Speichelsekretion (in Tropfen ) alle 30 Sekunden

Reiz Mechanischer Hautreiz + geräuschlose Bewegung der Drehscheibe Mechanischer Hautreiz

6 0

4 0

6 0

3 3

7 7

15 15

(106)

Es spielt sich hier eine höchst interessante Erscheinung ab. Der ausgearbeitete bedingte Reiz bleibt, wenn er allein angewandt wird, 1 bis 1% Minuten ohne Wirkung, wogegen ein indifferentes Agens, das zu dieser Zeit erstmalig zu ihm hinzugefügt wird, sofort die gesetzmäßige Reaktion des bedingten Reizes hervorruft. Es ist klar, daß wir es hier mit einer Erscheinung zu tun haben, der wir schon früher begegnet sind1) und die wir als Enthemmung bezeichnet haben. Da diese Erscheinung von S A W A D S K I in unserem Laboratorium zum ersten Male systematisch untersucht worden ist, will ich seine Versuche im einzelnen erörtern. Wie Sie wohl bemerkt haben, ist das bereits die dritte Vorlesung, in der ich immer wieder auf Enthemmungserscheinungen zurückkomme und reichlich Protokolle anführe, die sich auf dieses Material beziehen. Das mag darin seine Erklärung finden, daß diese physiologische Erscheinung, obgleich wir auch für sie in der modernen Nervenphysiologie gewisse Analogien finden, doch ganz eigenartig ist, und auch darin, daß wir hinsichtlich ihres inneren Mechanismus vollkommen im unklaren sind. Man kann aber hoffen, daß ein ergiebigeres Tatsachenmaterial uns in der Folge dazu verhelfen wird, diesen Mechanismus aufzuklären. Ich will Sie nun bitten, den ersten der beiden eben angeführten Versuche genauer zu betrachten. Wir können bei ihm ganz deutlich sehen, daß das Ticken des Metronoms, das dem mechanischen Hautreiz hinzugefügt wurde, nicht nur eine Speichelsekretion während der inaktiven Phase hervorrief, sondern daß es auch in der folgenden aktiven Phase eine merkbare Wirkung auf die vorhandene Speichelsekretion ausübte; sie war ganz deutlich gehemmt. In allen Fällen, in denen der mechanische Hautreiz allein angewandt wurde, wurden im Verlauf von 90 Sekunden 29 bis 46 Tropfen Speichel sezerniert; als zum mechanischen Hautreiz das Ticken des Metronoms hinzukam, waren es nur noch 19 Tropfen. Wir sehen also eine doppelsinnige Wirkung des Zusatzreizes: in der inaktiven Phase wirkt er enthemmend, in der aktiven Phase dagegen hemmend. Fügt man zum bedingten Reiz eines verspäteten Reflexes verschiedene Nebenagenzien aus der Gruppe der äußeren Hemmer hinzu, so nehmen die Veränderungen im Ablauf des verspäteten Reflexes einen sehr verschiedenen Verlauf. Es fällt aber leicht, auch hier gewisse Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Alle Nebenagenzien, die in unseren Versuchen zur Anwendung kommen, können (107) hinsichtlich ihrer Wirkung auf den verspäteten Reflex in folgender Reihe geordnet werden: 8. 53, 54, 67, 69 (dt.

Red.)

Wirkung von Zusatzreizen auf das Verspäten

77

I. Temperaturen von 5° C und 44° C, als Hautreize angewandt, und schwacher Kampf ergeruch. I I . Temperaturen von 0,5° C und 50° C. I I I . Geräuschlose Bewegung einer Drehscheibe, Ticken des Metronoms, mechanische Reizung neuer Hautstellen (wenn die mechanische Reizung einer Hautstelle ein bedingter Reflex ist), mäßig starkes Pfeifen und Geruch von Amylazetat. I V . Starker Kampfergeruch, starkes Pfeifen und Klingeln. Die unter I angeführten Reize üben gar keine Wirkung auf den Ablauf des verspäteten bedingten Reflexes aus. Die Reize der zweiten Gruppe äußern ihre Wirkung nur während der ersten Phase, d.h., sie rufen während der inaktiven Phase eine Speichelsekretion hervor. Die dritte Gruppe von Reizen ändert beide Phasen. Während der ersten, inaktiven Phase rufen sie eine Speichelsekretion hervor, während der zweiten Phase wird die Speichelsekretion gegenüber der Norm vermindert. Die Reize der vierten Gruppe schließlich lassen die erste Phase fast oder ganz unverändert, hemmen aber die Speichelsekretion während der zweiten Phase vollständig oder fast vollständig. E s muß noch hinzugefügt werden, daß diese Versuche beim Einhalten gewisser Vorsichtsmaßregeln oft erstaunlich genau reproduziert werden können. Ich gebe hier eine Reihe von Versuchen wieder, die die eben besprochenen Verhältnisse erläutern sollen. Der mechanische Hautreiz ist bedingter Säurereiz. Der bedingte Reiz beginnt 3 Minuten vor dem unbedingten. Als Zusatzreize werden Temperaturreize der Haut mit 40° C und mit 0,5° C, Amylazetat und Klingeln angewandt. Versuch vom 13. Oktober 1907 Reiz 10 h 17' 10 h 32' 10 h 45' 11 h 00' 11 h 12'

Mechanischer Hautreiz Desgl Mechanischer Hautreiz + Hautreiz t° = 44° C Mechanischer Hautreiz Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden 0 0

0 0

0 0

0 0

1 2

0 0 0

0 0 0

0 0 0

1 0 1

2 1 5

5 9 10 (108) 10 9

Versuch vom 15. September 1907 2 h 28' 2 h 40' 2 h 55' 3 h 10'

Mechanischer Desgl Mechanischer reiz t° = 0,5° Mechanischer

Hautreiz Hautreiz + HautC Hautreiz

0 0

0 0

0 0

0 5

2 20

8 17

2 1

2 0

3 0

4 0

20 10

24 17

78

SECHSTE

VORLESUNG

Versuch vom 18. September Zeit 10 h 10 h 10 h 11 h

12' 25' 43' 02'

11h 16'

Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden

Reiz Mechanischer Hautreiz Desgl Desgl Mechanischer Hautreiz + Geruch von Amylazetat Mechanischer Hautreiz

1907

0 0 0

0 0 0

2 1 0

7 7 5

9 11 8

11 17 11

3 0

3 0

0 2

5 4

5 8

7 11

0 0 0 0

8 0 0 3

10 0 2 5

12 0 8 10

Versuch vom, 13. September 1907 3 3 4 4

h h h h

30' 48' 15' 35'

Mechanischer Hautreiz Mechanischer Hautreiz + Klingeln Mechanischer Hautreiz Desgl

1 0 0 0

0 0 0 0

Im wesentlichen genau dieselben Ergebnisse liefern Versuche, in denen der neue Zusatzreiz zum bedingten Reiz nicht während seiner ganzen Wirkung von seinem Beginn bis zum Einsetzen des unbedingten Reizes hinzugefügt wird, sondern wo der Zusatzreiz nur für die Dauer der ersten oder der zweiten Hälfte der Wirkung des bedingten Reizes mitwirkt (während der ersten 90 Sekunden oder während der letzten 90 Sekunden des bedingten Reizes). Hierzu zwei Beispiele. Die Versuche sind an demselben Tier unter denselben Bedingungen ausgeführt. (109) Versuch vom 23. Juli 9 h 33' 9 h 47' 10 h 02' 10 h 15'

Mechanischer Hautreiz Desgl Mechanischer Hautreiz + Pfeifen mittlerer Stärke in den ersten 90 Sek. . Mechanischer Hautreiz

1907 0 0

0 0

0 0

3 1

12 9

12 10

3 0

2 0

6 1

6 4

8 7

6 11

0 0

0 0

0 1

3 3

10 8

13 14

0 0

0 0

1 1

3 2

0 7

2 9

Versuch vom 18. August 1907 9 h 35' 9 h 50' 10 h 05' 10 h 20'

Mechanischer Hautreiz Desgl Mechanischer Hautreiz + Pfeifen mittlerer Stärke in den zweiten 90 Sek. . Mechanischer Hautreiz

Ein Zusatzreiz aus der dritten Gruppe hat also in der ersten Phase eine Speichelsekretion hervorgerufen und sie in der zweiten Phase vermindert. Eine

Relative physiologische Stärke der Reize

70

gewisse Verminderung der Speichelsekretion während der zweiten Phase muß im ersten Versuch auf die Wirkung von Reizspuren zurückgeführt werden. Nun entsteht aber die Frage, was denn diese Einordnung aller Zusatzreize in die oben angeführte Reihenfolge eigentlich bedeutet, was ihr eigentlich zugrunde liegt. Viele Angaben, die aus unseren Tatsachen hervorgehen, machen es deutlich, daß es sich hier um die relative physiologische Stärke der Zusatzreize handelt, um die Stärke der Reaktion, die jeder dieser Reize beim jeweiligen Tier hervorruft. In der angegebenen Reihenfolge sind die Reize nach ihrer Wirkungsstärke in aufsteigender Reihe geordnet. In einigen Fällen, wo dieselben Agenzien nur in verschiedener Intensität angewandt werden (Temperaturen, Kampfergeruch) und die Reaktion des Versuchstieres entsprechende Veränderungen aufweist, ist das aus der angeführten Tabelle direkt ersichtlich. Darüber hinaus aber äußert sich das auch in allen Fällen in der Bewegungsreaktion des Tieres. Bei Anwendung von Reizen der ersten Gruppe konnte oft nicht die geringste Bewegungsreaktion wahrgenommen werden. Bei Reizen der nächsten Gruppen wurde die Bewegungsreaktion allmählich stärker und hielt auch länger an. Schließlich sind alle Zusatzreize, die hier von uns angewandt werden, Agenzien der sogenannten äußeren Hemmung, und in der aktiven Phase der verspäteten Reflexe äußert sich diese Hemmwirkung ganz deutlich; sie wird um so stärker, je weiter wir (110) in der angeführten Tabelle heruntergehen, und geht schließlich in vollständige Hemmung über. Folglich sind die Zusatzreize in unserer Tabelle tatsächlich nach ihrer zunehmenden Wirkungsstärke geordnet, und die Reihe beginnt mit solchen Agenzien, die nur einen sehr schwachen, leichten Orientierungsreflex hervorrufen. Daß diese Auslegung der Tatsachen richtig ist, wird durch folgende, etwas abweichende Versuchsanordnung noch einmal bestätigt. Wenn man einen solchen Zusatzreiz mehrmals hintereinander einem verspäteten bedingten Reflex hinzufügt, so wird seine Hemm Wirkung auf die aktive Phase des Reflexes mit jedem Mal schwächer. Das ist aber gerade eine durchaus verständliche Eigenschaft der Zusatzreize als erlöschender Hemmreize1). Ich führe noch weitere Versuche an. Sie sind an demselben Hunde angestellt, wie die zuletzt besprochenen. Versuch vom 13. November 1907 Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden 10 h 10 h 10 h 11 h 11h 11 h

20' 35' 47' 00' 15' 27'

Mechanischer Hautreiz Mechanischer Hautreiz Desgl Desgl Desgl Desgl

J) s. Vorlesung

3, 8. 38 (dt.

Red.)

Pfeifen

0 0 1 2 1 2

0 0 1 2 2 2

0 1 1 3 3 2

2 1 0 2 10 5

8 1 1 2 10 2

9 4

2 3 11 12

80

SECHSTE

VORLESUNG

Versuch vom 20. November 1907 Zeit

10 h 35' 10 h 47' 11 h 00' 11 h 15' 11h 30'

Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden

Reiz

Mechanischer Hautreiz Mechanischer Hautreiz + Ticken des Metronoms Desgl. Desgl. Desgl.

0

0

0

8

10

11

3 1 0 0

2 1 0 0

1 2 1 2

5 3 2 3

6 8 8 12

5 9 14 12

Aus diesen Versuchen ersehen wir, wie die Hemmwirkung des Zusatzreizes auf die aktive Phase bei öfterer Wiederholung desselben Reizes allmählich schwächer wird. Dies wird besonders deutlich im zweiten Versuch. Alle diese Verhältnisse sind ursprünglich an einem Versuchshund klar aufgedeckt worden; sie sind aber später auch an anderen Tieren nachgeprüft und bestätigt worden. Ein Unterschied war eigentlich nur darin vorhanden, daß bestimmte Reize sich für ein bestimmtes Tier in der einen, für ein anderes ( I I I ) in einer anderen Gruppe unterbringen ließen. Das ist aber leicht erklärlich. Die Stärke, mit der die Tiere auf verschiedene neue Reize reagieren, unterliegt oft, ja sehr oft, großen Schwankungen, denn sie hängt ja vom individuellen Charakter seines Nervensystems ab, vom früheren Leben des Tieres und von den früheren Begegnungen, mit verschiedensten Reizen. Jeder wird das schon an sich selbst beobachtet haben. Es muß also zugegeben werden, daß die oben angegebene Reihenfolge der Veränderungen in der Wirkungsstärke der Zusatzreize auf den verspäteten Reflex tatsächlich von der verschiedenen physiologischen Stärke dieser Reize bestimmt wird. Wenn der Zusatzreiz nur schwach ist, so bemerken wir keinerlei Wirkung auf unseren Reflex. Wird der Reiz etwas stärker gewählt, so leidet darunter nur die inaktive Phase, sie geht in eine aktive Phase über. Bei noch stärkeren Reizen erstreckt sich die Veränderung auch auf die aktive Phase; diese wird dann in ihrer Wirkung merklich herabgesetzt, so daß die Sekretion, die jetzt während der aktiven Phase stattfindet, der Sekretion gleichkommt, die jetzt die früher inaktive Phase aufweist, ja sie kann sogar kleiner sein als die Wirkung der ersten Phase. Schließlich bleibt bei der höchsten Intensität der Zusatzreize der verspätete Reflex überhaupt ganz ohne Wirkung. Von den beschriebenen Veränderungen, die die verspäteten Reflexe unter der Wirkung von Zusatzreizen erfahren, sind zwei wichtige Tatsachen besonders hervorzuheben, die zur Kenntnis der Funktion des Zentralnervensystems beitragen. Die erste besteht in folgendem: Wenn ein neu hinzutretender Reiz auf einen positiven bedingten Reiz wirkt, so hemmt er ihn; wirkt er aber auf einen negativen bedingten Reiz, so beseitigt er die Hemmung, er enthemmt ihn. Das kann auch in folgender Form ausgedrückt werden: In beiden Fällen kehrt er

Die erste Phase des verspäteten Reflexes

81

den im Zentralnervensystem vorhandenen Prozeß in sein Gegenteil um. Die zweite Tatsache ist die, daß der Hemmungsprozeß im Vergleich zum Erregungsprozeß labiler ist, denn er wird viel leichter, schon unter dem Einfluß viel schwächerer Zusatzreize verändert. In bezug auf diesen zweiten Punkt verfüge ich über folgenden zufälligen, aber sehr lehrreichen Versuch. Ich hielt einmal einige öffentliche Vorträge über bedingte Reflexe an einem neuen, vom Laboratorium weit entfernten Ort. Die zur Demonstration nötigen Hunde mußten dorthin gefahren werden, und die Umgebung war für unsere Versuchstiere ungewohnt. Die 5 oder 6 Versuche mit positiven bedingten Reflexen, die ich in der ersten Vorlesung zu demonstrieren hatte, verliefen alle ohne Ausnahme ganz glatt. Als wir aber in der nächsten Vorlesung an denselben Hunden ebenfalls 5 bis 6 Versuche mit Hemmungsreflexen (112) zeigen wollten, da versagten alle Hemmungen ohne Ausnahme, d.h., die Reflexe waren in allen Versuchen enthemmt. Es hatte also ein und dieselbe Umgebung auf die positiven Reflexe überhaupt keine Wirkung, während sie, selbst bei Wiederholung, die bedingten Hemmungsreflexe stark beeinflußte1). Auf eine genauere Erörterung dieser Tatsachen werden wir in einer späteren Vorlesung zurückkommen, wenn wir die vielen Tatsachen behandeln, die alle dieselbe Frage betreffen, nämlich die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Erregungs- und dem Hemmungsprozeß. Da wir nun in der ersten Phase des verspäteten Reflexes offensichtlich denselben Hemmungsprozeß wiederfinden, mit dem wir im Falle des Erlöschens und im Falle der bedingten Hemmung bekannt geworden sind, so müssen wir erwarten, auch in den Einzelheiten dieses Prozesses analoge Beziehungen wiederzufinden. Beim Erlöschen und bei der bedingten Hemmung haben wir gesehen, daß die Hemmung, die für einen bestimmten Reiz ausgearbeitet wird, ihre Wirkung auch auf andere Reize ausüben kann, jedoch nur in einem Ausmaß, das durch die relative physiologische Stärke dieser Reize bestimmt wird. Sind die anderen bedingten Reize schwächer als derjenige, für den der entsprechende Hemmungsprozeß ausgearbeitet worden ist, so wird die sekundäre oder Nachhemmung dieser anderen Reize vollständig sein; sind aber diese physiologisch stärker als der Reiz, für den die Hemmung ausgearbeitet wurde, so können sie durch einen solchen Hemmer nur teilweise, aber nicht vollständig gehemmt werden. Das bedeutet, daß ein Hemmungsprozeß bei seinem Entstehen gewissermaßen genau nach der Stärke des zu hemmenden bedingten Reizes abgemessen wird. Dasselbe können wir auch am Hemmungsprozeß der verspäteten Reflexe sehen. Wenn wir die Stärke des bedingten Reizes, der einen verspäteten Reflex hervorruft, verändern, so wird das festgestellte Verhältnis zwischen der aktiven und der inaktiven Phase dieses Reizes sofort gestört, entweder nach der einen oder nach der anderen Seite, je nachdem ob der Reiz zu- oder abnimmt. Einige Versuche am gleichen Tier mögen dies erläutern. !) Dieser Fall ist genauer beschrieben in Pawlow, Sämtl. Werke, Bd. Illfl, 6/IV

Nr. 23 (dt. Red.)

82

SECHSTE

VORLESUNG

Versuch vom 22. Oktober 1907 Zeit 10 h 06' 10 h 19' 10 h 38' 10 h 51' 11 h 07'

Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden

Reiz Rhythm. mechanischer Hautreiz, 18—22 mal pro Minute Desgl. Rhythm. mechanischer Hautreiz, 38—40 mal pro Minute Rhythm. mechanischer Hautreiz, 18—22 mal pro Minute Desgl

0 0

0 0

0 0

0 0

0 2

3 11 (113)

0

0

0

6

13

14

0 0

0 0

0 0

0 0

0 1

7 10

Versuch vom 25. Oktober 1907 10 h 04' 10 h 17' 10 h 30' 10 h 45' 11 h 00'

Rhythm. mechanischer Hautreiz, 18—22 mal pro Minute Desgl Rhythm. mechanischer Hautreiz, 10 mal pro Minute Rhythm. mechanischer Hautreiz, 18—22 mal pro Minute Desgl

0 1

0 0

0 3

5 6

8 10

8 11

0

0

0

0

3

10

0 0

0 0

0 0

2 0

9 5

17 16

Wenn auch in diesen Versuchen die Verstärkung der aktiven Phase mit der Verstärkung des bedingten Reizes nicht so deutlich hervortritt, so ist doch ihre Verminderung bei Abschwächung des Reizes deutlich ausgeprägt. Genau dasselbe kann an den verspäteten Reflexen auch durch Verstärkung des unbedingten Reizes gezeigt werden, und zwar am bequemsten, wenn man zu diesem Versuch bedingte Nahrungsreize nimmt. Man braucht nur die Verteilung der aktiven und der inaktiven Phase des verspäteten Reflexes an einem wie gewöhnlich gefütterten Hunde und an einem solchen, den man etwas hat hungern lassen, zu vergleichen. Versuch: Ein anderes Versuchstier. Ein Pfeifen mittlerer Stärke ist bedingter Nahrungsreiz. Er ist 3 Minuten abgerückt. Versuch vom 13. Dezember 1907 bei gewöhnlicher Ernährung Zeit 2 h 40' 2 h 54' 3 h 30'

Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden

Beiz

0 2 0

Pfeifen Desgl. . Desgl. .

2 3 2

Versuch vom 15. Dezember 1907 am gleichen Tier, das aber 2 Tage gehungert hatte 3 h 05' 3 h 20' 3 h 40'

Pfeifen Desgl. Desgl.

0 2 1

2 5 6

2 3 4

4 3 3

4 4 5

6 6 5

Die beiden Phasen des verspäteten Reflexes

83

Im Hungerzustande ist die unwirksame Phase, d. h. der Hemmungsprozeß, fast verschwunden. (114) Beim Verspäten kann die gleiche Summation der Hemmung beobachtet werden, wie wir sie beim Erlöschen und bei der bedingten Hemmung kennengelernt haben 1 ). Im folgenden Versuch tritt diese Erscheinung klar hervor. Der mechanische Hautreiz ist bedingter Reiz. E r ist 3 Minuten abgerückt.

^

^

Ä i Ä .

Bemerkimgen

10 h 21'

Mechan. Hautreiz 4 Min. . .

0

0

0

0

3

10

Nachdem der bedingte Reiz 3 Minuten gewirkt hat, Eingießen von Säure

10 h 35'

Desgl

0

0

0

10

18

21

10 h 50'

Desgl

0

0

0

8

17

23

11 h 05' 11 h 10' 11 h 15'

Mechan. Hautreiz iy2 Min. Desgl Desgl

0 0 0

0 0 0

2 1 0

2 0 0

0 0 0

0 0 0

11 h 21'

Mech. Hautreiz 4 Min.

0

0

0

1

3

6

11 h 33'

Desgl

0

0

1

5

9

17

11 h 45' 11 h 50'

Mechan. Hautreiz i y 2 Min. Desgl

0 0

0 0

0 0

0 0

0 0

0 0

11 h 55' 12 h 00'

Desgl Mechan. Hautreiz 4 Min. . .

0 0

0 0

0 0

0 0

0 0

0 0

Säure wird nicht eingegossen 3 Min. wird 1• Nach Säure eingegossen

Säure wird nicht eingegossen

Der mechanische Hautreiz, der während der ersten 1 y2 Minuten seiner Dauer den Hemmungsprozeß bedingte, wurde hier mehrere Male hintereinander wiederholt, ohne während der zweiten 1 y2 Minuten fortzudauern, und, wie Sie sehen, hat das zu einer derartigen Verstärkung des Hemmungsprozesses geführt, daß ein danach angewandter Hautreiz in den zweiten 1 y2 Minuten zuerst in seiner positiven Wirkung stark vermindert war und bei Wiederholung dieses Verfahrens seine Wirkimg ganz einbüßte. Wie ist es zu erklären, daß bei den verspäteten Reflexen ein und derselbe Reiz erst als hemmendes und gleich darauf (115) als erregendes Agens wirkt? Wie kommt es, daß ein und derselbe Reiz unter anscheinend ganz gleichen Versuchsbedingungen zwei entgegengesetzte Wirkungen zeigt ? Können wir diese Erscheinung mit den uns schon bekannt gewordenen Tatsachen in Einklang bringen ? Ich glaube, j a ! In der dritten und fünften Vorlesung sind wir mit den Agenzien bekannt geworden, aus denen positive und hemmende bedingte Reize gebildet werden können. Unter diesen Agenzien haben wir auch die Zeit als ein ganz reales Agens kennengelernt 2 ). In diesem Zusammenhang ist auch erörtert worden, ) s.S. 50, 64 (dt. Red.) ) s. S. 34, 60 (dt. Red.)

x

2

6*/IV

84

SECHSTE

VORLESUNG

wie das physiologisch verstanden werden kann, und es sind auch Versuche angeführt worden 1 ), die ihre Rolle als Reiz beleuchten. Ich bitte Sie, sich besonders jenes Versuchs zu erinnern, wo ein zusammengesetzter Reiz wirkte, der aus einem äußeren Agens und einem bestimmten Zeitmoment bestand 2 ). In diesen Versuchen war das äußere Agens allein ohne das zugehörige Zeitmoment unwirksam; es wurde aber wirksam, und die Wirkung nahm ständig zu, je mehr sich das zugehörige Zeitmoment näherte. Sehen wir bei den verspäteten Reflexen nicht genau dasselbe ? In den angeführten Versuchsprotokollen wurde der unbedingte Reiz erst nach 3 Minuten zu dem äußeren Agens hinzugefügt, d.h., erst das Ende der dritten Minute bildete zusammen mit dem äußeren Agens den tatsächlichen zusammengesetzten Reiz, auf den der unbedingte Reiz sofort folgte, und daher mußte dieser zusammengesetzte Reiz zu einem speziellen bedingten Reiz werden. Dasselbe äußere Agens stellt in Verbindimg mit anderen Zeitmomenten, die vom Ende der dritten Minute weit entfernt sind, ein anderes zusammengesetztes Agens dar, dem der unbedingte Reiz niemals direkt gefolgt ist. So muß sich denn auf diese andere Kombination von Reizen, wie auf jedes etwas unterschiedliche Agens, ein Hemmungsreflex einstellen. Diese Erscheinung ist uns schon vom Falle der „bedingten Hemmung" her bekannt 3 ), und in der nächsten Vorlesung werden wir bei der Besprechung der sogenannten Differenzierungshemmung eine Reihe schöner Beispiele hierfür finden. An den verspäteten Reflexen kann man sich die Bedeutung, die dem Zeitmoment als Reiz zukommt, noch viel konkreter und einfacher vergegenwärtigen. Das äußere Agens, aus dem wir den verspäteten Reflex bilden, lassen wir eine bestimmte Zeit lang auf das Tier wirken, aber in jedem Augenblick seiner Dauer ist der Reiz für den Organismus ein anderer. Wir wissen ja, wie rasch die Gewöhnung an Gerüche, Geräusche, Beleuchtungen u.dgl. eintritt, d.h., wie wir sie (116) zu verschiedenen Zeitpunkten anders wahrnehmen. Das bedeutet natürlich, daß die Nervenzellen, auf die diese Reize einwirken, eine Aufeinanderfolge verschiedener Zustände durchlaufen. Und nur ein ganz bestimmter Zustand, derjenige nämlich, der zeitlich immer mit dem unbedingten Reflex zusammengefallen ist, wird zum bedingten Reiz. In der nächsten Vorlesung werden Sie sehen, wie weit die Differenzierung verschiedener Intensitäten ein und desselben Agens geht, und wie dabei eine bestimmte Intensität zum positiven und eine andere zum negativen Reiz werden kann 4 ). Wie Sie sehen, verfügen wir schon über einige unzweifelhafte Tatsachen, die uns die Erscheinung des verspäteten Reflexes verständlich machen. Die Tatsache, daß sich ein Verspäten entwickelt, hat in methodischer Hinsicht sehr große Bedeutung, und bei allen, Versuchen, mit bedingten Reflexen muß man diesen Umstand stets mit in Betracht ziehen. Es ist natürlich, daß wir in unserer Arbeit genaue Angaben über die Größe des bedingten Reflexes und seine !) s. S. 34, 60 (dt. 2

) s. 8.

Red.)

34 (dt.

Red.)

) s. S. 58 (dt.

Red.)

3

4

) t. 8. 108 (dt.

Red.)

Die wahre Latenzzeit der bedingten Reflexe

85

mannigfaltigen und feinen Schwankungen und Veränderungen unter den verschiedensten Bedingungen anstreben. Daher sind wir auch gezwungen, nachdem der bedingte Reiz begonnen hat, das Einsetzen des unbedingten Reizes mehr oder weniger lange vom Beginn des bedingten Reizes abzurücken. Das hat aber sofort ein mehr oder weniger starkes Verspäten zur Folge, d.h., in diesem Falle entwickelt sich neben unserem Erregungsprozeß auch noch ein Hemmungsprozeß. Das macht aber die ganze Untersuchung viel komplizierter, denn wir haben es sofort mit beiden Prozessen zu tun, auch wenn wir nur den Erregungsprozeß allein untersuchen wollen. Durch diesen Umstand ist es z . B . bei allen unseren gewöhnlichen Untersuchungen unmöglich, die wahre Latenzzeit dieser Reflexe zu bestimmen. Die Zeit, die wir in unseren Versuchen gewöhnlich als Latenzzeit bezeichnen, und das, was Sie auch schon in unserem ersten Versuch gesehen haben 1 ) (wenn Sie sich erinnern, vergingen damals 9 Sekunden vom ersten Metronomschlag bis zum ersten Speicheltropfen), ist eigentlich schon ein Verspäten des Reflexes, die Wirkung eines hinzutretenden Hemmungsprozesses. Sie würde daher eher die genauere Bezeichnung „anfängliche Hemmungsperiode" verdienen. Daher ist es zur Bestimmung der wahren Latenzzeit bedingter Reflexe notwendig, zusammenfallende Reflexe zu benutzen, d.h. solche Reflexe, bei denen nach Beginn des bedingten Reizes der unbedingte Reiz, wenn möglich, schon nach Bruchteilen einer Sekunde einsetzt. Nur an solchen (117) Reflexen, und hauptsächlich an deren motorischer Komponente, kann man sich dann davon überzeugen, daß die Größe der Latenzzeit der bedingten Reflexe tatsächlich in die Größenordnung der üblichen Reflexzeit fällt. Mit solchen Bestimmungen haben wir in unserem Laboratorium erst unlängst begonnen. Dieser Bestimmung der wahren Latenzzeit der bedingten Reflexe haben wir bei der Feststellung ihrer reflektorischen Natur keine grundlegende Bedeutung beigemessen, denn als Hauptbeweise dafür halten wir doch das unausbleibliche Eintreten und den streng gesetzmäßigen Ablauf der bedingten Reflexe in Abhängigkeit von ganz bestimmten Bedingungen. Bei den gewöhnlichen Reflexen weisen die Latenzzeiten doch auch je nach den verschiedenen zentralen Bahnen und Verbindungen große Schwankungen auf. Mit vollem Recht können wir, ohne die Reflexnatur der bedingten Reflexe irgendwie in Zweifel zu ziehen, annehmen, daß in den Großhirnhemisphären diese Verbindungen viel komplizierter sind. Durch das Eintreten des Verspätens wird aber die Lösung noch einer ganzen Reihe anderer, hierher gehörender Fragen sehr erschwert, wie z. B . der Frage nach dem tatsächlichen ungehinderten Ablauf und der Fortleitung des Erregungsprozesses. Bei solchen Schwierigkeiten kann uns oft der Charakter des Nervensystems verschiedener Versuchstiere die Aufgabe erleichtern. Bei einigen Tieren entwickelt sich, wie gesagt, das Verspäten nur sehr schwer, und in solchen Fällen wird der Erregungsprozeß nur sehr wenig oder überhaupt nicht gestört. Auch hat der Versuchsleiter ein anderes Mittel in der Hand, um den Einfluß des Verspätens abzuschwächen: E r kann sich auf ein möglichst kurzes Abrücken des unbedingten s. S. 18 (dt.

Red.)

86

SECHSTE

VORLESUNG

Reizes vom Beginn des bedingten Reizes beschränken. Damit kommt man gut aus, wenn die Wirkung des bedingten Reizes beträchtlich ist, d. h., wenn sie schon während einer kurzen Zeit eine genügende Stärke erreicht, um an ihr den Einfluß verschiedener Versuchsvariationen zu vergleichen. Es gibt aber andererseits auch Fälle, wo der anfängliche Hemmungsprozeß uns gewisse Vorteile bietet, wo er uns die Möglichkeit gibt, gewisse Fragen zu lösen. Diesen Fällen werden wir in der nächsten Vorlesung begegnen. So ist denn der Experimentator gezwungen, stets seine Versuche den jeweils bestehenden Umständen anzupassen und die jeweils bestehenden Beziehungen auszunutzen. In den letzten drei Vorlesungen sind Sie mit unserem wichtigsten Tatsachenmaterial über die innere Hemmung der bedingten Reflexe bekannt geworden, und es ist leicht ersichtlich, wie ungeheuer der biologische (118) Wert ist, der diesem Prozeß zukommt. Dank dieser Hemmung wird die Signalarbeit der Großhirnhemisphären ständig korrigiert und ergänzt. Wenn zu irgendeiner Zeit ein bedingter Signalreiz mehrmals nicht von seinem unbedingten, wenn man so sagen darf, realen Reiz begleitet wird, so wird dieser bedingte Reiz für eine bestimmte, meist kurze Zeit seine physiologische Wirkung verlieren, da er ja sonst eine unnütze Energieverschwendung und damit für den Körper schädlich wäre. Dasselbe findet statt, wenn irgendein bedingt wirkendes Agens, das stets gemeinsam mit einem anderen Agens eingewirkt hatte, bei einer solchen gemeinsamen Wirkung nicht vom unbedingten Reiz gefolgt wird; dann verliert dieses Agens auch seine bedingte Wirkung, jedoch nur in den Kombinationen, in denen es gleichsam als ein anderes Agens erscheint. Und schließlich, wenn ein bedingtes Agens immer nur eine bestimmte Zeit nach seinem Entstehen mit der Wirkung des unbedingten Reizes zusammenfällt, so wird es für die Zeit, die diesem Reiz mehr oder weniger unmittelbar vorausgeht, ebenfalls unwirksam, und die Wirkung dieses Agens äußert sich immer stärker, je mehr es sich dem Augenblick des Einsetzens des bedingten Reflexes nähert. So enthüllt sich eine immer höhere Anpassung des Organismus an die Umweltbedingungen, oder anders gesagt, eine immer feinere und genauere Gleichgewichtseinstellung des Organismus in seiner Umwelt. Aus allem, was wir in den letzten Vorlesungen mitgeteilt haben, geht klar hervor, daß wir es im Falle des Erlöschens, der bedingten Hemmung und des Verspätens mit der Erscheinung bedingter Hemmreflexe zu tun haben. Solche Reflexe können aber auch noch durch ein ganz anderes Verfahren gebildet werden. Wenn wir während eines bedingten Hemmreizes wiederholt gleichzeitig kurzfristig ein indifferentes Agens einwirken lassen, so erwirbt schließlich dieses letztere ebenfalls eine Hemmfunktion, d.h., es ruft in der Hirnrinde, auch allein angewandt, einen Hemmungsprozeß hervor. Diese Frage ist speziell von J. W. F O L B O R T bearbeitet worden. Zuerst machte er Zusatzagenzien zu indifferenten Reizen, indem er sie solange immer wieder auf das Tier einwirken ließ, bis sie aufhörten, positive bedingte Reflexe zu hemmen und Hemmreflexe zu enthemmen. Danach fügte er sie wiederholt für kurze Zeit entweder zu erloschenen bedingten Reflexen oder zu Hemmkombinationen hinzu. Später prüfte er dann ihre Wirkimg, indem er sie

Entstehung eines bedingten Hemmreizes

87

positiven (119) bedingten Reizen hinzufügte. Auf diese Weise konnte nachgewiesen werden, daß diese Reize jetzt die Rolle von bedingten Hemmern übernommen hatten. Da diese Prüfung der Reize auf ihre Wirkung, zwecks größerer Genauigkeit der Versuchsergebnisse, natürlich mehrmals vorgenommen werden mußte, wandte F O L BORT folgendes Verfahren an: Einmal ließ er auf diese Versuchskombination den unbedingten Reflex folgen, das nächste Mal nicht. Die genaue Folge dieses Wechsels wurde streng eingehalten, damit bei diesen oft wiederholten Prüfungen die neue Kombination dadurch nicht zu einem beständigen positiven oder negativen Reiz werden konnte. Aber eine andere Versuchsform, bei der die Versuchskombinationen immer vom unbedingten Reflex gefolgt wurden, war noch viel überzeugender, ja nahezu unbestreitbar, denn auch bei Wiederholung der Versuchsanordnung in dieser Form trat die Hemmwirkung der früher indifferenten Reize dennoch deutlich hervor. Hier die entsprechenden Versuche. Bei einem Hunde wurde ein natürlicher bedingter Nahrungsreflex benutzt. Wenn der Reflex auf Null erloschen war, ließ man mehrmals gleichzeitig mit diesem Reiz das Ticken eines Metronoms wirken, das in früheren Versuchen unwirksam gemacht worden war. Danach wurde bei Fortsetzung dieser Versuche ab und zu das Ticken des Metronoms zusammen mit einem positiven Nahrungsreflex, der Nahrung, ausprobiert. Versuch vom 5. September 1911 Vorher hatte das Metronom lOmal gleichzeitig mit der Wirkung des erloschenen bedingten Eeflexes getickt. Zeit 12 h 54' l h 08'

Reiz für 30 Sekunden Distanzreiz durch Fleischpulver Desgl. + Ticken des Metronoms

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 6 2

Versuck vom 1. Dezember 1911 Vorher hatte das Metronom 19 mal gleichzeitig mit der Wirkung des erloschenen bedingten Reflexes getickt. 11 h 11 h 11 h 12 h

30' 47' 57' 07'

Distanzreiz durch Fleischpulver Desgl. + Ticken des Metronoms Distanzreiz durch Fleischpulver

7 1 3 8

(120)

Versuch vom 18. Dezember 1911 Vorher hatte das Metronom 26 mal gleichzeitig mit der Wirkung des erloschenen bedingten Reflexes getickt. 10 h 35' 10 h 47' 11 h 00'

Distanzreiz durch Fleischpulver Desgl. + Ticken des Metronoms Distanzreiz durch Fleischpulver

9 1 12

88

SECHSTE

VORLESUNG

E s ist offensichtlich, daß das früher indifferente Ticken des Metronoms nach mehrmaligem Zusammenwirken mit einem erloschenen bedingten Reiz zu einem hemmenden Agens geworden ist. Diese auf eine etwas andere Art ausgearbeiteten bedingten Hemmreize erwiesen sich in ihren Eigenschaften als völlig identisch mit denen, die wir beim Erlöschen, bei der bedingten Hemmung und beim Verspäten kennengelernt haben. Diese neuen bedingten Hemmreize, die durch das Zusammenwirken mit einem erloschenen Reflex ausgearbeitet worden sind, haben auch eine Hemmwirkung auf andere bedingte Reflexe. Versuch vom 15. März

1911

Ein anderer Hund. Das Ticken des Metronoms hat mit einem erloschenen natürlichen bedingten Nahrungsreflex zusammengewirkt; dann wird es zusammen mit einem künstlichen bedingten Nahrungsreiz, dem Kampfergeruch, geprüft. Zeit 3h 3h 3h 3h 4h

08' 21' 40' 55' 18'

Reiz für 30 Sekunden Kampfergeruch Desgl Desgl. + Ticken des Metronoms Kampfergeruch Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 5 4 1 1 5

Der neue bedingte Hemmer äußert seine Hemmwirkung nicht nur, wenn er gleichzeitig mit einem positiven bedingten Reiz angewandt wird, sondern er hat auch eine Nachwirkung. Durch Wiederholung läßt er sich summieren und schließlich kann er auch enthemmt werden. Es zeigt sich also folgendes: Wenn indifferente Reize den Großhirnhemisphären in dem Augenblick zugeleitet werden, in dem dort der Hemmungsprozeß (121) herrscht, so erhalten diese Reize eine beständige Hemmwirkung, d.h.,wenn diese Reize später auf tätige Punkte der Hirnrinde treffen, so rufen sie in diesen Punkten einen Hemmungsprozeß hervor. Hier darf aber ein Umstand nicht außer acht gelassen werden, den wir später noch genauer kennenlernen 1 ). E s hat sich gezeigt, daß auch neue Reize, die ohne weitere Folgen für das Tier oft wiederholt werden, schon durch diese Wiederholungen zur Entwicklung eines Hemmungszustandes in der Hirnrinde führen können. So muß denn bei den eben angeführten Versuchen noch speziell nachgeprüft werden, inwieweit beim Entstehen dieser neuen bedingten Hemmer gerade die bedingten Hemmreflexe tätig sind, mit denen die indifferenten Agenzien wiederholt zeitlich zusammenfallen. (122) *) s. S. 205/206 (dt. Red.)

SIEBENTE

VORLESUNG

DIE ANALYSIERENDE UND SYNTHETISIERENDE TÄTIGKEIT D E R GROSSHIRNHEMISPHÄREN DER PRIMÄR VERALLGEMEINERTE CHARAKTER DER BEDINGTEN REIZE DIE DIFFERENZIERUNGSHEMMUNG

Meine Damen und Herren! Die bedingt-reflektorischen Agenzien signalisieren in einem fort das Vorhandensein unmittelbar fördernder oder schädigender Bedingungen der Außenwelt. In voller Ubereinstimmung mit der unendlichen Mannigfaltigkeit und den unaufhörlichen Schwankungen der Umwelt wirken als derartige Reize bald die feinsten Einzelelemente, bald größere oder kleinere aus ihnen, zusammengesetzte Komplexe. Dies ist aber nur dadurch möglich, daß das Nervensystem sowohl über analysierende als auch über synthetisierende Mechanismen verfügt. Die analysierenden Mechanismen schälen aus dem ganzen Komplex der Außenwelt einzelne Elemente heraus, die synthetisierenden dagegen verschmelzen diese Einzelelemente für den Organismus zu ganz bestimmten Komplexen. Folglich müssen wir beim Studium der höheren Nerventätigkeit, bei Forschungen über die Funktionen der Großhirnrinde beiden Prozessen begegnen, sowohl der nervalen Analyse als auch der nervalen Synthese. Mit diesen beiden Prozessen wollen wir uns jetzt beschäftigen. Das Nervensystem ist ein mehr oder weniger großer Komplex von analysierenden Apparaten, von Analysatoren. Der optische Teil macht dem Organismus die Lichtschwingungen, der akustische die Luftschwingungen usw. zugänglich. Jeder dieser Teile hat seine eigene Aufgabe, die darin besteht, das entsprechende Feld der Außenwelt in eine lange Reihe einzelner Elemente zu zerlegen. Zu einem jeden Analysator gehören sowohl die peripheren Apparate der verschiedenen (123) afferenten Nerven (das sind Transformatoren, von denen jeder nur eine ganz bestimmte Energie in einen Nervenprozeß verwandelt) als auch die Nerven selbst und die im Gehirn gelegenen Zellen, die zentralen Endigungen des Analysators. Es ist selbstverständlich, daß alle Teile dieses Apparates an der analysierenden Arbeit teilnehmen. Niedere Stufen der Analyse sind natürlich auch den niederen Teilen des Nervensystems eigen (ja selbst der wenig differenzierten Substanz der Lebewesen, die kein Nervensystem besitzen). Reagiert doch sogar ein Organismus ohne Gehirn sehr ungleich auf Reize, die mit verschiedener Stärke und Qualität an verschiedenen Stellen des Organismus gesetzt werden. Aber die höchste, die feinste Analyse, zu der ein Tier fähig ist, kann nur durch die Tätigkeit der

90

SIEBENTE

VOBLESUNG

Großhirnhemisphären erreicht werden. Es ist klar, daß die steigende Komplizierung der Beziehungen des tierischen Organismus zur Umwelt, die stets mannigfaltiger und feiner werdende Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen, die immer vollkommenere Gleichgewichtseinstellung des Organismus in seiner Umwelt mit der fortschreitenden Entwicklung der analysierenden Fähigkeit des Nervensystems untrennbar verbunden ist und nur mit ihrer Vervollkommnung fortschreiten kann. In der modernen Physiologie bilden Untersuchungen über die analysatorischen Fähigkeiten der Organismen das sehr wichtige Kapitel der sogenannten Physiologie der Sinnesorgane. Dieser Teil ist von höchstem Interesse, und seinen reichen Inhalt hat er wohl zum Teil dem günstigen Umstand zu verdanken, daß er für lange Zeit die Aufmerksamkeit der hervorragendsten Physiologen auf sich zog, an erster Stelle die des genialen H E L M H O L T Z . Hier sind feste und zuverlässige Grundlagen für die Lehre von der Analysatorentätigkeit gelegt, sowohl für die Lehre von den peripheren Bauelementen als auch von ihren zerebralen Endigungen; hier finden wir Angaben über die Grenzen der analysatorischen Tätigkeit (beim Menschen), hier sind Erklärungen einiger komplizierter Fälle dieser Tätigkeit gegeben, und hier sind viele spezielle Regeln über die Tätigkeit dieser Apparate aufgestellt. Aber dieses ganze gewaltige, zum größten Teil subjektive Material stützt sich auf unsere Empfindungen, auf diese einfachsten subjektiven Signale der objektiven Beziehungen des Organismus zur Außenwelt. Das ist ein ganz bedeutender Mangel dieses Zweiges der Wissenschaft. Alles, was die Untersuchung der Mannigfaltigkeit und der Entwicklung der analysatorischen Tätigkeit im Tierreich der Physiologie geben könnte, geht durch diesen Umstand für den Forscher verloren; aus dem gleichen Grunde fehlen ihm auch die unerschöpflichen experimentellen Möglichkeiten, die (124) das Tierexperiment dem Naturforscher bietet. Die bedingten Reflexe füllen diese Lücke aus: sie überantworten die gesamte Untersuchimg der analysatorischen Tätigkeit, dieser höchst wichtigen Funktion des Nervensystems der reinen Physiologie als einer streng objektiven naturwissenschaftlichen Forschung. Mit Hilfe der bedingten Reflexe lassen sich bequem und genau Umfang und Grenzen der analysatorischen Tätigkeit verschiedener Tierarten feststellen und die Gesetze aufklären, nach denen diese Funktion verläuft. Mag die Physiologie der Analysatoren, bei Tieren gegenwärtig auch sehr bescheiden sein, ihr Inhalt nimmt ständig zu und wird immer mehr anwachsen und so unser Wissen über die Beziehungen des tierischen Organismus zur Umwelt erweitern und vertiefen. Wie ist es nun möglich, objektiv, d.h. an Hand wahrnehmbarer Reaktionen, die Arbeit der Analysatoren bei Tieren zu untersuchen ? Ich habe bereits kurz darauf hingewiesen, daß eine jede Veränderung in der Umwelt des Tieres zu einer Reaktion führt, wenn nicht zu einer speziellen, angeborenen oder erworbenen Reaktion, so doch zu einer allgemeinen, orientierenden Reaktion, einem Untersuchungsreflex. Dieser Reflex ist es vor allem, den wir dazu benutzen können, um festzustellen, in welchem Maße das Nervensystem eines bestimmten Tieres das eine vom anderen unterscheiden kann. Nehmen wir an, es sei in der gewöhnlichen Umgebimg eines Versuchstieres unter anderem immer ein bestimmter Ton

Die Physiologie der Analysatoren

91

vorhanden; dann wird gelbst eine ganz geringe Veränderung in der Höhe dieses Tones die Orientierungsreaktion des Tieres hervorrufen, d. h. das Tier wird seinen Ohrapparat zu diesem Ton in eine ganz bestimmte Lage bringen. Genau dasselbe sehen wir bei allen anderen Reizen, mögen sie einfach oder kompliziert sein, bei den geringsten Veränderungen. Das gilt aber natürlich nur dann, wenn der analysatorische Apparat durch die Art seiner Konstruktion imstande ist, die in der Außenwelt vorgegangene Veränderung aufzunehmen. In diesem Falle kann der Untersuchungsreflex als solcher zur Forschung verwendet werden. Man kann sich aber auch seiner Wirkung auf bestehende bedingte Reflexe bedienen, diese feinsten Reaktionen des tierischen Organismus. Dabei kann er als hemmendes oder als enthemmendes Agens wirken. Aber trotz seiner großen Empfindlichkeit ist der Untersuchungsreflex als beständiges Mittel zur Erforschung der analysatorischen Tätigkeit des Nervensystems doch auch mit vielen Unbequemlichkeiten für die Forschung verbunden. Der größte Mangel besteht dabei in folgendem. Bei einigen schwachen Reizen ist dieser Reflex nur sehr flüchtig und kann daher nicht wiederholt werden, wodurch (125) die Möglichkeit einer eingehenden Untersuchung mit Hilfe dieses Reflexes wesentlich beeinträchtigt wird. Die bedingten Reflexe dagegen sind selbst Objekte, die den Zielen solcher Untersuchungen aufs beste entsprechen. Wir bilden aus einem genau bestimmten äußeren Agens durch unser übliches Verfahren') einen speziellen bedingten Reiz, und durch Wiederholungen bekräftigen wir dieses Agens in seiner Reizwirkung immer wieder. Die nach Intensität, Lokalisation oder Qualität nahestehenden Agenzien werden dagegen niemals von dieser speziellen Reaktion begleitet und lassen sich so leicht und genau von ihm unterscheiden. Die analysierende und die synthetisierende Tätigkeit des Nervensystems treffen und verflechten sich in Wirklichkeit in einem fort. Der Analyse der äußeren Agenzien durch die bedingten Reflexe geht aber stets eine ganz eigenartige Nervenerscheinung voraus, eine Art synthetisierender Tätigkeit, und wir wollen uns daher zunächst mit dieser beschäftigen. Jedes Agens, aus dem wir einen bedingten Reiz bilden, trägt in erster Linie einen allgemeinen Charakter. Wenn wir z.B. einen Ton von 1000 Schwingungen pro Sekunde zu einem bedingten Reiz machen, so erhalten zugleich auch viele andere Töne dieselbe bedingte Wirkung; diese aber ist um so schwächer, je mehr diese Töne in ihrer Höhe von dem Ton mit 1000 Schwingungen abweichen. Genau dasselbe sehen wir, wenn die mechanische Reizung einer bestimmten Hautstelle zum bedingten Reiz gemacht worden ist. Dann tritt eine ähnliche Wirkung auch bei Reizung anderer Hautstellen auf, aber in um so geringerem Maße, je weiter diese Hautstelle von der Stelle entfernt ist, an der der bedingte Reiz ausgearbeitet worden ist. Dieselbe Tatsache wiederholt sich bei Reizungen anderer rezeptorischer Körper Oberflächen. Die eben beschriebene Erscheinung könnte vom biologischen Standpunkt aus folgendermaßen aufgefaßt werden. Die Agenzien, die in der Natur auftreten, sind 1

) s. Vorlesung 2, S. 21 (dt.

Red.),

92

SIEBENTE

VORLESUNG

meistens nicht streng bestimmt, sondern sie schwanken ständig, verändern sich und gehen bald von der einen in eine andere, benachbarte Gruppe über. Nehmen Sie als Beispiel einen Ton, den ein feindliches Tier von sich gibt und der sich für ein anderes Tier als bedingter Erreger des Schutzreflexes erweist. J e nach der Anspannung des Stimmapparates, nach der Entfernung und nach der Resonanz kann dieser Ton sehr große Schwankungen in Höhe, Stärke und Lautcharakter aufweisen. (126) Bei unseren Untersuchungen über die bedingten Reflexe sind wir weiter auf einen ganz besonderen Fall von Verallgemeinerung der Reize gestoßen, eine Erscheinung, deren Bedeutung für das Leben nicht ohne weiteres verständlich war. Bis dahin hatten wir es immer nur mit der Verallgemeinerung eines bedingten Reizes innerhalb der Grenzen ein und desselben Analysators zu tun. Bei der Arbeit mit Spurenreizen 1 ), besonders dann, wenn entfernte Spuren zum bedingten Reiz gemacht wurden (eine bis drei Minuten nach Aufhören des äußeren Agens), mußten wir etwas ganz anderes sehen. In solchen Fällen entsteht eine universelle Verallgemeinerung. Wenn wir z. B. einen mechanischen Hautreiz zu einem bedingten Reiz machten, dann begannen bei uns auch Agenzien als bedingte Reize zu wirken, die auf andere Analysatoren wirkten und die zu unserem Reflex in keinerlei Beziehung standen. Ich will mich beim Besprechen dieser Tatsache etwas länger aufhalten, denn bei ihrer genaueren Bearbeitung ist sie von großem Interesse. Ich gebe hier einige derartige Versuche aus einer Arbeit von G R O S S M A N wieder. Die mechanische Reizung der Haut ist ein bedingter Spurenreiz. Als unbedingter Reiz wird Eingießen von Säure angewandt (1 Minute nach Beendigung des mechanischen Hautreizes setzt der Säurereiz ein). Abkühlung der Haut und Ton werden zum ersten Male als Reize angewandt. Versuch vom 6. Februar

Zeit

Reiz für 1 Minute

Speichelsekretion (in Tropfen) während der 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Minute nach Beginn der Reizung

11h 39'

Mechanischer Hautreiz

0

3

11 h 55' 12 h 06'

Desgl Hautreiz durch Temperatur von 0° C

0

7

1

4

Mechanischer Hautreiz

0

4

12 h 22'

s. S. 32 (dt.

Red.)

1909

Bemerkungen

Bekräftigt durch Säure am Ende der 2. Minute 7

7

1

Nicht bekräftigt Bekräftigt durch Säure am Ende der 2. Minute

Die Verallgemeinerung der bedingten Reize

Versuch vom 7. Februar

Zeit

2 h 36' Mechanischer Hautreiz . . .

0

9

2 h 45' Desgl

0

15

3 h 02' Mechanischer Hautreiz 3 h 10' Desgl 3 h 22' Desgl

1909

Speichelsekretion (in Tropfen) während der 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Minute nach Beginn der Reizung

Reiz für 1 Minute

2 h 54' Ton

93

. .. .

0 0

0 0

3 1

4

6

2

0

1

Bemerkungen

| Bekräftigt durch Säure am Ende j der 2. Minute (127) Nicht bekräftigt

0

1

6

J

Bekräftigt durch Säure am Ende der 2. Minute

Wir können aus diesem Versuch sehen, daß auch solche Agenzien, die früher niemals gleichzeitig mit dem Säurereiz gewirkt haben, sich dennoch als Erreger der Speichelsekretion erweisen können. Zugleich sehen wir aber auch, daß die Agenzien, die zum ersten Male angewandt werden, sozusagen dieselbe Wirkungsart zeigen, wie der speziell ausgearbeitete Spurenreiz, d.h., daß sie ihre Wirkung nicht während der Dauer des Reizes äußern, sondern daß sich ihre Wirkung hauptsächlich oder auch ausschließlich nach Beendigung des Reizes entwickelt. Dieser Umstand veranlaßt uns natürlich, von vornherein daran zu denken, daß wir es hier mit der Verallgemeinerung von Reflexen zu tun haben, die nach dem Typ des ausgearbeiteten Spurenreflexes zustande kommen. Diese Erwägung ist natürlich ganz ungenügend, und da diese Tatsache uns ganz ungewöhnlich zu sein schien, haben wir sie mehrmals einer eingehenden Prüfung unterzogen. Wenn wir alles in Betracht ziehen, was uns über die bedingten Reflexe bekannt ist, so können wir noch zwei mögliche Vermutungen über den näheren Mechanismus dieser Erscheinung machen. Da sich der Spurenreflex auf entfernte Reizspuren nur langsam einstellt und nicht leicht bilden läßt, fällt folgender Umstand besonders auf. Ehe noch der bedingte Spurenreflex entstanden ist, bilden sich sehr rasch bedingte Reflexe auf Zusatzreize, die zufällig mit der Wirkung des unbedingten Reizes zusammenfallen und wohl meist vom Experimentator selbst ausgehen. Diese Gefahr ist im vorliegenden Falle ganz besonders groß. Daher sind auch alle diese Versuche nach Entfernung des Experimentators aus dem Versuchszimmer, in dem sich der Hund befand, in unserem neuen Spezialgebäude wiederholt worden, um jede unbekannte Wirkimg des Experimentators auf das Versuchstier auszuschließen. Die weitgehende Verallgemeinerung des Spurenreflexes blieb auch unter diesen Versuchsbedingungen bestehen. Eine andere Vorstellung schien ebenfalls sehr gut begründet zu sein. Sie bestand in folgendem. Wenn wir bei einem Hunde zum ersten Male im Laboratorium bedingte Reflexe ausarbeiten, so wird dieser Reflex vor allem auf das gesamte

94

SIEBENTE

VORLESUNG

Laboratoriumsmilieu gebildet. Dies beginnt schon mit dem Hineinbringen des Hundes in das Versuchszimmer. (128) Man könnte ihn geradezu als bedingten Umgebungsreflex bezeichnen. Wenn sich dann weiter ein bedingter Reflex auf das von uns speziell angewandte Agens bildet, dann verlieren die einzelnen Elemente der Umgebung allmählich ihre bedingte Wirkung. Wir müssen annehmen, daß sich auf diese Umgebungsreize allmählich eine innere Hemmung entwickelt hat. Diese Hemmung ist aber besonders in der ersten Zeit nur gering, und sie kann durch alle möglichen äußeren Zusatzreize enthemmt werden. Ich will hierfür ein klares Beispiel geben, eine Beobachtung, die uns bei der früheren Arbeitsweise, wo der Experimentator sich mit dem Hund in ein und demselben Zimmer befand, oftmals aufgefallen ist. Der bedingte Umgebungsreflex, bei dem der Speichel unaufhaltsam von selbst floß, sei bei einem Hund schon erloschen, und bei allgemeiner Ruhe der Speicheldrüse habe sich ihr spezieller bedingter Reflex gut eingestellt. Um über die Verhältnisse in diesem Experiment einen Überblick zu gewinnen und persönlich am Versuch teilzunehmen, mußte ich das Zimmer erstmalig betreten. Es begann sofort eine unaufhaltsame Speichelsekretion, die anhielt, solange ich mich im Zimmer befand. Ich enthemmte als äußeres Zusatzagens den schon gehemmten Umgebungsreflex. Wir vermuteten: Ist nicht das, was wir als verallgemeinerten Spurenreflex bezeichnen, eine Enthemmung des Umgebungsreflexes ? Bei eingehender Nachprüfung mußten wir aber auch diese Vermutung fallen lassen. Erstens konnte man eine weitgehende Verallgemeinerung der Spurenreize leicht und beständig auch bei solchen Hunden erhalten, bei denen der Umgebungsreflex schon lange und vollständig gehemmt war, so daß es fast unmöglich war, ihn zu enthemmen. Zweitens haben wir folgenden Umstand besonders eingehend untersucht. Sie werden sich wohl erinnern, daß beim Verspäten mit dem Einsetzen eines Zusatzreizes sofort die Enthemmung der unwirksamen Phase des Reflexes eintritt 1 ). Hier, bei den Spurenreflexen, übt ein Zusatzreiz seine Wirkung fast immer nur nach seinem Aufhören aus. Will man nun auf der angenommenen Erklärung bestehen, so müßte man annehmen, daß in diesem Falle alle Zusatzreize aus irgendeinem Grunde immer als sehr starke Reize wirken und daher bei ihrer Anwesenheit den Umgebungsreflex nicht enthemmen, sondern ihn nur noch stärker hemmen (wie wir das auch an den verspäteten Reflexen gesehen haben2), und daß sie ihn nur durch ihre Spuren als schwache Reize enthemmen,. Gegen eine solche Vermutung spricht aber folgendes: Bei wiederholter Anwendung starker Zusatzreize nimmt ihre hemmende (129) Wirkimg allmählich ab, und dann tritt eine Phase ein, wo sie direkt nur enthemmen, was wir auch bei den verspäteten Reflexen gesehen haben1). Bei unseren Spurenreflexen wurde dieser Fall niemals beobachtet, und so oft wir unsere Reize auch wiederholten, sie riefen eine Speichelabsonderung immer nur nach Aufhören des Reizes hervor. Drittens schließlich sehen wir folgendes: Bei Spurenreflexen wird nach Anwendung von Zusatzreizen, die natürlich nicht durch den, unbedingten Reiz begleitet werden, s. Vorlesung 6, S. 75 (dt.

Red.)

) s. 8. 78, Versuch vom 13. Sept. 1907 (dt.

2

Red.)

Das Differenzieren äußerer Agenzien

95

ein spezieller bedingter Reiz zeitweilig schwächer, j a er kann sogar auf Null absinken, was völlig unverständlich wäre, wenn es sich hier um die Enthemmung eines Umgebungsreflexes handeln würde. Fassen wir dagegen die Spurenreflexe als verallgemeinerte Reflexe auf, so bedeutet diese Abschwächung nichts anderes, als unser gewöhnliches Erlöschen nach Ausbleiben der Bekräftigung durch den unbedingten Reiz. So sehen wir denn, daß bei der Bildung von bedingten Reflexen zuerst ein unbedingter Reflex mit einer großen Anzahl äußerer Agenzien verbunden wird. Einmal kommt das zustande, weil die Umwelt auf den Organismus durch die ganze Fülle ihrer einzelnen Elemente einwirkt (so entsteht der bedingte synthetische Umgebungsreflex). Ein anderes Mal geschieht dasselbe, jedoch infolge der speziellen Eigenschaften des Nervensystems, durch die es einem elementaren äußeren, als bedingten Reiz wirkenden Agens einen mehr oder weniger allgemeinen Charakter verleiht. Diese Tatsache wird, wie das wohl zum Teil selbstverständlich ist und zum Teil oben speziell erörtert wurde, durch die realen Beziehungen des Organismus zur Außenwelt vollständig gerechtfertigt. Zugleich ist aber auch klar, daß diese Tatsache nur eine begrenzte und zeitweilige Bedeutung haben kann, da es j a unter bestimmten Bedingungen möglich wird, diese annähernde, allgemeine Verbindung durch eine ganz genaue, spezielle zu ersetzen. Wie kommt nun das Spezialisieren eines bedingten Reizes, das Differenzieren der äußeren Agenzien, zustande ? Anfangs schien es uns, daß dies durch zwei verschiedene Verfahren erreicht werden kann. Die erste Möglichkeit ist die, daß man ein streng bestimmtes Agens einfach wiederholt als bedingten Reiz anwendet und stets durch den unbedingten Reflex bekräftigt. Eine andere Möglichkeit ist die, daß die Anwendung eines bestimmten, stets durch den unbedingten Reiz bekräftigten bedingten Reizes immer mit der Anwendung eines anderen, ihm sehr nahen Agens, das niemals vom unbedingten Reiz begleitet wird, abwechselt. Das ist gewissermaßen eine Gegenüberstellung beider Reizagenzien. Gegenwärtig sind wir geneigt anzunehmen, (ISO) daß nur das letztere Verfahren wirksam ist. Einerseits gibt es bedingte Reize, die mehrere tausendmal angewandt wurden und die dadurch dennoch keine streng spezialisierte Wirkung erhalten haben. Andererseits konnten wir feststellen, daß selbst eine einmalige Prüfung naher, vom unbedingten Reiz nicht begleiteter Reizagenzien, selbst wenn die Prüfung einer Reihe solcher verschiedener Agenzien in großen Zwischenräumen geschieht (im Verlauf von Tagen oder Wochen), daß schon so ein einmaliges Anwenden naher Agenzien zum Spezialisieren des bedingten Reizes führen kann, wobei der bedingte Reiz immer vom unbedingten Reiz gefolgt sein muß. Deshalb benutzen wir immer dieses zweite Verfahren, da es unvergleichlich schneller zum Ziel führt, zum Differenzieren der Agenzien. Wir wollen nun zunächst den Verlauf des Differenzierungsprozesses der äußeren Agenzien mit Hilfe der bedingten Reflexe in all Seinen Einzelheiten betrachten. An erster Stelle sehen wir hier eine Tatsache, die uns seinerzeit recht rätselhaft vorkam. Wenn wir aus einem bestimmten Agens der Außenwelt einen bedingten Reiz gemacht haben und dann zum ersten Male andere, diesem Reiz sehr nahe-

SIEBENTE

-96

VORLESUNO

stehende Agenzien prüfen, z. B. unserem Reizton benachbarte Töne, so erhalten wir von diesen einen bedingt-reflektorischen Effekt, der viel geringer ist als der unseres ausgearbeiteten bedingten Reizes. Wenn wir nun diesen neuen Reiz immer vor neuem wiederholen (natürlich ohne ihn durch den unbedingten Reiz zu bekräftigen), so sehen wir, daß seine Reizwirkung rasch zunimmt und bald der Wirkung des bedingten Reizes gleichkommt; dann nimmt seine Wirkung allmählich wieder ab, bis sie schließlich ganz ausbleibt. Von Anfang an ist also ein Unterschied zwischen beiden Reizen vorhanden, der später verschwindet, um dann wiederzukehren und schließlich absolut zu werden. Wie ist das zu verstehen ? Um dies zu erklären, griffen wir zu einer anderen, schon früher von uns erfolgreich analysierten Tatsache. Schon beim Ausarbeiten der bedingten Hemmung haben wir einen gleichen Vorgang beobachtet 1 ). Wenn wir ein neues Agens, aus dem wir einen bedingten Hemmreiz bilden wollen, zum ersten Male zu einem bedingten Reiz hinzufügen, so wird diese Kombination entweder eine Wirkung zeigen, die zwar dem bedingten Reiz ähnlich, aber deutlich geringer ist, oder sie wird sogar ganz -ausbleiben. Auch wenn wir diese Kombination beider Reize niemals durch Füttern begleiten, entwickelt sie bald wieder die volle Wirkung und erst (131) nach weiteren Wiederholungen nimmt ihre Wirkung später wieder ab, um dann auf Null abzusinken. Wir hatten guten Grund, diesen ganzen Verlauf, im Falle der bedingten Hemmung, so zu erklären, daß das Zusatzagens eine Orientierungsreaktion hervorruft und dadurch bei seiner erstmaligen Anwendung die Wirkung des bedingten Reizes, mit dem es kombiniert wurde, hemmte. Bei Wiederholung wird die Orientierungsreaktion immer schwächer und die Wirkung des bedingten Reizes tritt daher wieder zutage. Erst bei weiteren Wiederholungen wird der bedingte Reflex allmählich durch die sich entwickelnde innere Hemmung unterdrückt. Auch in unserem Falle können wir uns vorstellen, daß die Agenzien, die dem Agens des bedingten Reflexes sehr nahe verwandt sind, gewissermaßen (wie die Hemmkombination) aus zwei Teilen bestehen, aus einem Teil, der mit dem bedingten Reiz gemeinsam ist, und aus einem anderen Teil, der sich von ihm unterscheidet. Die Eigenschaften, die zum ersten Teil gehören, sind der Grund dafür, daß nahe verwandte Agenzien eine Wirkung äußern wie der ausgearbeitete bedingte Reiz. Die anderen Eigenschaften rufen erst zeitweise den Orientierungsreflex hervor, durch den der bedingte Effekt des ersten Teils sofort und noch für eine gewisse Zeit gehemmt wird. Später ruft dieser unterschiedliche, anders geartete Teil des Reizes die Entwicklung einer vollständigen und bleibenden Differenzierung dieser einander ähnlichen Agenzien hervor. Einen wichtigen Beweis für die Richtigkeit unserer Auffassung vom Verlauf •der Erscheinungen während der Ausbildung einer Differenzierung sehen wir darin, daß sich die Ähnlichkeit in der Entwicklung dieser Erscheinungen beim Entstehen der bedingten Hemmung und bei der Bildung einer Differenzierung bis in Einzelheiten verfolgen läßt. In beiden Fällen finden wir die gleichen Variationen. Die anfängliche Abschwächung des Effekts der ähnlichen Agenzien geht bisweilen für x

) s. S. 59 (dt. Red.)

Schwankungen zu Beginn der Differenzierung

97

eine kurze Zeit in eine Verstärkung über, die über die Wirkung des speziellen bedingten Reizes hinausgeht, um dann zur Wirkungsstärke dieses Reizes abzusinken und, stets kleiner werdend, bei Null zu enden. Am häufigsten folgt nach einer anfänglichen Abschwächung eine Zunahme der Wirkung, die dann zeitweise der Größe des bedingten Reizes beinahe gleichkommt, und dann die Entwicklung einer Differenzierung. Selten tritt eine allmählich sich entwickelnde Differenzierung ganz ohne diese Schwankungen ein. Ebenso selten ist der Fall, daß die anfängliche Abschwächimg des bedingten Reizes unmittelbar in eine fortschreitende Differenzierung übergeht. Als ich von der Entwicklung der bedingten Hemmung sprach1), habe ich diese verschiedenen Fälle nur beschrieben, ohne Versuchsprotokolle (132) anzuführen; hier kann ich das Versäumte nachholen. Diese Variationen wurden gerade bei der Differenzierungsbildung besonders systematisch untersucht (eine Arbeit von M. M.

GUBERGRIZ).

Die ganze Versuchsreihe wurde an ein und demselben Hunde durchgeführt. Die Bewegung der Drehscheibe im Uhrzeigersinn ist bedingter Nahrungsreiz, die Bewegung derselben Drehscheibe in entgegengesetzter Richtung das zu differenzierende Agens. Versuch vom 15. Februar 1917 Zeit

Beiz für 30 Sekunden

3 h 13' 3 h 25'

Speichelsekretion in 30 Sek. in Skalenteilen (5 Teilstriche = 0,1 cm3)

Bewegung im Uhrzeigersinn Bewegung in entgegengesetzter Richtung

Versuch vom 16. Februar 1h 1h lh 1h

04' 14' 25' 34'

Im Uhrzeigersinn Desgl Desgl In entgegengesetzter Richtung

27 7

Bemerkungen Bekräftigt Nicht bekräftigt

1917 24 26 27 10

Bekräftigt Desgl. Desgl. Nicht bekräftigt

Versuch vom 17. Februar 1917 2 h 45'

In entgegengesetzter Richtung

12

Nicht bekräftigt

Versuch vom 18. Februar 1917 2 h 48' 3 h 33' l)

7/IV

Im Uhrzeigersinn In entgegengesetzter Richtung

s. S. 59 (dt. Red.)

19 34

Bekräftigt Nicht bekräftigt

98

SIEBENTE

VORLESUNG

Versuch vom 20. Februar 1917 Zeit

Reiz für 30 Sekunden

3 h 07' In entgegengesetzter Richtung 3 h 28' Im Uhrzeigersinn

Speichelsekretion in 30 Sek. in Skalenteilen (5 Teilstriche = 0,1 cm3) 26 26

Bemerkungen

Nicht bekräftigt Bekräftigt

Versuch vom 21. Februar 1917 3 h 00' In entgegengesetzter Richtung

12

Nicht bekräftigt

(133) Später sinkt die Wirkung des zu differenzierenden Agens mit einigen Schwankungen bis auf Null. Ein anderer Hund. Ein bestimmter Ton ist bedingter Nahrungsreiz. Von diesem wird ein um einen Halbton verschiedener Ton differenziert, er ist Differenzierungsreiz. Versuch vom 12. Oktober 1917 Zeit

Reiz für 30 Sekunden

12 h 28' Ton l h 10' Desgl l h 19' Differenzierungston

Speichelsekretion in 30 Sek. in Skalenteilen (5 Teilstriche = 0,1 cm 3 )

Bemerkungen

30 35 9

Bekräftigt Desgl. Nicht bekräftigt

Versuch vom 13 . Oktober 1917 12 h lh lh 2h 2h

54' 05' 12' 01' 18'

Ton Desgl Differenzierungston Desgl Ton

36 36 32 16 29

Bekräftigt Desgl. Nicht bekräftigt Desgl. Bekräftigt

Mit einigen Schwankungen sinkt dann die Wirkung des Differenzierungstones nach 13maliger Anwendung bis auf Null. Derselbe Hund wie in der ersten Versuchsreihe. Das Erscheinen eines Kreises vor den Augen des Hundes ist bedingter Nahrungsreiz. Das Erscheinen eines Quadrates von der gleichen Fläche und Lichtstärke bildet den Differenzierungsreiz.

Bildung der Differenzierung

99

Versuch vom 28. November 1916 Zeit

Reiz für 30 Sekunden

1 h 20' Kreis 1 h 53' Quadrat . . . .

Speichelsekretion in 30 Sek. in Skalenteilen (5 Teilstriche = 0,1 cm 3 )

Bemerkungen

14 3

Bekräftigt Nicht bekräftigt

Versuch vom 29. November 1916 2 h 44' Kreis 3 h 00' Quadrat

16 7

Bekräftigt Nicht bekräftigt

(134) Versuch vom 30. November 1916 1 h 24' Kreis 1 h 32' Quadrat

15 10

Bekräftigt Nicht bekräftigt

Mit einigen Schwankungen wird danach das Quadrat bei seiner 11. Wiederholung unwirksam. In unseren Untersuchungen über die Differenzierung äußerer Agenzien haben neben dem eben besprochenen ersten Stadium dieser Erscheinung, das von der Wirkung der Orientierungsreaktion abhängt, noch viele andere Seiten dieser nervalen Tätigkeit unsere Aufmerksamkeit erregt. Man kann natürlich die Differenzierung des Agens eines bedingten Reflexes sogleich gegen ein ihm sehr nahestehendes, verwandtes Agens durchführen. Man kann sie aber auch ganz allmählich in Angriff nehmen, indem man zuerst mit dem Differenzieren fernerstehender Reize beginnt. Zwischen diesen beiden Verfahren zeigte sich ein großer Unterschied. Wenn wir nämlich direkt mit der Differenzierung zweier einander sehr naher Reize beginnen, so werden wir oft trotz einer langen Reihe von Gegenüberstellungen beider Reize keine Differenzierung erhalten. Wenn wir aber den anderen Weg einschlagen und damit beginnen, Reize, zwischen denen ein großer Unterschied besteht, voneinander zu differenzieren, und dann zur Differenzierung naher Reize übergehen, so erreichen wir trotz des allmählichen Herangehens über die Differenzierung entfernter Agenzien im ganzen gesehen die Differenzierung eines nahen Agens doch wesentlich schneller. Ich gebe ein paar Versuchsergebnisse aus der Arbeit von G U B E R G R I Z wieder, die diese Verhältnisse erläutern sollen. Bei einem Versuchshunde bildeten wir einen bedingten Nahrungsreflex auf das Erscheinen eines Kreises auf weißem Papier. Von diesem begannen wir dann, das Papier Nr. 10 der ZiMMERMANNSchen Kollektion (50 Schattierungen von Weiß bis Schwarz) zu differenzieren. Nachdem wir 75mal den grauen Kreis (Nr. 10), natürlich ohne Bekräftigung, im Wechsel mit Weiß, das immer bekräftigt wurde, angewandt hatten, zeigte sich noch immer keine Spur einer Differenzierung. 7«/rv

100

SIEBENTE

VORLESUNG

Darauf begannen wir erst eine Differenzierung auf den dunkleren Kreis Nr. 35 auszuarbeiten und gingen allmählich auf den Kreis Nr. 25 und auf den Kreis Nr. 15 über, um schließlich auf den Kreis Nr. 10 zurückzukommen. Jetzt erreichten wir eine vollständige Differenzierung (135) nach insgesamt 20 Anwendungen dieser Kreise, alles in allem gerechnet. Einen ähnlichen Versuch führten wir an einem anderen Hunde auch mit optischen Reizen durch, aber in anderer Form. Auch bei diesem war ein weißer Kreis zum bedingten Nahrungsreiz gemacht worden, aber von diesem Kreise sollte eine Ellipse aus gleichem Papier, mit gleicher Fläche und mit einem Verhältnis der Halbachsen von 8:9 differenziert werden. Obwohl die Ellipse 70mal angewandt wurde, war keinerlei Differenzierung zu bemerken. Als wir aber dazu übergingen, zuerst die Differenzierung einer Ellipse mit einem Achsenverhältnis von 4 : 5 auszuarbeiten und dann allmählich über die Ellipsen mit 5:6, 6:7, 7:8 wieder auf 8:9 zurückkamen, da waren alles in allem nur 18 Anwendungen notwendig, um eine Differenzierung auf diese Ellipse auszuarbeiten. Wenn wir die Differenzierung allmählich herstellen und dabei mit stark unterschiedlichen Reizen beginnen, so kann man folgende Tatsache beobachten, die in unseren Versuchen stets wiederkehrt. Wenn wir zum ersten Male eine Differenzierung ausarbeiten, mag es auch eine grobe Differenzierung sein, so kommt sie sehr langsam zustande, besonders wenn wir darauf bestehen, eine absolute Differenzierung zu erhalten, d.h. eine solche, bei der der Differenzierungsreiz stets eine Nullwirkung hat. Wenn sich aber erst einmal in dieser ersten Etappe eine absolute oder doch beinahe absolute Differenzierung eingestellt hat, so geht der Vorgang der weiteren Differenzierung immer rascher vonstatten, und eine Verlangsamung des Differenzierungsprozesses bemerken wir erst dann wieder, wenn wir uns der Grenze des Differenzierungsvermögens nähern. Hierfür will ich noch ein Beispiel anführen. Bei einem Hunde ist ein weißer Kreis von bestimmtem Durchmesser bedingter Nahrungsreiz; weiße Ellipsen von gleicher Fläche mit verschiedenem Verhältnis ihrer Halbachsen sind Differenzierungsreize. Die erste Ellipse mit einem Verhältnis der Halbachsen von 4 : 5 mußte 24mal angewandt werden (gegenüber einer Speichelsekretion von 34 Teilstrichen in 30 Sekunden auf den Kreis hatte die Ellipse nur noch eine Wirkung von 4 Teilstrichen). Die nächste Ellipse mit den Halbachsen 5:6 erforderte nur eine 3malige Anwendung, um einen Nulleffekt zu erhalten. Mit der Ellipse 6:7 war es genauso. Sieht man vom Anfangsstadium ab, bei dem die Orientierungsreaktion des Tieres eine Rolle spielt, so kann der ganze Verlauf der Differenzierung fast geradlinig oder wellenförmig sein. Der wellenförmige Verlauf kann nicht in allen Fällen (136) durch irgendwelche äußeren, störenden Einflüsse erklärt werden, sondern er hängt wahrscheinlich von Schwankungen in dem hierbei entstehenden Nervenprozeß ab. Die Festigkeit der Differenzierung bestimmen wir nach der Länge des Zeitintervalls zwischen der Anwendung des bedingten Reizes bis zur Anwendung des von ihm differenzierten Reizes, bei dem die Differenzierung noch ungestört

Differenzierung von Spulenreizen

101

besteht. Zu Anfang sind diese Intervalle kurz, später werden sie immer länger. Wir halten eine Differenzierung für endgültig ausgearbeitet, wenn sie nach 24 Stunden, d.h. im Versuch des nächsten Tages, an erster Stelle vor allen anderen Reizen angewandt, noch voll erhalten ist. Zahlreiche Versuche haben uns gelehrt, daß die Differenzierung der verschiedenen Agenzien immer ungefähr den gleichen Grad erreicht, ob sie nun als positive bedingte Reize oder als negative, hemmende Reize angewandt werden. Ebenso und in demselben Maße können auch Agenzien als bedingte Spurenreize differenziert werden, wobei es sich auch hierbei um positive und um hemmende Reize handeln kann. Hier gebe ich das Beispiel einer Differenzierung eines Spurenreizes mit Hemmwirkung aus einer Arbeit von F R O L O W wieder. Bei einem Hunde ist das Ticken des Metronoms (104 Schläge in der Minute) bedingter Nahrungsreiz. Bedingter Hemmer ist ein bestimmter Ton einer Orgelpfeife (Nr. 16), der 15 Sekunden andauert und eine Minute vor Beginn der Metronomschläge aufhört. Eine gleiche Kombination der Metronomschläge mit einem benachbarten Ton der Orgelpfeife (Nr. 15) wurde stets vom unbedingten Reiz begleitet und ist dadurch zu einem positiven Reiz geworden. Die Differenzierung des Spurenreizes mit Hemmwirkung wurde in folgender Weise durchgeführt. Versuch vom 25. April 1922 r

,

_ .

Zelt

1 h 34' 1 h 40' 1 h 48'

Relz

Seine Spuren Ticken des Me Ton der Orgel; Seine Spuren Ticken des Me Ton der Orgel] Seine Spuren

Speichelsekretion Dauer (in Teilstrichen Teilstrichen) (in Sek.) für je je 15 Sekunden Sekunc angegeben 15 60 30 15 60 30 15 60 30

0 0 15 0 0 0 0 0 25

_ . Bemerkung

0 40

0

0

0 15

0

0

0 65

0

0

(137)

Bekräftigt

E s muß no.ch hinzugefügt werden, daß diese Differenzierung nur durch sehr allmähliche Ausarbeitung erreicht werden konnte. Bei den ersten Spurenreizen durfte nur eine Pause von wenigen Sekunden angewandt werden, und man fing die Versuche mit sehr weit abgerückten Tönen an. Nun ist es an der Zeit, daß wir uns die Frage vorlegen: Durch welchen Nervenprozeß wird der Übergang des zu Anfang verallgemeinerten bedingten Reizes zu seiner äußersten Spezialisierung bedingt, oder anders gesagt, wie kommt die Differenzierung nahestehender Agenzien zustande ? Nachdem Sie mit der inneren

102

SIEBENTE

VORLESUNG

Hemmung bekannt geworden sind, und nach allem, was ich Ihnen in dieser Vorlesung schon mitgeteilt habe, ist es nicht schwer zu erraten, wie die Sache sich verhält. Unsere weiteren zahlreichen Versuche lassen gar keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Differenzierung ein Hemmungsprozeß zugrunde liegt, d.h., daß wir es hier gewissermaßen mit einer allmählichen Dämpfung eines anfangs ganz allgemein erregten zerebralen Analysatorenendes zu tun haben. Dadurch wird dieser Erregungsprozeß auf den winzigen Teil des Analysators eingeengt, der gerade dem bestimmten bedingten Reiz entspricht. Hier der erste Tatsachenbeweis für diese Behauptung: Durch das eben geschilderte Verfahren können wir ein bestimmtes Agens, unseren bedingten Reiz, von nahe verwandten Agenzien differenzieren. Unser bedingtes Agens wird ständig seine volle bedingte Wirkung äußern, das differenzierte Agens aber scheint ganz wirkungslos zu sein. Jetzt aber wenden wir nach dem bedingten Reiz den Differenzierungsreiz an und nach ihm sofort oder nach einer geraumen Zeit wieder unseren bedingten Reiz. Dann können wir sehen, daß dieser für eine gewisse Zeit nur gering oder überhaupt nicht wirkt. Ich gebe hier ein Beispiel aus einer Arbeit von W. W. B E L J A K O W . Bei einem Hunde ist ein bestimmter Ton einer Orgelpfeife bedingter Nahrungsreiz. Gegen diesen Ton ist ein Ton differenziert, (138) der in seiner Höhe um einen Achtelton abweicht. Versuch vom 14. Februar Zeit 12 h 12 h 12 h 12 h

10' 25' 26' 56'

Reiz für 30 Sekunden Ton Achtelton Ton Ton

1911

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sek. 5 0 0,5 4

Bemerkungen Bekräftigt Bekräftigt, Desgl.

Wir sehen also, daß nach Anwendung eines differenzierten Tones im Nervensystem eine Zeitlang ein Hemmungsprozeß zurückbleibt, der sich bei dem anschließend geprüften bedingten Reiz dadurch zu erkennen gibt, daß er seine Wirkung vermindert oder ganz aufhebt; anders gesagt, wir sehen hier die uns aus früheren Vorlesungen wohlbekannte Erscheinung der Nachhemmung 1 ). Wir haben hier also noch einen vierten Fall von innerer Hemmung, den wir entsprechend als Differenzierungshemmung bezeichnen. Es wäre vielleicht zulässig, diesen Fall mit der bedingten Hemmung zu identifizieren und beide Fälle unter einem gemeinsamen Namen zusammenzufassen (und zwar als Differenzierungshemmung), da es sich ja in beiden Fällen darum handelt, daß mit Hilfe !) s.S. 65 (dt. Red.)

Die Differenzierungshemmung

103

eines Hemmungsprozesses die ErregungsWirkung von Zusatzreizen (einfachen oder zusammengesetzten) beseitigt wird, d.h. von solchen Agenzien, die diese Wirkung ohne spezielle Ausarbeitung, nur dank ihrer Ähnlichkeit oder irgendeiner Verbindung mit dem ausgearbeiteten bedingten Reiz erhalten haben. Die Nachhemmung beim Prozeß der Differenzierung ist mit der Nachwirkung bei der bedingten Hemmung in der Hinsicht ganz identisch, daß auch sie bei wiederholter Anwendung in ihrer zeitlichen Dauer zunehmend begrenzt wird. Anfangs erstreckt sie sich über 10, 20 und mehr Minuten, schließlich verkürzt sie sich aber auf Sekunden. Folgender Umstand verdient noch besondere Erwähnung. J e höher der Grad der Differenzierung ist, d.h., je näher die beiden zu differenzierenden Agenzien einander stehen, desto stärker ist unter sonst gleichen Versuchsbedingungen die Nachhemmung. Ich will dies durch ein paar Versuche, ebenfalls aus der Arbeit von B E L J A K O W , veranschaulichen. Ein bestimmter Ton ist bedingter Nahrungsreiz. Von ihm sind zwei Töne differenziert, der eine ist um einen Halbton, der andere um einen Achtelton vom Reizton entfernt. (139) Versuch vom 19. März Zeit

12 h 17' 12 h 37' 1 h 07'

T> • R- ON O I J Reiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion ^ ^ gek

(jn T r o p f e n )

Halbton Ton

0 4

Versuch vom 29. März 3 h 55' 4 h 15' 4 h 30'

1911

Achtelton Ton

Bemerkungen

Bekräftigt Desgl.

1911 0 1,5

Bekräftigt Desgl.

Aber außer der Nachwirkung ist die Differenzierungshemmung auch noch in anderer Hinsicht mit den uns schon von früher her bekannten Fällen von Hemmung völlig identisch. Auch sie summiert sich bei Wiederholungen. Ich gebe hierzu nochmals Versuche aus der Arbeit von B E L J A K O W wieder, die dieses Thema betreffen. Ein anderer Hund. Ein bestimmter Ton ist bedingter Nahrungsreiz. Der Differenzierungston liegt um einen Halbton niedriger.

104

SIEBENTE

VORLESUNG

Versuch vom 8. Juni 1911 Zeit 2 2 2 2 2

h h h h h

05' 35' 38' 39' 50'

Reiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sek.

Bekräftigt

10 0 0 7 12

Ton Halbton Desgl Ton Desgl

Bemerkungen

Bekräftigt Desgl.

Versuch vom 14. Juni 1911 lh 2h 2h 2h 2h 2h 2h

45' 00' 02' 04' 06' 07' 30'

Ton Halbton Desgl Desgl Desgl Ton Desgl

12 0 0 0 0 1,5 13

Bekräftigt

Bekräftigt Desgl.

Die Differenzierungshemmung wird ebenfalls sozusagen abgemessen nach dem Ausmaß des Erregungsprozesses, der (140) bei der Ausarbeitung besteht. Daher wird die Differenzierungshemmung sofort gestört, sobald eine Intensitätszunahme des zu differenzierenden Reizes oder eine Veränderung der allgemeinen oder lokalen Erregbarkeit des Zentralnervensystems eintritt. Wenn wir es mit dem Nahrungsreflex zu tun haben, so genügt es z.B., die Erregbarkeit durch Nahrung dadurch zu steigern, daß wir unsere Versuche auf eine spätere Tageszeit verschieben, d. h. näher zu der Zeit, zu der unsere Hunde gewöhnlich gefüttert werden, oder dadurch daß wir den Hund einen Tag überhaupt hungern lassen, und eine früher vollständig ausgearbeitete Differenzierung erweist sich schon als ganz mangelhaft. Genau dasselbe sehen wir, wenn wir die allgemeine Erregbarkeit des Zentralnervensystems durch die subkutane Injektion von Koffein erhöhen. Differenzierungen, die bisher voll wirksam waren, sind jetzt gestört. Ich führe einen hierher gehörenden Versuch aus einer Arbeit von P . M . N I K I F O R O W S K I an. Eine mechanische Hautreizung an der Vorderpfote ist bedingter Nahrungsreiz. Die gleiche Hautreizung auf dem Rücken ist Differenzierungsreiz. Zeit 12 h 52' 1 h 05' l h 18' l h 33' l h 45'

Reiz für eine Minute Reizung am Rücken Reizung an der Vorderpfote Subkutane Injektion von 5,0 cm 3 l°/ 0 iger Koffeinlösung Reizung an der Vorderpfote Reizung am Rücken Reizung an der Vorderpfote

Speichelsekretion (in Tropfen) in 1 Min. 0 5 4 3 7

Bemerkungen

Bekräftigt Bekräftigt Bekräftigt

105

Enthemmung der Differenzierung

Schließlich kann die Differenzierungshemmung, wie die übrigen Fälle von innerer Hemmung, auch enthemmt werden, d.h., auch diese Hemmung kann für eine kurze Zeit durch neue, ungewohnte Reize aufgehoben werden und einem positiven Reizeffekt weichen. Ich will auch hierfür zwei Versuche aus der Arbeit von B E L J A K O W anführen, die beide an ein und demselben Hund, aber unter Anwendung verschiedener Zusatzreize, ausgeführt wurden. (141) Ein Ton (mit 800 Schwingungen in der Sekunde) ist bedingter Nahrungsreiz. Ein gleichartiger Ton, der nur um einen Achtel ton höher ist (812 Schwingungen pro Sekunde), ist ein sorgfältig differenzierter Reiz. Als Zusatzreize werden angewandt : der Geruch von Amylazetat und das Brodeln von Wasser. Beide Reize haben, einzeln geprüft, auf die Speichelsekretion absolut keine Wirkung. Versuch vom 18. Juni Zeit 12 1 1 1

h h h h

30' 00' 20' 35'

Beiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sek.

Ton Achtelton Ton Achtelton + Geruch von Amylazetat

h h h h

55' 10' 30' 40'

_ , Bemerkungen

3,5

Bekräftigt

3

Bekräftigt

4 2 3 3

Bekräftigt

0

2

Versuch vom 23. Juni 11 12 12 12

1911

1911

Ton Achtelton + Wasserbrodeln Ton Desgl

Bekräftigt Desgl.

Es ist interessant, daß man die enthemmende Wirkung auch noch in der Phase der Nachwirkung der Differenzierungshemmung feststellen kann. Ein Versuch von B E L J A K O W am gleichen Tier, bei dem niemals eine zufällige Speichelsekretion vorkam. Versuch vom 17. Mai 1911 „

_ .

Z e l t

R e l z

11h 11 h 11 h 11 h 11 h

10' 30' 40' 44' 45' 3 0 "

Ton Desgl Achtelton Desgl Ticken des Metronoms für 1 Minute

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sek. 4,5 4 0 0 1,5

_ Bemerkung Bekräftigt

(142)

Unter den von uns angewandten Zusatzreizen waren auch solche, die keine Orientierungsreaktion hervorriefen, sondern einen speziellen Reflex, der stärker

106

SIEBENTE

VORLESUNG

und komplizierter war. In solchen Fällen konnte die enthemmende Wirkung des Zusatzreizes noch lange nach dem Aufhören des Reizes selbst festgestellt werden. Ein Versuch von B E L J A K O W am gleichen Tier. Als Zusatzreiz dient der Ton einer Kindertrompete, die schrille, verschiedenartige und im höchsten Grade ungleichmäßige Töne hervorbringt. Der Hund beginnt hierbei zu bellen und zu zittern und will aus dem Gestell ausbrechen. Versuch vom 9. Mai 1911 Zeit 10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11h

58' 58' 3 0 " 03' 07' 11' 15'

Reiz Trompete Achtelton Desgl Desgl Desgl Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden 0 6 3 3 1 1 1 1,5 1,5 Spuren

2 1 1

Aus allen angeführten Versuchen geht zweifellos hervor, daß die Ausarbeitung von Differenzierungen auf der Entwicklung einer inneren Hemmung bei Anwendung des Differenzierungsreizes beruht. Auf Grund der verschiedenen Tatsachen, die ich Ihnen in den letzten Vorlesungen mitgeteilt habe, sind wir gezwungen anzunehmen, daß die Fähigkeit des Nervensystems, einen Unterschied zwischen äußeren Agenzien überhaupt festzustellen, und der Prozeß des Differenzierens dieser Reize mit Hilfe der bedingten Reflexe zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Erscheinungen sind. Der erste Prozeß offenbart sich durch einen Erregungsprozeß nach Art der Orientierungsreaktion, des Suchreflexes; erst der Ablauf dieses Reflexes kann sekundär hemmend oder auch enthemmend auf die bedingten Reflexe wirken. Der zweite Fall, das Differenzieren von Reizen, ist die Auswirkung eines sich allmählich entwickelnden Hemmungsprozesses, der sozusagen als Ergebnis eines Kampfes zwischen Erregung und Hemmung zustande kommt. Wie wir weiter sehen werden, ist dieser Kampf oftmals sehr schwierig. Es ist sogar möglich, daß er bisweilen die Kräfte des Versuchstieres übersteigt, und dann entsteht eine Lage (143), bei der der betreffende Organismus die Ergebnisse der tatsächlichen Analyse der äußeren Agenzien nicht mehr in vollem Maße für seine allgemeine Tätigkeit verwerten kann. Ist dem wirklich so, so wird die Forschung über die analysierende Tätigkeit des Nervensystems nach der Methode der bedingten Reflexe auch bestimmte Lücken aufweisen. Jedenfalls aber ist und bleibt sie eine höchst interessante Aufgabe. (144)

ACHTE

VORLESUNG

D I E ANALYSIERENDE UND SYNTHETISIERENDE PUNKTION D E R GROSSHIRNHEMISPHÄREN a) BEISPIELE FÜR DIE ANALYSIERENDE FUNKTION b) DIE SYNTHESE UND ANALYSE GLEICHZEITIGER KOMPLEXREIZE c) DIE SYNTHESE UND ANALYSE AUFEINANDERFOLGENDER KOMPLEXREIZE

Meine Damen und Herren! In der letzten Vorlesung sahen wir, wie jedes einzelne Agens der Außenwelt, das als bedingter Reiz angewandt wird, anfänglich mehr oder weniger verallgemeinert erscheint, sich aber später durch einen speziellen Vorgang, durch die Entstehung eines Hemmungsprozesses, immer feiner spezialisiert und von anderen Reizen unterscheiden läßt. So bildet sich als Endergebnis eine gute experimentelle Möglichkeit, den Umfang und die Grenzen der Funktion der verschiedenen Analysatoren der Tiere zu erforschen. In dieser Hinsicht steht uns ein umfangreiches Material zur Verfügung, das sich auf die verschiedenen Analysatoren des Hundes bezieht. Bei der Durchführung all dieser Versuche bestehen beträchtliche Hindernisse nicht in physiologischer, sondern in physikalischer Hinsicht von Seiten des Instrumentariums. In vielen Fällen ist es schwierig, solche Apparate zu erhalten oder zu konstruieren, die dem Zweck des physiologischen Versuchs vollkommen genügen. Unsere Aufgabe geht dahin, durch ein Instrument die absolute Isolierung eines bestimmten elementaren äußeren Agens oder seiner verschiedenen Intensitäten zu erreichen. Dabei zeigt sich aber, daß es fast unmöglich ist, einen Apparat zur mechanischen Hautreizung zu konstruieren, ohne daß seine Tätigkeit von irgendwelchen Geräuschen begleitet wäre, oder Veränderungen der Höhe eines Tones (145) ohne gleichzeitige Veränderung der Lautstärke zu erzeugen. Infolgedessen habe ich in einem meiner Vorträge auch ausgesprochen, daß ein interessanter Wettstreit zwischen den tierischen Analysatoren als Werkzeugen und unseren physikalischen Apparaten bevorsteht. Und nun unser Tatsachenmaterial. Nehmen wir den optischen Analysator des Hundes. Einerseits erwies sich dieser Analysator als höchst vollkommen; er übertrifft bei weitem das Sehvermögen des Menschen. Dies bezieht sich besonders auf die Fähigkeit, Lichtintensitäten zu unterscheiden. Bei einem Hunde wurde ein bedingter Reflex auf das Erblicken einer schwarzen Leinwand gebildet, die völlig gleichmäßig gefärbt war und keine hervortretenden Linien oder Punkte aufwies. Von dieser Leinwand wurde eine andere, weiße, von vollkommen gleicñer Form und Größe und ebenso gleichmäßiger Färbung differenziert. Ferner stand dem Versuchsleiter eine Reihe verschiedener

108

ACHTE

VORLESUNG

Schattierungen zur Verfügung (50 Nummern der ZiMMERMANNschen Sammlung), von Weiß angefangen über Grau bis zum tiefen Schwarz. Nach der weißen Leinwand wurden allmählich die grauen differenziert, die immer dunkler wurden. Endlich unterschied der Hund durch seinen optischen Apparat vollkommen deutlich die Nr. 49 von Nr. 50, während das menschliche Auge weder beim aufeinanderfolgenden Betrachten dieser Schattierungen während einer gewissen Zeit noch bei gleichzeitigem Vergleichen den geringsten Unterschied zwischen beiden feststellen konnte. Dasselbe traf auch auf einige weiter von einander entfernte Schattierungen zu (Versuche von FROLOW). Zeit 3 h 13' 4 h 01' 4 h 09'

Bedingter Reiz Leinwand Nr. 50 Desgl Leinwand Nr. 49

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 10 12 6

Bemerkungen Bekräftigt Bekräftigt Nicht bekräftigt

So geht der optische Analysator des Hundes in bezug auf die Unterscheidung von Lichtintensitäten sehr weit, und wir konnten seine Grenzen in dieser Beziehung nicht bestimmen. (146) Ein ganz anderes Bild erhielten wir für andere Seiten der Funktion dieses Apparates, und zwar in bezug auf die Analyse der Farben und Formen. So konnte L.A. ORBELI in seiner ersten Arbeit gar kein Unterscheidungsvermögen für Farben beim Hunde feststellen. In einer zweiten Arbeit gelang ihm dies schließlich bei einem Hunde, aber auch nur in nicht ganz einwandfreien Versuchen. Wenn wir die Resultate anderer Forscher, sowohl in unserem Lande als auch im Auslande, in Betracht ziehen, so müssen wir daraus schließen, daß ein Farbensinn beim Hunde nur in angedeuteter Form vorkommt und bei vielen Hunden sogar vollkommen fehlt. Hinsichtlich der Differenzierung von Formen verfügen wir über folgende Versuche (von N . R . SCHENGER-KRESTOWNIKOWA). Bei einem Hunde war ein bedingter Nahrungsreflex auf einen Lichtkreis ausgearbeitet, der auf eine vor dem Hunde stehende Leinwand geworfen wurde. Dann wurden von diesem Kreise Ellipsen von gleicher Fläche und gleicher Lichtintensität differenziert. Die Halbachsen der ersten angewandten Ellipse verhielten sich wie 2:1. Die Differenzierung erfolgte. Die weiter angewandten Ellipsen näherten sich immer mehr der Kreisform, und auf diese Weise erreicht man ein immer feineres Unterscheiden der Form. Bei der Ellipse, deren Halbachsen im Verhältnis von 9:8 standen, war die Grenze erreicht, was sich folgendermaßen äußerte. Die auf diese Ellipse gebildete Differenzierung wurde bei Wiederholung des Reizes allmählich zerstört; das zog sogar das Verschwinden der früheren, gröberen Differenzierungen nach sich. Man mußte die Differenzierung von neuem und ganz vorsichtig ausarbeiten. Die Anwendung der Ellipse mit einem Verhältnis v o n 9 : 8 ergab jetzt beim ersten Male einen bedingt-reflektorischen Nulleffekt. Bei den weiteren Versuchen mit der gleichen Ellipse trat aber die eben beschriebene Erscheinung wieder ein: Nicht

Grenzen der Punktion der verschiedenen Analysatoren

109

allein diese Differenzierung (wenn es überhaupt eine wirkliche Differenzierung war) kam in Wegfall, sondern es verschwanden auch alle früheren, gröberen Differenzierungen. Diese Tatsache entspricht genau dem Fall, den wir am Ende der vorhergehenden Vorlesung erwähnten. Die Analyse an und für sich ist auf dieser Stufe noch möglich, aber ihre dauernde, beständige Ausnutzung für die entsprechende Tätigkeit des Organismus stößt infolge der Beziehungen zwischen den Erregungs- und Hemmungsprozessen auf ein unüberwindliches Hindernis. (147) Bei unseren Versuchen differenzierten wir auch die Bewegung von Figuren und Punkten in verschiedener Richtung, doch wurde hier die Grenze des Unterscheidungsvermögens nicht untersucht. Die analysierende Funktion des akustischen Nervenapparates des Hundes wurde von uns einer besonders eingehenden Untersuchung nach den verschiedensten Richtungen hin unterzogen. An erster Stelle stand auch hier die Analyse der Intensitäten ein und desselben Tones. Es zeigte sich, daß jede Tonintensität leicht zu einem besonderen, dauerhaften bedingten Reiz gemacht werden kann, der sowohl gegen die schwächere als auch gegen die stärkere Intensität differenziert werden kann. Leider sind diese Versuche (von N. P. TICHOMIROW) in recht primitiver Form ausgeführt worden. Der Ton (1740 Schwingungen in der Sekunde) wurde von einer Orgelpfeife erzeugt, die aus einem Gasometer mit unverändertem Druck angeblasen wurde (3,6 bis 3,88 cm Wassersäule). Die Orgelpfeife war in der Mitte eines Holzbrettes befestigt, das mit einer Watteschicht bedeckt war. Über diesem Brett hing ein hölzerner Kasten, der innen mit Watte ausgepolstert und nur nach unten zu offen war. Durch ein genau abgemessenes Heben und Senken dieses Kastens über der Pfeife erreichte man eine bestimmte Dämpfung des Tones. Das Ziel dieser Versuche bestand darin, die Unterscheidungsgrenze für Tonintensitäten beim Hunde im Vergleich zum Menschen zu bestimmen. Schon die vorletzte der Tonintensitäten, die der gewöhnlichen, d.h. der zum bedingten Reiz gemachten Tonintensität nahe kam, wurde vom Hunde noch 17 Stunden nach Anwendung der gewöhnlichen Tonintensität absolut unterschieden, während der Versuchsleiter den Unterschied der Tonhöhe nur bei unmittelbarer Aufeinanderfolge erfassen konnte. Zeit

4 h 28' 4 h 43' 4 h 49'

Bedingter Reiz

Gewöhnlicher Ton Vorletzter zu differenzierender Ton Gewöhnlicher Ton

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 6 0 3

Bemerkungen

Bekräftigt Nicht bekräftigt Bekräftigt

Beim Hunde aber konnte die Tonintensität dem bedingten Reiz noch mehr genähert werden, wobei sogar noch 3 Stunden (148) danach die Differenzierung vorhanden war. Doch wurde diese Differenzierung bei unseren Versuchsbedingungen (gewöhnliches Laboratoriumszimmer) sehr leicht gestört. Um absolute

110

ACHTE

VORLESUNG

Werte zu erhalten, müßten diese Versuche natürlich unter Anwendung vollkommenerer Versuchsbedingungen wiederholt werden. Ferner machten wir viele Versuche, um das Differenzierungsvermögen für Tonhöhen festzustellen. Dazu wurden vor allem verschiedene Blasinstrumente benutzt, wobei, wie wir schon im vorigen Vortrag anführten, die äußerste Grenze des Differenzierungsvermögens, die von uns untersucht und auch vom akustischen Apparat des Hundes ganz genau unterschieden wurde, ein Achtelton war. Weiter sind wir nicht gegangen, da wir nicht von der Genauigkeit unseres Verfahrens überzeugt waren. Die Wiederholung dieser Versuche mit reinen Tönen ergab nichts Erwähnenswertes im Vergleich zu den Versuchen mit den üblichen Tönen (Versuche von G . W . A N R E P und T . M . M A N U I L O W ) . Ferner untersuchten wir die Grenze der Reizbarkeit des akustischen Apparates durch hohe Töne. Sowohl bei Verwendung der GALTONschen Pfeife (Versuche von W. A. BURMAKIN) als auch bei Verwendung eines Apparates zur Erzeugung reiner Töne (Versuche von L. A. ANDREJEW) zeigte sich, daß beim Hunde auch noch Töne von einer solchen Höhe als Reize wirken, wie sie der Mensch gar nicht mehr hört. Dieser Unterschied geht ziemlich weit. Es war interessant zu beobachten, wie der Hund sofort und exakt auf Töne reagierte, die für uns nicht mehr wahrnehmbar waren. Darauf untersuchten wir die Differenzierung der Klangfarbe von Tönen und die Fähigkeit, Töne zu lokalisieren. Doch bestanden wir nicht auf eine Bestimmung der Feinheit dieser Differenzierungen. In diese Reihe gehören auch die Versuche mit Lauten, in denen nicht die erzeugten Laute selbst, sondern die Pausen zwischen diesen Lauten das Wesentliche waren, d.h. die Untersuchung der Differenzierung von Metronomschlägen verschiedener Frequenz. Diese Differenzierungen lassen sich sehr leicht bilden; doch ist es interessant, die Grenze dieser Differenzierung festzustellen. Diese Grenze erwies sich als sehr fein und dem Menschen unzugänglich; denn es wurden sehr genau und sogar noch nach großen Zeiträumen 100 Schläge in der Minute von 96 Schlägen unterschieden. Weniger zahlreich sind unsere Arbeiten über die Hautanalysatoren, sowohl über die mechanischen als auch über die thermischen. (149) Vor allem untersuchten wir die Differenzierung von Reizstellen, die Lokalisationsfähigkeit auf der Haut. Eine solche war natürlich vorhanden, wurde aber auf ihre Genauigkeit und ihre Grenze hin nicht näher untersucht. Ferner differenzierten wir verschiedene Arten mechanischer Reizung: Kratzen, Andrücken einer glatten und rauhen Fläche, Stechen mit verschieden angeordneten stumpfen Stiften, Kratzen in verschiedener Richtung. Außerdem wurden auch Differenzierungen verschiedener Temperaturgrade vorgenommen. Obwohl der Geruchsapparat der vollkommenste Analysator des Hundes zu sein scheint, ist doch bisher seine Erforschung bei uns natürlicherweise aus methodischen Gründen noch höchst mangelhaft. Es ist auch heute noch sehr schwer oder beinahe unmöglich, Gerüche ebenso genau und bestimmt zu handhaben, wie andere Reize. Wir sind nicht imstande, ihre Wirkung der Zeit nach genau zu

111

Die Funktion der verschiedenen Analysatoren

begrenzen, und besonders hinsichtlich des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von Spuren dieser Reize hat man weder ein subjektives, noch ein objektives Kriterium. Daher beschränkten wir uns auch auf einige Versuche. Verschiedene Gerüche, wie Kampfer, Vanillin usw., wurden voneinander unterschieden. Die einen machten wir zu bedingten Nahrungsreizen, die anderen zu Säurereizen; die einen zu positiven bedingten Reizen, die anderen zu Hemmungsreizen. Außerdem wurde die Analyse einer Mischung von Gerüchen untersucht, wenn zu ihr ein neuer Geruch hinzukam. Schließlich sammelten wir einiges Material über den Analysator der Mundhöhle für chemische Reize. Hier gestaltet sich die Sache für uns etwas anders, da unsere beiden gewöhnlichen unbedingten Reflexe ja zum Geschmacksanalysator gehören. Um die Erforschung dieses Analysators unter denselben Bedingungen durchführen zu können wie die anderer Analysatoren, müßte man einen unbedingten Reiz haben, der zu irgendeinem anderen Analysator gehört, und die chemische Reizung der Mundhöhle als bedingten Reiz benutzen. Solche Versuche haben wir nicht ausgeführt, wir haben sie bis zu einem gewissen Grade durch eine andere Versuchsanordnung ersetzt. In diesen Versuchen wurde die Wechselwirkung bedingter Reflexe, die Hemmung des einen durch einen anderen geprüft, die auf verschiedene Nahrungsstoffe und anwidernde Substanzen gebildet waren (Fleischpulver, Zwiebackpulver, Zucker, Käse, Säure, Soda usw.). Ich gebe hier ein Beispiel dieser Versuche aus einer Arbeit Von J. J . JEGOROW wieder. (150) Die mechanische Hautreizung ist ein bedingter Reiz, der mit der Fütterung von Fleisch-Zwiebackpulver verbunden ist; die Drehscheibe ist ein bedingter Reiz, der mit der Fütterung von holländischem Käse verbunden ist. Zeit 3h 3h 3h 3h 4h 4h

12' 29' 50' 57' 04' 11'

Bedingter Reiz Mechanischer Hautreiz Desgl Drehscheibe Mechanischer Hautreiz Desgl Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 5 5 8 0,5 2,5 5

Bemerkung

Entsprechend bekräftigt

Genau dasselbe Resultat ergaben Versuche, in denen die bedingten Reize ohne Beteiligung der unbedingten angewandt wurden. Versuch aus derselben Arbeit. Vor Beginn dieses Versuches ergab die mechanische Hautreizung gewöhnlich im Verlauf von 30 Sekunden 5 bis 6 Tropfen. Zeit 3 h 12' 3 h 20' 3 h 35'

Bedingter Reiz Drehscheibe Mechanischer Hautreiz Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 8 2 1

Bemerkungen Nicht bekräftigt Bekräftigt Bekräftigt

112

ACHTE

Zeit

3 h 45' 4 h 00'

Bedingter Reiz

Mechanischer Hautreiz Desgl

VORLESUNG

Speichelsekretion (in Tropfen) Bemerkungen in 30 Sekunden —



1

|

J 4 h 17' 4 h 38'

Desgl Desgl

2,5 2

Reflexe als zusammenfallende bekräftigt Bekräftigt Bekräftigt

In dieser Versuchsreihe tritt die analysierende Funktion der kortikalen Endigungen des chemischen Analysators deutlich hervor. Bei einem Hunde waren beim gewöhnlichen Futter, das aus Hafergrütze mit Fleisch und Brot bestand, einzelne bedingte Reflexe auf Fleischpulver und Staubzucker ausgearbeitet worden. Danach wurden Fleisch und Brot aus dem Essen weggelassen und der Grütze eine beträchtliche Menge (151) Zucker zugefügt. Nachdem man einige Zeit lang nur dieses Futter angewandt hatte, war der bedingte Reflex auf Fleischpulver bedeutend verstärkt, während der Reflex auf Zucker fast erloschen war (Versuche v o n A . A . SAWITSCH).

In anderen Versuchen (von S.B.CHASEN) ist dasselbe ausführlicher mit anwidernden Substanzen durchgeführt worden. Aus unseren früheren Versuchen wissen wir, daß bei bedingten Reflexen auf Säure während jedes Versuchsabschnittes die Größe sowohl des bedingten als auch des unbedingten Reflexes gegen Ende des Versuches allmählich zunimmt. Ebenso wächst diese Größe in einer Reihe von Versuchen von Tag zu Tag bis zu einem gewissen Höchstwert. •CHASEN führte in seiner Arbeit vor allem folgende Änderimg ein. Nach der ersten Anwendung und Bekräftigung des bedingten Reizes wurde die Säure einige Male ohne bedingten Reiz eingegossen; zuletzt jedoch wurde wieder der bedingte Reiz angewandt. Jetzt war seine Wirkung im Vergleich zur ersten Anwendung stets vergrößert. Darauf wurden die täglichen Versuche durch drei Pausen unterbrochen : in der einen Versuchsreihe nach jedem 5. Tage, in der anderen nach jedem 3.Tage. In der einen Pause wurde dem einen Hunde rektal, dem anderen durch eine Magensonde eine beträchtliche Menge Säurelösung eingeführt, in der zweiten Pause eine Sodalösung und in der dritten Pause wurde weder das eine, noch das andere gemacht. Nach einer jeden solchen Pause wurde die Größe des bedingten und unbedingten Reflexes festgestellt. Nach der Pause mit Eingießen von Säure blieb die Größe der Reflexe entweder gleich oder sie erlitt eine unbedeutende Verminderung im Vergleich zu den Versuchen vor der Pause. Nach der Pause ohne Eingießen ließ die Wirkung des bedingten Reizes deutlich nach, und nach dem Eingießen von Sodalösung fiel sie noch weiter ab. Hier geben wir die Zahlen des Versuches von dem einen Hunde. Bei täglichen Versuchen werden aus der Unterkieferspeicheldrüse auf das Eingießen einer bestimmten Menge Säure ins Maul durchschnittlich 5,1 cm 3 Speichel abgesondert und auf den bedingten Reiz 4 Tropfen. Während der Pause ohne Eingießen dementsprechend -3,8 cm 3 und 2 Tropfen. Bei einer Pause mit Eingießen von Soda 3,7 cm 3 und

Die synthetisierende Funktion der Großhirnhemisphären

113

0 Tropfen. Bei einer Pause mit Eingießung von Säure 4,5 cm 3 und 3 Tropfen. Es wurde also die jeweilige chemische Zusammensetzung des Blutes von der kortikalen Endigung des Analysators für chemische Reize unterschieden, was sich entweder in einer Steigerung oder in einem Absinken der Erregbarkeit des betreffenden Teiles dieses Analysators äußerte. (152) Wenn Säure im Überschuß ins Blut gelangte, wurde die Erregbarkeit des Analysators für chemische Reize in dem Teile erhöht, der die Säurereize rezipiert. Bei der Begegnung mit der Säure schaltete der Organismus durch energische Bewegungs- und Sekretionsreflexe die weitere Säurezufuhr mehr oder weniger aus. Dasselbe findet natürlich auch bei Nahrungsstoffen statt, d.h., ihre Zuführung wirkt sich dementsprechend in einer Steigerung oder einem Absinken der positiven oder der negativen Reaktion auf diese oder jene Stoffe, die in der oder jener Menge gegeben wurden, aus. Durch seine Endigungen vereinigt also der chemische Mundanalysator zwei Welten: die innere Welt des Organismus und die Außenwelt, er regelt ihre Wechselbeziehungen und sichert dadurch den normalen Bestand des Organismus. Diese soeben zitierten (leider später nicht mehr wiederholten) Versuche stammen aus einer sehr frühen Periode unserer Arbeit, als uns noch durch Neuheit und Kompliziertheit des Gegenstandes viele Fehlerquellen verborgen blieben. Im Gegensatz zur analysierenden Nerventätigkeit ist der Mechanismus und die Lokalisation der synthetisierenden Funktion bis jetzt noch wenig erforscht. Am einfachsten können wir sie uns in Form von Verbindungen zwischen den Nervenzellen Vorstellen, seien es nun Zwischenmembranen oder einfach immer feiner werdende Verzweigungen mit den ihnen zukommenden Eigenschaften. Natürlich besteht unsere erste Aufgabe darin, Tatsachen zu sammeln, die sich auf die synthetisierende Funktion beziehen. Einzeluntersuchungen über die synthetisierende Funktion der Großhirnhemisphären haben in unserer Forschung verhältnismäßig wenig Raum gefunden. Außer der Bildung von bedingten Reflexen, die vor allem ein Vorgang der Synthese sind und deren wir uns ständig als Ausgangspunkt all unserer Arbeiten bedienen, haben wir etwas eingehender die komplexen, zusammengesetzten bedingten Reize behandelt. Als bedingte Reize benutzen wir sowohl gleichzeitige als auch aufeinanderfolgende Komplexe verschiedener Reize. Bei gleichzeitigen Komplexen beobachten wir folgende wichtigen Beziehungen. Wenn wir zwei Komplexe von Reizen wählen, die sich auf verschiedene Analysatoren beziehen, so maskiert, einzeln angewandt, der eine Reiz beinahe oder (153) vollständig die bedingte Wirkung des anderen, selbst wenn der Reflex auf den Komplexreiz noch so lange bekräftigt worden ist. Die mechanische Hautreizung verdeckt die Temperaturreizung der Haut, der akustische Reiz den Lichtreiz. Versuch von A . W . P A L L A D I N Es wurde ein bedingter Säurereflex auf gleichzeitige Abkühlung (Temperatur des tauenden Eises) und mechanischen Hautreiz gebildet. Darauf wurden sowohl der Komplexreiz als auch die Reize einzeln geprüft. 8/IV

114

ACHTE

Zeit 11h 15' 12 h 45' 1 h 10'

VORLESUNG

Bedingter Reiz Mechanische Hautreizung Abkühlung Mechanische Hautreizung + Abkühlung Versuch von

(in cm1) in 1 Minute 0,8

0

0,7

SELJONY

Bedingter Nahrungsreflex ist die gleichzeitige Wirkung des Tones Ax der Stimmpfeife (sehr gedämpft durch einen mit Watte ausgepolsterten Kasten) und von drei elektrischen Lampen (zu 16 Kerzen), die dicht vor der Schnauze des Hundes in einem Zimmer mit gedämpftem Licht aufleuchten. Zeit 3 h 37' 3 h 49'

Bedingter Reiz Ton + elektrische Lampen Elektrische Lampen

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 8

0

Natürlich können die hier maskierten Reize, wenn sie zur Bildung bedingter Reflexe einzeln angewandt werden, bedeutende Effekte erzielen. Wie ist die eben angeführte Tatsache zu verstehen ? Versuche mit Komplexreizen aus verschiedenen Agenzien, die aber zu ein und demselben Analysator gehören, geben Grund zu einer der wahrscheinlichen Annahmen. Als Komplexreiz nahmen wir zwei Töne, die dem Gehör nach von annähernd gleicher Intensität waren. Nachdem sich der bedingte Reflex gebildet hatte, prüften wir jeden Ton einzeln. Sie hatten beide die gleiche (154) Wirkung. Bei Bildung eines Reflexes aus Komplextönen verschiedener Intensität war die Einzelwirkung des schwachen Tones sehr klein oder sie fehlte ganz. Versuche von

SELJONY

Bei einem Hunde wurde ein komplexer Nahrungsreflex auf einen starken Pfeifton und den Ton diSi der Stimmpfeife angewandt, die dem Gehör nach annähernd gleich stark waren. Bei getrennter Anwendung ergab jeder dieser Reize 19 Tropfen in der Minute. Bei demselben Hunde war außerdem ein anderer Komplexreiz ausgearbeitet, der aus demselben Pfeifton und einem schwächeren Ton aj der Stimmpfeife bestand. Einzeln angewandt, ergab das Pfeifen 7 Tropfen in 30 Sekunden, der Ton einen Tropfen. Diese Versuche zeigen deutlich, daß die Maskierung des einen Reizes durch einen anderen durch die verschiedene Intensität der Reize hervorgerufen wird. Dasselbe muß man auch für Reize annehmen, die zu verschiedenen Analysatoren gehören. Nach dieser Annahme wäre in unseren Versuchen der mechanische Hautreiz immer stärker als der Temperaturreiz an der Haut, der akustische stärker als der optische Reiz. Diese wichtige Annahme muß durch die Anwendung kombinierter Reize geprüft werden. Dabei müssen die zu verschiedenen Analysatoren

Gleichzeitige Komplexreize

115

gehörenden Reize möglichst große Intensitätsunterschiede aufweisen, so z.B. die Kombination eines möglichst schwachen akustischen Reizes mit einem möglichst starken optischen Reiz. Die Tatsache, daß der eine Reiz durch den anderen in einem gleichzeitigen Komplexreiz (aus verschiedenen Analysatoren) maskiert wird, enthält einige interessante Einzelheiten. Häufig ist die Größe des komplexen Effektes gleich der Wirkung der allein angewandten starken Komponente, d.h., der schwache Reiz wird durch den starken sozusagen vollkommen verdeckt, seine Wirkung wird ausgelöscht. Wendet man dagegen von Zeit zu Zeit den starken Reiz allein ohne Bekräftigung durch den unbedingten Reiz an, während man den Komplexreiz ständig bekräftigt, so verliert die starke Komponente allein ihre Wirkung vollkommen, während der Komplexreiz seine ursprüngliche Stärke beibehält. Folglich beteiligt sich der schwache Reiz dennoch, wenn auch latent, am Komplexreiz (Versuche von Palladin). (155) Eine andere Tatsache, die wir einer Arbeit von Perelzweig entnehmen, ist in meiner vierten Vorlesung angeführt worden. Wenn man einen schwachen oder allein überhaupt nicht wirksamen Reiz aus einem Komplex nach kurzen Pausen (Minuten) ohne Bekräftigung durch den unbedingten Reiz mehrfach wiederholt, d. h. ihn zum Erlöschen bringt, so erlischt sekundär bis zu einem gewissen Grade auch die starke Komponente und sogar der Komplexreiz. Folglich geht auch in diesem Versuch die sozusagen nicht vorhandene Komponente infolge des Vorganges des Erlöschens in ein Agens über, das eine ausgesprochen hemmende Wirkung besitzt 1 ). I n einem einzigen, bisher von uns durchgeführten, sicher ganz einwandfreien Versuche, beobachteten wir weiter folgende Erscheinung. Wenn wir Agenzien, die sich auf verschiedene Analysatoren beziehen, zuerst zu einzelnen bedingten Reizen machen und sie dann zusammen anwenden, d . h . aus ihnen einen Komplexreiz machen, so erfolgt fast keine Maskierung der einen Reize durch die anderen, auch wenn der Komplexreiz sehr oft wiederholt wird. Daraus schließen wir, daß in einem Komplexreiz, der unmittelbar aus indifferenten Agenzien gebildet wird, das starke Agens den schwachen Reizen gleichsam gar nicht erst gestattet, eine entsprechend starke Verbindung mit dem Zentrum des unbedingten Reflexes einzugehen. Eine Analyse des Mechanismus dieser Maskierung, die natürlich als Hemmung angesehen werden muß, bringen wir in einer der nächsten Vorlesungen, die hauptsächlich eine allgemeine Übersicht über unser Material enthalten wird. Schon in den eben angeführten Fällen von Maskierung ist die Wechselwirkung verschiedener Rindenzellen aufeinander, die Verschmelzung, das Synthetisieren der in ihnen vor sich gehenden Prozesse bei ihrer gleichzeitigen Reizung deutlich zu sehen. Bei gleichzeitigen Komplexreizen, die zu ein und demselben Analysator gehören und dabei von gleicher Intensität sind, fällt diese Synthese nicht so auf. Aber warum kommt es in diesen Fällen nicht zu einer Summierung, und warum ') «. S. 47 (dt. Red.) 8*/IV

116

ACHTE

VORLESUNG

ist der Effekt der einzeln angewandten starken Komponente dem des Komplexreizes gleich. ? Bei einer weiteren Versuchsvariation ist unter neuen Bedingungen auch in diesem Fall, d.h. bei Reizen aus demselben Analysator, die Tatsache der Synthese sehr scharf ausgeprägt. Erstmalig zeigte sich die folgende Erscheinung in den Versuchen von S E L J O N Y , dann (156) wiederholte sie sich in den Versuchen von MANUILOW und K R Y L O W und wurde schließlich zu einer häufigen Erscheinung. Wir haben den soeben erwähnten Komplexreiz. Es ist nicht schwer, die Wirkung des Komplexreizes voll zu erhalten, die Wirkung seiner einzeln angewandten Komponenten aber verschwinden zu lassen und diese vorher positiven bedingten Reize in negative, hemmende Reize zu verwandeln. Dies erreichen wir wie immer durch die fortwährende Bekräftigung des Komplexreizes und die Wiederholung der Komponenten ohne gleichzeitige Anwendung des unbedingten Reflexes. Der Versuch kann auch umgekehrt werden, wir können den Komplex zu einem hemmenden und die Komponenten zu positiven Reizen machen. Ohne fürs erste diese Tatsachen eingehender zu besprechen, gehe ich zu solchen Komplexreizen über, die aus zeitlich aufeinanderfolgenden Reizen bestehen, bei denen dieselbe Erscheinung sozusagen in noch verfeinerter Form auftritt. Diese Komplexreize waren bei uns sehr verschieden. Entweder bestand der Komplex aus ein und demselben Reiz (einem bestimmten Ton), der 1 Sekunde anhielt und dreimal wiederholt wurde, wobei zwischen dem ersten und dem zweiten Ton eine Pause von 2 Sekunden war und zwischen dem zweiten und dritten eine Pause von 1 Sekunde. Darauf wurde diese ganze Gruppe nach einer Pause von 5 Sekunden wiederholt und vom unbedingten Reflex begleitet. In anderen Versuchen bestand der Komplex aus 3 bis 4 verschiedenen, aber zu ein und demselben Analysator gehörenden Reizen, die bei gleicher Dauer und gleichen Pausen in einer bestimmten Reihenfolge nacheinander wiederholt wurden, z.B. die 4 Töne: c, d, e, f oder ein Geräusch, zwei verschiedene Töne und die elektrische Klingel. Endlich wurde ein Komplex aus 3 bis 4 Reizen gebildet, die bei gleicher Dauer und bei gleichen Pausen zu verschiedenen Analysatoren gehörten. Bei allen diesen Komplexen ließen sich die Reflexe leicht bilden, und nach einer gewissen Übung zeigten alle ihre Komponenten eine positive, bedingte Wirkung entsprechend ihrer Stärke und ihrer Art. Darauf schritten wir zu einer Veränderung dieser Komplexe. Im ersten Falle wurde die Pause im Komplex umgestellt: die längere Pause ließen wir zwischen dem zweiten und dem dritten Ton eintreten. In den übrigen Fällen veränderten wir die Reihenfolge der einzelnen Reize entweder ganz, indem wir sie umkehrten, oder wenn es sich um 4 Reize handelte, (157) indem wir nur die beiden mittleren Glieder miteinander vertauschten. Derart veränderte Komplexe wandten wir wiederholt an, ohne sie durch die unbedingten Reflexe zu bekräftigen, während wir die ursprünglichen Komplexe ständig bekräftigten. Als Endergebnis erhielten wir eine Differenzierung der ursprünglichen Komplexreize von den umgestellten; diese verloren ihre positive bedingte Wirkung und wurden zu negativen, hemmenden Reizen (Versuche von B . P . B A B K I N , W.W. STROGANOW, L. S . GRIGOROWITSCH, A . G . IWANOW- SMOLENSKI u n d M . N . JURMANN).

Differenzierung aufeinanderfolgender Komplexreize

117

Versuch von J u r m a n n Der positive, bedingte Nahrungsreiz besteht aus dem Aufleuchten eines elektrischen Lämpchens (L), einem mechanischen Hautreiz (H) und dem Geräusch brodelnden Wassers (B); der Hemmreiz besteht aus den Komponenten BHL. Zeit 11 h 11h 11h 12 h 12 h 12h 12 h

38' 45' 57' 13' 22' 32' 45'

Bedingter Reiz LHB Desgl BHL LHB BHL LHB Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 10 11 0 7 0 5 7

Bemerkungen

\ _ . .... , /Bekräftigt Nicht bekräftigt Bekräftigt Nicht bekräftigt i } Bekräftigt

Versuch von I w a n o w - Smolenski Der positive bedingte Nahrungsreiz besteht aus: Zischen, hohem Ton, tiefem Ton und Klingeln = Z hT t T K . Der Hemmungsreiz besteht aus Z tT hT K. Zeit 3 3 3 3 3 3

h h h h h h

10' 17' 27' 32' 38' 46'

Bedingter Reiz Z hT tT Z tT hT Z hT t T Desgl Z tT hT Z hT t T

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

K K K

4 0

K K

0 2

^

Bemerkungen Bekräftigt Nicht bekräftigt

J Bekräftigt Nicht bekräftigt Bekräftigt

Die Bildung der Hemmreflexe ging in diesen Fällen, besonders bei einigen von ihnen, sehr langsam vor sich. (158) Zeigte sich auch eine teilweise Differenzierung manchmal ziemlich bald, so erreichte man die vollständige, absolute Differenzierung frühestens nach mehr als hundert Wiederholungen. Um die Aufgabe endgültig zu lösen, mußte man manchmal stufenweise mit der Differenzierung einfacherer Komplexreize beginnen. Besonders schwer zu erreichen war die Differenzierung des Komplexes: Geräusch, hoher Ton, tiefer Ton, Klingel, in dem die Töne, also die mittleren Glieder des Komplexes, umgestellt waren. Alle diese Differenzierungen, besonders die schwierigen, erwiesen sich als sehr unbeständig. Einerseits litten sie sehr bei häufigen Wiederholungen, andererseits wurden sie schwächer oder verschwanden zeitweise ganz, wenn die Arbeit mit ihnen längere Zeit unterbrochen wurde. Wenn man eine volle Differenzierung erreicht hatte, verloren die' einzeln angewandten Komponenten der Komplexe ihre positive Wirkung als bedingte Reize. Wie kann man diese Tatsachen verstehen ? Wie kann ein Komplex ein und derselben Reize, die also auf ein und dieselben Zellen der Großhirnhemisphären

118

ACHTE

VORLESUNO

wirken, dauernd gleichzeitig zwei verschiedenartige Reizwirkungen ausüben, d.h. in diesen Zellen bald einen Erregungsprozeß, bald einen Hemmungsprozeß hervorrufen? Worin könnte der Grund für eine so verschiedenartige Wirkung liegen ? Wie man sieht, kann es nur eine Synthese der Tätigkeit der erregten Zellen sein. Unter diesen Bedingungen müssen sich die Zellen verbinden und eine komplizierte Einheit bilden, was aus der Tatsache der Bildung beständiger bedingter Reflexe hervorgeht. Hierbei muß notwendigerweise eine Einwirkung der erregten Zellen aufeinander stattfinden, eine Wechselwirkung. Das hat sich schon bei den gleichzeitigen Komplexreizen klar gezeigt. Bei einem aufeinanderfolgenden Komplex muß die Wechselwirkung komplizierter sein. Eine jede Zelle wirkt hier anders auf die nach ihr gereizten Zellen, je nachdem wie die vor ihr gereizte Zelle auf sie selbst einwirkte. Folglich müssen die Reihenfolge ein und derselben Reize und die zwischen ihnen befindlichen Pausen als Faktoren aufgefaßt werden, die das endgültige Resultat der Reizung beeinflussen. Sie müssen also das jeweilige quantitative (vielleicht auch das qualitative) Ergebnis des Komplexreizes bestimmen. Wir wissen aber schon, daß die verschiedenen Intensitäten ein und desselben Reizes (159) sehr fein unterschieden werden, d. h. die einen können mit Erregungsprozessen, die anderen mit Hemmungsprozessen verbunden sein. Aus dem eben Gesagten folgt, daß wir eine elementare Analyse und ebenso eine elementare Synthese von der höheren Analyse und Synthese unterscheiden müssen. Wenn die elementaren Prozesse (speziell die Analyse) ihren Grund in den Eigenschaften und in der Tätigkeit des peripheren Teiles der Analysatoren haben, so entstehen die höhere Synthese und Analyse hauptsächlich dank der Eigenschaften und der Tätigkeit der zentralen Endigungen der Analysatoren. Mit Hilfe der bedingten Reflexe kann und muß eine detaillierte experimentelle Untersuchimg sowohl der peripheren, als auch der zentralen Analysatorenendigungen an Tieren durchgeführt werden. Als Beweis dafür, wie weite Möglichkeiten dieses Experiment an Tieren bietet, können wir folgende Beispiele aus unseren Versuchen anführen. Eine unserer Aufgaben bestand darin, mittels der bedingten Reflexe experimentelle Angaben zur HELMHOLTZschen Resonanztheorie zu erhalten. Wir versuchten festzustellen, ob nicht eine partielle Zerstörung des CoRTischen Organs und der membrana basilaris den Ausfall bestimmter Töne zur Folge hat. Bis jetzt hat A N D R E J E W ZU diesem Zweck nur einen Versuch durchgeführt, aber die Untersuchung wird fortgesetzt. Hier dieser Versuch. Angewandt wurden reine Töne, die durch zwei Apparate erzeugt wurden; der eine Apparat liefert 100 bis 3000, der andere 3000 bis 26 000 Schwingungen pro Sekunde. Bei dem Hunde waren verschiedene bedingte Nahrungsreflexe ausgearbeitet worden, und zwar auf mechanische Hautreizung, auf optische und verschiedene akustische Reize (Klingel, Ticken des Metronoms, Geräusch und verschiedene reine Töne). Zuerst wurde die Schnecke der einen Seite vollständig zerstört. 6 Tage nach der Operation waren beim ersten Versuch alle akustischen, bedingten Reflexe vorhanden. Darauf wurde an der anderen Seite eine zweite Operation vorgenommen (am 10. März 1923), mit der Absicht, nur den unteren

Untersuchung des akustischen Analysators

119

Teil der Tonskala auszuschalten. Der knöcherne Teil der Schnecke wurde mit einem Bohrer an der Grenze zwischen mittlerem und unterem Drittel durchbohrt. Der membranöse Teil und das CoRTische Organ wurden dann mit einer feinen Nadel verletzt. Schon1 am 10. Tage nach der Operation wirkten alle Tonreize, nur bei den Tönen von 600 Schwingungen und darunter blieb die Wirkimg aus. (160) Im Verlauf von weiteren 3 Monaten nach der Operation stellte sich die Wirkung der tieferen Töne von 600 und weniger Schwingungen bis gegen 300 wieder ein. Bei zahlreichen Proben in der darauffolgenden Zeit bis zu einem Jahr nach der Operation wurde die obere Grenze der erloschenen Töne zwischen 309 und 317 Schwingungen festgestellt. Die untere Grenze konnte nicht festgestellt werden, da wir über keine reinen Töne mit weniger als 100 Schwingungen pro Sekunde verfügten. Hier geben wir zwei Protokolle aus der letzten VersuchspeYiode wieder. Versuch vom 17. März Zeit

1924 Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Bedingter Reiz

6 h 08' 6 h 19' 6 h 25'

Ticken des Metronoms Ton mit 330 Schwingungen, 1 Sekunde lang . Versuch vom 19. März

:: • 1

Motorische Nahrungsreaktion

1924

:: ! 1

5 h 35' 5 h 39'

Ticken des Metronoms Desgl

5 h 45'

Ton mit 315 Schwingungen, 1 Sekunde lang . .

6 h 17'

Ticken des Metronoms

5

6 h 24' 6 h 32'

Ton mit 315 Schwingungen, 1 Sekunde lang . Ticken des Metronoms

0 8

:.

Bemerkungen

0

Motorische Nahrungsreaktion Keine motorische Reaktion Motorische Nahrungsreaktion Keine Reaktion Motorische Nahrungsreaktion

Die histologische Untersuchung steht noch aus, der Hund lebt noch1). Offensichtlich muß unser positiver Versuch in dieser Frage an die Stelle der negativen Versuche KALISCHERS treten. Eine andere Aufgabe betraf die Frage, ob zur Differenzierung der Lokalisation eines Tones die Beteiligung beider Großhirnhemisphären notwendig ist. Eine Lösung dieser Frage gaben die Versuche K . M . B Y K O W S . Bei einem Hunde wurde das corpus callosum durchtrennt. Nachdem der Hund sich von der Operation erholt hatte, schritt man zur Ausarbeitung bedingter Nahrungsreflexe. Ihre Bildung zeigte keine Besonderheiten und ging ebenso schnell s. Anhang,

S. 369 (dt.

Red.)

120

ACHTE

VORLESUNG

vonstatten wie beim normalen Hunde. Unter anderem hatte der Hund (161) einen Reflex auf den Ton einer Pfeife von 1500 Schwingungen in der Sekunde. Die Pfeife befand sich in einem Kartonfutteral und war links vom Hunde in Höhe seines Ohres in einer ganz bestimmten Entfernung vom Gestell befestigt. Der Reflex zeigte sich bei der 8. Anwendung, bei der 70. Anwendung erreichte er seine maximale Wirkung und wurde konstant. Darauf brachte man eine ebensolche Pfeife in derselben Weise rechts vom Hunde an. In dieser Stellung wurde der Ton der Pfeife von keinem unbedingten Reflex begleitet. Dadurch, daß wir den Ton bald von rechts, bald von links anwandten, versuchten wir eine Differenzierung zu erreichen. Aber es fand sich nicht die geringste Spur einer Differenzierung, obwohl wir den zu differenzierenden Ton von rechts 115mal einwirken ließen, so daß wir keinen Grund hatten, den Versuch in dieser Form fortzusetzen. Man muß annehmen, daß zu einer Differenzierung der Lokalisation des Tones die kombinierte Funktion beider Großhirnhemisphären notwendig ist. Hier einer der letzten Versuche. Zeit 3 4 4 4 4

h h h h h

40' 00' 20' 35' 46'

Bedingter Beiz Pfeifen von links Desgl Pfeifen von recht« (112. Mal) Pfeifen von links Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 9 14 14 12 13

Bemerkungen I )

Bekräftigt

\ }

Bekräftigt

Nicht bekräftigt

Andere Differenzierungen gelangen bei diesem Hunde leicht und schnell. Bei anderen, normalen Hunden unterschied sich die Differenzierung der Tonlokalisation ihrer Schwierigkeit nach nicht von anderen Differenzierungen. Sie stellte sich schon nach wenigen Wiederholungen ein. Nach allen in dieser und in der vorhergehenden Vorlesung angeführten Tatsachen ist es kaum zu bestreiten, daß wirklich alle Fragen, die bisher das sogenannte Gebiet der Physiologie der Sinnesorgane gebildet haben, an Tieren mit Hilfe der bedingten Reflexe bearbeitet werden können. Sind nicht die berühmten „unbewußten Schlüsse" von H E L M H O L T Z (s. seine „Physiologische Optik" 1 ) echte bedingte Reflexe ? Nehmen wir den einfachen Fall eines in einer Zeichnung gut wiedergegebenen Reliefs. Die mechanischen Hautreize und die Bewegungsreize, die vom Relief ausgehen, sind die ursprünglichen und grundlegenden Reize; die Lichtreize hingegen, (162) die von den mehr oder weniger beleuchteten oder beschatteten Stellen ausgehen, sind bedingte Signalreize, die ihre Bedeutung erst später infolge des zeitlichen Zusammenfallens mit den ersteren erhalten haben. Andere Beispiele, die Erscheinungen aus der Physiologie der Sinnesorgane an Hunden objektiv wiedergeben und ihre völlige Aufklärung ermöglichen, werden uns noch in unseren weiteren Vorlesungen begegnen. (163) *) H . v. HELMHOLTZ, Handbuch 1909—1911 (dt. Red.)

der physiologischen

Optik, 1. Aufl., Hamburg

und

Leipzig

NEUNTE

VOBLESUNG

D I E I R R A D I A T I O N UND KONZENTRATION D E R N E R V E N P R O Z E S S E IN DER RINDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN a) DIE ERRADIATION UND KONZENTRATION DES HEMMUNGSPROZESSES IN EIN UND DEMSELBEN ANALYSATOR (HAUTANALYSATOR UND AKUSTISCHER ANALYSATOR) Meine Damen und Herren! Bis jetzt haben wir uns hauptsächlich sozusagen mit der äußeren Tätigkeit der Großhirnhemisphären beschäftigt, durch die die feinsten und kompliziertesten Beziehungen zwischen Organismus und Umwelt hergestellt werden. Vor allem signalisieren die Großhirnhemisphären dem Organismus durch zahllose Agenzien der Natur diejenigen verhältnismäßig wenigen Agenzien dieser Natur, die dem Organismus unmittelbar förderlich oder schädlich sind, und veranlassen so die entsprechenden Reaktionen des Organismus. Ferner werden diese bedingt wirkenden Agenzien durch die Tätigkeit der Großhirnhemisphären ständig korrigiert. Wenn sie den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen, so verlieren sie unter bestimmten Bedingungen für immer oder zeitweilig ihre Wirkung. Schließlich werden die signalisierenden Agenzien als bedingte Reize im Einklang mit der sich ununterbrochen und vielgestaltig ändernden Umgebung teils von den Großhirnhemisphären f ü r den Organismus als äußerst feine Elemente ausgesondert (analysiert), teils fließen sie zu vielgestaltigen Komplexen zusammen (sie werden synthetisiert). Nun wollen wir den inneren Mechanismus der Tätigkeit der Großhirnhemisphären näher betrachten und uns fragen, was denn bei der eben beschriebenen Tätigkeit mit den zugrundeliegenden Nervenprozessen, der Erregung und der Hemmung, geschieht. (164) Das erste, was hier vor allem unsere Aufmerksamkeit fesselt, ist die Fortbewegung dieser Prozesse. Mit ihr wollen wir uns jetzt beschäftigen. Wie es in der Physiologie bei verschiedenen Gliedern einer verwandten Gruppe von Erscheinungen häufig zu sein pflegt, ist ein Glied der Forschung leichter zugänglich als andere. Bei unserem Forschungsgegenstand ist in diesem Falle die Lage bei der inneren Hemmung besonders günstig. Die Erforschung ihrer Bewegung ist zugleich ein glänzendes Beispiel für die außerordentlichen Vorteile, die der Hautanalysator dem Physiologen durch seine große und vollkommen zugängliche rezeptorische Oberfläche bietet. Hier der Grundversuch, von dem unsere Forschung ausging. Durch ihn eröffnete sich uns ein neues, wichtiges Kapitel der Physiologie der Großhirn-

122

NEUNTE

VORLESUNG

hemisphären. Dieser Versuch und einige der folgenden Versuche sind von N. I. K R A S N O G O R S K I ausgeführt worden. Versuch: Längs der Hinterpfote des Hundes wurden fünf Apparate zur mechanischen Hautreizung befestigt. Wenn man vom untersten Apparat am Fuß ausging, so befanden sich die übrigen in einer Entfernung von 3, 9, 15 und 22 cm. Der unterste Apparat übte eine hemmende, alle übrigen eine positive Wirkung aus. Dies wurde wie gewöhnlich dadurch erreicht, daß man zu 'Beginn einen positiven, bedingten Nahrungsreflex an einer Stelle ausarbeitete. Durch die primäre Generalisation wirkten mehr oder weniger auch alle anderen Stellen. Dann wurde die Reizung an den vier oberen Stellen immer vom Püttern begleitet, bis der positive Effekt an diesen vier Stellen ganz oder beinahe gleichmäßige Resultate gab. Die Reizung der untersten Stelle dagegen wurde ohne Fütterung wiederholt, bis sie jede positive Wirkung verlor; diese war nun durch eine Hemmwirkung ersetzt. In den unten angeführten Protokollen dauert die bedingte Reizung (bis zum Einsetzen des unbedingten Reizes) jedesmal 30 Sekunden; sie wird durch die Nummern der Stellen bezeichnet: 0 (die unterste), 1, 2, 3, 4 (in der Richtung von unten nach oben). Bei den vier oberen Nummern ist in Klammern die Entfernung von der untersten Stelle angegeben. Jedem positiven Reiz folgt natürlich eine Fütterung, dem Hemmreiz nicht. (165) Intervall zwischen den einzelnen Reizen (in Minuten) —

10 10 10 1 1 1 10 1 1 1 10 1 1 10 1 1 1 10 1 1 1 10 1 1

Bedingte Reizung Nr. 4 (22 cm) Nr. 3 (15 cm) Nr. 1 (3 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 0 Nr. 1 (3 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 0 Nr. 2 (9 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 0 Nr. 3 (15 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 0 Nr. 4 (22 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 0 Nr. 1 (3 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 0

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 5 5 5 0 0 0 0 0 0 0 3 0 0 0 6 Spuren 0 0 7 0 0 0 Spuren 0 0 0

123

Das Irradiieren des Hemmungsprozesses Intervall zwischen den einzelnen Reizen (in Minuten)

1 10 1 1 1

Bedingte Reizung Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2 (9 cm) 0 0 0 4 (22 cm)

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

3 0 0 0 5

Was ersehen wir aus diesem Protokoll? Die Prüfung der drei verschiedenen positiven Reize ergab für alle denselben Speicheleffekt, 5 Tropfen in 30 Sekunden. Darauf prüfte man unter ganz gleichen Zeitbedingungen, d.h. eine Minute nach dreimaliger Anwendung des Hemmreizes, (166) bald den einen, bald den anderen positiven Reiz. Jetzt war ihre Wirkung ganz verschieden. Der dem Hemmreiz nächste positive Reiz blieb einmal ohne jede Wirkung, das zweite Mal ergab er kaum einen Tropfen. Der nächsthöhere Reiz verlor fast die Hälfte seiner Wirkung, während die beiden obersten Reize ganz unverändert blieben oder sogar eine verstärkte Wirkung zeigten. Der Sinn dieses Versuches ist klar. Da natürlich die Punkte der Haut eine Projektion der entsprechenden Punkte der Großhirnrinde darstellen, folgt aus dem eben angeführten und allen ihm ähnlichen Versuchen unausweichlich, daß sich die Hemmung, die durch die Reizung an der Stelle Nr. 0 in dem entsprechenden Punkte der Rinde hervorgerufen wird, von dort über die benachbarten Punkte ausbreitet, und zwar um so schwächer, je weiter diese Punkte von dem Punkte entfernt sind, an dem die Hemmung stattgefunden hat. Ali den am weitesten entfernten Punkten ist schließlich gar keine Hemmung mehr wahrzunehmen. Folglich haben wir es hier mit dem Irradiieren eines Hemmungsprozesses von seinem Ausgangspunkt über die Gesamtheit der Großhirnhemisphären zu tun. Wenn wir nun eine andere Intensität der Hemmung wählen, wenn wir die Wirkung des Hemmreizes nicht dreimal, sondern öfter oder seltener wiederholen oder wenn wir ein anderes Zeitintervall vom Ende der Entwicklung des Hemmreizes bis zum Einsetzen des positiven Reizes nehmen, so erhalten wir natürlich in all diesen Fällen für die Speichelsekretion ganz andere Zahlen, der allgemeine Sinn des Versuches bleibt jedoch derselbe. Hier ist das Protokoll eines anderen, hierher gehörenden Versuches. Intervall zwischen den einzelnen Reizen (in Minuten)

10

10 10 0,25 0,25 0,25 0,25

Bedingte Reizung Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 4 2 0 0 0 0 4

(3 cm) (22 cm) (9 cm)

(22 cm)

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 6

0 1 0 1 0 3

(167)

124

NEUNTE

VORLESUNG

In diesem Fall äußerte sich also die intensive Hemmung nach einem kürzeren Zeitintervall auch am entferntesten Punkt recht beträchtlich. Wenn wir in ein und demselben Versuch verschiedene positive Reize in verschiedenen Zeitabständen nach Beendigung der Wirkung des Hemmreizes anwenden, so sehen wir ganz deutlich, wie der Hemmungsprozeß sich erst stark ausbreitet, dann allmählich zuerst die entfernteren Punkte verläßt und schließlich auch die näher zu seinem Ausgangspunkt gelegenen Punkte freigibt. Ich führe einen entsprechenden Versuch an. Intervall zwischen den einzelnen Reizen (in Minuten) —

10 1 0,25 10 1 0,5 10 1 1 10 1 5 10 1 10 10 1 1 10 1 5

Bedingte Reizung Nr. 1 (3 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 4 (22 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 4 (22 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 1 (3 m) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 1 (3 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 1 (3 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 2 (9 cm) Nr. 0 Nr. 0 Nr. 2 (9 cm)

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 7 0 0 4 0 0 8 0 0 2 0 0 3 0' 0 8 0 0 3 0 0 8

Wie wir sehen, war Nr. 4 nach einer halben Minute, Nr. 2 nach fünf Minuten und Nr. 1 nach zehn Minuten von der Hemmung frei. J e häufiger die Differenzierung im Verlaufe von Tagen und Wochen angewandt wird, desto schneller werden die entfernteren Punkte freigegeben. (168) Das zeigt sich manchmal schon während eines Versuches bei mehrmaliger Wiederholung der positiven und negativen Reize. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß wir diese Versuche mehrmals Besuchern unseres Laboratoriums demonstriert und daß wir sie sogar mit vollem Erfolg in einer stark besuchten Sitzung der Medizinischen Gesellschaft vorgeführt haben. Wie läßt es sich nun erklären, daß der Hemmungsprozeß die zeitweilig von ihm eingenommenen Punkte wieder verläßt ? Ist es eine Vernichtung, ein einfaches Vergehen des Prozesses an diesen Punkten, oder ist es gleichsam ein Zurückkehren, ein Zusammenziehen, eine Konzentrierung der Hemmung im

Die Konzentration des Hemmungsprozesses

125

Ausgangspunkt unter dem Einfluß irgendeines entgegengesetzten Prozesses. I n Anbetracht der präzisen, sich immer wiederholenden Tatsache, daß parallel mit der Ausbildung und Festigung der Differenzierung auch eine Verkürzung der nachfolgenden Hemmung sowohl zeitlich als auch räumlich einhergeht, müssen wir natürlich zur zweiten Annahme neigen, d. h. annehmen, daß wir es mit einem dem Irradiieren entgegengesetzten Prozeß zu tun haben, mit einer Konzentrierung des Prozesses, nicht mit seinem Zerfließen und damit seiner Abschwächung, sondern mit seiner Zusammenziehung und damit mit seiner Verstärkung an einem bestimmten Punkte. Im folgenden werden wir wichtige Tatsachen bringen, die diese Schlußfolgerungen bestätigen. Wie wir soeben aus den Versuchen KRASNOGORKIS gesehen haben, ging die Konzentrierung sehr langsam, im Verlauf von Minuten, vor sich. Was das Irradiieren anbelangt, so verlief dieser Prozeß in diesen Versuchen so Schnell, daß KRASNOGORSKI nicht imstande war, ihn festzustellen. Die überaus wichtige Tatsache der doppelsinnigen Bewegung des Hemmungsprozesses veranlaßte uns, die Versuche über diesen Gegenstand auf die verschiedenste Weise zu variieren. Zuerst richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Hemmung, die beim Erlöschen der bedingten Reflexe stattfindet (Versuche von B. A . K O G A N ) , wobei wir denselben Hautanalysator und seine mechanische Reizung benutzten. Wir begannen ebenso wie in den Versuchen von KRASNOGORSKI. Z U allererst wurde an irgendeiner Stelle ein positiver bedingter mechanischer Hautreflex auf Säure ausgearbeitet. Dann wurde er als generalisierter Reiz an der gesamten Oberfläche der einen Körperseite so weit wie möglich ausgeglichen. (169) Danach gingen wir zu den eigentlichen Versuchen über. Es wurde eine bestimmte Hautstelle gereizt und die Speichelwirkung während einer Minute registriert, doch wurde der bedingte Reiz nicht vom unbedingten Reflex begleitet; der bedingte Reflex begann zu erlöschen. In kurzen Intervallen (2 Minuten) wurde derselbe Vorgang wiederholt, bis die Reizung zum ersten Male eine Nullwirkung zeigte. Nun wurde in verschiedenen Zeitabständen nach Aufhören des Nullreizes bald die eine, bald die andere Hautstelle gereizt und die Speichelwirkung während einer Minute registriert. Auch diese anderen Hautstellen erwiesen sich unter bestimmten zeitlichen Bedingungen als mehr oder weniger gehemmt. Die erste Hautstelle, an der das Erlöschen hervorgerufen wird, nennen wir, wie bereits in der vierten Vorlesung angegeben, die primär erlöschende, •die anderen die sekundär erlöschenden. Es bleibt also auch die auslöschende Hemmung nicht an der Stelle des Gehirns, wo sie durch bestimmte äußere Reize hervorgerufen wurde, sondern sie Verbreitet sich über das gesamte Gehirn, sie irradiiert, d.h., wir erhalten dasselbe, was wir bereits bei der Differenzierungshemmung gesehen haben 1 ). Es ist klar, daß wir bei jedem einzelnen Versuch das Erlöschen immer wieder an einer anderen Hautstelle hervorrufen mußten. Hätten wir dies nicht getan, so hätten wir wieder an dieser Stelle eine beständige Hemmung ausgearbeitet, x

) s. S. 44/45

(dt.

Red.)

126

NEUNTE

VORLESUNO

eine Differenzierungshemmung, die an demselben Ort sehr lange Zeit (mehrere Monate) anhalten kann. Das wäre dann keine auslöschende Hemmung, denn diese verschwindet schon nach Minuten, höchstens nach ein bis zwei Stunden, an der primär erlöschenden Stelle. Hier gebe ich einige Versuche wieder, die dies illustrieren.

Datum

Hautstelle, an der der bedingte Reiz gesetzt wird

Intervall zwischen dem Erlöschen auf Null und der Reizung der neuen Stelle

Speichelsekretion (in Tropfen) während der 1. 2. 3. Minute

Hemmung in0/.

Hund Nr. 1 10. 11. 1913 Am linken Schulterblatt . Desgl Desgl Desgl Desgl An der linken Brustseite . 11. 11. 1913 Am linken Schulterblatt . Desgl Desgl Desgl Desgl Am linken Schenkel

2 0 1 0

1'

9 2 5 1 0 1

1 0 0 0

1'

9 3 2 1 0 8

2 0 0 0

0 0 0 0

3'

10 3 2 1 0 0

3 1 0

1 0 0

3'

9 4 1 0 5

1 1 0 0 89 (170) 0 1 0 0 12

Hund Nr. 2 17. 11. 1913 An der linken Halsseite . . Desgl Desgl Desgl Desgl Am linken Schulterblatt . 18. 11. 1913 An der linken Halsseite .. Desgl Desgl Desgl Am linken Schenkel

100

45

Es ist klar, daß die Hemmung an der sekundär erlöschenden Stelle um so schwächer ist, je weiter diese von der primär erlöschenden Stelle entfernt ist. Wenn wir jetzt die sekundär erlöschenden Stellen in verschiedenen Intervallen nach dem Erlöschen auf Null reizen, so sehen wir folgendes: je größer das Intervall ist, desto schwächer tritt die Hemmung an dieser Stelle auf und umgekehrt.

127

Irradiation und Konzentration des Hemmungsprozesses Hier einige Versuche, die dies beweisen.

Datum

Intervall zwischen dem Erlöschen auf Null und der Reizung der neuen Stelle

Hautstelle, an der der bedingte Reiz gesetzt wird

Speichelsekretion (in Tropfen) 1. 2. 3. Minute

Hemmung in0/.

Hund Nr. 1 Am linken Vorderlauf . . . Desgl Desgl Desgl An der linken Seite des Bauches 21. 11. 1913 Am linken Vorderlauf . . . Desgl Desgl Desgl Desgl An der linken Seite des Bauches 20. 11. 1913 Am linken Vorderlauf . . . Desgl Desgl Desgl An der linken Seite des Bauches

9 3 1 0

18. 11. 1913

60"

30"

15"

2 0 0

0 1 0

8 9 3 3 1 0

2 0 0 0

1 1 0 0

4 10 4 3 0

2 0 0

1 1 1

12

(171)

65

2

80

Hund Nr. 2 Am linken Desgl Desgl. Desgl Am linken 29. 11. 1913 Am linken Desgl Desgl Desgl Am linken 30. 11. 1913 Am linken Desgl Desgl Desgl Am linken

28. 11. 1913

Schenkel

Schulterblatt Schenkel

....

Schulterblatt Schenkel

....

Schulterblatt

....

15'

r

2'

10 4 1 0 9 9 2 1 0 4 8 2 2 0 0

4 1 0

1 0 0

2 0 1

0 0 0

1 0 0

0 0 0

10

56

100

Offensichtlich haben wir es auch hier mit derselben Erscheinung zu tun, die wir bei der Differenzierungshemmung gesehen und als Konzentrierung der Hemmung bezeichnet haben, da die Hemmung mit der Zeit die entfernteren P u n k t e freigibt und sich ihrem Ausgangspunkte nähert.

128

NEUNTE

VORLESUNG

Dabei lenkt in den angeführten Versuchen folgender Umstand ganz besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die Geschwindigkeit, mit der die Hemmung die sekundär gehemmten Punkte freigibt, ist bei unseren verschiedenen Hunden sehr unterschiedlich. Das, was beim Hund Nr. 1 in 1 Minute vor sich ging, nahm beim zweiten Hund 15 Minuten in Anspruch. Dieser Umstand ist natürlich von großer Bedeutung, da er j a eine zahlenmäßige Charakterisierung der höheren (172) Nerventätigkeit gibt. Daß hierbei Zufälligkeiten keine Rolle spielen, wird dadurch bewiesen, daß bei den drei Tieren, an denen wir diese Versuche durchführten, der erwähnte Unterschied während unserer Arbeit im Verlauf von mehreren Monaten unverändert bestehen blieb. In derselben Versuchsreihe (von K O G A N ) gelang es uns auch, das Irradiieren der Hemmung während ihrer Entwicklung zu beobachten, d.h. die allmähliche Ausbreitung der Hemmung von ihrem Ausgangspunkte aus. Hier geben wir die Versuche wieder, in denen wir den Zustand des Hemmungsprozesses an verschiedenen Hautstellen untersuchten, die sich in verschiedener Entfernung von dem primär erlöschenden Punkte befanden, unmittelbar nach völligem Erlöschen der primären Hautstelle. Die Pause zwischen beiden Reizen war gleich Null. Hier führe ich die betreffenden Versuche an. Datum

, , „ _ Hautstelle, an der der bedingte Reiz geset2twd

Hund Nr. 2 25. 1. 1914 An der rechten Brustseite Desgl Desgl Am rechten Mittelfuß An der rechten Brustseite Desgl An einer unmittelbar benachbarten Stelle 26. 1. 1914 An der rechten Brustseite Desgl In 1 cm Entfernung von dieser Stelle . . . 27. 1. 1914 An der rechten Brustseite Desgl Desgl Am linken Mittelfuß 4. 2. 1914 An der linken Brustseite Desgl An der rechten Vorderfußwurzel 5. 2. 1914 An der linken Brustseite Desgl Am linken Schulterblatt

Speichelsekretion „, f . . ^ ^ ^ 1., 2. und 3. Min. 12 2 0 11,5 13,5 0 0 12 0 0 14 6 0 13 12 0 11,5 9,5 0 3,5

Hemmung in°/ 0

0,5

0 1,5

0,5

1,5

0,5 2,5 0,5

100 100

0 0 64

Der Vergleich dieser Ergebnisse mit den vorhergehenden, die sich auf denselben Hund beziehen, zeigt deutlich, daß sich unmittelbar (173) nach der vollen ^Entwicklung der Hemmung an der primär erlöschenden Stelle die vollständige

Irradiation und Konzentration des Hemmungsprozesses

129

Hemmung nur auf die nahegelegenen Stellen erstreckt, während sie an den entfernteren fast ganz fehlt oder kaum bemerkbar ist. Hierbei ist es interessant, daß bei den drei zu diesen Versuchen benutzten Hunden der Zustand der entfernteren Punkte unter den gewählten Bedingungen sehr verschieden war. Beim Hunde Nr. 1 ist der entfernteste Punkt nicht nur nicht gehemmt, sondern er gibt sogar einen verstärkten positiven Effekt, während er sich beim Hunde Nr. 3 in einem deutlich gehemmten Zustand befindet. Hier die Beispiele.

Datum

__ , , Hautstelle, an der der bedingte Reiz gesetzt wird

Speichelsekretion froDfen\ während der und 3. Min.

Hemmung in°/o

Hund Nr. 1 28. 1. 1914 An der linken Brustseite Desgl 3 cm davon entfernt 6. 2. 1914 Am rechten Hinterlauf Desgl Desgl An der rechten Schulter

8,5 0 0,75 9 3,5 0 14,5

1,5

0,5 92

0,5

1

Bedingter Reflex u m 60°/o

gesteigert Hund Nr. 3 5. 2. 1914 An der rechten Vorderfußwurzel Desgl Am linken Schenkel 11. 2. 1914 Am Unken Hinterlauf Desgl Am linken Schenkel

10,5 0 6 10,5 0 0

2

0,5

2

0

43 100

Weiterhin hat K O G A N ein großes Zahlenmaterial zusammengetragen, das die ganze Fortbewegung der Hemmung bei allen drei Hunden genauer darstellen sollte. Dieses Material ergab ungefähr folgendes: Beim Hunde Nr. 1 betrug die Zeit des Irradiierens etwa 20 Sekunden und die Zeit der Konzentrierung dauerte bis zu 75 Sekunden. Beim Hunde Nr. 2 endete das Irradiieren (174) erst mit der 3. Minute, die ganze Bewegung einschließlich Kon,zentrierung beanspruchte eine Zeit von 15 Minuten. Beim Hunde Nr. 3 waren die entsprechenden Zeiten 4 bis 5 Minuten und 20 Minuten. Obgleich also die Dauer der ganzen Bewegung des Hemmungsprozesses bei allen diesen Hunden sehr verschieden war, so blieb doch das Verhältnis zwischen der Zeit des Irradiierens und der der Konzentrierung fast konstant: die Konzentrierung dauerte 4- bis 5mal länger. Übrigens kann man das hierauf bezügliche Material nicht als ganz einwandfrei bezeichnen, weil die Ausgangsgröße der bedingten Reflexe häufig sehr verschieden war und man in einigen Fällen den Grund der Abweichungen der Ziffern nicht genau feststellen konnte. JT> • , B e i i n f t f Rf1Z für 30 Sekunden 120 Schläge Desgl Desgl 60 Schläge Desgl Desgl Desgl Desgl Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) i„ 3 0 Sekunden 6 11 5 0 0 0 0 2,5 2,5

Bemerkung

Alle Reize durch Füttern bekräftigt

Eine dritte Versuchsvariante bestand in folgendem. Die Zerstörung der Differenzierung wurde durch abwechselnde Anwendung der positiven und negativen Reize vorgenommen. Nachdem die Zerstörung schon eingetreten war und die positive (212) Wirkimg des früher differenzierten Reizes, wenn auch noch unbedeutend, doch schon konstant geworden war, genügte eine viermalige aufeinanderfolgende Anwendung des beständigen positiven Reizes, um diese Wirkung des differenzierten Reizes sofort zu vernichten. Um die Phase der negativen Induktion sichtbar zu machen, verwendeten wir außer den beschriebenen Versuchsanordnungen auch noch eine andere

Die negative Induktionsphase

161

(Versuche von PROROKOW). Bei vielen Hunden mit bedingtem Nahrungsreflex ist der zweite Reflex im Versuch seinem Speicheleffekt nach der größte; offensichtlich ist das die Folge einer erhöhten Erregbarkeit durch Nahrungsreize, die sich nach der ersten reflektorischen Reizung von der Mundhöhle aus eingestellt hat. Daher wird eine frisch ausgearbeitete, noch nicht beständige Differenzierung, wenn sie im Versuche an zweiter Stelle steht, d. h. nach der Bekräftigung des ersten Reflexes durch Füttern angewandt wird, häufig gestört, sie wird unvollständig, bis zu einem gewissen Grade enthemmt. Wenn wir mehrere positive bedingte Nahrungsreflexe haben und bei einem von ihnen eine Differenzierung, so beobachten wir folgende Beziehung. Wenn der bedingte Reiz, der im Versuch zuerst angewandt wird, keine Differenzierung hat, so wird die Differenzierung eines anderen Reizes, der an zweiter Stelle steht, oft beträchtlich enthemmt. Wenn der Versuch mit einem positiven Reiz beginnt, zu dem eine Differenzierung ausgearbeitet ist, so wird diese, wenn sie an zweiter Stelle angewandt wird, nur sehr selten und sehr unbedeutend gestört. Hier gebe ich die Beschreibung eines derartigen Versuches. Das Ticken eines Metronoms von 144 Schlägen pro Minute ist positiver, bedingter Reiz, das Ticken eines Metronoms von 72 Schlägen pro Minute ist die Differenzierung. Einen anderen bedingten Nahrungsreiz gibt das Ertönen einer Klingel. Wenn der Versuch mit der Klingel begann, wurde die Differenzierung auf das Metronom, an zweiter Stelle angewandt, in 8 von 12 Fällen enthemmt. Das Maximum der Enthemmimg betrug 72%. Wurde aber die Differenzierung nach dem positiven Metronom angewandt, so wurde nur in 2 von 12 Fällen die Differenzierungshemmung gestört, und diese Störung betrug nicht mehr als 20°/0. Natürlich wechselten die einzelnen Versuche dieser beiden Serien miteinander ab, so daß das Ergebnis nicht von der bei weiterer Anwendung immer stärker werdenden Hemmintensität des zu differenzierenden Reizes abhängen konnte. Dieses Versuchsergebnis zeigt zugleich, daß die Induktion, wenigstens in bestimmten Fällen, speziell (213) nur zwischen dem betreffenden bedingten Reiz und seiner Differenzierung besteht, während ein anderer bedingter Reiz, sogar aus demselben Analysator, keine induzierende Wirkung auf diese Differenzierung ausübt. Die beiden angeführten Versuchsformen zeigen ganz deutlich, daß der Erregungsprozeß unter gewissen Bedingungen den Hemmungsprozeß fördert, ihn verstärkt, d.h., daß wir es mit einer negativen Phase der Induktion zu tun haben. Nachdem wir diese Phase kennengelernt hatten, lag die Annahme nahe, daß auch das, was wir bisher als äußere Hemmimg bezeichnet haben, eine negative Induktion sei. Ein Erregungsprozeß, der an einem Punkte des Gehirns besteht, induziert in stärkerem oder schwächerem Maße den Hemmungszustand in den übrigen Teilen. In diesem Falle aber erwies sich die Frage als viel komplizierter. Da ja bei der äußeren Hemmung immer die Zentren zweier unbedingter Reflexe tätig sind, so mußte vor allem klargestellt werden, ob das Auftreten der äußeren Hemmung eine Erscheinung ist, die sich in der Rinde abspielt, oder ob diese Hemmung nur in den tiefer gelegenen Teilen des Gehirns vor sich geht. Daß sich in der äußeren Hemmung der bedingten Reflexe eine in Form einer LL/IV

162

ELFTE

VORLESUNG

Hemmung erfolgende gegenseitige Beeinflussung unbedingter Reflexzentren auswirken muß, konnte man auf Grund der zahllosen Versuche an den niederen Teilen des Zentralnervensystems annehmen. Natürlich konnte man derartige Hemmungen ebenfalls als negative Induktion auffassen. Aber wir haben die Aufgabe, den Beweis zu erbringen, daß im Falle der äußeren Hemmung die gleichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Punkten der Großhirnrinde bestehen. Dieser Beweis ist nicht leicht. Hierzu wurden bei uns folgende Versuche ausgeführt (FURSIKOW). Es wurden bedingte Reflexe auf zwei imbedingte Reize gebildet: auf einen Nahrungsreiz und auf einen destruktiven Reiz (elektrische Hautreizung). Sobald auf den bedingten destruktiven Reiz die Abwehrreaktion einsetzte, wurde sofort der bedingte Nahrungsreiz hinzugefügt. In den meisten Fällen erwies sich jetzt der bedingte Nahrungsreflex als mehr oder weniger gehemmt, und manchmal war die Hemmimg vollständig. War aber die Abwehrreaktion einmal eingetreten, so war das ein Zeichen dafür, daß die Erregung auch das unbedingte Zentrum dieser (214) Reaktion ergriffen hatte. Folglich fand auch in diesen Fällen eine gegenseitige Beeinflussung der unbedingten Zentren statt. Bei diesen Versuchen stießen wir jedoch auf eine Erscheinung, die Grund zu der Annahme gab, daß auch zwischen den bedingten Erregungspunkfcen, d.h. in der Rinde selbst, eine gegenseitige Beeinflussung im Sinne einer negativen Induktion bestand. Wenn die bedingten Reize des Nahrungsund Abwehrreflexes zu ein und demselben Analysator, z . B . zum akustischen Analysator, gehörten, so zog die Bildung eines bedingten Abwehrreflexes häufig ein Absinken der Größe des bedingten Nahrungsreflexes nach sich. Wenn andererseits die bedingten Reize der beiden Reflexe von verschiedenen Analysatoren ausgingen, so hatte die Bildung eines bedingten Schutzreflexes keinen Einfluß auf die Größe des bedingten Nahrungsreflexes. Und noch mehr. Wenn z . B . der Nahrungsreiz und der destruktive Reiz mit verschiedenen Punkten ein und desselben Analysators, z. B. des Hautanalysators, verknüpft waren, so beobachteten wir folgendes. Bei diesen Versuchen wurden in verschiedener Entfernung vom Punkte des bedingten Abwehrreflexes zwei oder mehrere Punkte der Nahrungsreaktion ausgearbeitet, und es zeigte sich, daß nach Bildung des bedingten Abwehrreflexes immer nur derjenige bedingte Nahrungsreflex beeinträchtigt wurde, der von dem zum bedingten Abwehrreflex am nächsten gelegenen Punkte ausgelöst wurde. Der bedingte Nahrungsreflex von weiter abgelegenen Punkten blieb dagegen unverändert. Hierbei muß hervorgehoben werden, daß auch der am nächsten liegende bedingte Nahrungspunkt durchaus nicht die Eigenschaften eines Punktes mit Abwehrreaktion zeigte, es kamen keinerlei Schutz- oder Abwehrbewegungen zum Nahrungsreflex hinzu. Wenn die äußere Hemmung nur zwischen den Zentren der unbedingten Reflexe vor sich ginge, so könnten in den Analysatoren keine derartigen Verhältnisse bestehen. Die sogenannte äußere Hemmung findet also auch zwischen den verschiedenen Punkten der Großhirnrinde statt. Wenn dem aber so ist, so paßt diese Hemmung in den Begriff der negativen Induktion gut hinein und müßte als identisch mit der inneren Hemmung betrachtet werden. Gegenwärtig führen wir Versuche

Die äußere Hemmung — eine negative Induktion

163

durch, die wahrscheinlich einen direkten Beweis dafür geben werden, (215) daß die äußere und innere Hemmung ihrem Wesen nach, d. h. in bezug auf ihr physikalisch-chemisches Substrat, ein und dieselbe physiologische Erscheinung darstellen. Vielleicht werden diese Versuche sogar schon gegen Ende unserer Vorlesungen zu einem ganz bestimmten Ergebnis führen.1) Es ist klar, daß die beschriebenen Erscheinungen der gegenseitigen Induktion mit der großen Gruppe der Kontrasterscheinungen vollkommen übereinstimmen, die in der modernen Physiologie der Sinnesorgane untersucht werden. Das ist noch einmal ein Beispiel dafür, wie die objektive Forschung an Tieren erfolgreich das zu erfassen vermag, was früher nur der subjektiven Forschung zugänglich war. (216)

x

) s. a. 8. 320 (dt.

11'/IV

Red.)

ZWÖLFTE

VORLESUNG

DIE FORTBEWEGUNG DER NERVENPROZESSE UND IHRE GEGENSEITIGE INDUKTION

Meine Damen und Herren! In den letzten drei Vorlesungen sind wir zuerst mit den Erscheinungen der Irradiation und der Konzentration der Nervenprozesse in der Großhirnrinde bekannt geworden und haben nachher die gegenseitige Induktion dieser Prozesse kennengelernt. Diese Erscheinungen sind von uns einzeln, gewissermaßen unabhängig voneinander, beschrieben worden. In Wirklichkeit aber müssen sie eng miteinander verknüpft sein und in steter Wechselwirkung stehen, was ja aus dem Wesen des Gegenstandes klar hervorgeht. Es wäre ja denkbar, daß die von uns dargestellte getrennte Entwicklung der beiden Prozesse einigen selteneren Fällen der Funktion der Großhirnhemisphären wirklich entspräche; das wird aber wohl nur in bestimmten Entwicklungsphasen und bei besonderen Zuständen des Nervensystems bei unseren Versuchstieren der Fall sein. Manchmal haben wir wahrscheinlich selbst die Erscheinungen der Irradiation und der Konzentration der Prozesse zu sehr vereinfacht, da wir anfangs, wie wir schon zu Beginn der vorigen Vorlesung erwähnten, von ihrer gegenseitigen Induktion keine Vorstellung hatten. Zu Beginn unserer Arbeit, als uns die überwältigende, chaotische Kompliziertheit der Erscheinungen bedrängte, deren Untersuchung wir unternahmen, mußten wir manchmal bewußt vor vielen Schwierigkeiten die Augen schließen, besonders schwere Fälle sogar einfach vermeiden, indem wir z. B. statt eines Hundes einen anderen nahmen. Jetzt liegen die Verhältnisse schon ganz anders. Die vieljährige Erfahrung hat Früchte getragen, sie hat ihre Macht bewiesen. Jetzt lenkt jede Besonderheit, jede unerwartete Schwierigkeit, die uns von Seiten des einen oder anderen Hundes entgegentritt, unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich (217) und wird für uns zu einer interessanten Frage, zu einer neuen Aufgabe. Die Verflechtung der Erscheinungen der Irradiation und Konzentration der Nervenprozesse mit den Erscheinungen ihrer gegenseitigen Induktion ist ein sehr komplizierter Vorgang, auf dessen völlige Erkenntnis wir noch lange werden warten müssen. Jetzt sammeln wir zu dieser Frage größtenteils noch unzusammenhängendes, fast gar nicht systematisiertes Material, zu dessen Wiedergabe ich jetzt übergehe.

165

Die Fortbewegung der Nervenprozesse

Ich beginne mit dem einfachsten Fall (Versuche von J. M. K R E P S ) . Bei einem Hunde diente die mechanische Hautreizung als bedingter Reiz. Die Reizungen folgender Hautstellen: zwei am Schenkel (Punkt 1 und 2), je ein Punkt am Bauch (3), an der Brust (4) und an der Schulter (5) waren positive bedingte Reize (als unbedingter dient der Nahrungsreflex). Eine Reizung am Hinterlauf bildete den Hemmreiz, die Differenzierung. Die Differenzierung war vollkommen, die positiven Reize waren hinsichtlich ihrer Wirkungsstärke ausgeglichen. Zu Beginn eines jeden Versuches wurde die Größe der Speichelreaktion für den bedingten Reiz festgestellt. Darauf wurde der Hemmreiz angewandt. Nach dessen Aufhören wurden entweder unmittelbar danach oder nach verschieden langen Zeiträumen verschiedene positive Reize ausprobiert. Diese Versuche wurden 5 Monate lang fortgesetzt. Ihre Ergebnisse sind in zwei Tabellen wiedergegeben, deren Zahlen die Wirkungsstärke der positiven Reize in Prozenten ihrer Wirkungsstärke vor Anwendung der Differenzierung ausdrücken. Tabelle 0" 1. 2. 3. 4. 5.

Punkt . . . . Punkt Punkt Punkt Punkt

130 125 125 131 126

Durchschnitt

127

5"

15"

30"

1'

2'

3'

5'

68 70 73 60 64

70 64 84 75 89

71 73 77 73 86

100 98 100 100 100

67

76

76

100

1'

2'

3'

5'

85

100





57 48 59 58 56





56



— .

•—





— .

Tabelle 0"

5"

Punkt Punkt Punkt Punkt . . . . Punkt . . . .

138 141 127 145 127

123 117

Durchschnitt

136

121

1. 2. 3. 4. 5.

1



123 —

15"

2 30"

92 92 97 100 90

53 64 65 77 80

71 67 98 88 100

100 110 112 95 105





105 81 106



110

94

68

85

104

94

103

98

Die erste senkrechte Spalte gibt die Nummern der verschiedenen positiven Reizstellen an, die obere horizontale Reihe die Zeitintervalle zwischen dem Ende des Hemmungsreizes und dem Beginn der positiven Reize. Der erste Teil der Tabelle gibt die Durchschnittszahlen aller Versuche für die ganze Zeit der Arbeit, der zweite enthält die Durchschnittszahlen nur für den letzten Monat. In der ersten Tabelle fehlen die Angaben für die Zeitintervalle von 5 Sekunden und 15 Sekunden; dies findet seine Erklärung darin, daß diese Zeitintervalle nur während des letzten Monats der Arbeit angewandt wurden. Wie Sie sehen, besteht das Hauptergebnis der Versuche darin, daß unmittelbar nach Aufhören des Hemmreizes der Effekt der positiven Reize vergrößert erscheint, bei 15 Sekunden sinkt er schon unter die Norm, bei 30 Sekunden sehen

166

ZWÖLFTE VORLESUNG

wir die schwächste Wirkung, und erst in der 5. Minute hat er seine normale Größe wiedererlangt. Demnach beginnt also die Nachwirkung des Hemmreizes mit einer positiven Induktion und erst danach tritt das Irradiieren der Hemmung ein, das mit der Wiederherstellung der Norm des positiven Reizeffektes abschließt. Dieselbe Reihenfolge der positiven Induktion und der Nachhemmung konnten Sie auch in den Versuchsprotokollen beobachten, die in unserer letzten Vorlesung angeführt sind und die die Tatsache der positiven Induktion bewiesen1). Weiter lenken in den eben besprochenen Versuchen noch folgende Einzelheiten die Aufmerksamkeit auf sich. Die Größe der positiven Induktion erscheint gegen Ende der Versuchsperiode etwas gesteigert. Die Nachhemmung dagegen hat sich im Verlauf der Versuchsreihe verkürzt und sich zeitlich auf zwei Minuten, räumlich auf die beiden dem Hemmpunkt nächsten positiven Stellen beschränkt. (219) Das letztere ist nur die Wiederholung einer Erscheinung, die uns in den früheren Vorlesungen schon oft bei der Untersuchung der verschiedenen Fälle von innerer Hemmung begegnet ist. Ebenso einfach ist ein anderer Fall aus den Versuchen von PODKOPAJEW mit der auslöschenden Hemmung. In der Vorlesung über das Irradiieren der Hemmung erwähnte ich die Beobachtung von KOGAN, daß sich bei einem seiner Hunde, unmittelbar nach dem Völligen Erlöschen des bedingten mechanischen Hautreizes, an einem vom Hemmungspunkt weit entfernten Punkte ständig eine Zunahme der Erregbarkeit, eine positive Induktion, zeigte. Jetzt wiederholte sich diese Erscheinung deutlicher an einem Hunde, an dem das Ergebnis eines einmaligen Erlöschens, des einmaligen Ausbleibens der Bekräftigung des bedingten mechanischen Hautreizes durch den unbedingten Nahrungsreflex, untersucht wurde. An ihm waren bedingte Nahrungsreflexe auf mechanische Hautreizung an mehreren (8) Stellen der einen Körperseite ausgearbeitet; sie gingen von der Vorderpfote über den Rumpf bis zum distalen Ende der hinteren Extremität. Alle Stellen waren hinsichtlich der Stärke ihres Reizeffektes ausgeglichen. Vier derartige Stellen befanden sich in einem gegenseitigen Abstand von 1, 43 und 89 cm. An jeder dieser Stellen wurde das Erlöschen des bedingten Reflexes durchgeführt. Der Versuch begann mit der Prüfung einer dieser Stellen, um die Norm des Reflexes festzustellen. Darauf wurde an einer beliebigen Stelle der Reflex zum Erlöschen gebracht und dann in Abständen von 45 Sekunden, 1, 3, 4 und 8 Minuten von neuem die Stelle geprüft, mit deren Reizung der Versuch begonnen hatte. Der Versuch schloß mit der Reizung einer beliebigen dieser 8 Stellen, um die Norm des positiven Effektes des betreffenden Tages noch einmal nachzuprüfen. Die Versuche mit dem Erlöschen wurden nur alle 4 bis 5 Tage wiederholt, um einen mehr oder weniger beständigen Hemmungsgrad zu erhalten. Diese Annahme traf aber nicht zu: Die Hemmung konzentrierte sich dennoch im Verlauf der Versuche immer mehr und mehr, und daher muß das Gesamtergebnis von drei aufeinanderfolgenden Serien in drei Tabellen wiedergegeben werden. Der Hund, an dem diese Versuche durchs. Versuchsprotokolle S. 151, 152, 154, 155, 156 (dt.

Red.)

167

Die Fortbewegung der Nervenprozesse

geführt wurden, zeichnete sich durch eine derartige Gleichheit seiner positiven, bedingten Reflexe aus, daß man jeden einzelnen Versuch benutzen konnte und nicht von den Durchschnittszahlen mehrerer Versuche ausgehen mußte. (220) In den Tabellen ist die Wirkungsgröße in Prozenten im Verhältnis zur täglichen Norm wiedergegeben. In der Tabelle 5 sind die Intervalle von 45 Sekunden, 1 und 3 Minuten hinzugefügt, weil die Speichelsekretion bei Wiederholung der Versuche immer früher aufhörte, so daß man die Nachwirkung des Erlöschens schon zu einem früheren Zeitpunkt erhielt. Tabelle

Pansen

4 Minuten 8 Minuten 12 Minuten

3

0 cm (der Punkt, der zum Erlöschen gebracht wird)

Entfernung 1 cm

43 cm

89 cm

54,5 % 80 % 82,5%

53,5% 65 % 93 %

6] % 52,5% 83 %

88,5% 90,5% 100 %

94 % 111 % 100 °/ 0

100 % 89 % 118 %

100 112 100 100 100 100

85 % 71 % 113,5% 100 % 100 % 100 %

67 % 85 % 77,5% Tabelle 4

4 Minuten 8 Minuten 12 Minuten

87 % 100 % 96,5%

Tabelle 5 45 1 3 4 8 12

Sekunden Minute Minuten Minuten Minuten Minuten

51,5% 100 % 91,6% 100 % 74 % 100 %

112 117 115 100 100 100

%

% % Ol 10 0/ lo 0/lo

% % % % 0/lo 0/lo

Aus diesen Tabellen sehen wir, daß zu Beginn der Versuche (Tabelle 3) die Hemmung sich bis zum entferntesten Punkte erstreckte und noch 12 Minuten nach dem Erlöschen deutlich war. Dann (Tabelle 4) beschränkte sich die Hemmung auf die Entfernung von 43 cm und war bereits nach 4 Minuten schwächer als in der vorhergehenden Versuchsperiode nach 12 Minuten. Jetzt und etwas später zeigt sich am entferntesten Punkte, wenn auch selten, statt einer Abschwächung eine Zunahme des Effektes im Vergleich zur normalen Größe. Schließlich in der letzten Phase (Tabelle 5) hält sich die Hemmung mit vorübergehenden Schwankungen nur an der primär erloschenen Stelle. An den übrigen Punkten, mit Ausnahme des entferntesten, findet während der ersten Minute nach dem Erlöschen, in 1 cm Entfernung sogar noch vor dem Ende der 1. Minute, (221) entweder eine Vergrößerung des Speicheleffektes gegenüber der Norm statt, oder die Norm stellt sich wieder her.

168

ZWÖLFTE

VORLESUNG

Wir sehen hier, daß der Prozeß der positiven Induktion zuerst in einiger Entfernung vom Ausgangspunkt der Hemmung entsteht und zu seiner Entwicklung eine gewisse Zeit beansprucht. Dann aber bewegt er sich allmählich auf den Ausgangspunkt zu und tritt immer rascher nach Beginn der Hemmung auf; es macht den Eindruck, als ob er den Hemmungsprozeß allmählich überwindet und ihn räumlich und zeitlich verdrängt. Interessant sind die eben angeführten Versuche auch in ihren Einzelheiten. Erstens erregt die überaus feine Empfindlichkeit der kortikalen Elemente unsere Aufmerksamkeit, wenn z . B . das einmalige Ausbleiben der Bekräftigung sich auf ein großes Gebiet der Rinde auswirkt und längere Zeit (mehr als 12 Minuten) anhält. Zweitens haben wir einen Beweis mehr für das Fließen, für die Veränderlichkeit der Erscheinungen in der Funktion der Großhirnhemisphären, da ja eine unbedeutende Einwirkimg, die nach einer langen Frist (4 bis 5 Tage) wiederholt wird, die allgemeine Lage der Dinge stark verändert (schneller Phasen W e c h s e l ) . Endlich können wir nicht umhin zu bemerken, daß der Zustand der verschiedenen Punkte der Großhirnhemisphären sowohl zeitlich als auch räumlich einen ausgeprägt wellenförmigen Charakter zeigt. So erwies sich in Tabelle 5 der primär erloschene Punkt im Verlauf von 12 Minuten einmal als gehemmt, ein anderes Mal als nicht gehemmt. Dasselbe konnten wir auch räumlich zu ein und derselben Zeit an verschiedenen Punkten des Gehirns sehen. Dies ist eine äußerst wichtige Tatsache, mit der wir im folgenden immer häufiger zu tun haben werden. Sie erscheint als vollkommen natürliches Ergebnis der Begegnung und des Ausgleichs zweier entgegengesetzter Nervenprozesse, der Erregung und der Hemmung. Dieses Ergebnis ist den Blutdruckwellen dritter Ordnung vergleichbar, die als Ergebnis der Wechselwirkung pressorischer und depressorischer Nerveneinflüsse anzusehen sind. Dieselbe Wellenförmigkeit zeigte sich an diesem Hunde (ebenfalls in Versuchen von PODKOPAJEW) auch beim Erlöschen bis zur Nullwirkung, besonders an derjenigen Hautstelle, die dem erloschenen Punkte am nächsten war. Am entferntesten Punkt war sie nicht wahrnehmbar. Vielleicht muß man für ihre schwache Ausprägung in dieser Zeitperiode das für 7 Minuten unverändert bestehende Hemmungsniveau verantwortlich machen. (222) Hier dieser Versuch. An der nächsten Stelle (1 cm) vom erloschenen Punkt. Pausen Hemmung

,.,,

0" 44

10" 30" 12 —

1' 8

3' 41

5' 57

8' 60

12' 16

15' 59

12' 70

15' 20' 71 100

20' 75

25' 88

30' 40' 75 100

An der entferntesten Stelle (89 cm) vom erloschenen Punkt. Pausen Hemmung

0" 66,5

10" 3 0 " 1' 29 32 40

3' 50

5' —

8' 73







Die Hemmung ist in Prozenten des bleibenden normalen positiven Effektes berechnet.

Die Fortbewegung der Nervenprozesse

169

Die Wellenförmigkeit und einige noch kompliziertere Verhältnisse zwischen Erregung und Hemmung zeigten sich an verschiedenen, Punkten des Hautanalysators und verschieden lange Zeit nach Anwendung des Hemmreizes auch an unserem nächsten Versuchstier (Versuche von A N D R E J E W). Längs der hinteren Extremität, angefangen vom oberen Drittel des Schenkels bis zum untersten Teil des Hinterlaufs, wurden 4 Apparate zur mechanischen Hautreizung angebracht, Nr. 0, 1, 2 und 3, von oben nach unten gerechnet. Die Entfernung zwischen je zwei Apparaten war ungefähr die gleiche, etwa 15 cm. Die durch die drei unteren, einzeln angewandten Apparate hervorgerufenen Reize waren positive bedingte Nahrungsreize, der Reiz durch den obersten war ein Hemmreiz, die Differenzierung. Diese Differenzierung war nicht sehr beständig. Der allgemeine Versuchsablauf war folgender: Die Pausen zwischen den Reizen betrugen immer 7 Minuten. Der Versuch begann mit einem bedingten Reiz, der Klingel oder dem Ticken des Metronoms. Danach wurden zwei positive Reize, gleichgültig an welchen Hautstellen, angewandt; jetzt folgte ein positiver mechanischer Hautreiz, der speziell an dem betreffenden Versuchstage geprüft wurde. Weiter wurde dann der oberste Apparat in Funktion gesetzt, der die Hemmung hervorrief, und nach ihm folgte, aber immer mit verschiedenen Pausen von 0 bis 12—16 Minuten, von neuem der mechanische Hautreiz, der gleiche wie vor der Differenzierung. An ihm wurde die Wirkung der Differenzierung bestimmt. (223) Diese Wirkung wurde in Prozenten der normalen Wirkungsstärke des positiven mechanischen Hautreizes berechnet, die als 100 gesetzt wurde. Als normale Größe wurde die Durchschnittsgröße des Effektes der drei mechanischen Hautreize genommen, die der Differenzierung vorausgingen. Hier geben wir das Ergebnis der Versuche in Zahlen. Pausen

..

0"

Hemmpunkt Nr. 1 . . . . 110 Hemmpunkt Nr. 2 .. . . 83 Hemmpunkt Nr. 3 .. . . 68

15" 30" 60" 77 62 24

90 86 20

58 40 0

2'

3'

82

62 75 65



25

5' 40 27 40

6'

r

105 89 50

93 60 —

8'

9'

95

95





55



10' 100 70 100

Um die in diesen Versuchen zutage tretende Kompliziertheit der Verhältnisse leichter und schneller darzustellen, gebe ich das gleiche Ergebnis in Kurvenform wieder (s. die folgende Seite). Wie Sie sehen, ist die Wirkung des durch die Reizung von Punkt 0 hervorgerufenen Hemmungsprozesses an allen positiven Punkten (224) sehr verschieden. Eine ganz allgemeine Ähnlichkeit bestand darin, daß die Hemmung früher oder später einen Höhepunkt erreichte und dann verschwand. Ferner zeigte sich eine Ähnlichkeit auch darin, daß alle Hautstellen zu ein und derselben Zeit zwei Hemmungsmaxima aufweisen: ein erstes gegen Ende der ersten Minute nach Aufhören des Hemmreizes und ein zweites am Ende der fünften Minute. Damit ist die Ähnlichkeit auch erschöpft, und es zeigen sich nun beträchtliche Unterschiede. Am ersten, dem Hemmungspunkt am nächsten gelegenen Punkte, erhielten wir sofort nach Aufhören des Hemmreizes eine geringe Steigerung der Erregbarkeit, eine positive Induktion. An den beiden übrigen Punkten war diese

170

ZWÖLFTE

VORLESUNG

nicht vorhanden, der Hemmungsprozeß setzte unmittelbar ein. Am Punkt 1 und 2 war das zweite Hemmungsmaximum stärker als das erste, am Punkt 3 zeigte das erste Maximum eine volle Hemmung, ein vollständiges Verschwinden des positiven Effektes, während das zweite sich nur schwach äußerte. Ferner gab es an den Punkten 1 und 2 viele, sehr starke Schwankungen. Am Punkt 3 beobachteten wir nur während der dritten Minute eine ziemlich bedeutende Abschwächung der Hemmung. Ohne sie wäre der Verlauf der Nachhemmung ebenso regelmäßig, wie wir ihn früher in der 9. und 10. Vorlesung kennengelernt haben. An diesem 3. Punkte war, wie wir es schon früher gesehen haben, wieder die Zeit bis zum Erreichen des Maximums um ein mehrfaches kürzer als die Zeit bis zum vollen Erlöschen der Hemmung; am l.und 2.Punkt hingegen war die Zeit bis zum Erreichen des Maximums entweder gleich oder sogar geringer als die Zeit bis zur vollen Rückkehr der normalen Erregbarkeit. Wenn wir schließlich die gesamte Nachhemmung nehmen, d.h., wenn wir alle in der Tabelle aufgezeichneten Hemmwerte zusammenzählen, so zeigt sich, daß die Hemmung sich am stärksten am 3. Punkt, schwächer am 2.Punkt undam schwächsten am 1. Punkt zu erkennen gibt. 110%

100 90 80 10 60

50

w

30 20

10 100%

90

so 70 60

so

*0 30 20 10

100% 90

so

70

60

SO

w 30 20 10

0 • 0 1530 1

2

3

5

6

7

0

9

10

Diese Kompliziertheit in der Verteilung der Erregbarkeit an den verschiedenen Punkten des Hautanalysators, die durch die Wirkung des Hemmungsprozesses hervorgerufen wird, könnte man am natürlichsten so erklären, daß die induzierte Zunahme der Erregbarkeit sich am deutlichsten in der Nähe desjenigen Punktes äußerte, wo die Hemmung durch den äußeren Reiz hervorgerufen worden war. Daher waren hier die wellenförmigen Schwankungen während des Ausgleichs dieser beiden (225) entgegengesetzten Prozesse am stärksten ausgeprägt. Daß aber hier wirklich der induzierte Erregungsprozeß am stärksten war, wird durch die Tatsache der deutlichen positiven Induktion bewiesen, die nur an diesem

Die Fortbewegung der Nervenprozesse

171

Punkt und nur sofort nach dem Aufhören des Hemmreizes beobachtet wurde. Am entferntesten Punkt zeigte sich die Hemmung am ungehindertsten, d.h., sie machte ihre -übliche, allmählich zunehmende Steigerung bis zum Maximum und danach ihren zeitlich länger dauernden Abfall bis zur Wiederkehr der normalen Wirkung durch. Übrigens muß man in diesem Falle in methodischer Hinsicht darauf hinweisen, daß die einzelnen Zahlen, aus denen wir die angeführten Mittelwerte erhielten, bei dem näheren Punkt viel stärker auseinandergingen, als die Zahlen, die sich auf den mittleren, besonders aber auf den entfernteren Punkt, bezogen. Vielleicht muß man den stärkeren Unterschied in den Kurven der verschiedenen Punkte zum Teil hierauf zurückführen. Vielleicht aber wurde diese Unbeständigkeit der einzelnen Zahlen gerade durch größere Schwankungen der Erregbarkeit am näheren als an den ferneren Punkten bedingt. Zuletzt führe ich noch einige Versuche (von PODKOPAJEW) an, die die große Kompliziertheit der untersuchten Verhältnisse ebenso deutlich hervortreten lassen. Diese Versuche sind an einem Hunde angestellt worden. Bei diesem Hunde waren an der einen Körperseite in einer Reihe Apparate zur mechanischen Hautreizung angebracht, und zwar in der Karpalgegend (Nr. 0), an der Schulter (Nr. 1), an der Brust (Nr. 2), am Bauch (Nr. 3) und am Schenkel (Nr. 4). In der Karpalgegend wurde ein positiver, bedingter Nahrungsreflex ausgearbeitet, an den übrigen Stellen Hemmreflexe, die untereinander ausgeglichen wurden. Unmittelbar nach der Wirkung jedes Hemmapparates, d. h. ohne jede Pause, wurde die Wirkung des positiven Apparates ausprobiert. Zu Beginn des Versuches wurde seine normale Wirkungsstärke bestimmt. Die Versuche mit der Wirkung der verschiedenen Hemmapparate auf den Effekt eines positiv wirkenden Apparates wurden ohne eine bestimmte Reihenfolge gemacht, bald mit dem einen, bald mit dem anderen Apparat, so daß wir keinen Grund haben, das erhaltene Ergebnis auf Phasenerscheinungen zurückzuführen, die sich mit der Zeit entwickelten. In der angeführten Tabelle sind sowohl Einzelversuche als auch Durchschnittswerte angeführt. Der Effekt des positiv wirkenden Apparates ist in Prozenten seiner normalen Größe berechnet. (226) Nach der Wirkung des Apparates Nr. 1

o

Nach der Wirkung des Apparates Nr. 2

Nach der Wirkung des Apparates Nr. 3

Nach der Wirkung des Apparates Nr. 4

f 140% 1

! 158°/o \ Durchschnitt 142%

l 127% J

172

ZWÖLFTE

VORLESUNG

Aus dieser Tabelle ist klar zu ersehen, daß der Zustand des positiv wirkenden Punktes sehr verschieden ist, und zwar je nachdem, welcher Hemmpunkt vor ihm als letzter gereizt wurde. Bei Reizung des nächsten und des entferntesten Punktes t r a t eine starke positive Induktion ein: die Speichelsekretion verstärkte sich bedeutend gegenüber der Norm, die Latenzzeit war verkürzt, und häufig verstärkte sich die motorische Nahrungsreaktion, wobei die induzierende Wirkung des entferntesten Punktes etwas stärker war als die des nahen. Punkt 3 zeigte gar keine Wirkung, Punkt 2 eine ungemein wechselnde: eine hemmende, eine positiv induzierende und gar keine Wirkung. Die Übereinstimmung der einzelnen Zahlen bei Wiederholung der gleichartigen Versuche ist in den drei Reihen so groß, daß wir keinen Grund haben, ihre Genauigkeit anzuzweifeln; dies berechtigt uns dazu, auch den Zahlen, die sich auf Punkt 2 beziehen, zu vertrauen. So müssen wir annehmen, daß dieser Punkt sozusagen eine Übergangszone bildet. Wie ist dieses Ergebnis zu verstehen ? Wenn wir annehmen, daß der linearen Anordnung unserer Hautpunkte eine gleiche Anordnung der projizierten Punkte in der Hirnrinde entspricht, so muß man das angeführte Ergebnis als klaren Beweis dafür nehmen, daß die Erregbarkeit in der Hirnrinde räumlich wellenförmige Schwankungen aufweist. Wir werden zugeben müssen, daß auf dem Wege, den die Fortbewegung eines beliebigen Nervenprozesses nimmt, Gebiete bald mit erhöhter, bald mit verminderter Erregbarkeit vorkommen, je nachdem, ob der Erregungs- oder der Hemmungsprozeß in ihnen überwiegt. (227) In Anbetracht der großen Bedeutung dieser Schlußfolgerung muß man spezielle Beweise dafür haben, daß die von uns angenommene Übereinstimmung in der Anordnung der Punkte auf der Haut und in der Rinde wirklich eine imbestreitbare Tatsache ist. Das ganze in dieser Vorlesung angeführte Material beweist mehr oder weniger übereinstimmend, daß Änderungen in der Erregbarkeit verschiedener Punkte der Rinde unter dem Einfluß äußerer Reize speziell unter dem Einfluß von Hemmreizen, wellenförmig vor sich gehen, sowohl an ein und demselben Punkte zu verschiedenen Zeiten als auch räumlich an verschiedenen Punkten zu ein und derselben Zeit. Dies sollte für uns nicht unerwartet sein, da wir doch einerseits die Fortbewegung der Nervenprozesse und andererseits ihre gegenseitige Induktion als unbestreitbare Tatsachen kennengelernt haben. Als große Frage bleibt nur noch die allgemeingültige genaue Regel, nach der dies geschieht: Warum die Wellenförmigkeit das eine Mal auftritt, ein anderes Mal nicht, warum in einigen Fällen der sich verbreitenden Hemmung die positive Induktion vorausgeht, während sie in anderen Fällen nicht zu sehen ist usw. Gegenwärtig stehen wir noch vor einer ungeordneten Vielfalt von Tatsachen. Doch läßt unser vorhandenes Material darauf schließen, daß diese Verschiedenheit durch die Beteiligung von drei Faktoren bedingt ist. Dies sind: 1. die besonderen Typen des Nervensystems unserer Versuchstiere, 2. die verschiedenen Phasen der Einstellung neuer Beziehungen in der Großhirnrinde unter dem Einfluß äußerer Reize und 3. die Art und Weise, in der sich eine solche neue Einstellung vollzieht. So unterscheiden sich z.B. unsere Fälle von innerer Hemmung nach ihrer Intensität und Beständigkeit recht beträchtlich voneinander. Es ist die ernste Aufgabe einer künftigen

Die Fortbewegung der Nervenprozesse

173

vollständigen Analyse dieser Verhältnisse, genau zu bestimmen, wie in einem gegebenen Augenblick jeder der bezeichneten Faktoren an der Rindentätigkeit teilhat, und dann alles auf die relative Stärke der Nervenprozesse zurückzuführen. Ein allmähliches Herangehen an diese Aufgabe ist natürlich jetzt schon möglich. Schon in den beschriebenen Versuchen kann man auf manche Verfahren hinweisen, die zur Lösung unserer Aufgabe führen können. Aber noch deutlicher tritt das in Versuchen hervor, mit denen wir uns in letzter Zeit beschäftigt haben und noch beschäftigen. In den letzten vier Vorlesungen sahen wir immer wieder, daß sich die Hemmung, die durch einen entsprechenden Reiz an einem bestimmten Punkte hervorgerufen wurde, direkt oder nach einer kurzen positiven Induktion, (228) aber immer erst nach Aufhören des Hemmreizes, über den ganzen Analysator auszubreiten beginnt. Und warum das? Wie kann eine solche Lage der Dinge entstehen ? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, haben wir spezielle Versuche angestellt, die offensichtlich in dem Plan, nach dem wir die Erforschung dieses Problems durchgeführt haben,, fehlten. Wir prüften andere Punkte des gleichen Analysators oder andere Analysatoren, aber nicht wie früher, nach Aufhören des Hemmreizes, sondern während seines Bestehens, Vor seinem Hintergrund, wie sich P O D K O P A J E W ausgedrückt hat, der als erster diese Frage bearbeitete. Die Versuche wurden an vier verschiedenen Hunden ausgeführt. Zuerst werde ich die Versuche von P O D K O P A J E W mit der auslöschenden .Hemmung beschreiben. Der Hund war der gleiche, der zu den in dieser Vorlesung beschriebenen Versuchen mit der Irradiierung des Hemmungsprozesses nach einmaligem Ausbleiben der Bekräftigung eines bedingten Reflexes und nach dem Erlöschen bis zur Nullwirkung diente. In den Versuchen, die wir jetzt beschreiben, war das Erlöschen des bedingten mechanischen Reizes an einer bestimmten Hautstelle vollständig. Die Reizung anderer Punkte wurde entweder in der Nähe des erloschenen Punktes (1 cm Entfernung) oder in größerer Entfernung (89 cm Entfernung) vorgenommen. Während der 30 Sekunden langen Dauer des Hemmreizes wurde einer dieser neuen Reize hinzugefügt, wobei die gemeinsame Wirkung beider Reize ebenfalls 30 Sekunden anhielt. Am nahen Punkt betrug die Wirkimg einer solchen Reizung 84,5% der Norm, am 89 cm entfernten Punkt 88°/0, d. h., sie war fast gleich, während die Reizung des nahen und des 89 cm entfernten Punktes unmittelbar nach Aufhören des Hemmreizes ohne Pause, wie wir früher sahen, demgegenüber 44,5°/o und 66,5°/0 ergab. Um dieses Ergebnis voll auswerten zu können, müssen wir noch hinzufügen, daß die Latenzzeit der Reflexe bei gleichzeitiger Reizung des erloschenen Punktes mit anderen Punkten bedeutend kürzer war als in der Norm, und daß ebenso die motorische Nahrungsreaktion stärker ausgeprägt war als gewöhnlich. Sowohl das eine wie das andere sind unbestreitbare Hinweise auf eine Zunahme der Erregbarkeit, auf eine positive Induktion der übrigen Punkte des Analysators mit Ausnahme des speziell erloschenen. Die etwas geringere Speichelsekretion von den übrigen Punkten ist offensichtlich als Ergebnis einer algebraischen Summierung ihrer Wirkung mit der Wirkung des erloschenen Punktes zu verstehen. (229)

174

ZWÖLFTE

VORLESUNG

Ein besonderes Interesse verdient in diesen Versuchen noch folgende Erscheinung. Das Erlöschen auf Null wurde an einer bestimmten Hautstelle dadurch hervorgerufen, daß man den unbekräftigten bedingten Reiz alle 2 Minuten wiederholte. In einer neuen Versuchs Variation wurde der Vorgang des Erlöschens nach der ersten Nullwirkung fortgesetzt und erst zum dritten Nullreiz die Reizung anderer Hautpunkte hinzugefügt. Jetzt war die Reflexwirkung der vereinigten Reizung dem normalen Effekt des isolierten positiven Reizes meist vollkommen gleich. Demnach führte die Vertiefung der Hemmung, die Verstärkung des Hemmungsprozesses, zu einer stärkeren positiven Induktion. Gleichzeitig fesselte an diesen Versuchen auch folgende Gegenüberstellung der Tatsachen unsere Aufmerksamkeit. Wie wir bei diesem Hunde sahen, hält sich die irradiierende Hemmung im Hautanalysator 2 Minuten nach dem Erlöschen auf Null noch auf einer Höhe von nicht weniger als 50% der vollen Hemmung. Dagegen war bei gleichzeitiger Reizung des erloschenen Punktes bei der dritten Nullwirkung (2 Minuten nach dem vorhergehenden Erlöschen) auch an den übrigen Punkten nicht das geringste Anzeichen einer Hemmung zu sehen. Folglich hat sie sich während des wiederholten Hemmreizes wieder in diesem Reizpunkt konzentriert. In derselben Arbeit (von PODKOPAJEW) erhielten wir die gleichen Ergebnisse auch bei einem anderen Hunde, an dem unter anderem positive, bedingte Nahrungsreflexe auf einen bestimmten Ton und auf das Ticken eines Metronoms (120 Schläge in der Minute), sowie ein Hemmreflex (eine Differenzierung auf 60 Metronomschläge in der Minute) ausgearbeitet waren. Gleichzeitig mit der Metronomdifferenzierung angewandt, gab der Ton in 9 Proben nur einmal einen wenig gehemmten Effekt, in 4 Fällen eine normale Größe und in weiteren 4 Fällen eine Größe, die die Norm bedeutend übertraf. In den folgenden Versuchen, die sich auf dieselbe Frage beziehen, wurden zwei Hunde benutzt. Bei dem einen (Versuche von W. P. GOLOWINA) waren unter vielen anderen bedingten Nahrungsreflexen folgende positive Reflexe ausgearbeitet : auf ein Metronom, auf einen bestimmten Ton, auf Pfeifen, das Aufleuchten einer elektrischen Lampe an einer bestimmten Stelle und mechanische Hautreizung. Dazu gab es drei Differenzierungen: auf das Ticken eines Metronoms anderer (230) Frequenz, auf mechanische Hautreizung an einer anderen Stelle und auf das Aufleuchten einer elektrischen Lampe an einer anderen Stelle. Nachdem alle diese Reflexe gut ausgearbeitet waren, wurde immer einer der positiven Reize zusammen mit irgendeinem der erwähnten Hemmreize angewandt. Die positiven Reize hatten in diesen Kombinationen immer entweder einen der Größe nach normalen Effekt oder eine etwas verminderte Wirkung, in den meisten Fällen hatten sie eine verkürzte Latenzzeit. Bei einem anderen Hunde (Versuche von PAWLOWA) waren unter vielen bedingten Nahrungsreflexen auch positive Reflexe auf Pfeifen, das Geräusch des Brodeins und mechanische Hautreizung und als Hemmungsreflex die Differenzierung auf das Ticken eines Metronoms ausgearbeitet. In den Versuchen an diesem Hunde wurde jeder der erwähnten positiven Reize mehrmals zusammen mit ein und demselben Hemmreize angewandt. Hier war das Ergebnis etwas

Die Fortbewegung der Nervenprozesse

175

anders. Obgleich die Latenzzeit ebenfalls meistenteils verkürzt war, war die Wirkungsgröße der kombinierten Reizung fast immer und oft sogar bedeutend geringer als die Wirkungsgröße des allein angewandten positiven Reizes. Also war bei diesem Hunde die Konzentration der Nervenprozesse weniger vollkommen. Es muß noch hinzugefügt werden, daß die beiden letzten Hunde deutlich zu zwei verschiedenen Typen des Nervensystems gehörten. Während beim ersten die Differenzierungen überhaupt sehr beständig waren und nicht unter den Reizkombinationen litten, war beim zweiten die Differenzierung an und für sich häufig unvollkommen und wurde nach der Kombination mit den positiven Reizen noch mehr gestört. Die Versuche der letzten Reihe zeigen einerseits deutlich, wie die positive Induktion, die unter der Wirkung des Hemmreizes eines bestimmten Punktes entsteht, die Ausbreitung des Hemmungsprozesses begrenzt. Andererseits beweisen sie, daß die Wechselwirkung der Erregungs- und Hemmungsprozesse entweder durch die Phase der Einstellung neuer Beziehungen in der Rinde (Versuche von PODKOPAJEW) oder durch den Typ des Nervensystems verschiedener Tiere bestimmt wird (Versuche von GOLOWINA und PAWLOWA). (231)

DREIZEHNTE

VORLESUNG

D I E R I N D E ALS MOSAIK a) BEISPIELE FÜR DAS RENDENMOSAIK UND DIE EINFACHSTEN ARTEN SEINER ENTSTEHUNG-b) DIE VARIABILITÄT DER PHYSIOLOGISCHEN ROLLE DER EINZELNEN PUNKTE — c) DIE BESTÄNDIGKEIT EINIGER PUNKTE. D I E R I N D E ALS E I N H E I T L I C H E S , K O M P L I Z I E R T E S SYSTEM

DYNAMISCHES

Meine Damen und Herren! Wie aus allem bisher Mitgeteilten klar ersichtlich ist, bewirkt die unzählige Menge von Naturerscheinungen über den Apparat der Großhirnhemisphären ein ununterbrochen vor sich gehendes Entstehen bald positiver, bald negativer bedingter Reflexe. Hierdurch wird die ganze Tätigkeit des Tieres, sein gesamtes tägliches Verhalten eindeutig bestimmt. Für jeden dieser Reflexe muß in der Hirnrinde ein besonderer P u n k t vorhanden sein, d. h. eine besondere Zelle oder Zellgruppe. Die eine derartige Rindeneinheit ist mit der einen, die andere mit einer anderen Tätigkeit des Organismus verbunden; die eine ruft eine bestimmte Tätigkeit hervor, die andere verhindert oder unterdrückt sie. So stellt die Großhirnrinde ein großartiges Mosaik, ein großartiges Schaltbrett dar. Dabei bleibt auf diesem Schaltbrett stets ein großer Vorrat von Punkten zur Bildung neuer bedingter Signalreize, und die früher besetzten Punkte unterliegen außerdem mehr oder weniger häufigen Veränderungen in ihren Verbindungen mit den verschiedenen Tätigkeiten des Organismus und in ihrer physiologischen Bedeutung. Der Mechanismus dieses funktionellen Mosaiks der Großhirnrinde läßt sich schon jetzt sowohl von anatomischer als auch von physiologischer Seite andeuten. Sowohl die Zusammensetzung der Rezeptoren aus einer Vielzahl (232) von Elementen als auch der ungeheure Reichtum der Großhirnrinde an Zellen mit ihrer Mannigfaltigkeit in Größe, Form und gegenseitiger Lagerung entsprechen in hohem Maße der Forderung nach einem derartigen Mosaik. I n Einklang damit steht auch die Lokalisationslehre, die von der modernen Rindenphysiologie aufgestellt worden ist, wenn sie auch viel gröber ist. Aber im ganzen sind die funktionellen Abgrenzungen in der Rinde natürlich eine Frage von außerordentlicher, einzigartiger Kompliziertheit. Gegenwärtig können nur die allerersten Schritte zur experimentellen Erforschung ihrer einfachsten Seiten getan werden. Doch ist auch schon in diesem Stadium der Forschung das Problem sehr kompliziert und bietet der Untersuchung große Schwierigkeiten. E s möge eine funktionelle Gliederung der Rinde wenigstens in einigen Fällen rein anatomisch durch das Vorhandensein einzelner Zellen, die bestimmten Rezeptorenelementen entsprechen, gegeben sein. Wir wissen aber aus der Tatsache der primären Generali-

Das funktionelle Rindenmosaik

177

sation der bedingten Reize, daß die Erregung anfänglich immer von ihrem Ausgangspunkte irradiiert und auch auf die Rindenzellen anderer rezeptorischer Elemente übergreift. Auf welche Weise kommt es dann wieder zu einer Konzentration im Ausgangspunkt ? Hier müssen zwei Fälle unterschieden werden. Erstens, wie lassen sich zwei positive Punkte voneinander abgrenzen, wenn jeder von ihnen mit einem anderen unbedingten Reflex verbunden ist, und zweitens, wie grenzen sich der positive und der negative Punkt (d.h. der hemmende) gegeneinander ab, wenn sie zu ein und demselben unbedingten Reflex gehören ? Unser bisheriges Material bezog sich bis in die letzte Zeit fast ausnahmslos auf den zweiten als den einfacheren Fall. An die Lösung der ersten Frage haben wir uns erst jetzt gemacht, und daher werde ich in meinen weiteren Ausführungen nur die zweite Frage berühren. Hier will ich alle unsere Ergebnisse zusammenfassen, die sich auf das Rindenmosaik beziehen und die in den früheren Vorlesungen nicht behandelt worden sind. Ich beginne mit dem einfachsten und anschaulichsten Fall. Ein Hund hatte neben anderen bedingten Nahrungsreflexen auch folgende Reflexe auf mechanische Hautreizung: einen positiven an der rechten Schulter und einen negativen am rechten Schenkel. Nachdem diese Reflexe gut ausgearbeitet waren, wurden zuerst folgende neuen Stellen auf ihre Wirkung untersucht: an der Vorderpfote, 17 cm unterhalb der Stelle (233) an der Schulter; an der Seite, 12 cm hinter der Stelle an der Schulter; ebenfalls an der Seite, aber 15 cm vor der Stelle am Schenkel; und schließlich an der Hinterpfote, 18 cm unterhalb der Stelle am Schenkel. Die Speichelabsonderung wurde im Verlauf von 30 Sekunden während der isolierten Wirkung des bedingten Reizes registriert. _ , _ , . Bedingte Hautreizung An der Vorderpfote An der Schulter An der Seite nahe der Schulter An der Seite nahe dem Schenkel Am Schenkel An der Hinterpfote

Speichelabsonderung ^ (in T r o p f e n ) 6 8 7 3 0 0

Das gleiche Ergebnis erhielten wir auch an zwei anderen Hunden, die zu diesen Versuchen dienten (Versuche von F u r s i k o w ) . Wir sehen also, daß jmter dem Einfluß äußerer Reize, die unter verschiedenen Bedingungen wirken (der eine wurde vom unbedingten Reflex begleitet, der andere nicht), in jedem Analysator zwei verschiedene, räumlich getrennte Punkte entstehen: ein Erregungspunkt und ein Hemmungspunkt, wobei sich um jeden von diesen Punkten noch ein eigenes Gebiet bildet. Diese Gebiete breiten sich gegeneinander aus, sind aber räumlich streng abgegrenzt. Die starke Verminderung des positiven Effektes an der Seite in der Nähe des Schenkels und der Nulleffekt an der Hinterpfote müssen als ein Überwiegen des Hemmungsprozesses 12 IV

178

DREIZEHNTE

VORLESUNG

betrachtet werden, weil sich die Generalisierung des positiven bedingten mechanischen Hautreizes, wie wir in der zehnten Vorlesung gesehen haben, gewöhnlich auf den ganzen Analysator erstreckt und die Abnahme der Wirkung, entsprechend der Entfernung von der Stelle des ausgearbeiteten Reflexes, sehr allmählich und nicht plötzlich vor sich geht. So wird die erste Voraussetzung für das funktionelle Rindenmosaik durch die äußeren Reize gegeben, die entgegengesetzte Prozesse hervorrufen, wie wir das bereits in der Vorlesung über die analysierende Tätigkeit der Rinde gesehen haben. An weiteren drei Hunden stellten wir kompliziertere Versuche an. An zwei Hunden wurden auf verschiedene Töne (Versuche von S I R J A T S K I ) und beim dritten an verschiedenen Hautstellen (Versuche von KUPALOW) (234) regelmäßig abwechselnd mehrere positive und negative Punkte gebildet. Dies geschah zu verschiedenen Zwecken: um zu sehen, wie sich ein solches Mosaik bildet, wie weit es sich erstrecken kann, welche Genauigkeit es erreichen kann, wie seine verschiedenen Punkte aufeinander einwirken, wie sich dazwischen gelegene Punkte verhalten und welche Wirkung dieses Mosaik auf den Allgemeinzustand des Hundes hat. Einige dieser Ergebnisse will ich hier anführen, andere sollen an anderen Stellen in anderem Zusammenhang genauer besprochen werden. Ich muß nur hinzufügen, daß die Untersuchung dieser Tiere noch nicht abgeschlossen ist. Bei dem einen Hunde benutzten wir die Töne eines Harmoniums als bedingten Reiz. In fünf benachbarten Oktaven, von der großen angefangen bis zur dreigestrichenen (von 64 bis zu 1440 Schwingungen in der Sekunde), waren alle Töne c zu positiven bedingten Reizen der Nahrungsreaktion, alle Töne f zu negativen Reizen gemacht worden. In den Versuchsprotokollen sind die Töne c und f mit Nummern bezeichnet, die ihre Reihenfolge, mit den tiefen angefangen, angeben. Hier bringen wir das endgültige Ergebnis bei diesem Hunde.

Zeit II h 32' 11 h 44' 11 h 53' 12 h 01' 12 h 13' 12 h 22' 12 h 34' 12 h 47' 12 h 59'

_ .. , _ . Beengter ReiZ für 30 Sekunden cs fi Cl c6 f4 «1 f3 °1

Speichelsekretion ^Tropfen) i n 3() s J u n d e n 9 9,5 0 10 10,5 0 9,5 0 9

Bei dem zweiten Hunde waren in den Grenzen einer Oktave vom f der kleinen Oktave bis zum eingestrichenen fis mehrere Töne im Wechsel, aber ohne regelmäßige Intervalle zu positiven und negativen Reizen gemacht worden. Es waren:

Die Ausarbeitung des Rindenmosaiks

179

fis ein positiver, e ein negativer, c ein positiver, a ein negativer, g ein positiver und f ein negativer Reiz. Hier das Ergebnis bei diesem Hunde. (235) _

2h 2h 2h 2h 2h 2h 2h 2h

,

_ .

f l l o t k i

Zeit

02' g 09' 16' 30" e 24' c 34' a 43' g 51' f 56' 30" g

fis

Speichelsekretion in 30 Sekunden 10 8 0 7,5 0 7 0 6

Bei dem dritten Hunde waren bedingte Nahrungsreflexe auf mechanische Reizung verschiedener Hautstellen ausgearbeitet. Die Apparate zur Reizung waren an genau bestimmten Stellen in einer Linie vom linken Hinterlauf über den ganzen Rumpf bis zum linken Vorderlauf befestigt, immer in gleichen Abständen von je 12 cm vom Zentrum eines Apparates bis zum Zentrum des nächsten. Die Nummern der Apparate werden vom Hinterlauf bis zum Vorderlauf gezählt. Im ganzen hatten wir 9 Apparate. Die ungeradzahligen Reizstellen wurden zu positiven, die geradzahligen zu negativen Reizen gemacht. Hier geben wir einen der deutlicher ausgeprägten Versuche wieder.

Zeit 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 1h 1h lh

10' 18' 30' 34' 43' 49' 59' 03' 08' 16'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

7 5 4 5 7 3 6 7 7 2

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 8,5 10 0,5 4 6 6,5

0

6 5,5 0,5

Das vermutete funktionelle Rindenmosaik ließ sich in der ersten Zeit der Ausarbeitung nur schwer bilden. J e weiter wir aber fortschritten, desto leichter wurde die Ausarbeitung. (236) Hierbei ist besonders interessant, daß zum Schluß der Ausarbeitung beim zweiten und dritten Hunde einige Reflexe auf neue Hautstellen schon vom ersten Male an eine Wirkung zeigten. Man muß dabei berück12*/IV

180

DREIZEHNTE

VORLESUNG

sichtigen, daß in diesen Fällen die neuen bedingten Reize in den Bereichen des entgegengesetzten Nervenprozesses entstanden. Beim ersten Hunde war bereits seit langem ein positiver bedingter Reflex auf den Ton c4 ausgearbeitet. Im vorliegenden Versuch hatte dieser Ton eine Wirkung von 8 Tropfen in 30 Sekunden. Als jetzt zum ersten Male der Ton f4 als Reiz angewandt wurde, blieb dieser ohne positive Wirkung, und man konnte annehmen, daß er schon gehemmt war. Der Versuch des nächsten Tages bewies dies. An diesem Tage begann man den Versuch mit dem Ton f4, der auch jetzt ohne positive Wirkung blieb; der auf ihn folgende positive Reiz c4 aber erwies sich als deutlich gehemmt. Folglich war der Ton f4, der sich im Gebiete des positiven Tones c4 befand, tatsächlich von selbst ohne spezielle Ausarbeitung zu einem Hemmreiz geworden. Dasselbe wiederholte sich auch mit dem Ton c5, der bei seiner ersten Anwendung eine positive Wirkung ergab; er befand sich im Gebiete des Hemmreizes f4. Bei dem dritten Hunde mit bedingten, mechanischen Hautreizen waren die beiden äußersten positiven Reizpunkte Nr. 1 und Nr. 9 ebenfalls sofort ohne Ausarbeitung voll wirksam. Beide befanden sich im Gebiet der Hemmungspunkte Nr. 2 und Nr. 8. Eine natürliche Erklärung dieser letzten Befunde ist in den Erscheinungen der gegenseitigen Induktion zu suchen, die von Punkten ausgeht, denen eine bestimmte, beständige Erregungs- oder Hemmwirkung eigen ist, von Punkten, die von früher her in regelmäßigem Wechsel angeordnet sind. Aus diesen Tatsachen wird uns verständlich, warum überhaupt eine rhythmische Tätigkeit besonders leicht und vorteilhaft ist. An allen eben beschriebenen Hunden wiederholte sich stets die Tatsache, daß bei regelmäßigem Wechsel der positiven und negativen Reize die Reflexe sich durch eine besondere Genauigkeit auszeichneten. Hier will ich ein Beispiel dafür geben, wie dieser Wechsel sogar im Verlauf ein und desselben Versuches die positiven und negativen Punkte immer schärfer voneinander trennt, obgleich ihre Wirkung anfänglich nicht so scharf unterschieden wurde. Der dritte Hund mit mechanischen Hautreizen. (237) Zeit lh lh lh lh 1h lh 1h 2h 2h

03' 12' 19' 26' 34' 44' 53' 07' 23'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 17 8 14 3,5 9,5 0,5 7 0 6

Hier noch einige Beispiele aus der Arbeit am ersten Hunde, als die Reflexe noch gar nicht regelmäßig waren.

Die Ursachen für daa Rindenmosaik T, , _ . Beengter Reiz für 30 Sekunden

Zeit

10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11 h 12 h

50' 59' 16' 26' 38' 50' 01'

181

Speichelsekretion (inTropfen) i n 3 0 Sekunden

c2 e2 cs c3 c4 c4 c2

5 7 3 7 5 2 4

Derselbe Hund drei Tage später. 11 h 11 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

50' 59' 12' 20' 31' 42' 58'

e2

7 0 6 0 6 0 6

e3 f2 c4 fs c.

Wir finden also eine weitere Begründung für das funktionelle Rindenmosaik in der gegenseitigen Induktion der Nervenprozesse. Ferner versuchten wir in denselben Experimenten die Bereiche (Felder) festzustellen, auf die sich die Wifkung des Erregungs- und Hemmungsprozesses ausbreitet, (238) und zugleich die zwischen ihnen liegenden, vielleicht indifferenten Bereiche. An Hunden mit einem Tonmosaik untersuchten wir die Wirkung anderer Töne, die sich zwischen unseren positiven und negativen Reizen befanden. Die positive Wirkung, die sich im Auftreten einer Speichelsekretion äußerte, war natürlich sofort zu erkennen. Was die Nullwirkungen betrifft, so mußte man sich durch besondere Versuchsvariationen davon überzeugen, ob ihnen eine indifferente oder eine hemmende Bedeutung zukam. Zu diesem Zweck untersuchten wir diese Reize auf ihre Nachhemmung oder auf ihre positive InduktionsWirkung. Versuch vom 9. Oktober 1925

1h 1h 1h 1h 1h

22' 30' 40' 50' 52' 30"

Bedingte R iz

Speichelsekretion

für 30 Sekunden

6 • ^^»Tf^^ j' in 30 Sekunden

c e c d Mechanischer Hautreiz

10 0 7 0 4

182

DREIZEHNTE

VOBLESCNQ

Versuch vom 14. Oktober 1925 Bedingter Reiz für 30 Sekunden

Zeit 12 h 12 h 1h lh 1h

50' 56' 07' 15' 25'

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

g f e c

10 9 0 10 3

Versuch vom 20. Oktober 1925 2h 2h 2h 2h 2h 2h

14' 20' 33' 40' 48' 60' 30"

Mechanischer Hautreiz fis e c es Mechanischer Hautreiz

4 13 0 10 0 2

Wir sehen, daß der zwischen dem positiven c und dem negativen e gelegene Zwischenton d und die Halbtöne eis und es verschiedene Bedeutung haben. Der Halbton (239) eis hatte wohl eine verringerte, aber dennoch eine positive Wirkung, d.h.,er gehörte ins Gebiet des positiven c. Der Ton d und der Halbton es ergaben beide scheinbar dieselbe Wirkung, sie war gleich Null. Aber die Untersuchung dieser Reize auf ihre Nachhemmung zeigte den Unterschied, der zwischen ihnen bestand. Zwei Minuten nach Anwendung des Halbtones es verlor der bedingte mechanische Reiz 50% seiner gewöhnlichen Wirkung, d.h., er war gehemmt; nach Anwendung des Tones d blieb er unter denselben zeitlichen Bedingungen unverändert. Hieraus müssen wir schließen, daß sich der Halbton es zweifellos im Gebiet des negativen Tones e befand, wogegen sich der Ton d entweder als vollkommen indifferent oder als wesentlich weniger gehemmt erwies. Dieses letztere muß durch viel feinere Versuche entschieden werden, und daher wird die Untersuchung der Frage nach den wirklich indifferenten Punkten weiter fortgesetzt. In denselben Versuchen wurde auch die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Punkte bei unmittelbarem Übergang von einem positiven auf einen anderen positiven, von einem negativen auf einen anderen negativen oder schließlich von einem positiven Punkt auf einen negativen Punkt und umgekehrt untersucht. Doch waren die Ergebnisse dieser Versuche meistens so kompliziert, daß wir uns gezwungen sahen, der Lösung dieser Frage mit einem einfacheren Verfahren nachzugehen. Wie wir schon in unserer ersten und auch zu Beginn der heutigen Vorlesung erwähnt haben, kann sich das funktionelle Rindenmosaik nicht nur ständig vervollkommnen und erweitern, sondern es unterliegt auch einer häufigen Umarbeitung, d.h., ein und dieselben Punkte der Rinde verbinden sich bald mit der einen,

Die Veränderlichkeit der Rindenpunkte

183

bald mit der anderen physiologischen Tätigkeit des Organismus. Zu dieser letzten Frage verfügen wir nur über eine Untersuchung (Versuche von S. S. Frideman). Ein und dieselben Agenzien wurden zuerst zu bedingten Nahrungsreizen gemacht and dann in Säurereize umgearbeitet und umgekehrt: die früheren Säurereize wurden in Nahrungsreize verwandelt. Bei zwei Hunden -wurde ein ursprünglicher bedingter Nahrungsreiz in einen bedingten Säurereiz verwandelt, bei einem dritten ein Säurereiz in einen Nahrungsreiz. Dies geschah natürlich in der Weise, daß der bedingte Reiz jetzt durch einen anderen unbedingten Reiz begleitet wurde. Der Ubergang des einen Reflexes in den anderen vollzieht sich dabei in folgender Weise. (240) Der bedingte Reiz verliert schnell, oft schon während eines Versuches, seinen früheren Speicheleffekt und zeigt eine Nullwirkung. Diese hält längere oder kürzere Zeit an. Darauf setzt wieder eine Speichelwirkung ein; und das ist jetzt der andere Reflex, wie uns die staike Veränderung in der Zusammensetzung des Speichels aus der Unterkieferspeicheldrüse zeigt. Dieser ganze Vorgang erfordert etwa 30 Kombinationen des bedingten Reizes mit dem neuen unbedingten Reiz. Als bei den ersten beiden Hunden nach einer ziemlich langen Periode mit bedingten Säurereflexen die bedingten Reize noch einmal in Nahrungsreize verwandelt werden sollten, ging diese Umarbeitung sehr schnell, schon nach wenigen Anwendungen des unbedingten Nahrungsreizes vor sich. Die erste Verknüpfung war also bis zu einem gewissen Grade erhalten geblieben, obgleich die zweite Verbindung bestand. In der betreffenden Untersuchung war unser Hauptinteresse jedoch auf einen andeien Punkt gerichtet. Wir wollten nämlich wissen, ob die für einen bedingten Reiz an einem Reflex ausgearbeitete Differenzierung bei der Verwandlung dieses Reizes in den bedingten Reiz eines anderen Reflexes erhalten bleibt. Bei allen drei Hunden ergab sich das gleiche Resultat. Ich will daher nur die Ergebnisse der an einem Hunde angestellten Versuche genauer beschreiben. Als bedingter Nahrungsreiz war der Ton e (2600 Schwingungen pro Sekunde) ausgearbeitet. Von diesem war ein nahegelegener niedrigerer Ton (2324 Schwingungen pro Sekunde) differenziert, die Differenzierung war gut konzentriert. Darauf wurde der bedingte Nahrungsreiz in einen bedingten Säurereiz verwandelt. Die gleiche Differenzierung erwies sich bei der ersten Prüfung auf den Säurereflex als vollständig und ebenso stark konzentriert. Nun wurde eine andere feinere Differenzierung um einen halben Ton höher (2760 Schwingungen pro Sekunde) ausgearbeitet. Nachdem der Ton e wieder zu einem bedingten Nahrungsreiz gemacht worden war, blieb au Bekräftigt

J

Von der 25. Minute an beginnt die mechanische Hautreizung, die jedesmal 30 Sekunden andauert und jede Minute wiederholt wird. Bei den ersten 3 Wiederholungen beobachtet man eine Bewegung des Kopfes nach der Seite des Reizes. Bei der 4. und 5. Wiederholung beobachtet man keine Bewegung mehr. Nach 321/2 Minuten wird 10 Sekunden lang der mechanische Hautreiz allein angewandt und danach für 30 Sekunden das Pfeifen 5u ihm hinzugefügt. 15 Sekunden nach Einsetzen des Pfeifens beginnt eine Speichelabsonderung und in den 30 Sekunden, in denen das Pfeifen hinzugefügt war, werden 2 Tropfen abgesondert. Der weitere Versuch verläuft so.

208

FÜNFZEHNTE

Bedingter Keiz für 30 Sekunden

Zeit 2 h 45'

Pfeifen

VORLESUNG

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Latenzzeit (in Sek.)

Bemerkung

5

7

Bekräftigt

Zu Beginn des Versuches wurde der bedingte Reiz bald 5 und bald 30 Sekunden bekräftigt, um seine normale Wirkungsgröße bis zum Versuchsende zu erhalten. (272)

Wir sehen, daß das Agens, das den Untersuchungsreflex hervorruft, nach mehreren Wiederholungen seine motorische Wirkung allmählich verliert. Bei weiter andauernden Wiederholungen stellt sich entweder unmittelbar Schläfrigkeit und ein immer tiefer werdender Schlaf ein, oder es hat den Anschein, als ob dieses Agens für eine Zeitlang überhaupt unwirksam wird und erst dann der Schlaf eintritt. Wenn wir aber so einem unwirksam scheinenden Reiz (wie im letzterwähnten Falle) einen bedingten Reiz hinzufügen, so haben wir einen deutlichen Beweis dafür, daß er während dieser Periode eine Hemmwirkung ausübt. Daß die hemmende Wirkung auf den bedingten Reiz in diesem Falle nicht auf dem Mechanismus der sogenannten äußeren Hemmung beruht, geht daraus hervor, daß der Untersuchungsreflex (wie wir das in der sechsten Vorlesung bei der Untersuchung der Wirkung des Untersuchungsreflexes auf den verspäteten bedingten Reflex gesehen haben 1 ), wenn er sehr schwach ist, die bedingten Reflexe enthemmt und nicht hemmt. Folglich wirkt in diesem Falle eine Hemmung, die bei der Wiederholling des Untersuchungsreflexes entstanden ist und bei weiteren Wiederholungen in Schlaf übergehen kann, wobei der bedingte Reflex dann vollständig erlischt (im ersten der soeben zitierten Versuche). Dieselbe Erscheinung sahen wir bei Jagdhunden besonders stark ausgeprägt (Versuche von I .S. R O S E N T A L ) . Bei einförmiger Wiederholung irgendeines Reizes verfallen sie, beim Fehlen anderer Schwankungen in der Umgebung, unfehlbar und oft ganz überraschend schnell in Schlaf. Andererseits ist es ja allgemein bekannt, wenn auch wissenschaftlich bis jetzt noch nicht geklärt, daß alle Menschen, besonders aber solche, die kein reges inneres Leben führen, bei einförmigen Reizen, selbst an unpassendem Ort und zu unschicklicher Zeit, unwiderstehlich zu Schläfrigkeit und Schlaf neigen. Das heißt, daß bestimmte Rindenzellen auf ein gewisses sich dauernd wiederholendes, äußeres Agens reagieren und in einen Hemmungszustand übergehen, nachdem sie sich verausgabt haben; beim Ausbleiben einer Gegenwirkung durch andere tätige Punkte der Rinde breitet sich dann dieser Hemmungsprozeß aus und löst Schlaf aus. Die äußerst rasche Erschöpfbarkeit der Rindenzelle, und ihr leichter Ubergang in den Hemmungszustand steht in einem schroffen Gegensatz zur Ausdauer der Zellen der niederen Teile des Gehirns unter denselben Bedingungen. (27£) Die Versuche von S E L J O N Y in unserem Laboratorium haben gezeigt, daß der Untersuchungsreflex auf einen bestimmten Ton bei einem normalen Hunde sehr bald erlischt, während der Untersuchungs!) s. S. 79 (dt.

Sed.)

Übergang von Hemmung in Schlaf

209

reflex bei einem Hunde ohne Großhirnhemisphären unter denselben Umständen durch ein und denselben Ton beliebig oft in ganz gleicher Weise hervorgerufen werden kann. Wenden wir uns nun wieder den bedingten Reflexen zu! Daß die Erschöpfung oder überhaupt eine Schwächung der Rindenzelle die Grundlage für die Entwicklung einer Hemmung wie auch zur weiteren Entwicklung des Schlafes darstellt, geht aus folgender, ständig sich wiederholenden Tatsache hervor. Wenn wir durch eine Operation an den Großhirnhemisphären irgendeinen Analysator geschädigt hatten, so war es beinahe unmöglich, die entsprechenden bedingten Reize selbst für sehr kurze Zeit isoliert anzuwenden, weil sie sehr bald in Hemmreize übergingen, oder sie hatten schon von vornherein ihre positive Wirkung verloren und waren direkt zu negativen, zu Hemmreizen geworden. Bei Schädigung des Hautanalysators konnte man das immer wieder besonders leicht beobachten 1 ). Wenn man bei einem Hunde die gyri coronarius und ectosylvius entfernt, so verschwinden für lange Zeit, oft für mehrere Wochen, die positiven bedingten mechanischen Hautreflexe an den Gliedmaßen und am Schulter- und Beckengürtel und werden durch negative Hemmreflexe ersetzt. Als Beweis hierfür betrachten wir den Umstand, daß die positiven bedingten Reize anderer Analysatoren vor der Anwendung der mechanischen Hautreize gut wirken, aber nach ihnen angewandt, ihre Wirkung verlieren. Gleichzeitig rufen diese mechanischen Hautreize außerordentlich leicht und rasch bei solchen Hunden Schlaf hervor, bei denen sie vor der Operation im Verlauf unserer Arbeit mit ihnen niemals Schlaf verursacht hatten. Der Ablauf dieser Erscheinung nimmt oft folgende, sehr eindrucksvolle Form an. Der bedingte mechanische Hautreiz führt an den durch die Hirnoperation geschädigten Teilen der Hautoberfläche zur Hemmung und zur Schläfrigkeit; derselbe Reiz ergibt aber an ungeschädigten Hautstellen einen positiven Effekt, und das Tier bleibt vollständig munter (Versuche von KRASNOGORSKI, I . P . RASENKOW u n d W . M . ARCHANGELSKI).

(274)

Hierher gehört auch von Rechts wegen eine in unserem Laboratorium während der Hungerperiode vor einigen Jahren gemachte Beobachtung. An den erschöpften Tieren konnte man keine Untersuchungen mit bedingten Reflexen anstellen, da alle positiven bedingten Reize außerordentlich schnell zu negativen Reizen wurden und die Hunde dabei, besonders nach Anwendung bedingter Reize, in Schlaf verfielen. Offenbar gab sich die allgemeine Erschöpfung des Tieres ganz besonders an den Rindenzellen zu erkennen (Versuche von FROLOW, ROSENTAL u.a.). In zahlreichen bisher angeführten Fällen sehen wir immer wieder, daß die Hemmung in Schlai übergeht; es kommt aber auch das Umgekehrte zur Beobachtung, der Übergang von Schlaf in Hemmung. Wir arbeiten einen auf 3 Minuten abgerückten bedingten Reflex aus. Der Einzelversuch geht dann bisweilen folgendermaßen vor sich. Wir stellen das Tier ins Gestell. Es ist ganz wach und munter. Sobald aber der bedingte Reiz angewandt wird, wird das Tier sofort s. Vorlesung 14/IV

20, S. 284 (dt.

Red.)

210

FÜNFZEHNTE

VORLESUNG

schläfrig; der Speicheleffekt fehlt während der ganzen Zeit von 3 Minuten und, wenn danach die Futterschale erscheint, frißt das Tier nicht sofort und nur träge das vorgelegte Futter. Wir wiederholen während des Versuches den bedingten Reiz mehrmals in bestimmten Zeitabständen. Das Tier wird mit jedem Reiz immer munterer, und am Ende der 3. Minute des Reizes tritt die Speichelabsonderung ein. Bei Wiederholung nimmt diese Speichelabsonderung immer mehr zu. Die 3 Minuten dauernde Reizperiode zerfällt schließlich in zwei ungefähr gleiche Abschnitte: in der ersten Hälfte findet keine Speichelabsonderung statt, obgleich das Tier vollkommen munter bleibt, in der zweiten wird reichlich Speichel abgesondert, und der Hund frißt hastig und gierig das gereichte Futter. Hier geht die irradiierte Hemmung, d. h. der Schlaf, der dank dem anfänglichen Überwiegen des Hemmungsprozesses während der ersten Hälfte der Wirkung des bedingten Reizes eingetreten war, allmählich in eine begrenzte konzentrierte Hemmung über. Die Ursache hierfür ist in dem Einfluß des immer stärker werdenden Erregungsprozesses zu suchen, der mit der zweiten Hälfte der Wirkung desselben bedingten Reizes verbunden ist. In solchen Fällen kann man auch einen vollständigen Ersatz der Hemmung durch Schlaf beobachten. Sowohl bei längerem Abrücken auf 3 Minuten als auch bei kürzerem Abrücken auf 30 Sekunden kann man bisweilen folgende Erscheinung beobachten. Das Tier, (275) das während des Versuches im Gestell ständig munter bleibt, schläft jedesmal mit dem Einsetzen des sich wiederholenden bedingten Reizes ein: die Augen schließen sich, der Kopf hängt herab, der ganze Körpei hängt schlaff in den Halteriemen, und zeitweilig wird sogar Schnarchen hörbar. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit, bei weitem Abrücken nach 1 % bis 2 Minuten, bei kurzem Abrücken schon nach 25 Sekunden erwacht das Tier plötzlich von selbst, es tritt Speichelabsonderung ein, und das Tier entwickelt jetzt eine starke motorische Nahrungsreaktion. Es ist offenbar, daß in diesem Falle die konzentrierte Hemmimg stets durch tiefen Schlaf ersetzt wird. Schließlich kann man manchmal beobachten, daß die Summierung zweier Hemmungen Schläfrigkeit hervorruft. Bei einem Hunde (Versuch von F u r s i k o w ) hatte man einen gut ausgearbeiteten bedingten Reflex, der auf 3 Minuten abgerückt war. Die ersten 2 Minuten fand keine Speichelabsonderung statt, dann setzte sie ein und erreichte ihren Höchstwert am Ende der 3. Minute. Es wurde nun ein Versuch in folgender Weise ausgeführt. Gleichzeitig mit der Wirkimg des bedingten Reizes wurde ein anderes Agens, ein schwaches Zischen, angewandt. Dadurch wurde die 1. Hälfte des Reflexes enthemmt, und auf das Zischen war eine unbedeutende Bewegungsreaktion bemerkbar, die als Ausdruck des Untersuchungsreflexes aufzufassen ist. Der bedingte Reflex wurde bekräftigt. Bei Wiederholung dieser Kombination fehlte der Untersuchungsreflex auf das Zischen, der bedingte Reflex erlosch ebenfalls vollständig, und bei dem Tier konnte eine starke Schläfrigkeit festgestellt werden. Der Reflex wurde wieder bekräftigt. Das Ergebnis muß man offenbar folgendermaßen deuten. Der Untersuchungsreflex, den das Zischen als neuer Reiz bei seiner ersten Anwendung ausgelöst hat, erlischt schon beim zweiten Mal, d. h., durch das Zischen wird jetzt der Hemmungsprozeß hervorgerufen, wie wir das schon früher

Identität von Hemmung und Schlaf

211.

in unserer heutigen Vorlesung gesehen haben. Diese Hemmung des Untersuchungsreflexes auf das Zischen, die sich mit der Hemmung der ersten Phase des verspäteten bedingten Reflexes summiert, verstärkt den Hemmungsprozeß derart, daß die aktive Phase des Reflexes nicht mehr zustande kommen kann und statt dessen das Tier schläfrig wird. Daß diese Deutung des Versuchsablaufs zu-' treffend ist, wird durch die weitere Fortführung des Versuches bestätigt. Bei der folgenden Wiederholung des bedingten Reizes ohne Zischen erhält man einen richtigen verspäteten Reflex, bei dem beide Phasen deutlich ausgeprägt sind. Eine nochmals wiederholte Kombination von Metronom und Zischen löst beim Erlöschen des bedingten Reflexes wieder Schläfrigkeit aus. Es folgen die zahlenmäßigen Angaben dieses Versuches. (276) Speichelsekretion (in Tropfen) alle 30 Sekunden angegeben

Zeit

Beiz für 3 Minuten

4 h 52'

Ticken des Metronoms + Zischen

0

3

3,5

1

0

3,5

Unbedeutende Bewegungsreaktion auf das Zischen

Ticken des Metronoms + Zischen

0

0

0

0

0

0

Keine Bewegung, Schläfrigkeit

0

0

0

0

1

9

0

0

0

0

0

0

5 h 03' 5 h 15' 5 h 28'

Ticken des Metronoms Ticken des Metronoms + Zischen

..

Bemerkungen

Schläfrigkeit

In diesem Falle halte ich es, der Klarheit wegen, nicht für überflüssig, folgenden Umstand besonders hervorzuheben. Offenbar läßt dieser Versuch zusammen mit den oben erwähnten Versuchen von TSCHETSCHULIN noch eine neue Phase in der Wirkung von Zusatzagenzien auf unsere bedingten Reflexe erkennen. Ein starker äußerer Reiz hemmt (wie Sie sich vielleicht aus der sechsten Vorlesimg über die verspäteten Reflexe erinnern können) dadurch, daß er den Untersuchungsreflex hervorruft, anfangs den ganzen verspäteten Reflex; später aber, wenn der Untersuchungsreflex bei Wiederholungen bedeutend schwächer geworden ist, enthemmt er nur die erste Phase des verspäteten Reflexes und schließlich hemmt er, wie Sie jetzt erfahren, diesen Reflex aufs neue, diesmal aber auf ganz anderer Grundlage, wobei jetzt dieser starke Reiz selbst zum primären Erreger des Hemmungsprozesses in der Hirnrinde wird. Ein schwächeres äußeres Agens ruft, wie man aus dem Versuch von FURSIKOW entnehmen kann, von Anfang an nur einen schwachen, kurzdauernden Untersuchungsreflex hervor, es wirkt schon bei seiner ersten Anwendung enthemmend auf einen verspäteten Reflex und bewirkt dann erst sekundär eine Hemmung. Für die Identität der Prozesse der Hemmung und des Schlafes sprechen auch ihre allgemeinen Eigenschaften. In unseren früheren Vorlesungen sind uns schon recht viele Tatsachen bekannt geworden, die eine Fortbewegung des Hemmungs14*/IV

212

FÜNFZEHNTE

VORLESUNG

Prozesses über die gesamten Großhirnhemisphären einwandfrei beweisen. Diese Bewegung erwies sich als sehr langsam, sie zählte nach Minuten, selbst nach vielen Minuten, und außerdem variierte sie in bezug auf ihre Geschwindigkeit (277) bei verschiedenen Versuchstieren und unter Verschiedenen Bedingungen. Offensichtlich ist der Schlaf ebenfalls ein sich im Gehirn fortbewegender Prozeß. Wir wissen j a alle, wie Schläfrigkeit und Schlaf uns allmählich überkommen und wie sie oft schwer und nur langsam wieder vergehen. E s gibt aber auch wissenschaftliche Beweise dafür, daß die Funktionen der verschiedenen Sinnesorgane und anderer höherer Verstandesfunktionen beim Einschlafen nach und nach erlöschen. Andererseits können wir in bezug auf die Geschwindigkeit des Einschlafens und des Erwachens bei verschiedenen Menschen sehr große Unterschiede beobachten, und ebenso gibt es auch Unterschiede in der Geschwindigkeit, die von den besonderen Bedingungen abhängen, unter denen sich der Schlaf einstellt. Genau dasselbe konnten wir bei Hunden sehen. Ferner sahen wir in unserer Arbeit stets, wie die Hemmung, die sich im Anfang unserer Versuche nur schwer entwickelte, dank einer gewissen Übung, durch Wiederholung und Anwendung verschiedener Hemmfälle zu einem immer leichter ablaufenden Prozeß wird. In gleicher Weise rufen die bedingten Reize, die bei entsprechenden Bedingungen Schlaf auslösen, ebenso wie die indifferenten Reize um so rascher Schlaf hervor, j e öfter sie wiederholt werden. Von besonderem Interesse ist folgendes. Wie schon früher erwähnt, induziert die Hemmung einen Erregungsprozeß. Bei manchen Hunden tritt, wie schon mehrmals mitgeteilt worden ist, bei einem verspäteten bedingten Reflex während der ersten Phase der Reizung statt des Hemmungsprozesses Schlaf ein. In solchen Fällen geht dem Schlaf für sehr kurze Zeit eine unbedeutende allgemeine Erregung des Tieres voraus. Noch deutlicher und beständiger tritt diese Erscheinung beim Einschlafen des Tieres unter dem Einfluß eines anhaltenden oder sich wiederholenden indifferenten Reizes hervor. Das wurde oft in den oben erwähnten Versuchen von R O S E N T A L beobachtet. Wenn man es mit einem ganz jungen Hund zu tun hat und der indifferente Reiz das Tier einzuschläfern beginnt, so zeigt dieses vor dem völligen Einschlafen einen kurz dauernden Erregungszustand: es beginnt sich unruhig zu bewegen, kratzt sich und bellt ohne ersichtliche Ursache. Dasselbe habe ich auch bei einschlafenden Kindern beobachtet. E s ist ein sehr eigenartiges und ganz unerwartetes Bild, und ich glaube, man ist berechtigt, darin eine Induktionserscheinung zu sehen. Ebenso kann man sich vielleicht auch die allgemein bekannte Erregung zu Beginn der Narkose erklären. (278) Mir scheint, daß die Gesamtheit der angeführten Tatsachen genügen müßte, um die Richtigkeit unserer Annahme vollends zu beweisen, daß der Schlaf und die innere Hemmung ein und derselbe Prozeß sind. Ich persönlich sehe und kenne in unserer ganzen Arbeit auch nicht eine einzige Tatsache, die dieser Schlußfolgerung ernstlich widerspräche. Es ist bedauerlich, daß wir bisher über keine gute graphische Methode zur Aufzeichnung des Schlafes verfügen. Nur hin und wieder haben wir zu diesem Zweck die Kopflage des Tieres graphisch registriert. Natürlich würden unsere Mitteilungen über Versuche, die den Schlaf betreffen,

Identität von Hemmung und Schlaf

213

sehr viel an Stichhaltigkeit der Schlußfolgerungen gewinnen, wenn wir ihnen einige Aufzeichungen über den Ablauf des Schlafes beifügen könnten. Mit unseren Schlußfolgerungen stimmen aber offenbar alle Einzelheiten unseres normalen alltäglichen Schlafes vollkommen überein. Unsere tägliche Arbeit, die bei den einen sehr einförmig, bei den anderen dagegen recht vielseitig und mannigfaltig verläuft, muß in jedem Falle schließlich doch das Eintreten des Schlafes hervorrufen. Eine anhaltende Reizung ein und derselben Rindenpunkte führt zu einer tiefen Hemmung dieser Punkte; diese irradiiert dann und greift so auf die Großhirnhemisphären und schließlich auch auf die niedriger gelegenen Hirnteile über. Obgleich andererseits bei vielseitiger und mannigfaltiger Tätigkeit die einzelnen Rindenpunkte nicht in einen sehr tiefen Hemmungszustand verfallen, schafft ihre große Zahl auch ohne große Irradiation einen ausgebreiteten Hemmungszustand, der sich dann gleichfalls auf die tiefer gelegenen Gehirnteile ausdehnt. Natürlich kann eine sehr große Anzahl rasch abwechselnder Reize oft dem Hemmungszustand sehr lange Widerstand leisten und die Verbreitung dieses Prozesses in den Großhirnhemisphären nicht zulassen; auf diese Weise wird das Eintreten des Schlafes hinausgeschoben. Umgekehrt kann der feste Rhythmus einer streng durchgeführten Lebensordnung im Wechsel von Wachen und Schlafen ein dringendes Schlafbedürfnis auch ohne eine hinreichende Ermüdung der Rindenzellen hervorrufen. Für diese beiden Fälle finden sich in unserer Arbeit Beispiele genug, die von einem analogen Verhalten des Erregungsund Hemmungsprozesses zeugen. (279)

SECHZEHNTE

VORLESUNG

DIE ÜBER GANGSPHASEN ZWISCHEN WACHZUSTAND UND VOLLEM SCHLAF DES TIERES (DIE HYPNOTISCHEN PHASEN) Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr habe ich eine erhebliche Menge von Tatsachen angeführt, die beweisen, daß der Schlaf eine allgemein verbreitete innere Hemmung darstellt (nicht zerstückelt, immerfort mit dem Erregungsprozeß abwechselnd), eine Hemmung, die sich nicht nur über die gesamten Großhirnhemisphären ausbreitet, sondern auch auf einige tiefer gelegene Teile des Gehirns übergegriffen hat. Da sich die Hemmung im Gehirn nur langsam ausbreitet, mußte man erwarten, daß man eine verschieden weite Ausbreitung des Schlafes haben wird, daß man imstande sein wird, zu beobachten, wie der Schlaf nach und nach bald größere, bald kleinere Bezirke des Gehirns ergreift. Man mußte also das Vorhandensein verschiedener Übergangsformen annehmen, die der Entwicklung des vollen Schlafes vorausgehen. Das ist nun wirklich der Fall, und wir konnten solche Übergangszustände nicht nur beobachten, sondern auch experimentell hervorrufen. In unseren Versuchen hatten wir es nicht nur mit der gewöhnlichen Form des Schlafes zu tun, die beim Aussetzen der normalen Tätigkeit der Großhirnhemisphären durch Erschlaffen der Skelettmuskulatur gekennzeichnet ist (Schließen der Augen, herabhängender Kopf, halbgebeugte Gliedmaßen und passiv in den Halteriemen hängender Körper), sondern auch noch mit einer ganz anderen Form, was den Zustand der Skelettmuskulatur betrifft. Bei dieser Art Schlaf bleibt die Tätigkeit der Großhirnhemisphären ebenfalls aus, alle bedingten Reize bleiben unwirksam, und auch auf alle Zusatzreize, die nicht von ganz besonderer Stärke sind, gibt es keine Reaktion; aber das Versuchstier behält seine aktive Haltung vollständig bei. Es steht mit offenen, starren Augen, mit erhobenem Kopf, auf steifen Extremitäten, ohne sich in die Halteriemen hineinzuhängen, es steht minuten- und stundenlang regungslos da. Verändert man jetzt (280) die Stellung seiner Extremitäten, so behält es diese neue Stellung bei. Wird die Sohlenfläche des Fußes berührt, so nimmt das Zurückziehen der Pfote oft den Charakter einer Kontraktur an. Reicht man dem Tier Futter, so erfolgt hierauf ebenfalls keine Reaktion, das Tier bleibt regungslos stehen und rührt das Futter nicht an. Eine solche Form der Hemmung kommt recht selten vor, und wir wissen vorläufig noch nicht, mit welchen speziellen experimentellen Bedingungen oder mit welchen

Die Übergangsphasen zum vollen Schlaf

215

Besonderheiten des Nervensystems unserer Versuchstiere sie in Verbindung stehen Unser Mitarbeiter N.A. ROSHANSKI hat an Hunden den Übergang vom Wachzustand zum vollen Schlaf sorgfältig beobachtet und ist zu dem Schluß gekommen, daß der eben geschilderte Zustand in jedem einzelnen Falle vorhanden ist, daß er aber gewöhnlich nur eine ganz flüchtige, kurzdauernde Erscheinung darstellt. Die physiologische Deutung dieses Zustandes bietet, wie mir scheint, keine besonderen Schwierigkeiten. Wir haben eine Hemmung vor uns, die sich nur auf die Tätigkeit der Großhirnhemisphären beschränkt; diese Hemmung ist noch nicht auf die tiefer gelegenen Zentren, die das Gleichgewicht und die Lage des Körpers im Raum beherrschen (Zentren von MAGNUS und K L E I N ) , übergegangen, d.h., wir sehen in unserem Fall einen kataleptischen Zustand. Bei dieser Form liegt also die Grenzlinie zwischen gehemmten und ungehemmten Teilen des Gehirns direkt unterhalb der Großhirnhemisphären. Diese Grenzlinie kann aber auch zwischen einzelnen Gebieten der Großhirnhemisphären selbst verlaufen. Dieser neuen Form sind wir öfter begegnet, und wir können sie auch absichtlich hervorrufen. Zum ersten Male gelangte ein solcher Fall unter folgenden Bedingungen zur Beobachtung (Versuche von L. N. WOSKKESSENSKI). Einer unserer Hunde, mit dem wir schon längere Zeit gearbeitet hatten, ohne durch das Auftreten von Schlaf gestört zu werden, fing plötzlich an, in einen Schlafzustand zu verfallen. Man hatte ihn oft im Experimentierzimmer in seinem Gestell stundenlang ganz allein, ohne jegliche Einwirkungen, stehen lassen. Offenbar hatten die einförmigen Reize der Umwelt schließlich eine Starke, allgemeine Hemmung im Gehirn hervorgerufen, gerade so, wie ich es in der vorigen Vorlesung beschrieben habe. Die Hemmwirkimg der Umgebung wurde so stark, daß es schon genügte, den Hund nur in das Experimentierzimmer zu führen, und das Tier war wie verwandelt; mehr noch aber, wenn man es in das Gestell brachte. Wir sahen uns gezwungen, den Hund absichtlich auf alle mögliche Art und Weise zu reizen, um ihn während der Vorbereitung zum Versuch am Einschlafen zu hindern. Wenn nun nach Beendigung aller Vorbereitungen der Experimentator sich hinter der Tür aufstellte, um von dort aus den Versuch zu leiten und sofort, ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, (281) die bedingten Nahrungsreize wirken ließ, so war stets ein normaler bedingter Reflex vorhanden: es floß Speichel, und der Hund machte sich sofort über das vorgelegte Futter her. Wenn aber der Experimentator nach dem Herausgehen aus dem Versuchsraum 4 bis 5 Minuten verstreichen ließ, So erhielt man ein ganz eigenartiges Resultat: auf den bedingten Reiz hin erfolgte Speichelabsonderung, die Speichelreaktion nahm deutlich zu, wenn die Futterschale vorgelegt wurde, aber das Tier nahm das Futter nicht auf, man mußte es ihm mit Gewalt ins Maul stopfen. Zu dieser Zeit bestand noch keine Erschlaffung der Skelettmuskulatur. Wenn aber der Experimentator das Zimmer verließ und 10 Minuten bis zur Anwendung des ersten bedingten Reizes wartete, so war jetzt das Ergebnis wieder ein anderes, der bedingte Reiz hatte gar keine Wirkung, und der Hund schlief ganz fest, die ganze Skelettmuskulatur war erschlafft, und man konnte aus dem Nebenzimmer das Schnarchen des Tieres hören. Welche andere Erklärung kann diesen Versuchen gegeben werden als die, daß der Hemmungsprozeß

216

SECHZEHNTE

VORLESUNG

bei seiner anfänglichen Ausbreitung eine Zeitlang nur den motorischen Teil der Hirnrinde beherrschte, die übrigen Teile der Rinde aber noch frei waren von Hemmung; daher gelangten die Erregungen dieser anderen Rindenregionen zu unserem Erfolgsorgan (zur Speicheldrüse), die nicht mit der motorischen Region in Verbindung steht. Erst etwas später breitete sich die Hemmung über die gesamten Hemisphären aus und ging auch auf die tiefer gelegenen Teile des Gehirns über; damit trat der Zustand des vollen Schlafs ein. In diesem Fall entwickelte sich dieses Stadium des beginnenden Schlafzustandes wohl unter dem Einfluß indifferenter Reize, die lange auf die Großhirnhemisphären eingewirkt hatten. Dieses Stadium sehen wir gewöhnlich, wenn wir negative bedingte Reize mehrmals während ein und desselben Versuches wirken lassen, oder aber, wenn wir positive bedingte Reize, speziell schwache Reize, oftmals hintereinander wiederholen, ohne sie mit anderen Reizen abzuwechseln. Ich führe hier zwei Versuche an. Der erste Versuch bezieht sich auf einen Hund, der schon in früheren Vorlesungen erwähnt wurde. Bei ihm stellte ein Ton von 256 Schwingungen pro Sekunde einen bedingten Nahrungsreiz dar, während die 10 höheren und tieferen Nachbartöne von ihm differenziert waren (Versuche von B I R M A N ) . Zeit

Bedingter Reiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

3 h 50'

Ton von 256 Schwingungen

13

4 h 00'

Ton von 426 Schwingungen

0

4 h 05' 4 h 10' 4 h 13'

Ton von 160 Schwingungen Ton von 640 Schwingungen Ton von 256 Schwingungen

0 0 9

Bemerkungen Frißt das vorgelegte Futter Hund wird allmählich schläfrig (282) Frißt das vorgelegte Futter nicht

Ein anderer Hund hatte mehrere, stets gut wirkende bedingte Nahrungsreflexe (aus einer Arbeit von R O S E N T A L ) . Als aber dann bei ihm noch ein Reflex auf das Erscheinen eines grauen Papierschirmes gebildet und dieser Reiz während ein und desselben Versuches mehrfach unmittelbar hintereinander wiederholt wurde, entwickelte sich bei dem Hunde folgender Zustand: man konnte oft auf die bedingten Reize eine ganz beträchtliche Speichelsekretion erhalten, aber das vorgelegte Futter rührte der Hund nicht an. Hier der entsprechende Versuch. Zeit 3h 3h 3h 3h

15' 18' 21' 24'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Ticken des Metronoms Aufleuchten einer Lampe Brodeln des Wassers Klingeln

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 5 7 7 7

Bemerkung

• Frißt nicht

Spaltung der motorischen und sekretorischen Reaktion

217

Dabei war der Hund nur etwas weniger lebhaft als sonst, Anzeichen von Schlaf fehlten. Ohne Anwendung bedingter Reize fraß der Hund im gleichen Gestell das gleiche Futter gierig. Auch folgende zufällige Beobachtung muß hierzu gezählt werden. Einer unserer Hunde, der schon lange zu Versuchen mit bedingten Reflexen gedient hatte und der bei bedingten Nahrungsreflexen niemals die eben besprochene Spaltung der motorischen und der sekretorischen Reaktion gezeigt hatte und niemals im Gestell eingeschlafen war, wurde zum ersten Male zur Demonstration der Versuche in einem mit Publikum gefüllten Hörsaal aufgestellt. Die ganz ungewohnte und sehr komplizierte Umgebung schien auf den Hund eine starke Wirkung auszuüben: er wurde ganz starr und stand zitternd da. Als wir nun den bedingten Reiz ausprobierten, war eine sekretorische Wirkung vorhanden und unterschied sich kaum von der üblichen; aber das vorgelegte Futter nahm der Hund nicht. Nach einiger Zeit schlief er in seinem Gestell vor dem ganzen Zuhörerkreise ein, wobei eine vollständige Erschlaffung der Skelettmuskulatur eintrat. In diesem Falle hat wohl der sehr starke und ganz ungewohnte Reiz eine direkte Hemm Wirkung auf die Großhirnhemisphären ausgeübt; (283) zuerst war diese Hemmung nur partiell, sie bestand nur in der motorischen Region. Dann aber breitete sie sich über alle Teile der Rinde aus und erfaßte auch die niederen Gehirnteile. Dieser Fall ist der üblichen Versuchsanordnung der sogenannten tierischen Hypnose vollständig analog. Es handelt sich ja auch dort darum, daß ein rasches Ergreifen des Tieres mit Behinderung seiner Bewegungen und ein gewaltsames Auf-den-Rücken-legen zu einer verschieden weit ausgebreiteten Hemmung führt. Einmal kann nur ein kataleptischer Zustand, evtl. nur ein partieller, vorhanden sein (Unbeweglichkeit der Rumpfmuskulatur bei erhaltener Bewegung der Augen und des ganzen Kopfes), es kann aber auch zu voller Entwicklung des Schlafes kommen. Wir haben im Laboratorium einen ganz gleichen Fall gesehen-. Als wir es einmal mit einem ganz wilden, unbändigen Hunde zu tun hatten, der sich allen Vorbereitungen zum Versuch kräftig widersetzte, wurde er plötzlich von starken Händen gepackt und in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wobei er natürlich auch ganz beträchtlichen mechanischen Reizen unterworfen war. Das alles führte dazu, daß der Hund, ins Gestell gebracht, sofort in tiefen Schlaf verfiel. Mithin kann sowohl der partielle als auch der vollständige Schlaf sowohl durch schwache, langandauernde, ganz allgemeine Reize als auch durch starke, kurzanhaltende Reize hervorgerufen werden; mit dem gleichen Effekt kann man bedingte Hemmreize und positive bedingte Reize benutzen. In den nächsten Vorlesungen komme ich noch öfter auf verschiedene diesbezügliche Einzelheiten zurück. Nun hat uns aber unser Versuchsmaterial gelehrt, daß es neben der verschiedenen räumlichen Ausbreitung des Hemmungsprozesses noch verschiedene Variationen, verschiedene Etappen dieses Prozesses selbst gibt und diese verbreitete Hemmung, der Schlaf, gewissermaßen von verschiedener Stärke sein kann.

218

SECHZEHNTE

VORLESUNG

Bevor ich mich dieser Frage zuwende, muß ich noch einen Punkt berühren, der für viele unserer Versuche über die verschiedenen Variationen des verbreiteten Hemmungsprozesses von wesentlicher Bedeutung ist. In der achten Vorlesung stießen wir bereits auf die Frage, worauf die Erscheinung begründet sein mag, daß in einem gleichzeitigen Komplexreiz die Reize des einen Analysators durch Reize eines anderen vollständig verdeckt werden können. Schon dort sprach ich die Vermutung aus, daß dies vielleicht mit der unterschiedlichen Stärke der von uns verwendeten Reize, die zu den verschiedenen Analysatoren gehören, zusammenhängt. Die damals geplanten Versuche sind nun während der Zeit unserer Vorlesungen ausgeführt worden und haben meine Vermutung vollauf bestätigt. Als wir die relative Stärke unserer gewöhnlichen Reize absichtlich in weiten Grenzen veränderten, (284) die akustischen Reize stark abschwächten und alle anderen Reize entweder unverändert ließen oder sie sogar noch verstärkten, da zeigte sich, daß jetzt umgekehrt die akustischen Reize viel weniger zur Wirkung des gleichzeitigen Komplexreizes beitrugen, als die anderen, d. h., wenn die Komponenten des Komplexreizes einzeln ausprobiert wurden, so hatten die akustischen Reize eine viel schwächere Wirkung als die Reize der anderen Analysatoren. Ich will die entsprechenden Versuche genauer anführen. Bei einem Hunde bestand der gleichzeitige Komplexreiz aus unserem üblichen mechanischen Hautreiz und einem sehr schwachen Ton (Versuche von W . W . R I K M A N ) . Der gut ausgearbeitete Komplexreiz gab bei einer Wirkungsdauer von 30 Sekunden 4 bis 4,5 Tropfen Speichel. Einzeln genommen, gaben die akustischen Komponente 0,5 bis 1,5 Tropfen und der mechanische Hautreiz 2,5 bis 5 Tropfen. Bei einem anderen Hunde bestand der gleichzeitige Komplexreiz aus dem rhythmischen Aufleuchten einer 400 kerzigen elektrischen Lampe und aus dem Erklingen eines sehr gedämpfTones. Der ausgearbeitete Komplexreiz gab 7 bis 8 Tropfen Speichel in 30 Sekunden. Einzeln geprüftt, ergaben der Lichtreiz 5 Tropfen und der Ton 2,5 Tropfen. Ebenso ergab der kombinierte Reiz aus einer Temperatur von 0° C an der Haut und einem gleichzeitigen sehr schwachen akustischen Reiz beim Zerlegen in seine Komponenten eine viel stärkere Wirkung für den Temperaturreiz als für den akustischen Reiz (Versuche von W . H O R S L E Y G A N T T und K U P A L O W ) . Auf diese Weise muß es als erwiesen angesehen werden, daß der Unterschied in der Wirkungsstärke unserer üblichen bedingten Reize, die zu verschiedenen Analysatoren gehören, durch die verschiedene Stärke dieser Reize verursacht wird und nicht auf irgendwelche spezifische Eigenschaften der Zellen der verschiedenen Analysatoren zurückgeführt werden kann. Von dieser Feststellung aus können wir nun an die Lösung der oben gestellten Frage über die Etappen der Ausbreitung des Hemmungsprozesses herangehen. Den Anlaß zu dieser Untersuchung gab uns ein Fall, bei dem wir unter der Wirkung eines experimentellen Verfahrens, und zwar einer rein funktionellen Anforderung an das Nervensystem, die keineswegs mit einem operativen Eingriff verbunden war, die Entwicklung eines pathologischen Zustandes des Nervensystems beobachten konnten. Derartige experimentell hervorgerufene pathologische Veränderungen des Nervensystems werden ganz speziell in der nächsten Vorlesung unsere

Relative Stärke der Reize

219

Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Jetzt will ich nur den Versuch beschreiben, von dem unsere ganze weitere Forschung an gesunden Tieren ausgegangen ist. (285) Bei einem Hunde (Versuche von R A S E N K O W ) hatten wir die folgenden positiven bedingten Nahrungsreflexe ausgearbeitet: auf den Ton einer Pfeife, auf das Ticken eines Metronoms, auf einen rhythmischen mechanischen Hautreiz (24 Berührungen pro Minute) und auf das Aufleuchten einer elektrischen Lampe. Außer diesen Reizen waren bei dem Hunde einige Differenzierungen ausgearbeitet, unter anderem die Differenzierung eines mechanischen Hautreizes, der an derselben Hautstelle wie der positive Reiz angewandt wurde, aber von anderer Frequenz war (12 Berührungen pro Minute). Hier gebe ich die Zahlen für die normale Wirkung der verschiedenen positiven bedingten Reize bei diesem Hunde wieder. T, ,. . „ . Beengter R e l z für 30 Sekunden

Zeit 2 2 2 2

h h h h

03' 10' 21' 32'

Speichelsekretion (in Tropfen) ^ ^ Se]funden

Mechanischer Hautreiz (24 Berührungen) Pfeifen Aufleuchten der Lampe Ticken des Metronoms

3 5 2 3,5

Wir können also auf Grund dieses Versuchsprotokolls die Reize der Stärke nach in folgender Reihe ordnen, wobei wir mit den starken Reizen beginnen: Pfeifen, Ticken des Metronoms, mechanischer Hautreiz und Aufleuchten der Lampe. Nun wird mit diesem Hunde folgender Versuch gemacht. Unter anderen Reizen wenden wir den differenzierten mechanischen Hautreiz an (12 Berührungen pro Minute). Dieser Differenzierungsreiz dauert wie gewöhnlich 30 Sekunden, unmittelbar nach seinem Aufhören setzt aber an derselben Hautstelle sofort der positive mechanische Reiz ein (24 Berührungen pro Minute). Dieser positive Reiz dauert ebenfalls 30 Sekunden. Am Tage nach diesem Versuch und noch weitere 9 Tage erlöschen nun bei diesem Hunde alle bedingten Reflexe, nur hin und wieder zeigt sich eine ganz minimale Wirkung. Nach dieser Periode tritt eine ganz besondere Erscheinung ein. Hier ist ein Versuch aus dieser Periode.

11 h 11 h 11 h 11 h 12 h

Speichelsekretion (in Tropfen)

. Bedingter Reiz für 30 Sekunden

Zeit 10' 19' 32' 48' 06'

i n 3Q

Pfeifen Aufleuchten der Lampe Ticken des Metronoms Mechanischer Hautreiz (24 Berührungen)

....

Sekunden

0 0,3 3 1 5,5

(286)

220

SECHZEHNTE

VORLESUNG

Das Ergebnis dieses Versuches ist, wie Sie sehen können, im Vergleich zur Norm vollständig umgekehrt. Die in der Norm starken Reize haben gar keine oder eine kaum merkliche Wirkung, die normalerweise schwachen Reize dagegen bleiben wirksam, und ihre Wirkung ist jetzt sogar größer als sie in der Norm zu sein pflegt. Diesen Zustand der Großhirnhemisphären haben wir nach N. J . W E D E N S K I als paradoxe Phase bezeichnet. Diese paradoxe Phase bestand bei unserem Hunde 14 Tage und ging dann in eine neue Phase über, die durch folgende Verhältnisse charakterisiert ist.

Zeit

10 h 10 h 10 h 11 h

40' 48' 58' 10'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz (24 Berührungen) . . . Ticken des Metronoms Pfeifen Aufleuchten der Lampe

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 4 4,5 4 4

Diese Phase haben wir als ausgleichende Phase bezeichnet, da während dieser Periode alle Reize in ihrer Wirkung einander gleich sind. Diese ausgleichende Phase hielt 7 Tage an und ging dann noch in eine weitere Phase über. Jetzt nahm die Wirkung der mittelstarken Reize merklich zu, der starke Reiz war in seiner Wirkung etwas herabgesetzt und beim schwachen Reiz blieb überhaupt jegliche Wirkung aus. Nach weiteren 7 Tagen traten wieder die normalen Verhältnisse ein. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wie auch in unseren späteren Arbeiten über diesen Gegenstand wurden dann, um die Sache ganz unstreitig zu machen, ein und dieselben Reize in ihrer Intensität verändert, so daß es schließlich ganz klar wurde, daß es sich hierbei nur um das Verhalten der Hirnzellen bei verschiedenen Reizintensitäten handelte. Wir hatten also in unseren Versuchen erstmalig festgestellt, daß die Zellen der Großhirnhemisphären eine Reihe besonderer Übergangszustände von der normalen Erregbarkeit bis zur vollständigen Hemmung durchmachen und daß diese verschiedenen Zustände sich durch ein besonderes Verhalten der Zellen gegenüber verschiedenen Reizintensitäten äußern. Als wir diese Übergangszustände unter sichtlich pathologischen Bedingungen kennengelernt hatten, stellten wir uns die weitere Frage, ob nicht die gleichen Übergangszustände auch in der Norm beim Übergang vom Wachzustand zum vollen Schlaf und umgekehrt vorkommen. Es schien wahrscheinlich, daß in dem eben beschriebenen Fall das Pathologische nur darin besteht, (287) daß diese Zustände für längere Zeit bestehen bleiben, während sie in der Norm schnell vorübergehen und nicht ins Auge fallen, gerade so, wie wir es bei der Katalepsie gesehen haben. Unsere Forschung ging nun in dieser Richtung weiter und führte uns zu einer bejahenden Antwort. Ich will eine Reihe diesbezüglicher Versuche anführen.

221

Die Übergangsphasen zum vollen Schlaf

Nehmen wir z. B. den Hund, von dem in unserer heutigen Vorlesung schon die Rede war und bei dem wir außer einem positiv wirkenden Ton noch 20 benachbarte Differenzierungstöne haben. Unter vielen anderen positiven Reflexen wurden bei ihm zusätzlich noch zwei Reflexe, und zwar auf eine laute und auf eine leise Schnarre, ausgearbeitet. Diese beiden Reflexe waren ihrer Wirkung nach sehr verschieden. Hier gebe ich ein Versuchsprotokoll wieder, das die normalen Verhältnisse beider Reflexe zeigt. Zeit 2 h 10' 2 h 20' 2 h 30'

T, , _ . Bedingter Reiz für 30 Sekunden Laute Schnarre Leise Schnarre Laute Schnarre

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 12,5 4,5 11

Der Versuch wird in folgenderWeise fortgeführt: Durch mehrmalige Anwendung der differenzierten Töne bringen wir den Hund so weit, daß er einschläft. Wir prüfen dann die Wirkung der leisen Schnarre; es tritt keine Speichelsekretion ein. Durch das Vorlegen der Futterschale wecken wir den Hund; er beginnt zu fressen. Nach einiger Zeit wird die schwache Schnarre wieder ausprobiert; jetzt wirkt sie schon, aber nur sehr schwach. Der Hund wird nochmals gefüttert. Zum dritten Male angewandt, ruft die leise Schnarre ihre normale Wirkung hervor, oder ihre Wirkung kann sogar größer sein als in der Norm. Der Reflex wird zum dritten Male durch Füttern bekräftigt. Das nächste Mal läßt man die laute Schnarre einwirken. Ihr Reizeffekt liegt mehr oder weniger stark unter der Wirkung der kurz vorher angewandten leisen Schnarre. Und erst später, wenn der Hund wieder in vollständig wachem Zustande ist, erreicht die laute Schnarre wieder ihre volle normale Wirkung und damit stellen sich die üblichen quantitativen Verhältnisse zwischen diesen beiden Reizen wieder her. (288) Ich gebe hier die Originalzahlen eines solchen Versuches wieder. -r, , _ . BedmgterRe^ für 30 Sekunden

Zeit 2 h 48'

Laute Schnarre

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 13

Danach wird der Hund durch die Anwendung differenzierter Töne eingeschläfert. 3 3 3 3 3 3

h h h h h h

17' 22' 26' 32' 40' 50'

Leise Schnarre Desgl Desgl Laute Schnarre Leise Schnarre Laute Schnarre

8 3,5 7 6 5,5 10

222

SECHZEHNTE

VORLESUNG

Bisweilen sieht man in solchen Versuchen beim Wiederholen beider Reize statt einer anfänglich stärkeren Wirkung der leisen Schnarre eine gleiche Wirkung beider Agenzien. Durch oft wiederholte kurze Fütterungen wird offensichtlich ein allmähliches Schwinden des Schlafzustandes erreicht, und die Rindenzelle, die in den Wachzustand zurückgekehrt ist, muß nun sowohl die paradoxe als auch die ausgleichende Phase durchlaufen. Wir haben also hier genau denselben Ablauf der Erscheinungen, wie wir ihn im pathologischen Fall sahen; der Unterschied besteht nur darin, daß die Phasen, die dort tagelang bestanden, hier schon nach Minuten einander ablösen (Versuche von

Birman).

Bei einem anderen Versuchshunde entwickelte sich infolge langanhaltender Arbeit mit ihm im Gestell immer ein leichter Schlummerzustand, was zur Folge hatte, daß die bedingten Reflexe auf verschiedene Reize, die sich früher deutlich nach der Größe ihrer Wirkung unterschieden, jetzt alle einander gleich waren. Durch subkutane Injektion entsprechender Koffeindosen konnte man das Tier in den früheren wachen Zustand zurückbringen, wobei sich zugleich auch die normalen Verhältnisse zwischen den bedingten Reizen wieder einstellten (Versuche von N . W. S i m k i n ) . (289) Zeit 12 h 12 h 1h 1h

50' 57' 04' 11'

_ .. , _ . Bedingter R « z für 30 Sekunden Lautes Ticken des Metronoms Aufleuchten der Lampe Lautes Klingeln Leises Klingeln

Speichelsekretion (in Tropfen) ^ ^ Sekunden 8 7,5 8 8

Am nächsten Versuchstage werden dem Hunde 18 Minuten vor Beginn 8,0 cm 3 einer zweiprozentigen Koffeinlösung injiziert. Der Hund ist vollständig wach. Zeit 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

18' 25' 32' 39' 46'

_ .. , _ . Bedingter Reiz für 30 Sekunden Aufleuchten der Lampe Lautes Ticken des Metronoms Leises Klingeln Leises Ticken des Metronems Lautes Klingeln

Speichelsekretion ( i n Tropfen) ^ 3Q S e k u n d e n 7 10 6 7,5 8,5

Bei einem Hunde, den ich Ihnen heute schon beschrieben habe und bei dem das Stadium, in dem sekretorische und motorische Reaktionen auseinandergehen, gut ausgeprägt war, konnte man in diesem Zustande oft sehen, daß von allen Reizen nur der schwächste (das Aufleuchten der Lampe) hin und wieder die volle positive Wirkung aufwies und einen vollen normalen Reflex hervorrief: es floß Speichel, und der Hund fraß das vorgelegte Futter. So bestand in diesen Fällen

Phasen der Verbreitung des Hemmungsprozesses

223

bei einer Hemmung, die einen bestimmten Grad von Ausbreitling zeigte, auch eine paradoxe Phase (Versuche von R O S E N T A L ) . In einigen Fällen, bei denen ein offenbarer Schläfrigkeitszustand bestand, der vollständige Schlaf aber noch nicht eingetreten war, konnten wir folgende ganz eigenartige Erscheinung beobachten. Wenn der positive bedingte Reiz seine Wirkung beinahe oder auch vollständig verloren hatte, begann umgekehrt ein früher gut ausgearbeiteter negativer Reiz plötzlich deutlich positiv zu wirken. Ich will ein Beispiel anführen (Arbeiten von SCHISCHLO). Bei einem Hunde waren positive bedingte Nahrungsreflexe auf einen mechanischen Hautreiz an der Schulter und an der Hüfte und auf einen Temperaturreiz von 45° C an der Haut ausgearbeitet, ferner ein beständiger negativer bedingter Reflex auf einen mechanischen Hautreiz (290) am Rücken. Die Wirkung der positiven mechanischen Hautreize erreichte in der Norm 15 bis 18 Tropfen Speichel in der Minute. Der bedingte Temperaturreiz rief recht bald nach seiner Ausarbeitung Schläfrigkeit hervor und führte schließlich zum Schlaf. Im vorliegenden Versuch wird zuerst der Temperaturreiz angewandt. Es tritt Schläfrigkeit ein. Weiter wird dann der Versuch wie folgt ausgeführt. Zeit

Bedingter Reiz für 30 Sekunden

12 h 29' 12 h 39' 12 h 50'

Mechanischer Hautreiz an der Schulter .. Mechanischer Hautreiz an der Hüfte . . . . Mechanischer Hautreiz am Rücken

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

'

2 1,5

12

Bemerkung | Trotz Bekräfti| gung bleibt der Hund dauernd schläfrig

1

Genau dasselbe konnten wir mehrfach auch bei pathologischen Zuständen der Großhirnhemisphären beobachten. Diesen Zustand bezeichnen wir als ultraparadoxe Phase. Bei der Beobachtung so vieler Zustände, die die Zellen der Großhirnhemisphären durchlaufen müssen, wenn das Tier aus dem Wachzustand in völligen Schlaf übergeht, mußten wir uns natürlich fragen, ob wir nicht einige dieser Phasen während unserer sogenannten Nachhemmung, mit der wir in unseren früheren Vorlesungen über die innere Hemmung eingehend bekannt geworden sind, wiederfinden können; wußten wir doch, daß der Schlaf niohts anderes ist als eine durchgehend verbreitete innere Hemmung. Wie mir scheint, haben wir einen solchen Fall schon beobachten können. Es handelt sich dabei um eine bedingte Hemmung (Versuche von B Y K O W ) . Bei einem Hunde waren 5 positive bedingte Reize ausgearbeitet: das Ticken des Metronoms, ein lauter Ton, derselbe Ton stark gedämpft, das Erscheinen einer Scheibe aus Karton im Gesichtsfeld des Tieres und ein mechanischer Hautreiz. Eine bedingte Hemmung war auf die Kombination aus mechanischem Hautreiz mit dem Brodeln von Wasser ausgearbeitet. Die bedingten Reize konnten auf Grund der Durchschnittswerte aus vielen Versuchen ihrer Wirkungsstärke nach in folgender Reihenfolge angeordnet werden: Metronom 22 Tropfen,

224

SECHZEHNTE

VORLESUNG

lauter Ton 18,5 Tropfen, leiser Ton 16,5 Tropfen, Kreis 13,5 Tropfen, mechanischer Hautreiz 10 Tropfen; die Wirkungsdauer aller Reize betrug 30 Sekunden. Als die bedingte Hemmwirkung (291) soeben fertig ausgearbeitet war, wurden alle bedingten Reize ausprobiert. 10 Minuten nach Anwendung der bedingten Hemmung ergaben die bedingten Reize folgende Wirkung: Metronom 16,5 Tropfen, lauter Ton 16 Tropfen, leiser Ton 20 Tropfen, und Kreis 18 Tropfen. Wenn wir in diesem Falle die Möglichkeit der Fortbewegung des Hemmungsprozesses und auch die Möglichkeit der Induktion in Betracht ziehen, so können wir für die uns hier interessierende Frage nur die Tatsache verwerten, daß der leise Ton stärker wirkte als in der Norm, während der laute Ton schwächer wirkte. Da das alles in ein und demselben Punkte der Hirnrinde vor sich ging, konnte man hierin ein Anzeichen der paradoxen Phase sehen. Wir führen diese Untersuchungen an anderen Arten der inneren Hemmung weiter. Ferner sind wir an folgendem Punkte stehengeblieben. In der Vorlesung über die gegenseitige Induktion sprachen wir schon die Vermutung aus, ob nicht unsere sogenannte äußere Hemmung eine Erscheinung der negativen Induktion ist, d. h. eine Hemmung, die an der Peripherie eines in Erregung befindlichen Bezirkes induziert wird, oder mit anderen Worten, ob nicht die äußere und die innere Hemmung in ihrer physikalisch-chemischen Grundlage ein und derselbe Prozeß sind. Wir hofften, daß wir vielleicht eine Bestätigung dieser Vermutung durch die Bearbeitung der Frage erhalten könnten, ob nicht die äußere Hemmung die gleichen Zustände in der Rindenzelle hervorruft, mit denen wir soeben in den Fällen der inneren Hemmung bekannt geworden sind. Da wir für diese Versuche eine mehr oder weniger langanhaltende äußere Hemmimg brauchten, riefen wir die Hemmung dadurch hervor, daß wir dem Hunde verschiedene anwidernde Substanzen ins Maul einführten, wobei sich die äußere Hemmung sehr lange zeigt 1 ). Die Versuche wurden an zwei Hunden mit Nahrungsreflexen durchgeführt. Bei dem einen Hunde (Versuche von P R O R O K O W ) konnten wir nach dem Eingießen von Sodalösung ins Maul, als die hierdurch hervorgerufene Speichelsekretion soeben aufgehört hatte, feststellen, daß die unmittelbar danach geprüften starken und schwachen Reize gleichstark gehemmt waren. Später, etwa in den nächsten 15 bis 20 Minuten, fingen die schwachen Reize schon an, wie in der Norm oder sogar stärker zu wirken und kamen so in ihrer Wirkung den starken Reizen gleich oder konnten sie auch bedeutend übertreffen, wenn diese jetzt noch immer abgeschwächt waren. Hier ein Beispiel dafür. (292) 9 h 41' wurde Sodalösung eingegossen. Zeit 9 h 46' 9 h 51' 9 h 56'

Für 30 Sekunden bedingter Reiz Aufleuchten der Lampe Mechanischer Hautreiz Lautes Klingeln

!) s. a. S. 38 (dt. Recl.)

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 0,4 6,2

3,0

225

Phasen der Verbreitung des Hemmungsprozesses

Die gewöhnliche Wirkung der elektrischen Klingel betrug etwa 8 Tropfen in 30 Sekunden, die Wirkung des mechanischen Hautreizes etwa 4 Tropfen. Bei einem anderen Hunde (Versuche Ton P. K. A n o c h i n ) standen die Versuchsergebnisse zum Teil in vollem Einklang mit den Versuchen am ersten Hunde, zum Teil aber zeigten sie einige Besonderheiten. Sofort nach Aufhören der Speichelsekretion, die ebenfalls durch Einführen anwidernder Substanzen ins Maul des Tieres hervorgerufen wurde, und dann auch während der weiteren Dauer des Versuches, zeigten alle angewandten Reize eine ausgeglichene Wirkung, auch wenn sie früher ständig von recht verschiedener Wirkungsstärke gewesen waren (lautes Klingeln war der stärkste, Aufleuchten der Lampe der schwächste Reiz). Außerdem aber konnte man einen stufenartigen Abfall der Reflexe im Verlauf eines Versuches bemerken. Der Versuch nahm folgenden Verlauf. Es wurde Sodalösung eingegossen. Die Speichelsekretion hielt 10 Minuten an. Zeit 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h

10' 15' 20' 25' 30'

Für 30 Sekunden bedingter Reiz Aufleuchten der Lampe Desgl Lautes Klingeln Ticken des Metronoms Leises Klingeln

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 12,5 10,5 10,5 6,3 6,8

Obwohl das Ergebnis, das wir an beiden Hunden erhalten haben, im großen und ganzen für unsere Annahme spricht, daß die innere und äußere Hemmung im Grunde genommen ein und derselbe Prozeß sind, verlangt die ungeheure Kompliziertheit der Erscheinungen eine mehrfache Wiederholung und möglichst viele Variationen dieser Versuche. Dabei müssen natürlich auch andere mögliche Erklärungen dieser Tatsachen in Betracht gezogen werden. (293) Schließlich schien es uns noch interessant zu untersuchen, wie sich eigentlich die bedingten Reflexe unter dem Einfluß von Schlafmitteln verhalten, und zwar sowohl von Beginn ihrer Wirkung an bis zum vollen Einschlafen des Tieres als auch umgekehrt während der Rückkehr zum normalen Wachzustand. Wir haben bei diesen Versuchen Chloralhydrat und Urethan verwendet. In diesen Fällen sahen wir fast immer einen ganz anderen Ablauf der Erscheinungen. Es trat fast ausschließlich eine gleichmäßige Abnahme der Reflexwirkung aller Reize ein, so daß die schwachen Reize ihre Wirkung naturgemäß früher verloren als die starken. Diesen Zustand der Zellen bezeichnen wir als narkotische Phase. Ich gebe einen dieser Versuche wieder (S. I. L e b e d i n s k a j a ) . Ein Hund hatte folgende positive bedingte Reize, die in abnehmender Wirkungsstärke angeordnet sind: Lautes Klingeln, Ticken des Metronoms, leises Klingeln, mechanischer Hautreiz und rhythmisches Aufleuchten einer Lampe. 10 h 09' wurden dem Hund rektal 2,0 g Chloralhydrat in 150 cm3 Wasser eingeführt. Der Hund steht im Gestell. Der weitere Versuch verläuft folgendermaßen. 1S/IV

226

SECHZEHNTE

Zeit

Bedingter Reiz für 30 Sekunden

VORLESUNG

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

10 h 14' 10 h 21'

Ticken des Metronoms Aufleuchten der Lampe

11 3,5

10 h 29' 10 h 38' 10 h 45'

Lautes Klingeln Mechanischer Hautreiz Leises Klingeln

7 0 2

10 h 53' 11 h 06' 11 h 13' 11 h 19' 11 h 26' 11 h 35' 11 h 45' 11 h 53' 12 h 00' 12 h 07' 12 h 15' 12 h 24' 12 h 34' 12 h 42' 1 h 03'

Lautes Klingeln Ticken des Metronoms Leises Klingeln Lautes Klingeln Mechanischer Hautreiz Aufleuchten der Lampe Ticken des Metronoms Leises Klingeln Mechanischer Hautreiz Lautes Klingeln . . Aufleuchten der Lampe Ticken des Metronoms Lautes Klingeln Leises Klingeln Mechanischer Hautreiz

0 0 0 5,5 0 0 5 9,5 4 8,5 6 9,5 13 10 5,5

Bemerkungen Frißt Gähnt, schwankt beim Stehen, frißt Hängt in den Riemen, frißt Richtet sich langsam auf, frißt Schläft, nimmt kein Futter Wacht auf, frißt

(294) Frißt

Wir sehen, daß während der Entwicklung der Schlafwirkung alle Reize allmählich ihre Wirkung verlieren und dann während der Rückkehr zu dem normalen Wachzustand ebenso allmählich ihre normale Wirkung wiedererlangen. Unter den angeführten 20 Reizen macht nur das leise Klingeln eine deutliche Ausnahme, indem es um 1 1 h 53' eine unverhältnismäßig starke Wirkung ausübt. Wir haben also an verschiedenen gesunden Tieren und unter verschiedenen Bedingungen mehrere verschiedene Zustände der Großhirnhemisphären kennengelernt, die sich durch unterschiedliche Reaktionen auf die bedingten Reize zu erkennen geben. Es erhob sich nun die Frage: In welchem Maße sind all diese Zustände, die narkotische Phase einbegriffen, auch unter gewöhnlichen Lebensbedingungen allen Tieren eigen ? Bei der Lösung dieser Frage hatten wir großes Glück. Unter unseren Versuchstieren befand sich ein Hund (an ihm durchgeführte Versuche sind am Ende des 14. Kapitels angeführt), der zu einem sehr starken N e r v e n t y p gehörte1), wovon im nächsten Kapitel im einzelnen die Rede sein wird2). Dieser Hund setzte uns durch seine unter bestimmten Bedingungen oft geradezu stereotype höhere Nerventätigkeit, wie wir sie in den bedingten Reflexen kennenlernten, in Erstaunen. E r ist von uns oft als „lebendiges Instrument" bezeichnet worden, und er hat diese Bezeichnung auch wirklich verdient. Wie schon früher mitgeteilt, hatte dieser Hund insgesamt 10 bedingte Reflexe, i. a. 198 (dt. Red.) ) s. 17. Vorlesung, 8. 231 (dt. Red.)

2

Phasen der Ausbreitung des Hemmungsprozesses

227

6 positive und 4 negative. Die positiven waren: Klingeln, Ticken des Metronoms, Pfeifen, Verstärkung der Zimmerbeleuchtung, Erscheinen einer Kreisfigur und eines Spielpferdchens; die negativen bedingten Reflexe waren: eine andere Frequenz von Metronomschlägen, Abschwächung der Zimmerbeleuchtung, Erscheinen einer quadratischen Figur und Erscheinen eines Spielhäschens ungefähr von der Farbe und Größe des Pferdchens. Aus bestimmten Gründen hatten wir lange Zeit das Klingeln nicht mehr angewandt und von den negativen Reizen fast nur den Differenzierungsreiz des Metronoms. Die akustischen Reize gaben meist, (295) in den früheren Versuchen sogar ständig, eine bedeutend stärkere Speichelwirkung als die optischen (um 30 bis 50%). Nachdem der Hund schon lange im Laboratorium gedient hatte (über 2 Jahre), zeigten die positiven bedingten Reize eine Tendenz zur Verminderung ihrer Wirkung und auch eine Verschiebung ihrer relativen Stärke. Das kommt bei unseren Hunden bei jahrelanger Arbeit mit ein und denselben bedingten Reizen oft Vor1). Hierbei konnten wir an unserem Hunde in ganz deutlicher Form all die verschiedenen Zustände der Großhirnhemisphären sehen, die wir in der heutigen Vorlesung als Variationen während der Verbreitung des Hemmungsprozesses kennengelernt haben. Jeder der geschilderten Zustände der Großhirnhemisphären war entweder während der ganzen Zeit des Versuches in deutlicher Form vorhanden, oder er konnte entweder von selbst oder unter der Wirkung unserer speziellen Eingriffe in einen anderen Zustand übergehen (Versuche von SPERANSKI). Die ultraparadoxe Phase war der einzige Zustand, den wir bei diesem Hunde niemals beobachten konnten. Es bot sich auch keine rechte Gelegenheit dazu, da der Hund niemals ausgesprochen schläfrig war. Ich will einige Versuche von verschiedenen Tagen und aus verschiedenen Perioden der Arbeit hier wiedergeben. Bedingter Reiz für 30 Sekunden

Zelt

10 h 10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11h

30' 40' 50' 00' 10' 20' 30' 40'

Normaler Versuch Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen Kreis Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen Kreis Ausgleichende

9 h 00' 9 h 10' 9 h 20'

15'/IV

Red.)

8 5 8 5 9 5 8 6

Phase

Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen

!) s. a. 8. 192 (dt.

Speichetoetion • ^ ^ T ? ^ in 30 bekunden

7 5 5

228

SECHZEHNTE

T, ,. , _ . ^ f f R ? l z für 30 Sekunden

Zeit 9h 9h 9h 10 h 10 h

VORLESUNG

30' 40' 50' 00' 10'

Kreis Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen Kreis

Speichelsekretion (in Tropfen) . „„ , , / in 30 cSekunden 4,5 5 5 5 4 (296)

Paradoxe Phase und Übergang zur Norm 10 h 10 h 10 h 10 h 10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11 h

00' 11' 22' 33' 43' 54' 03' 12' 22' 33'

Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen Kreis Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen Kreis Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung

4 6 4 7 4 2,5 9 4,5 9,5 5

Versuch mit vollständiger Hemmung, die in die narkotische Phase ubergeht 10 h 10 h 10 h 10 h 10 h 10 h 11h 11 h

00' 09' 19' 31' 42' 52' 03' 12'

Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Keifen Kreis Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung Pfeifen Kreis

0 0 3 0 3 0 3,5 0

Wenn die Reflexe sehr schwach wurden und ihre gegenseitigen Stärkeverhältnisse sich verschoben, so verstärkten und verbesserten wir sie, wie bereits in der 14. Vorlesung mitgeteilt, dadurch, daß wir den bedingten Reiz nur sehr kurze Zeit allein wirken ließen und dann sehr schnell den unbedingten Reiz hinzufügten 1 ). Auf diese Maßnahme ist es auch zurückzuführen, daß in den eben angeführten Versuchen der bedingte Reiz verschieden lange isoliert angewandt wurde. Man muß annehmen, daß der Übergang aus der einen Phase in die andere in den beiden letzten Versuchen durch den sich mehrmals wiederholenden Akt der Nahrungsaufnahme bewirkt wird. Aber wir verfügen auch über zwei spezielle Verfahren, durch deren Anwendung wir bei diesem Hunde sofort eine Phase in eine andere überführen konnten. (297) Das ist erstens die Ans. a. S. 197 (dt. Reil.)

229

Phasen der Ausbreitung des Hemmungsprozesses

Wendung einer stets gut wirkenden, vollständigen Differenzierung (auf eine andere Metronomfrequenz) als eines Agens, das den Hemmungsprozeß konzentriert oder den Erregungsprozeß induziert, und zweitens die Wirkung des sozialen Reizes, der darin besteht, daß der Versuchsleiter, der ja der Herr des Hundes ist, im Versuchsraum sitzen bleibt. Hier ein Beispiel: Zeit 9h 9h 9h 9h 9h 10 h 10 h 10 h 10 h

30' 37' 45' 52' 59' 10' 18' 30' 38'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) ^ 3 0 Sekunden

Ticken des Metronoms Spielpferdchen Differenzierungsreiz Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung . Pfeifen Spielpferdchen Ticken des Metronoms Kreis

0 0 0 4 9 6,5 11 12,5 8,5

Bemerkungen

Frißt nicht

Frißt

Wie Sie sehen, begann der Versuch, mit dem Zustand der vollständigen Hemmimg (es kam weder eine sekretorische, noch eine motorische Reaktion zustande). Nach Anwendung der Differenzierung sehen Sie zuerst die paradoxe Phase eintreten, die dann in den Normalzustand übergeht.

Zeit 10 h 00'

10 h 09' 10 h 18'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Ticken des Metronoms Der Experimentator betritt das Zimmer und bleibt während des weiteren Versuches bei dem Hunde. Ticken des Metronoms Verstärkung der Zimmerbeleuchtung .

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Bemerkungen

0

Frißt nicht

9 3,5

Frißt

Sie sehen, daß die Anwesenheit des Experimentators im Versuchsraum sofort die volle Hemmungsphase in den Normalzustand verwandelt. Es bleibt aber folgende Frage vollkommen ungeklärt: Ist es möglich, alle besprochenen Zustände der Großhirnhemisphären vom tiefsten Schlaf bis zum normalen Wachzustand als eine ununterbrochene Reihe ineinander übergehender Phasen aufzufassen ? Wenn dies so ist, in welcher Reihenfolge folgen diese Phasen aufeinander? Wenn wir alle von uns beobachteten Fälle in Betracht ziehen, so ist die Aufeinanderfolge der verschiedenen Phasen (298) recht unterschiedlich. Es bleibt also ungeklärt, ob alle diese Zustände streng aufeinander folgen oder

230

SECHZEHNTE

VOBLESDNO

auch nebeneinander bestehen. Wir können auch keine genauen Gründe dafür angeben, weshalb eine bestimmte Phase einmal in die eine, ein anderes Mal unmittelbar in eine andere Phase übergeht. In dieser Hinsicht sind also weitere Untersuchungen notwendig. Man kann wohl kaum daran zweifeln, daß die Zustände der Großhirnhemisphären, die wir in dieser Vorlesung besprochen haben, dem entsprechen, was man unter dem Wort „Hypnose" mit ihren verschiedenen Stadien und Eigenschaften versteht. Einzelheiten über die Erscheinungen der menschlichen Hypnose, und wie wir sie in Verbindung mit unserem Tatsachenmaterial auffassen, werde ich in der letzten Vorlesung mitteilen. (299)

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

D I E VERSCHIEDENEN TYPEN DES NERVENSYSTEMS - PATHOLOGISCHE

ZUSTÄNDE D E R

GROSSHIRNHEMISPHÄREN

ALS

E R G E B N I S FUNKTIONELLER E I N W I R K U N G E N Meine Damen und Herren! Bisher ist nur von der normalen Tätigkeit der Großhirnhemisphären die Rede gewesen. Aber die Anforderungen, die wir an das Nervensystem der Versuchstiere stellten, ohne dabei natürlich anfangs irgendeine Vorstellung von den möglichen Grenzen der Widerstandsfähigkeit des Gehirns zu haben, riefen bei ihnen bisweilen chronische Störungen der normalen Gehirntätigkeit hervor. Ich verstehe hierunter ausschließlich funktionelle Störungen, die auch nur durch funktionelle Beanspruchung und nicht durch operative Eingriffe hervorgerufen werden. Diese Störungen glichen sich in einigen Fällen allmählich von selbst aus, wenn die betreffenden Versuche durch eine gewisse Ruhepause unterbrochen wurden; in anderen Fällen jedoch erwiesen sie sich als so hartnäckig, daß wir gezwungen waren, zu ganz speziellen therapeutischen Maßnahmen zu greifen. Wir sahen also einen Übergang zwischen der Physiologie der Großhirnhemisphären und ihrer Pathologie und Therapie. Der pathologische Zustand der Großhirnhemisphären äußerte sich bei unseren verschiedenen Versuchstieren unter den gleichen schädigenden Einwirkungen sehr verschieden. Einige Tiere erkrankten ernst und für längere Zeit, andere dagegen nur leicht und für kurze Zeit, während manche wiederum dieselben Einwirkungen ohne irgendwelche merklichen Folgen ertrugen. Bei einigen Hunden verliefen die Abweichungen von der Norm nach der einen Richtung, bei anderen hingegen nach der entgegengesetzten Richtung. Da diese Verschiedenartigkeit offenbar mit Unterschieden des Charakters, mit dem verschiedenen Typ des Nervensystems (300) bei unseren Hunden im Zusammenhang steht, müssen wir, ehe wir uns den pathologischen Zuständen der Großhirnhemisphären zuwenden, die verschiedenen Typen des Nervensystems unserer Hunde besprechen. Bei unseren Untersuchungen über die Großhirnhemisphären besitzen wir heute schon gewisse feine Kriterien, mit deren Hilfe eine streng wissenschaftliche Charakterisierung des Nervensystems der einzelnen Hunde möglich ist. Damit eröffnet sich unter anderem die wichtige Möglichkeit, die Frage nach der Vererbung der verschiedenen Seiten der Nerventätigkeit einer streng wissenschaftlichen Untersuchung an Tieren zu unterziehen. Hier jedoch

232

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

will ich diese Typen nur so beschreiben, wie wir sie bei unseren Versuchen beobachten können. Dabei treten zwei Typen mit besonderer Klarheit und Schärfe hervor, und man könnte annehmen, daß es sich dabei um zwei Extreme handelt. Der eine Typ ist uns schon lange bekannt. Schon oft habe ich von ihm in meinen früheren Abhandlungen und Vorträgen gesprochen, denn wenn wir derartige Hunde zu unseren Versuchen verwandten, dann kam es von Anfang an zu Mißverständnissen. Als wir in der ersten Zeit unserer Arbeit infolge der Schläfrigkeit der Tiere bei einigen bedingten Reizen und bei manchen unserer Untersuchungsmethoden aus Unerfahrenheit auf Schwierigkeiten stießen, glaubten wir diesem Übelstand dadurch abhelfen zu können, daß wir zu diesen Versuchen besonders lebhafte Hunde auswählten. Solche im höchsten Grade unruhigen Tiere betrachten und beschnuppern alles, sie reagieren sofort auf das geringste Geräusch; nach geschlossener Bekanntschaft (sie befreunden sich mit fremden Menschen sehr schnell) werden sie durch ihre Aufdringlichkeit geradezu lästig; solch einen Hund kann man weder durch strenges Anrufen noch durch leichte Schläge zur Ruhe bringen. Gerade diese Tiere sind es, die im Gestell durch die Beschränkung ihrer Bewegungen und besonders durch das Alleinbleiben in der Versuchszelle trotz der Anwendung bedingter Reize mit darauffolgender Futtergabe oder Säureeingießung sehr bald schläfrig werden, wobei dann bei ihnen die bedingten Reflexe immer kleiner werden oder auch gänzlich verschwinden. Noch bevor wir auf unsere wiederholt angewendeten Agenzien einen guten bedingten Reflex ausarbeiten konnten, rief die Anwendung dieser Reize auffallend schnell Schläfrigkeit hervor, selbst wenn der Hund zu Beginn des Versuches ganz munter war. Sogar in Versuchen, die nicht im Gestell, sondern an frei sich bewegenden Hunden gemacht werden, (301) schließen diese Tiere sehr bald die Augen und legen sich zum Schlafen nieder, sobald der Experimentator sich teilnahmslos zu ihnen verhält, d.h. sich nicht mit ihnen speziell beschäftigt. Dies kann oftmals unmittelbar nach einer Fütterung auftreten, die auf einen bedingten Reiz erfolgt war. In der ersten Zeit waren wir gezwungen, die Arbeit mit solchen Tieren einzustellen. Später aber haben wir uns allmählich diesen Tieren angepaßt. Solche Hunde stellen doch recht befriedigende Versuchsobjekte dar, wenn man bei ihnen von Anfang an bedingte Reflexe auf mehrere verschiedene Agenzien ausarbeitet und dabei vermeidet, ein und denselben Reiz während eines Versuches zu wiederholen oder große Pausen zwischen den einzelnen Reizen einzuschalten; außerdem ist es ratsam, bei diesen Tieren nicht nur positive, sondern auch hemmende Reflexe anzuwenden. Es muß, kurz gesagt, für eine möglichst mannigfaltige, sozusagen natürliche Abwechslung im Versuch gesorgt werden. Dabei bleibt noch eine Frage offen, die wir gegenwärtig zu lösen versuchen: stellt dieser Typ ein starkes oder ein schwaches Nervensystem dar ? Solange wir noch kein wissenschaftlich begründetes System haben, scheint es mir, daß die Hundetypen, die wir bei unseren Versuchen im Laboratorium kennengelernt haben, bis zu einem gewissen Grade der alten Klassifikation der sogenannten Temperamente entsprechen. Die soeben beschriebenen Hunde müßten dann als Sanguiniker bezeichnet werden. Bei raschem Reizwechsel sind sie

Die Typen des Nervensystems

233

energisch und rege, sobald sich aber nur die geringste Einförmigkeit in der Umgebung einstellt, werden sie träge, schläfrig und damit untätig. Ein anderer, ebenfalls deutlich hervortretender Hundetyp müßte an das entgegengesetzte Ende der klassischen Temperamentenreihe gestellt werden. Diese Tiere sind in jeder neuen und noch mehr in einer für sie ungewohnten Umgebung höchst zurückhaltend und vermeiden jegliche überflüssige Bewegung. Sie gehen langsam, mit nicht recht ausgestreckten Beinen, die Wände entlang. Bei der geringsten ungewohnten Bewegung, oder wenn sie angerufen werden, legen sie sich mit dem ganzen Körper auf den Boden. Auf Anruf oder auf drohende Bewegungen eines Menschen bleiben sie sofort in einer passiven Lage unbeweglich liegen. Ein jeder, der diese Hunde sieht, wird sie sicher für sehr ängstliche und feige Tiere halten. Es versteht sich von selbst, daß diese Tiere sich sehr langsam an unsere Versuchsbedingungen und an die verschiedenen Manipulationen gewöhnen. Wenn aber unser ganzes Untersuchungsverfahren schließlich für sie zu einer gewohnten, alltäglichen Erscheinung geworden ist, (302) werden sie für unsere Untersuchungen zu durchaus musterhaften Objekten. Zu einem solchen Typ gehört der Hund, von dem am Schluß der vorigen Vorlesung soviel die Rede war 1 ). Hunde dieses Typs schlafen in der Regel niemals im Gestell ein. Wenn das Untersuchungsverfahren mehr oder weniger einförmig verläuft, erweisen sich bei ihnen alle bedingten Reflexe, ganz besonders aber die Hemmungsreflexe, als höchst beständig und regelmäßig. Gegenwärtig untersuchen wir in unserem Laboratorium einen ausgesprochenen Vertreter dieses Typs. Es handelt sich um eine Hündin, die bei uns geboren ist und der kein Mensch je etwas zuleide getan hat. Als sie ungefähr 1 Jahr alt war, begannen wir sie ins Laboratorium zu führen, wo sie im Gestell während des Versuches mehrmals zwecks Bildung bedingter Reflexe gefüttert wurde. Genau so, wie sie sich beim ersten Betreten des Laboratoriums verhielt, ist ihr Benehmen auch im Laufe der nächsten 5 Jahre bis auf den heutigen Tag imverändert geblieben. Bis jetzt zeigt sie noch nicht die geringsten Anzeichen einer Gewöhnung an das Leben und Treiben im Laboratorium. Mit stets eingezogenem Schwanz und gebeugten Beinen betritt sie in Begleitung ihres Herrn, des Experimentators, das Versuchszimmer; bei der Begegnung mit den ständigen Mitarbeitern des Laboratoriums, von denen einige das Tier stets liebkosen und streicheln, weicht es jedesmal scheu zur Seite oder duckt es sich nieder. In derselben Weise reagiert sie auf die geringste unabsichtlich lebhaft ausgeführte Bewegung oder auf ein laut gesprochenes Wort des Experimentators. Sie verhält sieh uns allen gegenüber so, als ob wir ihre ärgsten Feinde wären, von denen ihr ständig nur bitteres Leid zugefügt wird. Trotz alledem haben wir, als sich dieses Tier an die Versuchsumgebung gewöhnt hatte, bei ihm zahlreiche Reflexe, sowohl positive als auch negative Reflexe, bilden können. Das war für uns so unerwartet, daß sie von uns den Spitznamen „die Kluge" erhielt. Von diesem Tier wird später noch die Rede sein2). ') s. a. S. 226 (dt. 2

) s. S. 261 (dt.

Red.)

Red.)

234

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

Es wäre nicht übertrieben, solche Hunde als Melancholiker anzusehen. Wie sollte man ihr Leben nicht für trübe und düster halten, wenn man sieht, wie sie in einem fort ohne besonderen äußeren Zwang selbst die wichtigste Lebensäußerung, die Bewegimg, hemmen. Die beiden beschriebenen Typen sind offenbar zwei äußerst entgegengesetzte Typen: bei dem einen herrscht der Erregungsprozeß vor, bei dem anderen der Hemmungsprozeß. Daher kann man sie als beschränkte Typen, sozusagen als Typen mit verminderter Lebensfülle, betrachten. Der eine benötigt einen ständigen Wechsel (303) von Reizen, was in der wirklichen Umwelt oft fehlen kann. Der andere dagegen braucht sehr einförmige Lebensbedingungen, in denen keinerlei Schwankungen und Veränderungen auftreten dürfen. Hinsichtlich beider beschriebener Typen sei noch auf folgendes kurz hingewiesen : es mag sein, daß jemand in dem, was wir über diese Typen mitgeteilt haben, einen Widerspruch gegenüber unserer Feststellung von der Identität von Schlaf und innerer Hemmung sieht, weil der Typ mit vorwiegendem Erregungsprozeß unter unseren Versuchsbedingungen stark zum Schlaf neigt, während der leicht hemmbare Typ umgekehrt unter den gleichen Bedingungen munter bleibt. Diese Typen stellen aber, wie erwähnt, die äußersten Formen dar, mit ganz besonders ausgeprägten Eigenschaften des Nervensystems und daher auch mit besonderen Anforderungen an ihre Daseinsbedingungen. Wenn wir mit gutem Grund annehmen, daß eine Funktionsstörimg der Zellen Anlaß zur Entstehung eines Hemmungsprozesses in ihnen gibt, so wird verständlich, daß die äußerst erregbaren Rindenzellen, d. h. die Zellen mit unerhört leichter funktioneller Störbarkeit, sobald sie einem anhaltenden einförmigen Reiz ausgesetzt werden, ganz besonders zur Entwicklung und Verbreitung eines Hemmungsprozesses neigen. Nur eine rasche Aufeinanderfolge neuer Reize, die immer neue Rindenzellen treffen, ist imstande, diese natürlichen, biologisch aber wohl unvorteilhaften Folgen dieser Zelleigenschaft zu neutralisieren. In gleicher Weise wäre auch der andere Typ biologisch unmöglich, wenn die bei ihm so leicht eintretende Hemmung der motorischen Region, dieser passive Schutzreflex, eine Weiterverbreitung des Hemmungsprozesses auf die Gesamtheit der Hemisphären und auf die niederen Gehirnteile zulassen würde; er hätte gar keine Aussichten auf eine sichere Existenz. Bei diesen Tieren muß natürlich die Möglichkeit bestehen, die aktive Tätigkeit des Organismus wiederherzustellen, sobald die Erscheinungen, die die anfängliche Hemmung verursacht hatten, vergangen sind, und dafür sorgen gerade diejenigen Rindenzellen, die von der Hemmung nicht betroffen wurden. So können wir denn die Begrenzung der Ausbreitung des Hemmungsprozesses in diesem Falle als ganz spezielle, biologisch ausgearbeitete Eigenschaft eines im allgemeinen mangelhaften Nervensystems auffassen, als eine spezielle Anpassungserscheinung. In ganz gleicher Weise geht ja der Vorgang vonstatten, wenn Menschen sich daran gewöhnen, (304) beim Gehen zu schlafen, d.h. den Hemmiingsprozeß nur auf die Großhirnhemisphären zu beschränken und ihn nicht auf die niederen Teile des Zentralnervensystems übergreifen zu lassen.

Die Typen des Nervensystems

235

Ich will nun zur Besprechnung anderer Variationen des Nervensystems übergehen. Zwischen den beiden beschriebenen, äußersten Typen finden wir zahlreiche Übergangsformen, bei denen zwischen dem Erregungs- und Hemmungsprozeß schon ein gewisses Gleichgewicht besteht. Jedoch nähern sich die einen mehr dem einen, die anderen mehr dem anderen Typ. Im allgemeinen sind diese Typen den Lebensbedingungen viel besser angepaßt, und sie erscheinen deshalb als lebenstüchtiger. Die einen dieser Tiere sind lebhaft, aktiv und meist angriffslustig, während die anderen ruhig, ernst und zurückhaltend sind. Ich erinnere mich eines Hundes aus der letztgenannten Gruppe, dessen Verhalten wirklich auffällig war. Ich habe niemals beobachtet, daß sich dieser Hund, nachdem er aus dem Hundestall ins Laboratorium gekommen war, in Erwartung des Versuches hingelegt hätte; dabei verhielt er sich scheinbar ganz teilnahmslos zu allem, was in seiner Umgebung vor sich ging, und zeigte sich uns allen, selbst seinem Herrn, dem Experimentator gegenüber weder freundlich noch feindlich. Im Gestell zeigte er niemals Schläfrigkeit; die positiven und negativen bedingten Reflexe waren immer sehr gleichmäßig, besonders die negativen. Man mußte bei diesem Hunde auf jeden Fall einen starken Hemmungsprozeß vermuten. Indessen war er aber auch einer starken Erregung fähig. Es gelang mir einmal, seine gewohnte Ruhe dadurch zu stören, daß ich in seiner Gegenwart mit Hilfe einer Kindertrompete ganz besondere Töne hervorbrachte und dazu noch eine Tiermaske vor das Gesicht hielt. Da verlor er seine gewohnte Zurückhaltung, erhob ein lautes Gebell und machte Anstalten, sich auf mich zu stürzen. Eine wahrhaft phlegmatische, jedoch starke Natur. Eine andere Gruppe steht dem erregbaren Typ offenbar näher, vielleicht wäre sie nach der klassischen Einteilung dem cholerischen Temperament gleichzustellen. Bei diesen Tieren sind die negativen bedingten Reflexe häufig gestört. Es gibt natürlich auch eine große Anzahl von Tieren mit weniger ausgeprägtem Typ. In ihrer Gesamtheit zerfällt jedoch die ganze Masse unserer Hunde nach unseren Feststellungen in zwei Kategorien: in die erste mit außerordentlichem oder nur mäßigem Überwiegen des Erregungsprozesses und in eine zweite mit außerordentlichem oder mäßigem Überwiegen des Hemmungsprozesses. (305) Nun kann ich zu den pathologischen Zuständen der Großhirnhemisphären übergehen, die wir teils zufällig beobachtet, teils absichtlich erzeugt haben. Der erste derartige Fall ist unter folgenden Umständen beobachtet worden. Wie schon in der vierten Vorlesung erwähnt wurde1), konnten wir einen bedingten Nahrungsreflex auf sehr starke elektrische Hautreize ausarbeiten. Anstatt der angeborenen Abwehrreaktion antwortete das Tier darauf mit einer Nahrungsreaktion; es wandte sich nach der Seite, von wo das Futter vorgelegt wurde, beleckte sich, und es trat eine ergiebige Speichelabsonderung ein (Versuche von Jerofejewa). Beim Ausarbeiten dieses Reflexes begannen wir mit sehr schwachem Strom, der nach und nach gesteigert wurde, bis er eine beträchtliche Stärke erreichte. Dieser Reflex bestand viele Monate, wobei wir den elektrischen Strom zuweilen s. 8. 24 (dt.

Red.)

236

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

durch Brennen oder mechanische Schädigungen der H a u t ersetzten, ohne den Reizerfolg zu verändern. Der H u n d blieb die ganze Zeit über völlig normal, u n d nach einigen Monaten begann dieser eigenartige bedingte Reiz, wie alle anderen bedingten Reize auch, nach u n d nach in einen Hemmreiz überzugehen, was daran zu erkennen war, daß die Speichelabsonderung allmählich immer später nach dem Einsetzen des bedingten Reizes eintrat. Wir h a t t e n schon früher außer der einen Hautstelle, auf der dieser Reflex ursprünglich ausgearbeitet worden war, hin u n d wieder auch andere Stellen probiert, jetzt aber entschlossen wir uns, m i t den Elektroden systematisch auf immer neue Stellen überzugehen. Zu Beginn blieb dabei dieser Nahrungsreflex wie früher ohne jegliche Abwehrreaktion bestehen. Aber in einer bestimmten E n t f e r n u n g von der Ausgangsstelle t r a t m i t einem Schlage eine schroffe Änderung ein. Von einer Nahrungsreaktion war plötzlich keine Spur mehr vorhanden, wir konnten nur eine sehr starke Abwehrreaktion feststellen. Schon bei einem ganz schwachen Strom, der vor der Ausarbeitung des bedingten Reflexes völlig unwirksam gewesen war, t r a t jetzt an derselben H a u t stelle eine sehr starke Abwehrreaktion ein. Derselbe Versuch wurde noch a n zwei anderen H u n d e n wiederholt. Bei dem einen zeigte sich dieser Erregungsausbruch a n der 9. Stelle, während sich bei dem anderenHunde an der 13. Stelle noch keinerlei verdächtige Erscheinungen wahrnehmen ließen. Als aber im Verlauf ein u n d desselben Versuches der elektrische Reiz nicht n u r an einer einzigen Stelle, wie es früher geschah, sondern an mehreren, immer neuen Hautstellen wiederholt wurde, konnte das gleiche Ergebnis festgestellt werden. (306) Bei all diesen H u n d e n war es immittelbar danach auf keine Weise möglich, den Nahrungsreflex auf Strom wiederherzustellen. Diese Tiere blieben jetzt im höchsten Grade erregbar u n d unruhig, was bei ihnen bis dahin noch nie vorgekommen war. Nach einer Unterbrechung der Versuche von 3 Monaten konnte m a n bei einem der H u n d e wieder mit der Ausarbeitimg dieses Reflexes beginnen, wobei wir jedoch gezwungen waren, viel vorsichtiger als das erstemal vorzugehen. N u r so war es möglich, den Reflex wiederherzustellen. Bei anderen H u n d e n half auch diese Unterbrechung nichts. Offenbar war ihr Nervensystem durch unsere Einwirkungen in einen chronischen pathologischen Zustand versetzt worden. Leider stehen uns aus jener Zeit keine Angaben über die Typen des Nervensystems dieser H u n d e zur Verfügung. Wahrscheinlich weil er sich unter recht ungewöhnlichen Bedingungen abspielte, erweckte dieser eben erwähnte Vorgang bei uns kein besonderes Interesse. Aber wenig später konnten wir bei weiteren Versuchen u n t e r gewohnten Versuchsbedingungen die gleiche Erscheinung beobachten. Wir f ü h r t e n gerade eine Untersuchung über die Grenzen des Unterscheidungsvermögens des optischen Analysators f ü r verschiedene Formen durch (Versuche von SCHENGER-KRESTOWNIKOWA) 1 ). Als bedingter Reiz wurde auf eine Leinwand vor dem H u n d e ein heller Kreis projiziert und durch den unbedingten Reiz, d a s Füttern, bekräftigt. Als sich der Reflex ausgebildet hatte, schritten wir zur l

) s. a. S. 108 (dt. Red.)

Die

Typen

des Nervensystems

237

Differenzierung. Von diesem Kreise sollte eine Ellipse von derselben Fläche und Lichtstärke mit einem Achsenverhältnis von 2 : 1 unterschieden werden. Zu diesem Zweck wurde das Aufleuchten des Kreises vor dem Hunde immer vom Füttern begleitet, das Erscheinen der Ellipse jedoch niemals. Auf diese Weise erreichten wir recht bald eine vollkommene und ständige Differenzierung. Darauf begannen wir nach und nach die Form der Ellipse der Kreisform zu nähern (Verhältnis der Halbachsen 3:2, 4 : 3 usw.), wobei wir mit der Ausarbeitung der Differenzierung auf diese nacheinander folgenden Ellipsen fortfuhren. Die Herstellung der Differenzierung verlief bis auf einige Schwankungen (anfangs schneller, späterhin jedoch langsamer) ziemlich glatt, bis wir zu der Ellipse mit einem Verhältnis der Halbachsen von 9 : 8 gekommen waren. Obgleich sich auch jetzt ein recht gutes Unterscheidungsvermögen einzustellen schien, gelang doch die Differenzierung nicht vollständig. Nachdem diese Differenzierung 3 Monate lang versucht worden war, wurde das Ergebnis nicht besser, sondern es verschlechterte sich wesentlich: plötzlich war die Fähigkeit zur Unterscheidung des Kreises von dieser Ellipse vollständig verschwunden. Zugleich konnte eine schroffe Veränderung im Benehmen des Hundes beobachtet werden. Der früher ruhige Hund winselte jetzt im Gestell, drehte sich herum, streifte die an seinem Körper angebrachten Apparate ab, (307) oder er zernagte und zerbiß alle Leitungen und Röhren, die von ihm zum Experimentator führten. So etwas war früher niemals vorgekommen. Beim Betreten des Versuchszimmers begann er zu bellen, was früher nie seine Gewohnheit gewesen war. Als die leichteren Differenzierungen ausprobiert wurden, stellte es sich heraus, daß sie jetzt alle gelitten hatten, sogar die allererste, mit dem Verhältnis der Halbachsen von 2 : 1 . Um diese Differenzierung wieder auf ihre frühere genaue Wirkung zu bringen, mußte man wesentlich langsamer vorgehen als beim ersten Ausarbeiten. Die Zeit, die jetzt zur Wiederherstellung dieser Differenzierung nötig war, betrug mehr als das Doppelte der ursprünglichen Ausarbeitungszeit. Während dieser zweiten Ausarbeitung der leichten Differenzierung wurde das Tier allmählich ruhiger und kehrte schließlich wieder ganz in seinen alten Zustand zurück. Der Übergang zu den feineren Differenzierungen nahm jetzt sogar weniger Zeit in Anspruch als das erste Mal. Bei der ersten Anwendung der Ellipse mit dem Verhältnis der Halbachsen von 9 : 8 konnte sogar eine vollkommene Unterscheidung vom Kreise festgestellt werden. Schon bei der zweiten Anwendung dieser Differenzierung war jedoch keine Spur von Unterscheidimg mehr vorhanden. Der Hund geriet wiederum in einen heftigen Erregungszustand mit allen oben beschriebenen Folgeerscheinungen. Weitere Versuche wurden an diesem Hunde nicht mehr vorgenommen. Hier lasse ich einige Originalversuche aus der angeführten Arbeit folgen. Im ersten Versuch gab die Anwendimg der Ellipse mit dem Verhältnis der Halbachsen von 4 : 3 keine Wirkung. Im zweiten Versuch hatte die Ellipse mit dem Verhältnis von 9 : 8 eine Wirkung von nur einem Tropfen. Dieser Versuch gehört in die erste Periode der Ausarbeitung dieser Differenzierung. Nach einer 2 Wochen langen Anwendung dieser Ellipse war ihre positive Wirkung im dritten

238

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

Versuch vom 4. August 1914 Zeit 4h 4h 4h 4h

10' 22' 37' 55'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Kreis Desgl Ellipse (Verh. d. H.-A. 4:3) Kreis

4 6 0 4

Versuch vom 2. September 1914 1h 1h 2h 2h 2h 2h

10' 27' 06' 16' 30' 48'

Kreis Desgl Desgl Ellipse (Verh. d. H.-A. 9:8) Kreis Desgl

2 8 10 1 6 8

Versuch vom 17. September 1914 3h 3h 3h 4h

20' 31' 54' 09'

Kreis Desgl Ellipse (Verh. d. H.-A. 9:8) Kreis

4 7 8 9

(308)

Versuch vom 25. September 1914 2h 2h 3h 3h 3h

17' 47' 08' 22' 46'

Kreis Ellipse (Verh. d. H.-A. 2:1) Kreis Desgl Ellipse (Verh. d. H.-A. 2:1)

9 3 8 8 3

Versuch vom 13. November 1914 10 h 11 h 11 h 11 h

55' 05' 30' 44'

Kreis Desgl Ellipse (Verh. d. H.-A. 2:1) Kreis

10 7 0 5

Versuch der des Kreises gleich. Danach wurde im vierten Versuch sogar die Ellipse mit einem Verhältnis der Halbachsen von 2 : 1 nicht vollständig differenziert, und erst nach wiederholter Anwendung im Laufe von anderthalb Monaten ergab sie im fünften Versuch wieder eine Nullwirkung. Durch diese Ergebnisse zog die vorher beschriebene Tatsache unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir begannen jetzt, sie einer planmäßigen Untersuchung zu unterziehen. Es wurde uns klar, daß unter gewissen Bedingungen das

Die Typen des Nervensystems

239

Zusammentreffen des Erregungsprozesses und des Hemmungsprozesses zu einer Störung des gewöhnlichen Gleichgewichtes zwischen diesen beiden Prozessen führen und so in größerem oder geringerem Maße einen mehr oder weniger langandauernden, unnormalen Zustand des Nervensystems hervorrufen kann. Im ersten der angeführten Fälle mußte bei der Bildung des Nahrungsreflexes auf einen starken elektrischen Reiz der angeborene Abwehrreflex gehemmt sein, und so mußte auch im zweiten Falle bei der Differenzierung ein Hemmungsprozeß wirksam sein, wie wir das aus der siebenten Vorlesung wissen. Bis zu einem bestimmten Punkte hat sich dabei das richtige (309) Gleichgewicht zwischen diesen beiden entgegengesetzten Prozessen halten können. Doch unter bestimmten Bedingungen ihrer relativen Intensität oder räumlichen Begrenzung wird der normale Ausgleich zwischen ihnen unmöglich, und es kommt, wie wir später sehen werden, schließlich zum Überwiegen eines dieser Prozesse, d. h. zu einem pathologischen Zustand. Für unsere weiteren Versuche wählten wir absichtlich Hunde mit verschiedenem Typ des Nervensystems, um zu sehen, wie sich dieser pathologische Zustand, der unter dem Einfluß unserer funktionellen (nicht operativen) Einwirkungen entsteht, in den verschiedenen Nervensystemen widerspiegelt. Die ersten derartigen Versuche (PETROWA) wurden an zwei Hunden ausgeführt, die zu entgegengesetzten Nerven typen gehörten, soviel wir nach ihrem allgemeinen Verhalten urteilen konnten. Es sind dies die gleichen Hunde, mit denen ich Sie schon in der Vorlesung über den Schlaf 1 ) bekannt gemacht habe. Bei ihnen wurde der anfangs entstehende Schläfrigkeitszustand später durch die rasch aufeinanderfolgende Anwendung mehrerer (6) bedingter Reflexe aufgehoben, wobei der unbedingte Reiz 5 Sekunden nach dem Beginn des bedingten Reizes einsetzte. Durch diese Versuche konnte außer der Aufhebung des Schlafes ein schlagender und exakter Beweis für den großen Unterschied im Charakter des Nervensystems dieser beiden Hunde erbracht und die anfangs auf Grund unserer alltäglichen Beobachtungen gestellte Diagnose dieser verschiedenen Charaktere vollkommen bestätigt werden. Diesen Beweis lieferte uns die genaue Beobachtung des Vorgangs, in welcher Weise sich bei diesen Hunden beinahe gleichzeitige bedingte Reflexe in stark abgerückte verwandelten, wenn der unbedingte Reiz erst 3 Minuten nach dem Beginn des bedingten hinzugefügt wurde. Die Umwandlung ging ganz allmählich vor sich: jeden Tag wurde der unbedingte Reiz um weitere 5 Sekunden vom Beginn des bedingten abgerückt. Dementsprechend verlängerte sich auch nach und nach die sogenannte Latenzzeit, d. h. der Zeitraum vom Einsetzen des bedingten Reizes bis zum Beginn der Speichelsekretion. Die Ausarbeitung dieses Verspätens wurde an allen Reizen gleichzeitig vorgenommen. Während der eine Hund mit überwiegendem Hemmungsprozeß, ganz im Einklang mit unseren Vermutungen, mit der Aufgabe des Verspätens ganz leicht fertig wurde und mehr oder weniger ruhig blieb, verhielt sich der andere Hund mit vorherrschendem Erregungsprozeß (310) der gleichen Aufgabe gegenüber ganz anders. Als das s.S.

205 (dt.

Red.)

240

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

Abrücken 2 Minuten erreicht hatte, war an diesem Hunde schon ein starker Erregungszustand bemerkbar. Bei einem Abrücken auf eine Höchstdauer von 3 Minuten aber wurde dieses Tier geradezu rasend: während des ganzen Versuches waren alle Teile seines Körpers in unaufhaltsamer Bewegung, das Winseln und Bellen wurde unerträglich, es fand eine ununterbrochene Speichelabsonderung statt, die sich während der Wirkung der bedingten Reize ganz außerordentlich steigerte; von einem Verspäten des bedingten Reflexes war nicht die .geringste Spur zu bemerken. Offensichtlich ging die durch die Versuchsbedingungen geforderte anfängliche Hemmung vieler bedingter Reize über die Fähigkeiten dieses Tieres hinaus, es war für das höchst erregbare Nervensystem dieses Hundes «ine viel zu schwere Aufgabe, und das äußerte sich ganz natürlich in einem Kampf gegen diese qualvollen Versuchsbedingungen. Es muß hinzugefügt werden, daß wir oft beobachten konnten, wie sich eine solche Schwierigkeit der Gleichgewichtseinstellung zwischen diesen beiden entgegengesetzten Prozessen bei vielen Hunden in Form einer starken Erregung kundtat; jedoch haben wir nie gesehen, daß die Erregung einen solchen Grad erreicht hätte, wie in diesem letztgenannten Falle. Allerdings war auch die Aufgabe diesmal viel schwieriger, denn es handelte sich j a darum, diese beiden entgegengesetzten Prozesse gleichzeitig an vielen Punkten •der Großhirnhemisphären im Gleichgewicht zu halten. So blieb uns schließlich nichts anderes übrig, als den Versuch in dieser Form aufzugeben. Es ist sehr interessant, daß diese anfangs unmöglich scheinende Aufgabe schließlich von dem Nervensystem dieses Hundes doch zufriedenstellend gelöst werden konnte. Zu diesem Zweck mußten wir uns nur auf die Bildung eines einzigen bedingten Reizes beschränken. Der Hund beruhigte sich, und es kam jetzt sogar vor, daß er während des Versuches nicht nur im Gestell, sondern auch frei auf dem Fußboden einschlief. Jetzt wurden wieder alle bedingten Reize betätigt, wobei aber ihre Wirkimg bis zum Anfang des unbedingten Reizes immer nur 5 Sekunden dauerte. Allmählich wurde dann diese isolierte Wirkung der bedingten Reize wieder auf 3 Minuten verlängert. Diesmal entwickelte sich ohne Störungen ein guter verspäteter Reflex; von der eigenartigen Form dieses Reflexes habe ich schon in der Vorlesung über den Schlaf gesprochen 1 ). 1Vz bis 2 Minuten nach dem Beginn des bedingten Reizes war der Hund schläfrig; am Ende der zweiten oder zu Beginn der dritten Minute verschwand aber dieser passive Schlafzustand, und es trat sowohl eine rege motorische, als auch eine rege sekretorische Nahrungsreaktion ein. Auf diese Weise erreichten wir durch Ruhepausen, durch allmähliche Verlängerung und Wiederholung eine Gleichgewichtseinstellung zwischen dem Erregungs- und Hemmungsprozeß, was uns das erste Mal nicht gelingen wollte. (311) Da der Unterschied im Nervensystem der Hunde jetzt genau festgestellt war, schritten wir nun zum Hauptzweck dieser Versuche, beschlossen aber dabei etwas anders vorzugehen, als es bei den oben erwähnten zufälligen Beobachtungen geschehen war. Als stark verspätete Reflexe, denen also ein längerer Hemmungsprozeß vorausgeht, arbeiteten wir andere Arten von Hemmungen aus: s. 8. 209 (dt.

Red.)

Die Typen des Nervensystems

241

eine Differenzierungshemmung, eine bedingte und eine auslöschende Hemmung. Unsere Absicht ging dahin: vielleicht ließ sich durch ein so kompliziertes System von Hemmungen das normale Gleichgewicht zwischen den beiden Nervenprozessen ebenso stören, wie wir es bei den früheren Versuchen gesehen hatten. Unsere Vermutimg bestätigte sich nicht, es trat keine Störung ein. Dafür aber trat in allen diesen Fällen mit zusätzlicher Hemmung der Unterschied zwischen unseren beiden Hunden deutlich hervor. Der erregbare Hund äußerte bei der Ausarbeitung einer jeden neuen Hemmung zeitweilig eine sichtliche Erregung, während der andere dabei fast gar keine Anzeichen von Anstrengung zeigte. Unter diesen Umständen griffen wir zu einem bewährten Mittel. Wir schritten z w Ausarbeitung eines bedingten Nahrungsreflexes auf elektrische Hautreizung. Der Reflex wurde ausgearbeitet und mit einigen Unterbrechungen längere Zeit angewandt. Jetzt trat auch ohne Übertragung der Elektroden auf neue Stellen, wie das in den Versuchen von JEROFEJEWA1) gemacht worden war, eine chronische Änderung im Nervensystem beider Hunde ein. Wir müssen annehmen, daß hierbei die Kompliziertheit der früher ausgearbeiteten Hemmungstätigkeit einen Einfluß hatte. Wichtig und neu war jedoch der Umstand, daß sich die Störung der normalen Tätigkeit des Nervensystems bei beiden Hunden in völlig entgegengesetzten Erscheinungen äußerte: bei dem einen litten dauernd die negativen, die Hemmreflexe, bei dem anderen Hunde die positiven Reflexe, und erst nach und nach wurden auch bei diesem die Hemmreflexe in Mitleidenschaft gezogen. Nachstehend der ausführliche Verlauf dieser Versuche. Der erregbare Hund hatte bedingte Reflexe auf das Ticken des Metronoms, das Klingeln, das Brodeln und den mechanischen Hautreiz am Schenkel. Hemmreize waren das Zischen zusammen mit dem Ticken des Metronoms (das Zischen setzt 5 Sekunden vor dem Ticken des Metronoms ein) und ein mechanischer Hautreiz an der Schulter. Alle bedingten Reize wirkten 3 Minuten bis zum Beginn des Fütterns. (312) Versuch vom 15. März 1923 (Vor Bildung des bedingten Reflexes auf elektrische Hautreizung) Bedingter Reiz für 30Sekunden

Zelt

3h 3h 3h 3h 4h 4h

00' 25' 45' 54' 00' 13'

Ticken des Metronoms Ticken des Metronoms + Zischen Brodeln des Wassers Klingeln Mechanischer Hautreiz am Schenkel Mechanischer Hautreiz an der Schulter

!) s. 8. 235 (dt. 2

Speichekekretion (in Tropfen) pro Minute 0 0 0 3 0 0

5 0 1 0 2 0

16 0 14 17») 12 0

Sed.)

) Bei den leicht erregbaren Versuchstieren ruft das Einsetzen eines jeden Reizes, besonders bei sehr starken Reizen, fast immer einen kurzen Untersuchungsreflex (Orientierungsreaktion) hervor, und daher findet bei den verspäteten Reflexen anfänglich eine mehr oder weniger andauernde Enthemmung der Hemmungsphase statt. 16/IV

242

SIEBZEHNTE

VORLESUNG

Ende März begann die Ausarbeitung des bedingten Reflexes auf elektrischen Strom. Im April bildete er sich aus. Solange der angewandte Strom noch nicht sehr stark war, blieben alle Arten von Hemmung mehr oder weniger erhalten. Vom August an wurde der Strom sehr verstärkt. Jetzt trat zum ersten Male eine Störung des Verspätens der bedingten Reflexe ein, und die bedingte Hemmung war nicht mehr vollständig. Um die Sache zu erleichtern, wurde die isolierte Dauer aller bedingten Reize bis zum Füttern mit Ausnahme des Klingeins von 3 Minuten auf 30 Sekunden herabgesetzt. Der elektrische Reiz wurde nicht mehr angewandt, das Schwächerwerden des Hemmungsprozesses ging aber dennoch immer weiter. Das Verspäten erlosch vollständig. Das Zischen, das in der Hemmkombination 5 Sekunden vor dem Ticken des Metronoms einsetzte, löste nun selbst eine ständige positive Wirkung aus, d.h., es war zu einem bedingten Reiz zweiter Ordnung geworden 1 ), und sogar die Differenzierung auf den mechanischen Hautreiz war in bedeutendem Maße enthemmt. Schlußversuch dieser Periode vom 29. November 1923 „ .,

_ , _ . Bedingter Reiz

Zelt

3 h 15' 3 h 26' 3 h 40' 4 h 00' 4 h 12' 4 h 35' 4 h 46' 5 h 00'

Brodeln des Wassers, 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz am Schenkel, 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz an der Schulter, 30 Sekunden (Differenzierung) Ticken des Metronoms, 30 Sekunden Zischen + Ticken des Metronoms, 30 Sekunden (bedingter Hemmer) Klingeln, 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz am Schenkel, 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz an der Schulter, 30 Sekunden (Differenzierung)

Speichelsekretion (in Tropfen) 5 8

(313)

3 6 10 16 8

12

13

3

Bei dem ruhigen Hunde waren die gleichen bedingten Reize vorhanden wie bei dem erregbaren Hunde. Versuche vom 21. März 1923 (Vor der Bildung des bedingten Reflexes auf elektrischen Strom) „ , _ . ^«Imgter Reiz 3 Minuten

Zeit 3h 3h 4h 4h 4h 4h 5h 5h

18' 54' 13' 35' 42' 55' 03' 15' x

Brodeln des Wassers Klingeln Ticken des Metronoms Zischen + Ticken des Metronoms (bedingter Hemmer) Klingeln Zischen + Ticken des Metronoms (bedingter Hemmer) Mechanischer Hautreiz am Schenkel Mechanischer Hautreiz an der Schlüter

) s. a. S. 27 (dt. Red.)

Speichelsekretion (in Tropfen) pro Minute 0 0 1 1 0 0 0 0

2' 0 5 0 6 0 3 0

6 12 15 0 14 0 9 0

Die Typen des Nervensystems

243

Ende März schritten wir zur Bildung des bedingten Reflexes auf elektrischen Strom. Der Reflex bildete sich leicht und hatte bald eine Größe von 7 Tropfen in 30 Sekunden erreicht. Bei weiterer Steigerung der Stromstärke trat vorübergehend eine Abwehrreaktion auf, sie verschwand aber wieder, um dem Nahrungsreflex völlig Platz zu machen. Bei fortgesetztem Wiederholen des ausgearbeiteten Reflexes auf Strom begann der Speichelreflex (314) aber bald schwächer zu werden, wobei die bewährten Reflexe auf andere bedingte Reize fast völlig verschwanden und nur am Anfang des Versuches in sehr geringem Maße wirksam waren. Der Versuch vom 30. Mai 1923 erläutert die Verhältnisse in dieser Zeit.

Zeit 3 3 3 4 4 4 4 4

Ii h h h h h h h

25' 35' 47' 03' 20' 25' 37' 48'

_

, _ . Reiz für 3 Minuten

Speichelsekretion (in T

f m )

pro Minute

Klingeln Ticken des Metronoms Klingeln Mechanischer Hautreiz am Sbhenkel Mechanischer Hautreiz an der Schulter Brodeln des Wassers Ticken des Metronoms Klingeln

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0

2 5 0 0 0 0 0 0

Da der Hund zu dieser Zeit stark abmagerte und träge zu werden begann, wurden alle Versuche auf längere Zeit eingestellt und der Hund gut gefüttert, unter anderem erhielt er auch Lebertran. Bald erreichte der Hund sein ursprüngliches Gewicht und seine frühere Munterkeit wieder. Nach dieser Pause wurden alle bedingten Reflexe außer dem Reflex auf das Klingeln umgearbeitet, die unbedingten Reize wurden nicht mehr um 3 Minuten, sondern nur noch um 30 Sekunden abgerückt. Das brachte aber keine wesentliche Veränderung mit sich; die Reflexe stellten sich nur in sehr unbedeutendem Maße wieder ein. Der zu dieser Zeit angewandte elektrische Strom ergab eine beträchtliche Speichelabsonderung, die jedoch bei einer weiteren Stromverstärkung wieder abnahm und schließlich, wie auch die Wirkung aller anderen Reflexe, völlig erlosch. Und noch viel mehr! Diesmal begannen auch alle Arten der inneren Hemmung allmählich zu erlöschen, d.h., die negativen bedingten Reize, die früher keinerlei Wirkung zeigten, wurden von einer mehr oder weniger erheblichen Speichelabsonderung begleitet. Ich führe hier einen Versuch vom 6. Dezember 1923 an, der die positive Wirkung des bedingten Reizes nur in der Hemmphase des verspäteten Reflexes zeigt. „ Zeit 12 h 4 8 ' 1 h 00' 16*/IV

_ , ^ . Bedingter Beiz Mechanischer Hautreiz am Schenkel, 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz an der Schulter, 30 Sekunden

Speichelsekretion (in

...

0 0

T r o p f e n )

(315)

244

SIEBZEHNTE

„ ., Zeit 1h 1h 1h 1h 2h 2h 2h

VORLESUNG

_ ,. , . Bedingter Reiz

07' 20' 40' 51' 00' 11' 42'

2 h 53'

Brodeln des Wassers, 30 Sekunden Ticken des Metronoms, 30 Sekunden Klingeln, 3 Minuten Mechanischer Hautreiz am Schenkel, 30 Sekunden Mechanischer Hautreiz an der Schulter, 30 Sekunden . . . . Ticken des Metronoms, 30 Sekunden Zischen + des Metronoms (bedingter Hemmer), 30 Sekunden Ticken des Metronoms, 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) 1 0 3 0 0 0

2

0

0 0

Mit Recht müssen wir annehmen, daß die positive Wirkung der bedingten Hemmreize keine Schwächung des Hemmungsprozesses bedeutet, sondern nur von einer weiteren Schädigung des Erregungsprozesses zeugt. Sie erweist sich als ultraparadoxe Phase 1 ) der früher normal erregbaren Zellen. Der allgemeine Zustand des Hundes war zu dieser Zeit noch völlig befriedigend. Aus den angeführten Versuchen sehen wir also, daß bei zwei Hunden von verschiedenem Nerventyp unter der Einwirkung ein und derselben schädigenden Bedingungen eine chronische Abweichung von der normalen Nerventätigkeit eintrat. Diese Abweichung verlief aber nach zwei verschiedenen Richtungen. Während bei dem erregbaren Hunde der Hemmungsprozeß in den Rindenzellen der Großhirnhemisphären außerordentlich schwach wurde und beinahe gänzlich erlosch, verminderte sich bei dem anderen, ruhigen, gewöhnlich gut hemmbaren Hunde gerade der Erregungsprozeß in diesen Zellen aufs äußerste, j a er kam fast zum Erlöschen. Mit anderen Worten, wir hatten es mit zwei verschiedenen Neurosen zu tun. Die von uns auf diese Art hervorgerufenen Neurosen erwiesen sich als sehr hartnäckig und andauernd. Bei einer Unterbrechung der Versuche zeigten sie gar keine Neigung zur Besserung. Da beschlossen wir bei dem erregbaren Hunde zu Studienzwecken das bewährte therapeutische Heilmittel Brom anzuwenden, zumal wir bei unseren früheren Versuchen (Versuche von N I K I F O R O W S K I und W. S. D E K J A B I N ) manchmal eine günstige Wirkung des Broms im Sinne einer Verstärkung bei ungenügender Hemmung gesehen hatten. Nach monatelangem Bestehen der Neurose begannen wir dem Hunde täglich rektal 100 cm® 2°/o Kaliumbromid-Lösung einzuführen. Alle Arten der inneren Hemmung begannen (316) darauf, sich schnell in einer bestimmten Reihenfolge wieder einzustellen: als erstes wurde die Differenzierung vollkommen und beständig, darauf folgte die bedingte Hemmung und schließlich das Verspäten. Am 10. Tage waren alle Reflexe wieder völlig normal. %)

s. a. 8. 223 (dt. Red.)

Die Typen des Nervensystems

245

Versuch vom 5. März 1924 „ ., Zeit 3 h 00' 3 h 12' 3 3 3 3 4 4 4

h h h h h h h

28' 37' 44' 55' 10' 16' 25'

_ .. . _ . Bedingter R e l Z Ticken des Metronoms, 30 Sekunden Zischen + Ticken des Metronoms (bedingter Hemmer), 30 Sekunden Brodeln des Waasers, 30 Sekunden Klingeln, 3 Minuten Ticken des Metronoms, 30 Sekunden Ticken des Metronoms (Differenzierung), 30 Sekunden . . . . Brodeln des Wassers, 30 Sekunden Klingeln, 3 Minuten Klingeln, 3 Minuten

Speichelsekretion (in Tropfen) 5 0 8 2 8 0 7 2 0

12

16

1 8

9 21

Bemerkenswert ist, daß dabei nicht die geringste Verminderung der positiven Reflexe beobachtet wurde. Auffallend war jetzt die große Stetigkeit dieser Reflexe. Nach unseren Versuchen wirkt das Brom nicht als ein Mittel, das die Nervenerregbarkeit herabsetzt, sondern als ein Mittel, das sie reguliert. Brom wurde nur 11 Tage gegeben. Die Neurose war danach vollständig ausgeheilt, denn die Reflexe blieben im Verlauf von weiteren 21li Monaten völlig normal. Die Neurose des ruhigen Hundes konnte weder durch Brombehandlung noch durch andere Maßnahmen, die wir ergriffen, beseitigt werden. Wir ließen das Tier längere Zeit in Ruhe, ohne es besonders zu beobachten. Nach dieser Unterbrechung erwies es sich wider Erwarten als völlig normal. In der folgenden Vorlesung komme ich noch auf diesen Fall zurück. (317)

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE D E R GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS FUNKTIONELLER E I N W I R K U N G E N Meine Damen und Herren! In der heutigen Vorlesung will ich die Besprechung unserer Versuche und Beobachtungen über die pathologischen Zustände der Großhirnrinde fortsetzen. Das entsprechende Material wächst unter unseren Händen zusehends, es erweitert sich und gestattet uns tiefere Einblicke nicht nur dadurch, daß es jetzt zum Gegenstand unserer speziellen Aufmerksamkeit geworden ist, sondern oft auch durch glückliche Zufälle. Immer wieder sehen wir, wie normales Geschehen unter der Einwirkung schädlicher, zerrüttender Einflüsse durch ganz unmerkbare Zwischenzustände in pathologisches Geschehen übergeht, und wie dieses Pathologische die verschiedenen Funktionszustände zergliedert und vereinfacht und uns so oft Beziehungen enthüllt, die in der physiologischen Norm, verschmolzen und verflochten, vor uns verborgen blieben. In der Vorlesung über die normalen hypnotischen Zustände habe ich Ihnen mitgeteilt, daß diejenigen Erscheinungen, die für uns gegenwärtig von besonderem Interesse sind (vom Standpunkt ihrer Anwendbarkeit auf den Menschen, was in der Schlußvorlesung genauer ausgeführt werden soll), erst dann zum Gegenstand unserer speziellen Forschung wurden, als sie in einem pathologischen Falle deutlich hervorgetreten waren 1 ). Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatten wir es dort mit einem Hunde zu tun, bei dem unter anderem folgende positive und negative bedingte Reflexe vorhanden waren: ein positiver Reflex auf eine mechanische Hautreizung mit 24 rhythmischen Berührungen in 30 Sekunden und ein negativer Reflex auf 12 Berührungen in der gleichen Zeit. Die positiven Reflexe zeigten bei normalem Zustand des Tieres eine ganz deutliche Abstufung ihrer Speichelwirkung, entsprechend der Stärke der bedingten Reize. Als man nun einmal nach dem negativen mechanischen Hautreiz (318) ohne die geringste Zwischenzeit sofort den positiven Reiz einsetzen ließ, d. h. die eine Berührungsfrequenz sofort durch die andere ersetzte, da rief das einen pathologischen Zustand der Großhirnrinde hervor. Dieser zeigte sich darin, daß während der nächsten Tage alle positiven bedingten Reflexe erloschen waren und erst in der Folgezeit die Speichelwirkung der bedingten Reize ihre x

) s. 8. 218 (dt.

Red.)

247

Funktionell bedingte pathologische Zustände

normale Größe wiedererlangte, wobei aber während einer langen Reihe von Tagen der Parallelismus, der zwischen Reizstärke und Reiz Wirkung besteht, auffallend gestört war und die verschiedenen Grade dieser Störung einander in einer ganz bestimmten Reihenfolge ablösten. Im Ganzen dauerte dieser pathologische Zustand 5V2 Wochen. Es ist klar, daß dieser Fall mit den in der vorigen Vorlesung beschriebenen Versuchen in eine Reihe zu stellen ist. Was sich dort am zuletzt besprochenen Hunde als höchst auffallendes Symptom, als Verschwinden aller positiven bedingten Reflexe äußerte und mehrere Monate anhielt, kehrte hier allmählich durch mehrere Übergangsphasen im Verlauf von 36 Tagen wieder zur Norm zurück. Durch all dies wird deutlich, daß der Mechanismus, der dem Entstehen eines derartigen pathologischen Zustandes zugrundeliegt, in allen bisher beschriebenen Fällen immer der gleiche ist. Es handelt sich immer um eine schwierige Begegnung, einen Zusammenstoß des Erregungs- und Hemmungsprozesses. Außer den schon besprochenen Fällen, in denen wir pathologische Zustände der Großhirnrinde beobachten konnten, haben wir noch weiteres Material, das kein geringeres, wenn nicht gar größeres Interesse verdient, da es einige spezielle Besonderheiten der beobachteten Zustände und einen anderen Entstehungsmechanismus hervortreten läßt. Vor allem will ich bei einem Fall verweilen, den wir mehrere Monate lang jeden Tag ganz besonders sorgfältig beobachtet haben (Versuch von RIKMAN). Da dieser Fall ein ganz besonders Interesse verdient, will ich ihn besonders eingehend schildern und auch die entsprechenden Versuchsprotokolle anführen. Es handelt sich um einen leicht hemmbaren Hund, der schon längere Zeit zu verschiedenen Versuchen und Beobachtungen gedient hatte. Bei ihm waren mehrere positive bedingte Nahrungsreflexe ausgearbeitet worden und ein negativer Reflex auf das Ticken eines Metronoms von 60 Schlägen pro Minute, während ein Metronom mit 120 Schlägen pro Minute als positiver Reiz wirkte. Die Größe der positiven bedingten Reflexe stand in voller Übereinstimmung zu der physikalischen Stärke der entsprechenden (319) äußeren Agenzien. Der negative bedingte Reiz, der zu Anfang dieser Versuchsreihe schon 226mal wiederholt worden war, wirkte ständig und genau, er war also genügend konzentriert, d.h., seine hemmende Nachwirkung auf positive bedingte Reize war zeitlich sehr begrenzt. Sehen Sie hier ein Beispiel aus der Zeit, wo der Hund sich noch in normalem Zustand befand (1. Dezember 1925). Zeit 10 h 10 h 10 h 10 h 11 h 11 h

37' 45' 49' 56' 00' 05'

Bedingter Beiz für 20 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 20 Sekunden

Metronom 120 Aufleuchten der elektr. Lampe . Starker Ton Metronom 60 Elektrische Klingel Schwacher Ton

8 ^ g 0 9 3,5

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten

1 1 Lebhafte j Nahrungsreaktion Hund steht bewegungslos 1 Lebhafte f Nahrungsreaktion

248

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

Da diese leicht hemmbaren Hunde sozusagen Spezialisten der Hemmung sind, da bei ihnen alle Arten der inneren Hemmung leicht ausgearbeitet werden können und in ihrer Wirkung gut anhalten, hatten wir beschlossen, an diesem Tier Versuche über die Beständigkeit des Hemmungsprozesses anzustellen. Zu diesem Zweck unternahmen wir es, seinen negativen Reiz in einen positiven umzuwandeln. Diese Umwandlung sollte nach dem Verfahren vorgenommen werden, das gewöhnlich sehr rasch zum Ziel führt, d.h.durch die dauernde Kombination des negativen Reizes mit dem unbedingten Reiz, während der positive Reiz niemals angewandt wurde. Sie werden sich noch erinnern, daß in der Vorlesung über den Prozeß der negativen Induktion von den Vorzügen dieses Verfahrens zur Zerstörung der Hemmwirkung die Rede war 1 ). Trotz aller unserer Bemühungen ging aber in diesem Falle die Beseitigung der Hemmwirkung sehr langsam vor sich. Obwohl der alte negative Reiz 3 Tage lang 4- bis 7mal täglich vom Füttern begleitet wurde, zeigte sich erst bei der 17. Wiederholung dieses Verfahrens das erste Anzeichen für ein Verschwinden des Hemmungsprozesses und auch das nur in Form einer ganz geringen Sekretion, ohne jegliche motorische Nahrungsreaktion. Erst bei der 27. Wiederholung hatte die Speichelsekretion auf das Metronom mit 60 Schlägen eine stärkere Wirkimg erreicht. Zu dieser Zeit konnte man noch keine deutliche Beeinträchtigung der anderen positiven Reflexe wahrnehmen, (320) es bestand vielleicht nur eine gewisse Annäherung des Speicheleffektes bei Anwendung von starken und schwachen bedingten Reizen. Hier ein Versuch aus dieser Zeit (14. Dezember 1925). Bedingter Reiz für 20 Sekunden

Zeit

Speichelsekretion (in Tropfen) in 20 Sekunden

10 h 56'

Metronom 60

5,5

11h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h

Aufleuchten der Lampe Metronom 120 Elektrische Klingel Schwacher Ton Metronom 120 Elektrische Klingel

5 5 8 5 5,5 7

03' 10' 17' 24' 31' 38'

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten Eher Orientierungs- als Nahrungsreaktion Nahrungsreaktion

Aber die auf diese Weise erreichte Speichelwirkung des Metronoms mit 60 Schlägen blieb nicht bestehen. Obwohl wir diesen Reiz immer wieder durch Füttern begleiteten, begann seine Wirkung abzunehmen, und schon bei der 30. Wiederholung war sie wieder gleich Null. Zu gleicher Zeit konnte man feststellen, daß alle anderen Reize, die nach der Wirkung des Metronoms mit 60 Schlägen angewandt wurden, ebenfalls eine Nullwirkung hatten. Hier gebe ich einen Versuch wieder, der diesen Sachverhalt veranschaulicht (18. Dezember 1925). !) s. a. 8. 157 (dt.

Red.)

249

Funktionell bedingte pathologische Zustände

Bedingter Reiz für 20 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 20 Sekunden

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten

12 h 04'

Aufleuchten der elektr. Lampe .

4,5

12 h 09' 12 h 14'

Metronom 60 Starker Ton

1 0

12 h 23'

Klingel

0

12 h 30'

Aufleuchten der elektr. Lampe .

0

12 h 38'

Schwacher Ton

0

Nahrungsreaktion, frißt gierig Orientierungsreaktion Wendet sich von der Futterschale zuerst ab, frißt aber schließlich doch Wendet sich ab und nimmt das Futter überhaupt nicht Nimmt das Futter nicht sofort Nahrungsreaktion, frißt nicht sofort

2ejt

Dem äußeren Anschein nach macht der Hund einen ganz gesunden Eindruck. Wenn ihm dasselbe Futter außerhalb des Gestells gereicht wird, so frißt er es gierig, so wie er es in diesem Versuch im Gestell beim ersten bedingten Reiz vor der Anwendung des Metronoms mit 60 Schlägen tat. Obgleich sich dann die positive Wirkimg des Metronoms mit 60 Schlägen wieder einstellte, (321) blieb doch die hemmende Wirkung auf die anderen Reflexe bestehen. In den Fällen, wo kein Metronom angewandt wurde, war die Wirkung aller übrigen bedingten Reflexe ganz normal, und nur die Wirkung der schwachen Reize war gegen Ende des Versuches vielleicht etwas stärker herabgesetzt als gewöhnlich. Hier ein Versuch dazu (24. Dezember 1925). Zeit 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h

02' 10' 15' 20' 28' 32' 39' 44'

_ , . f l ^ ^ T für 20 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 20 Sekunden

Klingel Aufleuchten der elektr. Lampe . Lauter Ton Leiser Ton Klingel Aufleuchten der Lampe Lauter Ton Leiser Ton

9 5,5 7 5 6,5 3 6 3,5

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten

Lebhafte Nahrungsreaktion

Mit Absicht führe ich hier mehrere Versuche mit normalen Reflexen an, um zu zeigen, wie lange und wie beharrlich die normalen Verhältnisse trotz der ständigen störenden Wirkung der Metronomreflexe aufrecht erhalten werden. Diese Lage bleibt auch weiterhin bestehen. Beide Metronomrhythmen zeigen eine sehr schwankende Wirkung von 0,5 bis 7,5 und ziehen unverändert nach ihrer Anwendung für die Dauer des ganzen Versuches eine Beeinträchtigung aller anderen bedingten Reflexe nach sich. Entweder kommt es zu einer völligen

250

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

Hemmung oder zu verschiedenen Übergangsphasen zur Hemmung. E s ist sehr interessant, daß hierbei häufig der Metronomreiz von 120 Schlägen eine viel tiefere Störung hervorruft als der Metronomreiz von 60 Schlägen. Hier gebe ich einige Beispiele aus dieser Periode unserer Arbeit wieder. Versuch vom 28. Dezember 1925 (Ausgleichende Phase) , . , B e e ? f r R r für 20 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) ¡ n 2Q S e k u n d e n

56' 07' 13' 20' 28'

Klingel Aufleuchten der elektr. Lampe. Metronom 60 Schwacher Ton Metronom 120

10 6 2 5 4,5

11 h 33' 11 h 40' 11 h 47'

Starker Ton Klingel Aufleuchten der elektr. Lampe .

Zeit 10 h 11 h 11h 11 h 11 h

5

4,5 5,5

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten Normale Nahrungsreaktion Schwache Nahrungsreaktion > Nahrungsreaktion

Versuch vom 5. Januar 1926 (Narkotische Phase) Metronom 60

6

00' 05' 10' 18'

Aufleuchten der elektr. Lampe . Starker Strom Metronom 120 Schwacher Ton

3,5 6 3 0

l h 25' l h 30'

Klingel Aufleuchten der elektr. Lampe .

4,5 0

l h 35'

Klingel

6

12 h 53' lh lh lh lh

Verzögerte Nahrungsreaktion

\ > )

Nahrungsreaktion

|

Nahrungsreaktion

Schwache Nahrungsreaktion Nahrungsreaktion Wendet sich von der Futterschale ab, nimmt kein Futter Deutliche Nahrungsreaktion, frißt sofort

Versuch vom 20. Januar 1926 (Paradoxe Phase) 10 h 10 h 10 h 11 h 11 h

44' 49' 57' 02' 07'

Starker Ton Aufleuchten der elektr. Lampe . Metronom 60 Schwacher Ton Klingel

8 3 0,5 5 4,5

11 h 14' 11 h 21'

Schwacher Ton Klingel

5 2,5

11 h 26' 11 h 31'

Aufleuchten der Lampe Starker Ton

3,5 1

Orientierungsreaktion Lebhafte Nahrungsreaktion Schwache Nahrungsreaktion Lebhafte Nahrungsreaktion Schwache Nahrungsreaktion Lebhafte Nahrungsreaktion Nahrungsreaktion (323)

Funktionell bedingte pathologische Zustände

251

Versuch vom 21. Januar 1926 (Vollständige Hemmung)

11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11h

09' 14' 22' 27' 32' 39' 47' 52'

11 h 57'

Bedingter Reiz für 20 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 20 Sekunden

Starker Ton Aufleuchten der elektr. Lampe . Metronom 120 Schwacher Ton Klingel Schwacher Ton Klingel Aufleuchten der elektr. Lampe .

6 4,5 3,5 0 3 0 0 0

Starker Ton

0

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten Nahrungsreaktion Desgl. Desgl. Desgl. Desgl. Desgl. Desgl. Schwache Nahrungsreaktion Schwache Nahrungsreaktion

1§§ ES

,2 t» o3

©

ai C)

Bewegungsreaktion und Gesamtverhalten

Nahrungsreaktion

254

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

Die hervorragende Bedeutung, die dieser Versuchsreihe zukommt, und ihr vielsagender Inhalt mögen die übermäßig große Zahl der von mir angeführten Protokolle rechtfertigen. Was sagt uns nun, in kurzen Zügen, dieses ganze Material ? Die Verwandlung eines Hemmpunktes im Gehöranalysator in einen Erregungspunkt ging nur sehr langsam und sehr unvollkommen vor sich, und das Wichtigste dabei ist, daß dieses Verfahren den betreffenden Punkt in einen Herd unnormaler Tätigkeit verwandelt hat. Die Wirkung eines entsprechenden Reizes auf diesen Punkt versetzt sofort die ganze Rinde in einen pathologischen Zustand, der sich darin äußert, daß sie jetzt keine starken Reize mehr vertragen kann, ohne sofort in die verschiedensten Hemmungsphasen, ja sogar in vollständige Hemmung überzugehen. Anfangs kann dieser Zustand der Großhirnrinde ziemlich rasch zur Norm zurückkehren, wenn man nur den abnorm gewordenen Punkt nicht mehr reizt; wenn aber die Reizung dieses Punktes immer weiter fortgesetzt wird, dann wird der pathologische Zustand der Rinde stationär. Da alle anderen akustischen Reize für sich allein eine ganz normale Wirkung haben, so ist man gezwungen anzunehmen, daß in diesem Falle eine partielle, eng begrenzte Schädigung des akustischen Analysators besteht, sozusagen ein chronisches funktionelles Geschwür entstanden ist. Jedes Berühren dieses Punktes durch einen adäquaten Reiz übt einen schädlichen Einfluß auf die gesamte Hirnrinde aus und führt schließlich zu einem lang anhaltenden pathologischen Zustand. Man kann nicht umhin, in diesen Tatsachen einen schlagenden Beweis für die Mosaikstruktur der Großhirnrinde zu erblicken, von der früher die Rede war1). Das Zustandekommen der beschriebenen tiefgreifenden Störung der Rindentätigkeit kann man sich durch zwei verschiedene Mechanismen vorstellen. Der Reiz könnte, wenn er in einem abnormen Rindenpunkt den Erregungsprozeß hervorruft, hierdurch auch den Hemmungsprozeß in diesem Punkte verstärken und für eine gewisse Zeit stationär werden lassen. Dieser Hemmungsprozeß würde nun, von diesem Punkt ausgehend, irradiieren (327) und sich so über die Zellen der übrigen Rindenbezirke verbreiten. Man könnte sich aber auch vorstellen, daß jeder Reiz auf eine solche krankhafte Rindenstelle gleichsam als zerstörendes Agens wirkt und daß daher dieser Punkt wie jeder Körperpunkt, der eine tiefgreifende Schädigimg erfährt, durch den Mechanismus der äußeren Hemmung einen Hemmungsprozeß in allen anderen Teilen der Großhirnhemisphären hervorruft. Das Entstehen eines solchen anomalen Punktes ist offensichtlich das Ergebnis eines Zusammenstoßes zwischen einem Erregungs- und einem Hemmungsprozeß. Außer den Fällen, die ich in unserer heutigen und in der vorigen Vorlesung angeführt habe, verfügen wir heute schon über eine sehr große Zahl anderer Beobachtungen, in denen bei einer schwierigen Begegnimg entgegengesetzter Nervenprozesse eine mehr oder weniger anhaltende Abweichung von der normalen Tätigkeit eintrat, die sich oft durch keinerlei Maßnahmen beseitigen ließ. Dabei konnte in der Rinde in den einen Fällen der Erregungsprozeß, in den anderen !) s. Vorlesung 13, S. 176 f f . (dt.

Red.)

Funktionell bedingte pathologische Zustände

255

der Hemmungsprozeß vorherrschen. Solche Fälle beobachteten wir bei der Ausarbeitung schwieriger Differenzierungen, speziell bei der Differenzierung aufeinanderfolgender Komplexreize (Versuche von A. G . I W A N O W - S M O L E N S K I , M.N. JURMANN und A . M . S I M K I N A ) 1 ) . Sodann sind sie uns noch begegnet, wenn wir im Hautanalysator den positiven Reiz unmittelbar oder nach einer nur sehr kurzen Pause auf den Hemmreiz folgen ließen, besonders, wenn es sich um einen Wechsel zwischen zwei verschiedenen Berührungsrhythmen derselben Hautstelle handelte (wenn die verschiedenen Rhythmen Erreger entgegengesetzter Nervenprozesse waren). Im letzteren Falle konnte die Erregung des Hundes, wenn es ein starkes, leicht erregbares, oder gar aggressives Tier war, so weit gehen, daß es unmöglich wurde, mit diesem Tier die Arbeit fortzusetzen (Versuche von L.N. F E D O R O W ) . Nur die dauernde Anwendung von Kalziumbromid und das Weglassen auch des positiven mechanischen Hautreizes aus dem Versuchsprogramm brachten den Hund in bezug auf sein Verhalten gegenüber allen anderen Reizen wieder in einen normalen Zustand. Bei einem anderen Hunde, der dem Hemmtyp angehört (Versuch von P E T R O W A ) , hat sich unter ähnlichen Versuchsbedingungen ein ebensolcher, streng begrenzter abnormer Punkt im Hautanalysator ausarbeiten lassen, wie wir ihn in den oben erwähnten Versuchen von R I K M A N kennengelernt haben 2 ). Die positive Reizung dieses Punktes rief jedesmal für den laufenden Versuch, bisweilen sogar für mehrere folgende Versuchstage, eine ausgebreitete Hemmung in der ganzen Rinde hervor. Leider konnte eine weitere Analyse dieses Falles nicht vorgenommen werden, da der Hund schwer erkrankte (Nephritis). (328) Ich will noch einige Fälle erwähnen, die ebenfalls in das Gebiet der pathologischen Rindenzustände gehören, bei denen aber der Entstehungsmechanismus der Schädigung ein anderer war. Es sind das Fälle, bei denen der Normalzustand ganz immerklich in den pathologischen Zustand übergeht oder, genauer gesagt, wo der pathologische Zustand zu den beständigen Eigenschaften eines von Geburt an schwachen Nervensystems gehört. Bevor ich aber zu diesen Fällen übergehe, wird es vielleicht angebracht sein, kurz auf die Frage nach den äußeren Reizen einzugehen, die auf die Zellen der Großhirnrinde unmittelbar hemmend wirken. Es sind dies drei Arten von Reizen: schwache, einförmig sich wiederholende, sehr starke und ganz ungewöhnliche Reize; diese werden entweder durch neue Erscheinungen oder durch neue, ungewöhnliche Verkettungen und Folgen gewohnter Erscheinungen ausgelöst. Unser Leben und das Leben der Tiere zeigen so viele Fälle von solchen Hemmungen, daß es wohl kaum nötig ist, Beispiele hierfür anzuführen. Die biologische Bedeutimg dieser Tatsache ist mehr oder weniger klar. Wenn Reize von beträchtlicher Stärke, die noch dazu einander in stetem buntem Wechsel ablösen, die Großhirnrinde in einen tätigen Zustand versetzen, durch den das feinste Gleichgewicht zwischen Organismus und Außenwelt aufrechterhalten wird, so erscheint es ganz natürlich, wenn schwache und einförmige Reize, die vom !) s. 8. 116 (dt.

Bei.)

) s. S. 249 f f . (dt. Med.)

2

256

ACHTZEHNTE

VOBLESUNG

Organismus keinerlei Tätigkeit verlangen, zu einer Hemmung, zu einem Ruhezustand fuhren, um den Rindenzellen Zeit zur Wiederherstellung nach geleisteter Arbeit zu geben. Die Hemmwirkung sehr starker Reize ist offensichtlich ein spezieller, passiver Schutzreflex, wie wir ihn z . B . bei der sogenannten Hypnose der Tiere sehen (der eigentlichen echten Hypnose), da ja ein Tier, das ganz bewegungslos geworden ist, einerseits für seinen Feind weniger wahrnehmbar ist, andererseits aber die aggressive Reaktion eines stärkeren Gegners mäßigen oder gar beseitigen kann. Eine ganz ungewöhnliche Umgebung schließlich wird die gewöhnliche Energie der Bewegungen eines Tieres hemmen, denn in der neuen Situation könnte die früher gewohnte, jetzt aber nicht mehr den Forderungen entsprechende Tätigkeit irgendwelchen Schaden für das Tier nach sich ziehen. So kommt es denn, daß bei jeder neuen, wenn auch imbedeutenden Schwankung in der Außenwelt gewöhnlich zwei Reflexe ausgelöst werden: ein positiver Untersuchungsreflex und ein Hemmungsreflex, sozusagen ein Reflex der Zurückhaltung, (329) der Vorsicht. Offen bleibt die interessante Frage, ob diese beiden Reflexe selbständig sind oder ob der letztere nicht vielleicht eine Folge des ersteren ist und durch den Mechanismus der äußeren Hemmung zustande kommt. Auf den ersten Blick hat die zweite Erklärung wohl mehr für sich. Der physiologische Mechanismus der Hemmwirkung, die allen drei Reizarten eigen ist, wird den Gegenstand einer der letzten Vorlesungen bilden. Eine ganz außergewöhnliche Naturerscheinung, nämlich die ungeheure Überschwemmung, von der Leningrad am 23. September 1924 heimgesucht wurde, bot uns Gelegenheit, die chronischen, pathologischen Nervenzustände unserer Hunde zu beobachten, die unter dem Einfluß dieses Ereignisses als eines überstarken äußeren Reizes eintraten. Der gewöhnliche Aufenthaltsort der Hunde, der zu ebener Erde stand und ungefähr V« Kilometer vom Laboratoriumsgebäude entfernt war, wurde plötzlich vom Wasser überflutet. Bei Sturm und Regen, bei starkem Wellenschlag des steigenden Wassers, beim Pfeifen des Sturmwindes und unter dem Krachen fallender Bäume mußten die Hunde in'höchster Eile gruppenweise schwimmend ins Laboratoriumsgebäude hinübergebracht werden, wo sie alle durcheinander im zweiten Stock in ganz ungewohnter Umgebung für längere Zeit Unterkunft fanden. Durch diese Erlebnisse waren offenbar alle Hunde ohne Ausnahme stark gehemmt, denn zu dieser Zeit fanden unter ihnen nicht die üblichen Raufereien statt. Nachdem alles vorüber war und alle Hunde wieder auf ihren gewohnten Plätzen waren, konnte man folgendes bemerken: die einen Hunde waren so geblieben, wie sie früher waren, aber andere, und zwar die Hunde, die zum Hemmtyp gehörten, erwiesen sich danach als nervenkrank, und zwar für eine sehr lange Zeit. Davon konnten wir uns durch unsere Versuche mit den bedingten Reflexen bei diesen Tieren sehr gut überzeugen. Ich will nun zur Besprechung dieser Versuche übergehen. Der erste Hund ist Ihnen schon aus meinen früheren Vorlesungen bekannt 1 ) (Versuche von S P E R A N S K I ) . E S ist ein kräftiges gesundes Tier, das aber ungemein *) s.S. 227-229, 198 (dt. Red.)

Folgen der Überschwemmungskatastrophe

257

leicht hemmbar ist. Bei diesem Hunde erreichten alle bedingten Reflexe eine beträchtliche Stärke und waren auffallend gleichmäßig und beständig, aber immer nur dann, wenn die Versuchsumgebung stets die gewohnte blieb. Ich will noch einmal daran erinnern, daß bei diesem Hunde 10 bedingte Reflexe ausgearbeitet waren, 6 positive und 4 negative (Differenzierungen). Von den positiven Reflexen verfügten wir über 3 akustische und 3 optische; von den akustischen gab das Klingeln die stärkste Speichelsekretion, die optischen Reize hatten alle ungefähr die gleiche Wirkung. Die Wirkung der positiven akustischen Reflexe war mindestens um l/3 größer als die Wirkung der optischen. (330) Ungefähr eine Woche nach der Überschwemmung kam dieser Hund wieder ins Gestell. Dabei äußerte er eine auffallende Unruhe, die bedingten Reflexe büeben alle beinahe völlig aus, und der Hund, der gewöhnlich sofort das Futter aufnahm, kehrte sich diesmal von der Futterschale ab und fraß nicht. Im Verlauf von 3 Tagen wiederholte sich immer dasselbe. Der Hund wurde nun 3 Tage lang nicht gefüttert, aber das änderte nichts. Wir hatten die Möglichkeit, verschiedene Ursachen eines solchen Verhaltens auszuschließen, und nähere Beobachtungen des Tieres führten uns zu dem Schluß, daß es sich hier um eine fortdauernde Wirkung der Überschwemmung handelte. Wir wandten daher folgende Maßnahme an. Der Experimentator, der sonst gewöhnlich außerhalb der Tür des Versuchsraumes saß, in dem sich der Hund allein befand, blieb jetzt mit ihm im Zimmer, ich aber nahm seinen Platz hinter der Tür ein und leitete von dort aus den Versuch 1 ). Sofort waren alle bedingten Reflexe wieder da, und der Hund griff gierig nach dem vorgelegten. Futter. Sobald aber der Experimentator den Hund allein Heß, wiederholte sich sofort das frühere Bild. Um die Reflexe wiederherzustellen, mußte der Experimentator ganz systematisch bald im Versuchsraum bleiben, bald ihn für kurze Zeit verlassen. Am 11. Tage dieser Versuchsanordnung wurde zum ersten Male das bisher nicht angewandte Klingeln versucht, ein Reiz, der als das physikalisch stärkste Agens früher die stärkste bedingte Wirkung hatte. Sofort war die Wirkung aller anderen Reize bedeutend vermindert, und der Hund weigerte sich, das Futter zu nehmen. Dabei wurde das Tier sehr erregt, sah sich unruhig um und blickte in auffallender Art immer vom Gestell auf den Fußboden. Nun wandten wir wieder den sozialen Reiz an, d. h. die Anwesenheit des Experimentators beim Hund; das führte dazu, daß alle bedingten Reflexe sich allmählich wieder einstellten. Als wir aber nach 5 Tagen nochmals das Klingeln versuchten, wiederholte sich die alte Geschichte. Nun fingen wir an, das Klingeln nur dann anzuwenden, wenn der Experimentator sich beim Hund im Versuchsraum befand. Langsam stellten sich die normalen Beziehungen wieder her. Oftmals konnte man an den bedingten Reflexen die ausgleichende Phase beobachten, nach dem Klingeln unterbrach der Hund oftmals das Fressen, und danach waren alle übrigen bedingten Reflexe oft vermindert. Am 47. Versuchstage, beinahe 2 Monate nach der Überschwemmung, konnten wir schließlich einen ganz normalen Versuchsablauf verzeichnen. Jetzt unternahmen wir folgendes: durch die untere Türspalte !) Sozialer Beiz, s. a. 8. 229 (dt. Red.)

17/rv

258

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

ließen wir in den Raum, in dem sich der Hund im Gestell befand, Wasser einströmen. Es bildete sich eine große Pfütze um den Tisch, auf dem sich der Hund im Gestell befand. Der Versuch wurde wie gewöhnlich ausgeführt, d.h., der Experimentator befand sich nicht im Versuchsraum. Ich gebe hier das genaue Protokoll dieses Versuches wieder (17. November 1924). (331) Zeit 10 h 10 Ii 10 h 10 h 10 h 11h

15' 24' 36' 46' 59' 11'

11 h 20' 11 h 30' 11h 41' 11 h 50'

Bedingter Beiz für 30 Sekunden Metronom 120 Starke Zimmerbeleuchtung . .. Klingeln Erscheinen eines Kreises Pfeifen Metronom 80 (Differenzierungsreiz) Metronom 120 Erscheinen eines Quadrates (Difterenzierungsreiz) Erscheinen eines Kreises Klingeln

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Bemerkungen

15,5 9 17 9 15 0 12,5

Frißt gierig

0 9 17

11 h 59' wurde Wasser in den Raum des Hundes gelassen. Der Hund springt sofort auf, wird sehr unruhig, bewegt sich im Gestell hin und her und macht Anstrengungen, aus dem Gestell herauszukommen. E r blickt unruhig auf den Fußboden. Es setzt Kurzatmigkeit ein. 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

02' 07' 15' 25' 32'

Starke Zimmerbeleuchtung.... Metronom 120 Pfeifen Klingeln Erscheinen eines Kreises

0 0 0 0 0

Alle Reize verstärken nur die motorische Erregung. Futter wird nicht genommen

Nach mehreren Monaten, als alle Reflexe wieder vorhanden waren, das Klingeln aber absichtlich lange Zeit nicht angewandt worden war, gab seine erste Anwendung ihre gewöhnliche Wirkung, die die aller übrigen Reflexe weit überstieg. Als wir aber das Klingeln mehrere Tage hintereinander immer nur einmal täglich angewandt hatten, begann es allmählich seine Wirkung zu verlieren und wurde schließlich ganz unwirksam. Zu gleicher Zeit verminderte sich auch die Wirkung aller anderen Reize deutlich. Es ist interessant, daß zu jener Zeit nicht nur der Experimentator durch seine persönliche Anwesenheit in der Zelle, sondern auch seine dort hingelegte Kleidung einen wiederherstellenden Einfluß auf die bedingten Reflexe hatte. Dabei wurde die Kleidung so hingelegt, daß sie der Hund nicht sehen konnte und man wohl die Wirkung von Geruchsreizen annehmen muß. (332)

Folgen der Überschwemmungskatastrophe

259

Aus diesen Versuchen sehen wir also, wie Rindenzellen, die schon immer sehr geneigt waren, in den Hemmungszustand überzugehen, unter der Einwirkung eines ungewöhnlich starken Reizes in einen chronischen Zustand äußerster Hemmbarkeit verfielen. Reize, die schon seit langer Zeit indifferent geworden waren (z.B. die ganze Versuchsumgebung) und auch starke Agenzien, die schon früher zu stark wirkenden positiven bedingten Reizen gemacht worden waren (das Klingeln), übten jetzt immer eine starke Hemmwirkung auf diese geschwächten Rindenzellen aus. Ganz unbedeutende Komponenten dieses überstarken Reizes (der Überschwemmung) genügten bereits, um die ursprüngliche Reaktion der tiefen Hemmung wieder zu erzeugen. Ich gehe nun zu einem anderen Fall über. Er betrifft den Hund von R I K M A N , von dem am Anfang unserer heutigen Vorlesung so eingehend die Rede war 1 ). Sein Zustand von dem ich Ihnen jetzt berichten will, bezieht sich auf einen früheren Zeitpunkt. Die Folgen der Überschwemmung äußerten sich bei diesem Hunde in etwas andersartigen pathologischen Erscheinungen, aber der Mechanismus ihrer Entstehung war genau derselbe, d.h., es lag ihnen ebenfalls eine übermäßige Hemmbarkeit zugrunde. Hier ist ein Versuch am Tage vor der Überschwemmung, am 22. September 1924. Bedingter Beiz für 30 Sekunden

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden

Metronom 120 Mechanischer Hautreiz Metronom 60 (Difierenzierungsreiz)... Aufleuchten der elektrischen Lampe . Starker Ton

6 3,5 0 4 7,5

Zeit 12 h 12 h 1h lh lh

53' 58' 03' 13' 23'

Am dritten Tage nach der Überschwemmung, am 26. September, verlief der Versuch folgendermaßen: 2h 2h 2h 3h 3h 3h

42' 50' 55' 02' 06' 16'

Metronom 120 Mechanischer Hautreiz Metronom 60 Metronom 120 Mechanischer Hautreiz Metronom 120

2,5 2 3,5 1,5 0 2,5

(333)

Der Hund nahm das Futter, aber die positiven Reflexe waren nur sehr schwach, und die stärkste positive Wirkung hatte der sonst negative Reiz (ultraparadoxe Phase). Danach stellten sich folgende Beziehungen ein, die für längere Zeit bestehen blieben. Solange man während eines Versuchstages den negativen Reiz (Metroi) s. S. 247 f f . (dt.

i7*/rv

Red.)

260

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

nom 60) noch nicht angewandt hatte, zeigten alle positiven Reize eine ganz befriedigende Wirkung, und ihre Wirkungsstärke erreichte sogar beinahe die Norm. Aber selbst ein einmaliges Anwenden des Hemmreizes setzte sofort, und oft für mehrere Tage, die Wirkung aller übrigen Reize beinahe auf Null herab. Hierfür zwei Beispiele. Versuch vom 6. Oktober 1924 ,. , _ . Bedingter Ee1Z für 30 Sekunden

Zeit

12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h 12 h

03' 10' 20' 25' 33' 36' 43'

Metronom 120 Starker Ton Mechanischer Hautreiz Starker Ton Metronom 60 Metronom 120 Mechanischer Hautreiz

Speichelsekretion in 30

Sekunden 5 5 2 4 0 0 0

Versuch vom 20. Oktober 1924 11 h 11 h 11 h 11 h 12 h 12 h 12 h

41' 46' 51' 56' 01' 06' 11'

Schwacher Ton Metronom 120 Metronom 60 Starker Ton Klingeln Aufleuchten der elektrischen Lampe . Metronom 120

6 7,5 0 0 3 0 1,5

Wenn nach solchen Versuchen während der Wiederherstellungsperiode der Reflexe der negative Reiz ganz weggelassen wurde, so konnte man alle Übergangsphasen von der vollständigen Hemmung zur normalen Tätigkeit beobachten. In der ersten Zeit erreichten unsere wirksamsten Maßnahmen ihren Zweck: ein Aussetzen mit den Versuchen für einige Tage und eine Verkürzung der isolierten Wirkung der bedingten Reize; später aber erwiesen auch sie sich als ungenügend. Nur ein oder zwei Reflexe zu Beginn des Versuches (334) zeigten eine geringe Wirkung, alle weiteren Reize aber waren unwirksam. Der Hund stand regungslos da und weigerte sich sogar, das vorgelegte Putter zu nehmen. Wir waren jetzt gezwungen, zu unserer äußersten Maßnahme zu greifen. Der Versuch wurde nicht im Gestell, sondern auf freiem Boden durchgeführt, wobei sich der Hund frei im Zimmer bewegte. In diesem Falle bleiben die hemmenden Einflüsse, die vom Gestell ausgehen, weg und außerdem werden den Großhirnhemisphären mehr Erregungen übermittelt, die vom ganzen Bewegungsapparat ausgehen 1 ). Dies half. Die Reflexe stellten sich allmählich wieder ein und nahmen an Stärke zu. Der Hund fraß jetzt. Schließlich wurde auch wieder die Norm erreicht. Jetzt !) s.a. S. 205 (dt.

Red.)

Folgen der Überschwemmungskatastrophe

261

fingen wir wieder an, täglich, den negativen Reiz anzuwenden. Nur im Verlauf der ersten 7 Tage zog dieser Reiz ein Verschwinden aller, an demselben Tag nach ihm angewandten bedingten Reize nach sich, seine Wirkung erstreckte sich jedoch niemals auf die folgenden Tage. Im Verlauf weiterer zwei Wochen wurde auch diese Wirkung immer schwächer und verschwand schließlich ganz. Danach begannen wir vorsichtig, den Hemmungsprozeß zu üben. Die Differenzierungshemmung wurde während ein und desselben Versuches mehrmals angewandt, und um sie zu konzentrieren, ließ man kurze Zeit nach ihr einen positiven Reiz wirken. Dadurch festigte sie sich schließlich. Erst zwei Monate nach Beginn der Versuche außerhalb des Gestells und 8 Monate nach der Überschwemmung konnte man die Versuche wieder unter den üblichen Versuchsbedingungen im Gestell durchführen. Wir sehen, daß die Überschwemmung eine derartige Hemmbarkeit der Rindenzellen bei unseren Hunden hervorgerufen hatte, daß die geringste zusätzliche Hemmung, die wir durch unsere negativen Reize ausübten, für lange Zeit das Zustandekommen der positiven bedingten Reflexe unter unseren gewöhnlichen Versuchsbedingungen unmöglich machte. So kommen wir denn auf Grund unserer Versuche und unserer Beobachtungen zu dem Schluß, daß ein pathologischer Zustand der Großhirnhemisphären durch zweierlei Einwirkungen hervorgerufen werden kann: erstens durch eine schwierige Begegnung, durch einen Zusammenstoß des Erregungs- und Hemmungsprozesses, und zweitens durch starke, ganz außergewöhnliche Reize. Ich muß Ihnen aber noch einiges über einen Hund mitteilen 1 ) (Versuche von A. S. WISCHNEWSKI), von dem ich leider noch nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sein gegenwärtiger Zustand die Folge einer angeborenen Eigenschaft ist, die sich unter dem Einfluß seiner allgemeinen Lebensbedingungen, seines Alters, der Würfe usw. verändert hat oder ob dieser Zustand, wie in den beiden letztbeschriebenen Fällen, als eine Folge der Einflüsse durch die Überschwemmung aufzufassen ist. Ich spreche hier von dem Hunde, den Sie schon aus der vorigen Vorlesung kennen und den ich Ihnen dort als den äußersten Vertreter des stärksten Hemmtyps vorgeführt habe. Vor der Überschwemmung (335) war der Hund lange Zeit hindurch nicht beobachtet worden und auch nach der Überschwemmung vergingen 3 bis 4 Monate, bis wir schließlich die Versuche an ihm wieder aufnahmen. Lange vor der Überschwemmung hatte dieser Hund zu zahlreichen Versuchen mit bedingten Reflexen gedient, die sehr wertvolles Material zutage förderten. Gegenwärtig ist das Tier trotz aller Maßnahmen für unsere Versuche über die üblichen Themen ganz unbrauchbar. Wir können es nur dazu verwenden, seinen Nervenzustand zu analysieren. Was die Ursache für diesen Zustand ist, die Überschwemmung oder irgend etwas anderes, bleibt für uns eine ungelöste Frage. Die Grenzen, in denen sich die normale, für die anderen Hunde gewöhnliche Lebenstätigkeit dieses Tieres bewegt, sind sehr eingeengt; das gilt jedenfalls für sein Verhalten im Laboratorium. Bei diesem Tier sehen wir im Laboratorium entweder s. a. S. 233 ( dt. Reä.)

262

ACHTZEHNTE

VORLESUNG

fast ausschließlich nur den passiven Schutzreflex, d.h., daß es auf die geringsten Umweltschwankungen mit dem Orientierungsreflex antwortet und dann sofort alle seine Bewegungen so weit gehemmt sind, daß es sich sogar weigert, das vorgelegte Futter zu nehmen, oder aber es schläft ein, was bei diesem Hundetyp eine seltene Ausnahme darstellt. Nur auf zwei Arten konnten wir diesen Hund in den für andere Hunde gewöhnlichen Zustand zurückbringen. Dies war erstens der sehr rasche Übergang vom bedingten zum unbedingten Reiz, wobei die isolierte Wirkung des bedingten Reizes nicht länger als 1 bis 2 Sekunden dauerte, und zweitens die Durchführung der Versuche am frei sich bewegenden Tier. In diesem Falle mußte der Versuchsleiter die ganze Zeit im Zimmer umhergehen, wobei der Hund ihm unentwegt nachging, aber auch dabei mußte die Fütterung sehr rasch auf den bedingten Reiz folgen. Beides sind Einflüsse, die den Zustand des Hundes in der Richtung verändern, daß das Tier nicht mehr wie früher auf die geringsten Umweltschwankungen reagiert, daß es das Futter nimmt und nur bei stärkeren äußeren Reizen das Fressen unterbricht. Jetzt fangen auch die bedingten Reflexe allmählich an, wieder aufzutauchen. Wenn man aber den Augenblick des Fütterns auch nur um 5 bis 10 Sekunden vom Beginn des bedingten Reizes abrückt, so fängt der Hund sehr bald an, schläfrig zu werden, und es kann so weit kommen, daß er beim Fressen über der Futterschale einschläft. Diesen ganz eigenartigen Zustand des Nervensystems und offensichtlich speziell der Rindenzellen fassen wir als einen Zustand der äußersten Erschöpfung der entsprechenden Nervenzellen auf, als den deutlichsten Ausdruck ihrer sogenannten Erregungsschwäche. Ich füge das Wort „offensichtlich 1 'hinzu, denn eine so fein abgestimmte Reaktionsfähigkeit des Nervensystems und speziell aller seiner Analysatoren kann wohl nur den Großhirnhemisphären zukommen. Eine genaue Untersuchung dieses Falles ist Gegenstand unserer gegenwärtigen Forschung. (336)

NEUNZEHNTE

VOBLESUNO

PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE D E R G R O S S H I R N H E M I S P H Ä R E N ALS ERGEBNIS OPERATIVER E I N G R I F F E a) ALLGEMEINE VERÄNDERUNGEN IN DER FUNKTION DER GROSSHIRNRINDE b) FUNKTIONSSTÖRUNGEN IM AKUSTISCHEN ANALYSATOR Meine Damen und Herren! Nachdem wir eine ausreichende, vollständig objektive Charakterisierung der Tätigkeit der Großhirnhemisphären erhalten hatten, konnten wir zu ausführlichen Untersuchungen über den Aufbau der Großhirnhemisphären und zum Studium der Funktionen ihrer einzelnen Teile übergehen, wie wir es auch schon zu Beginn unserer Arbeit geplant hatten (vgl. meinen Vortrag auf dem Internationalen medizinischen Kongreß in Madrid im Jahre 1903 in meinem Buch „Zwanzigjährige Erfahrungen m i t dem objektiven Studium der höheren Nerventätigkeit der Tiere") 1 ). Zu diesem Zweck stand uns als einzige Methode die partielle Zerstörung oder Entfernimg einzelner Teile der Großhirnrinde zur Verfügimg. Doch dürfen wir nicht vergessen, daß dieser Methode manche wichtigen Mängel anhaften. Und wie h ä t t e es auch anders sein können? Die Großhirnhemisphären bilden wohl die allerkomplizierteste und allerfeinste Struktur, die je auf Erden von der schöpferischen K r a f t der N a t u r erreicht worden ist; wir aber greifen bei unseren Forschungsversuchen auf eine ganz plumpe Art und Weise in dieses so fein gewebte Kunstwerk ein, wir entreißen dieser komplizierten Struktur in gröbster Weise große Stücke. Stellen Sie sich vor, daß vor uns die Aufgabe stünde, die Konstruktion und das Funktionieren eines weit weniger komplizierten, von Menschenhand gebauten Apparates zu erforschen! Wenn wir, ohne die einzelnen Teile dieses Apparates zu kennen, ohne ihn mit größter Vorsicht auseinanderzunehmen, mit Meißel und Säge oder einem anderen groben Instrument zu Werke gehen und jeden achten, vierten oder anderen Teil dieses Apparates entfernen, würden wir dann noch darauf rechnen können, auf diese Weise brauchbares Material zur Beurteilung seines Baues und seiner Tätigkeit zusammenzubringen ? (337) Ist aber unser Verfahren, das wir an den Großhirnhemisphären und auch an anderen Teilen des Gehirns anwenden, nicht von derselben Art? Mit Hammer und Meißel oder mit der Säge eröffnen wir die Knochendecken und spalten die übrigen Gewebe, die das Gehirn schützend bedecken. x

) s. PAWLOW, Sämtliche

Wethe, Bd. IIIll,

S. 23 (russ.)

(dt.

Red.)

264

NEUNZEHNTE

VORLESUNG

Schon dabei zerreißen wir viele Blutgefäße. Und wenn wir dann weiter bestimmte Hirnstücke verschiedener Größe entfernen, schädigen wir da nicht das Gehirn in mannigfacher Weise durch Erschütterung, Quetschung, Zerreißung und dergleichen ? Eine spezielle Eigenschaft, eine eigenartige Macht der lebenden Materie besteht gerade darin, daß wir trotz all dessen, schon nach einigen Stunden, sicher aber nach Tagen, nicht mehr imstande sind, ohne spezielle und genaue Prüfung beim operierten Tier Abweichungen von der Norm festzustellen. Andererseits ist es aber doch möglich, mit solchen Eingriffen einiges zur Aufklärung der Tätigkeit der Großhirnhemisphären beizutragen. Dieser Umstand soll aber den Physiologen keineswegs befriedigen und beruhigen. Es ist seine ständige Pflicht, jeweils auf die neuesten Erfolge der Naturwissenschaft und auf die außerordentliche Vervollkommnung der modernen Technik gestützt, danach zu streben, für sein Ziel immer neue Untersuchungsverfahren zu ersinnen, die der unerreichbaren Vollkommenheit des Untersuchungsgegenstandes angemessener sind. Es ist ganz selbstverständlich, daß das bei der Großhirnuntersuchung übliche Verfahren der Entfernung von Teilen der Großhirnrinde stets einen sehr komplizierten pathologischen Zustand zur Folge hat. Die Tatsachen, die wir auf diese Weise über die Struktur der Großhirnhemisphären erhalten, können daher nur mit größter Vorsicht und in sehr beschränktem Maße zu Schlußfolgerungen verwendet werden. Die Hemisphären sind ein speziell der Verbindung dienender Apparat, dem noch dazu die höchste Reaktionsfähigkeit eigen ist, und folglich muß sich jede Störung an irgendeiner Stelle durch Funktionsstörungen am ganzen Apparat oder zum mindesten an vielen, auch entfernteren Teilen des Apparates auswirken. Außer diesen unmittelbaren Folgen der Operation, von denen man, nicht ganz ohne Recht, hoffen kann, daß sie im Laufe der Zeit durch die plastische, formative Tätigkeit der lebenden Materie zum Verschwinden gebracht werden, besteht noch ein anderes, sehr ernstes Übel des operativen Eingriffs, daß sich erst als Spätfolge bemerkbar macht. Es ist das die Bildung von Narbengewebe am Ort des Hirndefektes als Ursache einer neuen Reizimg und weiterer Zerstörungen. Einerseits ruft das Narbengewebe als mechanischer (338) Reiz in den anliegenden normalen Hirnteilen periodische Erregungszustände hervor, andererseits aber verursacht es durch Druck, Dehnung und Zerrung, die es auf die Hirnsubstanz ausübt, weitere Zerstörungen. Ich hatte, wie ich jetzt glaube, das Unglück, gleichzeitig mit einigen Verbesserungen der üblichen Operationstechnik einen bedeutsamen Fehler hineinzubringen. Um größeren Blutungen bei den Großhirnoperationen vorzubeugen, entfernte ich bei meinen Versuchshunden, längere Zeit vor der Gehirnoperation, die Schläfenmuskeln, die den Schädel bedecken. Dadurch hatte ich mein Ziel erreicht: die atrophisch gewordenen Schädelknochen ließen sich oft ohne jeglichen Blutverlust öffnen. Doch zog dies auch eine Atrophie der dura mater nach sich; sie wurde trocken und brüchig, so daß es später meist nicht gelang, sie durch Nähte fest zu verschließen. Dieser Umstand führte dazu, daß die Wunde in der Hirnsubstanz mit den Wundflächen anderer Gewebe und mit deren groben Narbenbildungen in Verbindung trat und daß das ge-

Veränderungen bei Operationen an Hirnrinde

265

bildete Narbengewebe immer weiter in die Hirnsubstanz hineinwucherte. Fast alle von mir operierten Hunde gingen unter Krampfanfällen ein, die in einigen Fällen schon 5 bis 6 Wochen nach der Operation auftraten. In seltenen Fällen erfolgte der Tod schon beim ersten Krampfanfall. Gewöhnlich aber zogen diese Krampfanfälle, die in den ersten Wochen nur selten auftraten und nicht stark waren, im Laufe von Monaten aber immer häufiger und stärker wurden, entweder das Eingehen des operierten Hundes nach sich, oder aber sie verursachten neue, weitgehende Störungen der Nerventätigkeit. Die von mir angewandten Maßnahmen, wiederholtes Narkotisieren oder Narbenexzision, führten in einigen Fällen zu einer Besserung, doch konnten wir sie natürlich nicht als sicher wirkende Mittel ansehen. Außer diesen Schwierigkeiten, die bei dieser Methode zur Untersuchung der Funktionen einzelner Hirnteile entstehen, hat der Forscher stets noch mit einer Eigenart der ganzen Struktur der Großhirnhemisphären zu rechnen, die gerade in ihnen besonders stark entwickelt ist. Wenn sich schon im gesamten Organismus das Auftreten von Reservekräften gegen partielle Zerstörungen fortwährend bemerkbar macht, so muß dieses Prinzip im Zentralnervensystem, das alle Verbindungen und Beziehungen des Organismus zustande bringt, seinen höchsten Ausdruck finden. Tatsächlich können wir dies sowohl im Rückenmark mit seinem höchst komplizierten und mannigfaltigen Faserverlauf als auch im peripheren Nervensystem mit seiner überall vertretenen, sogenannten rückläufigen Sensibilität beobachten. Diese Einrichtungen neutralisieren in bedeutendem Maße die durch mechanische Schädigungen bewirkten Zerstörungen (339) dieser Teile des Nervensystems. In noch viel größerem Maße müssen aber derartige Einrichtungen in der höchsten Instanz dieses Apparates vorhanden sein, durch die ja die gesamte äußere und innere Tätigkeit des Organismus geregelt wird. Da uns bedingte Reflexe von verschiedenen Analysatoren zur Verfügung standen, konnten wir versuchen, die nach der Exstirpation bestimmter Hemisphärenteile eintretenden pathologischen Zustände festzustellen und zu untersuchen. Hierbei verwandten wir unser Tatsachenmaterial nach Möglichkeit auch dazu, die Frage nach dem allgemeinen Bau der Hemisphären und nach der Bedeutung ihrer einzelnen Teile aufzuklären. Das erste, was nach der partiellen Exstirpation der Hemisphären beobachtet wurde, war das Verschwinden der bedingten Reflexe. Meist verschwanden aber nicht alle Reflexe, sondern nur unsere sogenannten künstlichen bedingten Reflexe, d. h- die, die wir im Laboratorium gebildet hatten, die also relativ neu und wenig geübt waren. Weiter ist es eine ständig wiederkehrende Tatsache, daß sich die natürlichen bedingten Reflexe, z. B. der Nahrungsreflex, sowohl in ihrer motorischen als auch in der sekretorischen Komponente (Speichelabsonderung) früher wieder einstellen, als die künstlich gebildeten Reflexe. In einigen Fällen kann es auch vorkommen, daß beim operierten Hunde nach Abklingen der Narkose überhaupt keine natürlichen bedingten Reflexe fehlen. Beispiele dieser relativen Beständigkeit der natürlichen Reflexe im Vergleich zu

266

NEUNZEHNTE

VORLESUNG

den künstlichen fanden wir in jedem Fall mit partieller Zerstörung der Hemisphären, so daß es wohl kaum nötig ist, einzelne Fälle hiervon anzuführen. Gewöhnlich verschwinden nach der Operation alle ausgebildeten bedingten Reflexe, auch wenn die Operation nur an einer Hemisphäre ausgeführt wurde, und unabhängig davon, ob dieser oder jener Teil der Hemisphäre entfernt worden ist. Die Dauer dieses Verschwindens schwankt in weiten Grenzen von einem Tage bis zu mehreren Wochen oder sogar Monaten. Ganz allgemein dauert sie um so länger, je größer die Zerstörung war, doch sind, wenn wir alle Untersuchungen in Betracht ziehen, Ausnahmen hiervon nicht selten. Schon bei zwei Operationen, die anscheinend nach Ort, Ausmaß und Technik der Ausführung völlig gleich verlaufen sind, kann die Dauer des Verschwindens der Reflexe sehr unterschiedlich sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der endgültige Umfang der operativen Reizung und Zerstörung nicht nur von der Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit des Operateurs, sondern auch von anatomischen und funktionellen Besonderheiten des betreffenden operierten Tieres abhängig ist. Das Wiedererscheinen der bedingten Reflexe nach der Operation erfolgt nicht auf einmal, sondern in einer bestimmten (340) Reihenfolge. Neben der oben bereits erwähnten Beständigkeit der einzelnen Reflexe spielt dabei auch der Ort der Operation eine große Rolle. Die Reflexe der Analysatoren, die von dem durch die Operation zerstörten Teil räumlich weiter entfernt sind, stellen sich früher wieder her. Außerdem sind aber auch noch die Stärke des bedingten Reizes und die Eigenschaften des Analysators von Bedeutung. So erschien z. B. nach Entfernung des gyrus pyriformis (Versuche von S A W A D S K I ) der bedingte Reflex von der Mundhöhle (der Wasserreflex, von dem später noch die Rede sein wird) 1 ) schon am 11. Tage nach der Operation wieder, der bedingte Reflex auf Kampfergeruch am 18.Tage, auf die Intensitätsschwankungen der Zimmerbeleuchtung am 25. Tage, während sich der bedingte Reflex auf mechanische Hautreize auch am 35.Tage noch nicht wiederhergestellt hatte. Diese Tatsachen zeigen, daß sich zuerst eine bestimmte Wirkung vom Operationsgebiet aus über den gesamten Umfang der Hemisphären ausbreitet, sich aber dann allmählich wieder in ihrem Ausgangspunkt konzentriert. Diese Wirkung muß ganz allgemein als Operationsreiz aufgefaßt werden. Wenn, wie wir schon wissen, starke Reize oder der Zusammenstoß von Nervenprozessen eine dauernde Hemmwirkung verursachen, um wieviel mehr muß sich dann nach den operativen Eingriffen, nach der mechanischen Zerstörung eines Teils der Hürnstruktur, ein solcher Einfluß geltend machen. Wenn sich die bedingten Reflexe schließlich wieder herstellen, so erreichen sie nicht nur ihren normalen Ausgangswert wieder, sondern gehen nicht selten noch über ihn hinaus, werden stärker und weniger beeinflußbar. Parallel damit tritt eine Abschwächung des Hemmungsprozesses auf. Auch dafür haben wir in unserem Versuchsmaterial wieder zahllose Beispiele. Nach teilweiser Entfernung der MuNKschen Hörsphäre bei zwei Hunden (Versuche von E L J A S S O N ) wurden s. a. 8. 270 (dt. Red.)

Allgemeine Folgen von Hirnoperationen

267

bei ihnen die bedingten Nahrungsreflexe deutlich größer, wobei sie während des ganzen Versuches ein und dieselbe Größe beibehielten, während sie vor der Operation gegen Ende eines jeden Versuches wesentlich abnahmen. Noch deutlicher trat dies an einem Hunde nach Entfernung der Okzipitallappen auf (Versuche von A.N.KUDRIN): bei diesem Hunde betrug die Größe der bedingten Reflexe während der Zeit der isolierten Wirkung des bedingten Reizes vor der Operation 1 bis 2 Tropfen, sie wuchs nach der Operation in derselben Zeit bis auf 13 Tropfen an. Bei vielen Hunden bemerkt man nach Aufhören des unbedingten Reizes eine wesentlich länger anhaltende Speichelabsonderung. I n einigen Fällen stellt man fest, daß die zum Erlöschen des bedingten Reflexes nötige Zeit länger geworden ist, daß die Bildung von Differenzierungen und von bedingten Hemmern erschwert ist und daß eine Speichelabsonderung (341) in den Zwischenzeiten zwischen den einzelnen Reizen auftritt, die vorher nicht vorhanden war. In diesem Falle erfolgt wahrscheinlich eine Enthemmung des bedingten Reflexes auf die ganze Umgebung des Versuchsraumes, wovon schon in der siebenten Vorlesung die Rede war 1 ). Es bleibt jedoch die Frage offen, ob die Abschwächung des Hemmungsprozesses als Ergebnis einer Verstärkung des Erregungsprozesses aufzufassen ist oder umgekehrt. Während des Hemmungsprozesses nach der Operation sehen wir noch eine weitere Veränderung. Es tritt eine Trägheit auf, sozusagen eine Unbeweglichkeit des Hemmungsprozesses. Wie wir oben gesehen haben, konzentriert sich der Hemmungsprozeß bei seiner Übung sowohl zeitlich als auch räumlich. I n der Nachoperationsperiode geht diese Konzentrierung sehr langsam und träge vor sich. Diese Trägheit der Hemmung zeigt sich nicht nur in dem Analysator, dessen kortikale Endigung operativ zerstört worden ist, sondern auch in anderen, nicht unmittelbar betroffenen Analysatoren (Versuche von KRASNOGORSKI). Wenn wir uns also zum Ziel setzen, nach Entfernung gewisser Teile der Großhirnhemisphären das Verschwinden der Funktion des entfernten Teiles aus der allgemeinen normalen Großhirntätigkeit sichtbar zu machen, so wird diese Aufgabe in der ersten Zeit nach der Operation dadurch erschwert, daß der operative Eingriff sich im ganzen Bereich der Großhirnrinde auswirkt .Während diese unmittelbare Nachwirkung der Operation oft nur sehr langsam und allmählich abklingt und schließlich nicht mehr zu erkennen ist, gewinnt schnell eine neue, oben schon erwähnte Erscheinung gleichfalls für die Tätigkeit beider Hemisphären an Bedeutung; dies ist die Bildung des Narbengewebes. Der Einfluß der Narbe kann in den verschiedenen Fällen sehr unterschiedlich sein. Es kommt nicht selten vor, daß diese Narbenwirkung sich bei ein und derselben Operation einmal sehr bald, stark und oft, ein anderes Mal aber erst spät, schwach und selten äußert. Der letztere Fall trat bei uns leider viel seltener ein. Das häufigste Symptom der Narbenwirkung sind Krampfanfälle, die entweder den ganzen Körper oder nur einzelne Körperteile befallen. Das Bestehen solcher Erregungszustände in den Hemisphären kann sich auch außerhalb der Krampfperiode in Änderungen s. 8. 91 (dt.

Red.)

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NEUNZEHNTE

VOBLESUNG

der normalen Tätigkeit der Hemisphären zeigen. Hierbei ist es wichtig, diejenigen Änderungen der normalen Tätigkeit der Hemisphären, in denen sich einzelne Erregungsausbrüche von unbedeutender Stärke auswirken, von denjenigen Änderungen zu unterscheiden, die ein Ergebnis der stärksten oder auch mittelstarker, aber sich oft wiederholender Erregungsausbrüche darstellen. Zunächst soll von den ersteren die Rede sein. Wenn man bei einem operierten Hunde täglich die bedingten Reflexe prüft, kann man recht genau das Auftreten der Krämpfe voraussagen. Wenn plötzlich die bedingten Reflexe ohne jeden ersichtlichen Grund anfangen schwächer zu werden und schließlich auch ganz verschwinden, so ist das ein sicheres Zeichen dafür, daß ein Krampfanfall bevorsteht. In einigen Fällen läßt sich ein noch früheres Symptom feststellen, (342) das Erlöschen der Differenzierungen, d.h. eine Störung des Hemmungsprozesses. Wenn die Krampfanfälle vorüber sind, erfolgt die Wiederherstellung der bedingten Reflexe nach sehr verschieden langer Zeit: es können Stunden oder gar Tage vergehen. Manchmal geht die Wiederherstellung der Reflexe in recht komplizierter Weise vor sich. Unmittelbar nach dem Anfall sind die bedingten Reflexe vorhanden, dann aber verschwinden sie wieder für eine recht lange Zeit. Vermutlich findet zuerst für eine gewisse Zeit eine Irradiation der entstandenen Erregung statt; dann aber beginnt sie sich zu konzentrieren, wobei eine negative Induktion eintritt. Was nun die sehr starken oder oft wiederkehrenden Erregungsausbrüche (starke Krampfanfälle) betrifft, so ist ihre Nachwirkung sehr verschiedenartig. Bei einem Hunde trat, wahrscheinlich nach solchen Anfällen, plötzlich eine völlige Taubheit ein. Ein anderer Hund, der sich vor dem Krampfanfall gegenüber Menschen, anderen Hunden und dem Futter vollkommen normal verhielt, zeigte nach dem Anfall ein ganz anderes Verhalten, er mied die Menschen, andere Tiere, ja selbst die Nahrung und lief von ihnen weg. Ein neuer Krampfanfall machte dem Leben dieses Hundes ein Ende. Ein dritter Hund wies nach häufigen, wiederholten Krampfanfällen eine Reihe ganz besonderer Symptome auf, die in einer späteren Vorlesung genauer besprochen werden sollen; hier will ich nur auf ein Symptom eingehen. Bei diesem Hunde stellten sich nach dem Anfall alle bedingten Reflexe wieder her, doch mußten sie immer als fast gleichzeitige angewendet werden. Eine etwas stärkere Verlängerung der Zeit der isolierten Wirkung des bedingten Reizes (mehr als 5 Sekunden) oder eine wiederholte Anwendung des verlängerten Reizes führte rasch zum Erlöschen der Wirkung des bedingten Reizes, wobei Schläfrigkeit und Verweigerung des Futters auftraten. Es ist klar, daß dieser Hund in einen chronischen Zustand von Erregungsschwäche verfallen war, wie er am Ende der vorigen Vorlesung am Beispiel eines anderen Hundes dargestellt wurde. Nach jeder Wiederholung der Krämpfe verstärkte sich dieser Zustand. Es ist nur ganz natürlich, sich diese Erscheinimg folgendermaßen vorzustellen: nach starken Erregungsausbrüchen befinden sich die Rindenzellen in einem Zustand der Erschöpfung, wonach sie unter der Wirkung äußerer Reize in den Zustand der Hemmung übergehen. In den vorhegenden Fällen erfaßt dieser Erschöpfungszustand als Ergebnis der allgemeinen Erregung der Hemisphären den gesamten Bereich der Großhirnrinde. Von dem partiellen

Wirkung der Narbe

269

Auftreten dieser Hemmwirkung in einzelnen Analysatoren, deren kortikale Endigungen durch die Operation zerstört worden sind, werden wir noch öfter sprechen. Der Zusammenhang dieses Zustandes mit der Schläfrigkeit und dem Schlaf ist bereits in der Vorlesung über den Schlaf erwähnt worden. (343) Manchmal zeigt sich die Wirkung der Narbe aber auch anders, sie beschränkt sich auf die Reizung anderer Analysatoren, ohne das motorische Gebiet der Großhirnhemisphären in Mitleidenschaft zu ziehen. Bei einem Hunde wurden die Frontallappen exstirpiert (Versuche von Babkin). Der Hund erholte sich nach der Operation schnell. Aber nach etwa 2 Monaten äußerte sich bei ihm eine hochgradige Überempfindlichkeit der Haut, dieser Zustand hielt 10 Tage an. Selbst bei der leisesten Berührung und bei der geringsten Bewegung winselte und heulte er, warf sich auf den Boden und krümmte sich. Offensichtlich reizte die Narbe im Hautanalysator die Region der rezeptorischen Zellen für schädigende Reize (subjektiv gesprochen: die Schmerzzellen), wenn solche Zellen als besondere Zellen überhaupt bestehen. Noch interessanter und deutlicher war der Fall eines anderen Hundes (Versuche von Jerofejewa). Bei diesem Hunde war der Hautanalysator teilweise exstirpiert worden. Anderthalb Monate nach der Operation brach ein sehr starker Krampfanfall aus; während dieses Anfalles wurde der Hund von neuem operiert. Das Narbengewebe, das weit über die Grenzen der ersten Operationsstelle hinweg* gewuchert war, wurde möglichst sorgfältig entfernt. Die Krampfanfälle wiederholten sich darauf nicht mehr. Doch traten bei diesem Hunde andere Erscheinungen auf, die sich wiederholten und jedesmal mehrere Tage anhielten: wenn die Person, die mit diesem Hunde experimentierte, oder die Nahrung ins Gesichtsfeld seines linken Auges kamen (die Operation war auf der rechten Seite ausgeführt worden), dann wandte sich der Hund rasch weg; wenn er sich frei im Zimmer umherbewegte, so lief er in einem ganz merkwürdigen Erregungszustande weg. Dabei war die Reaktion auf seinen Herrn und die Nahrung, wenn sie sich im Gesichtsfeld seines rechten Auges befanden, vollkommen normal. Manchmal, wenn der Hund im Freien war und nach der linken Seite schaute, sprang er plötzlich auf und lief irgendwohin davon. Dies alles wird leicht verständlich, wenn wir annehmen, daß Narbenreste, die im Bezirk des optischen Analysators, und zwar nur auf der einen Seite einwirkten, als innere Reize derart zu den äußeren optischen Reizen hinzukamen, daß die Gegenstände hierdurch ein ganz ungewohntes Aussehen erhielten. Das führte dann zu einer Reaktion des Hundes, als ob ein realer, aber ungewöhnlicher Gegenstand auf ihn einwirkte. Kurz gesagt, durch die Narbe kam eine Sinnestäuschung zustande. Offensichtlich hatten wir dieselbe Erscheinung auch bei dem oben erwähnten Hunde, der nach einem Krampfanfall auch vor ihm gut bekannten Menschen und vor der vorgelegten Nahrung im Zustande einer eigenartigen Erregung davonlief. (344) Man muß sich vorstellen, daß die durch die Wirkung der Narbe hervorgerufene Erregung, die in der motorischen Region bereits abgeklungen war, noch für eine gewisse Zeit im optischen Analysator bestand. Mit gutem Recht können wir annehmen, daß wir es in allen erwähnten Fällen mit sogenannten epileptischen Äquivalenten zu tun haben.

270

NEUNZEHNTE

VORLESUNG

Diese Tatsachen brachten uns auf den Gedanken, die Wirkung der Reizung an allen Analysatoren zu untersuchen. Wir lassen zu diesem Zweck an verschiedenen Stellen der Hirnoberfläche für längere Zeit Elektroden einheilen und hoffen, auf diese Weise bei Hunden mit verschiedenen bedingten Reflexen durch elektrischen Strom die Wirkung der einen oder anderen bedingten Reize zu verändern. Die Methodik dieser Versuche ist bereits ausgearbeitet. Wir beginnen gerade mit der Durchführung dieser Versuche. Man kann nur bedauern, daß uns zu der Zeit, als wir die meisten Exstirpationsversuche ausführten (in den ersten Jahren unserer Arbeit), weder die verschiedenen Typen des Nervensystems der Versuchstiere, noch die pathologischen Zustände der Hemisphären, die durch funktionelle Einwirkungen entstehen, bekannt waren. Im Besitz dieser Kenntnisse hätten wir wahrscheinlich das Tatsachenmaterial der Exstirpationsversuche noch viel umfassender und gründlicher auswerten können. Nach dieser kurzen Übersicht über die allgemeinen Polgen der Operationen am Gehirn gehe ich nun dazu über, den möglichen Nutzen darzustellen, den uns die 'Methode der bedingten Reflexe bietet, um in Exstirpationsversuchen die physiologische Bedeutung sowohl der gesamten Hemisphären, als auch größerer oder kleinerer Teile von ihnen zu bestimmen. Wie schon G O L T Z als erster, so führten auch wir bei unseren Hunden eine totale Entfernung der Großhirnhemisphären aus. Wir hatten dabei das Ziel, die Beziehungen der Großhirnhemisphären zur bedingten Reflextätigkeit des Tieres mit Hilfe der Methode der bedingten Reflexe festzustellen (Versuche von S E L J O N Y ) . Da das allgemeine Verhalten von Hunden nach totaler Exstirpation der Hemisphären wiederholt und sehr eingehend von S E L J O N Y selbst besprochen worden ist, will ich hier nur die Frage berühren, welcher Zusammenhang zwischen den bedingten Reflexen und den Großhirnhemisphären besteht. Die üblichen bedingten Reflexe fielen bei allen Hunden nach Entfernung der Großhirnhemisphären offensichtlich vollständig aus, obwohl wir die Bedingungen, unter denen sie hätten erscheinen müssen, aufs peinlichste einhielten. Das hat uns dazu bewogen, unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf einen Reflex zu lenken,, der sich nach unseren anderen Versuchen im Unterschied zu allen übrigen Reflexen als höchst beständig erwiesen hatte. (345) Ich meine den sogenannten bedingten Wasserreflex, einen Reflex, der von den rezipierenden Elementen der Mundschleimhaut ausgelöst wird. Wenn wir einem Hunde durch einen am Maul befestigten Apparat Säure ins Maul gießen, so ruft nach mehreren Wiederholungen auch das Eingießen von reinem Wasser, das gewöhnlich keine bedeutende Speichelabsonderung verursacht (höchstens 1 bis 2 Tropfen), eine reichliche Speichelabsonderung hervor. Die Reizung der rezeptorischen Elemente der Mundhöhle durch Wasser erhält also dadurch, daß sie mehrfach gleichzeitig mit der Säure einwirkte, eine bedingte Säurewirkung; diese äußert sich in einer Vermehrung der Speichelabsonderung und in einer spezifischen motorischen Reaktion.. Diesem Wasserreflex sind, wie wir später bei einer anderen Gelegenheit sehen werden, alle Eigenschaften der anderen bedingten Reflexe eigen, so daß kein

Totale Exstirpation der Hemisphären

271

Zweifel besteht, daß es sich um einen bedingten Reflex handelt. Bei einem Hunde, der länger als alle anderen die Exstirpation der Großhirnhemisphären überlebte, wurde vor der endgültigen totalen Exstirpation der bedingte Wasserreflex ausgebildet. Er erreichte eine Größe von 8 bis 10 Tropfen auf 5 cm 3 Wasser. Vom sechsten Tage nach der Operation an wurden diesem Hunde fast täglich mehrmals 5 cm 3 einer 25prozentigen Salzsäurelösung ins Maul gegossen, im ganzen mehr als 500mal. Erst nach 7 Monaten begann sich ein Reflex auf Wasser einzustellen, der allmählich stärker wurde und bis auf 13 Tropfen auf 5 cm 3 Wasser anstieg. Was war das aber? Dieser Wasserreflex war in vieler Hinsicht von dem bedingten Wasserreflex deutlich verschieden. Der wesentlichste Unterschied bestand darin, daß er nicht erlosch, wie es stets bei dem echten bedingten Wasserreflex bei normalen Hunden der Fall ist, bei denen das wiederholte Eingießen von reinem Wasser ohne Säure bald die speicheltreibende Wirkung verliert. Bei dem Hunde mit exstirpierten Hemisphären aber behielt es dauernd seine Wirkung. Sorgfältige Beobachtungen des Hundes nach dem Eingießen des Wassers haben lins den wahren Sinn dieser Erscheinung enthüllt. Nach dem Eingießen des Wassers traten bei ihm charakteristische Bewegungen auf, die gewöhnlich dann erschienen, wenn er hungrig war: der Hund ging mit gebeugtem Kopfe schnüffelnd hin und her, als ob er etwas suche. Offensichtlich rief jetzt die Berührung des Wassers mit der Mundschleimhaut bei dem Hunde einen starken unbedingten Nahrungsreflex hervor. Dies stimmt vollkommen damit überein, daß die unbedingten Reflexe des Gehirns, (346) z. B. die Speichelreflexe, nach der Exstirpation der Großhirnhemisphären stark gehemmt sind, sich später aber wiederherstellen und schließlich viel stärker werden, als sie in der Norm zu sein pflegen. Man kann also, ohne Anspruch auf eine absolute Exaktheit der Formulierung, annehmen, daß die Großhirnhemisphären das wichtigste Organ für das Zustandekommen der bedingten Reflexe sind und daß sie die Fähigkeit zur Synthese in einem so Vollkommenen Maße besitzen, wie kein anderer Teil des Zentralnervensystems . Von den einzelnen Analysatoren haben wir uns am eingehendsten mit dem akustischen Analysator beschäftigt, mit dem ich auch beginnen will. Bei 3 Hunden haben wir nach teilweiser Entfernung der Großhirnhemisphären eine vollständige Taubheit beobachtet. Bei 2 von diesen Hunden (Versuche von K U D R I N ) trat sie ein nach Entfernung der gesamten hinteren Hälfte beider Hemisphären längs einer Linie, die oben hinter dem gyrus sygmoideus beginnt, zur höchsten Stelle des gyrus sylviaticus zieht und längs der fissura fossae Sylvii verläuft. (s. Abb. 9, S.375). Die Taubheit trat sofort nach der zweiten Operation auf (die Exstirpation wurde in 2 Sitzungen vorgenommen, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite). Der eine Hund ist nach der zweiten Operation 9 Monate lang am Leben geblieben, der andere 7 Monate. Bei einem dritten Hunde (Versuche von MAKOWSKI) wurden auf beiden Seiten die gyri sylviaticus posterior, ectosylvius posterior und suprasylvius posterior entfernt, wobei auf einer Seite teilweise auch die mittleren und vorderen Abschnitte dieser Hirnwindungen mit betroffen wurden. Anderthalb Monate nach der Operation trat bei diesem Hunde plötzlich

272

NEUNZEHNTE

VORLESUNG

eine vollständige Taubheit auf. Am Tage vorher bemerkten wir eine Abschwächung des Hemmungsprozesses. Man muß annehmen, daß in der Nacht Krämpfe stattgefunden hatten. Nach dem Auftreten der Taubheit blieb dieser Hund, allem Anschein nach in ganz gesundem Zustande, noch einen Monat am Leben. Im Laufe dieses Monats wurden bei ihm neue bedingte Reflexe auf Agenzien ausgearbeitet, die zu dem mechanischen Hautanalysator, dem optischen und Geruchsanalysator Beziehung hatten. Dieser Hund ging während eines Krampfanfalles ein. Viele andere Hunde konnten nach einer gleichen Exstirpation noch auf akustische Reize reagieren, obwohl sie ebensolange, einige sogar länger nach der Operation am Leben blieben als die beschriebenen 3 Hunde. Wie ist nun dieser vollständige Ausfall der Reaktion auf akustische Reize zu erklären? Da es eine gesicherte Tatsache ist, daß ein Hund nach völliger Entfernung der Großhirnhemisphären auf akustische Reize noch deutlich reagiert, müssen wir annehmen, daß in den drei erwähnten Fällen entweder subkortikale Ganglien geschädigt worden sind oder daß sich der Hemmungsprozeß bis auf sie ausgebreitet hat. (347) Die letztere Annahme ist nicht ausgeschlossen, weil erstens bei der Untersuchung der subkortikalen Ganglien (leider nur makroskopisch) keinerlei Schädigungen an ihnen bemerkt werden konnten und weil sich zweitens bei den beiden ersten Hunden 2 Monate nach der Operation die bedingten Reflexe auf Lichtreize, die im Laufe der ersten 2 Monate ebenfalls ausgeblieben waren, plötzlich wieder in alter Stärke einstellten. Drittens schließlich wissen wir gut, wie Impulse, die von den Großhirnhemisphären ausgehen, eine Hemm Wirkung auf Reflexe tiefer gelegener Teile ausüben. Wenn wir auch beim dritten Hunde eine HemmWirkung annehmen wollen, so kann man nicht umhin zu beachten, daß sich diese Hemmwirkung isoliert im Bereiche des akustischen Analysators verbreitet und die anderen Analysatoren nicht betroffen hatte. Nach Exstirpation der Temporallappen oder der ganzen hinteren Hälfte beider Hemisphären erfolgt in der Regel die Wiederherstellung der allgemeinen Hörfunktion (Wenden des Kopfes und Aufstellen der Ohren) spätestens nach einigen Tagen, gewöhnlich aber schon nach einigen Stunden; manchmal kann die Zeit des Erlöschens überhaupt nicht festgestellt werden. Offensichtlich ist diese Reaktion als ein unbedingter Orientierungsreflex aufzufassen, der den subkortikalen Ganglien zugehört, denn bei Hunden mit exstirpierten Hemisphären bleibt sie stets vollständig erhalten. Die ganze übrige akustische Funktion muß den Großhirnhemisphären zugeschrieben werden. Diese übrige Tätigkeit des akustischen Analysators, die ausschließlich durch die Tätigkeit der Großhirnhemisphären zustande kommt, fällt sofort nach der erwähnten Operation vollständig aus, kehrt aber dann allmählich, mehr oder weniger rasch zurück, ohne jedoch ihren vollen Umfang wiederzugewinnen (s. a. Abb. 10, S. 375). Wenn nach der beiderseitigen Exstirpation der Temporallappen der Orientierungsreflex schon wieder besteht und bedingte Reflexe auf Agenzien von anderen Analysatoren schon wieder zu erscheinen beginnen, fehlen noch immer alle bedingten Reflexe auf akustische Reize. Dieser Zustand kann mehrere Tage oder viele Wochen anhalten und hängt von dem Umfang des operativen Eingriffs

Operation am akustischen Analysator

273

ab. Außerdem spielt noch die Tatsache eine gewisse Rolle, ob die Operation an beiden Hemisphären gleichzeitig oder bald nacheinander ausgeführt worden ist, denn bei einem längeren Zeitraum zwischen den beiden Operationen ist es oft überhaupt unmöglich, diese Phase der Schädigung des akustischen Analysators festzustellen. Was bedeutet nun (348) dieser Ausfall der bedingten Reflexe auf akustische Reize? Hier kann eine ganze Reihe von Annahmen gemacht werden. Man kann diesen Zustand so auslegen, daß nach der Exstirpation die zurückgebliebenen Zellen des akustischen Analysators aus irgendeinem Grunde nicht mehr zu einem Zustand der Erregung fähig sind und beim Einwirken äußerer Reize direkt in den Hemmungszustand übergehen (es ist möglich, daß diese Zellen entweder durch die Operation sehr geschwächt oder in ihrer Zahl sehr vermindert worden sind oder auch, daß wir es jetzt mit Reservezellen zu tun haben, die vor der Operation stets in einem untätigen Zustande verblieben). Eine weitere mögliche Erklärung besteht in folgendem: Es könnte sein, daß die Fähigkeit zur analysatorischen Punktion am kortikalen Ende des akustischen Analysators nach der Operation dermaßen herabgesetzt ist, daß alle auf den Hund einwirkenden Geräusche (und im gewöhnlichen Laboratorium gibt es viele Geräusche) zu ganz gleichen Reizen geworden sind und daher im allgemeinen unser unbedingter Reiz häufiger nicht mit diesen verallgemeinerten Geräuschen zusammenfällt, als mit ihnen zusammenzufallen; auf diese Weise muß natürlich die bedingte Wirkung unseres Lautes erlöschen, verschwinden. Schließlich ist es auch nicht ausgeschlossen, daß unter der Wirkung der Operation die synthetisierende Funktion im akustischen Analysator entweder stark herabgesetzt oder auch zeitweilig vollkommen verschwunden ist. Zur Prüfung der beiden ersten Annahmen haben wir spezielle Versuche angestellt (Versuche von 1.1. KRYSHANOWSKI). Zuerst wurde ein Laut in bedingte Verbindung mit einem Hemmungsprozeß gebracht, es wurde ein bedingter Hemmer ausgearbeitet. Auf den positiven bedingten Nahrungsreflex auf Kampfergeruch, der bei dem Hunde bestand, wurden jetzt zwei bedingte Hemmer ausgearbeitet: ein mechanischer Hautreiz und eine akustischer Reiz (der Stimmpfeife, 288 Schwingungen in der Sekunde). Drei Tage nach der beiderseitigen Exstirpation der Temporallappen war der positive bedingte Reflex auf Kampfergeruch wieder vorhanden. Die bedingten Hemmer aber blieben mehrere Tage lang beinahe ohne jede Wirkung; am 12. Tage jedoch hemmten sie schon ganz gut den bedingten Reflex. Ebensogut hemmten ihn aber auch alle anderen verschiedenartigen Laute, die wir nun auf ihre Wirkung hin prüften. Positive bedingte Reflexe auf akustische Reize waren zu dieser Zeit nicht vorhanden. Weder auf das Plätschern der Säure, die dem Hunde ins Maul gegossen wurde, noch auf das Knistergeräusch beim Zerbrechen von Zwiebackstückchen konnten bei diesem Hunde bedingte Reflexe gebildet werden. Gewöhnlich bilden sich diese Reflexe bei normalen Hunden sehr rasch. Die Tatsache, daß der Ton in Verbindung mit dem Kampfergeruch wirklich als bedingter Hemmer und nicht als Agens der äußeren Hemmung wirkte, wurde dadurch bewiesen, daß diese Hemmkombination nach mehrfacher Bekräftigung durch den unbedingten Reflex zerstört wurde, also ihre Hemmwirkung verlor; 18,'IV

274

NEUNZEHNTE

VORLESUNG

wenn sie aber dann nicht mehr durch Füttern begleitet wurde, erhielt sie ihre hemmende Wirkung bald wieder. (349) Als Kontrollversuch wurde in gleicher We'ise auch der mechanische Hautreiz als bedingter Hemmer zerstört und wiederhergestellt. Der Ton wirkte also tatsächlich als echter bedingter Hemmreiz. Einige Tage nach diesen Versuchen begannen auch die positiven bedingten Reflexe wieder wirksam zu werden. Bei unserem heutigen Wissen hätten wir natürlich noch ganz andere Versuchsvariationen untersucht, um unsere erste Annahme zu prüfen. Um die zweite Annahme (d.h. die vollkommene Verallgemeinerung der Schallreize) zu prüfen, bedienten wir uns eines bedingten Spurenreflexes, der auf späte Spuren gebildet wurde. Bei solchen Spurenreflexen hat der positive bedingte Reiz schon an und für sich einen recht allgemeinen Charakter. Bei einem Hunde war ein bedingter Reflex auf Spuren des mechanischen Hautreizes ausgebildet worden, wobei die Zwischenzeit vom Ende des bedingten bis zum Beginn des unbedingten Reizes 2 Minuten betrug. Die Speichelabsonderung begann gewöhnlich in der zweiten Minute der Pause. Erst 10 Tage nach der totalen Exstirpation beider Temporallappen stellte sich der bedingte Reflex auf diesen Reiz wieder ein. Am 12. Tage nach der Exstirpation ergab der Tonreiz im Verlauf von 4 Minuten insgesamt 8 Tropfen, wobei der Speichel erst in der dritten Minute nach Aufhören des Reizes zu fließen begann. Nach weiteren 5 Tagen erhielten wir nach dem gleichen Tonreiz schon 38 Tropfen in 6 Minuten, wobei die Speichelsekretion, wie gewöhnlich, in der zweiten Minute nach Aufhören des Reizes einsetzte. Erst nach weiteren 18 Tagen begannen auch die positiven bedingten Reflexe auf die auftretenden Laute zu erscheinen. Nach diesen Versuchen war natürlich eine Überprüfung unserer dritten Annahme nicht mehr notwendig. Bei den eben beschriebenen Versuchsanordnungen befand sich der akustische Analysator aller Wahrscheinlichkeit nach in zwei verschiedenen Phasen der Schädigung nach der Operation: im ersten Falle sehen wir ein früheres Stadium, im zweiten ein späteres, denn bei anderen Hunden konnten wir nach derselben Operation eine Verallgemeinerung der akustischen Reize sehen, aber mit positiver Wirkung auch bei den üblichen bedingten Reflexen (Versuche von B A B K I N ) . Hier die Ergebnisse eines dieser Versuche. Bei einem Hunde war unter anderem auch ein bedingter Nahrungsreflex auf die absteigende Reihe von 4 benachbarten Tönen und zu diesem positiven Reiz eine Differenzierung aus der aufsteigenden Reihe derselben Töne ausgearbeitet worden. Am 8. Tage nach der Entfernung der Temporallappen verlief der Versuch folgendermaßen. (350) Zeit 11 h 13' 11 h 25'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Absteigende Tonreihe Absteigende Tonreihe

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 7 6

Bemerkungen

| Bekräftigt

275

Operation am akustischen Analysator

Zeit 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11h 11 h 12 h 12 h 12 h 12 h

33' 36' 39' 42' 46' 49' 55' 58' 01' 03' 15' 25'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Leiser tiefer Ton Klirren von Glasgeschirr . Händeklatschen Pfeifen mit dem Munde . Klirren von Glasgeschirr . Absteigende Tonreihe . . . Klirren von Glasgeschirr . Desgl Kratzen am Tisch Absteigende Tonreihe . . . Desgl Klirren von Glasgeschirr ,

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 2 6 1 3 3 1 2 1 0 2 6 4

Bemerkungen

Nicht bekräftigt Bekräftigt | Nicht bekräftigt J Bekräftigt Nicht bekräftigt

Wir sehen, daß außer dem ausgearbeiteten bedingten akustischen Reiz sehr verschiedene, ganz fremdartige, zum ersten Male angewandte Geräusche eine positive Reizwirkung ausüben, wobei die Wirkung einiger dieser Reize der Wirkung des ausgearbeiteten bedingten Reizes beinahe gleichkommt. Nach mehrmaliger Anwendung dieser neuen Reize ohne Bekräftigung war auch die Wirkimg unseres bedingten Reizes bedeutend geschwächt. Nach der Bekräftigung unseres gewöhnlichen bedingten Reizes stellte sich auch die Wirkung der fremden akustischen Reize wieder her. Wir sehen also, daß der akustische Reiz als sehr verallgemeinerter bedingter Reiz wirkte. Die Analyse der verschiedenen akustischen Reize war sehr geschwächt, beinahe völlig verschwunden. Die Wiederherstellung der Fähigkeit zur Analyse erfolgte meist sehr langsam. Zuerst werden von den Tonreizen andersartige Geräusche unterschieden; doch bleibt auch dann noch die eigentliche Differenzierung der Töne voneinander lange Zeit sehr unvollkommen. So z . B . kehrte in diesen Versuchen von B A B K I N die vor der Operation aiisgearbeitete Differenzierung der Töne erst 2 Monate nach der Operation allmählich über mehrere Etappen wieder zurück. Das beschriebene Fehlen oder die Abschwächung der analysierenden Funktion des akustischen Nervenapparates ist offenbar dieselbe Erscheinung, die zum ersten Male M Ü N K unter der Bezeichnimg „psychische Taubheit" beschrieben hat. Der wesentliche Unterschied (351) im Verstehen und Deuten dieser Erscheinung vom psychologischen und vom physiologischen Standpunkt aus ist klar ersichtlich. Bei der MtrNKschen Formulierung „das Tier hört, aber versteht nicht" wird der weitere Gang der Forschung durch das Wort „versteht" gewissermaßen in eine Sackgasse getrieben. Was soll der Forscher weiter unternehmen? Wenn wir dagegen diese Erscheinung von einem rein physiologischen Standpunkt aus betrachten, so öffnet sich uns ein weites Feld für neue Untersuchungen der verschiedenen Stufen der Wiederherstellung, die die Funktion des Analysators nach seiner Schädigung durchläuft. Normalerweise werden die Töne in erster Linie nach ihren allgemeinen Eigenschaften differenziert: der Stärke des Tones, seiner Wirkungsdauer, seinem durchgehenden oder unterbrochenen Klingen 18*/IV

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NEUNZEHNTE

VORLESUNG

sowie nach dem Ausgangsort des Tones; in zweiter Linie können auch ihre rein akustischen Eigenschaften, wie Schall, Ton usw., zur Differenzierung dienen. Deshalb war zu erwarten (und in dieser Hinsicht haben wir, wie gesagt, schon positive Angaben), daß die Beobachtung des Wiederherstellungsprozesses des geschädigten akustischen Analysators dem Experimentator verschiedene Stadien seiner Funktion aufzeigen müsse. Die Untersuchung dieser verschiedenen Funktionsstufen kann uns aber die Grundlage zu einem besseren Verständnis des Mechanismus des akustischen Analysators geben. Die Störungen, die nach der Exstirpation der Temporallappen in der Tätigkeit des akustischen Analysators entstehen, sind aber durch die angeführten Beispiele bei weitem nicht erschöpft. Es bleibt noch eine höchst bedeutsame Ausfallserscheinung, die eine weitere wichtige Etappe der akustischen Analyse vor Augen führt. Schon seit langer Zeit haben viele Forscher bemerkt und immer wieder bestätigt, daß die Hunde nach dieser Operation nicht mehr auf Anruf reagieren. Dasselbe haben auch wir gesehen. Was bedeutet das? Man mußte annehmen, daß wir es hier speziell mit dem Ausfall der Analyse komplexer akustischer Reize zu tun haben. Entsprechende Versuche zur Klärung dieser Frage sind von B A B K I N angestellt worden. Hierzu wurden bei einem Hunde bedingte Reflexe auf komplexe akustische Reize gebildet, wobei mehrere Töne nacheinander angewandt wurden, diese ganze Tonfolge aber aus verschiedenen Tongruppen bestand: entweder unterschied sich die eine Tonfolge von der anderen durch die Reihenfolge der verschiedenen Töne oder aber durch die Dauer der Pausen zwischen den einzelnen Tönen. Aus der einen Tonfolge wurde ein positiver bedingter Reflex, aus der anderen ein negativer (Differenzierung) ausgearbeitet. Diese Differenzierungen von Tonkombinationen sind, wie wir schon in früheren Vorlesungen mitteilten, für den akustischen Analysator viel schwieriger herzustellen als Differenzierungen einzelner Töne. Außer diesen Differenzierungen auf Komplexreize waren bei diesem Hunde auch Differenzierungen auf Einzeltöne ausgearbeitet. Darauf wurde bei diesen Hunden die totale Exstirpation der Temporallappen ausgeführt. An allen fünf (352) Hunden, die zu dieser Untersuchung dienten, haben wir ganz gleiche Ergebnisse erhalten: nach der Operation stellte sich die Differenzierung der Einzeltöne (bis zu Ganztönen) voneinander in einem .Fall früher, in einem anderen etwas später wieder her. Dagegen war nicht die geringste Andeutung einer Wiederherstellung der komplexen Reize zu bemerken, obwohl mehrere dieser Hunde 2 bis 3 Monate, ein Hund sogar fast 3 Jahre nach der Operation, beobachtet wurden. Bei dem letzten Hunde, an dem vor diesen Versuchen K U D R I N gearbeitet hatte, waren, wie oben bereits erwähnt, die Okzipitallappen längs einer Linie entfernt worden, die unmittelbar hinter dem gyrus sygmoideus ihren Anfang nimmt und darauf bis zur höchsten Stelle des gyrus sylviaticus und weiter längs der fissura fossae Sylvii bis zur Gehirnbasis verläuft. Diese Operation wurde am 5. Mai 1909 ausgeführt. Die Untersuchungen von B A B K I N , von denen nun die Rede ist, wurden gegen Ende des Jahres 1911 vorgenommen. Bei diesem Hunde wurden jetzt Nahrungsreflexe auf eine aufsteigende Tonfolge (Töne der Stimmpfeife von 290, 325, 370 und 413 Schwin-

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Operation am akustischen Analysator

gungen in der Sekunde) und auf einen Ton des Tonvariators von M A X K O H L von 1200 Schwingungen in der Sekunde ausgearbeitet. Die bedingten Reflexe ließen sich rasch ausbilden. Darauf bildeten wir eine Differenzierung auf den Ton von 1066 Schwingungen in der Sekunde (allmählich über 600 und 900 auf 1066 Schwingungen) ; sie gelang vollkommen. Eine Differenzierung der absteigenden von der aufsteigenden Tonfolge ließ sich dagegen nicht bilden, obwohl die aufsteigende Folge 400mal und die absteigende 150mal angewandt wurde; ebensowenig reagierte der Hund im Verlauf der ganzen 3 Jahre auf Anruf. Ich gebe hier einen Versuch vom 15. März 1912 wieder.

Zeit

2h 2h 2h 2h 2h 3h 3h 3h 3h

10' 29' 44' 53' 58' 02' 07' 12' 20'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Aufsteigende Tonfolge Desgl Desgl Absteigende Tonfolge Desgl Desgl Desgl Aufsteigende Tonfolge Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 7 5 5 6 2 2 Spuren Spuren 4

Bemerkungen

Bekräftigt

Nicht bekräftigt

/

Bekräftigt

(353)

Hierher gehört, wie mir scheint, auch der folgende, später leider nicht wiederholte Versuch von ELJASSON. Bei einem Hunde war ein bedingter Nahrungsreflex auf einen Akkord aus den Tönen des Harmoniums F + c' + g " (von 85 bis 768 Schwingungen in der Sekunde) ausgearbeitet worden. Als dieser Reflex sein Wirkungsmaximum erreicht hatte, wurden die Einzeltöne des Akkordes ausprobiert. Auch sie hatten alle eine bedingte Wirkung, doch war diese schwächer als die des Akkordes. Die Wirkimg der einzelnen Töne war ungefähr gleich, die Wirkung der Zwischentöne war entsprechend schwächer. Nach der Exstirpation der Vorderteile der Temporallappen änderten sich die Verhältnisse wesentlich: g " und die ihm benachbarten Töne verloren ihre Wirkung vollkommen, obgleich der Reflex auf den Akkord schon am 5. Tage nach der Operation seine Wirkung wiedererlangte. Der tiefe Ton des Akkordes wirkte dagegen besonders stark; seine Wirkung erreichte nicht selten die des ganzen Akkordes. Was konnte nun diese unerwartete, aber ganz deutlich hervortretende Tatsache bedeuten? Das erste, woran man denken mußte, war, daß möglicherweise gerade die höheren Töne durch die Operation gelitten hatten. Doch hat sich diese Annahme als vollkommen unrichtig erwiesen. Als man nämlich den Ton g " einzeln durch den unbedingten Reiz bekräftigte, gab er bald einen gut wirkenden bedingten Reiz. Wir hatten schon weitere Variationen dieser Versuche in Angriff genommen, doch ging dieser Hund zu unserem größten Bedauern bald ein. Wie ist nun die Tatsache zu verstehen ? Es ist ganz unmöglich, alles auf die Wirkung einer unter-

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NEUNZEHNTE

VOBLESUNQ

schiedlichen Stärke der einzelnen Akkordtöne zurückzuführen, denn der hohe Ton war eher stärker als der tiefe und der mittlere Ton. Am einfachsten ist es anzunehmen, daß es im akustischen Analysator ein besonderes Gebiet (MüNKsche Hörsphäre) gibt, in dem speziell die Synthese und Analyse sowohl der aufeinanderfolgenden als auch der gleichzeitigen komplexen akustischen Reize vor sich geht. Dieses Gebiet wäre dem unbestreitbar bewiesenen sogenannten Projektionsfeld der Netzhaut, diesem besonderen Teil des optischen Analysators in der Gehirnrinde, ganz analog. Wenn wir uns die Sache in dieser Weise vorstellen, müssen wir annehmen, daß es in diesem besonderen Teil des akustischen Analysators in der Großhirnrinde rezeptorische Zellen gibt, die durch Zuleitungen mit allen peripheren Teilen des akustischen Apparates verbunden sind. Dank einer besonders günstigen Konstruktion können dabei zwischen den einzelnen Zellen die mannigfaltigsten und feinsten Verknüpfungen hergestellt, höchst komplizierte Komplexe von akustischen Reizen gebildet und ihre Analyse zustande gebracht werden. (354) Eine teilweise Zerstörung dieser Region muß zu einem Ausfall einzelner Reize aus akustischen Komplexen führen; die vollständige Exstirpation dieses Teiles muß aber die Fähigkeit zur höheren Synthese und Analyse der Reize vollständig vernichten. Da nach der Exstirpation der Temporallappen die bedingten Reflexe auf akustische Reize bestehen bleiben ( K A L I S C H E R und wir), und sogar ein elementares Differenzierungsvermögen erhalten bleibt, während sie nach der Entfernung der gesamten Großhirnrinde für immer verschwinden, muß die zwingende Schlußfolgerung gemacht werden, daß außer der speziellen Region des akustischen Analysators noch verstreute Elemente dieses Analysators in weiteren Bezirken der Rinde, j a vielleicht sogar in der ganzen Großhirnrinde vorhanden sein müssen. Diese Elemente sind ihrer Konstruktion nach zu komplizierten Verbindungen nicht fähig, in ihnen kann nur eine ganz elementare Synthese und Analyse vor sich gehen. Es ist auch durchaus möglich, daß diese Vereinfachung, diese Beschränkung der Punktionsfähigkeit des akustischen Analysators, um so größer ist, je weiter diese einzelnen verstreuten Elemente vom kortikalen Kern dieses Analysators entfernt sind. Eine solche Vorstellung vom Aufbau der kortikalen Endigung des akustischen, wie wahrscheinlich auch jedes anderen Analysators, könnte, wie mir scheint, einerseits das ganze vorhandene Tatsachenmaterial umfassen und andererseits einen neuen unübersehbaren Horizont für weitere Forschungen eröffnen. Sie stünde im vollsten Einklang mit der Tatsache, daß jeder Analysator, wie wir später sehen werden, weit über seine früher angenommenen Grenzen hinweg auch in den Bezirken anderer Analysatoren vertreten ist. Sie könnte auch das Vorhandensein besonderer Analysatorkerne verständlich machen, in denen dank der besonders dichten Lagerung der Nervenelemente des betreffenden Analysators die höchste synthetisierende und analysierende Funktion möglich wird. Diese Vorstellung könnte auch ohne Schwierigkeiten den Mechanismus der bei entsprechender Übung allmählich eintretenden Vervollkommnung der Funktion der Reste des Analysators erklären, die ja in der ersten Zeit nach der Operation am Analysatorkern sehr beschränkt ist, sowie auch eine Vorstellung von den Grenzen

Die kortikale Endigung dea Analysators

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dieser Vervollkommnung geben. Beim letzten der eben besprochenen Hunde erreichte die elementare Analyse der Töne wahrscheinlich ihre höchste Stufe, während der Ausfall der höheren Synthese und Analyse auch nach dreijähriger Übung unverändert blieb. (355) Eine derartige Vorstellung von der Verteilung der Analysatoren in den Großhirnhemisphären führt natürlich zu einer Reihe experimenteller Untersuchungen, die das Tatsachenmaterial zu ihrer Überprüfung liefern sollen. Wenn wir vom akustischen Analysator sprechen, so müssen vor den partiellen Operationen zahllose positive elementare, wie auch komplexe Reize angewandt und verschiedenartige Differenzierungen gebildet werden. Daneben aber müssen die allgemeinen Eigenschaften der elementaren Reize untersucht werden: die Erregbarkeit, die Bedingungen des Übergangs eines positiven bedingten Reizes in einen Hemmreiz, die Beweglichkeit des Hemmungsprozesses u. dgl. Das alles ist nötig, um nach der Operation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit festzustellen, was auf Rechnung einer Änderung dieser allgemeinen Eigenschaften geht und was als spezielles Ergebnis der Zerstörung gewisser Bauelemente anzusehen ist. Bei der Untersuchung der Wiederherstellung der akustischen Funktion nach der Operation müssen die oben erwähnten verschiedenen Etappen dieses Wiederherstellungsprozesses aufs sorgfältigste verfolgt werden. Selbstverständlich ist für die experimentelle Verwirklichung all dessen ein lang dauerndes und vollkommen gesundes Überleben der Hunde nach der Operation unabdingbare Voraussetzung. Leider ist das bis heute größtenteils nur ein pium desiderium1). (356)

dt.: frommer

\

Wunsch (dt.

Red.)

ZWANZIGSTE

VORLESUNG

P A T H O L O G I S C H E ZUSTÄNDE D E R

GROSSHIRNHEMISPHÄREN

ALS E R G E B N I S OPERATIVER E I N G R I F F E c) STÖRUNGEN DER TÄTIGKEIT DES OPTISCHEN ANALYSATORS; d) STÖRUNGEN DER TÄTIGKEIT DES HAUTANALYSATORS FÜR MECHANISCHE REIZE; e) STÖRUNGEN NACH ENTFERNUNG DER FRONTALLAPPEN; f) STÖRUNGEN IM HAUTANALYSATOR FÜR TEMPERATURREIZE; g) STÖRUNGEN NACH ENTFERNUNG DES GYRUS PYRIFORMIS; h) STÖRUNGEN IM MOTORISCHEN ANALYSATOR Meine Damen und Herren! Wir wollen nun zur Funktion des optischen Analysators übergehen. Obgleich die Funktion dieses Analysators von uns verhältnismäßig wenig untersucht worden ist, so läßt doch das schon in der Physiologie vorhandene Material eine sehr große Ähnlichkeit zwischen seiner Tätigkeit und der des akustischen Analysators im Falle der Exstirpation entsprechender Teile der Großhirnhemisphären erkennen. Wiederum konnte man schon aus den GoLTZschen Versuchen an Hunden mit entfernten Großhirnhemisphären schließen, daß die Orientierungsreaktion, die allgemeinste motorische Reaktion auf Licht, ebenfalls den subkortikalen Ganglien zugehört. Das war aber auch alles. Bei anderen Autoren fanden wir keine Angaben über das Bestehen anderer optischer Funktionen bei Hunden ohne Großhirnhemisphären. Bei unserem Hunde (Versuche von S E L J O N Y ) trat nicht einmal diese elementare Reaktion deutlich in Erscheinung. Wir haben also allen Grund, von der ganzen übrigen optischen Tätigkeit unseres Tieres als von einer nur den Großhirnhemisphären zugehörigen zu sprechen, ähnlich wie es im Falle der Tätigkeit des Mundanalysators und akustischen Analysators gewesen ist; für diese Analysatoren ist unsere Ansicht experimentell genügend fest untermauert. Wenn der (357) Mundanalysator, dessen analysatorische Funktion nach Entfernung der Hemisphären erhalten blieb (unser Hund mit entfernten Hemisphären wies viele anwidernde Gegenstände zurück), nicht imstande war, zeitweilige, bedingte Verbindungen zu bilden, so konnte von der Bildung bedingter Reflexe auf Lichtreize durch die subkortikalen Ganglien erst recht keine Rede sein. Wie alle früheren Untersucher des Großhirns (einschließlich M. A. MINKOWSKI), so haben auch wir gesehen (und das muß als bewiesene Tatsache anerkannt werden), daß bei bestimmten Zerstörungen der Hinterhauptslappen auf der einen Seite oder auf beiden Seiten, dementsprechend auf einem oder auf beiden Augen, ganz bestimmte Einengungen des Gesichtsfeldes bald von der Seite, bald von oben oder unten auftreten. Infolgedessen bewirken Gegenstände, die erhaltene Teile des Gesichtsfeldes treffen, bei einem solchen Tier entsprechende Reaktionen; dieselben Gegenstände üben aber keine Wirkung auf das Tier aus, wenn sie nur

Operation am optischen Analysator

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wenig verschoben werden. Aus dieser Tatsache geht zwangsläufig hervor, daß sich der Kern des Analysators, der das Zustandekommen und die Analyse komplizierter optischer Reize ermöglicht, in den Okzipitallappen befindet. Nach beidseitiger Entfernung der Okzipitallappen haben wir bei keinem unserer vielen Versuchstiere, solange sie auch nach der Operation am Leben blieben (in einem Falle 3 Jahre), jemals wieder ein Sehen von Gegenständen bemerken können. Weder Menschen, noch andere Tiere oder Futterstücke konnten von dem optischen Analysator dieser Hunde wahrgenommen werden. Wiederholt haben wir Futterstücke auf dem Fußboden verstreut liegen lassen oder an Fäden verschiedener Länge aufgehängt; keiner der Hunde ohne Okzipitallappen richtete jedoch, so hungrig er auch sein mochte, seine Bewegungen auf diese Stücke nach den von ihnen ausgehenden optischen Reizen. Diese Tiere orientierten sich ausschließlich mit Hilfe von Geruchsreizen und mechanischen Hautreizen. Schon aus der Tatsache, daß die verschiedenen Einengungen des Gesichtsfeldes durch Zerstörung verschiedener Teile der Okzipitalregionen hervorgerufen werden, geht sehr deutlich hervor, daß der Verlust des gegenständlichen Sehens ausschließlich infolge des Fehlens der höheren Synthese und Analyse der optischen Reize, nicht aber durch Akkomodations- und Adaptationsstörungen erfolgt. Unsere Hunde ohne Okzipitalregionen waren nicht imstande, verschiedene Gegenstände voneinander zu unterscheiden, (358) unabhängig davon, ob diese Gegenstände und ihre Entfernung vom Tier groß oder klein und ob die Beleuchtung des Zimmers stark oder schwach war. Wir können es also tatsächlich als erwiesen betrachten, daß sich der zentrale Teil, der Kern des optischen Analysators, das Organ der höheren Synthese und Analyse der optischen Reize, in der Okzipitalregion befindet. Doch befindet sich hier nicht der gesamte Analysator; er ist viel weiter verbreitet, vielleicht über die ganze Großhirnrinde. Schon in der glänzenden Epoche der Physiologie der Großhirnhemisphären in den siebziger Jahren haben einige Forscher die Behauptung aufgestellt, daß die Frontalregionen der Großhirnhemisphären in einer gewissen Beziehung zum Gesichtssinn stehen, doch ließ der negative Charakter ihrer Befunde diese Tatsache als ungenügend geklärt erscheinen. Man hielt es für möglich, alles auf eine hemmende Fernwirkung zurückzuführen. Wir sind aber heute imstande, positive Tatsachen dafür zu liefern, daß der optische Analysator, und zwar mit recht beträchtlichen Funktionsfähigkeiten, tatsächlich auch in den Frontallappen vertreten ist; er befindet sich in einer Region, die durch eine Linie begrenzt ist, die oben unmittelbar hinter dem gyrus sigmoideus ihren Anfang nimmt, schräg nach hinten zur vorderen Ecke des gyrus sylviaticus und von dort bis zur Gehirnbasis längs der fissura fossae Sylvii verläuft. Bei all unseren Hunden ohne Okzipitallappen (wie auch bei den Hunden von K A U S C H E R ) ließen sich leicht bedingte Reflexe auf die Beleuchtung des Zimmers bilden, wobei deutlich Differenzierungen auf sehr feine Intensitätsschwankungen der Beleuchtung auftraten. Diese Tatsache liefert eine einfache, wissenschaftlich begründete Erklärung dessen, was M Ü N K als psychische Blindheit bezeichnet hat. Nach Entfernung der Okzipitallappen konnte der hochgradig geschädigte optische Analysator nur durch diese elementare Funktion, die

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ZWANZIGSTE

VORLESUNG

Reaktion auf Schwankungen der Lichtintensität, bedingte Verbindungen eingehen. Infolgedessen war der Hund imstande, im beleuchteten Raum beschatteten Gegenständen auszuweichen und durch die offene Tür als eine hellere Stelle aus dem Zimmer zu gehen. Wenn man also psychologische Begriffe anwenden wollte, so wäre es richtiger, davon zu sprechen, daß der Hund zwar begreifen konnte, sein Sehvermögen aber sehr ungenügend war. Eine solche Formulierung ist jedoch ganz überflüssig. Es ist ja vollkommen klar, daß das Wesen dieser Erscheinung in einer Beschränkung der Analysatorenfunktion zu suchen ist. Weitere Untersuchungen dieser Erscheinungen haben die wissenschaftliche Fruchtbarkeit eines solchen rein (359) objektiven Standpunktes bestätigt. Bei einem unserer Hunde, bei dem nur die Vorderlappen der Großhirnhemisphären in den oben bezeichneten Grenzen erhalten waren, konnte man einen bedingten Reflex auch auf eine höhere Funktion des Lichtanalysators bilden. Dies war der gleiche, schon erwähnte Hund, der die Gehirnoperation 3 Jahre überlebt hat und den ich am Ende der vorigen Vorlesung als Beispiel eines ständigen Ausfalls der Analyse komplexer akustischer Reize erwähnte. Ich will alle an diesem Hunde mit optischen Reizen ausgeführten Versuche ausführlich besprechen (Versuche von K U D R I N ) . Die beiderseitige Operation wurde bei ihm mit einem Intervall von einem Monat ausgeführt. Die zweite Operation fand am 5. Mai 1909 statt. Der vor der Operation gebildete Nahrungsreflex auf das Aufleuchten einer Lampe von 100 Kerzen im verdunkelten Versuchsraum war am 5. Tage nach der zweiten Operation vollkommen wiederhergestellt und am 11. Tage sogar etwas stärker als vor der Operation. Darauf wandten wir diesen Reiz längere Zeit nicht an, die Untersuchung wurde mit akustischen Reizen weitergeführt. Am 7. September desselben Jahres begannen wir, einen Nahrungsreflex auf die Bewegung einer sonst stillstehenden beleuchteten Kreuzfigur, die im verdunkelten Zimmer auf einen Schirm projiziert wurde, auszuarbeiten. Der Reflex bildete sich natürlich rasch und war schon nach einer Woche recht beträchtlich. Vom 28. September an ließen wir die projizierte Kreuzfigur unbeweglich. Der Speichelreflex blieb erhalten, er wurde nur etwas geringer. Nim versuchten wir, die Differenzierung der Figur des Kreuzes von der einer Kreisfläche von derselben Größe und Lichtstärke zu bilden, d.h., das Erscheinen des Kreuzes wurde durch den unbedingten Reiz bekräftigt, das Erscheinen der Kreisfigur nicht. Bei der 7. Anwendung der Kreisfläche konnte man eine Differenzierung feststellen, doch wurden die weiteren Versuche auf 6 Monate unterbrochen. Der Reflex auf die Kreuzfigur blieb erhalten. Die Differenzierung bildete sich rasch wieder und war in kurzer Zeit vollständig. Hier gebe ich das Endergebnis dieser Experimente. Versuch vom 1. April Zeit 11 h 40' 11 h 50' 12 h 00'

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Kreuzfigur Kreisfigur Kreuzfigur

1910

Speichelsekretion (in Tropfen)

Bemerkungen

in 30 Sek. 8 in 60 Sek. 6 in 30 Sek. 6

Bekräftigt Nicht bekräftigt Bekräftigt (360)

Operation am optischen Analysator

283

Versuch vom 5. April 1910 Zeit 11 h 35' 11 h 45' 11 h 50'

Bedingter Keiz für 30 Sekunden Kreuzfigur Kreisfigur Kreuzfigur

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sek. 6 in 60 Sek. 1 in 30 Sek. 3

Bemerkungen Bekräftigt Nicht bekräftigt Bekräftigt

Die Sektion des Hundes, die 3 Jahre nach der Operation stattfand, hat die Vollständigkeit der Exstirpation bestätigt; von der hinteren Hälfte der Großhirnhemisphären war nichts mehr vorhanden. Die Tatsache, daß bei diesem Hunde der in den Frontallappen verbliebene Teil des optischen Analysators die Fähigkeit hatte, neue bedingte Reize nicht nur •aus Schwankungen der Beleuchtungsintensität, sondern auch aus verschiedenen Formen von Hell- und Dunkelfeldern zu bilden, kann keinem Zweifel unterliegen. Trotzdem haben wir bei diesem Hunde während seines ganzen Lebens, wie bei allen anderen Hunden mit exstirpierten Okzipitallappen, niemals die Bildimg bedingter Reflexe auf einzelne Gegenstände beobachten können. Wenn wir nun zioch berücksichtigen, daß bei diesem Hunde die zum erstenmal vier Monate nach der Operation versuchte Bildung von bedingten Reflexen auf verschiedene Figuren gelang und wahrscheinlich auch schon früher möglich gewesen wäre, daß aber das Sehen von Gegenständen auch noch nach 2Va Jahren nicht wiedergekehrt war, so müssen wir daraus schließen, daß sich der optische Analysator 3 Jahre nach der Operation auf jeden Fall in einem endgültigen, unveränderlichen Zustand befand. Bei aufmerksamer Beobachtung dieses Falles könnte man noch folgende Frage stellen: Wie kommt es, daß bei unserem Hunde das Unterscheiden von Figuren im Gestell möglich war, während er in Freiheit die Formen verschiedener Gegenstände nicht unterscheiden konnte? Hierzu muß gesagt werden, daß doch ein großer Unterschied besteht, ob das Tier während des Versuches im Gestell steht, oder ob es sich frei bewegt, wobei eine große Menge von Gegenständen sehr verschiedener Form vorhanden sind, die außerdem noch ihre Form für das Auge •des Tieres durch die Bewegungen einiger Gegenstände und durch die Bewegungen •des Tieres selbst relativ zu allen Gegenständen fortwährend ändern. Außerdem bleibt die Schärfe der Umrisse infolge von Beleuchtungsschwankungen oder bei Platzänderungen einiger Objekte und des Tieres selbst nicht immer die gleiche. I m Gestell während des Experimentes ist alles, was das Tier umgibt, im Vergleich zu den üblichen Umweltbedingungen sehr vereinfacht. Wahrscheinlich wäre eine sehr (361) allmähliche und lang anhaltende Übung notwendig, damit die übriggebliebene Fähigkeit, Formen zu unterscheiden, schließlich wieder einen praktischen Wert für das Leben des Tieres erhalten könnte. Auf Grund dessen sieht man, daß die Hauptetappen der postoperativen Funktionsstörungen im optischen und akustischen Analysator bis zu einem gewissen Grad einander entsprechen. Eine minimale Funktionsstörung ist im optischen Analysator die Einengung des normalen Gesichtsfeldes, im akustischen Analysator, wenn wir unserem einzigen Versuch trauen wollen, der Ausfall

284

ZWANZIGSTE

VOBLESUNG

einzelner Töne aus Tonkomplexen. Eine stärkere Funktionsstörung ist im optischen Analysator die Unmöglichkeit, Gegenstände voneinander zu unterscheiden, d. h. das Unvermögen, größere Komplexe, die aus Form, Licht und Farbe zusammengesetzt sind, auseinanderzuhalten; anders gesagt, haben wir es hier mit einem Verlust der höheren Synthese und Analyse der optischen Reize zu tun. Als eine ganz analoge Störung kann man im akustischen Analysator den Zustand betrachten, wenn Komplexe aus verschiedenen Tönen, z. B. Worte, nicht voneinander unterschieden werden können, also wiederum den Verlust der höheren Synthese und Analyse von akustischen Reizen. Abgesehen von der vollständigen Zerstörung, findet die maximale Schädigung beider Analysatoren ihren Ausdruck darin, daß der Hund nur die Fähigkeit behält, verschiedene Intensitäten optischer wie akustischer Reize voneinander zu unterscheiden. Zwischen diesen äußersten Stufen von Funktionsstörungen stehen die Fälle, bei denen im optischen Analysator außer Lichtreizen verschiedener Intensität auch noch verschiedene Gruppierungen leuchtender Punkte und im akustischen Analysator verschiedenartiger Laute (Schall, Lärm, verschiedene Töne) voneinander unterschieden werden können. Es stand jetzt vor uns folgende Frage: ob nicht auch die Anordnung des Analysators für mechanische Hautreize in der Großhirnrinde derjenigen des optischen und akustischen Analysators analog ist, d.h., ob es nicht auch bei diesem Analysator neben seinem speziellen, zur höchsten Funktion fähigen Gebiet noch weit verstreute rezeptorische Elemente mit beschränkter Leistungsfähigkeit gibt. Obwohl wir diese Frage bis heute noch nicht endgültig beantworten können, sind wir doch auf Grund unseres Materials zu einer Entscheidung im positiven Sinne geneigt. Hier will ich Ihnen nur einen Einblick in das von uns zusammengetragene alte und neue Tatsachenmaterial geben, (362) das außer den Hinweisen, die es zur Beantwortung der eben gestellten Frage gibt, auch an und für sich von Interesse ist. Schon vor langer Zeit (Versuche von T I C H O MIROW) haben wir gesehen, daß die Entfernung der Vorderlappen der Großhirnhemisphären zum Verschwinden der bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize führt, während Reflexe auf Reizung anderer Analysatoren erhalten bleiben. Die Versuche späterer Jahre (KRASNOGORSKI) haben zur Genüge sichergestellt, daß die motorische Region von der des Hautanalysators für mechanische Reize in ihrer Hauptregion mehr oder weniger abgegrenzt ist und d a ß einzelnen Gebieten der Haut bestimmte Stellen dieser Region entsprechen. Ich gebe ein Beispiel. Unser Hund hatte außer bedingten Reflexen auf Agenzien aus anderen Analysatoren einen über die gesamte Körperoberfläche generalisierten bedingten Säurereflex auf mechanische Hautreizung. Nun wurden bei diesem Hunde die gyri coronarius und ectosylvius der linken Seite exstirpiert (s. Abb. 11, S.376). Schon am vierten Tage nach der Operation konnten die Reflexe der anderen Analysatoren wieder ausgelöst werden, dagegen erschien der bedingte Reflex auf mechanische Hautreizung erst am achten Tage nach der Operation wieder, und zwar nur auf der linken Seite. Er erreichte rasch seinen Normalwert. Vom zehnten Tage an bestand er auch auf der rechten Körperseite, doch nur in der Mitte des

Operation am Analysator für mechanische Hautreize

285

Rumpfes. An den vorderen und hinteren Extremitäten blieb er ebenso wie am Schulter- und Beckengürtel ganz aus, wobei die Gebiete mit erhaltenen und erloschenen Reflexen sehr scharf voneinander abgegrenzt waren. Das Fehlen dieser Reflexe hielt bis zum 90. Tage nach der Operation an; danach stellten sie sich allmählich in der Richtung von oben nach unten wieder her. Die topographische Ausarbeitung dieses Analysators stimmt in diesen Versuchen mit den von M Ü N K festgestellten Grenzen recht gut überein, doch waren diese Versuche noch in anderer Hinsicht von großem Interesse. Wir konnten nämlich in diesen Versuchen zeigen, daß bedingte Reize, die an den oben erwähnten Hautstellen ihre positive Reizwirkung verloren hatten, eine deutliche Hemmwirkung entwickelten (genaueres hierüber wurde schon in der Vorlesung über den Schlaf mitgeteilt). Dies äußerte sich dadurch, daß die scheinbar unwirksame Reizung dieser Stellen bei Kombination mit einer Reizung anderer Hautteile eine positive Wirkung gab und daß sich bei Kombination mit positiv wirkenden Reizen aus anderen Analysatoren deren positive Wirkung Verminderte oder ganz unterdrückt wurde. Außerdem rief eine mehrmals aufeinanderfolgende Reizung dieser Hautstellen, besonders wenn sie etwas länger dauerte, (363) bei Hunden, die vorher im Gestell niemals schläfrig waren, schnell einen Zustand von Schläfrigkeit oder gar tiefen Schlaf hervor. Der Schlaf trat nur bei diesen Reizen auf. Ohne ihre Anwendung blieb das Tier in der gleichen Umgebung stets vollkommen munter. In jüngster Zeit sind diese Versuche mit demselben Ergebnis von R A S E N K O W wiederholt worden. Solange bei seinem Hunde die durch die Hirnoperation betroffenen Hautstellen nicht gereizt wurden (die Zerstörung betraf dieselben Hirnwindungen wie in den Versuchen von KRASNOGORSKI, doch war sie geringer), blieben die Reflexe auf Reize anderer Analysatoren vollkommen erhalten. Reizte man aber nur einmal eine solche geschädigte Hautstelle, so wurde der Hund für die ganze übrige Zeit des Versuches schläfrig, und alle anderen bedingten Reflexe verloren ihre Wirkimg. Nun schien es uns interessant zu untersuchen, ob sich nicht auch in diesen unwirksamen Reizen auf irgendeine Weise das Element einer positiven Wirkung würde zeigen lassen. Diese Versuche (ebenfalls von R A S E N K O W ) sind nicht ohne Erfolg geblieben. Bis zu dieser Zeit hatten wir den bedingten Reiz allein, d.h., bis zum Hinzufügen des unbedingten Reizes, immer volle 30 Sekunden angewandt. Nun gingen wir zu einer neuen Versuchsvariation über und ließen den isolierten Reiz der unwirksamen Hautstelle zu Beginn des Versuches immer nur 5 Sekunden lang andauern; erst gegen Ende des Versuches gaben wir ihm seine übliche volle Wirkungsdauer von 30 Sekunden. Unter diesen Bedingungen konnten wir eine positive Wirkung dieser sonst unwirksamen Hautreize beobachten. Die Wirkung trat rasch ein, war jedoch gering. Und was das wichtigste hierbei ist, sie erlosch schon während der Zeit der Reizung, während doch in der Regel andere Reize gegen Ende der isolierten Reizung an Wirkung zunehmen. Betrachten wir einen diesbezüglichen Versuch. Bei einem Hunde waren das Ticken des Metronoms, Pfeifen, Aufleuchten einer elektrischen Lampe und ein mechanischer Hautreiz positive bedingte Reize. Im nachstehenden Versuch wurde eine nach der Operation unwirksam gewordene

286

ZWANZIGSTE

VORLESUNG

Hautstelle an der Vorderpfote gereizt. Die Speichelabsonderung wurde in Teilstrichen eines Röhrchens aufgezeichnet; 5 Teilstriche entsprechen einem Tropfen. Die Speichelabsonderung war bei diesem Hunde niemals sehr stark. Krämpfe sind bei diesem Hunde nach der Operation nicht beobachtet worden. Zeit 9h 9h 9h 9h 9h 9h 10 h 10 h

12' 19' 27' 36' 46' 53' 02' 11'

Bedingter Reiz Metronom Mechanischer Hautreiz Aufleuchten der Lampe Mechanischer Hautreiz Pfeifen Mechanischer Hautreiz Metronom Mechanischer Hautreiz

Dauer der Reizung in Sekunden 30 5 30 5 30 5 30 30

Speichelsekretion (in Tropfen) in je 10 Sekunden 6

4

1

6 (364) 3

4

5

3 2

5 O

0 —

2 —

0 3

Das gleiche, d.h. eine wenn auch nur geringe positive Wirkung, konnte bei Reizung unwirksam gewordener Hautstellen auch mit Hilfe einiger anderer Maßnahmen erzielt werden: durch Anwendung der positiven Induktion, durch Enthemmung und durch Koffeininjektionen. Offensichtlich haben wir hier die schon früher in anderem Zusammenhang erwähnte Erscheinung der maximalen Erregungsschwäche vor uns. In all unseren Versuchen mit Einschluß der laufenden (Versuche von F E D O R O W ) konnten wir beobachten, daß unwirksam gewordene Hautstellen im Laufe der Zeit früher oder später ihre normale Funktionstätigkeit wiedererlangen, wie das schon früher von mehreren Autoren festgestellt worden war. Vor uns stand nun die bereits von andern Forschern gestellte Frage, auf welche Weise, auf wessen Kosten diese Wiederherstellung zustande kommt. Natürlich mußte man dabei vor allem an direkte, ungekreuzte Nervenbahnen denken, die die entsprechenden Hautteile mit den gleichseitigen Hemisphären verbinden. Zwecks entsprechender Untersuchungen wurden bei Hunden nach totaler Entfernung der einen Hemisphäre die bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize der entgegengesetzten Körperhälfte untersucht, solange die Tiere am Leben blieben. (Einige dieser Tiere sind frei von Krampfanfällen über ein Jahr am Leben geblieben.) In der letzten Zeit sind Versuche dieser Art an 4 Hunden durchgeführt worden. Der größere Teil dieser Versuche wurde mit bedingten Nahrungsreflexen, ein geringerer mit Abwehrreflexen auf Säure und auf schwachen elektrischen Strom ausgeführt, der an der Haut der der Operation entgegengesetzten Körperseite angelegt wurde (Versuche von F U R S I K O W und BYKOW). Die Ergebnisse all dieser Versuche waren negativ, obwohl wir die Versuche auf verschiedene Art variierten. Zur Erhöhung der Erregbarkeit wurden Strychnin und Koffein injiziert (in Versuchen von. FURSIKOW), und es wurde auch auf verschiedene Weise die mögliche Hemmwirkung der Hautreize an der geschädigten Körperseite geprüft (in Versuchen von B Y K O W ) . Die letztere Maßnahme, die sich, wie wir oben gesehen haben, (365) bei den

Operation am Analysator für mechanische Hautreize

28T

Versuchen mit teilweiser Exstirpation am Hautanalysator bewährt hat, haben wir oft angewandt. Doch haben wir bei Hunden nach totaler Exstirpation der einen Hemisphäre eine solche Hemmwirkung weder bei positiven Reizen anderer Analysatoren, noch bei mechanischer Reizung von Hautstellen der gesunden Seite beobachten können, einerlei, ob wir die Reizung der geschädigten Hautstellen, derjenigen der normalen vorangehen oder beide Reize gleichzeitig wirken ließen.. Ebensowenig haben wir in diesen Fällen das Auftreten von Schläfrigkeit oderSchlaf bei Reizung der Haut auf der geschädigten Seite gesehen. Natürlich, konnten die Reizungen dieser Stellen erst recht nicht zu positiven Reizen umgearbeitet werden, auch nicht durch die Maßnahme, durch die, wie eben erwähnt, eine Aktivierung unwirksamer mechanischer Hautreize nach teilweiser Schädigungdes Hautanalysators erreicht wurde. Es folgt hieraus, daß die Reizungen dieser Hautstellen für die gesamte bedingte Reflextätigkeit als völlig indifferent anzusehen sind; mit anderen Worten, diese letzten Versuche haben ergeben, daß es im tierischen Organismus keine ungekreuzten Nervenbahnen gibt, die die Haut der einen Körperhälfte mit der gleichseitigen Hemisphäre verbinden. Als wir nun auf diese Weise die Beteiligung direkter, ungekreuzter Nervenbahnen bei der Wiederherstellung zeitweilig erloschener Reflexe ausgeschlossen hatten, blieb noch die Möglichkeit bestehen, daß die Punktion der durch die Operation entfernten Teile durch Teile übriggebliebener Rindensubstanz derselben Hemisphäre ersetzt würde, wie das schon andere Forscher angenommen und überprüft haben. Das hat uns bewogen, bei der Operation an einem Vorderlappen möglichst viele Windungen zu entfernen. Auch in diesem Falle stellten sich die anfangs lange erloschenen bedingten Reflexe auf mechanische Hautreizung allmählich wieder her. Aber auch jetzt konnte man noch an Gebietedenken, die unmittelbar neben der ersten Operationsstelle lagen. Indessen hatte eine zusätzliche Zerstörung dieser Teile auf den Wiederherstellungsprozeß gar keine Wirkung (Versuche von JURMANN). Folglich war die Wiederherstellung der Funktion auf die Tätigkeit weiter entfernt gelegener Nervenelemente zurückzuführen. Bei einer solchen Sachlage rückte für uns die Frage in den Vordergrund,, ob überhaupt unsere Methode der mechanischen Hautreizung einwandfrei und nicht möglicherweise durch akustische Komponenten kompliziert sei. Es wurdeein Apparat zur mechanischen Hautreizimg konstruiert, der, wenigstens für unser Gehör, vollkommen geräuschlos arbeitete. Dies bedurfte einer objektiven Kontrolle. Deshalb wurde zwischen den Apparat und die Haut des Versuchstieres eine Platte gelegt, die jede mechanische Reizung der Haut durch den Apparat ausschloß, ohne die akustische (366) Komponente des Apparates während seiner Tätigkeit zu verändern. Bei der Anwendung des Apparates traten keine Reflexe auf. Hieraus können wir schließen, daß der Apparat auch unter den üblichen Umständen die Reflexe tatsächlich durch eine Wirkung auf die Haut und nicht durch eine Wirkung auf das Ohr des Hundes auslöst. Weiter mußten wir in Analogie zu dem optischen und akustischen Analysator annehmen, daß die nach der ersten Operation übriggebliebenen Teile des Hautanalysators im Vergleich zur Funktion der anfangs exstirpierten Teile nur über eine begrenzte Funktions-

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ZWANZIGSTE

VORLESUNG

fähigkeit verfügen. Wir haben damit gerechnet, daß es uns gelingen könnte, dies mit Hilfe von Komplexen mechanischer Hautreize nachzuprüfen und haben daher folgende Versuchsanordnung ausgearbeitet. Vor der Operation wird bei dem Hunde eine Differenzierung auf die Richtung, in der sich ein mechanischer Hautreiz bewegt, ausgearbeitet. Diese Differenzierung soll dann nach der Operation an Hautstellen, die ihre bedingte Reflexwirkung zeitweilig verloren haben, geprüft werden. Diese Versuche sind bereits im Gange. Doch wiederholen wir gleichzeitig auch alle Versuche, die den Wiederherstellungsprozeß der bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize nach der Exstirpation betreffen, da die Ergebnisse dieser Versuche mit den Angaben einer unserer früheren Arbeiten nicht übereinstimmen. Außer diesem Material über die Tätigkeit des Hautanalysators für mechanische Reize verfügen wir noch über Versuche zur Frage nach der Verbindung dieser Analysatoren auf beiden Körperhälften untereinander. Wie bereits erwähnt, trat in den Versuchen vieler Mitarbeiter unseres Laboratoriums (KRASNOGORSKI, A N R E P U. a.) die Tatsache hervor, daß die bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize, die an verschiedenen Hautstellen der einen Körperseite ausgearbeitet worden waren, sich plötzlich erstaunlich genau ohne jede vorausgehende Ausarbeitung auch an den symmetrischen Hautstellen der anderen Körperseite auslösen ließen. Dies betrifft in gleicher Weise die positiven wie auch die negativen bedingten Reflexe. Auf Grund dieser Tatsache mußte man erwarten, daß die Differenzierung symmetrischer Hautstellen der beiden Körperhälften ein mehr oder weniger schwieriger Prozeß sein müsse. Diese Annahme hat sich tatsächlich bestätigt (Versuche von B Y K O W , PODKOPAJEW und GRIGOROWITSCH). Wie entsteht diese unerwartete Erscheinung ? Es war ganz natürlich, an Kommissuren 1 ) zwischen den beiden Großhirnhemisphären zu denken. Und es hat sich tatsächlich erwiesen, daß die Durchschneidung des corpus callosum diese Erscheinung beseitigt. Nach Durchschneidung des corpus callosum wurden die bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize an beiden Seiten ganz unabhängig voneinander (Versuche von BYKOW). In diesen Versuchen wurden bedingte Reflexe auf mechanische Hautreizung auf der Grundlage folgender unbedingter Reflexe angewandt: Nahrungsreflex, (367) Abwehrreflex auf das Eingießen von Säure ins Maul und Abwehrreflex auf das Anlegen von schwachem elektrischem Strom. Der Strom war nur gerade so stark, daß er genügte, bei dem Tier ein Zurückziehen der Pfote und einen allgemeinen Orientierungsreflex auszulösen, er zog keinerlei heftige Abwehrreaktionen, wie das Bestreben, sich vom Reizapparat zu befreien, Bellen u. dgl., nach sich. Die Versuchsanordnung dieser Experimente war sehr verschieden, doch blieben die Ergebnisse stets dieselben: die ausgearbeiteten bedingten Reflexe blieben immer nur auf die eine Seite beschränkt. Auf der anderen Seite mußten sie gesondert ausgearbeitet werden. Ohne jede Schwierigkeit ließen sich jetzt an symmetrischen Hautstellen der beiden Körperhälften entgegengesetzte Reflexe bilden. Verbindungen

(dt.

Red.)

Differenzierung an symmetrischen Hautetellen

289

Hierfür ein Beispiel. Bei einem Hunde bestanden mehrere bedingte Nahrungsreflexe. Auf der rechten Seite bei Reizung des Schenkels ein positiver Reflex, bei Reizung der Schultergegend ein negativer Reflex, links umgekehrt.

Zeit 4h 4h 4h 4h 5h

25' 37' 46' 58' 12'

-r, , _ . Bedingter Reiz für 30 Sekunden Am rechten Schenkel An der rechten Schulter An der linken Schulter Am linken Schenkel Am rechten Schenkel

Speichelsekretion (in Tropfen) • 30 ®n aSekunden i J in 4 0 4,5 0 3

Alle vier Reflexe mußten einzeln ausgearbeitet werden. Alle indifferenten Hautreize der einen Körperhälfte (Temperatur von + 5 0 ° C, schwacher elektrischer Strom) riefen einen Orientierungsreflex hervor und hemmten dadurch die bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize, aber nur auf derselben Körperhälfte; sie blieben dagegen ohne Hemmwirkung auf die gleichen Reflexe auf der anderen Körperseite. Diese Versuche sind an drei Hunden ausgeführt worden. Im Zusammenhang mit diesen Versuchen über den Hautanalysator will ich noch an die Versuche von B A B K I N erinnern, in denen nur die Frontallajp'pen entfernt wurden. Die Stimlappen wurden an beiden Hemisphären längs dem sulcus praecruciatus und dem sulcus praesylvius bis zur Hirnbasis entfernt, wobei also die lobi olfactorii mitzerstört wurden. Es kam dabei aber vor, daß durch das Messer des Chirurgen auch noch weiter nach hinten gelegene Hirnwindungen mitverletzt wurden; in vielen anderen Fällen erfolgte diese weitere Zerstörung der Gehirnsubstanz, wie man bei der Sektion sehen konnte, durch postoperative pathologische Prozesse. Diese Versuche wurden (368) an vier Hunden durchgeführt. Die bedingten Reflexe auf akustische und optische Reize stellten sich in allen Fällen mehr oder weniger rasch wieder her und ließen sich auch von neuem ausarbeiten. Bedeutende Funktionsausfälle konnten nur im Hautanalysator und im Bewegungsanalysator festgestellt werden. In den meisten Fällen ließen sich (die Tiere blieben 1 bis 6 Monate am Leben und starben an Krampfanfällen) keine positiven bedingten Reflexe auf mechanische Hautreize bilden, besonders dann nicht, wenn sie von der Haut des Rumpfes ausgearbeitet werden sollten. Von der Haut der Extremitäten konnten in einigen Fällen bedingte Reflexe gebildet werden. Dagegen ließen sich negative Reflexe nach Art der bedingten Hemmer von sämtlichen Hautstellen aus ausarbeiten. Fast in allen Fällen fiel dabei eine Überempfindlichkeit der Hautoberfläche auf, so daß manche Hunde die Halteriemen, die ihnen im Gestell um die Beine gelegt werden, nicht vertrugen und nur dann ruhig im Gestell standen, wenn sie von den Riemen befreit wurden. Gleichzeitig traten auch zeitweilige Bewegungsstörungen auf, die sich in Änderungen der Körperhaltung des Versuchstieres im Gestell (Hängenlassen des Kopfes, Katzenbuckel) und in paretischen Erscheinungen der Extremitäten äußerten, die 19/IV

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ZWANZIGSTE

VOBLES1TNG

von Zuckungen begleitet waren. Besonders auffallend waren aber die starken motorischen Störungen bei Bewegungen des Maules. Kurz nach der Operation konnten die Hunde die Nahrung, besonders feste Stücke, kaum fassen, so daß sie aus der Hand gefüttert werden mußten. Doch zeigte das Gesamtverhalten der Versuchstiere, wenn wir von den erwähnten Einzelheiten absehen, keine auffallenden Abweichungen von der Norm. Aus einigen Versuchen mit bedingten Reflexen auf Agenzien, die auf den Hautanalysator für thermische Reize wirken, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß sich die kortikalen Felder dieses Analysators und die des Analysators für mechanische Hautreize im Großhirn nicht Vollständig decken. Bei der Exstirpation des gyrus praecruciatus (Versuche von SCHISCHLO) stellte sich der bedingte Reflex auf mechanische Hautreizung an den hinteren Extremitäten rasch wieder her (im Laufe einer Woche), während der Reflex auf Temperaturreize (Kälte und Wärme von +47,5° C) erst nach 4 Wochen wiedererschien, also in seiner Wiederherstellung deutlich zurückblieb. Wir rechneten darauf, durch die Methode der bedingten Reflexe nähere Angaben über die Beziehung des gyrus pyriformis zum Geruchsanalysator zu erhalten, auf die ja schon manche Forscher hingewiesen hatten (Versuche von SAWADSKI). Zu diesem Zweck wurden bei einigen Hunden mehrere motorische und sekretorische unbedingte (369) und bedingte Reflexe hergestellt. Bei den bedingten Reflexen handelte es sich sowohl um natürliche als auch um künstliche bedingte Reflexe. Nach beiderseitiger totaler Entfernung des gyrus pyriformis und der anliegenden Teile des Ammonhorns erschienen die Geruchsreflexe als erste wieder. Bewegungen der Nasenflügel auf Gerüche konnten schon am 2. und 3. Tage nach der Operation beobachtet werden. Am 3. und 4. Tage war der Hund imstande, Fleisch- und Wurststücke, die in Papier eingewickelt waren, unfehlbar von leerem Papier zu unterscheiden, wobei er sich nur nach dem Geruch orientierte. Vom 6. Tage an trat der Speichelreflex auf den Geruch des Fleischpulvers wieder auf. Der künstliche Nahrungsreflex auf Kampfergeruch trat am 14. Tage nach der Operation deutlich wieder auf, viel früher als alle übrigen künstlichen bedingten Reflexe auf Haut-, akustische und optische Reize. Dabei muß bemerkt werden, daß die künstlichen Geruchsreflexe bei der ersten Prüfung wieder erschienen, d.h., daß sich keine neuen Reflexe gebildet, sondern die alten Reflexe wiederhergestellt hatten (s. a. Abb. 12, S. 376). Schließlich stand vor uns noch die Frage nach der Beschaffenheit der sogenannten motorischen Region der Großhirnhemisphären. Wie verhält es sich damit ? Handelt es sich bei ihr ebenso um einen Analysator für die Reize, die aus dem gesamten Bewegungsapparat des Organismus bei seiner komplizierten und feinen Arbeit kommen, wie wir dies bei den anderen Hirnregionen gesehen haben, die Analysatoren für die aus der Außenwelt auf den Organismus einwirkenden Reize darstellen, oder ist die motorische Region eine von allen anderen Hirnregionen prinzipiell verschiedene effektorische Region; mit anderen Worten, entspricht sie in ihrer physiologischen Funktion der hinteren oder der vorderen Hälfte des Rückenmarks ? Bekanntlich ist diese Frage fast ebenso alt wie die

Die motorische Begion der Großhirnhemisphären

291

Entdeckung der motorischen Region, und bis heute gibt es nicht wenige Forscher, die sie im ersten eben erwähnten Sinne beantworten. Wir hofften, mit der Methode der bedingten Reflexe neues Material zur Lösung dieser Frage bringen zu können. Aus einem bestimmten Bewegungsakt machten wir einen bedingten Reiz und versuchten, die Lage der diesem Bewegungsreiz entsprechenden Rindenbezirke experimentell festzustellen. Da diese Versuche (von KRASNOGORSKI) für die Frage der allgemeinen Struktur der Großhirnhemisphären sehr wichtig sind, und da sie ferner im Vergleich zu allen übrigen Versuchen mit bedingten Reflexen eine viel kompliziertere Versuchsanordnung erforderten, halte ich es für nötig, sie hier möglichst ausführlich darzustellen und durch Versuchsprotokolle zu erläutern. (370) Bedingte Nahrungsreflexe wurden aus der Beugebewegung des Sprunggelenks und der Metatarso-phalangeal-Gelenke ausgearbeitet. Die Beugung erfolgte folgendermaßen. Die Hüfte und das Knie eines der Hinterbeine wurden mit Hilfe einer abnehmbaren Gipsschiene fixiert, die mit einem an das Gestell angeschraubten Metallhalter befestigt wurde. Die Bewegung wurde dann im Sprunggelenk ausgeführt. Wenn wir die Beugung im Metatarso-phalangeal-Gelenk vornahmen, so wurden Tarsus-und Metatarsus auf eine ähnliche Weise mit einer speziellen Vorrichtung fixiert. Die Beugung wurde entweder mit der Hand oder mit einem speziellen Apparat ausgeführt. Als der Reflex auf die Beugung des Sprunggelenkes der linken Extremität ausgebildet worden war, prüften wir ihn auch an der rechten Extremität. Der bedingte Reflex war hier ohne jegliche Ausarbeitung vom ersten Mal an vorhanden, wie wir das schon bei den bedingten Hautreizen gesehen hatten. Nun wurde an der linken Extremität eine Differenzierung der Beugung im Sprunggelenk von derjenigen im Metatarso-phalangeal-Gelenk vorgenommen, wobei nur die letztere durch den unbedingten Reiz bekräftigt wurde. Diese Differenzierung kam nach 42 Bekräftigungen der Beugung im Phalangealgelenk und nach 74 unbekräft.igten Beugungen im Sprunggelenk zustande. An der rechten Extremität entstand die gleiche Differenzierung wieder von selbst, ohne daß man sie speziell hätte ausarbeiten müssen. Dies war aber noch lange nicht das, was wir erzielen wollten. Bei der Beugung wird jedesmal auch die Haut mechanisch gereizt, und es war denkbar, daß schon dieser mechanische Hautreiz allein das Zustandekommen der bedingten Reflexe Verursachte. Wir mußten also diesen mechanischen Hautreiz vöm Beugeakt differenzieren. Wir verwandten deshalb alle mögüchen Arten mechanischer Hautreize: Berührung, Druck, Fesseln, rhythmische Dehnung der Haut auf der einen Seite des Gelenkes und Erschlaffung auf der anderen Seite (ungefähr in derselben Weise, wie es bei der Beugung des Gelenkes stattfindet). Die größte Wirkung ergab das letzte Verfahren. Alle diese Reizungen, die selbstverständlich nicht vom Füttern begleitet und ohne gleichzeitige Beugung im Gelenk vorgenommen wurden, blieben schließlich vollständig unwirksam. Die Beugung im Gelenk dagegen behielt ihre Wirkung. Auch das befriedigte uns nicht, denn es schien uns für die alleinige Wirkung des eigentlichen Flexionsaktes bei unserem bedingten Reiz noch nicht überzeugend genug zu sein. 19*/IV

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VORLESUNG

Wir hielten es für möglich, daß es uns trotz all der vorgenommenen Variationen (371) der mechanischen Hautreize doch nicht gelungen war, sie genauso zu reproduzieren, wie sie bei der Beugung im Gelenk stattfindet. Wir brauchten einen anderen einwandfreien Beweis dafür, daß wirklich der Akt der Beugung zum bedingten Reiz geworden war. Es schien uns möglich, diesen Beweis dadurch zu erbringen, daß wir den Hautanalysator für mechanische Reize durch Exstirpation seiner kortikalen Endigungen ausschalteten. Die kortikalen Endigungen des Analysators für die hintere Extremität befinden sich bekanntlich in den gyri coronarius und ectosylvius (s. Abb. 14b, S. 377). Hierzu wurden bei dem Hunde bedingte Nahrungsreflexe auf mechanische Hautreize an fünf verschiedenen Hautstellen der hinteren Extremität und auf einen Ton von 500 Schwingungen in der Sekunde ausgearbeitet. Nach der operativen Entfernung der entsprechenden Teile der linken Großhirnhemisphäre erschien der Reflex auf den Ton am 7. Tage wieder. Die erste Prüfung der Beugung der rechten Extremität am 8. Tage nach der Operation zeigte keine Wirkung. Doch schon bei der zweiten Anwendung dieses Reizes an demselben Tage erhielten wir eine Wirkung von 2 Tropfen in 30 Sekunden. Am 10. Tage erhielten wir 3 Tropfen. Die an demselben Tage geprüfte Wirkung des gleichzeitigen mechanischen Hautreizes aller 5 Stellen an der gleichen Extremität ergab keinerlei Speichelsekretion. Am 12. Tage, als der bedingte Beugereflex die Größe von 5 Tropfen erreicht hatte, erwies sich sowohl die mechanische Reizung der fünf Apparate als auch die Dehnung und das Erschlaffen der Haut am Gelenk als wirkungslos. Am 13. Tage übten die Dehnung und das Erschlaffen der Haut der Gelenkgegend eine hemmende Wirkung auf den gleichzeitig angewandten Tonreiz aus; also hatte der mechanische Hautreiz keine positive, sondern eine hemmende Wirkung. Als am 15. und 16. Tage die linke hintere Extremität von der hemmenden Wirkung der Operation vollständig frei geworden war und als die mechanischen Hautreize an dieser Extremität schon einen bedeutenden Speicheleffekt zeigten, ergaben diese Reize bei gleichzeitiger Anwendung mit der Dehnung und der Faltung der Haut am rechten Phalangealgelenk keinen Speicheleffekt. Der mechanische Hautreiz wirkte folglich an der rechten Extremität, die von der Nachwirkung der Operation noch nicht frei geworden war, noch als negativer, nicht als positiver Reiz. Die Beugung des Gelenkes dagegen wurde stets von Speichelabsonderung begleitet. Hierzu einige Versuchsprotokolle.

(372)

Am 8. Tage nach der Operation Intervalle zwischen den Reizen (in Minuten) — 10 4 7 4 7

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Ton Beugung des rechten Phalangealgelenkes Desgl Mechanischer Hautreiz an der linken Pfote Beugung des rechten Phalangealgelenkes Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 2 0 2 0 2 1

Kortikale Lokalisation der Beugebewegung

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Am 12. Tage nach der Operation Intervalle zwischen den Reizen in Minuten — 6 12 8 7 6

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Beugung des rechten Phalangealgelenkes Mechanischer Hautreiz am linken Lauf mit 5 Apparaten Desgl Ton Beugung des rechten Phalangealgelenkes Dehnung und Erschlaffung der Haut am rechten Gelenk

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 2 0 0 7 5 0

Am 15. Tage nach der Operation — 6 20 6 6 6 6 6

Beugung des rechten Phalangealgelenkes Dehnung und Erschlaffung der Haut am rechten Phalangealgelenk Beugung des rechten Phalangealgelenkes Desgl Mechanischer Hautreiz an der linken Pfote Mechanischer Hautreiz an der rechten Pfote . . . . Mechanischer Hautreiz an der linken Pfote und Dehnung und Faltung der Haut am rechten Gelenk Mechanischer Hautreiz an der linken Pfote

5 0 1 3 4 0 0 2

Am 16. Tage nach der Operation — 7 7 6

Beugung des rechten Phalangealgelenkes Mechanischer Hautreiz an der linken Pfote Desgl. und Dehnung und Faltung der Haut am rechten Gelenk Mechanischer Hautreiz an der linken Pfote

4,5 5 0 4

(373)

Aus diesen Versuchen lassen sich mit vollem Recht zwei Schlüsse ziehen: erstens, daß die Beugebewegung allein, ohne Mitwirkung der mechanischen Hautkomponente, zu einem bedingten Reiz werden kann, und zweitens, daß den Reizwirkungen der Beugebewegung und denen der mechanischen Hautreize in der Großhirnrinde verschiedene Bezirke entsprechen müssen. Die kortikale Lokalisation der mechanischen Hautreize ist uns bekannt. Wo sich aber die Region für die zentripetalen Reize der Bewegungen befindet, darauf geben uns Versuche an einem anderen unserer Hunde Antwort. Wir hatten einen Hund, bei dem vor über zwei Monaten der gyrus sigmoideus dexter völlig entfernt worden war (s. Abb. 13 und 14a, S. 377); bei diesem Hunde traten während der postoperativen Periode starke motorische Funktionsstörungen an beiden Extremitäten der linken Seite auf. Dagegen war bei ihm die Schädigung des gyrus sigmoideus sinister ganz unbedeutend und blieb ohne merklichen Einfluß auf die Funktion der rechten Extremitäten. Die mechanischen Hautreflexe waren bei diesem Hunde auf der ganzen Körperoberfläche normal. Am rechten Lauf

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ZWANZIGSTE

VORLESUNG

konnten wir in kurzer Zeit und ohne Schwierigkeiten einen bedingten Nahrungsreflex auf die Beugung des Phalangealgelenkes ausarbeiten. Darauf haben wir diesen Reflex mit Hilfe der oben beschriebenen Versuchsanordnung gegen die mitbeteiligten mechanischen Hautreize differenziert, wobei selbstverständlich die mechanischen Hautreize nicht vom unbedingten Reiz begleitet wurden. Nach einem Monat war diese Differenzierung ausgebildet, doch war sie nicht immer vollständig. Hierzu ein Beispiel. Intervalle zwischen den Reizen (in Minuten) — 11 3 6 8

_

3

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Beugung des rechten Phalangealgelenkes Dehnung und Faltung der Haut am gleichen Gelenk Dehnung und Faltung der Haut am gleichen Gelenk Beugung des rechten Phalangealgelenkes Dehnung und Faltung der Haut am gleichen Gelenk Beugung des rechten Phalangealgelenkes

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 6 3 1 5 0 6

Die Dehnung und Faltung der Haut in der Gegend des linken Phalangealgelenkes erwiesen sich ebenfalls als Vollkommen wirkungslos. (374) Doch fehlte auf dieser Seite auch der Beugereflex. Nachdem wir aber die Wirkung der Beugung durch den unbedingten Reiz bekräftigt hatten, erlangten auch die mechanischen Hautreize allein schon eine speicheltreibende Wirkung. Diese Ergebnisse müssen wohl so aufgefaßt werden, daß die Beugung des linken Phalangealgelenkes an und für sich wirkungslos war, daß aber das darauffolgende Füttern die bei der Beugung unvermeidlich mitwirkenden Hautreize enthemmte. Auch in weiteren Versuchen haben wir auf der linken Seite keinen bedingten Reflex auf die Beugung der Pfote ausarbeiten können, der von den begleitenden mechanischen Hautreizen vollständig unabhängig gewesen wäre, obwohl die Prozedur der Differenzierung sehr lange und beharrlich ausgeführt wurde. Sobald die Wirkung der isolierten Hautreize verschwand, erlosch auch der Reflex auf die Beugebewegung. Nach Bekräftigung stellte sich der Hautreflex wieder ein. An der rechten Pfote dagegen trat die Differenzierung zwischen Gelenkbeugung und den entsprechenden Hautreizen stets deutlich hervor. Hierzu ein Beispiel. Die Beugung wurde in diesem Versuch auf beiden Seiten immer vom Füttern begleitet, die Hautreize dagegen niemals. (375) Intervalle zwischen den Reizen (in Minuten) •— 7 1,5

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Beugung des rechten Phalangealgelenkes Dehnung und Faltung der Haut auf der rechten Seite Desgl

Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 8 2 1

Differenzierung zwischen Gelenkbeugung und Hautreizen Intervalle zwischen den Reizen (in Minuten) 1,5 1,5 1,5 1,5 1,5 1,5 1,5 6 1,5 1,5 1,5

Bedingter Reiz für 30 Sekunden Beugung des rechten Phalangealgelenkes Dehnung und Faltung der Haut auf der linken Seite Desgl Desgl Desgl Desgl Beugung des linken Phalangealgelenkes Dehnung und Faltung der Haut auf der linken Seite Desgl Desgl Beugung des linken Phalangealgelenkes

295 Speichelsekretion (in Tropfen) in 30 Sekunden 8 7 6 4 3 1,5 0,5 4 1 1 0

Die Versuche zeigen, daß der gyrus sigmoideus derjenige Bezirk ist, dem die Reize, die bei der Tätigkeit des Bewegungsapparates entstehen, zugeleitet werden. Leider haben wir diese Versuche später nicht mehr fortgesetzt und die Versuchsanordnung nicht variiert. Natürlich müssen diese Versuche wiederholt und bestätigt werden. Wenn wir uns aber auf die schon ausgeführten Versuche stützen, so müssen wir annehmen, daß die motorische Region der Großhirnrinde ein ebensolcher Analysator der Tätigkeitszustände des Bewegungsapparates der Skelettmuskulatur ist, wie andere Regionen Analysatoren der auf den Organismus von außen einwirkenden verschiedenartigen Energieformen sind. Wenn wir die Dinge so betrachten, stellen die Großhirnhemisphären einen großartigen Analysator aller Einwirkungen sowohl der Außen- als auch der Innenwelt des Organismus dar. Natürlich haben wir allen Grund, die Schlußfolgerungen hinsichtlich der Tätigkeit des Bewegungsapparates auch auf viele andere Tätigkeiten, wenn nicht gar auf die Gesamttätigkeit des Organismus auszudehnen. Die unerhörte Bedeutung der Suggestion mit ihren außerordentlichen Erscheinungen, wie z.B. der Scheinschwangerschaft, kann vom physiologischen Standpunkt aus nur dann erklärt werden, wenn wir einen kortikalen Analysator der gesamten Tätigkeit des Organismus voraussetzen, mag er auch für gewöhnlich sehr unbestimmt und wenig gegliedert sein. (376)

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VORLESUNG

PATHOLOGISCHE ZUSTÄNDE DER GROSSHIRNHEMISPHÄREN ALS ERGEBNIS OPERATIVER EINGRIFFE i) VERSUCH, DIE ABWEICHUNGEN VOM NORMALEN VERHALTEN DER VERSUCHSTIERE AUF BESTIMMTE RINDENSCHÄDIGUNGEN ZURÜCKZUFÜHREN

Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß die vollständige Entfernung der Großhirnhemisphären einen Hund in eine Verhältnismäßig einfache Reflexmaschine verwandelt, die nur über eine relativ geringe Anzahl von äußeren unbedingten Reflexen verfügt und jenes ganze komplizierte und feine Gewebe von Beziehungen ihrer Funktionen zur Außenwelt eingebüßt hat; die Grundlage dieser Beziehungen bilden die zahllosen bedingten Reflexe, die die höhere Funktion der Großhirnhemisphären ausmachen. Weiter besitzen wir auch eine Reihe von Unterlagen über die Bedeutung der einzelnen Teile der Großhirnhemisphären, der Analysatoren, deren vereinte Tätigkeit die Vollkommene Gleichgewichtseinstellung des Organismus mit der Außenwelt bedingt, mit anderen Worten das Verhalten des Tieres bestimmt. Um nun zu einem mehr oder weniger vollständigen Verständnis des physiologischen Geschehens in den Großhirnhemisphären in ihrer Gesamtheit zu kommen, ist es u. a. ratsam, nicht nur denjenigen Zustand der Versuchstiere auszunutzen, d.h. genau zu beobachten und zu analysieren, der sich bei erfolgreich verlaufenden Operationen einstellt (ich verstehe darunter solche Exstirpationen größerer Teile der Großhirnhemisphären, die ohne Komplikationen verlaufen), sondern auch solche Zustände, bei denen die Tätigkeit der Großhirnhemisphären nachhaltig und bedeutend durch das Wuchern von Narbengewebe oder durch andere indirekte Nachwirkungen der Operation geschädigt wird. Das heißt mit anderen Worten, man soll bei jeder Gelegenheit darauf bedacht sein, die Veränderungen im allgemeinen Verhalten der Versuchstiere (377) auf ganz bestimmte Schäden im Mechanismus der Großhirnhemisphären zurückzuführen. Diese Frage soll uns in unserer heutigen Vorlesung beschäftigen, wobei wir von den einfachen Fällen ausgehen, um dann zu komplizierteren überzugehen. Bei einem Hunde (Versuche von O r b e l i ) waren die oberen Teile beider Großhirnhemisphären bis zur Höhe des gyrus sylviaticus entfernt worden. Die Exstirpation wurde auf beiden Seiten durch einen einzigen Schnitt ausgeführt, so daß man nach dem herausgeschnittenen Stück ganz genau die Größe des Defektes in den Großhirnhemisphären beurteilen konnte. Zwei Wochen nach der zweiten

Operation am motorischen Analysator

297

Operation (hierbei muß bemerkt werden, daß zwischen der Operation auf der rechten Seite und auf der linken Seite eine lange Zeit verging) befand sich der Hund bereits in einem Zustande, der bis zum Ende der Beobachtungsdauer (4 Monate lang) unverändert blieb. Der Hund blieb auch jetzt ein höchst bewegliches Tier, das sofort auf seinen Namen reagierte und, wenn es gerufen wurde, mit Leichtigkeit scharf kehrtmachen konnte, um dem Rufe zu folgen. Bei mehr oder weniger oberflächlicher Betrachtung war es kaum möglich, diesen Hund von einem normalen Tier zu unterscheiden. Nur bei eingehender, aufmerksamer Beobachtung des Tieres konnte man eine leichte Ataxie in den Bewegungen der Extremitäten wahrnehmen, beim Laufen holte der Hund mehr als nötig mit den Pfoten aus und schlug mit ihnen stärker als gewöhnlich auf den Boden auf; beim Laufen auf nassem oder glattem Boden glitt das Tier leicht aus. Außerdem machte der Hund ganz eigenartige Bewegungen mit dem Kopfe, wenn er auf irgendein Ziel losging. Es kam nur selten vor, daß der Hund an irgendwelche Gegenstände, die ihm im Wege standen, anstieß. Wenn das aber geschah, so kam eine ganz überraschende Besonderheit zum Vorschein. Selbst beim Anstoßen an ein ganz unbedeutendes Hindernis, wie z. B. an den Fuß eines Tisches, war das Tier ganz hilflos. Lange Zeit stieß es bei seinen Versuchen, an diesem Gegenstande vorbeizukommen, immer wieder dagegen, bis schließlich eine zufällige Bewegung nach der Seite das Tier am Hindernis vorbeibrachte. Dann hatte der Hund wieder die Möglichkeit, sich weiter fortzubewegen. Wenn man das Tier mit den Vorderpfoten und dem Vorderkörper auf einen Stuhl legte und es dann plötzlich anrief, so machte es ganz ungeordnete Bewegungen und fiel dabei entweder seitwärts vom Stuhl herunter oder kam, sich vorwärts bewegend, mit dem Bauch auf den Stuhl zu liegen, wobei es mit allen Vieren in der Luft zappelte und nicht weiterkommen konnte. Die bedingten Reflexe, die vor der zweiten Operation ausgearbeitet worden waren, stellten sich danach schnell wieder her, und es konnten leicht neue Reflexe auf Kampfergeruch und auf das Aufleuchten einer Lampe gebildet werden. Nur der mechanische Hautreiz hatte seine Wirkung als bedingter Reiz verloren, und es konnte auch kein Reflex auf Kältereize an der Haut gebildet werden. (378) Die unbedingten Reflexe auf die verschiedenartigsten Hautreize, die Bewegungen des Abschütteins, das Wegziehen der Pfote, das Winseln, die Bewegung des Kopfes nach der Stelle des Hautreizes bei mechanischer oder Kältereizung, alle diese Reflexe blieben bestehen. Wie kann man sich den Mechanismus der Abweichungen im Verhalten des Tieres von der Norm erklären ? Der Geruchs- und der akustische Analysator des Tieres funktionierten in vollem Umfange. Dasselbe können wir, allerdings mit geringen Einschränkungen, auch vom optischen Analysator behaupten. Wenn wir die vollkommene Orientierung des Hundes durch die Augen in Betracht ziehen und uns dabei der merkwürdigen Bewegungen des Kopfes erinnern, die das Tier bei seiner lokomotorischen Tätigkeit ausführte, so müssen wir vermuten, daß bei dem Hunde nach der Operation ein ganz geringer Teil im unteren Abschnitt der speziellen Region des optischen Analysators übriggeblieben war, der bei entsprechenden Stellungen des Kopfes eine höhere Synthese und Analyse

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EINUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

der Lichtreize doch möglich machte. Eine radikale Schädigimg hatte eigentlich nur der motorische Analysator erlitten. Die allgemeine Bewegungsfähigkeit, die ja von Gehirnteilen abhängt, die unter den Großhirnhemisphären hegen, ist offenbar ungeschädigt geblieben, und nur die genauere und feinere Tätigkeit der Skelettmuskulatur, derjenige Teil dieser Funktion, der auf bedingten Reflexen beruht, ist verschwunden. Was nun speziell den Hautanalysator betrifft, so ist uns dieser Punkt bis heute noch nicht ganz klar. Natürlich könnte die Tatsache, daß dem Hund, wenn er auf Hindernisse in seiner Fortbewegung stößt, jegliche Orientierungsmöglichkeit in seinen Bewegungen vollständig fehlt, ganz und gar damit in Einklang gebracht werden, daß dem Hunde jetzt die richtigen Hautsignale fehlen. Aber der Ausfall der bedingten mechanischen Hautreflexe bei dieser Operation steht in einem gewissen Widerspruch zu unseren anderen Untersuchungen über die Topographie des Hautanalysators. Zu dieser Frage muß eine ganz spezielle Untersuchung vorgenommen werden, alle Punkte der Haut müssen dabei auf ihre Wirkung geprüft werden. Wir sehen also, daß das Gesamtverhalten des Hundes sowohl gegenüber der Umwelt im allgemeinen als auch speziell in seiner sozialen Umgebung ganz normal geblieben ist; eine Ausnahme bildet nur ein ganz spezieller Defekt im Verhalten gegenüber mechanischen Hindernissen bei der Vorwärtsbewegung. Ein so operierter Hund, dem ein ganz bestimmter, recht beträchtlicher Teil der Großhirnhemisphären fehlt, bietet großes Interesse für eine genauere und feinere Analyse als diejenige, die wir zu Beginn unserer Arbeit über die bedingten Reflexe vornehmen konnten. (379) Bei einer Reihe anderer Hunde, die schon früher mehrfach erwähnt wurden, war die hintere größere Hälfte der Großhirnhemisphären längs der oben erwähnten Linie, die oben hinter dem gyrus sigmoideus beginnt und bis zur fissura fossae Sylvii verläuft, entfernt worden. Ich will hier nochmals auf das Verhalten dieser Hunde zurückkommen, um Ihre Aufmerksamkeit auf Einzelheiten zu lenken, von denen in den früheren Vorlesungen noch nicht die Rede gewesen ist. Ich will nur noch einmal wiederholen, daß bei diesen Hunden die höhere Synthese und Analyse sowohl der akustischen als auch der optischen Reize fehlten, daß aber die Analyse verschiedenartiger Geräusche, wie auch die Analyse der Lichtintensität und der Form, vorhanden waren. Unmittelbar nach der Operation befanden sich diese Hunde in einem fast ununterbrochenen Schlafzustand, aber auch während ihres ganzen weiteren Lebens (der eine Hund lebte 3 Jahre) verbrachten sie den größten Teil der Zeit schlafend, wodurch sie bei guter Fütterung rasch fett wurden. Wenn diese Hunde hungrig waren, so fanden sie ihr Futter, wie schon früher erwähnt, ausschließlich mit Hilfe des Geruchsund des Hautanalysators. Erstaunlich genau war dabei die Arbeit des Hautanalysators für mechanische Reize mit der des Bewegungsanalysators verknüpft. Wenn das Tier sich in einem Zimmer befand, in dem Fleischstückchen auf dem Boden verstreut lagen und außerdem in verschiedener Höhe an Schnüren aufgehängt waren, so genügte die leiseste Berührung irgendeines Körperteiles mit einem Fleischstück, um eine ganz genaue Greifbewegung mit dem Maul direkt

Entfernung großer Teile der Hirnrinde

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nach der richtigen Stelle auszulösen. Es muß schließlich noch das vollständig gleichgültige Verhalten dieser Hunde sowohl gegen andere Hunde als auch gegen Menschen, ja sogar gegen ihren Herrn, den Experimentator, erwähnt werden. Dieses passive Verhalten, das ja schon früher Von GOLTZ beschrieben wurde, diese große Gleichgültigkeit und die große Neigung dieser Hunde zum Schlaf werden leicht Verständlich, wenn man in Betracht zieht, daß sie in beträchtlichem Ausmaße die Funktion der wichtigsten distanten Analysatoren, des optischen und des akustischen Analysators, eingebüßt haben. Ebenso ist auch die ungewöhnliche Genauigkeit in der Arbeit der übriggebliebenen Analysatoren, des Geruchs-, des Haut- und des Bewegungsanalysators, ganz verständlich. Aber die zuletzt genannte Besonderheit, die Schlafsucht, beansprucht doch eine ganz besondere Aufmerksamkeit. Wie ist sie zu verstehen ? Ist sie als Teilerscheinung des allgemeinen passiven Verhaltens dieser Tiere, ihres allgemeinen Energieverlustes aufzufassen, oder sollte sie, was wahrscheinlicher ist, ein spezielles Ergebnis des Wegfalls der komplexen optischen und akustischen Reize sein, die in erster Linie die sozialen Reize darstellen, oder ist sie vielleicht (380) das Ergebnis des Wegfalls der bedingten Kettenreflexe? Beim heutigen Stande unseres Wissens über die höhere Nerventätigkeit könnte diese Frage mit Aussicht auf Erfolg untersucht werden, und sie verdient wohl auch die größte Aufmerksamkeit. Nun will ich aber zu unserem kompliziertesten, höchst lehrreichen Fall übergehen, zu dem Fall, bei dem die vorderen Teile beider Großhirnhemisphären längs der angeführten Linie entfernt wurden. Das Verhalten von Hunden, die eine solche Operation überstanden hatten, wich im höchsten Grade von dem eines normalen Tieres ab, und seine Analyse ist von größtem Interesse. Ich will daher die betreffenden Fälle besonders genau besprechen. Wir haben zwei solche Tiere gehabt, die lange im Laboratorium gelebt haben, etwa ein Jahr nach der zweiten Gehirnoperation. Die Exstirpation wurde bei beiden Hunden zweizeitig ausgeführt, zwischen beiden Gehirnoperationen lag ein Zeitraum von einigen Monaten. Zuerst will ich ganz genau den Zustand des ersten Hundes schildern (Versuche von DEMIDOW) und dann werde ich die erforderlichen Ergänzungen bezüglich des zweiten Hundes hinzufügen (Versuche von N. M. SATURNOW und S . P . K U BA J E w). Nach der zweiten Operation befand sich der Hund fast die ganze Zeit in ununterbrochenem Schlaf und wachte nur kurz vor einer Harn- oder Kotentleerung auf. Noch vor der zweiten Operation hatten wir dem Hunde eine Magenfistel angelegt, und durch diese wurde ihm das Futter direkt in den Magen eingeführt. Erst mit Beginn der dritten Woche nach der Operation fing der Hund an, selbständig aufzustehen. Er konnte sich aber nur kurze Zeit aufrecht halten, begann zu schwanken und fiel schließlich um. Ungefähr nach einem Monat begann der Hund zu gehen; aber dabei geschah es oft, daß die Pfoten nicht genügend gestreckt und daher auf ihre Oberseite gestellt wurden oder daß sie sich kreuzten. Nach einem weiteren Monat konnte das Tier in beinahe normaler Weise gehen und laufen, und nur bei scharfem oder schnellem Wenden wurde

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es ihm schwer, sich auf den Füßen zu halten. Wenn das Tier auf Hindernisse stieß, machte es ganz ungeordnete Bewegungen. Es bewegte sich bald vorwärts, bald rückwärts, dann wieder zur Seite, und so konnte das Tier zuweilen auch ohne äußere Hilfe, allerdings immer nur durch Zufall, Hindernisse umgehen, meistens aber mußte man ihm doch dabei helfen. Außerdem war es auffällig, wie dieser Hund oft die gleichzeitige Ausführung von Bewegungen versuchte, die miteinander ganz unvereinbar sind. Natürlich verlor er dann das Gleichgewicht und fiel hin. Diese eigenartige Erscheinung blieb bei dem Hunde bis zu seinem Lebensende unverändert bestehen. Erst zwei Wochen nach der Operation begann der Hund, selbständig Milch zu lecken, wenn man sie mit seinem Maul (381) in Berührung brachte. Während seines ganzen weiteren Lebens fing der Hund nur dann an zu fressen, wenn das Futter mit der Schleimhaut der Lippen, der Wangen, besonders aber der Zunge in Berührung gekommen war. Wenn das Futter aber die Haut in der Nähe des Maules berührte, so löste das noch keine Freßtätigkeit aus. Später geriet der Hund, wenn er hungrig war, in große Erregung, griff mit dem Maul nach allem, was in seiner Nähe war, und packte sogar seine eigene Pfote; es kam auch vor, daß er sie biß, wonach er dann sofort zu winseln begann. Als der Hund eben erst angefangen hatte, selbständig zu fressen, unterschied er schon deutlich Freßbares von Unfreßbarem, so z.B. wenn man ihm Sand ins Maul streute oder ihm große Mengen Chinin, Säure oder Salz in sein Futter hineinmischte. Die Bewegungsreaktion auf Berührung der Haut stellte sich bei ihm auch etwa zwei Wochen nach der Operation wieder ein. Diese Erregbarkeit durch Hautreize nahm mit der Zeit deutlich zu. Nach weiteren zwei bis drei Monaten rief schon allein das Anfassen des Hundes, wenn man ihn ins Gestell bringen oder aus dem Gestell nehmen wollte, ja sogar einfaches Streicheln eine sehr starke Erregung hervor. Das Tier warf sich nach allen Richtungen, bellte, fletschte die Zähne u. dgl. mehr. Wenn sich der Hund im Raum umherbewegte und dabei verschiedene Gegenstände berührte, wenn der Wind im Freien sein Fell streifte oder Regentropfen auf ihn fielen, so kam es ebenfalls zu einer motorischen Erregung. Es ist interessant, daß umgekehrt Streicheln des Kopfes oder des Nackens das Tier bei eingetretener Erregung sofort beruhigte, ja, daß es dabei sogar manchmal in Schlaf verfiel. Wenn man bestimmte Hautbezirke kratzte, so trat in gewohnter Weise der Kratzreflex ein, dabei konnte man aber oft folgende Erscheinung beobachten. War der Kratzreflex nur schwach, so konnte man ihn durch einen gleichzeitig angewandten akustischen Reiz merklich verstärken, oder wenn der Reflex fehlte, dann konnte man ihn auf diese Weise hervorrufen. Es handelt sich dabei um die Erscheinung des sogenannten Bahnungsreflexes 1). Die Bewegungsreaktion auf Geräusche, das Spitzen und Schütteln der Ohren, erschien erst 1/4 Monate nach der Operation wieder. Dann nahm diese Reaktion auf Geräusche an Stärke immer mehr zu und erreichte zuweilen eine ganz ungewöhnliche Intensität. Schon bei verhältnismäßig schwachen Geräuschen geriet der Hund in eine starke 1)

„Bahnungsreflex"

im Original deutsch (dt. Red.J

Entfernung des Frontalhirns

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Erregung. Unter der Einwirkung von starkem Licht schloß der Hund die Augen und wandte den Kopf ab. Auf Geruchsreize konnte niemals irgendeine Reaktion festgestellt werden, und das ist verständlich, da ja bei diesem Hunde der tractus olfactorius und der bulbus olfactorius beiderseits entfernt waren. Sexualreflexe konnten bei speziell angestellten Beobachtungen niemals bemerkt werden. Bei diesem Tier konnten keinerlei spezielle Beziehungen, weder positive noch negative, weder zu anderen Tieren noch zu Menschen, mit Sicherheit festgestellt werden. (382) Es kam vor, daß der Hund ganz plötzlich, ohne ersichtliche Gründe, einen Anfall bekam. Dieser äußerte sich in Zittern am ganzen Körper, in klonischen Kieferkrämpfen und in einer Zwangsbewegung des Kopfes nach der einen Seite. Der ganze Anfall dauerte 1 bis 2 Minuten und endete gewöhnlich mit einer Kot- und Harnentleerung. Krämpfe der Körper- oder Extremitätenmuskulatur traten dabei niemals ein, und das Tier stürzte niemals hin. Sofort nach dem Anfall war das Tier hochgradig erregt, es lief umher, warf sich hin und her und bellte. Dann begann es allmählich ruhiger zu werden, wurde schläfrig und schlief bald fest ein. Wenn man also nach der Funktion der Skelettmuskulatur urteilen wollte, so gewann man den Eindruck, daß bei unserem Hunde überhaupt keine höhere Nerventätigkeit mehr vorhanden war; er stellte in diesem Zustande eine sehr vereinfachte, höchst unvollkommene Reflexmaschine dar. In mancher Hinsicht glich er jenem Hund, dem beide Großhirnhemisphären exstirpiert waren, und in seinen Bewegungsfunktionen stand er ihm sogar nach, denn der hemisphärenlose Hund richtete sich nach der Operation viel früher auf und begann früher zu gehen, und bei den verschiedensten Bewegungen verlor unser Hund viel eher das Gleichgewicht als ein Tier ohne Hemisphären. Es mochte wohl scheinen, daß bei diesem Hunde von der ganzen bedingten Reflextätigkeit absolut nichts mehr übrig war. War dem aber wirklich so ? Machen wir den Versuch, den Zustand dieses Hundes nicht allein nach der Funktion der Skelettmuskulatur, sondern auch mit Hilfe eines anderen Indikators zu analysieren! Wenden wir uns einem anderen Organ zu, das ebenfalls ständig an der höheren Nerventätigkeit beteiligt ist, dem Organ, an dem wir die ganze Zeit über unsere Arbeit durchführen, der Speicheldrüse. Gleich nach der Operation war auch der unbedingte Speichelreflex völlig verschwunden, aber es dauerte nicht lange, bis er sich wiederhergestellt hatte. Anfangs konnte man bei diesem Reflex gewisse Abweichungen von der Norm bemerken, aber später verschwanden auch diese. Positive bedingte Speichelreflexe konnten trotz energischer Maßnahmen weder vom Auge noch Vom Ohr noch von der Haut aus erhalten werden. So erhielt z . B . der Hund seine tägliche Futterportion lange Zeit nur, während gleichzeitig das Geräusch des Wasserbrodeins ertönte. Nach 500maliger Wiederholung dieses Verfahrens konnte man aber noch keinen deutlichen bedingten Speichelreflex erhalten. Darauf prüften wir Reize an derjenigen rezeptorischen Körperoberfläche, die, wie schon erwähnt, bei den verschiedensten Läsionen der Großhirnhemisphären widerstandsfähiger zu sein scheint als die anderen Rezeptoren, wir reizten die Mundhöhle in Form

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EINUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

des sogenannten bedingten Wasserreflexes. Diese Versuche will ich. jetzt ebenfalls recht ausführlich schildern. Aus dem früher Mitgeteilten wissen wir, daß (383) man beim Einführen von Wasser in die Mundhöhle nur dann einen mehr oder weniger beträchtlichen Speichelreflex erhält, wenn man dem Hunde früher mehrfach wäßrige Lösungen anwidernder Stoffe, z.B. Säure, ins Maul eingegossen hat 1 ); denn das Wasser an und für sich ruft gar keine oder höchstens eine ganz minimale Speichelsekretion hervor. Trotz wiederholter Säureeingießungen ins Maul unseres Hundes konnten wir einen deutlichen Speichelreflex auf das Eingießen von Wasser erstmalig einen Monat nach der Operation wahrnehmen. 50 Tage nach der Operation fingen wir an, systematische Versuche mit dem Wasserreflex zu machen. Als die Säure dem Hunde jeden Tag mehrmals ins Maul eingegossen wurde, so rief schließlich auch das Wasser, wenn man es an diesem Versuchstage als ersten Reiz, d. h. Vor den Säureeingießungen anwandte, eine recht ergiebige Speichelsekretion bis zu 16 und mehr Tropfen in der Minute hervor. Diese Speichelsekretion wurde immer geringer und blieb schließlich ganz aus, wenn man mehrmals hintereinander nur Wasser ins Maul des Hundes eingoß. Hier die entsprechenden Versuche. Versuch vom 29. Dezember 1908 (Zweite Operation am 23. November 1908) Zeit 3 3 3 3 3

h h h h h

Beiz 20' 25' 30' 35' 38'

Wasser Wasser Wasser Wasser Salzsäure (%%)

3 h 41' 3 h 46' 3 h 54'

Wasser Wasser Salzsäure

4h 4h 4h 4h 4h

Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser

00' 05' 10' 15' 20'

Speichelsekretian in 1 Minute (in Tropfen) 16 16 2 4 Reichliche Speichelsekretion 9 6 Speichelsekretion 8 9 2 2 0

Versuch vom 1. Januar 1909 12 h 22' 12 h 27'

s. S. 270 (dt. Bed.)

Wasser Wasser

5 2

303

Entfernung des Frontalhirns

Reiz

Zeit 12 h 32' 12 h 37' 12 h. 42'

Wasser Wasser Salzsäure

12 h 12 h 1h lh lh lh lh

Wasser Wasser Wasser Wasser Salzsäure Salzsäure Wasser

50' 55' 00' 05' 10' 16' 24'

Speichelsekretion in 1 Minute (in Tropfen) 0 Reichliche Speichelsekretion 3 3 2 0 1 Reichliche / Speichelsekretion 9

Offenbar handelt es sich dabei um ein Erlöschen des bedingten Wasserreflexes. Der bedingte Wasserreflex konnte, ebenso wie jeder andere bedingte Reflex, leicht durch beliebige Zusatzreflexe gehemmt werden (äußere Hemmung). Hier einige Beispiele dazu. Versuch vom 25. April 1909 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h

15' 23' 32' 36' 54'

Waaser Salzsäure Zuckerlösung (10%) Wasser Wasser

13 \ Reichliche / Speichelsekretion 1 10

Versuch vom 5. Januar 1909 11 h 25' 11 h 30' 11 h 35'

Wasser Wasser + lauter Ton Wasser

12 3 16

Eine solche äußere Hemmung ist aber nicht charakteristisch für die bedingten Reflexe, denn in derselben Weise können auch die unbedingten Reflexe gehemmt werden. Daher machten wir uns daran, eine bedingte (385) Hemmung auszuarbeiten, d . h . die Möglichkeit der Entwicklung einer inneren Hemmung, der Bildung eines negativen bedingten Reflexes, nachzuprüfen. Welchen Reiz sollten wir aber als Hemmungsagens wählen? Wir vermuteten, daß Agenzien, die zu anderen Analysatoren gehören und die nicht zu positiven bedingten Reizen gemacht werden können, vielleicht dennoch imstande sein würden, negative bedingte Reflexe auszulösen. Wir haben ja schon in den früheren Vorlesungen einige derartige Beispiele angeführt. Diese Annahme hat sich bewährt. Akustische und optische Reize konnten wirklich zu bedingten Hemmern gemacht werden. Eingießen von Wasser ins Maul, das immer gleichzeitig mit dem Erklingen

304

EINUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

eines bestimmten Tones angewandt wurde, führte nach 64 maligem Zusammentreffen dieser Reize zu einer beständigen Hemmkombination. Hier ein Beispiel. Versuch vom 2. Februar Zeit 10 h 10 h 10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h

Speichelsekretion in 1 Minute (in Tropfen)

Reiz

25' 34' 46' 55' 04' 16' 26' 35' 48'

Salzsäure Salzsäure Wasser Salzsäure Salzsäure Wasser + Ton Salzsäure Salzsäure Wasser

. . . \ Reichliche 9 2 . . . / Speichelsekretion 10

Versuch vom 16. Februar 10 h 10 h 10 h 10 h 11 h 11 h 11 h 11 h 11 h

25' 36' 47' 55' 04' 16' 24' 34' 45'

Salzsäure Desgl. . . . Wasser + Ton Salzsäure Desgl. . . . Wasser . . Salzsäure Desgl. . . . Wasser + Ton

1909

1909

. . . \ Reichliche . . . / Speichelsekrfetion .... 0 . . . \ Reichliche . . . J Speichelsekretion 6 . . . \ Reichliche . .. / Speichelsekretion 0

Dasselbe Ergebnis konnten wir mit einem J^ichtreiz erzielen. Bei sehr starker Beleuchtung wurde stets Wasser ins Maul des Tieres eingegossen, während das Eingießen von Säure immer nur im Halbdunkel vorgenommen wurde. Die bedingte Hemmung entwickelte sich jetzt viel rascher. Ich führe den Versuch an, in dem das Eingießen von Wasser zum 16. Male mit starker Beleuchtung kombiniert wurde. Versuch vom 13. März Zeit

Reiz

11 h 32' Wasser 11 h 33' Salzsäure 11 h 11 h 11 h 11 h 12 h

40' 41' 48' 57' 06'

Wasser Salzsäure Wasser + Salzsäure

12 h 14' Wasser +

1909 Speichelsekretion in 1 Minute (in Tropfen)

23 Reichliche Speichelsekretion 26 \ Reichliche / Speichelsekretion Beleuchtung . 0 Reichliche Speichelsekretion Beleuchtung . 0,5

Entfernung des Frontalhirns

305

Schließlich, haben wir noch eitrige Versuche über die Enthemmung bei diesem Hunde angestellt. Auch dieser Prozeß war unter entsprechenden Bedingungen deutlich zu erkennen. Hier führe ich als Beispiel einen Versuch an, wie er sich beim Demonstrieren der Enthemmungserscheinung in einer zahlreich besuchten Sitzung der Gesellschaft Russischer Ärzte in St. Petersburg am 19. März 1909 abspielte. Zeit

Reiz

8 h 09'

Salzsäure

8h 8h 8h 8h

Wasser Desgl Desgl Rohes Fleisch

20' 24' 28' 32'

8 h 36' Wasser 8 h 49' Desgl

Speichelsekretion in 1 Minute (in Tropfen) Ergiebige Speichelsekretion 12 3 0,5 Geringe Speichelsekretion 14 0,5

(387)

Die Reizung durch Fleisch enthemmte den erloschenen Wasserreflex nur in der ersten Zeit ihrer Nachwirkung; später trat das Erlöschen für eine gewisse Zeit wieder auf, wie das gewöhnlich der Fall ist. So sehen wir denn, daß wir sogar bei diesem Hunde das Vorhandensein einer bedingt-reflektorischen Tätigkeit feststellen konnten. Nun gehe ich zur Besprechung eines anderen Hundes über, der einen sehr ähnlichen Fall darstellt. Die Gehirnoperation an diesem anderen Hunde wurde etwas anders vorgenommen. Beim Entfernen der vorderen Anteile beider Großhirnhemisphären bis zu der angegebenen hinteren Grenzlinie haben wir es mit größter Sorgfalt vermieden, den bulbus und den tractus olfactorius zu schädigen. Dies war notwendig, damit wir außer dem ungeschädigten Wasserreflex auch noch bedingte Reflexe auf Geruchsreize bilden konnten. Dies sollte weitere überzeugende Tatsachen für unsere Annahme bringen. Unsere Erwartungen haben sich in der Tat bestätigt. Bei diesem Hunde stellte sich nicht nur der bedingte Wasserreflex wieder her, sondern auch ein Nahrungsreflex auf Kampfergeruch, der bei dem Tier vorher ausgearbeitet worden war. Natürlich war auch der bedingte Speichelreflex auf Nahrung vorhanden. Das führte dazu, daß der Hund sich nach dem Futter hinreckte und sich in der Richtung bewegte, in der sich das Futter befand; auch kam es vor, daß er nach dem Futter schnappte, wenn es sich in seiner Nähe befand. Abgesehen von einigen anderen imbedeutenden Besonderheiten, war das aber auch alles, wodurch sich dieser Hund in seinem Benehmen Von dem ersten Hund unterschied. Der Hund verhielt sich gegenüber anderen Tieren und Menschen ebenfalls ganz gleichgültig. Seine Hilflosigkeit mechanischen Hindernissen gegenüber und die Fehler bei Ortsbewegungen traten ebenso deutlich hervor wie bei dem ersten 20/rv

306

EINUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Hunde. Auch dieser Hund war schwer invalide und konnte, wie der erstbeschriebene, nur durch spezielle Maßnahmen am Leben erhalten werden. Positive bedingte Reflexe auf die Reizung anderer Analysatoren ließen sich nicht herstellen. Es muß noch hinzugefügt werden, daß sich bei diesen Hunden bei der Sektion nach dem Tode die übriggebliebenen hinteren Anteile der Großhirnhemisphären als sehr stark atrophisch erwiesen. Das Gesamtverhalten dieser Tiere scheint mir mehr oder weniger klar zu sein, d.h., es ist der Analyse zugänglich, wenn wir in Betracht ziehen, daß es sich dabei um den Ausfall der Punktion der durch die Operation zerstörten oder geschädigten Analysatoren handelt, was sich sowohl bei der Untersuchung der bedingten Reflexe als auch bei der Sektion der Tiere bestätigt hat. Die kortikalen Endigungen aller Analysatoren, mit Ausnahme des Mundanalysators beim ersten (388) und des Mund- und Geruchsanalysators beim zweiten Hunde, funktionierten überhaupt nicht oder jedenfalls nur in sehr begrenztem Umfange, wobei sie nur Hemmreize vermittelten. Diesen Hunden fehlte also die ungeheure Menge von Umweltreizen, die gewöhnlich die normale, komplizierte Tätigkeit der Tiere bestimmen. Bei dem ersten Hunde blieb nur der Analysator in Tätigkeit, der hinsichtlich der Vermittlung von Außenwelterscheinungen am engsten begrenzt ist. Bei dem anderen Hunde war außerdem noch ein distanter Analysator Vorhanden, und zwar derjenige, der beim Hunde besonders gut entwickelt ist, der Analysator für Geruchsreize. Aber in diesem Falle war die Arbeit dieses Analysators schlecht und sehr unbeständig. Man kann sich dafür zwei Gründe vorstellen. Entweder wurde bei der Operation auch dieser Analysator etwas in Mitleidenschaft gezogen, oder er befand sich ständig unter einer gewissen Hemmwirkung, die von den geschädigten Analysatoren ausging, die, unfähig zu einer positiven Tätigkeit, auf äußere Reize nur durch einen irradiierenden Hemmungsprozeß antworten konnten. Andererseits war das gewöhnliche und wichtigste Werkzeug des Organismus, die gesamte Skelettmuskulatur, außerstande, seine Funktion in genauer Anpassimg an die Bedingungen der Außenwelt zu vollziehen. Normalerweise wird ja die Tätigkeit dieses Systems durch das eng verknüpfte Zusammenwirken zweier Analysatoren bestimmt: des Hautanalysators für Umweltreize, der die äußeren mechanischen Beziehungen des Tieres in der Umwelt genau signalisiert, und eines Analysators für innere Reize, des Bewegungsanalysators, der jede motorische Aktion des Tieres bis in die feinsten Einzelheiten analysiert und dann die entsprechenden komplizierten Bewegungen synthetisiert. Bei einer tiefgreifenden Schädigung dieser beiden Analysatoren können natürlich keine genauen, zweckentsprechenden Bewegungen mehr ausgeführt werden. Es besteht guter Grund, anzunehmen, daß einzelne Teile der soeben erwähnten Analysatoren in der Rinde erhalten geblieben sind. Durch eine solche Annahme würde uns die Tatsache verständlich werden, daß bei mechanischer Reizung gewisser Hautstellen unbedingte Reflexe hervorgerufen werden, die offenbar auf die Tätigkeit tiefer gelegener motorischer Teile des Zentralnervensystems zurückzuführen sind, wie z. B. der Abwehrreflex, der Kratzreflex u. a., daß aber von anderen Hautstellen (beim Streicheln der Kopf-

Entfernung des Frontalhirns

307

und Nackenhaut) wahrscheinlich bedingte hemmende Reflexe ausgelöst werden (die die Erregung des Tieres neutralisieren). Dieselbe Annahme würde auch gut den Unterschied zwischen den beschriebenen Hunden und den Hunden erklären, bei denen die Großhirnhemisphären vollständig entfernt sind. Wie schon erwähnt, können diese viel früher nach der Operation aufstehen (389) und gehen, und ihre Bewegungen sind überhaupt viel geregelter und geordneter als die Bewegungen von Hunden mit nur partieller Exstirpation. Auf ein Vorhandensein von Resten des Bewegungsanalysators weist auch noch der Umstand hin, daß bei diesen Hunden epilepsieähnliche Anfälle in Form von Krämpfen der Kopf-, Nacken- und manchmal auch der Rumpfmuskulatur vorkamen, die aber niemals auf die Muskulatur der Gliedmaßen übergriffen. Hinsichtlich des Ausbleibens der sozialen Reflexe bei diesen Hunden kann ich mich auf das früher Gesagte berufen. Wahrscheinlich sind für diese Reflexe hauptsächlich Komplexreize nötig, die bei diesen Hunden natürlich nicht zustande kommen können, da ja bei ihnen nicht einmal die elementaren, positiven Reize wirksam sind. Deshalb konnte bei dem ersten Hunde nur ein Organ von untergeordneter physiologischer Bedeutung, das in sehr vereinfachten, elementaren Beziehungen zur Außenwelt steht, die Speicheldrüse, unter Mitwirkung des mit ihr verbundenen, in seiner Tätigkeit ebenfalls eng begrenzten, aber unversehrten Mundanalysators davon zeugen, daß der Mechanismus der Großhirnrinde seine Tätigkeit nicht völlig eingestellt hatte, daß auch bei diesem Tier noch eine höhere Nerventätigkeit bestand. Ich will nun noch von einem dritten Hunde berichten, dessen Analyse uns ebenfalls nicht wenig Zeit gekostet hat. Dieser Hund zeigte sehr deutliche Abweichungen vom normalen Verhalten. Die Veränderungen setzten aber nicht sofort nach der Gehirnoperation als Folge der Exstirpation bestimmter Teile der Großhirnhemisphären ein, sondern sie entwickelten sich erst allmählich unter dem Einfluß des wuchernden Narbengewebes, das oft wiederkehrende, aber immer nur schwache Krämpfe verursachte. Erst besonders heftige Krampfanfälle, die mehr als zwei Jahre nach der Gehirnoperation auftraten, machten dem Leben des Tieres ein Ende. Der Hund war ein junges, sehr bewegliches Tier mit einem starken Nervensystem. Die Arbeit an diesem Hund begann damit, daß wir bei ihm nur mechanische und thermische Hautreflexe ausarbeiteten. Wie schon früher erwähnt, veranlassen diese Reize die Rindenzellen ganz besonders leicht zum Übergang in den Hemmungszustand, so daß das Versuchstier unter ihrer Wirkung sehr bald anfängt, schläfrig zu werden und schließlich einzuschlafen. Dieser Hund blieb aber dennoch im Gestell immer ganz wach und munter. Die Gehirnoperation wurde an diesem Hunde in zwei Etappen, am 9. März und am 28. April 1910, vorgenommen. Zuerst wurden auf der einen und dann auf der anderen Seite die gyri postcruciati beschädigt. Erst jetzt entwickelte sich bei der Reizung der geschädigten Hautstellen Schläfrigkeit, aber sie hielt nur kurze Zeit an und konnte durch das Einführen und die stete Anwendung eines neuen starken bedingten (390) Reizes, der elektrischen Klingel, leicht beseitigt werden. Unbedeutende Funktionsausfälle, die bei diesem Hunde: 20"/IV

308

EINUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

während der ersten Zeit nach der Operation beobachtet wurden, glichen sich bald wieder aus, und in seinem Verhalten schien der Hund so gut wie normal zu sein. Der erste Krampfanfall trat bei ihm am 11. Mai 1910 auf. Zu dieser Zeit war der erste Teil der Arbeit an diesem Hunde beendet, und er lebte längere Zeit im Laboratorium, ohne speziellen Versuchen unterzogen zu werden. Im Verlauf der Sommermonate wiederholten sich die Krampfanfälle. Im Herbst und Winter bemerkte der Wärter, daß dieses Tier zunehmend einige Besonderheiten aufwies. Bei Berührung geriet es in eine heftige Erregimg, es knurrte, bellte und fletschte drohend die Zähne, was früher niemals der Fall war. Anfang Januar 1911 kam das Tier wieder in den Versuch, der von einem neuen Mitarbeiter unseres Laboratoriums, S A T U R N O W , durchgeführt wurde. Das Gesamtverhalten des Hundes gestaltete sich zu jener Zeit folgendermaßen: Wenn das Tier aus dem Käfig gehoben und auf den Boden gestellt wurde, geriet es in eine heftige Erregung. Diese Erregung verging aber bald wieder, und der Hund blieb dann ruhig stehen. E r konnte nun, ohne seine Gliedmaßen zu rühren, auf ein und demselben Pieck 10, 15 und 30 Minuten, ja zuweilen eine Stunde lang stehen bleiben; nur Kopf und Hals bewegte er hin und her, und mit der Nase schnupperte er in der Luft herum. Dann fing der Hund plötzlich an, sich vorwärts zu bewegen oder sich im Kreise herumzudrehen, was aber bald mit einer Harn- oder Kotentleerung endete. Augenscheinlich war das die Ursache, die zur Bewegung geführt hatte; denn unmittelbar nach der Entleerung blieb der Hund wieder ganz ruhig auf demselben Fleck stehen. Wenn die gewohnte Fütterungszeit nahte, so begann der Hund ebenfalls umherzugehen und in der Luft zu schnuppern. Wenn dem Tier die Futterschale vorgehalten wurde, so reckte er sich nach ihr hin, und wenn man die Schale fortzog, lief er ihr nach. Die Futteraufnahme selbst verlief bei diesem Hunde in ganz normaler Weise. Dieser Hund stand ganz fest auf seinen Beinen, ohne zu schwanken; aber beim Gehen hob er die Vorderpfoten höher als gewöhnlich, und bei raschen Wendungen oder auf glattem Fußboden glitt er leicht aus; es kam aber nur selten vor, daß er dabei fiel. Hindernisse, die sich ihm im Wege befanden, konnte er umgehen; es kam aber auch vor, daß er gegen sie stieß. Sexuelle Reflexe konnten trotz mehrmaliger Versuche nicht beobachtet werden. Auf Anrufen reagierte der Hund nicht, wie er überhaupt zu anderen Hunden oder Menschen nicht die üblichen Beziehungen zeigte. Berührung der Haut an allen Stellen des Körpers, besonders aber an Kopf, Nacken und Hals (wahrscheinlich handelt es sich hierbei um ein Bewegen der Haare), einerlei womit, ob es die Hand des Experimentators, ein Gegenstand, auf den der Hund beim Gehen stieß, ein anderes Tier, (391) ob es ein Luftzug oder herabfallende Regentropfen waren, all das rief sofort die heftigste,Erregung des Tieres hervor; es begann zu knurren, zu bellen, die Zähne zu fletschen und geriet in eine allgemeine motorische Erregung. Dabei hob er gewöhnlich seinen Kopf, richtete ihn aber fast niemals nach der Körperstelle, die berührt worden war. Langanhaltende Berührung oder ständiger Druck auf der Haut, wie ihn z. B. beim Stehen im Gestell die an der Haut befestigten Apparate und die Halteriemen an den Beinen verursachten, beunruhigten den Hund nicht. Wie schon erwähnt,

Schädigung großer Teile der Hirnrinde

309

wiederholten sich bei diesem Tier während seines ganzen Lebens im Laboratorium periodisch allgemeine Krampfanfälle, von denen es sich aber gewöhnlich recht schnell wieder erholte. Wir standen nun vor der Aufgabe, die bedingt-reflektorische Tätigkeit dieses sonderbaren Tieres zu untersuchen, um so den nervalen Mechanismus seines Verhaltens nach Möglichkeit verständlich zu machen. Die bedingt-reflektorische Tätigkeit war bei dem Hunde erhalten. Bei ihm waren bedingte Nahrungsreflexe ausgearbeitet worden. Sehr schnell stellte sich der frühere bedingte Reflex auf die elektrische Klingel wieder her. Darauf wurde ein neuer akustischer Reflex auf den Ton einer Orgelpfeife mit 300 Schwingungen in der Sekunde gebildet. Weiter konnten wir einen bedingten Nahrungsreflex auf Kampfergeruch herstellen. Ebenso ließen sich auch Hemmungsreflexe ausarbeiten: Die Differenzierung der Terz gegen den Ton mit 300 Schwingungen und ein bedingter Hemmer aus dem Ticken eines Metronoms zum Reflex auf Kampfergeruch. Es gelang aber dem ersten Untersucher, der diesen Hund im pathologischen Zustande untersuchte (Saturnow), nicht, die früheren bedingten Reflexe auf mechanische Hautreizung, die bis zur Erkrankung des Hundes bestanden hatten, wiederherzustellen. Während dieser Beobachtungen konnte festgestellt werden, daß die positiven bedingten Reize sehr dazu neigten, in Hemmreize überzugehen, und daß der Hemmungsprozeß sehr träge war und sich sehr lange auf die positiven Reize auswirkte. Der nächste Beobachter, in dessen Hände der Hund überging (Kubajew), zog diese eben erwähnte Besonderheit des Hundes in Betracht und wandte daher die isolierten bedingten Reize immer nur sehr kurze Zeit an. Auf diese Weise gelang es ihm ohne besondere Mühe, bedingte Reflexe auf mechanische Hautreizung zu erhalten. Aber die allgemeine Tendenz des Nervenzustandes zur Hemmung nahm mit den Wiederholungen und der Verstärkung der Krampfanfälle immer mehr zu, bis schließlich der Hund nach starken Krämpfen, die ungefähr 12 Stunden lang anhielten, am 9. Mai 1912 einging. (392) Der Sektionsbefund des Gehirns ergab folgendes. Nach Entfernung des Narbengewebes zeigte sich, daß die Defekte der Gehirnsubstanz sich auf folgende Windungen erstreckten: auf den hinteren Teil des gyrus postcruciatus, auf die vorderen Teile der gyri suprasplenialis, entolateralis und ectolateralis, den gyrus suprasylvius medius, die obere Hälfte des gyrus coronarius und auf Teile des gyrus ectosylvius medius. Außerdem erwiesen sich die gesamten Hinterhauptsund Schläfenlappen als stark atrophisch. Die Dimensionen dieser Gehirnteile waren sehr verkleinert und die einzelnen Windungen abgeflacht. Die vorderen Teile der Großhirnhemisphären erschienen völlig unverändert (s. a. Abb. 15, S. 378). Wie sollen wir nun auf Grund dieser Veränderungen die Abweichungen im Verhalten des Tieres Von der Norm erklären ? Die Sektion des Hundes hatte gezeigt, daß hauptsächlich die hinteren Teile beider Hemisphären geschädigt, ja zum Teil gänzlich zerstört waren und daß die vorderen Hemisphärenteile wenig betroffen waren. Man mußte daher erwarten, daß dieser Hund einem Tier mit Exstirpation der hinteren Teile der Großhirnhemisphären sehr ähnlich

310

EINUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

sei, was sich auch bei Untersuchung der bedingten Reflexe bestätigte. Leider haben wir den Hund nicht auf komplexe Licht- und Schallreize untersucht. Wir haben aber bestimmte Angaben, die darauf schließen lassen, daß sie bei ihm fehlten; denn das Tier reagierte nicht auf Anruf und zeigte auch keinerlei spezielle Beziehungen zu anderen Hunden oder zu Menschen. Das letztere könnte allerdings ebensogut davon abhängen, daß sich bei diesem Tier keine Kettenreflexe bilden konnten. Gewisse Mängel beim Gehen finden offensichtlich ihre Erklärung in einer geringen Schädigung der motorischen Region. Schwierig ist es dagegen, eine bedingt-reflektorische Erklärung für das Stehen auf einer Stelle und für die ganz außergewöhnliche Reaktion des Tieres bei Berührung der Haut zu geben. Was die erste Erscheinung betrifft, so können wir nicht mit Sicherheit entscheiden, ob sie auf das zweifellos vorhandene Überwiegen des Hemmungsprozesses in der Rinde (unter dem Einfluß der sich stets wiederholenden Erregungsausbrüche) zurückzuführen ist oder ob wir sie als Ergebnis einer gewissen partiellen Schädigung des Hautanalysators auffassen sollen, um so mehr, als die gewöhnliche Beweglichkeit des Kopfes und Halses erhalten geblieben war. Ebenso bleibt uns auch die Wirkung der Hautberührung unklar. Ist das ein kortikaler Reflex oder ein Reflex niederer Hirnteile? Da bedingte Reflexe auf mechanische Hautreizung vorhanden waren, scheint letzteres wenig wahrscheinlich. Aber wie sollen wir dann die so stark gesteigerte Erregbarkeit des Hautanalysators mit dem Überwiegen des Hemmungsprozesses in der Rinde in Einklang bringen? Um all diese Fragen zu lösen, (393) wären viele Versuchsvariationen nötig gewesen, die aber seinerzeit nicht gemacht wurden. Die in dieser Vorlesung besprochenen Fälle führe ich an, ohne dabei den Anspruch zu erheben, daß wir damit eine Erklärung des nervalen Mechanismus aller Abweichungen von der Norm im Verhalten von Hunden nach Gehirnoperationen geben können. Mein Ziel besteht nur darin, der Physiologie der Großhirnhemisphären die ihr von Rechts wegen zukommenden Fragen nach dem Mechanismus dieser Vorgänge zu stellen und gewisse Möglichkeiten ihrer Lösung aufzuzeigen. Alle Tatsachen, die ich in den letzten drei Vorlesungen über unsere Versuche mit bedingten Reflexen angeführt habe, bestätigen im wesentlichen die älteren und neueren Ergebnisse anderer Untersucher auf diesem Gebiet. Wir haben nur wenig Neues beigetragen, dafür aber neue Gesichtspunkte und Fragestellungen auf diesem Gebiet erschlossen. Unser gesamtes Tatsachenmaterial steht aber in ganz entschiedenem Gegensatz, zu der Lehre von besonderen Assoziationszentren, und es spricht gegen die Vermutung, daß irgendeinem besonderen Abschnitt der Großhirnhemisphären die höchste Nervenfunktion zukommt. Schon M Ü N K hat sich seinerzeit dagegen ausgesprochen. (394)

ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

E I N E ALLGEMEINE CHARAKTERISIERUNG UNSERER FORSCHUNG: I H R E AUFGABEN, I H R E SCHWIERIGKEITEN UND U N S E R E F E H L E R Meine Damen und Herren! Die wissenschaftliche Erforschung der Lebenserscheinungen kann man gleichsam auf verschiedenen Ebenen durchführen. Der Forscher kann einmal die physikalisch-chemischen Grundlagen der Lebensprozesse ins Auge fassen und mit Hilfe physikalischer und chemischer Methoden die elementaren Lebensprozesse analysieren. Wenn er aber die Evolution der lebendigen Substanz zum Gegenstand seiner Forschung macht, dann muß er bestrebt sein, die Funktion der unendlich komplizierten Strukturen der lebenden Materie auf Eigenschaften elementarer Formen dieser Materie zurückzuführen. Wenn schließlich der Forscher die Gesamtfunktion der hochkomplizierten Strukturen in ihrem tatsächlichen gesamten Umfange erfassen will, dann wird er naoh den Gesetzen suchen, die dieser Funktion zugrunde liegen, oder, was auf dasselbe hinausläuft, er wird bestrebt sein, alle Bedingungen festzustellen, durch die der Funktionsablauf in jedem Augenblick und bei allen möglichen Veränderungen eindeutig bestimmt wird. Dieser letztgenannte Standpunkt ist offensichtlich derjenige, von dem wir bei unseren Untersuchungen ausgegangen sind. Auf dieser Ebene haben wir uns nicht mit der Frage beschäftigt, was Erregung und Hemmung in letzter Instanz darstellen. Wir nahmen sie als zwei vorhandene Erscheinungen, als die beiden Grundeigenschaften der komplizierten Struktur, als die beiden wichtigsten funktionellen Erscheinungen dieser Struktur an. Wir haben uns auch niemals die Aufgabe gestellt, die Funktion der Großhirnhemisphären auf diejenigen elementaren Eigenschaften des Nervengewebes zurückzuführen, die uns von der Nervenfaser her gut bekannt sind. Wir haben uns auch nicht im einzelnen bei der Frage aufgehalten, ob sich nicht diese beiden elementaren Erscheinungen, die Erregung und Hemmung, (395) zwischen den beiden Elementen der von uns untersuchten Struktur, zwischen den Nervenzellen und ihren Berührungspunkten oder Verbindungsbahnen, aufteilen ließen. Wir haben Tins fürs erste einfach mit der Vermutung begnügt, daß beides Funktionen der Nervenzelle seien. Es kann andererseits natürlich keinem Zweifel unterliegen, daß die Untersuchung der bedingten Reflexe eine Untersuchung der Funktion der Großhirnrindenzellen ist. Dafür spricht unstreitig die Unmenge einzelner Reize, die

312

ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

den Hemisphären aus der Umwelt und aus der Innenwelt des Organismus in jedem gegebenen Augenblick übermittelt werden, und die Tatsache, daß für jeden dieser Reize isolierte Punkte mit hunderten Millionen und Milliarden von Rindenzellen vorhanden sind und daß sie wegfallen, sobald die Großhirnhemisphären entfernt werden. Es ist auch höchstwahrscheinlich, daß die Erregung und Hemmung, diese beiden Prozesse, die sich fortwährend so eng miteinander verflechten und immerfort einander abwechseln, ebenfalls als Funktionen der Nervenzellen aufgefaßt werden können. Sie stellen nur verschiedene Phasen eines physikalisch-chemischen Prozesses dar, der sich in diesen Zellen unter dem Einfluß der unzähligen Reize abspielt, die ihnen sowohl aus der Außenwelt als auch aus allen Teilen des Organismus und insbesondere aus anderen Punkten der Großhirnhemisphären zugeleitet werden. Die Hauptaufgabe unserer Forschung bestand darin, die einzelnen Vorgänge der Rindenfunktion aufzuzeichnen und zu charakterisieren, sowie die genauen Bedingungen ihres Eintretens festzustellen und sie in ein bestimmtes System zu bringen. Anders gesagt, wir mußten die Bedingungen, durch die Schwankungen in der Größe des Hemmungs- und Erregungsprozesses hervorgerufen werden, genau bestimmen und die gegenseitigen Beziehungen dieser beiden Prozesse feststellen. Unsere Arbeit war also ihrem Wesen nach den Arbeiten von S H E R R I N G T O N und seiner Schule über das Rückenmark ganz analog. Dabei ergeben sich viele Punkte, in denen die Tatsachen, die wir bei der Untersuchung der Großhirnhemisphären entdeckt haben, mit denjenigen aus der Physiologie des Rückenmarks übereinstimmen, was auf eine grundsätzliche Ubereinstimmung der Verhältnisse im Gehirn und im Rückenmark hinweist. Aber die Untersuchungen über die Tätigkeit der Großhirnhemisphären sind selbst in den engen Grenzen, die wir uns gesteckt haben, außerordentlich schwierig. Denken Sie nur an die außerordentliche Reaktionsfähigkeit der Großhirnrinde und an die ungeheure Menge von Reizen, von denen sie in jedem Augenblick getroffen wird. Ihre Funktion läßt sich durch folgende zwei Grundzüge charakterisieren : durch eine beispiellose Beeinflußbarkeit und durch eine damit natürlicherweise verbundene große Beweglichkeit (396) aller Prozesse. Ich möchte sagen, daß es beinahe keine einzige Erscheinung gibt, bei der wir sicher sein könnten, tatsächlich alle Bedingungen ihrer Entstehung erfaßt zu haben. Die geringste Schwankung in der Umwelt oder Innenwelt, die wir überhaupt nicht ahnen oder nur mit Mühe feststellen können, genügt schon, um den Ablauf der Prozesse völlig zu verändern. Es ist selbstverständlich, daß sich die Mängel, die unserem Denken stets anhaften, eine gewisse Stereotypie und Voreingenommenheit, bei diesen Untersuchungen besonders unangenehm bemerkbar machen. Unser Denken kann oft sozusagen der Mannigfaltigkeit der Beziehungen nicht folgen. Das ist der Grund, warum man bei dieser Arbeit so oft auf Irrwege gerät. Ich bin überzeugt, daß auch in dem vorgetragenen Material nicht wenig Mängel, vielleicht selbst grobe Fehler vorhanden sind. Aber bei der Kompliziertheit der Verhältnisse, die wir untersuchen, ist ein Irrtum verzeihlich. Das ist auch der Grund, weshalb ich so lange gezögert habe, eine systematische Darstellung unserer jahrelangen

313

Allgemeine Charakterisierung unserer Forschung

Arbeit zu geben. Die mitgeteilten Eigenschaften unseres Materials bringen es mit sich., daß ständig neue Fragen entstehen und daß man daher gezwungen ist, viele Fragen ungelöst zu lassen. Von unseren unmittelbaren Aufgaben werden wir oft durch ganz unerwartete Geschehnisse abgelenkt, und es kommt auch oft vor, daß wir durch manches, was von unserem Standpunkt aus ganz unverständlich erscheint, in die größte Verlegenheit geraten. Zu einer solchen, ganz allgemeinen Charakterisierung der Untersuchungen an den Großhirnhemisphären will ich in unserer heutigen abschließenden Vorlesung übergehen, wobei ich mich auf Tatsachenmaterial stütze, das in den bisherigen Vorlesungen noch nicht angeführt werden konnte. Wie kompliziert die Erscheinungen auf dem von uns bearbeiteten Gebiet sind und durch wieviele feine und mannigfaltige Bedingungen sie bestimmt werden, das zeigen, meiner Meinung nach, besonders schön folgende zwei Beobachtungen aus der allerletzten Zeit unserer Arbeit. Erinnern Sie sich bitte des Hundes, von dem schon mehrmals in unseren Vorlesungen die Rede war, der die starken Einflüsse der Überschwemmung durchgemacht hat und der nach unseren weiteren speziellen Maßnahmen eine ganz isolierte funktionelle Schädigimg im akustischen Analysator aufwies 1 ). Einen ganzen Monat lang waren wir damit beschäftigt, bei ihm eine Differenzierung auf verschiedene Tonhöhen auszuarbeiten; bei der Lösung dieser Aufgabe verhielt sich das Tier völlig normal. Solange wir die isolierten bedingten Reize nur 10 Sekunden lang wirken ließen, betrug der sekretorische Effekt 5 Speicheltropfen. Der Unterschied zwischen den starken und schwachen Reizen war ganz deutlich. Der Hund nahm sofort das Futter, das ihm nach den bedingten Reizen vorgelegt wurde, (397) und fraß gierig. Im Gestell verhielt er sich ruhig. Eines Tages aber wurde eine scheinbar ganz unbedeutende Veränderung in den Versuch eingeführt. Die isolierte Dauer des bedingten Reizes wurde um 5 Sekunden verlängert. Dadurch wurde sofort die ganze Funktion der bedingten Reflexe deutlich gestört. Hier die Protokolle der entsprechenden Versuche. Versuch vom 19. Juni 1926 (Normalversuch) Zeit

Bedingter Reiz für 10 Sekunden

10 h 33' Ton mit 250 Schwingungen pro Sekunde 10 h 38' Ton mit 150 Schwingungen pro Sekunde (Differenzierung) 10 h 48' Brodeln des Wassers . . 10 h 52' Aufleuchten der Lampe 10 h 59' Brodeln des Wassers .. I

) s. S. 247-253,

259, 260 (dt.

Red.)

Speichelsekretion (in Tropfen) in 10 Sekunden 4,5

0

5 3,5 5

Bemerkungen Hund steht die ganze Zeit ruhig. Auf bedingte Reize erfolgt motorische Nahrungsreaktion. Nimmt beim Erscheinen der Futterschale das Futter sofort auf

314

ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Versuch vom 24. Juni 1926 (Veränderte Versuchsbedingung) Zeit

Speichelsekretion (in Tropfen) in 15 Sekunden

Bedingter Reiz für 15 Sekunden

10 h 28'

Ton mit 250 Schwingungen pro Sekunde

10 h 34'

Aufleuchten der Lampe

10 h 49'

Elektrische Klingel

10 h 54'

Aufleuchten der Lampe

11 h 01'

Brodeln des Wassers

...

...

1,5 0

Bemerkungen

Motorische Nahrungsreaktion. Frißt. In der Pause, bis zum nächsten Reiz ist der Hund unruhig Schwache motorische Reaktion. Frißt. In der Pause unruhig Wendet sich beim Erscheinen der Futterschale von ihr ab. Beginnt erst 15 Sekunden nach ihrem Erscheinen zu fressen Motorische Nahrungsreaktion. Frißt sofort Wendet sich von der Futterschale ab,nimmt überhaupt kein Futter

Im Versuch vom 24. Juni gab der erste Reiz eine stärkere Wirkung als gewöhnlich, und das ist auch ganz verständlich, denn seine Wirkungsdauer war ja um 5 Sekunden länger. Auf den bedingten Reiz setzte sofort eine lebhafte Nahrungsreaktion ein, und beim Erscheinen der Futterschale machte sich der Hund sofort ans Fressen. (398) Dies versprach alles einen normalen Versuchsverlauf. Wir hatten gar kein Anzeichen dafür, daß an diesem Tage etwas Besonderes, Unnormales bevorstand. Aber schon in der Pause, nach dem ersten Reflex, bemerkten wir, daß das Tier unruhig wurde, und dann stellte sich mit voller Deutlichkeit die paradoxe Phase ein. Auf starke Reize blieb die Reaktion aus, und der Hund nahm das vorgelegte Putter das erstemal mit einer gewissen Verspätung, beim zweiten Male überhaupt nicht. Der schwache Reiz dagegen rief jedesmal eine Speichelsekretion hervor, die allerdings etwas schwächer war als in der Norm. Die motorische Reaktion aber war normal, beim Erscheinen der Futterschale begann der Hund sofort zu fressen. Am Tage nach diesem Versuch wurden die bedingten Reflexe wieder in ihrer gewöhnlichen Dauer angewandt; dennoch verlief der Versuch noch weniger normal. Die sekretorische Wirkimg fehlte bei allen Reizen, bei den starken Reizen nahm der Hund kein Futter, bei den schwachen aber fraß er wie gewöhnlich. Vom dritten Tage an war alles wieder normal, nur der Ton, der an diesem Tage als erster mit verlängerter Wirkungsdauer angewandt wurde, zeigte noch eine verminderte Wirkung, etwa die Hälfte

Mannigfaltigkeit der Reaktionen

315

der normalen. Der Versuch ist noch einmal mit dem gleichen Ergebnis wiederholt worden. Ist eine solche Feinheit der Reaktion nicht ganz erstaunlich ? Wie stark wirkt sich doch eine so geringfügige Veränderung der Versuchsbedingungen in den Ergebnissen aus! Die Mannigfaltigkeit der Reaktionen hängt aber nicht allein von der Reaktionsfähigkeit ab. Wie ich Ihnen gleich mitteilen will, haben wir an einem anderen Hunde bei der gleichen Veränderung der Versuchsbedingungen einen genau entgegengesetzten Erfolg gesehen. Von diesem Hunde ist ebenfalls schon früher die Rede gewesen. Es handelte sich um ein äußerst leicht hemmbares Tier. Da dieser Hund unter gewöhnlichen Bedingungen im Gestell sehr bald schläfrig wurde und dann nicht nur die bedingten Reflexe ausblieben, sondern auch der Schnappreflex nach dem vorgelegten Futter fehlte, wandten wir bei ihm unser bewährtes Verfahren zur Erhöhung der Erregbarkeit an, den möglichst raschen Übergang vom bedingten zum unbedingten Reiz (isolierte Wirkung des bedingten Reizes nicht länger als % bis 1 Sekunde). Nach 3 Wochen langem Üben dieses Verfahrens war bei dem Hunde die Schläfrigkeit verschwunden, er nahm jedesmal sofort das vorgelegte Futter und fraß gierig. Als wir darauf die isolierte Wirkung der bedingten Reize auf 5 Sekunden verlängerten, zeigte sich ebenfalls ein bedingter sekretorischer Effekt. Aber beim Wiederholen dieser Versuchsanordnung hielt sich dieser Reflex nur einige Tage, dann verschwand er, und der Hund begann wieder schläfrig zu werden. Nun verlängerten wir die isolierte Wirkung des bedingten Reizes auf 10 Sekunden, und der Hund wurde wieder ganz munter; auch der sekretorische Effekt erschien wieder, und was das Wesentliche dabei ist, er trat schon während der ersten 5 Sekunden ein. Nun wiederholte sich die alte Geschichte. (399) Nach einigen Tagen wurde der Hund wieder schläfrig, und es verschwand auch der gebildete Speichelreflex. Die Verlängerung des bedingten Reizes auf 15 Sekunden hatte genau dieselbe Wirkung wie die erste Verlängerung auf 10 Sekunden: der Hund wurde wach und rege, und auch der bedingte Speichelreflex trat wieder auf, wobei die Sekretion schon während der ersten 5 Sekunden des bedingten Reizes einsetzte. Genau in der gleichen Weise verliefen unsere Versuche, als wir die Dauer des bedingten Reizes noch weiter, auf 20 und dann auf 25 Sekunden verlängerten. Hier gebe ich zwei entsprechende Versuchsprotokolle wieder.

Versuch vom 28. Februar

Zeit

Bedingter Reiz für 15 Sekunden

8 h 53' Ticken des Metronoms 9 h 03' Mechanischer Hautreiz 9 h 18' Pfeifen

1925

Beginn der Speichelsekretion (in Sekunden)

Speichelsekretion (in Tropfen) in 15 Sekunden

7

1 0 0

— —

316

ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Am folgenden Versuchstag wurden die bedingten Reize auf 20 Sekunden verlängert. Versuch vom 3. März 1925 Zeit

Bedingter Reiz für 20 Sekunden

9 h 02' Ticken des Metronoms 9 h 12' Pfeifen 9 h 24' Mechanischer Hautreiz

Beginn der Speichelsekretion (in Sekunden) 4 2 10

Speichelsekretion (in Tropfen) in 20 Sekunden 5 8 3,5

So hatte denn jede geringe Verlängerung der isolierten Wirkung des bedingten Reizes eine zeitweilige Erregung des Hundes zur Folge. Der Schläfrigkeitszustand des Tieres verschwand jedesmal, und die bedingte Speichelsekretion erschien nach Einsetzen des bedingten Reizes viel früher als in den vorangegangenen Versuchen. Dieser letzte Umstand spricht entschieden dafür, daß wir hier den bedingten Reflex nicht deswegen sehen, weil die Wirkungszeit des bedingten Reizes verlängert ist, sondern weil jetzt eine gesteigerte Erregbarkeit der Gehirnrinde besteht. So sehen wir, daß ein und dieselbe minimale Veränderung in den Versuchsbedingungen bei zwei verschiedenen Hunden zwei entgegengesetzte Wirkungen haben kann. Bei dem einen Hund war die Wirkung ein Auftreten von Hemmungserscheinungen, bei dem anderen Hunde wurde im Gegenteil die bestehende Hemmung beseitigt. Man muß wohl annehmen, daß der Grund (400) dieser entgegengesetzten Wirkung darin liegt, daß der erste Hund immer ganz wach und munter war (in einem Erregungszustand), wogegen der zweite Hund sich in einem schläfrigen (gehemmten) Zustand befand. Ich will nun ein Beispiel anführen, wo offensichtlich der Ablauf der Erscheinungen durch ganz unbedeutende, von uns bis jetzt noch nicht ergründete Einflüsse eine merkbare Abweichung von der Norm erfährt. W i e ich- i n den vorigen Vorlesungen schon mehrfach erwähnt habe, geben bedingte Reize aus äußeren Agenzien, die auf verschiedene Analysatoren einwirken, unter sonst gleichen Bedingungen Wirkungen von verschiedener Stärke 1 ). Wir gingen lange Zeit von dem Gedanken aus, daß der Unterschied unserer Empfindungen von Licht, von Tönen usw. doch irgendeine materielle Grundlage in den verschiedenen Eigenschaften der entsprechenden Rindenzellen haben muß, da ja die moderne Physiologie den Nervenprozeß als solchen in allen Nerven für identisch hält. Durch diesen Gedanken voreingenommen, waren wir geneigt, den Unterschied in der Wirkungsstärke, in der Größe unserer bedingten Reflexe bei Erregung verschiedener Analysatoren ebenfalls auf die individuellen Eigenschaften der Rindenzellen dieser Analysatoren zurückzuführen. Nun erforderten einige Tatsachen, auf die wir schon während dieser Vorlesungen gestoßen sind, eine spezielle *) s. S. 114, 219 (dt. Red.)

Mannigfaltigkeit der Reaktionen

317

experimentelle Bearbeitung dieser Präge. Dabei zeigte sich, wie ich schon früher mitgeteilt habe, daß der Unterschied in der Wirkungsgröße der bedingten Reize, die über verschiedene Analysatoren wirken, ohne Zweifel in hohem Maße von der Energiemenge abhängt, die durch das gegebene Agens der Hirnrinde zugeführt wird. Wie Sie sich wohl erinnern, haben wir diese Frage in folgender Weise gelöst. Schon seit langer Zeit wußten wir, daß ein bedingter, aus zwei gleichzeitig wirkenden Agenzien bestehender Komplexreiz, dessen Komponenten zu zwei verschiedenen Analysatoren gehören, seine Wirkung zum größten Teil, wenn nicht ausschließlich, nur durch eine seiner Komponenten ausübt. Davon können wir uns überzeugen, wenn wir die Wirkung jeder Komponente einzeln prüfen; dann verdecken nämlich unsere üblichen akustischen Reize immer die mit ihnen in einem Komplex wirkenden optischen Reize sowie die mechanischen und thermischen Hautreize. Wenn wir aber mit Absicht die akustische Komponente sehr schwach nahmen und den in diesem Komplex wirkenden Lichtreiz sehr verstärkten, dann erhielten wir ein umgekehrtes Verhältnis, wodurch die führende Rolle der Energiemenge bewiesen war 1 ). Indessen tritt die Grundtatsache der Abhängigkeit der Stärke eines bedingten Reflexes von der zugeführten Energiemenge manchmal, wenn auch nicht sehr oft, bei einigen Tieren nicht in Erscheinung. Obwohl wir unsere Aufmerksamkeit diesen Fällen ganz besonders zugewendet haben, sind wir doch bis heute noch nicht imstande, mit Bestimmtheit zu sagen, (401) durch welche speziellen Bedingungen diese Abweichungen von der Regel verursacht werden. Wir können allerdings mit Gewißheit einzelne Tatsachen hervorheben, die mitwirken, aber in ihrer Gesamtheit haben wir sie noch nicht erfaßt. Wahrscheinlich hängen diese Abweichungen mit den allgemeinen Eigenschaften des Nervensystems zusammen, ob es sich um einen leicht hemmbaren oder um einen erregbaren Nerventyp handelt. Bei den leicht hemmbaren Tieren tritt gewöhnlich die Beziehung zwischen Reizgröße und bedingter Wirkung ganz besonders deutlich und beinahe ohne Ausnahme hervor, wenn wir Von besonderen pathologischen Verhältnissen absehen. Ferner hat die Dauer der isolierten Wirkung des bedingten Reizes eine gewisse Bedeutung. Wenn der bedingte Reiz nur kurze Zeit dauert, so kann dieser Unterschied fehlen. Zu Beginn des bedingten Reizes setzt gewöhnlich die Wirkung bei starken und schwachen Reizen mit gleicher Intensität ein; während der weiteren Dauer des Reizes aber nimmt die Wirkung bei starken Reizen immer mehr zu, während sie bei den schwachen Reizen unverändert bleibt oder nur sehr wenig zunimmt. Bei sehr erregbaren und gierigen Hunden konnten wir aber das Gegenteil sehen: die Verkürzung der Dauer des bedingten Reizes trug in solchen Fällen meist dazu bei, die normale Abhängigkeit zwischen Reizgröße und Reizwirkung hervortreten zu lassen; bei längerer Dauer des bedingten Reizes war sie dagegen nicht wahrnehmbar. Wiederum macht sich die ungemein mannigfaltige Abhängigkeit der Erscheinungen, die die Funktion der Großhirnhemisphären bilden, dadurch bemerkbar, daß wir beim Umgang mit vielen, scheinbar einfachen und uns genau bekannten s. S. 218 (dt. Red.)

318

ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Tatsachen dennoch oft sehen müssen, daß unsere gegenwärtige physiologische Analyse noch lange nicht befriedigend ist. Betrachten wir einen unserer jüngsten Fälle (Versuche von N . A. P O D K O P A J E W und S . N . W Y R S H I K O W S K I ) . Bei einem Hunde wurden bedingte Reflexe auf verschiedene Agenzien bei folgender Versuchsanordnung ausgearbeitet. Ein indifferentes Agens wurde einmal in Begleitung des unbedingten Reizes (Futter), das nächste Mal allein angewandt. Dies wurde mehrfach wiederholt. Der bedingte Reflex stellte sich ziemlich rasch ein (beim 20. Mal). Bei der Ausarbeitung des nächsten bedingten Reflexes wurde bei einem von drei Malen gefüttert. Der Reflex ließ sich auch so bilden, sogar noch schneller (beim 7. Mal), aber der Hund geriet dabei in sehr starke Erregung. Schließlich wurde noch ein dritter Reiz genommen, und bei diesem nur in einem von vier Malen gefüttert. Bei dieser Versuchsanordnung ließ sich überhaupt kein bedingter Reflex mehr ausarbeiten, (402) und der Hund wurde allmählich schläfrig. Dieser letzte Reiz ist im ganzen 240mal angewendet worden, wobei er 60mal eine Bekräftigung durch den unbedingten Nahrungsreiz erfuhr. Versuchen wir, aus den Tatsachen, die die Grundlage unseres Wissens über die bedingten Reflexe bilden, den Mechanismus dieser Erscheinung zu verstehen: Weshalb hat sich im gegebenen Fall kein bedingter Reflex bilden lassen, oder wenn Sie annehmen wollen, daß er bei weiteren Wiederholungen dennoch entstanden wäre, warum hat sich dann sein Erscheinen so verzögert ? Der Mechanismus, der die Grundlage der Entstehung der bedingten Reflexe bildet, besteht in der Begegnung, in der Gleichzeitigkeit zweier Reize, von denen der eine einen bestimmten Punkt der Großhirnrinde trifft, der andere aber, und zwar der stärkere, an einem anderen, wahrscheinlich auch in der Rinde gelegenen Punkte angreift. Zwischen diesen beiden Punkten bahnt sich nun mehr oder weniger rasch ein leicht gangbarer Weg, es bildet sich eine Verbindung zwischen diesen Punkten. Und umgekehrt, wenn diese Begegnung der beiden Reize lange nicht stattfindet, so verschwindet die eingeschliffene Bahn wieder, die geknüpfte Verbindung löst sich. Sind diese Bahnen aber einmal maximal eingeschliffen, dann bleiben sie auch ohne fortwährende Übung monate-, ja jahrelang bestehen. Es ist verständlich, daß unter den entsprechenden Bedingungen, d. h. bei der Begegnung zweier Reize, die Bahnung schon bei der ersten Begegnung dieser Reize beginnen muß und dann immer leichter gangbar wird, d. h., die Wirkungen der aufeinanderfolgenden Begegnungen summieren sich. Nun erhebt sich die ganz berechtigte Frage, warum sich der bedingte Reflex bei unserer letzten Versuchsanordnung nicht hat bilden lassen. Die Begegnung beider Reize hatte ja 60mal stattgefunden, wo wir doch sonst bedingte Reflexe schon nach drei- bis fünfmaliger Gleichzeitigkeit zweier Reize entstehen sahen. Bei unserer ersten Versuchsanordnung hatte sich der bedingte Reflex auch schon beim 20. Male eingestellt, d. h. zu der Zeit, wo sich normalerweise bei allen Hunden der erste Reflex bildet. In erster Linie kommt einem natürlich der Gedanke, ob hier nicht das Zeitintervall zwischen den einzelnen Begegnungen der Reize eine ausschlaggebende Rolle spielt. Aber in unserem Fall kann das unmöglich von Bedeutung sein. Bei denselben Intervallen hätte sich ohne Zweifel ein bedingter Reflex gebildet, wenn in ihnen nicht der indifferente

Der Bildungsmechanismus des bedingten Reflexes

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Reiz ohne den unbedingten Reiz angewandt worden wäre. Das ist also nicht der Gmnd, der das Entstehen des bedingten Reflexes verhindert hat. Wir sind gezwungen, anzunehmen, daß gerade die häufige Wiederholung des indifferenten Agens ohne den unbedingten Reiz ein Hindernis für die Bildung des bedingten Reflexes geschaffen hat. Aber wie sollen wir uns dieses Hindernis vorstellen ? Wie wir wissen, ruft jeder neue Reiz bei seinen ersten Anwendungen den Orientierungs- oder Untersuchungsreflex hervor. (403) Wenn aber die Wiederholungen dieses Reizes ohne weitere Einwirkungen auf das Tier bleiben, so hört der Reiz auf, diesen Orientierungsreflex hervorzurufen. Auch dieses Verschwinden des Untersuchungsreflexes beruht auf der Entwicklung einer Hemmung in der Rindenzelle, die von dem neuen Reiz getroffen wurde. Folglich mußte auch in unserem Fall bei den drei Wiederholungen des Reizes ohne den darauffolgenden unbedingten Reiz diese Hemmung in den entsprechenden Rindenzellen entstehen, und daher konnte in der Zelle beim vierten Male der zur Vereinigung mit der Zelle des Nahrungsreizes nötige Erregungsprozeß fehlen. Diese Vermutung scheint genügend begründet zu sein, aber auch sie trifft im gegebenen Fall nicht zu. Als das Agens in seiner dritten Variationsform zum 240. Male wiederholt wurde, untersuchten wir es auf seine Eigenschaften. Wir ließen den Reiz wirken, und nachdem er aufgehört hatte, wandten wir nach sehr kurzer Zeit (30 Sekunden) irgendeinen anderen Reiz an, auf den bei dem Hunde früher ein bedingter Reflex ausgearbeitet worden war; dieser Reflex erwies sich dabei keineswegs als gehemmt. Unser Agens hatte also keine hemmende Nachwirkung, folglich war es kein Hemmreiz. Man könnte vielleicht annehmen, daß die Hemm Wirkung in diesem Fall infolge der langen Anwendung sehr konzentriert war. Auch diese Vermutung war nicht stichhaltig, denn als wir nach 240maliger Anwendung anfingen, dieses Agens jedesmal durch Füttern zu bekräftigen, zeigte es schon nach dem dritten Mal eine ganz beträchtliche bedingte Speichelwirkung. Es muß noch in Betracht gezogen werden, daß an dem Tage, als wir diesen Reiz zum erstenmal zweimal in Kombination mit dem Futter anwandten, auch alle anderen bedingten Reflexe schwach waren, d.h., daß die allgemeine Erregbarkeit des Hundes an diesem Tage sehr gering war. So war also die Geschwindigkeit, mit der sich ein bedingter Reflex aus diesem Agens bilden ließ, maximal, und wir haben absolut keinen Grund anzunehmen, daß sich die Zellen des indifferenten Agens in einem Hemmungszustand befanden. Wir haben also alle Annahmen nachgeprüft, die den uns bekannten Tatsachen entsprechen, und haben doch die Ursache der Erscheinung nicht gefunden. Wir werden diese Untersuchungen fortsetzen, und ich denke, daß wir der Ursache doch noch auf den Grund kommen werden. Aber die dargelegten Ausführungen zeigen, daß wir heute noch nicht alle Bedingungen kennen, unter denen der Mechanismus der Reflexbildung zustande kommt. Die Bedingungen, die wir in der zweiten Vorlesung besprochen haben, reichten aus, um alle Reflexe zu erhalten, mit denen wir es bisher zu tun hatten; nun aber zeigt sich, daß sie doch nicht vollständig sind, denn obwohl wir sie alle in Betracht ziehen, kommen wir doch mit ihnen bei der Analyse des vorliegenden Falles nicht aus. Es muß noch irgendeine weitere Bedingung existieren, die wir bisher über-

320

ZWEIUNDZWANZIGSTE VORLESUNG

sehen haben. Wir stoßen in diesem Fall wieder auf die ganz außerordentliche Bedingtheit der Erscheinungen. (404) Wenn man zur Zeit auch offensichtlich noch gar nicht daran denken kann, die Gesamtfunktion der Großhirnhemisphären aus den Einzelheiten des ihnen zugrunde liegenden physikalisch-chemischen Prozesses zu erklären, wenn wir höchstwahrscheinlich keine allzu große Aussicht haben, ihre Funktion aus den elementaren Eigenschaften des Nervengewebes zu verstehen, wenn wir sogar die Erscheinungsformen dieser Funktion noch nicht ausreichend kennen, was bleibt dann für unsere Forschung übrig ? Worauf sollen wir unsere Arbeit richten ? Offensichtlich muß die nächste reale Aufgabe beim gegenwärtigen Stand der physiologischen Erforschung der Großhirnhemisphären darin bestehen, die ungeheure Menge verschiedener Einzelerscheinungen auf eine immer kleinere Anzahl allgemeiner Grunderscheinungen zurückzuführen. Das ist auch die Aufgabe, mit der wir uns zur Zeit beschäftigen. Wie Sie sehen, rücken wir in einzelnen Fällen dem Ziele näher. Manchmal stehen wir noch vor ungelösten Fragen, die wir in Angriff nehmen. Bisweilen aber verfehlen wir auch den rechten Weg. Zu Beginn unserer Arbeit unterschieden wir drei Arten von Hemmung, die äußere Hemmung, die innere Hemmung und den Schlaf, wobei wir uns auf deutlich unterschiedene, äußere Merkmale stützten. Als unser Tatsachenmaterial größer wurde, konnten wir, wie Sie wissen, die beiden letzteren Arten der Hemmung in eine Gruppe zusammenzufassen und den Unterschied zwischen ihnen auf untergeordnete Einzelheiten zurückführen. Beide Arten erwiesen sich als ein und dieselbe innere Hemmung, nur mit dem Unterschied, daß es in dem einen Fall ein örtlich begrenzter, im anderen Falle ein verbreiteter Prozeß war. Als wir nun bei unseren weiteren Arbeiten über die bedingten Reflexe die Erscheinungen der gegenseitigen Induktion kennengelernt hatten, fiel uns natürlich die Ähnlichkeit zwischen der negativen Induktion und der Erscheinung der äußeren Hemmung in die Augen. Nun schien es wahrscheinlich, daß alle drei Arten von Hemmimg im Grunde genommen auf ein und demselben Prozeß beruhen, weshalb wir begannen, weiteres Material zu dieser Frage zu sammeln. Diese Tatsachen sind Ihnen zum Teil schon bekannt, zum Teil will ich sie jetzt anführen. In der Vorlesung über Induktion habe ich Ihnen von einem Versuch berichtet, bei dem ein bedingter Abwehrreflex, der durch mechanische Reizung einer bestimmten Hautstelle ausgelöst wurde, eine bedeutende hemmende Nachwirkung auf die bedingten Nahrungsreflexe hatte, die durch mechanische Reizung anderer Hautstellen hervorgerufen wurden. Es fanden sich nun im Ablauf des ganzen Versuchs einige Einzelheiten, die darauf hinwiesen, daß diese Hemmimg an beiden Punkten (sowohl am Punkte der Erregung, als auch am Punkte der Hemmung) vor sich ging, und zwar in der Großhirnrinde1). In der Vorlesung, (405) in der ich Sie mit den Übergangsphasen zur vollen inneren Hemmung bekannt machte2), habe ich auch einige Beispiele angeführt, an denen Sie sehen konnten, daß man auch !) s. a. S. 162 (dt. Red.) 2 ) s. a. S. 224 (dt. Red.)

I d e n t i t ä t der äußeren und inneren H e m m u n g

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bei der äußeren Hemmung die gleichen Phasen verfolgen kann. Jetzt will ich dieses Material durch neue Vermutungen und neue Tatsachen ergänzen, die ebenfalls auf die Identität der äußeren und inneren Hemmung hinweisen. Heute und auch schon früher war davon die Rede, daß in einem bedingten Komplexreiz aus zwei gleichzeitigen Reizen der starke Reiz den schwachen verdeckt, ihn gewissermaßen unterdrückt. Tritt uns in dieser Tatsache nicht der Prozeß der äußeren Hemmung entgegen? Die Zelle des starken Reizes, die sich in einem intensiven Erregungszustand befindet, hemmt die Zelle des schwachen Reizes, und daher kommt diese letztere nur in eine sehr schwache Verbindung mit dem unbedingten Reiz. Wir sind zu dieser Schlußfolgerung berechtigt, denn wir haben allen Grund, anzunehmen, daß das Einschieifen der Verbindungsbahn, d. h. die Stärke der Verbindung zwischen den beiden Punkten, der Stärke des bedingten Reflexes entspricht. Wodurch soll sich aber dieser Fall der äußeren Hemmung von der negativen Induktion unterscheiden? Wissen wir doch, daß bei der negativen Induktion der Punkt des positiven bedingten Reizes den Hemmungszustand eines Punktes, in dem eine bedingte Hemmimg besteht, deutlich verstärkt oder (wenn die Hemmung erloschen ist) die Hemmung sogar wiederherstellt. Zum Beweis unserer Behauptung können schließlich noch folgende Tatsachen dienen. Schon vor langer Zeit haben viele unserer Mitarbeiter darauf hingewiesen (MISCHTOWT, KRSHYSCHKOWSKI, LEPORSKI), daß bei der Ausarbeitung bedingter Hemmer eine bestimmte Beziehimg zwischen der Stärke des bedingten Reizes und des als Hemmer gewählten Agens bestehen muß. Will man in kurzer Zeit einen vollkommenen bedingten Hemmer ausarbeiten, so ist es von großer Wichtigkeit, daß das Agens, aus dem der Hemmer gebildet werden soll, in seiner physikalischen Stärke dem Agens, das den positiven bedingten Reiz darstellt, nicht viel nachsteht. In neuerer Zeit haben speziell auf diesen Punkt gerichtete Versuche (von FURSIKOW) diese Angaben vollauf bestätigt und noch die weitere interessante Tatsache aufgedeckt, daß oft die äußere Hemmimg, die ja dank der Orientierungsreaktion die erste Wirkung eines jeden neuen Reizes ist, bei Wiederholung in Kombination mit dem von ihr gehemmten bedingten Reiz allmählich und fast unmerklich in eine dauernde Hemmwirkimg übergeht und damit schon als innere Hemmung wirkt1). Trotz alledem bleibt die Frage, ob das alles ausreicht, um die Identität der äußeren und inneren Hemmung als erwiesene Tatsache zu betrachten. In der 18. Vorlesung haben wir davon gesprochen, daß es drei Arten äußerer Reize gibt, die unmittelbar den Hemmungszustand der Großhirnrinde hervorrufen können, das sind: sehr schwache Reize, sehr starke Reize und ganz außergewöhnliche Reize. Dabei haben wir auch auf die biologische Bedeutung dieser Tatsache hingewiesen8). Die Frage nach dem physiologischen (406) Wirkungsmechanismus dieser verschiedenen Reize ist damals unberührt geblieben, wir wollen sie jetzt aufgreifen. Aber auch jetzt noch halte ich es nicht für möglich, *) s. a. Vorlesung ) s* a. S. 255 (dt.

2

21/IV

15, 8. 211 (dt. Red.)

Red.)

322

ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

die Frage nach der Hemmung in ihrem ganzen Umfange aufzuwerfen. Unser experimentelles Material ist zwar sehr groß, aber es bleibt dennoch entschieden ungenügend, um daraus eine ganz einheitliche Vorstellung über den Hemmungsprozeß und über seine Beziehungen zum Erregungsprozeß zu entwickeln. Wenn wir uns Erklärungen bilden, die bestimmte Gruppen von Tatsachen gut umfassen, so bleiben immer noch andere Erscheinungen übrig, die nicht hineinpassen. Es gibt noch viele Tatsachen, die sich ganz hartnäckig der theoretischen Analyse entziehen, und daher sahen wir uns gezwungen, im Verlauf unserer Arbeit unsere Vorstellungen über ihren Mechanismus mehrmals zu ändern, da wir sie nicht als voll befriedigend erachten konnten. So bleibt uns denn auch hier, wie an vielen anderen Stellen unserer Arbeit, nichts anderes übrig, als Tatsachenmaterial zu ordnen. Wir stehen vor einer ganzen Menge ungelöster Fragen, wie z. B . der Frage nach der Enthemmung, nach der positiven Wirkung von bedingten Hemmreizen und andererseits nach gewissen Fällen unmittelbarer Hemm Wirkung positiver bedingter Reize nach Rindenläsion, nach der vorwiegenden Hemmwirkung schwacher und starker positiver Reize und noch vielen, vielen anderen Erscheinungen. In vielen Fällen sind wir j a nicht einmal imstande zu sagen, welche von unseren Tatsachen einander nahestehen oder vielleicht identisch sind und welche von ihnen gar nichts miteinander zu tun haben und grundverschieden sind. Um Ihnen die Schwierigkeit solcher Fälle zu beleuchten, will ich als Beispiel folgenden Fall besprechen. Weshalb wirken neue Erscheinungen oder neue Zusammenstellungen bekannter Erscheinungen immer hemmend auf unsere Versuchstiere? Worin besteht der physiologische Mechanismus dieser Hemmwirkung? Wenn wir unserem Hunde nach dem bedingten Reiz das Futter in einer anderen Weise als gewöhnlich geben, wenn wii z. B . das Futter durch eine einfache mechanische Vorrichtung in eine Vor dem Hunde unbeweglich stehende Schale schütten, anstatt es hinter einem Schirm hervorzubringen, dann sehen wir, wie viele Hunde sich ganz hartnäckig weigern, das Futter zu nehmen; dabei verschwinden auch unsere bedingten Reflexe. E s ist klar, daß hier eine Hemmung eintritt. Aber worauf ist sie zurückzuführen ? Mit welcher unserer anderen Tatsachen ist sie in eine Reihe zu stellen ? Vielleicht gehört sie zu jenen Erscheinungen, von denen in der 13. Vorlesung die Rede war, wo Sie sahen, wie eine sehr schroffe Veränderung der gewöhnlichen Versuchsanordnung, eine Veränderung in der gewohnten Folge der verschiedenen bedingten Reize im Verlauf von mehreren Versuchstagen eine mehr oder weniger deutliche Hemmung aller bedingten Reflexe nach sich zieht. (407) Diese Tatsache tritt bei einigen Hunden ganz besonders deutlich hervor und ist auch nach Wiederaufnahme der früheren Versuchsanordnung noch mehrere Tage feststellbar. Das gleiche kann man sich auch in bezug auf sämtliche Erscheinungen vorstellen, die sich in der Umwelt des Hundes abspielen. Immer wiederkehrende und in einer bestimmten Reihenfolge sich abspielende bestimmte Erscheinungen der Außenwelt schaffen in den Großhirnhemisphären eine ganz bestimmte, sozusagen stereotype Tätigkeit. Eine jede neue Erscheinung oder auch dieselben gewohnten Erscheinungen, aber in einer neuen Reihenfolge oder in neuer Verbindung, stören

Schwierigkeiten der Arbeit

323

diesen Stereotyp und rufen eine Hemmung hervor. Das haben wir ganz deutlich in unseren Versuchen mit veränderter Reihenfolge der bedingten Reize gesehen1). Dabei tritt uns aber folgende Frage entgegen: Wie, durch welchen physiologischen Prozeß kommt in diesem Fall die Hemmung zustande, oder richtiger gesagt, in welche Gruppe von Hemmung sollen wir diesen Fall von Hemmimg einreihen ? Kann er das Ergebnis der Hemmwirkung eines Orientierungs- oder Untersuchungsreflexes sein, der durch die plötzliche Änderung in der Umwelt hervorgerufen wird? Oder ist das eine ganz isoliert dastehende, selbständige Erscheinung? Für die erste Deutung würde der Umstand sprechen, daß wir bei sehr leicht hemmbaren Hunden einen ungemein starken Orientierungsreflex vorfinden, der eine lang anhaltende Nachhemmung hinterläßt (das trat ganz besonders deutlich in den Versuchen mit dem Hunde Umniza hervor). Bei solchen Hunden ist dieser Mechanismus sehr wahrscheinlich. Aber es gibt auch andere Fälle, wo wir absolut keine äußeren Hinweise auf einen Orientierungsreflex finden können und wo der Hemmungszustand ganz unmittelbar einsetzt. Dieses Beispiel zeigt uns. wiederum, wie weit wir noch davon entfernt sind, unsere einzelnen Tatsachen in befriedigender Weise ordnen zu können. Aus diesem Grunde muß ich vorläufig darauf verzichten, mich für eine der bestehenden theoretischen Auffassungen über die Hemmung zu entscheiden oder eine neue Theorie aufzustellen. Vorläufig benutzen wir beim Systematisieren unseres Tatsachenmaterials zeitweilige, ganz allgemeine Vorstellungen, und diese geben uns dann auch die Möglichkeit, neue Versuche zu planen und durchzuführen. Zum Schluß will ich noch der Fehler gedenken, die wir bei unserer Arbeit nicht selten begangen haben, die wir aber stets zu verbessern suchten und auch heute noch fortlaufend verbessern wollen. Zunächst will ich eine irrtümliche Auffassung besprechen, die wir erst im Verlauf dieser Vorlesungen bei Wiederholung alter Versuche aufgedeckt und berichtigt haben. Später wird dann noch von einem anderen wahrscheinlichen Fehler die Rede sein, den wir gerade jetzt überprüfen. (408) In der vierten Vorlesung, in der wir von der Wiederherstellung der erloschenen bedingten Reflexe sprachen, habe ich drei verschiedene Fälle angeführt, bei denen diese Wiederherstellung zustande kommt: die selbständige Wiederherstellung eines Reflexes nach Verlauf einer gewissen Zeit, die dauerhaft ist, aber mehr oder weniger langsam eintritt, und zwei Arten von beschleunigter Wiederherstellung, einmal mit Hilfe unserer Bekräftigung, d. h. durch Anwendung des unbedingten Reflexes, mit dessen Hilfe der bedingte Reflex gebildet worden ist, zum andern schließlich die Anwendung irgendeines anderen Reflexes. Die beiden letzten Fälle wurden dort als zwei wesentlich voneinander verschiedene Verfahren behandelt. Im Falle der Bekräftigung durch den unbedingten Reflex kam es nicht nur zu einer rasch vor sich gehenden, sondern auch zu einer dauerhaften Wiederherstellung des bedingten Reflexes. Im zweiten Fall aber, beim Hinzutreten irgendeines anderen Reflexes, war festgestellt worden, daß die ) s. S. 54 (dt. Red.)

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21*/IV

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ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Wiederherstellung zwar schnell eintrat, daß sie aber nur kurze Zeit anhielt und nach Abklingen dieses Reflexes und seiner Nachwirkung wieder verschwand. Der Hemmungsprozeß trat jetzt wieder in Kraft und dauerte ebenso lange fort, als wenn überhaupt kein neuer Reflex eingewirkt hätte. Aus diesem Grunde hatten wir dieser letzteren Art von Wiederherstellung die besondere Bezeichnung „Enthemmung" gegeben. An der betreffenden Stelle habe ich auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen, diesen Unterschied zu verstehen, da ja das Erlöschen keine endgültige Zerstörung des bedingten Reflexes darstellt. In letzter Zeit haben wir sehr viele Tatsachen zur Frage über die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem bedingten und seinem unbedingten Reflex gewonnen, und da ist uns die Notwendigkeit klar geworden, unsere früheren Versuche über die Wiederherstellung der erloschenen bedingten Reflexe mit aller möglichen Sorgfalt zu wiederholen. Das haben wir auch getan, und wir konnten uns dabei von der Fehlerhaftigkeit unserer früheren Auffassung überzeugen (neue Versuche von P O D K O P A J E W ) . Es hat sich gezeigt, daß die Wiederherstellung eines erloschenen bedingten Reflexes, selbst wenn sie durch den ihm zugehörigen unbedingten Reflex zustande kommt, immer nur eine zeitweilige Wiederherstellung ist, genau wie wir das für die Enthemmung durch fremde Reflexe gesehen haben, d. h., kurze Zeit nach jedem Reflex wirkt ein erloschener bedingter Reiz positiv, etwas später geht diese Wirkung wieder verloren, und erst bedeutend später tritt eine dauernde selbständige Wiederherstellung ein. Wenn der bedingte Reflex ein Nahrungsreflex ist und zur Wiederherstellung der Säurereflex aus der Mundhöhle angewandt wird, d.h., wenn beide Reflexe demselben chemischen Analysator entstammen, so ist der Vorgang der zeitweiligen Wiederherstellung, der Enthemmung, in seinem zeitlichen Verlauf völlig gleichartig. Diese Versuche wurden an zwei verschiedenen Hunden angestellt und haben genau das gleiche Ergebnis erbracht. Ich will eine genaue Beschreibung dieser Versuche an einem dieser Hunde geben. Beim Erlöschen des bedingten Nahrungsreflexes auf das Ticken des Metronoms bis zum gänzlichen Ausbleiben seiner Wirkung konnte man 20 Minuten nach der letzten unbekräftigten Anwendung des Metronoms immer noch eine Nullwirkung sehen. Danach begann eine allmähliche (409) selbständige Wiederherstellung, die nach 30 Minuten schon 40% der primären Wirkungsgröße des bedingten Reizes vor dem Erlöschen zeigte. Wenn aber in einer anderen Versuchsreihe der bedingte Reflex sofort nach der ersten Nullwirkung durch den unbedingten Reflex bekräftigt wurde, so konnte man sich davon überzeugen, daß das Metronom nach weiteren 20 Minuten eine absolute Nullwirkung hatte, während es in einem anderen Versuch, nur 10 Minuten nach der ersten Bekräftigung des erloschenen Reflexes angewandt, eine deutlich positive Wirkung zeigte. Der Versuch verlief in völlig gleicher Weise, wenn man dem Tier statt Futter zum gleichen Zeitpunkt Säure ins Maul goß und in denselben Zeitabständen den bedingten Reiz prüfte. Hier gebe ich die in einigen Versuchen erhaltenen Zahlenwerte wieder. Bei seiner ersten Anwendung am betreffenden Versuchstage ergab der bedingte Reiz in 20 Sekunden 6 Tropfen. Danach ließ man den bedingten Reflex

Wiederherstellung erloschener bedingter Reflexe

325

vollständig erlöschen. Nach der ersten Nullwirkung wurde er sofort durch seinen unbedingten Reflex bekräftigt und 10 Minuten nach dem Ende des Erlöschens wieder auf seine Wirkung hin geprüft. Jetzt betrug sie 3 Tropfen. An einem anderen Tage war die Größe des bedingten Reflexes bei seiner ersten Anwendung 7 Tropfen. Man ließ den Reflex wieder erlöschen. Danach wurde er sofort wieder durch den unbedingten Reflex bekräftigt und nun seine Wirkimg 20 Minuten nach dem Ende des Erlöschens geprüft. Diesmal blieb der bedingte Reiz ohne jede Wirkimg. Der bedingte Reiz ergab bei seiner ersten Anwendung am Versuchstage eine Wirkung von 5 Tropfen in 20 Sekunden. Man ließ ihn erlöschen, und sofort nach dem Ende des Erlöschens wurde dem Hund Säure ins Maul gegossen. 10 Minuten nach dem Ende des Erlöschens ergab der bedingte Reiz eine Wirkung von 2 Tropfen. An einem anderen Tage ergab der Reiz bei seiner ersten Anwendung wieder 5 Tropfen. Man ließ ihn wieder erlöschen und nach vollständigem Erlöschen des Reflexes wurde dem Hund wieder sofort Säure eingegossen. 20 Minuten nach dem Ende des Erlöschens wurde der Reiz wieder auf seine Wirkung geprüft. Jetzt hatte er nicht die geringste Wirkung. Das Maximum der Enthemmung trat früher als 10 Minuten nach dem Ende des Erlöschens ein. Die frühere irrtümliche Auffassung beruhte offenbar zum Teil darauf, daß unsere damaligen Versuche nicht genau genug waren. Wir hatten z. B. die Zeit, in der die Wiederherstellung der erloschenen Reflexe bei Anwendung des zugehörigen unbedingten Reizes und bei Anwendung anderer neuer Reize eintritt, immer wieder unter Verwendung von akustischen, optischen und anderen Zusatzreizen, die eine kurze Nachwirkung haben, geprüft, (410) statt unter Verwendung chemischer Reize mit ihrer langen Nachwirkung. Sicher hat sich aber dieser Fehler auch daher eingeschlichen, weil es ganz selbstverständlich war anzunehmen, daß derjenige unbedingte Reflex, mit dem der bedingte Reflex verbiinden war, zu diesem bedingten Reflex auch bei der Wiederherstellung nach dem Erlöschen noch in einer besonderen Beziehung stehen müßte. Das neue Ergebnis gibt uns noch einen Grund mehr anzunehmen, daß die Hemmung in der Nervenzelle selbst vor sich gehen muß und nicht an einem Berührungspunkt oder auf den Verbindungsbahnen zwischen der Zelle des bedingten und der Zelle des speziellen unbedingten Reizes. Wenn dem nicht so wäre, dann wäre es sehr schwer, sich vorzustellen, wie diese beiden Reize eine gleiche wiederherstellende Wirkung haben könnten. Einen anderen Fehler prüfen wir gerade jetzt nach, aber ich halte es doch für möglich, über diese Arbeiten zu berichten, obwohl die Untersuchungen darüber erst im Anfang begriffen sind. Dazu veranlaßt mich einerseits der Umstand, daß dies ein sehr wichtiger Punkt in unserem gesamten System ist, andererseits aber tue ich es, weil dadurch unser Arbeitsgebiet gut charakterisiert wird, das bei der Feststellung der tatsächlichen Beziehungen zwischen den beobachteten Erscheinungen ganz außerordentlichen Schwierigkeiten begegnet.

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ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

In der zweiten Vorlesung wurden scheinbar alle Bedingungen aufgezählt, bei deren Einhaltung sich bedingte Reflexe bilden, und es wurde auch alles angegeben, was auf die Bildung dieser Reflexe störend einwirken kann. Als erste Bedingung finden Sie dort die Gleichzeitigkeit der Wirkung des neuen Reizes mit einem unbedingten Reiz, und an zweiter Stelle steht die Forderung, daß die Wirkung des neuen Agens, wenn auch nur um eine ganz minimale Zeit, früher beginnen muß als der entsprechende unbedingte Reflex. Tatsächlich hatten wir zu diesem Punkt an einer größeren Zahl von Hunden Versuche gemacht; wir unternahmen es, ein neues Agens mit einem unbedingten Reiz zu verbinden, wobei wir das zeitliche Zusammentreffen beider Agenzien durch den unbedingten Reiz einleiteten und erst dann, als der unbedingte Reiz schon 5 bis 10 Sekunden gewirkt hatte, das neue Agens hinzufügten, worauf beide Reize gemeinsam wirkten. Diese Kombination haben wir an unseren Hunden in großer Zahl wiederholt (sogar 300- bis 400mal), und niemals gelang es uns auf diese Weise, einen bedingten Reflex auszuarbeiten, während beim gewöhnlichen Verfahren, d.h., wenn zuerst das neue Agens wirkt und erst dann der unbedingte Reiz hinzugefügt wird, dieselben Hunde nach 7 bis 20 Kombinationen beider Reize gute bedingte Reflexe zeigten. Nach Feststellung dieser Tatsache war es nur ganz natürlich, sich den Vorgang so zu erklären, daß der unbedingte Reiz, der ja ein starker Reiz ist, die Erregung an einer bestimmten Stelle der Großhirnhemisphären konzentriert und so durch den Mechanismus der äußeren Hemmung in den anderen Teilen der Großhirnhemisphären einen hochgradigen Hemmungszustand hervorruft. (411) So kommt es, daß alle Reize, die auf andere Teile der Großhirnhemisphären treffen, wirkungslos bleiben. Aus der alltäglichen Beobachtung an uns selbst kennen wir ja diesen Fall sehr gut: Wenn wir sehr intensiv mit irgendeiner Sache beschäftigt sind, hören und sehen wir nichts von dem, was um uns her vor sich geht. So schien uns diese Tatsache, sowohl von unserem Standpunkt als auch vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus, ganz klar und gut verständlich. Daher kam es auch, daß sich bis in die allerletzte Zeit bei uns keinerlei Zweifel daran erhoben. Gegenwärtig hat sich aber die Sachlage stark verändert. Als wir uns neuerdings die Frage vorlegten, auf welche Art und Weise die sehr frühe, d.h. nach sehr kurzer Dauer des bedingten Reizes (1 bis 2 Sekunden) einsetzende Bekräftigung durch den unbedingten Reflex der Entwicklung des Hemmungsprozesses im Rindenpunkt dieses bedingten Reizes entgegenarbeitet, ergaben die diesbezüglichen Versuche unter veränderten Versuchsbedingungen völlig unerwartete Tatsachen. Es zeigte sich, daß der unbedingte Reiz auch den ausgearbeiteten bedingten Reiz hemmt. Dabei fiel uns nun folgende Gegenüberstellung der Tatsachen auf. Es bleibt sich gleich, ob wir es mit einem schon fertigen bedingten Reiz oder mit einem noch indifferenten Agens zu tun haben, aus dem wir erst einen bedingten Reiz machen wollen. Der unbedingte Reflex übt bei seinem zeithchen Zusammenwirken mit diesen Reizen in beiden Fällen die gleiche Wirkung aus. Gleichzeitig wirkt sich dieser Einfluß so aus, daß sich bei der geringsten Veränderung der äußeren Bedingungen, der Zeitverhältnisse zwischen bedingtem

Hemmung des bedingten durch den unbedingten Reiz

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und unbedingtem Reiz, sofort ein neuer bedingter Reflex bildet, d.h. das indifferente Agens wird zum bedingten Erreger einer ganz bestimmten Tätigkeit. Nach allen diesen Erwägungen mußten wir zugeben, daß der Mechanismus der Bildung eines bedingten Reflexes und der Mechanismus der äußeren Hemmung zwei einander sehr nahestehende, wenn nicht gar zwei identische Erscheinungen sind oder, anders gesagt, daß der Prozeß der äußeren Hemmung die Grundlage zur Bildung einer Verbindung zwischen den Rindenzellen darstellt. Das erinnert uns aber sofort an eine andere Tatsache, nämlich an die Entstehung eines bedingten Reflexes zweiter Ordnung und an die Bildung eines bedingten Hemmers, wo sich auch unter sonst gleichen äußeren Versuchsbedingungen, nur in Abhängigkeit von einer ganz unbedeutenden Verschiebung der Zeitverhältnisse in dem einen Eall ein Erregungsprozeß, im anderen Fall ein Hemmungsprozeß einstellt 1 ). Wenn alle diese Überlegungen richtig sind, so sollte man erwarten, daß bei unserem sogenannten Überdecken der indifferenten Agenzien durch den unbedingten Reiz, d.h., wenn das Zusammenwirken der Reize durch den unbedingten Reflex eingeleitet wird, doch nach den ersten Kombinationen zwischen den Rindenpunkten dieser beiden Reize eine Verbindung entstehen könnte, (412) d.h., daß hier ein bedingter Reflex entstehen könnte, der aber dann bei weiteren Wiederholungen dieser Kombination der Hemmung unterliegt. Unsere ersten orientierenden Versuche weisen darauf hin, daß dem tatsächlich so ist. Da wir schon wußten, daß eine vollständige Überdeckung gut ausgearbeiteter bedingter Reize durch den unbedingten Reiz nur allmählich zur Schwächung der bedingten Wirkung dieser Reize führt (was bei schwachen Reizen schneller geht und sogar zu einem vollständigen Verschwinden ihrer Wirkung führen kann, während es bei starken Reizen langsamer geht und nicht so vollständig ist), wandten wir in unseren neuen Versuchen dieses Überdecken, d.h. das zeitliche Zusammenwirken des indifferenten Agens mit dem unbedingten Reflex, das mit der Wirkung des unbedingten Reizes anfängt, nur wenige Male hintereinander an, um keine Hemmung zu erhalten, und prüften dann sofort das früher indifferente Agens auf seine bedingte Wirkung. In vielen Fällen erhielten wir tatsächlich das Ergebnis, das wir erwarteten. Nach diesen Kombinationen wirkte das früher indifferente Agens, allein geprüft, wie ein bedingter Reiz (Versuche von W . I . P A W LOWA, K R E P S , PODKOPAJEW und KUPALOW). Als wir nun von diesem neuen Standpunkt aus, auf die ersten in dieser Richtung erhaltenen Versuchsergebnisse gestützt, unsere früheren Versuche (Versuche von KRESTOWNIKOW) betrachteten, da bemerkten wir, daß wir in jenen Versuchen die indifferenten Agenzien fast immer erst dann auf ihre Wirkung prüften, wenn sie schon wiederholte Male in Kombination mit dem unbedingten Reiz nach dem Verfahren der Überdeckung angewandt worden waren. Außerdem konnten wir aber auch sehen, daß auch in jenen Versuchen die starken indifferenten Reize, unter diesen Bedingungen allein geprüft, oftmals für lange Zeit eine ausgesprochene sekretorische Wirkung äußerten. Aber diese Wirkung war immer als zufällige Nebenwirkung s. S. 57 (dt. JRed.J

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ZWEIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

betrachtet und durch verschiedene zufällige Geschehnisse erklärt worden. Wir faßten sie niemals als einen bedingten Reflex auf, da sie ja bei fortgesetzter, als tTberdeckung vorgenommener Gleichzeitigkeit beider Reize, wieder verschwand. Wir ließen uns durch das damals tief verwurzelte Vorurteil irreleiten, das die bedingten Reflexe bei fortgesetztem zeitlichen Zusammenfallen beider Reize doch eine Verstärkung erfahren müßten. Möglicherweise hat. auch noch ein anderes Moment, nämlich das Fehlen einer bedingten Bewegungsreaktion des Hundes, bei dieser unserer Voreingenommenheit keine ganz objektive Beurteilung erfahren. Bei dem einen Hunde hätten wir eigentlich das Entstehen eines echten bedingten Reflexes zugeben müssen, aber auch in diesem Falle führten wir es auf zufällige Bedingungen zurück. Natürlich taten wir das nicht ohne Grund, aber ob diese Gründe damals tatsächlich ausreichend waren, das sollen weitere Untersuchungen zeigen. Dieses Thema wird gegenwärtig experimentell möglichst genau und vielseitig bearbeitet, und unser jetziges, so sehr viel reicheres Wissen über diese Prozesse, (413) wie auch unser auf diesem Forschungsgebiet besser geübtes Denken werden uns bei diesen Untersuchungen helfen. Sollten unsere jetzigen Vermutungen und die schon gemachten orientierenden Versuche in Zukunft eine volle Bestätigung erfahren, so hätte die Physiologie der Großhirnhemisphären damit eine für ihre Anwendung auf den Menschen äußerst wichtige Tatsache erfaßt, nämlich die Tatsache, daß die Bildung neuer Verbindungen in den Großhirnhemisphären nicht nur in den Bezirken mit optimaler Erregbarkeit, sondern auch in den mehr oder weniger gehemmten Teilen vor sich gehen kann. In dieser letzten Vorlesung, die der Darlegung unseres Tatsachenmaterials gewidmet war, hatte ich die Absicht, die Eindrücke wiederzugeben, die man bei der Arbeit auf unserem Gebiet gewinnt. Die vielen Tatsachen, die ich Ihnen in allen vorhergehenden Vorlesungen mitgeteilt habe, zeugen in genügendem Maße davon, daß auf diesem Gebiet eine ernste naturwissenschaftliche Bearbeitung, eine Bereicherung unseres Wissens durch neue Tatsachen möglich ist. Das ist jedenfalls meine Uberzeugung, und daher habe ich auch nicht befürchtet, unser wissenschaftliches Unterfangen durch das, was ich in dieser Vorlesung mitgeteilt habe, zu diskreditieren. Wie überall, ist es auch hier besser, sich der Gefahren bewußt zu sein, als sie zu ignorieren. Außerdem wollte ich künftige Forscher auf unserem Gebiet auf die außerordentlichen Schwierigkeiten aufmerksam machen, auf die sie stoßen werden. Ganz allgemein muß ich aber doch sagen, daß dieses neue Kapitel der Physiologie wahrhaft fesselnd ist, da es in vollem Umfange die beiden immer nebeneinander laufenden Bestrebungen des menschlichen Geistes befriedigt: das Streben, immer neue Wahrheiten zu ergründen, und die stete Auflehnung gegen alle Anmaßungen eines erstarrten Wissens auf jedem Gebiet. Es unterliegt keinem Zweifel, daß hier ein ganzer Berg von unbekannten Tatsachen vorliegt, der für lange Zeit noch unermeßlich viel größer sein wird als die Teilerkenntnisse, die wir ihm entreißen können. (414)

DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

ANWENDUNG D E R E R G E B N I S S E U N S E R E R T I E R E X P E R I M E N T E AUF DEN MENSCHEN

Meine Damen und Herren! Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir die Erkenntnisse, die wir in Versuchen an höheren Tieren über die Tätigkeit des Herzens, des Magens und anderer Organe erhalten haben, nur mit größter Vorsicht auf die Arbeit der entsprechenden, ähnlich aussehenden Organe des Menschen übertragen dürfen. Dabei ist es eine Grundforderung, ständig die tatsächliche Übereinstimmung in den Funktionen dieser Organe beim Menschen und beim Tier zu überprüfen. Welche äußerste Umsicht gebietet dann erst die "Übertragung dieser erstmalig erhaltenen exakten naturwissenschaftlichen Kenntnisse über die höhere Nerventätigkeit der Tiere auf die höhere Nerventätigkeit des Menschen! Ist es doch gerade diese Tätigkeit, die den Menschen ganz klar aus der Tierreihe heraushebt, die den Menschen so unermeßlich hoch über das Tierreich erhebt! Es wäre im höchsten Grade leichtsinnig, wenn man die ersten Schritte der Physiologie der Großhirnhemisphären, die wohl ihrem Programm, nicht aber ihrem Inhalt nach abgeschlossen ist, schon für irgendeine Lösung der unermeßlichen Aufgabe der Erforschung des höchsten Mechanismus der menschlichen Natur halten wollte. Daher kann jeder Versuch, eine mehr oder weniger fertige, starre Ordnung in die derzeitige Bearbeitung dieser Fragen hineinzubringen, nur von einer Beschränktheit des Denkens zeugen. Andererseits aber sollte die natürlich nur vorläufig so vereinfachte naturwissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes nicht feindselig aufgenommen werden, wie das leider nicht selten geschieht. Das Komplizierte wird von der Wissenschaft nur stückweise und Schritt für Schritt errungen, allmählich aber erfaßt sie es doch mehr und mehr. Sehen wir deshalb lieber hoffnungsvoll, aber auch mit Geduld, dem Augenblick entgegen, (415) wo eine genaue und vollständige Kenntnis unseres höchsten Organs, des Großhirns, zu unserem wirklichen Besitz wird und damit zur Hauptgrundlage eines dauerhaften menschlichen Glücks! Nach allem, was ich in den vorangehenden Lektionen angeführt habe, kann man wohl kaum bestreiten, daß die ganz allgemeinen Grundlagen der höheren Nerventätigkeit, die an die Großhirnhemisphären gebunden ist, bei den höheren Tieren und beim Menschen dieselben sind. Dann müssen aber auch die elementaren

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Erscheinungen dieser Tätigkeit unter normalen und pathologischen Verhältnissen bei Mensch und Tier ebenfalls gleich sein. Bei den normalen Fällen brauche ich nur kurz zu verweilen, da sie ja leicht verständlich sind; ich will nur einige Beispiele anführen. Ihre Aufmerksamkeit will ich vielmehr hauptsächlich auf die pathologischen Fälle richten. Es ist offensichtlich, daß unsere Erziehung, unser Lernen, jegliche Disziplin und unsere vielen Gewohnheiten lange Reihen von bedingten Reflexen sind. Wer wüßte nicht, wie bestimmte erworbene Verbindungen gewisser äußerer Verhältnisse, d.h. bestimmter Reize, ganz bestimmte Handlungen immer wieder hartnäckig und ganz von selbst widerspiegeln, obwohl wir ihnen oft vorsätzlich entgegenzuwirken suchen. Das bezieht sich sowohl auf die Ausführung dieser oder jener Handlung, als auch auf ihre Hemmung, d. h. sowohl auf die positiven als auch auf die negativen Reflexe. Weiterhin ist es ja eine allgemein bekannte Tatsache, daß es zuweilen schwerfällt, eine notwendige Hemmung zu bilden, z.B. einzelne unnötige Bewegungen beim Spiel, bei der Ausübung verschiedener Kunstfertigkeiten oder auch ganze Handlungen zu unterdrücken. Hat uns doch die Praxis schon längst gelehrt, daß die Ausführung schwieriger Aufgaben nur ganz allmählich durch sorgfältiges Üben erreicht werden kann. Ein jeder weiß, daß Zusatzreize eine gut eingespielte, gewöhnliche Tätigkeit hemmen oder verzerren können. Ein jeder weiß auch, wie die Änderung einer einmal festgelegten Ordnung von Bewegungen, Handlungen und der ganzen Lebensweise verwirrend und erschwerend wirkt. Es ist auch allgemein bekannt, daß Menschen durch schwache und einförmige Reize träge und schläfrig werden, ja manche direkt einschlafen. Gut bekannt werden allen auch verschiedene Fälle von partiellem Wachsein bei gewöhnlichem Schlaf sein, wie z. B. der Fall der schlafenden Mutter am Bett ihres kranken Kindes und vieles ähnliche. All das sind Erscheinungen, denen wir in diesen Vorlesungen an unseren Tieren begegnet sind. (416) Ich wende mich nun pathologischen Fällen zu. Die moderne Medizin unterscheidet Nervenkrankheiten und Geisteskrankheiten, Neurosen und Psychosen. Diese Einteilung ist natürlich nur relativ. Es könnte wohl kaum jemand eine genaue Grenzlinie zwischen diesen beiden Gebieten ziehen, denn eine solche ist in Wirklichkeit nicht vorhanden. Wie soll man sich eine psychische Störung ohne Schädigung des Hirngewebes, sei es in struktureller oder wenigstens in funktioneller Hinsicht, vorstellen? Der Unterschied zwischen den Nerven- und Geisteskrankheiten besteht entweder in der Kompliziertheit oder in der Feinheit der Schädigung der Nerventätigkeit. Zu einer solchen Auffassung führen uns auch unsere Versuche an Hunden. Solange wir es mit Tieren zu tun haben, bei denen unsere verschiedenen funktionellen Beeinflussungen, ganz außergewöhnliche Lebensbedingungen (ich erinnere an den Fall der Überschwemmung) oder schließlich kleinere Operationen an den Großhirnhemisphären ihre Nerventätigkeit stören, können wir den Mechanismus dieser Störungen mehr oder weniger befriedigend in Begriffen der Nervenphysiologie verstehen. Sobald wir aber größere Teile der Hemisphären zerstört haben oder wenn wucherndes Narbengewebe zu umfangreichen Störungen führt, dann

ANWENDUNG

DER

TIEREXPERIMENTE

AUF DEN

MENSCHEN

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entsteht für uns die Schwierigkeit, den Mechanismus der entstehenden Störungen der Nerventätigkeit immer klar und vollständig zu erfassen, und wir nehmen zu Vermutungen Zuflucht, deren Übereinstimmung mit der Wirklichkeit erst noch bewiesen werden muß. Offensichtlich beruht der Unterschied unserer Einstellung zum Gegenstand in dem einen und dem anderen Falle darauf, daß wir es im letzteren Falle mit einer weit größeren Kompliziertheit der Störungen zu tun haben, für die uns z. Z. noch die nötige physiologische Analyse fehlt. Sicher würden viele Ärzte und Psychologen, wenn wir ihnen unsere Versuchstiere zeigen könnten, die erste Gruppe als nervenkrank bezeichnen, wogegen sie die zweite wohl für geisteskrank halten würden. Wir aber lehnen es in allen Fällen ab, uns eine Vorstellung von einer imaginären Innenwelt unserer Hunde zu machen; wir ziehen es vor, diese Frage in der Weise zu beantworten, daß wir in beiden Fällen einfach eine Störung der Tätigkeit der Großhirnhemisphären vor uns haben. Nur ist die Störung im ersten Fall gering und relativ einfach, im zweiten Fall ist sie beträchtlich und viel komplizierter. Wir wollen nun dazu übergehen, verschiedene Nervenstörungen bei unseren Tieren und beim Menschen zu vergleichen. (417) An unseren Hunden sind uns zwei Bedingungen bekannt geworden, die funktionelle Nervenstörungen hervorrufen können. Das sind: eine schwierige Begegnung, der Zusammenstoß eines Erregungs- und Hemmungsprozesses, und überstarke Reize. Dies sind aber auch die üblichen Ursachen für Nerven- und Geisteskrankheiten beim Menschen. Es gibt oft Lebenslagen, die uns im höchsten Grade erregen, in denen wir z.B. eine schwere Beleidigung oder tiefes Leid erfahren, in denen wir aber gezwungen sind, uns zurückzuhalten und die natürlichen Reaktionen darauf zu unterdrücken. Das kann zu tiefen, lang anhaltenden Störungen des nervalen und seelischen Gleichgewichts führen. Andererseits kommt es oft vor, daß Menschen nerven- oder geisteskrank werden, wenn sie äußerste Gefahren erleben, die ihnen selbst oder ihren Nächsten drohen, oder auch nur, wenn sie bei grauenhaften Ereignissen zugegen sind, die weder sie noch ihre Nächsten unmittelbar angehen. Dabei kann man in der Regel feststellen, daß die gleichen Umstände für andere Personen ohne Folgen bleiben; man sagt von diesen, sie seien nicht zu Nervenerkrankungen veranlagt, sie hätten ein stärkeres Nervensystem. Genau dasselbe sehen wir bei unseren Hunden. Zwischen den einzelnen Tieren besteht ein gewaltiger Unterschied hinsichtlich der Erkrankungsbereitschaft auf solche Einwirkungen. Wir sahen Hunde, bei denen eine der wirksamsten Maßnahmen zur Störung des nervalen Gleichgewichts, nämlich der immittelbare Wechsel zwischen einem Hemmrhythmus mechanischer Hautreize an ein und derselben Stelle und einem positiven Rhythmus, selbst wenn er lange Zeit hindurch Tag für Tag angewandt wurde, niemals einen schädlichen Einfluß auf die Nerventätigkeit des Tieres hatte. Bei anderen Hunden konnte eine Nervenstörung erst nach mehrmaliger Anwendung dieses Verfahrens erreicht werden. Wir hatten aber auch Hunde, bei denen schon nach einem einmaligen Zusammentreffen eines Hemmungs- und eines Erregungsprozesses ein pathologischer Nervenzustand eintrat. Als Beispiel hierfür will ich Sie nur an den Fall erinnern,

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

daß die große Überschwemmung nur bei einigen unserer Versuchstiere, und zwar bei den leicht hemmbaren Hunden, eine Erkrankung hervorrief, die offensichtlich dem traumatischen Schock beim Menschen gleichzustellen ist. Wie schon früher mitgeteilt, kann dieselbe Einwirkung je nach den verschiedenen Typen des Nervensystems zu verschiedenen Krankheitsformen führen: einmal bei Hunden mit einem relativ starken Nervensystem zu einem Überwiegen des Erregungsprozesses, (418) zum anderen bei Hunden mit einem relativ schwachen Nervensystem zu einem Überwiegen des Hemmungsprozesses. Soweit es statthaft ist, unser Urteil auf alltägliche Beobachtungen zu gründen, will es mir scheinen, daß diesen beiden Fällen Von Schädigung der Nerventätigkeit unserer Versuchstiere beim Menschen ebenfalls zwei Neuroseformen entsprechen: die Neurasthenie und die Hysterie. Ist erstere durch ein Überwiegen des Erregungsprozesses und durch eine Schwäche des Hemmungsprozesses gekennzeichnet, so ist für letztere im Gegenteil das Überwiegen des Hemmungsprozesses und die Schwäche des Erregungsprozesses charakteristisch. Es gibt j a tatsächlich Gründe genug, die Neurastheniker, oder wenigstens einige von ihnen, als starke und sehr leistungsfähige Menschen anzuerkennen; die Hysteriker dagegen sind überhaupt keine lebensfähigen Subjekte, sie sind Vollinvaliden. Daß bei den Neurasthenikern trotzdem Perioden von Kraftlosigkeit und zeitweiliger Untauglichkeit auftreten, ist ganz verständlich, da sie zu anderer Zeit so anhaltend erregbar und produktiv sind; eine solche Verschwendung von Nerventätigkeit muß ersetzt werden. Man könnte sagen, daß die Neurastheniker eine andere, gegenüber der Norm verlängerte Periodizität im Wechsel von Arbeit und Ruhe haben. Daher sind auch bei ihnen, im Vergleich zu den gewöhnlichen, ausgeglichenen Menschen, die Perioden der Erregung und der Hemmung so sehr übersteigert. Daß auf der anderen Seite bei den Hysterikern ebenfalls Erregungsanfälle vorkommen, spricht natürlich gar nicht für die Stärke ihres Nervensystems. Ihre Erregung ist ziellos und zwecklos, sie ist, wenn man sich so ausdrücken darf, ein grob mechanischer Vorgang. Unser Beobachtungsmaterial an Hunden enthält, wie mir scheint, einige Hinweise auf die Entstehung und den Charakter dieser Erregungszustände. Wir hatten einen Hund (er ist von F R O L O W genau beschrieben), der dem leicht hemmbaren Typ angehörte, oder in der Alltagssprache gesagt, der ein äußerst ängstliches und unterwürfiges Tier war. Dieser Hund war früher zu Versuchen über die Magensaftsekretion verwendet worden und mußte dabei viele Stunden lang in seinem Gestell stehen. Im Benehmen dieses Hundes fiel auf, daß er niemals einschlief, sondern immer ganz wach war, dabei aber merkwürdig ruhig dastand. E r machte mit seinem Körper auch nicht die geringste Bewegung und bewegte nur von Zeit zu Zeit sehr vorsichtig seine Beine. Dabei befand er sich aber durchaus nicht im Zustand einer Starre. Wenn man ihn anrief, reagierte er sofort. Wenn aber der Augenblick gekommen war, wo er aus dem Gestell genommen werden sollte, sobald der Wärter Anstalten machte, ihn aus den Halteschlingen zu befreien, da geriet das Tier in eine unglaubliche Erregung. Es begann zu winseln (419) und so stark zu zerren, daß das Gestell umzustürzen drohte. Der Hund war jetzt nicht mehr

Neurasthenie und Hysterie

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wiederzuerkennen, und seine Erregung ließ sich, auf keine Art und Weise zum Verschwinden bringen, weder durch Anschreien, noch durch Schläge. Wenn man jetzt den Hund hinausführte und ihn einige Minuten auf dem Hof herumlaufen ließ, so war er bald wieder das frühere ruhige und folgsame Tier; er kam von selbst ins Versuchszimmer zurück, sprang von allein auf den Tisch, ging ins Gestell und stand wieder imbeweglich da. Harndrang- und Defäkationsreflexe spielten in diesem Fall keine wesentliche Rolle. Ein ähnliches Verhalten konnten wir bisweilen auch bei anderen Hunden sehen, niemals war es aber derart stark ausgeprägt. Es ist wohl am einfachsten, dies als eine kurzdauernde positive Induktion, einen Erregungsausbruch nach lange bestandener intensiver Hemmung zu betrachten. Gleicher Art könnte auch eine der Ursachen für die Erregungszustände von Hysterikern sein, bei denen ja häufig tiefe Hemmungszustände vorhanden sind. Aber wahrscheinlich ist hier noch ein anderer Prozeß mit im Spiel, der sich an einem anderen unserer Hunde gezeigt hat (beschrieben von PODKOPAJEW). Dieser Hund war ein ruhiges, gleichmäßig reagierendes, wenig bewegliches Tier. Ins Gestell sprang er niemals von selbst. Ins Gestell gebracht, stand er ganz regungslos da, schlief aber niemals. Die positiven und negativen bedingten Reflexe waren sehr beständig und genau. Bei diesem Hunde wurden vom Hinterlauf an über die ganze gleichsinnige Rumpfseite bis hinauf zum Radiokarpalgelenk eine ganze Reihe von kleinen Apparaten zur mechanischen Hautreizung angebracht. Die Reizung des Hinterlaufs wurde zu einem positiven bedingten Nahrungsreiz gemacht, die Reizung aller übrigen Gebiete zu negativen bedingten Reizen. Die letzteren ließen sich schnell ausarbeiten und waren beständig. Bei allen Hautreizungen blieb der Hund immer ruhig, es wurden keinerlei allgemeine oder lokale Bewegungen bemerkt, ja selbst eine motorische Nahrungsreaktion war während der bedingten Reizung kaum feststellbar. Das Futter nahm er nicht hastig. Die Ausarbeitung der negativen Reflexe begannen wir mit der Reizung am Radiokarpalgelenk als dem Punkt, der von der Stelle des positiven Reflexes am weitesten entfernt war. Eine Zeitlang verlief dabei alles ganz normal. Dann begann der Reiz am Radiokarpalgelenk plötzlich eine besondere Bewegungsreaktion auszulösen, die darin bestand, daß die Extremität, an die der Reiz appliziert wurde, stark zuckte und gebeugt wurde. Zuweilen waren diese Zuckungen mit dem Rhythmus der mechanischen Reizungen synchron. Weiterhin erschienen dann ebensolche lokale Bewegungsreaktionen nacheinander (420) auch an allen anderen, dem positiven Reiz näher gelegenen Hemmstellen, wobei die Bewegungsreaktion in Form von Trippeln auf derselben Stelle immer stärker wurde. Kopf und Hals blieben bewegungslos, sie nahmen sozusagen an den Bewegungen der hinteren Körperteile gar keinen Anteil. Speichelsekretion trat dabei niemals ein. Als jetzt der mechanische Hautreiz am Schenkel, d.h. der zum positiven Reize nächsten Stelle, ebenfalls in einen positiven Reiz umgewandelt wurde, verschwand die eben beschriebene eigenartige Bewegungsreaktion auf ihn vollständig. Dasselbe konnte man auch an den anderen Stellen sehen, wenn die Reize ebenfalls in positive Reize verwandelt wurden. Eine Ausnahme bildeten nur die beiden letzten, vom ursprünglich positiven Reiz am

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

weitesten entfernten Hautstellen, die nach Umwandlung in positive Reize bei voller Speichelwirkung, dennoch diese motorische Abwehraktion, wenn auch in geringerem Maße als früher, beibehielten. Der Ablauf der eben beschriebenen Erscheinungen (nicht von Versuchsbeginn an bei jedem Reiz, sondern erst nach Ausarbeitung der Differenzierung) und der lokale Charakter der Reaktionen geben Grund zu der Annahme, daß wir es mit Rückenmarkreflexen zu tun hatten, die dank einer teilweisen funktionellen Ausschaltung des Hautanalysators auftraten. Die gleiche Erklärung könnte man wohl auch in einigen Fällen für die kortikalen Hemmungen heranziehen, die bei hysterischen Subjekten beobachtet werden. In unserem Versuchsmaterial gibt es aber auch noch andere Fälle, die mehr oder weniger bekannten pathologischen Zuständen des Nervensystems beim Menschen entsprechen. Erinnern Sie sich bitte an den Hund von R I K M A N , der in einen solchen Zustand versetzt worden war, daß er überhaupt keine bedingten Reize aus physikalisch starken Agenzien mehr vertragen konnte; er verfiel sofort in einen Hemmungszustand, und nur bei Anwendung schwacher Reize konnte seine bedingte Reflextätigkeit bestehen und normal verlaufen. Ich werde wohl kaum den Tatsachen Gewalt antun, wenn ich diesen Fall, natürlich nicht in allen Einzelheiten, sondern nur im Mechanismus seines Entstehens, den beim Menschen beobachteten Fällen von jahrelangem Dauerschlaf gleichstelle. Ein solcher Fall ist von P I E R R E J A N E T an einem jungen Mädchen beschrieben worden, ein anderer wurde in einer Irrenanstalt St. Petersburgs an einem erwachsenen Mann beobachtet. In beiden Fällen handelte es sich um Kranke, die, wie es schien, in tiefsten Schlaf versunken waren. Sie machten keinerlei Bewegungen, sprachen kein Wort, man mußte sie künstlich ernähren und sauberhalten. (421) Nachts, wenn das Treiben des Tages mit seinen mannigfachen starken Reizen ruhte, war es ihnen bisweilen möglich, gewisse Tätigkeiten zu verrichten. Die Kranke von P I E R R E J A N E T konnte nachts bisweilen essen und sogar schreiben. Von dem Petersburger Kranken wird ebenfalls berichtet, daß er, wenn auch selten, nachts aufstand. Als dieser Kranke nach beinahe 20jährigem Schlaf, schon im Alter von etwa 60 Jahren, anfing, den Schlaf zu überwinden, und die Sprache wiedererlangte, da erzählte er, daß er wohl auch früher oft gehört und gesehen hätte, was um ihn her geschah, daß er aber nicht Kraft genug gehabt hätte, selbst die geringste Bewegung auszuführen oder irgend etwas zu sagen. Es scheint klar zu sein, daß wir es in diesen beiden Fällen mit einem äußerst schwachen Nervensystem zu tun haben, wobei die Großhirnhemisphären ganz besonders schwach sind und daher durch stärkere äußere Reize schnell in einen ausgedehnten Hemmungszustand, d. h. in Schlaf, übergeführt werden. An demselben Hunde haben wir oben noch eine andere Äußerung von pathologischer Nerventätigkeit kennengelernt, die unserer Meinung nach in der neuropathologischen Kasuistik des Menschen auch nicht selten vorkommt. Dieser Hund hatte eine chronische, engbegrenzte funktionelle Schädigung im kortikalen Teil des Gehöranalysators. Wenn dieser durch einen entsprechenden Reiz getroffen wurde, so rief das sofort einen Hemmungszustand aller Teile der

Entstehung und Heilung von Nervenstörungen

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Großhirnhemisphären hervor. Auch heim Menschen sind verschiedene nervöse Krankheitszustände bekannt, bei denen die normale Nerventätigkeit mehr oder weniger gut aufrechterhalten werden kann, aber nur solange es möglich ist, gewisse Komponenten der starken und komplizierten Reize, die früher die Nervenerkrankung hervorgerufen hatten, fernzuhalten, mögen es auch nur Andeutungen dieser Reize durch Worte sein. Schließlich will ich hier noch an einen Fall erinnern, von dem ich in der 19. Lektion berichtete. Es handelte sich um einen Hund, bei dem periodische Sinnestäuschungen bei Reizung des optischen Analysators auftraten. Wahrscheinlich wurde diese Erscheinung dadurch hervorgerufen, daß die aus der Außenwelt in die Rinde einströmenden Reize durch innere Reize entstellt wurden, die dem Wuchern des Narbengewebes ihre Entstehung verdanken. Genau in gleicher Weise können auch einige Fälle von Sinnestäuschungen beim Menschen erklärt werden, bei denen gewisse endogene Reizzustände der Gehirnrinde bestehen. Soweit das Pathologische. Eine weitere Übereinstimmung zwischen dem Geschehen im Organismus unserer Versuchstiere und in dem des Menschen können wir aber auch in unseren Maßnahmen zur Heilung von Nervenstörungen sehen, ganz abgesehen von der Gleichheit der pharmakologischen Wirkung (422) der angewandten Mittel. Wie schon erwähnt, hat eine längere Ruhezeit oder überhaupt eine zeitweise Unterbrechung der betreffenden Versuche, uns oft dazu verholfen, unsere Versuchstiere wieder in den normalen Zustand zu bringen. Dabei haben sich gewisse Einzelheiten gezeigt, von denen ich hier wohl eine erwähnen sollte. Einer unserer Hunde war durch die Anwendung des Zusammenstoßes von Hemmungs- und Erregungsprozessen in einen Zustand höchster Erregung versetzt worden (Versuche von PETROWA). Alle Arten der inneren Hemmung waren gestört, d.h., alle negativen bedingten Reflexe waren in positive Reflexe umgeschlagen. Bei der Wirkung aller bedingten Reize, sowohl der früher positiven als auch der früher negativen, trat immer eine Dyspnoe auf, durch die sich ja für gewöhnlich beim Hunde starke Erregungszustände kenntlich machen. Ein Aussetzen der negativen bedingten Reflexe änderte die Sachlage nicht. Die Dyspnoe hielt an, und die positiven Reflexe blieben im Vergleich zur Norm beträchtlich verstärkt. Wir beschlossen, von allen bedingten Reizen nur die physikalisch schwachen anzuwenden. Wir setzten also die Versuche mit Lichtreizen und mechanischen Hautreizen fort und unterließen akustische Reize, die sich ja unter unseren Versuchsbedingungen meist als physikalisch stärker erwiesen haben. Die günstige Wirkung zeigte sich sofort. Das Tier wurde ruhig, die Dyspnoe verschwand und die Größe der Speichelabsonderung kehrte wieder zur Norm zurück. Nach einer gewissen Zeit konnte man dann allmählich auch wieder starke positive Reize einwirken lassen, ohne den Erfolg der eben beschriebenen Heilung rückgängig zu machen. J a noch viel mehr! Nach einigen weiteren Tagen wurde es möglich, auch die Differenzierung eines Hautreizes als die leichteste Art der inneren Hemmung auszuprobieren, ohne daß dadurch bei dem Tier Anzeichen einer Erregung hervorgerufen wurden. Leider waren wir aus Zeitmangel verhindert, diesen Versuch weiterzuführen. Ist das nicht ein hochinteressanter Fall, der uns eindeutig darauf

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

hinweist, wie eine Verminderung der Energiemenge, die den Großhirnhemisphären in Form der bedingten Reize von außen zuströmt, zu einer Herabsetzung des krankhaft erhöhten positiven Tonus der Großhirnhemisphären führen kann? Wie Sie wissen, wird auch in der Behandlung nervenkranker Menschen weithin eine strenge Begrenzung der äußeren Reize, die auf die krankhaft erregten Hemisphären fallen könnten, vorgenommen, was durch Anordnung verschiedenartiger Lebensregeln erreicht wird. Ich erlaube mir, hier noch ausführlich einen Fall anzuführen, der mir vom Standpunkt der Behandlung von Nervenschädigungen sehr beachtenswert und lehrreich erscheint. (423) Wir hatten einen Hund, der auf mechanische Hautreize mit einer ganz eigenartigen, offensichtlich nicht als normal anzusehenden Reaktion antwortete. Diese Reaktion trug den Charakter einer sehr starken Erregung der Großhirnhemisphären (Beobachtungen und Versuche von P R O R O K O W ) . Bei unserem gewöhnlichen mechanischen Hautreiz am Schenkel fing dieser Hund sofort an, mit seinem Hinterkörper eigenartige Bewegungen zu machen, auf allen Vieren zu tänzeln und den Kopf in die Höhe zu werfen. Dabei begann er zu winseln und manchmal zu gähnen. Sobald man ihm die Futterschale vorlegte und er zu fressen begann, brach diese Reaktion sofort ab. Wider alles Erwarten hat diese eigenartige Reaktion die Entstehung der bedingten Reflexe auf Hautreize nicht im geringsten gehindert, was doch bei lokalen Bewegungsreflexen (Zuckung der entsprechenden Extremität oder lokale Bewegung des platysma myoides am Ort der Reizung) bei anderen Hunden gewöhnlich der Fall ist. In diesem Fall ließ sich der bedingte Reflex im Gegenteil sehr rasch bilden. Was aber diesen Fall noch bemerkenswerter macht, ist der Umstand, daß der bedingte Reflex auf den mechanischen Hautreiz, gemessen an der Speichelabsonderung, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle stärker war als die bedingten Reflexe auf die intensivsten akustischen Reize. Ebenso war auch die motorische Nahrungsreaktion, die gewöhnlich die eigenartige, oben beschriebene Reaktion nach der Hälfte der Zeit jeder isolierten bedingten mechanischen Hautreizung ablöste, deutlich verstärkt im Vergleich mit der Reaktion, wie sie bei anderen Reizen beobachtet wurde. Die gewöhnlich nach Ende der Fütterung für eine Zeitlang bestehende Erregung war bei diesem Hunde auch stärker und hielt länger an als gewöhnlich bei anderen Versuchstieren. Außerdem wurde der Hund während der Zeit, wo diese Hautreize angewandt wurden, überhaupt viel erregbarer, als er früher gewesen war. Auf das geringste Geräusch, das von der Tür, hinter der der Experimentator saß, herüberkam, reagierte der Hund mit dem ganzen Komplex seiner eigenartigen Bewegungen. All das führte zu der Annahme, daß die mechanische Hautreizung bei diesem Hunde eine starke, ausgedehnte Erregung in den Großhirnhemisphären verursachte. Die Art dieser Erregung blieb für uns unaufgeklärt. Gegen ihren sexuellen Charakter sprach das Fehlen der Erektion. Schließlich blieben wir bei der Vermutung, ob dieser Vorgang nicht analog dem des Kitzeins aufgefaßt werden sollte. Wie dem auch sei, die beobachtete Reaktion war eine ganz ungewöhnliche, unnormale Nervenerscheinung, und wir machten es uns zur Aufgabe, sie zu beseitigen. (424) Zu diesem Zweck benutzten wir den Vorgang der Entwicklung einer inneren Hemmung, wie sie sich

Heilung durch Irradiierung eines Hemmungsprozesses

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bei der Differenzierung mechanischer Hautreize ausarbeiten läßt. Eine Reizung an der Schulter gab anfangs sowohl die eigenartige Bewegungsreaktion als auch, durch die primäre Generalisation des bedingten Reizes, den bedingten Speichelreflex. Als wir aber dann diese Reizung mehrfach ohne gleichzeitige Fütterung wiederholten, verschwand sehr bald die Nahrungsreaktion, sowohl die motorische als auch die sekretorische (beide schon nach 8maliger Anwendung), und später auch (nach 40maliger Anwendung) die eigenartige motorische Reaktion. Am Schenkel aber gab eine Reizung das gleiche Bild wie früher, sowohl die eigenartige motorische Erregung als auch die motorische Nahrungsreaktion, die einander ablösten. Darauf fingen wir an, eine zum bedingten Reiz nähere Hautstelle auf der entsprechenden Rumpfseite zu differenzieren. Es wiederholte sich genau dasselbe, was wir bei der Reizung an der Schulter gesehen h a t t e n ; die motorische Erregung bei Reizung des Schenkels blieb jedoch weiter bestehen, ohne schwächer zu werden. Schließlich wurde eine Differenzierung an der Hinterpfote ausgearbeitet. Jetzt begann auch die motorische Erregung bei einer Reizung am Schenkel schwächer zu werden und verschwand schließlich ganz. Die Entwicklung einer ausgebreiteten Hemmung am kortikalen Ende des Hautanalysators h a t also den eigenartigen motorischen Nebenreflex auf Hautreizung beseitigt, wobei aber der bedingte Nahrungsreflex auf Hautreizung nicht nur bestehen blieb, sondern von seiner früheren, übermäßig starken Wirkung zur Norm zurückkehrte. Dieser Fall und einige andere Beobachtungen brachten uns auf den Gedanken, das Verfahren der allmählichen Entwicklung einer Hemmung in den Großhirnhemisphären zur Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts in den Großhirnhemisphären anzuwenden. Wir erproben dieses Verfahren zur Zeit an einem Hunde, bei dem, wie in der 18. Vorlesung beschrieben wurde, ein engbegrenzter pathologischer P u n k t im Bereich des Gehöranalysators besteht. Da dieser P u n k t speziell mit den Schlägen des Metronoms verbunden ist, können wir damit rechnen, durch andere Gehörreize, die auf gesunde Punkte des Analysators einwirken, eine Differenzierungshemmung hervorzurufen. Dabei hoffen wir, d a ß das Irradiieren dieses Hemmungsprozesses auf den pathologischen Metronompunkt günstig einwirkt und ihn auf seine normale Erregbarkeit und Tätigkeit zurückführt. Der Versuch ist noch nicht beendet. Ich weiß nicht, ob ähnliche Maßnahmen auch in der menschlichen Neuropathologie Verwendung finden, wenn m a n einmal von den verschiedenen beruhigenden Prozeduren wie warmen Bädern und ähnlichem absieht. (425) Nunmehr will ich Sie mit solchen, teils normalen, teils pathologischen Zuständen der Nerventätigkeit unserer Hunde bekannt machen, die, auf den Menschen übertragen, wohl als psychische bezeichnet werden müssen. Ich meine hiermit beim Hunde die hypnotischen Phasen, die Übergangsphasen vom Wachzustand zum Schlafzustand und den passiven Schutzreflex. Wir sahen in der 16. Vorlesung, daß der Übergang eines Tieres Vom Wachen zum Schlaf seine Grundlage in der Entwicklung eines Hemmungsprozesses h a t . Dieser Hemmungsprozeß nimmt von den Großhirnhemisphären unter dem Einfluß bestimmter Reize seinen Ausgang und erreicht in den verschiedenen Phasen 22/rv

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

des eintretenden Schlafzustandes verschiedene Grade der Extensität und Intensität. Man kann heute wohl kaum noch daran zweifeln, daß dieses Tatsachenmaterial am Tier mehr oder weniger genügt, um die Grunderscheinungen der menschlichen Hypnose mit physiologischen Begriffen verständlich zu machen. An erster Stelle steht hier die Frage nach den Bedingungen, durch die hypnotische Zustände hervorgerufen werden. Wie wir bereits wissen, werden diese Zustände bei Tieren mehr oder weniger langsam durch schwache oder mittelstarke, einförmige, oft wiederholte Reize verursacht (der übliche Fall in unseren Versuchen). Sie können aber auch bei starken Reizen schnell auftreten (die altbekannten Fälle von tierischer Hypnose). Dabei können sowohl die schwachen als auch die starken, unmittelbar wirkenden Reize durch andere Reize signalisiert werden, die dann als bedingte Reize der ersteren aufgefaßt werden müssen. Vielleicht können Sie sich des eigenartigen Verfahrens zur Bildung negativer bedingten Reflexe erinnern, das am Ende des sechsten Kapitels beschrieben wurde (Versuche von FOLBORT), wo indifferente Reize nach mehrmaligem zeitlichen Zusammentreffen mit ausgearbeiteten Hemmreizen selbst zu Hemmreizen wurden. Das Verfahren, das zum Hypnotisieren von Menschen angewandt wird, wiederholt genau alle bei unseren Tierversuchen beschriebenen Bedingungen. Bei der früheren klassischen Methode des Hypnotisierens, der sogenannten Passe 1 ), bediente man sich schwacher, einförmig sich wiederholender Hautreize, genau wie in unseren Versuchen. Die moderne, heute meist angewandte Methode besteht darin, daß man bestimmte Worte, die den physiologischen Schlafzustand vergegenwärtigen, halblaut und in einförmigem Tonfall wiederholt. (426) Natürlich sind diese Worte bedingte Reize, die bei uns allen eng mit dem Schlafzustand verknüpft sind und ihn daher hervorrufen können. Das ist die Ursache, weshalb alles, was Vorher mit dem Schlafzustand mehrmals zeitlich zusammentraf, den hypnotischen Zustand hervorrufen kann und hervorruft. Das alles sind Analogien zu den negativen bedingten Kettenreflexen (FOLBORT), die den positiven bedingten Kettenreflexen ähnlich sind, d.h. den Reflexen verschiedener Ordnung, wie wir sie in der 3. Vorlesung beschrieben haben. Schließlich erreicht die C H A R C O T s c h e Methode bei Hysterikern den Hypnosezustand durch starke unerwartete Reize, wie das in den alten Regeln der Tierhypnose angegeben ist. Natürlich können in diesem Falle auch physikalisch schwache Reize wirksam sein, wenn sie als Signale* von starken Reizen dienen, d.h., wenn sie durch zeitliches Zusammenfallen zu bedingten Reizen der starken Reize geworden sind. Wie beim Tier, so führt auch beim Menschen die Mehrzahl der hypnotischen Verfahren um so sicherer und schneller zum Ziel, je öfter sie angewandt worden sind. Eine der ersten Erscheinungen des hypnotischen Zustandes ist beim Menschen der Verlust der Fähigkeit zu willkürlichen Bewegungen und die Katalepsie, d.h. ein Zustand, bei dem die Teile des Körpers in der Stellung verbleiben, die ihnen durch äußere Einwirkung gegeben wurde. Natürlich ist das die Folge einer isolierten Hemmung des Bewegungsanalysators (der motorischen Zone der Hirnrinde), die: ) Streichende

1

Bewegungen

(dt.

Red.)

Die Hypnose der Tiere und des Menschen

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sich, noch nicht auf die subkortikalen motorischen Zentren ausgebreitet hat. Dabei können die anderen Teile der Großhirnhemisphären noch unverändert funktionieren. Ein Hypnotisierter kann verstehen, was ihm gesagt wird, er kann von uns erfahren, was für eine abstoßende Stellung wir seinem Körper gegeben haben, ja er kann sogar den Wunsch haben, seine Lage zu verändern, er ist aber nicht imstande, es zu tun. Alle diese Erscheinungen können wir auch bei den hypnotischen Zuständen unserer Versuchstiere beobachten. In der Vorlesung über die verschiedenen hypnotischen Zustände haben wir der Tatsache gedacht, wie einige Hunde während des Versuches eine aktive Stellung beibehalten, dabei aber alle bedingten Reflexe völlig verlieren. In diesem Falle ist die Hemmung über beide Großhirnhemisphären verbreitet, geht aber nicht auf die subkortikalen Teile über. Andere Hunde reagieren auf alle bedingten Reize mit einer Tätigkeit der Speicheldrüsen, sie nehmen aber kein Futter. Hier handelt es sich um eine begrenzte Hemmung des Bewegungsanalysators. Schließlich sieht man bei Tieren, die nach der alten Methode hypnotisiert werden, wie Rumpf und Gliedmaßen ganz unbewegt bleiben, die Augen aber allem folgen, was in der Umgebung des Tieres vor sich geht, und es kommt auch vor, daß Tiere in einem solchen Zustand noch fähig sind, vorgelegtes Futter zu fressen. (427) Das ist eine noch enger begrenzte Hemmung, wo ganz abgesehen von den übrigen Teilen der Großhirnhemisphären nicht einmal der Bewegungsanalysator vollständig gehemmt ist. Natürlich ist bei einer vollständigen Hemmung dieses Analysators sowohl beim Tier als auch beim Menschen die Entstehung lokaler tonischcr Reflexe bei entsprechenden äußeren Reizen ganz verständlich. Wenn es sich um kompliziertere Erscheinungen des hypnotischen Zustandes handelt, so wird es natürlich immer schwerer, eine vollständige Parallele zwischen den Erscheinungen bei Mensch und Tier zu finden, und aus einer Reihe von Gründen wird das auch heute noch nicht möglich sein. Vielleicht haben wir noch nicht alle Phasen des hypnotischen Zustandes, speziell hinsichtlich ihrer Intensität, kennengelernt, und es ist sicher, daß wir noch keine genaue Kenntnis von der Reihenfolge der einzelnen Phasen haben, worauf ja schon früher hingewiesen wurde. Es ist auch höchstwahrscheinlich, daß wir noch nicht einmal alle Formen kennen, in denen sich dieser Zustand bei Tieren äußern kann, da wir ja die Versuchstiere nicht in ihrer gewöhnlichen, normalen Umgebung ihres inviduellen und sozialen Lebens beobachten, sondern nur in den begrenzten Verhältnissen des LaboratoriumVersuchs, d.h. losgelöst von ihrem Gesamtverhalten. Das bedeutet aber, daß wir es entweder noch nicht verstehen, alle möglichen Versuchsvariationen durchzuarbeiten, oder aber, daß es uns noch nicht genügend klar ist, wie alle hierher gehörenden Erscheinungen festzuhalten und zu verstehen sind. Beim Menschen aber sind uns diese Erscheinungen nur unter unendlich mannigfaltigeren Lebensbedingungen bekannt, und wir erzeugen sie und studieren sie, indem wir uns des großartigen Signalsystems der Sprache bedienen. Natürlich darf man nicht vergessen, daß bei dem sehr großen Unterschied, der in der Kompliziertheit des allgemeinen Verhaltens des Menschen und der Tiere besteht, bei den letzteren vielleicht gewisse Formen des hypnotischen Zustandes überhaupt 22«/IV

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VORLESUNO

nicht existieren. Daher sollen die elementaren Tatsachen, die wir an unseren Versuchstieren feststellen konnten, nur zu einem vorläufigen Versuch einer physiologischen Auffassung der verschiedenen hypnotischen Zustände beim Menschen dienen. Nehmen wir als Beispiel die Automatie in der Hypnose, den Zustand, wo der Hypnotisierte alles ganz genau nachahmt, was der Hypnotiseur ihm vormacht, oder wenn er Gehbewegungen auf einem komplizierten und schwierigen Boden richtig ausführt. Augenscheinlich haben wir hier eine gewisse Hemmung bestimmter Teile der Großhirnhemisphären vor uns, wodurch die normale, mehr oder weniger komplizierte Tätigkeit verhindert wird, die durch neue oder auch alte, aber in neuer Kombination auftretende Reize hervorgerufen und geleitet wird. (428) Diese Hemmung läßt aber die altgewohnten, seit langer Zeit eingeschliffenen Verbindungen zwischen gewissen Reizen und bestimmten Tätigkeiten oder bestimmten Bewegungen zu und kann sie sogar durch den Wegfall komplizierterer Beeinflussungen verbessern. Daher kommt es auch, daß in der Hypnose der Nachahmungsreflex in einer so ausgesprochenen Form besteht; handelt es sich doch dabei um einen Reflex, durch den in unser aller Kindheit unser kompliziertes, individuelles und soziales Verhalten zustande gekommen ist. Im anderen Fall ist es der Wechsel der äußeren Gegenstände mit ihren verschiedenen Formen und Eigenschaften, der schon vorher oft die entsprechenden Bewegungen und Tätigkeiten hervorgerufen hatte und der auch jetzt in strenger Folge dieselben Analysatoren der in Hypnose befindlichen Personen trifft und sie in ganz stereotyper Weise fehlerlos zwischen diesen Gegenständen leitet. Ist es denn nicht ein ganz gewöhnlicher Vorgang, daß wir, mit einer bestimmten Arbeit oder einem gewissen Gedanken beschäftigt, gleichzeitig auch noch eine andere, uns sehr gut gewohnte Tätigkeit ausführen können, d.h., daß wir auch noch mit den Teilen der Großhirnhemisphären arbeiten können, die sich durch den Mechanismus der äußeren Hemmung in einem gewissen Hemmungszustand befinden i Befindet sich doch der Punkt in den Großhirnhemisphären, der mit unserer Hauptarbeit verbunden ist, in einem Zustand starker Erregung. Daß diese Auffassung der Dinge der Wirklichkeit entspricht, davon überzeuge ich mich immer mehr durch Selbstbeobachtung, da bei mir mit dem Eintreten des Greisenalters auch ein Nachlassen der Reaktionsfähigkeit des Gehirns einhergeht (eine fortschreitende Abschwächung des Gedächtnisses für neueste Ereignisse). Ich merke, daß ich mehr und mehr die Fähigkeit verliere, wenn ich mit einer bestimmten Arbeit intensiv beschäftigt bin, auch noch eine andere Sache zufriedenstellend auszuführen. Wahrscheinlich induziert die konzentrierte Erregung des einen Punktes bei verminderter Erregbarkeit der Großhirnhemisphären eine derartig intensive Hemmung aller anderen Teile der Großhirnhemisphären, daß sich die bedingten Reize der alten, festeingeprägten Reflexe jetzt als unterschwellig erweisen. Den vorhin beschriebenen Zustand hypnotisierter Personen könnte man vielleicht jenem Hypnosestadium unserer Hunde gleichsetzen, das wir als narkotische Phase bezeichnet haben, wobei die starken, schon lange bestehenden Reflexe erhalten bleiben, die schwachen und neugebildeten aber erlöschen.

Das Wort als umfassender Reiz

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Unter den hypnotischen Erscheinungen, die sich am Menschen beobachten lassen, beansprucht mit vollem Recht die sogenannte Suggestion besondere Aufmerksamkeit. Wie kann man sie physiologisch verstehen ? Das Wort ist natürlich für den Menschen (429) ein ebenso realer bedingter Reiz, wie alle anderen bedingten Reize, die auch bei Tieren auftreten. Daneben aber ist das Wort ein so viel umfassender Reiz, wie kein anderer, und für die Tierwelt gibt es überhaupt keine Reize, die in quantitativer oder qualitativer Hinsicht dem Wort des Menschen auch nur annähernd vergleichbar wären. Für einen erwachsenen Menschen ist ja die Sprache durch das ganze frühere Leben mit allen äußeren und inneren Reizen verbunden, die in die Großhirnhemisphären gelangt sind. Worte können ihnen alles signalisieren, sie können alle Reize ersetzen, und sie können deshalb auch alle Tätigkeiten und Reaktionen des Organismus hervorrufen, die durch diese Reize bedingt werden. So ist die Suggestion als einfachster und typischer bedingter Reflex des Menschen anzusehen. Das Wort des Hypnotiseurs konzentriert, wenn die Hemmung in den Großhirnhemisphären einen gewissen Grad erreicht hat, nach der allgemeinen Regel die Erregung in einem bestimmten engbegrenzten Bezirk und ruft daher natürlich eine tiefe äußere Hemmung in den übrigen Teilen der Großhirnhemisphären hervor (wie ich es im erwähnten Falle an mir selbst beobachtet habe). Auf diese Weise werden die konkurrierenden Einflüsse aller anderen gegenwärtigen wie früheren Reize ausgeschaltet. Das ist der Grund, weshalb die Suggestion als Reiz während der Hypnose und auch noch nach der Hypnose eine so große, beinahe unüberwindliche Kraft besitzt. Das Wort behält aber auch nach Beendigung der Hypnose, unabhängig von der Einwirkung anderer Reize, noch seine Wirkung. Andere Reize haben keinen Einfluß, da sie im Augenblick seines erstmaligen Eintreffens in der Rinde nicht mit ihm in Verbindung getreten sind. Der weite Umfang und der reiche Inhalt des Wortes machen es verständlich, daß die Möglichkeit besteht, bei einem hypnotisierten Menschen durch Suggestion so viele verschiedenartige Tätigkeiten hervorzurufen, die sowohl zur Außenwelt als auch zur Innenwelt des Menschen Beziehung haben. Hier könnte man einwenden, daß es unverständlich sei, wodurch die Suggestion eine so große, unüberwindliche Kraft erhalte, während die Träume größtenteils rasch vergessen werden und nur selten eine lebenswichtige Bedeutimg besitzen. Aber Träume werden durch Reizspuren hervorgebracht, die dazu meist noch zeitüch sehr entfernt sind, während die Suggestion ein zur Zeit seiner Wirkung vorhandener Reiz ist. Weiterhin ist die Hypnose eine niedrigere Stufe der Hemmung als der Schlaf, und dieser Umstand ist mit ein Grund, warum der Reiz der Suggestion doppelt so stark ist als der eines Traumes. Und schließlich ist der Suggestionsreiz ein kurzer, isolierter, einheitlicher Reiz, daher auch seine Stärke; Träume dagegen stellen meist (430) eine Kette verschiedenartiger, oft einander entgegengesetzter Reizspuren dar. Die Tatsache, daß man hypnotisierten Personen das gerade Gegenteil der Wirklichkeit suggerieren kann, und daß man bei ihnen Reaktionen hervorrufen kann, die allen eben einwirkenden Reizen zuwiderlaufen, wie z. B. süßen Geschmack bei bitteren Reizen, ganz ungewöhnliche optische Erscheinungen statt des tatsächlichen optischen Reizes und ähnliches, könnte man zwanglos als paradoxe Phase

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

im Nervensystem verstehen, bei der schwache Reize eine viel größere Wirkung haben als starke. Der tatsächliche Reiz, der von einer süßen Substanz in der Mundhöhle ausgelöst und den entsprechenden Nervenzellen unmittelbar zugeleitet wird, muß doch wohl als ein stärkerer Reiz anerkannt werden, als der Reiz, der durch das Wort „bitter" den entsprechenden Gehörzellen und von ihnen den Zellen übermittelt wird, die auf die tatsächliche Reizung „bitter" antworten ; wissen wir doch, daß die bedingten Reize erster Ordnung immer stärker sind als die bedingten Reize zweiter Ordnung. Vielleicht kommt der paradoxen Phase bei der Betrachtung pathologischer Fälle eine viel größere Bedeutung zu, als wir früher angenommen haben. Kann man sich doch vorstellen, daß sie auch bei den normalen Personen erkennbar ist, die durch den Einfluß von Worten stärker beeinflußt werden als durch die Tatsache der sie umgebenden Wirklichkeit. Möglicherweise werden wir es später einmal verstehen, auch Tiere während ihres hypnotischen Zustandes zu beeinflussen. Die Tatsache, daß beim Menschen bestimmte Phasen des hypnotischen Zustandes mehr oder weniger beständig werden können, findet sich auch bei Hunden. Genau wie beim Menschen geht der hypnotische Zustand auch bei Tieren, je nach gewissen individuellen Eigenschaften ihres Nervensystems, unter bestimmten Bedingungen mehr oder weniger rasch in vollen Schlaf über. In einer bestimmten Beziehung zum hypnotischen Zustand steht der passive Schutzreflex. Wie ich bereits gesagt habe, kann die ältere Form der Tierhypnose mit Recht als ein passiver Schutzreflex betrachtet werden, der darin besteht, daß das Tier bei einer Begegnung mit überstarken äußeren Reizen mehr oder weniger bewegungslos wird. Diese Reaktion kommt durch die Entwicklung eines Hemmungsprozesses zustande, der sich in der Großhirnrinde entwickelt und über das gesamte Skelettmuskelsystem ausbreitet. Diesen Reflex konnten wir bei unseren Versuchstieren häufig beobachten; er war von verschiedener Intensität, (431) äußerte sich bisweilen in etwas verschiedener Art, immer aber war ihm als Grundeigenschaft die Hemmungswirkung eigen. Seine Variationen bestanden in einer mehr oder weniger großen Einschränkung der Bewegungen des Tieres sowie in einer Abschwächung oder einem Erlöschen seiner bedingten Reflexe. Gewöhnlich wurde dieser passive Schutzreflex durch ungewöhnliche und starke äußere Reize hervorgerufen. Aber die Ungewöhnlichkeit und Stärke der äußeren Reize sind natürlich ganz relative Größen. Ob der Reiz als ein ungewöhnlicher wirkt, hängt davon ab, welche Reize auf das Tier in seinem früheren Leben eingewirkt haben; die Stärke der Wirkung eines äußeren Reizes aber hängt vom Zustand des jeweiligen Nervensystems ab: von seinen angeborenen Eigenschaften, von seinem gesunden oder kranken Zustande und schließlich noch von den verschiedenen Stadien des gesunden Lebens. All das haben wir an unseren Hunden sehen können. Hunde, die früher mehrmals in einem vollen Hörsaal gestanden hatten, verhielten sich schließlich in dieser Umgebung ganz normal; Hunde aber, die zum ersten Male in eine solche Umgebung kamen, gerieten in einen Hemmungszustand. Der früher beschriebene ungewöhnliche Hund Umniza reagierte auf die geringsten Veränderungen der Umwelt wie auf starke Reize und wurde durch sie sehr

Der passive Schutzreflex

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stark gehemmt. Mehrere unserer Hunde, die den starken Einfluß der Überschwemmungskatastrophe miterlebt hatten und offensichtlich in einen chronischen Krankheitszustand verfallen waren, wurden durch starke bedingte Reize gehemmt, die früher keine derartige Wirkung hatten. Schließlich gibt es auch noch Hunde, die nur bei gewissen Graden des hypnotischen Zustandes eine derartige Hemmung zeigen. Der letztere Fall macht auf den Beobachter einen großen Eindruck. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Hund vor sich, der früher unter unseren gewöhnlichen Versuchsbedingungen immer ganz wach und munter war und nach den bedingten Reizen beim Erscheinen der Futterschale sofort gierig fraß. Durch mehrmals wiederholte Anwendung schwacher bedingter Reize bringen wir dieses Tier im Versuchsraum in eine bestimmte Phase des beständigen hypnotischen Zustandes, der Hund wird nahezu bewegungslos. Jetzt können Sie folgende, ganz merkwürdige Erscheinung beobachten. Wir wenden starke bedingte Reize an; der Hund, der vorhin mehrmals nach der Stelle gesehen hat, wo das Futter hingelegt wird, wendet sich plötzlich ab und rührt das Futter nicht an. Ein jeder, der den Hund zu dieser Zeit sieht, wird gewiß sagen, daß das Tier sich vor irgend etwas fürchtet. Lassen wir aber (432) jetzt einen schwachen bedingten Reiz einwirken, so nähert sich der Hund sofort der Futterschale und beginnt ruhig zu fressen. Wenn wir den hypnotischen Zustand beseitigen, so erlangen alle bedingten Reize sofort wieder ihre normale Wirkung. Es ist klar, daß in dem besonderen Zustand, in dem sich der Hund befand, die sonst gewohnten Reize als sehr starke Reize wirkten und einen Hemmungsreflex hervorriefen. Und umgekehrt, wenn wir bei unserem Hund Umniza, der sich durch seine Hemmbarkeit auszeichnete, durch bestimmte Maßnahmen das Erregungsniveau seiner Großhirnhemisphären etwas heben konnten, so wurde der sonst bei diesem Tier beinahe ununterbrochen bestehende passive Schutzreflex erheblich abgeschwächt. In allen soeben angeführten Fällen fallen die sehr eindrucksvollen passiven Schutzstellungen des Tieres auf. Wenn wir all diese Versuche an uns vorüberziehen lassen, können wir nicht umhin, den Schluß zu ziehen, daß das, was psychologisch als Ängstlichkeit, Angst und Feigheit bezeichnet wird, sein physiologisches Substrat in einem Hemmungsprozeß in den Großhirnhemisphären hat, daß darin nur verschiedene Grade des passiven Schutzreflexes zum Ausdruck kommen. Zum mindesten für viele Fälle wird dieser Schluß zutreffen. Danach erscheint es natürlich ganz gerechfertigt, den Verfolgungswahn und die verschiedenen Phobien als natürliche Hemmungssymptome eines krankhaft geschwächten Nervensystems anzusehen. Es gibt allerdings Formen von Angst und Feigheit, wie z.B. die panische Flucht und spezielle unterwürfige Stellung, die der eben ausgesprochenen Schlußfolgerung zu widersprechen scheinen, daß diesen Zuständen ein Hemmungsprozeß zugrunde liegt. Man muß aber annehmen, daß wir es hier mit unbedingten Reflexen zu tun haben, die von Zentren ausgehen, die unmittelbar unter der Rinde hegen und die gerade bei einer Hemmung der Großhirnhemisphären zur Tätigkeit kommen. Als Beweis hierfür kann der Umstand angesehen werden, daß in solchen Fällen die bedingten Reflexe verschwinden.

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DREIUNDZWANZIGSTE

VORLESUNG

Ich will nun nur noch einige Worte über die Versuchs sagen, von denen am Ende der vorigen Vorlesung die Rede war. Wenn sie bei Wiederholungen und Variationen ihre Volle Bestätigung finden, so wird dadurch vielleicht Licht auf die dunklen Erscheinungen unserer subjektiven Welt und die Beziehungen zwischen bewußten und unbewußten Vorgängen fallen. (433) Diese Versuche würden dann zeigen, daß eine so wichtige kortikale Tätigkeit wie das Synthetisieren auch in solchen Teilen der Großhirnhemisphären vor sich gehen kann, die durch eine zu dieser Zeit in der Rinde bestehende starke Erregung in einen gewissen Hemmungszustand versetzt worden sind. Mag diese Synthesetätigkeit auch zu jener Zeit nicht zum Bewußtsein gekommen sein,, sie hat sich aber abgespielt, und unter günstigen Bedingungen kann sie im Bewußtsein, fertig auftauchen und den Anschein erwecken, als sei sie auf eine ganz unbekannte Art und Weise vor sich gegangen. Zum Schluß meiner Vorlesung will ich noch einmal wiederholen, daß ich alle unsere Versuche, wie auch ähnliche Untersuchungen anderer Forscher, die auf eine rein physiologische Analyse der höheren Nerventätigkeit gerichtet sind, nur als einen ersten Versuch betrachte, der aber nach meiner tiefsten Überzeugung seine volle Rechtfertigung gefunden hat. Wir haben unstreitig das Recht zu behaupten, daß die Erforschung dieses hochkomplizierten Gegenstandes sich heute auf dem rechten Wege befindet und daß dieser Forschung, wenn auch kein baldiger, so doch ein voller Erfolg bevorsteht. Was uns betrifft, so müssen wir sagen, daß zur Zeit viel mehr Fragen vor uns stehen als je zuvor. Früher waren wir gezwungen, den Gegenstand unserer Untersuchungen künstlich zu vereinfachen und zu schematisieren. Heute aber, wo uns die Grundlagen mehr oder weniger bekannt sind, umgeben uns, ja offen gesagt, bedrängen uns eine Unmenge von Einzelfragen, die eine sorgfältige Behandlung erfordern. (434)

LTSTE D E R G E D R U C K T E N A R B E I T E N D E R DES

MITARBEITER

VERPASSERS

A n ^ p e e B , JI. A., MaTepHanw K n3yMeHHio (fiyiiKUHOHajibHbix crapqecKHx H3MeHeHHß ueHTpajibHOH HepBHoß CHCTeMu. TpyAH KHTejieH b

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...

ApxaHrejibCKHH, B. M., OcoSeHHOcm KG)KHO-MexaHHqecKHx ycjiOBHbix peiJmeKCOB npw nacTHHHOM pa3pyuieHHH KOJKHOTO aHajiH3aTopa. Tpyflbi 06m. pyccK. Bpaieii B Cri6. ARCHANGELSKI, W. M., Besonderheiten der bedingten Reflexe auf mechanische Hautreizung bei partieller Zerstörung des Hautanalysators. Verh. d. Ges. Buss. Ärzte in St. Petersburg, Bd. 80, 1913. ApxaHreJibCKHH, B. M., K KH0r0 aHanimTopa. ApxHB ÖHOJI. Hayn. ARCHANGELSKI, W. M., Zur Physiologie des Hautanalysators. Arch. biol. Wiss., Bd. 22, H. 1, 1922. ApxaHreubCKHü, B. M., K H3HOJiorHH «BiiraTejibHoro aHajiraaTopa. ApxHB 6HOJI. Hayn. ARCHANGELSKI, W. M., Zur Physiologie des Bewegungsanalysators. Arch. biol. Wiss., Bd. 22, H. 1, 1922. ApxaHreJibCKHH, B. M., OTHOCHTejibHan CHJia pa3Hbix BHAOB BHyTpeHHero TOPMOJKCHHH. Tpyflbi $H3HOJI. jiaöopaTopHH anafl. H. n. naBjioBa. ARCHANGELSKI, W. M., Die relative Stärke der verschiedenen Arten der inneren Hemmung. Arb. aus d. physiol. Laboratorien Pawlows, Bd. 1, H. 1, 1924. EaöKHH, B. n., OnbiT CHcreiviaTHHecKoro H3yieHHH CJiowHo-HepBHbix (nCHxmecKHx) HBjieHHH y coßaKH. BABKIN, B. P., Versuch einer systematischen Untersuchung der kompliziert-nervalen (psychischen) Erscheinungen beim Hunde. Dissertation, St. Petersburg, 1904. Ea6KHH, B. n., MaTepHanbi K KHTe.neH. Tpynw 06m. pyccK. Bpaneii B CFI6. BABKIN, B. P., Zur Frage der relativen Stärke der bedingten Reize. Verh. d. Ges. Russ. Ärzte in St. Petersburg, Bd. 78, 1911. EaSKHH, B. n., flajibHeftuiHe HccrieflOBaHHH HopiwajibHoro H noßpe>KfleiiHoro 3ByK0B0ro aHanH3aTopa coöaKH. Tpyflbi 06m- pyccn. Bpaieü B CI16. BABKIN, B. P., Weitere Untersuchungen über den normalen und geschädigten akustischen Analysator beim Hunde. Verh. d. Ges. Russ. Ärzte in St. Petersburg, Bd. 78,1911. E a 6 K H H , B . n . , T a n Ha3biBaeiwaH «flymeBnafl r j i y x o T a » nepe« oSieKTHBHbiM aHajin30M CJIO)KHO-HepBHbIX HBJieHHÜ. PyCCKHH Bpai.

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topmojkchhh

ycjiOBHH. T p y f l b i 4 > h 3 h o j i . n a S o p a T o p H Ö aKafl. H . n .

npw

oco6chho

TpyflHOM

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23*/IV

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HHAYKUHH OT

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paccTOHHHH Me>KAy

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Arbeiten der Mitarbeiter des Verfassers

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™na

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FURSIKOW, D. S., Über bedingte Kettenreflexe. Russ. physiol. Zt., Bd. 4, H . 1—6,1921. ypcHKOB, fl. C., BjiHHHHe BHeuiHero TOPMTOKCHHH Ha 0ßpa30BaHHeflHepeHunpoBKnH ycjioBHoro T0pM03a. PyccK. H3HOJI. wypH. FURSIKOW, D. S., Der Einfluß einer äußeren Hemmung auf die Bildung einer Differenzierung und einer bedingten Hemmung. Russ. physiol. Zt., Bd. 4, 1921. OypcHKOB, fl. C., CraTHiecKan HppaAHauHH TOPMTOKCHHH. PyccK. KypH. FURSIKOW, D. S., Die statische Irradiierung der Hemmung. Russ. physiol. Zt., Bd. 4, 1921. OypcHKOB, fl. C., BjiHHHHe BHeuiHero TOPMO/KCHHH Ha 0öpa30BaHHe ÄH(Ji(J»epeHUHpoBKH H ycnoBHoro T0pM03a. ApxHB ÖHOJI. Hayn. FURSIKOW, D. S., Der Einfluß einer äußeren Hemmung auf die Bildung einer Differenzierung und einer bedingten Hemmung. Arch. biol. Wiss., Bd. 22, 1922.

364

Arbeiten der Mitarbeiter des Verfassers

ypcnKOB, fl. C., B.THHHHe SepeiweHHOcra Ha ycjioBHbie peKeHHH. TpyflbI 4>H3H0JI. jiaöopaTopHH anaa. H. n. naBJioßa. Fubsikow, D. S., Über die Beziehungen zwischen dem Erregungs- und Hemmungsprozeß. Arb. aus d. physiol. Laboratorien Pawlows, Bd. 1, H. 1, 1924 ypcnKOB, J5- C., L^enHbie ycjioBHbie peijuieKcu h naT0Ji0rnn Bbiciueft HepBHoft ßeHTejib-

hocth. flomiajj Ha II CT>e3«e no ncHxoHeBpojiorHH. Fubsikow, D. S., Die bedingten Kettenreflexe und die Pathologie der höheren Nerventätigkeit. Vortr. auf d. 2. Sitz. d. Psychoneurologen, Januar 1924.

OypcHKOB,

C., Bofla KaK B036y«HTejib cjhohhhx >Kejre3. ApxHB öuoji. Hayn, roöHJieii-

HbiH tom b iecTb anaa. M. n . naBJioßa. Fubsikow, D. S., Wasser als Erreger der Speicheldrüsen. Arch. biol. Wiss., Festschrift zu Ehren Pawlows, 1925. ypcnKOB, fl. C., riocjieacTBHH yaajieHHH Kopbi oähoto nojiymapiiHrojiOBHoroM03ra y co6aK. PyccK. Oh3hoji. >KypH.

Fubsikow, D. S., Die Folgen der Entfernung der Rinde einer Großhirnhemisphäre beim Hunde. Russ. physiol. Zt., Bd. 8, H. 1—2, 1925. ypcnKOB, fl. C., riocjieACTBHH SKCTHpnauHH Kopbi oflHoro nojiyuiapHH. CooSmeHHe 3-e. O reHepajTH3auHH h BbipaSoTKe ycjioBHbix peKeHHe. PyccK. H3H0n. >KypH.

Fubsikow, D. S., Die Folgen der Exstirpation der Rinde einer Großhirnhemisphäre. 3. Mitteilung: Über die Generalisierung und Ausarbeitung bedingter Reflexe auf taktile Reize. Russ. physiol. Zt., Bd. 8, H. 5—6, 1925. O y p c H K O B , fl. C. h M. H . lOpiviaH, nooießCTBiiH DKCTHpnanHH Kopbi oflHoro nojiymaPhh. CooömeHHe 2-e. 3HaieHHe Kopbi npn BbipaöoTKe ycjioBHbix peijwieKCOB. PyccK.

H3H0JI. »ypH. Fursikow, D. S. und M. N. Jurman, Die Folgen der Exstirpation der Rinde einer Großhirnhemisphäre. 2. Mitteilung: Die Bedeutung der Rinde für die Ausarbeitung bedingter Reflexe. Russ. physiol. Zt., Bd. 8, H. 1—2, 1925. ypcHK'oB, C. h M. H. lOpMaH, YcjioBHbie peifmeKCbi y coGaKH 6e3 oflHoro nojiyrnapHH. ApxHB 6hoji. Hayn. Fubsikow, D. S. und M. N. Jurman, Bedingte Reflexe bei einem Hunde nach Entfernung einer Großhirnhemisphäre. Arch. biol. Wiss., Bd. 25, H. 4—5, 1926. X a 3 e H , C. E., 0 cooTHoiueHHH pa3Mep0B 6e3ycnoBHoro h ycjioBHoro cnioHO-OTflejiHTejibHbix

peiJtneKcoB. Chasen, S. B., Über das Größenverhältnis zwischen unbedingten und bedingten Speichelreflexen. Dissertation, St. Petersburg, 1908.

Uhtobhh,

H. C., npoHcxo)KfleHHe h 06pa30Banne HaTypaübiiux ycjioBHbix pejieKcoB.

Zitowitsch, I. S., Die Entstehung und Bildung natürlicher bedingter Reflexe. Dissertation, St. Petersburg, 1911.

Arbeiten der Mitarbeiter des Verfassers MeßoTapeBa,

O. M.,

flanbHeimme

365

MaTepHanbi K $H3H0JI0RNH ycjioBHoro TOPMO>KCHHH.

TSCHEBOTAREWA, O. M., Weiteres Material zur Physiologie der bedingten Hemmung. Dissertation, St. Petersburg, 1912.

M e 6 o T a p e B a , O. M., K 4>n3nojrorHH ycjioBHoro T0pM03a. Tpyflti 06m. pyccK. Bpaieft B CTO. TSCHEBOTAREWA, 0 . M., Zur Physiologie des bedingten Hemmreizes. Verh. d. Ges. Russ. Ärzte in St. Petersburg, Bd. 80, 1913. MeqynHH, C. H., HoBbie MaTepnajibi K KeHHft H o npeflejiax AHi^epeHUHpOBaHHH B rjia3H0M aHajiraaTope coßaKH. H3b lieTporp. Hay^H. HHCT. HM. jiecra(j>Ta. SCHENGER-KRESTOWNIKOWA, N . R., Die Differenzierung optischer Reize und die Grenzen der Differenzierung im optischen Analysator des Hundes. Mitt. d. Petersburger Wiss. Lesgaft-Inst., Bd. 3, 1921. LLlHiii.no, A. A., O TeiwnepaTypHbix uempax Kopw ôojibuiHx nojiyinapnü. Tpy^bi 0 6 m . pyccK. Bpanett B CLL6. SCHISCHLO, A. A., Über die Temperaturzentren der Großhirnrinde. Verh. d. Ges. Russ. Ärzte in St. Petersburg, Bd. 77, 1910. A. A., O TeiwnepaTypHbix ueirrpax B Kope SojibuiHx nouyiuapHH H O CHOTBOPHWX peKHTe.NH, np0Ä0.n>KHTe.nbH0 npHMeHeHHbie B BH«e OÄHOBpeMeHHoro KOMiuieKca H 3aTeM CHOBa pa3i>eÄHHeHHbie. Tpynw H3HOJI. JiaôopaTopHH aKafl. M. n . üaBjioBa. JAKOWLEWA, W . W . , Einzelne bedingte Reflexe, die wiederholt als gleichzeitige Komplexreize angewandt und dann wieder getrennt ausprobiert wurden. Arb. aus d. physiol. Laboratorien Pawlows, Bd. 2, H. 1, 1927. B . B., O cooiHOUICHUM Me>Kny CHJIOÎÎ ycjiOBHbix PA3APA>KHTEJIEH H pa3BHTHeM 3ana3«biBaHHH HX. Tpyflbi (j)H3H0JI. jia6opaTopnft anafl. H. LI. naBjiOBa. JAKOWLEWA, W . W . , Über die Beziehung zwischen der Stärke der bedingten Reize und der Entwicklung einer Verspätung auf sie. Arb. aus d. physiol. Laboratorien Pawlows, Bd. 2, H. 1, 1927.

HKOBNEBA,

Viele Versuche, die in den Vorlesungen angeführt werden, sind aus laufenden Arbeiten entnommen, die noch nicht veröffentlicht sind.

ANHANG ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Die in diesem IV. Band von PAWLOWS Sämtlichen Werken enthaltenen Vorlesungen erschienen schon einmal im Jahre 1932 unter dem Titel „Vorlesungen über die Arbeit der Großhirnhemisphären" in deutscher Sprache. Die Übertragung erfolgte damals durch einen Schüler P A W L O W S , Prof. Dr. G. F O L B O R T (in der damaligen Ausgabe VOLBORTH geschrieben). Das Buch erschien im Medizinischen Staatsverlag der R S F S R in Leningrad. Die nazistische Diktatur verhinderte nach 1933 in Deutschland die weite Verbreitung und systematische Auswertung dieses grundlegenden Werkes. Bei der vorliegenden Ausgabe wurde die alte FoLBORTsche Übersetzung mit zugrunde gelegt, aber nach dem Original stark überarbeitet. Diese Überarbeitung betrifft nicht nur den sprachlichen Ausdruck, sondern auch einige Fachausdrücke der PAWLOWschen Physiologie. Zur besseren Übersicht stellen wir auf Seite 379—380 einige spezifische Ausdrücke der PAWLOWschen Physiologie, die in diesem Buch vorkommen, in russischer und deutscher Sprache nebeneinander. Außerdem bringen wir in diesem Anhang die Abbildungen, die F O L B O R T der deutschen Ausgabe vom Jahre 1932 zur Illustration beigefügt hat. F O L B O R T weist im Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1 9 3 2 darauf hin, daß zwei Probleme, die P A W L O W in seinen Vorlesungen anschneidet, inzwischen in den PAWLOWschen Laboratorien gelöst wurden. Die entsprechende Stelle sei im Wortlaut angeführt: „Ich möchte nur auf zwei Punkte hinweisen, die hier, entsprechend dem Tatsachenbestand von 1927, als unerledigt dargestellt werden, die aber seither durch entsprechende Versuche geklärt worden sind. Es ist das erstens die Frage über die Versuche zur HELMHOLTZschen Resonanztheorie und zweitens die Frage über das Entstehen der sogenannten negativen bedingten Reflexe. Beim Besprechen der Versuche Dr. ANDREJEWS zur HELMHOLTZschen Resonanztheorie gibt I. P. PAWLOW an, daß ,bis jetzt nur ein Versuch ausgeführt und die Untersuchung noch nicht beendet ist' (Seite 118). Und weitei, auf Seite 119 wird mitgeteilt, daß die histologische Untersuchung noch ausstehe. Gegenwärtig ist die Arbeit an zwei Hunden zu Ende geführt. Die histologische Untersuchung der operierten Schnecken ist bei Professor WITTMACK in Hamburg ausgeführt und hat ergeben, daß durch die Operationen jedesmal die beabsichtigten Zerstörungen des CoRTlschen Organs verursacht worden sind. So ist 24/IV

370

Anhang zur deutschen Ausgabe denn durch diese Versuche ein entscheidender Beweis für die ÜELMHOLTZsche Resonanztheorie erbracht. Was die negativen bedingten Reflexe anbetrifft, so äußert I . P. P A W L O W im letzten Absatz der sechsten Vorlesung auf Seite 188 einige Bedenken gegen die Stichhaltigkeit meiner früheren Versuche zu dieser Frage. Ich habe es für meine erste Pflicht gehalten, in meinem neuen Laboratorium für bedingte Reflexe am .Charkower Psychoneurologischen Institut diese Versuche wieder aufzunehmen. Wir haben alle durch neues Wissen nötig gewordenen Kontrollmaßnahmen sorgfältig durchgeführt und früher unberücksichtigt gebliebene Hemmfälle in unsere Versuchsreihe aufgenommen. Diese neuen Versuche haben mit genügender Klarheit gezeigt, daß Reize, die früher in keinerlei spezieller Beziehung zu den Tätigkeiten des geg. Versuchstieres standen, gerade durch die Gleichzeitigkeit mit Hemmreizen eine dauernde und starke Hemmwirkung erlangen. So besteht denn in der Frage darüber, wie Reizen eine neue Hemmwirkung aufgeprägt wird, die Anschauung zu Recht, wie sie P A W L O W am Ende der sechsten Vorlesung gibt, und die weiteren Zweifel können als behoben betrachtet werden. Es ist mir eine große Genugtuung, mit Genehmigung Professor I. P. PAWLOWS hier mitteilen zu dürfen, daß auch diese Frage gegenwärtig zu ihrer Entscheidung gekommen ist." L. P.

Anhang zur deutschen Ausgabe

371

Abb. 1 (zu S. 15). Kopf eines Hundes mit Parotisfistel Das eingeheilte Stück Mundschleimhaut mit der punktförmigen Öffnung des Speichelganges hebt sich deutlich von der Wangenhaut ab. Da der Speichelballon täglich angekittet wird, ist die Umgebung der Speichelfistel enthaart

Abb. 2 (zu S. 16). Kopf eines Hundes mit angekittetem Speichelballon Das Gummiröhrchen nach rechts oben führt zum Registrierapparat, nach links unten zur Absaugflasche 24*/IV

372

Anhang zur deutschen Ausgabe

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