Signaturen der Alterität: Zur medialen Reflexivität der Kunst Yasumasa Morimuras [1. Aufl.] 9783839423455

Ausgehend von der medienphilosophischen Frage nach einer Ethik der Alterität entwickelt Mira Fliescher eine Theorie der

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Signaturen der Alterität: Zur medialen Reflexivität der Kunst Yasumasa Morimuras [1. Aufl.]
 9783839423455

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Vorspiel – Für Dich eine Chrysantheme
A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft
1. Mutterwitz
2. Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?
B Signaturen
1. Autor/Kunstler
2. Unvermeidliches Subjekt/sujet
3. Fallen des Exemplars
4. Anästhetiken der Be-Stimmung
5. Um/Wendungen
C Ver/Handlungen von Signifikanz
1. Signifikante Körperteile
2. Un/Sichtbare sujets
a) (Selbst)Portrait: Auto(r)-Portraits · Voraus-Setzung des sujets
b) Fahndungsphotographien: Typisieren · Identifizieren · Irren des Be-Deutens
3. Fehl/Akte
Aufgabe: Aus/Setzung
Literatur
Abbildungsverzeichnis

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Mira Fliescher Signaturen der Alterität

Band 11

Editorial Medien entfachen kulturelle Dynamiken; sie verändern die Künste ebenso wie diskursive Formationen und kommunikative Prozesse als Grundlagen des Sozialen oder Verfahren der Aufzeichnung als Praktiken kultureller Archive und Gedächtnisse. Die Reihe Metabasis (griech. Veränderung, Übergang) am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam will die medialen, künstlerischen und gesellschaftlichen Umbrüche mit Bezug auf unterschiedliche kulturelle Räume und Epochen untersuchen sowie die Veränderungen in Narration und Fiktionalisierung und deren Rückschlag auf Prozesse der Imagination nachzeichnen. Darüber hinaus werden Übergänge zwischen den Medien und ihren Performanzen thematisiert, seien es Text-Bild-Interferenzen, literarische Figurationen und ihre Auswirkungen auf andere Künste oder auch Übersetzungen zwischen verschiedenen Genres und ihren Darstellungsweisen. Die Reihe widmet sich dem »Inter-Medialen«, den Hybridformen und Grenzverläufen, die die traditionellen Beschreibungsformen außer Kraft setzen und neue Begriffe erfordern. Sie geht zudem auf jene schwer auslotbare Zwischenräumlichkeit ein, worin überlieferte Formen instabil und neue Gestalten produktiv werden können. Mindestens einmal pro Jahr wird die Reihe durch einen weiteren Band ergänzt werden. Das Themenspektrum umfasst Neue Medien, Literatur, Film, Kunst und Bildtheorie und wird auf diese Weise regelmäßig in laufende Debatten der Kultur- und Medienwissenschaften intervenieren. Die Reihe wird herausgegeben von Heiko Christians, Andreas Köstler, Gertrud Lehnert und Dieter Mersch.

Mira Fliescher arbeitet zwischen Kunstwissenschaft und Medienphilosophie. Als Postdoktorandin forscht sie am Graduiertenkolleg »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung« (Universität Potsdam) zum Visuellen Denken.

Mira Fliescher

Signaturen der Alterität Zur medialen Reflexivität der Kunst Yasumasa Morimuras

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlaggestaltung: Hans Kannewitz (unter Verwendung einer Photographie von Mira Fliescher) Lektorat: Julia Rintz Satz: Hans Kannewitz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2345-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

For You I am a Chrysanthemum (Einstürzende Neubauten: Blume)

Inhalt 9

Vorwort

11

Vorspiel – Für Dich eine Chrysantheme Blume(n) t Alterität t Signaturen t Es wird gewesen sein A

1. 2.

B

49

Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft Mutterwitz 70 Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?

93

115

Signaturen 1.

Autor/Künstler

123

Schriftliche Freiheit t Diskursive Sparsamkeit t Un/Tote 2.

Unvermeidliches Subjekt/sujet

137

Praktisches sujet t Subjektiv(iert)e Chancen 3.

Fallen des Exemplars

155

Ohne Ende: Wer spricht/schreibt (nicht)? t Subalterne t Kunst/Wissenschaft t Identitätslogik postkolonialer Differenz t Identifizierungslogik der Be-Stimmung t Ausfälle der auktorialen Signatur 4.

Anästhetiken der Be-Stimmung

187

Ethnographische Be-Stimmungen t Prosopographien t Kommunikationszwang 5.

C

Um/Wendungen

207

Ver/Handlungen von Signifikanz 1.

Signifikante Körperteile

219

227

Signifikante Unterschiede 2.

Un/Sichtbare sujets

251

a) (Selbst)Portrait: Auto(r)-Portraits t Voraus-Setzung des sujets b) Fahndungsphotographien: Typisieren t Identifizieren t Ir ren des Be-Deutens 3.

Fehl/Akte

307

319

Aufgabe: Aus/Setzung Literatur

329

Abbildungsverzeichnis

361

Vorwort

Wenn in Folge mit einigem Pathos an Arbeiten von Yasumasa Morimura eine mediale Reflexivität verfolgt werden wird, um aus einer Ethik der Alterität motiviert das Ästhetische und Rätselhafte der Kunst gegen eine postkoloniale Subjektpolitik auszuspielen, dann kann man sich fragen, warum diese Frage gerade an einer Kunst aufgeworfen wird, die eigentlich dieses Pathos nicht direkt zum Zentrum zu machen scheint: Morimuras Kunst gilt als krude, derb, keineswegs neu, eher nebensächlich, laut, bunt, einfach zu durchschauen. Es soll nicht darum gehen, dieses Klischee zu korrigieren (auch wenn es tatsächlich nur einen Teil von Morimuras Arbeit treffen mag). Die Antwort zumindest ist: genau deshalb. Gerade weil hier nicht vordergründig ein Pathos des Ästhetischen und Rätselhaften das erste Thema zu sein scheint, gerade weil diese Kunst sich als krude, derb, keineswegs neu, eher nebensächlich, laut, bunt und einfach zu durchschauen auszusetzen scheint, gerade weil sie so leicht abzutun ist. Nicht nur ist ja die Überraschung umso größer, je weniger man so etwas wie einen Rätselcharakter der Kunst erwartet, es liegt einige Größe darin, konsequent Rätsel aufzuwerfen, ohne sie zum Selbstzweck zu machen oder sie zur Nobilitierung der Sache zu instrumentalisieren. Der erste Dank gilt somit Yasumasa Morimura dafür, dass er sich mit seinen Selbstportraits als krude, derb, keineswegs neu, eher nebensächlich, laut, bunt und einfach zu durchschauen auszusetzen scheint – so viel Liebe und Faszination für den Autor muss sein (wissend, dass hierin durchaus eine Verengung liegen mag). Die Auseinandersetzung mit dem Thema begann an der RuhrUniversität Bochum, wanderte durch ein Stipendium am DFGGraduiertenkolleg Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität (18.–21. Jahrhundert) an die Universität Trier und wurde an der Hochschule für bildende Kunst Braunschweig unter dem Titel: For You I Am a Chrysanthemum.

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VORWORT

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Yasumasa Morimura – Signaturen der Alterität als Dissertation angenommen. Allen Menschen an diesen Institutionen und den Institutionen selbst sei hiermit ausdrücklich gedankt, besonders Ulrike Kaschner im Prüfungsamt der Hochschule für bildende Kunst Braunschweig, Annette Tietenberg für das Zweitgutachten, vor allem aber Katharina Sykora für die geduldige, offene und immer spannende Betreuung der Arbeit. Die vielen Orte deuten es schon an: Hier wurde lange geschrieben (oder auch nicht), bevor es zur Promotion kam. Und es gibt noch mehr Orte, Institutionen und Menschen: Nach einer Phase der Freiberuf lichkeit holte mich die Anstellung am Institut für Künste und Medien an der Universität Potsdam in die Wissenschaft zurück. Andreas Köstler erwies sich nicht nur deshalb als der Welt angenehmster Chef, während Stephanie Rymarowiczs pragmatischer Charme ebenso erhellend war wie ihr intellektueller Witz. Die Assoziierung an der ebenfalls in Potsdam angesiedelten Graduate School Visuelle Kulturen/Visual Culture schärfte mein Interesse an der Alterität des Bildlichen. Viele Menschen haben rege Anteil an meiner Arbeit genommen: Ohne die Gespräche mit Daniela Dröscher, Dieter Mersch, Thomas Morsch, Julia Rintz, Änne Söll, Geraldine Spiekermann, Ronja Tripp, Barbara Wittmann, mit den Studierenden in meinen Seminaren an der Universität Potsdam und vielen mehr, hätte sich nie das entwickelt, was nun da steht. Julia Rintz und Dieter Mersch ist dafür zu danken, sprachlich schwierige Vorarbeiten geduldig gelesen zu haben. Julia Rintz hat zudem das Buch wunderbar lektoriert – sollten sich noch Fehler finden, dann, weil ich ihre Korrekturen schlecht umsetzte. Hans Kannewitz hat Buch und Cover mit großer ästhetischer Sensibilität und Umsicht gesetzt. Ohne die Galerie Luhring Augustine (New York) wäre die Bebilderung des Buches nicht so großzügig ausgefallen. Dieter Mersch und Katharina Sykora ist für intellektuelle Begleitung und Förderung nicht genug zu danken. Und: Helene Schweizer, Werner Fliescher, Petra, Krishan und Karol Knorr waren immer da. — Danke!

Vorspiel – Für Dich eine Chrysantheme Chrysanthemum Astera Compositae

– For you I am a Chrysanthemum Supernova, urgent star – For you I’ll be a dandelion a thousand flowerettes in the sky Or just a drop in the ocean If you know my name don’t speak it out it holds a power – as before […]

Rosa, Anemone et Nymphea alba

Euphorbia

– I’ll even be a waterlily, a marygold, a rose or a little thistle – a blue dahlia, a black tulip that’s where opinions differ the scolars disagree My name, should you know it remains unspeakable and is spoken – malediction 1

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

Blume(n)

Abb. 1–6: Stills aus: Die Einstürzenden Neubauten: Blume (English Version), Musik video, R: John Hillcoat, 1993.

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Ein Raum, im Hintergrund Kästen, aus denen Metall-Trichter, Griffe und Kurbeln ragen. Im Vordergrund ein Podest, das sich dreht. In das Video eingeblendet: Eine Art Schriftzeichen oder Bild, beziehungsweise ein Hybrid aus beidem, das anmutet wie die archaische Stilisierung eines Menschen, der auf der Scheibe tanzt – das Logo der Einstürzenden Neubauten (Abb. 1–6). Die Einblendung verschwindet, das Podest rotiert weiter. An selber Stelle, jedoch als Teil des dargestellten Raums erscheint eine Frau. 1 Einstürzende Neubauten: Blume (Liedtext) in: dies.: Malediction (Booklet), London: Mute u. Rough Trade Records, 1993, o. P.

VORSPIEL

Sie dreht sich auf dem Podest, in der Hand eine Art Megaphon, das mit den Trichtern korrespondiert, die aus den Kästen ragen. Sobald ihr Rücken zur Kamera gedreht ist, nimmt sie das Megaphon zum Mund, rechts tritt engagiert im schwarzen Anzug Blixa Bargeld durch die Tür. Der Ton, bisher eine regelmäßige, langsame Folge verrätselnder Gleichförmigkeit, übergibt an eine männliche Stimme, die leicht elektronisch verzerrt wirkend das Wort »Chrysanthemum« ansagt, das zudem als Titel eingeblendet ist. Tänzelnd, mit Handbewegungen, die an Beschwörungsgesten und zugleich an Versuche, etwas zu fassen gemahnen, umkreist Bargeld die Drehbühne, während der Sprechgesang einer weiblichen Stimme gleichsam zu antworten scheint: »For you I am a Chrysanthemum, Supernova, urgent star«. Es ist nicht sicher, ob die Frau auf dem Podest für das Video diese Worte sagt während Bargeld »Lalalala…« singt. Man rechnet ihr jedoch diese Stimme zu, so wie man die männliche Stimme an Blixa Bargeld knüpft.2 Das Video 3 zum Song Blume (Abb. 1–30) führt bisher gleichsam einen Dialog aus Appell und Antwort vor, der das Verhältnis von Adressierung, Namen/Benennung, Stimme/Gesicht und Anrufung problematisiert. Vorerst sei angemerkt, dass die Zeile For You I am a Chrysanthemum das Motto dieser Doktorarbeit stellt, da das asiatische Gesicht der Frau und dieser Beginn des Liedtextes mit derjenigen Blume, die in 16-blättriger stilisierter Ausführung das mon (Symbol) der japanischen Kaiserfamilie und das japanische Staatswappen stellt, ausreichten, um mich beim ersten Sehen des Videos

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2 Während die männliche Stimme des Liedes Blume der Einstürzenden Neubauten von Blixa Bargeld gesprochen und gesungen wird, wird die englische Version von Blume (es gibt noch je eine mit französischem und japanischem Text) von Anita Lane gesungen, die gemeinsam mit Bargeld den Text dichtete, jedoch keineswegs die Frau auf dem Podest darstellt. Die französische Version singt Diana Orlof, die japanische Etsuko Sakamaki-Haas. Es ist unklar, ob sie im Video performen. Alle Versionen werden durch dasselbe Video visualisiert. Zu den Versionen und Performerinnen von Blume vgl. das Booklet der EP: Malediction der Einstürzenden Neubauten, a. a. O., unpaginiert. Blume entstand als Teil einiger Aufnahmen der Einstürzenden Neubauten für die kanadische Tanzkompanie La La La Human Steps um den Choreographen Édouard Lock für das Stück Infante (uraufgeführt am 17. April 1991 in Paris), das eine Serie von Tanzstücken mit Live-Musik-Performances und Videos verband. Vgl. zu Infante: www.lalalahumansteps.com (zul. ges. 2. 2. 2013), zur Entstehung von Blume: Klaus Maeck u. Johanna Schenkel: Liebeslieder. Einstürzende Neubauten, Videodokumentation (D 1993). 3 Zu sehen auf: www.neubauten.org/?q=blume-english (zul. ges. 2. 2. 2013). Hier finden sich auch die weiteren Versionen.

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

annehmen zu lassen, die Frau sei Japanerin. Folglich las ich das Video Blume als explizite oder implizite Verhandlung von Japanizität, in der der Rätselcharakter von Fernost mit dem der Frau derart gepaart und übersteigert wurde, dass ihre Koppelungen reflexiv zu werden vermochten. In diesem Paradigma ist fast zwangläufig derjenige, der das Andere anspricht oder bespricht, der es aufsucht, zu begehren scheint, es mystifiziert, beschwört und benennt, europäisch, männlich und mit einem auktorialen Namen versehen (Blixa Bargeld ist der Frontmann der Einstürzenden Neubauten und publizierender Autor), während das beschworene Antwortende eine namenlose und wandelbare Weiblichkeit ist. Aus der Perspektive postkolonialer Kritik lässt sich Blume als Reflexion eines geschlechtlich codierten Raubs der Stimme der Anderen auffassen, der zwischen einer Art ethnographischen Bauchrednerei und Namensverleihung oszilliert. Gezeigt wäre so, dass die Stimme der Anderen, als deren Vertreterin die asiatisch aussehende Frau fungieren würde, aus einer Be-Stimmung resultiert, die durch ein verstummendes Begehrens- und Geschlechterverhältnis läuft. Das Video Blume reflektiert jedoch auch diejenige Benennung, die für diese Kritik selbst notwendig ist, als problematische Herstellung von Identifizierungen und Positionen: Die sich permanent auf dem Podest um sich selbst drehende Position des Anderen, welche der Ursprung aller folgenden Metaphern, Blüten und fortschreitenden Be-Stimmungen wäre, erweist sich als Produkt eines Beschwörungsapparates, der um die stete Drehung/Wendung/Trope einen lustvollen Tanz der apparativ geregelten Polyvalenz gegenläufiger Identifizierungen (Eigenes/Anderes, Mann/ Frau) vollführt – und genießt. Dass sich vor der Frau das Logo oder Signet der Neubauten auf dem Podest um selbst dreht, hieße, dass dieser Genuss den Ursprung der Autorisierung thematisiert: Die 1993 männlich und euro-amerikanisch besetzten Einstürzenden Neubauten signierten eine anthropomorphisierte Genuss-Maschinerie des Anderen, was nichts anderes als eine Geste der (Selbst) Autorisierung über die Trope des Anderen wäre. Die (vielleicht falsche) Identifizierung einer ›Japanerin‹, die dieser Interpretation des Videos Blume ihre Grundlage gab, ermöglichte, sie auf eine Verschränkung von Ethnizität und Geschlecht im Feld des Japanischen zu beziehen. Jedoch ist die Frau auf dem Podest nicht identifiziert, noch nicht einmal durch ihren Namen. Die Zuschreibung einer konkreten japanischen Ethnizität an eine asiatisch aussehende Frau erweist sich selbst als wunschgeleitete projektive und ethnisierende Identifizierung, die ermöglicht, eine Paarung von Geschlecht und Ethnizität nach den eigenen Maßgaben auszudeuten. Denn da der Verhandlung von Ethnizität und

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VORSPIEL

Geschlecht die Identifizierung dieser Positionen vorauszugehen hat, bringt diese Kritik durch die hierzu unvermeidlichen Identifizierungsverfahren diejenigen vergeschlechtlichten, ethnisierten oder rassisierten Stimmen und Gesichter selbst mit hervor, deren Bedeutungsproduktionen sie zugleich kritisiert.4 Die Kritik von ethnisierten und vergeschlechtlichten Positionierungen und Erkennbarkeiten benötigt selbst am meisten ihre Herstellung und ihre Zuschreibung auf ›Andere‹.5 Dieser Hinweis auf eine eigene projektive Verwechslung macht den Bezug auf Blume zu mehr als einem biographischen Überbleibsel derjenigen Interessen, die jemanden bewegen, ein Thema/sujet zu bearbeiten und welche sich notwendig mit der weiteren Beschäftigung mit dem Gegenstand von diesem herausfordern lassen müssen. Dass sich obige Ausdeutung zunehmend als projektive Zuschreibung oder Verwechslung erwies, die zu bearbeiten ist, ist ein Effekt des Videos Blume, das als sperriger Gegenstand die Entwicklung des Themas weiter trieb. Es zwang beinahe dazu, von der anfänglichen Frage nach den wechselnden Codes der Überlappung von Geschlecht und Japanizität in der Kunst, die projektiv eine als Differenz ethnisierte Identität der Frau produzieren, an den Rand zu stellen, um stattdessen die Epistemiken des Anderen in einem kunstwissenschaftlichen Wissen zu beleuchten, das, um solche Fragen überhaupt stellen zu können, selbst Identifizierungen von ›Anderen‹ produzieren muss. Betrachtet man Blume von dieser Warte aus, so erweist sich das Video als Reflexion, die das Zusammenspiel von Medialität, Gegenstand, Stimme, Bauchrednerei, Anrufung, Benennung und Investigation, als merkwürdig lustvolle, zugleich hohle und übervolle Séance und Versteckspiel vorzeigt. Stimmen scheinen mit ethnisierten und vergeschlechtlichten Gesichtern auf konventionelle Weise verknüpft zu werden und zugleich (zwischen wissenschaft-

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4 Zu dieser Begriffsverwendung: Während in Folge der Ausdruck ›Rasse‹ durchweg in Anführungszeichen gesetzt wird, um die im Deutschen (im Vergleich zum Englischen) brisantere essentialistische und biologistische Tradition des Begriffs zu reflektieren und sich von diesem Terminus zu distanzieren, werden Begriffe, die wie Ethnizität, Rassisierung oder Verethnisierung bereits den artifiziellen Charakter der Begriffe implizieren, ohne Anführungszeichen gebraucht. Da der Ausdruck ›Geschlecht‹ im Deutschen sowohl das biologische als auch das grammatische Geschlecht bezeichnet, wird er in Folge ohne Anführungszeichen gebraucht, da er selbst bereits eine produktive Unschärfe beinhaltet. 5 Gertrud Koch hat dieses Problem am Versuch der aufwertenden Repräsentation des Judentums durch die Kritische Theorie analysiert. Vgl. Gertrud Koch: Die Einstellung ist die Einstellung. Visuelle Konstruktionen des Judentums, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, 54–120.

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

lichen Gattungsnamen und diese annehmenden Antworten, zwischen Bild(ern), Stimme(n), Anruf und Antwort, den Listen des Namens) auseinanderzufallen. Denn der merkwürdige ›Dialog‹, der mit dem lateinischen, wissenschaftlichen Namen einer Blume einsetzt, auf den eine Frau antwortet, dass sie diese, mit der Einschränkung: for you, sei, ist mit dieser ›glücklichen‹ Zusammenkunft nicht beendet. Das, was in diesem Video zwischen Bargeld und dem Wesen auf dem Podest geschehen wird, kann bald nicht mehr als Dialog gefasst werden. Das Versprechen des Dialogs wird ironisiert. Im Video kommunizieren nämlich gerade nicht zwei im Duett miteinander. Vielmehr führt Blume eine Verfugung von unterschiedlichen medialen Strategien (Ton, Bild, Text) vor, indem es ihr Versprechen, zu konvergieren und dabei sinnvolle Konvergenzen zu erzeugen, bricht. Das Szenario des Videos erweitert sich zur Konstellation zahlreicher Komponenten, die in einen verselbstständigten Reigen der Verkettung und Unterbrechung von Korrespondenzen versetzt werden. Es wechseln sich durch Schnitte und Blenden in unterschiedlicher Kombination ab: der leere Raum, die sich auf dem Podest drehende Frau, mal mit und mal ohne den um sie tanzenden Blixa Bargeld, nostalgisch anmutende Botanika. Die unverständlichen Apparaturen werden im Hintergrund des Raums mal von einer Art Quartett bedient, das gleichsam in sprachloser, gestischer Einigung einen regulativen Prozess auszuführen scheint, – mal stehen sie einfach da. Dazwischen flackern Aufnahmen auf von einem altmodischen Apparat, vielleicht eine Kamera, und davon, wie auf einem Stein Kreide gerieben wird. Bargeld wird mehrfach den Raum durch die Tür verlassen. Die Kamera wird sich auffällig bewegen. Es entstehen undurchdringliche Korrespondenzen der Dinge oder Komponenten untereinander, potenziert durch den Liedtext. Aus Metalltrichtern, wie sie sich als Megaphon in der Hand der Frau wie an den Apparaten befinden, werden Blumen schießen. Im Liedtext wird sich eine Fülle von Blumennamen und ihren Allegorisierungen verselbstständigen. Der Text wird die Kategorien des Namens und der Benennung problematisieren. Das Quartett erscheint als Orchestrierung des Vorgangs und als Pendant zu Blixa Bargeld, ohne dass ihr Verhältnis geklärt wäre. Die Bilder reagieren auf den Text, scheinen mit ihm zu kommunizieren, jedoch nicht auf der Ebene konventioneller Bedeutung. Alles erscheint zwingend, aber vor allem: rätselhaft. Es ist diese Verrätselung, die das Video Blume eigentlich interessant macht, da es sie zugleich vollzieht und zu reflektieren scheint.

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VORSPIEL

Abb. 7–15: Stills aus: Die Einstürzenden Neubauten: Blume (English Version), Musikvideo, R: John Hillcoat, 1993.

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Mit der zweiten Umdrehung der Frau folgt wiederum eine paradoxe Anordnung: Ansage und Titel gehen zusammen: »Astera Compositae«. Doch gezeigt wird in einer altmodisch wirkenden botanischen Illustration Löwenzahn, während der Text mit Zerbersten von Blüten in Samen ein Bild der Dissemination evoziert. Konnte man den Text zur Chrysantheme noch für eine nähere botanische Bestimmung der Art halten, fallen nun Benennung, Stimme und Bild deutlich auseinander. Fast, als sei seine Arbeit getan, verlässt Bargeld, wie ein Conferencier oder Zauberer durch dieselbe Tür, durch die er eingetreten war, den statischen Guckkastenraum, in dessen Zentrum sich die Frau weiter dreht. In Nahsicht erscheint einer der Trichter/Megaphone. Die Kamera fährt gleichsam in ihn hinein und wieder zurück – magische Kanäle werden durchmessen. Grammophontrichter (Verstärker der Aufnahme) und Megaphon (Verstärker der Stimme) fallen optisch in eins, dazwischen dreht sich, keineswegs glatt, ein gebasteltes Rad, das an einen Filmprojektor gemahnt. Wieder der Guckkastenraum, zur Frau gesellen sich vier Männer im Hintergrund. Sie scheinen einem Gemälde von Magritte entsprungen.6 Zu dieser Anreicherung des 6 Das Set des Videos ist Luigi Russolos Futurist Sound Laboratory (ca. 1913) nachempfunden.

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

Bühnenraums bittet der Text (wen?) um das Verschweigen des Namens, der demnach noch nicht gefallen sein kann. Die Männer im Hintergrund bedienen, teils nahsichtig zwischengeschnitten, die Kästen, aus denen die Trichter ragen. Die Gerätschaften erinnern an Auslöser für Sprengsätze und alte Kurbelkameras. Sachkundig werden sie bedient, ohne dass man sich diese Bedienung erklären könnte: Die Verrichtungen interagieren rätselhaft, sachlich und technisch, operieren mit Undurchsichtigem, wirken zwangsläufig und zufällig zusammengestellt. Die Kamera erfasst den Bühnenraum gleichsam in pulsierenden Zooms. Die Handlungselemente, Einstellungen und Personen wiederholen sich in Folge in wechselnden Kombinationen. Das Repertoire reichert sich an um das Öffnen einer Lochblende auf altmodische, botanische Illustrationen und das Reiben von Kreide auf Schiefer. Zum Titel/zur Ansage »Liliacea« nimmt die Frau, sich immer weiter drehend, das Megaphon zur Hand; Blixa Bargeld kommt von links (der Tür) ins Bild und umkreist sie wie gehabt; das ›Quartett‹ ist weg. Eine leichte Beschleunigung von Ton und Bild begleitet diese Anreicherung von Ebenen, die immer stärker auseinanderfallen: Botanische Namen bezeichnen nicht korrekt die botanischen Darstellungen. Die weibliche Stimme schwankt zwischen metaphorischen Anreicherungen von biblischen, literarischen und kunsthistorischen Blumensymboliken oder -metaphern und der Beschwörung, den Namen nicht zu sagen. Vollkommen ungerührt dreht ›sie‹ sich dabei um sich selbst, während Bargeld sie zwischen Verzückung, Beschwörung und Erstaunen gleichsam umzingelt. Das Spiel zwischen den Figuren des Videos scheint sich immer enger zu ziehen und zugleich immer mehr aneinander vorbei zu gehen, ebenso wie die gesamte Anordnung des Films. Neben der Disjunktion von Bild und Ton macht die Ein- und Ausblendung von Figuren selbst die innerbildliche Kohärenz zweifelhaft.Während eine metaphorische Anreicherung das alte Motiv der Untersagung der Nennung des Namens 7 begleitet, reflektiert das Video seine Möglichkeiten zur Zerlegung und Kombination von Zeit und Raum, indem der zunehmende Zerfall der Kohärenz fortgetrieben wird: Niemand muss bei der Aufnahme tatsächlich zur selben Zeit in einem Raum gewesen sein. Die Stimmen und die Musik sind zu einem anderen Zeitpunkt aufgenom7 Das Motiv des unsagbaren Namens bzw. der Gefahr seiner Äußerung reicht von der negativen Theologie über Lohengrin und Rumpelstilzchen bis zu den Namen der Nambikwara, deren Funktion der Un/Sagbarkeit für Claude LéviStrauss: Traurige Tropen Jacques Derrida verfolgt. Vgl. Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen, Leipzig: Reclam, 1988, 311 f.; u. Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974, 187–207.

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men worden. Das Video montiert diese Einzelheiten als magische Maschine, die verschoben bewusst wird, indem über eine unkonventionelle Kombinatorik von Ton, Bild, Begriffen/Namen die Schwierigkeiten der benennenden wie videographischen Kohärenz problematisiert werden: Die Knüpfung von botanischen Bestimmungen an Bilder, Metaphern, Körper, Stimmen geht fehl; eine Stimme scheint jeden Namen zu akzeptieren und zu ver-wenden, der ihr geboten wird, solange es nicht ihr Name ist, der genannt wird – das gesamte Arrangement widerspricht der Logik. Diese Ana/Logik erweist sich als überaus produktiv: Die Trichter blühen höchst wörtlich auf, immer mehr botanische Illustrationen werden eingeblendet. Auf dem Podest wechselt sich eine asiatisch aussehende Frau mit Steckfrisur mit einer europäisch aussehenden (mit offenem Haar) ab. An dieser Stelle scheint sich das Quartett gleichsam auf eine Art Halt zu einigen. Dann leert sich der Bühnenraum. Bilder verselbstständigen sich: Botanika, Aufblühen der Trichter, kurze Schnitte auf Bargeld und die (erste) Frau auf dem Podest. Zu Lauten wie Morsecodes werden die Knöpfe des archaisch wirkenden Apparates (Kamera oder Projektor?) justiert. Die Fülle der Sensationen potenziert einen Sinnentzug, der sich um einen Namen produzierenden Namen dreht, der fehlt. Ein ganzer Apparat, zu dem auch die Figuren der Individuen gehören, arbeitet scheinbar daran, den Namen (von dem man denkt, er könnte die Frau/die Stimme/ das asiatische Gesicht bezeichnen) mittels Bilder und Bedeutungen zu verschleiern, wobei sich dieser Apparat zunehmend selbst in Bedeutungslosigkeit überführt.8 Die Stimme einer Frau, vielleicht die Stimme des Anderen, beharrt in Blume auf ihren Entzug, indem sie (zusammen mit Bargeld, dem Orchester und dem Video) in einem Apparat und als Teil von diesem ein Feuerwerk der Bedeutungen, ein Wuchern der Metaphern und eine Überfülle an Medialitäten herauf beschwört, welche sich einer Kohärenz des Wissens sperren. Alles knirscht gleichsam wie Kreide auf Stein und ist zugleich im Video untrennbar eins. Denn das Video kann – sieht man davon ab, dass es in drei Sprachversionen mit unterschiedlichen weiblichen Stimmen/ Interpretinnen existiert – immer nur als dieses eine auftreten und sich darstellen. 8 Tanzt Bargeld um ein goldenes Kalb der Bedeutungsfülle oder orchestriert er sie? Steht das ›Orchester‹ gemeinsam mit Boxen, Trichtern und Bühnenraum für den Apparat? Gemahnen die Weigerung, den Namen zu geben, und die Bitte, ihn nicht auszusprechen, an eine negative Theologie, die den Namen Gottes zum Unaussprechlichen mystifiziert oder zum analysefreien Raum erklärt? Wem gehören die Stimmen und Gesichter dieses Videos und was möchten sie sagen? Möchten sie überhaupt etwas sagen?

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

Abb. 16–30: Stills aus: Die Einstürzenden Neubauten: Blume (English Version), Musikvideo, R: John Hillcoat, 1993.

Folglich wird hier nicht allein das Rätsel der videographischen Bedeutungskonstitution und allgemeiner das Problem des (Gattungs-)Namens überhaupt so aufgestellt, dass Identifikationen und Benennungen derart in die Krise geraten, dass der Gattungsname ›Blume‹ ebenso als Fluch wie als falsche Rede oder Verleumdung – malediction – erscheint, wie diejenigen Versuche, an das Video einen Sinn heranzutragen. Es geschieht mehr als eine Zersetzung von Konventionen der benennenden Sinnbildung, welche ausgetragen wird, indem die Verwirrung von botanischen Klassifikationen und Illustrationen (sowie ihrer metaphorischen Austragung)

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VORSPIEL

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übertragen wird auf Gesichter und Stimmen (tradierte Topoi der Identität und der erkennenden Identifikation), die eine ethnisierte und geschlechtliche Differenz nahelegen. Es geschieht auch mehr, als zu zeigen, dass diese Zerschlagung selbst nur durch die Voraussetzung und Zuordnung einer ordnenden Klassifikation von Stimmen und Gesichtern ausgedeutet werden kann, die sich als projektive Fehlbenennungen erweisen müssen. Über diese nachgerade autopoietische stete Verschiebung, Zuordnung und Differierung von Signifikanten als Fluch oder Teufelskreis hinaus, zeigt sich das Video Blume zuvorderst als Einheit und als Ex-sistenz, die nur so und nicht anders ist, aussieht, klingt, unvermeidlich auf mich dringt, die mich affiziert (d. h. angeht und zufügt). Das Video markiert eine Alterität in seinem Erscheinen durch Ton, Bild und Bewegungsfolgen, die gerade jenseits aller Benennungsversuche liegt und dort verharrt. Diese Alterität ist somit schwerlich in die Sprache einer wissenschaftlichen Arbeit zu überführen, ohne ihr wiederum Gewalt anzutun. Denn sie zeigt sich zwar mittels Differenzen, ist jedoch nicht damit gleichzusetzen. Es lässt sich nur sagen, dass sie vor dem Sinn, seiner Andeutung oder Projektion wie vor seiner Zerschlagung liegt.9 Da sie auf die Wahrnehmung dringt, bringt sie eine Betrachtung und damit auch eine Betrachterin hervor, die beide ebenfalls noch vor dem Sinn, z. B. von Benennungen und Klassifikationen, konstituiert sind. Man kann hier einwenden, dass für die Frage nach Bedeutungsproduktion und -verschiebung (z. B. der von Ethnizität und Geschlecht) durch Kunst eine solche bedeutungslose Alterität wenig relevant ist. Ihre Bedeutungslosigkeit hat jedoch die Pointe, über eine Medialität und Materialität in der Kunst etwas in Erscheinung zu bringen, das nicht allein passiv oder unsichtbar Bedeutung trägt. Dieses ›Etwas‹ geht der Bedeutung voraus. Es vermag sich gleichsam neben ihr als Alterität zu zeigen. In dieser Asymmetrie zeigt sie etwas über Alterität, nämlich, dass sie nicht zu sagen ist. Da sich diese radikale Alterität gegen Bedeutung sperrt, ist, um sich ihr anzunähern, mit der aus ihrer Wahrnehmung folgenden Bedeutungsnot umzugehen. Dazu wären die Bedingungen der eigenen Ansprüche an Kunst-Objekte zu reflektieren und das bestehende Wissensgefüge zu problematisieren. Es wären andere Fragen zu stellen. Z. B. wäre zu fragen, welche Funktion oder Funktionali9 Vgl. dazu: Dieter Mersch: Die Frage der Alterität. Chiasmus, Differenz und die Wendung des Bezugs, in: Hermeneutik der Religionen, hrsg. v. Ingolf U. Dalfart u. Philipp Stoellger, Tübingen: Mohr Sibeck, 2007, 35–57, sowie ders.: Performativität und Responsivität, in: ders.: Posthermeneutik, Berlin: Akademie Verlag, 2010, 201–308.

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

sierung von Alterität in einem Gefüge des Ästhetischen vorliegt, wenn sich dieses bevorzugt auf bedeutungsvolle Differenzen, z. B. von ›weiblich‹ und ›männlich‹ oder von ›westlich‹ und ›japanisch‹, sowie auf ihre bedeutungsvolle Verschiebung richtet.

Alterität Jenseits der Bedeutungen einer labyrinthischen Allusionsfülle interessiert hier also, dass das Video einer Frage nach Signaturen der Alterität etwas zu zeigen vermag: Nämlich, dass die Befremdlichkeit des Videos nur in sehr begrenztem Maße aus Zeichen, Bildsymboliken, Metaphern und den darin entgegengesetzten ›Identitäten‹ bzw. den möglichen an sie zu knüpfenden Gegensätzen entspringt. Man müsste es umkehren: die Befremdlichkeit von Benennungen wird durch das Video als Hinweis auf die notwendig asymmetrische Beziehung zum Anderen sinnlich erfahrbar. Alterität wird hier nicht festgelegt, zugeschrieben oder benannt – was ihrer Aneignung entspräche. Sie entspringt hier vielmehr aus dem Zerfall konventioneller Logik und etablierter Zusammenhänge. Wenn das Video Blume auf minimale Weise eine klassische Bewegtbild-Narration andeutet, dann um sie zu zersetzen. Die Fraglichkeit des Namens und der Benennung, die in Korrespondenz mit einem Geschlechterverhältnis und ethnisierter Differenz versetzt wird, exponiert in der Verknüpfung von Ton und Bild einen gleichermaßen verwirrten wie verwirrenden Zusammenhang der Funktionen von ›Stimme‹ und ›Gesicht‹ für anthropomorphisierende Identifizierungen von Identität, um bis zuletzt den Namen zu verweigern (in drei Versionen, in drei Sprachen, mit drei weiblichen Stimmen). Es gibt ›bloß‹ seine/ihre Erscheinung. Aufgeworfen ist so die Frage, wer im Video oder Lied überhaupt benannt werden soll/kann. Dass es somit um den Gattungsbegriff ›Blume‹ oder um Gattungsbegriffe überhaupt gehen könnte, ist einerseits richtig und andererseits zu kurz gegriffen, wenn, wie hier vorgeschlagen, sich im Video eine radikalere (audiovisuelle) Dekonstruktion vollzieht. Wenn weder die Allusionen an den Surrealismus und an den besonderen Rätselcharakter der ost-asiatischen Frau, noch das ›Aufblühen von Technik‹ als Alteritäten aufgefasst werden können, da sie als Metaphern des Anderen längst etabliert sind und insofern eine bedeutsame und allzu gut bekannte Differenz repräsentieren; wenn die Differenz der Darstellungsmodi des Videos sich gut in die Affinität des Musikvideos zum Avantgardefilm und wenn die Verweigerung des Namens sich u. a. in eine negative Theologie einordnen lassen, dann kann dasjenige,

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was als das Andere dieses Videos gefasst werden kann, vielleicht nur widerfahren: Es liegt in seiner Dar-Stellung. Dar-Stellung ist hiermit nicht aufgefasst als Repräsentation (z. B. von Mann und Frau und Asien, Europa, Blumen/Natur, Technik, zu deren Funktion eine kombinatorische Vielfalt oder ein Differenzpotential gehören), sondern als Darbietung im vollen Sinne von Gabe und Performanz, bevor sie (wenn überhaupt) Sinn machen. Jenseits von Sinn vermögen in einer solchen Auffassung von Darstellung die Medialitäten und Materialitäten reflexiv in den Vordergrund zu treten. In der Darbietung von Blume zerfranst das Video als etablierte Form, da sich in der paradoxen Verschränkung von videographischer Kohärenz mit ihrer Verweigerung der Widerstreit divergenter epistemischer, ästhetischer, medialer und materieller Strategien exponiert. Indem sich diese gleichsam gegeneinander verselbstständigen, wird Alterität zum Widerfahrnis – so viel Sinn kann man gerade noch daraus machen. Ausgehend von Widerfahrnissen der Alterität angesichts der Kunst Yasumasa Morimuras stellt diese Arbeit die Frage nach dem »Paradox der Alterität«.10 Dieses Paradox ist somit (vorerst) an einen Eigennamen geheftet. Da ›Yasumasa Morimura‹ zwischen Kunst und Wissenschaft als sujet (Gegenstand, Stoff, Grundlage, Subjekt) eurozentrischer epistemischer Strategien 11 erscheint, ist er qua Name schon als kulturell Anderer ausgewiesen. Der Eigenname ist in einen Gattungsnamen überführt. Morimura als Autor wirft so die Frage nach der Identität seiner kulturellen Fremdheit und die nach ihrem Status für seine Kunst auf. Diese vermeintliche Selbstverständlichkeit kann als Prozess einer Wissensbildung beleuchtet werden, der einer Funktion des auktorialen Namens bedarf: der »Autor-Funktion«,12 d. h. einer spezifischen auktorialen Signatur. Aus dieser Perspektive ist die Frage der Identität als eine Frage nach den Prozessen, institutionellen Zwängen und Schwierigkeiten des Fortschreibens und Unterzeichnens eines fremden sujets in der Kunst/Wissenschaft aufgeworfen. Wie vollzieht sich

10 Vgl. dazu Dieter Mersch: Vom Anderen reden. Das Paradox der Alterität, in: Ethnozentrismus. Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs, hrsg. v. Manfred Brocker u. Heino Heinrich Nau, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, 27–45. 11 Strategien bezeichnen hier eigenlogische epistemische, mediale und ästhetische Prozesse, nicht ihre Steuerung durch Strategen, auch wenn diese darin eine Rolle spielen. 12 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), in: Michel Foucault. Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. 1: 1954–1969, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, 1003–1041, 1003, 1015.

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dies? Wer oder was unterzeichnet hier und übernimmt damit die Verantwortung für die Bedeutung der auktorialen Signatur? Mit dem Terminus Signaturen der Alterität erfindet diese Arbeit einen Begriff oder Gattungsnamen für unfügliche Umschläge im Feld der auktorialen Differenz. Gerade durch den Ausgangspunkt der Frage nach einer Alterität, die sich (nur) zeigt, indem sie sich weigert, in einen sinngemäßen Diskurs einzugehen, besteht die Gefahr, mit dieser Erfindung eines Gattungsnamens in eine ähnlich beschwörende Umkreisung zu geraten, wie Blixa Bargeld sie um ›die Andere‹ tanzend vollzieht. Wie ist über etwas zu schreiben, das mit dem Eingehen ins Wissen verschwindet? 13 Es werden sich nur punktuell und mit allen Problemen der Nachträglichkeit diejenigen Bruchstellen oder Modalitäten ausmachen lassen, die es vermögen, ein Widerfahrnis des Anderen aufscheinen zu lassen. Insofern wird mit der Frage nach den Signaturen der Alterität stets ein Zersetzungsdrang gegenüber der Herstellung von konventionalisiertem, diskursivem Wissen verbunden sein. Konventionelles Wissen drängt auf Kohärenz, Transparenz seiner Mittel, auf Eindeutigkeit und auf die Eliminierung inhärenter Widersprüche. Die dazu nötige epistemische Strategie ist, da sie vornehmlich im Sprachlichen operiert, dazu gezwungen, diskrete Unterscheidungen vorzunehmen, welche Bilder und Videos unterlaufen können; 14 und genau hier unterscheidet sich u. a. Blume als Kunst von der Produktion diskursiven Wissens, z. B. einem philosophischen oder kunstwissenschaftlichen Traktat, ohne notwendig unwissend zu sein. Diskursives Wissen glättet die Unebenheiten der Darstellung zu einer Linie des Arguments, verkittet Brüche zwischen divergierenden medialen und ästhetischen Strategien, z. B. wenn ein Musikvideo in jeder Hinsicht mit seiner Be-Schreibung oder Indienstnahme wiedergegeben sein soll (in obiger Interpretation fehlt z. B. jede bessere Beschreibung der Musik ebenso wie – vor allem – ihr Klang). Der Divergenz zwischen den Darstellungsmodi des wissenschaftlichen Diskurses und einem Gegenstand, der sich ihm nicht nur als eine in der Deutung zu überwindende Unverständlichkeit versperrt, sondern der als konzeptionell dem Verstehen entzogen gedacht werden muss, ist auch dieser Text ausge13 Letztlich ist erst dies eine Definition des Anderen. Vgl. Bernhard Waldenfels: Der Stachel des Fremden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990; ders.: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006, 31–33; Dieter Mersch: Die Frage der Alterität, a. a. O.; u. ders.: Vom Anderen reden, a. a. O.; sowie: Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen, in: ders.: Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Sozialphänomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg u. München: Karl Alber, 1983, 209–235. 14 Vgl. dazu Teil C Ver/Handlungen von Signifikanz.

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setzt. Man ist somit gezwungen, sich diesem Problem zu widmen, indem man auszumachen versucht, welcher Kitt Ton, Bild, Wissen, Montage zum Sinn verfugt, wissend, dass man hier selbst schon gezwungen ist, zu kitten. Auch Blumes Sinndestruktion endet mit einem Bild der ›Maschine‹, deren Rad zwar langsam ausläuft, das jedoch jederzeit wieder anlaufen kann, z. B. indem man auf Repeat drückt, um zuerst wieder das Logo der Einstürzenden Neubauten, laut Blixa Bargeld ein toltekischer Petroglyph,15 zu zeigen, das zuallererst auf dem Podest die Runde macht, um das Video gleichsam zu signieren. Was sich hier um sich selbst dreht, mögen die Einstürzenden Neubauten, d. h. die Künstler/innen und der Sinn, den sie (nicht?) ›machen‹, sein. Diese Wendung zur auktorialen Selbstsetzung wirft die Frage danach auf, wie die Signatur als Ort von Selbstsetzung und Adressierung tradiert ist. Durch das Zitat von Blume ist diese Frage als antwortende Reaktion auf eine Anrufung und deren benennende, subjektkonstitutive Funktion ausgewiesen: For You I am a Chrysanthemum. Eine solche Wendung auf Signaturen der Alterität scheint zur Durchstreichung des auktorialen Eigennamens im Titel zu führen. Die Signatur soll im Folgenden als eine Metafigur verstanden und genutzt werden. Mit Signatur geht es um eine Figur der VerWendung, sprich: um eine Figur des Umdenkens der Frage nach den Fallen und Listen von Namen und auktorialen Strategien. Ausgangspunkt ist dabei die Kritik an einem interpretativen Kommunikationsmodell, das Strategien als intentionale oder allein zu verantwortende Handlungen von Individuen, die Aussagen signieren und darin kenntlich machen, auffasst. Dabei kommt der Wendung der Signatur hin zur Frage nach a-begrifflicher radikaler Alterität, die parallel und jenseits von auktorialen Strategien und jenseits

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15 Bargeld verbindet den Gebrauch dieses Logos explizit mit Fragen des Copyrights, des Brandings und der Bedeutungslosigkeit: »Dieses Logo ist ein toltekischer Petroglyph – die Tolteken waren eine mittelamerikanische Kultur, vor Maya, Azteken, Inkas – ein Steinzeichen. Die Frage nach der Bedeutung erübrigt sich insofern, als keine Tolteken mehr da sind, die uns das mitteilen könnten und sie auch keine Schriftkultur hatten. Insofern ist da jede Deutung offen, und ich wollte nur ein Zeichen benützen, das erst mal nichts bedeutet, das man mit Bedeutung anfüllen kann. So hat das jetzt nach Tausenden Jahren eine Renaissance erlebt, und es bedeutet für die meisten Menschen, die dieses Zeichen kennen oder auf dem Oberarm tättowiert [sic] tragen, ›Einstürzende Neubauten‹ und was immer die damit verbinden. Es ist natürlich copyrightmäßig geschützt und kostet uns jedes Jahr viel Geld. Neulich habe ich in Frankreich ein Shampoo gekriegt: dickes Neubauten-Zeichen darauf. Du musst das für jeden Bereich schützen lassen. Natürlich haben wir Shampoos nicht schützen lassen.« Blixa Bargeld u. Karl Weidinger: Interview, www.kawei. at/site_vo_print_blixa.htm (zul. ges. 2. 2. 2013).

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der Bedeutung von kultureller Differenz verharrt, eine besondere Sprengkraft in Bezug auf die Konzeption von Differenz innerhalb der postkolonialen Hinwendung zu den »Anderen der Kunstgeschichte« 16 zu. Denn darin sind diese Anderen vorab konzipiert – nämlich als Personifikationen einer strukturellen Positionierung oder Verortungen als Differenz zur hegemonialen Kunstgeschichte. Denn so situiert sich diese Arbeit zwar innerhalb einer postkolonialen Ästhetik der Differenz,17 z. B. als Arbeit an »einer visuellen Kultur der Differenz, die Fremdes nicht nur toleriert, sondern als Verbundenheit mit der Welt genießen kann, ohne sie in Hierarchien umzumünzen«.18 Allerdings liegt in der hier vorgenommenen Betonung einer Nicht-Integrierbarkeit von Alterität in Sinn und Bedeutung auch ein wesentlicher Unterschied zu einer solchen Ästhetik der Differenz vor. Denn die hier gestellte Frage nach Signaturen der Alterität kritisiert das Streben einer Ästhetik der Differenz nach »Kunst- und Subjektbegriffe[n], die eine ästhetische Erfahrung von Differenz ermöglichen, die weniger gewalttätig sind als die, die wir kennen«,19 solange diese als Strategie auftritt, die Alterität durch eine an Künstler und Künstlerin geknüpfte, deutbare kulturelle Differenz intelligibel machen möchte. Das Ummünzen von Alterität in differente »Kunst- und Subjektbegriffe« 20 erweist sich von hier aus selbst als eine problematische Form der Differenzproduktion, die das flüchtige, fragile, unfassliche Ereignis der Alterität innerhalb von Bedeutungspolitik restlos als Begriffe der Kunst und des Subjekts verwertet. Darin re-produziert sich ein historisches kunstwissenschaftliches Verwertungsinteresse, das sich traditionell um den Künstler als Geburtsort der Innovation, als Alternative und als Verkörperung alternativer Subjektentwürfe gruppiert. Im Künstler als Subjekt der Differenz (als Anderer/anderes Subjekt) verknüpfen sich ein Effizienzversprechen des Subjekts und eine Ökonomie der kunstwissenschaftlichen Interpretation. Über den ›Autor‹ 21 und seinen Namen 27 16 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Thema und Forschungsprogramm, in: Graduiertenkolleg Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität (18.–21. Jahrhundert), Trier: Universität Trier, 2003, 6–9. 17 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert. 15 Fallstudien, 2 Bde., Marburg: Jonas, 2010. 18 Ebenda, Bd. 1: Texte, 11. 19 Ebenda, 9. 20 Ebenda. 21 Sofern ›Autor‹ eine Wissensfunktion bezeichnet, die maskulin tradiert ist, wird in Folge nicht zur gleichsam genderkorrekten Form ›Autor/in‹ gegriffen. Dies geschieht nur, sofern nicht die Funktion gemeint ist, sondern auf Personen referiert wird.

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vermag diese Ökonomie kulturelle Kontexte, Unterschiede und Hierarchien zu ordnen, indem ein intelligibles Subjekt diese an einem Enuntiationsort der Differenz verankert, der entweder als Gegenstand/sujet der Kritik oder als Vorbild dient. Die Funktion der auktorialen Signatur, den Marktwert eines ›Werks‹ zu erzeugen und zu verbürgen, indem sie den Künstler als Marke/die ›Marke‹ des Künstler vertritt, kehrt hier zurück als Marke ›seiner‹ kulturellen Differenz, wenn nicht von Differenz überhaupt. Verbürgt die auktoriale Signatur im Kunstmarkt den Wert des einzigartigen Künstlers wie Werks, so erweist sie sich in der postkolonialen Differenzpolitik als Ort einer Ökonomie des Unterschieds. Als (gutes) postkoloniales Subjekt verspricht der Künstler Innovation, Fortschritt und Einzigartigkeit im Feld postkolonialer Kritik. Er hat einen Anspruch der Theorie und des Wissens zu verkörpern und diese Verkörperung in seine Arbeiten einzutragen. In einer solchen Politik der signifikanten Differenz, die als Alterität ausgegeben wird, droht das westliche Denken in einer steten Bewegung über das Andere zu sich und in sein Primat des Sinns zurückzukehren statt sich davon anrühren und modifizieren zu lassen. Emmanuel Lévinas kritisierte diese epistemische Eroberungsstrategie als eurozentristische Abschottung gegen das Andere: Das andere Subjekt (der Kunst) das in der auktorialen Signatur lesbar wird, ist letztlich ein Subjekt/Gegenstand der Unterwerfung und ein altes Thema/sujet der Kunstwissenschaft. An den Rand gedrängt in dieser freundlichen Expansionsbewegung des Wissens ist, was sich zeigt,22 jenseits von Aussagen, Identitätsreflexionen und Intentionen, die hierdurch nachhaltig gestört werden können. Das meint nicht einfach eine Ignoranz der Kunst gegenüber, die sich in den Rezeptionen der Arbeiten Morimuras durchaus lesen ließe. Der Fokus auf die Verhandlung von kultureller und geschlechtlicher Differenz erweist sich nicht allein in postkolonialen Fragestellungen als ein besonders zäher Kitt, der das Wissen gegen solche Einbrüche des Anderen abschottet: Das erste Interesse gilt stets – mit der hartnäckigen Freundlichkeit eines »gute[n] Willen[s] zur Macht« 23 – dem, was uns die frem22 Dieter Mersch: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München: Fink, 2002. 23 Gegen den Gedanken der symmetrischen Beziehung des Dialogischen und der konventionellen, z. B. hermeneutischen, Überwindungsfigur gegenüber dem Nicht-Verstehen im Verstehen ist ein grundlegender Bruch auszumachen, der bereits die Form des Bezugs im Verstehen des Anderen in ihrem Innersten zerteilt. Vgl. Jacques Derrida: Guter Wille zur Macht (I), in: Text und Interpretation. Deutsch-französische Debatte mit Beiträgen von J. Derrida, Ph. Forget, M. Frank, H.-G. Gadamer, J. Greisch und F. Larulle, hrsg. v. Philippe Forget, Mün-

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den Künstler/innen, die lange keine ›Stimme‹ besaßen, zu sagen haben, d. h. ›ihren‹ Verhandlungen von Identität(en) und kulturellen Eigentümlichkeiten. Mit der Präferenz für die Ausdeutung kultureller Bedeutungen, Zeichen und Unterschiede, die Geschlecht und Japanizität als lesbare oder verwirrte Differenzen verhandelt, für die (nicht nur) Morimura als Exemplar mit seiner Kunst einzustehen habe, eint die Rezeption das Interesse für die Verhandlung, Auf lösung oder Setzung von Identitäten oder Subjektpositionen, die einer künstlerischen Position bedürfen. So bringt die Beschwörung der Auf lösung von Identitäten und Subjekten sie weiter (wenn nicht forciert) hervor: als ›postkoloniale Subjekte‹ 24 oder Identitäten, die sich über Kunst weiter schreiben und kulturellen Sinn erzeugen, indem Signifikanten verschoben werden.

Signaturen Die begriff liche Metafigur Signaturen der Alterität entstand also daraus, dass in einer Entwicklung das Interesse eine Wendung vollziehen musste. Anfänglich interessierte allein die Selbstdekonstruktion des Schreibens über japanisierte und vergeschlechtlichte Künstler/innen, um dadurch Kritik an den Subjektivationsprozessen und hierarchisierten Diskursen eines globalisierten Kunstbetriebes zu üben, dass eine diskriminierende und zugleich selbstdestruktive Bedeutungsarbeit des euro-amerikanischen kunsthistorischen Wissens nachverfolgt wurde. Jedoch führte die Problematisierung einer semantischen Fülle von prekären Japan-Stereotypen zur Entdeckung eines Paradoxes der Alterität. Alterität schien nur um den Preis ihrer Tilgung zu beschreiben zu sein, wobei sie sich zugleich aber durch die Überfülle von Stereotypen hindurch asemantisch artikulierte. Von dieser Entdeckung einer radikalen Alterität aus erschien Alterität, wie sie in der ›postkolonialen Frage‹ konzipiert wurde, selbst als problematisch. Das postkoloniale Präjudiz einer personifizierten, kulturellen Differenz, die sich mit ihrer Subjektposition einen Ort der Rede gegen ihre Subalternität zu erkämpfen habe, widerspricht nämlich der Anerkennung von radikaler Alterität. Da der Grundanspruch, dass ›die Anderen‹ als ›das chen: Fink, 1984, 56–58 u. ders.: Guter Wille zur Macht (I), ebenda, 62–77. Vgl. zur Unverständlichkeit auch Eckhard Schumacher: Die Ironie der Unverständlichkeit. Johann Georg Hamann, Friedrich Schlegel, Jacques Derrida, Paul de Man, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, insbes. 12–26, sowie zu Derrida 259–278. 24 Vgl. zu dieser Konstitution von Adéagbo: Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, Bd. 1: Texte, a. a. O., 358 f.

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Andere‹ einen bestimmbaren Enuntiationsort zu bilden haben, der von bedeutsamer Differenz gekennzeichnet ist, die sich als funktional für eine Interpretation von Differenz erweist, konnte nur erscheinen, was vorausgesetzt war. Zudem setzte sich ein höchst euro-amerikanisches Versprechen des Künstlers fort: Immer neue differente Subjektpositionen habe ›er‹ einzuführen, um einen Ort der Delinquenz im weitesten Sinne zumindest in der Sonderstellung des Künstlers zu markieren. Zwar liegt in diesem Anspruch durchaus eine Leistung für eine Subjektbedeutungspolitik.25 Doch vernachlässigt die euphorische Aufnahme der immer neuen Differenzen, die Künstler/innen hier ermöglichen, zwei Aspekte, die aus einer Frage der Alterität her aufgeworfen werden müssten: 1. Eine Ethik der Alterität des Anderen: Denn es wird zugunsten der ermöglichenden Funktionen des Subjekts ignoriert, dass jeder Subjektkonstitution ein Gewaltmoment (der Identifizierung und Positionierung) innewohnt, das sich auch darin äußert, dass der Bedarf an immer neuen, vorbildlichen Subjekten einen sich verausgabenden Verschleiß von ›ausgedienten Modellen‹ impliziert. 2. Eine Zähmung von Alterität in intelligible, semantisierte Differenz: So wird nicht thematisiert, inwieweit sich in dieser Form der Integration des Anderen/der anderen Künstler/innen etablierte Wissensmodelle und Zähmungen von Alteritäten fortsetzen, die die Geschlossenheit des euro-amerikanischen Wissens gerade nicht auf brechen, sondern eine Ökonomie des westlichen kunstwissenschaftlichen Wissens fortsetzen. Expandiert hier nicht lediglich die immer selbe westliche Epistemik des/der Anderen, die als Erschließung, Bekanntmachung, intellektuelle Eroberung, eine »Umschmelzung des Anderen in das Selbe« vollzieht,26 welche stets nur aufs Eigene zurückführt? Die Frage nach der Dekonstruktion von Diskursen der Autorschaft wendete sich an dieser Stelle in eine Frage nach Alterität. Denn die postkoloniale Konzeption von Alterität als intelligibler Unterschied des Künstler/innen-Subjekts wies sich als Reduktion von Alterität aus. Denn kulturelle, sexuelle, postkoloniale etc. Differenzen haben im Denken bereits einen Ort und eine Funktion. Identifikationen und Identifizierungen von Personen durch die einordnende Bestimmung ihrer präjudizierten Position oder Identität setzen einen Inhalt von Alterität voraus. Differenz basiert auf Identität. 25 Vgl. zur Zweischneidigkeit der Subjektpolitik: Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 15–62. 26 Emmanuel Lévinas: Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: ders.: Die Spur des Anderen, a. a. O., 185–208, 189. Weiterentwickelt wird diese Kritik in: ders.: Die Spur des Anderen, ebenda, 209–235.

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Da sich die zirkuläre Struktur einer solchen ›Dekonstruktion‹ zunehmend als Problem aufdrängte, versuchte ich schriftliche Rezeptionen der Kunst Morimuras auf ihre Selbstdekonstruktionen hin zu lesen und so den Diskurs aufzusprengen. Dies hatte zu viel und zu wenig zugleich zu bieten. Der Aufweis der Unmöglichkeit einer Schließung oder eines sicheren Wissens in der Rezeption, der vornehmlich über den Unsinn im Sinn lief, drohte im Diskursiven zu verharren. So war die Medialität und Materialität der Kunst, die nicht im Sprachlichen aufzugehen vermag, ausgespart. Doch versprach das Spiel mit Sinn und Unsinn wiederum, das Diskursive so zu sprengen, dass es auf ein Anderes führte. Unsinn zeigte auf, an welchen Stellen Kunst einem etablierten oder einem sich etablierenden Diskurs Probleme stellt, indem sie eine Ver-Störung durch Anderes zulässt, das nicht in einen diskursiven Sinn wie z. B. kulturelle Differenz aufgeht. Dieses Andere macht die Verfahren von Diskurs und Diskursivierung reflexiv, indem es sie gleichsam von einem intern produzierten Außen signiert. Im Raum der auktorialen Signatur zwischen Kunst und Wissen(schaft) unterzeichnet demnach stets noch etwas anderes: (Radikale) Alterität. Sie ist weder als kulturelle Fremdheit zu übersetzen noch dem personalen oder kulturellen Enuntiationsort der Äußerung, dem Autor/Künstler, zuzurechnen. Sie lässt sich auch nicht mit den etablierten institutionellen Absicherungen und Versprechen identifizieren, welche einer Konzepion der Signatur innewohnen, die sich als différance allein zwischen Pfropfung und institutioneller »Schreibkanzlei« 27 bewegt. Diese Alterität durchquert und konterkariert die diskursive Produktivität der auktorialen Signatur, die an die kulturelle Differenz eines auktorialen Namens gebunden wird. Denn sie bedeutet nichts, sie ist, um einen Begriff Hans Arps zu leihen, »Ohne-Sinn«.28 Dass Kunst der Ausgang 27 Vgl. zur »doppelten Interferenz« von Derridas Schrift- und Spurbegriff in der Signatur sowie zur doppelten Bedeutung des französischen greffe als (veredelnde, indexikalische, erneuernde) Pfropfung wie als (konservative) Schreibkanzlei Uwe Wirth: Zwischen genuiner und degenerierter Indexikalität: Eine Peircesche Perspektive auf Derridas und Freuds Spurbegiff, in: Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, hrsg. v. Sybille Krämer, Werner Kogge u. Gernot Grube, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007, 55–81, 67 u. 66 ff. 28 »Dada ist für den ›Ohne-Sinn‹ der Kunst, was nicht Unsinn bedeutet.« Hans Arp: Unsern täglich Traum. Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914–1954, Zürich: Arche, 1995, 50. Vgl. zum Ohne-Sinn als ästhetisches Konzept: Dieter Mersch: Kunst und Sprache. Hermeneutik, Dekonstruktion und die Ästhetik des Ereignens, in: Ästhetik Erfahrung, Interventionen 13, hrsg. v. Jörg Huber, Zürich, Wien u. New York: Edition Voldemeer u. Springer, 2004, 41– 59, 43 ff.

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einer Irritation durch Alterität sein kann,29 zeichnet ästhetische Strategien als Ort der Produktion reflexiver Störungen vielfältiger Verschränkungen von medialen und materiellen Strategien aus, die in der Kunstwissenschaft die Notwendigkeit einer steten Wende von Verfahren und Interessen auszulösen vermögen. Eine solche Wende soll hier in Bezug auf auktoriale Strategien vollzogen werden. ›Auktoriale Strategien‹ bezeichnen an dieser Stelle nicht allein die Strategien des Autors, sondern die Funktion der Autorschaft für die Produktion von Wissen. D. h. die auktoriale Strategie umfasst Wissensproduktionen mit und über Figurationen von Autorschaft in Produktion wie Rezeption. ›Der Autor‹ erweist sich so nicht als Stratege, sondern als Bestandteil einer epistemischen Strategie (einer selbst wieder eigenlogischen Wissensproduktion) der auktorialen Signatur. Dagegen deutet der »Ohne-Sinn« 30 der Alterität durch ein Anderes auf Singularität (auch auf die des Eigennamens) gerade in seiner Durchstreichung, die die Notwendigkeit markiert, in der Störung des Schriftbilds umso mehr aufs Sehen angewiesen zu sein. Signaturen der Alterität dient demnach dazu, einen Umschlag begriff lich zu fassen. Er soll in auktoriale Praxis der Signatur in der Kunst/Wissenschaft eine Ver-Wendung oder eine »Wendung des Bezugs« 31 eintragen, um dem Erscheinen der Alterität eine Chance zu geben. Damit eliminiert diese Um/Wendung der Signatur die Frage nach Autorschaft und Subjektivation nicht. Sie geht vielmehr davon aus, dass eine Praxis der Signatur darin besteht, der Kunstwissenschaft (oder dem Wissen über Kunst) mit dem Entstehen der Kunstgeschichte als Disziplin forciert eine epistemische Funktionalität zu stellen, die an eine Diskurs- wie Subjektökonomie geknüpft ist. Darin verspricht die Signatur eine hermeneutisch auszudeutende und ausdeutbare Fährte des Künstlers im Bildwerk zu verkörpern, die dem sich darauf richtenden kunstwis32

29 Vgl. zu Ereignis und Kunst: Dieter Mersch: Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, insbes.: 115–154, zum Verhältnis ästhetisches Ereignis und Alterität im Speziellen: ders.: Die Frage der Alterität, a. a. O., sowie zum Begriff des Darstellens: ders.: Einleitung. Wort, Bild, Ton, Zahl – Modalitäten medialen Darstellens, in: Die Medien der Künste. Beiträge zu einer Theorie des Darstellens, hrsg. v. dems., München: Fink, 2003, 9–49. 30 Hans Arp: Unsern täglich Traum, a. a. O., 50. 31 »Vom Anderen her sprechen, ihm antworten beinhaltet so zugleich einen Übergang vom Einen zum Anderen und damit vom Intentionalen zu dem, was als ›Wendung des Bezugs‹ apostrophiert werden kann.« Dieter Mersch: Orte der Bedeutung. Sechs Thesen zu Sprache und Alterität, http://dieter-mersch.de/ download/mersch.orte.der.bedeutung.pdf (zul. ges. 2. 2. 2013), 7 f.

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senschaftlichen Interpretationsapparat einen Sinnzusammenhang, die Abgeschlossenheit und die Semantisierbarkeit des Werks als auktoriale, künstlerische Setzung garantiert. Die auktoriale Signatur ist als privilegierter Ort der auktorialen Einschreibung und Verfügungsmacht über das Werk im Sinne einer kommunikativen Schließung und Vermarktung tradiert, worin sie den Autor resp. seine Intention in der Kommunikation zu präsentieren, wenn nicht sichtbar zu machen hat. Karin Gludovatz hat in ihren Studien zur Signatur als kommentierende Metapikturialität oder Schriftbildlichkeit die auktoriale Pragmatik der Signatur bündig beschrieben und dabei auch auf die auf die Signatur gerichteten Auslegungspragmatiken der Kunstwissenschaft seit ihrer Institutionalisierung hingewiesen: 32 Zunächst zeugt sie [die Signatur, M. F.] als Spur und damit als indexikalisches Zeichen von der ehemaligen Anwesenheit eines Individuums, das sich vermittels dieser Autorisierungsgeste zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort als Autor manifestiert und mit dieser Setzung das Werk konstituierte. […] Die Signatur fungiert demnach als sichtbares Zeichen der Kategorien Autor und Werk, welche die kunsthistorische Forschung seit ihrer Entstehung dominieren und organisieren. Bereits die simple Anbringung eines Künstlernamens 32 Gludovatz tut dies, ohne diese Pragmatik gänzlich zu verlassen. Sie versteht die Signatur als Form einer »Selbstrepräsentation«, durch die sich »innerhalb des Bildgefüges eine Position bestimmen [lässt], von der aus das auktoriale Subjekt sein Selbstverständnis als Künstler, die Darstellung und den Prozess des Darstellens kommentieren kann«. Als schriftbildliches Schlüsselzeichen für die Interpretation legt die Signatur für sie weiterhin eine lesbare Fährte, die auf die historische Person des Künstlers und dessen Intention verweist. Karin Gludovatz: Auf, in, vor und hinter dem Bild. Zu den Sichtbarkeitsanordnungen gemalter Schrift in Marten van Heemskercks Venus und Amor (1545), in: Die Sichtbarkeit der Schrift, hrsg. v. Susanne Strätling u. Georg Witte, München: Fink, 2006, 59–72, 59. Dabei reflektiert Gludovatz die geschriebene Signatur als (im Gegensatz zu figurativen Signaturen, zu denen sie auch das Selbstportrait zählt, vgl. ebenda, 61) ein »für den Betrachter […] ungebrocheneres Realitätspartikel« an der Schwelle zum Bildraum (ebenda), das verspricht, das einmalige Ereignis des nachvollziehbaren Strichs auf größere Dauer zu stellen (ebenda, 60), wobei der »Signatur stets ein sperriges Moment inhärent« bliebe (ebenda, 61). Trotzdem verbleibt sie in einer engmaschigen kunstwissenschaftlichen Logik der Restitution, die Jacques Derrida am Rande seiner Gegenüberstellung von Martin Heideggers Thematisierung der Bauernschuhe und Meyer Shapiros Kritik daran als Frage der Wahrheit der Verknüpfung von Bild, Schrift und Signatur verfolgt. Vgl. Jacques Derrida: Restitutionen. Von der Wahrheit nach Maß, in: ders.: Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen, 1992, 301–442, insbes. 432–441.

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(bzw. auch eines fiktiven, aber durch entsprechende institutionelle Kontextualisierung als authentisch vorgegebenen Künstlernamens) an einem ausgewählten Objekt setzt, legitimiert durch tradierte Autorisierungsverfahren, dessen autoritatives Potential frei. Zugleich werden aber auch die dem künstlerischen Namenszug eingeschriebenen Brüche zwischen Subjekt und Autor, Autor und Werk sichtbar. […] Künstlersignaturen markieren das Ende des künstlerischen Arbeitsprozesses, damit aber zugleich den Beginn bildlichen Bedeutens in der Anschauung. Mit dem Signieren schafft sich der Produzent jenseits bzw. diesseits des Dargestellten eine Artikulationsmöglichkeit. Stil, Platzierung und Wortlaut schriftlicher Signaturen bieten dem Künstler die Gelegenheit, Inhalt, Modus und Entstehung der Darstellung zu kommentieren, Stellungsnahmen zum Produktionsprozess und Bildstatus einzuschreiben, ohne sie explizit sprachlich zu formulieren.33

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Hier garantiert Signatur eine Form der Zeugenschaft, einen Existenzbeweis, eine Autorisierungsgeste, die Konstitution und Intelligibilität von Autor und Werk und eine Auffassung des Schaffensprozesses als intentionale Schließung, an dessen Ende das Signieren als Übergabe eines fertigen (visuellen) Bedeutungskomplexes an die Deutungsarbeit und in die ökonomische Verwertung der Kunst einleitet. Besiegelt ist in dieser Auffassung der Signatur als Schwelle zur Verwertung auch die Trennung von Produktion und Rezeption. Die Signatur oszilliert zwischen dem Versprechen einer einmaligen Geste des Signierens, Ereignis, und der Bewahrung des Künstlers im Werk, Nachruhm, auktorialer Setzung, subjektiver Autonomie, und der Abhängigkeit von institutionellen Absicherungen und Umständen, Heteronomie/Kontext. So kristallisiert sich in der Signatur eine Deutungspragmatik, die neben der Privilegierung des Subjekts als sujet darauf zielt, eine malerische und/ oder schriftliche Materialität in eine Logik des Namens, der Aussage und der Bedeutung zu überführen und ihr unterzuordnen, ein Ziel, das auch manche auktoriale Produktionslogiken anzustreben scheinen. Damit bildet die Signatur ein Indiz für die kunstwissenschaftliche Deutungspragmatik genau dort, wo sie ihre Indizien zu liefern hat. Diese epistemische Strategie der auktorialen Signatur strebt nach der Interpretation von Kunstobjekten unter der Ägide einer Schließung des Sinns. Sie dreht sich um Subjekte 33 Karin Gludovatz: Malerische Worte. Die Künstlersignatur als Schrift-Bild, in: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, hrsg. v. Gernot Grube, Werner Kogge u. Sybille Krämer, München: Fink, 2005, 313–328, 314 f.

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und Subjektivation und wird zugleich durch deren Hervorbringung in ihrer Deutungspragmatik gestützt. Diese Pragmatik ist selbst dort am Werk, wo die Signatur nicht – wie vielfach in barocker Malerei – prominent vom Künstler als ›Fährte‹ ins Bild gesetzt ist, deren Spur die Rezeption zu folgen habe.34 Es ist diese Deutungspragmatik, welche über die Frage nach Signaturen der Alterität ver-wendet werden soll. Im Unterschied zu Gludovatz, die die bildinhärente, schriftbildliche Signatur (auch mit Blick auf die ihr inhärenten Brüche) vornehmlich als tatsächliche Inskription innerhalb spezifischer Bildlogiken verfolgt und damit über die Signatur auch Bedeutungen des Materiellen und der spezifischen Intermedialität der Schriftbildlichkeit herstellt, wird Signatur der Alterität hier im ver-wendenden Anschluss an Jaques Derridas Schriftbegriff als Begriff zweiter Ordnung aufgegriffen. ›Signatur‹ bildet den Begriff eines Umschlages der autorschaftszentrierten epistemischen Strategien der auktorialen Signatur in ein Erscheinen von Alterität, das den epistemischen Prozess der auktorialen Signatur durchkreuzt und stört, und ihn so gleichsam durchstreichend gegenzeichnet. Signaturen der Alterität, die sich somit abhängig von epistemischen Strategien stets in ihren Störungen wandeln, vermögen sich nur in den Brüchen dieser Deutungslogik zu zeigen. Als Ereignisse sind sie zutiefst anauktorial, da jede auktoriale Verfügung einer Störung bereits aus einem geplanten Entwurf hervorgeht und damit absehbar und in den auktorialen Diskurs integrierbar wäre. Dagegen streichen sie gleichsam den auktorialen Namen als Garanten einer Einheit des Werks und einer Einheit von Sinnkonstitution und Vermittlung aus, indem sie ein Anderes unterzeichnen lassen (wie in jeder Durchstreichung ist dabei das Durchgestrichene in seiner Negation/als Negation sichtbar). Insofern ist hier die Frage von Signatur Ereignis Kontext 35 erneut aufzuwerfen, sowie die des Anderen. Das Andere ist nämlich nicht notwendig ein Anderer, schon gar nicht ein/e kulturell Differente/r, sondern ein Ausgeschlossenes, dessen Insistieren sich gerade dort zeigt, wo Irritationen auftreten, die darauf weisen, dass die Bezugnahmen zwischen Werk und Autor über die Konstitution des Herstellers im Werk oder die des Herstellers über das Werk keineswegs bruchlos funktionieren. Anders ausgedrückt: Gerade da, wo in der Interpretation von Kunst der Rückgriff auf ein Wissen über ihre Produzent/innen notwendig wird, liegt ein Hinweis auf eine Alterität, die sich der Bedeutung sperrt. Das Springen zwischen künstlerischer 34 Ebenda. 35 Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, in: ders.: Limited Inc., Wien: Passagen, 2001, 15–45.

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Arbeit und biographischen Kontextuierungen (im weitesten Sinn), um Kontinuität oder Plausibilität zwischen beidem herzustellen, erweist sich nicht allein als Indiz einer Störung des Bezugs zwischen beidem. In diesem Sprung zeigt sich auch die grundsätzliche Störung der Möglichkeit, das eine wie das andere in einen stabilen Sinn zu überführen, der es vermag, die am Werk befindlichen Divergenzen von medialen und materialen Strategien ebenso zu ignorieren, wie die Divergenzen zwischen den Strategien der Kunst und denen einer kunstwissenschaftlichen Epistemik, die auf dem Gebrauch des Bildes als Zeichen beruht.36 Die epistemische Funktionalität der Deutungspragmatik der auktorialen Signatur ist somit stets auf die eigenen Grenzen verwiesen, sobald diese Divergenzen hervortreten. Demnach zeichnet Alterität fortlaufend den Spalt zwischen den medialen und materiellen Strategien der Arbeiten und denen ihrer (zumeist sprachlichen) Deutungen, indem sie dazwischen auftritt. Indem sie auftritt, indem sie sich zeigt, widerspricht sie aber auch einer dekonstruktiven Konzeption der Signatur, die sich als différance sogar im Entzug entzieht. Alterität signiert hier gleichsam, indem sie sich auf diese Weise ohne Namen zu erkennen gibt/sichtbar wird, den Prozess der Sinnbildung als sein Anderes. Solche Signaturen der Alterität erweisen sich dabei nicht als stabile Orte oder Figuren, sondern als Ereignisse, denen auch diese Arbeit nur hinterherjagen kann, ohne die eigene Nachträglichkeit umgehen zu können – Signaturen der Alterität sind Spuren des Anderen, keine lesbaren Fährten. D. h., Signaturen der Alterität sind als Spuren zwar vorhanden und indexikalisch, aber nicht motiviert, im Gegensatz zur Fährte, die man als eine Pragmatik der Lesbarkeit der Spur, die von einer fundamentalen Differenz zur Spur selbst gezeichnet ist, verstehen muss.37 Wird eine Praxis der auktorialen Signatur an Spuren des Anderen bis hin zur Proklamation der Identität beider geknüpft oder eine Motiviertheit der Spur mittels der Fährte behauptet, wütet in diesen Übergängen stets ein Bruch der Verfugung bzw. ein Un-Fug.38 Ein sol36 Die Annahme der Semiotik, durch den Zeichenbegriff ließen sich hier bruchlose Übersetzungen vornehmen, gehört zu solchen Verfahren, welche im verallgemeinerten Zeichenbegriff mediale Differenzen resp. das Erscheinen von medialen Strategien – im Unterschied zu semiotischen – tilgen. 37 Mit diesem post-hermeneutischen ›Twist‹ unterscheidet sich diese Konzeption der Signatur auch von der, die Karin Gludovatz vorlegt, die eine breite und differenzierte Auslegung der handschriftlichen Signatur im Bild als gelegte Fährte und lesbare Spur unter der Ägide von Referenz unternimmt, vgl. dazu dies.: Fährten legen – Spuren lesen. Die Künstlersignatur als poietische Referenz, München: Fink, 2011, insbes. 11 ff. 38 Der Ausdruck ›Un-Fug‹ alludiert Martin Heideggers Diskussion des »je-

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cher Un-Fug ist kein Fehler und auch nicht einfach ein Effekt der Verfugung des Disparaten, sondern eine produktive Vorgängigkeit. Sie fordert eine Form ihrer Aufnahme, gleichsam ein »SeinLassen«,39 und eine Um/Wendung des Denkens ein. Der Un-Fug versetzt außerdem in die Ethik, noch bevor die Bedeutung der Sache entstanden ist. Daraus folgt eine Ethik der Anerkennung der Anderen, eine Anerkennung, die gastfreundlich nicht nach dem Namen fragt oder einen verleiht,40 die in der Auseinandersetzung mit Kunst, die als kulturelle Differenz verhandelt wird, eine besondere Sprengkraft entfaltet. Die Pointe einer Betonung der Signaturen der Alterität (Spur) gegen die Präferenz einer Deutungslogik der auktorialen Signatur (Fährte) liegt darin, innerhalb der Prozesse der Produktion kultureller Differenzen eine produktive Störung auszumachen, die die Logik der auktorialen Signatur als Vermittlungsmodus einer Politik der Anerkennung von kultureller Differenz fortwährend herausfordert.41 Zu fragen ist ausgehend von dieser Herausforderung, inwiefern eine Signatur radikaler Alterität die kunst/wissenschaftliche Voraussetzung, Produktion und Produktivität fremder auktorialer sujets (als sinnvolle ethnographische oder kunstwissenschaftliche Gegenstände) zu durchweilig anwesenden Wesen im Un-Fug«. Vgl. Martin Heidegger: Der Spruch des Anaximander. Gesamtausgabe, III. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen. Vorträge – Gedachtes, Band 78: Der Spruch des Anaximander, Manuskript einer nicht vorgetragenen Vorlesung, geschrieben vermutlich Sommer/Herbst 1942, Frankfurt am Main: Klostermann, 2010, 167 ff. Gemeint sind damit die nicht sinngemäßen Risse in der Vernunft. Indem diese sich präsentieren, werfen sie die Frage der Präsenz jenseits der Vernunft auf. Derrida versteht dies als »Unverfugte[s] (la disjointure) in der Anwesenheit des Anwesenden selbst«. Jacques Derrida: Marx’ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995, 49. Mehr stützt sich diese Arbeit jedoch auf die von Dieter Mersch im Anschluss an Heidegger weiter entwickelte Kategorie des Unfüglichen in Bezug auf eine Kunst des Performativen. Vgl. Dieter Mersch: Posthermeneutik, a. a. O., 185. 39 Alexander Garçía Düttmann: Von der Übersetzbarkeit, in: Übersetzen: Walter Benjamin, hrsg. v. Christiaan L. Hart Nibbrig, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, 131–146, 146. 40 Dies wäre eine Ethik unbedingter Gastfreundschaft, vgl. Jacques Derrida: Von der Gastfreundschaft. Mit einer Einladung von Anne Dufourmantelle, Wien: Passagen, 2001, 24–25 u. 29. 41 Diese Ansicht folgt insofern einer dekonstruktiven »Idee einer unendlichen Gerechtigkeit«, die stets als nicht-erfüllt, als »im Kommen« zu denken ist. Jacques Derrida: Gesetzeskraft. Der ›mystische Grund der Autorität‹, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 51 f. In diesen Ethos ordnet Alexander Garçía Düttmann das ›Problem der Dekonstruktion‹ ein, wenn er Derridas Dekonstruktion als Herausforderung beschreibt, vgl. Alexander Garçía Düttmann: Derrida und ich. Das Problem der Dekonstruktion, Bielefeld: transcript, 2008, 11–74.

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kreuzen vermag. Alterität in diesem Sinne geht nicht in Sinn auf, sie vermag sich nur zu zeigen. Sie erscheint im und als ein Ereignis, das widerfährt.42 Alterität ist zugleich keineswegs als vollkommen unabhängig von der Produktion fremder kunst/wissenschaftlicher sujets zu denken. Sie erscheint innerhalb und mittels eines (nicht nur ethnographischen) Paradoxes einer Wissenschaft von Fremden,43 das engstens mit dem Paradox der Alterität verflochten ist. In der Ausstellung der paradoxalen Verschränkungen einer Wissenschaft vom Fremden vollzieht radikale Alterität zum einen eine Kritik an der Besetzung von Alterität durch kulturelle Differenz. Zum anderen weist sie auf das Erscheinen eines Antlitz’ des Anderen und pocht auf seine ethische Voraussetzung vor jeder Bedeutung und Subjektivität.44 Inwieweit mit welchen Folgen für Morimura, der nur in den seltensten Fällen auf der Bildvorderseite mit seinem Namenszug signiert, das Selbstportrait als Signatur eintritt, um die Frage nach dem Antlitz aufzuwerfen und zu verwenden, ist ein roter Faden, der hier nur in Aussicht gestellt wird.

Es wird gewesen sein Aus einer Ethik der Alterität motiviert wird so eine medienästhetische Perspektive verfolgt, um radikale Alterität als zentrales Problem ernst zu nehmen. Denn der Andere als Anderer, so Emmanuel Lévinas, tritt nur ›in Erscheinung‹, indem er sich weigert, in Sinn einzugehen.45 Eine Ethik des Anderen, der gerade nicht als intelligibles Subjekt, sondern als Singularität auftritt, problematisiert eine von der postkolonialen Kunstwissenschaft betriebene Subjektlogik. Dabei geht es nicht um eine Ethik der Alterität der Anderen, sondern auch um die Alterität des Bildlichen und um

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42 Vgl. zum Widerfahrnis des Anderen: Dieter Mersch: Orte der Bedeutung, a. a. O., 8. 43 Als Paradox einer Wissenschaft von Fremden bezeichnen Eberhard Berg und Martin Fuchs den Widerstreit von Identität und Differenz, den die ethnographische Krise der Repräsentation auf allen Ebenen des ethnographischen Unterfangens feststellte. Vgl. Eberhard Berg u. Martin Fuchs: Vorwort, in: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, hrsg. v. Eberhard Berg und Martin Fuchs, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999, 7–9, 7; sowie als Überblick über die vielfältigen Positionen dieser Krisenverhandlung den gesamten Band der Herausgeber, welcher allerdings Positionen der Geschlechterforschung auslässt. 44 Vgl. dazu: Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen, in: ders.: Die Spur des Anderen, a. a. O. 45 Ebenda.

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die Alterität des Ästhetischen gegenüber dem Diskursiven.46 Diese Frage nach Alterität rückt das Verhältnis epistemischer, medialer und ästhetischer Strategien als systematisches Problem in den Vordergrund. Yasumasa Morimura als alternatives, postkoloniales Subjekt der Kunst einzuführen und zu diskutieren heißt nämlich bereits, ihn als einen intelligiblen Anderen vorauszusetzen, der verethnisiert, rassisiert und vergeschlechtlicht vorausgesetzt ist. Und es bedeutet, Alterität in einen begriff lich markierten Unterschied umzumünzen. Doch bildete diese Kritik nur den halben Zugang. Denn eine solche Frage nach den Subjektlogiken eines kunstwissenschaftlichen Schreibens hat nämlich die Frage nach der Kunst immer noch nicht gestellt. Wenn – so der Ausgangspunkt – Alterität als Ereignis oder Widerfahrnis des Anderen jeweils singulär aus den Divergenzen zwischen medialen, szientifischen und ästhetischen Strategien und ihren Materialitäten hervortritt, dann geht es mit der Frage nach dem Anderen als Anderen auch um die Alterität von Medialitäten, Materialitäten und um die der Kunst selbst. Sprich: es geht damit um die Andersheit des Anderen am Beispiel von Morimura, sowie um die Andersheit der Kunst und um die Alterität des Bildlichen gegenüber dem Diskurs, der ihnen gilt. Eine Alterität, die erscheint, ohne zu bedeuten, ist nicht direkt zu adressieren oder in Sinn zu überführen. Sie stellt dem Schreiben ein systematisches Problem, denn ein Sprechen vom Anderen ist nur als Wendung des Bezugs zu vollziehen, die ausgehend von der Irritation, die Alterität auslöst, das bestehende Wissen wendet.47 Das bedeutet im Falle Morimuras nicht nur, auf jede Zuschreibung und Vereindeutigung des ›Japanischen‹, Hybridisierten oder Postkolonialen zu verzichten, sondern es heißt, dagegen auf die sperrige Andersheit der Kunst gegenüber jeder notwendig identifizierenden Beschreibung zu beharren. Es wäre von den Irritationen auszugehen, die sich bei Morimuras Bildern dort einstellen, wo sie ihrer glättenden Aneignung in eine identifizierende Sprache widerstehen. Die ausführlichen Diskussionen des Kunstdiskurses (und anderer) zielen deshalb nicht einfach um bloße diskursanalytische, historische und begriffsgeschichtliche Klärungen. Vielmehr zeigen sie an verschiedensten Stellen unvermeidliche Aporien des Kunstdiskurses auf, die aus einer durchaus ermüdenden Wieder46 Während der Terminus Subjektlogik sich durchaus an Foucaults Diskursanalyse anlehnt, ist mit dem Diskursiven nicht Foucaults Diskurs gemeint, sondern eine mediale Praxis, nämlich eine sprachliche Abhandlung über etwas, z. B. ein sujet, mittels argumentativer Strukturen. 47 Vgl. Dieter Mersch: Die Frage der Alterität, a. a. O.

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holungsstruktur an Bewältigungs- und Identifizierungsstrategien gegenüber Alterität aufscheinen. Dieser Widerstand soll also mit der Meta-Figur einer Duplizität der Signatur zwischen der epistemischen Strategie der auktorialen Signatur und Signaturen der Alterität indirekt adressiert werden. Diese zunächst abstrakte Begriff lichkeit soll darauf weisen, dass Bezugnahmen zwischen Kunst und Sprache oder dem AutorSubjekt und Kunst keineswegs bruchlos funktionieren. Signatur ist hier als Terminus attraktiv, da die gemalt-gezeichnete Signatur tradiert ist als Abschluss des Werks durch die (auch kommentierende) Einschreibung des Künstlers in dieses mit seinem Namen. So sei das Werk als geschlossene auktoriale Setzung in einen kommunikativen Prozess entlassen, den das auktoriale fecit bestimme. Als schriftbildliche Sinnschließung im Bild verspricht die Signatur, eine sichtbare Marke eines intelligiblen, stabilen Enuntiationsortes zu sein, die das Bildliche des Bildes ans Diskursive bindet. Dies, was sowohl Kunstproduzierenden als auch der Deutungspragmatik ein Vehikel der auktorial verfügten Bedeutung ins Bild zu setzen verspricht, nenne ich epistemische Strategie der auktorialen Signatur. Zugleich muss eine Signatur im Bild ansichtig werden und materiell ausgeführt sein. So liegt da, wo die Interpretation von Kunst oder Bildern auf das Wissen über ihre Produzent/innen zurückgreift, um Sinn zu stiften, der Hinweis darauf, dass sich hier etwas im Sichtbaren der Bedeutung sperrt und als Alterität die Weisen der Bedeutungskonstitution gleichsam gegenzeichnet. Das Springen zwischen künstlerischer Arbeit und biographischer Kontextuierung (im weitesten Sinn), um eine Kontinuität oder Plausibilität zwischen beidem herzustellen, zeugt ja von der Störung des Bezugs zwischen beidem. In diesen Störungen zeichnen Signaturen der Alterität die Wissensproduktion gleichsam gegen. Denn hier zeigt sich, dass Kunst gegenüber ihrer Diskursivierung stets etwas eigenlogisch Anderes, eine Alterität, bleibt, welche sich gleichsam in Gestalt von Signaturen in den Brüchen von diskursiven Deutungslogiken anzeigt, um die Divergenzen zwischen Medialitäten und Materialitäten zu indizieren. Als Ereignisse erweisen sich Signaturen der Alterität als anauktorial, da sie den auktorialen Namen ausgerechnet am prominenten Ort seiner diskursiven Herstellung und Deutungslogik wieder ausstreichen. Sie lassen sie gewissermaßen das Bildliche als Anderes ›unterzeichnen‹. Signaturen eignet so ein Spiel zwischen Sagen, Zeigen und Sich-Zeigen, in dem sich die Spannung zwischen diskursiven, bildlichen und ästhetischen Strategien am Namen des Künstlers austrägt. Signaturen der Alterität sollen somit für Morimuras Selbstportraits eine Alterität

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anzeigen, die die Motive und die Schlüssigkeit derjenigen auktorialen Identität unterbricht, die an sie geknüpft werden sollen. Diese Umwendung weg von auktorialen Strategien hin zu einem Interesse am Bildlichen und Ästhetischen ist ausgelöst durch ein Widerfahrnis, das sich aufdrängt, das sich unfüglich dazwischenschiebt und so eine nicht zu bändigende Alterität anzeigt. Allerdings evozieren Morimuras Arbeiten solche Signaturen nur auf sehr spezielle Weise. Denn Morimura signiert gar nicht bzw. nur in den seltensten Fällen auf der Bildvorderseite. Er signiert vielmehr mit seinem Körperbild: ›Sein‹ Gesicht, ›sein‹ Körper oder zumindest Körperelemente sind in Nachstellungen bekannter Bildvorlagen gleichsam eingesetzt. Als Selbstportraits, wie Morimura seine Arbeiten, Serien oder auch Ausstellungen auch vielfach direkt betitelt, gleichen sie Ganzbildsignaturen, die statt mit einem Schriftbild mit Körperbildern operieren, die zudem auf andere, in den Vor-Bildern gegebene Bildkörper anspielt. Die Bindung des Bildes ans Diskursive, die die schriftbildliche Signatur verspricht, ist hiermit weiter ins Bildliche verschoben als bei einem Namenszug im Bild und zudem ans Körperbild des Künstlers gebunden. Da es mit der Frage nach Alterität um die unmögliche Möglichkeit gehen soll, vom Ereignis zu sprechen,48 werden Signaturen der Alterität weniger in eine feste Formel gegossen, als vielmehr in partikularen Lektüren, in Konstellationen, entwickelt, die das Problem von verschiedenen Seiten angehen und rahmen. Signaturen der Alterität sind eher zu umkreisen oder zu entfalten, statt sie im Begriff oder einer letztgültigen Definition festzustellen. Im Versuch einer negativen, umschreibenden Annäherung soll verfolgt werden, wie Alterität zwischen den Diskontinuitäten schriftlicher, skulpturaler, installativer, bildlicher und videographischer Strategien erscheint, und zwar nicht allein als ihr Effekt, sondern als Einbruch des Anderen in die Bestimmung von Fremdheit durch das Geschlecht, die Kulturalität oder Ethnizität der Autorschaft. Indem dieses Signieren der Alterität (letztlich nicht mehr und nicht weniger als das Ereignis der Gewahrung eines Entzugs) ein stets wandelbares, zuvorkommendes Außen artikuliert und offenhält, durchkreuzt es im Ereignen von punktueller, fragiler, unwillkürlicher, nur negativ zu fassender Präsenz eine Konzeption von Alterität, die sie im Wissen von der Kunst auf intelligible kulturelle Fremdheit beschränkt. Dieses Signieren von Alterität zeigt ein dem Wissen innewohnendes konstitutives Nicht-Wissen und eine der Sichtbarkeit inhärente konstitutive Un-Sichtbarkeit an. 48 Vgl. dazu Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, Berlin: Merve, 2003.

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Sinn und Ohne-Sinn sind konstitutiv verflochten. Denn Sinn ist nicht selbstgenügsam, ohne Medialitäten und Materialitäten, die ihm ein widerstehendes Anderes sind, ist er nicht zu konstituieren. Da auch in der Kommunikation der Andere und das Andere darin verharren, Anderes zu sein, vermögen sie die Rückbindung des/ der Anderen auf ein intelligibles fremdes, ethnisiertes und vergeschlechtlichtes sujet kommentierend zu unterlaufen. Nachzuzeichnen ist demnach, welche Spannungen und Produktivitäten sich zwischen den Wissens- und Subjekteffekten der ethnisch und geschlechtlich bestimmten Signaturen des/der fremden Künstler/in/Kunst entfalten. Dabei kommen Prozesse des Signierens einer Alterität in den Blick, die sich in ihrer Aisthesis jeder Bestimmung entzieht, indem sie sich zeigt. Dies postuliert, dass die radikale Produktivität der Arbeiten von Morimura gerade im Erscheinen von Einbrüchen des Anderen in die jeweiligen auf Stabilität und Schließung zielenden materialen, medialen und ästhetischen Strategien von Kunst, Medialitäten und Wissen bestehen könnte. Diese Produktivität ist jedoch nicht notwendig der auktorialen Verfügung des Künstlers zuzurechnen. Sie ist vielmehr in den paradoxalen Verflechtungen von szientifischen, ästhetischen und medialen Strategien zu verorten. Eine solche Produktivität von Dis/Kontinuitäten zwischen Kunst, Wissenschaft und Medialität soll durch close readings der Konstitutionen von Wissen über Kunst, Ethnizität und Geschlecht nachgezeichnet werden, in denen sich Signaturen der Alterität nur negativ als Antrieb, Störungen, Unschärfen und Verkehrungen ihrer Logiken ausmachen lassen. Wenn Alterität sich allein durch die Präsenz ihrer Inintelligibilität vollzieht, d. h. wenn sie ein unfassliches Widerfahrnis darstellt – wie kann sie überhaupt in einer wissenschaftlichen Arbeit umrissen werden? Die Frage forciert sich, wenn man mit der Achtung der Alterität nicht allein anstrebt, eine Mystifizierung eines Ereignisses zu behaupten, das sich jeder Analyse entzieht. Hier soll vielmehr die Notwendigkeit aufgezeigt werden, Alterität zwar nicht direkt zu semantisieren, sie würde hierdurch ja nur verschoben werden, aber sie zumindest als den Ausgang aufnehmen, von dem man spricht,49 d. h. dessen Irritation zur (wissenschaftlichen) Sprache und zur Modifikation des Denkens zwingt, ohne darin eingefangen zu sein. Man kann diesen Ausgang lediglich nachträglich umstellen und unterschiedlich von verschiedenen Seiten aus angehen. Der Zugang kann somit lediglich ein konstellativer sein, da er sich auf ein präsentes Sein vor der Erfahrung richtet: 49 Statt über oder mit ist, so auch Dieter Mersch, vom Anderen zu reden. Vgl. Dieter Mersch: Vom Anderen reden, a. a. O.

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Wer deutet, indem er hinter der phänomenalen Welt eine Welt an sich sucht, die ihr zugrunde liegt und sie trägt, der verhält sich wie einer, der im Rätsel das Abbild eines dahinter liegenden Seins suchen wollte, welches das Rätsel spiegelt, wovon es sich tragen läßt: während die Funktion der Rätsellösung es ist, die Rätselgestalt blitzhaft zu erhellen und aufzuheben, nicht hinter dem Rätsel zu beharren und ihm zu gleichen. Echte philosophische Deutung trifft nicht einen hinter der Frage bereit liegenden und beharrenden Sinn, sondern erhellt sie jäh und augenblicklich und verzehrt sie sogleich. Und wie Rätsellösungen sich bilden, indem die singulären und versprengten Elemente der Frage so lange in verschiedene Anordnungen gebracht werden, bis sie zur Figur zusammenschießen, aus der die Lösung hervorspringt, während die Frage verschwindet –, so hat Philosophie ihre Elemente, die sie von den Wissenschaften empfängt, so lange in wechselnde Konstellationen, oder, um es mit einem minder astrologischen und wissenschaftlich aktuelleren Ausdruck zu sagen: in wechselnde Versuchsanordnungen zu bringen, bis sie zur Figur geraten, die als Antwort lesbar wird […] 50 Der Vorteil eines konstellativen Verfahrens besteht einerseits darin, nicht wieder eine falsche Kohärenz oder Vollständigkeit zwischen Ebenen, Bereichen, epistemischen, ästhetischen, medialen Strategien zu behaupten, sondern vielmehr die Ränder ihrer Bruchstellen zu bearbeiten, zwischen denen Alterität hervorzutreten mag. Ein konstellatives Verfahren ist insofern reflexiv, als es die eigenen Grenzen im Verfahren ausstellt und auch Alterität in sich zulässt. Die folgende Rahmung eines Theorieteils durch zwei Formen der Lektüre (erst eine essayistische, dann eine analytische) verdankt sich so der Unfassbarkeit des Gegenstandes ›Alterität‹. Diesem Vorgehen entspricht auch, in der Konstellation dieser beiden Lektüreverfahren (A, C ) und dem allgemeineren diskurskritischen Theorieteil (B) die Irritation durch Alterität und die Probleme, welche ihre Gewahrung für das Wissen aufzuwerfen mag, anzudeuten, um zudem aufzuzeigen, dass man am Punkt der Irritation und des destruierten Wissens nicht stehenzubleiben hat. Vielmehr ist mit der Irritation die Notwendigkeit markiert, das bestehende Wissen und seine konventionalisierten Verfahren (d. h. die existie50 Theodor Wiesengrund Adorno: Die Aktualität der Philosophie, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1: Philosophische Frühschriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Mitwirkung v. Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, 325–344, 335.

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renden epistemischen Strategien selbst) in den Blick zu nehmen, um sie ausgehend von der Irritation der Alterität, neu zu ordnen. Das Vorgehen lässt sich am ehesten einem dekonstruktiven Differenzdenken zuordnen, das jedoch zugleich versucht, dieses durch die Frage nach der Alterität des Bildlichen auf Differenzen im Medialen selbst zu mobilisieren. So geht es in der Markierung systematischer Probleme des Kunstdiskurses darum, mit der Alterität der Anderen auch das Bildliche und das Ästhetische als Alteritäten des Diskursiven erscheinen zu lassen. Die folgenden drei Teile jeweils die Verflechtung der folgenden drei, sich kreuzenden Aspekte diskutiern hierzu: 1. Eine Wissenschaftskritik der Subjekteffekte, Ökonomien und Aporien des feministischen und postkolonialen Kunstdiskurses. 2. Die Figuren, Ökonomien und Aporien einer Verankerung der Deutung von Kunst in Autorschaft und in der Autorität künstlerischer Intention und Identität. 3. Das Verhältnis der Ökonomien und Aporien sowohl diskursiv-szientifischer als auch bildlich-epistemischer Identifizierungspraktiken zu den ästhetischen und medialen Strategien der Kunst Morimuras. Die drei Teile umstellen die Frage der Alterität wiederum von drei Seiten: Teil A reißt das Problem der Alterität zwischen Kunst und Kunstwissenschaft als medienästhetische Frage auf. Teil B vermittelt zwischen theoretischen Texten zur Autorschaftskritik, zur Signatur und der postkolonialen Kunstwissenschaft. Hier wird Signatur als Spannung zwischen den epistemischen, diskursiven Strategien der auktorialen Signatur und den unfüglichen Signaturen der Alterität entfaltet, wobei der Fokus auf einer Wissenschaftskritik der postkolonialen Kunstwissenschaft liegt. Teil C widmet sich der Duplizität der Signatur anhand der Problematik von scheinbar harmlos ans Bild angelegten identifizierenden Zuschreibungen von Körperteilen, die auf Geschlecht und Ethnizität hinweisen sollen. Hier stehen diejenigen systematischen Schwierigkeiten im Zentrum, die die Alterität des Bildlichen solchen Identifizierungen und Be-Nennungen, die nur über die diskursive Figurierung des Künstlers stabilisiert werden können, bereitet. Teil A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft geht der Gegenüberstellung von künstlerischer Arbeit und kunstwissenschaftlicher KunstKritik im artforum nach, um das Erscheinen von Alterität für Morimuras Kunst als witzig-unfügliches Ereignen zu konturieren. Hier interessiert der Widerstand, den ein »Ohne-Sinn der Kunst« 51 solchen Interpretationsstrategien entgegenstellt, die versuchen, sich dem Anderen (seiner Kultur, Hybridität, Ethnizität 51 Hans Arp: Unsern täglich Traum, a. a. O., 50.

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usw.) anzunähern, indem sie Alterität in Sinn überführen und bändigen. Norman Brysons Interpretation von Mother (Judith II) bildet hierfür den Ausgangspunkt. Denn dessen Layout im artforum präsentiert Text und Bild in egalitärer Gegenüberstellung als spannungsreichen Show Down, während Bryson auf engem Raum besonders dicht all diejenigen Motive verhandelt, die eine postkoloniale Kunstwissenschaft an Yasumasa Morimura wälzt: Mimikry, Maskerade, Parodie, Hybridität, das Ethnographische, die Annäherung an die Anderen, Fremderfahrung, kulturelle Differenz, Hierarchisierungen des Anderen, kunsthistorische Selbstreflexion, Globalisierung, Kapitalismus, Kanonisierung, Postkapitalismus, Postkolonialismus, Moderne oder Postmoderne. Diese Thematiken, die den semantischen Rahmen der Rezeption Morimuras bilden, werden an dieser Stelle auch angerissen, da diese inhaltlichen Fragen im Weiteren an den Rand gesetzt werden. Brysons lavierende Manöver im Umgang mit einem Bild Morimuras, das einem Witz gleicht, weisen auf ein systematisches Problem gängiger kunstwissenschaftlicher Diskussionen um Parodie und Pastiche. Ihr Drängen auf abschließende, verallgemeinerte Sinnbildung, das weit über Brysons Versuche hinausgeht, stellt durch die Konstitution von auktorialen Intentionen, die mit auktorialer Identität verknüpft werden, das Destabilisierungspotential von Witz, Parodie oder Pastiche still. So wird die Frage danach, wie überhaupt zu urteilen ist, die das Witzige massiv aufzuwerfen vermag, einer sinnvollen Pointe untergeordnet, um Witz und Parodie immer wieder dem Modell einer in propositionalen Sätzen verwertbaren Aussage zuzuführen, welche angeblich die Künstler/innen äußern. Die folgende, detaillierte Auseinandersetzung mit den Theorien des Witzes zeigt dagegen auf, dass der Witz das Schließungsbestreben und die Ökonomie der Theorie vor ein systematisches Problem stellt, da er sich als ohne-sinnige Alterität epistemischen Strategien verschließt. Insofern musste der witzige Ohne-Sinn von bestehenden Witz-Definitionen abgehoben werden, die verlangen, dass der Witz als »Sinn im Unsinn« 52 noch Sinn macht. Ohne-Sinn ist jedoch auch nicht bloße Verneinung des Sinns oder Unfug: Er weist, unverfügbares Ereignis, in dem Medialitäten und Materialitäten in ihren Eigenlogiken unfüglich aufscheinen, auf die Eigenlogik der Kunst. Da in der philosophischen Ästhetik, Psychoanalyse und Dekonstruktion die Theorie des Witzes vornehmlich an sprachlichen Witzen abgehandelt wird, musste 52 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905), in: Freud-Studienausgabe, Bd. IV: Psychologische Schriften, Frankfurt am Main: Fischer, 1970, 13–219, 15.

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dagegen aufgezeigt werden, dass der Witz nicht allein sprachlich, sondern vielmehr mit dem reflexiven Auseinandertreten divergenter Medialitäten operiert, die als Ton, Wort, Schriftbild auch in der Sprache wirksam sind. Sie sollen im konventionellen Gebrauch glatt verfugt in ihren Differenzen nicht erscheinen, um dem Sinn zuzuarbeiten. Im Witz sind sie dagegen so in ein differentielles Spiel versetzt, dass sie in ihrem Eigensinn erscheinen. Im Durchgang durch neuere literatur- und kunstwissenschaftliche Theoretisierungen des Autors oder Künstlers verfolgt Teil B Signaturen, dass in der darin vollzogenen Wiederbelebung des Autor/Künstlers sowohl die von Barthes angedeutete Problematik einer Tilgung der Eigenlogiken des Medialen als auch die von Foucault prononcierte Ökonomie der Verknappung des Diskurses, die auf Kosten des Subjekts geht, fortbestehen. Ihre ›Verabschiedungen‹ des Autors erfahren in dieser Beständigkeit ihre Aktualität. Denn neuerdings wird einerseits die Unabdingbarkeit ›des Autors‹ als Instrument von Sinnbildung und Bezugnahmen so verteidigt, dass die Frage nach Subjekteffekten vollkommen abgetrennt wird. Andererseits wird in der Entdeckung von Autorschaft als Reflexionsfigur des Subjekts und des Diskurses die Frage nach einer Eigenlogik von Medialität, Materialität und Kunst der Diskurspolitik des Subjekts vollkommen untergeordnet. Hier soll keineswegs die Frage nach Autorschaft komplett desavouiert werden. Denn die epistemische Strategie der auktorialen Signatur ist kaum zu umgehen, jedoch stets in ihren Effekten zu reflektieren. Denn sie hat zwischen der Alterität des Künstlers, der Alterität der Kunst und dem kunstwissenschaftlichen Diskurs auf eine Weise zu vermitteln, die weder für das ›Subjekt der Kunst‹, noch für die Kunst selbst harmlos ist. Auf dem Spiel steht stets ihre diskursive Zurichtung. Auch dieses Buch entzieht sich dem durch die schlichte Geste der Durchstreichung eines Namens auf dem Cover nicht. Teil B verfolgt deshalb, wie die Indienstnahme der Anderen in der postkolonialen Kunstwissenschaft die Alterität der Anderen, die des Medialen und die des Ästhetischen gleichermaßen verstellt. Ihre prosopographischen Lektüren kreisen um eine doppelte Be-Stimmung der Alterität der Anderen, der ›die Anderen‹ weiter als hierarchisierte Differenz hervorbringt. Selbst im Gewand einer »Ästhetik der Differenz« 53 läuft dies auf ein Identitätsdenken zurück, das aber, wo es von systematischen Aporien durchkreuzt ist, auch immer das Drängen der Frage der Alterität aufzeigt.

53 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O.

FÜR D ICH EINE CHRYSANTHEME

C Ver/Handlungen von Signifikanz verfolgt ein projektives (Fehl)Identifizieren, das anhand von Morimuras Serie Selfportrait (Actress)/After … besonders virulent die Frage nach der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung des auktorialen Körpers im Selbstportrait aufwirft. Hierbei werden Unfüglichkeiten zwischen divergenten Medialitäten reflexiv, womit sie Ausgang dazu bieten, die Divergenzen von epistemischen, ästhetischen und medialen Strategien bei visuellen Identifikationsverfahren vom Erscheinen der Alterität her zu durchdenken. Dieser Teil legt das Augenmerk auf das Erscheinen der Divergenzen zwischen Wort und Bild. So handelt er in erster Linie von den Bildern: Gegen die Weise, wie Bild-Details markiert und identifiziert werden, wird die produktive Widersetzlichkeit ihrer Andersheit gehalten. Mit der Dekonstruktion von systematischen Aporien einer identifizierenden Kunstkritik gegenüber Morimuras Serie Selfportrait (Actress)/After […] wird betont, dass deren Paradoxien den chronischen Divergenzen von Wort und Bild und von Diskurs und Kunst geschuldet sind. Weil die Sprache nicht anders kann, als zu identifizieren, unterläuft die Kunstpraxis sie dort, wo das Bild anderes kann. Während sprachlich unvermeidlich Körper und Körperteile als etwas zu benennen sind, und man sich zwischen entweder Penis oder Attrappe, japanisch oder europäisch entscheiden muss, da beides nicht in einem zu sagen oder zu schreiben ist, sind solche Unterscheidungen im Bild nicht am Werk. Wo sprachlich diskrete Merkmale zu identifizieren sind, steht dem die Fähigkeit des Bildes entgegen, in chronischer Indeterminiertheit ohne diskrete Unterscheidungen immer nur Singuläres zu zeigen. Eine Sperrigkeit des Bildlichen lässt sich auch für den Gebrauch der Photographie innerhalb der spezifischen Identifizierungspraktiken der Erfassungsverfahren für Delinquenz, Rasse und Geschlecht um 1900 ausmachen. Mit diesem ›Exkurs‹ zeigen sich die Divergenzen zwischen Gebrauchsweisen der Photographie für Identifizierungspraktiken auf, die den Gedanken einer historischen Linie stereotyper Erfassung in der Photographie zwischen Portrait und Diskriminierung verkomplizieren. Auch gegen die epistemischen Gebräuche von Bildern in diesen Identifizierungs- und Identitätspraktiken erscheint ein Eigensinn des Bildlichen. Dabei zeigt sich auch, dass diese epistemischen Verfahren sich von der be-nennenden Praxis der Kunstwissenschaft schon dadurch unterscheiden, dass sie im Verbund der Photographie mit diskursiven, metrischen, und weiteren ikonischen Verfahren (wie Kurven und Tabellen) ihren Eigensinn immerhin dadurch reflektieren, dass sie ihn durch weitere Verfahren zu kompensieren suchten. So ist, wenn auch anders, auch an Identifikations-Verfahren eine Sperrig-

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keit des Bildlichen beleuchtet, die zuvor nur für den kunstwissenschaftlichen Diskurs und das Verhältnis von Bild und Sprache reklamiert wurde. Setzen sich die Reflexionen bisher primär mit dem charakteristischen Fehlgehen des kritischen Kunstdiskurses vor dem Bild selbst auseinander, geht es hiermit darum, die Inkonsistenzen in epistemischen Praktiken auszumachen, die durch eine bestimmte Art von Bild etwas abgrenzend identifizieren möchten. Mit dem Ausgang vom Diskurs wird auch hier gerade herausgestrichen, dass das Bild immer anderes zeigt und ein Anderes ist, das sich nicht der identifizierenden Praxis der Sprache fügt. In der Präsenz seines Entzugs durchkreuzt es sie vielmehr und tritt so als Eigenartigkeit hervor. Insofern entzündet sich auch diese Analyse der intrinsischen Problematiken identifikatorischer Verfahren an der Auseinandersetzung mit dem Bild und an der unfüglichen Andersartigkeit des Bildes. Denn mit der duplizitären Struktur der Signatur geht es um einen kritischen ›Metadiskurs‹. Er handelt von der Besonderheit des ›Materials‹ dadurch, dass er die kunstwissenschaftliche ›Arbeit am Material‹ als fortwährende diskursive Bearbeitung dieses Materials aufzeigt, die es (unvermeidlich) immer schon zugerichtet haben wird. Zwischen diesen Lektüren erweist sich, dass das produktive Moment der Signatur nicht darin liegt, eine auktoriale Setzung des Sinns zu re-konstruieren. Vielmehr liegt die Produktivität der Signatur darin, dass sie eine Aus/Setzung darstellt, die die Kunstwissenschaft in eine Ethik des Anderen vor die unendliche Aufgabe stellt, die Signatur als Auf/Gabe einer a-personalen radikalen Alterität zuzulassen (Aufgabe: Aus/Setzung). Für eine Ethik des Anderen wäre Alterität also anders als identifizierend aufzunehmen. Die Signatur wäre als Spannung zwischen der Aus-Setzung einer künstlerischen Arbeit an die identifizierende Arbeit des diskursiven Sinns und einem Aus-Setzen (oder einer Störung) des Sinns durch ein Anderes zu betrachten. Hierin liegt eine Öffnungsarbeit an den Verhärtungen der identifizierenden Sprache, die mit den Chancen des Anderen die Chancen der Anderen eröffnet. Anstatt die grundsätzliche Asymmetrie im Verhältnis zum Anderen durch eine Moral der Intelligibilisierung der Anderen zu verdecken, die annimmt, dass sie ihnen so in gerechter Weisen die Münze des Diskurses zurückerstattet, wäre Alterität als Herausforderung des Anderen stets nur indirekt zu adressieren, sprich: sie sein zu lassen.54

54 Alexander Garçía Düttmann: Von der Übersetzbarkeit, a. a. O., 146.

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Abb. 31: artforum, Jg. 32, Nr. 5 (Januar 1994), 70 f.

Wenn es um ein Drängen des Anderen in der Kunst geht, warum dann diese Untersuchung mit einer Analyse der Wissensbildung in einer Kunstkritik beginnen, die (wie oben gezeigt) im artforum 1 Kritik, Bild, Blick, Reisebericht, Atelierbesuch und Fremderfahrung als Anekdote einer Japan-Exkursion eines euro-amerikanischen Kunstwissenschaftlers zusammenbringt und veröffentlicht? – Weil diese (zu den Anfängen einer (erneuten) Welle des Neo-Japonismus) 2 erscheinende Kunst/Kritik die Topoi wie Aporien einer postkolonial orientierten Kunst/Wissenschaft ver-handelt, lesen und erscheinen lässt. Das Beispiel handelt von einem Aufenthalt in Japan, es autorisiert sich darüber, einer ethnographischen Ethik des Da-gewesen-Seins der Feldforschung zu folgen. Zuvorderst lotet es die Felder von Kunst und Kunstwissenschaft an denjenigen Stellen aus, an denen sie sich begegnen und verfehlen. So fordert es fortlaufend dazu auf, die Kunst/Wissenschaft vor Kunst/Wissen51 1 Das artforum alludiert den Kunstmarkt vor allem als Öffentlichkeitsforum im Sinne der antiken Öffentlichkeit, d. h. als einen Marktplatz, auf dem die freie Rede beginnt. Denn das artforum berichtet von zeitgenössischer Kunst, jedoch nicht allein als marktgerichtetes Informationsblatt über Kunstauktionen und für Kunstankäufe, auch wenn sie eine Rolle spielen, ebenso wie das artforum als ein Trendsetter unter anderen nicht ganz ohne Einfluss auf das Auktionsund Ausstellungsgeschehen wie auch die Interessenformation der Kunstwissenschaft bleibt. Vgl. zur Überschneidung von Markt und Öffentlichkeit im antiken Forum: Hannah Ahrendt: Vita activa oder vom tätigen Leben, München: Piper, 1981. 2 Vgl. zu dem ab Mitte der 1990er Jahre (wieder)einsetzenden und sich wandelnden Japonismen weiter unten.

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schaft zu stellen.3 Es zeigt eine Anstößigkeit oder ein Skandalon der Kunst, sofern sie das Wissen von Kunstwissenschaft betrifft, zersetzt und markiert. Kunst lässt Kunstwissenschaft scheitern, führt in die Irre, macht sie in sich widersprüchlich und lässt darin Anderes erscheinen. Es ist diese Irritation der Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft), an der sich Signaturen der Alterität ausmachen lassen. Dazu jedoch muss Kunst/Wissenschaft der Irritation überhaupt Raum geben. Eine Aufmerksamkeit für die Produktivität von Signaturen der Alterität kann hier ansetzen – im Lesen von Brüchigkeiten und Störungen. Die Wendung Kunst/Wissenschaft soll diesen Bruch zwischen Kunst und Wissenschaft artikulieren, einen Bruch, der nur im und als Zusammenhang von Kunst und Kunstwissenschaft aufzutreten vermag. Dieser Bruch artikuliert nicht nur eine wechselseitige Autonomie innerhalb einer Kontiguität, die die eingangs abgebildete Doppelseite des artforums mit der Gegenüberstellung von Text und Bild gleichsam inszeniert, sondern ein Mehr, ein Anderes: Alterität. Norman Bryson, namhafter Kunstwissenschaftler, Kritiker des Orientalismus und westlicher Repräsentationssysteme, publiziert

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3 Die mit diesem Beginn in der Kunstkritik implizierte Frage danach, was diese Arbeit als Kunstwissenschaft auffasst, lässt sich vielleicht dadurch produktiv auf die Frage nach der Kunstwissenschaft zurückwenden, indem man die Kunstkritik als Form der Popularisierung kunstwissenschaftlicher Basisannahmen aufnimmt, welche gerade in dieser Popularisierung Probleme und Konzeptionen der Kunstgeschichte prononciert herausstellt. Mit einer ähnlichen Denkfigur analysiert Doris Berger für Biopics über Künstler den Zusammenhang von Kunstgeschichte und Film, vgl. dies.: Projizierte Kunstgeschichte. Mythen und Images in den Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat, Bielefeld: transcript 2009. Doch gilt auch vielleicht spätestens mit der Tendenz zur scholarly critique die Differenz von Kunstwissenschaft und Kunstkritik als weiche Unterscheidung. Dies weist nicht nur auf die kunstwissenschaftliche Information der meisten Kunstkritiken hin, sondern auch auf ein System des wechselseitigen Zuarbeitens, das in wissenschaftlichen Texten zur Gegenwartskunst zu lesen ist, da gerade diese Texte darauf angewiesen sind, Informationen aus der Kritik zu beziehen und zumeist ihre Legitimation aus der kritischen Reflexion des ›Jetzt‹ zu gewinnen suchen. Vgl. dazu: Janet Kraynak: Art History’s Present Tense, in: Making Art History. A Changing Discipline and Its Institutions, hrsg. v. Elizabeth C. Mansfield, New York u. London: Routledge, 2007, 83–101. Zugleich spricht einiges dafür, eine Spannung zwischen streng akademischer Wissenschaft und Kunstkritik nicht gleich vollends aufzugeben. Diese Spannung, die auch in der bewussten und reflexiv gebrauchten Überschneidung von Beidem verbleibt, lässt sich als produktives Element aufnehmen, als sich hier eine etablierte Kunstwissenschaft über die Kritik an aktueller – und damit auch stets: wenig etablierter – Kunst selbst herausfordert, z. B. dazu Stellung zu nehmen. So würde die Zwischenstellung der scolarly critique produktiv werden. Genau dies eröffnet Norman Brysons Kritik.

1994 im artforum die Kunstkritik Yasumasa Morimura: Mother (Judith II). Mit der Einbettung von Autor und Werk kommt der Text einer Aufgabe der Kunstkritik, nämlich Kanonisierung, nach,4 indem er sie als interessante postkoloniale Verunsicherung des westlichen, hegemonialen Selbst verortet. Quasi autobiographisch wird von der Anreise zum Atelier Morimuras berichtet, wo Bryson die groß abgebildete Mother (Judith II) zum ersten Mal sah. Auf der Fahrt durch Honshu, von Tokio nach Osaka, liefert der japanische Kontext den Schlüssel zu dieser Kunst: »Occidentialism«.5 Wie ist diese Kritik/dieser Kanonisierungsversuch aufzufassen? Als ethnographische Studie der identitären Verfassung Japans im Jahre 1994? Als Reisebericht? Als Atelierbesuch, dessen Eigentliches ausgespart bleibt? Zumindest verfertigt der Text eine Diagnose eines Kulturzustands, als dessen Symptom ein Kunstwerk auftrete. Daneben annonciert der Titel Künstler und Werk: Yasumasa Morimura: Mother (Judith II), ein Künstlerselbstportrait in Form einer mehrfach verfremdeten plastischen wie photographischen Bildnachstellung einer Judith-Darstellung von Lucas Cranach d. Ä. Künstler und Werk nehmen jedoch nur indirekt Konturen an, indem Text wie Layout die Irritation durch die abgebildete Mother (Judith II) mit der quasi autobiographischen Er-Fahrung der Anfahrt zum Künstleratelier parallelisieren, während der sich Norman Bryson zum Gegenstand des japanischen Okzidentialismus gemacht fühlt. Die scheinbar selbstverständliche Parallele zwischen der hybriden kulturellen Identität Japans und dem Komplex Autor/Werk wirft die Frage auf, wie und von welchem Ort dies selbstverständlich wird. Insofern die Reproduktion der Photomontage Mother (Judith II) in euroamerikanischer Leserichtung ganzseitig links gleichsam vor den Text gesetzt ist, scheint hiermit auch ein Verhältnis von Text und Bild in der kunstwissenschaftlichen Arbeit vorgeführt: Vom Werk zum Text über japanische Identität, welche allerdings im Begriff sei, sich zu hybridisieren. Dass dies eine euro-amerikanischen Lesart impliziert, die die Einseitigkeit des Lesens nicht zu reflektieren scheint, ist exemplarisch für die Aporien eines identifizierenden Umgangs mit dem Anderen, den die Frage nach Signaturen der Alterität wenden möchte. 4 Auf Kanonisierung weist auch die Zeitschrift hin, da sie der Kunstkritik ein entsprechendes Editorial beistellt, welches den Anspruch der besprochenen Werke im Kanon der jeweils Schreibenden zur Aufgabe macht: »In this ongoing series, writers are invited to discuss a work that expanded their understanding of contemporary art and claimed a permanent place in their canon.«, anonym: Editorial, in: artforum, Jg. 32, Nr. 5 (Januar 1994), 71. 5 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), in: artforum, Jg. 32, Nr. 5 (Januar 1994), 71.

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Brysons Text schildert eine Anreise zu Kunst und Atelier. In dieser Erfahrung einer anderen Kultur fühlte er sich als Gegenstand desjenigen okzidentialistischen Blicks der Anderen, der das 1994 gegenwärtige Japan ebenso wie Mother (Judith II) auszeichne. Das Kunstwerk, in dem sich der Künstler gleich zweimal photographisch portraitiert hat, scheint gleichsam diesen Blick, vornehmlich durch den Blick des Künstlers, der eine Judith-Darstellung Lucas Cranachs d. Ä. aus dem 1530er Jahren als photographisches Selbstportrait nachstellte, in Stellvertretung wiederzugeben. Insofern Er-Fahrung am Anfang steht, erzählt Bryson zuerst von sich: dass er sich für diese Reihe des artforums, in der meist namhafte Autoren eine Arbeit aus der zeitgenössischen Kunst besprechen, um sie in den Kanon zu integrieren, nichts ausgesucht habe, was im Laufe der Zeit einen festen Platz in seinem Denken gefunden hätte. Vielmehr wählte er eine Arbeit, »a piece that is still turning over, a work to which I am still adjusting«,6 nämlich Mother (Judith II): »a brilliantly executed performance, as eerie as it is hilarious«: 7 Mother (Judith II), 1991, is the second in a series of images by Yasumasa Morimura based on the biblical story of Judith and Holofernes. In the first, Mother (Judith I), the figures are portrayed à la Cranach; Morimura appears as both Judith and her decapitated victim. In Mother (Judith II), the Cranach-based image is revisualized across the style of Arcimboldo, with all the portrait elements replaced by inanimate objects: Holofernes turns into a still life with potato head, his neck a slab of beefsteak, while Judith develops a mask of symmetrical pale-green cabbage leaves.8

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Als unheimliche und brüllkomische Aufführung (performance) setzt sich auch die Reise durch eine Landschaft, die Bryson ebenfalls auf die gleiche Weise wie Mother (Judith II) irritierte, fort. Während der Reisende auf dem Weg von Tokio nach Osaka im High-Tech-Zug zum angestarrten gaijin (Fremden) wird, ist er Objekt oder sujet des japanischen Okzidentialismus. 1994 tritt Japan auf als exzessives Pastiche eines imaginären ›Westens‹, was nicht nur Symptom einer globalisierten, spätkapitalistischen Postmoderne 9 sei, sondern nach Bryson den aktuellen Kern des Verhält6 7 8 9

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Brysons Beschreibung alludiert deutlich Fredèric Jamesons Definition des

nisses Japans zum Westen ausmache. Dieser Auftritt gleiche strukturell dem Stilmix von Mutter (Judith II): Everything Western has gone radical decontextualization and mixing: Greco-Roman sculpture, Hollywood Cinema, British Punk, Renaissance art, Modernist architecture – all shorn of history, purged of their embeddedness in concrete historical situations, and melded together, orbiting in the simultaneous present of consumer time.10 Hier sind verschiedene Stereotypisierungen Japans alludiert. Sie reichen von der differenzlos Euro-Amerika nachahmenden Kopierkultur über Japan als postmoderne Konsumkultur schlechthin bis hin zu Aspekten einer von David Morley und Kevin Robbins für die 1980er Jahre als Japan-Panic analysierten Angst vor einer nicht-euro-amerikanischen Nation mit wirtschaftlicher Vormachtstellung, die nicht nur Hardware in Form von Technologie ver-kauft, sondern sich über die Unterhaltungsindustrie in die US-amerikanische Seele 11 einkaufe und zudem etwa über KunstanPastiches, vgl. Fredèric Jameson: Postmodernism and Consumer Society, in: The Anti-Aesthetic. Essays on Postmodern Culture, hrsg. v. Hal Foster, New York: The New Press, 1998, 111–125 und weiter unten Mutterwitz. 10 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O., 71. 11 Für die USA spitzte sich in der Mitte der 1980er Jahre die wirtschaftliche und technologische Vormachtstellung Japans auf dem Weltmarkt derart zu, da sie darauf traf, dass die Unterhaltungsindustrie in Form von Hollywood und Disney wesentlicher Bestandteil des nationalen Selbstbewusstseins ist. Das Klischee vom seelenlosen, robotisierten japanischen Ameisenarbeitervolkes, das – zu keiner Erfindung, lediglich zur Kopie des Westens fähig –die amerikanische Seele kaufen wollte, eroberte Wirtschaftmagazine und Tageszeitungen. Parallel dazu wurden verschiedene ältere Stereotypisierungen auch zu einem mehr positiv exotistischen Techno-Orientalismus ver-wendet. Vgl. zur Stellung Japans in der Kopierkultur: Hillel Schwartz: The Culture of the Copy. Striking Likeness, Unreasonable Facsimiles, New York: Zone Books, 1998, insbes.: Ditto/Reprise: Fidelity, 364–371; sowie zu Japan-Panic und Techno-Orientalism: David Morley u. Kevin Robins: Techno-Orientalism. Japan-Panic, in: dies.: Spaces of Identity. Global Media, Electronic Landscapes and Cultural Boundaries, London u. New York: Routledge, 1995, 147–173. Eine Kritik an ›Japan‹ als postmoderne Konsumkultur aus amerikanisch-japanologischer Sicht, die auch Texte japanischer Autor/innen integriert, liefert der (von u. a. Habermas’schen Zweifeln an der Postmoderne motivierte) Band: Postmodernism and Japan, hrsg. v. Masao Miyoshi u. H.  D. Harootunian, South Pazific Quarterly, Vol. 87 (3/1988). Dass der japanische Geschmack bereits die Welt erobert habe, legt Joan StanleyBaker nahe, um darin den Beitrag Japans zur Weltkunst auszumachen: »In the twenty-first century Japanese taste, like Zen and ceramics over the last half of the twentieth century, will influence most world arts, from architecture,

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käufe die europäische Kultur auf kaufe. Zahlreiche Berichte über Höchstgebote bei Auktionen klassischer euro-amerikanischer Kunstwerke durch japanische Sammler und Liebhaber schürten z. B. die Sorge, dass europäische Kunstschätze bald in japanische Museen, oder – wie im Fall der ersten Version von Vincent van Goghs Portrait des Dr. Gachet (1890) – nach der Zugabe zur Einäscherung in die Gruft von Papiermagnaten verschwinden würden.12 Nachdem diese Topoi zur Zeit der wirtschaftlichen und technologischen Vormachtstellung Japans auf dem Weltmarkt Mitte der 1980er Jahre bis etwa 1992 (dem Zeitpunkt des Zusammenbruchs der sogenannten japanischen Bubble) kursierten, verbreitete sich Anfang der 1990er Jahre in der Kunstwelt ein modifiziertes Interesse für ein harmloseres bis spannend gefährliches ›Japan‹, das als postmodernes Land schlechthin zwischen dangerously cute, beautiful oder Cool Japan für die auf kommende Frage nach der Globalisierung der Kunst und nach globalisierten oder postkolonialen KünstlerInnen/Kulturen eine besonders aufschlussreiche Position einzunehmen versprach.13 Weniger als die Inhalte solcher

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auto-design, cinema, computer games, high fashion and interior design, to music, textile-design and video-art. Subtly, perhaps not so subtly but surely, the follower of imperial days has become trend-setter of the space-age.« Joan Stanley-Baker: Japanese Art, London: Thames and Hudson, 2000 (World of Art), 208. 12 Im Mai 1990, auf dem Höhepunkt der japanischen Wirtschaftsmacht und kurz vor ihrem Zusammenbruch, ersteigerte der japanische Firmenchef Ryoei Saito (eigentlich anonym) das Werk zum damaligen Rekordpreis von 82,5 Millionen Dollar. Er äußerte damals (vielleicht auch im Unernst), dass er das Bild mit sich einäschern lassen wollte und löste so heftige Diskussionen sowohl zur Entwicklung der Kunstpreise wie zur Verfügungsmacht von Kunstbesitzer/innen aus. Saito ging im Zuge des Zusammenbruchs der sogenannten japanischen Bubble Economy Bankrott und verstarb im Jahre 1996. Der Verbleib des von Saito an geheimer Stelle gelagerten Portrait des Dr. Gachet ist bis heute ungeklärt. Zur Provenienz vgl. Cynthia Saltzman: Das Bildnis des Dr. Gachet – Biographie eines Meisterwerks, Frankfurt am Main: Insel, 1999. Zur Einordnung in die Geschichte des Kunstmarktes vgl.: Dirk Boll: Der Kampf um die Kunst. Handel und Auktionen positionieren sich am Kunstmarkt, Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg (2004), Halle a. d. Saale: druckfabrik Halle, 2005, 31 f. 13 Anfang 1992 erscheint u. a. in der Flash Art ein Themenschwerpunkt zur Gegenwartskunst in Japan, in dem Morimura abgesehen von On Kawara als einziger Künstler eigens besprochen wird, vgl. Francesco Bonami: Yasumasa Morimura. Double Exposure, in: Flash Art, Jg. 25, Nr. 163 (März/April 1992), 82 f. Auch wenn Morley und Robbins in Spaces of Identity (a. a. O.) die weitere Wendung der Stereotypisierung nach dem Zusammenbruch der japanischen Wirtschaft nicht verfolgen, schließen die neuen Stereotypen an ihre Beschreibungen des positiv ausgerichteten Techno-Orientalism an. Nun firmiert Japan

als technologisch hochgradig fortschrittliche Kultur, die es vermochte, die (westlichen) Widersprüche zwischen Tradition und Moderne, Technik und Natur, Mensch und Maschine, Konsum und Kontemplation friedvoll aufzuheben. Das Stereotyp des imitativen Charakters ›Japans‹ wurde in diese Vision der Aufhebung integriert, nur war die Kopie nun in Affirmation gewendet. In den 2000er Jahren schließlich firmierte das Label eines, vornehmlich auf Populärkultur bezogenen, Cool Japan, dessen Vermarktungspotential auch von japanischer Seite genutzt wurde, vgl. dazu Steffi Richter: ›Cool Japan‹, ›Beautiful Japan‹. Ein neuer Japonismus zwischen globalem Pop und nationalem Populismus?, Vortrag am 31. Oktober 2007 auf der Konferenz: Bildexporte, Globalisierung, interkulturelle Begegnungen, JZDB (Japanisch Deutsches Zentrum Berlin), www.uni-leipzig.de/~japan/cms/fileadmin/downloads/cool_japan/cj_richter .pdf, unpaginiert (zul. ges.: 2. 2. 2013). Dass es dabei schwerfällt, Japan-Stereotypen vom nationalem Selbstverständnis Japans zu trennen, thematisiert Irmela Hijiya-Kirschnereit: ›What a Happy Life and Death‹. Japanische Selbstinszenierungen für das 21. Jahrhundert, in: Ästhetik Erfahrung, Interventionen 13, hrsg. v. Jörg Huber, Zürich, Wien u. New York: Edition Voldemeer u. Springer, 2004, 79–96. Dass Anfang der 90er Jahre ein internationales Interesse an japanischer Gegenwartskunst einsetzt, ist u. a. durch die aus der Prosperität resultierenden, wachsenden nationalen Kunstförderung durch internationalen Austausch (z. B. durch die Japan Foundation) verursacht. Vgl. zur japanischen Kulturpolitik: Michihiro Watanabe: Background on Cultural Policies and Programs in Japan, in: Comparing Cultural Policy. A Study of Japan and the United States, hrsg. v. Joyce Zemans u. Archie Kleingarner, London, Walnut Creek u. Neu Delhi: Altamira Press, 1999, 61–112. Diese Kunstförderung fiel ob der nun einsetzenden wirtschaftlichen ›Harmlosigkeit‹ Japans auch in den USA auf sehr fruchtbaren Boden. So wurde japanische Kunst vor allem über das – mit einer gewissen Doppelbödigkeit versehene – Signet cute vermarktet. Vgl. z. B. Noi Sawagari und Fumio Nanjo: Dangerously Cute, in: Flash Art, Jg. 25, Nr. 163 (März/April 1992), 75–77. Norman Bryson verwendet cute mit Bezug auf Mariko Mori; vgl. Norman Bryson: Cute Futures. Mariko Mori’s Techno Enlightenment/Unwiderstehliche Zukunft. Mariko Moris Techno-Aufklärung, in: Parkett, No. 54 (1998/99), 76–89. Nun konnten Labels wie Made in Japan problemlos Ausstellungen zieren, ohne an drohenden wirtschaftlichen Ruin oder kulturellen Einfluss denken zu lassen. Vgl. aus dem Spektrum der Umdeutungen des (zuallererst billige Imitate assoziierenden) Labels Made in Japan die Ausstellung von Arbeiten Mariko Moris: Made in Japan, Shiseido Gallery, Tokyo, 12.–30. September 1995 u. Deitch Projects, New York 11.–27. April 1996. Cuteness selbst ist in Japan zudem ein ästhetisches Konzept der Alltagskultur, das zuerst vornehmlich dem Weiblichen zugerechnet wurde. Inzwischen wird kawaii/niedlich/cute umfassender gebraucht; vgl. Sharon Kinsella: Cuties in Japan, in: Women, Media and Consumption in Japan, hrsg. v. Lose Skov u. Brian Moeran, Richmond: Curzon Press, 1995, 220–254. Die Frage der Überbietung der Postmoderne in Japan und die Zuschreibung, Japan sei die postmoderne Kultur schlechthin, diskutiert der Band Postmodernism and Japan, a. a. O. Vgl. a. Karl Ludwig Pfeiffer: Schwebende Referenzen und Verhaltenskultur: Japan und die Praxis permanenter Postmoderne, in: Postmoderne – globale Differenz, hrsg. v. Robert Weimann u. Hans Ulrich Gumbrecht, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 344–353.

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Stereotypisierungen, die teils in Japan auch selbst als Nationalcharakter lanciert werden, interessiert sich diese Arbeit für die argumentativen Strukturen der hier vollzogenen Wissensproduktion. Möglichkeitsbedingung dieser Wissensproduktion ist eine besondere Stellung des Stereotyps Japans zwischen Orient und Okzident. Gemeint ist hiermit nicht nur das Selbstbewusstsein der Nation Japan als eine keineswegs bruchlos dem Westen gegenüber defizitäre Wirtschaftsmacht und Hochkultur, sondern dass sich Japan innerhalb exotisierter Nationen als mit einem besonderen kulturellen Kapital ausgestattet erweist.14 Kurz nach seiner erzwungenen Öffnung vermochte es die Nation Japan erst als differenzierte und ästhetisierte Hochkultur, dann als Kriegsmacht, die Russland besiegte, sowie als nicht-euro-amerikanische Teilnehmerin am II. Weltkrieg, dann als technologisch und wirtschaftlich führende Nation aufzutreten.15 Sie war niemals im eigentlichen Sinne die Kolonie eines euro-amerikanischen Staates.16 Auf demselben wirt-

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14 Claudia Breger thematisiert im Rahmen der Diskussion von Mimikri in der Literatur Yoko Tawadas, dass es hier größere Spielräume für Japanizität im Vergleich z. B. mit Türkizität, gäbe, was Ausdruck eines größeren kulturellen Kapitals sei, vgl.: Claudia Breger: ›Meine Herren, spielt in meinem Gesicht ein Affe?‹ Strategien der Mimikry in Texten von Emine S. Özdamar und Yoko Tawada, in: Aufbrüche. Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland, hrsg. v. Cathy S. Gelbin, Kader Konuk u. Peggy Piesche, Königshausen: Helmer, 1999, 30–59, 47 u. 51. 15 Mehrfach wurde so die Kunst Japans als gleichwertige Partnerin aufgegriffen, um als keineswegs primitive Inspiration der ›westlichen‹ Kunst und Philosophie zu dienen, ohne notwendig verstanden zu sein. Vgl. z. B. Martin Heideggers prominente Aufnahme der Theorie des Schönen von Shūzō Kuki in: Martin Heidegger: Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden, in: ders.: Unterwegs zur Sprache, Gesamtausgabe Bd. XII, Frankfurt am Main: Klostermann, 1985, 79–146. Vgl. a. Shūzō Kuki: Die Struktur von ›Iki‹. Eine Einführung in die japanische Ästhetik und Phänomenologie, Egelsbach, Frankfurt am Main, München u. New York: Dr. Hänsel-Hohenhausen, 1999. Hier entwickelt Kuki eine japanische Ästhetik, die den Nationalstil in dezidierter Opposition zum ›Westen‹ stellt. Zu den Missverständnissen zwischen beiden vgl. Ryōsuke Ohashi: Von Heidegger her, in: Von Heidegger her. Wirkungen in Philosophie – Kunst – Medizin. Messkircher Vorträge 1989, hrsg. v. Hans-Helmuth Gander, Frankfurt am Main: Klostermann, 1991, 94–104. 16 Insofern folgt das japanische Kunstsystem anderen Einteilungen, die westliche harte Gegensätze zwischen Ost und West oder Zentrum und Peripherie ebenso unterlaufen, wie westliche Erwartungen an Originalität. Japanische Museen hängen yoga, Malerei im Stil des französischen Impressionismus, die bis heute ausgeführt wird, gleichwertig neben traditionelle Kunst, französische Impressionisten und westlich orientierte, zeitgenössische Kunst und neben eigenständige japanische Avantgarden wie die mavo. Japanische Künstler/innen hängen in Abteilungen wie Surrealismus oder Frühe Photographie selbstverständlich neben euro-amerikanischen. Nicht zuletzt diskutiert die

japanische Nation seit der Öffnung seine Identität im ausgreifenden nihonjinron als Differenz zum Westen im Terminus der unvollständigen Moderne zwar zum Teil als nicht westlich-modern genug, d. h. als unterlegen oder defizitär in der Moderne. Zugleich wird mit dem Topos des Nicht-WestlichModernen nicht nur der Nationalcharakter und seine Rettung, sondern auch eine souveräne absolute Differenz Japans zum Westen beschworen, die seine besondere Stärke ausmache. Zu diesen Differenzdiskursen gehören auch Konzeption japanischer Psychologie wie der ajase-Komplex oder das Takeo Dois-Konzept des amae, die aus der japanischen Mythologie psychologische Figuren des Nationalcharakters ableiten. Vgl. zu mavo: Gennifer Weisenfeld: Mavo. Japanese Artists and the Avantgarde, Berkeley, Los Angeles u. London: University of California Press, 2002. Zu yoga und zur ›Erfindung‹ ihres Gegenstücks, nihon-ga (traditionelle japanische Malerei), in der meiji-Ära (unter Beratung des Briten Ernest Fenellosa) vgl. Doris Croissant: Japanische Malerei der Moderne. Zum Verhältnis zwischen Kunst und Staat im 19. und 20. Jahrhundert, in: Kunst der Welt oder Weltkunst? Die Kunst in der Globalisierungsdebatte, Loccumer Protokolle 21/02, hrsg. v. Detlef Hoffmann, RehburgLoccum: Evangelische Akademie Loccum, 2003, 61–92; u. Modern Masters of Kyoto. The Transformation of Japanese Painting Traditions. Nihonga From the Griiffith and Patricia Way Collection, hrsg. v. Michiyo Morioka u. Paul Berry, Ausstellungskatalog Seattle Art Museum 1999. Vgl. zum nihon-jinron bzw. nihonron: Jens Heise: Einleitung, in: Die Kühle Seele. Selbstinterpretationen der japanischen Kultur, hrsg. v. dems., Frankfurt am Main: Fischer, 1990, 7–19. Zum ajase-Komplex vgl. Keigo Okonogi: Der Ajase-Komplex des Japaners, ebenda, 30–79. Vgl. zu amae: Jens Heise: Psychogramm einer Kultur der Anlehnung. Zu Takeo Doi, Amae no kôzô, in: Japan. Ein Lesebuch, hrsg. v. Peter Pörtner, Konkursbuch 16/17 (1986), 277–291. Nicht zuletzt bewegt sich die japanische Philosophie seit der erzwungenen Öffnung des Landes auf Augenhöhe zwischen westlichen und östlichen Quellen; vgl. etwa zur japanischen philosophischen Ästhetik: A History of Modern Japanese Aesthetics, hrsg. v. Michael F. Marra, Honolulu: University of Hawaii Press, 2001. Dieser höchst kursorische Überblick zeigt, dass Japanizität aus westlicher Perspektive keineswegs ausschließlich defizitär betrachtet wurde und dass sich parallel dazu (und nur diese Gleichzeitigkeit kann hier die Pointe bilden) eine selbstbewusste Stellung und sogar eine selbstbewusste Interaktion mit ›Westlichkeit‹ in japanischen Praktiken herausbildeten. Somit kann man die Konstruktion Japans als modernen Nationalstaat mit einem Nationalcharakter in der meiji-Ära keineswegs als reine Unterordnung unter die Hegemonie auffassen. Zwar wurde die moderne Nation Japan mit der erzwungenen Öffnung zwar traumatisch von Außen forciert. Es gilt für Japan jedoch keine tatsächlich ›nachholende Modernisierung‹, da diese letztlich parallel zur euro-amerikanischen Modernisierung und ihren Schockwirkungen verlief. Die Wahrnehmung von Ähnlichkeit zu einem Anderen, die stets auch Differenz impliziert, ist in dieser Auseinandersetzung um den japanischen Nationalcharakter letztlich beinahe Standard. Kritisch mit dem Begriff ›Nationalcharakter‹ geht Hans Dieter Ölschleger um, vgl. ders.: Arbeiten zum japanischen Nationalcharakter, in: Japanstudien. Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien der Franz-von-Siebold-Stiftung, Bd. 1 (1989), 43–70, insbes.: 43 u. 61–68.

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schaftlichen Niveau, demselben Bildungsstand und mit kulturellen Kapital ausgestattet, stellt ›Japan‹ ein zwar exotisiertes, jedoch auch ähnliches Anderes dar. Auch bei Bryson figuriert ›Japan‹ als un/ ähnlich, doch steht es auf der Schwelle, sich als ein allzu ›ähnliches Anderes‹ zu konstituieren, was die Serie der Judith-Nachstellungen, aus der Mother (Judith II) stammt, vertrete wie reflexiv markiere oder portraitiere. Zwischen Selbst- und Fremdbezug oszillierend vereint diese zu große unheimlich-komische Ähnlichkeit, die über verstörende Imitationen während einer (zu langen) Zugfahrt hervortritt, in sich ambivalente Aspekte. Zuerst ist Mother (Judith II) das Portrait einer kulturgierigen oder -neidischen okzidentialistischen Imitation und Konsumtion des Westens: The ›Judith‹ series is, among other things, a brilliant satire on cultural greed – on the avidity of a Japan now able to buy whatever it wants, from anywhere in the world […]. But what engaged me in Mother (Judith II) was its portrayal of Occidentialism itself, the general desire to fashion a West through representation, in every area – industry, architecture, fashion, politics, art.17 Zweitens gibt Mother (Judith II) die verstörende Be-Fremdung des ›Westens‹ wieder, die Bryson im Pastiche des Westens reisend verspürte.

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And it also summed up the oddness of being a foreigner walking through […] Japan. In general, a lot of the Japanese cityscape looks much the same as things in the West. One should feel entirely at home. Yet during the journey to Morimura’s studio the public gaze upon my not-so-freakish person was as if I had landed from Mars. Why? The whole environment had been modeled on the West, so how was it that one still felt such an intruder, so alien […]? 18 Ursache für diese Be-Fremdung sei, dass der japanische Blick ( gaze) den Reisenden als gaijin fixiere: The journey from Tokyo, by train and subway, was a long one. I felt with more than usual acuteness the discomfort of being

17 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O., 71. 18 Ebenda.

a traveler in Japan: more than a century after the country was opened to the west, foreigners (gaijin) still attract the gaze to an unnerving extent. It can be wearing to step into a subway car and feel all the eyeballs turn to scrutinize one’s person – to be the object of so intense (and prolonged) a stare.19 Ein vieläugiger japanischer Blick verstört die Selbstverständlichkeit des Reisenden. Brysons Eindruck, ein ungewöhnliches Alien und ein Eindringling zu sein, potenziere sich, da die gesamte Umgebung nach dem ›Westen‹ modelliert sei, sprich: nach dem kulturellem Ort, dem Bryson sich zugehörig fühle und den er zu vertreten meint. Der Blick ist intensiv. Er starrt auf ›den Anderen‹. Dieses Andere, das zum Objekt des Blicks wird, ist hier ein euro-amerikanischer Kunstwissenschaftler in Japan, der sich nicht wie gewohnt als unsichtbarer Beobachter, sondern markiert als white,20 erfährt. Bryson schildert dies sowohl als höchst persönliches körperliches Zustoßen, gleichsam als Zerfall des eigenen Gesichts, als auch strukturell: als Zerrüttung eines geo-historischen kunstwissenschaftlichen Wissens,21 das auf der Verortung von kunsthistorischen Erbfolgen, Meilensteinen und einer geknüpften Vorstellung von Identität beruht: I recognize the West – its cultural legacy, its art-historical landmarks, from the Renaissance to appropriation art. But in a strange way the mirror does not reflect my own face. Looking at Occidentialist art, Western viewers can perhaps experience some of the shock of misrecognition that an Islamic viewer

19 Ebenda. 20 Richard Dyer hat in seinem maßgeblichen Aufsatz Whiteness die aufwändige Verfertigung hegemonialer Weißheit als normatives wie unsichtbares Ideal im Hollywood-Kino untersucht und damit den Grundstein für die Frage nach der Voraussetzung des Weißen als unauffällige, quasi neutrale Hautfarbe/neutraler Marker von Rasse im Verhältnis von Macht und Sichtbarkeit in Bezug auf Hautfarben gelegt, vgl. Richard Dyer: Whiteness, in: Screen, Jg. 29 (4/Herbst 1988), 44–64. Frantz Fanon, der ›Schwarze Haut‹ im Anschluss an Sartre an den Blick und die Benennung bindet, schildert die exzessive Sichtbarkeit schwarzer Haut, ohne die vermeintliche Neutralität des Weißen in Fragen zu stellen. Vgl. Frantz Fanon: The Fact of Blackness, in: ders.: Black Skin White Masks, New York: Grove Press, 1967, 109–140. 21 Time and Place – The Geohistory of Art, hrsg. v. Thomas DaCosta und Elizabeth Pilliod, Aldershot und Burlington: VT, 2005, verfolgt breit angelegt die problematische Verknüpfung von Geo-Geschichte und (nationaler) Identität in der Kunstgeschichtsschreibung, um zugleich Geo-Geschichte in eine progressive Form der Kunstgeschichtsschreibung zu wenden.

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might experience looking at the imaginary Orient of Ingres or Delacroix or Gérôme.22 Okzidentialismus erweist sich als Fehlrepräsentation, die das Erkennen verunsichert. Eine Imitation, von der angenommen wird, dass sie den Westen wiedergeben und spiegeln soll, schockiert als Zerrspiegel, in dem das Erwartete nicht erscheint. In dieser Parodie des »Occidentialism« 23 gewinnt japanische Identität ihr Gesicht auf Kosten der Wiedererkennbarkeit des Gesichts des Westens. Wenn »das Selbstportrait jahrhundertelang das Versprechen einer Vergewisserung des Ich im Sinne seiner spiegelbildlichen Fixierung zu bergen schien«,24 zeigt Mother (Judith II) durch den Zerfall des Wiedererkennens des Eigenen, dass im Selbstportrait die Intelligibilität des portraitierten Künstlers spiegelnd den Ort seines betrachtenden Gegenübers versicherte. Bryson münzt die unbequeme Erfahrung der Zerrüttung des Versprechens der spiegelnden Selbsterkennung, die nach Lacan stets Verkennung wäre,25 über ein durchaus witziges Lamento um in seine Selbstrestitution: Das Alien erweist sich als real thing : Perhaps it has to do with one’s own body. Mine is, I promise, not so unusual. But in the landscape of a constructed West there had suddenly appeared an actual Westerner, myself. The environment had everything you find in the West – except the Westerners. Now onto the stage walked the real thing, and at once a wave of ontological panic rippled through the subway.26

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Waren mit der Parodie ›des Westens‹ das Heimatgefühl des Kunstwissenschaftlers (ein westliches male, white, etc. subject) im ›Westen‹ ebenso wie die Wiedererkennbarkeit und die Besitzverhältnisse von kunsthistorischen Meilensteinen oder Marken kultureller Hegemonie durch ihre fortlaufende Imitation verlustig gegangen, so sind nun Ursprünge, Originale und Kopien wieder geo-historisch sicher verortet. So ist der Westen von seiner japanischen Imitation differenziert. Als vor-bildliches Original, das vor der japanischen Kopie steht, ist auch sein hegemonialer Status gesichert. 22 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O., 71. 23 Ebenda. 24 Katharina Sykora: Das Kleid des Geschlechts. Transvestismen im künstlerischen Selbstportrait, in: Das textile Medium als Phänomen der Grenze – Begrenzung – Entgrenzung, hrsg. v. Heide Nixdorff, Berlin: Reimer, 1999, 123–152, 123. 25 Vgl. Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion, in: ders.: Schriften, Bd. 1, Olten, Freiburg im Breisgrau: Walter, 1973, 61–70. 26 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O., 71.

Wenn hier eine ›ontologische Panik‹ dadurch entstehen soll, dass in der Reise wie in Mother (Judith II) die kulturelle Bedeutung von Zeichen so in ein unendliches Verwirrspiel der Verkleidung oder in eine tropologische Verwirrung gezogen seien, dass jede Sicherung des Wissens um sie verlustig gegangen ist, dann wird dies nun dadurch befriedet, dass ›Japan‹ in der Parodie den ›Westen‹ als Original, Vorbild und als seinen großen Anderen anerkennt. Die japanische Verkleidung als ›Westen‹ verursacht, so gelesen, nur eine vorläufige Irritation ›des Westens‹, die im ihm nachgeordneten Gesicht ›Japans‹ beruhigt wird. Was sich vielleicht erst als Schilderung eines Identitätsgewinns lesen ließe, der als Witz auf Kosten der euro-amerikanischen Kunstgeschichte wie des ebenso verorteten Kunstwissenschaftlers ginge, kann nun im Gestus des guten Humors in eine Asymmetrie von Orientalismus und Okzidentialismus, von Westen und Osten, von Original und Kopie gemünzt werden, in welche sich eine ganze Kultur in Anverwandlung an den Westen modernisiere und ihre Identität hybridisiere: Yet Occidentialism and Orientalism are not symmetrical structures. Victorian viewers in the West might have enjoyed the brief encounter with the exotic Orient that Orientalist art supplied them, but they were hardly about to go out and build the West along Oriental lines. Occidentialism is a much more radical affair. Since the opening of Japan, modernization has entailed an all-out refashioning of the self under the sign of the Occidential Other, at every level. Which may be why Morimura’s games within the Western imaginary are so intense: they have behind them the momentum of a whole culture’s drive to modernize, and hybridize, identity.27 Was sich hier vorführt, ist die Produktion eines aus der Wiederherstellung der kulturellen Originalität und der Hegemonialität des Westens gewonnenen Großmuts. Exponiert ist, wie aus einer radikalen Ambivalenz der kulturellen Eigentümlichkeit von Zeichen durch parodistische Nachahmung eine klare und hierarchisierte Unterscheidung von West und Ost, von Orientalismus und Okzidentialismus über die Konstitution hybrider Identität zu gewinnen ist. Beginnt der Text mit der Feststellung einer steten Übergabe/eines steten Überschlags der künstlerischen Arbeit, an die sich der Wissenschaftler immer noch anpasse (»a piece that is

27 Ebenda.

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still turning over, a work to which I am still adjusting« 28), scheint mit der argumentativen Feststellung hybrider japanischer Identität auch die schwindelerregende Beweglichkeit der Kunst arretiert. Die Verfertigung des Wissens über die Identität der Anderen stabilisiert etablierte Hegemonien.29 Mit dem Begriff der Hybridität ist Morimura im Kontext einer postkolonialen Kunst situtiert, die ›die Anderen‹ als verunsichernde Markierung eines hegemonialen Westens durch postkoloniale Mimikry auftreten lässt. Man kann an diesen Gebrauch von Hybridität im Bereich der Kunst viele Fragen stellen. Zuvorderst, auf welche Weise hier Homi K. Bhabhas analytische Annahme einer grundsätzlichen Zusammengesetztheit von Kulturen, die die Vorstellung von ›reinen‹, authentischen Kulturen unterlaufen sollte, aufgegriffen ist. Die Annahme einer grundsätzlichen, ursprungslosen Gemischtheit ebenso ursprungsloser Kulturen verträgt sich nämlich schlecht damit, eine konkrete Kulturalität auf ihre Ursprünge hin zu sortieren. ›Reine Kultur‹ wäre letztlich gleichsam eine Ebene tiefer wieder restituiert, da das kontemporäre Japan als Mischung von in ihren Ursprüngen zu unterscheidenden Kulturen aufgefasst und einem originalen ›Westen‹ gegenübergestellt wäre.30

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28 Ebenda. 29 Im Gegensatz zu diesem Ende, jedoch passend zur Einleitung, dass Mother (Judith II) keinen festen Ort in seinem Denken gefunden habe, setzt Bryson noch mehrfach mit unterschiedlichem Ausgang zur Interpretation in diese Richtung an, siehe: Norman Bryson: Morimura’s Olympia, in: Field Work. Sites in Literary and Cultural Studies, hrsg. v. Marjorie Garber, Paul B. Franklin u. Rebecca L. Walkowitz, London u. New York: Routledge, 1996, 175–182 u. ders.: Three Morimura Readings, in: ArtText 52 (1995), 74–79. 30 Dies wurde im Anschluss an Homi K. Bhabhas Lancierung des Begriffs ›Hybridität‹ neben dem problematischen Bezug zum Gebrauch des Begriffs ›Züchtung‹ als Form der Rassenoptimierung immer wieder problematisiert. Die Zwiespältigkeit des Gebrauchs von ›Hybridität‹, die zwischen Identitätsbezeichnung und Optimierungsversprechen oszilliert, durchzieht auch Bhabhas Argumentation, wenn er Hybridität zuvorderst als Denkfigur einer grundsätzlichen Nicht-Reinheit von Kultur einführt. Vgl. Homi K. Bhabha: The Location of Culture, London u. New York: Routledge, 1994. Die Verführung, zu analysieren, was im jeweiligen Einzelfall gemischt wurde und so letztendlich quasi ›reine Substanzen‹ vor der Mischung vorauszusetzen, liegt tatsächlich teilweise im Begriff begründet. Sie wird jedoch vor allem dadurch forciert, dass man ›Hybridität‹ vornehmlich zur Analyse möglichst eigenständiger Aufgriffe z. B. des Westens in anderen Kulturen einsetzt. So ist nicht nur vorausgesetzt, sondern auch restituiert, was dekonstruiert werden soll. Ein drastisches Beispiel hierfür mag Wolfgang Welschs Einsatz hybrider Identität bieten. Er feiert innerhalb seiner Diskussion von Kulturbegriffen die Nachkommen ›gemischter Paare‹ als personalisierte Optimierungsversprechen, denen die gemischte Herkunft einen besondere hybride Kompetenz zuspreche. Vgl. Wolfgang Welsch: Trans-

Sofern sich ein ›neo-kolonialer Westen‹ in den imitativen Annäherungen der Anderen gespiegelt sehen möchte und dies vermag, solange die Anderen als »the subject of a difference that is almost the same, but not quite«,31 auftreten, ist es nach Bhabha möglich, zugleich in dieser Spiegelung diesen Wunsch zu verzerren, um durch die Störung seiner Erfüllung dessen kolonialistische Strategien zu markieren. Doch artikuliert sich in Brysons Kunstkritik eine Doppelbödigkeit der Mimikry, die bereits Bhabha aufmacht: Als koloniale Strategie versichert sie (auch in altruistischen Zivilisationsbestrebungen) einen uneinholbaren Vorsprung vor den Kolonialisierten, der den Gedanken der eigenen Vorherrschaft sicherte. Im postkolonialen Umwenden dieses kolonialen Blicks auf die Kolonialisierten durch ihre unheimliche Ähnlichkeit tritt Mimikry als Störung dieser Versicherung auf. Denn hiermit sind die von Bhabha psychoanalytisch gedachten Identifikationen als Kolonisator/innen/Kolonisierte als herzustellende und damit stets auch gefährdete und kontingente Identifikationen ausgewiesen und in ihren Verfahrensweisen aufdeckt. Als postkoloniale Mimikry verweist Mother (Judith II) so auf diejenigen Verfahren des Blicks, in denen sich nach Jacques Lacan Subjekte camouflieren, indem sie ›mit‹ einem Hintergrund ›fleckig‹ werden: Sie passen sich in den Hintergrund als Fleck– und damit auch als Störung – ein. Letztlich ist dies kaum imitativ, sondern eine Interpretation des Hintergrundes, die ihn markiert.32 Doch weist Brysons ›Restitution‹ 33 von Morimuras Mimikry signifikant darauf, dass ein de-essentialisierender Gebrauch von ›Hybridität‹ und Mimikry, ein methodisches Problem impliziert: Figuren der Differenz drohen stets zur Identitätsbeschreibung zu gerinnen.

kulturalität – Die veränderte Verfassung heutiger Kulturen, in: Sichtweisen. ›Die Vielheit in der Einheit‹, hrsg. v. Stiftung Weimarer Klassik, Weimar: Edition Weimarer Klassik, 1994, 83–122. Vgl. zur Kritik von ›Hybridität‹ auch: Byun-Chul Han: Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung, Berlin: Merve, 2005, 25 ff u. 56 ff. 31 Homi K. Bhabha: Of Mimicry and Men, in: ders.: The Location of Culture, a. a. O., 85–92, 86. 32 So beschreibt Jacques Lacan die Funktion des Subjekts im Feld des Sehens in Anlehnung an Roger Callois’ Konzept der Mimikry. Vgl. Jacques Lacan: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Das Seminar Buch XI, Weinheim, Berlin: Quadriga, 1978, 73–126, insbes. 103–109. 33 Mit Restitution greife ich Jacques Derridas Kritik an Restitutionen auf, vgl. ders.: Restitutionen, a. a. O. Der Text kritisiert die Interpretationspolitik der Wiedergabe, sowohl im Bild, durch das Bild und an den Autor. Vgl. dazu auch weiter unten, Teil B.

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Sofern die Aufgabe der Kritik in Kanonisierung liegt und von Bryson auch so aufgenommen wird, bindet sie die wertvolle Sprengkraft von Mother (Judith II) zwar an eine in die Krise geratene Identifikation westlicher Identität; jedoch als Gegensatz zu einer japanischen ›hybriden‹ Identität. Sie schafft in der Kritik der Arbeit einen Hintergrund, der ein Primat des Westens restituiert: die Wiedereinsetzung tradierter Hegemonien von Original und Kopie, Ost und West, sowie auch das eines euro-amerikanischen Wissenssubjekts, das diese überschauen und beurteilen kann, indem es gleichsam ein Portrait der Kultur über ein Künstlerselbstportrait ›zeichnet‹. Dieser Aspekt ist wesentlicher als eine Diskussion darum, inwiefern Bryson hier Mimikry oder Hybridität ›richtig‹ einsetzt. Denn für Wissensproduktion über Kunst scheint es notwendig, dass die grundsätzlich ambivalente Stellung der Konzepte Hybridität und Mimikry zwischen kolonialistischen und postkolonialen Strategien einerseits und zwischen kompetenten Produktionen oder Selbstsetzungen und einem Lektüreethos andererseits wieder in eine Eindeutigkeit kompetenter Performanzen des Selbst überführt werden. Dabei konstituiert sich in dieser – Ambivalenz ausräumenden – Produktion ethnisierter Gesichter, Blicke und Portraits die Autorität kunstwissenschaftlichen Wissens über die Intelligibilisierung seines Gegenstands/sujets so, dass der Zerrspiegel nun wieder ein klares Bild zeigt. Hierin interveniert, dass dieses Verfahren selbst wieder als Zerrspiegel bemerkbar wird. Das Layout des artforums (Abb. 31) führt die Doppelbödigkeit dieses Verfahrens vor, indem es Bild und Text auf zwei gegenüberliegenden Seiten so opponiert, dass nicht nur zweimal ein japanischer Blick die Leser/innen gleichsam in Augenschein nimmt, sondern auch so, als ob sich über den Seitenumbruch hinweg zwei Vertreter oppositionärer Identitäten anschauten.34 Dass auf Brusthöhe des Selbstportraits Morimuras – 66 34 Als Begegnung im Modus der Gegenüberstellung, wenn nicht als Rendezvous, inszeniert das Layout das Verhältnis von Kunstwerk und Kunstkritik. Die sprachlose Analogisierung des Textes, der eine quasi-autobiographische Selbstinszenierung vornimmt, mit der links stehenden (leicht angeschnittenen) Reproduktion des Künstlerselbstportraits, verdoppelt ein Spiel mit der Un/Ähnlichkeit. Die brillant ausgeführte Performance/Aufführung, die ebenso beunruhigend/unheimlich wie albern komisch sei, d. h. Mother (Judith II), ist ganzseitig neben Brysons Text so abgebildet, dass die Doppelseite Bild und Text gleichwertig nebeneinander arrangiert, wobei die Lesekonvention der lateinischen Schrift das Bild dem Text vielleicht vorordnet. Der Name des Künstlers bildet zusammen mit dem Titel der Arbeit den Titel des Textes. »Yasumasa Morimura« und Mother (Judith II) rahmen also den Text. Sie bilden seine

alias Mother (Judith II) – der Name ›Norman Bryson‹ in die Mitte seiner Textkolumnen gesetzt ist, erscheint als Kommentar dieses ›Blickwechsels‹. Erfährt sich Bryson durch den japanischen Blick zum (exotisierten) Objekt gemacht, dann ist hiermit angedeutet, dass Bryson quasi zurückzuschauen scheint, in einer Weise, die von Birgit Griesecke in Bezug auf Jean Paul Sartres Konzeption des Blicks als »Blickkampf« 35 bezeichnet wurde. Durch die Objektivierung des Anderen wird eine angenommene eigene Verwundung durch den Anderen in der Wiedereinsetzung des Selbst als souveränes Subjekt verwunden.36 Angehalten ist so auch das witzig-verwirrende Verkleidungsspiel um kulturelle Eigentümlichkeiten. Es wird in eine Art Ethik der Anerkennung der ›Anderen‹ überführt, die über die Empfindung einer möglichen Verunglimpfung des Eigenen hinweg zu sehen vermag. Im Layout des artforums wird die Verfertigung des kunstkritischen Urteils über Identität sichtbar – als Austausch, Verfehlung und Blickwechsel zwischen Bild/ Kunst und wissenschaftlich-kritischen Urteil; als (Verwirr)Spiel des Reisens, Ankommens und Nicht-Ankommens; als ein Spiel mit Bildern, Portraits, Körpern und Gesichtern; ein Spiel mit den strukturellen Positionen West und Ost und ihren potentiellen Vertretern; mit Erkennen und Verkennen. Mit dieser Sichtbarkeit deutet sich an, dass der Witz von Mother (Judith II), den Bryson versucht weiterzuerzählen, vielleicht produktiver wäre, würde man ihn noch einmal anders erzählen. Bryson gibt diesen Witz zwar so aus, dass er (zunächst) auf ihn selbst als Vertreter einer kulturellen Identität, Position oder einer Institution geht: ›Der Westen‹. Dieser Westen erfährt sich gründlich parodiert Schwelle oder sein Losungswort. Den Autor des Essays versetzt das Layout ins Zentrum seines Textes. Die parallele Gegenüberstellung von Kunst/Bild und Text lädt zum Vergleich, d. h. zu einem Spiel mit Identität und Differenz ein, das durch Un/Ähnlichkeit u. a. von Genre, Motiven und Anordnung geregelt wird. Über den Seitenumbruch korrespondieren so z. B. zwei Doppel-Selbstportraits: die zwei Köpfe Morimuras in Mother (Judith II) mit dem quasi autobiographischen Essay Brysons von seiner Fahrt durch Honshu, bei deren Schilderung er bemerkt, sich so fühlen, als ob er zwei Köpfe hätte. Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O., 71. 35 Birgit Griesecke: Japan dicht beschreiben. Produktive Fiktionalität in der ethnographischen Forschung, München: Fink, 2001, 130. 36 Diesen Zug von Sartres Konzeption des Blicks hat Bryson selbst als eurozentrische Konzeption des Blicks kritisiert. Vgl. Norman Bryson: The Gaze in the Expanded Field, in: Vision and Visuality. Discussions in Contemporary Culture, hrsg. v. Hal Forster, Seattle: Bay Press, 1988, 87–113. Vgl. a.: Jean Paul Sartre: Der Blick, in: ders.: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Gesammelte Werke, Philosophische Schriften 1, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1993, 457–538.

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im Angesicht des japanischen Blicks aus den Gesichtern einer Bahnfahrt heraus, die in einer Fahrt des wilden Pastiches aus stilistischen Meilensteinen euro-amerikanischen Kulturguts eine Kontur gewinnen, die als dem Portrait Morimuras analog geschildert wird. Dabei wird die epistemische Verunsicherung, die vom Witz ausgeht, überführt in ein sicheres Urteil und in die textuelle Produktion einer Autorität des schreibenden Kunstwissenschaftlers, der beides in einer Art Portrait, einem Aussehen, einem ›Gesicht‹ japanischer Kultur verankert. Die Sicherheit der Erkenntnisverfahren einer euro-amerikanischen Kunstwissenschaft werden hierbei nach kurzzeitiger Erschütterung letztlich verschont. Während der Wert und die kulturellen Eigentümlichkeiten von geo-politisch verorteten Stilen und Ikonographien verwirrt werden, bleibt die Grundlage ihrer Verortung, nämlich die Selbstverständlichkeit ihrer Ableitung aus der Konstitution eines Subjekts der Kunst, unangetastet. Diese Grundlage verweist auf die Herausbildung der Disziplin im Kontext der historischen Humanwissenschaften im 19. Jahrhundert, die Subjekt und Geschichte im Horizont der Wissenschaften vom Menschen verbanden. So gibt es nach Heinz Knobeloch neben der Kunstgeschichte kaum eine andere Disziplin […], bei der die Funktionen des Subjektbegriffs ähnlich klar zutage treten. Ihre Fachgeschichte […] zeigt in geradezu exemplarischer Form, wie ein geisteswissenschaftlicher Diskurs die verschiedenen Subjektivitätsmuster benutzt, um seinen Gegenstand überschaubar und transparent zu machen und sich selbst das Erscheinungsbild einer wissenschaftlichen Erklärung zu geben.37

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Diese Einsicht ist nicht neu. Längst untersucht die Kunstgeschichte die exemplarische Funktion des Künstlers für konventionelle wie alternative Subjektmodelle,38 die sozial-historischen Variablen der Konzeption von Künstlertum und Schöpferkraft,39 die Motiviken 40 37 Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, Köln: König, 1996, 13. 38 Wie z. B. »das Bild des Urhebers, […], jener schöpferischen Instanz, die ihre besonderen Talente (erfolgreich) zur Lösung der Innovationsprobleme einsetzt; […] aber auch das allgemeinere Konzept des autonomen Individuums, das in der Lage ist, sein eigenes Selbst willkürlich zu gestalten und seine innersten Regungen ›authentisch‹ zum Ausdruck zu bringen.« Ebenda. 39 Vgl. z. B. Ernst Kris u. Otto Kurz: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch, Wien: Krystall-Verlag, 1934. 40 Vgl. u. a. Margot u. Rudolf Wittkower: Künstler, Außenseiter der Gesellschaft, Stuttgart u. Berlin: Kohlhammer, 1965.

oder Kommunikationen des Künstlerseins,41 ebenso wie die Exklusionen, die solche Modellierungen oder Motivbildungen des Künstlers, z. B. als männliches, weißes Genie, vornehmen.42 Weitergehend interessiert hier diejenige Ordnungsfunktion, die Künstler/ innen zu intelligiblen, kulturellen Exemplaren macht, die den Sinn des Werks nicht allein durch Individualität, sondern durch kulturelle Zugehörigkeit oder durch Positionen sichern.43 Denn beide Weisen der Intelligibilisierung narkotisieren gleichsam den Witz, »as eerie as it is hilarious«.44 Lachen mündet hier allzu leicht in Erkenntnis. Versteht man Mother (Judith II) dagegen als Witz über das kunstwissenschaftliche Wissen selbst, gäbe es vielleicht kein Halten mehr.

41 Sabine Kampmann: Künstler sein. Systemtheoretische Beobachtungen von Autorschaft: Christian Boltanski, Eva & Adele, Pipilotti Rist, Markus Lüpertz, München: Fink, 2006. 42 Barbara Paul: Schöne heile Welt(ordnung). Zum Umgang der Kunstgeschichte in der frühen Bundesrepublik Deutschland mit außereuropäischer Kunst, in: kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Jg. 31 (2/2003), 5–36. 43 Dies kann man z. B. an Stilfragen des Kunstwollens oder in Wölfflins »›Kunstgeschichte ohne Namen‹« ausmachen; Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München: Bruckmann, 1915, VII. Vgl. zum Kunstwollen: Alois Riegl: Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin: Schmidt, 1923. 44 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O, 71.

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Abb. 32–35: Abb. 32: Yasumasa Morimura: Mother (Judith I ) (1991). Abb. 33: Yasumasa Morimura: Mother (Judith II) (1991). Abb. 34: Mira Fliescher: Skizze von Yasumasa Morimura: Mother (Judith III) (1991) (unveröffentlicht). Abb. 35: Yasumasa Morimura: Mother (Judith III [IV]) (1991).

1. Mutterwitz

Wird in der Kritik im artforum die Reihe der Mütter nur bis zur Zweiten erwähnt, analysiert Bryson im späteren Text Three Morimura Readings die oben gezeigte gesamte Reihe, die als Mother (Judith I), Mother (Judith II), Mother (Judith III) und Mother (Judith IV) (Abb. 32–35) innerhalb der Serien Morimuras einen engen Zusammenhang darstellen.1 Als zwangsläufige Entwicklung, die die Nummerierung bzw. Generationenfolge der Mütter als die Erste, Zweite, Dritte, Vierte nahelegt, mündet die Reihe für Bryson dann nur noch übergangsweise in eine japanische Identität, die durch das Bild/Gesicht ihres großen Anderen, den Westen, gehe, denn Brysons Yasumasa Morimura: Mother (Judith II) schrieb nur über die Abfolge von Mother (Judith I) zu Mother (Judith II). Dies verkürzte die Reihe auf den Übergang von der ohne große Eingriffe in die Anlage ihres Vor-Bildes vorgehenden Nachstellung einer Judith-Darstellung von Lucas Cranach d. Ä. in Mother (Judith I), für deren Ablichtung Morimura lediglich seinen entsprechend geschminkten und frisierten Kopf resp. Oberkörper durch dafür vorgesehene Löcher im plastischen Relief seines ›Nachbaus‹ des dargestellten Raumes gesteckt hatte,2 zur frugalen Verfremdung dieser Vorlage im ›Stile Archimboldos‹ für Mother (Judith II). Mit der Reihe der Mütter schreitet Brysons Analyse in Three Morimura Readings weiter fort. Mother (Judith III), die Bryson wegen Problemen mit dem Copyright als nicht veröffentlicht angibt,3 zeigt anstelle einer Judith einen Plüschelefanten, Dumbo 1 Norman Bryson: Three Morimura Readings, a. a. O. 2 Die Aufnahme geschah zweimal, denn Morimura lieh sein Gesicht sowohl der ›Judith‹ als auch dem Kopf des Holofernes. Vgl. zum plastischen Relief auch Abb. 51. 3 Norman Bryson: Three Morimura Readings, a. a. O., 79 (Anm. 6). Ich konnte jedoch die Arbeit im März 2001 als Mother (Judith III) über eine (hier wieder reproduzierte) Dia-Reproduktion in der Luhring Augustine Gallery in New York in Augenschein nehmen. Inwiefern die Auseinandersetzung um das Copy-

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aus der Werkstatt Walt Disneys, mit blonder Perücke. Den Kopf des Holofernes vertreten die Köpfe von Kuscheltierversionen der Drei kleinen Schweinchen, einem ebenfalls von Disney in Zeichentrick umgesetzten Märchen. Auf die europäische Kunstgeschichte folgt eine US-amerikanische Zeichentrick-Populärkultur, die die Vorlage von Lucas Cranach in der Reihe abgesehen von der räumlichen Anlage der Positionierung einer Figur hinter einem Tisch, auf dem mindestens ein körperloser Kopf liegt, radikal unkenntlich macht und auch keine Spur des Künstlers mehr sehen lässt. Mother (Judith IV), die ob der Nichtveröffentlichung der ›Disney-Version‹ von Mother (Judith III) auch als Mother (Judith III) lanciert wird, zeigt zwei golden geschminkte, wieder von Morimura verkörperte Figuren mit traditionell japanisch anmutenden Frisuren. Die von Bryson als ›Geisha‹ bezeichnete Figur an den ehemaligen Orten von Judith und Dumbo trägt neben einem spitzen Metall-BH, der an Kreationen Jean-Paul Gaultiers für Madonna erinnert, spitzbewehrte Armreifen, künstliche Kirschblüten im Haarschmuck und als Strauß in der Linken, während ihre Rechte ein japanisch aussehendes Schwert präsentiert. Der (von Bryson als ›Edo-Bürger‹ bezeichnete) Kopf liegt, gerahmt von Kunst-Kirschblüten, auf einer (den blanken Tisch und Dalmatinerplüsch ablösenden) ›Tischdecke‹, die mit stilisierten Chrysanthemen, die auch das mon (Siegel) des japanischen Kaiserhauses stellen, geschmückt ist. Mother (Judith IV) präsentiert demnach japanisch-kulturelle Meilensteine oder Klischees über und über. Als Reihung, z. B. auch der außerkulturellen ›Einflüsse‹ auf die japanische Kultur, durchexerziert, hat nun ein synkretistisches japanisches Äußeres eine sittsame Darstellung Judiths als heldenhafte Befreierin Israels vollkommen getilgt:

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The series is like a fast-forward replay of five centuries of cultural history: the period of Christianity, then the secularization of the Renaissance; then an era in which America (Disney) transformed the legacy of Europe; and finally back home to a Japan that syncretically mixes together classical European, Edo, and modern elements.4 right mit der Walt Disney Corporation gelöst ist, weiß der Künstler selbst nicht mehr. Jedoch wurde die Arbeit bisher weiterhin nicht ausgestellt. In Daughter of Art History ist die Reihe der Mütter so umnummeriert publiziert, dass die hier als Mother (Judith III [IV]) geführte die dritte und letzte der Reihe zu stellen scheint, vgl. Daughter of Art History. Photographs by Yasumasa Morimura, hrsg. v. Andrew Hiller, New York: Aperture Foundation, 2003, 36 f. 4 Norman Bryson: Three Morimura Readings, a. a. O., 77.

1.

M UTTERWITZ

Ist das der Witz der Sache? Die Löschung des Westens durch die Affirmation seiner Bilder mündet in eine vergoldete, schmuckvoll bewehrte, wenn nicht erstarkte, höchst stereotyp-traditionell aussehende japanische Identität, die keineswegs weniger grotesk auftritt als die zuvor parodierten Vor-Bilder? Auch Bryson scheint hier zu zweifeln. Nicht nur schreibt er mehrfach über Morimuras Appropriationen; in seinem zweiten Text stellt er gleich drei Lektüren, Three Morimura Readings, nacheinander, um das, was er in Yasumasa Morimura: Mother (Judith II) als Identitäts-Parodie las, als Pastiche auszuweisen, das im Sinne Fréderic Jamesons’ Ausdruck des Spätkapitalismus sei: Morimura’s images may well have a polemical understanding of the absence of fixed personal and national identities, presenting instead a series of systematic bordercrossings and permeations that shake self-imagery free of any grounding in essentialism (of race, gender, nation). But they also have a pragmatic awareness of identity’s absence. The absence of essentialism is no longer a political or personal project but just the way things are. At this level the Morimura tableaux say that transnational flows of money, information, and technology have dismantled essentialism’s basic ground. The program of postnational, post-gendered, de-essentialized identity has already been put in place. But not by cultural critics, by capital itself.5 Rather, the view is from the heartland of global capital corporate Japan. What Morimura is miming isn’t only Western Art or Western Bodies, but capital itself.6 Nun liegt die Pointe darin, dass Morimuras Bilder durch ihren grundsätzlich affirmativen Zug die Erfordernisse und Verfassung eines globalen Postkapitalismus, der sich Morimuras Gesicht leihe und sein Mutterland in Japan hätte, zugleich verkörpern und maskieren.7 Um den Witz anders zu erzählen, oder besser: um überhaupt einen Witz zu erzählen, sind weniger die konkreten Inhalte oder die Berechtigung dieser Analyse zu verfolgen. Vielmehr interessiert, dass hier eine Janusköpfigkeit von Parodie und Witz aufgeworfen ist, deren Ambivalenz einer abduktiven kunstwissenschaftlichen Deutung Schwierigkeiten bereitet, wenn sie von Ambivalenz auf Identität zu schließen versucht. 5 Ebenda. 6 Ebenda, 78. 7 Ebenda, 79.

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Nur durch eine Auffächerung und Engführung verschiedener Sinnebenen (drei Lesarten, die von der Kritik kolonialer Blickmuster über die De-Essentialisierung von Identität zum Symptom des globalen Kapitals reichen) bringt Bryson den Witz der Arbeiten mit einem argumentativen Ruck oder Kraftakt, der dem Sprung innerhalb der Kritik zu Mother (Judith II) gleicht, auf einen Nenner: »Einen [einzigen, M. F.] Hut für den Witz!« 8 Der Impetus von »Morimura’s images« 9 kann nur demaskiert werden, indem nachgespürt wird, was wer wie nachahmt, so als ob die Pointe nur in der Identifikation des Imitierten und dem Verhältnis dazu, sprich: im Bezug und seiner Tendenz, zu finden sei. Mit der angestrengten Suche nach einem witzigen »Urteil […], wodurch etwas Verborgenes oder Verstecktes hervorgeholt und erleuchtet wird«,10 reihen sich Brysons Analysen in den Gestus der prominenten Theorien von Witz, Pastiche und Parodie ebenso ein wie in die fundamentale Unsicherheit, die diese Suche auszeichnet. Dass die Notwendigkeit zur mehrfachen Lektüre bei Bryson die Fraglichkeit des kunstwissenschaftlichen Urteils aufwirft, wäre dagegen nicht nur Teil, sondern Kern des Witzes, den Morimuras ›Mütter‹ als Verkleidungsspiel, Travestie, Parodie oder Pastiche treiben. Dieser Witz zielt auf die Logik der Ab-Folge oder Abkunft der Mütter, da er zur Herstellung einer Referenzlogik des Bildes dient, die kulturelle Identitäten, Ikonographien, künstlerische und kulturelle Stile identifiziert, sie zwangsläufig verkettet und ihren Kontext und ihre Gültigkeit begrenzt. Eröffnet sind so die Frage oder Fraglichkeit des Urteils und die Frage und Fraglichkeit der Mittel desjenigen Urteils, das diese Begrenzungen vornimmt, wobei dieses Urteil, wie Brysons unermüdliches Wiederansetzen der Interpretation zeigt, bereits erschüttert ist. Der Witz installiert als »spielendes Urteil« 11 den Zweifel:

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Als ›Spielendes Urteil‹ aber wird der Witz weniger ein endgültiges Urteil verkünden, als die Tatbestände fortgesetzt hin und her wenden. So oder so oder anders und wieder anders führt der Witz das Verkleidungsspiel auf, wechselt die Hüte, vertauscht die Narrenkappe mit der Richterperücke und umgekehrt.12 8 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise. Freuds Witz, in: Frauen in der Literaturwissenschaft, Rundbrief 46 (Dezember 1995), 17–22, 17. 9 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O., 71 10 Kuno Fischer: Über den Witz. Ein philosophischer Essay, Tübingen: Klöpfer u. Meyer, 1996, 45. 11 Ebenda. 12 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise. Freuds Witz, a. a. O., 20.

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M UTTERWITZ

Als »Verkleidungsspiel« 13 tritt der Witz nicht nur bei Sigmund Freud auf, vielfach stellt er die Frage nach Sinn und Unsinn, problematisiert ihre Unterscheidung und weist so die Ökonomie des Witzes als eine andere als die der Theorie aus.14 Bei Jean Paul ist er »der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert«.15 Nach dem Zusatz Theodor Vischers traut der Witz »lauter Paare […], deren Trauung die Verwandten (der methodisch wahre Zusammenhang) nicht dulden wollen.« 16 Im Angesicht eines solchen genuin Disparaten im Witz diskutierte die europäische Ästhetik den Witz parallel bzw. als Kontrast zum Schönen und Erhabenen.17 Das Witzige sollte auf der Suche nach dem »Sinn im Unsinn« 18 auf einen Nenner oder »unter einen Hut zu bringen« 19 sein, womit der methodisch wahre Zusammenhang gemeint war. Am Witz kristallisierte sich die Frage nach dem Zusammengehen von Ästhetik und Urteil. Denn der Witz hatte über den Umweg des Unsinns eine tiefgründige oder zumindest theoriefähige Aussage zu treffen, durch deren Tiefe oder Plattheit man gute und schlechte Witze differenzieren konnte.20 So war der Witz zwar als »spielendes Urteil« 21 definiert, da der (gute oder bessere) Witz auf etwas Tieferes zu verweisen habe, war jedoch zugleich das Spiel unter die Ägide des Sinns gestellt, der urteilen, unterscheiden und hierarchisieren sollte.

13 Ebenda. 14 Vgl. Marianne Schuller: Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹, in: Fragmente. Schriftenreihe für Kultur-, Medien- und Psychoanalyse, Nr. 46: Heilloses Lachen. Fragmente zum Witz (1994), 11–28 u. Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O. 15 Jean Paul: Vorschule der Ästhetik, Sämtliche Werke, Bd. 5, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, 2. Abteilung, IX. Buch, §44, 173. 16 Theodor Vischer: Ästhetik oder Wissenschaft vom Schönen, Erster Band: Die Methaphysik des Schönen, München: Werner & Jessen, 1922, 457. 17 Vgl. z. B. Kuno Fischer: Über den Witz. a. a. O.; Jean Paul: Vorschule der Ästhetik, a. a. O.; Theodor Vischer: Über das Erhabene und Komische, in: Theodor Vischer: Über das Erhabene und Komische und andere Texte zur Ästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967, 7–215. Immanuel Kant beschäftigt sich in der Kritik der Urteilskraft vornehmlich im Bereich der Deduktion der ästhetischen Urteile ebenfalls mit Lachen und Witz, Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Erster Teil, I. Abschnitt, 2. Buch, § 54, Stuttgart: Reclam, 1963, 273–282. 18 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. O., 15. 19 Ebenda, 43. 20 Vgl. Kuno Fischer: Über den Witz, a. a. O. Auch bei Jean Paul tritt der Witz gemäß seiner alten Bedeutung, als Gewandtheit, Schläue, Eingebung vornehmlich als Verstandeskategorie auf und hat mit Wissen zu tun, eine Spur, die aus dem Witz nicht zu tilgen scheint, vgl. Marianne Schuller: Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹, a. a. O. 21 Kuno Fischer: Über den Witz, a. a. O., 1996, 45.

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Der Witz jedoch weist, sobald er von der Seite des Unsinns her aufgenommen wird, darauf, dass jeder noch so blödsinnige Witz sich sowohl als zutiefst unsinnig als auch als tiefsinnig skeptisch zu erweisen vermag, da Unsinn auf Sinn als Ordnung von Erkenntnis zielt.22 Als zumindest zeitweise wirksames Mittel zur »Wiederherstellung alter Freiheiten und als Entlastung von dem Zwang der intellektuellen Erziehung«,23 sind es nach Freud Ulk und der Unsinn, welche ein (von Freud durchaus ambivalent bewertetes) subversives Potential der Entlastung von den Zwängen der Konvention beinhalten. Indem Bryson angesichts Mother (Judith II) nicht joke sondern hilarious schreibt, ist hier auf einen besonderen Blöd-Sinn verwiesen, der die Konvention attackiert, indem er zur Unentscheidbarkeit tendiert. Hilarious meint schließlich eine albern komische Übertreibung, – vielleicht zu deutsch: brüllkomisch. Am liebsten die Paare trauend, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen, ist dieser Witz vielleicht queer. Die queeren Aspekte von Morimuras (zumeist transkulturellen) Crossdressings 24 sind vielfach diskutiert, jedoch zumeist als Frage nach queerer Identität.25 Wie Morimuras Parodien/Pastiches im Wechsel zwischen diversen geschlechtlichen, stilistischen und kulturellen Verkleidungen eine Ökonomie der Theorie durchqueren, die Identitäten und Differenzen zu identifizieren sucht, soll dagegen hier thematisiert werden. Da die mit Bryson ins Spiel gebrachten Termini Pastiche oder Parodie witzig erfahren werden können und deshalb vielfach unter der Rubrik von Witz und Humor diskutiert sind,26 entfalten Morimuras Crossdressings ein Potential der Unent-

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22 »Was sie [die skeptischen Witze, M. F.] angreifen ist nicht eine Person oder eine Institution, sondern die Sicherheit unserer Erkenntnis selbst, eines unserer spekulativen Güter.« Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. O., 110. 23 Ebenda, 121. 24 Vgl. Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen. Transkulturelle Inszenierungen bei Yasumasa Morimura, in: ders.: Geschlechter-Fiktionen: Transvestitische Strategien in Photographien von Cindy Sherman, Lyle Ashton Harris und Yasumasa Morimura, Lizentiatsarbeit eingereicht 1998 an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, Kunsthistorisches Institut, www.roentgenradar.ch/trans_japaner.html., Gesamttext unter: www.roentgenradar.ch/index_follow .html (zul. ges. 12. 8. 2007, Seite existiert nicht mehr), unpaginiert. 25 Vgl. dazu weiterführend Paul B. Franklin: Orienting the Male Asian Body in the Photography of Yasumasa Morimura, in: The Passionate Camera. Photography and Bodies of Desire, hrsg. v. Deborah Bright, London, New York: Routledge, 1998, 233–247. 26 Z. B. diskutiert Theodor Vischer die Parodie extensiv in ders.: Über das Erhabene und Komische, a. a. O.

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scheidbarkeit, das weitergehend mit der Schwierigkeit einsetzt, zwischen Parodie und Pastiche Unterscheidungen zu treffen. Die Kunstwissenschaft diskutiert die Parodie vornehmlich unter dem Aspekt der diskursiven Bedeutungsproduktion, dies auch dort, wo mit der Frage nach Performativität nicht nur von Geschlecht (sidentitäten) medientheoretisch vielleicht auch andere Fragen zu stellen wären. Insofern es somit (vorerst) um einen Rahmen geht, der wesentlich mit der Zeichenhaftigkeit des Bildes innerhalb einer textuell gedachten, kulturellen Sinnkonstitution argumentiert, soll der Witz aus den Effekten entwickelt werden, die Parodie, Pastiche und Witz innerhalb dieses Rahmens und für ihn Rahmen zeitigen. In diesem Kontext versteht man zwar die Parodie nicht als strengen Gattungsbegriff, aber sie erscheint »eine spezif isch künstlerische Repräsentationsform« 27 in »einer intertextuellen Herangehensweise«: 28 Dabei geht es um die Produktion von Bedeutung, die, zeichentheoretisch formuliert, durch die Veränderung eines vorhandenen Textes, durch die Abwandlung von an sich üblichen diskursiven Praktiken und/oder durch performative Wiederholungen vorgenommen wird.29 Wie der Witz basiert die Parodie also auf der »mehrfache[n] Verwendung desselben Materials«,30 nämlich »eines vorhandenen Textes« 31 in »Abwandlung von an sich üblichen diskursiven Praktiken und/oder performativen Wiederholungen«.32 Zunächst also weist die Parodie, da sie eine Figur, eine Konvention, einen Stil, ein Aussehen, ein Kunstwerk imitiert oder wiederholt, auf zitathafte Praktiken. Diese Praktiken versucht Fredèric Jameson durch die Unterscheidung von Pastiche und Parodie vor dem Hintergrund ihrer Ähnlichkeit zu präzisieren.33 Er bezieht sie dabei zudem auf Maskeraden und Mimikry. Damit bezieht er diese beiden theo77 27 Barbara Paul: Die Kunst der Parodie. Rassismus und Sexismus in Faith Ringgolds ›Story Quilts‹ und Kara Walker Scherenschnitten, in: Die Freiheit der Anderen. Festschrift für Viktoria Schmidt-Linsenhoff, hrsg. v. Annegret Friedrich, Marburg: Jonas, 2004, 231–245, 231. Meine Hervorhebung, 28 Ebenda. Meine Hervorhebung, 29 Ebenda. 30 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. O., 35. 31 Barbara Paul: Die Kunst der Parodie, a. a. O., 231. 32 Ebenda. 33 »Both pastiche and parody involve the imitation or, better still, the mimicry of other styles and particularly of the mannerism and stylistic twitches of other styles.« Fredèric Jameson: Postmodernism and Consumer Society, a. a. O., 113.

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retisch populären Begriffe, mit denen seit den 1990ern Jahren die Irritation imitativer Praktiken in Bezug auf Rasse, Geschlecht und/ oder Ethnie belegt wurden, auf die Frage nach Witz und Humor: Pastiche is, like parody, the imitation of a peculiar or unique style, the wearing of a stylistic mask, speech in a dead language: but it is a neutral practice of such mimicry, without parody’s ulterior motive, without the satirical impulse, without laughter, without that latend feeling that there exists something normal compared to which what is imitated is rather comic. Pastiche is blank parody […].34

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Die Differenz zwischen Pastiche und Parodie liegt demnach im Unterschied zwischen Neutralität und Tendenz, zwischen Hintergedanken, Gelächter und Wissen um Normalität und deren Fehlen. Das Pastiche zieht selbst vom Unsinn noch ab: nämlich das Wissen um die Konventionen, deren Regeln man gerade bricht. Für Jameson taucht es genau mit der postmodernen Zerrüttung eines Glaubens an Normalität und Konvention auf, die er als Ausdruck der Logik der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft kritisiert. Dagegen versteht Jameson die Parodie als kritische künstlerische Praxis, die Werte produziere. So verleiht das Pastiche als ›hohle‹ postmoderne Parodie ihrem Gegensatz, der modernen Parodie, ihre Eindeutigkeit. Verbürgt diese Eindeutigkeit kritisches Potential, zeigt sich in dieser supplementären Geste eine Krise der Unterscheidung von Parodie und Pastiche sowie von Kritik und Affirmation an: Das Pastiche ist immer noch Parodie, wenn auch eine leere. Der negativ besetzte Pastiche-Begriff dient der emphatischen Sicherung einer positiv besetzten, kritischen Parodie. Dass sich zugleich zeigt, dass sich eine grundsätzliche Ambivalenz in der Unterscheidung von Parodie und Pastiche nicht tilgen lässt, hat Konsequenzen für die Aufnahme dieser Unterscheidung in den Kritiken Norman Brysons. Der Zwiespalt von Parodie und Pastiche artikuliert eine grundsätzlich unentschieden ambivalente Haltung zur Kunst Morimuras, die immer neu ansetzt, um zu entscheiden. Lässt Norman Bryson in seinen zwei Texten Morimura von der Parodie zum Pastiche, von der Moderne zur Postmoderne und von der Kritik zur Affirmation übergehen, zeigt auch dies, dass der Witz der parodistischen Verfahren darin liegen könnte, dass die Pointe der Parodie keineswegs so sicher und auch kein so sicheres Unterscheidungsmerkmal ist, wie sich ihre Ver-Wender/ innen dies zu wünschen scheinen. So geraten die Versprechen, 34 Ebenda, 114.

1.

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die an die Parodie geknüpft werden, wie das eines kompetent die Pointe der Parodie zu setzenden Autors/Individuums ins Schleudern.35 Diese Krisen verweisen auf einen für Parodie und Pastiche grundsätzlichen Zug: ambivalente Mehrdeutigkeit. Linda Hutcheon entfaltet deshalb die Unsicherheit einer kritischen, eindeutigen und somit verständlichen Distanz zum Imitierten als eine grundsätzliche Paradoxie, die bereits der modernen Parodie innewohnt. Auch die moderne Parodie vermag nämlich wegen der Fraglichkeit des Bezugs das Versprechen eines kritischen, transgressiven Impetus keineswegs zu versichern.36 Wenn die moderne Parodie auf die Autorität des Parodierten zielt und dazu eine Gegenautorität aufruft, mit der sie sich verbündet, sei dieser kritische Angriff stets von der eigenen Form der Ausspielung bedroht. Die Parodie kann konservativ Normen befestigen, indem sie Abweichungen zum Ziel nimmt, und zugleich auf Innovation gerichtet sein, d. h. sie kann zugleich »authority and transgression« 37 zu ihren Effekten zählen,38 wie auch Barbara Paul im Anschluss an Hutcheon im Vergleich von Faith Ringgold und Kara Walker feststellt. Der Kern dieser Doppelgesichtigkeit liegt im Parodistischen selbst. Da die Parodie eine Ironie als ›unsichere‹ Methode der Distanzierung impliziere, die stets eine Unentschiedenheit beinhalte,39 sei sie prinzipiell davon bedroht, dass der Status ihrer Aussage offenbliebe. Dabei verstört das parodistische Unterlaufen der logischen Unterscheidung von ›Erwähnung (Zitat)/Gebrauch‹ zudem die Frage des Bezugs: To use the categories of philosophical logic, the language of parodic texts subverts the traditional mention/usage distinction: that is, it refers both to itself and to that which it designates or parodies.40 35 Jameson bezieht die Kritiklosigkeit des Pastiches direkt auf die poststrukturalistische Subjektkritik, die er zudem polemisch verkürzt bzw. überspitzt, vgl. dazu weiter unten. 36 Linda Hutcheon: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms, London u. New York: Routledge, 1985, 68 ff. 37 Ebenda, 69. 38 »Parody, which deploys irony in order to establish the critical distance necessary to its formal definition, also betrays a tendency toward conservatism, despite the fact it has been hailed as the paradigm of aesthetic revolution and historical change.« Ebenda, 68. 39 Vgl. Elisabeth Strowick: Das Ding mit der Ironie, in: dies.: Passagen der Wiederholung. Kierkegaard – Lacan – Freud, Stuttgart u. Weimar: Metzler, 1999, 329– 355. 40 Linda Hutcheon: A Theory of Parody, a. a. O., 69.

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Worauf bezieht sich die Parodie wie? Mit dieser Offenheit ist die Möglichkeit einer Feststellung von Intention und Referenz der Parodie ebenso fraglich wie die Möglichkeit ihres kompetenten Gebrauchs für Produktion und Rezeption. Jameson, der den Übergang von der Parodie zum Pastiche nicht nur damit in Verbindung bringt, dass die gesellschaftliche Fragmentierung den Verlust der Norm mit sich bringe, wobei er Norm auch auf den Kanon bezieht, sondern auch mit einer poststrukturalistischen These vom »›the death of the subject‹, or […] the end of individualism as such«,41 ruft dagegen die Normen von Autorschaft, Signatur und des Subjekts auf. An der poststrukturalistischen Subjektkritik beklagt er, dass sie Ästhetik nicht mehr in einzigartigen Individuen und ihrer Fähigkeit, einen einzigartigen persönlichen Stil (die Handschrift) zu erfinden, gründe. Die Ablehnung einer »conception of a unique self and private identity, a unique personality and individuality, which can be expected to generate its own unique version of the world and to forge its unique, unmistakable style«,42 hinterlasse lediglich ein ästhetisches Dilemma: [I]f the experience and the ideology of the unique self, an experience and ideology which informed the stylistic practice of classical modernism, is over and done with, then it is no longer clear what the artists and writers of the present period are supposed to be doing.43

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Nicht nur wird hier ein kanonisiertes Künstlerideal des westlichen Modernismus gegen eine Partikularisierung ausgespielt, die Jameson durchaus als Resultat eines Drängens kultureller Differenz beschreibt, hier wird das Ideal einer Handlungsvorschrift vorausgesetzt. Wer benötigt dieses Ideal? – Künstler/innen produzierten auch nach 1983 Kunst und wirkten wenig irritiert. Jameson dagegen problematisiert eine Selbstbezüglichkeit, die zum Verlust des Neuen führen müsse, da Kunst im imaginären Museum der Kunst, die immer nur von (vergangener) Kunst handele, gefangen sei. Auch wenn er sicher sei, dass die Kunst des Pastiches Ausdruck der Logik des Spätkapitalismus sei, bleibt für Jameson das Entscheidende offen: »the more significant question is whether there is also a way in which it resists that logic. But that is a question we must leave open.« 44 41 42 43 44

Fredèric Jameson: Postmodernism and Consumer Society, a. a. O., 114. Ebenda, 114. Ebenda, 115. Ebenda, 125.

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Die Frage nach dem Widerstand, die Jameson polemisch offenließ, scheint Judith Butler im Kontext ihrer Beschäftigung mit der Performativität von (Geschlechts)Identitäten aufzunehmen. Im Anschluss an die Diskursanalyse Michel Foucaults und an die Dekonstruktion Jacques Derridas analysiert sie die Produktion von Geschlechtsidentitäten durch zitationelle, iterative Verfahren, die die Vorstellung ihrer Norm(alität) und vorausgehenden Originalität in der Praxis der Zitation überhaupt erst hervorrufen. Sie schließt sich damit an den von Jameson angeführten Tod des Subjekts ebenso an, wie an die von ihm mit der Metapher der Schizophrenie kritisierte poststrukturalistische Zeichenkritik, die das Signifikat dem Signifikanten nachordne. Im Bezug auf Crossdressings hat Butler dabei am Begriff der (Geschlechter)Parodie gegen Jamesons Versuch der Binnendifferenzierung festgehalten. Vielmehr ver-wendet sie Jamesons Unterscheidung von Parodie und Pastiche. Denn nach »Fredèric Jamesons Postmodernism and Consumer Society kennzeichnet die Nachahmung, die den Begriff des Originals verspottet, eher das Pastiche als die Parodie«.45 Da das Pastiche als »neutrale Praxis der Mimikry ohne die Hintergedanken der Parodie, ohne den satirischen Impuls, ohne Gelächter, ohne dies untergründig immer noch vorhandene Gefühl, daß es etwas Normales gibt, im Vergleich zu dem das, was imitiert wird, eher komisch wirkt« 46 definiert wird, bietet es die Pointe, dass die »blanke Parodie (blank parody)« 47 vielleicht weniger das jeweilig parodierte Geschlecht kritisiert.48 Jedoch wird im Pastiche die Pa45 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 203. 46 Fredèric Jameson: Postmodernism and Consumer Society, in: The Anti-Aesthetic. Essays on Postmodernism, hrsg. v. Hal Foster, Port Townsend: o. O., 1983, 114, zit. n. d. Übersetzung in: Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 204. 47 Fredèric Jameson: Postmodernism and Consumer Society, a. a. O., zit. n. d. Übersetzung in: Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 204. 48 Eben darum wird die Frage, ob Transvestismus und Travestie misogyne Züge tragen höchst kontrovers diskutiert. Vgl. für die Kritik an diesen Praktiken als frauenfeindlich: Carole-Anne Tyler: Boys Will Be Girls: The Politics of Gay Drag, in: inside/out. Lesbian Theories, Gay Theories, hrsg. v. Diana Fuss, London u. New York: Routledge, 1991, 32–70, als Ausdruck von männlicher Kastrationsangst: Robert Stoller: The Development of Masculinity and Femininity, Sex and Gender, Bd. 1, London: Karnac, 1984. Peter Stohler diskutiert diese Frage detailliert an Morimuras Crossdressing, vgl. Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O, unpagniert. Die Frage scheint weniger zu sein, ob hier ein Entweder/Oder vorliegt, denn die Texte, die die Frauenfeindlichkeit des Crossdressings (egal in welcher Form) monieren, weisen eine Identifikation mit den gesellschaftlich konventionalisierten Geschlechtern auf, so dass der mögliche Entzug eines festen Grundes für diese tatsächlich nur als schlecht zu goutierende Attacke auftreten kann.

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rodie kritisch, da eine Epistemik des Geschlechts verhandelt wird. Als epistemischer Witz über das Original als original, ursprünglich oder normal zielt es auf die epistemisch-politische Funktion des Originalen. Das, was Jameson mit einigem emphatischen Anschluss an die Notwendigkeit von Normen (wie z. B. ursprüngliche Individualität, Kanon, Subjekt, eine bestimmte Form eines vorgängigen Realen, auf die noch einzugehen ist) als kritikfrei abtut, kann seine Pointe darin finden, genau dies in Frage zu stellen, um in gewisser Weise das Original gründlicher zu verspotten: Freilich kann der Verlust des Normalitätsgefühls selbst zum Anlaß des Gelächters werden, besonders wenn sich das ›Normale‹ oder das ›Original‹ als ›Kopie‹ erweist, und zwar als eine unvermeidlich verfehlte, ein Ideal, das niemand verkörpern kann. In diesem Sinne bricht das Gelächter aus, sobald man gewahr wird, daß das Original immer schon abgeleitet war.49 Da die Parodie häufig in verwandtschaftlichen und/oder ödipalen Termini diskutiert wurde, welche die parodistische Filiation entweder als Konstitution von Differenz durch das metaphorische Differenzpaar von Vater/Sohn oder im Gegensatz dazu als Konstitution von Ähnlichkeit durch das Differenzpaar Mutter/Tochter verhandeln, bringt Heide Volkening Butlers Parodie-Begriff in den Zusammenhang mit dem Mutterwitz. Der Mutterwitz verlustige den Glauben an eine (ursprüngliche) Mutterkopie als entscheidendes Regulativ der Parodie und ihrer Filiation.50 So deutet Volkening eine Traditionslinie um, die im Mutterwitz eine naturgegebene Urteilskraft verortete, um dem Witz eine sinngemäße normative Erkenntniskraft zuzuschreiben.51 Dass sich die Fragen

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49 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 114. 50 Vgl. Heide Volkening: Parodie Iteration Typologie, in: OriginalKopie. Praktiken des Sekundären, hrsg. v. Gisela Fehrmann, Erika Linz, Eckhard Schumacher u. Brigitte Weingart, Köln: DuMont, 2004, 34–50. Innerhalb der von Morimura vollzogenen Filiationen glänzt die Reihe der Mütter mit der Abwesenheit von Töchtern. Sie spielt so mit der Absenz von Kopien. Zugleich ist eine ganze Reihe seiner Selbstportraits Daughter of Art History benannt, was ausschlaggebend für den Titel der davon unabhängigen, sie jedoch u. a. zeigenden Publikation Daughter of Art History, a. a. O. war (vgl. zur Filiation als patriarchales Modell der Kunstgeschichte auch Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., 48). 51 Wenn Kuno Fischer den Mutterwitz im Kontext des intellektuellen Witzes als »spielendes Erkenntnisurteil« (Kuno Fischer: Über den Witz, a. a. O., 79) diskutiert, präsentiert er ihn als angeborene, von der Mutter verliehene Fähigkeit, durch ein angeborenes Ingenium eine Erkenntniskraft als Sicherung des Sinns gegen Unsinn vorzunehmen: »Was tut der Witz ohne die Kraft des Witzes, ohne jene natürliche Fähigkeit und Inspiration, die unwillkürlich das Richtige

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nach der Un/Entscheidbarkeit von Parodie und Pastiche ausgerechnet an einer Reihe Morimuras entzünden, die im Titel Mother und Judith verbindet, mag so kein Zufall sein. Es könnte lohnend sein, den Spuren der Assoziationen, die ›Mother‹ zum Nexus von Kastration und Mutter/Judith, zu den vielfältigen Verflechtungen von ›Mother‹ und ›Other‹ sowie zu Mutterland/Motherland nahe legt, in den Argumentationen Brysons zu folgen. Doch müsste die Reihe der Mütter, die Yasumasa Morimura entwirft, als epistemischer Mutter-Witz dann nicht eine Re-Originalisierung, sei es als Ausdruck/Gesicht von japanischer Identität, sei es als Ausdruck/Maske des Spätkapitalismus, verhindern statt als deren Anstoß aufzutreten? Denn die Parodie ist auch als epistemischer Witz keine sichere Sache – auch Butler verwendet sicherheitshalber ›kann‹. Genau hierin scheint der Witz der Sache zu liegen. Der Hinweis auf die Chancen der Parodie liegen darin, den Unterschied zwischen Parodie und Pastiche einzunehmen und exakt darin kritisch werden zu lassen, lässt die Entscheidung ihres Kritikpotentials wiederum offen, um sie zum Desiderat einer permanenten Aufgabe zu machen: Die Parodie an sich ist nicht subversiv. Also muß es eine Möglichkeit geben zu verstehen, wodurch bestimmte Formen parodistischer Wiederholung wirklich störend bzw. verstörend wirken und welche Wiederholungen dagegen gezähmt sind und erneut als Instrumente der kulturellen Hegemonie in Umlauf gebracht werden. Eine Typologie der Akte wäre hier eindeutig nicht ausreichend, weil die parodistische Verschiebung, das parodistische Gelächter von dem Kontext und der Rezeption [d.h. allen weiteren Kontexten, Re-Lektüren, Zitaten und sonstigen Wieder-Ver-Wendungen, M.F.] abhängen, die die parodistische Verwirrung zu fördern vermögen.52 trifft, leicht und spielend Sinn und Unsinn unterscheidet: was ist dieser mutterlose Witz, der schon verwaist auf die Welt kommt und nur einen Vater hat, aber keine Mutter? Ihm fehlt, was der Mutterwitz hat: der Sinn für den Sinn!« Ebenda, 83. Jedoch findet auch Kuno Fischer bereits Sinnlosigkeiten, die »tiefer liegen als die Oberfläche der gewöhnlichen Einfalt«. Ebenda, 89. Fischers Diskussion des Mutterwitzes alludiert (ebenso wie Volkening) Kants Mutterwitz. Kant führt den Mutterwitz als natürliche Urteilskraft an, die auf »allgemeinen und angebornen Regeln des Verstandes (deren Besitz Mutterwitz genannt wird) beruht«. Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Absicht, in: Kants gesammelte Schriften, Bd. VII, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, 1907, 139. Dieser Gebrauch geht auf die alte Bedeutung von Witz als Klugheit oder ingenium zurück, die noch in Begriffen wie Gewitztheit mitspielt.

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Indem die Parodie das Verhältnis der Nachahmung zum Parodierten, ihr Kritikpotential sowie die Tendenz des Bezugs offen hält, scheint sie gerade eine investigative Anstrengung der Klärung ihres daran hängenden Subversionspotentials herauszufordern, da sie dieses Bestreben in einen unendlichen Regress überführt, der zur Interpretation einzelner künstlerischer Arbeiten als abgeschlossene und autorisierte Werke ebenso undienlich ist, wie für die einseitige Indienstnahme der Parodie als Garant karnevalesker Kritik und Transgression.52 Barbara Paul hat diese Herausforderung für die Frage nach dem Verhältnis von postkolonialer Kunst zu den von ihr parodierten kolonialen Stereotypen angenommen, um sie mit der kritischen Diskussion von Judith Butlers Konzept der Geschlechterparodie zu verbinden. Aus dem Vergleich der auktorialen Strategien Faith Ringolds in ihren mehrteiligen Story Quilt: The French Connection, die sie als eindeutig positionierte, nicht zu vereinnahmende Parodie versteht, mit den Scherenschnitten einer im ›weißen Kunstbetrieb‹ 53 erfolgreichen Kara Walker, die sie als eine parodistische Ambivalenzstrategie ohne offene Positionierung auffasst, sucht sie Entscheidungskriterien, um die transgressive Qualität der Parodie für postkoloniale Kritik beurteilen zu können: die Eindeutigkeit des durch die Arbeiten mitgeteilten intentionalen Impetus der Parodie. Durch die Gegenüberstellung einer detaillierten Werkanalyse von Faith Ringgolds The French Connection mit den Scherenschnittverfahren mehrerer Installationen Kara Walkers werden die Umstände des Kritikpotentials der Parodien hinsichtlich der aus postkolonialer Perspektive interessanten Möglichkeiten einer Subversion von Rassismus und Sexismus differenziert.54 Vor dem Hintergrund, dass die Parodie nicht subversiv sei, wird von Paul das Subversionspotential in der Verfassung von – im weitesten Sinne autobiographisch bezogenen – künstlerischen Arbeiten 84

52 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 204. An dieser Stelle hat das Wort »muß« Butler und daran anschließend der nicht nur deutschen Rezeption Butlers insofern ein Bein gestellt, als man sich mehr auf das so artikulierte Bedürfnis nach einem Regelkanon der Subversion richtete, als die Vorsichtsmaßnahme Butlers ernst zu nehmen, diese Kriterien jenseits einzelner Lektüren zu entwickeln. Vgl. dazu auch Heide Volkening: Parodie Iteration Typologie, a. a. O.; sowie Andrea Seier: Remedialisierungen. Zur Performativität von Gender und Medien, Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie, Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum, Bochum 2005, www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/SeierAndrea/ diss.pdf (zul. ges. 2. 2. 2013), 80. 53 So Barbara Paul: Die Kunst der Parodie, a. a. O. 54 Dies fragt sich Barbara Paul, ebenda.

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aufgesucht. Als sichere Kritik erscheint ihr ein auktoriales, künstlerisches Verfahren, das sich – wie Faith Ringgolds Arbeitsweise – eindeutig auf der Seite einer lesbaren, unambivalenten Kritik verortet,55 bei der die intendierte parodistische Determination der Rezeption durchs Werk, die Rezeptions-Bedürfnisse eines hegemonialen, weißen Kunstbetriebs störe. Im Gegensatz dazu würde die parodistische Ambivalenz-Strategie der Scherenschnitt-Installationen Kara Walkers dahin tendieren, den Voyeurismus und die kolonialen Phantasien des weißen Kunstpublikums zu bedienen, selbst wenn sie neben die im Scherenschnitt grob stereotypen Verbildlichungen ›des schwarzen Sklaven/der schwarzen Sklavin‹ ebenso stereotype Verbildlichungen der ›weißen Kolonialherren und -herrinnen‹ stelle.56 Über die Analyse einer Arbeit Walkers, die sich als Selbstportrait lesen lässt, 55 Dazu wird das Zusammenspiel des werkimmanenten Umgangs mit Stereotypen und mit der Markierung oder Re-Codierung von Kolonialgeschichte (wie einer kanonischen, gegenderten Kunstgeschichte des Modernismus und Primitivismus bzw. der US-amerikanischen Geschichte der Sklaverei und des Abolition War) verfolgt, um daraus die Konstitution der Rezeption durch die Arbeiten abzuleiten. Laut Barbara Paul erreicht Faith Ringgold dies, indem sie in den Text-Bild-Erzählungen ihrer textilen Story Quilts des Zyklus’ The French Connection z. B. pseudo-biographische Familiengeschichten gegen die Vereinnahmung afrikanischer Kunst durch Pablo Picasso in den Les Demoiselles d’Avignon (1907) ausspiele oder einen Besuch im Louvre, darstellt als eine tanzend-spielerische Aneignung des Museumsraums durch kanonisch aus diesem ausgeschlossene Afro-Amerikaner/innen, die in Verkehrung der Besuchsregeln die Aufmerksamkeit von ›Kunstwerken‹ wie der Mona Lisa erregen statt diese zu bestaunen. Als kritische Parodien seien bei Ringgold z. B. Pablo Picasso und sein Künstlermythos, Les Demoiselles d’Avignon, zitiert, sowie ihre Aneignungen afrikanischer Kunst als kolonialer Kunstraub und der Louvre als kanonisch vergeschlechtlichtes und rassisiertes Museum, in dem keine afrikanischstämmigen Werke oder Künstler/innen gezeigt werden und Frauen vornehmlich als Modelle Würdigung erhalten. Vor allem aber seien diese Parodien in ihrer Stoßrichtung eindeutig und somit für eine unkritische Aneignung des hegemonialen, weißen Kunstbetriebs unkonsumierbar, da sie darüber hinaus durch den Entwurf alternativer Publika (die afro-amerikanischen Mädchen im Louvre), durch die Feier alternativer Rezeptionsweisen (Tanzen im Museum), durch die Ausbuchstabierung anderer Geschichten (wie eine Tante, die aus der Perspektive des Modells von der Entstehung der ›Demoiselles‹ berichtet) und durch die Forderung nach der Freiheit der Kunst mittels der auktorialen Selbstpositionierung in afro-amerikanischer Kritik gekennzeichnet seien. Ebenda. 56 Insofern Walkers Werke kaum narrativ sind (sie reihen eher Szenen, die man gerade noch als Narrateme bezeichnen könnte), kann Paul schlecht an ihnen Aussagen identifizieren. Die Technik oder Medialität der Scherenschnitt-Installationen gerinnt so zum auktorialen strategisch-ironischen Ausspielen von Bildern von Sex und Gewalt, die auf historischen Codes des Scherenschnitts sowie einer Immersion der Rezeption in die Installationen beruht.

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schafft Paul die Brücke zum Vergleich beider künstlerisch-auktorialer Strategien als notwendig gebunden an die Person der Künstlerinnen, die sich jeweils mit ihren Werken als Afro-Amerikanerinnen im hegemonial-weißen Kunstbetrieb positionieren: Einmal über die eindeutig kritische Parodie des kunsthistorischen Kanons, seiner Stereotypen und seiner Ein- und Ausschlüsse, die zudem in extensiven Textteilen der Story Quilts Alternativen einer Freiheit der Kunst und ihrer Zugänglichkeit fordert, zum anderen durch einen uneindeutigen, ambivalenten Gebrauch stereotyper Bilder, die der hegemonialen Aneignung offenstünden. Die eindeutige Klarheit der Aussage soll die prinzipielle Ambivalenz der Parodie vor dem Hintergrund derjenigen Ambivalenz sichern, die aus dem Auseinandertreten von Signifikat und Signifikant und der reflexiven Verkehrung ihrer tradierten Hierarchie und zeitlichen Folge hervorgeht. Gegen diese Drohung der Ambivalenz setzt Paul eine auktoriale Werksetzung, deren Selbstsetzung im künstlerischen Selbstzeugnis der Rezeption ihre Regel gibt, da sie ihnen zeitlich und hierarchisch vorausgeht. So wird Autorschaft als originäre Norm der Interpretation re-installiert – und restituiert, d. h. an die Künstlerinnen zurückgespielt. Doch stellt sich hier umso mehr die Frage nach der Entscheidbarkeit. Passt sich die Parodie, so wie sie für Faith Ringgold beschrieben wird, nicht bestens in Jamesons Parodiekonzept ein, das man auch dahingehend kritisieren müsste, dass es die Konventionen moderner maskuliner und weißer Autorschaft als politisierte Kanonkritik (z. B. nach dem Modell Picassos) gegen die Postmoderne zu retten versucht? 57 Lässt nicht in diesem Kontext die For-

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57 Mit Zeichenmodell, Autorschaft und Kritik diskutiert Frederic Jameson in Postmodernism and Consumer Society auch prominent Fragen des Kanons. Während das Pastiche als Ausdruck einer Unverbindlichkeit des Kanons, einer Verabschiedung des modernen Subjekts und von Singularität auftrete, und so keineswegs zufällig über moderne, kanonisierte Autoren problematisiert wird, sei eine falsche Verkehrung des Zeichenbegriffs Ausdruck dessen, was Jameson postmoderne Schizophrenie nennt, nämlich die poststrukturalistische Nachordnung des Signifikats hinter den Signifikanten als Verlust des Realen und damit auch der Referenz auf das Reale. Hat in diesem Sinne Butler das Signifikat ›Geschlecht‹ als virtuelle Norm gekennzeichnet, und damit wiederum zu einem Signifikanten gemacht, ist dies allerdings ein hochgradig reales und politisch wirksames Vorstellungsbild, das weniger durch Referenz auf ein mit der Bezeichnung zu repräsentierendes vorgängiges Reales Wirksamkeit erhält, als dadurch, dass sein wiederholter Gebrauch sich in normativen Konventionen sedimentiert. Doch steht bei Jameson mit der Unterscheidung Parodie und Pastiche mehr auf dem Spiel als die Unterscheidung zweier Kritik- und Urteilsmodelle: Nämlich die Differenz von Fiktion und Realität, die Unterschiede zwischen Repräsentation, Performanz und Performativität, die Frage nach

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derung nach einer Freiheit der Kunst, die auch eine der Künstler/ innen wäre, das moderne, angeblich frei schaffende Individuum (das zugleich als hegemoniales, weißes, männliches kritisiert ist), als (wenn auch utopisches) Ideal wieder auferstehen? Stellen sich hier nicht wieder die Probleme der Parodie als (durch Berufung auf eine Norm) »authorized transgression«? 58 Wird die Intelligibilität der Position, des Werks und ihrer Effekte für die Kunstwissenschaft nicht wiederum dadurch garantiert, dass eine kompetente auktoriale Sinnproduktion ihre idealen Rezipient/inn/en gleichsam autoritär zu konstituieren vermag und darin ihre Autorschaft begründet? Sprich: wird hier nicht Performativität als Chance der Re-Signifikation in auktoriale Performanzen überführt, die souverän über Sinn des Werks, seine Effekte und seinen Kontext herrschen? Bedient Ringgold dann nicht ein bestimmtes kunstwissenschaftliches Bedürfnis, dem sich Walker entzieht? Wird nicht ein spezifisches Künstler- und Autorschaftsmodell diejenige Norm, die jeweilige Parodien autorisiert? Werden die Chancen der Ambivalenz hier nicht getilgt durch souveräne Akte? Ohne Faith Ringgold weiter gegen Kara Walker ausspielen zu wollen, scheint es notwendig, zu überlegen, welche Produktivität eine solche Ambivalenzstrategie aufzuwerfen vermag und welche Probleme sie dem kunstwissenschaftlichen Urteil stellt, dies auch, da diese Ambivalenzstrategie eher dem Performativitäts- und Autorisierungsverständnis nahe zu kommen scheint, welches Butler mit der politischen Frage nach Handlungsfähigkeit an die Möglichkeit der epistemischen Verwirrung durch die Parodie koppelt. Darin gibt es nämlich auch für wissenschaftliche Analysen weniger Sicherheit. Denn wenn Autoren und Werke als zentrale und fixe Bezugspunkte der Interpretation zerfallen, kann sich interpretative Eindeutigkeit auch nicht mehr aus der Projektion des Autors als intelligiblen und kompetenten Enuntiationsort speisen. Damit zerfällt die Eindeutigkeit der Beziehung und der zeitlichen Folge von Signifikat vor Signifikant, d. h ein bestimmtes Zeichenmodell sowie das darin angelegte kommunikative Ideal seines kompetenten Gebrauchs durch den Künstler. Im Schreiben über Autor/ innen (z. B. Ringgold und Walker) würde erst die schreibend vollzogene Verbindung von Signifikant und Signifikat den Autor/die dem Neuen und der Einzigartigkeit. Mit dem Pastiche, das Butlers Parodie wäre, verspiele die Kunst ihr Avantgarde-Ideal, da sie als Kunst über Kunst mit der Originalität auch soziale Wirksamkeit aufgebe. Vgl. zum Normativen eines solchen politischen Avantgarde-Denkens: Thierry de Duve: Hat die Kunst eine kritische Funktion? Überprüfung einer Frage, in: Bildstörung. Gedanken zu einer Ethik der Wahrnehmung, hrsg. v. Jean-Pierre Dubost, Leipzig: Reclam, 1994, 22–38. 58 Linda Hutcheon: A Theory of Parody, a. a. O., 101.

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Autorin als denjenigen personifizierten Eununtiationsort schaffen, der der Interpretation die Regel gibt, um ihm/ihr Werke, Aussagen und Enuntiationen zuzuschreiben. Bei Judith Butler findet sich keine endgültige Regel dafür, wie eine Parodie subversiv wird. Aus der Vorsicht davor, einer Praxis eine Norm oder Regel zu geben, die zudem mit einer normativen Voraussetzung des sie hervorbringenden Subjekts verknüpft ist,59 steht bei ihr nur der Wunsch danach und eine Praxis eines ›sorgfältigen Lesens‹ der Umschlagmomente oder Janusköpfigkeit jeder Äußerung vor dem Hintergrund, dass »die parodistische Verschiebung, das parodistische Gelächter von dem Kontext und der Rezeption abhängen, die die parodistische Verwirrung zu fördern vermögen«.60 Im Anschluss an Butlers Denken der Performativität hat eine Achse ihrer Rezeption insofern immer schon zu kurz gegriffen, wenn sie versuchte, einen Regelkanon der parodierenden Subversion aufzustellen, anstatt die Vorsichtsmaßnahme Butlers ernst zu nehmen, den Wunsch nach Kriterien nicht zum Anlass zu nehmen, Handlungsanweisungen auszubuchstabieren. Am von Butler entwickelten, performativen Subversionsmodell der Parodie ließe sich folglich kritisieren, dass es nicht vollständig den Wunsch, es könnte möglich sein, Performativität in kompetente Akte umzudeuten, die auch Kontext und Rezeption zu steuern vermögen, ausgeräumt habe. Versteht man jedoch das unausgeführte ›Muss‹ Butlers als eine Grundannahme, die eine bestimmte Analysehaltung einfordert,61 reicht es zumindest weiter als diejenigen Ansätze, die die Ambivalenz der Parodie durch die Lesbarkeit von kompetenten Autor/innen und abgeschlossenen Werken eindeutig zu machen. An dieser Stelle ziehen Barbara Paul und Fredèric Jameson seltsamerweise am selben, zu kurzen Strang, wenn auch in gegensätzliche Richtungen, was das präferierte Subjekt der Kunst angeht. Doch Butlers Verankerung der Sprengkraft der Parodie in der Abhängigkeit von ihrer Rezeption und vom Kontext verfehlt vielleicht auch immer noch diejenige performative Sprengkraft des Witzes (auch die des Witzes von Parodie und Pastiche). Wenn die bisher diskutierten Argumentationen fortlaufend die Problematiken der Unterscheidung, des Urteils und der Kritik markieren, zeigt dies nämlich, dass im Witz die Unterscheidung von Parodie 59 »Die Beschreibung des Subversiven in einer Typologie der Akte, so Butler, wäre selbst eine normative Geste, die das Feld möglicher Beschreibungen des Geschlechtlichen begrenzt.« Heide Volkening: Parodie Iteration Typologie, a. a. O., 45. 60 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 204. 61 Vgl. Andrea Seier: Remedialisierungen, a. a. O., 80.

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und Pastiche ebenso in die Krise gerät, wie die daran geknüpften Besetzungen von Autorschaft, Autorisierung, Autorität, Konvention, Zeichenhaftigkeit, des Subjekts, desx Neuen, der Originalität, des Kanons, des ästhetischen wie epistemischen Urteils sowie von Identität und Differenz. Der Witz ist nicht zu bändigen. Er verwirrt alles genannte. Er erweist sich als wesentlich abgründiger als in dem Sinn, dass seine Kraft durch die richtige Setzung, Rezeption und Kontextuierung in die generöse Akzeptanz und Be-Förderung seines Sinns zu verschieben oder in die bloße Sinnverschiebung umzumünzen wären. Denn mit Sinn hat der Witz ›nichts am Hut‹. Man müsste das Problem des Witzes anders angehen als mit diesen Unterscheidungen. Was wäre Morimuras Witz? Wenn der Witz nicht in der Performanz auktorialer Kompetenz liegen und nicht über das Analyseraster der Identifizierung der auktorialen Position geklärt werden kann, da er nicht in dieser Weise auf die Konstitution kritischer Bedeutung zielt, wie ist ihm sich anzunähern? Ein Ansatzpunkt wäre, die Produktionen von intelligibler Autorschaft als Norm der Interpretation noch ein wenig weiter zu verfolgen, indem man die Frage nach dem Bildlichen (oder ein Bild) dazwischenschiebt.

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Abb. 36: »Der Fotograf Morimura vor seinem Selbstportrait als ›Olympia‹ von Manet«.62

62 Bildunterschrift, in: art. Das Kunstmagazin, (2/1998), 50.

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Der Künstler steht hier (Abb. 36) vor seiner Arbeit Portrait (Futago) (1988) (Abb. 42), einer photographische Nachstellung von Édouard Manets Olympia (1863), in der Morimura sowohl die Olympia als auch die schwarze Dienerin verkörpert – daher vielleicht der Titelzusatz futago (Zwilling). Im Foto füllt ein Ausschnitt von Portrait (Futago) den gesamten Bildhintergrund, vor dem sich der Künstler abzeichnen soll, es jedoch ohne ein Wissen um den Zusammenhang wie die Differenz zwischen Künstler und Werk schwerlich vermag. Das Bild des Künstlers vor seinem Werk soll zugleich – platziert im Text einer Kunstkritik zwischen Reproduktionen von Morimuras Arbeiten 63 – auf vage Weise Aufschluss versprechen und einen Zugang zum Werk stellen. Morimura steht exakt vor dem Zitat des Zitats eines berühmten, geschlechtlich codierten und sexuell ambivalenten Schamgestus, zwischen zwei seiner verbildlichten Verkörperungen in einem Bild platziert, das selbst schon Probleme der Unterscheidung aufwirft.64 Die Versicherung, dass dieser ›seriöse Herr‹ derjenige Künstler ist, dessen ›campy embodiment‹ sich im Hintergrund befinden, sowie dass das Bild überhaupt zwei Bildebenen hat – ein Bild im Bild, das den Hintergrund stellt und eine von diesem Werk/Bild geschiedene Person vor diesem – sind letztlich mehr der Bildunterschrift/dem Titel zu entnehmen, als zu sehen. So ist die Bildunterschrift zwingend nötig, um in das Bild die Unterscheidung von Autor und Werk einzuführen. Die diskrete, diskursive Unterscheidung von Autor und Werk oder von Davor und Dahinter ist in den Farbstufungen der Fotografie nicht zu sehen, das Bild zieht sie in eine Bildfläche/ Ebene. Man kann dies vielleicht dem Bild anlasten: Portrait (Futago), das als Hintergrund bildfüllend das Werk zu vertreten hat, sei zu stark beschnitten.65 Die enge Kadrierung und die Staffelung von Morimura und Portrait (futago) eliminieren die Möglichkeit, ihre kategorische wie zeitliche Differenz durch einen dargestellten Bildraum zu verdeutlichen, usw. Tatsächlich aber ist diese diskursive Dysfunktionalität des Bildes höchst interessant. Nicht nur scheint im Einziehen von räumlichen und zeitlichen Ebenen und der Ver-

63 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, in: ders.: Fotografische Werke, Köln: DuMont, 1999, 96–101, 96. 64 Manets Olympia zitiert den Schamgestus der Venus von Urbino von Tizian (1538). Die zeitgenössische Kritik zur Olympia merkte allerdings die Tendenz der Geste in Richtung einer höchst unschamhaften Selbstberührung in diesem Zitat an. Auch die geschlechtliche Identität der Olympia wurde zum Problem. Vgl. Timothy J. Clark: The Painting of Modern Life: Paris in the Art of Manet and His Followers, London: Thames and Hudson, 1985, 131. 65 Schon der Rahmen des Bildes ist nicht zu sehen.

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hinderung der Möglichkeit, am Bild diskrete Unterscheidungen zu treffen, etwas von Morimuras Arbeiten auf. Vor allem zeigt sich das Bildliche als etwas anderes als ein Sagen. Sagen, Zeigen und Sich-Zeigen werden als divergent wahrnehmbar.66 Genau dort, wo das Bild das Verhältnis von Künstler und Werk als sinnfälliges Spiel von Ähnlichkeit und Differenz ausstellen soll, erscheint eine Alterität und verweist die Funktionalität der Deutungspragmatik der auktorialen Signatur über die Eigenlogik des Bildlichen auf die eigenen Grenzen.67 Dieses Bild als intelligibles Bild des Künstlers nehmen zu können und sich von ihm Aufschluss zu erhoffen, ist nur möglich, wenn man an es von außen eine Setzung des Rahmens, eine selektive Kadrierung oder normative Regel anlegt. Wird diese Regel einer witzigen »Offenheit für deren Re-Signifikation und Re-Kontextualisierung« 68 ausgesetzt, weist dieser Witz auf diejenigen szientif isch-epistemischen Verfahren, die Autor und Werk so oder so verknüpfen. Dieser Verweis geschieht eher negativ denn als direkte Nennung. Die szientif isch-epistemischen Verfahren treten nur durch die Überführung in ein grundsätzlich problematisches Auseinandertreten von medialen, ästhetischen und diskursiven Strategien auf: Als und im Abzug kunstwissenschaftlichen Sinns zugunsten eines ungehörigen Sehens. Lesbar wird dies nicht einfach am ›Werk‹, auch nicht nur über dessen Effekte, z. B. über die paradoxale Verbindung einer Nicht-Definition von Japanizität und ihrer Zurechnung an den Produzenten dieser Nicht-Definition, sondern gerade dort, wo der Diskurs oder die Ökonomie der Theorie am Bild in die Irre geht (vgl. Teil C Verhandlungen von Signifikanz). Die Probleme, die Morimuras Mutterwitz für die Kunstwissenschaft aufwirft, erweisen sich mit der Produktion eines kulturellen Ortes in besonderer Weise verknüpft. Da die Arbeiten als Produkte eines als kulturell different geltenden Künstlers verortet sind, wird ihr Mutterwitz vordringlich in Bezug auf kulturelle Differenz und ihre postkoloniale oder globalisierte Verfassung diskutiert. Indem sich an ihm als genuin ambivalentes Verfahren beständig etwas entzieht, wirft er vordringlich die Problematik bzw. die Fraglichkeit derjenigen Identifizierungsverfahren in der Kunstwissenschaft 66 So oszilliert fortwährend das, was die Bildunterschrift sagt, mit dem, was das Bild zeigt und wie es sich zeigt. 67 Indem aus solchen Brüchen zwischen den medialen und materiellen Strategien der Arbeiten und ihren sprachlichen Deutungen Alterität auftritt und sich ohne Namen und Ohne-Sinn zeigt, zeichnet sie den Prozess der Sinnbildung als Störung gegen. 68 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 203.

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auf, die auktoriale (kulturelle) Differenz auszumachen suchen.69 Es wird nämlich so auch die Überblendung von Differenz und Alterität problematisch, die notwendig ist, um in einer postkolonialen Kunstwissenschaft nichthegemoniale oder subalterne Andere zu konstituieren. In der postkolonialen Kunstwissenschaft droht das Verlangen nach einem Kritikpotential von ethnisch different gedachten Autoren und Werken dazu zu führen, dass Alterität auf die Intelligibilität von anderen Stimmen/Gesichtern projiziert wird. Diese Figuration von anderen, aber lesbaren, Gesichtern oder Stimmen der Anderen setzt Konvergenz von Autorschaft und Autorisierung mit Referenz, Ästhetik und kulturellen Sinn voraus. So ist der Blick auf diejenigen epistemischen, medialen und ästhetischen Strategien der künstlerischen Arbeiten verstellt, die für die Frage nach einer Ästhetik der Alterität jenseits der Fixierung auf eine ästhetische Produktion differenter Subjektpositionen 70 aufschlussreicher sein könnten. Um dieses Argument zu entwickeln, ist mit der parodistischen Reflexivität des Urteils auch die epistemische Verwirrung weiter zu treiben. Insofern ist der Witz noch zu erzählen (immer noch).

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69 Dieses Feld der auktorialen Identifizierungsverfahren soll in Teil B Signaturen weiter mit Bezug auf die Theorie und Praxis der Kunstwissenschaft umrissen werden. 70 Löst man die Frage nach einer Ästhetik der Differenz über die Konstruktionen anderer Perspektiven, Positionen oder Subjekte, erscheinen beinahe zwangsläufig bevorzugt Autorsubjekte als Antwort.

2. Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?

Abb. 37–38: Abb. 37: Mira Fliescher: Skizze von Yasumasa Morimura: Mother (Judith III) (1991) (unveröffentlicht). Abb. 38: Robert Lembke in den Kulissen von Was bin ich? (o. J.).

Ruft die Parodie mit ihrer Verunsicherung epistemischer Grundfesten »eine fließende Ungewißheit der Identitäten hervor, die ein Gefühl der Offenheit für deren Re-Signifikation und Re-Kontextualisierung vermittelt«,1 könnte man versucht sein, so an der Offenheit der Re-Signifikation und Re-Kontextualisierung zu arbeiten, dass man Mother (Judith I–IV) (Abb. 32–35) quasi noch einen Hut aufsetzt und sie mit ganz Anderem als mit einer Bild-Vorlage oder einer Ethnizität oder Individualität des Künstlers in Verbindung bringt. – Z. B. mit der bundesdeutschen Variante einer US-amerikanischen Gameshow. Was bin ich? 2 wurde unter der Moderation Robert 1 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 203. 2 Lembke lernte 1954 die Vorlage: What’s My Line? (Mark Goodson und Bill Todman, CBS: 1950–1967) durch die britische Variante der BBC (1951–1961)

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Lembkes berühmt dafür, die Kunst der investigativen Klärung der professionellen Identität wechselnder Show-Gäste ebenso humorvoll wie reflexiv zu pf legen. Dieses »heitere Beruferaten« stellte im west-deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen regelmäßig begleitend zu der ritualisierten einleitenden Frage Robert Lembkes: »Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?« Sparschweine zur Wahl (Abb. 38), um darin den Gewinn des Spiels für den jeweiligen Gast zu sammeln, der im Spiel seine professionelle Identität erfolgreich verbarg.3 Für jede Frage aus dem sogenannten fröhlichen Rate-Team, dem regelmäßig SchauspielerInnen und ein Staatsanwalt (konventionalisierte Vertreter/innen der Identitätserkennung wie -verstellung) angehörten, die der Gast mit Nein antworten konnte, landeten zu Lembkes Zeiten fünf Mark im ornamentierten Schweinchen der Wahl. Die einzigen Hinweise, die die Person, deren Beruf erraten werden sollte, lieferte, waren die vor der Wahl des Sparscheins an eine Tafel zu gebende Unterschrift und eine nach dieser Wahl pantomimisch zu vollziehende ›typische Handbewegung‹: Signatur und Handschrift gleichsam. Der Moderator verteilte die Sparscheine selbst mit immer derselben ritualisierten typischen Geste, bevor das fröhliche Rateteam zumeist munter mit sich rituell wiederholenden Fragen (wie: »Sind sie mit der Herstellung oder Verteilung einer Ware beschäftigt?«) in die Irre lief.4 Als in jedem Sinn enttäuschend erwies sich die (sich in ihren Vorur-

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kennen, führte sie für die ARD ein und moderierte die Sendung von 1955 bis 1958 und von 1961 bis 1989. Am 2. Januar 1955 lief die Premiere noch unter dem Titel: Ja oder Nein. Ein psychologisches Extemporale mit sieben unbekannten Größen. Vgl.: Internet Movie Database, Eintrag: What’s My Line?, www.imdb. com/title/tt0042168/plotsummary (zul. ges. 2. 2. 2013), u. Wikipedia, Eintrag: Was bin ich?, http://de.wikipedia.org/wiki/Was_bin_ich (zul. ges. 2. 2. 2013). 3 Insofern maximierte sich der Gewinn im Spiel mit falsch gestellten Fragen. »Und auch das Rateteam wechselt kaum: Da sitzen Annette von Aretin, die erste Fernsehansagerin des Bayerischen Rundfunks, und Guido Baumann, Unterhaltungschef beim Schweizer Fernsehen. Marianne Koch, Schauspielerin und ›die mit der Goldkante‹ aus dem Werbefernsehen, wechselt sich ab mit der Fernsehmoderatorin Anneliese Fleyenschmidt. Und dann sitzt an dem langen Tisch noch Hans Sachs, Oberstaatsanwalt aus Nürnberg, der so herrlich um die Ecke fragen kann. Da sitzen viermal ›Grüß Gott‹ und ein ›Grüazi, mitainand‹ und jeder kann ihre Namen im Schlaf aufsagen. Dennoch stehen vor ihnen jahrzehntelang Namensschildchen.« Sven Stillich: Der Schweinepriester, in: einestages. Zeitgeschichten auf Spiegel Online, http://einestages.spiegel.de/static/ topicalbumbackground/3485/der_schweinepriester.html (zul. ges. 2. 2. 2013). 4 »Die Quizshow ›Was bin ich?‹ war ein einziges Ritual mit einem immer wiederkehrenden Ablauf. Immer mit dabei: Eine Unterschrifttafel, auf die der Gast seinen Namen schrieb; ein Gong mit Schlegel, Namensschilder des Rateteams, Nummernschilder zum Umblättern und die verschiedenfarbigen Sparschweine.« Sven Stillich: Der Schweinepriester, a. a O.

2. WELCHES S CHWEINDERL HÄTTEN S’ DENN GERN?

teilsstrukturen freimütig decouvrierende) Raterei stets dann, wenn kein Geld ins Sparschein wanderte, d. h. sobald Person, Profession und Gestus zusammenliefen und erkannt waren. Die Lust am Fehlgehen, am Scheitern der Identifizierung und falschen Benennungen, die Was bin ich? aufzeigt, besteht nicht nur in der Entlastung vom Zwang zur vollständigen Verkörperung der eigenen Profession als Identität, sondern auch in der Auf lösung und Kommentierung jeglicher konventionell regulierter und etablierter Identifizierungspraxis. Mehr als die ent-täuschenden, erkennungsdienstlichen Verfahren oder die Auf lösung, die die TV-Show bot,5 deren Fragen (allein zu beantworten mit ›Ja‹ oder ›Nein‹, und akribisch durchgezählt) auf zehn begrenzt waren, wurde deshalb die einleitende Frage einer höchst anökomischen Investigation: »Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?« zum Ort des Vergnügens und zum geflügelten Wort. Versteht man diese Frage als diejenige, die der Mutterwitz als Einleitung eines (mehr oder minder) witzigen Scheitern des Identifizierungsverfahrens aussetzt, ohne Was bin ich? einer definitiven Antwort zuzuführen, ist der Bezug auf eine Frage, die in Westdeutschland keineswegs zufällig zur Leit-Metapher für Spiele mit Identität und ihrem Scheitern wurde, weiter zu explizieren. Die Frage lässt sich vielfach auf Morimuras Reihe der ›Mütter‹ beziehen. Denn diese Frage stellt sie selbst, um ihr zugleich vielfältige Angebote zu machen. Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?: Einen christlichen (Cranach, Arcimboldo) oder US-amerikanischen (Disney) Einfluss auf Japan, oder seine synchretistische Eigenart? Euro-amerikanische Kunst/Vorbilder (Disney, Arcimboldo) oder popkulturelle (Disney) oder Mischungen aus Tradition und Konsum-Moderne? ›Lembke‹, Was bin ich? oder lieber den Künstler als armes Sparschwein einer Interpretation, die auch noch aus dem Entzug der Eigentümlichkeit eine Bedeutung macht, um sie dem Künstler wie seiner Kultur gleichermaßen zuzurechnen? Da Morimura für eine postkoloniale Kunstwissenschaft die Frage: Was bin ich? aufwirft, konstatiert diese: Es »definiert […] Yasumara [sic] Morimura nicht seine Japanizität«.6 Doch wird 5 Diese Dezenz oder die Disjunktion zwischen Profession und Person könnte man auch der Strategie der Moderation unterstellen: »Mit der Fernsehgebühr erwirbt der Zuschauer ein Recht auf meine Arbeit, nicht auf mein Privatleben«, zitiert Sven Stillich ohne Angabe Lembke und setzt fort: »Er nahm sich das Recht heraus, die Frage nach ›Wer bin ich?‹ nicht zu beantworten.« Ebenda. 6 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, in: Globalisierung/Hierarchisierung. Kulturelle Dominanzen in Kunst und Kunstgeschichte, hrsg. v. Irene Below u. Beatrice von Bismarck, Marburg: Jonas, 2005, 19–38, 20.

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diese Nicht-Definition wiederum äußerst sinnig, denn aus dieser Negation schließt Viktoria Schmidt-Linsenhoff, dass er dies tue, um statt dessen »seit 1988 mit dem systematischen cross-dressing kunsthistorischer Maskeraden nach Manet, Duchamp usw. die geschlechtlich kodierten Signifikanten der Ethnizität in den europäischen Meisterwerken der Moderne« 7 zu untersuchen. Der Entzug des Identitätsausweises im Selbstportrait gerät zum Aufruf, in der Kunstwissenschaft Morimura nachzueilen, und ebenfalls die »geschlechtlich kodierten Signifikanten der Ethnizität in den europäischen Meisterwerken der Moderne« 8 zu untersuchen. Morimuras Kunst lässt sich durchaus in das von Schmidt-Linsenhoff eingeforderte Projekt einordnen. Denn sie weist auch darauf hin, dass die Instanz, die z. B. Fredèric Jameson als modernes Individuum der Kunst aufruft und proklamiert, den negierten Hintergrund einer kulturellen und geschlechtlichen Verortung besitzt, der in der Whiteness der Gallionsfiguren der Moderne liegt. Doch setzt dieses Modell der Kritik nicht ebenso wie Brysons Analyse ein Versprechen der Evidenz, kulturellen Intelligibilität wie Autorität von Autor und Werk fort? Denn der Sinn von Autor und Werk soll über die Herkunft des Künstlers identifizierbar sein, während zugleich auch in beiden Rezeptionen eine höchst unsinnige Differenz in der Identifizierungsbewegung wütet: Die Zurechnung von Japanizität an ›Morimura‹ ermöglicht, dass er in seinen Arbeiten Japanizität sowohl ent-definiere als auch intelligibel verkörpere. Keineswegs zufällig wird in der postkolonialen Kunstwissenschaft stets eingefordert, dass parallel zur Analyse der »geschlechtlich kodierten Signifikanten der Ethnizität in den europäischen Meisterwerken der Moderne« 9 in der Kunstgeschichte zudem ihre Anderen neu zu konstituieren, neu zu vermessen und neu zu diskursivieren seien. Nicht nur wird hier also die Identitätskritik in eine neue Identität umgemünzt – in diesem Denken betreibt Morimuras Kunst weniger witzige Parodien, sondern eine Systematik, die dieses Ummünzen einfordert. Als offenes Spiel mit dem nämlichen Material jedoch zitiert der Witz auch diese Regeln des Sinns vor ein Unsinns-Gericht, um über ein unsinniges Spiel mit Identität und Differenz, das man vielleicht auch einer Wendung wie der Nicht-Definition »seine[r] Japanizität« 10 unterstellen könnte, die Logik der Ähnlichkeit, des Vergleichs und der Bezeichnung zu verhandeln.Wenn man es, nach 7 8 9 10

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Meine Hervorhebung.

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Freud, von »jeher liebte […], den Witz als Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten zu finden«,11 so problematisiert der Witz die Identifizierung des Einen mit dem Anderen. Denn der »Witz wirft […] die Frage nach der Differenz auf«.12 Für Elisabeth Strowick verbindet er sich darin mit der Metapher, welche unter der Ausstellung der Differenz ebenfalls kopuliert. Die Formel für die Metapher ist A = B. ›Ist‹ ist die Kopula des Satzes. Was die Metapher in Identischsetzung kopuliert, ist eins und ein anderes. Gerade in dieser Identischsetzung von Ungleichem aber stellt sich die Differenz aus […].13 Im witzigen unendlichen Regress der Signifizierung durch die dekonstruktive Verwirrung der konventionellen Unterscheidung von Metapher und Metonymie 14 wuchert so eine Differenz, die mit der künstlerischen Autorisierung die wissenschaftliche Autorisierung durch die Konstitution des Künstlers in eine fortgesetzte Fraglichkeit überführt, welche vielleicht die Parodie erst als Sprießen witzigen Un-Sinns produktiv machen würde. Der Witz mündet nämlich nicht nur in die Chancen unendlicher Re-Signifizierung durch die Artikulation einer Differenz, die insofern bereits dem Konzept des Zeichens zuzurechnen wäre, als dieses als Spiel der Differenz von Signifikant und Signifikat verstanden wird. Vielmehr ginge der Mutterwitz als epistemischer oder »skeptischer Witz« »die Sicherheit unserer Erkenntnis selbst, eines unserer spekulativen Güter« 15 an: Was die Form des Witzes, seine Ersparnis oder Verdichtung birgt […], ist ein Moment des Überschusses, ein Mehr-an-Sinn, welches – einmal aufgerufen – die Sicherheit allen Sinns untergräbt.16 97 11 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. O., 15. 12 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise; a. a. O., 18. 13 Ebenda. 14 Die Frage der Metapher, die Strowick im Anschluss an Paul de Man als Hinweis an die Figurativität der Sprache aufnimmt, ist in diesem Fall nur marginal wichtig. Vgl. zum Oszillieren von Metapher und Metonymie bzw. zu ihrer eigentlichen Ununterscheidbarbeit: Elisabeth Strowick: Hinken: Zur Atopie der Metapher, in: Frauen in der Literaturwissenschaft, Rundbrief 45 (August 1999), 33–38; sowie: Paul de Man: Allegorien des Lesens. Mit einer Einleitung von Werner Hamacher, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, insbes. 146–162. 15 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. O., 110. 16 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O., 18.

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Insofern beinhaltet der Witz einen Widerstand gegenüber Versuchen, die anstreben zu klären, was Witze ausmacht und worüber man lacht. Diese Unschärfe hatte schon Freud am Rande für den Witz ausgemacht.17 Man könnte so weitergehend versucht sein, die Länge der Untersuchung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten und die Tendenz, darin immer wieder mit der Interpretation neu anzusetzen, auf genau den Umstand zurückzuführen, dass der Witz sich dem Wissen höchst eindringlich zu versperren scheint.18 Der Witz steht dem Unsinn näher als dem Sinn.19 Nur durch harte Wechsel der Ebenen und unangemessene Zuschneidungen und meist unter Verlust der Komik ist aus Witzen Sinn zu machen.20 Dass das Lachen über Witze als Überfall durch den Ausbruch des Lachens erfahren werden kann, dass das Lachen Dritter über Witze auch oft als unheimlich aufzutreten vermag, weist auf

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17 Wiederholt rekurriert Freud darauf, »daß ein guter Witz uns sozusagen einen Gesamteindruck von Wohlgefallen macht, ohne daß wir imstande wären unmittelbar zu unterscheiden, welcher Anteil der Lust von der witzigen Form, welcher von dem trefflichen Gedankeninhalt herrührt. Wir täuschen uns beständig über diese Aufteilung, überschätzen das eine Mal die Güte des Witzes infolge unserer Bewunderung für den in ihm enthaltenen Gedanken, bald umgekehrt den Wert des Gedankens wegen des Vergnügens, das uns die witzige Einkleidung bereitet. Wir wissen nicht, was Vergnügen macht und worüber wir lachen.« Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a. a. O., 125. Dies trifft selbst die tendenziösen Witze: »Wir können auch von neuem hervorheben, daß wir beim tendenziösen Witz außerstande sind, durch unsere Empfindung zu unterscheiden, welcher Anteil der Lust aus den Quellen der Technik, welcher aus denen der Tendenz herrührt. Wir wissen also strenggenommen nicht, worüber wir lachen.« Ebenda, 97. 18 Dieses Scheitern der klassifikatorischen Einteilungen des Witzigen, die Versuche der Klärung seiner Motivationen lassen sich auch in den weiteren, in Folge angeführten Theorien des Witzes lesen, sofern sie nicht direkt darauf rekurrieren. Die Sperrigkeit des Witzes macht sicherlich auch die Unheimlichkeit aus, die nicht nur Bryson Morimuras Mother (Judith II) unterstellt, sondern mit der auch Henri Bergson und Helmuth Plessner das Lachen in Verbindung brachten. Vgl. Henri Bergson: Das Lachen, Meisenheim: Westkulturverlag, 1948. Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens, Bern u. München: Francke Verlag, 1961. 19 Marianne Schuller hat darauf aufmerksam gemacht, dass Freud die Unsinnwitze in eine Fußnote verbannte und dort auch bemerkte, dass er ihnen nicht gerecht würde. Schuller und im Anschluss daran Strowick nehmen diese Beschränkung zum Anlass, anzudeuten, dass der Unsinn das witzige Moment darstellt, das den Witz die Ökonomie der Theorie sprengen lässt. Vgl. Marianne Schuller: Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹, a. a. O. sowie: Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O. 20 Dies sind merkwürdigerweise exakt die Verfahren, die häufig dem Witz zugeschrieben werden – am Witz parodiert sich eine solche Wissensbildung notgedrungen selbst.

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die grundsätzliche Blindheit einer Reaktion, die vom Witz ausgelöst, jenseits des Sinns liegt und sich der nachträglichen Vermittlung entzieht. Denn das Lachen als Reaktion tritt in irgendeiner Weise als Zustimmung zu einem Witz auf, bei dem sich – sobald gelacht wird – weder Erzähler/in noch Lacher/in sicher sein können, was nun als Form, Inhalt oder Tendenz das Lachen ausgelöst hat. Nur kein Lachen ist ärger. Im Mutterwitz wäre die Figur des verantwortlich zeichnenden Künstlers, mit der sich der kunstwissenschaftliche Diskurs autorisiert, deshalb parodiert, da auch dieses Original seines Status als Original verlustig ginge. Auch er wäre den Chancen der Re-Signifikation und Re-Kontextualisierung angetragen und dabei als Regel oder Norm markiert, die in der Autorisierung des Diskurses konstituiert würde. Der Einsatz von ›Lembke‹ (Abb. 38) als Fortsetzung witzig-absurder Re-Signifizierungen und Re-Kontextualisierungen artikuliert den Bruch oder Slash zwischen Signifikant und Signifikat und die Umwertung ihrer tradierten Hierarchie (die den Signifikant dem Signifikat nachordnet).21 Er überdreht ihn sogar, um eine Differenz zu exponieren, die die Rezeption des Witzes oder Werks als ein für alle Mal gemacht unterläuft. Denn in den Brüchen waltet mit der Differenz der Un-Fug. Die offene Frage: Welches Schweinderl hätten S’ denn gern? berührt den Werkbegriff ebenso wie die Norm vom Künstler, der verantwortlich über den produzierten Sinn oder Unsinn verfüge. Norman Bryson kommt im artforum insofern zu Recht nicht bei der Arbeit an – wie auch nicht beim Künstler/Atelier. Die Verlagerung dieser Erfahrung in eine hochgradig selbstbezügliche Anekdote ist konsequent. Brysons Kritik erhält, da sie diese Konsequenz durchaus schonungslos auskostet, Stringenz, Relevanz und Größe, auch wenn sie in prekäre Identitätsfeststellungen mündet. Als skeptischer Unsinnswitz konfrontiert der Mutterwitz, da er selber nicht entschieden ist, mit der Wahl zwischen Herstellung, Untersuchung, und Distribution, zwischen moderner Parodie und ›blanker‹/hohler Parodie (Pastiche), zwischen Arbeit an kunstwissenschaftlichem Sinn und Unsinn. Entweder kann man eine Verortung und Analyse der Effekte und Bedeutungen eines Werks vornehmen, das insofern als diesen vorausgehend, sie kon21 Dieser Zeichenbegriff ist weniger direkt von Saussure abgeleitet. Der Balken oder Bruch stammt aus seiner Rezeption, z. B. durch Jacques Lacan. Saussure greift dagegen zur Metapher der Münze bzw. der des Blattes, Signifikant und Signifikat sind eher zwei Seiten einer Medaille als durch einen Strich oder Balken getrennt. Vgl. zu dieser Wendung in der Rezeption Saussures: Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 292.

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stituierend und in sich geschlossen gedacht wird, da ein Künstler mit seiner Produktion für dessen Bedeutung und Effekte federführend verantwortlich zeichne, um mit der Bedeutung des Werks als verantwortliches Subjekt hervorzutreten. Oder man folgt der mit der Frage: Welches Schweinderl hätten S’ denn gern? vollzogenen unsinnigen Zerstreuung hin zum spielenden Urteil im Hinblick auf ein »Gefühl der Offenheit für […] Re-Signifikation und Re-Kontextualisierung«.22 Mit diesem scheinbaren Entweder-Oder, das zu keinem Ende kommen kann, wird im Zweifel die diskursive Funktion des Künstlers fraglich, Sinn auf einen vorausgehenden, determinierten Enuntiationsort oder Sender zu bündeln: Als ›Spielendes Urteil‹ aber wird der Witz weniger ein endgültiges Urteil verkünden, als die Tatbestände fortgesetzt hin und her wenden. So oder so oder anders und wieder anders führt der Witz das Verkleidungsspiel auf, wechselt die Hüte, vertauscht die Narrenkappe mit der Richterperücke und umgekehrt. Nach allem anderen, denn einem solchen Verkleidungsspiel aber, verlangt es die Parteien, die ein gutes Geschäft machen wollen. Die Logik des Tausches will wissen, ›ob echt oder unecht‹, ohne den Zweifel, den der Witz installiert.23

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Dagegen stört die tropologische Verwirrung eines spielenden Urteils die Identifizierungslogik einer Deutung, die das eine für das andere gebend Bedeutung tauschen möchte. Auch Morimuras Mutter witz vereitelt es, die Bedeutung der Autor-Identität oder ›seiner‹ Kultur, Ethnizität, Japanizität ohne überschießende, unsinnige Differenz gegen das ›Werk‹ oder ein Bild zu tauschen. Hierbei stört sogar eine Doppelseite im artforum, auf der man zwischen kunstwissenschaftlichen Sinn, Bild und Kritik hin und her schaut. Sie werden vielmehr in ihrer untauschbaren Unentscheidbarkeit reflexiv. Was folgt aus solch einer Auf lösung der Unterscheidung von ›echt-unecht‹, ›ernst (Richterperücke)-unernst (Narrenkappe)‹? Erschöpft sich dies in der »plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts«,24 die das Lachen auslöst, wie man das 22 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 203. 23 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O., 20. 24 Dies ist bereits bei Kant nicht so einfach. Lachen ist ihm ein Affekt, also etwas von außen Ausgelöstes/Hinzugefügtes, das aus dem Widersinn entsteht: »Es muß in allem, was ein lebhaftes, erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein (woran also der Verstand kein Wohlgefallen finden kann). Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.« Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, a. a. O., 276.

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Witzpotenzial der Parodie auch umschreiben könnte? Kann man Morimura nun einfach jeden Hut aufsetzen? Keineswegs ließe sich, noch nicht einmal im Witz oder als Unsinn, ernsthaft behaupten, dass Morimura Lembke sei (oder ihm tatsächlich ähnlich sähe). Zwar gibt der Witz in der verknappenden, un/möglichen Gleichsetzung von Judith, Kohlkopf, Dumbo und Lembke »mehr, als er hat«,25 einen Überschuss, der unsinnig Sinn zersetzt. Doch dies impliziert weder, dass hier überhaupt kein Sinn sei, denn Unsinn hängt höchst ironisch von dem Sinn ab, den er angeht, noch dass diese, meine, Assoziation in jeder Hinsicht zufällig und frei wäre. Dazu zielt sie viel zu sinnig auf Konventionen der Sinnbildung: Auf die Engführung von Sinn über die Intention oder kulturelle Verortung des Künstlers, auf die Überführung eines Selbstportraits in ein kulturelles Portrait (von ›Japan‹ oder von hybrider Identität). Es gibt hier mehr: Der un/sinnige Einsatz von Was bin ich?, der zwischen das Bild eines ›Werks‹ und das Bild des Autor vor einem anderen Werk ins Spiel gebracht ist, versucht zwar, sich einem Unsinn von Morimuras Mutterwitz anzunähern, indem auf seinen Un-Fug ›noch einer draufgesetzt‹ wird. Jedoch soll dieser andere ›Aufsitzer‹ Anlass dazu sein, drei reflexive Fraglichkeiten aufzuwerfen, die eine »Wendung des Bezugs« erfordern, von der noch zu sprechen sein wird.26 Doch erst interessiert die Frage des Urteils. Denn die hier entwickelte Persistenz einer Fraglichkeit/ Unentscheidbarkeit, die den unendlichen Aufschub eine Urteils einfordert, läuft keineswegs auf die relativistische Beliebigkeit, auf den Verlust des Realen, des Anderen oder von Alterität hinaus, die poststrukturalistischen Ansätzen, z. B. von Jameson oder in Barbara Pauls Kritik an Kara Walkers Ambivalenzstrategie, vielfach angelastet wurden. Sehr real nämlich reflektiert der Witz die Pflicht, vor dem Realen zu urteilen: Gerade aber mit dem von ihm aufgeführten Verkleidungsspiel, gerade als Zweifel an der Sicherheit des Urteilens, wirft der Witz die Frage des Urteil auf: ›Wie Urteilen?‹ Und sagt damit auch, daß man der Pflicht zu urteilen nicht entgeht.27 Setzen der Witz oder die unsinnig witzige Parodie die Frage des Urteils aus, beleuchtet dies auch Barbara Pauls Kritik, die in den Ambivalenzstrategien von Kara Walkers Parodien eine bruchlose und unkritische Affirmation an die Bedürfnisse des weißen, 25 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O., 18. 26 Dieter Mersch: Die Frage der Alterität, a. a. O., 35–57. 27 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O., 20.

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hegemonialen Publikums ausmacht. Diese Bedürfnisse werden vielleicht weniger bedient, als mehr dadurch markiert, dass der Rezeption gerade durch die Ambivalenz keine eindeutige Position vorgegeben resp. entgegengesetzt wird. Der Rekurs auf den Voyeurismus eines Publikums, dessen Reaktion im übrigen keineswegs belegt sondern lediglich als Kontrastfolie projiziert ist,28 übersieht so, dass Walkers Installationen vielleicht vor allem die Grausamkeit der Lesbarkeit derjenigen stereotypen Bilder thematisieren, mit denen – trotz aller Kritik an diesen Abziehbildern – weiterhin kollektive Identitäten, eine black community und einzelne Personen, z. B. Kara Walker selbst, verknüpft werden. Man wäre in den Installationen dann mit der eigenen Ausübung identifizierender Gewalt konfrontiert, zu der man sich verhalten muss, z. B. dadurch, dass man die Verbindung von Parodiertem und Original nicht nur verdreht und verabschiedet, sondern indem man die Gewaltförmigkeit ihrer Geschichte auch in Form ihres persistierenden, repräsentierenden Erkennbarkeitswerts bemerkt. Die Ambivalenzstrategie würde sich an das Urteil einer Rezeption aussetzen, der es somit durch die Ambivalenz des witzigen Unsinns oder der Parodie keineswegs leicht gemacht wird – besonders dann, wenn sie lacht. Dann überrascht es wenig, dass diese Arbeiten einer black community wehtun.29 Es ist aber frappierend, dass eine Rezeption, die es vermag, Stereotype mühelos zu identifizieren und zuzuschreiben, den eigenen Erkenntnis- und Identifizierungsdrang in diese Gewalt nicht inbegriffen sieht, nur weil sie nicht explizit, z. B. durch manifestartige Forderungen, darauf hingewiesen wird. Auch (oder vielleicht gerade) wenn sie in diesem Sinn durchaus weniger schmerzhaft auftreten,30 desavouieren sich in einer

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28 Deshalb macht der Erfolg auf dem Markt Walkers Kunst verdächtig, affirmativ zu sein. 29 Vgl. zur afro-amerikanischen Rezeption der Installationen Barbara Paul: Die Kunst der Parodie, a. a. O. 30 Dies könnte auch mit der sehr speziellen historischen Stellung der japanischen Nation in der Kolonialgeschichte zusammenhängen, die ihr nicht nur eine spezielle Stellung zwischen Orient und Okzident, die Stellung als ein anderes Anderes zuweist. Durch die Entbehrung einer Geschichte der direkten kolonialen Unterwerfung (wenn auch einer der erzwungenen Öffnung des Landes mit als demütigend empfundenen Handelsverträgen) und die Wahrnehmung, dass radikale Modernisierung eine drohende Kolonialisierung verhindern könnte, im Verein mit einer selbst durchaus imperialistisch vorgehenden Außenpolitik, ist der Nation Japan nicht leicht eine lediglich inferiore Stellung zuzuschreiben. Die sich in diesen Zusammenhängen herausbildende Nationalidentität wird im nihon-ron verhandelt, das die Einzigartigkeit Japans als Differenz zum Westen reflektiert. Vgl. zum nihon-ron: Jens Heise: Einleitung, a. a. O., nach der Niederlage im II. Weltkrieg erfuhr Japan eine ähnliche Geschichte einer US-amerika-

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solchen witzigen Verlustigung auch diejenigen repräsentativen Verfahren, die es ermöglichen, Morimura und seine Arbeiten z. B. als Vertreter japanischer Identität, des Spätkapitalismus oder des Postkolonialen 31 auszumachen, da auch hier eine Urteilsstruktur reflexiv verwirrt wird. Erstens verhindert das Spiel mit Ähnlichkeit und Unähnlichkeit einen glatten, logischen Tausch von Zeichen (d. h. seine Absicherung durch die Konventionen legitimierter Vergleiche, Identifizierungen und Ableitungen), wie ihn eine Deutung benötigt, die Kunstwerke als klare kritische Aussagen von Künstler/innen zu deuten sucht, die sich so positionieren. Zweitens ist hierdurch die Gewaltförmigkeit einer abduktiven Identifizierungsund Deutungslogik markiert, welche sich in Rezeptionen, die zwar keineswegs falsch sind oder streng logisch fehlurteilen, lesen lässt. Denn es tritt hervor, dass und wie eine gewisse ›diskursive Dummheit‹ 32 an ihre Grenzen stößt, da sie an der witzigen Strategie ihre Grenze wie Herausforderung findet, so lange sie an der Schließung der Re-Signifizierung von ›Werken‹ und des Exemplarischen von Künstler/innen arbeitet: Ironie und Parodie imitieren ostentativ die ›Politik der Interpretation‹ bei der ›Determination‹ des Kontextes. Dergestalt thematisieren Parodie und Satire die ›Ökonomie des Diskurses‹ auf Seiten des Autors und auf Seiten des Interpreten. Sie sind die Fortsetzung der ›Politik der Interpretation‹ mit anderen Mitteln. […] Durch das satirisch-parodistische Etablieren einer diskursiven Gegenökonomie werden zwei ambivalente, sich widersprechende Tendenzen der Ökonomie des Diskurses entlarvt; zum einen die allesbeherrschende Tendenz zur Optinischen/alliierten Politik der Assimilation wie die Bundesrepublik Deutschland. Die historischen Entwicklungen ab 1945 reflektiert auch Takashi Murakami: Superflat Trilogy. Greetings, You Are Alive, in: Little Boy. The Arts of Japan’s Exploding Subculture, hrsg. v. Takashi Murakami, New York, New Haven u. London: Japan Society u. Yale University Press, 2005, 151–161. 31 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20. 32 »Die eigentliche Ursache ›komischer Effekte‹ ist das abduktive Scheitern – entweder desjenigen, der einen Gedankengang äußert oder desjenigen, der einen Gedankengang interpretiert. Der Grund des Scheiterns ist in beiden Fällen eine Abweichung von der Norm angemessenen Hypothesenaufstellens, und dieser Mangel an abduktiver Kompetenz lässt auf Dummheit schließen.« Uwe Wirth: Diskursive Dummheit. Abduktion und Komik als Grenzphänomene des Verstehens, Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1999, 30. Leitet Wirth so erst den tradierten Zusammenhang von Abduktion und Komik her, problematisiert er sie allerdings in Folge genau auf den darin liegenden normativen Zug hin als Grenzphänomene des Verstehens.

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mierung aller Lebensbereiche, zum anderen der leerlaufende Automatismus der Phrase und des Gemeinplatzes.33

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Nicht nur an Bryson lässt sich – auch gerade aus einer gewissen historischen Distanz heraus – lesen, dass es problematisch ist, zur Optimierung der Politik der Interpretation aus Bildern, die letztendlich stets eine nur konkrete Singularität darstellen, die Verfassung kollektiver Identitäten, das Funktionieren des globalen Kapitals oder ähnliches überhaupt abzuleiten: Der Autor wird zu deutlich zum Gemeinplatz solcher Ableitungen. Statt die Probleme der Abduktion zu lösen, stellt der Witz, egal wie abgedroschen, vor eine reflexive Qual der Wahl: Denn fragt das Bild unentschieden: Welches Schweinderl hätten S’ denn gern? – dann steht ebenso offen: Wie abduzieren? Diese Tendenz teilt Witz mit der Parodie, sofern diese von einer permanenten Ambivalenz gezeichnet ist, welche die Entscheidung über Sinn oder Unsinn so in die Rezeption verlagert, dass reflexiv wird, dass und wie man vor die Wahlpflicht zu Urteilen gestellt ist. Da die konventionelle Sicherung des Sinns wegbricht, wird offenkundig, dass und wie man selbst gerade im Angesicht von Unsinn, ohne feste Kriterien, deren Voraussetzungen dem infiniten Regress ausgesetzt sind, in »eine[r] fließende[n] Ungewißheit der Identitäten […], die ein Gefühl der Offenheit für deren Re-Signifikation und Re-Kontextualisierung vermittelt«,34 gar nicht anders kann, als ohne all diese Absicherungen urteilen zu müssen; – was innerhalb einer dekonstruktiven Ethik nichts anderes heißt, als wirklich zu urteilen.35 Versucht man nicht mehr, die auktoriale Frage: Was bin ich? mit: ›dies oder das‹ (japanisch, westlich, männlich, weiblich, kritisch, subversiv, hybride, nichts davon) zu beantworten, sondern reflektiert vielmehr die reflexive Fraglichkeit des Urteils ohne Kriterien dann geht man auch über von einer Auffassung des Werks als abgeschlossene, auktorial-kompetente Sinn-Performanzen zur Annahme, dass Morimuras Mütter vielmehr ihre Bedeutung performativ riskieren, da sie an die Rezeption ausgesetzt und von ihr abhängig sind. Diese Abhängigkeit reflektiert Judith Butler in Haß spricht, indem sie die Zeile: »Es liegt in Eurer Hand« 36 aus der Nobelpreis-Rede Toni Morrisons verfolgt. Keineswegs fordert 33 Uwe Wirth: Diskursive Dummheit, a. a. O., 340. 34 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 203. 35 »Wenn die Kriterien einfach verfügbar wären, wenn das Gesetz präsent wäre, da, vor uns, dann gäbe es kein Urteil(en)«. Jacques Derrida: Préjugés. Vor dem Gesetz, Wien: Passagen, 1992, 22 f. 36 Vgl. Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin, 1998, 16.

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diese Zeile zur fröhlichen Willkürlichkeit der Auslegung auf. Sie reflektiert vielmehr die Nötigung, eine repräsentierende Sprache anzuwenden. Mit dieser Auslegung antwortet Butler auf die Parabel, die Morisson in ihrer Rede gibt, mit dem Entwurf einer Politik des Performativen, die von einer repräsentierenden Sprache absieht. In der Parabel geht es um Leben und Tod eines Vogels/der Sprache: In der Parabel spielen einige kleine Kinder einer blinden Frau einen grausamen Streich: Sie fordern sie auf, zu raten, ob der kleine Vogel, den die Kinder in der Hand halten, lebendig oder tot ist. Die blinde Frau antwortet, indem sie die Frage zurückweist und verschiebt: ›Ich weiß es nicht, doch ich weiß, daß es in Eurer Hand liegt. […] Es liegt in Eurer Hand.‹ 37 Diese Parabel der Ver-Antwortung zeichnet Witze oder Streiche zugleich als ernste Sache aus. Denn da Butler den Vogel in Anschluss an Morrison als Metapher der Sprache liest, ist mit ihm zugleich das Leben und die Handlungsfähigkeit der Menschen als sprachliche Wesen gefährdet. Wenn die repräsentierende Sprache die Entscheidung/Autorität über Leben und Tod eines Anderen aufnötigt (ein Spiel mit der Blindheit der Genötigten), kann dies nur dadurch gelöst werden, dass man sich, aber anders, entscheidet, Ver-Ant-Wortung reflexiv weiterzugeben: »Es liegt in Eurer Hand« 38 – denn diese Antwort markiert sowohl diese Verantwortung als auch die Weise der Nötigung, ohne Verantwortung aufzugeben. Verlangt der Witz das »Weitererzählen«,39 dann, da das Lachen ein Urteil darstellt, das, indem es Zweifel auslöst, konventionali37 Ebenda, 16. Diese Nötigung tritt durchaus grausamer auf als Morimuras Mutterwitz, und die Analogie ist durchaus eine strapaziöse, insofern es Butler um eine real körperlich verletzende Drohung geht, die der Frau eine Verantwortung über Leben und Tod aufnötigt. Am Leben des Vogels hängen auch das der Handlung und der Sprache sowie der Beteiligten. 38 Vgl. Judith Butler: Haß spricht, a. a. O., 16. 39 Insofern sprengt hier auch die Logik des Witzes das Werk. Der Witz entfesselt sich eher als eine Form der Fraglichkeit, die immer wieder in die Verantwortung setzt. Recht vergeblich ist es, dabei im Witz die inhaltliche Bestätigung zu suchen: »Der Witz vollendet sich, entgegen Freuds Annahme, gerade nicht zwischen der ersten und der dritten Person. [D. h. in die Bestätigung des Urteils durch den Lachenden, dem der Witz weitererzählt wird, bzw. in einer abschließenden Bewegung von Produktion zu Rezeption, M. F.]. Vielmehr beginnt er – spielendes Urteil – den spielenden Prozeß des Erzählens. Immerfort muß er weitererzählt werden, einem anderen und wieder einem anderen, da immer ein Zweifel bleibt, da derjenige, der gelacht hat, sich von immer noch

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sierte Urteile (Vernunftsurteile, konventionelle Sinn- und Zeichenbezüge, institutionalisierte Konventionen und als gesichert geltendes Wissen, von Re/Signifizierung und Re/Kontextualisierung) ebenso aussetzt wie es zeigt, dass man an diese ausgesetzt ist, dann agiert er damit innerhalb einer Ver-Ant-Wortung als Frage nach dem Überleben. Er impliziert eine dekonstruktive Ethik der Gabe zwischen Fraglichkeit und Verantwortung, als Nötigung zum Erzählen/Signifizieren wie als Not des Erzählens/Signifizierens, die keineswegs lustig und autoritativ aus dem Nichts anheben kann. Not des Erzählens erweist sich als von dieser Duplizität betroffene Re/Signifizierung und Re/Kontextualisierung, die selbst an die Chancen und Unwägbarkeiten der eigenen Tradition wie Weitertradierung ausgeliefert ist. Insofern deutet die Parodie als witzige Praxis auf eine Denaturalisierung des Zeichens, dem, da es nicht-ursprünglich auf Wiederholung basiert, veränderliche Einsätze möglich sind.40 Mit der Unmöglichkeit einer Versicherung des Kontextes von Äußerungen/Sprachhandlungen/Performativa ist die witzige Praxis zugleich in die Unkontrollierbarkeit ihrer Effekte gestellt. Deshalb ist hier nicht allein eine andere, prekäre Politik, sondern auch eine andere Ethik des Performativen erforderlich. Eine ›Wendung des Bezugs‹ 41 müsste nicht nur Alterität an anderen Orten lokalisieren als in differenten Subjekten, Kulturen, Bildbegriffen, jedwedem Neuen, Ethnien, Geschlechtern, Identitäten, Personen. Es müsste möglich sein, sich anders zu Alterität zu verhalten, als sie (sei es als Ähnlichkeit, sei es als Anderes) auszudeuten, mit Namen zu belegen, zu integrieren. Sprich: Es wäre weder ›über‹ das Fremde zu sprechen, um es zum Objekt des Wissens zu machen, noch ›für‹ es, an seiner Stelle.42 All dies hieße nämlich, Alterität zu tilgen, da sie so einem Erkenntnisanspruch untergeordnet ist, der ihr vorausgeht. Der unbändige Widerstand des Witzes gegen Erklärung, der sich ausgehend von Mother (Judith II) entfesseln lässt, verweist auf Beharren, das wiederum darauf hindeutet, dass da immer noch etwas, etwas Anderes, im Spiel sein könnte, als das, was bisher benannt wurde. Um den Bezug zu wenden, hat deshalb Dieter Mersch vorgeschlagen, vom Anderen zu sprechen. Dies bedeutet, von seiner Irrieinem anderen sein Urteil bestätigen lassen muß.« Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O., 21. 40 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O. mit Bezug auf Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O., 15–45. 41 Dieter Mersch: Die Frage der Alterität, a. a. O. u. ders.: Vom Anderen reden, a. a. O., 27–45. 42 Vgl. Dieter Mersch: Vom Anderen reden, a. a. O.

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tation auszugehen, von einer Irritation her, der lediglich über Spuren zu folgen ist. Wiewohl anwesend, zeigt sich Alterität nämlich nur in den Spuren der Störungen, die es auslöst. Insofern greife ich hier auch zum Terminus der Signaturen der Alterität: Denn die gesamte Fiktion des Autors, den die auktoriale Signatur zu versichern hat, wendet sich durch ein Auftreten der Alterität. Hier bietet die Signatur, die als Einschrift des fecit des Künstlers, als Spur seiner Identität und nicht zuletzt als Inskription seiner abschließenden Verfügungsmacht sowie die Inskription dieser Verfügungsmacht nach der Entlassung des Werks, tradiert ist, eine spezielle Wendung. Sie ist nämlich (vielleicht mit einiger Ironie) auch genau derjenige Ort, an dem das Erscheinen einer Alterität diesen Anker der kunstwissenschaftlicher Deutungs-, Kritik- und Zurechnungsverfahren umwendet. Spricht man ausgehend von einem solchen Erscheinen der Alterität, ist Alterität weder einer Herrschaft des Sinns wieder zu unterstellen, noch können künstlerische Arbeiten weiter als Werke verstanden werden, die dem Bedarf nach handlungsfähigen Subjekten, die sich erfolgreich in Selbst-Performanzen zu setzen und ein Feld zu beherrschen vermögen, vorbildlich und kompetent antworten.43 Dabei ist im Witz mehr im Spiel als dass er die Logik diskursiver Gewalt innerhalb von Bedeutungsproduktionen durch eine Anökonomie der dekonstruktiven Ethik des Urteils reflexiv macht. Denn nicht nur ist angezeigt, »daß man der Pflicht zu urteilen nicht entgeht«,44 sondern es tritt im Witz etwas anderes auf, »die Differenz«,45 »ein Nicht-Identisches«,46 eine Alterität im verbindend/trennenden Balken zwischen Signifikant/Signifikat oder dem Gleichheitszeichen zwischen ›A‹ und ›B‹.47 Wenn bei Elisabeth Strowick dem Witz ein psychoanalytisch und sprachtheoretisch interessanter »›schöpferische[r] Funke‹ der Metapher entspringt«,48 43 Judith Butler: Haß spricht, a. a. O., 44 Elisabeth Strowick: Lach’s mit Mayonnaise, a. a. O., 20. 45 Ebenda, 18. 46 Ebenda. 47 Dies macht den Witz zur Sache eines konstellativen Verfahrens. Vgl. zum konstellativen Verfahren Marianne Schuller: Zur Grenze. Vorwort, in: dies.: Moderne. Verluste. Literarischer Prozeß und Wissen, Basel u. Frankfurt am Main: Stroemfeld/Nexus, 1997, 7–11, 10 f; sowie Elisabeth Strowick: Passagen der Wiederholung, a. a. O., 3. Beide beziehen sich auf Walter Benjamin: Erkenntniskritische Vorrede, in: ders.: Ursprung des Deutschen Trauerspiels, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, 9–39. Das konstellative Verfahren kennzeichnet den Obigen zufolge auch die Inskription der Nachträglichkeit der Erkenntnis. Vgl. zur Konstellation auch die Einleitung hier, 30 f. 48 Ebenda. Strowick zitiert Jacques Lacan: Das Drängen des Buchstabens im

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dann wären mit Bezug auf die Frage danach, wie Kunst eine wirklich grundsätzliche Verstörung einer hauptsächlich diskursiven, kunstwissenschaftlichen Bedeutungsproduktion anstoßen könnte, die hierbei involvierten medialen und aisthetischen Strategien auch anders zu denken. Zwar zeigt diese differenztheoretische Konzeption des Witzes, dass er ein Drittes auftreten lässt, das selbst nicht als Differenz zu identifizieren ist. Doch entspringt dies noch einer Grundvoraussetzung: bisher dachten alle angeführten Theorien des Witzes ihn von der Sprache aus. Wenn eine witzige Störung in einem Zwischen operiert, in dem das Andere nicht intelligibel wird, sondern erscheint, da sich in einer identifizierenden Ähnlichkeit die Fugen oder Brüche zwischen den darin involvierten Kompetenten und Verfahren auftun, dann ist dies noch einmal von der Frage nach dem Medialen her aufzunehmen. Als Verkleidungsspiel bedient sich der Witz der Ähnlichkeit, ein Aspekt, der traditionell dem Bild zugesprochen und als Teil seiner Referenzfähigkeit diskutiert wurde.49 Eigentlich zumeist als Sprachfertigkeit gedacht, operiert der Witz nämlich gar nicht rein sprachlich, sondern vielmehr transmedial: Ähnliche Wortbilder fallen ihm in der radikalen Ver-Wendung ihrer sinngemäßen Unterscheidung oder Herkunft ebenso zum Opfer wie ähnliche Wortklänge. Der Witz zeigt hiermit, dass Sprache mehr als sinnige Verkettung von Zeichen ist, da sie auch klingt und aussieht, ohne dass dies notwendig zeichenhaft wäre oder auf Sinn zielt, wiewohl für Sinn konstitutiv ist: Sprache muss gehört und/oder gesehen werden, bevor Sinn oder auch nur Referenz entsteht, und dies ist keineswegs akzidentiell, vielmehr führt es einen grundlegenden Riss in die Operationen der Bedeutung ein, die diese Aspekte der Materialität und Medialität üblicherweise als störendes oder zu vernachlässigendes Beiwerk ›unsichtbar‹ zu machen suchen.50 Der

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Unbewußten oder die Vernunft seit Freud, in: ders.: Schriften, Bd. 2 II, Olten und Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag, 1975, 17–55, 32. 49 Georges Didi-Huberman hat an Batailles Arbeit in der Zeitschrift Documents einen morphologischen Umgang mit dem Riß zwischen konstellierten Bildern als Umgangsweise nachgewiesen, die auf eine Erkenntniskraft des Bildlichen jenseits der Ähnlichkeit als Übereinstimmung zielt, welche in formloser Ähnlichkeit versucht, »die Ähnlichkeit zu zerreißen«. Georges Didi-Huberman: Formlose Ähnlichkeit oder die Fröhliche Wissenschaft des Visuellen nach Georges Bataille, München: Fink, 2010, 21. Batailles Umgang mit der formlosen Ähnlichkeit als »Werkzeug einer radikalen […] Wahrnehmung des Unterschieds« (ebenda, 95) ließe sich mit dieser Produktivität der Ähnlichkeit analogisieren, er zielt dabei jedoch, Didi-Huberman zufolge, auf eine andere Sinnhaftigkeit, nicht auf einen Ohne-Sinn oder Un-Fug, die sich dem Sinn-Primat selbst verweigern. 50 Vgl. dazu Dieter Mersch: Einleitung: Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O., 12.

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für Strowick sprachtheoretisch interessante schöpferische Funke indiziert dann nicht nur den Störfall einer identitätslogischen Sprache, die zur Sicherung des Sinns die Differenz ignoriert. Diese identitätslogische Sprache schert sich in Negation von Mitchells Diktum, alle Medien seien »mixed media«,51 auch nicht um den jeweilig unterschiedlichen Klang, die unterschiedlichen Formen und die unterschiedliche räumliche Anordnung von A und B. Der Witz weist über die Krise der Bedeutungsproduktion jedoch auf solche Eigenlogiken von medialen und ästhetischen Strategien hin, welche als Grundlage von Bedeutungsproduktion und Kommunikation nicht notwendig zu ihrem Sinn beitragen. Vielmehr verschlingen sich disparate mediale, ästhetische und epistemische Strategien in chiastischen Konstellationen, deren Fugen im Un-Fug auf brechen, womit sowohl die Strategie der Verfugung reflexiv wird als auch die jeweiligen medialen Eigenlogiken und Aisthetiken erscheinen (siehe auch C Ver/Handlungen von Signifikanz). Gezeigt ist so auch (auch durch Morimuras Mütter), dass Bilder allein dadurch bedeuten können, dass sie als Zeichen gebraucht 52 und mit anderen Bildern verkettet werden. Werden Bilder als Zeichen gebraucht, dann vermögen sie jedoch nur vor dem Hintergrund einer Arbitrarität der Zeichen, für die eine Konvention erforderlich ist um Eindeutigkeit zu erzeugen, zu verweisen. Da Bilder hierbei im Gegensatz zur Sprache vermehrt durch Ähnlichkeit (und nicht durch einen Code) untereinander, wie durch Referenten verknüpft werden, besteht das Problem, dass Ähnlichkeit selbst keine sichere Sache, sondern ein vage Zuweisung und zudem ein höchst schwammiger Begriff ist. Ähnlichkeit muss jeweils einzeln zugewiesen/entschieden werden, ohne feste Kriterien, aber auch nicht ohne Konventionen: Ähnlichkeit impliziert und benötigt immer eine Unentschiedenheit: Un/Ähnlichkeit. Ansonsten wäre die Aufnahme Lembkes in den Kulissen von Was bin ich? (Abb. 38) problemlos als ebenso legitime Vorlage von Mother (Judith III) zu lancieren, wie eine Judith-Darstellung von Lucas Cranach des Älteren. 51 »[T]he interaction of pictures and texts is constitutive of representation as such: all media are mixed media, and all representations are heterogeneous; there are no ›purely‹ visual or verbal arts, though the impulse to purify media is one of the central utopian gestures of modernism.« W. J. T. Mitchell: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago/London: The University of Chicago Press, 1994, 5. 52 Dass dies eine Frage des Gebrauchs und weniger ihrer Medialität ist, zeigt u. a.: Lambert Wiesing: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005. Auch ein Buchstabe wäre außerhalb dessen wohl eher nur eine Visualität.

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Indem der Witz ein Anderes des Sinns im Auseinandertreten von medialen, diskursiven und ästhetischen Strategien freilegt, deutet er gleichermaßen im Vollzug eines Zeigens auf die Kontingenz und Konventionalität von Sinn wie auf die unbeherrschbare Eigenlogik von medialen, diskursiven und ästhetischen Strategien hin. Der Witz stellt darin nicht nur eine bestimmte Störung (innerhalb) einer Performativität der Bezeichnung dar, sondern er pocht (gleichsam dadaistisch) auf den »›Ohne-Sinn‹« 53 aisthetischen Ereignens.54 Der Ohne-Sinn geht der Signifizierung voraus, setzt ihr einen Widerstand entgegen und nötigt zugleich zur Antwort, ohne sich den Chancen der Re-Signifizierung und Re-Kontextualisierung zu beugen oder als Referent (wieder)einsetzbar zu sein. Als Ereignis ist dies ›Präsent‹ nicht nur im Sinne einer unendlich aufschiebenden Ethik der Gabe,55 sondern das singuläre, un(aus) tauschbare Widerfahrnis des Anderen, eine Alterität.56 Das Verhältnis von Ohne-Sinn, Medialität, Materialität wird in Aufgabe: Aus/Setzung mit Blick auf die Konsequenzen für eine Ethizität der Performativität in der Kunstwissenschaft wieder aufgegriffen. Was zeigt nun die ausgiebige Wendung des Mutterwitzes für die Frage der Alterität? 1. Mit Morimuras Reihe Mother (Judith) ist es möglich, einen unsinnigen Mutterwitz zu entfesseln, der als epistemische Verwirrung die Regularien der kunstwissenschaftlichen Sinnbildung erschüttert. Hiermit wird reflexiv, dass die Notwendigkeit besteht, einen intelligiblen Autor zu identifizieren, der als identifizierter Enuntiationsort die Verortung von Stilen, Ikonographien und Bildvorlagen erst ermöglicht. In Norman Brysons: Mother (Judith II) gibt z. B. die Identifizierung des Autors der Deutung ihr Zentrum und ihre Regel; zugleich wird jedoch eine Störung sichtbar, die gerade am Versuch, ›den Autor‹ zu verorten, einsetzt. Für solche Störungen scheinen Ambivalenzstrategien und Unsinnswitze besonders dienlich, da durch das Fehlen von Sinn, Verständlichkeit oder Eindeutigkeit die investigative Klärung des Sachverhalts herausgefordert und zugleich zum Scheitern gebracht wird. 53 D. h. ein »›Ohne-Sinn‹ der Kunst, was nicht Unsinn bedeutet.« Hans Arp: Unsern täglich Traum, a. a. O., 50. 54 Dieter Mersch: Kunst und Sprache, a. a. O., 41–59, 43. 55 Vgl. dazu Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit geben I, München: Fink, 1993. 56 So betont Dieter Mersch im Anschluss an Lyotard, eine »Rolle der Aisthesis, […] im Modus auratischer Widerfahrnis, die sich in dem Maße angehen oder ansprechen läßt, wie der Blick oder das Ohr von einem Anderen her ergriffen wird.« Dieter Mersch: Das Entgegenkommende und das Verspätete. Zwei Weisen, das Ereignis zu denken: Derrida und Lyotard, in: Im Widerstreit der Diskurse, hrsg. v. Dietmar Köveker, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, 2004, 69–108, 106.

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2. Im Spiel mit Ähnlichkeit stört der Mutterwitz die Tauschlogik des Zeichenmodells. Er weist auf das Insistieren von Differenz gegenüber dem trennend-verbindenden Slash/Balken zwischen Signifikant und Signifikat. Kenntlich wird so, dass der Gebrauch von Bildern als Zeichen zwar die dominante Umgangsweise mit Bildern ist. Dass im Mutterwitz das Bild als eindeutiges Zeichen ›versagt‹, zeigt über die Störung seiner ›Inhalte‹ hinaus, dass dies keineswegs alles ist. Das Bild wird ersichtlich zu etwas anderem als lediglich zu einem Zeichenprozess: Es ist selbst eine Alterität, die widerfährt. 3. Hiermit treten epistemische, ästhetische und mediale Praktiken gerade durch den witzigen Abzug des Sinns als eigenlogische Strategien hervor. Sie sind weder miteinander identisch noch mit Sinn. Dieses Hervortreten stört eine epistemische Logik, die Sinn dadurch produzieren möchte, dass sie eine Intelligibilität von Autor und Werk voraussetzt, die an Kunst ablesbar sei. Dass diese Irritation zu einem Zeitpunkt auftritt, an dem sich ein neues euroamerikanisches Interesse an nicht-euro-amerikanischer Kunst, die Etablierung postkolonialer Kritik und eine vermehrte Teilnahme nicht-euro-amerikanischer Künstler/innen am Kunstbetrieb verbinden, setzt sie in engen Bezug zu Fragen der Intelligibilität ›anderer‹ Künstler/innen und Werke mittels ›ihrer kulturellen‹ Differenz.57 Insofern tritt im Witz Alterität mit und gegen solche Differenzbildungen auf Kosten von Kunst und Künstler/innen auf. 4. Im Witz entfesselt sich eine Fremdartigkeit/Alterität des Bildes, die nicht in kulturelle Differenz zu verrechnen ist, sondern seine eigenlogische Strategien entbirgt, die, Ohne-Sinn, stets entzogene Grundlage wie Auslöser von Sinnbildungen, wenn nicht die Nötigung dazu, darstellen, ihnen aber prinzipiell entzogen bleiben. Der Blick des Anderen in Mother (Judith II) artikuliert so nicht einfach eine japanische, kulturelle Differenz, die bereits etwas bedeuten würde. Vielmehr gibt die Arbeit Mother (Judith II) mit ihrem eindringlich persistierenden Starren nicht nur den Blick des Künstlers oder den Blick seiner Kultur zurück. Sondern es starrt parallel zum erratischen Starren der japanischen Anderen – das Bryson ebenso umtreibt wie es ungeklärt bleibt – (nicht nur) im artforum eine persistente Sperrigkeit des Bildes auf seine fehlgehende Über57 Die Intelligibilität des Unterschieds ist für die Kunstwissenschaft zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Motivebene erschwert. Denn ein Denken kultureller Unterschiede war durch die These von der postkolonialen oder globalisierten vermehrten Vermischung von Kulturen so unterlaufen, dass die Verortung von Stilen, Ikonographien und Bildvorlagen in raumzeitlichen kulturellen Ursprüngen zweifelhaft wurde.

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setzung in Sinn. Das Bild gäbe jenseits des Sinns den Blick. Genau in diesem Entzug oder Aussperren des Sinns läge sein Geschenk; das Geschenk einer Irritation durch Alterität, von der aus zu sprechen wäre, indem man sich ihr negativ, durch Umschreibung, der von ihr ausgelösten Störungen annähert. 5. In der Aussetzung von Kriterien ›setzt‹ der Witz einen epistemischen Zweifel aus, nämlich den der Fraglichkeit des Urteils: »Wie urteilen?« 58 Denn nicht nur ist der Aufenthalt in einer Drehtür permanenter Unentschiedenheit eine hochgradig unlustige und unbequeme Angelegenheit,59 sondern umgekehrt: Dem Urteil ist ebenso wie der Sinnbildung nicht zu entgehen. Der Witz zeigt in monströser Weise eine Unmöglichkeit des Urteilens und zugleich die Pflicht zu urteilen. Dadurch ›ver-setzt‹ der Mutterwitz in eine Ethik, die als weitererzählende Antwort auf eine Alterität, die als ihr Ohne-Sinn vorausgeht und den Sinn stört, zu reagieren hat. Der Witz erfordert eine Rezeptions-Ethik des Performativen. Diese hat weniger die Frage subjektiver Handlungsmacht und Identität zu klären, indem sie sich auf eine Kriminalistik des Autors und auktorialer Akte richtet. Eher geht sie auf eine Verantwortlichkeit, die der Gewalt repräsentativer Sprache Rechnung trägt, indem sie beginnt, darauf zu reflektieren, dass es (auch) in ihrer Hand liegt. 6. An die Stelle einer Werkästhetik tritt eine Ästhetik des Performativen als eine Produktionsästhetik. Sie erhält ihre besondere Sprengkraft durch eine »Wendung des Bezugs« auf die Frage der Alterität. Keineswegs ist hiermit Alterität mit kultureller und geschlechtlicher Differenz zu identifizieren. Alterität meint vielmehr einen permanenten Stachel des Fremden,60 der in keiner Vereindeutigung aufgeht. Alterität tritt demzufolge weder auf als Konstruktionen des Anderen noch als différance, die von der Struktur des Zeichens her denkt. Denn Alterität wäre so bereits wieder in Sinn umgemünzt. Dies würde nämlich z. B. der Kunstwissenschaft ermöglichen, im steten Tausch zwischen Konstruktionen des Anderen und ihrer differentiellen Verschiebung, immer weiter in guten Geschäften die Anderen und ihre Verschiebung als Zeichen

58 »›Wie urteilen?‹ da man ohne Wissen, ohne Sicherheit, ohne Vorurteil mit der Frage beginnen muß: ›Wie urteilen?‹, ist die Abwesenheit eines Kriteriums das Gesetz, wenn man so sagen darf. Wenn die Kriterien einfach verfügbar wären, wenn das Gesetz präsent wäre, da, vor uns, dann gäbe es kein Urteil(en)«, Jacques Derrida: Préjugés, a. a. O., 22 f. 59 Paul de Man: Autobiographie als Maskenspiel, in: ders.: Die Ideologie des Ästhetischen, hrsg. v. Christoph Menke, Frankfurt am Main 1993, 131–146. 60 Bernhard Waldenfels: Der Stachel des Fremden, a. a. O., u. ders.: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, a. a. O.

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zu tauschen. Alterität erscheint vielmehr genau an denjenigen Rissen und Brüchen von Sinnbildungen, in denen sich das Ineinandergreifen diskursiver, epistemischer, ästhetischer, medialer Strategien als keineswegs bündige Verkittung erweist, also da, wo der Sinn aussetzt. Alterität sagt folglich nichts, sie zeigt sich, ohneSinn, sie widerfährt, sie hält den permanenten Zeichentausch in der Präsenz des Anderen an, eines Anderen, das nicht im Sinn heimisch werden kann. Alterität zeichnet in diesem Sinne eine Signatur, statt eine Aussage zu geben. Da Alterität sich als »un-füglich« 61 erweist, tritt sie aus dem Zeichenspiel von Identität und Differenz und damit aus Bedeutung und Sinn aus. Sie fügt sich weder dem Sinn oder dem Versuch, sie interpretatorisch im Sinn einzufangen. Sie kann aber auch nicht auktorial, absichtlich, erzeugt werden. Alterität zeigt sich quer zu solchen Verfügungen, sie signiert sie vielmehr durch ihre Störung. Da das Andere demnach lediglich riskiert werden kann, kann es nicht zur Grundlage einer auktorialen Produktionsästhetik genommen werden, geschweige denn in den Dienst der Kanonisierung neuer Subjekte der Kunst oder in den Dienst kultureller oder kollektiver Identitäten gestellt werden. Als ohne-kanonisch Neues ist Alterität nicht zu kalkulieren oder in den Kanon einzuheimsen, ohne sie schon zerstört zu haben. Yasumasa Morimuras Mutterwitz stellt hier den Auftakt, da sich an ihm eine grundlegende Spannung zwischen einer auf kulturelle Differenz gerichteten kunstwissenschaftlichen Sinnbildung und Alterität als permanente Herausforderung des (scheiternden) interpretativen Wissens offenbart, welche die Frage nach der Produktivität von Alterität in der Kunst zu wenden vermag. Eine auktoriale Signatur der Differenz, die eine grundlegende epistemische Strategie der Kunstwissenschaft darstellt, verschränkt sich hier mit Signaturen der Alterität, die der auktorialen Signatur zugleich widerstehen. Dieses Spiel mit einer Duplizität der Signatur erhält seine Relevanz dadurch, dass sie das Wechselspiel zwischen einer Frage der Alterität und der Frage nach der gewaltförmigen Herstellung von kultureller Differenz im kunstwissenschaftlichen Urteil vom Blick auf Medialität und Aisthesis her auf eine Ethik der Alterität wendet. Dazu ist es notwendig, näher zu umreißen, dass und wie die Wissensproduktion der Kunstwissenschaft auf einer auktorialen Signatur basiert, die sie im Bezug auf kulturell differente Künstler/innen mit Alterität vertauscht – und zwar gerade in der postkolonialen Kritik an der Produktion von Differenz. Dies wird nun über die

61 Vgl. zum Unfüglichen: Dieter Mersch: Posthermeneutik, a. a. O., 185.

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Konturierung und Um/Wendung der Signatur als duplizitäre Figur, die in der Kunstwissenschaft zwischen auktorialer Signatur und Signatur der Alterität oszilliert, verfolgt werden (B Signaturen). Dann wird eine weitere ›Lektüre‹ die Frage nach dem Auseinandertreten von epistemischen, aisthetischen und medialen Strategien schärfen (C Ver/Handlungen von Signifikanz), um dies abschließend mit Aufgabe: Aus-Setzungen auf eine Ethik der Alterität zu wenden.

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Trotz des Versuchs, orientalistische Blick- und Deutungsmodelle umzukehren, ist in Brysons Kunstkritik: Yasumasa Morimura: Mother (Judith II) 1 der Künstler zum Repräsentanten einer Identität gemacht, die im Versuch ihrer Auf hebung eine Opposition von ›Ost‹ und ›West‹ und Stereotypisierungen japanischer Differenz re-produziert. Die Kritik und ihr Layout lassen lesen, dass über die Konstitution einer signifikanten Identität des Künstlers die Irritation, welche Mother (Judith II) auszulösen vermag, beherrschbar gemacht wurde, indem sie in kulturelle Fremdheit umgemünzt wurde. Hiermit setzt eine Reflexivität der epistemischen Strategien von kunstwissenschaftlichen Verfahren ein, die auch eine Divergenz zwischen den ästhetischen Strategien der Kunst und den epistemischen Strategien der Kunstwissenschaft aufscheinen lässt. Aus dieser Divergenz, die eine unfügliche Störung zwischen Sagen und Zeigen artikuliert, trat erst Alterität/das Andere des Anderen hervor. Dies ließ eine auf geschlossene Kohärenz drängende epistemische Strategie der Deutung des Anderen als kulturelle Differenz in eine beinahe unzumutbare Leere wie Überfülle laufen, die mit der Unentscheidbarkeit der Parodie und der Unfüglichkeit des Witzes weiter verfolgt wurde. Die kunst/wissenschaftliche Konstitution der kulturellen Differenz Japans und Morimuras wurde sowohl inhärent als auch im Bezug auf Mother (Judith II) problematisch. Im (witzigen) Aushöhlen des Sinns durch das Erscheinen der Divergenzen medialer, epistemischer und ästhetischer Strategien konnte überhaupt erst Alterität auftreten. Alterität erweist sich insofern als etwas anderes denn als kulturelle Differenz, sie schreibt sich vielmehr als Störung epistemischer Strategien ein, ohne in diesen aufzugehen. Spielt man diese kunstwissenschaftliche epistemische Strategie des Subjekts der Kunst gegen eine nur erscheinende Alterität auf, bleibt noch offen, weshalb sie mit dem Begriff der Signatur im Austausch steht.Wer oder was signiert hier wie? Ließen sich die Verwirrungen, denen Teil A nachging, nicht auch mit diskursanalytischen oder kommunikationstheoretischen Studien zur Konstruktion von pluralisierter oder polykontexturaler Autorschaft 2 beschreiben? Warum einen Begriff auf bringen, der Produktionsästhetik, eine signifikante Schriftbildlichkeit im Bild, eine Sichtbarkeit und den auktorialen Abschluss des Werks impliziert? Schließlich verweist die Signatur traditionell auf eine auktoriale Schließung und 1 Norman Bryson: Yasumasa Morimura. Mother (Judith II), a. a. O. 2 Niels Werber u. Ingo Stöckmann: Das ist ein Autor! Eine polykontexturale Auferstehung, in: Systemtheorie und Hermeneutik, hrsg. v. Hank de Berg u. Matthias Prangel, Tübingen u. Basel: Francke, 1997, 233–262.

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Authentizität des Werks durch die Einschreibung des Autors in es. Insofern steht die Signatur als Wahrzeichen der auktorialen Herrschaft über den Sinn von Werk und Rezeption und gerade nicht für eigenlogische ästhetische und epistemische Prozesse jenseits davon. Wie zu zeigen ist, interessiert Signatur genau aus diesem Grund. Denn sie ist zwar als kunst/wissenschaftliche epistemische Strategie der auktorialen Signatur (die Produktion wie Rezeption gleichermaßen anzutreiben vermag) zu verfolgen; jedoch impliziert der Begriff Signatur über die diskursive oder kommunikative Funktion des Autor/Künstlers 3 hinaus das Problem der Eigenlogiken der Medialitäten und Materialitäten der künstlerischen Arbeiten, welche sich der Signifikanz versperren. Denn eine Signatur muss ansichtig werden und materiell ausgeführt sein. Damit geht es um Prozesse, die das Diskursive zwar stets begleiten, jedoch in ihren Eigenlogiken auch stets zugunsten der Diskursivität in den Hintergrund gedrängt sind – eine Tendenz, die rein diskursorientierte Studien zu verstärken drohen.4

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3 Vgl. Michael Wetzel: Autor/Künstler, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 1, hrsg. v. Karheinz Barck, Martin Fontius, Dieter Schlenstedt, Burkhard Steinwachs u. Friedrich Wolfzettel, Stuttgart: Metzler, 2000, 480–544, u. ders.: Der Autor-Künstler. Von der Wiederkehr eines ästhetizistischen Konzepts in der Kunstpraxis der Gegenwart, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, hrsg. v. Martin Hellmold, Sabine Kampmann, Ralph Lindner u. Katharina Sykora, München: Fink, 2003, 229–241. Wetzel betont die Überführung des Urhebers in einen »Organisator ›ästhetischer Prozesse‹«, ebenda, 238. Da er die Verhandlung des Autor-Künstlers als ästhetischen Prozess begreift, setzt er Ästhetik mit Diskursivität gleich. 4 Ähnlich wie in diskursanalytischen Studien der Rezeptionsgeschichte zu Künstler/innen soll an dieser Stelle, wie dies Annette Tietenberg ausdrückt, statt die Opposition von Produktion und Rezeption zu verstärken, »Rezeption, hier zumeist in ihrer schriftlich überlieferten Form, als integraler Bestandteil der Kunst ernstgenommen« werden. Annette Tietenberg: Konstruktionen des Weiblichen. Eva Hesse: ein Künstlerinnenmythos des 20. Jahrhunderts, Berlin: Reimer, 2005, 14. Jedoch werden hier die Operationen der Herstellung diskursiver Positionen nicht nur in den Blick genommen, um diskursimmanent das Funktionieren von Kunst- und Künstler/innen-Diskursen herauszuarbeiten. Begriffe wie ›Mythos‹ oder ›Autorschaft‹ verfolgen auf diese Weise eine reflexive Figur von kommunikativen Prozessen, um bestehende diskursive Figurationen von Autorschaft zu bewegen. Diese Schätzung der Möglichkeiten, mit dem Autor kunstdiskursive Polyvalenzen, oder in kritischer Weise alternative Autorschaften zu erzeugen, verlässt nicht die kunstwissenschaftliche Bedeutungs-Ökonomie der Autorschaft/der auktorialen Signatur. Hier geht es jedoch darum, Alterität nicht allein als polyvalente oder neue Bedeutung in einem geschlossenen autopoietischen oder diskursiven Prozess auftreten zu lassen. Den Begriff des Mythos hat der Band Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert. Beiträge der 6. Kunsthistorikerinnen-Tagung, Tübin-

Mit der Frage nach Signaturen der Alterität interessiert insofern, wie und wo die kunstwissenschaftliche Wissensbildung sich am Ästhetischen auf eine Weise bricht, dass Alterität den kunst/ wissenschaftlichen Prozess zu durchbrechen und damit reflexiv (als Störung) zu signieren/zu zeichnen vermag. Denn nur indem man die Unfüglichkeiten verfolgt, die in und mit den Differenzen von Medialitäten und Materialitäten sowie in und mit denjenigen von kunstwissenschaftlicher Epistemik und Ästhetik erscheinen (z. B. im Widerstreit in der Verknüpfung von Wort und Bild oder von Wort und Ding 5 ), ist überhaupt auf Alterität zu weisen. Alterität meint folglich nichts, was sich in Parametern der innovativen, kommunikativen, kulturellen, postkolonialen oder geschlechtlichen Differenz fassen ließe. Es durchschlägt durch ein Drittes eine auf Differenz beruhende Sinnbildung, die auch in der Aufwertung des differenten Anderen nicht umhinkommt, mit Differenzen Hierarchien neu oder wieder zu installieren. Der naheliegende Einwand gegen das in A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft angedeutete Verfahren einer Umkreisung von Unfüglichkeiten zwischen Kunst und Wissenschaft besagt, dass diese Arbeit doch von einem Künstler handelt, der im euro-amerikanischen Wissensmodell gar nicht umhin kann, kulturelle und geschlechtliche Differenz zu vertreten. Er wäre demnach gerade darin ernst zu nehmen und zu deuten. Dieser Einwand ist keineswegs unberechtigt. Er weist auf eine hermeneutische Ethik des Verstehens des (kulturell) Anderen hin 6 und betont die Relevanz der Deutung von kultureller Differenz und der Autorschaft/des auktorialen Subjekts. Auch dieser Einwand ist über gen, hrsg. v. Kathrin Hoffmann-Curtius u. Silke Wenk, Marburg: Jonas, 1996, vornehmlich im versuchten Anschluss an Roland Barthes’ Mythen des Alltags in die Debatte eingeführt. Vgl. zu dieser Einführung Silke Wenk: Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit, ebenda, 12–27, sowie zum Mythos-Begriff Roland Barthes: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1964. Sabine Kampmanns Kritik, dass hier Barthes’ Konzeption des Mythos unreflektiert appliziert wird, ist zuzustimmen, vgl. dazu dies.: Künstler sein, a. a. O., 6. 5 Dieter Mersch: Einleitung. Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O. 6 Diese Ethik unterliegt den Versuchen einer Einführung von neuen Subjekt/ position/en, z. B. in einer sogenannten Ästhetik der Differenz oder in der hermeneutischen Ethnographie/Ethnologie. Vgl. Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, Bd. 1: Texte, a. a. O. Vgl. zur hermeneutischen Wende der Ethnographie: Eberhard Berg u. Martin Fuchs: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation, in: Kultur, soziale Praxis, Text, a. a. O., 11–108. Vgl. zur Kritik des Verstehens: Dieter Mersch: Gibt es Verstehen? in: Kultur Nicht Verstehen. Produktives Nichtverstehen und Verstehen als Gestaltung, hrsg. v. Juerg Albrecht, Jörg Huber, Kornelia Imesch, Karl Jost u. Philipp Stoellger, Zürich, Wien u. New York: Edition Voldemeer u. Springer, 2005, 109–126.

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die Duplizität der Signatur als Kreuzung von auktorialer Signatur und Signaturen der Alterität zu durchmessen. Diese Verflechtung legt nämlich nahe, dass die Produktivität von Kunst jenseits der gewichtigen Frage nach einer Politik des Subjekts liegt, die sich auf die Produktion eines positiven Wissens vom Anderen richtet und dabei etablierte Erkenntniswege, epistemische Strategien und Sinnbildungen privilegiert. Denn das Recht ›des Autors‹ ist nicht notwendig identisch mit dem der Kunst oder dem der Alterität. Es ist auch nicht identisch mit den Ansprüchen der epistemischen Strategien einer Kunstwissenschaft, die versucht, im Namen einer intelligiblen Differenz der Anderen diese Divergenzen mit der Strategie der auktorialen Signatur identitätslogisch zu verkitten. Betont man nämlich die Divergenzen zwischen epistemischen, medialen und ästhetischen Strategien, erweist sich das Streben nach einer bruchlosen Übersetzung von Kunst in aussagelogische Bedeutung als eine Anästhetik, d. h. als Verneinung des Aisthetischen und als Betäubung der Sinne.7 Diese Um/Wendung des Denkens von Signatur und Alterität kann aufzeigen, dass und wo sich gerade in den Problemen, die Kunst der Rezeption stellt, die Chancen des Anderen liegen können. Kunst vermag durch ihre Herausforderung und ihren experimentellen Charakter 8 eine »Gewahrung eines Anderen« 9 herzustellen, die das Wissen zur Bewegung zwingt, da Intelligibilität ausfällt. Damit wendet sich das Verständnis davon, wo und wie sich Produktionsästhetik abspielt und wem ästhetische und epistemische Strategien zuzurechnen sind, da diese nicht als Sache oder Eigentum eines kompetenten Autors oder in seinem Pendent, der

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7 Diesen Begriffsgebrauch entleihe ich Dieter Mersch. Ich benutze ihn allerdings weniger für die Kritik an der allgemeinen medientechnischen Zurüstung, die das sinnliche, auratische Ereignis des Aisthetischen überlagert, als für die Überlagerung des Aisthetischen durch eine ›sprachtechnische‹ Dominanz, die sich allein für einen propositionalen Gehalt von Kunst innteressiert. Dieter Mersch: Ereignis und Aura, a. a. O., 90–114, insbes. 113 f. Der Drang auf Bedeutung, den die auktoriale Signatur forciert, ist eine Anästhesie. 8 In Bezug auf Kunst, die sich mit der Verbildlichung des Körpers auf die Frage des Geschlechts richtet, schreibt Katharina Sykora, hier fände man eine KunstPraxis »als Experiment mit geregelter Versuchsanordnung, aber mit offenen Ausgang« vor. Katharina Sykora: Verlorene Form – Sprung im Bild. Gender Studies als Bildwissenschaft, in: kritische berichte, Jg. 29 (4/2001), 13–19, 17. Dieses Statement könnte man als ästhetische Performativität der Kunst verallgemeinern, es basiert zudem auf neueren Konzeptionen des forschenden Experiments, vgl. Hans Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. Dazu wäre das Ästhetische in eine Ästhetik des Erscheinens zu überführen, vgl. Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O. 9 Dieter Mersch: Kunst und Sprache, a. a. O., 57.

kompetenten Deutung, aufzufinden sind. Der Einsatz dieser Frage beginnt bei der Problematisierung von Autorschaft/des Autors, ohne die die epistemische Strategie der auktorialen Signatur nicht auskommt, um eine Notwendigkeit zur Um-Wendung des Denkens hin zu Signaturen der Alterität herzuleiten. Signatur erscheint die näherliegende Figur für eine solche Umwendung zu sein als Autorschaft. Sie geht insofern über Autorschaft hinaus, da sie neben dem Nexus Künstler/Subjekt/Werk als Mittel zur Produktion diskursiven Sinns zudem die Frage der Medialität und Materialität von Sichtbarmachung, Ansichtigkeit und Aisthesis 10 aufzuwerfen vermag. Denn die Signatur impliziert eine Divergenz von Sagen, Zeigen und Sich-Zeigen. Indem sich in der Signatur nämlich die »Autor-Funktion« 11 (zwischen Deutungspragmatik und auktorialer Produktion) mit der Notwendigkeit kreuzt, dass die Signatur als materieller Zug und Spur eines Akts, des Zugs, im oder am Werk sichtbar wird, ist im Begriff der Signatur die Abgeschlossenheit eines Spiels der Bedeutungen, die der reine Fokus auf Autorschaft suggerieren mag, durch diejenige Medialität und Materialität durchbrochen, welche diesen Zug in eine Sichtbarkeit überführen. Signatur fragt nicht nur nach Autorschaft, sondern auch nach dem Erscheinen von Sichtbarkeit. Denn die Signatur muss, damit überhaupt das Spiel der Bedeutung ansetzen kann, als Schriftbildlichkeit in einer speziellen Anordnung in einem Bild sichtbar werden, wobei dies eben nicht dasselbe ist wie das Spiel der Bedeutungen. Somit signieren Signaturen der Alterität gleichsam die kunstwissenschaftliche Produktion von Wissen, welche sich (ebenso wie viele Künstler/innen) der auktorialen Signatur bedient um Bedeutung zu konstituieren. Insofern ist die Funktionalität des Autorsujets für die epistemische Praxis der auktorialen Signatur oder Funktion Autor zu verfolgen. Daran interessiert neben der Anästhesie die Gefahr, dass und wie durch die Konzeption von auktorialer Differenz als Alterität eine hierarchisierende Subjektivation von Künstler/innen re-produziert wird. Denn in der Reflektion auf die kulturell differente Position von Künstler/innen ist die Figuration dieser Kunstproduzierenden als kulturelle Exemplare in einer Weise vorausgesetzt und festgelegt, die einer Ökonomie der Wissensproduktion dient. Selbst ihre sinnliche Ansichtigkeit erscheint dort nämlich als »(Be-)Deutungsgewinn«.12 Die Persistenz einer als kulturelle 10 Bei diesem Begriff stütze ich mich hauptsächlich auf Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O. 11 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015. 12 Karin Gludovatz: Malerische Worte, a. a. O., 315.

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Differenz produzierten auktorialen Signatur ist zum einen daraufhin zu befragen, inwieweit sich neben der Subjektivation und Hierarchisierung der sujets (als Themen wie Subjekte) eine Anästhetik ausmachen lässt, die Kunst zum bloß zeichenhaften oder diskursiven Verschieben von Signifikaten im Namen des Subjekt(sujet)s macht. Zum anderen stellt sich die Frage nach der notwendigen Um-Wendung von Begriffen und Instanzen, die die Signatur neben der Frage nach dem Autorsujet impliziert, nämlich die nach dem Ort und der Bedeutung von Strategien, danach, was denn dann signiert bzw. was eine Signatur der Alterität im Gegensatz zur auktorialen Signatur sei, sowie nach der Rolle, die Kunstproduzierende überhaupt noch für Kunst und Kunstwissenschaft einnehmen. Nicht zuletzt ist die Frage nach dem Verfahren und dem Wert der Ausdeutung, die man mit einer Frage nach Signaturen der Alterität vorzunehmen vermag, gestellt. Die Signatur ist duplizitär. In Folge werden die Ansprüche und Effekte der auktorialen Signatur, ausgehend von der poststrukturalistischen Kritik an ihr, von mehreren Seiten umstellt werden: Als Deutungsökonomie, als Versprechen des Subjektsujets, als Restitution auktorialer Ansprüche, als Artikulationsfeld kultureller Differenz. Die auktoriale Signatur vermag es, zwischen unterschiedlichen interdisziplinären Feldern (z. B. Kunstwissenschaft, Postkolonialismus, Ethnographie, Ethik) zu vermitteln. Im Spiel von Entdifferenzierung und Differenzierung, das sie auf höchst unterschiedlichen Ebenen des Politischen (z. B. praktisch, juridisch, bedeutungspolitisch, bezogen auf Anerkennung des oder Verantwortung für die Anderen) auslöst, zeigt sich die Produktivität der auktorialen Signatur nicht nur darin, dass sie diese Heterogenitäten auf ein Zentrum unifiziert. Sie sorgt auch dafür, dass dieser Anspruch in den Stimmen der Anderen eine Adresse erhält und spielt diesen Anspruch an diese Adresse zurück. Auch wenn nun ein theoretisches Problem umkreist wird, wird das bisher praktizierte konstellative Verfahren nicht aufgegeben. Vielmehr werden in Folge neuere Kritiken und Auferstehungen des Autors diskutiert, um dort die wissenspolitische Effektivität der auktorialen Signatur zu verfolgen. Im Kreisen um die Ökonomien, mit denen die auktoriale Signatur verfolgt wird, geht es weiterhin darum, jeweils die Widerstände des Anderen auszumachen, die diese Ökonomie als reduktiven Prozess markieren. Das Umkreisen der verschiedenen neueren Ansätze zur Autorschaft stellt so in gewisser Weise auch die un/ermüdliche zirkuläre Struktur eines Identitätsdenkens der auktorialen Signatur nach, um durch die Frage nach der Duplizität der Signatur auszumachen, wo und wie in diesen Theorien die Frage der Alterität gegenzeichnet.

1. Autor/Künstler

Es soll hier keine vollständige Geschichte oder Theorie von Künstlertum und Autorschaft geschrieben werden. Vielmehr soll an neueren Theorien von Autorschaft eine ökonomische Effizienz verfolgt werden, die in der Pragmatik der auktorialen Signatur für die Produktion von Wissen über Differenz liegt. Da nach Michael Wetzel Autorschaft und Künstlertum seit der Moderne im Autor/Künstler parallel laufen,1 sollen im Ausgang von der Kritik an dieser modernen Überschneidung die Debatte um den sogenannten Tod des Autors 2 beleuchtet werden. Von dort aus lassen sich Schlaglichter auf aktuelle Proklamationen der Rückkehr, 3 Wiederauferstehung 4 oder Unverzichtbarkeit 5 des Autors werfen. Denn der Nachweis der zirkulären Denkfigur, die auch denjenigen Analysen unterliegt, die Autorschaft als diskursive Identitäts- und Subjektreflexion fassen, begründet die Notwendigkeit zur Um/Wendung der Frage zu Signaturen der Alterität. Zu Recht kann man gegen die Überschneidung von Autor/ Künstler einwenden, dass sie, wie viele gegenwärtige kunstwissen1 Michael Wetzel: Autor/Künstler, a. a. O. 2 Roland Barthes: Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hrsg. v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko, Stuttgart: Reclam, 2000, 185–193. 3 So titelt der Sammelband: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, hrsg. v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko, Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1999. Eine Rückkehr des Autors proklamiert außerdem Doris Bachmann-Medick gerade in Bezug auf postkoloniale Literatur. Vgl. Doris Bachmann-Medick: Rückkehr des Autors? Literatur und kulturelle Autorität in der interkulturellen Kommunikation, in: Essays in Honour of Irmela Hijiya-Kirschnereit on the Occasion of her 60th Birthday, hrsg. v. Judit Árokay, Verena Blechinger-Talcott u. Hilaria Goessmann, München: iudicium 2008, 325–339. 4 Siehe Niels Werber u. Ingo Stöckmann: Das ist ein Autor!, a. a. O. 5 Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler. Ideenund Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln: Deubner, 2007, 177 f.

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schaftliche Debatten, den Begriff ›Autor‹ ungenau verwendet.6 Jedoch hat diese Unschärfe hier die Pointe, aufzuweisen, dass Autorschaft und Künstlertum sowie die jeweils hiervon aus entwickelten Aspekte und Differenzen weder leicht noch ohne ›Verlust‹ in saubere analytische Kategorien zu zerlegen sind. Es scheint genau in dieser Unschärfe nämlich strategische Stärke der auktorialen Signatur zu liegen, diese Momente zu vermitteln. Es ist deshalb weniger eine undifferenzierte Unschärfe analytisch auszumerzen, vielmehr sind die Funktionalität dieser Unschärfe und ihre Effekte im Wissen zu verfolgen. Als sich Ende der 1960er Jahre im französischen Denken aus der Kritik am Subjekt eine Kritik des Autors bzw. der »Autor-Funktion« 7 entwickelte, waren dies keineswegs die ersten Versuche, die Kategorie Autor/Künstler genauer in Bezug auf die Konstitution von Wissen und in Bezug auf Motive der Autorschaft zu reflektieren.8 Nichts hat jedoch die Debatte um Autorschaft mehr mit einem Schlagwort versehen, als der Titel von Roland Barthes’ Essay Der Tod des Autors,9 den Michel Foucault mit der Frage seines Vortrags Was ist ein Autor? 10 keineswegs unkritisch beantwortete.11 Diese Kritiken an der Funktion, die der Autor ausübt, hat

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6 Vgl. Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., 23. 7 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015. 8 In der Kunstwissenschaft gilt Ernst Kris’ und Otto Kurz’ Die Legende vom Künstler als früheste, soziologisch orientierte, Analyse. Vgl. dies.: Die Legende vom Künstler, a. a. O. Der russische Formalismus untersuchte ebenfalls soziologisch den zunehmenden Selbstdarstellungs- und Biographisierungsdruck auf Schriftsteller. Vgl. z. B. Boris Tomaševskij: Literatur und Biographie, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, a. a. O., 49–64; u. Jan Mukařowský: Die Persönlichkeit in der Kunst, ebenda, 65–79. Die Biographie erwies sich ihm als Distinktionsmerkmal im expandierenden Literaturmarkt wie auch als Formierung des Lebens der Schriftsteller – das Leben selbst hatte zum Werk resp. werkförmig zu werden. Zudem trat mit der literaturwissenschaftlichen Reflexion auf den Erzähler eine analytische Trennung von Erzähler und Autor auf den Plan. Vgl. z. B. Wayne C. Booth: Der implizite Autor, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, a. a. O., 142–152 u. Gerard Genettes Differenzierung von Autor, Stimme und Erzähler in: ders.: Stimme, in: ders.: Die Erzählung, München: Fink, 1994, 217–267. Dies fand sein Gegenstück in moderner Literatur. Gemein ist diesen Bestrebungen, die Kohärenz von Werk, Autor und Erzähler praktisch oder theoretisch zunehmend genau dort zu problematisieren, wo sie sich am deutlichsten zu konzentrieren versprach. Vgl. zum Forschungsstand zur Autorschaft in Literatur- und Kunstwissenschaft: Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., 23–69. 9 Roland Barthes: Der Tod des Autors, a. a. O. 10 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O. 11 Diese Attraktivität mag aus der Einbettung von Subjekt und literarischem ›Objekt‹ in ein übergreifendes Text-, Schrift- oder Diskursmodell herrühren. Dies vermuten u. a. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone

1. AUTOR /KÜNSTLER

das heutige Nachdenken über den Autor nicht nur dazu angeregt, Autorschaft differenzierter zu beleuchten. Sie vermögen es zudem, die heutige Beschäftigung mit Autorschaft oder Künstlertum zu erhellen. Deshalb wird die hier angestrebte Kritik an der Funktion des Autor/Künstlers in der neueren Kunstwissenschaft von den Positionen Barthes’ und Foucault ausgehen, um diese – gerade ob des undifferenzierten Umgangs mit dem ›Autor‹ in der Kunstwissenschaft – als höchst stabile epistemische Strategie zu diskutieren.

Schriftliche Freiheit Roland Barthes verabschiedete den Autor als »eine moderne Figur«,12 die sich parallel zum »Wert des Individuums« 13 ausgebildet hatte, um Bedeutung im Ursprung der Äußerung zu fixieren: Winko: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern. Historische Modelle und systematische Perspektiven, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 3–35. Sie verlassen allerdings dieses Modell, wiewohl sie es kritisieren, selbst nicht. 12 Roland Barthes: Der Tod des Autors, a. a. O., 186. Der Entstehung dieser Figur wurde mehrfach im Zusammenhang mit der Entstehung und Notwendigkeit des Urheberrechts nachgegangen: »Die Vorstellung, dass dem Autor eine besondere Funktion im Produktionsprozess zukommt – nämlich die einzige, die Aufmerksamkeit verdient – ist jüngeren Datums. Es handelt sich um ein Nebenprodukt der literaturromantischen Anschauung, dass bedeutende Schriftsteller einen Bruch mit der Tradition insgesamt vollziehen, um etwas absolut Neues und Einzigartiges, d. h. ›Originales‹ zu schaffen.« Martha Woodmansee: Der Autor-Effekt. Zur Wiederherstellung von Kollektivität, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, a. a. O., 279–294, 300. Vgl. zur Interpenetration von ästhetischem und juridischem Diskurs bei der Konstitution der neuzeitlichen, literarischen Autorschaft Gerhard Plumpe: Kunst und juridischer Diskurs. Mit einer Vorbemerkung zum Diskursbegriff, in: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, hrsg. v. Jürgen Fohrmann u. Harro Müller, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, 330– 345. Die Verbindung von geistigem Eigentum und Originalität, bis zur individuellen Originalität, wurde ebenfalls zu dieser Zeit installiert, vgl. ders.: Eigentum – Eigentümlichkeit. Über den Zusammenhang ästhetischer und juridischer Begriffe im 18. Jahrhundert, in: Archiv für Begriffsgeschichte (23/1979), 175–198. Da bildende Künstler/innen in der Regel materielle Objekte herstellen, die sie als einmalige Findung veräußern konnten, setzte diese Verknüpfung hier bereits mit dem Signieren von Kunst und mit dem Kampf um den Eingang der bildenden Künste in die artes liberalis ein. Das Konzept des geistigen Eigentums ist aber Grundlage des allgemeinen Urheberrechts geworden, was auch Auswirkungen auf die Konzeption künstlerischer Schöpfung hat. Es war aber für bildende Kunst zuvorderst nicht Bedingung dafür, am Markt teilnehmen zu können. 13 Roland Barthes: Der Tod des Autors, a. a. O., 186.

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Die Erklärung eines Werkes wird stets bei seinem Urheber gesucht – als ob sich hinter der mehr oder weniger durchsichtigen Allegorie der Fiktion letztlich immer die Stimme ein und derselben Person verberge, die des Autors.14 Sobald ein Text einen Autor zugewiesen bekommt, wird er eingedämmt, mit einer endgültigen Bedeutung versehen, wird die Schrift angehalten.15 Als historische Findung dient ›der Autor‹ zur personifizierten Bändigung der Schrift, zugunsten einer Herrschaft der Ökonomie der Bedeutung, der Interpretation und Kritik: Diese Auffassung kommt der Literaturkritik sehr entgegen, die es sich zur Aufgabe setzt, den Autor (oder seine Hypostasen: die Gesellschaft, die Geschichte, die Psyche, die Freiheit) hinter dem Werk zu entdecken. Ist erst der Autor gefunden, dann ist auch der Text ›erklärt‹, und der Kritiker hat gewonnen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass, historisch gesehen, die Herrschaft des Autors auch diejenige des Kritikers gewesen ist […].16 Diese Herrschaft sei, so Barthes, vorüber. Denn in der modernen Literatur sei Schreiben ein selbstbezügliches Performativ, in dem »die Äußerung keinen anderen Inhalt […] hat als eben den Akt, durch den sie sich hervorbringt«.17 Schreiben heißt, »mit Hilfe einer unverzichtbaren Unpersönlichkeit […] an den Punkt zu gelangen, wo nicht ›ich‹ sondern nur die Sprache ›handelt‹ [›performe‹].« 18 Mit diesen Schreibpraktiken der »Unpersönlichkeit« 19 schwindet ›der Autor‹ als autoritäres paternales Subjekt, dessen Individualität den Sinn limitiert. Denn es: wird der moderne Schreiber [scripteur] im selben Moment wie sein Text geboren. Er hat überhaupt keine Existenz, die seinem Schreiben voranginge oder es überstiege; er ist in keiner Hinsicht das Subjekt, dessen Prädikat sein Buch wäre.20

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14 15 16 17 18 19 20

Ebenda, 186. Ebenda, 191. Ebenda. Ebenda, 189. Ebenda, 187. Ebenda. Ebenda, 189.

1. AUTOR /KÜNSTLER

Auch wenn man diese Geschichte vielleicht als alternative, auf klärerische Enthüllungsgeschichte oder Erfolgsgeschichte der Avantgarde in Zweifel ziehen mag,21 eröffnet sie die Sicht auf ›den Autor‹ als epistemisches Konzept. Denn er ist hier nicht nur einfach personaler ›Herrscher des Sinns‹. Vielmehr erweist sich seine Figurierung als epistemische Strategie, die den Sinn und die ästhetischen Möglichkeiten der Literatur für die Kritik limitieren soll. Alternativ setzt Barthes auf Leser, Schreiber (der ein Leser ist) und auf eine Bewegung der Schrift, die an die différance angelehnt scheint: 22 »Die Schrift bildet unentwegt Sinn, aber nur, um ihn wieder aufzulösen. Sie führt zu einer systematischen Befreiung vom Sinn.« 23 Die mediale Eigenlogik der Schrift zersetzt das Regulativ eines kommunikativen Modells, welches Sinn am Ursprung der Äußerung im doppelten Wortsinn feststellt, da sie jede Stimme, jeden Ursprung zerstört. Die Schrift ist der unbestimmte, uneinheitliche, unfixierbare Ort, wohin unser Subjekt entflieht, das Schwarzweiß, in dem sich jede Identität aufzulösen beginnt, angefangen mit derjenigen des schreibenden Körpers.24 Barthes’ Kritik richtet sich erstens gegen eine restriktive Einheit des Sinns im Kommunikationsprozess, die der Autor ›der Kritik‹ zu verbürgen hat. Zweitens betont sie eine Autonomie der Schrift, die in der ästhetischen Lust an der Materialität des Textes hervortritt.25 Drittens ist angedeutet, dass der Autor als eine Art Prototyp des Individuums fungiert. Gegen Barthes’ Schluss: »Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors« 26 wurde vielfach eingewendet, dass hier-

21 »Barthes’ Nachricht vom Tod des Autors folgt dem bekannten Muster aufklärerischer Enthüllungsgeschichten, in denen die Geschichte als dasjenige erscheint, was die Wahrheit verhüllt und, wenn die Zeit gekommen ist, wieder enthüllt.« Andreas Arndt: Subjektivität und Autorschaft, in: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaften, Nr. 16 (2002), Berlin u. New York: de Gruyter, 1–13, 2. 22 Er bezieht sich damit auf die Figur der différance als unendlich entzogene ursprüngliche Teilung, die sich fortlaufend als Materialität der Schrift verräumlicht und verzeitlicht. Vgl.: Jacques Derrida: Die différance, in: ders.: Randgänge der Philosophie, Wien: Passagen, 31–56. 23 Roland Barthes: Der Tod des Autors, a. a. O., 191. 24 Ebenda, 185. 25 Vgl. Roland Barthes: Die Lust am Text, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. 26 Roland Barthes: Der Tod des Autors, a. a. O., 193.

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mit zwar »dem auctor […] die auctoritas entzogen wird«,27 dass aber die Installation eines gleichsam auktorialen Lesers das Herrschaftsverhältnis über den Text lediglich unter umgekehrten Vorzeichen re-etabliere.28 Dies wurde als Einladung zu willkürlichen Fehllektüren oder zu voluntaristischen Sinnspielen auf Kosten von Autor/ innen und von Wissenschaftlichkeit aufgefasst,29 die übersehe, dass der Bezug auf den Autor der Interpretation eine äußerst nützliche Absicherung biete.30 Wie, steht nämlich ohne diese Sicherung im Raum, sind Kunstwerke oder Literatur noch historisch und kulturell zu kontextuieren oder widerstreitende Interpretationen zu entscheiden? 31 Wie kunst- oder literaturgeschichtliche Filiationen verfolgen, benennen oder zurechnen? All dies wäre vollständig an den Leser delegiert. Die Not, die ›ohne Autor‹ für etablierte Wissenschaftsverfahren aufgeworfen ist, zeigt, dass dieses Ende etwas Weiteres andeutet: Die ›Geburt des Lesers‹ impliziert, dass er für die Bedeutungsproduktion (zumindest mit)verantwortlich ist, und dies, ohne sich auf den Autor als übergeordnete Instanz berufen zu können, ohne Verantwortung an ihn zu delegieren, ohne in ›seinem Namen‹ sprechen zu können. Zudem hat Barthes selbst den Autor (modifiziert) zu einem Stoff/sujet der Lust am Text, der wechselseitigen Abhängigkeit und der Liebe gemacht. Keineswegs scheint jedes Schreiben über Literaturproduzierende oder eine Hingabe an sie, selbst im ›neuen Schreiben‹, obsolet:

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27 Uwe M. Japp: Der Ort des Autors in der Ordnung des Diskurses, in: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, a. a. O., 223–234, 225. 28 »In seiner Dekonstruktion von Autorschaft geht Barthes nach dem Verfahren der Substitution […] vor, er ersetzt eines (die Herrschaft des Autors) durch das Andere (die Herrschaft des Lesers)«. Helga B. Braunbeck: Autorschaft und Subjektgenese. Christa Wolfs Kein Ort. Nirgends, Wien: Passagen, 1992, 24. 29 »In konstruktivistischen wie auch in dekonstruktivistischen Modellen wird der Autor aus der Menge bedeutungskonstituierender Instanzen ausgeschlossen: Bedeutung wird einem Text im Akt der Lektüre verliehen, indem Individuen (›Normalleser‹ oder Experten) Textelemente und Kontexte frei fokussieren.« Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern, a. a. O., 3–35, 19. 30 Fotis Jannidis: Der nützliche Autor. Möglichkeiten eines Begriffs zwischen Text und historischem Kontext, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 353–389. 31 Die Kritik am ›Autor‹ wird somit damit abgewiesen, dass seine Relevanz zur Legimierung von Lektüren betont wird: »Textlektüren setzen immer bestimmte Auffassungen über den Autor voraus, die maßgeblich darüber bestimmen, auf welche Weise der Text interpretiert wird. [… Es] gibt […] viele legitime und fruchtbare Arten, ihn zu berücksichtigen – z. B. […] die Auswahl aus potentiell unendlich vielen Kontexten für die Interpretation literarischer Texte.« Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko: Einleitung. Autor und Interpretation, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, a. a. O., 7–29.

1. AUTOR /KÜNSTLER

Wenn aber eine List der Dialektik will, daß in dem jedes Subjekt zerstörenden Text doch ein liebenswürdiges Subjekt [un sujet à aimer] sei, so ist dieses Subjekt doch verstreut wie Asche, die man nach dem Tod in alle Winde streut […] 32 Als Institution ist der Autor tot: […] als ein Enteigneter übt er gegenüber seinem Werk nicht mehr die gewaltigen Vaterrechte aus, von denen die Literaturgeschichte, der akademische Unterricht und die öffentliche Meinung immer wieder zu berichten hatten. Aber im Text begehre ich in gewisser Weise den Autor: ich brauche seine Gestalt (die weder seine Darstellung noch seine Projektion ist), so wie er meine Gestalt braucht […] 33 Dass Barthes in der gegenwärtigen Proklamation einer Rückkehr des Autors 34 auf die Position des ›Meuchlers‹ gerückt wird, könnte sich so weniger aus Barthes Autorkritik als aus dem Wert erklären, der ›der Autor‹ in der Ökonomie der Bedeutung einnimmt. Seine Brisanz entfaltet der Tod des Autors dann weniger durch einen Mord, der den Leser autorisieren soll, als vielmehr dadurch, dass die Schrift als mediale und ästhetische Eigenlogik entfesselt werden soll, um etablierte epistemische Strategien zu durchkreuzen. Während in der gegenwärtigen Debatte um Autorschaft Barthes vor allem als Schlagwort erscheint, wird Michel Foucaults Konturierung der »Autor-Funktion« 35 mehr Aufmerksamkeit gewidmet, vielleicht da er mehr Verwertbarkeit zu eröffnen verspricht.

Diskursive Sparsamkeit Michel Foucaults Frage: »Was ist ein Autor?« betont, dass die Institutionalisierung des Todes des Autors in Literatur wie Theorie bereits eingetreten sei. Damit pariert Foucault das Fortschrittsversprechen medialer Eigenlogik, das Barthes eröffnet, damit, dass er die Notwendigkeit herausstreicht, die diskursive Funktionalität des Autors zu analysieren – womit auch angedeutet ist, dass diese keineswegs schon erledigt sei: 36 32 Roland Barthes: Sade, Fourier, Loyola, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986, 13. 33 Roland Barthes: Die Lust am Text, a. a. O., 43. Auf den Aspekt der Verantwortung wird später eingegangen. 34 Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, a. a. O. 35 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015. 36 Ebenda.

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›Was liegt daran wer spricht?‹ In dieser Gleichgültigkeit zeigt sich das vielleicht grundlegendste ethische Prinzip zeitgenössischen Schreibens. Die Auslöschung des Autors ist für die Literaturkritik seitdem zu einem gängigen Thema geworden. Das Wesentliche besteht indes nicht darin, ein weiteres Mal sein Verschwinden zu konstatieren; es gilt vielmehr, als – zugleich gleichgültige und zwingende – Leerstelle die Orte ausfindig zu machen, an denen seine Funktion ausgeübt wird.37 Foucault präzisiert in Folge tentativ dasjenige, was Barthes ›Autor‹ nennt, als Funktion, die er in sich wieder historisiert.38 Außerdem fragt er, was (auch bei Barthes) an die Stelle des Autors getreten sei. Auch Foucault kennzeichnet den Autor als »die mehr oder weniger psychologisierende Projektion der Behandlung, die man den Texten angedeihen lässt«.39 Doch unterscheide sich diese Autor-Funktion, die Foucault der Literatur oder Kunst zurechnet, von anderen, möglichen, diskursiven Formierungen wie z. B. der Irrelevanz des Autors in der (Natur)-Wissenschaft oder der Diskursbegründer, bei denen das Anführen des Autorennamens andere Effekte zeitige. Der Autor, so Foucault, liefert der Produktion von Wissen über Literatur nicht (wie konventionell gedacht) eine unendlich sprudelnde Quelle des hermeneutischen Sinns. Die projektive Fixierung auf ihn ist Mittel einer diskursiven Sparsamkeit, die an den Stellen »Name«,40 »Aneignungsverhältnis«,41 »Zuschreibung«42 und »Position des Autors« 43 die Effektivität der Autor-Funktion aufschließe. Als »das Prinzip der Ökonomie in der Verbreitung des Sinns«,44 d. h. als eine Art Sparschwein der Wissensverteilung, betrachtet ist der Autor:

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37 Ebenda, 1003. 38 Denn es »wird die Autor-Funktion nicht bei allen Diskursen auf eine universelle Weise ausgeübt«, ebenda, 1016. 39 Ebenda, 1017. 40 Ebenda, 1003. 41 Ebenda. 42 Ebenda. 43 »Die Position des Autors im Buch (Verwendung von Einschüben; Funktion von Vorworten; sein trügerisches Erscheinen als Schreiber, als Vortragender, als Vertrauter, als Memoirenschreiber. Die Position des Autors in verschiedenen Diskurstypen (zum Beispiel im philosophischen Diskurs). Die Position des Autors in einem diskursiven Feld (Wer ist der Begründer einer Disziplin? […]).« Ebenda. 44 Ebenda, 1029 (Anm. 15).

1. AUTOR /KÜNSTLER

keine unendliche Quelle von Bedeutungen, die das Werk erfüllten, der Autor geht dem Werk nicht voraus. Es ist ein bestimmtes funktionelles Prinzip, durch das man in unserer Kultur begrenzt, ausschließt, selegiert: kurz, das Prinzip, durch das man der freien Zirkulation, der freien Manipulation, der freien Komposition, Dekomposition und Rekomposition der Fiktion Fesseln anlegt.45 Bei der Autor-Funktion handelt es sich also »nicht um den Autor als sprechendes Individuum […], sondern um den Autor als Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts.« 46 Indem die Autor-Funktion nicht nur eine Überbrückungsfigur zwischen auktorialen »Egoitäten«,47 sondern auch für die Lücken des Diskurses selbst darstellt, heißt das, dass erst Autorschaft die Einheit »diskursiver Formationen« herausbildet, auch wenn man diese wissenschaftlich untersucht.48 ›Der Autor‹ als bedeutungsbestimmende Quelle der Äußerung schafft diskursive Stabilität, Kohärenz und Homogenität.49 Da nach Foucault die »diskursive Formation […] kein reiches und schwieriges Sprießen« 50 sondern eigentlich »eine Verteilung von Lücken, Leeren, Absencen, Schnitten« 51 darstellt, überbrückt hier die Autor-Funktion die Differenzen und Divergenzen der Zwischenräume in dieser Verteilung und sorgt zugleich für den Eindruck eines komplexen Reichtums der Verknappung. Was am Autor als Versprechen eines reichen Sprießens übermittelt 45 Ebenda, 1030 (Anm. 15). 46 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, München: Carl Hanser, 1974, 19. 47 Andreas Arndt: Subjektivität und Autorschaft, a. a. O., 4. 48 Andreas Arndt betont deshalb, »daß die Differenz der Egoitäten durch das Konstrukt des Autors überbrückt und damit die Diskurs-Einheit identifizierbar gemacht wird.« Ebenda, 4. 49 Diese Form der Auslegung, die Foucault als christliche Exegese kritisiert, findet sich säkularisiert in der Hermeneutik wieder. Nach Schleiermachers divinatorischer Einfühlung ist nicht allein der »Grundgedanke […] eines Werkes zu verstehen«, sondern »die einzelnen Teile desselben aus dem Leben des Autors zu begreifen«; Friedrich Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, 185. Bei Dilthey läuft der hermeneutische Zirkel zwischen »dem Verhältnis des einzelnen Werkes zu Geistesart und Entwicklung seines Urhebers«, Wilhelm Dilthey: Die Entstehung der Hermeneutik, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. V, Stuttgart u. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1957, 317–338, 330. 50 Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994, 173. 51 Ebenda.

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ist, erweist sich als ökonomische Verwaltung der Armut von polyvalenter Kohärenz einer gestreuten Selbigkeit. Autorschaft stiftet nicht nur die Verbindung von ›Aussage‹ und einer Identität des Enuntiationsorts, der zirkulär die Identität der Aussage stabilisiert, sondern sie ist ein Medium der Identität, der Selbigkeit, nicht nur des Subjekts, sondern der Re-Produktion des Diskurses. Dass sich laut Werber und Stöckmann Foucaults Analyse auf die Funktion des Autors in der geisteswissenschaftlichen Exegese beschränkt,52 ist für die folgenden Überlegungen geradezu dienlich, da sie genau von dieser epistemischen resp. diskursiven Figuration handeln. Zudem stellt diese Arbeit mit Foucault die Frage nach einer List des Namens, die darin besteht, dass jede noch so werkhafte Thematisierung von Autorschaft ein indexikalisches Haften des Namens am schreibenden Individuum nicht abzuschütteln vermag. Im Gegensatz zur hermeneutischen Interpretation folgt hieraus aber weniger die Einsicht in die Notwendigkeit einer verstehend sich annähernden Auslegung. Vielmehr folgt diese Arbeit aus einer distanzierten Dezenz den diskursiven Zwängen der Interpretation. Foucault stellt weiterhin die Frage nach den Möglichkeiten des Subjekts im Diskurs, womit das Versprechen, in der Schrift verschwände das Subjekt, letztlich kritisiert ist. Die Abschaffung ›des Autors‹ biete vielmehr Anlass, das Subjekt modifiziert wieder zum Thema/sujet zu machen. Denn die heteronome Zwangslage dieses sujets läge darin, dass es dem Prinzip der diskursiven Ökonomie und als Subjekt unterworfen sei: 53

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Könnte man nicht ausgehend von solchen Analysen die Vorrechte, die das Subjekt innehat, neu überprüfen? Ich weiß sehr wohl, dass man bei einer internen und architektonischen Analyse eines Werks (ganz gleich, ob es sich nun um einen literarischen Text, ein philosophisches System oder ein wissenschaftliches Werk handelt), indem man die biographischen oder psychologischen Bezüge ausklammert, zugleich den abso-

52 Diese Kritik äußern Weber und Stöckmann in: Das ist ein Autor! a. a. O., 249. Da die beiden mit dem Autor als Werk-Funktion »eine Rückwendung auf die Theorieprogramme der Literaturwissenschaft selbst, die unterschiedliche Autor-Funktionen hervorgebracht haben,« (ebenda, 258) anstreben, präzisieren sie letztlich nur den Analysegegenstand. 53 Insofern handelt die Diskursanalyse dezidiert vom Problem des Subjekts, vgl. Michel Foucault: Warum ich die Macht untersuche: Die Frage des Subjekts, in: ders. u. Walter Seitter: Das Spektrum der Genealogie, Bodenheim: philo, o. J., 14–28, insbes. 15.

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luten Charakter und die grundlegende Rolle des Subjekts in Frage gestellt hat. Aber vielleicht sollte man auf dieses In-derSchwebe-Lassen zurückkommen, nicht um das Motiv eines ursprünglichen Subjekts wieder zur Geltung zu bringen, sondern um die Funktionsweisen und die Abhängigkeiten des Subjekts, die Momente, an denen es eingeführt wird, zu erfassen. Es geht darum, das traditionelle Problem umzukehren. Nicht mehr die Frage zu stellen: wie lässt sich die Freiheit eines Subjekts in die Kompaktheit der Dinge einfügen und ihr einen Sinn verleihen, wie kann sie von innen die Regeln einer Sprache beleben und so ihre eigenen Ziele an den Tag bringen? Vielmehr sollte man fragen: wie, aufgrund welcher Bedingungen und in welchen Formen kann so etwas wie ein Subjekt in der Ordnung des Diskurses erscheinen? Welchen Platz kann es in jedem Diskurstyp einnehmen, welche Funktionen kann es ausüben, indem es welchen Regeln folgt? Kurzum, es geht darum, dem Subjekt (oder seinem Substitut) seine Rolle ursprünglicher Begründung zu nehmen und es als variable und komplexe Funktion des Diskurses zu analysieren.54 Im Zuge seiner Ausbuchstabierung einer notwendigen Analyse einer Autor-Funktion, die an der Schnittstelle von Subjektivation und Wissen operiere, kritisiert Foucault zudem, dass die Emphase auf die Schrift als a-subjektive, sinnfreie Verselbstständigung der Medialität zumindest für die Frage nach Produktion von Wissen in die falsche Richtung weise, da sie lediglich das ›Werk‹ oder die Schrift an die Stelle des Autors rücke. Gleichsam als verkappte Autor-Funktion würden nunmehr sie zur Quelle unendlicher wie begrenzter Ausdeutung, da so in ihnen die Fülle des Sinns lokalisiert, reguliert und begrenzt würden. Auf unterschiedliche Weise reflektiert die poststrukturalistische Kritik ›den Autor‹ als wissenschaftliches Mittel, die Unfüglichkeiten des Diskurses auf Kosten des Subjekts oder auf Kosten der Eigenlogiken von Medialitäten und Materialitäten zu tilgen. Während im Tod des Autors das auktoriale Subjekt in einer Ästhetik der medialen Autonomie verschwinden soll, so kehrt es bei Foucault als mehrfaches Fragezeichen und Aufgabe wieder: als sujet und als Effekt eines Primats des Diskursiven im Sinne einer abgedichteten Bedeutungsmaschine. Wo der Tod des Autors eine sinnfreie Autonomie der Performativität und Medialität der Schrift andeutet, impliziert Foucault einen Begriff des Diskurses, der dieses Außen für das sujet nicht zu kennen scheint. 54 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1028 f.

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Un/Tote Dass die Abschaffung des Autor/Künstlers, die Foucault und Barthes parallel zu Bewegungen in Literatur und Kunst, den Künstler zum »Fake« 55 zu machen, anstießen, nicht zum Verschwinden von Autor und Autor-Funktion führten, bildet ein schwaches Argument gegen diese Kritik an den Effekten von Autor und AutorFunktion.56 Denn im Gegensatz zur Proklamation einer Rückkehr des Autors, die meint, dass die Persistenz von Autorschaft diese Kritik widerlege, zeigt ja gerade darin ihre Relevanz. Denn dass der Autor oder Künstler nützlich 57 oder unverzichtbar 58 für die Konstitution von Wissen(schaft) sei, ist nämlich ihr zentrales Argument: Autorschaft ist ein konstitutives Element des Wissens, das, so Foucault, als Reflexionsform des Subjekts und als Operator der Limitierung von Diskursen jeweils historisch zu analysieren sei. Was Foucault mit der Vielfalt der »Egoitäten« ›des Autors‹ umschreibt, dient dazu, Inkonsistenzen zwischen Text, Biographie, Person und Kontext, zwischen ›Autor‹ und Werk sowie Unentscheidbarkeiten in Kunstwerken oder Literatur auf problematische Weise zu »verkleistern«.59 Die Ego-Pluralität des ›Autors‹ impliziert außerdem kein unproblematisches Versprechen des Subjekts, das anbiete, dass, sind diese Brüche oder Pluralitäten einmal aufgeschlossen, das Subjekt sich darin wie in einem unbegrenzten Freiraum bewegen könne. Viel eher macht die Vielfalt der »Egoitäten« im Hin und Her zwischen ›Werk‹, Subjekt und sujet die Funktionalität ›des Autors‹ aus, die sich sowohl für die Sparsamkeit des Diskurses als auch für diskursive Konstitutionen von Subjektivität auszahlt.60 Zwang und Chance produzieren und destruieren sich hier immer wieder neu. So bleibt gerade wegen der Vielseitigkeit der Autor-Funktion der Name ›des Künstlers‹ (neben Titel und Datierung) das Erste, 134

55 Sabine Kampmann u. Katharina Sykora: Einleitung. Künstler-Images oder das Schreiben über den Künstler als Camouflage, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, a. a. O., 9–15, 10. Vgl. a. Verena Krieger: Sieben Arten, an der Überwindung des Künstlerkonzepts zu scheitern, ebenda, 117–148. 56 Sie richtet sich somit bevorzugt auf die utopischen Versprechen, die als Chancen eines Tods des Autors angeführt werden. 57 Fotis Jannidis: Der nützliche Autor, a. a. O., 353–389. 58 Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler, a. a. O., 178. 59 So Marianne Schuller zu den Lesarten Kleists, vgl. dies.: Ur-Sprung. Kleists Erzählung Der Findling, in: dies.: Moderne, a. a. O., 9–60, 14. 60 Welche Möglichkeiten die Lücken eröffnen, ist insofern jeweils auszuloten; die schiere Existenz einer Lücke reicht als Möglichkeit des Subjekts nicht aus.

1. AUTOR /KÜNSTLER

was man über ein Kunstwerk erfährt. Das Feld kultureller Differenz impliziert eine besondere thematische Ausrichtung der AutorFunktion. Der Name ›Yasumasa Morimura‹ fungiert nicht nur als Index eines fecit oder eines Individuums. Er bezeichnet eine kulturelle Verortung, die im Künstler eine Differenz zu einer angenommenen Hegemonie oder Normalität euro-amerikanischer Kunst verkörpert. Der Autor-Name wird aufdringlich oder reflexiv, da dieser fremdsprachliche Name Fragen aufwirft, wie: Woher kommt dieser Künstler? Ist dieses Kunstwerk von einem Mann oder einer Frau? Man schreibt (in der euro-amerikanischen Kunstwissenschaft) deshalb anders über die künstlerische Arbeit. Das Interesse richtet sich mehr als bei einem euro-amerikanischen Namen auf eine Identifizierung des Künstlers und seiner Kultur. Die Thematiken Künstler, Subjektivität, Positionalität und kulturelle Unterschiede verdrängen manchmal das Interesse an der künstlerischen Arbeit. Diesen reglementierenden Zwang zur kulturellen Verortung hat u. a. Hito Steyerl als eine hierarchisierende Differenzmaschine der Produktion eines kulturellen Sonderstatus’ kritisiert, die gegen den Tod des Autors eine Maschine der Subjektivation freisetzt.61 Viktoria Schmidt-Linsenhoff hat ähnlich den exotistischen »Hunger des westlichen Kunstpublikums nach dem ethnisch Anderen« 62 kritisiert. Von diesem Hunger hat sie die postkoloniale Kunstwissenschaft dezidiert ausgenommen. Denn diese wende sich einerseits den »Stimmen der Anderen« 63 zu, um den eigenen Standpunkt besser verstehen zu können und um andererseits denjenigen, die aus Autorschaft, Kanon und vom Subjektstatus ausgeschlossen waren, darin einen Ort zu geben. Dass die Re-Artikulierung von Autorschaft und Subjektstatus, die auf die »Vorrechte, die das Subjekt inne hat«,64 für ›die Anderen‹ pocht, ebenfalls einem Hunger nach den Anderen erliegen kann, wird hier noch Thema werden müssen (Fallen des Exemplars). Um dies aufzuzeigen, ist zu diskutieren, inwiefern die Rückkehr des Autors gerade diejenigen Probleme des Autor/Künstlers neu stellt, die poststrukturalistische Autorschafts-Kritik aufwirft. Das betrifft zuvorderst die unauf lösliche Verflechtung der Autor-Funktion mit dem Subjekt, das in der französischen Vieldeutigkeit von sujet als: Stoff, Thema, Motiv, Grundlage, Unterworfenes, Subjekt, ausgetragen ist. Diese 61 Hito Steyerl: Was ist K]uns[t?, Eine Untersuchung über den Zusammenhang von Kultur, Produktion und Rassismus, in: Aufbrüche, a. a. O., 155–171. 62 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Postkolonialismus, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, (7/8) 2002, 61–72. 63 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20, u. dies.: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O., 9. 64 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1028.

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Vieldeutigkeit beleuchtet, dass zwischen den Konzeptionen von (Kunst)Werk und Autor(schaft) ›der Künstler‹ als Objekt, Thema wie als Bedingung von Wissen zirkuliert.65 Dass der Autor/Künstler in aktuellen kritischen Anschlüssen an den Tod des Autors in vermeintlich neutraler Form der (reflexiven) Autorschaft/des Künstlertums oder als Instrument des Wissens wiederkehren soll, ist als Innovation der Autor-Funktion zu beschreiben. Denn auch darin ist der Nexus Subjekt/sujet als unumgängliche Verflechtung von wissenschaftlichem Thema, Unterlage und Subjekt nicht zu umgehen. Zu fragen ist, welche Effekte die Betonung der wissenschaftlichen Nützlichkeit oder Unvermeidlichkeit des Autors sowohl für die Überbrückung zwischen Heterogenem als auch für die Reflexion von Subjektivität für diesen Nexus zeitigt.

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65 Hier verflicht sich das sujet mit der Konzeption der Signatur als Spur des Individuums, das den Autor/Künstler in die Spur der Schrift versetzt. Da er damit gerade nicht eigenmächtig und kompetent einmal, hier und jetzt, unterzeichnet, um diesen Moment und den Sinn seiner Setzung weiterzugeben, betont Jacques Derrida die Abhängigkeit der Signatur von einer äußerlichen institutionellen Sicherung sowie von der Eigenlogik der Schrift, die nicht durch kompetente auktoriale Setzungen gebändigt werden kann. Vgl. Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O.

2. Unvermeidliches Subjekt/sujet

Verena Krieger beschließt ihre motivgeschichtliche Abhandlung zur Frage Was ist ein Künstler? mit einer Unverzichtbarkeit: Paradoxerweise hat […] gerade die Entgrenzung der Kunst bewirkt, dass das ›Betriebssystem Kunst‹ als institutioneller Bezugsrahmen weiterexistiert und das Subjekt der Kunst als institutioneller Bezugsrahmen unverzichtbar erscheint.1 Aufgeworfen sei mit dieser Entgrenzung die Frage nach den »spezifische[n] ästhetische[n] Eigenschaften des Werks«.2 Denn sobald ästhetische Eigenschaften wie in der Gegenwartskunst ausfallen, sei Kunst als Kunst lediglich »durch die Urheberschaft des Künstlers« 3 zu erkennen. Die Relativierung des Künstlers, die auch für Krieger mit Barthes’ Tod des Autors einsetzt, scheint hiermit obsolet.4 Ob Kunst oder Nichtkunst entscheidet sich tatsächlich juristisch wie wissenschaftlich weiterhin durch die Identifizierung von intentionaler Urheberschaft.5 Doch wissenschaftlich äußert sich 1 Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler, a. a. O., 178. 2 Ebenda. 3 Ebenda. 4 Denn »›der Künstler‹ [ist] einfach nicht totzukriegen […]. Als Wiedergänger tritt er unverdrossen auf den Plan und erfreut sich ungeminderter Beliebtheit.« Ebenda. 5 Das wird z. B. deutlich, wenn betont wird, dass ein Wissen um die Intention des Künstlers (auch juristisch) aufschlussreich sei. Um die als Plagiat bezichtigte Arbeit String of Puppies (1988) als Parodie auszeichnen zu können, lanciert Matias Martinez, dass Jeff Koons intendiere, Appropriation Art zu machen. Interessanter als, dass Koons selbst sich gegen diese Einordnung verwehrt hat (m. a. W., dass hiermit die Intention des Künstlers verfehlt ist), ist, dass Martinez den Urteilsspruch mit demselben Mittel der Deutung von Intention zu widerlegen sucht wie das Gericht. Vgl. Matias Martinez: Autorschaft und Intertextualität, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 465–479.

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die Beliebtheit des Autor/Künstlers nicht nur darin. Unverzichtbar er weist er sich auch für die Gattung der Monographie 6 und zur schreibenden Verknüpfung von Kunst, Markt und Celebrity Kultur.7 Denn selbst für die Ansätze, die im kritischen Anschluss an den Tod des Autors Autorschaft zum Gegenstand der Untersuchung machen, liegt der Wert ›des Autors‹ darin, erst Kunst, Text und Kontext verknüpfen zu können, um dann die Lücken dazwischen als Ort einer ästhetischen Reflexivität des Subjekts auszumachen. So erscheint der Autor/Künstler unabdingbar für die Wissenschaftspragmatik, sei es zur Identifizierung von Kunst sei es um die Bedingungen des Subjekts auf Ästhetik, Politik oder auf ihren Zusammenhang zu beziehen. Dazu wird proklamiert, dass die Polyvalenz dessen, was das Französische, Barthes und Foucault im sujet verschleifen (Subjektdisziplinierung, Gegenstand und Unterworfenes des geisteswissenschaftlichen Wissens, Bändigung von Thema, Stoff, Medialität und des Ästhetischen) einer analytischen Schärfung bedarf. Die Verknüpfung von Subjekt und sujet wird hierzu entweder stark entkoppelt oder enggeführt. Gerade die begriff liche Schärfung und Ausdifferenzierung des sujets, dessen weite Bedeutung im Französischen Spiele mit den Überschneidungen von Stoff, Thema, Subjekt, Untergrund, Gegenstand und Untertan zulässt, wo das Deutsche zur analytischen Trennung auffordert, läuft hierbei Gefahr, durch die Ausdifferenzierung von Subjekt und sujet die Komplexität ihre Verflechtung von zu verfehlen. In Folge interessiert deshalb die Ökonomie der auktorialen Signatur als wissenschaftliches sujet. Diese Ökonomie spielt mit einer In/Differenz des sujets. Sie scheint zu greifen, egal ob es vollkommen aus der Frage nach der wissenspragmatischen Aufgabe von Autorschaft ausgekoppelt wird, oder ob das Subjekt forciert zum Thema wird, oder ob die Emphase auf die auktoriale Signatur in bestimmten Bereichen der feministischen und/oder postkolonialen Kunstwissenschaft (Fallen des Exemplars) als explizite Subjektpolitik verfolgt wird.

6 Gabriele Guercio plädiert für die Notwendigkeit der Monographie für die Analyse von Kunst als Existenz, vgl. dies.: Art as Existence. The Artist’s Monograph and It’s Project, Cambridge (Mass.) u. London: MIT Press, 2006. 7 Isabelle Graw: Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur, Köln: DuMont, 2009.

2. U NVERMEIDLICHES SUBJEKT/SUJET

Praktisches sujet Man kann also wieder auf die wissenschaftliche Nützlichkeit des Begriffs ›Autor‹ bestehen: Der Begriff ›Autor‹ nimmt in wissenschaftlichen Darstellungen seinen Platz ein, weil es mit ihm möglich war und trotz der poststrukturalistischen Kritik immer noch ist, zahlreiche Probleme der Analyse und Darstellung in plausibler Weise zu lösen.8 Nach Fotis Jannidis reguliert das »Autorkonzept« wissenschaftliche »Such- und Beziehungsregeln«: Es hat »die Funktion, Kontexte zu selegieren […], und es kann die Funktion haben, diese Wahl zu legitimieren.« 9 Der »Autor […] kann dazu herangezogen werden, Interpretationshypothesen zu plausibilisieren oder nur zu illustrieren, oder […] um Bedeutungszuschreibungen zu überprüfen«.10 Hierzu ist ›der Autor‹ in gleichsam wissenschaftlich neutrale Autor-Funktionen aufzufalten: Interpreten […] beziehen sich auf den Autor, um die oder eine Textbedeutung zu ermitteln und/oder Texte gesellschaftlich, geistesgeschichtlich, medial etc. zu kontextualisieren. Dabei kann der Autorbegriff die empirische Person bezeichnen, eine intentionsfähige und intentionale Instanz oder die Funktion eines Sprechers, einer ›Ich-Origo‹ […]. Die Bezugnahme auf die Äußerungen des empirischen Autors – seien es Aussagen oder Handlungen – dient dann dazu, Interpretationshypothesen zu belegen beziehungsweise zu plausibilisieren und die Vielzahl einbeziehbarer Kontexte zu begrenzen.11 8 Fotis Jannidis: Der nützliche Autor, a. a. O., 379 ff. 9 Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern, a. a. O., 3–35, 21. 10 Ebenda. 11 Ebenda, 25. Präferiert ist so eine identifizierende Literaturgeschichtsschreibung, in der der Bezug auf den Autor Aussagen verortet, eindeutig macht und in der die Kontexte von Literatur als Aussage durch den Autor gesichert werden. So fasst auch Andreas Arndt zusammen: »Der Autor hat identifizierende Funktion: er erlaubt es, Texte oder Textgruppen zu bestimmen, voneinander abzugrenzen und jemandem zuzurechnen. Das Bedürfnis nach einer solchen Zurechnung ist historisch: es entsteht zunächst dadurch, daß der Urheber einer Rede oder Schrift zur Verantwortung gezogen werden soll; die damit erfolgte Zurechnung des Werks zu einem Autor wird als Eigentumsverhältnis festgeschrieben und im Urheberrecht kodifiziert.« Andreas Arndt: Subjektivität und Autorschaft, a. a. O., 3.

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Letztlich ist hier nichts Neues gesagt: Die Autor-Funktion ermöglicht und limitiert Wissen.12 Den Bezug auf den Autor aus dessen wissenschaftlicher Nützlichkeit zu legitimieren, besteht zwar nicht auf Autorschaft als Sache des Subjekts, aber beharrt auf sie als Sache einer neutralen wissenschaftlichen Ökonomie. Dies umgeht jedoch keineswegs, ›den Autor‹ als prototypisches Subjekt zu konstituieren, das als historisch und kulturell verortete Aussageinstanz den Sinn der Aussage bedingt. Dass hier von Äußerungen die Rede ist, weist auf, dass Literatur als Übermittlung eines Sinns aufgefasst wird, der auktorial bedingt sei (im Individuum oder in seinem kulturellen Ort begründet). Da der Rückgriff auf ›den Autor‹ erfolgt, wenn Literatur für Unklarheiten sorgt oder wenn Interpretationen strittig sind, dient er der Vereinheitlichung von Bedeutung.13 Als pragmatisches Entscheidungsmerkmal für Kritik und Wissenschaft verengt die Autor-Funktion Ästhetik auf die auktoriale ›Aussage‹. Pragmatisch negiert ist, dass sich hiermit sowohl eine kanonische Monumentalisierung von Kunst und Literatur als auch die Austreibung von unfüglicher Ästhetik, Medialität und Materialität zugunsten der Sinnbildung rechtfertigt. Für Karl Eibl ist der Autor/Künstler deshalb eine unproblematische »Verschnürungsfunktion«14 Sie soll als

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12 Der Unterschied liegt darin, dass dies hier für unproblematisch befunden wird – ebenso, wie in Verena Kriegers Plädoyer für die Unverzichtbarkeit des Künstlers kein Problem darin besteht, den Ausfall des Ästhetischen durch ›den Künstler‹ zu kompensieren. Grundlage hierfür ist die Abweisung der Bindung der Autorschaft an eine Subjekt-Funktion, die mit dem Tod des Autors expliziert wurde. So kritisiert z. B. Simone Winko, dass »die poststrukturalistische Verabschiedung des Konzepts nicht auf der Basis einer Untersuchung des Phänomens oder der Begriffsverwendungen, sondern vielmehr als Folge sprach- und subjektkritischer Prämissen vollzogen [wurde], die nicht ohne weiteres geteilt werden müssen.« Simone Winko: Einführung: Autor und Intention, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 39–46, 41 f. Da Winko diese Prämissen keines weiteren Satzes würdigt, kann zu diesen kaum Stellung bezogen werden. Es ist zumindest dagegen einzuwenden, dass man sich dennoch »nicht mit einer weiteren Differenzierung des Subjektschemas zufrieden geben« muss; Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., 25. Vielmehr wäre aus poststrukturalistischer Perspektive »dem Interesse auf die Spur [zu] kommen […], das sich mit einer solchen Gedankenfigur verbindet.« Ebenda. 13 Oder er dient zur institutionellen Verortung, sofern Kunst nicht von NichtKunst zu unterscheiden ist, da an ihr keine ästhetische Differenz auszumachen sei. 14 Karl Eibl: Der ›Autor‹ als biologische Disposition, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 47–60, 56.

2. U NVERMEIDLICHES SUBJEKT/SUJET

Kohärenzmittel […] ein Zerfallen des Textes verhindern, auch wenn er aus seiner ursprünglichen Kommunikationssituation gelöst wird.15 Der ›Autor‹ gehört zu den genetisch verankerten Dispositionen, die beim ästhetischen Spiel in Bewegung versetzt werden, und kann dabei als Bindungsfaktor für die gefährdete Kohärenz […] herangezogen werden.16 (Ohne ›Autor‹ wäre die ironische Rede nur Unsinn.) 17 Aus der Perspektive einer poststrukturalistischen Autorschaftskritik scheint jedoch diese Verschnürungsfunktion den epistemischen Strategien einer Wissenschaft, die auf kohärenten Sinn drängt, mehr zuzuarbeiten als einem ästhetischen Spiel, das Kohärenz gefährdet. Der Autor signiert hier alles, und zwar so, dass Eindeutigkeit herrscht. Die Funktionalität des Autors wird herangezogen, um Lücken zwischen Text und Kontext, Hypothese oder Bedeutung und literarischer resp. künstlerischer Arbeit zu schließen. Sie legitimiert dieses Schließen, da sie es bereits besiegelt haben soll. Dieses auktoriale Siegel begründet eine Wissenschafts-Ökonomie, die sich sowohl von der Problematik der Diskursivierung von Subjekten bereinigt hat, als auch Unentscheidbarkeiten oder einen ästhetischen, materiellen oder medialen Eigensinn der Herausbildung von kohärenter Bedeutung zu subordinieren vermag. Trotz der Enthaltsamkeit gegenüber der semantischen Besetzung des Autor/Künstlers oder gegenüber Restbeständen der Genieästhetik ist die Funktion von Autorschaft in Bezug auf das sujet verharmlost. Wenn jedoch mit der Etablierung des modernen Subjekts im 18. Jahrhundert der »Diskurs des Subjekts« 18 zur »Maschine der Sinnproduktion« 19 wurde, heißt dies, zur Etablierung der eigenen Deutungspragmatik Seite des Autorsujets zu negieren, die auf die eigene Beteiligung an dieser Sinnmaschine weist.20 Der im 18. Jahrhundert etablierte enge Nexus zwischen dem »Erstarken der Sub15 Ebenda. 16 Ebenda, 59. 17 Ebenda, 59 f. 18 Peter Bürger: Das Verschwinden des Subjekts. Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998, 59. 19 Ebenda, 59. 20 Jacques Derrida hat in Limited inc. a b c. diese Beteiligung an der auktorialen Signatur durch die Interpretation hingewiesen, vgl. ders.: Limited inc. a b c, in: ders.: a. a. O., 53–168, insbes. 53 ff.

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jektvorstellung«,21 der Autonomisierung der Kunst und der Genieästhetik, aus dem eine neue »Semantik der Subjektivität des Künstlers« 22 entstand, ist nämlich derartig hartnäckig, dass »Künstlertum und Autorschaft […] gemeinsam mit Subjektivität, Autonomie und Authentizität« 23 weiterhin »ein begriff liches Feld« 24 bilden. Dieses Amalgam ist nicht dadurch zu lösen, dass man sich im Bezug auf ›den Autor‹ seiner inhaltlichen Besetzung enthält. Da Kennzeichen des modernen Subjekts (wie denkende Reflexivität, Einzigartigkeit und Selbstbestimmtheit sowie die Spannung zwischen Individuellem und Allgemeinem) an den Autor/Künstler gebunden wurden, erschien dieser (z. B. in der romantischen Kunsttheorie) nicht nur in Bezug auf kreative Individualität als »prototypisches Subjekt«.25 Es wurde eine epistemische Strategie der Deutung mit dem prototypischen Subjekt verflochten, die sich solange aktualisiert (auch wenn das semantische Feld, das ›den Künstler‹ bestimmt, nicht mehr aktuell sein mag), wie die Bedeutung von Kunst an ihre Produzent/innen gekoppelt wird. Diese epistemische Strategie konstitutiert nicht nur die Eigentümlichkeit oder Originalität des Autor/Künstlers, sondern sie dient auch dazu, die unfüglichen Brüche zwischen epistemischen und ästhetischen Strategien zu schließen. Der Autor/Künstler fungiert als Lückenschließer oder Lückenbüßer. Die ihm zugeschriebene Signatur versichert das Versprechen der Kohärenz zwischen Interpretation und Interpretationsobjekt bzw. ein Versprechen von Interpretation überhaupt, und zwar gerade dort, wo Unsicherheit herrscht.26 Daraus bezieht der

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21 Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., 55. 22 Ebenda. 23 Ebenda. 24 Ebenda. 25 Ebenda, 57. 26 Dass in der Kunstgeschichtsschreibung Künstler(namen) Orientierung schaffen, indem man über sie Kunst in Traditionen von Künstler/innen, Schulen, Kulturen und Stilen einordnet, erweist sich innerhalb der traditionellen Kunstgeschichte somit keineswegs als neutral. Sie ist vielmehr aufgeladen mit dem sujet des autonomen historischen Subjekts: »Der Gegenstand der Kunstgeschichte (die Kunst) wird also von autonomen Subjekten (den Künstlern) produziert, von ähnlich autonomen Subjekten (den Wissenschaftlern) interpretiert und findet in einer ganz auf Subjektivität, Autonomie und Authentizität abgestellten Disziplin (der Kunstgeschichtsschreibung) ihren theoretischen Rahmen.« (Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., 65) Diese Kunstgeschichte schreibt sich als Fortschrittsgeschichte von Künstlernamen. Sabine Kampmann hat dieses Geschichtsmodell der Filiation als patriarchale Reihung von (meist männlichen) Künstlernamen kritisiert: ›Der Künstler‹ »ist eingebettet in ein System von Künstlergenerationen, das sich gemäß der Logik von Vater/Sohn- und Lehrer/Schüler-Verhältnissen entwickelt. Das heißt, der begabte

2. U NVERMEIDLICHES SUBJEKT/SUJET

Autor/Künstler seine fortgesetzte Attraktivität. Sie zeigt sich auch im Ordnungsverhalten von Bibliotheken, dem passenden Suchverhalten, das parallel zu Künstler/innen-Namen auch stets die passenden Überblickswerke recherchiert (›Yasumasa Morimura‹ und ›Japanische/s/r…‹) und nicht zuletzt in strategischen Titeln, die neben einer theoretischen Fragestellung auch eine/n Künstler/in lancieren, um im ›richtigen Umfeld‹ recherchiert werden zu können.27 Selbst diese simple etablierte Suchpraxis (die unvermeidlich ist, jede Verweigerung würde ins Nichts laufen) impliziert ein kommunikatives Modell, das Kunst als auktoriale Botschaft auffasst, die ein Rezeptionsmodell der prosopographischen Lektüre 28 verlangt.29 Ein auktoriales Subjekt als sujet (Unterworfenes/UnterSchüler steht unter dem Einfluss früherer großer Künstler und lernt zunächst bei seinem Meister, um diesen jedoch bald durch hervorragende innovative Leitungen in der Kunst zu übertreffen. Er wird nun selbst zum einflussreichen Lehrer und treibt – ganz der Logik einer Fortschrittsgeschichtsschreibung folgend – die Entwicklung der Kunst voran.« (Ebenda, 48) Dieses »anhand männlicher Muster etablierte Filiations- und Generationendenken« (ebenda) geht zurück auf Vasari, der selbst als »›Vater der Kunstgeschichte‹« (ebenda) gilt. Mit dieser Figur einer teleologischen Kunstgeschichtsschreibung setzt sich insofern jede Künstlergeschichte, Zuschreibung und Kontextuierung über Künstler zwangsläufig auseinander, entweder im Versuch sie abzuschütteln oder sie zu rehabilitieren, selbst wenn es nicht mehr um künstlerische Individuen, sondern um kulturelle Eigentümlichkeiten geht. 27 Dies betrifft auch diese Arbeit, denn die Durchstreichung des Namens im Titel wird von jedem Bibliothekskatalog ignoriert werden (müssen), was schon die Verlagsankündigung bedient. 28 Die prosopographische Lektüre verfolgt einen Anthropomorphismus des Lesens, der figurative Medialität/Schrift mit der Imagination eines intelligiblen auktorialen Gesichts bzw. mit der Imagination einer auktorialen Stimme in den Text negiert. Vgl. Bettine Menke: Prosopopoiia. Die Stimme des Textes – die Figur des ›sprechenden Gesichts‹, in: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, hrsg. v. Gerhard Neumann, Stuttgart u. Weimar: J. B. Metzler, 1997, 226–251, u. dies.: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka, München: Fink, 2000; sowie dies.: De Mans ›Prosopopöie‹ der Lektüre. Die Entleerung des Monuments, in: Ästhetik und Rhetorik. Lektüren zu Paul de Man, hrsg. v. Karl Heinz Bohrer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, 34–78. Ausgang dieser Kritik ist die Dekonstruktion Paul de Mans, vgl. ders.: Autobiographie als Maskenspiel, a. a. O., 131–146, u. ders.: Shelleys Entstellung, ebenda, 147–182. 29 Die prosopographische Lektüre unterliegt auch dem Bezug auf die auktoriale Signatur als Reflexionsform des Subjekts: Die Möglichkeit eines freien und unbeschränkten Ausdrucks des Selbst in Kunst, hier ein Gesicht/eine Identität zu erlangen und sich zu den jeweiligen historischen und kulturellen Ansprüchen an die Semantik von Subjektivität verhalten zu können, impliziert bereits das politische Versprechen der subjektiven Sichtbarwerdung, der Selbstbestimmung als der Teilhabe an Öffentlichkeit. Vgl. zum »Topos Sichtbarkeit«

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tan) des Wissens zu konstituieren ist hier nicht zu vermeiden. Außerdem werden im (individuellen wie kollektiven) auktorialen Gesicht einer lesbaren auktorialen Spur oder Signatur,30 diejenigen Ünfüglichkeiten getilgt, durch die Kunst ein Denken der Kohärenz gefährdet, z.B. da ein Anderes zu erscheinen vermag. Die Fallen des Subjekts sind insofern nicht aus der Pragmatik der Autorschaft zu eliminieren. Heinz Knobeloch hat deshalb betont, dass selbst die stilgeschichtliche Utopie einer »Kunstgeschichte ohne Namen« nicht ohne die subjektivierende Geste der Kunstgeschichte auskomme: Vielmehr wird auch dort ›subjektiviert‹, wo man die Wirksamkeit eines überindividuellen Prinzips unterstellt, das nach einer physikalischen Kraft die künstlerischen Entscheidungen determinieren soll. Für das Subjektschema ist es nämlich zweitrangig, ob die künstlerische Praxis als Ausdruck individueller Vermögen oder allgemeiner stilbildender Mächte gedeutet wird. Etwa: eines ›Volksgeistes‹ (Burckhard), ›Kunstwollens‹ (Riegl) oder gar einer autonomen ›Form‹, die selbst ›zeugend weiterarbeitet‹.31

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Johanna Schaffer: Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung, Bielefeld: transcript, 2008, 11–14. 30 Betonungen der Relevanz des Orts der Bilder (für Produktion wie Rezeption) in Bezug auf ein Erbe der Bilder, die den kulturellen Ort einer Bildproduktion zur Rettung einer ursprünglichen Bedeutung der Kunst gegen eine globale Verstreuung von Werken betonen, wenden sich mit diesem Erbe der Kunstgeschichte im Gepäck so zwar gegen eine westliche Fortschrittsgeschichte der Kunst, die als Sieger die Moderne formal und ästhetisch zum globalen Maßstab gemacht habe. Der Begriff Erbe für die zu tradierende kulturelle Eigenart von Kunst beschneidet jedoch auch die Chancen der Kunst durch Übersetzung, Migration und historische Distanz durch letztlich väterliche Rechte; zumal eine solche Entwicklung oder performative Dimension gerade bei Gegenwartskunst vielleicht bereits den Ort der Kunst ausmachen könnte. Letztlich behandelt diese Auffassung Kunst lediglich als kulturelles Artefakt, das historisch oder ethnographisches Zeugnis abzulegen habe, – womit vorausgesetzt ist, dass ästhetische Ereignisse zuvorderst eine kulturell (oder überhaupt) codierte Bedeutung haben. Nicht zuletzt erscheinen die Produzierenden von Kunst als Vertreter/innen einer traditionellen kulturellen Eigenart wenn nicht Gattung, die statisch zu erhalten sei. Vgl. zum ›Erbe‹ den Band: Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt, hrsg. v. Hans Belting u. Lydia Haustein, München: C. H. Beck, 1998; insbes. darin: Hans Belting: Der Ort der Bilder, ebenda, 34–53, sowie ders.: Hybride Kunst? Ein Blick hinter die globale Fassade, in: Darstellung: Korrespondenz, Interventionen 9, hrsg. v. Jörg Huber. Zürich, Wien u. New York: Edition Voldemeer u. Springer, 2000, 99–112. 31 Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., 249. Vgl. zur Ausweitung der Filiation auf die Einordnung in Schulen und Kulturen durch

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Zwar handelt es sich dabei eher um ein Kollektivsubjekt, […] entscheidend ist aber, daß damit ein Wirkungsverhältnis postuliert wird, und daß ihm letztendlich dieselbe Erklärungsfunktion zukommt, wie der Künstlernatur.32 Sowohl die Vorstellungen eines autonomen, individuellen Urhebers als auch die eines sich in Kunst äußernden ›Volksgeistes‹ verbindet, dass es sich um »Formen der Verwesentlichung, um Grenzziehungen handelt, mit denen das Kontingente und Phänomenale am Menschen vom Konstitutiven und Dauerhaften unterschieden wird.« 33 Zu dieser Geste der Subjektivation ist die »Verschnürungsfunktion« 34 der Autorschaft notwendig Subjektivation erscheint jedoch zugleich als Verschnürungseffekt. Die Unvermeidbarkeit dieser Janusköpfigkeit definiert diese epistemische Strategie der auktorialen Signatur. Denn selbst wenn die auctoritas an einen kulturellen, historischen und/oder geopolitischen Kontext delegiert ist, ist es für die jeweilige Einbettung darin notwendig, Künstler als Exemplare eines Kollektivsubjektes zu identifizieren und diese Identifizierung an künstlerische Arbeiten zu knüpfen.35 In der analytischen Trennung von Wissensproduktion und (politischem) Subjekt, scheinen zwar das kommunizierende Individuum und seine/ihre Intention an den Rand gesetzt. Jedoch wird umgangen, dass von Autoren zu schreiben heißt, die volle Funktionalität der auktorialen Signatur anzuwenden.36 Aus der Perspektive der Frage nach dem politischen Subjekt kann diese Identifieine depersonalisierte »›Kunstgeschichte ohne Namen‹« Heinrich Wölfflin: Grundbegriffe, in: ders.: Gedanken zur Kunstgeschichte. Gedrucktes und Ungedrucktes, Basel: Benno Schwabe, 1947, 5–24, 15; u. ders.: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, a. a. O., VII. Dies kann allerdings auch auf Gründungsväter zurückgeführt werden, die auch wieder zur Ironisierung und Kritik solcher männlicher Selbstzeugungen, Erbfolgen und Eigentumsverhältnisse führte, z. B. über Stammbäume als Ordnungsbild der Kunstgeschichte, vgl. Astrit SchmidtBurkhard: Stammbäume der Kunst. Zur Genealogie der Avantgarde, Berlin: Akademie, 2005. 32 Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., 38. 33 Ebenda, 11. 34 Karl Eibl: Der ›Autor‹ als biologische Disposition, a. a. O., 56. 35 Jacques Derrida hat in Restitutionen anhand der Kritik Meyer-Shapiros an Heideggers Interpretation der ›Bauernschuhe‹ von van Gogh, das kunstwissenschaftliche Wirken der auktorialen Signatur als solche Identifizierungslogik verfolgt, vgl.: Jacques Derrida: Restitutionen, a. a. O., insbes. 422–436. 36 Denn selbst in gleichsam neutralster Anwendung – wie der Einbettung in einen durch Zuschreibung konstituierten Kontext – wird ein Subjekt als Enuntiationsort nicht nur unterstellt, sondern zum Gegenstand eines Diskurses, der es geopolitisch und historisch identifiziert.

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zierungslogik der auktorialen Signatur als Chance verstanden werden, der Historizität des Subjekts habhaft zu werden und/oder eine Kritik an den in Autorschaftsdiskursen angelegten Ansprüchen und Widerständen des Subjekts vorzunehmen. Jedoch bleibt ›der Autor‹ damit ein nützliches sujet der Wissensproduktion, auch wenn dies nicht mehr Genie oder Individuum heißt.

Subjektiv(iert)e Chancen

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Die Verflechtung von Identifizierung, Subjektivation und AutorFunktion unterliegt auch Untersuchungen, die sich in erster Linie auf Autorschaft/Künstlersein als Reflexionsformen der Subjektivität richten. Das Subjekt gerät zur Funktion von zirkulären Wissenschaftsdiskursen, die entweder im Kreis eines Staffellaufs 37 von Künstler/innen-Modellen oder in dem von immer neuen politischen oder reflexiven Subjekten der Kunst laufen. Jeweils wird die Reflexivität des Künstlerseins gegenüber der Medialität und Materialität von künstlerischen Arbeiten privilegiert, z. B. wenn Werk und Autor/in in konzeptionellen Selbstportraits enggeführt werden.38 Mit dem prototypischen Subjekt tritt so die auctoritas durch die Seitentür wieder ein. Denn sobald angenommen wird, dass Künstler/innen in Selbstportraits kompetent ihre Lage reflektieren, bearbeiten und hierfür Autorschaft reklamieren, wird der Künstler/die Künstlerin zum Demiurgen/zur Demiurgin des (problematischen) Selbst. Wenn nach Heinz Knobeloch »das Subjekt in Handlungs- und Argumentationszusammenhängen vorkommt«,39 um »als gedankliche oder rhetorische Figur […] bestimmte Erklärungs- und Begründungsfunktionen« 40 zu verkörpern, dann bleibt jedes Schreiben über Kunst und Künstler und jede Nennung von Künstler/ innen-Namen notwendig auf den Begriff vom ›Subjekt‹ wie auf Subjekte bezogen. Knobeloch betont deshalb zu Recht, dass umgekehrt auch jedes künstlerische Handeln einen handelnden Künstler voraussetzt und als Subjekt hervorbringt. Das Künstler-Sein vermag sich demnach durch Kunst selbst als Form der Subjektivi37 Den Ausdruck ›Staffellauf‹ etabliert Katharina Sykora für die Verhandlung des Feminismus in der Kunst, vgl. dies.: Staffellauf, in: Die Wohltat der Kunst. Post/Feministische Positionen der neunziger Jahre aus der Sammlung Goetz, Ausstellungskatalog Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, hrsg. v. Rainald Schumacher u. Matthias Winzen, Köln: König, 2002, 191–207, insbes. 204 ff. 38 Vgl. Susanne Düchting: Konzeptionelle Selbstbildnisse, Essen: Klartext, 2001. 39 Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., 11. 40 Ebenda.

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tät zu reflektieren, modifizieren und zu re-produzieren. Die Doppelfigur des Autors als Subjektsujet ermöglicht so, im Anschluss an das Interesse des späten Foucaults an der Produktivität eines kritisch-distanzierten und ästhetischen Selbstverhältnisses des Subjekts,41 den Autor/Künstler als Grundlage und Thema der Kunstgeschichte kritisch aufzunehmen. Denn ›der Künstler‹ als prototypisches Subjekt erweist sich nicht nur als Ort der diskursiven Begrenzung der Möglichkeiten der Subjektivität. Wenn »das Bild des Urhebers […] hier seine vertrauten Konturen erhält«, dann da es sowohl als kreative »Instanz, die ihre besonderen Talente (erfolgreich) zur Lösung der Innovationsprobleme einsetzt« 42 als auch als »Konzept des autonomen Individuums, das in der Lage ist, sein eigenes Selbst willkürlich zu gestalten und seine innersten Regungen ›authentisch‹ zum Ausdruck zu bringen«,43 einzusetzen ist. Hiermit biete sich auch die Möglichkeit, Subjektivität zu bearbeiten. Denn der Autor/Künstler ist nicht nur Ort der diskursiven Regulationen des subjektiven Selbstverhältnisses, sondern auch Ort der Freiräume seiner alternativen Gestaltung. Steht der Künstler historisch für einen Prototyp der alternativen Subjektivität ein, läge genau darin die Chance zur kritischen Reflexion, die auch ermöglicht, Kunstgeschichte als »Experimentierfeld in Sachen Subjektivität« zu nutzen.44 So soll sich also gerade aus der poststrukturalistischen Kritik am Subjekt eine Nützlichkeit des Autors ableiten.45 Diese zielt jedoch weniger auf die Verteidigung einer Pragmatik der Produktion von Wissen als kohärente Einheit zwischen Autor, Werk und Kontext, aus der erst Bedeutung entstehen kann. Vielmehr interessieren die inhaltlich-motivischen Besetzungen des Künstleroder Autor-Seins als restriktive wie ermöglichende Spielformen des Subjekts. Für diese Spielformen werden Parameter wie Inspiration, Kompetenz, Autorität, Individualität, Stil und Intention 46 41 Vgl. Michel Foucault: ›Eine Ästhetik der Existenz‹. Gespräch mit Alessandro Fontana, in: Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch, Berlin: Merve, 1984, 133–141. 42 Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., 13. 43 Ebenda. 44 Ebenda, 12. 45 Denn insofern man am Autor/Künstler die Möglichkeiten der Subjektivität prototypisch durchzuexerzieren vermag und da dies historisch (mehr oder weniger reflektiert) mit Vorliebe geschehen ist, lasse sich neben einer Kritik der Kunstgeschichtsschreibung auch auf die Möglichkeiten des Subjekts verweisen. 46 Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern, a. a. O., 4–7.

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genannt; während Ethnograph,47 Manager,48 Genie, Heilsbringer, Antikünstler 49 oder Magier, Alchemist 50 und Nomade,51 u. m. als ›Rollen‹ aufgeführt werden. Hiermit seien jenseits einer Totalisierung der Autonomie des ›Künstlers‹ sowohl die historisch divergierenden Ansprüche an Künstler/innen/Subjekte als auch ihre Handlungsspielräume (zwischen Regulierung und Entlastung von Normierungen) zu erhellen. Diese Chancen des Nexus von Subjektivität und Kunstgeschichtsschreibung interessieren wissenschaftshistorisch zu dem Zeitpunkt, da die Kunstpraxis längst in einem breiten Repertoire auf den Zusammenhang ›des Künstlers‹ mit Subjektivität, Individualität, Genialität, Kollektivsubjektivität verwies, um den Künstler als Wissensfigur und als Ort von Identitätspolitiken reflexiv zu machen. So seien, wie Sabine Kampmann und Katharina Sykora prononcieren, ›der Künstler‹ und das Schreiben über ihn längst zum Fake bzw. zur Camouflage geworden.52 Dabei versuchten solche Reflexionen vielfach als identitätspolitische und wissenspolitische Interventionen in der Kunst/Wissenschaft wirksam zu werden, um den engen Kreis derjenigen, die in den Kanon der Kunst eintreten durften, zu erweitern. Da hier vorerst die Nützlichkeit des Autors für die epistemischen Strategien der Kunst/Wissenschaft interessiert, wird die Frage nach den Möglichkeiten einer dezidierten, parteilichen Subjekt-Politik aufgeschoben (vgl. Fallen des Exemplars), um zu untersuchen, wo und wie sich unter den Variationen des Interesses an Autorschaft die epistemische Strategie der auktorialen Signatur re-etabliert.

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47 Hal Foster: The Artist as Ethnographer, in: ders.: The Return of the Real. The Avantgarde at the End of the Century, Cambridge (Mass.): MIT Press, 1996, 171– 204. 48 Felix Philipp Ingold: Autorschaft und Management. Eine poetologische Skizze, Graz: Literaturverlag Droschl, 1993. 49 Vgl. dazu Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler, a. a. O, 57 ff. u. 149 ff. 50 Vgl. Verena Kuni: Der Künstler als ›Magier‹ und ›Alchemist‹ im Spannungsfeld von Produktion und Rezeption. Aspekte der Auseinandersetzung mit okkulten Traditionen in der europäischen Kunstgeschichte nach 1945. Eine vergleichende Fokusstudie – ausgehend von Joseph Beuys, Inaugural-Dissertation an der PhilippsUniversität Marburg, Marburg 2004, Elektronische Publikation: Marburg 2006, http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2006/0143/ (zul. ges. 2. 2. 2013). 51 Heinz Knobeloch: Portrait des Künstlers als Nomade und Bastler, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, a. a. O., 213–228 sowie Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung. Nomadistische Denkweisen in der Kunstwahrnehmung nach 1945, Berlin: Reimer, 2007. 52 Sabine Kampmann u. Katharina Sykora: Einleitung. Künstler-Images oder das Schreiben über den Künstler als Camouflage, a. a. O., 9–15, 10.

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Versucht die Kunst/Wissenschaft mit der Thematisierung von Autorschaft als paradigmatische Reflexionsform der Bedingungen von Kunst und Subjektivität den Autor/Künstler in ein neuformiertes wissenschaftliches Thema zu gießen, stellt sich anders herum auch die Frage nach der Notwendigkeit, »an einem anders bestimmten Modell von künstlerischer Autonomie« 53 festzuhalten. Hierfür plädiert Isabelle Graw zur Kritik an den identitätspolitischen Debatten in den 1990er Jahren. Begriffe wie ›Autor‹ besäßen nämlich den Vorteil, dass sie zuließen, das »Künstlersubjekt« als ein »für die künstlerische Bearbeitung der eigenen Zwangslage verantwortlichen Autor« 54 zu kritisieren: An diesen Aspekt von identitätspolitischer Autorschaft anzuknüpfen, würde bedeuten, die Künstler/innen für die Gestalt ihrer Arbeit zur Verantwortung zu ziehen, was die Möglichkeit, dass diese ihnen von sozialen Bedingungen, Diskriminierungserfahrungen, fremder Hand oder vom Unbewußten diktiert wurde, natürlich nicht ausschließt.55 Demnach muss hier die Person ›des Autors‹ für die Effekte und selbst für das, was ihm ›diktiert‹ wurde, einstehen. Da dieser ›Autor‹ als verantwortliches Subjekt der Kritik ermöglicht, Zusammenhänge zwischen Kunst und sozialen Bedingungen, herzustellen, wäre er strenggenommen selbst noch verantwortlich für alle Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Kritik, sie mit seiner oder gegen die Ausgestaltung seiner Arbeiten als Identitätspolitik aufzufassen. Er hätte selbst noch die epistemischen Effekte jeder auf ihn angewendeten Verschnürungsfunktion zu verantworten, weit hinaus über die Möglichkeiten, die man kommunikativer Kompetenz gemeinhin zuschreibt.56 In würde in letzter Konsequenz wäre die Aufgabe der Kritik vollständig an die Kunst-Produzierenden delegiert, während die Kunstkritik diese Bearbeitung lediglich neutral registriere.57 53 Isabelle Graw: Das war vor Jahren. Plädoyer für Politisierung, in: Zusammenhänge herstellen. Contextualize, Ausstellungskatalog Kunstverein Hamburg, hrsg. v. Kunstverein Hamburg, Köln: DuMont, 2003, 6–11, 7. 54 Ebenda, 10. 55 Ebenda. 56 Dass der ›kompetente Autor‹ eines ›kompetenten Lesers‹ bedarf, ist hier zudem ausgeblendet. 57 Dass dies selbst Graw nicht vertritt, wird deutlich in: Isabelle Graw: Der große Preis, a. a. O. Dort wird die Tätigkeit der Kritik und/oder Kunstwissenschaft dezidiert in ihr kommunikationstheoretisches Modell der Kunst aufgenommen, ebenda, 105 ff u. 232 ff. Parallel zur Subjektwissenschaft interessiert dennoch

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Auch diese Hochschätzung des Autor/Künstlers als reflexiver Faktor einer kommunikativen Komplexität in den Künsten impliziert eine Bändigung der Kunst hin auf Bedeutung. Auch hier hat die Autor-Funktion Kunst oder Literatur in sinnvolle Aussagen (zu Subjektivität) so umzumünzen, dass sie sich in etablierte epistemische Strategien der Wissenschaft, die auf Bedeutung zielen, übersetzen lassen. Die wissenschaftliche Präferenz für polyvalente ›Konstruktionen von Autorschaft‹ privilegiert dabei keineswegs weniger Bedeutung wie die Betonung einer Unverzichtbarkeit, die darin liegt, dass ›der Künstler‹ den Ausfall der Wahrnehmung ästhetischer Eigenschaften zu kompensieren hat. Arbeitet im letzteren Fall die Frage nach dem Ästhetischen dem Privileg der Bedeutung von Autorschaft zu, ist im anderen Fall der Autor/ Künstler an die Stelle der Kunst getreten. Versteht man das ästhetische Moment jedoch gerade in einer Zersetzung von konventioneller Bedeutung und den Funktionen ihrer institutionellen oder diskursiven Sicherung, z. B. im Ohne-Sinn, dann tilgen auch diese Nützlichkeiten ›des Künstlers‹ das Ästhetische, anstatt es darzubieten. Wo ein mit den epistemischen Strategien der Wissenschaft inkompatibler Ohne-Sinn lauert, macht der Bezug auf intentionale auktoriale Sinndestruktion gleich wieder Sinn daraus, denn: »(Ohne ›Autor‹ wäre die ironische Rede nur Unsinn.)« 58 Selbst die systematischen Ausarbeitungen der poststrukturalistischen Autorkritik, die sich auf die Produktivität des Autor/Künstlers in einem beweglichen diskursiven Prozess richten, benötigen die pragmatische Nützlichkeit der Autorschaft und privilegieren gegen ihre Kosten im Ästhetischen. Wenn zuletzt Autorschaft zur einzigen und legitimen Möglichkeit, Wissen, Kritik oder Politik herzustellen, naturalisiert wird, schleicht sich die auktoriale Kompetenz durch die Hintertür wieder herein: Kommunikationseffekte werden nicht mehr nur an Namen verfolgt, sondern ihnen zugerechnet, um künstlerische Positionen zu kritisieren oder auszuzeichnen. Die Nützlichkeit der Autor-Funktion als Gegenstand oder Thema der Wissenschaft besorgt ein ökonomisches Kreisen um genau diesen Gegenstand. Auch die reflexiven Figurierungen von Autorschaft bieten innerhalb eines limitierten homogenen Bereichs eine unendliche Fülle an Bedeutungen und Gegenständen. Auch wenn Re-Theoretisierungen von Autorschaft vornehmlich versuchen, die das Künstler-sujet weiterhin zuvorderst als prototypische Bearbeitung der eigenen Positionierung. 58 Karl Eibl: Der ›Autor‹ als biologische Disposition, a. a. O., 59 f. Als Kitt der Unfüglichkeiten zwischen epistemischen, medialen und ästhetischen Strategien überführt Autorschaft jedwede Irritation in sinnige Bedeutung.

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Ebenen der Autor-Funktion als Orte einer fruchtbaren Polyvalenz oder pragmatischen Konstitution von Wissen zu systematisieren, arbeiten sie bereits innerhalb einer limitierenden Formierung von Wissen. Polyvalenz und Begrenzung schließen sich ja keineswegs aus. Gerade im Anschluss an Foucault zeigt sich, dass Autorschaft in den Geisteswissenschaften als Ort einer funktional begrenzten Varianz von Bedeutungen dient, indem sie sie einerseits verorten und identifizieren und den Autor andererseits zum Ort einer unendlichen Lektüre machen. In diesem Zirkel erweist sich der Autor als unendliche Quelle von Sinn als Versprechen einer immer weiter zu wendenden kommunikativen und interpretativen Logik. Indem man auch mit dem reflexiven Autor/Künstler das sujet immer wieder wenden kann, ist eine regulierte Pragmatik der vielfältigen Sinnkonstitution bedient. Sowohl mit der harmlosen Nützlichkeit als auch mit Überführung der Funktion Autor in ein artifiziell verhandeltes, reflexives Motiv der Kunst ist die Frage nach den wissenschaftlichen Subjektivationsprozessen, die sich an die Konstitution von reflexiver Autorschaft im ›Künstler‹ knüpfen, in den Hintergrund gedrängt, um den Sinn der Sache weiterhin am Autor/Künstler festzumachen. Sowohl das Versprechen einer reflexiven Kommunikation des Künstler-Seins in der Kunst und als Kunst, als auch die sich darin abzeichnende Ersetzung des ›Werks‹ durch den ›werkhaften Künstler‹ erweist sich als Interpretationsökonomie, der das Erscheinen und Verschwinden des Autors eine Fülle der Interpretationsmöglichkeiten und eine re-produktive Ver wendung im immer gleichen Korsett der auktorialen »Verschnürungsfunktion« 59 liefert. Die Begrenzung von Sinn ist hierbei nicht zu verwerfen; sie ist als notwendige Bedingung von Wissen aus epistemischen Strategien nicht zu eliminieren. Jedoch ist, um das Wissen zu bewegen, auch immer sowohl zu fragen, was in solchen Begrenzungen ausfällt, als auch, inwiefern epistemische Strategien sich als inkompatibel mit den in ästhetischen Strategien hervortretenden Medialitäten und Materialitäten erweisen. Kunst wäre nämlich sonst nicht mehr als ein Subjektdiskurs. Dies weist auf eine Seite des Werts der auktorialen Signatur für epistemische Strategien: Mit der Lesbarkeit, Identifzierung, Zurechnung des Künstler-Namens usw. wird Kunst diskursivierbar. Eine Visualität wird Schrift, Diskurs. Wie im Sichtbaren signiert ist, wie und dass eine Signatur sichtbar werden muss, wird hiervon verdrängt.

59 Ebenda, 56.

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Da außerdem jede Analyse von konkreten künstlerischen Reflexionen aufs Künstler-Sein die Identifizierung des jeweiligen sujets voraussetzt, fällt der Gewinn an Möglichkeiten für das jeweilige Subjekt vielleicht geringer aus, als der Zinssatz derjenigen epistemischen Strategien, die »ähnlich den Ansätzen de-essentialistischer Subjekt-Konzepte aus der Distanz zu seinem Gegenstand Analysegewinne zieh[en].« 60 Karin Gludovatz’ Annahme, dass die Signatur »[w]eit über die auch heute wichtige Funktion der ökonomischen Wertsicherung hinaus, […] zweifelsohne auch das Versprechen einer dahinter stehenden Künstlerindividualität« 61 bietet, weist dann auf die andere Seite der auktorialen Signatur: Sie gibt einen Eigennamen, der durch den epistemischen Wert der auktorialen Signatur aus seiner Singularität genommen und ebenfalls dem Diskurs zugeführt werden kann. Die distanzierte Analyse der Funktionalität von Autorschaft vermeidet so keineswegs eine Beteiligung bei der Herstellung jeweiliger Autorsujets, welche bereits der Gebrauch des Namens im Modus des ›als‹ (Japaner, Mann, Frau, Künstler usw.) indiziert.62 Die Doppelgesichtigkeit der Zurechnungsfunktion wird vielmehr durch die Negierung einer Beteiligung doppelt gewaltsam. Sie dient zur Urteilsbildung über die Bearbeitung einer subjektiven Zwangslage, die vom sujet erwartet wird. Hier liegt eine kunstwissenschaftliche Dividende auf den Autor: Das Autor-sujet hält die jeweilige Zwangslage und die darin verwickelten epistemischen Strategien einer Kunstgeschichte mittels des Themas des Subjekts gleichsam urbar, um eine funktional optimierte Künstlergeschichtsschreibung zu betreiben. Ein zwangloses sujet wäre ja wertlos. So jedoch lässt sich letztlich immer dieselbe Geschichte als Staffellauf von künstlerischen Positionen wieder anders erzählen. Diese Problematik ist allerdings höchst notwendig; anders als in dieser diskursiven Spirale lässt sich das Subjekt der Kunst weder reflektieren noch kritisch umwenden. Da jedoch die Autor-Funktion eine epistemische Strategie darstellt, an der man, egal aus welcher Distanz, mitwirkt, ist die sich auf die Möglichkeiten des Subjekts richtende Subjektwissenschaft notgedrungen dazu gezwungen, sich an deren limitierenden Aspekten sowohl fürs Wissen als auch fürs jeweilige Subjekt zu beteiligen. 60 Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., 65. 61 Sabine Kampmann: Der Künstler als Staffelläufer. Über die Autorfigur Markus Lüpertz im Spannungsfeld von Tradition und Innovation, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, a. a. O., 43–66, 60. 62 Eine Involvierung in diese Zwangslage ergibt sich demnach ebenso durch das Beharren auf die epistemische Produktivität einer kreativ-kritischen Zwangslage des Subjekts wie durch die epistemischen Identifizierungs-Maßnahmen, die notwendig sind, um diesen Anspruch überhaupt anlegen zu können.

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So betreibt man immer nur Künstlergeschichte im neuen Gewand. Darin erneuert sich eine kunst/wissenschaftliche Wissensökonomie weiter gleichsam auf Kosten von Künstler/innen, wobei sie eine beidseitige Rendite in Aussicht stellt, die in der wechselseitigen Aufwertung durch diejenige Differenz besteht, welche der jeweilige Künstler/die jeweilige Künstlerin markiert. Es ist genau dieser wunde Punkt, auf den ein Ausgang von der poststrukturalistischen Problematisierung ›des Autors‹ mit der Ambivalenz des sujets beharrlich zu weisen vermag, ganz gleich, ob man ihnen in jedem Punkt recht geben mag. Sie kritisiert eine Unverzichtbarkeit des Autor/Künstlers gerade im Hinweis auf die problematischen Effekte seiner Unvermeidbarkeit. Fällt eine Reflexion dieser Ambivalenz des sujets aus, re-produziert sich die Ökonomie der auktorialen Signatur in einer Kunstgeschichte als Fortschrittsgeschichte des Subjekts. Kunst/Wissenschaft autorisiert sich hierbei über den Autor/Künstler als exzellentes sujet (auch als exzellentes, verworfenes sujet der Kritik) und versichert sich zirkulär des eigenen, etablierten Wissens. Nichts schließt aus, dass Künstler/innen dieses Bedürfnis absichtlich bedienen. Es ist jedoch ein wechselseitiges Geschäft, erkennt man die Tendenz der Kunstgeschichte, eine kommunikative oder diskursive Produktion einer im ›Autor‹ begrenzten Innovation zu entwerfen, die sich in immer neuen Künstler/innen-Entwürfen verkörpern muss. Der konkurrierende Wettlauf von Filiationen und Einschreibungen in Genealogien, der in »künstlerischen Selbstbehauptungen wie kunstwissenschaftlicher Bestätigungsrhetorik« 63 gleichermaßen statthaben mag, steht unter der Ägide eines Zwangs zum Neuen: Kunstwissenschaftler bemühen sich nicht nur, stets Neues zu produzieren, sie versuchen überdies, ihre theoretischen Innovationen an künstlerischen Spitzenleistungen zur exemplifizieren – vielleicht in der Hoffnung so auch die eigene Wissenschaft zu nobilitieren.64 Kunstgeschichte nobilitiert sich, vielleicht mit einigem Eroberungsgeist, durch die Entdeckung und Einführung von neuen, mehr oder minder vorbildlichen Prototypen/Exemplaren einer Klasse (Volksgeist, Kultur, Stil, Geschlecht, Ethnizität, historischer Bedingtheit, Subjektivität) oder von neuen Radikalisierungen exemplarischer subjektiver Exzeptionalität/Singularität. Letzteres erweist sich zu63 Sabine Kampmann: Der Künstler als Staffelläufer, a. a. O., 58 u. ff. 64 Ebenda, 66.

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nehmend selbst als eine Art Klasse, nämlich als Versprechen einer personifizierten Singularität. Dies ist jedoch ein Widerspruch in sich: Das Singuläre kann nur als Alterität auftreten, ansonsten wäre es möglich, es einem Begriff, einer Klasse etc. zuzuordnen.65 Ohne diese Problematik anzusehen, umkreist in der Kunst/Wissenschaft ein hermeneutischer Zirkel zwischen Individuellem und Allgemeinem sein konstitutives Anderes: Künstler/innen. Sie müssen so als beispielhaft konkretisierte Verengungen, im Extremfall als Exemplare, normale oder anormale, normative oder abweichende Subjektivität und ihre Möglichkeiten repräsentieren. Antrieb dessen ist ein mehrfaches Versprechen des sujets. Es bietet sowohl die Anknüpfung von Kunst an Geschichte, Kultur, Geschlecht und tradierte Figurationen von (prototypischer) Subjektivität und andererseits ein ökonomisch zu bearbeitendes, wissenschaftliches Thema, das einen ästhetischen Ohne-Sinn bändigt.

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65 Genau deshalb hat Lévinas Singularität und Alterität so eng miteinander verknüpft; vgl. Die Spur des Anderen, a. a. O.

3. Fallen des Exemplars

Das kunst/wissenschaftliche Subjektsujet ist, gerade vor dem Hintergrund der Frage nach Alterität, noch genauer von der Seite der Konstitution von Subjekten her zu diskutieren. In der Hartnäckigkeit der auktorialen Signatur als epistemische Strategie der Kunstgeschichte fehlt in der postkolonialen Hinwendung zu den »Stimmen der Anderen« 1 nämlich erstens die Markierung eines Unterschieds zwischen Alterität und signifikanter Differenz. Sobald eine Rhetorik des Künstlersubjekts engstens an eine identifizierende Verortung dieses Subjekts als Differenz zur Hegemonie gebunden wird, verfestigt sich zweitens in einer problematischen Identifizierungslogik das zählebige Versprechen des Künstlers, eine alternative Subjektivität zu sein, zur Stereotypisierung von Exemplaren. Dies stellt gleichsam die Nachtseite einer in den Humanwissenschaften situierten Gründung der Kunstgeschichte dar, deren Exklusionsmechanismen durchaus Thema der postkolonialen Kritik sind, aber selten verbunden werden.2 Die Emphase auf den Autor als »reiches und schwieriges Sprießen« 3 wurde im 19. Jahrhundert nämlich von einem anderen Interesse am Menschen begleitet. In der physischen Anthropologie wurden z. B. massenhaft namen1 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20. 2 Wenn der Ausdruck ›Kunstgeschichte‹ sowohl »eine unmittelbare Aneignungsmöglichkeit der Kunst als auch von Geschichte und Gesellschaft« insinuiert, dann zentriert sich dies aus diskursanalytischer Perspektive seit dem 19. Jahrhundert um den ›Menschen‹ der Humanwissenschaften. Regine Prange: Die Geburt der Kunstgeschichte. Philosophische Ästhetik und empirische Wissenschaft, Köln: Deubner, 2004, 9. Für sie tritt das Paradigma der Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts durch den Bedeutungsverlust der Nation oder kultureller Grenzen erst heute deutlich hervor, ebenda. Zu den Humanwissenschaften vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974, 413–462. 3 Michel Foucault: Archäologie des Wissens, a. a. O., 173.

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lose Exemplare der Differenz forschend konstituiert, die den Rand des Menschlichen bezeichneten. Von dieser Randstellung aus war es unmöglich, Autor/in zu sein, da diese das Exemplarische der individuellen Subjektivität stellte. Nicht jede/r konnte somit Subjekt der Kunst werden. Aus der Perspektive einer solchen Subalternität der Kunst 4 beinhaltet jede etablierte künstlerische Außenseiterposition innerhalb einer Kunstgeschichte als Kampfplatz von Bedeutungen eine anzustrebende erhebliche Verbesserung.5 Dies erzeugt jedoch das Problem, einen Rand kunstwissenschaftlich aufzuwerten, der weiter ein Außen darstellen soll.

Ohne Ende: Wer spricht/schreibt (nicht)?

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Versucht eine postkoloniale Kunstwissenschaft, den ›Rand‹ aufzuwerte, betont sie den Wert, als Subjekt der Kunst anerkannt zu werden. Diese Tendenz der feministischen und postkolonialen (Kunst)Wissenschaft kritisiert die Abschaffung des Autors, die sie mit den Namen Foucault und Barthes identifiziert. Gleichsam im Namen ihrer sujets richtet sie sich auf die Entbergung der »Stimmen der Anderen«,6 um ihre Anerkennung als Subjekte zu befördern. Mit ›die Anderen‹ sind hier von Autorschaft ausgeschlossene Personen gemeint. D. h. sowohl diejenigen, die historisch im Kolonialprozess so sehr entmündigt/subaltern waren, dass ihnen noch nicht einmal die Gelegenheit zukam, politisches sujet zu werden, als auch Künstler/innen, denen als Frauen und/oder als kulturell Differente die hegemoniale auktoriale Position abgesprochen war. Diese Interpretationspolitik im Namen eines personifizierten Anderen kann an feministische Kritiken am Tod des Autors anschließen. Grundlage ist der Verdacht, dass ›der Autor‹ nicht von ungefähr dann von ›europäischen Männern‹ ›abgeschafft‹ wurde, als diejenigen, die (wie Frauen und/oder die Anderen der Kunst) bisher von Autorschaft ausgeschlossen waren, begannen, diese Position zu erobern und die Machtverhältnisse in der Kunst reflektierten: 7 4 Vgl. Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak?, in: Marxism and the Interpretation of Culture, hrsg. v. Cary Nelson u. Lawrence Grossberg, Urbana u. Chicago: University of Ilinois Press, 1988, 271–313, 271 f. 5 Es ist jedoch zu betonen, dass Subalterne der Kunst stets nur diejenigen sein können, die noch einmal die Gelegenheit haben, sich diese Frage überhaupt stellen zu können. 6 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O., 9. 7 Nicht nur Sigrid Nieberle weist auf die Parallele des Tods des Autors mit der vermehrten Thematisierung von Autorinnen hin. Vgl. Sigrid Nieberle: Rückkehr

3. FALLEN DES E XEMPLARS

Thus in many cases, from the perspective of those not heretofore considered authors, the erasure of the author that has come from the radical critiques of authorship in the twentieth century seems sexist or racist. The question inevitably arises: why does the concept of the author die just as these adjusted authors arise in culture? 8 Der Tod des Autors vereitele das feministische Projekt einer Einführung von Autorinnen, das ihre »critical oblivion« 9 auf heben möchte. Die machtvolle (gleichsam auktoriale) Auf lösung des Konzepts der Autorschaft verhindere für die vom Rande her drängenden Positionen, ein Subjekt der Kunst statt lediglich ihr Objekt zu werden. Impliziert ist damit die Notwendigkeit, für die Teilnahme an Symbolik- bzw. Bedeutungspolitik als Subjekt intelligibel zu werden. Aus diesem Grund, so Birgit Haehnel, »wird am Subjektstatus im Postkolonialismus festgehalten, um einer fremden und verleugneten Subjektivität Geltung zu verschaffen und weiteren Diskriminierungen entgegenwirken zu können.« 10 Die Zentralität der Verortung von Sprecherpositionen für die postkoloniale Interpretationspolitik betont auch Edward Said, wenn er fragt: »Who writes? For whom is the writing being done? In what circumstances? These […] are the questions […] for a politics of interpretation.« 11 Politisch zu interpretieren heißt hier, die Identität des/der Schreibenden (oder Malenden oder Fotografierenden usw.), die des intendierten Adressatenkreises sowie seine/ ihre Umstände festzustellen. Das Subjekt ist als Ausgangspunkt der einer Scheinleiche? Ein erneuter Versuch über die Autorin, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 255–272, 271. »Der postmoderne Entschluss, dass der ›Autor tot‹ ist und mit ihm das Subjekt, gilt, so behaupte ich, nicht notwendigerweise auch für Frauen, und er verbietet die Frage nach der weiblichen Autorschaft voreilig.« Nancy K. Miller: Wechseln wir das Thema/Subjekt. Die Autorschaft, das Schreiben und der Leser, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, a. a. O., 251–274, 255. Die Frage nach dem Ausschluss weiblicher Autorschaft in der Kunst brachte prominent Linda Nochlin auf, vgl. dies.: Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben?, in: Rahmenwechsel. Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft mit feministischer Perspektive, hrsg. v. Beate Söntgen, Berlin: Akademie Verlag, 1996, 27–56. 8 Catherine Soussloff: The Aura of Power and Mystery that Surrounds the Artist, in: Rückkehr des Autors, a. a. O., 481–493, 484. 9 Ebenda. 10 Birgit Haehnel: Geschlecht und Ethnie, in: Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, hrsg. v. Anja Zimmermann, Berlin: Reimer, 291–313, 300 f. 11 Edward Said: Opponents, Audiences, Constituencies, and Community, in: The Politics of Interpretation, hrsg. v. W. J.  T. Mitchell, Chicago: The University of Chicago Press, 1983, 7–31, 7.

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(postkolonialen) Interpretationspolitik vorausgesetzt. Seine Identität und Intentionen bedingen die Politik der Interpretation. Die subjektive Position 12 ist als Grund wie als Zweck von Schreiben, Interpretation und Kritik habhaft zu machen. Demnach beruht postkoloniale Interpretationspolitik auf dem Produzieren, Unterscheiden und kritischen Erkennen von Identitäten. Sie ist eine Identitätspolitik,13 die das ›Wer‹ oder Subjekt des Schreibens, der Adressaten und ihre Umstände voraussetzt und stellt. Es ist die Identität des Enuntiationsortes, die Statements, Aussagen, Umstände und ihre (politischen) Effekte bedingt. Zuvorderst habe man sich deshalb darum zu kümmern, wer schreibt, wer liest und wer nicht.14 In dieser Form der feministischen und postkolonialen Kritik ist das Versprechen des Subjekts somit engstens an kompetente Autorschaft geknüpft. Die Frage nach exkludierten Autorschaften ermöglicht hierbei der Kunst/Wissenschaft, die inhaltlichen Besetzungen von Autorschaft und die Regeln des Kanons als Ausschlussverfahren zu problematisieren.15 Autorschaft erscheint so einerseits als kanonisiertes, da gegendertes und ethnisiertes/weißes Feindbild, nämlich als limitierende Autorität, andererseits als begehrte Machtposition im Kanon, die zu erobern sei. Dabei determiniert der Ort der Aussage ihren Gehalt. Bereits der Kritik an der poststrukturalistischen Autor- und Subjektkritik unterliegt die Voraussetzung, dass Barthes, Derrida und Foucault als und für hegemoniale weiße Männer schrieben (was sich vielleicht selbst biographisch widerlegen ließe). Nur die Identifizierung dieser Autoren als weiße, hegemoniale Männer scheint auszureichen, um zu belegen, dass ihre Problematisierung einer bestimmten Strukturierung und inhaltlichen Skandierung von Autorschaft

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12 Bei Said steht dies im bewussten Widerspruch zur als methodischer Ausgangspunkt proklamierten Foucault’schen Diskursanalyse. Dieser Widerspruch sorgt bereits in Orientalism für Inkonsistenzen. Vgl. Edward. W. Said: Orientalism. New York: Vintage Books, 1979. 13 Dies lanciert z. B. Homi K. Bhabha in: Dazwischen, Daneben, Danach. Interview mit Homi K. Bhabha von Christian Höller, in: Widerstände. Kunst – Cultural Studies – Neue Medien. Interviews und Aufsätze aus der Zeitschrift springerin 1995–1999, hrsg. v. springerin, Wien u. Bozen: Folio, 1999, 205–210. 14 Zwar steht dies im Kontext einer De-Essentialisierung von kultureller Identität, die den hierarchisierenden und stereotypisieren Folgen des exotistischen Umgangs mit Identitäten entgegenwirken soll. Doch werden vielfach selbst de-essentialistische Begriffe wie Hybridität wieder an postkoloniale Identitäten gekoppelt. Die Zirkularität solcher Identitätsdebatten, die im Namen der Destruktion des Subjekts seine Unverzichtbarkeit bezeugen, moniert u. a. Slavoj Žižek: Die Tücke des Subjekts, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, 248 ff. 15 Barbara Paul: Schöne heile Welt(ordnung), a. a. O., 5–36.

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diese abschaffe/kritisiere, um dem konstitutiven Anderen der Hegemonie eine adäquate diskursive Macht-Position zu verwehren. Doch ließe sich diese Geschichte auch so erzählen: Erst als diejenigen, denen dies bisher verwehrt war, begannen, die Position der Autorschaft mit all ihren Verheißungen (wie z. B. der kompetenten Äußerung, der künstlerischen Mitbestimmung, der Autorität, der auktorialen Sichtbarkeit in der Kunst) einzunehmen, vermochte sich die diskursive Aufwertung zum Subjekt der Kunst als problematische, zirkulär identifizierende Subjektivation und Wissenspolitik aufzudrängen. Gegen alle Schwierigkeiten der ›Position‹ 16 rehabilitiert diese Subjektpolitik das Subjekt und selbstbewusste Autorschaft als Mittel der politischen Autorisierung. Statt einer Logik radikaler Individualität als Bedeutungsproduktionsmaschine folgt dies einer Logik des Exemplars, in welcher der/die Autor/in als reflexive/r Vertreter/in einer Art wissenspolitische Relevanz erhält. Im Streben nach der Vorherrschaft auf einem Schlachtfeld des Wissens werden über das Autorsujet Fronten gebildet, Positionen gegeneinandergesetzt, Bedeutungen projektiv festgestellt und letztlich Autor/Künstler/ innen wie Exemplare in einer Klassifikationen präsentierenden Vitrine aufgespießt. Dieses Versprechen der erfolgreichen auktorialen Subjektrepräsentation 17 beruht auf einer zirkulären Begründungsstruktur, die allerdings fraglich macht, ob sie Anderes zulässt: Die Bereiche der politischen und sprachlichen ›Repräsentation‹ legen nämlich vorab die Kriterien fest, nach denen die Subjekte selbst gebildet werden, so daß nur das repräsentiert werden kann, was als Subjekt gelten kann. Oder anders formuliert: Bevor die Repräsentation erweitert werden kann, muß man erst 16 Darauf, dass der Begriff auch der vervielfältigten Position, verstanden als »Effekt und Funktion einer Feldsituation«, keine Lösung für die Identitätslogik oder eine Exotisierung in ethnisierter Differenz darstellt, hat Tom Holert hingewiesen, vgl. ders.: Vom P-Wort. Der Positionsbegriff im Jargon der Kunstkritik, in: Texte zur Kunst, Jg. 12, H. 45: Verriss (März 2002), 50–59. Der Begriff Position »schaltet die Marktlogik der Nachfrage nach ›künstlerischen Positionen‹ nicht aus. Diese zielt […] darauf, möglichst viel Kapital (in jedem Sinne) aus der Dekonstruktion des Subjekts der Transzendentalphilosophie und der Revision des Autorbegriffs zu schlagen. […] Die kritische Konsequenz dieses Vorgangs ist nicht ohne Perfidie: Sie scheint dazu zu zwingen, das Autorsubjekt zu restaurieren«, ebenda, 58. 17 Hier spielt der Begriff der Sichtbarkeit eine Rolle, deren Problematik Johanna Schaffer ausführlich als diskursive Problematik der visuellen Strukturen der Anerkennung analysiert hat, vgl. Johanna Schaffer: Ambivalenzen der Sichtbarkeit, a. a. O., insbes. 13 ff.

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die Bedingungen erfüllen, die notwendig sind, um überhaupt Subjekt zu sein.18 Erweist sich Repräsentation nicht als den Subjekten nachgeordnet, dann impliziert jede Form der identifizierenden, repräsentativen Anerkennung strukturell eine diskursiv-performative Konstitution von Subjekten, die selbst nicht umgehen kann, an den Normierungen und an den »Ausschlußverfahren« 19 der Hervorbringungen von Subjekten beteiligt zu sein. Denn »weil die Subjekte diesen Strukturen unterworfen sind, die sie regulieren, werden sie auch mit den Anforderungen dieser Strukturen gebildet, definiert und reproduziert.« 20 Das bedeutet auch: Setzt man gegen den Autor als Subjekt der Kunst eine Autorin oder einen Autor der geschlechtlichen oder postkolonialen Differenz, so re/produzieren sich hierbei alte und neue Regeln der Hervorbringung von Subjekten der Kunst mit all ihren Kosten, auch wenn zugleich Ausschlussverfahren im Feld der Kunst ausgemacht wurden. Die politisierte Emphase auf ein Autorsujet verfolgt eine repräsentationslogische Repräsentationskritik,21 in der sich die Machtverhältnisse der Subjektwerdung zu reproduzieren drohen. Die Produktivität des sujets macht so immer weitere Öffnungen, Subjekt-Konstitutionen und Selbstproblematisierungen erforderlich,22 die jedoch keineswegs weniger gewaltsam, normie-

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18 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 16. 19 Ebenda, 17. 20 Ebenda, 16. 21 Die limitierenden wie ermöglichenden Funktionen der Subjektivation hat Judith Butler als doppelte Operation der Repräsentation prononciert. Subjektivation ist eine Produktion, »die gesellschaftliche Sichtbarkeit und Legitimität […] ausdehnt« und die als »normative Funktion […] das, was hinsichtlich der Kategorie ›Frauen‹ [oder auch: ›kulturell Andere‹, M. F.] als wahr gilt, offenbaren oder verzerren soll«. Ebenda. 22 Ebenda. Butlers Hinweis hat in der Kunstwissenschaft eine Welle von Analysen von Geschlechterperformanzen in der Kunst, vornehmlich in Performances und (Selbst)Portraits ausgelöst, die teilweise auch auf Autorschaft und Reflexion des Kanons bezogen wurden. »Es gibt wohl kaum eine Theorie, die so nahtlos und bedenkenlos auf Kunst übertragen worden ist, wobei rückblickend zu fragen ist, inwieweit die Theorie dieser Transponierung auch Vorschub leistete.« Isabelle Graw: Das war vor Jahren, a. a. O., 8. Die De-Naturalisierung von Geschlecht und Ethnizität wurde in Arbeiten aufgesucht, in denen – etwa wie in Selbstportraits in Drag oder in Maskeraden – Autorschaft reflexiv den eigenen prekären Status im Kanon als gegendertes und/oder ethnisiertes Subjekt gewendet schien, um gleichsam den Kanon der Subjekte zu erweitern. Eine politische Theorie, die von der problematischen und kritischen Konstitution von handlungsfähigen politischen Subjekten handelt, wurde zur Grundlage einer analytischen Kunstpolitik, die zur Dekonstruktion von Identität vom Standpunkt einer sozial positionierten und definierten Identität aus

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rend oder exkludierend wären. Der Zwang zur Erneuerung mündet in einen höchst euro-amerikanischen politischen Avantgardegedanken der modernen Kunst, der die stete Innovation des alten politischen sujets fordert.23 Gegen die poststrukturalistische Kritik am Subjekt wird hierzu ein teleologisches Fortschrittsmodell der Emanzipation des Subjekts ins Feld geführt. Dass Kunst in den Dienst dieses Modells gestellt wird, hat sowohl Konsequenzen für die jeweiligen Subjekte, die diesem Innovationsdenken unterworfen sind, als auch für die Konzeption von Kunst, die einer diskursiven Logik subordiniert wird. Welche Ansprüche ans Subjekt bestehen nun in dem kunstwissenschaftlichen Feld, vor dessen Hintergrund Morimura als postkoloniales Exemplar aufzutreten hat? 24 Hat Morimura aus Sicht einer euro-amerikanischen Kunstwissenschaft eine kulturalisierte, rassisierte und ethnisierte Differenz zu vertreten, dann stellt die Interpretation ihrer Verfassung, Verortung und Zeitgenossenschaft die Topiken seiner Verhandlung.25 Die postkoloniale Kunstwissenschaft nimmt die Wahrnehmung eines vermehrten Auftretens von als ethnische Differenz codierten Künstler/innen zum Anlass der Kritik an der bisherigen Kunstgeschichte. Sie versucht dazu, die Theorie und Kritik der Hierarchisierung und Naturalisierung kulturalisierter, rassisierter und ethnisierter Differenz in der Kunst durch die Linse derjenigen zu fokussieren, die diese Position vertreten. Der ethische Fokus dieses Unterfangens wird in und auf die »Stimmen der Anderen« 26 gelegt. Hiermit versucht Viktoria Schmidt-Linsenhoff, der für die deutsche Kunstwissenschaft das Verdienst zukommt, postkolonioperierte. Für diese ermächtigenden Pluralisierungen von Identitäten bedarf es des Autor/Künstlers als Subjekt der Kunst sowie des Kanons als Apparatur der Autorisierung. Hierbei wurde Marginalisierung als Differenz identifiziert und festgeschrieben. 23 Thierry de Duve: Hat die Kunst eine kritische Funktion? Überprüfung einer Frage, a. a. O. 24 Dass ›Morimura‹ sich dem zugleich sperrt, indem seine Intelligibilität und sein ›Gesicht‹ im Kunstbetrieb ausgesetzt sind, verfolgt Teil C Ver/Handlungen von Signifikanz. 25 Dabei stellt die zunehmende Problematisierung der diskursiven Produktion solcher Differenzen als kolonialistische Hierarchisierungen einfache Zuordnungen ebenso in Frage, wie die Wahrnehmung einer vermehrten, globalisierten Durchmischung oder der grundsätzlichen Hybridität von Kulturen, egal ob sie euphorisch begrüßt wird oder als Verlust kultureller Orte, Erbschaften oder Authentizität beklagt wird. Verankert wird diese Unsicherheit im auktorialen Exemplar, das eine solche Inauthentizität autorisiert, mit einem Enuntiationsort versieht und so authentifiziert. 26 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20, u. dies.: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O., 9.

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ale Fragestellungen zu einem wesentlichen Bestandteil der Forschung zu machen, an Gayatri Chakravorty Spivaks Frage: Can the Subaltern Speak? anzuschließen. Die Stimmen der Anderen haben dabei die Aufgabe, die Anliegen eines postcolonial turns für die Kunstwissenschaft auf einen Nenner zu bringen. Damit jedoch sind diese Stimmen inhaltlich besetzt, was ein Anforderungsprofil an neue Subjekte der Kunst impliziert, die ein kunstwissenschaftliches Projekt legitimieren sollen. Es ist eine eingrenzende Entscheidung, die Problematik des Exemplars in Folge vornehmlich auf der Ebene einer Wissenschaftsrichtung zu analysieren, die bereits die Exotisierung von Künstler/innen und Ethnisierten als hierarchisierte Differenz kritisiert.27 Notwendig ist dies, um herauszuarbeiten, was die postkoloniale Kunst/Wissenschaft mit dem von ihr kritisierten Feld teilt: Ein Agieren mit der Strategie der autorialen Signatur, das es erlaubt, ein identifiziertes, diskursives sujet an Kunst zu binden, die kulturelle Differenz des sujets als Alterität auszugeben und eine Beunruhigung durch Alterität in eine Intelligibilität der Differenz zu befrieden. Dass Figurierungen von Künstler/innen, die sie intelligible Differenz zu kanonisieren suchen, sich am Gegenstand zu erschöpfen drohen, hat bereits A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft als Problem der Interpretationspraxis herausgearbeitet. Um zu zeigen, dass sich ähnliche Zirkel und Probleme auch in der Theoretisierung der Anderen als Andere stellen, wird der zentrale Bezugstext (Can the Subaltern Speak?) für das Interesse an den Stimmen der Anderen mit seiner Versetzung in die Kunstwissenschaft konstelliert. Umschrieben werden davon ausgehend verschiedene Felder eines identitätslogischen Wissens, in dem Gesichter und Stimmen dadurch Bedeutung erhalten, dass Alterität in intelligible Differenz umgemünzt wird. Neben diesen Fallen des Exemplars interessieren die Momente, die auf Ausfälle der auktorialen Signatur deuten. 162

27 Die Analyse überspringt somit das Feld der Zuschreibungen ethnisierter Differenz in Kunstkritik, durch Ausstellungen oder im Kunstmarkt. Sie setzt vielmehr auf der Meta-Ebene bei derjenigen Wissenschaft an, die einerseits solche proto-wissenschaftlichen Zugriffe auf Kunst wissenschaftlich kritisiert, kanonisiert und autorisiert, während sie sich andererseits durch diese informiert und auch dies teils wieder kritisiert.

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Subalterne Dass die Frage nach denen, die k/eine Stimme haben, eine drängende politische Relevanz besitzt, verfolgt Gayatri Chakravorty Spivak in Can the Subaltern Speak? 28 durch eine Kritik an der poststrukturalistischen Subjektkritik, die weiter vieles mit dieser teilt. Sie fragt jedoch nach dem Status der ›eingeborenen Informantin‹ (so nimmt Chakravorty Spivak diese Frage als Teil einer Critique of the Postkolonial Reason wieder auf), was andere Problematiken stellt als Ausgeschlossene der Kunst als Subalterne zu kanonisieren. Chakravorty Spivak kritisiert die linksintellektuelle Konstitution eines in jedem Sinne selbstbewussten Kollektiv-Subjekts der Unterdrückten. An dieser theoretischen Kritik am souveränen Subjekt sei symptomatisch, dass dem Subjektbegriff jede geo-politische Verortung entzogen ist, um ›das Subjekt‹ als universal zu installieren. Indem so der Subjektkritik ein Subjekt inauguriert sei, erhielte sich der Westen als Subjekt, womit sich die Subjektkritik selbst subvertiere: Some of the most radical criticism coming out of the west today is the result of an interested desire to conserve the subject of the West, or the West as Subject. The theory of pluralized ›subjecteffects‹ gives an illusion of undermining subjective sovereignty while often providing a cover for this subject of knowledge. Although the history of Europe as Subject is narrativized by the law, political economy, and ideology of the West, this concealed Subject pretends it has ›no geo-political determinations‹. The much-publicized critique of the sovereign subject thus actually inaugurates a Subject.29 Chakravorty Spivak untersucht diesen Effekt als Symptom einer theoretischen Disposition,30 um zu enthüllen, dass diese theoreti163 28 Ihre Thematisierung der Subalternen steht im kritischen Anschluss an die indischen Subaltern Studies. Einschlägig sind hierfür u. a.: Ranajit Guha: Elementary Aspects of Peasant Insurgency in Colonial India, Delhi: Oxford University Press, 1983; Subaltern Studies I: Writing on South Asian History and Society, hrsg. v. Ranajit Guha, Delhi: Oxford University Press, 1982 u.: Subaltern Studies II. Writings on South Asian History and Society, hrsg. v. Ranajit Guha, Delhi: Oxford University Press, 1982. 29 Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? a. a. O., 271 f. 30 In einer publizierten Unterhaltung proklamieren Deleuze und Foucault indirekt die Einheit von Wissen und Begehren für ein höchst abstraktes kollektives Arbeitersubjekt, das selbst wisse, was es benötige. Insofern Chakravorty Spivak weniger die einschlägige euro-amerikanische Kritik am souveränen

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sche Subjektkritik nicht umhinkommt, auf problematische Weise ein Subjekt zu konstituieren, dass zudem auf Selbstbewusstsein beruhe. Ein Sprechen über und für Andere reartikuliere dieses selbsttransparente Subjekt, indem die Repräsentation unproblematischer Subalterner die Transparenz der Philosophen versichere: »The banality of leftist intellectuals’ lists of self-knowing, politically canny subalterns stands revealed; representing them, the intellectuals represent themselves as transparent.« 31 Ausgeblendet sei hier die Arbeit des Signifikanten. Darunter versteht Chakravorty Spivak, dass zum einen der Mangel an Selbstvertretung dieser Anderen in dem Diskurs, der sich selbst als linksintellektuell definiert, kompensiert werde. Andererseits sei ein »konstitutive[r] Andere[r]« 32 konstituiert, der die Souveränität derjenigen sichere, die den Diskurs über ihn führen, ohne ihn vertreten zu wollen.33

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Subjekt diskutiert, als die Ungenauigkeiten und Fehlleistungen (Slips) eines Gesprächs zweier prominenter Vertreter dieser Kritik, legt sie diese Philosophen gleichsam auf die Couch, um zu zeigen, dass sie sich selbst wenig transparent sind. Versteht man das Gespräch als Abkehr von der traditionellen Problematik einer intellektuellen Avantgarde, die dem Proletariat in der Vertretung ihrer Sache zugleich autoritär den politischen Willen vorschreibt, wäre das Gespräch eher als situatives Scheitern, denn als vollständige Vertretung einer Theorie, die selbst einen solchen Totalitätsanspruch ablehnt, durch ihre Autoren aufzufassen. Und: wer setzt hier nun die beiden Philosophen als souveräne Subjekte, die stets ungeteilt und untangiert von ihrer Situierung oder Adressierung kohärent agieren sollen, um dagegen ein nicht-autonomes Subjekt zu lancieren? Insofern relativiert Chakravorty Spivak ihre Kritik der Subjektkritik aus dem Übertrag dieser Gesprächssituation auf deren theoretische Kritik am Subjekt, vgl. dies.: History, in: dies.: A Critique of the Postcolonial Reason. Toward a History of the Vanishing Present, Cambridge (Mass.) u. London: Harvard University Press, 1999, 309 f. Hier nimmt Spivak das Gespräch eher als ein Beispiel für eine problematische Geste der Verwechslung von politischer und philosophisch-epistemischer Repräsentation mit Blick auf die dadurch vorgenommene Verschleierung globaler, intellektueller Arbeitsteilung (ebenda, 255 f ). Keineswegs ist Chakravorty Spivaks partielle Kritik falsch oder irrelevant. Die Konstruktion eines souveränen, selbsttransparenten proletarischen Kollektiv-Subjekts irritiert angesichts der Kritik beider Philosophen am souveränen Subjekt. Auch re-etabliert sich hier der autoritäre Gestus eines Intellektualismus, der vorgibt, das Begehren des Proletariats bestens zu kennen, um es für das eigene Anliegen wie zur Selbstkonstitution als Wissenssubjekt zu instrumentalisieren. Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? a. a. O., 275. 31 Ebenda, 275. 32 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 23. 33 Somit geht es mit dieser Arbeit des Signifikaten nicht um seine eigenlogische Medialität, sondern um allein den Dienst, den er der Repräsentation erweist.

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Die Herausforderung des Sprechens über und für Subalterne (denn deren Definition setzt voraus, dass sie beides nicht selbst vermögen) bestehe dagegen in einer Annahme der Aufgabe der Repräsentation, die weder in der Verwechslung von politischer Vertretung als ›Sprechen für‹ mit philosophischer Repräsentation als ›Sprechen über‹, noch in der Re-Installation des Subjekts liegen kann. Erforderlich ist vielmehr »a still more radical decentering of the subject«.34 Hiermit kritisiert Spivak die Verflechtung von Subjekt und sujet von der Seite des Subjekts aus, um in einer differenzierten Analyse der paradoxen Effekte der Abschaffung des Witwenopfers durch die Briten im kolonialen Indien nachzuzeichnen, wie auf der Ebene der Verschlingung von politisch-rechtlicher Vertretung von Witwen in der Kodifizierung des Hindu-Rechts und ihrer Repräsentation im Wissen durch die Brahmanen bestehende Hierarchien, Klassen- und Kastenunterschiede fortgesetzt und/oder verstärkt wurden. Frauen waren hier Subalterne, da sie in diesem Diskurs lediglich als sujet/Thema präsent waren. Am Einzelfall der Unverständlichkeit des Selbstmords von Bhuvaneswari Bhaduri 35 zeigt sich, dass und wie sehr ein politisches Sprechen der Subalternen der Intelligibilität verstellt war und ist.36 Dieser Selbstmord war weder dem Witwen›selbst‹opfer, noch dem Selbstmord wegen einer außerehelichen Schwangerschaft, noch dem, Männern vorbehaltenen, Freitod als liberalen Akt zurechenbar. Dieser selbst gewählte Tod war so unfrei, dass er noch nicht einmal als politisch motivierter Freitod/als politisches Sprechen intelligibel zu werden vermochte. Die von Spivak geforderte radikalere Dezentrierung des Subjekts besteht nun genau im Insistieren darauf, dass ein subalternes Nicht-Subjekt existiert, das die Basis des politischen Subjekts wie des Subjekts des Wissens ist.37 Wenn also 34 Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak?, a. a. O., 271. Die Verschiebungen zwischen divergenten, aber verquickten Weisen der Repräsentation (politische Vertretung und Repräsentation) seien somit jeweils auszuloten, ohne sie zu verwechseln: »the shifting distinctions between representation within the state and political economy, on the one hand, and within the theory of the Subject, on the other, must not be obliterated.« Ebenda, 275 f. 35 Einer, wie sie herausstellt, mittelständischen, also einer nicht ganz subalternen Inderin. Vgl. Gayatri Chakravorty Spivak: History, a. a. O., 309 f. 36 Hierbei verweist Chakravorty Spivak auch auf die strukturelle epistemische Gewalt der Kodifizierung des Hindu-Rechts zu einem binären westlichen Gesetz. 37 Somit bleiben politische und epistemische Repräsentation verknüpft und werden auf ihre Effekte als Subjektkonstitutionen wie -negierungen hin abgeklopft. Dies unterscheidet sich kaum von der Kritik an den Vorrechten des Subjekts bei Michel Foucault, die sich im Interesse für die diskursive und dispositive Disziplinierung und Vergegenständlichung derjenigen Subjekte äußert,

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subalterne Unverständlichkeit/Intransparenz zum Problem des Wissens werden soll, dann nur in der Reflexion auf eine Sperre des bestehenden Wissens in seiner Herausforderung durch eine Ethik der Subalternität, wobei jede Subalterne mit der Möglichkeit zur Artikulation – zum Glück – verschwindet.38 Was bedeutet die Frage nach dem Sprechen der Subalternen als Frage nach einem Sprechen, dass per definitionem nicht ist, aber auf Intelligibilität im Sinn seiner Funktion als Voraussetzung für die Partizipation am Politischen drängt, für die Intellektuellen und die Kritik am Subjekt? Sie bedeutet in erster Linie eine stete Herausforderung, sowohl des Wissens als auch der Politik, durch die persistente Mahnung, dass man noch nicht angekommen sei. Sie weist darauf, dass die Inklusion nicht eine abgeschlossene Bewegung darstellt, sondern vielmehr die Subalterne nur weiter hinausschiebt/verschiebt; insofern befindet sie sich für Spivak am Ort der différance.39 Subalternität stellt eine Alterität/ein Anderes der politisch/wissenschaftlichen Repräsentation dar. Ihre Atopie 40 ist unüberwindlich. Sie wird aus genau deshalb zur ethischen Herausforderung, da gerade im Wissen um diese uneinholbare Atopie nicht vor ihr Halt gemacht werden kann. Dieses Paradox bildet die Basis einer intellektuellen Aufgabe,41 die innerhalb der schwierigen

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über deren Randständigkeit (Delinquenz, Wahnsinn, »infame Menschen«) das Zentrum der Normalität umschrieben wurde. Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994; ders.: Wahnsinn und Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995; ders.: Das Leben der infamen Menschen, Berlin: Merve, 2001, sowie: ders.: Die Anormalen, in: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden, Bd. II: 1970–1975, hrsg. v. Daniel Defert u. François Ewald u. Mitarbeit v. Jacques Lagrange, Frankfurt am Main: Suhrkamp: 2002, 1024–1031. Zudem wandte sich Foucault mehr und mehr für die Absenz ihrer Aussagen in den sie behandelnden Diskursen zu und versuchte, Spuren ihrer Widerständigkeit aus den Akten zu entringen. Vgl. ders.: Über Hermaphrodismus. Der Fall Herculine Barbin, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998. Die Kritik zielt jedoch richtig darauf, dass in der Konzentration auf Europa die Kolonialgeschichte außen vor bleibt. 38 Gayatri Chakravorty Spivak: History, a. a. O., 310. 39 Ebenda u. Gayatri Chakravorty Spivak: Verschiebung und der Diskurs der Frau, in: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, hrsg. v. Barbara Vinken, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, 183–218. 40 Roland Barthes bezieht sich in Fragmente einer Sprache der Liebe auf das sokratische atopos als dasjenige, das sich in jeder Hinsicht als »unqualifizierbar« erweist, vgl. Roland Barthes: Atopos, in: ders.: Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984, 44–46, 45. 41 »The subaltern cannot speak. There is no virtue in global laundry lists with ›woman‹ as a pious item. Representation has not withered away. The female intellectual as intellectual has a circumscribed task which she must not disown with a flourish.« Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak?, a. a. O., 308.

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Verflechtung von politischer Vertretung und wissenschaftlicher Repräsentation agiert. Diese Aufgabe hat zu bearbeiten, dass und wie »the staging of the world in representation […] dissimulates the choice of and need for ›heroes‹, paternal proxies, agents of power – Vertretung.« 42 Die Produktion von Helden ist somit ebenso ein Bedürfnis wie eine Gefahr. Einerseits schafft sie einen Übergang von der Szene des Schreibens zur politischen Vertretung. Andererseits ist sie selbst selektiv und exklusiv. Sofern die Selektivität des eigenen Zugriffs unsichtbar gemacht ist, zum Beispiel, indem man annimmt, dass durch die Konstitution von Helden Subalternität selbst ›spreche‹/intelligibel würde, droht, dass ›Helden‹ zur Agentur exklusiver Macht werden. In welchem Zusammenhang steht diese Kritik der Subjektkritik als Kritik an der wechselseitigen Stützung von politischer Vertretung und Repräsentation des Subjekts über seine epistemische, juridische und politische Konstitution als subaltern, zu den Stimmen der Anderen in der Kunst?

Kunst/Wissenschaft Die postkoloniale Kunstwissenschaft interessiert sich für Subalternität, um daran eine Frage nach den Stimmen der Anderen zu knüpfen, die es ermöglichen soll, bestehende Selektionen und Exklusionen in der Kunst/Wissenschaft aufzuklären. Welche Positionen wurden und werden in den Verstrickungen von Kunst und Kolonialgeschichte getilgt? 43 Welche Rolle spielt hierin der Kanon, welche Autorschaft? 44 Wie tragen Verbildlichungen zur Tilgung von Subalternität und zur Produktion ethnisierter oder geschlechtlicher Differenz bei? 45 Wie und wo konstituiert sich das euroamerikanische Subjekt durch Bilder und Verbildlichungen des/der 42 Ebenda, 279. 43 Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 19–38. 44 Vgl. dazu z. B. Barbara Paul: Schöne heile Welt(ordnung), a. a. O., 5–36. 45 Vgl. z. B. Projektionen. Rassismus und Sexismus in der visuellen Kultur, Beiträge der 6. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Trier 1995, hrsg. v. Annegret Friedrich, Birgit Haehnel, Viktoria Schmidt-Linsenhof u. Christina Threuter, Marburg: Jonas, 1997. Melanie Ulz verfolgt z. B. die hierarchisierende Bildwelt des Orientalismus als Verbindung von wissenschaftlicher und künstlerischer Erschließung im Ägyptenfeldzug. Vgl. dies.: Auf dem Schlachtfeld des Empire. Männlichkeitskonzepte in der Bildproduktion zu Napoleons Ägyptenfeldzug, Marburg: Jonas, 2008. Vgl. zu Ausschlüssen durch Figurierungen des Heldentums in der Malerei Katja Wolf: Zum Sterben schön. Heldentum und Heldentod in der angloamerikanischen Schlachtenmalerei um 1800, Sulbach (Taunus): Ulrike Helmer, 2007.

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Anderen? 46 Wo und wie artikulieren sich die Ausgeschlossenen? Welche vorbildlichen Figuren, Artikulationen, Annäherungen und Anerkennungen der Anderen als Andere lassen sich ausmachen? 47 Am kunstwissenschaftlichen Interesse an den Stimmen der Anderen fällt auf, dass (in der Referenz auf Chakravorty Spivaks Text) die Frage nach der öffentlich-politischen Partizipation an der (hegemonial eurozentrischen) Kunst mit der nach der Repräsentation von Differenz verknüpft wird, indem der Appell zur Verschiebung der Grenzen des Wissens in der beredten Präsenz ›der Anderen‹ in der Kunst aufgefunden wird, statt ihn ausgehend von einer stummen Absenz zu formulieren: Das entscheidend Neue an den Künstler-Theorien des Postkolonialismus ist, dass die Stimmen derer, die bisher nur historisch stumme Objekte der Repräsentation waren, uns nun gleichsam auffordern, die historischen Verwicklungen der europäischen Kolonial- und Kunstgeschichte aufzuarbeiten.48 Der Übergang von der Frage nach dem Sprechen der Subalternen zu den Stimmen der Anderen markiert eine Verschiebung. Statt um eine Analyse von politisch-juridischen Subjektpolitiken, die als historisch produziertes Silencing in jedem Sinne existenzielle Effekte zeitigt, geht es hier nun darum, über eine Zeichen- und Subjektpolitik der Kunst, deren geo-politisch-historischen Bedingungen zu untersuchen. Es ist deshalb bezeichnend, dass dieses ›Sprechen‹ seinen Appell nur ›gleichsam‹ formuliert. Denn Viktoria Schmidt-Linsenhoff zitiert keine konkreten Aussagen, wenn

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46 Vgl. z. B. für die frühe Neuzeit: Nina Trauth: Maske und Person. Orientalismus im Porträt des Barock, München u. Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2009. Sie verfolgt die Spielräume des Geschlechts in orientalischen Maskeraden. Grundlegend fragt nach der Polyvalenz der Kategorie ›Weiß‹ z. B. der Band Weiße Blikke. Geschlechtermythen des Kolonialismus, hrsg. v. Viktoria Schmidt-Linsenhoff u. Herbert Uerlings, Marburg: Jonas, 2004 Zu reflexiven Verflechtungen von künstlerischen Produktionen ›ethnisisierter Anderer‹ mit ihrer Rezeption in der Gegenwartskunst vgl. Antje Krause-Wahl: Der Bangkok-Beuys kocht Thai Curry.Von den (Selbst)Konstruktionen Rirkrit Tiravanijas, in: Globalisierung/Hierarchisierung, a. a. O., 106–121 u. dies.: Konstruktionen von Identität. Renée Green, Tracey Emin, Rirkrit Tiravanija, München: Verlag Silke Schreiber, 2006. In beiden betont sie die Steuerung der Rezeption durch Künstler/innen. 47 Vgl. Untersuchungsprojekte wie: Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O., u. dies: Liotards Bart. Transkulturelle Maskeraden der Männlichkeit, in: Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Mechthild Fend u. Marianne Koos, Köln, Weimar u. Wien: Böhlau, 2004. Vgl. a. Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung, a. a. O. 48 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Postkolonialismus, a. a. O., 64.

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sie unter anderem Yasumasa Morimura als einen Vertreter dieser Anderen heranzieht.49 Denn auch wenn verschiedene seiner Werkserien kolonial besetzte Codes, Ikonographien und rassistische Stereotypen bearbeiten sowie als Verhandlung des euro-amerikanischen Japonismus’ zu lesen sind, ist damit nicht gesagt, dass in diesen Interpretationen ›er selbst‹ spräche.50 Bei allen Parallelisierungen stehen solche Konturierungen von Für-Sprecher/innen keineswegs in einer geraden Linie mit dem Konzept der Subalternen. Thematisiert Chakravorty Spivak mit der Frage nach dem Sprechen der Subalternen die Absenz oder Tilgung aus den Stellen der diskursiven Intelligibilität, so sind diese Stimmen der Anderen sowohl präsent als auch absent, sowohl verständlich als auch inintelligibel, wenn sie auf die Verflechtungen von Kunst und Kolonialismus/Rassismus weisen.51 Sie fordern einen »postcolonial turn«,52 zu dem auch Morimura zählt: Seit Anfang der neunziger Jahre wehren sich immer mehr Künstler/innen aus Ländern der ›Dritten Welt‹ oder in der afroasiatischen Diaspora gegen die Rolle ethnischer Stellvertreterschaft. Sie weisen die Aufgabe einer authentischen Selbstdarstellung […] zurück und wenden sich stattdessen der Analyse 49 Ebenda. 50 Dieser u. a. Morimura untergeschobene Appell entspringt somit den Voraussetzungen seiner Interpretation. Zu dieser können die Künstler/innen ebenso wenig Stellung nehmen, wie ›die Japaner/innen‹ zu Norman Brysons Interpretation ihres Starrens (A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft). Offen bleibt, wie sich dies von Stereotypisierung unterscheidet, außer durch den altruistischen Impetus der Erhörung der »Stimmen der Anderen«, die »die Anderen als Protagonisten« lanciert (Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung. a. a. O., 77). Hier wird das doublebind aufgeworfen, einerseits eine Phantasietätigkeit der Betrachter/innen, als notwendiges Mitschaffen oder Einlassens auf Werke einzufordern, dies aber andererseits nur im Sinne ihrer Erschaffer/innen zuzulassen, wobei sich diese Intention vielfach aus dem vorausgesetzten kulturellen Ort der Künstler/innen herleitet. Vgl. zu dieser Forderung ebenda, 27. Vielfach autorisiert sich hier die Willkür von Lektüren als Delegierung der Verantwortung für die eigenen Projektionen an Autor/innen. Vgl. z. B. ebenda, 132–136. 51 Die zeige sich in den Ungleichzeitigkeiten zwischen den Entwicklungen der Kunstpraxis, der Kunstkritik, zwischen progressiven und konservativen Ausstellungspraktiken und einer dahinter herhinkenden kunsthistorischen Forschung: »Während der zeitgenössische Kunstbetrieb in den neunziger Jahren zu einem der produktivsten Felder postkolonialer Theoriebildung wurde, kann in den mit der Kunst der Vergangenheit beschäftigten Institutionen von einem postcolonial turn keine Rede sein.« Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 19. 52 Ebenda.

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von kolonialen Repräsentationssystemen der Vergangenheit zu, die in der visuellen Kultur der Gegenwart nur allzu präsent sind und um die sich die Kunstgeschichtsschreibung als akademische Disziplin nicht kümmert. So definiert z. B. Yasumara [sic] Morimura nicht seine Japanizität, sondern untersucht seit 1988 mit dem systematischen cross-dressing kunsthistorischer Maskeraden nach Manet, Duchamp usw. die geschlechtlich kodierten Signifikanten der Ethnizität in den europäischen Meisterwerken der Moderne.53 Kunst und Künstler/innen der Gegenwart verschieben also das kunstwissenschaftliche Wissen. Indem diese Anderen da sind, betonen sie die Notwendigkeit, Kunstgeschichte zu reflektieren. Sie vollziehen dieses Forschungsprojekt sogar bereits und fordern auf, dass die Kunstwissenschaft dieses Forschungsprojekt aufzunehmen habe. Obwohl er demnach bereits artikuliert ist, habe die Kunstwissenschaft diesem Anspruch der Anderen Gehör zu verschaffen und einen »Blickwechsel« 54 vorzunehmen. Als »aktive Co-Autoren« 55 müssen diese Künstler/innen nicht mehr entdeckt werden: Als Repräsentant/innen derjenigen, die im Kolonialprozess ihrer Stimme beraubt wurden, verlangen sie lautstark nach der Aufarbeitung dieser Geschichten und Verstummungen.56 Auch wenn sie somit keine Subalternen sein können – sie vermögen sie zu vertreten. Insofern treten sie als verantwortliche Intellektuelle auf, die Chakravorty Spivak in Can the Subaltern Speak? einfordert. Als eine neue, andere Subjektivität haben diese Anderen dem schwierigen, heterogenen und ambivalenten Projekt einer Nach-Identitätspolitik des Postkolonialismus die Helden zu stellen. Neben der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, sollen sie Konzepte für alternative de-authentifizierte, stets schon von Fremdheit durchzogene, in sich differente Identität(en), die Binarismen unterlaufen, personifizieren.57 Legitimiert sind diese Helden, da sie mit den Sub170 53 Ebenda, 20. 54 Zu suchen sei nach der Persistenz kolonialer Deutungsmuster, nach »historisch stumm gemachten Kolonisierten« (Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O.,  9), nach der »vermeintliche[n] Sprachlosigkeit von Frauen in patriarchalen Klassengesellschaften« (ebenda). Benötigt werde dazu die »Umsetzung eines Blickwechsels, der die Subalternen/ Anderen nicht mehr nur als passive Opfer oder stumme Projektionsfläche der hegemonialen Diskurse rekonstruiert, sondern sie als aktive Co-Autoren einer hybriden Kolonialkultur und ihrer Geschlechtermythen anerkennt«. Ebenda. 55 Ebenda. 56 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Postkolonialismus, a. a. O., 64. 57 Sie bieten »offene, alternative Modelle von Subjektivität und Fremdheits-

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alternen historisch dadurch verbunden zu sein scheinen, dass sie die Topiken der Exklusion, auf die sie reflektieren, gleichsam von den Subalternen geerbt haben. Als Parallele der Subalternen bilden ›die Anderen‹ einen Motor der postkolonialen Bewegung: Ihre Präsenz stellt den Kanon in Frage (die Regularien seiner Ein- und Ausschlüsse, die daran gekoppelten Wissensprozesse), sie befragt die Kunstgeschichte als Geschichtskonstruktion wie als euro-amerikanisch geprägte, eurozentrische Disziplin, die neben Selbstkritik bzw. Kritik an kunsthistorischen Autoritäten versucht, neue Wege der Inklusion aufzufinden. Eine Absenz der Stimmen der Anderen weise auf ihre autoritäre Löschung, auf Machtgesten, falsche Versicherungen des Eurozentrismus, auf falsche kunstwissenschaftliche Autorität. Doch basiert diese Kritik an der euro-amerikanischen Kunstgeschichte nicht darauf, reflexive postkoloniale Identität als Gallionsfigur vorauszusetzen? Erst sie lässt die Theorie und Kunst an einem Strang ziehen, autorisiert Theorie durch Künstler/innen und ruft exakt den turn aus, den die Schreibenden ein gesamtes Wissensfeld vollziehen sehen möchte? Als ›-Ismus‹ gliedert der postcolonial turn im präskriptiv-normativen Eroberungsgestus Macht-Feld des Wissens.58 Zwar kritisiert diese Variante des postcolonial turn auch eine direkte Identitäts-Politik, in der einzelne Identitäten auf ihre Anerkennung drängen. Denn dies münde (wenn zum Identitätsmodell substanzialisiert) in oppressive Kollektividentitäten, die falsche Unifizierungen von Identität und Binarismen (wie Eigen/ Fremd, Wir/Ihr) reproduzieren. Indem über die Stimmen der Anderen eine Identität der Differenz konstituiert wird, beruht aber auch diese Eroberung des kunstwissenschaftlichen Wissens auf einer Identitätslogik und auf einer Identifizierungslogik.

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erfahrungen […], die heute als historische Vorbilder bei der Suche nach einer Kultur der Differenz hilfreich sein könnten«. Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O., 9. 58 Vgl. die Kritik an ›New-Ismen‹ als Streben nach theoretischer Herrschaft durch Machtgesten oder Stellungskämpfe in: Jacques Derrida: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen, Berlin: Merve, 1997.

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Identitätslogik postkolonialer Differenz Diese postkoloniale Kunstwissenschaft tritt als notwendige Reaktion auf den Umstand, dass postkoloniale Künstler/innen einer »afro-asiatischen Diaspora« 59 »in denkbar unterschiedlichen kulturellen Kontexten mit unterschiedlichen ästhetischen Verfahren« 60 arbeiten: Sie gehören verschiedenen Generationen und künstlerischen Richtungen an und haben doch Eines gemeinsam: die Verweigerung einer ethnisierenden Selbst-Identifizierung. […] Stattdessen arbeiten sie das Zeichenrepertoire des kolonial kulturellen Erbes in der Kunstgeschichte durch und machen seine andauernde Wirkungsmacht in der Gegenwart bewusst.61 Geeint über institutionelle, mediale, stilistische und geo-politische Unterschiede hinweg arbeiten diese Künstler/innen an der »Verweigerung einer ethnisierenden Selbst-Identifizierung«.62 Sie bilden somit parallel zur postkolonialen Theorie – wenn nicht als Künstler-Theorie oder im Bezug darauf – eine Bewegung der Bewusstmachung in Theorie und Kunst.63 Dekolonisierung ist somit zuerst ein Projekt der Anderen selbst: Die prominenten Wortführer der in den USA und Großbritannien institutionalisierten postcolonial studies – Edward Said, Homi K. Bhabha, Gayatrie [sic] Spivak – teilen nicht zufällig die biografische Erfahrung der Emigration und Diaspora […].64

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Jenseits der Frage, inwiefern Yasumasa Morimura, der in Japan aufgewachsen ist, in Kyoto studiert hat und in Osaka, Japan, arbeitet und lebt, und der sich auch als »being born and raised in Japan« 65 vorstellt, die Erfahrung der Emigration und Diaspora zuzuschreiben ist, mündet die Verweigerung der Selbstethnisierung hier in 59 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20. 60 Ebenda, 21. 61 Ebenda, 22. 62 Ebenda. 63 Denn: »Eine weitere Aufforderung zur Mitarbeit an dem Projekt der Dekolonisierung […] geht von der postkolonialen Theorie aus, auf die sich die jüngeren Künstler/innen unmittelbar beziehen.« Ebenda, 22. 64 Ebenda. 65 Yasumasa Morimura: About My Work, in: Daughter of Art History, a. a. O., 113–123, 113.

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eine Art raffinierte Re-Ethnisierung der postkolonialen Identität zur »afro-asiatischen Diaspora«.66 ›Die Anderen‹ sind zwar nicht mehr an konkrete Ethnizitäten gebunden, aber durch biographische Erfahrung 67 identifiziert. Indem gegenwärtige postkoloniale Künstler/innen durch diese Erfahrung sowohl für als auch als die »Stimmen derer, die bisher nur historisch stumme Objekte der Repräsentation waren«,68 sprechen, wird eine historische Kontinuität postuliert, die impliziert, dass postkoloniale Künstler/ innen den »Subalternen/Anderen« 69 zugehören. Auch die formelhafte Berufung auf die sogenannte ›holy trinity‹ des Postkolonialismus (Said, Chakravorty Spivak, Bhabha) gemeindet sie in diesen ›Kanon‹ ein.70 Damit beruft sich die postkoloniale Kunstwissenschaft auf das, was sie abschaffen möchte: 71 Durch die Aufwertung des Exemplarstatus zur innovativen Subjektivität oder zu Helden der Dekolonisierung kehren die ›neuen Anderen‹ als unifizierte und in Differenz festgeschriebene, exotisierte ›alte Andere‹ wieder. Unvermeidlich scheint dabei, dass die Nobilitierung der Anderen zu besonders wichtigen sujets der Kunst, die das Neue einer historischen Situation bezeichnen, auch die altruistische Kunstwissenschaft auszeichnet, die in ihren eigenen Forschungen die gegenwärtig drängenden Probleme definieren, um sich ihnen zu stellen. Das ›gute sujet‹ legitimiert Relevanz und Richtigkeit des Anspruchs der eigenen Fragestellung. Einerseits ist Morimura so aus der Aufgabe der Definition »seiner Japanizität« 72 (z. B. auch einer hybriden japanischen Kultur à la Bryson) herausgeschrieben. Andererseits wird er in eine neue Identität, nämlich die ›der Anderen‹ bzw. der postkolonialen Künstler, hineingeschrieben. Japanizität stellt trotz der Vorsichtsmaßnahme 66 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20. 67 Ebenda. 68 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Postkolonialismus, a. a. O., 64. 69 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O., 9. 70 Um bereits artikulierte Vertreter/innen der Stimmen der Anderen für diese Aufgabe votieren zu lassen, werden Chakravorty Spivak, Edward Said und Homi K. Bhabha hier (in mehr oder minder expliziter Inanspruchnahme ihrer kulturellen Differenz) ebenso ins Feld geführt, wie Künstler/innen Vgl. z. B. Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Postkolonialismus, a. a. O., 20. 71 Friedrich A. Kittler betitelt seine Auseinandersetzung mit Nietzsches Ecce homo, das er auf das Paradox der auktorialen Selbstlöschung bezieht, mit: Wie abschaffen, wovon man spricht: Der Autor von Ecce homo, in: Jacques Derrida u. ders.: Nietzsche – Politik des Eigennamens. Wie abschaffen, wovon man spricht, Berlin: Merve, 2000, 65–99. 72 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 20.

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der De-Authentifizierung von ›japanisch‹ zu ›Japanizität‹ weiter seinen eigentümlichen Besitz dar. Morimura dient als ein Exemplar derjenigen »kulturelle[n] Akteure, die den eurozentristischen Entdeckerblick schon immer erwidert und modelliert haben und dies in Zukunft in sehr viel größerem Maße als heute tun werden«.73 Mit der Festschreibung als gleichsam durch die Jahrhunderte zurückblickende Differenz unterscheidet sich diese Positionierung Morimuras strukturell kaum von seiner im artforum: Zwar wird hier nicht eine neue, hybride Identität einer japanischen Nation/ Kultur proklamiert. Jedoch wird »die Verweigerung einer ethnisierenden Selbst-Identifizierung«,74 von »exotistischen Projektionen der euroamerikanischen Rezeption« 75 und »der Verpflichtung auf eine Identitätspolitik« 76 in eine Logik postkolonialer identitätskritischer Identität umgemünzt. Darunter firmieren afro-britische, afro-amerikanische, afrikanische und japanische Künstler/innen mit Theoretiker/innen in Absehung von allen daran geknüpften Differenzen, was kulturelles, soziales und symbolisches Kapital,77

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73 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Kunst und kulturelle Differenz oder: Warum hat die kritische Kunstgeschichte in Deutschland den postcolonial turn ausgelassen? in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft (4/2002): Schwerpunkt Postkolonialismus), hrsg. v. ders., Osnabrück: Rasch, 2002, 7–16, 11. 74 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 22. 75 Ebenda. 76 Ebenda. 77 Pierre Bourdieu unterscheidet symbolisches, soziales und kulturelles Kapital als nicht materielle Ressourcen, die soziale Ungleichheit erzeugen. Soziales Kapital ist als Qualität der Vernetzung zu umschreiben, symbolisches Kapital bezeichnet das Maß des gesellschaftlichen Ansehens. Gemeint sind damit eher Aspekte des Habitus und/oder diskursive Positionierung als beurkundeter gesellschaftlicher Status. Kulturelles Kapital umfasst schließlich Ressourcen wie Bildung, verfeinerten Geschmack. Vgl. dazu Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, u. ders.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg: VSA, 1997. Es dürfte für Produktionsbedingungen einen Unterschied machen, ob eine beständige Stromversorgung und eine freiere Wahl der Mittel auf der Ebene der Ressourcen zur Verfügung steht (nicht, dass man nicht aus der Not eine Tugend machen kann, aber dies sollte nicht die damit verbundenen Schwierigkeiten glorifizieren), ob überhaupt ein System der Kunst-Ausbildung zur Verfügung steht und wie es aufgebaut ist. Mit diesen institutionellen Voraussetzungen ist Japan durchaus ausgestattet. Dank der Exotisierung im Japonismus gilt es zudem z. B. im Vergleich mit ›Afrika‹ (das als unzivilisiert und wild gehandelt wurde) als verfeinert, artifiziell, beinahe überkultiviert und unergründlich rätselhaft. ›Japan‹ ist als ideale Kunstmetapher codiert. Auch nach dem zweiten Weltkrieg stehen die Aufgriffe traditioneller japanischer Motive (z. B. durch die Affinitäten bestimmter künstlerischer Strategien zum Zen-Buddhismus) nicht in der Pflicht,

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institutionelle Voraussetzungen,78 künstlerische Verfahren und das Verhältnis von Kunst und Theorie betrifft. Ihre Identität wird als eine kulturelle Differenz, heiße sie afrikanisch-asiatische Diaspora oder japanische oder hybride, vorausgesetzt, die in auf klärender Opposition zu Euro-Amerika stehe. Verfällt Brysons Lektüre Yasumasa Morimura: Mother (Judith II) darin, eine hybride Identität darin festzustellen, dass er sie weiterhin in Japan verortet und als Gegensatz zum Westen ausweist, so mündet diese Emphase auf die Destabilisierungsstrategien der Anderen in eine allgemeine hybride Identität der Differenz, die ebenfalls identitätslogisch sowohl nobilitiert als auch kritisiert wird. ›Die Anderen‹, könnte man polemisieren, bilden die Mittel der Erneuerungsversprechen einer kunstwissenschaftlichen Subjektgeschichte, die das Singuläre zum Exemplar der Verhandlung kultureller Differenz zurichtet. Diese identitätskritische »Dekolonisierung der Kunstgeschichte« 79 scheitert daran, dass sie die Zerlegung von Identitäten wieder zu Identitäten verfestigt, die auf Gegensätzen beruhen. Hierzu wird Differenz lokalisiert, verkörpert und als Identität/Selbigkeit gehandhabt statt als Relation. Dazu ist Differenz zu identifizieren. um ihren ästhetischen Wert kämpfen zu müssen. Reflektiert z. B. Takashi Murakami über das binnennational geringe Ansehen westlich-orientierter Gegenwartskunst im Vergleich z. B. zum um 1900 als Nationalkunst konstituierten nihon-ga (die pseudo-traditionelle Malerei, die er selbst auch studierte) in Japan sowie über die geringeren Preise, die er im Vergleich zu ›westlichen Künstler/innen‹ auch im westlichen, internationalen Kunstmarkt erziele, jammert er nicht nur ob seiner für ihn persönlich durchaus nicht schlechten Verortung in all diesen Bereichen auf hohem Niveau. Vgl. Takashi Murakami: Superflat Trilogy, a. a. O. 78 Japan stürzte sich rasant nach der militärisch erzwungenen Öffnung zum Westen in eine Modernisierung als Nationalstaat, da es eine drohenden Kolonialisierung/Besatzung fürchtete und zu als demütigend empfundenen Handelsverträgen gezwungen war. Dass Japan insofern keine genuine Kolonie eines westlichen Staates war, markiert eine wesentliche Differenz zu denjenigen Staaten, deren Nationalgrenzen z. B. aus der linearen Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter Kolonialherren resultieren und die so irgendwann als Staaten befreit wurden. Letztere sind nämlich in die Reflexion des Kolonialismus im vollen Sinne geworfen, während ›Japan‹ in einer sowohl fremd- als auch selbst-oktroyierten Modernisierung selbst frühzeitig als Nationalstaat auftrat. So brachte ›Japan‹ einen eigenen umfassenden Nationaldiskurs zur Reflektion seiner Differenz zum Westen hervor, die sowohl gefeiert als auch als unvollständige Modernisierung beklagt wurde. Nicht zuletzt kann die Nation Japan auf eine Geschichte als aktiver Akteur im Imperialismus und Rassismus zurückblicken. 79 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 22.

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Identifizierungslogik der Be-Stimmung Nahezu alle Metaphorisierungen der Stimme (die Wahlstimme, die Stimme des Volkes) nehmen vom Phänomen des Unterscheidens ihren Ausgang. 80

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Nicht nur resultiert aus dieser Identitätslogik eine prä-skriptive Konstitution von Subjekten und Interpretationen. Die dazu erforderliche Identifizierungslogik verstellt Alterität (auch der Anderen/ der Subalternen). Denn sie fordert, dass die Anderen zur Subjektwerdung als Andere bekannt gemacht und identifiziert werden. Alterität ist so einerseits intelligibler Identität untergeordnet; andererseits wird Kunst allein als soziologische oder ethno-graphische Kommunikation relevant. So stehen künstlerische Subjekte im Zentrum, deren Identität ihren Setzungen und Rezeptionen vorausgehe. Nur so können sie als Identitäten mit ihrer Kunst ›zu uns sprechen‹. Geht man dagegen davon aus, dass Identitäten nicht einfach so da sind, sondern in komplizierten Verfahren der Konstitution von Wissen hervorgebracht werden, dann dient die Identität der Differenz der Anderen im selben Zug der Konstitution von Wissen und einer Subjektpolitik, die produziert, was sie zu analysieren vorgibt. Auch wenn die Figur der ›Stimme der Anderen‹ den Anderen eine Vermittlungsmöglichkeit als politisches (Kollektiv)Subjekt in einer Arena oder Öffentlichkeit zu bieten sucht, teilt das Interesse an diesen Stimmen die Form der Figurierung der Anderen mit einer ethnisierenden neo-kolonialen Interpretationspolitik, an der eine exotistische Differenzbildung kritisiert wird, die man selbst nicht zu umgehen vermag. Denn die Stimmen der Anderen werden als einheitlicher und als moralischer Appell zur postkolonialen Perspektiverweiterung eingesetzt. Diese Erweiterung fordern angeblich die Anderen selbst durch ihre Kunst – oder auch schon durch ihre schiere bedeutsame Präsenz/Existenz als Differenz – ein. Dazu weisen sie zwar vielleicht weniger eine spezif isch ethnisierte als eine postkoloniale Identität auf, unter der höchst unterschiedliche Künstler/innen firmieren, solange sie nicht mit Euro-Amerika zu identifizieren sind.81 In Verschwisterung mit diesen unifizierten ›Anderen‹ möchte man sich selbst aus der schlechten Produktion der exotisierten Diffe80 Sybille Krämer: Die ›Rehabilitierung der Stimme‹. Über die Oralität hinaus, in: Stimme. Annäherung an ein Phänomen, hrsg. v. Doris Kolesch u. Sybille Krämer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006, 269–295, 291. 81 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 22.

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renz ›der Anderen‹ herausnehmen, um statt der Exotisierung ›der Anderen‹ ihre gleichberechtigte Re-Präsentation zu betreiben. Da dies ermögliche, über den eigenen Standpunkt aufzuklären, um von dort aus Kunstkritik, Kunstwissenschaft und Ausstellungswesen zu kritisieren, schaft die Identifizierung von postkolonialen Stimmen der Anderen und Künstler-Theorien diskursive Übersicht und Zurechenbarkeit. Stimmen sind hierbei als das Ergebnis von auktorialen Praktiken der erfolgreichen Selbstsetzung gefasst, denen die Kunstwissenschaft nur nachzuspüren hat. Auch trotz oder gerade wegen ihrer Präsenz im gegenwärtigen, globalisierten Kunstbetrieb, ist ihnen Gehör zu verschaffen bzw. ihnen eine Stimme zu verleihen. Den Anderen oder den Subalternen wird ein Ort zugeschrieben, der wissenschaftlich zu bearbeiten ist: Sie sind postkoloniale Künstler/innen, die als positive oder negative Exemplare einen Namen, eine Stimme und ein Gesicht erhalten, durch die sich das Kanonisierungsstreben einer postkolonialen Kunstgeschichte artikuliert. Damit zeitigt die Identifizierungslogik der Emphase auf die ›Stimmen der Anderen‹ dort problematische Folgen, wo die Figur der Stimme verschiedene Ebenen im Subjekt einigt, da dies epistemische Strategien des euro-amerikanischen Wissens und der Fachgeschichte über ›die Anderen‹ reproduziert. Die als ›die Anderen‹ Semantisierten bzw. Diskursivierten sind als eine Differenz zur weißen, euro-amerikanischen Hegemonie (vorab) definiert, die als nicht hegemonial rassisiert, vergeschlechtlicht oder ethnisiert intelligibel sei. Ihre Identität ist insofern doppelt präjudiziert. Identifiziert mit kolonialen Geschichten der Differenz haben sie zweifach Differenz zu vertreten, nämlich als ihre Verkörperung und als ihre Repräsentanten. Die Aufnahme postkolonialer Begriff lichkeit zeitigt hier über den Ausstellungsbetrieb hinaus schwierige Effekte. Denn nicht nur in Ausstellungen ist »neuerdings oft das postkoloniale Stichwort der ›Hybridität‹ – ein Begriff, der die Vermischung (Synkretismus) der Kulturen bezeichnet – in das Anforderungsprofil der Authentizität eingeschlossen«.82 In der postkolonialen Kunstwissenschaft stellen die Stimmen der Anderen ein alternatives Anforderungsprofil der Identität dar, das nicht weniger restriktiv authentifiziert. Ein dichotomisierender Umgang mit Identität und Differenz ist demnach nicht aufgelöst; Identität wird nur immer weiter verschoben, so wie man den Schwarzen Peter herumreicht. Identität regiert so das postkoloniale Spiel mit ihr. Dem unterliegt ein iden82 Christian Kravagna: Postkoloniale Blicke, in: DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, hrsg. v. Hubertus Butin, Köln: DuMont, 2002, 250–253, 253.

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titätslogisches Denken, das wie jede (sprachlich bedeutsame) Differenz nicht ohne Hierarchie auszukommt.83 Identitätslogik meint hier nicht nur eine auf personelle Identitäten bezogene Logik, sondern auch (logische) Identität oder Selbigkeit,84 die ein Denken der Alterität dadurch vereitelt, da sie diese immer schon vorab identifiziert hat. Wer als in Differenz Positionierte/r dieses Profil erfüllt, findet Eingang in eine Identitätskritik, in der die Anderen auf bestimmte Weise als Andere identifiziert sind und hat nun diese identitäre Alterität/Differenz zu vertreten. Alterität hat so eine enge Vorschrift. Sie wird als identifizierte Differenz aufgefasst, die, indem sie auf Semantisierung/Diskursivierung drängt, sich letztlich auf lösen muss. So soll sie ein politisches wie ästhetisches Versprechen des identifizierten Anderen als Innovation einlösen, das allerdings verdächtig wird, sobald es gut erfüllt wird. Denn da diese Interpretationspolitik Subalternität auf einer Ebene mit minorisierter Differenz handelt, ist für die Anderen das Postulat der subalternen Alterität bereits dadurch unterlaufen, dass sie sich im Kunstbetrieb zu artikulieren und etablieren vermögen. Denn auch neue/andere Subjektivität soll im Zuge des Versprechens der kollektiven Veränderung von »visuellen Repräsentationen« 85 und der Etablierung ›anderer Positionen‹ nur auf ihre Kanonisierung hinauslaufen. Wenn Alterität inhaltlich besetzt zum Instrument der Subversion oder einer innovativen, bedeutsamen Differenz gemacht ist, ist sie darin bereits erschöpft. Mit dieser Erschöpfung, die Alterität tilgt, werden die Postkolonialen als Unterworfene/ sujets des Anspruchs und des Verschleißes desjenigen Diskur-

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83 Dies irritiert bereits auf der Ebene der Begriffe Differenz und Alterität. Differenz ist letztlich kein fester Ort, sondern eine mehr oder minder regulierte hierarchische Beziehung, ein Unterschied zwischen zwei Polen, die aus diesem Ursprung der Differenz gleichsam hervorgehen und gerade nicht ein feststehender Unterschied zu einer anderen Identität. Vgl. Jacques Derrida: Grammatologie, a. a. O., 19 f. 84 Man beachte hierzu die philosophische Definition von Identität, die Selbigkeit in Opposition zu Differenz umfasst: »Der Ausdruck I. bedeutet eine gedankliche Beziehung, welche die durch das diskursive Denken ermöglichte Vervielfältigung der Vergegenwärtigung eines Gegenstandes aufhebt. ›A ist identisch mit B‹ besagt dann: Trotz der Verschiedenheit der Bezeichnung durch ›A‹ und ›B‹ ist damit das Bezeichnete Verschiedenes, weshalb die Vervielfältigung und die Unterschiedenheit der Glieder der I.-Beziehungen allein im Denken gründet. In weiterer philosophischer Analyse wird die I. in Abhebung von Differenz aufgefaßt und als Möglichkeitsbedingung des Unterschiedenen und Vielfältigen angesehen.« Helmut Dubiel: Identität, Ich-Identität, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer, Basel u. Stuttgart: Schwabe & Co., 1976, 148–151, 148. 85 Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung, a. a. O., 13.

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ses konstituiert, der sie befreien möchte. Alterität so in der politischen Stimme der Anderen auftreten zu lassen, impliziert ihren Verschleiß in einem kunstwissenschaftlichen Avantgarde-Diskurs der postkolonialen Subversion, der mit der Formierung von Subalternität einen ganz eigenen Hunger nach dem Anderen verfolgt. Es kann nicht darum gehen, mit dieser Kritik die gesamte postkoloniale Kritik zu desavouieren. Die Frage nach den Aspekten und Strategien, die von der ästhetischen Formierung ›neuer‹, anderer Subjektpositionen postkolonialer Künstler/Innen zu ihrer wenig subversiven Etablierung in einem als unverbrüchlich hegemonial eurozentrisch vorausgesetzten Kunstbetrieb führen, muss jedoch zugleich immer wieder neu gestellt werden, insofern sich nach Foucault mit jeder Subversion auch die Macht neu formiert.86 Diese Erschöpfung kann nicht allein den jeweiligen Gegenwartskünstler/innen, anderen Theorien bzw. einem Diskurs und Betrieb zugerechnet werden, von dem man sich selbst ausnimmt. Sie liegt in einem Anforderungsprofil, das der eigene Anspruch und die eigenen diskursiven Voraussetzungen auch immer wieder neu erzeugen. Deshalb zeigt der Verschleiß der Anderen im postkolonialen Projekt einer Subjekt-Avantgarde ebenso wie die Entdeckung von Differenzen in einem strategisch zum postkolonialen Exemplar vereinheitlichten Anderen auf die Grenzen und die Normativität eines Projekts der »Dekolonisierung des kunsthistorischen Blicks«,87 der die »Existenz von anderen Subjektpositionen« anzuerkennen sucht: Es geht zunächst um die Selbstreflexion des eigenen Standpunktes, der die Existenz von anderen Subjektpositionen allzu lange negiert hat und um eine ›partiale Perspektive‹ einer vom kolonialen Unbewussten geprägten Wissenschaft, die ihren Blick nur mit der Auseinandersetzung von und in der Vernetzung mit anderen Perspektiven objektivieren kann.88 179

Diese Definition der Relevanz der postcolonial studies scheint eine partiale Perspektive zu fordern, die im Versprechen der Objektivierung von außen nachgerade wieder das gesamte neuzeitliche Versprechen der Perspektive (nämlich vollkommene Übersicht, auch über die ›anderen Perspektiven‹, durch Einnahme des richtigen 86 Michel Foucault: Die fröhliche Wissenschaft des Judo. Ein Gespräch mit JeanLouis Ezine, in: Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin: Merve, 1976, 124–135. 87 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 34. 88 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Kunst und kulturelle Differenz, a. a. O.,14.

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Standpunktes) zu re-produzieren droht. Im Ziel, »sich des gegenwärtigen Standpunktes bewusst zu werden, der den Ausschnitt des Blickfeldes begrenzt und die Partialität der Perspektive definiert«,89 geraten ›die Anderen‹ zu Mitteln der Selbstoptimierung einer postkolonialen Kunstgeschichte, die sich mit Selbstreflexion und Fachgeschichte zuerst für sich interessiert. Der blinde Fleck dieser Perspektive liegt nicht nur darin, den konstitutiven Anteil des blinden Flecks am Sehen in einer objektivierten partialen Perspektive transzendieren zu wollen. Er liegt auch in der Normativität des Anspruchs an ›die Anderen‹, ein reflexives Subjekt zu werden, das bereits einer exkludierenden und hierarchisierenden Identitätslogik untersteht. Denn da »sich das Subjekt durch einen Prozeß der Ausschließung und Differenzierung, möglicherweise auch der Verdrängung [konstituiert], der in der Folge durch den Effekt der Autonomie verschleiert und verdeckt wird«,90 betont Butler, »daß bestimmte Versionen dieses Subjekts eine politisch hinterhältige List sind.« 91 Die politisch hinterhältige List, die bei Butler eine Selbstverkennung meint, impliziert hier eine ›Fremdverkennung‹. Sie äußert sich als List des Exemplars, das per definitionem lediglich Vertreter/Repräsentant einer bekannten, d. h. vorausgesetzten, Art zu sein vermag. Die neue Autonomie der Anderen entsteht durch ihre Einpassung in eine kunstwissenschaftliche Ordnung. Das ›Neue‹ solcher Exemplare entpuppt als der alte Hut des Künstlersubjekts. Das betrifft auch die Alterität des

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89 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 34. Die Partialität der Perspektive lässt sich an den postkolonialen Texten auch selbst verfolgen. Sie zeigt sich im Fokus auf die Differenz vorbildlicher Subjekte zu nicht (oder weniger vorbildlichen) Helden oder Schurken, nicht nur im Vergleich von Kara Walker und Faith Ringgold (vgl. A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft). Diese Partialität liest sich auch in der Gegenüberstellung Jean-Étienne Liotards mit Hubert Fichte, die an einigen Stellen die Lektüre dieses Autors zu entbehren scheint, z. B. wenn behauptet wird, Fichte hätte ›seine Homosexualität‹ literarisch sowie in seiner Ethnopoesie selten thematisiert. Vgl. zu dieser Kritik: Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Liotards Bart, a. a. O. Zur Thematisierung von Homosexualität bei Hubert Fichte vgl.: ders.: Die Palette. Roman, Frankfurt am Main: Fischer, 1978. Zur Homosexualität in der Ethnopoesie vgl. ders: Forschungsbericht, Frankfurt am Main: Fischer, 1989; u. ders.: Explosion. Roman der Ethnologie, Frankfurt am Main: Fischer, 1993. Hier wird die Verflechtung des homosexuellen Begehrens mit der Eroberung ›des Anderen‹ im ethnographischen Feld schonungslos thematisiert. 90 Judith Butler: Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der Postmoderne, in: Seyla Benhabib, dies., Drucilla Cornell u. Nancy Fraser: Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer, 1993, 31–59, 44. 91 Ebenda, 46.

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Anderen. Sie ist gezähmt im Spiel der Bedeutungen von kultureller Differenz, durch die anthropomorphe Verengung von Alterität auf intelligible personifizierte Differenz und durch die Unterwerfung unter eine Identifizierungslogik, die abscheidet. Eine List des Exemplars gründet die Anerkennung der Anderen in der Kunstwissenschaft in einer Blindheit für die Normativität des eigenen Anspruches, seiner Voraussetzungen und für den Widerspruch, dass eine vorab definierte Fremdheit als subversive Alterität ausgerufen wird. Dass der honorige Versuch, das Bewusstsein für Subalternität in der Beschäftigung mit einer Ästhetik der Differenz 92 wach zu halten, zur eurozentrischen Vorschrift der sexo-kulturellen Verortung, Identitätszuschreibung oder Subjektivation gerinnen vermag, hat u. a. Hito Steyerl als Zusammenhang von Kultur, Produktion und Rassismus aus der Perspektive von marginalisierten Kunstschaffenden heraus kritisiert: Ein »interessante[s] Refugium rassentheoretischer Hermeneutik in einer Interpretationsindustrie, die sich ansonsten dem ›Tod des Autors‹ hingegeben hat,« 93 spüre in einer »permanenten Paßkontrolle« 94 identifizierungslogisch ethnisierten Standorten nach. Mit dieser Variante der auktorialen Signatur »taucht der/die Verschiedene wie ein Gespenst wieder auf: Leben und Werk der Minorisierten haben identisch zu sein.« 95

Ausfälle der auktorialen Signatur Theorietechnisch ist ein Begriff nur zu gebrauchen, wenn er sichtbar macht, was er ausschließt.96

Bisher wurde die Signatur von der Seite der Autorschaft aus als epistemische Strategie der auktorialen Signatur beschrieben. Diese auktoriale Signatur knüpft über die Konstitution eines Subjekts Kunst so an den Diskurs, dass eine stete diskursive Verflechtung und Neuauf lösung von Autorschaft, Subjektsujet und Bedeutungskonstitution zirkulieren kann. Dass bisher nicht über konkrete, gemalte, gezeichnete oder geschriebene Signaturen geschrieben wurde, sondern über Autorschaft, Identität und Subjektivität, scheint 92 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O. 93 Ebenda. 94 Hito Steyerl: Was ist K]uns[t?, a. a. O., 161. 95 Ebenda. 96 Niklas Luhmann: Inklusion und Exklusion, in: ders.: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995, 226– 251, 227.

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den bisherigen Umgang mit der Signatur als rein metaphorischen auszuweisen: Wenn es mit der auktorialen Signatur darum geht, Identität, Intentionalität, Bewusstsein an Kunst zu knüpfen, um sie diskursfähig zu machen und um sie in Aussagen zu verwandeln, deren Bedeutung aufzuschließen sei, dann braucht es auch keine wirklichen Signaturen, sondern nur eine Fiktion von Autorschaft. Dies würde einer Tradition des tatsächlichen Signierens in der Kunst folgen, für die die Signatur den Abschluss des Werks und seiner Bedeutung, die Marktfähigkeit des Werkes, das Werk als Werk, und die Herstellung eines Werks durch eine intentionale auktoriale Geste besiegelt. Dies könnte sich zudem auf eine kunst/wissenschaftliche Tradition berufen, die die Signatur als besonders wichtige Fährte im Bild verfolgt, die Auskunft über den Urheber, den Werkstatus, über kulturelle und historische Kontexte, die Intention des produzierenden Individuums und die Bedeutung des Kunstwerkes gibt. Letztlich kann in diesem Denken jedes Bildelement für die Signatur eintreten, solange man die Annahme akzeptiert, die Signatur bzw. die künstlerische Arbeit sei ein abgeschlossenes, autorisiertes Werk. Nachdem signiert wurde (was vielfach auch auf der Bildrückseite geschieht, was nicht wirklich ein sichtbares Bildelement sondern gleichsam ein symbolisches Siegel gibt, das den künstlerischen Schaffensprozess als abgeschlossen ausweist), kann nämlich jeder Strich, jede Ausführung oder Korrektur so aufgefasst werden, dass sie visuelle Marken seien, die in besonderem Maße auf den Autor, seine Intention und die Bedeutung ›des Ganzen‹ verweisen.97 Die Auffassung der auktorialen Signatur hat genau in dieser tradierten Praxis eine mehr als metaphorische Berechtigung. Denn implizit weist sie nicht nur darauf, dass die Autor-Funktion ebenso notwendig wie nützlich dafür ist, Kunst in einen Diskurs zu überführen, der sich, so oder so, ums Subjekt dreht. Die Praxis der auktorialen Signatur zeigt auch, dass sie einen Umgang mit Visualität ermöglicht, der nur in Absehung von deren Eigenlogik versteht, Diskurs zu machen, wiewohl sich dies an dieser medialen Differenz entzündet. Mit auktorialer Signatur ist somit auch darauf verwiesen, dass sich bei aller Engführung von Kunst an den Diskurs, zugleich mediale und materielle Differenzen zeigen. 97 Dies fasst Derrida als Restitution, die auch er einer identifizierenden Deutungspraxis zurechnet, die eine Prosopographie der Signatur betreibt. An Schapiros Kritik an Heideggers ›Bauernschuhen‹ kritisiert er dabei auch (in einem grandios paradoxen ›Bild‹) die Aufladung eines ganzen Bildes als ›signaturhaft‹: »Es geht jetzt darum, ein Gesicht auf (in) die Schuhe zu setzen, das Gesicht des Unterzeichners.« Jacques Derrida: Restitutionen, a. a. O., 429.

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Sie tun dies, so ist nach einem weiteren Zirkel um die Frage der Stimme anzugehen, nicht, indem sie sich positiv im Diskurs artikulieren. Vielmehr geht es dabei um ein Sich-Zeigen,98 das gerade nicht im Sagen und auch nicht nur im Zeigen aufgeht, sondern vielmehr als Widerfahrnis der Alterität auftritt. Denn die Signatur ist nicht eins, sie ist auch nicht identisch mit der auktorialen Signatur; diese ist eine Falte desjenigen, was eine Signatur ausmacht. Ein erster Schritt, dies weiter zu verfolgen, ist zu betonen, dass auch die auktoriale Signatur nicht eins ist. Der zweite Schritt besteht darin, zu bemerken, dass die auktoriale Signatur zwar funktional auf Verbindungen des Disparaten, auf Kontinuität, Einheit des Sinns, sprich: auf Verschnürung zielt, dass dies jedoch kein wasserdichter Prozess ist. Vielmehr ist schon im Autor als Verschnürungsfunktion ein Wissen angezeigt, dass etwas zu verschnüren ist, dass man Differenzen zu überwinden sucht. Deshalb interessiert in Folge, was in diesem Prozess ausfällt. Dies wird nicht vollständig verfolgt, sondern vielmehr auf die Frage von Differenz und Alterität konzentriert werden. Zu einem geht es damit um die Art der Besetzung dieser Worte, zum anderen um die darin erscheinenden Ausfälle, die sich in der Figur der Stimme verdichten. Nicht eins ist die auktoriale Signatur schon deshalb, weil mehrfach deutlich wurde, dass sie sich selbst diskursiv nur zu produzieren vermag, indem die Institution der Kunstgeschichte Signaturen gleichsam gegenzeichnet, z. B. wenn sie mit ihrer Bezeichnungslogik die minorisierten Künstler/innen als Minorisierte signiert.99 Hieran interessiert die Unterstellung eines zwingenden Zusammenhangs von ethnisierten Kulturschaffenden und einer Differenz als Alterität, die spricht, die, auf Intelligibilität drängend, sich in Kunst mitteilt. Die Betonung der Notwendigkeit, die künstlerische Arbeit über eine spezifische diskursive auktoriale Position zu identifizieren, weist Kunst wie Künstler/innen die Eigentümlichkeit eth183 98 Vgl. dazu vor allem Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 403 ff. Gottfried Boehms spätere Publikation Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin: Berlin University Press, 2007, beruft sich zwar auf Mersch als Vorarbeit (ebenda, 269, Anm. 2 zu Die Hintergründigkeit des Zeigens). Es besteht jedoch die wesentliche Differenz, dass Boehm sowohl das Zeigen als auch das SichZeigen letztlich der Bildhermeneutik subordiniert. Mediale Eigenlogiken arbeiten hier oftmals zu bündig einer im hermeneutischen Diskurs einzuheimsenden Sinnkonstitution oder sinnhafter Ambivalenz zu. Mersch dient für diese Studie gerade deshalb als erste Quelle, da er da Sich Zeigen als Widerfahrnis einer Alterität ausweist. 99 Dem Zusammenhang der kunstwissenschaftlichen Identifizierungslogik mit der Signatur folgt Jacques Derridas Text Restitutionen, a. a. O.

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nisierter Differenz zu. Differenz wird dabei als Alterität, als Außen, definiert und zugleich als diskursiver Unterschied festgeschrieben. Der subtile Backlash der politisch korrekten und notwendigen Einforderung einer Dekolonisierung des eurozentrischen Kunstbetriebs besteht insofern darin, dessen ungebrochene Herrschaft und Reinheit ebenso wie die reine Differenz ›der Anderen‹ weiter zu proklamieren. Hiermit gerät die europäische Kunsthistorikerin, die sich so im selben Zug sicher im Kunstbetrieb verortet wie sie sich aus seiner Ideologie herauszuschreiben sucht, in gefährliche Nähe zu kolonialer Mimikri: almost white, but not quite sollen Kunst und Künstler/innen sein, ohne sich dieser Voraussetzung zu verwehren. Die ›Anderen‹ sind normativ aufgeladen, da sie, auch als heute unter unterschiedlichsten Bedingungen Arbeitende, eine historische Kontinuität mit Subalternität besitzen: Sie sind »die Subalternen/Anderen«.100 Klingt dies, als ob es sich hier um eine Identität handele, artikuliert sich dieser Slash als zunehmend problematischer wie problematisierter Unterschied, als Ergebnis der Gleichsetzung, die bestimmten Anderen zur Last gelegt wird. Vertreten andere Künstler/innen in dieser Argumentation erst einen postkolonialen Fortschritt, wenn sie als »Künstler-Theorien« firmieren, so haben sie auch für die Kritik an postkolonialer Theorie gerade zu stehen. In der Masse der postkolonialen Helden 101 gibt es wiederum Differenzen, z. B. zwischen Yinka Shonibare und Georges Adéagbo, um die an die Kunst und Künstler/innen zugeschriebene Theorieförmigkeit ihrer Stimmen als Ausfall des Ästhetischen zu kritisieren:

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Yinka Shonibare bestreitet ebenso wie Georges Adéagbo die Existenz eines ›reinen‹, vorkolonialen Ursprungs oder indigener Authentizität. Während Adéagbo jedoch mit der Theorie des Postkolonialismus weder vertraut, noch an ihr interessiert ist, laufen jüngere Künstler/innen, die sich im akademischen Feld der postcolonial studies professionalisiert haben, Gefahr, diese mit ihren Arbeiten zu illustrieren. Die Kritik, dass theorieinteressierte Künstler/innen lediglich Theorie illustrieren, bedeutet keineswegs den Rekurs auf idealistische Kreativitätsmythen der Unmittelbarkeit. […] Es geht nicht um eine ver-

100 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Thema und Forschungsprogramm, a. a. O., 9. Meine Hervorhebung. 101 Insofern es hier um »paternal proxies« (Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak?, a. a. O., 279) geht, wird weiter zum Maskulinum gegriffen.

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meintlich intuitive Irrationalität der künstlerischen Erkenntnis, sondern um die Prägnanz des Ästhetischen, das in wissenschaftliche Diskurse eingreift.102 Warum so Kunst die Theorie nicht mehr herauszufordern vermag, wird in Folge beleuchtet. Eine weitergehende Problematisierung der Rhetorik der Stimme legt nämlich nahe, dass dieses Problem einer Anästhesie der Differenz hausgemacht ist, da man beispielsweise die Ästhetik der Differenz in der Be-Stimmung von Künstler/ innen sucht, deren Theorieförmigkeit man vorab selbst behauptet.

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102 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 21 f.

4. Anästhetiken der Be-Stimmung

Die Emphase auf die Stimmen der Anderen droht somit 1. die Verortung dieser ›Anderen‹ zum Exemplar einer ›Gattung‹ zu verhärten. 2. limitiert sie Alterität auf eine anthropomorphisierende Zuschreibung an Künstler/innen, die intelligible Differenz verkörpern sollen. 3. praktiziert sie eine Anästhetik. Medium dieser Ausfälle einer Reflexion über diese ›Fallen des Exemplars‹, die die auktoriale Signatur aufstellt, sind die Stimmen der Anderen. Die postkoloniale Kritik unterliegt der Verführungskraft einer prosopographischen Lektüre 1 als Mittel einer kanonischen Wissenspolitik. Sie vollzieht ein Maskenspiel mit der auktorialen Mitteilung, die sowohl die hierbei konstituierten Stimmen/Gesichter als auch den Kanon als Machtfeld des Wissens zu dominieren sucht, welche so zum Monument zu erstarren drohen. Indem die eigenen Mittel und Ansprüche der auktorialen Stimme zugeschrieben werden, sind nicht nur die eigenen Praktiken negiert, sondern ebenso die Eigenlogiken von Medialitäten und Materialitäten, die hiermit nicht aufgehen.2 So wird weder die Exemplarisierung, welche bereits der steinerne Terminus ›die Anderen‹ impliziert, zum Problem, noch die grundsätzliche Gewaltsamkeit, die in der be-stimmenden Konstitution eines ›Subjekts der Kunst‹ liegt. Denn ›Stimme‹ impliziert, dass sich ›die Anderen‹ an uns mit einer Botschaft wenden, die die sprachanaloge, zeichenhafte Bedeutung von Kunst übermittele.3 Medialität und Materialität stellen ledig1 Vgl. Bettine Menke: Prosopopoiia. Die Stimme des Textes – die Figur des ›sprechenden Gesichts‹, a. a. O. 2 Da alles der Mitteilung von ›den Anderen‹ ausgehen soll, fügt weder Medialitäten noch Materialitäten noch die Kunstwissenschaft ihnen etwas hinzu. 3 Die so projizierte Stimme bedarf als Fremde dennoch der Übersetzung/Verstärkung. So kommt kaum ein Katalog oder eine Kritik, ohne selegierte Künstler/innen-Aussagen aus. Im Gegenzug geben Künstler wie Takashi Murakami selbst Kataloge heraus (sie bestimmen so den Zuschnitt ihrer Äußerungen in der Primärquelle), in denen sie schreiben.

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lich die passiven, neutralen und unsichtbaren Träger dieser Sendung dar.

Ethnographische Be-Stimmungen Dass eine »Wissenschaft vom kulturell Fremden« 4 Gefahr läuft, ihre Objekte in Exemplare zu verwandeln, diskutierte bereits die sogenannte ethnographische Krise der Repräsentation. Ausgang war auch hier der Versuch, den Stimmen der Anderen einen selbstbestimmten Ort im eigenen Schreiben zu verleihen.5 Daraus entspann sich eine Debatte, die die schreibende Be-Stimmung der Anderen in der Ethnographie problematisierte. Zentrale Themen waren hier 1. die Voraussetzung eines Sinnes und einer monolithischen und hierarchisierten Differenz der Anderen; 2. die Verallgemeinerung von Einzelaussagen von Informant/innen zu Kultur; 3. die Präjudizierung der Sinnhaftigkeit von Kultur und 4. die ethnographische Rhetorik der Autorisierung im geschriebenen Text.6 Dabei wurden die Stimmen der Anderen als Ort wie als Trope des paradoxen Verhältnisses zu Alterität reflexiv: Ethnologie ist der Versuch, positives Wissen über Andere zu erlangen, ihre Diskurse im eigenen zum Sprechen zu bringen, kurz: die Differenz in einer Sprache der Identität einzufangen, die mit dem Anspruch auf universale Geltung einherkommt. Letztlich besteht das grundlegende Dilemma oder Paradox auch einer ›emanzipativen‹, (selbst-)kritischen Ethnologie in der Spannung zwischen dem (nicht nur) kognitiven Aneignungsanspruch und dem Anspruch, die Anderen in ihrer Andersheit zu respektieren – was einzuschließen hätte, daß sie sich selbst zur Geltung bringen.7 188

Die Kritik an der Tilgung der Anderen in einer sie beschreibenden Ethnographie 8 mündete in die zunehmende Problematisierung 4 So bezeichnet Karl-Heinz Kohl die Ethnologie, vgl. ders.: Ethnologie – Die Wissenschaft vom kulturell Fremden, München: C. H. Beck, 1993. 5 Eberhard Berg u. Martin Fuchs: Phänomenologie der Differenz, a. a. O., 93. 6 James Clifford: Über ethnographische Autorität, in: Kultur, soziale Praxis, Text, a. a. O., 109–157. Clifford nutzt de Mans Rhetorikbegriff, um »zu einer zunehmenden Sichtbarkeit der schöpferischen (und in einem weiten Sinne poetischen) Prozesse bei[zutragen], durch die ›Kultur‹-Objekte erfunden und als bedeutungsvoll behandelt werden.« (Ebenda, 131). 7 Martin Fuchs und Eberhard Berg: Phänomenologie der Differenz, 93. 8 Vgl. z. B. auch: George Marcus: A Prolegomena to Contemporary Cosmo-

4. A NÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

der Wissenschaftsgeschichte der Ethnologie als textuelle Rhetorik, woraus neue textuelle Strategien hervorgingen: Selbstthematisierung des Schreibprozesses und der Rhetorizität, Versuche der geteilten Autorschaft 9 und der Integration der Stimmen der Anderen in den ethnographischen Text (z. B. durch ausgedehnte Zitate). All dies jedoch erwies sich als weiterhin der ordnenden und herausgebenden Autorschaft der Ethno-Graphie unterworfen.10 Damit offenbarten sich die Hoffnungen der Ethnographie, die »Fremdartigkeit der anderen Stimme fiktional zu bewahren und die spezifischen Möglichkeiten des Austausches im Auge zu behalten«,11 aufs Neue limitiert. Die Präsenz der Anderen im Text wie auch Alterität selbst standen beharrlich jenseits der Möglichkeiten des ethnographischen Schreibens. Die Stimmen der Anderen stellten der Ethnographie die permanente Herausforderung ihrer unmöglichen Präsenz im ethnographischen Text. All diese kritischen Bemühungen zeigten schließlich aber auch, dass die Beschreibung der Anderen (egal wie problematisch) nicht aufzugeben sein kann, da das Ausbleiben von Beschreibung/Repräsentation die höchste Gewalt darstellen würde.12 Die Objektivierung der Anderen durch den ethnographischen Text blieb inhärentes Merkmal seiner Schriftlichkeit, der Graphie des ethnos. Ethnographische Autorität ist als »burden of authorship« 13 nicht zu verpolitan Conversation on Conference Occasions such as the Present One, Entitled Representations of Otherness: Cultural Hermeneutics, East and West, in: Criticism, Heresy and Interpretation (CHAI), Jg. 1 (1989), 23–35. 9 Hierfür plädiert z. B. Mark Hobart, während er Clifford Geertz’ Analyse des Hahnenkampfes auf Bali kritisiert, vgl.: Who Do You Think You Are? The Authorized Balinese, in: Localizing Strategies. Regional Tradition of Ethnographic Writing, hrsg. v. Richard Fardon, Edinburgh u. Washington: Scottish Academic Press u. Smithsonian Institution Press, 1990, 303–338. 10 »Auch wenn Ethnographien, die als Begegnungen zwischen zwei Individuen gestaltet sind, das Geben und Nehmen der Feldforschung mit Erfolg dramatisieren und einen Kontrapunkt autoritativer Stimmen einführen mögen, so bleiben sie doch Repräsentationen des Dialogs.« James Clifford: Über ethnographische Autorität, a. a. O., 138. Dies kritisiert auch Bill Nichols an der sogenannten bekennenden Ethnographie, die die Felderfahrung in den Bericht nimmt, vgl. ders.: Representing Reality, Bloomington: Indiana University Press, 1991, 44 f. Vgl. a.: Stephen Tyler: Zum ›Be-/Abschreiben‹ als ›Sprechen für‹, in: Kultur, soziale Praxis, Text, a. a. O., 288–296. 11 James Clifford: Über ethnographische Autorität, a. a. O., 138. 12 Johannes Fabian plädiert wegen der Disjunktion von Fremderfahrung und Wissenschaft für eine Problematisierung von Präsenz und Repräsentation, vgl. ders.: Presence and Representation. The Other and Anthropological Writing, in: Critical Inquiry, Jg. 16 (4/1990), 753–772. 13 Clifford Geertz: Works and Lives. The Anthropologist as Author, Stanford: Stanford University Press, 1988, 146.

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meiden; die Autorität der Be-Schreibung und der Be-Schreibenden/Be-Stimmenden schleicht stets durch den Text, was Clifford Geertz als »signature issue« 14 verfolgte. Ethnographische Autorität kann und muss deshalb immer neu reflektiert werden,15 im Wissen um die Unmöglichkeit besserer Repräsentation. Versucht die postkoloniale Ästhetik der Differenz »eine ästhetische Erfahrung von Differenz [zu] ermöglichen, die weniger gewalttätig als die, die wir kennen«,16 ist damit ein ähnlicher Versuch der Eliminierung oder Minimierung von Gewalt im Bereich des Ästhetischen angestrebt. Er wird, wie die Versuche eines alternativen Schreibens in der Ethnographie, davon heimgesucht, dass sich Gewalt leichter negieren als eliminieren lässt, und davon, dass Ästhetik hier vornehmlich repräsentationslogisch aufgefasst wird.17 Repräsentation kann insofern nicht mehr als Kunstfertigkeit verstanden werden,18 die entweder ihr sujet in Verständlichkeit zurichtet oder ihm altruistisch-verständnisvoll nahekommt. Repräsentation ist vielmehr eine Not, die sowohl die Repräsentierten als auch die Repräsentierenden betrifft, denn sie haben ihr gegenüber gleichsam keine Wahl (letztlich ist Repräsentation unvermeidlich). In dieser Not(wendigkeit) der Repräsentation jedoch zeigen sich auch, als Störung, Unfüglichkeiten: Zwischen Feld und ethnographischem Text, aber auch zwischen »Bilder[n] und Bildfolgen, Blickregimes, Kunst- und Subjektbegriffe[n]«,19 zwischen epistemischen und ästhetischen Strategien, und zwischen Medialitäten und Materialitäten knirschen die Brüche. Nur diese Divergenzen verweisen überhaupt auf Alterität, sie eröffnen allerdings weder eine gewaltarme »ästhetische Erfahrung von Differenz«, noch ermöglichen sie es, diese Erfahrung gewaltfrei auf subjektive Positionen zu beziehen.

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14 Ebenda, 1–24. 15 Die Möglichkeiten, die »Fremdartigkeit der anderen Stimme fiktional zu bewahren und die spezifischen Möglichkeiten des Austausches im Auge zu behalten« erweisen sich somit als begrenzt. James Clifford: Über ethnographische Autorität, a. a. O., 138. 16 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O., 9. 17 Die vielfache Kritik an alternativen ethnographischen Schreibweisen, sie suhlten sich nur im literarischen Narzissmus, ohne ›den Anderen‹ ein Stück näher zu kommen, erhält hierdurch ihre Pointe. Jedoch geht es mit diesem Vorwurf meist weniger um die grundsätzlichen Gewalt der schreibenden Bezeichnung, als darum, ethnographische Naturalismen zurückzufordern. 18 So verfährt Geertz in Works and Lives, a. a. O., wenn er ethnographisch kunstfertige Autoren rühmt. 19 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O., 9.

4. A NÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

Dass die Kritik an der Tilgung und Objektivierung ›der Anderen‹ aus der Kritik an der Ethnographie als feldforschende und hermeneutische Textwissenschaft hervorging, fügte ihrer textkritischen Betrachtung eine Pointe hinzu, die über die Diskussion der Stimmen der Anderen in der Kunst/Wissenschaft hinausgeht: Die Problematisierung einer Diskrepanz zwischen der Erfahrung des Fremden im Feld und ihrer textuellen, auktorialen Bewältigung im ethnographischen Text. Denn die Erfahrung im Feld, vor allem die nicht einzuordnenden Erfahrungen, waren deutlich als etwas anderes als diskursiv oder textuell. Diskurs oder Text entsprang ihrer nachträglichen, ordnenden Bewältigung und Übersetzung. Die ethnographische Kritik an textuellen Strategien wie Vereinheitlichung der Anderen oder die Glättung von Brüchen (z. B. zwischen Feldforschung und Text) mag die diskutierten epistemischen Strategien der Kunstwissenschaft beleuchten. Diese Kritik weist dort weiter, wo sie die Schwierigkeit jedweder epistemischer Strategie gegenüber der Widerfahrnis der Alterität thematisiert: Sobald man sie lokalisiert und semantisiert, z. B. in kultureller Differenz oder ›den Anderen‹ der Kunstgeschichte, ist Alterität getilgt. Man hat es mit einem gezähmten, auf bereiteten ›bekannten Fremden‹ zu tun. Hierin liegt das inhärente Paradox jeder Wissenschaft vom (kulturell) Fremden.20 In der hermeneutischen Ethnographie war das erste Mittel dieser Zähmung die Präjudizierung einer allgemeinen Sinnhaftigkeit, die Handeln und Kunst auf symbolisches Handeln verengt. So schreibt Clifford Geertz, der zentrale Vertreter der Dichten Beschreibung, deren Leistungsfähigkeit als reduktive Homogenisierung des Gegenstandes (vom Blinzeln bis zur Kunst). Denn darin werde menschliches Verhalten als symbolisches Handeln gesehen […] (oder zumeist symbolisches; manchmal ist es bloß Zucken!) – das heißt als Handeln, das wie die Lautbildung beim Sprechen, das Pigment in der Malerei, die Zeile beim Schreiben oder der Klang in der Musik eine Bedeutung hat […] 21 Kultur ist hier symbolisches Handeln, also bedeutungsvolles Handeln, dem auch Klang, Laut, Pigment und unwillkürliche Reflexe 20 Dies problematisiert Bernhard Waldenfels: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, a. a. O., 129 f als Xenologie und Xenopolitik. Für eine Xenosophie statt der selbstbezüglichen und ausgrenzenden Xenologie plädiert Yoshiro Nakamura: Xenosophie. Bausteine für eine Theorie der Fremdheit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2000. Seine Unterscheidung von interner und externer Fremdheit fällt jedoch in die Präjudizierung des Fremden zurück. 21 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 16.

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(Zucken) unterstellt seien. Wo ihre Bedeutung ausfällt, sind sie ausdrücklich irrelevant (wirklich bloß Zucken!). Genau diese Annahme, Kultur sei symbolisch, strukturiert wie ein Text und mache Sinn, den der Ethnograph nur kunstvoll aufzulesen und zu ordnen habe, wurde durch den Hinweis darauf kritisiert, dass die Erfahrung des Feldes nichts mit einer symbolischen Ordnung, sondern mehr mit radikaler und vielfach verstörender Fremdheit zu tun habe.22 Das ›Feld‹ einer Kunstwissenschaft ist nun nicht fremde Kultur, die sich selbst der ethnographischen Krise der Repräsentation bereits als nicht so text-förmig ausgewiesen hat, wie Geertz dies nahelegt, sondern letztlich die Kunst, die ebenso wenig ein rein symbolisches Handeln ist.23 Vielmehr wird Kunst erst interessant, wo ihre ästhetische Erfahrung ein Anderes begegnen oder zustoßen lässt, das sich gerade nicht einem bekannten Symbolzusammenhang oder Diskurs fügt. Daraus bezieht die Emphase auf das Neue, das das Reden über Kunst gerne begleitet, seine Relevanz. Wenn es dann aber um ein Denken der Avantgarde gehen soll, dann nicht in einem Kreislauf der Überbietung in Bedeutung. Vielmehr geht es darum, dass ein Erscheinen von Alterität, ihr Ereignis, Staunen macht, innehalten lässt, diesen Kreislauf unterbricht, ohne in ihn einzugehen, aber zu seiner Bearbeitung, zu einer Um/Wendung anstößt. Dass sich in der postkolonialen Kunstwissenschaft eine ähnliche Voraussetzung der Herrschaft des Sinns als Anästhetik, als Anti-Ästhetik, wenn nicht als Betäubung der Sinne,24 forciert an Kunst im Namen der Stimme der Anderen fortsetzt, zeigt ihr steter Rekurs auf andere Bilddiskurse (als Bilddiskurse der Anderen).25 Die Eigenlogik des Widerfahrnisses von Alterität geht jedoch gerade nicht im Was des Diskursiven auf. Sie stellt ein rein präsentisches Dass dar,26 das jeder textuell-schriftlichen Logik widerstrebt, die

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22 Vgl. z. B. Johannes Fabian: Presence and Representation, a. a. O. 23 Dies allein schon auch, da letztlich kein Handeln rein ist. 24 Vgl. zu diesem Terminus auch Dieter Mersch: Ereignis und Aura, a. a. O., 90–114. 25 Er findet sich selbst in Abhandlungen, die versuchen, eine ästhetische Erfahrung des Erhabenen im Sinne Lyotards und von Adornos Rätselcharakter der Kunst stark zu machen, indem diese semantisiert in Bilddiskursen verkörpert aufgefunden und als andere Stimmen be-stimmt werden. Vgl. Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung a. a. O., 190 ff. Auch das Münden einer Ästhetik der Differenz in die Proklamation von Georges Adéagbo als vorbildliches postkoloniales Subjekt lässt sich hierhin rechnen. Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, Bd. 1: Texte, a. a. O., 357 f. 26 Die Unterscheidung von ›was‹ und ›dass‹ bzw. Quid und Quod folgt Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 374.

4. A NÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

als Re-Präsentation immer im Nachhinein fehlt.27 Mit der Betonung des Diskursiven kehrt die euro-amerikanische Kunstwissenschaft somit zu den Mustern ihres Sinnprimats zurück. Sich so auf das Andere zu richten, um es einer auf Bedeutung drängenden Expansion des Eigenen zuführen, hat Emmanuel Lévinas als eine vereinnahmende Abweisung oder Eroberung von Alterität kritisiert, die sich gerade nicht vom Anderen anrühren oder ändern lässt.28 Insofern verlässt auch die postkoloniale Praxis der Figurierung der Stimmen der Anderen (trotz aller ihrer kritischen Leistungen) den Eurozentrismus der Kunstgeschichte nicht: Denn 1. verankert Stimme eine Zeichen- und Subjektpolitik, von der behauptet wird, sie richte sich aufs Andere, so im Subjekt, dass sie dieses Andere im etablierten Wissen eingemeinden/kanonisieren kann. 2. entpuppt sich die Emphase auf ein Subjekt der Kunst als Produktion eines wissenschaftlichen Objekts, das ein Exemplar ist. 3. wird die Eigenlogik medialer und ästhetischer Strategien auf die Zeichenprozesse einer identitären Subjektlogik der auktorialen Signatur zurückgeführt. Keineswegs sind mit diesem Einwand diskursive Strategien 29 für irrelevant erklärt; eine andere Möglichkeit wird es für eine Politik des Diskursiven nicht geben.30 Dennoch sind die Kosten einer Hypostasierung der Relevanz dieses Umgangs mit Kunst und kultureller Differenz hinsichtlich ihrer Konzeption des Neuen und von Alterität zu reflektieren. Dass hier nämlich die ausschließlich diskursive Bedeutungshaftigkeit der Kunst wie der Anderen unhinterfragt vorausgesetzt wird, fällt hinter die Reflexion der Diskrepanz einer Erfahrung des Fremden und ihrer textuellen Repräsentation in der Ethnographie zurück, um die Überführung von Kunst und Alterität in den eigenen Diskurs zu sichern. Dabei werden hohe Anforderungen an ›die Anderen‹ gestellt: Sie müssen innovativ sein, eine Differenz zur euro-amerikanischen Hegemonie (die ebenso monolithisch 193 27 Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, a. a. O. 28 Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen, a. a. O., 213 ff. Dass Wissen auf eine Aneignung des Fremden zielt, die seine Bändigung meint, zeigt auch Bernhard Waldenfels, in: Der Stachel des Fremden, a. a. O., 60 f. 29 Als diskursive Strategie ist auch die bei Birgit Haehnel geforderte Erneuerung von Wahrnehmungsweisen durch die Erfahrung nomadistischer Erhabenheit zu verstehen, insofern sie in ihrem Text durchweg immer wieder als diskursiv beschrieben wird. Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung, a. a. O. 30 Letztlich legt ja auch dieses Kapitel die Frage nach Bedeutung an die Diskussion an, deren Leistungsfähigkeit gerade im Drängen auf Dekolonisierung und eine nicht-exotistische Aufnahme ›der Anderen‹ liegt.

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monumentalisiert erscheint wie ›die Anderen‹) nicht nur markieren, sondern letztlich biographisch verkörpern. Sie haben ein neues Subjekt der Kunst zu sein, das dennoch Kontinuität anbietet, indem es der Subjektgeschichte eine Variante oder weitere Filiation hinzufügt, nämlich die des Subjekts als kompetenter Bearbeiter der eigenen post/kolonialen Zwangslage.31 ›Die Anderen‹ müssen sich (ebenso wie das Andere) einem Anspruch fügen, der auf sie projiziert wird. Einheitlich-heterogene Stimmen bringen in dieser Figurierung der Stimmen der Anderen quasi aus einem Mund einen einzigen Appell vor: Das Projekt der Dekolonisierung. Hieraus legitimiert sich eine Kunst/Wissenschaft im Namen der Anderen. Sie unterstellt Alterität der Repräsentation, strebt die Überwindung ihrer Unverständlichkeit und Stummheit an, sowie eine Neuordnung des Diskurses durch postkoloniale Ästhetiken. All dies soll auf eine Form der wirksamen postkolonialen Befreiung hinauslaufen. Alterität, Andersheit, Ästhetik und Subalternität sind hiermit schematisch eng geführt. Sie sind einem Versprechen der Freiheit gleichgesetzt, das sowohl für ästhetische Wahrnehmung wie für Aktanten der Kunst zu gelten hat. Die Alterität der Anderen verspricht diesem kunstwissenschaftlichen Diskurs in etablierter und in inhaltlich vorab bestimmter Weise diskursive Differenz wie ästhetische Erneuerung und Selbstoptimierung.

Prosopographien

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Was hier als das Andere ausgegeben wird, ist somit als signifikante Differenz über ›die Anderen‹ be-stimmt. Alterität ›spricht‹ sinnhaft zu uns. Gleichsam durch einen Akt der kunstwissenschaftlichen Bauchrednerei teilt diese anthropomorphisierte, lokalisierte und semantisierte ›Alterität‹ höchst Bekanntes mit. Der signifikante Unterschied ›der Anderen‹ wird in der Stimme zur Botschaft, die ihre Arbeiten so sehr signiert, dass sie nichts anderes mehr zu zeigen vermögen als den Mund/das Gesicht ›des Autors‹ als Exemplar der post/kolonialen Differenz, das Dekolonisierung einklagt. Wenn Unverständlichkeit, Alterität, Ästhetik »als Bedeutungsveränderung in einen Diskurs« 32 eingeführt werden sollen, um kanonischer Diskurs zu werden, ist darin (neben den unvermeidlichen Machteffekten der Re-Konstitution von Subjekten, eines Diskurses oder Kanons) eine Anästhetik vorprogrammiert, die Alterität als identifizierte, postkoloniale, fremde Stimmabgabe präjudiziert. 31 Diese Zwangslage wird durch ihre Präjudizierung letztlich potenziert. 32 Birgit Haehnel: Regelwerk und Umgestaltung, a. a. O., 13.

4. A NÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

Die postkoloniale Subjekt- und Identitätspolitik oszilliert zwischen Habhaftmachung und Er-Findung. Sie figuriert die Stimmen der Anderen als Differenzfigur zum Eurozentrismus, in der sich Kritik, Ästhetik, Ethik und Epistemik bruchlos vereinen. Dieser Umgang mit dem Anderen, der wie Emmanuel Lévinas kritisierte, stets zum Eigenen und seiner Erweiterung führt,33 beruht nicht ganz zufällig auf der Metapher der Stimme. Dabei kann Stimme bezogen aufs Schreiben wie auf Bilder, die keine Stimme im landläufigen Sinne besitzen,34 aber auch bezogen auf historisch verstummte Personen nur Metapher sein. Die Figur der Stimme versetzt das Schreiben, das Bild, das Dokument in die (politische) Rede. ›Stimme‹ dient zur Erhaltung einer Präsenz in Absenz und ist nicht nur in diesem Sinne eine Instanz der Re-Präsentation.35 Weniger als Begriff für eine erzähltechnische Instanz gebraucht,36 richtet sich diese Stimme durch die Allusion der politischen Stimme auf die Teilhabe an öffentlicher Bedeutungsproduktion sowie auf die Intelligibilität/Anerkennung darin. Als pars pro toto der Identität des/der Sprechenden/Schreibenden zielt die Figurierung von ›Stimme‹ und ihrer politisch-öffentlichen Vertretung auf die Herstellung oder auf die Nachstellung von Anwesenheiten: Identität, das sich äußernde Bewusstsein, der Sinn von (bewussten) Aussagen resp. von Kunst, ›die Anderen‹. An diese vorhandenen Inhalte soll wissenschaftliche oder kritische Bedeutungsproduktion anschließen, d. h. sie vermitteln oder die Absenz ihrer Vermittlung oder ihre Absenz im Diskurs kritisieren. Im Öffentlichen erkennbar/intelligibel zu werden bildet dieser Auffassung nach die Voraussetzung dazu, Subjekt sein zu können. 33 Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen, a. a. O., 211. 34 Vgl. dazu auch Andreas Blöhdorn u. Andrea Langer: Implikationen eines metaphorischen Stimmbegriffs: Derrida – Bachtin – Genette, in: Stimme(n) im Text. Narratologische Positionsbestimunngen, hrsg. v. dens. u. Michael Scheffel, Berlin u. New York: de Gruyter, 2006, 53–82. 35 Diese Auffassung dekonstruiert und kritisiert Jacques Derrida als phonologozentristisch, vgl. ders.: Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. 36 Gerard Genette hat die narratologische Unterscheidung von Stimme und Fokalisation eingeführt, um die Instanz des Erzählers zu präzisieren, vgl. ders.: Die Erzählung, a. a. O. Said unterstellt z. B. eine mögliche Eigenlogik von Textinstanzen dem ›Wer‹ des Schreibens. So interessiert sich auch die weitere postkoloniale Theorie für authentische, menschliche, identitätsgebundene Enuntiationsorte, die die Bedeutung der ›Aussage‹ bestimmen. Ähnlich lancieren Blöhdorn und Langer die anthropomorphen Möglichkeiten des Begriffs Stimme mit und gegen Genette, vgl. dies.: Implikationen eines metaphorischen Stimmbegriffs, a. a. O., 53–82.

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Eine Stimme/ein Gesicht zu erhalten, das heißt aber auch stets, eine Person zu werden, die eine Identität besitzt, die – auf welche Weise auch immer – mit Rasse, Ethnie und Geschlecht verknüpft wird. Deshalb ist diese Stimme keineswegs frei von einer semantisch vorab besetzten Identitätspolitik. Denn dieses Spiel mit der Infragestellung und Einsetzung von Identität bezieht sich vornehmlich auf ihren sozialen Sinn. Stimme metaphorisiert hier die intelligible Anwesenheit von Subjekten im Diskurs. Präsenz, Erkennen und politisches Gewicht resp. die Forderung danach fallen hier zusammen. Stimme bezieht sich auf die Produktion von politischer Öffentlichkeit, in der man eine Stimme in der Agora oder dem (art)Forum erhält. Mit der Stimme der Anderen wird so eine normativ aufgeladene kunsthistorische Aufgabe konstituiert, die vom präsenten Anspruch der Anderen her komme, und darauf zielt, ein ganzes kunsthistorisches Feld und Denken über die Stimme der Anderen zu erneuern. Wenn den Stimmen der Anderen in der Kunst/durch die Interpretation ihrer Kunst Gehör/Gesicht verschafft werden soll, indem einer Abwesenheit oder einer Stummheit eine Stimme verliehen wird, dann verfolgt das postkoloniale Projekt die: Fiktion der Apostrophierung einer abwesenden, verstorbenen oder stimmlosen Entität, wodurch die Möglichkeit einer Antwort gesetzt und der Entität die Macht der Rede zugesprochen wird. Eine Stimme setzt einen Mund voraus, ein Auge und letztlich ein Gesicht, eine Kette, die sich in der Etymologie des Namens der Trope manifestiert: prosopon poien, eine Maske oder ein Gesicht (prosopon) geben.37

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In der prosopographischen Rhetorik verkörpert die ›Stimme‹ eine Zuschreibungsfunktion, die zwischen Präsenz und Absenz und zwischen Rhetorik/Maske und Gesicht oszilliert und diese vermittelt. Paul de Man hat die Prosopopöie im Zuge seiner Dekonstruktion der Autobiographie als Gattung konturiert. Die Prosopopöie versteht er als Trope einer Anthropomorphisierung des Textes, die letztlich jeden Text mit einem autobiographischen Zug versieht, sobald diese »Lese- oder Verstehensfigur« zu »einem inneren Textmerkmal« gemacht ist. Denn diese Figur sei mit einem »weiter reichenden, mit jeder Autorschaft verbundenen Anspruch« verbunden, »der immer dann vorliegt, wenn von einem Text gesagt wird, er sei von jemand und dieser Umstand sei für sein Verständnis

37 Paul de Man: Autobiographie als Maskenspiel, a. a. O., 140.

4. A NÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

von Bedeutung«: 38 »Die Prosopopöie ist die Trope […], durch die jemandes Name […] so verstehbar und erinnerbar wird wie ein Gesicht.« 39 Dass es mit der Reflexion von Ethnisierungen und Vergeschlechtlichungen in der Kunst durch eine postkoloniale Kunstwissenschaft ebenso wie in den wenig(er) postkolonial orientierten Kritiken zu/an Morimura auch stets um das Gesicht geht (nämlich um das Gesicht als Fokus einer Identitäts- und Identifizierungspolitik des ethnisierten auktorialen Gesichts), mögen Titel wie: About Face oder Gaining Face für Kunstkritik und Ausstellungswesen belegen.40 Die Emphase auf die Stimme der Anderen impliziert prosopographische Lektüren, die Kunst eine auktoriale Signatur in Form einer Stimme (oder eines Gesichts) zu verleihen suchen. Sie verwickelt sich dabei in ein ›Maskenspiel‹, in dem Rhetorizität, Medialität und Materialität als auktoriale Gesichter/Stimmen ausgegeben werden und sich zugleich stets als Ort wie Grenze ihrer Anthropomorphisierung ausweisen.41 Jede Konzentration einer Lesart auf Autorschaft in einer prosopographischen Lektüre 42 verleiht durch die Figurierung einer Stimme resp. eines Gesichts etwas im Text oder Bild eigentlich Abwesenden die Fiktion der Präsenz des Enuntiationsorts, der auktorialen Intention oder Biographie. In der Stimme verflechten sich hierbei in unendlichen Spiralen Präsenz und Repräsentation, da das auto(r)biographische Moment, das nach de Man für jeden autorisierten Text gilt, weder im Text noch in der Lektüre 43 endgültig von der Eigenlogik der Sprache (resp. Medialität und Materialität) zu trennen ist. Zugleich garantiert – wie Bettine Menke betont – ein Lesen der Prosopopoiia (wenn es auch stets von der dieser Figur eigenen Auszehrung gefährdet ist) im Gesicht/in der Stimme die Einheit des Sinns (auch eines vielfältigen), wie auch eine Auslöschung der Medialität und Rhetorizität des Schreibens 38 Ebenda, 134. 39 Ebenda, 140. 40 Vgl. anonym: Gaining Face. Japan’s Artists Emerge, in: Artnews (März 1990), 142–147; oder die Ausstellung: About Face. Artists Portraits in Photography, Harvard University Art Museum, Cambridge, 1997, in der Morimura vertreten war. Bezogen auf Japan ist die Metapher des Gesichts auch wegen des bekannten Topos des Gesichtsverlusts als Metapher für den Verlust des sozialen Orts besonders virulent. 41 Vgl. Bettine Menke: Prosopopoiia: Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka. a. a. O. 42 Vgl. dazu Bettine Menke: Prosopopoiia. Die Stimme des Textes, a. a. O. 43 Wobei in de Mans performativen Modell Lektüre und Text stets bereits verflochten sind.

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zugunsten einer Figuration, die sich als unsichtbare und eindeutige Repräsentation selbst negiert.44 Insofern die Prosopopoiia stets zwischen dem Versprechen medialer Transpararenz, das unterstellt, dass ein authentisches Gesicht resp. die Person verständlich in den die Maske (prosopon/persona) spricht, und der Reflexion der Maske als Maske (d. h. Rhetorik oder Medium) oszilliert, stellt sie ebenso viele Probleme der schwindelnden Vervielfältigung der Gesichter und Sinnebenen, wie sie zu lösen anbietet: Autobiographie ist ein Maskenspiel oder de-facement, das stets auch Entstellung (dis-figuring) ver-spricht. Dies betrifft sowohl die Ebene des Textes selbst als auch das so produzierte und zugerichtete ›Gesicht‹,45 das, sofern es Ort der diskursiven Intelligibilität werden soll, geschlechtlich und ethnisch identifiziert werden muss (sofern dies nicht in einem falschen Universalismus, z. B. dem ›Gesicht der Menschheit‹, aufzugehen hat). Statt für eine Auf lösung des permanent zwischen Herstellung und Entstellung oszillierenden Maskenspiels in die eine (Rhetorik) oder die andere Richtung (auktoriales Gesicht) zu plädieren, verweist de Man auf die Produktivität einer Alterität, die zwischen Lesart, Medialität der Schrift und dem Autor als Anderem produktiv wird, nämlich in der konfliktuösen Katachrese der Medialität der Schrift selbst. Dies hat Cynthia Chase herausgearbeitet: Voice, or the notion of a speaking conciousness, is figure for the deictic function of language that itself involves a conflict between the function of language as postulation or act and its function as figure or representation.46 Catachresis thus describes a dependency and conflict between name and figure that is present in the concept of ›giving a face‹.47

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44 Dies kritisiert Bettine Menke in: dies.: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka, a. a. O., 11 u. 139–150. 45 Die englischen Titel der für die Prosopopoiia relevanten Texte de Mans: Autobiography as Effacement und Shelley dis-figured spielen mit dieser Zwiespältigkeit einer Rhetorik des Gesichts/der Stimme ebenso wie die Übersetzungen: Autobiographie als Maskenspiel und Shelleys Entstellung. Vgl. Paul de Man: Autobiographie als Maskenspiel, a. a. O. (Autobiography as De-facement, in: ders.: The Rhetoric of Romanticism, New York: Columbia University Press, 1984, 67–81); sowie Shelleys Entstellung, in: ders.: Die Ideologie des Ästhetischen, a. a. O., 147–182. (Shelley Disfigured, in: ders.: The Rhetoric of Romanticism, New York: Columbia University Press, 1984, 93–123). 46 Cynthia Chase: Giving a Face to a Name. De Man’s Figures, in: dies.: Decompising Figures. Rhetorical Readings in the Romantic Traditions, Baltimore u. London: Johns Hopkins University Press, 1986, 82–112, 89. 47 Ebenda, 88.

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The deceptiveness of the figure of a speaking consciousness comes to light in analysis of the contradictory conditions of the deictic functions that it names. Voice is a figure that covers over a muteness, an irreparable split in the function of speech, the incompatibility between sagen und meinen.48 Dass diese Katachrese um die von sagen, zeigen und sich-zeigen zu erweitern ist, da de Man ausschließlich zu sprachlicher Figuration schreibt, die sich an Kunst resp. Bildern noch einmal bricht, wird später Thema. Hier interessiert Prosopopoiia, da sie die unausweichlich vornehmlich sprachlichen Artikulationen einer Kunstwissenschaft von den Stimmen der Anderen beleuchtet. Die Kunstwissenschaft bedient sich dieser Figur der Exegese, um Kunst eine auktoriale Stimme zu verleihen, die nicht mehr (und nicht weniger) als deren Sprechen sei. Sie negiert dabei sowohl die eigene sprachliche Figuration dieser Stimmen, d. h. ihre eigenen Mittel, als auch die Eigenlogiken der Medialitäten und Materialitäten der künstlerischen Arbeiten, die vielleicht gar nichts sagen.49 Mit den Stimmen der Anderen soll ihr Bewusstsein durch die Kunst zu uns sprechen, ohne die Eigenlogik ihrer Medialität ›mitreden‹ zu lassen.50 So verheißt die Prosopopoiia der Literatur und ihrer Interpretation eine visuelle und auditive Präsenz von Autorschaft. Die Verbindung der tradierten Konnotation des Sehens als Erkennen und der Heraushebung von Stimme und Gesicht als (auch durchaus decouvrierende) individuelle Erkennungsmerkmale hat durch den Import der semantischen Besetzungen anderer Medien (Ton und Bild als Phänomene der Präsenz, die Fiktion von nicht-interpretationsbedürftiger bildlicher Evidenz, die Stimme als Marker der Innerlichkeit) die Unmöglichkeit der Ko-Präsenz von ›Sender‹ und ›Empfänger‹ als Voraussetzung der Schrift zu kompensieren.51 Sprich: Die Arbeit und Medialität der Repräsentation wird 199 48 Ebenda, 91. 49 Wenn Catherine Soussloff schreibt, dass die Kunstgeschichte mit ›dem Autor‹ versuche, unbelebten Objekten/Kunst eine Stimme zu verleihen, interessiert sie sich dabei nicht für die Eigenlogiken des Unbelebten. Catherine Soussloff: The Aura of Power and Mystery that Surround the Artist, a. a. O., 491. 50 Dies weist zurück auf Roland Barthes’ Emphase auf das Verschwinden ›des Autors‹ als Chance der Schrift des Lesens und einer asemiotischen Ästhetik der Schrift. 51 Vgl. zu den Konnotationen der Stimme Alice Lagaay: Züge und Entzüge der Stimme in der Philosophie, in: Performativität und Medialität, hrsg. v. Sybille Krämer, München: Fink, 2004, 293–306. Zur unmöglichen Ko-Präsenz vgl. Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O.

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ebenso negiert wie Singularität der performativen Aktualisierung der Schrift im Lesen. De Mans Kritik motivierte sich weniger aus dem Impetus, die falsche Fiktionalität des Verleihens von Gesichtern decouvrieren zu wollen. Dies lässt sich ihm zufolge aufgrund der unentscheidbaren Verschlingung von Medialität/Rhetorik und Verweisung gar nicht vermeiden. Vielmehr motiviert sich diese Kritik aus einer Sorge um die normative Kraft des Kanons, die (exemplifiziert an der Gattung der Autobiographie) auch die Sorge um ein Schreiben des Lebens und des Fortlebens impliziert.52 Die Normativität des Kanons betrifft nämlich nicht nur die Möglichkeiten der darin verhandelten Gattungen, Epochen, Stimmen, Leben und Gesichter, sondern auch die Möglichkeiten aller möglichen zukünftigen Gattungen, Epochen, Stimmen, Leben und Gesichter. Alle finden ihre Bedeutung nur in Auseinandersetzung mit dem Kanon, dessen Tendenz zur Monumentalisierung ihre Norm bildet. Die auktoriale Signatur in einem monumentalisierten Gesicht zu verhärten heißt dann nicht nur, dieses Gesicht einer Identifzierungslogik zu unterwerfen. Es heißt auch, eine Norm zu kanonisieren, die sich in den Stimmen der Anderen und den Anforderungen an sie so verhärtet, dass dies den zukünftigen Effekt einer kanonischen Starre zu erzeugen droht. Dagegen scheint de Man eine Offenheit der Rhetorik/Medialität zu setzen, die jenseits des Inhalts liegt, aber als seine notwendige Bedingung unlösbar mit ihm verflochten ist. Während die Prosopöie diese Bedingung im Monument der Stimme, das auch den Grabstein meint, kanonisch versteinert, läge gerade hierin die Chance, das Monument zu mobilisieren. Problematisiert der Postkolonialismus der Stimme den Kanon als normative Kraft, die man durch Teilhabe zu bestimmen sucht, fordert dies jedoch nicht allein die stete reflexive Erweiterung des Kanons oder einen nicht-normativen Kanon. Im Gegensatz zur permanenten Katachrese, die auch das Verhältnis von Maske (medialer und materieller Eigenlogik der Figuration/Schrift) und Stimme/Gesicht (Leben/Intention/Präsenz im Text) betrifft, wird darüber hinaus dafür plädiert, die Verflechtung von Re-Präsentation und Rhetorik zugunsten der Stimme als Figur einer präsenten Autorität der Anderen aufzulösen. Erstrebt ist ein neu gewendeter, jedoch keineswegs weniger steinerner Kanon. Es sind jedoch die unentscheidbaren Unfüglichkeiten zwischen Maske und Stimme/ Gesicht notwendig, um den Kanon vor der Erstarrung durch

52 Genau diese Abhängigkeit des Lebens von der Lebendigkeit der Sprache thematisiert auch Butler in Haß spricht, a. a. O., 16 ff.

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monumentalisierte Stimmen/Gesichter oder »paternal proxies« 53 zu bewahren.54 Denn die Autorität des Künstlersujets erweist sich als äußerst eherner Kanon.

Kommunikationszwang Prosopographie fasst Kunst als (auktoriale) Mitteilung. Sie impliziert einen Phonologozentrismus (der Kunst), den Jacques Derrida u. a. in seiner Husserl-Lektüre als eurozentristisch charakterisiert hat: »Daß die Stimme die Wahrung der Gegenwärtigkeit simuliert und daß die Geschichte der gesprochenen Sprache das Archiv dieser Simulation ist« 55 bedient nämlich eine abendländische philosophiegeschichtliche Bevorzugung der Stimme vor der Schrift, in der die Figur der Stimme die Selbstpräsenz und Einheit des Bewusstseins im Denken wie in seiner Mitteilung wahrt. Diese Figuration der Stimme sichert, so Derrida, die einmalige Determiniertheit des Sinns und die Selbigkeit des Worts. Als Figur der Selbstpräsenz tilgt die Stimme den Entzug der Schrift und den grundsätzlich wiederholenden Charakter des Zeichens, sprich: die Performativität von Medialität und Materialität. Da diese so lediglich sekundäre Störenfriede der Selbstpräsenz in der Sprache seien, könnten sie als akzidentiell zu Anschauung und Gegenwart abgetan werden. Die absenzlogische Materialität der Schrift gelte der abendländischen Philosophie deshalb als eine nebensächliche Modifikation zur stimmlichen Gegenwärtigkeit der Rede. Stimme besorge die Wirklichkeit »der Eigenart und des nicht-abgeleiteten Charakters des Zeichens«,56 um zu kompensieren, dass das Zeichen sich der abendländischen Sprachphilosophie als Spaltung und Wiederholung ausweist.57 Die Figur der Stimme tilge präsenzmetaphysisch die Materialität der Schrift zugunsten eines kommunikationslogischen Primats der selbstbewussten Mitteilung eines darin präsenten Bewusstseins. Stimme erscheint bei Derrida als Gegenstand der Kritik, da sie (als privilegierte Denk-Figur und Rhetorik der Präsenz) die Mitteilung auf einen intentionalen Akt

53 Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak?, a. a. O., 279. 54 Hier ist auf Paul de Mans Verhandlung des Kanons in Shelleys Entstellung zu verweisen, die sich zwischen einer tatsächlichen körperlichen Entstellung Shelleys, Shelleys Position im Kanon und einer autorpoetologischen Thematisierung von beidem bewegt. Vgl. ders.: Shelleys Entstellung, a. a. O. 55 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen, a. a. O., 26. 56 Ebenda, 72. 57 Vgl. dazu Jaques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O.

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der Vermittlung von Sinn reduziert, indem Medialitäten und Materialitäten beseelt werden: Was geschieht tatsächlich in der Mitteilung? Sinnliche (hörbare oder sichtbare usw.) Phänomene werden durch die Akte eines Subjekts beseelt, das ihnen Sinn verleiht und dessen Intention gleichzeitig ein weiteres Subjekt verstehen muss.58

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An dieser Kritik der Stimme wurde inzwischen vielfach kritisiert, dass sie in der absoluten Desavouierung von Präsenz fehlgeht. In der Verwechslung von Stimme und Rede 59 wird nämlich der Blick auf die »Stimme als ›atopisches‹ Phänomen« 60 verstellt. Denn Derrida wendet sich in dieser vor allem an Husserls Phänomenologie vollzogenen Analyse gegen jede Form der Wahrnehmung einer Präsenz, auch der der sinnlichen Phänomene. So fällt mit dieser Kritik der Stimme all das aus, was sich als Widerfahrnis der Überführung in auktoriale Aussagen versperrt. Nichts anderes als das, was sich dem versperrt, aber wäre wirkliche Alterität, ein Ereignis. Als Metapher für die Selbstpräsenz des Bewusstseins in der Aussage jedoch erhält seine Kritik an der Metapher der Stimmen der Anderen eine besondere Sprengkraft. Denn hier wird gleichsam präsenzmetaphysisch ein anderes Bewusstsein als Bewusstsein der Anderen in ihrer Stimme lokalisiert und personifiziert. Das neuere Interesse in Bezug auf die Atopie der Stimme als mediales und materielles Phänomen oder als auditives Ereignis, das jenseits eines präsenten Bewusstseins liegt, ist in dieser Thematik der Stimmen der Anderen deshalb ebenso vollständig ausgeblendet, wie die Kritik an der Präsenzmetaphysik, die letztlich über die Kritik an der Rhetorik der Stimme auch erst den Raum für eine Rehabilitierung der Stimme 61 geöffnet hat. Wenn nun Stimme jenseits der Präsenzmetaphysik als mediales und materielles Phänomen wieder aktualisiert werden kann,62 dann auch, weil Die Stimme und das Phänomen an der Präsenzmetaphysik ein Sinnprimat kritisierte, das Medialität und Materialität (wenn diese auch nur als Entzug gedacht sind) der Kommunikation subordiniert. 58 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen, a. a. O., 53. 59 Vgl. Sybille Krämer: Die ›Rehabilitierung der Stimme‹, a. a. O., 288–291; u. Dieter Mersch: Präsenz und Ethizität der Stimme, in: Stimme. Annäherung an ein Phänomen, a. a. O., 211–236, 216–219. 60 Doris Kolesch u. Sybille Krämer: Stimmen im Konzert der Disziplinen, ebenda, 7–15, 12. 61 Sybille Krämer: Die ›Rehabilitierung der Stimme‹, a. a. O. 62 Vgl. Mira Fliescher u. Ronja Tripp: Stimme, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, hrsg. v. Ansgar Nünning, Stuttgart: Metzler, 2008, 683 f.

4. ANÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

Stimme dient so innerhalb eines kommunikativen Sinnprimats, das sie als auktoriale Stimme fasst, die das auf Verständigung drängende Bewusstsein verkörpere, allerdings nicht nur dazu, Differenzen zwischen Aussage und Bewusstsein zu verfugen. Stimme besorgt, und hier gewinnt das neuere Interesse an der sinnlichen Materialität der Stimme jenseits eines propositionalen Sinns ihre Sprengkraft, auch die Einebnung der Aisthesis die Aussagelogik. Dieser Anästhetik der Sinne 63 stünde, wie auch Derrida an Husserl zeigt, eine zwecklos vernunftlose Kunst gegenüber: Denn wenn das Erlebnis über den Modus der Gewißheit und der absoluten Notwendigkeit unmittelbar selbstgegenwärtig ist, dann ist die Kunstgabe von sich zu sich durch Aussendung oder Vorstellung eines Anzeichens unmöglich, weil überflüssig. Sie wäre, in sämtlichen Bedeutungen dieses Wortes, grundlos, maßlos, ohne Vernunft (sans raison). Also ohne Ursache. Ohne Ursache, weil ohne Zweck: zwecklos, sagt Husserl […].64 Derrida kritisiert hiermit zwar Husserls ›Zwecklosigkeit‹, aber dies vor dem Hintergrund, dass, nähme man die Selbstpräsenz des Bewusstseins wirklich voll, eigentlich keine Übermittlung, keine Medialität, mehr nötig wären. Man kann sich darüber streiten, ob diese Deutung Husserls richtig ist.65 Der Hinweis, dass zwischen einem ›vollen Bewusstsein‹ und seinem richtigen und widerstandfreien Verstehen durch Andere keine Medialität, die sie vermittelt, nötig wäre, trifft aber die Kritik, dass in der postkolonialen Kunst die »Prägnanz des Ästhetischen« 66 fehle, im Kern. Denn dies wird genau dann moniert, nachdem die volle Selbstpräsenz der Stimmen der Anderen beschworen wurde. So drohen die Stimmen der Anderen nicht nur zum privilegierten Ort eines gut gemeinten Otherings 63 Vgl. Dieter Mersch: Ereignis und Aura, a. a. O., 90–114. 64 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen, a. a. O., 81. Dass hier mit zwecklos das interesselose Wohlgefallen Kants alludiert ist, lässt sich an Die Wahrheit in der Malerei verfolgen, Derrida den Paradoxien der Dritten Kritik Kants nachgeht und in Kants Problem des Schönen ebenso wie an Hegels und Heideggers Ästhetik eine lemmatische Anästhetik ausmacht: »Wie kommt es, daß ihnen [trotz aller Unterschiede, M. F.] dennoch gemeinsam ist: alle Künste der Rede zu unterwerfen und, wenn nicht der Poesie, so doch wenigstens dem Gedichteten, dem Gesagten, der Sprache, der Rede, der Benennung«. Jacques Derrida: Lemmata, in: ders.: Parergon, in: ders.: Die Wahrheit in der Malerei, a. a. O., 33–55, 40. 65 Nicht nur Sybille Krämer bezweifelt dies u. a. in: dies.: Die ›Rehabilitierung der Stimme‹, a. a. O. 66 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O, 22.

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zu gerinnen. Fraglich ist, ob mit diesem Fokus auf die Stimmen der Anderen dem Anderen der Anderen überhaupt zu antworten ist. In dieser Funktionalität der Stimme fällt nämlich jeder Widerstand des Anderen aus. Die Grundstruktur dieser Figur weist zumindest kaum darauf, dass andere Analysen dem präjudizierten Anderen antworten. Indem sich diese Analysen um den Autor/Künstler als Setzer, Zentrum, Quelle, Schöpfer des Sinns, um Künstlertum als Paradigma alternativer Subjektentwürfe, um das Ideal der Handlungsmächtigkeit eines selbstbestimmten Subjekts und um das Verstehen von Kunst als diskursive, propositionale Aussage drehen, verfolgen sie eine tradierte euro-amerikanische, hermeneutische Aneignung des Anderen. Sie tilgen nicht nur den Anderen als Anderen, sondern auch das Widerfahrnis von Alterität im Aisthetischen, d. h. die Alterität medialer und materieller Eigenlogik. Wenn die Entdeckung von unverständlichen Unterdrückten dazu aufrufen soll, die Grenzen des Wissens zu bearbeiten und zu verschieben, um ihnen eine Stimme zu verleihen, sind die Grenzen dieses Projekts insofern an der Trope der Stimme zu situieren. Teilt man mit einer solchen kunstwissenschaftlichen postkolonialen Fragestellung das Interesse an einer Alterität, die ein neo/koloniales kunst/wissenschaftliches Wissen so durchkreuzt, dass ihre ethnisierende und vergeschlechtlichende Epistemik zersetzt wird, desavouiert sich dieses Vorhaben selbst, sobald es Alterität als personifizierte, intelligible Differenz be-stimmt. So liegt in dieser Geste eine Art Selbstbehinderung, die streng limitiert, was in einer Ästhetik der Differenz als Differenz zu erscheinen vermag. Die Zirkularität des Unterfangens verheddert sich im Paradox der Alterität. Dabei unterstellt es eine Konzeption von Differenz, die Differenz letztlich in Identität auf löst. Alterität wird durch ihre semantisierende, anthropomorphisierende Be-Stimmung als Differenz getilgt, da, sobald dies geschehen, die so Be-Stimmten keine Alterität mehr besitzen können. Die Differenz der Anderen sedimentiert sich in Identitätskonstruktionen. Daraus folgt, dass diese Kanonisierung auch dazu führt, dass zu etablierte Künstler/innen als Personifikationen von Differenz wiederum verdächtig werden müssen. Die Identifikationsarbeit an der Identität der Differenz leugnet in der fortgesetzten Produktion von Subalternität, Alterität und Identität solche Macht-Effekte und Limitierungen, um zu versprechen dass mit dieser ›Freiheit der Anderen‹ die Freiheit der Kunst fortschreite.67 67 Z. B. kann die Intellektuelle, die Subalterne be-stimmt, niemals sicher sein, dass sie sich von der Hegemonie unterscheidet. Stimme zu verleihen ist stets davon bedroht, zugleich Stimme zu stehlen. Auch wenn man Unterschiede zwi-

4. A NÄSTHETIKEN DER B E -STIMMUNG

Die Voraussetzung, dass die Alterität der Stimmen der Anderen intelligibel und zu integrieren sei, verursacht somit gleichermaßen Ausfälle im Ästhetischen, für Alterität und für die produzierten Subjektsujets der Kunst. Solange eine Reflexion der Kunstgeschichte nicht an Stimme und auktorialer Signatur als Figuren präsenzlogischer, auktorialer Kommunikation rüttelt, wird und muss sich dieser postcolonial turn fortwährend ums Selbe drehen. Überraschungen sind hier per definitionem ausgeschlossen. Dieses Problem markiert die Kunstwissenschaft letztlich dann selbst, wenn sie die »Prägnanz des Ästhetischen, das in wissenschaftliche Diskurse eingreift«,68 vermisst. Doch wird dies allein den verhandelten Künstler/innen und nicht auch dem eigenen Anspruch oder den Effekten seiner Emphase auf die Stimme einer auktorialen Signatur zugerechnet. Die Frage nach dem sich äußernden Subjekt vermag, das kann nicht oft genug betont werden, der postkolonialen Kritik einen relevanten Ansatzpunkt darstellen, da er das Silencing der Anderen in der neo-kolonialen Wissensgenerierung problematisiert. Sie teilt jedoch mit dem kritisierten Feld die figurative Voraussetzung der Stimme als authentifizierende Verkörperung der auktorialen Signatur. Diese wird für die hier interessierenden Signaturen der Alterität dann problematisch, sobald die Aussage von intelligiblen Stimmen als Ästhetik ausgegeben wird. Diese Art der ›Ästhetik‹ verschiebt die Signifikanten unter denselben Voraussetzungen immer nur ein Stückchen weiter, ohne die eigene Herstellung von Wissen und Subjekten selbst zu befragen. Nicht mehr bedeutet die Differenz, die eine solche Ästhetik der Differenz vertritt. Zwar ist dieses Verschiebe-Spiel ein notwendiges Verfahren beständiger Kritik in einem Bedeutungsfeld der Subjektpolitik, an dem Kunst, Kunstwissenschaft und Kunstkritik nicht umhin können, teilzunehmen. Doch droht dieser stete Verschiebungszwang nicht nur in einen Kreislauf des Neuen und Überholten zu geraten, der (sich immer schneller drehen müssend) irgendwann kaum vom Karussell des Neuen in der exotistischen Vermarktung der Kunst zu unterscheiden ist. Wenn Alterität so zu semantisierter Differenz und einer Angelegenheit von Bedeutung verdinglicht wird, verstellt dieser Kommunikationszwang die Möglichkeiten von Kunst jenseits von identitätspolitischen Bedeutungsverschiebungen. Die schen den Interessen unterschiedlicher Operationen einzieht, ist zu betonen, dass die Effekte von Operationen nicht so leicht zu kontrollieren sind, wie eine Engführung von Interesse und Effekt nahelegt. 68 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Das koloniale Unbewusste der Kunstgeschichte, a. a. O., 21 f.

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Sprengkraft des Ästhetischen für das Politische liegt ja darin, mit der Politik nicht aufzugehen, sondern gleichsam von Außen zu kommen. Erweist sich die Verkörperung der auktorialen Signatur in der Figur der Stimme als zentral für das euro-amerikanische Wissen, um Ethnizitäten, Geschlechter, Kunst- und Wissensordnungen zu stabilisieren, ist sie als Grundlage wie Effekt eines auf Identität fixierten Wissens notwendig auch derjenige Schauplatz, an dem sich die Bewegung der Figuration und Disfiguration von geschlechtlicher und ethnischer Differenz oder Sexismen und Exotismen ablesen, problematisieren und verändern lassen. Nur verbleibt man dann in einem Identitätsdenken, das der Frage nach Alterität nicht gerecht zu werden vermag. Fragt man dagegen nach Alterität, dann interessieren die Unfüglichkeiten, die diesen Kreislauf, der sich um immer dieselbe Trope der Personifizierung und Be-Stimmung von Differenz und Alterität windet, zu unterbrechen vermögen. Sie markieren die Notwendigkeit, die Richtung des Denkens von Signatur und Alterität zu wenden.

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5. Um/Wendungen

Genau weil die epistemische Strategie der auktorialen Signatur nicht nur Ausfälle für das Subjektsujet erzeugt, sondern auch für Alterität, Medialität und Materialität,1 lässt sich an ihr ein Anderes aufzeigen, das die Funktionalität der auktorialen Signatur durchbricht und reflexiv gegenzeichnet. Wenn bisher vornehmlich ausgehend von der Autor-Funktion eine Kritik an der epistemischen Strategie der auktorialen Signatur geübt wurde, dann um tentativ eine Duplizität der Signatur zwischen auktorialer Signatur und Signaturen der Alterität anzudeuten. Die Inkonsistenzen der auktorialen Signatur werden zum Ausgang einer Um/Wendung des Denkens von Signatur und Alterität. Sie Inkonsistenzen weisen nicht nur darauf, dass der Diskurs nicht geschlossen ist, sondern auch auf seine Problematisierung von Alterität durch mediale Eigenlogiken, die zwischen den Differenzen von An/Auktorialität und Alterität, Bild und Diskurs, Sagen, Zeigen und Sich-Zeigen erscheinen. Diese Duplizität der Signatur sei nun kursorisch durch die Re-Lektüre von Derridas Konzeption der Signatur präzisiert. Derridas Signatur Ereignis Kontext wandte sich gegen die Tradierung eines präsenzlogischen Kommunikationsmodells zugunsten der Reflexion auf die mediale und materielle Eigenlogik der Schrift.2 Als Antrieb von Bedeutung stellt ihre différance eine anauktoriale Alterität dar, die Intention, Aussage, Bedeutung, Sender, Empfänger vorausgeht, ohne darin einzuholen zu sein, während die kommunikationslogischen Instanzen Signatur, Ereignis, Kontext differieren. Versucht ist damit, eine Alterität von Medialität 1 Alterität zeigt sich nur durch Differenzen und scheint nur durch einen differentiellen Ansatz verfolgbar zu sein; sie ist jedoch nicht synonym bzw. nicht dasselbe, wie Differenz. An dieser Verwechslung scheitern Ansätze einer Ästhetik der Differenz, welche deren Funktion, Ort und Bestimmung stets bereits mit Inhalten und Subjektpositionen vorausbestimmen. Sie folgen einer Pragmatik der auktorialen Signatur, die Alterität tilgt. 2 Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O.

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und Materialität zu denken. Denn die Dekonstruktion folgt nicht nur dem Spuren einer Signatur, die sich in einem Spiel zwischen Schrift, Setzung und der Abhängigkeit von einem sie rahmenden institutionellen Gegenzeichnen (in Vergangenheit und Zukunft) entzieht, indem sie verzeitlicht und verräumlicht. Sie reflektiert auf eine unfassliche alteritäre Medialität und Materialität der Schrift jenseits von Sinn. Alexander Garçia Düttmann hat gegen die übliche Zweiteilung der Schriften Derridas in einen frühen Derrida der différance und einen späten Derrida der Alterität betont, dass diese ›Kehre‹ keine sei, sondern dass sie eine Aporie der Alterität bearbeite: Einerseits wird das Andere als Anderes gedacht, das sich in eine tautologische Selbigkeit zurückzieht und auf diese Weise entzieht; andererseits wird die Andersheit des Anderen nicht als Entzug gedacht, sondern als Abstand und Spanne, durch die eine ›Mehrzahl‹ entsteht, eine ›Mehrzahl von Ursprüngen‹, deren jeder ein Anderer des Anderen ist oder ein Anderer, der mit Anderen existiert.3

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Alterität erschiene so im Oszillieren von Identität (Selbigkeit) und Differenz (Abstand, Spanne), bzw. als deren differierendes Mittel/ Zwischen. Derridas Dekonstruktion wendet damit die Frage, »ob das Verhältnis zum Anderen in seiner Andersheit […] als eines der Feststellung und Beschreibung gedacht werden muss oder hingegen als eines der Auf- oder Anforderung.« 4 Denn die Bewegung innerhalb dieser Frage sei das Arbeitsfeld, auf dem die jeweiligen Bestimmungen des Anderen (die auch bei Derrida nicht ausbleiben) durch das Andere beständig so herausgefordert werden, dass man sich fortlaufend am Anderen messe, statt es zu exkludieren oder annektieren.5 Wenn diese Wendung der Alterität die Dekonstruktion motiviert, ist dies hier interessant, da ›das Andere‹ dann kaum so signiert, wie dies die folgende Charakterisierung der epistemischen Strategie der auktorialen Signatur nahelegt: Künstlersignaturen markieren das Ende des künstlerischen Arbeitsprozesses, damit aber zugleich den Beginn bildlichen Be3 Alexander Garçia Düttmann: Derrida und ich, a. a. O., 13. 4 Ebenda. 5 Ebenda. Der Einwand, dass die Reklamation radikaler Alterität sie in Abstraktheit beließe, ist durch die Bewegung dieser Spannung umgangen. Vgl. zu diesem Einwand Theodor Wiesengrund Adorno: Metaphysik. Begriff und Probleme, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006, 191.

5. UM/WENDUNGEN

deutens in der Anschauung. Mit dem Signieren schafft sich der Produzent jenseits bzw. diesseits des Dargestellten eine Artikulationsmöglichkeit. Stil, Platzierung und Wortlaut schriftlicher Signaturen bieten dem Künstler die Gelegenheit, Inhalt, Modus und Entstehung der Darstellung zu kommentieren, Stellungnahmen zum Produktionsprozess und Bildstatus einzuschreiben, ohne sie explizit sprachlich zu formulieren.6 Vermittels schriftlicher – oder bildlicher – Selbstrepräsentation lässt sich innerhalb des Bildgefüges eine Position bestimmen, von der aus das auktoriale Subjekt sein Selbstverständnis als Künstler, die Darstellung und den Prozess des Darstellens kommentieren kann.7 Nicht nur kann es dekonstruktiv kein Ende geben und keine endgültige Zäsur zwischen Arbeitsprozess und bildlichen Bedeutens in der Anschauung (es würde so gedacht außerdem bei jeder Betrachtung des eigenen Schaffens eine Signatur und im Weiterarbeiten ein Kommentar gesetzt). Signatur wäre so ein allzu lesbares Modell der Repräsentation: [I]n der Sichtbarkeit des Schriftzugs wird wohl eine ehemalige Anwesenheit, aber im Gegenzug um nichts weniger die nunmehrige Abwesenheit sichtbar. In dieser Ambivalenz steht die Künstlersignatur gleichsam modellhaft für ein grundlegendes Prinzip von Repräsentation […].8 Gegen die repräsentationslogische Annahme einer ehemaligen Anwesenheit ›des Künstlers‹ in der präsentischen Sichtbarkeit des Schriftzugs ließe sich nicht nur die »wesensmäßige Abwesenheit der Intention in der Aktualität der Äußerung« 9 setzen. Denn Gludovatz nimmt an, dass in der Signatur eine exzellente Fährte zur abschließenden Kommentierung des Werkes durch den Künstler läge, die an das Publikum übergeben sei, um jedes Detail der Signatur dem vollen Willen des Künstlers (oder seinem ›kulturellen Unbewussten‹) zuzuschreiben, der ehedem im Akt der Setzung präsent war und der sich nun in der Signatur re-präsentiere. 6 Karin Gludovatz: Malerische Worte, a. a. O., 315. 7 Karin Gludovatz: Auf, in, vor und hinter dem Bild, a. a. O., 59. 8 Karin Gludovatz: Schriftbilder. Vom Wesen und Wirken der Künstlersignatur, Deubner-Preis-Beitrag 2006, www.deubner-preis.info/deubner_preis_2006_ text_gludovatz.pdf (zul. ges. 2. 2. 2013), 5. 9 Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O., 41.

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Dass die Signatur der institutionellen Sicherung bedarf, um wirksam zu sein, entzieht ihr, so lässt sich Signatur Ereignis Kontext insbesondere von Limited Inc. her lesen,10 nicht nur als Zeichen, sondern auch als auktoriale Setzung umso mehr jede Selbstpräsenz und Autonomie. Denn selbst im Akt der Setzung zeichnet eine ganze Schreibkanzlei 11 mit. Die Performativität der Signatur prononciert dagegen diese Absenz der Unterschreibenden und ihres Willens für ihre Deutung. Nicht, um sie als irrelevant zu kennzeichnen, sondern um herauszuarbeiten, dass in der Herstellung der Beziehungen zwischen all diesem ungeheure Schwierigkeiten liegen, welche die Signatur weniger als institutionelle Sicherung der Absicht ausweisen denn als ihre medial bedingte Verunsicherung, die auch eine Ethik der Deutung involviert. Wenn eine Signatur im allgemeinsten Sinne eine individuelle Setzung re-markiert, welche einen Bund/Vertrag, eine Selbstsetzung und die Potenz dazu zu inaugieren verspricht, dann ist die Deutung dieses Aktes eine Antwort auf den Anderen, der/die hier etwas gesetzt haben soll. Die Schwierigkeit liegt dann aber schon darin, dass diese/r Andere/r selbst im Akt der Setzung nicht eins ist: Er/sie muss hierfür schon bereits eingesetzt/autorisiert sein und das Ereignis dieser Inaugurierung, die schon keine Inaugurierung mehr ist, kann nur durch die Signatur als konventionalisiertes Zeichen markiert werden, womit der gesamten Einmaligkeit des Zeichens Signatur diese Einmaligkeit der Inaugurierung wieder entzogen ist – ebenso wie der Akt sich so spaltet, da er eine Art der Schreibweise wiederholen muss, weil sie autorisiert ist. All diese Hinweise dienen nicht nur zur Demystifizierung einer Authentizität, die der Signatur zugeschrieben wird. Vielmehr liegt hierin der Hinweis darauf, dass Signierende von all diesen Äußerlichkeiten der Medialität und der Sicherungsverfahren abhängig sind. Sie sind ihnen sogar ausgeliefert, an sie ausgesetzt, wenn ein ›Werk‹ ausgesetzt wird. Dies gilt auch für eine kunstwissenschaftliche Deutung, die aus der Signatur einen »(Be-)Deutungsgewinn« 12 ziehen möchte.13 In 10 Jacques Derridas gesamte Antwort auf John R. Searles Antwort auf Signatur Ereignis Kontext thematisiert in der fortlaufenden Spaltung der Siegel nichts anderes als dieses ethische Problem der Auslieferung an die Abhängigkeit von Sicherung. Vgl. ders.: Limited Inc. a b c, a. a. O. 11 Uwe Wirth: Zwischen genuiner und degenerierter Indexikalität, a. a. O., 66 ff. 12 Karin Gludovatz: Malerische Worte, a. a. O., 315. 13 So signiert stets der gesamte Apparat der Schrift inklusive der juridischen Bedingungen der Gültigkeit der Unterschrift. Vgl. dazu a. Michel Butor: Die Wörter in der Malerei, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, 74–93, u. Dieter Daniels: Hand – Name – Schrift – Medium – Identität: Signatur, in: Perspektiven der Medienkunst. Museumspraxis und Kunstwissenschaft antworten auf die digitale

5. U M/WENDUNGEN

der Signatur manifestiert sich nämlich keine Selbstpräsenz, sondern die Logik der Schrift, die aber auch nicht einfacher zu greifen ist. So ist es unmöglich, die Signatur (auch als transmediale Schriftbildlichkeit) in die stabile Dividende der auktorialen Bedeutung umzumünzen, die lesbare auktoriale Strategien für die Deutung ins Bild setzt. Die Signatur vollzieht vielmehr die Spur einer medialen und materiellen Alterität, nämlich der Schrift. Da bei Derrida die Schrift aus der Radikalisierung und Generalisierung des dreiwertigen Zeichenmodells entwickelt wird, verharrt Signatur Ereignis Kontext innerhalb der Grenzen der immateriellen Materialität des Zeichens. So verpasst es die Dekonstruktion, die Rätselhaftigkeit der beweglichen Verflechtung von Bild und Signatur herauszustreichen. Denn ist es für diese Signatur gleich, auf welchem Papier, mit welchen Stift, Pinsel oder Finger sie gezogen wird, ob in Öl oder Kreide, in welcher Größe usw. All diese Differenzen sind der differentiellen Struktur der Zeichenlogik des Schriftbegriffs subsumiert. Das Ende von Signatur Ereignis Kontext (Abb. 39) exponiert so, dass diese Konzeption der Signatur trotz ihrer Öffnung hin auf Alterität an einer Anästhetik der Signatur mitarbeitet. Denn hiermit ist das Zeichenmodell, aus dem die Kritik an der Präsenzmetaphysik der Signatur entwickelt ist, weiterhin generalisiert. Mit der Universalisierung der Materialität der Schrift als différance ist deren Verhaftung an einen Papieruntergrund, unterschiedliche Buchstaben und der Unterschied von Druck und Handschrift getilgt – wie die ironische Kombination von replizierter handschriftlicher und gedruckter Unterschrift Signatur Ereignis Kontext deutlich zeigt. Die Umsetzung in den Buchdruck auf dafür geeignetem Papier tilgt die Differenzen, die zwischen Handschrift, Druck, Papierarten, Stiften und dem Unkalkulierbaren des Zugs bestehe. Gezeigt werden soll, dass sie in einer Bewegung der Iterabilität differieren, für die diese Differenzen irrelevant sind. Negiert ist so (ebenso wie in Karin Gludovatz’ Konzeption der Signatur) eine sinnliche Präsenz, die vor Repräsentation, dem Zeichen oder Schrift liegt. Trotz und vor aller bedeutsamer Zeichenhaftigkeit

Herausforderung. Media Art Perspectives. The Digital Challenge – Museums and Art Sciences Respond, hrsg. v. Hans Peter Schwarz u. Jeffrey Shaw, Ostfildern: Hatje Cantz, 1996, 49–57. Notwendig ist auch, dass die Unterschrift vom jeweiligen Unterzeichnen bereits schon einmal geleistet und verbürgt sein muss. Das Versprechen der Signatur, ein einmaliger, originaler Akt der Autorisierung eines Willens, einer einmaligen Selbstidentität und einer stabilen Botschaft zu sein, ist an die differentielle Bewegung der Schrift verwiesen (in Zukunft wie in der Vergangenheit), die diesen Akt fortlaufend entzieht.

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und ihrer radikalisierten Entzüge muss sich aber jede Signatur zeigen, d. h. in Erscheinung treten, als ein Anderes widerfahren, um diese jeweiligen Logiken eintreten zu können.

Abb. 39: Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, in: ders.: Limited Inc., Wien: Passagen, 2001, 15–45, 45.

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Wenn Derrida somit zwar ein auktoriales, orales, präsenzmetaphysisches Kommunikationsmodell durch die Performativität der Schrift dekonstruiert, geschieht dies mit einem Performativitätsbegriff, der die Präsenz des Ereignisses und die Frage der Ansichtigkeit versperrt. Denn die différance ist genuin unsichtbar: »in jeder Exponierung wäre sie dazu exponiert, als Verschwinden zu verschwinden. Sie liefe Gefahr zu erscheinen: zu verschwinden.« 14 Als ein apräsenter Untergrund der Re-Präsentation, als »eine Kluft, Leere oder Lücke, der selbst keine Präsenz, nicht einmal ein Sinnliches oder Aisthetisches zukommt, der deshalb jede Ekstatik fehlt, exponiert sie sich gerade nicht«.15 Denn Derridas Spur, so Dieter Mersch weiter, äußert sich nur über »unendlich überdeckte, von weiteren Marken ver-zeichnete oder ›ver-zögerte‹ Marken, die in ihrer Tiefe kein Authentisches, Ursprüngliches oder Gegenwärtiges bergen. Die Zeichen, Marken oder Spuren waren vielleicht einmal als Ereignis gesetzt; aber von ihrer Setzung selbst ›gibt es‹ keine Kunde«.16 Doch auch die Schrift, ihre nichtsinnliche Materialität 14 Jacques Derrida: Die différance, a. a. O., 34. 15 Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 346. 16 Ebenda, 345 f. In eine ähnliche Kerbe, aber bedeutungs- und zeichenlogisch schlägt Agambens Kritik an Derridas Konzept der Spur, in Giorgio Agamben: Signatura rerum. Zur Methode, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009, 97–99. Mit

5. UM/WENDUNGEN

und Absenz besitzen eine Ex-sistenz, die sich sinnlich exponieren muss, um zur Erscheinung zu kommen.17 Hiermit geht es um das Quod 18 ihrer praesentia in absentia: Ex-sistenz […], des ex-sistere im Wortsinne eines unerwarteten Zum-Vorschein-kommens, das sinnlich geschieht und in der Wahrnehmung begegnet und das deshalb zu seiner Bedingung nicht der Textur, der symbolischen Ordnung oder eines Mediums bedarf, sondern – buchstäblich – ›nichts‹: ›Gabe‹ als Ereignen eines ›In-Erscheinung-tretens‹ selbst, das das Quod vor das Quid stellt, mithin Ereignis, das ›sich‹ von einem Anderen her ›gibt‹, das damit von Anfang an im Horizont eines Unverfügbaren erscheint. Aufmerksam gemacht wird so auf ein Geschehen vor dem Geschehen-als, das es bereits ausgezeichnet hat, das vorzugsweise dort aufscheint, wo ein buchstäblich ›Unheimliches geschieht: Entzug oder Riß im Symbolischen, der dadurch gekennzeichnet ist, daß ihn kein Zeichen (marque) füllt, sondern daß er inmitten der Zeichen (marques) auf klafft und als deren Verwirrung und Durchkreuzung gewahr wird.19 Derridas Spiel mit dem Druck versucht sich so paradoxerweise aber auch an einer Visualisierung des dekonstruktiven Denkens des Entzugs, die es riskiert, diese unfüglichen Entzüge in ihrer Absenz mehr auszustellen, als jede Deutung der Signatur als virtuose Marke, die selbst noch die mit dem Pinselstrich verbundenen physikalischen und somatischen Unkalkulierbarkeiten kontrolliert. Hier ist selbst im Zugriff auf Aspekte der Medialität und Materialität der Schriftbildlichkeit der gemalten Signatur und ihrer Ansichtigkeit jedes Unfügliche eliminiert, zugunsten einer präjudizierten Lesbarkeit, die hinterrücks weiter eine präsenzmetaphysische Deutungslogik vertritt. Die Praxis des Differenzdenkens der Dekonstruktion leistet hiergegen eine gewisse Öffnungsarbeit, insofern die Lektürepraktiken des späten Derrida vermehrt solche Unfüglichkeiten hervorkehrten und seine Texte zur Kunsttheorie vielfach das Bild als Grenze der Schrift problematisierten.20 Die der Bemerkung, es sei notwendig, »die Ereignisse dort stehen zu lassen, wo sie angefallen sind« (ebenda, 98), plädiert er jedoch für eine historische Semantik des Ereignisses. 17 Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 346. 18 Ebenda, 374. 19 Ebenda, 373 f. 20 Dabei könnte man jedoch sagen, dass die Dekonstruktion als Denken der Schrift vor diesem Anderen zu früh haltmachte, da es stets nur ein Problem der Schrift darzustellen vermochte, vgl. weiter unten.

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Dekonstruktion zeigt hier (Abb. 39) auf die Spannung zwischen einer Feststellung von Alterität (in der zeichenlogisch gedachten Eigenlogik der Schrift) und ihrem Entzug eines anderen Anderen. Nimmt man das Ende von Signatur Ereignis Kontext als Bild dieser Entzüge, trägt es zumindest die eigene Fehlstelle ein. In ähnlicher Weise artikuliert die Schreib-Praxis Derridas stets die Spannung zur Konzeption des eigenen Schriftmodells, indem mit den Kreuzungen divergenter Medialitäten nachgerade aisthetisch gespielt ist. So artikuliert sich eine Lust am Text, die Roland Barthes an der Écriture faszinierte und die jenseits des Sinns in den ohne-sinnigen Aspekten von Medialitäten und Materialitäten z. B. von Stimme, Bild, Farbe und Fotografie liegt. Derridas Schriften leisten zwar keinen expliziten Beitrag dazu, diese Bereiche theoretisch zu beschreiben. Jedoch lässt sich dieser Stil auch so lesen, dass er aisthetische Leseereignisse produziert, die das Zeichen reflexiv auf seine Sichtbarkeit, den Buchstaben, auf den Klang der Worte und die Materialität der Schrift wenden.21 Zugleich wendet Derridas Stil der ›Unverständlichkeit‹ das Lesen in Konfrontation mit diesem Anderen auf sich 22 und verlangt, die Verantwortung für den Anderen/für das Andere im Lesen zu übernehmen. Die Wieder-Holung der Bedeutung von ›Derrida‹ wie der jeweiligen Lektüre und des jeweiligen Textes erfährt sich an die Zukunft übertragen.23 Liest man die Visualisierung der Signatur(en) am Ende von Signatur Ereignis Kontext als Herausforderung der Dekonstruktion durch die Medialitäten und Materialitäten, die ihre Schreibpraxis mobilisieren muss, dann öffnet Dekonstruktion andere Perspektiven, auch wenn ihr Schriftbegriff sie zugleich versperrt.24

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21 Z. B. im Spiel mit den Formen von Buchstaben, mit übereinstimmenden Klängen von Buchstaben und Worten (über Sprachgrenzen hinweg), die semantisch korrekt nicht genau zusammengehören, oder mit Neologismen wie différance, bei der im Französischen die Differenz zu ›Differenz‹ nur im Schriftbild, aber nicht im Lautbild erscheinen kann. Oder wenn der Buchstabe ›A‹ mit der Pyramide korrespondiert, und so neben aller daran geknüpften Bedeutungen ihre formale Übereinstimmung als Dreiecke im Schriftbild nahelegt. Vgl. Jacques Derrida: Die différance, a. a. O. 22 Hierzu gehören auch Andeutungsfülle, versteckte Selbst- und Fremdzitate und der Hinweis, dass etwas als Thema aufgeworfen ist, was aber – oft unendlich – aufgeschoben wird. 23 Dass sich Derrida – wie im Falle der Kritik John R. Searles an Signatur Ereignis Kontext – fehlzitiert und sogar beleidigt fühlen konnte (jedoch vornehmlich im Interrogativ), mag hinsichtlich dieser Aufgabe einer zentralen Stellung des Autors für den kommunikativen Prozess erstaunen. Er kontert jedoch mit der Multiplizierung des Siegels, die ihn selbst in die Kritik Searles einträgt. Vgl. Jacques Derrida: Limited Inc a b c, a. a. O., u. Eckhard Schumacher: Die Ironie der Unverständlichkeit, a. a. O., 278–311.

5. UM/WENDUNGEN

Dekonstruktion interessiert deshalb als ein Differenzdenken, das mit der Aporie der Alterität auch die Duplizität der Signatur zumindest implizit artikuliert. Doch wären Signaturen der Alterität im Zuge einer solchen dekonstruktiven Um/Wendung der Alterität, die sich nur ausgehend von der Schrift skandierte, allein als Entzug oder als unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, konzipiert. Sie wären als Orte der différance genuin entzogen, apräsent, sie erschienen nur, indem sie verschwinden. Die bildliche Medialität und Materialität der Signatur bliebe ebenso unsichtbar wie undenkbar. Erforderlich ist hier ein weiter ausdifferenziertes posthermeneutisches Differenzdenken, das die Differenzen vermehrt. Dieses Differenzdenken müsste oszillieren zwischen der Spannung eines Erscheinens und einer jeweiligen Perspektivierung, die bereits wieder von den Divergenzen zwischen Zeitlichkeit, Raum, Medialität, Materialität, epistemischen und ästhetischen Strategien durchkreuzt sind, ohne dass sich diese in dieser chiastischen Struktur treffen.25 Versteht man Signatur als Ort einer Perspektivierung des Umschlags zwischen epistemischen Strategien der Autorschaft, dem bildlichen Zeigen und dem Ereignis des Sich-Zeigens, dann performiert sie die stete Um/Wendung von chiastischen Parallaxen zwischen auktorialen Signaturen und Signaturen der Alterität. Sie wäre in gewisser Weise eine Metapher oder eine thematische Lokalisierung für den chiastischen Widerstreit der diskursiven Anknüpfung und Anschlussfähigkeit von Bildern mit ihrer medialen und materiellen Bildlichkeit. Damit geht es nicht nur darum, dass eine Signatur sich selbst dadurch dekonstruiert, dass sie auf der Gegensignatur institutioneller Bedingungen und auf einem Zeichenmodell der Iterabilität basiert. Dies ist allein ihre sprachlich-diskursive Seite, die weiter einer Semiotik zuspielt, die Medialität und Materialität selbst wieder als Zeichen behandelt. Denn wenn in Derridas verallgemeinerten Modell der Schrift, in dem die Spur der Bewegung des Sinns unterliegt und sie treibt, ohne darin präsent werden zu können, Medialität und Materialität als Iterabilität auftreten, dann sind sie weiterhin dem Modell des Zeichens subordiniert, ohne zu erscheinen. Signatur, wie sie hier als Meta-Figur einer Bändigung wie Artikulation von Alterität gebraucht wird, schließt so zwar an die Problematisierung und mehr noch an eine Praxis der Alterität in der Dekonstruktion an. Sie kritisiert jedoch die a-sinnliche, vom Zeichenmodell dominierte Konzeption von 24 Vgl. dazu Aufgabe: Aus/Setzung. 25 Vgl. zu dieser Konzeption des Chiasmus Dieter Mersch: Posthermeneutik, a. a. O., 207 f.

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Medialität und Materialität, die im Schriftmodell des frühen Derridas angelegt ist. Denn so ist letztlich jede Frage nach einem präsentischen Widerfahrnis des Anderen desavouiert. Signatur wird insofern im kritischen Anschluss an Derrida aufgenommen, um die performative Wende gleich zweimal in diesen Begriff einzutragen: 1. als die Notwendigkeit, den Akt der Setzung in Bezug auf die Schrift anders zu denken, nämlich als Aus/Setzung an die im Unterzeichnen und Gegenzeichnen tätigen eigenlogischen institutionellen, medialen, materiellen, epistemischen und ästhetischen Strategien. 2. ist auf die Begrenztheit des Schriftbegriffs selbst verwiesen. Denn solange man in diesem verbleibt, gibt es nur eine bzw. keine Medialität und Materialität, nämlich die der Schrift, die sich niemals zu zeigen vermag. Geht man jedoch davon aus, dass Schrift selbst noch einer Medialität und Materialität bedarf, um zu erscheinen,26 dann erscheint eine Differenzialität von Medialitäten und Materialitäten (und ihrer Wahrnehmung), die weder im Entzug noch im Sinn läge: Sie tritt aus Unfüglichkeiten hervor. Vor dem Zeichen liegend zeigten sich keine reine Medien vor, sondern vielmehr differentielle Medialitäten, die die Praktiken von Medien (wie Bild oder Schrift) als Verfugungen von Medialitäten und Materialitäten auszeichnen. Die Definition dessen, was ein jeweiliges Medium ist, wäre nämlich schon wieder ein (diskursiver) Teil der Praktiken des Mediums. Aus den Verfugungen der medialen Praktiken träten mediale und materielle Eigenlogiken nur als unfügliche Störungen auf, die als Alterität widerfahren. Dass dies wahrgenommen werden muss, eröffnet ein präsentisches Moment des Gegenstandes vor seiner Zeichenhaftigkeit und/oder Bedeutung. Im Alltag herrscht die konventionelle Funktionalisierung medialer, epistemischer und ästhetischer Strategien und die Beseitigung der Störung vor. Mit Signaturen der Alterität ist versucht, die Reflexivität dieser Unfälle hervorzukehren: Diese radikal a-semantischen sowie a-subjektiven Spuren des Einbruchs eines unfüglichen Anderen, das vor Sprache, Erkennen und vor der Einteilung in Kategorien liegt, zwingen zum Umdenken. Durch ihre Ansichtigkeit gilt die Signatur so zwar einerseits als privilegiertes Mittel, den Künstler als kompetenten Bedeutungsproduzenten an die Sichtbarkeit eines Werks zu knüpfen, um zur Versicherung von Wissen durch einen Enuntiationsort verschiedene Strategien, Medialitäten und Materialitäten in einen 26 Um sichtbar zu werden, bedarf sie nämlich Papier, Leinwand, Druckerschwärze, Toner, Kuli, einer einzelnen Ausprägung, wie der spezifischen Form und Größe des Buchstabens in einer Linienführung in einem gewissen Licht auf einem Papier aus einem bestimmten Blickwinkel.

5. U M/WENDUNGEN

zeichenhaften Sinn zu gießen. Doch so sehr sich das Zeichen als Meta-Ebene der sinnhaften Vermittlung über unterschiedliche Medialitäten hinweg anbieten mag, diese Rechnung geht nicht so einfach auf; das zeigt schon die tägliche Schwierigkeit, das Sehen in Worte zu fassen. Die Divergenzen medialer, materieller, epistemischer und ästhetischer Strategien in der Signatur sind auch auf das hier verwendete Meta-Konzept der auktorialen Signatur als kunstwissenschaftliches epistemisches Verfahren zu übertragen: sie ist stets mehrfach durchquert von eigenlogischen Medialitäten und Materialitäten. In der Kluft zwischen diesen Strategien erscheint/signiert das Andere, indem es sich zeigt. Daher interessieren nun weniger auktoriale, sondern mediale und ästhetische Strategien, die sich zeigen. Statt als Differenz-Effekt der Situierung künstlerischer Positionen in Marginalität, Normalität oder einer intelligiblen Hybridität allein im allgemeinen Medium der Schrift un/lesbar zu werden, tritt Alterität als präsentisches Ereignen ohne Sinn aus der Spannung zwischen divergierenden, je eigenlogischen medialen und ästhetischen Strategien hervor. Damit markiert Alterität ein systematisches Problem der Produktion von Wissen, das nicht nur die Kunst/Wissenschaft berührt: Sie ist uneinholbarer Ausgangspunkt und Anstoß des Denkens und ebenso uneinholbar in die Medialität und Materialität der Praktiken der Produktion von Wissen verwoben. In der (nicht nur kunst/ wissenschaftlichen) Konstitution eines Wissens vom Anderen liegt damit eine doppelt paradoxale Reflexivität. In der Signatur verflechten reflexiv die Alterität von Medialitäten und Materialitäten mit der Alterität des Anderen und der Alterität Kunst, so dass die Funktion Autor durchkreuzt wird. Wenn die Signaturen der Alterität hier und in Folge vornehmlich praktisch oder durch eine extensive Diskurskritik als Kontrast zur auktorialen Signatur umkreist werden, dann, da sie nicht begrifflich zu arretieren sind. Denn als Ereignisse sind sie flüchtig und sperren sich dagegen, sinnhaft eingefangen zu werden. Alterität erscheint lediglich aus Unfüglichkeiten medialer Praktiken. Alterität signiert so gleichsam die auktoriale Signatur: Denn sie zeichnet die institutionelle Praxis der Un/Sicherung der Signatur im Identitätsdenken, als eine weitere Instanz neben Signierenden, Schrift und Schreibkanzlei gegen. Sie bricht störend in das Spiel der auktorialen Signatur ein. Insofern ist sie einerseits ein Entzug, eine Negativität, nämlich vom Sinn aus betrachtet. Andererseits zeigt sie sich, darin sie ist präsent. Dabei ist Alterität ebenso wendig wie die epistemischen und ästhetischen Strategien, die sowohl Produktion als auch Rezeption zeichnen. Wenn der auktorialen Signatur als epistemischer Strategie somit analytisch-kritisch zu

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S IGNATUREN

folgen ist, sind Signaturen der Alterität nur in konstellativen Lektüren anzudeuten. Das kommt nicht von ungefähr, denn das zentrale Argument besagt ja, dass die Alterität nicht zu fassen ist, dass sie lediglich erscheint und darin insofern signiert, d. h. eine Kenntlichkeit reklamiert, indem sie epistemische Prozesse über das Aufweisen der Unfüglichkeiten zwischen den darin involvierten Medialitäten, Materialitäten, epistemischen und ästhetischen Strategien verstört. Signaturen der Alterität gibt es so jeweils nur im Paradox eines singulären Plurals,27 der Ver/Handlungen von Signifikanz heimsucht und umtreibt.

Abb. 40:

Jacques Derrida: Limited Inc., Wien: Passagen, 2001.

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27 Sie weisen auf eine Produktionsästhetik, die nicht meint, dass dieses oder jenes Werk, so oder so, ein für alle Mal gesetzt, die Rezeption bedingt. Vielmehr bedeutet Produktionsästhetik hier eine situative Ereignisästhetik, die aus einer jeweiligen Perspektivierung erfolgend nicht verfügt werden kann, so dass sie sich einer Ästhetik der Installation annähert. Juliane Rebentisch hat dies an Installationskunst und ihrer Theoretisierung entwickelt und ihr Reflexionspotential in der Markierung ihrer situativen und institutionellen Bedingungen verortet. Vgl. dies.: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. Weit gefasst ist jede Exponierung von Kunst das Ereignis ihres singulären Erscheinens.

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Ver/Handlungen von Signifikanz Es geht jetzt darum, ein Gesicht auf (in) die Schuhe zu setzen, das Gesicht des Unterzeichners.1

Abb. 41: Yasumasa Morimura: Self-portrait (Actress)/White Marilyn 2 (1996).

Auf den ersten Blick meint man, Schlüsselbilder der westlichen Kultur zu sehen: Das ist ganz klar Marilyn Monroe in ›Das verflixte 7. Jahr‹! Auf den zweiten Blick zeigen sich die Fehler. Sie hat gar nicht so schöne Beine. Das Kleid sitzt auf den Brüsten wie Pampers. Die goldene Frisur stammt wohl aus einem Siebdruck von Warhol. Das Gesicht hat nichts von dieser niedlichen Hingabe im Moment unfreiwilliger Entblößung. Die Ikone wurde akribisch übersetzt in die Situation eines weißen Ateliers. Die Magie ist perdu.2

1 Jacques Derrida: Restitutionen, a. a. O., 429. 2 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 96.

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VER /HANDLUNGEN VON S IGNIFIKANZ

Folgt man diesem Zitat Ulf Erdmann Zieglers, zeigt Self-portrait (Actress)/White Marilyn 2 (1996) (Abb. 41) von Yasumasa Morimura kaum mehr als eine allzu durchsichtige Ent/Täuschung. Es gehört zu einer Reihe von über 40 Ilfochromen aus dem Jahr 1996, die berühmte Filmszenen und -stills, Pressephotos und weitere Modellingacts von Filmstars aus Europa, Japan und den USA nachstellen.3 Morimura, der nicht nur die explizit als Selbstportraits ausgewiesenen Actresses, sondern alle seine Photoarbeiten seit Mitte der 1980er Jahre als Selbstportraits lanciert, mimt jeweils das Bildpersonal. Für Erdmann Ziegler bietet die Täuschung durch Selfportrait (Actress)/White Marilyn 2 auf »den zweiten Blick«4 einen einfachen Erkenntnisgewinn. Eine (Fehl-)Identifizierung (»ganz klar Marilyn Monroe«) 5 klärt sich auf, da sich an der Verbildlichung des gezeigten Körpers Fehler gegenüber dem Vorbild festmachen lassen. Solche enthüllenden Deutungen von Yasumasa Morimuras Serie Self-Portrait (Actress)/After … (1996) irritieren: Denn sie re-konstituieren zwischen photographischen Akten, Bildern, Inszenierungen und Körperteilen eine Sichtbarkeit von Ethnizität und Geschlecht, während sie zugleich ihre Auf lösung oder gelungene Maskierung beschwören. In einem solchen paradoxalen Oszillieren zwischen der Beschreibung ›gelungener Täuschungen‹ und der Berufung auf ein Wissen, das sich, um diese Täuschungen zu decouvrieren, auf signifikante Körperteile richtet, liegt ein Hinweis auf Signaturen der Alterität. In dieser Widersprüchlichkeit liegt mehr als ein logischer Fehler. Darin erscheint nämlich eine nachhaltige Störung der vollständigen Evidenz des Anderen und ›seiner Masken‹, die notwendig wäre, um eine geschlossene Beschreibung hervorzubringen. Betont man die Irritation, die solche Beschreibungen auszulösen vermögen, weist man auf ein Erscheinen von Alterität. Es unterläuft solche Wieder-Festschreibung von sichtbarer Differenz, indem es auf die Eigenlogiken des Bildlichen 222 3 Vgl. The Sickness Onto Beauty. Self-portrait as Actress, Ausstellungskatalog Yokohama Museum of Art, hrsg. v. Yokohama Museum of Art, Yokohama 1996. Hier wurde die geringe Auflage der Motive im größten Abzugsformat in einer von Morimura selbst aufwendig gestalteten Ausstellung gezeigt. Da diese Arbeiten, wie bei ihm üblich in unterschiedlichen Auflagen und Abzugsgrößen vertrieben werden, bei denen sich die Auflage umgekehrt proportional zur Größe verhält, unterlasse ich hier wie auch sonst die Angabe der Maße. Die Ausstellung untersucht akribisch Lena Fritsch: Yasumasa Morimuras Self-portrait as Actress. Überlegungen zur Identität, Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller, 2008. 4 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 96 5 Ebenda.

und des Photographischen gegenüber der Produktion einer zeichenhaften Evidenz des auktorialen Körpers beharrt, welche in den Beschreibungen unausweichlich vollzogen werden. Wenn hier nun die Produktion einer intelligiblen Künstler-Signatur durch die Rezeption der Actresses verfolgt wird, dann schließt dies in gewisser Weise an die Feststellung an, dass sich Morimura weniger mit der Tiefe des Selbst als mit Oberflächenphänomenen (des Bildes, des Körpers) beschäftige.6 Denn eine Tiefe des Selbst wird auch hier nicht angenommen. Allerdings problematisiert die folgende Analyse, was in der Rezeption an die Stelle der Tiefe des Selbst des Künstlers als sujet der Analyse zu treten droht: Das sujet der Evidenz eines Künstler-Körpers als evidenter Träger ethnisierter/rassisierter und vergeschlechtlichter Differenz und im Gegenzug seine persistente Widerspenstigkeit, die aus der Un/Sichtbarkeit des Körpers zwischen Kunst und Kritik hervortritt. Es geht somit in Folge weniger um die Richtigkeit oder die Kritik an einer mangelnden logischen Konsistenz der Lektüren der Arbeiten Yasumasa Morimuras, als darum, in solchen diskursiven Effekten der Actresses ein produktives Moment auszumachen. Wenn inmitten/ mittels solcher Aporien der Deutung ein Erscheinen von Alterität zutage zu treten vermag, kann dies letztlich nur darüber nachgezeichnet werden, dass man dem Widerstreit resp. dem Unfüglichen diskursiver, medialer und ästhetischer Strategien bei der Konstitution einer Differenz zwischen der bildlichen Inszenierung und einem vorphotographischen, auktorialen Körper Morimuras in der Kunst-Kritik folgt. Dabei konstituieren Abgrenzungen von photographischer Fiktion und vorphotographischer Realität durch die Produktion und Ver/Handlung eines Körpers des Künstlers verethnisierte und vergeschlechtlichte Differenzen sowie Unterscheidungen von normal und abweichend: Sie laufen zugleich in eine Irre, aus der Anderes aufscheint. Diese ›Lektüre‹ der Rezeption wird also erst die Produktion eines rassisierten und vergeschlechtlichten vorphotographischen Körpers Morimuras als auktoriale Signatur der Differenz im Selbstportrait verfolgen. Denn während die diskursiven Strategien der Kritik eine Körperperformanz verhandeln, die sie den Actresses und ihrem Autor zuschreibt, entzieht sich ihnen zugleich der auktoriale Körper als widerspenstiges sujet, um die diskursive Produktion eines verethnisierten und 6 Amelia Jones hat Morimura u. a. in diesem Sinne unter die Bildthematik des simulakralen Körpers gefasst, vgl. dies.: Survey, in: Tracey Warr u. dies.: The Artist’s Body, London 2000, 16–47. Die Annahme, es gehe hier vor allem um die Oberfläche des Selbst, teilt auch das Gros der in Folge dargestellten Rezeptionen.

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VER /HANDLUNGEN VON S IGNIFIKANZ

vergeschlechtlichten Körpers als be-schreibende Ver/Handlung lesbar zu machen, die Evidenz wie Sichtbarkeit verfehlt, da sie es nicht vermögen, deren Differenzen vollständig zu verfugen und dem Diskurs füglich zu machen.7 Aus solchen Ver/Handlungen der auktorialen Signatur zwischen Kunst, Sichtbarkeit und Körper treten die Medialitäten und Materialitäten der Actresses reflexiv als Unfüglichkeiten des kunstwissenschaftlichen Diskurses hervor. Zwischen dem Irrelaufen des Diskurses und dem Scheitern der Hervorbringung einer Intelligibilität des vorphotographischen Körpers zeichnet sich mit der Alterität der Medialität und Materialität der Actresses eine Reflexivität und Alterität im Portrait des Anderen ein. Indem Alterität erscheint, signiert sie gleichsam dort, wo sich in der diskursiven Ver/Handlung Medialitäten und Materialitäten so kreuzen, dass sie als unfüglich erscheinen, weil ihre Eigenlogiken die Konstitution einer diskursiven wie bildlichen Evidenz von Ethnizität und Geschlecht stören (wiewohl sie ihre Grundlage bilden). Die diskursiven Akte der Bedeutungskonstitution von Photographien (wie z. B. die Konstitution der Photographie als transparentes Medium) erweisen sich als Fehl/Akte von Photographie und Stereotyp. Auch wenn Morimura im Fall der großformatigen Actresses nicht auf der Bildvorderseite signiert, drehen sich die Deutungen um die auktoriale Signatur. Bilddetails, die als Hinweise auf den ›wirklichen Körper‹ Morimuras aufgefasst werden, treten für die Funktion eines Namenszuges ein: Angeblich kommentieren sie bewusst oder ihre Unwillkürlichkeit wird (manchmal auch wieder mit Bewusstsein aufgeladen) zum Gegenstand einer Art ›Körperkriminalistik‹. Das Selbstportrait als Gattung scheint diesen Gebrauch der Photographien als Ganzbildsignaturen ebenso zu stützen wie das problematische Versprechen einer photographischen Objektivität und Evidenz, das in den epistemischen Strategien virulent scheint, die sich um 1900 auf die Definition von ›Rasse‹ und Geschlecht und auf Erfassung der Anderen richteten. Es ist jedoch dagegen aufzuzeigen, dass es sich hierbei jeweils um ganz andere Kreuzungen von epistemischen, medialen und materiellen Strategien handelt, die somit auch jeweils unterschiedliche Unfüglichkeiten aufweisen. Mit der folgenden Analyse von unterschiedlichen Identifizierungsverfahren geht es nun also um eine Differenzierung, die dezidiert das unfügliche Auseinandertreten medialer und epistemischer Strategien verfolgt. Dass hiermit immer nur punktuell Medialitäten, nämlich als Widerstand und nicht als positive Entitäten, auszuwei7 Vgl. dazu auch Martin Heideggers Diskussion der Fuge in: Der Spruch des Anaximander, a. a. O., 167–182.

sen sind, macht wiederum ein konstellatives Verfahren notwendig, das diese tentativ aus den Differenzen verschiedener Praktiken heraus andeutet. Aus den Differenzen zur klassischen Deutung des Selbstportraits als eine auktoriale Selbstsetzung, die der auktorialen Signatur entspräche, und aus den Differenzen zur photographischen Erfassungspraxis um 1900 lässt sich zeigen, dass die Actresses der Kunstwissenschaft eine inhärent andere Problemstellung aufwerfen: Weder kompetente Selbstsetzung noch eine allzu durchsichtige Maskerade stellen sie, sich-zeigend, eine Frage der Alterität, die die Frage nach dem Anderen im Selbstportrait neu gegen Identifizierungsverfahren eröffnet.

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1. Signifikante Körperteile

Abb. 42: Yasumasa Morimura Portrait (Futago) (1988).

Mit der eingangs zitierten Passage zu Self-Portrait (Actress)/White Marilyn 2 vermag es Erdmann Ziegler, die gesamte Serie der Actresses auf das Problem der Identifizierung und Unterscheidung von Vor-Bild und Nachstellung zuzuspitzen. Dabei präsentiert er sie als zu entzifferndes Rätsel, dem er unterstellt, banal zu sein. Dieses Rätsel stellt vor die Aufgabe, an der Verbildlichung »Marilyn Monroes« 1 als »Schlüsselbild[…] westlicher Kultur« 2 von ›Fehlern‹ wie »gar nicht so schöne[n] Beinen« 3 zu unterscheiden. ›Fehlerhafte‹ Beine treten als Yasumasa Morimuras tatsächliche Gliedmaßen auf, die ›seine Männlichkeit‹ aufdecken. Damit ist die 1 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 96. 2 Ebenda, 96. 3 Ebenda, 96.

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VER /HANDLUNGEN VON SIGNIFIKANZ

Aufdeckungsarbeit nicht erledigt; sie benötigt weitere Bilder, um den Geschlechtsunterschied zu belegen. So wie in Self-Portrait (Actress)/White Marilyn 2 die Beine einen ›Fehler‹ in der Verbildlichung von »Schlüsselbilder[n] der westlichen Kultur« darstellen, zeige die flache Künstlerbrust in Morimuras Portrait (futago) (1988) (Abb. 42) durch die Abweichung vom Vor-Bild auf, womit man es im Eigentlichen zu tun habe. Denn hiermit, so Erdmann Ziegler, exponiere Morimura expliziter als über wenig weibliche Beine seine männliche Differenz zum weiblichen Vor-Bild: Olympia von Édouard Manet (1863). Hochgradig absichtlich zeige Morimura inmitten der Verwischung der »Übergänge von Bühne und Bühnenbild, von Mustern und Konturen, Retuschen und Accessoires«, die diese Nachstellung auf biete, »seine Brust so, wie sie ist.« 4 Morimuras Maskeraden (sei es als Marilyn Monroe, sei es als Olympia) werden demzufolge dadurch als Maskeraden ersichtlich, dass man an Körperteilen des Bildes ›Fehler‹ ausmacht, die einem vorphotographischen Körper angehören sollen, der so gezeigt werde, ›wie er sei‹. Der vorphotographische Körper Morimuras wird hiernach nicht als Effekt einer photographischen Inszenierung sichtbar, sondern als Fehler oder Fakt, der vor oder jenseits der Photographie vorliegt. Der Photographie wird so jenseits aller Inszenierungsweisen ein Versprechen von Transparenz zugesprochen, da sie (zumindest manche) Körperteile so zeige, wie sie sind. Maskerade ist hier Verkleidung eines eigentlichen Körpers. Es ist möglich, Maskerade wie Körper im Hinblick auf das Eigentliche zu enthüllen und zu differenzieren. Während Erdmann-Ziegler Self-portrait (Actress)/White Marylin 2 durch den Hinweis auf ihre ›Fehler‹ zu ›ent-tarnen‹ meint, findet Peter Stohler, dass ausgerechnet diese Arbeit besonders gut verdeutliche, dass Morimura sich »ausgesprochen erfolgreich in eine Frauenfigur zu verwandeln« vermöge: »Betrachtet man diese Arbeit isoliert von Morimuras übrigen Werken, so könnte man meinen, dass der Körper als vollständig ›weiblich‹ überzeugt.« 5 Für Stohler bringen Morimuras Actresses als »transkulturelle Inszenierungen« insofern die Binarismen ›Orient‹/›Okzident‹ und ›Mann‹/›Frau‹ ins Wanken. Denn sie seien eine Maskerade, 4 Ebenda, 98. Portrait (Futago) (1988) zeigt Morimura in der Nachstellung von Manets Olympia (1863). Die Brust der nachgestellten Olympia, bzw. laut Erdmann Ziegler Morimuras »Brust, wie sie ist«, sieht flach, haarlos und wie weiß ›angestrichen‹ aus, ebenda. Erdmann Zieglers Behauptung, hier sei retuschiert, widerspricht Morimuras Betonung, dass seine Aufnahmen lediglich zur Vervielfältigung seiner Person bearbeitet würden und ansonsten ohne weiteren Eingriff blieben. 5 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert.

1. S IGNIFIKANTE KÖRPERTEILE

die keine Verkleidung meint, sondern auf ein grundsätzliches Eingekleidetsein in Geschlechtlichkeit weise. So verwiesen die Selbstportraits Morimuras auf die Regeln und Machtverhältnisse ihrer Bildprägungen.6 Stohler reiht sich mit dieser Deutung in das Gros der Rezeption Morimuras ein. Dabei wird allerdings das kritische Subversionspotential der Photographien höchst heterogen eingeschätzt. Die Verhandlung der Signifikanz von Körperteilen vermag eine breite Polyvalenz zu erzeugen.7

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Abb. 43: Yasumasa Morimura: Self-Portrait (Actress)/After Red Marilyn (1996).8

6 Ebenda, unpaginiert. 7 Diese Rezeptionen berufen sich implizit oder explizit auf Judith Butlers Konzept der Geschlechterparodie und auf Joan Rivières Konzept von Weiblichkeit als Maskerade, die nichts verberge. Vgl. Judith Butler: Leibliche Einschrei-

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VER /HANDLUNGEN VON SIGNIFIKANZ

Jan Avgikos vermutet anhand von Self-Portrait (Actress)/After Sylvia Kristel 1 (1996) (Abb. 44) und Self-Portrait (Actress)/After Red Marilyn (1996) (Abb. 43), dass die gesamte Serie lediglich ein misogynes Versteckspiel sei, das anstrebe, Kastrationsangst zwischen Transvestismus, Voyeurismus und Fetischismus zu beschwichtigen. Morimuras Intention läge darin, seine Männlichkeit symbolisch zu versichern, indem die Actresses eine Art verdoppelnden Fetischimus betrieben. Denn das kostbare Vorhandensein des entscheidenden Körperteils werde dadurch doppelt bestätigt, dass es verborgen würde. Dieses Versteckspiel, das die Geschlechterdifferenz befestige, affiziere auch alle weiteren Selbstportraits:8 Consider, for example, Self-Portrait (Actress), Red Marilyn, 1996, in which the artist poses as a ›nude‹ Marilyn. A pair of large, fake, perfect breasts fetishize her lack, but we’re supposed to be relieved once we’re remember there’s a real penis lurking between her legs.9 So konsolidieren Morimuras Selbst-Portraits im weiblichen Drag, wie Self-Portrait (Actress)/After Sylvia Kristel 1 (Abb. 44) lediglich die Positionierung von Weiblichkeit als Mangel ist, um die männliche Kastrationsangst zu befrieden: In the drama of the castration complex, women are no more than puppets whose only significance is their lack. Morimura, on behalf of his male audience, aims to make it all right by rendering the phallus as Real rather than imaginary.10

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bungen, performative Subversionen, in: dies.: Das Unbehagen der Geschlechter, a. a. O., 189–208. Das Maskeradekonzept wurde auch zur Analyse von Männlichkeit interessant, seitdem diese »ihre einstmalige Selbstverständlichkeit verloren« hatte und als komplexe soziale Konstruktion analysiert wird, Marianne Koos u. Mechthild Fend: Einleitung, in: Männlichkeit im Blick, a. a. O., 1–13, 1. Rivières Maskeradekonzept als Geschlechterdekonstruktion etablierte maßgeblich der Band: Weiblichkeit als Maskerade, hrsg. v. Liliane Weissberg, Frankfurt am Main: Fischer, 1994. Vgl. a. Claudia Benthien: Das Maskerade-Konzept in der psychoanalytischen und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung, in: Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsg. v. ders. u. Inge Stephan, Köln u. a. 2003, 36–58. 8 Das Self-Portrait (Actress)/After Red Marilyn stellt das erste Centerfold des Playboy aus dem Jahre 1953 nach, auf dem Norma Jean Baker alias Marilyn Monroe noch vor ihrer Filmkarriere abgelichtet war. Norma Jean Baker wurde von Tom Kelly 1949 abgelichtet. 9 Jan Avgikos: Yasumasa Morimura. Luhring Augustine, in: artforum, Jg. 35, Nr. 8 (April 1997), 91.

1. S IGNIFIKANTE KÖRPERTEILE

Abb. 44: Yasumasa Morimura: Self-Portait (Actress)/After Sylvia Kristel 1 (1996).

Kaori Chino schließt hier exakt auf den gegenläufigen Effekt der Actresses für männliche Betrachter. Sie schildert hierzu die Reaktion der ersten Publikation der Actresses zwischen August 1994 und Juli 1995 im japanischen Magazin Panja, das junge Männer adressierte. Die Actresses wurden ihnen, über die Ausgaben eines Jahres verteilt, jeweils am Ende des jeweiligen Heftes gezeigt. Chino zufolge fanden sie kaum Akzeptanz unter den Lesern. Stattdessen erreichten sie regelmäßig den ersten Platz in derjenigen Magazin-eigenen Leser-Befragung, die nach dem Beitrag fragte, der als 10 Ebenda. Ob man dieser Interpretation von Kastrationsangst und Phallus folgen muss, lasse ich hier dahingestellt.

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»most-boring« 11 empfunden wurde. Einer, ebenfalls von ihr zitierten, Aussage Morimuras nach wurden sie von den Lesern als bizarr oder beunruhigend wahrgenommen. Man fragte sich, welchen Sinn es mache, den nackten Körpers eines Mannes zu betrachten. Chino betrachtet es mit diesem Scheitern für belegt, dass Morimuras Verkörperungen durchaus feministisch einen Voyeurismus des männlichen Blicks auf den weiblichen Akt/die Frau gefährden. Denn sie würden diesen Blick zurückwenden und dabei auch das Prinzip des Pinups in Männermagazinen konterkarieren, das die Vor-Bilder der Actresses (z. B. das der Red Marilyn, das das Titelbild der ersten Ausgabe des Playboys stellte) teils bedienen würden: [W]hile Playboy, the magazine packed with pinups of naked women, fulfilled its slogan ›Entertainment for Men‹ by successfully arousing the masturbating heterosexual male, Morimura’s nude obviously did not entertain men.12 Ausgang hierfür ist wiederum ebenfalls eine Ent-Täuschung: »What they found, in a full spread, was the nude Marilyn Monroe lying in front of that familiar backdrop of red drapery […] no, not her, but the naked Morimura striking a Monroe-esque pose«.13 Anders und doch wie bei Avigkos und bei Erdmann Ziegler betreiben hiernach die Actresses ein Spiel mit dem Offenkundigen, bei dem die Pointe darin liegt, auf klärend zu enthüllen. Avigkos ›entpuppt‹ sich Morimuras Männlichkeit jedoch nicht, wie bei Erdmann Ziegler oder bei den von Chino angeführten Lesern von Panja, auf einen sich rasch einstellenden, decouvrierenden »zweiten Blick«; 14 Männlichkeit liegt vielmehr offen da – »in plain sight«, nur leicht verhüllt mit einer rein rhetorischen Frage, die den Status des Geschlechts bestätigen soll: 15

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Do we actually see his ›three precious‹, as Chinese eunuchs called their castrated genitals, or do we just imagine we do? For Morimura that’s not the point. Just in case we’ve missed it, Morimura’s quick to spell things out in a video installation in which he ›performs‹ the famous image of Marilyn standing over a subway grate, her white dress fluttering high above her 11 Kaori Chino: A Man Pretending To Be a Woman. On Yasumasa Morimura’s Actresses, in: The Sickness Onto Beauty, a. a. O., 157–162, 157. 12 Ebenda. 13 Ebenda. 14 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 96. 15 Jan Avgikos: Yasumasa Morimura, a. a. O.

1. SIGNIFIKANTE KÖRPERTEILE

thighs. The video’s sustained climax is initiated when ›Marilyn’s‹ skirt billows all the way up (a metaphor for erection) to reveal an enormous penis, towering larger than life at the vaginal site.16 Auch in anderen Deutungen knüpft sich die Verhandlung der Echtheit von Körperteilattrappen an den »enormous penis, towering larger than life«,17 der nicht nur im von Avigkos erwähnten Video, sondern auch in der Arbeit Self-portrait (Actress)/After Black Marilyn (1996) (Abb. 45) zu sehen ist. Für Avigkos spielt jedoch keine Rolle, dass es sich um Attrappen handelt. Ihr geht es darum, dass sich ein offenkundiges Wissen um das Geschlecht des Autors bestätige, indem es sich auf Kosten ›der Frau‹ seiner physischen Präsenz versichere.18 Da Avigkos ausgehend von einem psychoanalytischen Zugriff über die Phantasie der Photographie spricht, kann sie die Frage des Unterschieds zwischen der Imaginierung realer und irrealer Objekte im Bild oder eine vorphotographische Realität außer Acht lassen. Doch muss diese Sichtweise einen männlichen vorphotographischen Körper Morimuras voraussetzen, der vom Vorhandensein und der Abwesenheit bestimmter Körperteile gekennzeichnet ist, um ihn als Entscheidungskriterium der Rezeption und als tatsächlich zu sichernden physischen Fakt Morimuras herauf beschwören zu können. Nur so kann sich die These, dass in den Photographien eine Einheit von Penis und Phallus versprochen wird, die eine beschwichtigende, Kastrationsangst abwehrende Wirkung auf das – hauptsächlich männlich gedachte – Publikum habe, hergeleitet und auf eine Psyche des Künstlers bezogen werden. Sobald die Psychoanalyse der Bildphantasie verlassen wird, wird die Echtheit von Körperteilen im Bild zur zentralen Frage. Sie kreist um die gleichen Bildmotive. Was Avgikos als Video beschreibt, zeigt Self-Portrait (Actress)/After Black Marilyn (Abb. 45) gleichsam als Still. Dieses Ilfochrom hat der Rezeption vielfach den bevorzugten Ort des Denouements zu stellen. Dabei gerät es zum Höhepunkt einer auf Kohärenz angelegten Narrativierung der Actresses, auch wenn die Serie selbst dies weder durch Nummerierung oder eine Ordnung der Abfolge nahe legt.19 In einer schwarzen Robe 16 Ebenda. 17 Ebenda. 18 »What a joke to see Morimura’s work as advancing anything other than the old sexist party line.« Ebenda. 19 Die Präsentation dieser Actresses in Katalogen und Texten zeigt sie bevorzugt so beieinander, dass die Black Marilyn gleichsam den krönenden Abschluss bildet.

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im selben Schnitt wie Monroes in Das verflixte siebte Jahr steht in lasziver Pose ein Marilyn Monroe-Double auf einem zylindrischen Sockel, der Öffnungen aufweist, unter denen man ein Gebläse vermuten muss. Von dem Double kann man wissen, dass es der Künstler selbst ist. Der Rock ist so weit aufgeworfen, dass sich (etwa im Zentrum) dasjenige signifikante Körperteil zeigt, um das nicht nur Avigkos’ Diskussion kreist. Auch Ulf Erdmann Ziegler bietet diese Arbeit eine quasi theatrale Enthüllung: Bei der Black Marilyn hebt sich der Vorhang: unter ihrem wehenden Kleid, diesmal in Schwarz, wird in einem absurd buschigen Schampelz ein halberigierter Plastikpenis sichtbar.20

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Abb. 45: Yasumasa Morimura: Self-Portrait (Actress)/After Black Marilyn (1996).

1. S IGNIFIKANTE KÖRPERTEILE

Auch Peter Stohler entscheidet anhand der Black Marilyn, ob hier ein misogyner männlicher Transvestismus oder eine Transgression des Geschlechterbinarismus vorliege. Zur Beurteilung des Subversionspotential aller Actresses sei »ein Blick auf […] Self-Portrait (Actress)/After Black Marilyn, äusserst aufschlussreich«: 21 Morimura posiert wiederum auf einem Sockel, der diesmal jedoch schwarzglänzend ist. Er trägt schwarze Netzstrümpfe, und der Luftzug scheint nun so stark zu sein, dass seine schwarze Jupe bis über die Hüfte hochgewirbelt wird. Dadurch enthüllt sich jedoch nicht etwa ein reales – weibliches oder männliches – Geschlecht, sondern eine rötliche, halbwegs aufgerichtete Penis-Attrappe, die an einem Büschel aus künstlichem Schamhaar befestigt ist.22 Hier findet Stohler größte Verwirrung. Zugleich scheint jedoch in der Verwirrung des Geschlechterunterschieds ersichtlich zu bleiben, welches Geschlecht vorliegt: »Der Künstler imitiert hier also eine Frau, die ihrerseits auf groteske Weise wiederum einen Mann imitiert«.23 Während Erdmann Ziegler und Avigkos die Actresses vornehmlich auf der Ebene der Enthüllung und/oder Versicherung höchst unterschiedlich konzipierter ›wahrer Geschlechter‹ verhandeln, differenziert Peter Stohler zwischen Graden der Überzeugungskraft innerhalb eines größeren Umfanges von Morimuras photographischen Selbstportraits, um die Vielfalt der Unterscheidbarkeiten als deren Subversionspotential auszumachen. Stohler unterscheidet innerhalb der Actresses überzeugungskräftigere Verkörperungen, wie Self-Portrait (Actress)/White Marilyn 2, von »weniger illusionistischen«,24 wie der »Penis-Attrappe« 25 der Black

20 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 100 f. 21 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen. Transkulturelle Inszenierungen bei Yasumasa Morimura, a. a. O., unpaginiert. Stohler verwendet, vielleicht um Darstellungsprobleme im Online-Publizieren zu umgehen, durchweg kein scharfes ›S‹ (ß). In Folge werde ich den Hinweis auf die daraus folgende Abweichung von der deutschen Rechtschreibung nicht weiter als fehlerhaft/ durch sic auszeichnen, in etwa so, wie man die durchgängige Kleinschreibung Karl Kraus’ nicht Wort für Wort ausweist, sondern als Teil einer bekannten, spezifischen Syntax akzeptiert. 22 Ebenda, unpaginiert. 23 Ebenda, unpaginiert. 24 Ebenda, unpaginiert. 25 Ebenda, unpaginiert.

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Marilyn.26 Diese Differenzierungen seien weniger Abstufungen des Gelingens, als Teil des Funktionierens der Actresses, die als »Geschlechter-Fiktionen« 27 ein alternatives Schauvergnügen initiieren würden. Körper, Ethnizität und ›Geschlechtsmerkmale‹ geraten in diesem alternativen Vergnügen zu Orten von abgrenzend unterscheidenden Feststellungen, ohne die dazu notwendigen Identifizierungsverfahren in letzter Konsequenz zu hinterfragen. Das Genießen der Geschlechter-Fiktion als verwirrende Fiktion impliziert nämlich den investigativen Vergleich zwischen den Arbeiten Morimuras, der sich auf die Überzeugungskraft von Geschlechterperformanzen richtet, die das Wissen um das Aussehen Morimuras weniger verunsichern, als dieses Wissen zu konsolidieren. Denn Stohler versichert, dass Morimuras »Gesichtszüge und Körperbau uns beim Betrachten seiner Arbeiten schon bald wohlbekannt erscheinen«.28 Der Künstler soll hier gleichsam durch ein vergleichendes Sehen evident werden, das in Betonung der Differenzen zwischen einzelnen Verbildlichungen diese Differenzen zugleich darüber kittet, dass eine im Bild sichtbare Identität vorausgesetzt wird. Die Differenzierung der Grade an Überzeugungskraft reicht bei Stohler von der erwähnten »Maskerade der Männlichkeit« 29 in Self-Portrait (Actress)/After Black Marilyn (die durch die »Penis-Attrappe« 30 ironisiert wiedergebe, was die Attrappe für den Blick verdecke) über eine überzeugende Darstellung von Weiblichkeit in Self-Portrait (Actress)/White Marilyn 2 bis zum absichtsvollen Verfehlen des Originals in Self-Portrait (Actress)/After Red Marilyn:

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Morimuras Verwandlungsfähigkeit ist zwar im allgemeinen erstaunlich, doch ist es offensichtlich, dass er hier Marilyn Monroe körperlich nicht entspricht: er hat sich deshalb falsche Brüste umgeschnallt. Sein Gesicht hat er sich weiss geschminkt, um den blassen Teint von Marilyn Monroe zu imitieren, seine Lippen sind leuchtend rot, und er trägt eine Perücke aus langem, gelocktem Haar. Morimura zitiert somit über weite Strecken sein bekanntes Vorbild, erreicht es jedoch bei weitem nicht und will dies auch nicht. Die Unterschiede zwischen Ori26 Mit der Frage nach Graden der Überzeugungskraft oder der Nähe zum VorBild steht er nicht alleine: »In some he comes closer than others.« schreibt Lynn Gumpert in: Glamour Girls, in: Art in America, H. 7 (Juli 1996), 62–65, 65. 27 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 28 Ebenda, unpaginiert. 29 Ebenda, unpaginiert. 30 Ebenda, unpaginiert.

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ginal und Imitation bleiben bewusst bestehen: Morimuras asiatische Augen- und Nasenform sind deutlich erkennbar. Seine Inszenierung lenkt den Blick geradezu auf diese Merkmale.31 Das absichtliche Scheitern der Verkörperung wird von Stohler nicht nur mittels eines Wissens um einen Mangel an bestimmten geschlechtlichen Merkmalen (negativ) festgemacht. Die Differenzen zwischen Original und Imitation treten ihm sichtbar an Körperteilen hervor, die, wie eine »asiatische Augen- und Nasenform«,32 mit ›Rasse‹ konnotiert sind. Sie seien sogar absichtsvoll hervorgekehrt. Nur kurzzeitig herrscht hier Verwirrung vor. Sie wird nämlich durch das Wissen um eine vergeschlechtlichte und rassisierte Identität des Künstlers gleichsam geerdet. Verwirrung vermag so nur im Wissen um die sichere Intelligibilität von ›Rasse‹ und Geschlecht aufzutreten – wie wäre Verwirrung überhaupt anders als Verwirrung zu erkennen oder durchschauen? Diese Problematik ist keineswegs banal. Sie spitzt sich auch in anderen Texten zu, die die Serie dazu nutzen, die inszenierte Performativität von Identität zu theoretisieren. So finden Doris Kolesch und Annette Jael Lehmann in Morimuras Serie den Fakt verbildlicht, dass »geschlechtliche, soziale und ethnische Identitäten […] nicht einfach gegeben sind, sondern in und durch performative Prozesse hervorgebracht werden«.33 Die photographische Nachstellung von Star-Imagines in Selfportrait (Actress)/After … zeige ihrer Ansicht nach »Masken und Maskierungen (seiner selbst), die allerdings nichts mehr verstecken, ›hinter‹ denen kein authentisches oder wahres Gesicht verborgen ist«.34 Vielmehr würden diese Actresses »einen endlosen Prozeß der performativen Präsentation ikonographischer Muster entfalten.« 35 Ziel dieses Ansatzes, der Morimura hier zugeschrieben wird, sei es, die Inszenierungs31 Ebenda, unpaginiert. Ähnlich argumentiert Lena Fritsch: »Man kann schlussfolgern, dass Red Marilyn […] keine illusionistische Kopie darstellt. Dies wird an den synthetischen Brüsten besonders deutlich: Falten an der Seite des Büstenhalters, auf welchem die ausladenden Kunststoffbrüste angebracht sind, und dessen noch hellere Hautfarbe als Morimuras Haut weisen auf die Grenze zwischen Attrappe und echter Haut hin.« Lena Fritsch: Yasumasa Morimuras Self-portrait as Actress, a. a. O., 39. 32 Ebenda, unpaginiert. 33 Doris Kolesch u. Annette Jael Lehmann: Zwischen Szene und Schauraum – Bildinszenierungen als Orte performativer Wirklichkeitskonstitutionen, in: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft, hrsg. v. Uwe Wirth, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, 347–365, 347. 34 Ebenda, 357. 35 Ebenda.

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formen von Identitäten und ihre Re-Produziertheit mittels ikonographischer Muster in den Vordergrund zu rücken: Der Wiedererkennungseffekt für die Betrachterinnen und Betrachter wird dabei nur in geringem Maße durch die deutlich wahrnehmbare Ähnlichkeit von Morimuras Drag-Performances mit den Bildern der Schauspielerinnen evoziert. Es wird vielmehr dadurch hervorgerufen, daß Details einer Pose oder Geste – wie beispielsweise Marylin Monroes leicht gesenkte Augenlider oder Brigitte Bardots Finger, die auf verführerischlaszive Weise ihren Mund und ihre Wangen berühren – nachgestellt und re-produziert werden.36 An die Stelle eines ausgeräumten ›hinter‹ tritt jedoch implizit eine zeitliche Folge, die ein dem Künstler eigentümliches ›Gesicht‹ vor seiner Maskierung voraussetzt, das seine Photographien wiedergäben: Das den Fotografien eingeschriebene Moment der intendierten und ausgestellten Verfehlung wird durch die Tatsache verstärkt, daß Morimura in seiner Verkörperung weiblicher westlicher Staridole seine asiatischen Gesichtszüge nicht verbirgt – wie dies durch Schminke oder technische Nachbearbeitung der Photographien ohne weiteres möglich wäre – sondern explizit markiert läßt. Die Ausstellung der ethnischen Differenz bildet einen konstitutiven Teil der performativen Darstellungs- und Inszenierungstechniken. Der Illusionscharakter der Drag-Performances wird damit gründlich unterminiert – eine körperlich materielle différance in Raum und Zeit, auf die der Titel der Serie: Self-portrait (Actress)/After anspielt.37

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36 Ebenda, 355. In diesem Text erweist sich der Vorname Morimuras als ausgesprochen performativ wandelbar von »Yasumasa« (347, im Titel u. 348) über »Yamamasu« (354, im Zwischentitel) bis zu »Yasuma« (355, Fn. 11); ebenso scheint es für die Entwicklung des ästhetischen Programms Morimuras durch die Autorinnen kein Problem darzustellen, aus den pseudo-autobiographischen Einsprengseln Paul B. Franklins in seinem Text Orienting the Male Asian Body in the Photography of Yasumasa Morimura bei Yasumasa Morimura eine Passage als Zitat Yasuma Morimuras auszugeben, um daraus eine Werkästhetik abzuleiten, in der Morimura nach eigener Aussage ein Monkey Business anstrebe. Vgl. den Passus von Paul B. Franklin in: Orienting the Male Asian Body in the Photography of Yasumasa Morimura, a. a. O., 239 f. 37 Doris Kolesch u. Annette Jael Lehmann: Zwischen Szene und Schauraum, a. a. O., 355.

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Wie geht das? Einerseits soll es kein authentisches Gesicht hinter der Maskierung geben; die Imitation von Gesten und Posen der Star-Imagines weist deshalb angeblich weniger auf diese als authentische Personen, Körper oder westliche Ikonen, sondern vielmehr auf diejenigen Bildmuster und Instrumente, die zur Verfertigung der Rassisierung und Vergeschlechtlichung von Star-Images gehören. Andererseits soll der »Illusionscharakter der Drag-Performances« 38 dadurch unterlaufen sein, dass die gezielte, intendierte »Ausstellung der ethnischen Differenz« 39 einiger Körperteile Morimuras die Differenz der Ilfochrome zu ihren Vor-Bildern markiere. Performative Darstellungs- und Inszenierungstechniken scheinen hier in Bezug auf die Annahme ›rassischer Körpermerkmale‹ eine signifikante Duplizität der Zurechenbarkeit aufzuweisen, die VorBild und Nachahmung voneinander abgrenzt. Denn wenn »Morimura in seiner Verkörperung weiblicher westlicher Staridole seine asiatischen Gesichtszüge nicht verbirgt – wie dies durch Schminke oder technische Nachbearbeitung der Photographien ohne weiteres möglich wäre – sondern explizit markiert läßt«,40 dann können rassisierte Körpermerkmale, die Morimura gehören, zwar in der Photographie markiert gelassen oder verborgen werden. Doch können sie, dieser Passage zufolge, nicht allein Effekt einer ›performativen Darstellungstechnik‹ sein, da sie ihr vorausgehen. Asiatische Gesichtszüge, die keineswegs von allen Beobachter/innen auf gleiche Weise gesehen, identifiziert und interpretiert werden, gehen hier selbst einer Inszenierung voraus, die diese ›Erkennungsmerkmale‹ bestenfalls zu verbergen, aber anscheinend keineswegs zu inszenieren vermag, wiewohl dies bei anderen gelinge. Dieselbe Figur erscheint auch bei Peter Stohler, der den Inszenierungscharakter der Selbst-Portraits Morimuras so weit betont, dass er auch nicht bearbeiteten Aufnahmen digitale Manipulation unterstellt. Auch hier werden trotz der Betonung, es handele sich bei den Actresses um Geschlechter-Fiktionen, die an Judith Butlers Auffassung der Performativität von Geschlecht als Imitation ohne Original anschließen, Körpermerkmale und -teile so zugerechnet, dass ihre abgrenzende Identifizierung die Faktizität einer originalen Differenz produziert, bei der das eine das andere ausschließt: »Die Unterschiede zwischen Original und Imitation bleiben bewusst bestehen: Morimuras asiatische Augen- und Nasenform sind deutlich erkennbar.« 41 Vordringlich geht es dabei zwar um 38 39 40 41

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Meine Hervorhebung. Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert.

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die Unterschiede zwischen zwei Verbildlichungen als Körperproduktionen,42 jedoch werden diese Unterschiede durch ›rassische Unterschiede‹ zwischen vorphotographischen Ausgangskörpern erkennbar. Was in solchen performanztheoretischen Deutungen auf dem Spiel steht, ist, neben dem Butlerschen Performanzbegriff selbst, der hier angesichts von Bildkünsten droht, mit (auktorialer und/oder künstlerischer) Bildinszenierung synonym gebraucht zu werden, die Frage nach der Verknüpfung von Bild, Sprache, Sehen und Wissen in der Beschreibung. Ohne selbstverständliche Offenkundigkeiten scheint dies nicht auszukommen.

Signifikante Unterschiede

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Als asiatisch identifizierte Augen und Nasen rangieren somit auf einer anderen Ebene als die als Attrappen identifizierten Marker primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale. Da jene als Belege der absichtsvollen Abweichung sowohl von der ›Verkleidung‹ als auch von ›Rasse‹/Ethnizität fungieren, müssen sie Performance und Drag vorausgehen, während die Attrappen als Teil einer BildPerformance gelten, die einen bestimmbaren Anfang und ein Ende hat. Augen- und Nasenform können – egal in welchem Grad der Schminke – in solchen Argumentationen im Gegensatz zu Attrappen oder Prothesen z. B. nicht ohne Weiteres abgelegt werden.43 Da nicht disponibel, stehen sie nicht zur Debatte oder sorgen für dieselbe Form von Verwirrung. Sie erscheinen tendenziell als ›Natur‹. ›Der asiatische Mann‹, Morimura, wird zur notwendigen Kontrastfolie der Performativität der ›westlichen‹ »Ikone Marilyn« 44. Insofern werden die Attrappen von Brust und Penis u. a. für Stohler als Betonung ›nackter Tatsachen‹ brennend interessant: »gerade durch das Aufsetzen dieser Attrappe – […] Maskerade der Männlichkeit – wird das Interesse wieder auf das gelenkt, was sich unter der Oberfläche verbirgt.« 45 Die Penis-At42 Ausgehend von der Performativität des Geschlechts durchmisst der Band: Körperproduktionen. Zur Artifizialität der Geschlechter, hrsg. v. Alexandra Karentzos, Birgit Käufer u. Katharina Sykora, Marburg: Jonas, 2002, das Feld der Körperproduktionen in der Kunst, vgl. insbes. die Einleitung von Birgit Käufer, Alexandra Karentzos u. Katharina Sykora: Körperproduktionen. Zur Artifizialität der Geschlechter, ebenda, 7–20. 43 Schon die Annahme, dass etwas erst eigens durch Schminke hervorzutreten oder übertüncht zu werden vermag, zeugt davon, dass hier etwas Identifiziertes als vorgängig vorausgesetzt wird. 44 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 101. 45 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert.

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trappe in Self-Portrait (Actress)/After Black Marilyn weist demnach nur auf eines: Auf die entscheidenden körperlichen Merkmale des Geschlechts, die unter der Oberfläche zu finden seien. Unter der Oberfläche, das ist ein Ort, den Judith Butler oder Maskerade-Theorien selten über derartig signifikante Weise zu erhellen suchen. Von einem Denken der Performativität des Geschlechts kann nämlich dort keine Rede mehr sein, wo Körperteile sich so in ihrer geschlechtlichen und rassisierten Bedeutung zu zeigen vermögen, wie sie sind, wobei sie unkompliziert an Identitäten zurechenbar sein sollen. Vielmehr problematisiert ein Denken der Performativität von Identitäten die fortgesetzte Herstellung der Naturalisierung der Bedeutung und Hierarchisierung von Differenzen, z. B. des Geschlechtsunterschieds. Die kunstwissenschaftliche Forschung zum Zusammenhang von Körper und Geschlecht geht deshalb davon aus, dass die Bedeutung des Geschlechts des Körpers ein Effekt diskursiver Körperproduktionen sei, an denen sich Kunst affirmativ oder kritisch beteiligt, indem sie Teil einer wiederholten Arbeit am Körper ist,46 die die performative Konstitution von intelligiblen Körpern, welche Körpern Bedeutung oder Gewicht verleiht, ebenso zu umfassen vermag wie deren Modifikation oder Subversion. Grundlage hierfür ist der Zweifel daran, dass Körper unhintergehbar oder natürlich so gegeben seien, wie sie als soziale, geschlechtliche und ›rassische‹ intelligibel werden, um sexuelle, ethnisierte und/oder rassisierte Identitäten auszubilden. Es ist genau die Annahme eines gleichsam idealisierten und insofern auch keineswegs neutralen So-Seins, das in performativen Akten erst konstituiert oder fraglich wird. Das bedeutet hier, dass dasjenige, was diskursiv als Körpermerkmale von ›Rasse‹ und Geschlecht vorausgesetzt wird, keineswegs unproblematisch als Hinweise auf ›Rasse‹ und Geschlecht evident wird. Vielmehr werden auch diese – innerhalb des Performativitätskonzeptes Butlers – als erkennbare Materie, durch wiederholte Bestätigung der Vorstellung, sie wären Materie, überhaupt erst hergestellt, indem man den Körper als passiven unmodizierbaren Stoff denkt, der lediglich auf seine Be-Deutung warte und sich dieser insofern auch nicht zu sperren vermag. Bedeutsame Körper entstehen jedoch in einem performativen Prozess der Wiederholung, der das eigene Original in fortlaufender Kopie erst erzeugen muss, um die Arbitrarität von Zeichen und ihrer Bedeutung durch die Konstitution von Reali46 Änne Söll untersucht anhand der Videoinstallationen Pipilotti Rists in Bezug auf Judith Butlers Kritik an der Materie die Arbeit am Körper zwischen Rezeption und Produktion. Vgl. Änne Söll: Arbeit am Körper. Videos und Videoinstallationen von Pipilotti Rist, München: Verlag Silke Schreiber, 2004.

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tät gleichsam zu erden.47 Dieser Prozess ist geknüpft an Normen, welche im selben Prozess in betätigender Wiederholung (oder Unterlaufung) erst produziert werden. Genau dies lässt sich in der Rezeption der Actresses lesen: Dass und wie sich ein japanisierter Künstler-Körper, dessen präjudizierte Vorgängigkeit/Realität diskursiven Sinn zu sichern hat, nur hervorgeht aus einem »Prozess der Materialisierung, der im Laufe der Zeit stabil wird, so dass sich die Wirkung von Begrenzung, Festigkeit und Oberfläche herstellt«.48 ›Er‹ muss buchstäblich aus den Photographien herauf beschworen werden. Selbst im klaren Widerspruch zum Aufgriff eines solchen Theoriedesigns in den Rezeptionen wird explizit das Œuvre Morimuras zusammengefasst als bewusste, intentionale Setzung eines »Japaner[s] in westlichen Frauenrollen«.49 Hier das Sein, dort die Rolle – trotz proklamierter »Verwirrung« von ›ethnischer‹ und ›geschlechtlicher‹ Identität wird der Künstler unverbrüchlich in vertraute Binarismen gehüllt, die rassische und geschlechtliche Differenz als Materie setzten. Mittels der Abgrenzung von Bildkörper und vorphotographischem Körper, den der Abgleich zwischen Originalbild und Nachstellung vollzieht, werden Originale und Imitationen von ›Rasse‹ und Geschlecht weniger als wechselseitige Hervorbringungen geschrieben, die jeweils auf die darin verwendeten, kontingenten Regeln der Evidenz oder Originalität von Geschlecht und ›Rasse‹/›Ethnie‹ verweisen. Vielmehr scheint die Intelligibilität der im Spiel befindlichen Differenzen als Oppositionen zementiert zu werden. Wenn für Stohler »[d]ie Unterschiede zwischen Original und Imitation […] bewusst bestehen« 50 bleiben, dann bringt er die Aporie auf den Punkt, die zwischen der impliziten Reproduktion von Originalen und dem parallel betriebenen Aufgriff dekonstruktiv - performanztheoretischer Konzepte der Gendertheorie besteht: In den Actresses wird eine »Destabilisierung des rigiden Geschlechter-Binarismus« 51 so ausgemacht, dass diese Binarismen letztlich wieder sprachlich re-installiert werden. Auch die Photographie erfährt eine ambivalente Doppelfiguration: Sie ist sowohl Medium eines hervorbringenden Vollzugs der bewussten Täuschung als auch Medium der Transparenz, das eine Durchsicht auf den Unterschied von Maskerade, Attrappe und körperlichen Eigentümlichkeiten des Künstlers zulässt. Über die Sta47 Auf diese Weise kritisiert Judith Butler die euro-amerikanische Geschichte des Begriffs ›Materie‹, in: Körper von Gewicht, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, insbes. 32 f. 48 Ebenda, 32. 49 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 50 Ebenda, unpaginiert. 51 Ebenda, unpaginiert.

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bilisierung des Körpers werden einerseits das Mediale der Photographie als Transparenz und andererseits eine kritische Kompetenz konstituiert: Unverstellt vermag man auf die Dinge zu schauen und Verstellungen zu durchschauen. Man vermag es zudem, eine Form von kunsthistorischer Kennerschaft auszustellen, die von der Fähigkeit, einen ›Bildbetrug‹ aufzudecken und Performativitäten auszudifferenzieren, über die Beurteilung der Überzeugungskraft von Maskeraden zur ›guten Bekanntschaft‹ mit dem Aussehen Morimuras reicht. Nicht zuletzt lassen sich – bevorzugt an der Black Marilyn – die zwar mit einem ähnlichen Verfahren erstellten, jedoch im Einzelnen höchst heterogenen Bildserien und einzelne Arbeiten zu einem Œuvre Morimuras glätten, das die ›gute Bekanntschaft‹ mit dem Künstlerkörper auf den Werkkörper transferiert: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen – diese Zusammenfassung ignoriert die Arbeiten Morimuras, die auf japanische oder andere nicht-euro-amerikanische Bildvorlagen rekurrieren, ebenso wie diejenigen, in denen Morimuras Augen oder Nasen in Obst, Gemüse, Tiere u. a. implementiert sind. Die Vergeschlechtlichung und Rassisierung des Künstlerkörpers sorgt für eine Kohärenz, die nicht nur die Qualität der Verkleidung durchsichtig macht, sondern die überhaupt dazu dient, im Diskurs über das Bild Sinn reduktiv zu ordnen. Eine stabile auktoriale Subjektposition sichert den stabilen Referenzpunkt der Interpretation. Nichts mehr weist jedoch in Bodegón (Pears With Noses) (Abb. 46) auf ein Geschlecht oder eine Ethnizität hin. Diese Nasen könnten allen gehören. Wo Nasen im Bild es nicht mehr vermögen, den Autor zu zeigen, fehlen dann der Rezeption die Worte – im euro-amerikanischen Raum interessiert diese Arbeit so gut wie nicht. Dass die Rezeption implizit eine Rassisierung zu betreiben droht, wird auch nicht dadurch entkräftet, dass die als ›Rassemerkmale‹ gebrauchten Augen- und Nasenformen als Symbolisierungen von Kultur verhandelt sind: nämlich als »Versuch, auf spielerische Weise westlicher zu werden« 52 oder als »transkulturelle Maskerade«,53 die das Denken von Kultur als authentisch, einheitlich und monadisch abweise.54 Implizit bleibt die Vorstellung der 52 Ebenda, unpaginiert. 53 Ebenda, unpaginiert. 54 Wolfgang Welsch verortet solch eine Abgeschlossenheit noch in Herders Kulturrelativismus, vgl. Wolfgang Welsch: Transkulturalität – Die veränderte Verfassung heutiger Kulturen, a. a. O. Vgl. zu dieser Form der Kritik auch Byun-Chul Han: Hyperkulturalität, a. a. O. Er findet das Problem, das Welsch Herder unterstellt, auch bei Welsch selbst, ebenda, 54 ff. Ausgangspunkt jeder Diskussion um Hybridität ist Homi K. Bhabhas Kulturbegriff, als ursprünglich zusammengesetzt. Vgl. dazu ders.: The Location of Culture, a. a. O., 171 ff.

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authentischen, abgegrenzten Originalität des Westens untangiert. Denn die Verbildlichungen westlicher Stars als westliche Vorbilder/Originale werden so imitiert, dass die »Unterschiede zwischen Original und Imitation […] bewusst bestehen« 55 bleiben. Wenn Körpermerkmale so auf kulturelle Zugehörigkeiten verweisen, die am Künstlerkörper zu naturalisieren sein sollen, dann zeitigt der Fokus auf Ethnizität darüber hinaus re-rassisierende Effekte an Selbstportraits, denen unterstellt wird, dass sie dies eben gerade tendenziell auf lösen.56

244 Abb. 46: Yasumasa Morimura: Bodegón (Pears With Noses) (1992).

55 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 56 Ethnizität erscheint hier als Teil eines ›Rassismus ohne Rasse‹, den Étienne Balibar als Ambivalente Identitäten kritisiert. Vgl.: Étienne Balibar u. Immanuel Wallerstein: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg: Argument, 1992, 28 ff. Stuart Hall zufolge zielt die gegenwärtige Ablösung eines genetisch, erblich begründeten Rassismus durch einen kulturellen Rassismus darauf ab, »Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern.« Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Das Argument 178, 1989, 913–921, 919.

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Die Rezeption scheint sich darüber einig zu sein, dass die Arbeiten Morimuras die als widersprüchlich gedachten Verbildlichungsformen von Männlichkeit, Weiblichkeit, Whiteness und des ›Asiatischen‹ so verbinden und/oder konfligieren, dass sie ihre Verbildlichungen reflexiv machen. Dieser Konsens gründet jedoch darin, dass durchweg ein Wissen um eine rassisierte und vergeschlechtlichte Verfassung des Aussehens des Künstlers vorausgesetzt wird, die in den Actresses als Hinweis auf seine Identität sichtbar bliebe. Für diese Evidenz ist wiederum ein Wissen um die Identität des Künstlers vorauszusetzen. So ergibt sich ein Zirkel der Selbstbestätigung zwischen Autorschaft und der Evidenz von Identität, der mit der Konstituierung signifikanter Körperteile, nach einem Anker der Interpretation sucht, der die Möglichkeit des unendlichen Regresses einer Un/Sichtbarkeit des sujets beruhigt. Dieser Zirkel um den ›rassisch‹ und geschlechtlich intelligiblen Körper des Künstlers zeigt die Notwendigkeit auf, einen Fixpunkt der Interpretation zu konstituieren, der als sichtbare Identität einer steten Verwandlung Kontinuität verleiht: »As with the onnagata, Mr. Morimura never disappears«,57 betont in diesem Sinne Roberta Smith, wobei sie – wie viele Referenzen auf den Frauendarsteller des kabuki in den Interpretationen Morimuras – diesen in höchst euro-amerikanischen Termini der Schauspielerei verhandelt.58 Wichtiger als dies ist hier, dass die Feststellung einen

57 Roberta Smith: Seeing Three Images in One Face, The New York Times, 6. Dezember 1996. 58 Der Bezug auf den onnagata weist so auf Probleme des Übertrags zwischen unterschiedlichen kulturellen Bezugssystemen: Während nämlich im euro-amerikanischen Verständnis der Schauspieler seiner Verkörperung vorausgeht und mit ihr tendentiell droht, zu konfligieren oder es im besten Fall vermag, den potentiellen Konflikt in eine interessante Spannung zu überführen, kommt der onnagata in einigen klassischen Schauspieltheorien erst in der und durch die Verkörperung zu sich und zur Figur, die insofern nicht in gleicher Weise als konfligierend gedacht werden. Vielfach wurde aus solchen Unterschieden heraus auf die grundsätzlich differente Verfassung des Selbst zwischen Japan und dem Westen verwiesen, da in Japan sich das Selbst über seine Exteriorität im Gegensatz zum euro-amerikanischen Individuum konzipiere. Da diese Arbeit u. a. mit den Theorien von Derrida, Lévinas und Mersch ähnliche Konzeptionen aufgreift, ist die Verabsolutierung dieses Unterschiedes nicht mehr möglich – zumal sich gerade die Diskussion um Westen/Moderne resp. Japan/Tradition im nihon-ron ebenso als Teil der Modernisierung Japans auffassen lässt wie als Konstitution eines nationalen Selbstgefühls zu kritisieren wäre, das sich zudem als uneins erweist, was die Hierarchie des japanischen Eigensinns gegenüber dem ›Westen‹ betrifft. Vgl. zum nihon-ron Jens Heise: Einleitung, a. a. O.

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Bedarf artikuliert: Morimura darf nicht verschwinden, denn mit der Gattung des Künstlers wäre auch die des Selbstportraits verflüchtigt; der Deutung ginge jeder Anhaltspunkt ab. Die Beschreibungen der Actresses kommen insofern nicht umhin, abgrenzende Unterschiede zu konstituieren: Zwischen Inszenierung und Vor-Bild, zwischen männlichem Darsteller und weiblichen ›Rollen‹, zwischen vergeschlechtlichten und rassisierten Körper-Merkmalen oder zwischen Original und Kopie. Egal wie sehr diese Grenzen zugleich als aufgelöst aufgefasst werden, um die Auf lösung von Grenzen beschreiben zu können, müssen diese erst vorausgesetzt werden. Dass die Überschreitung als Figur die zu überscheitenden Grenzen erst (voraus)setzt, d. h. Grenzen nicht schlicht in Nichts auf löst, sondern vielmehr ihre Existenz in der Überschreitung zugleich bestätigt, hat Michel Foucault prononciert. So scheint es sich hier auch mit der Überschreitung ›rassischer‹ und geschlechtlicher Evidenzen des Körpers zu verhalten: Je radikaler die Überschreitung herauf beschworen wird, desto fester werden die beiden Seiten der Grenze als Gegensätze konstituiert.59 Wie ist es zu bewerten, dass diese Grenzziehungen als natürliche Gegebenheiten einerseits explizit in Frage gestellt werden und andererseits im selben Zug in die Inszenierungsebenen so eingezogen werden, dass ein vermeintliches Wissen um unverbrüchliche visuelle, evidente, vor der Inszenierung vorliegende Unterschiede zwischen Geschlechtern und ›Rassen‹ ein Wissen um den Inszenierungscharakter von Photographie aussticht? Welche Grenze kommt hier ins Spiel, wenn inmitten der Behauptung der absoluten Inszeniertheit von Körper-Bildern ein Körper zu erschei-

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59 Der Vorteil von Foucaults Anmerkungen über die Überschreitung liegt darin, auf die grundsätzliche Verquickung von diskursiver Macht und Regelbruch aufmerksam gemacht zu haben. Der Nachteil mag darin liegen, dass sich mit der Überschreitung in der Grundform des Gedankens keinerlei Veränderungsmöglichkeiten mehr denken zu lassen scheinen. Lediglich wenn man im Umkehrschluss annimmt, dass die Überschreitung die Grenzen, die sie setzend überschreitet, in der Setzung auch gegenüber tradierten Formen zu modifizieren vermag, wäre eine kritische Überschreitung noch denkbar. In der Überschreitung müsste ein qualitativer Sprung beinhaltet sein. Und zwar nicht ein Sprung, der einfach eine Grenze übertritt, sondern vielmehr einer, der sich zu dieser Grenze so reflexiv verhält, dass die Grenzsetzung selbst mit einem qualitativen Sprung, z. B. der Markierung der prinzipiellen Krisenhaftigkeit der Grenze, die stets ihrer bestätigenden Artikulation zur Stabilisierung bedarf, versehen wird. Exakt dieser Qualitätssprung ist es, der in der Rezeption an einzelnen Stellen jedoch beharrlich einbricht. Vgl. zur Überschreitung: Michel Foucault: Vorrede zur Überschreitung, in: ders.: Dits et Ecrits. Schriften, Bd. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, 320–342.

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nen vermag, der hiermit nicht identisch ist? Hier geht den Körperbildern ein auktorialer Körper voraus, der so die Grenze der bildlichen Inszenierung bildet, dass aus der Grenzsetzung unaufhörlich die Figur des Autors als intelligibles, verethnisiertes und vergeschlechtlichtes sujet (Stoff, Motiv, Unterworfenes und Subjekt) der Actresses hervorzutreten vermag, indem »Gesichtszüge und Körperbau«,60 »perfect breasts«,61 »enormous penis«,62 »Plastikpenis«,63 »Beine« 64 identifiziert werden. Dieses sujet erscheint zugleich, wie weiter aufzuzeigen ist, schon diesen Be-Nennungen, die sich vielfach widersprechen, als hochgradig unfügliches widerspenstig-widersprüchliches Konstrukt.65 Wenn Peter Stohlers Bemerkung, »Morimura stiftet hier also bewusst Verwirrung«,66 als erhellend aufgenommen werden kann, dann deshalb, weil sie aufzeigt, dass sich diese Wendungen der Figur des Künstlers zwischen Artifizialität und Naturalisierung die Beschreibungen der photographischen Auf lösung von ethnischen/ ›rassischen‹ und geschlechtlichen Binarismen, die das Aufgelöste beinahe beharrlich wieder implizit restaurieren, nur als verwirrend oder verwirrt lesen lassen. Denn es treten in den Rezeptionen dieselben Bildobjekte (z. B. die gezeigte Augen- und Nasenform), die so vergeschlechtlichte und rassisierte Evidenz re-konsolidieren, sowohl als ›unverwechselbare Kennzeichen‹ der ›Rasse‹/Ethnizität Morimuras, als auch als Imitationen des Westens auf. Genau dann nämlich, wenn (spätestens in der Zusammenschau der Rezeption, vielfach auch innerhalb einzelner Texte) diese Kennzeichen als beides bzw. nichts davon zu erscheinen vermögen, lässt sich eigentlich erst von einer Verwirrung reden. Denn dann kreisen die Binarismen so sehr, dass sie gleichsam implodieren und radikal unsinnig werden. Damit tritt eine grundsätzliche Paradoxie zutage, die

60 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 61 Jan Avgikos: Yasumasa Morimura. Luhring Augustine, a. a. O., 91. 62 Ebenda. 63 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 101. 64 Ebenda, 96. 65 Vgl. Mira Fliescher: Kritik/Körper. Zur Ver/Handlung fremder Körperteile nach Yasumasa Morimuras Fotografie-Serie Self-portrait (Actress)/After, in: kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft, Jg. 35, (4/2007): Fremde Männer, 41–49. Diese Diskussion der Actresses deutet die Eigenlogik des Bildlichen noch ohne Bezug auf das Portrait und die Erfassungsphotographie an. Es fehlt dabei zudem die genauere Spezifizierung der jeweiligen Unfüglichkeiten wie auch der Unvermeidlichkeit der (irrenden) Diskursivierung im Hinblick auf Medialität. 66 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert.

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jedoch Morimura keineswegs allein produziert bzw. zu produzieren vermag. Sie entspringt vielmehr einer Nicht-Konvergenz von Diskurs und Bild, einer Unvereinbarkeit divergenter medialer und ästhetischer Strategien zwischen Photographie, Kunst, Diskurs und Kunstwissenschaft, welche im Kohärenzdrang der wissenschaftlichen oder kritischen Texte/Diskursivierungen getilgt wird. Eine solche Kritik an der Kritik zielt nicht einfach auf die schlichte Aufdeckung performativer Selbstwidersprüche. Vielmehr interessiert, worauf diese Schwierigkeit, der auch dieser Text nicht vollkommen entkommt, verweist. Immer drängender wird nämlich zur Frage, wie es möglich ist, am Bild endgültig zu entscheiden, was unter Penisattrappe und falschen Brüsten tatsächlich liegen kann? Was und wo wäre dieses ›Unter‹? Wie werden Attrappen in Bildern überhaupt zu falschen Körperteilen? Wie vermögen es Attrappen die Wahrheit eines Referenzkörpers vorzuzeigen? Wie wird ein vorphotographischer Körper als geschlechtlich und ›rassisch‹ intelligibler Körper aus einer photographischen Praxis evident, wenn dieser zugeschrieben wird, genau diese Möglichkeit im doppelten Wortsinn zu verstellen? Wie kann man überhaupt Körperteile im Bild benennen und in geschlechtliche und rassisierte Abgrenzungen überführen? Wie kann parallel zum Aufweis eines grundsätzlich performativen Charakters von geschlechtlichen und ethnischen Identitäten, eine »Ausstellung der ethnischen Differenz« 67 den »Illusionscharakter der Drag-Performances« 68 unterlaufen, indem der Künstler »seine asiatischen Gesichtszüge nicht verbirgt«? 69 Wie kann so ein Körper trotz seiner steten Verstellung durch die Kenntnis mehrerer Arbeiten intelligibel, »wohlbekannt« 70 werden? Wie kann ein wohlbekannter Morimura als ein Original aus den (Beschreibungen seiner) Imitationen der Bilder von Star-Images in den Actresses hervorgehen, wenn selbst diese als mediale Verfertigungen gelten, und zugleich als vorausgehendes Original imitieren und zitieren, sei es mittels ihm zugehöriger ›asiatischer Augen‹, ›Marilyn Monroe‹, ›Brüste‹, ›Penis‹? Hieße das nicht auch: ›Yasumasa Morimura‹? Präzise an dieser Stelle werden Original, Kopie, ›Rasse‹, Geschlecht, Sinn, Evidenz und die Konstitution eines vorphotographischen, auktorialen Körpers als radikal verwirrt lesbar, wenn nämlich selbst die Aufgabe des Originals

67 Doris Kolesch u. Annette Jael Lehmann: Zwischen Szene und Schauraum, a. a. O., 347. 68 Ebenda, 355. 69 Ebenda, 355, Meine Hervorhebung. 70 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert.

1. SIGNIFIKANTE KÖRPERTEILE

als Original nicht aufzugeben vermag, wiederum ein Original als Voraussetzung erst zu produzieren, um überhaupt argumentieren zu können. Zugleich erweist sich das sujet als widerspenstiger Gegenstand, der sich dem Intelligibilisierungsbestreben der diskursiven Strategien der Kritik nachhaltig verweigert. Diese Paradoxien sind mehr als bloße logische Widersprüche. Ihre Persistenz lässt die konventionalisierten Diskursstrategien der Photographie, des (Selbst)Portraits und der sprachlichen Be-Deutung von Bildern auseinandertreten. Da-Zwischen erscheint eine Alterität, die weder diesen Konventionen noch der Bedeutung einzugliedern ist. Indem am auktorialen Körper das Be-Deutungs-Versprechen der auktorialen Signatur bricht, erscheinen Signaturen der Alterität (Alterität des Bildlichen, die Alterität des un(ver)füglichen Körpers, die Alterität von Morimura als Anderer). Dass die Arbeiten der Serie Self-Portrait (Actress)/After … als Selbstportraits benannt sind, legt nicht von ungefähr die Vorstellung nahe, dass die Actresses eine selbstbestimmte Sichtbarkeit des Künstlers im Bild produzieren sollen. Denn das Selbstportrait verspricht traditionell als eine Super- oder Meta-Signatur intentional auf Intelligibilität zu zielen, wobei es zugleich ein Selbstbild und eine ästhetische Stellungnahme 71 darbiete. Etwas an den Actresses lässt dieses Versprechen scheitern. Die Rezeption scheint die Selbstportraits ja mehr als erkennungsdienstliche Bilder zu brauchen, um das auktoriale sujet über signifikante Körperteile als ethnisch-geschlechtlich differentes Exemplar identifizieren zu können. Die Annahme, dass die geschlechtliche und ethnische Identität des Künstlers in Selbstbildern selbstbestimmt zu kommentieren und zu verstecken sei, trifft auf eine Praxis der Habhaftmachung von Individuen, die zwischen Identifizierung und Typisierung schwankt. Dass sich die diskursive Funktion der Photographie zwischen der Nobilitierung des bürgerlichen Individuums im Portrait und dem repressiven Mittel zur Taxonomierung des Anderen aufteilt, hat Allan Sekula als zentrale Doppelfigur der photographischen Archivierung des Körpers im 19. Jahrhundert beschrieben. Mit dieser Gründungsfigur der diskursiven Verflechtung von Photographie, Körper und Archiv etablierte sich eine Form der visuellen

71 »Selbstreflexivität der Malerei und des Malers in einem also, autoreflexive Züge in einem doppelten Sinn«, Rudolf Preimesberger: Selbstreflexivität, zweifach?, in: Selbstbild. Der Künstler und sein Bildnis, Ausstellungskatalog Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien, hrsg. v. Renate Trnek, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2004, 16–37, 23, vgl. a. ebenda, 18.

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Rasterung des Sozialen durch die Photographie.72 Diesen beiden Seiten, (Künstlerselbst)Portrait und photographische Identifizierung, soll nun in Bezug auf die widerspenstige Un/Sichtbarkeit des auktorialen sujets nachgegangen werden. Denn was Sekula als zwei gegensätzliche Seiten einer diskursiven Medaille beschreibt, könnte sich im Sichtbaren wechselseitig mehr infizieren und irritieren.73

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72 Vgl. Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, in: Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, hrsg. v. Herta Wolf, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003, 269–334. 73 Schon dass sich Galton wie auch Bertillon freiwillig bertillonieren ließen, zeigt, dass Erfassung und Ehrung in jeder Verbildlichung ineinander spielen.

2. Un/sichtbare sujets

Die Frage nach der Herstellung der Sichtbarkeit des sujets der Actresses – ein ›rassisch‹ und geschlechtlich intelligibler Morimura als Bild-Gegenstand – und ihrem Scheitern soll im Folgenden durch die historische Verflechtung von Photographie und Körperbild näher konturiert werden. Dem Umschlag des Selbstportraits ins Erfassungsbild folgt dazu eine Gliederung in zwei Abschnitte. Der erste (sujet des (Selbst)Portraits) analysiert die Produktion von Differenzen in der Rezeption, die sich aus der Rassisierung und Vergeschlechtlichung Morimuras für die Konstitution seiner auktorialen Signatur ergeben. Im zweiten Abschnitt (sujet der Erfassung) wird die Bindung des Umschlags vom Künstlerselbstportrait zum Gebrauch als Erfassungsbild von ›Rasse‹ und Geschlecht in Bezug auf die Versprechen des Photographischen beleuchtet. Im Verlauf dieser Diskussion wird das Augenmerk mehr und mehr auf das Erscheinen medialer Differenzen als systematisches Problem epistemischer Strategien gelegt. Die vielfachen Schlaufen der Argumentation um Gattungsfragen, Schreibpraktiken, Erfassungspraktiken u. m. sind hierbei notwendig, um sowohl der Singularität des Erscheinens von Signaturen der Alterität Rechnung zu tragen, als auch um die Aporien des Kunstdiskurses als unvermeidlich, durchaus grundsätzlich, ausweisen. Dieser Teil handelt insofern zuvorderst von den Bildern. Es geht um die Verflechtung einer Bildpraxis, in der Bilddetails markiert und identifiziert werden, und darum, wie sich dagegen ihre Andersheit als Widersetzlichkeit jeweils produktiv markiert. Wenn der Künstler erst in der Rezeption durch Diskursivierung und Be-Zeichnung als sichtbares sujet einer intelligiblen Differenz produziert wird, dann verläuft dies zwischen den Praktiken der ehrenden Individualisierung einerseits und der (Stereo) Typisierung andererseits, die – folgt man Allan Sekula – sich für

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die Ablichtung des Körpers im 19. Jahrhundert ausprägten.1 In der Kunstkritik wird das geschriebene Portrait des Künstler(selbstportrait)s, in dem Fragen nach Autorschaft, Künstlertum, Individualität, Souveränität und ästhetischer Positionierung im Vordergrund stehen, dem Thema der visuellen Intelligibilität des Künstlersujets als rassisierten und vergeschlechtlichten Subjekt nachgeordnet. Die Rezeption scheint das Selbstportrait so mehr als ›Fahndungsphotographie‹ zu brauchen, denn als Verbildlichungform, die z. B. auf eine reflexive Selbst-Setzung als Künstler in Kunst wie als Individuum wiese. Dabei wird Morimura die Autorschaft dieses Gebrauchs gleichsam so zugeschrieben, dass er die beschreibend aufgesuchten BildKörperDetails absichtsvoll gebrauche oder setze. Doch ist die Rezeption selbst der Ort, an dem sich die Verortung von ethnisch-differenten Künstler/innen als Produktionsform einer Nische erweist, in der sich Verethnisierung, Rassisierung, und Vergeschlechtlichung anders kreuzen als bei als hegemonial verorteten Künstler/innen: Mit der Herstellung der Differenz des Künstlers gerät diese Nische nämlich zum Ort einer raffinierten Mehr-Sichtbarkeit dieser Verortung in der vorausgesetzten Stellvertreter/innenschaft des Künstler/innen-Exemplars. Denn wenn der Künstler nur als Exemplar eines geschlechtlichen und ›rassischen Typusses‹ oder einer Gattung intelligibel zu werden vermag, steht das sujet als Typus gegenüber der traditionellen Singulärität eines Künstler/innen-Subjekts, dessen Position nicht qua kultureller Differenz bereits als randständig, nicht-hegemonial, vorausgesetzt und/oder idealisiert wird. ›Morimura‹ signiert in dieser Verschiebung als (intelligibler) Körper-Typus, ohne an den Ort hegemonial unsichtbarer, kanonischer Autorschaft treten zu können.

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1 Ebenda.

2. UN /SICHTBARE SUJETS

a) (Selbst)Portrait Wie kaum eine andere Form und Aufgabe künstlerischen Tuns lädt das Portrait zu der Frage nach den anthropologischen Konstanten und lädt es zu der uferlos-unbeantwortbaren Frage nach seinen Anfängen und seinen Grenzen ein. Unabweisbar stellt das Portrait die Frage nach dem Körper. Unabweisbar stellt es die Frage nach dem Bild.2 Das Künstler/innen-Selbstportrait hat spätestens mit dem bürgerlichen Portrait gemein, an Konventionen einer Sichtbarmachung des Körpers gebunden zu sein, die als Weise einer bildlichen Subjektkonstitution aufgefasst wird. Dabei richtet es sich zuvorderst in ehrender oder repräsentativer Weise auf das Individuelle und die Identität des Subjekts, indem die Physiognomie zum Bild des Subjekts gerät. Hier signiert gleichsam das Konterfei unabhängig davon, ob tatsächlich signiert wurde oder nicht. Dem Künstler/ innen-Selbstportrait wird dabei die größtmögliche Selbstbestimmung in der Ausgestaltung dieses ›Selbstbildes‹ unterstellt.3 Das Künstler/innen-Selbstportrait stellt deshalb traditionell die Frage nach der Identität, wobei es sich zwischen Selbst-Befragung und einer Inszenierung von Autorschaft bewegt.4 Es gilt somit als privilegierter Ort der Krise oder der Konstitution von selbstbewusster, kritischer, autonomer oder reflexiver Autorschaft, der Konstitution und Reflexion von Identität und des Subjekts,5 aber auch als Ort der Maskerade oder von visuellen Autobiographien,6 wobei zugleich stets die Frage des Bildes aufgeworfen ist. Es handelt sich jedoch um eine spezielle Frage. Rudolf Preimesberger betont als Spezifikum des Portraits »die einmalige Stellung der Mimesis«: 2 Rudolf Preimesberger: Einleitung, in: Portrait. Geschichte der klassischen Bildgattung in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2, hrsg. v. dems., Hannah Baader u. Nicola Suthor, Berlin: Reimer, 1999, 13–61, 61. Während Preimesberger eine Antwort darin findet, Abwesenheit und Tod scheinhaft aufzuheben, versucht das folgende Kapitel die Frage nach Anthropo-Logie und Bildlichkeit weiter zu treiben. 3 Auch wenn beim Portrait die Auftraggeberschaft die Frage des Einflusses aufwirft, geht man zumeist davon aus, dass der/die Künstler/in beim Portrait die letzte Gestaltungsmacht behält. 4 Vgl. dazu: Katharina Sykora: Das Kleid des Geschlechts, a. a. O., 123–152. 5 Das Autonomieideal des Künstlers kritisiert aus postkolonialer Perspektive: Viktoria Schmidt-Linsenhoff in: Ästhetik der Differenz, Bd. 1: Texte, a. a. O., 355. 6 Vgl. zur visuellen Autobiographie Alma-Elisa Kittner: Visuelle Autobiographien. Sammeln als Selbstentwurf bei Hannah Höch, Sophie Calle und Annette Messager, Bielefeld: transcript, 2009.

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Das Portrait »bezieht sich immer auf ein existierendes Element der Realität in Gestalt einer realen Person«,7 wobei dieser Realitätsbezug beim Künstlerselbstportrait stets auch eine Verortung im Ästhetischen, in Stilen oder eine Art Autorpoetologie darstellt. Das Selbstportrait steht folglich in enger Korrespondenz mit der Signatur als Bürge von Identität und der Präsenz der Unterzeichnenden in der kommunizierten Bedeutung. Wie das Künstler/ innen-Selbstportrait soll die Künstler/innen-Signatur das Individuum, seine Position und Bedeutung, sein Sein und seine Präsenz als Künstler im Sinn verbürgen. Für die Kunstwissenschaft nehmen sie damit eine dem Passbild und der Signatur als rechtsgültige Identitäts- und Willensbekundung analoge Stellung ein: Sie wurden als Garanten von Identität und Intention gedacht (die gleichsam einen Vertrag der Betrachtung instantiierten) und gerieten zur privilegierten Anlaufstelle für Identifizierungsbestrebungen. Das Künstler/innen-Selbstportrait könnte man als Ganzbild-Signatur verstehen, da es durch bildliche Verkörperungen an (künstlerischen) Identitätssetzungen arbeitet und hierbei das Interpretationsmodell der auktorialen Signatur aufzurufen vermag. Im Gegensatz zum Anspruch der schnellen Wiedererkennbarkeit an das Passbild erweist sich jedoch für kunstwissenschaftliche Deutungsstrategien der auktorialen Signatur die künstlerische Identitätssetzung als umso produktiver, desto weiter die Polyvalenzen und Heterogenitäten der Identität und der ästhetischen Stellungnahme der künstlerischer Handschrift gefächert erscheinen.8 Die Versuche, die antreten, um Morimura im Selbstportrait habhaft zu werden, erweisen sich als Arbeit an einem Denken, das im Portrait als Bild-Zeichen die bedeutsame Präsenz seines Produzenten denkt. Doch konstituiert in diesem Fall die Deutungsarbeit jene Präsenz weniger als rätselhafte künstlerische Individualität denn als Evidenz eines ethnisch wie geschlechtlich markierten Körpers. In Konsequenz fällt aus diesem Selbstportrait eine auktoriale ästhetische Stellungnahme gegenüber einer einfachsten Mimesis des Körpers aus.

7 Rudolf Preimesberger: Einleitung, in: Portrait, a. a. O., 17. 8 Dass sich ein Individuum durch Bilder als Individuum zu setzen sucht und so identifiziert werden soll, ist dabei keineswegs selbstverständlich. Weder ist diese Praxis des (Selbst)Portraits historisch konstant, noch kann diese Aufgabe ein Bild aus sich selbst heraus leisten. Ohne Betitelung, andere bild-externe Quellen oder ohne den Bezug zu anderen Bildern (Portraits, Selbstportraits, Fahndungs-, Pass- oder Pressebilder) wäre es noch nicht einmal möglich, die Bildgattung zu identifizieren. Ohne das Konzept des Individuums als Subjekt wäre die Bildgattung und ihre Funktion eine andere.

2. U N /SICHTBARE SUJETS

Derridas Denkfigur der »Signatur« hat nun auf der Ebene der Bedeutung dem Gedanken der Selbstpräsenz des Subjekts in der Signatur einen Riegel vorgeschoben, um die Vorstellung dieser Selbstpräsenz auf diejenigen Alteritäten zu verweisen, die sowohl das Funktionieren wie die Möglichkeit des Scheiterns von Bedeutung ausmachen. Ein erster Schritt dazu ist die Kritik an der Vorstellung, in der Signatur werde kompetent im alleinigen Akt des Unterzeichnens und dessen Eintrag in die Signatur das signierende Selbst gesetzt und verbürgt. Das Selbstportrait aufzufassen als Ganzbild-Signatur, die mittels des Körperbildes argumentiert, erfordert, zu reflektieren, dass sie auf der Ebene der Bedeutung dieselben Probleme aufwirft wie die Signatur im Sinne Derridas: Ihr Kontext ist nicht versicherbar. Sie bahnt sich als Zeichen im Spiel zwischen Unterzeichnen und Gegenzeichnen vor dem Hintergrund einer nicht absehbaren Vergangenheit und Zukunft aller möglichen Bedeutungen durch diese. Sie funktioniert in Absenz von Empfänger und Sender, kommuniziert keineswegs aus sich selbst heraus, sondern basiert gerade als Zeichen des Einmaligen auf Wieder-Holung. Die Signatur verbürgt somit in erster Linie Nicht/Präsenz. Insofern kommt dem unterzeichnenden Subjekt keine zentrale Stellung mehr zu (z. B. der Kontrolle der Kommunikation durch die Intention oder bestimmende Kompetenz für den Fortlauf des Zeichengebrauchs), wiewohl es als sujet darin inbegriffen ist.9 Tradiert der Phonologozentrismus die Signatur als Garantie der Einheit von Subjekt und Sinn in der Repräsentation, zeichnet/durchkreuzt Derridas Konzeption der Signatur diesen Fixpunkt der Kommunikation durch die Alterität der Eigenlogik der Schrift. Doch kommt im Bereich der Kunst der Medialität und Materialität der Darstellung eine weitere Rolle zu, als die der belanglosen Trägerschaft dieser schriftlichen Eigenlogik.10 Hier ist nach Signaturen der Alterität zu fragen, die im Hervortreten derjenigen Unfüglichkeiten von Medialitäten und Materialitäten sich gleichsam als unter/vor der différance der Schrift liegend im Auseinandertreten des Sinns zeigen. Sie treten als Störungen diskursiver Glättungen auf, womit sich dieses Kapitel später befassen wird. Hier interessiert zuerst die Frage der Verortung der Autorschaft Morimuras innerhalb der Tradition des Künstler/innen-Selbstpor9 Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O., 15–45. 10 Vgl. zur Kritik an einer solcher Negierung der Medialität und Materialität der Schrift im Zuge eines Denkens ihrer reinen Zeichenhaftigkeit: Dieter Mersch: Einleitung: Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O., 12. Derrida denkt die Medialität der Schrift demnach ebenso wie die Semiologie weiterhin allein als entmaterialisierte Zeichenhaftigkeit. Vgl. dazu: Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 163 ff.

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traits. Diese findet – so die These – in problematischer Differenz zu der Konzeption der Setzung hegemonialer Autorschaft im Künstlerselbstportrait statt. Konventionell gilt der Autor als weiß, männlich, als ›Quelle des Sinns‹, als mit schöpferischer, bildprägender und sinnstiftender Macht ausgestattet sowie als eine euro-amerikanische Hegemonie bestätigende Norm. In der Rezeption der Actresses wird reflexiv, wie das Wissen um den ›Autor‹ und der Sinn des Werks sich gegenseitig konstituieren, was auch dort nicht aufgegeben werden kann, wo in Wissenspolitik/Subjektpolitik interveniert werden soll. Ambivalenzstrategien des Selbst im Selbstbild werfen besondere Schwierigkeiten da auf, wo das kompetente Subjekt als Voraussetzung für (erfolgreiche) Politik unabdingbar zu sein scheint – wobei ›der Künstler‹ traditionell (gleichsam als Prototyp des Subjekts) ein besonderes Freiheits- und Kompetenzversprechen zu bergen scheint.11 ›Der Künstler‹/die auktoriale Signatur verspricht folglich eine Deutbarkeit, d. h. die Möglichkeit, Ambivalenzstrategien in eine politische Deutung auktorialer Strategien zu überführen, um entweder eine virtuose künstlerische Kritik an Autorschaft durch Autorschaft auszumachen oder um diese kritisierbar zu machen. Eine Reflexion auf die Subjektivationseffekte sowie auf die exkludierenden Besetzungen von Autorschaft als künstlerische Autorisierung bedarf deshalb einerseits weiterhin dringend Gesten der Autorisierung. Andererseits ist die Voraussetzung des Künstlers/der Künstlerin als diskursiv ortbares Subjekt vonnöten, welche sich in dieser Autorisierung stets (mehr oder minder modifiziert) wiederholt. Insofern erweist sich eine reflexive Ambivalenz nicht notwendig als De-Autorisierung, sondern verbleibt in einem problematischen Bereich, der kritisch auf den/die sich autorisierende/n Künstler/in zurückgewendet werden kann. Die »Autorfunktion« 12 reguliert, richtet, zentriert und limitiert somit weiterhin die Möglichkeiten der Deutung, scheidet das Sagbare und Nicht-Sagbare sowie die Weisen der Bezugnahmen in gültige und nicht gültige und damit ihre Geltungsweise.13 Ein männlich hegemonialer 11 Vgl. auch den Teil A Kunst/Wissenschaft vor der Kunst/Wissenschaft in dieser Arbeit zur Kritik an der Arretierung und Eliminierung von Ambivalenz durch die Konstitution von Autor/innen. 12 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015. 13 »Die Autor-Funktion ist charakteristisch für die Existenz-, Zirkulations- und Funktionsweise bestimmter Diskurse innerhalb einer Gesellschaft«, ebenda. Es bedarf deshalb an beachtlichen Legitimationsaufwand, bei der Arbeit mit der Kunst japanischer Künstler/innen z. B. nicht zuerst ›den japanischen Kontext‹ zu thematisieren. Kümmert man sich nicht um den schwedischen, scheint dies ganz natürlich zu sein. Der ›japanische Kontext‹ wird als gegeben und sinn-

2. UN /SICHTBARE SUJETS

Künstler kann seine diskursive Position nicht einfach wechseln, so lange man sich forciert auf auktoriale Strategien kapriziert. Dies zeigen beispielsweise die Schwierigkeiten, Joseph Beuys’ Schamanismus 14 oder Marcel Duchamps ironische Selbstpositionierungen in feministische oder postkoloniale Projekte zu verwandeln.

Auto(r)-Portraits Irit Rogoff macht für Künstler-Selbstportraits um 1900 darauf aufmerksam, dass hegemoniale Autorschaft darauf basiere, dass ihre inhaltliche Besetzung durch heteronormale Männlichkeit unmarkiert sei. Ihre auktoriale Hegemonie erhalte sich »durch die Fähigkeit, selbst außer Frage zu […] und außerhalb der Formulierungen der Sprache« 15 zu bleiben: konstitutiv vorausgesetzt. Er naturalisiert Bedeutung und legt Alterität auf auktoriale kulturelle Differenz fest. Zu solchen diskursiven Naturalisierungseffekten gehört auch die gesamte Erwartungshaltung an die Bearbeiterin dieses Themas, z. B. in den vielfachen Bemerkungen an mich, im Stile von: ›Dann sind Sie ja im japanischen Nudelrestaurant am richtigen Ort‹. Die Abwehr solcher Zuschreibungen an mich durch die Frage: ›Wieso?‹ wurde regelmäßig damit pariert, die Aussage mehrfach mit wachsender Betonung auf ›japanisch‹ zu wiederholen. Man nahm an, ich hätte den Hinweis auf Japan nicht verstanden. Regelmäßig folgte als erste Frage auf die Beschreibung meines Dissertationsthemas durch: ›Ich beschäftige mich mit Signaturen der Alterität anhand der Arbeiten eines international bzw. global tätigen, japanischen Gegenwartskünstlers‹ die Frage, ob ich denn auch Japanisch könnte. Uninteressant schien: ›Was ist Ihre Konzeption von Signatur? Was bedeutet in diesem Zusammenhang Alterität? Oder: Welcher Künstler? Was macht dieser Künstler?‹ 14 Schnürt sich etwa Joseph Beuys in einer seiner Aktionen ein Schamdreieck aus Stoff um (Position Gazefilzdreieck in der Aktion Hauptstrom, FluxusAktion zusammen mit Henning Christiansen, 10. März 1967), so erscheint dies Adaptierung der Scham durch einen männlichen Künstler, die unvermeidlich dazu führt, dass für Birgit Haehnel nur die intentionale Einverleibung von »männlich definierten Formen von Weiblichkeit« lesbar werden kann. Vgl. dies.: Regelwerk und Umgestaltung, a. a. O., 145. Beuys vermag ihr zufolge nicht anderes als »ein alternatives omnipotentes Männlichkeitsbild« (ebenda, 143) zu entwerfen, das »Weiblichkeit in eine männliche Eigenschaft« (ebenda, 155) transformiere. Wiewohl Haehnel mit der Intention Beuys’ Recht haben mag, ist es erstaunlich, wie sehr sie (im Verein mit dem Gros der Beuys-Rezeption) übersieht, dass das kleine Stoffschürzlein am Schamanen schon in sich eine gewaltige Ironisierung dieses Gestus durch eine höchst unvollkommene Einverleibung von Weiblichkeit darstellt. Die kritisierte Autorisierung Beuys wird so durch die Kritik an ihr letztlich nur potenziert. 15 Irit Rogoff: Er selbst – Konfigurationen von Männlichkeit und Autorität in der deutschen Moderne, in: Blick-Wechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und

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Es ist eine Identität, die sich stetig bemüht, ihre zentrale Position in der Kultur zu behaupten, und zugleich sich der eigenen Abwesenheit versichert, um nicht Gegenstand des Diskurses zu werden.16

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Diese Unmarkiertheit zeige sich auch in der Gattung des Selbstportraits, die eigentlich ja dazu dient, Künstlertum ins Bild zu setzen, sprich ihm eine Sichtbarkeit zu geben: »Selbstportraits männlicher Künstler sind zum akzeptierten Standard im Bild ›des Künstlers‹ geworden, ohne daß dabei das Geschlecht oder irgend eine andere Form der Differenzierung [wie z. B. Ethnizität, M. F.] eine Rolle spielte.« 17 Die Einnahme einer Randstellung oder einer Krisenhaftigkeit des Künstlers im Selbstportrait zeitige in diesem Rahmen weiterhin stabilisierende Effekte, die wirklich differente Positionen, auch in der Darstellung, ausschließen. Dass die Herstellung auch hegemonialer Männlichkeit in ihrer vermeintlichen Unmarkiertheit in einem komplizierten, diskursiven Prozess verläuft, der in steter Abgrenzung von Abweichungen (d. h. in Markierungen, die sich als Abweichungen allererst konstituieren) die Norm re-produziert,18 ist inzwischen vielfach beschrieben worden, ebenso wie diejenige Praktiken der Kunst, welche solche Produktionen durch die Thematisierung von Differenz selbst wieder markieren.19 Rogoff verfolgt diese Effekte der Nicht/Sichtbarkeit des auktorialen Subjekts der Kunst als Kreuzung, in der sich hegemoniale, weiße, heteronormative Männlichkeit im Selbstportrait und die diskursive »Autor-Funktion« 20 bestätigen. Um so die diskursive Präparierung von Autorität im Verweis auf andere Bilder und in der Markierung oder Signierung einer jeweiligen Kultur verfolgen zu können, ist es notwendig, Bilder als diskursiv aufzufassen und zu gebrauchen. Die kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Autorschaft meint in der kritischen Thematisierung solcher ›Unsichtbarkeiten‹ weiterhin eher Unsagbarkeiten. Sie interessieren sich für die im Künstler-Diskurs verhandelten Inhalte und weniger dafür, dass ihr, wie letztlich jeder, Bezug auf Autorschaft auch einen Autor/ eine Autorin als Gegenstand wie auch als regulierenden EnuntiWeiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte, hrsg. v. Ines Lindner, Sigrid Schade, Silke Wenk u. Gabriele Werner, Berlin 1989, 21–40, 21. 16 Ebenda. 17 Ebenda, 22. 18 Vgl. dazu exemplarisch Melanie Ulz: Auf dem Schlachtfeld des Empire, a. a. O. und: Katja Wolf: Zum Sterben schön, a. a. O. 19 Über die Vorgenannten hinaus vgl. dazu Nina Trauth: Maske und Person, a. a. O. 20 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015.

2. U N /SICHTBARE SUJETS

ationsort des Diskurses hervorbringt und benötigt. Unproblematisiert bleibt, dass die »Autor-Funktion« 21 nicht allein zur diskursiven Inklusion und Exklusion dient, sondern wesentlich dazu, überhaupt Wissen durch die Produktion eines solchen sujets zu errichten. Die Funktion dieses sujets liegt nicht nur in der inhaltlichen Besetzung von Hegemonie, sondern auch darin, die Brüche zwischen divergenten Medialitäten und Materialitäten, sowie Brüche im Diskursiven selbst zu verkitten.22 Mit anderen Worten: Dass ein Aspekt der von Foucault analysierten »Autor-Funktion« 23 in der gleichzeitigen Homogenisierung und Begrenzung des Wissens besteht, bleibt demnach (durchaus zu Recht) außen vor, um innerhalb der Subjektpolitik den Lauf des Diskurses umzuarbeiten. Dies hat jedoch seinen Preis, da dies die Politik des Subjekts nicht auf lösen wird, sondern lediglich in ihren Inhalten modifiziert.24 Es geht somit nicht um eine wesentliche Störung der diskursiven Parameter, sondern um ihre Erweiterung. Als Operation im Diskursiven thematisiert diese Form der Kritik die Sichtbarkeit von Kunst oder das diskursive Funktionieren selbst innerhalb des Diskursiven. Der Fokus darauf, wie Teilhabe produziert, ausgeschlossen und verortet wird, mündet darin, zirkulär vorausgesetzte kulturelle Orte zu re-produzieren, selbst wenn es um die Einführung ausgeschlossener Positionen (z. B. die differenter Künstler/ innen) geht. Wenn diese gleichsam verbotene Orte durch Autorisierungsgesten wie das Selbstportrait erfolgreich zu erobern scheinen, aktualisiert sich der grundsätzliche Verdacht gegenüber jeder Autorisierungsgeste, um denjenigen Künstler/innen angelastet zu werden, die zugleich in Differenz dazu gesetzt werden. Auf diese Weise hat Viktoria Schmidt-Linsenhoff ›Yasumasa Morimura‹ in ihrer Auseinandersetzung mit seiner Arbeit Doublonnage (Marcel) (1988) (Abb. 47) als Konstitution differenter, männlicher Autorschaft charakterisiert. In Doublonnage (Marcel) stellt Morimura Man Rays Photographie von Marcel Duchamp als RRose Sélavy (1920/21) nach. Dabei ist der Abzug im Maßstab (wie für Morimuras Vorgehen beinahe üblich) stark vergrößert,25 in 21 Ebenda. 22 Das Diskursive meint hier nicht mehr als eine an die Sprache gebundene Praxis der Reihung von Argumenten, auch wenn Foucaults Begriff des Diskursiven dagegen mehr, z. B. auch die Institution, umfasst. 23 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015. 24 Die hat Michel Foucault selbst explizit diskutiert, vgl. ders.: Die fröhliche Wissenschaft des Judo, a. a. O. 25 Der Abzug Man Rays misst 21,6 x 17,3 cm (Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert), die Arbeit Morimuras 149,86 x 120,65 cm (Auskunft von Luhring Augustine).

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Farbe ausgeführt und Hut und Arme sind gegenüber dem Vorbild gleichsam verdoppelt. Das Gesicht hinterlässt einen ähnlich anaturalistischen, angestrichenen Eindruck, der an malerisches Inkarnat denken lässt, wie beim Bauch der Nachstellung der Olympia in Portrait (Futago) (Abb. 42) aus demselben Jahr. Es scheint, als ob weiße Schminke auf einen dunkleren Grund aufgetragen sei. Die beiden Armpaare weisen demgegenüber noch jeweils andere (Haut-)Farbigkeiten auf, wobei ein Hell-Dunkel-Kontrast stark her vortritt. Bereits Stohler hat diese Arbeit mit einer Reflexion der Autorfigur Marcel Duchamp als paradoxen ›Übervater‹ einer Dekonstruktion künstlerischer Autorität 26 und mit der Frage ethnischer Differenz in Verbindung gebracht:

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Abb. 47: Yasumasa Morimura: Doublonnage (Marcel) (1988).

2. UN /SICHTBARE SUJETS

Duchamp entwarf sich ein alter ego als Frau — Morimura bringt neben der weiblichen Identität zusätzlich die Frage nach der Echtheit der Hautfarbe mit ins Spiel und weist dadurch auf seinen anderen ethnischen Hintergrund hin.27 Wie Stohler, der unter der Schminke den echten Teint Morimuras vermutet (»sein echter, dunkler Teint schimmert deutlich erkennbar durch«),28 betont Schmidt-Linsenhoff eine Transparenz der Maskerade. Sie identifiziert darin zudem einen hoffnungsfrohen Überbietungsgestus Morimuras gegenüber ›Duchamp‹, der sich als »vielversprechende[r] Auftakt zu einem postkolonialen Künstlermythos« 29 beinahe überbiete: Morimura überbietet die sexuellen Grenzüberschreitungen des Übervaters durch Verdoppelung und Ethnisierung seiner Alterität. Die Hüte und Arme und weiße Schminke auf dunkler Haut bieten eine mehr als durchsichtige Maskerade, die niemanden täuschen will und dennoch nicht das wahre Geschlecht und die wirkliche Hautfarbe des japanischen Künstlers in seinem Selbstbildnis zu erkennen gibt. Morimuras kräftige, dunkle Hände umfassen die kleinen, bleichen Damenhände Duchamps und unterwerfen das euroamerikanische Vorbild seinem starken, künstlerischen Willen.30 Während Stohler demgegenüber an Doublonnage (Marcel) eine Differenz von ›echten, dunklem Teint‹ und weißer Schminke benennt, hält er doch die ›Zurechnung‹ der Arme in Doublonnage (Marcel) für schwierig.31 Höchst fraglich zumindest dürfte die Anwesenheit von Marcel Duchamps »kleinen, bleichen Damenhände[n]«

26 Indem Duchamps alter ego RRose Sélavy im Aufgriff von Weiblichkeit dazwischen oszilliere, das hegemoniale Gendering des Künstlers auszuweisen und zu unterlaufen, produziere er die patriarchale Bedeutung Duchamps als Übervater postmoderner Autorschaftskritik. Diesem Paradox und seiner Produktivität geht Amelia Jones, auf die sich auch Stohler bezieht, ausführlich nach. Vgl. dies.: Post-Modernism and the En-gendering of Marcel Duchamp, Cambridge u. London: Cambridge Studies University Press, 1995, insbes. 29, 30 u. 210. 27 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 28 Ebenda, unpaginiert. 29 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O., 111. 30 Ebenda, 110. 31 »Dabei ist schwer zu unterscheiden, welche Arme nun Morimuras eigene sind, vielleicht sind es sogar beide Paare«, Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert

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im Bild sein,32 und mehr noch das Ethnizitäts-, Geschlechter- und Kräfteverhältnis, das Schmidt-Linsenhoff in Morimuras Arme legt, während sie im selben Zug auf die Unsichtbarkeit des »wahren Geschlechts« und der »echten Hautfarbe« beharrt und den dunklen Teint Morimuras durch die weiße Schminke scheinen sieht. Man kann nur darüber erstaunen, dass und wem hier Hände zugeordnet werden, sprich: wie hier Hände geschieden werden. Die Verführungskraft des ›Künstlermythos‹ scheint an dieser Stelle stärker zu sein als eine Bildanlage, die solche Zurechnungen stark fraglich macht, da kein Armpaar eindeutig einem Körper zugehört.33 Alle Arme könnten prothetisch sein,34 noch eher stammen sie von (mindestens einem) ansonsten unsichtbaren Dritten. Wieder äußert sich japanische Ethnizität in der Rassisierung von Körperteilen, wobei hier asiatische Haut als dunkel statt (wie konventionell) als gelb lanciert wird. Die Polyvalenz eine photographischen ›Inkarnates‹, das mit weißem ›Anstrich‹ und dreierlei Teints (Gesicht, Arme ›a‹ und Arme ›b‹) spielt, ist auf eines oppositionelle Binarität reduziert, die eine Ordnung parallel zum Geschlecht erlaubt. Für diese Einordnung der Selbstportraits Morimuras in autorisierende Künstlerselbstportraits vermag signifikanterweise nicht die Serie Selbstportrait (Actress)/After … einzustehen, sondern eine der (wenigen) Arbeiten Morimuras, die den von Rogoff ausgeführten diskursiven Verweisungszusammenhang auf andere Künstlerselbstbildnisse aufweist. Als ehrendes Selbstportrait, das einen »postkolonialen Künstlermythos« 35 begründet, kann diese Photographie nur darüber lanciert werden, dass photographische Körperteile die rassisierte und geschlechtliche Identität des Künstlers indizieren – selbst wenn behauptet ist, dass diese zugleich nicht zu erkennen sei. Der beschriebene Triumph des postkolonialen Künstlertums gegen den ›Übervater‹ in Drag, beruht darauf, dass

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32 Schließlich wurde die Aufnahme 1988, d. h. 20 Jahre nach Duchamps Tod 1968 erstellt. 33 Schmidt-Linsenhoffs Abbildungen zeigt Morimuras Arbeit außerdem seitenverkehrt, so dass des die daneben gezeigte Vor-Bild zu spiegeln scheint. Vgl. Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a  a. O., Bd. 2: Abbildungen, 59, Abb. 116 u. 117. 34 In der Ausstellung A Story of M’s Self-Portraits im Kawasaki City Museum, 2002, wurden zu verschiedenen Arbeiten Morimuras auch eine ganze Bandbreite an Hilfsmitteln ausgestellt, u. a. künstliche Gliedmaßen und eine lebensgroße ›Morimura-Puppe‹ (von ca. 1,62 Höhe), die z. B. in Self-Portrait (Actress)/ After Ingrid Bergmann 1 (1996) zum Einsatz kam, um Morimura als Humphrey Bogart ins Bild zu setzen. Vgl.: The Sickness Onto Beauty., a. a. O., unpaginiert, Abb. 18. 35 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, a. a. O., 111.

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Ethnizität, Geschlecht und ›Rasse‹ in einem höchst wertbeständigen ›Währungssystem‹ beständig zwischen Authentifizierung und De-Authentifizierung so umzumünzen sind, dass sie sich stets auszuzahlen vermögen, egal ob sie rein zeichenhaft behandelt werden oder ob sie einem Körper zugerechnet werden. Die Behauptung, dass ein eigentlicher rassisierter wie geschlechtlicher Körper unsichtbar sei, die argumentative Operation, diese Unsichtbarkeiten dennoch an vorphotographische Körper/Identitäten zuzurechnen, ein Zeichengebrauch, der ermöglicht, im Bild die Unterschiede von weißer Schminke zum darunterliegenden (und eigentlichen) dunklen Teint zu phantasieren – all dies arbeitet gleichermaßen dem Kredit der kunstwissenschaftlichen epistemischen Strategie der auktorialen Signatur zu. Problematisch wird an dieser Stelle nicht der Versuch, einen anderen Künstlermythos in der Be-Deutung von Bildelementen als Zeichen von/für Ethnie/›Rasse‹ und Geschlecht zu gründen. Deutlich ist hier der Künstler-Mythos Ort eines Triumphes, der das Andere (in diesem Fall Marcel Duchamp) in alten geschlechtlichen Metaphern überwältigt, um als Überbietung von Vor-Bildern bekannte Motive eines Künstler-Wettstreites zu re-aktivieren. Allein operiert ›er‹ diesmal vom Ort einer angenommenen Differenz aus.36 Das Problem des Ummünzens wirft dabei vielleicht schon der Titel Doublonnage auf, der, darauf hat Peter Stohler hingewiesen, zum einen auf die Bezeichnung für eine spanische Münze mit rein relationalem Wert zurückgeht.37 Als fehlerhafter Doppelsatz in der Druckkunst könnte der Titel jedoch vielleicht auch auf die Chancen und Gefahren einer Verdoppelung von Stereotypen verweisen, deren Etymologie auf die frühe Drucktechnik zurückgeht. Denn nach Sander Gilman und Homi K. Bhabha werden Stereotypen genau dadurch funktional, dass sie als inakkurate Repräsentatio36 Vgl. zu ähnlichen Wettstreiten der Künste Katharina Sykora: Paragone. Selbstreflexivität im vorfilmischen Bild, in: Im Spiegelkabinett der Illusionen. Filme über sich selbst, Arnoldshainer Filmgespräche 13, hrsg. v. Ernst Karpff, Doron Kisel u. Karsten Visarius, Marburg: Schüren, 1996, 30–56. Schon Ernst Kris und Otto Kurz verweisen darauf, dass der Künstlerwettstreit Teil der heroisierenden Legendenbildung ist, vgl. Ernst Kris und Otto Kurz: Die Legende vom Künstler, a. a. O., 118 ff. 37 »Das französische Wort doublon, von dem sich der Titel ableitet, bedeutet einerseits im Drucker-Jargon ›répétition erronnée d‹un mot, d‹une ligne‹ (fehlterhafter [sic] Doppelsatz), andererseits verweist der Begriff auf eine spanische Münze des 17. Jahrhunderts, die nicht einen absoluten, sondern einen relativen Wert besass.« Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert, Anm. 244; Stohler zitiert: Larousse de la langue française, Paris: Larousse, 1977, 550–555.

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nen ein Gleiten in jede Richtung ermöglichen.38 Hiermit zeigt sich deutlich, dass, wenn es um stereotypisierte Körperbilder geht, ein Rekurs auf Maskerade schlecht begründet ist. Der Übertrag einer Maskerade-Theorie, die dem Geschlecht selbst den naturalisierten physiologischen wie psychologischen Grund entziehen soll, indem sie aus einer psychoanalytischen Zeichentheorie auf die Arbitrarität der Beziehung von Signifikant und Signifikat hinweist, um durch Denaturalisierung eine vielfältige und distanzierte Möglichkeit von Identifikationen einzuführen, verliert in Bezug auf stereotype Körperbilder dann ihr kritisches Potential, wenn deren Funktionieren genau auf einer so denaturalisierten Beziehung beruht. Stereotypen zurren Differenz letztlich gerade durch die Möglichkeit des steten Ummünzens ihrer Besetzungen fest. Da für Selbstportraits ein auktoriales Modell der verrätselnden Selbstsetzung angelegt wird, münzt sich hier auch eine Tradition der kunstwissenschaftlichen Legendenbildung vom künstlerischen Schöpfungsakt, der an die Konstitution kunstwissenschaftlicher Verfahren geknüpft ist, in kunstwissenschaftliche Körperexpertisen um. Denn kunstwissenschaftliche Kennerschaft konstituiert und nobilitiert sich traditionell über die Kenntnis der künstlerischen ›Handschrift‹ oder des künstlerischen Stils, welche einem Künstlersubjekt, sei es ein Individuum, sei es eine Schule, zugeschrieben werden muss. Kennerschaft bedarf, wie Maike Christadler beschreibt, eines Schöpfers, dessen Erkenntnis und Distinktion den Grundstock ihres Wissens bildet: Der Schöpfungs-Akt des Künstler-Autors manifestiert sich im Bild in der individuellen ›Handschrift‹: seine maniera macht die Autorschaft des Künstlers sichtbar – zumindest für den conossoir. Die Distinktion des schöpferischen Individuums anhand seines Stils, seiner ›Handschrift‹, war über lange Zeit die vornehmliche Aufgabe der Disziplin Kunstgeschichte […].39 264

In dieser Praxis, die sich auch auf die faktische Signatur richtete, wurden, wie Barbara Paul ausführt, über die Differenzierung und Figurierung des Künstlers »im Rahmen der symbolischen Ordnung patriarchale und koloniale Machtverhältnisse stabilisiert«,40 38 Vgl. zum Stereotyp: Sander L. Gilman: Difference and Pathology. Stereotypes of Sexuality, Race, and Madness, Ithaca u. London: Cornell University Press, 1985. Sowie Homi K. Bhabha: The Location of Culture, a. a. O., 66–84. 39 Maike Christadler: Kreativität und Genie: Legenden der Kunstgeschichte, in: Kunstgeschichte und Gender, a. a. O., 253–272, 264. 40 Barbara Paul: Kunstgeschichte, Feminismus und ›Gender Studies‹, in: Kunstgeschichte. Eine Einführung, 6. überarbeitete Auflage, hrsg. v. Hans Belting,

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insofern ›Handschriften‹ ausschließlich als mehr oder minder virtuose Schöpfungsakte kanonisiert wurden. Innerhalb dieser kanonischen Hierarchisierungen und Exklusionen wurde ›Handschrift‹ nicht nur an Individuen, sondern an kulturelle Kollektivitäten, wie z. B. bei der sogenannten primitiven Kunst, zugeschrieben, was in der Moderne die Teilhabe am Kanon verhinderte resp. erschwerte, da sich dieser um individuelle Autorschaft zentrierte. ›Handschrift‹, Stil und Stilus des schöpferischen Individuums stellen hiermit auktoriale Signaturen da, die als eine wesentliche Grundlage für kunstwissenschaftliche Interpretation 41 insofern Hierarchisierungen zeitigen, als nur die Knüpfung an ein absichtsvolles schöpferisches Individuum kanonisierenswert erscheint. Münzt die Rezeption der Actresses ihre ›künstlerische Handschrift‹ in eine Art Körperschrift der Ethnizität um, die, da sie Naturalisierungen nicht zu vermeiden vermag, letztlich den Umfang der künstlerischen Schöpfung an einer Faktizität des Künstlerkörpers limitiert, dann unterscheidet sich diese Signatur wesentlich von einer auktorialen Signatur, die ihr Ideal in der kompetenten Setzung des Selbst im Selbstportrait findet. Wenn die postkoloniale Kunstwissenschaft versucht, Handlungsmöglichkeiten innerhalb des Kanons dadurch zu eröffnen, dass sie Selbstbestimmung im Visuellen an die Möglichkeit der kompetenten Selbstsetzung, z. B. im Selbstportrait, knüpft, dann hat sie aber, um Inklusion und Exklusion im Selbstportrait zu problematisieren, auch die Kompetenz dieser auktorialen Signatur einzufordern. Insofern vertreten auch Rogoffs und Schmidt-Linsenhoffs Konzeptionen des Selbstportraits zugunsten der Autorschaftspolitik eigentlich die Kompetenz der auktorialen Signatur: Künstler deklarieren ihr Werk als abgeschlossene Arbeit und Bedeutungssetzung. Der sinnhaften Urszene dieser Setzung ist diesem Modell zufolge nachzugehen. Denn sie markiert nicht nur den maßgeblichen Moment der Produktionsästhetik; die kompetente auktoriale Signatur bestimmt auch alle möglichen, darauf folgenden Einsätze Heinrich Dilly, Wolfgang Kemp u. Willibald Sauerländer, Berlin: Reimer 2003, 297–328, 317. 41 Dies gilt zumindest, sobald es um Subjekte oder Bedeutung geht. Die Morelli-Methode der Zuschreibung richtete sich gerade auf die Aspekte der Malerei, die den Malenden unterlaufen – Autorschaft offenbarte sich gleichsam im Lapsus der Pinselstriche und Formgebungen von ›Nebensächlichkeiten‹ im Bild. Dieses Interesse floriert jedoch vornehmlich im Bereich der Zuschreibung, weniger in dem der Interpretation. Bedeutung der Kunst wird für die Kunstwissenschaft weiter nach dem Modell des kompetenten Künstler-Schöpfers beschrieben, selbst da, wo es um ›seine Körperteile‹ geht: Sie werden bewusst, absichtlich gezeigt.

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des Werks in der Rezeption. Das Werk ist somit nicht nur zeitlich, materiell, inhaltlich und als Bedeutung in sich abgeschlossen; in dieser Schließung liegt auch die Determination des Werksinns. Abweichungen hiervon werden als Fehlinterpretation, als ideologische Hierarchisierung oder als Tilgung der Stimme kritisiert, die die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Teilnahme an der Bedeutungsproduktion in der Kunstöffentlichkeit und ihre Anerkennung beschneiden. Die Voraussetzung des Subjektsujets bestimmt das sujet (Thema, Gegenstand) – die Rezeption hat diese zu restituieren.

Voraus-Setzung des sujets

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Nur das Wissen um Duchamp als männlicher, euro-amerikanischer ›Künstlermythos‹ und Morimura als nicht-euro-amerikanischer Künstler ermöglicht es, die jeweiligen Selbstsetzungen von RRose Sélavy/Duchamp und Doublonnage (Marcel)/Morimura bedeutsam voneinander abzugrenzen. Im kunstwissenschaftlichen Gegenzeichnen dieser Autorisierungsakte wird so auch jene Differenz re-reproduziert, was Duchamp umso mehr als patriarchale Figur festzulegen droht. Nicht nur ist diese Autorschaftspolitik gezwungen, am Akt kompetenter Sinnschöpfung festzuhalten, da dies als Voraussetzung dafür aufgefasst wird, in Bedeutungspolitik eingehen zu können; außerdem ist hierzu eine gewisse ›Körperkriminalistik‹ anzulegen, die letztlich re-ethnisiert. Nun liegt in dieser Sichtbarmachung/Thematisierung weißer, männlicher Hegemonie überhaupt erst die Möglichkeit zur Kritik. Die Motive, Versprechen und Ansprüche des Künstlertums können nur thematisch gemacht werden, indem man eine Nicht-Bezeichnung der ›Norm‹ zugunsten der Markierung und Sichtbarmachung von Abweichung so umwendet, dass eine akribische Analyse der Norm, den Differenzierungen und Spielräumen innerhalb dieser Nicht-Markierungen differenziert nachgeht.42 Auch wenn so polyvalente Differenzen angestrebt sind – notwendig sind dazu vergleichende Entgegensetzungen von Künstlerselbstportraits, die sie als diskursive Figurierungen von Künstlertum lesen, um wiederum hierarchisierende Urteile zu treffen. 42 Vgl. zu einem Überblick der Positionen im Feld der Theorien des Post/ Kolonialen: Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Weiße Blicke. Bild- und Textlektüren zu Geschlechtermythen des Kolonialismus, in: Weiße Blicke, a. a. O., 8–18; u. allgemeiner zur Männlichkeitsforschung in der Kunstgeschichte: Marianne Koos u. Mechthild Fend: Einleitung, in: Männlichkeit im Blick, a. a. O., 1–13.

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Sofern man diesen Selbstsetzungen Kompetenz so unterstellt, dass ihre vorausgesetzte Intention, biographische Verortung und/ oder Ursprünge in der (zugleich dementierten) Identität des Künstlers liegen sollen und deshalb dazu einladen, diese Aspekte zu verfolgen, sind darüberhinaus die Zuschreibungsverfahren der eigenen Wissensproduktion dadurch unsichtbar gemacht, dass das sujet vorausgesetzt wird. Es ist diese Voraus-Setzung des Subjektsujets in der epistemischen Strategie der auktorialen Signatur, die den Bezug zwischen Bild und Person beim Selbstportrait ebenso fraglos naturalisiert, wie sie eine künstlerisch-politische Kompetenz des Portraits als ›Bild-Aussage‹ impliziert. Differenzen zwischen Künstler, Diskurs und Bild werden eingezogen, indem das Selbstportrait bruchlos als Zeichen des Selbst aufgefasst wird, an dem in einer Variante der ›Händescheidung‹ z. B. Arme und Hautfarben als vermeintlich harmlose Referenzen auf rassisierte und geschlechtliche Differenzen dem Künstlersujet zuzurechnen sind. Wenn also auch die Besetzungen der ›Norm Künstler‹ angezweifelt werden, werden die an diese Norm und Funktion geknüpften Erkenntnisverfahren und die Gründung in Subjektpolitik unhinterfragt fortgesetzt.43 Erhalten bleibt das Versprechen, dass das Künstlersubjekt alternative Subjektentwürfe bereitstelle 44 und das Versprechen, dass das Subjekt ein Exempel politischer Freiheit stelle, indem es Bedeutung erlangt: 45 43 Ausnahmen bilden hier Studien, die das Funktionieren von Autorschaft selbst in den Blick nehmen, wie z. B. zuerst: Ernst Kris und Otto Kurz: Die Legende vom Künstler, a. a. O.; und neuerdings: Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O.; sowie: Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O. 44 Diesen Aspekt beleuchten sowohl Heinz Knobeloch als auch Sabine Kampmann auf ihre diskursive resp. kommunikative Produktivität hin, vgl. Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., insbes. 13; sowie: Sabine Kampmann: Künstler sein, a. a. O., insbes. 65; sowie Isabelle Graw: Das war vor Jahren, a. a. O. 45 Hinterfragt wurde Letzteres u. a. von Judith Butler mit Bezug auf die Foucaultsche Subjektkritik und die Derridasche Ethik. Vgl. den für diesen Zusammenhang insbesondere relevanten Aufsatz, da er sich auf eine Ethik der Lektüre richtet: Judith Butler: Für ein sorgfältiges Lesen, in: Seyla Benhabib, dies., Drucilla Cornell u. Nancy Fraser: Der Streit um Differenz. a. a. O., 122–132. Mit der Ethik des sorgfältigen Lesen wird hier das Denken des Subjekts als Zentrum und Ursprung der Politik in Frage gestellt. Zugleich ist einzuwenden, dass in der Butlerschen Philosophie die durchweg zentrale Diskussion des Zusammenhanges von Bedeutungspolitik, Subjekt(konstitutionen) und Handlungsfähigkeit (agency) stets den Backlash eröffnet, über die Problematisierung des Subjekts zu seiner Zentrierung als Souverän zurückzufinden, z. B. als Analyseobjekt, dessen Handlungsfähigkeit gegen jede Vorab-Positionierung durch die Anrufung (Althusser) souverän durchbrochen wird.

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VER /HANDLUNGEN VON SIGNIFIKANZ

Es ist das Bild des Urhebers, das hier seine vertrauten Konturen erhält, jener schöpferischen Instanz, die ihre besonderen Talente (erfolgreich) zur Lösung der Innovationsprobleme einsetzt; zugleich aber auch das allgemeinere Konzept des autonomen Individuums, das in der Lage ist, sein eigenes Selbst willkürlich zu gestalten […].46

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Der Einzug einer Reflexionsebene des Themas ›ethnisierte Differenz‹ über das Köperbild hat Auswirkungen auf die Konstitution künstlerischer Kompetenz, die als bewusste, intentionale und verfügende Bedeutungssetzung konzipiert ist. Denn während Morimura für die Rezeption angeblich »bewusst« 47 »ethnische[…] Differenz« 48 so ausstelle, dass »seine Inszenierung« »den Blick geradezu auf diese Merkmale« 49 lenke, erweist sich das, was als der auktorialen Verfügungsmacht unterstehend geschildert wird, zugleich als Grenze der Inszenierbarkeit. Die absichtsvolle Ausstellung ethnisierter Differenz durch rassisierte Marker von Ethnizität wird zugleich als intentional und als ›seiner‹ Verfügungsmacht entzogen hervorgebracht, denn der auktoriale Körper wird als Effekt der Prozesse und Entscheidungen konstituiert, die in einer Art ›Rassen- und Geschlechtskriminalistik‹ der Rezeption ablaufen. Diese sieht sich zwar durch Morimuras photographische Serien eingeladen, im »offengehaltene[n] Prozeß des Abgleichens von Ähnlichkeit und Differenz«,50 »merkwürdige[n] Einzelheiten«51 nachzugehen, und immer wieder aufs Neue einen »zweiten, prüfenden Blick auf das Bild zu werfen«.52 Doch ist es zuvorderst die Deutung, die in immer neuen/alten Blicken anstrebt, die Geschlechtlichkeit und Ethnizität eines vorphotographischen auktorialen Körpers zu identifizieren, um den Sinn der Selbstportraits zu enthüllen. Selbst die Deutung des Selbstportraits als kompetente Selbstsetzung des Subjekts der Kunst setzt so eine gewisse Kriminalistik voraus, die das Subjekt gleichsam mit dem Ziel seines Arrests im Wissen zu stellen sucht. Dies hatte Duchamp, weshalb er für man46 Heinz Knobeloch: Subjektivität und Kunstgeschichte, a. a. O., 13. 47 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 48 Doris Kolesch u. Annette Jael Lehmann: Zwischen Szene und Schauraum, 355. 49 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert, Meine Hervorhebung. 50 Doris Kolesch u. Annette Jael Lehmann: Zwischen Szene und Schauraum, a. a. O., 357. 51 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 52 Ebenda.

2. UN /SICHTBARE SUJETS

che Interpreten zum Vater der postmodernen Dekonstruktion der Motiviken des Künstlertums avancierte, u. a. durch das weibliche alter ego RRose Sélavy markiert – wiewohl diese ›Aneignung des Weiblichen‹ durch Duchamp wiederum auch zur Kritik an einem möglichen Einverleibungsgestus des anderen Geschlechts gewertet wurde.53 Auch in diesen beiden entgegengesetzten Interpretationen spielt die interpretative Konstitution des Künstlersubjekts die entscheidende Rolle für den Ausgang der kritischen Einordnung. Der Künstler ist insofern nicht nur als Produzent von Kunst und als Reflexionsfigur innerhalb der Kunst »unverzichtbar«,54 sondern letztlich auch für jede Interpretation, die dem Hermeneutischen 55 folgt. Der Künstler dient als Versprechen der Ganzheit des Sinns, der Beherrschung des Materials, der Bedeutungen wie des Medialen zur fugenfreien Amalgamierung zu Sinn.56 ›Er‹ erweist sich als erstes sujet (Motiv/Grund/Thema/Stoff) einer kunstwissenschaftlichen Interpretation, die sich aus der Re-Konstruktion seines Willens und seiner Art – seiner auktorialen Signatur – eine Sicherheit ihres Urteils ableitet. Die Deutung wie Kritik ›seiner‹ Autonomie, Verfügungsmacht, Intention, biographischen Position werden ermittelt, indem der Künstler nach allen Regeln der Kunstwissenschaft zum Subjekt (Unterliegendem) gemacht wird. Und gerade beim Selbstportrait wird der Künstler durch die Kunstwissenschaft quasi zur Beichte geführt.57 53 Vgl. zur Durcharbeitung dieses Bias: Amelia Jones: Postmodernism and the En-Gendering of Marcel Duchamp, a. a. O. 54 Vgl. zu einer solchen Proklamation der »Unverzichtbarkeit des Künstlers«: Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler, a. a. O., 177 f. Fotis Jannidis schließlich verabschiedet die Relevanz von Foucaults Autor-Kritik über die – verkürzte – Verwerfung von Foucaults Subjektbegriff, wobei er nicht nur die Persistenz des Autors als Beleg für die Falsifikation Foucaults nimmt, sondern die Nützlichkeit des Autor für die Produktion von Wissen, z. B. für die Herstellung von Verbindungen zwischen Text und Kontext, betont (und damit implizit Foucaults Grundthese bestätigt, ohne Foucaults grundsätzlich kritische Haltung zur Produktion von Wissen zu teilen), vgl. Fotis Jannidis: Der nützliche Autor, a. a. O., 353–389. 55 Vgl. zu dieser Konzeption eines Hermeneutischen, das selbst noch in Derridas Konzeption der Schrift fortlebt: Dieter Mersch: Posthermeneutik, a. a. O., 31–127. 56 Die Metapher zielt hier bewusst auf die Alchemie, die eine weitere inhaltliche Figur des Künstlerseins stellt. Äußert sich dies ansonsten vornehmlich in Allusionen auf Hermes Trismegisteus, Seher und Magier, spielt dieses Ver-Sprechen anscheinend auf für die Rolle des Künstlers als deus ex machina derjenigen Lücken an, die die Interpretation anderweitig nicht zu schließen vermag. 57 Zum Zusammenhang von Subjekt, Kontrolle und Beichte vgl.: Michel Foucault: Was ist Kritik?, Berlin: Merve, 1992, 14 ff.

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Dagegen weist der akribisch in seiner sperrigen Form wiederholte Teil des Titels Self-Portrait (Actress)/After … vielleicht darauf, dass das Unterfangen, im Selbstportrait Handschrift, Signatur und Bild erkenntlich und flüssig zu verbinden, stolpert. Die Sperrigkeit dieses Titels, der immer wieder mit dem Spiel von Gabe und Entzug ansetzt, verleitet zur (auch hier gebrauchten) Kurzform Actresses, die die Serie auf eine Referenz auf Schauspieler/innen-Imagines verkürzt, die zum Abgleichen von Körperbildern herausfordert. Die vollen Titel ver-sprechen dagegen nur gleichsam stotternd in vielfacher Zäsurierung mittels Einklammerung und Parenthese eine (authentische) Gabe des Selbst. Wenn zu Self-Portrait wie ein erklärender Zusatz eine Schauspielerin (Actress) gefügt ist, klärt sich hier keineswegs, ob das heißt, dass das Selbstportrait zur Verstellung oder Rollenverkörperung dient, oder ob ›Schauspielerin‹ bereits auf das jeweilige (in der Regel noch hinzugesetzte) Vor-Bild referiert, nach dem sich das Selbstportrait formt. Die Holprigkeit dieser Titulierung deutet auf eine Störung der Evidenz und Kohärenz des Selbst, die die Selbstportraits zu Auf-Gaben des Selbst macht, da sie an eine Arbeit an der auktorialen Signatur und an Traditionen der (bildlichen) Referenz in zukünftigen Rezeptionen auf-gegeben sind. Auf-gegeben, nicht nur wie eine Sendung, sondern auch auf-gegeben, weil jedes Bild dann nur den vorläufigen Abschluss einer unvollständigen Arbeit an der Selbstsetzung darzubieten vermag, die auch in der Rezeption nur punktuell ein Ende findet. Dass die Serie diese unvermeidliche Auf-Gabe als Auslieferung riskiert, mag die erste Platzierung der Actresses im Magazin panja belegen. Schon die ersten ablehnenden Reaktionen der Leser von panja indizieren, dass sich der Erfolg von Selbstportraits keineswegs durch eine kompetente, geschlossene und selbstbewusste Setzung verbürgt. Die Arbeiten brechen hier an einer Rezeption, die sich noch nicht einmal für die Unwägbarkeiten von ›echt‹ und ›unecht‹ interessiert, sondern die sich gelangweilt, schlecht unterhalten fühlt.58 Scheitert die Akzeptanz der Self-Portrait (Actress)/ After … am Desinteresse des Kontextes Herrenmagazin, dem sie sich aussetzen, ist Morimura in der euro-amerikanischen Rezep-

58 Vgl. dazu Kaori Chino: A Man Pretending To Be a Woman, a. a. O. Die Platzierung in einem Herren-Magazin, das sonst zumeist heteronormative, sexualisierte Frauenbilder zeigt, legt durchaus auch die (im Kompetenzmodell von Kommunikation zu situierende) Annahme des Versuchs einer Markierung dieses Kontextes durch queere Praktiken nahe. Dann stünden Fragen nach der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung alternativer Sexualität im Drag auf eine ganz andere Weise im Raum, nämlich als queere Politik in Japan, die versucht, anderen Körperbildern eine Öffentlichkeit zu geben.

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tion vermehrt der Frage nach dem Zusammenhang von Visualität, der Epistemik von Körperbildern und Ethnizität unterworfen. Die Geste, ein Bild (ein Selbst-Bild) durch die Signatur zu beschließen, ist aus dieser Perspektive somit keine kompetente, sinngemäße (Selbst)Setzung. Vielmehr handelt es sich um eine Aussetzung an eine Rezeption, die sich das Leben des Künstlers zum Thema nimmt, indem sie es einer Interpretation unterwirft, die aus ihm fortwährend (sprich: prozessual) Sinn und Kritik nach Maßgabe eines präjudizierten Entwurfs des Künstlers bezieht. Dann käme dem hegemonialen, künstlerischen Subjekt nur noch wenig zentrale Autonomie, Herrschaft über Sinn oder überhaupt Verfügungsmacht zu. Jedes Selbstportrait (egal wie auktorial es verfasst erscheinen mag) wäre zuvorderst, vor jedem Einsatz eines interpretativen Ausdeutens der Setzung, eine flehende Blöße, in der die Präsenz des Anderen als Anderer aufscheint.59 Marcel Duchamp hat sich, was vielleicht eine weitere Parallele zu Morimuras seriellen Auto-Portraits darstellen mag, wie viele andere Künstler/innen auch mehr als einmal portraitiert. Die Limits der Bildgattung und Autorgattung werden dabei nicht nur in dem von Man Ray gefertigten (Selbst)Portrait als RRose Sélavy thematisch. Mit Wanted: $ 2.000 Reward liefert Duchamp eine Art Fahndungsflugblatt, auf dem sein Konterfei in der Weise des MugShots (einmal en face, einmal im Profil) aufgenommen über der Ausschreibung der Belohnung von 2000 $ mit ›Täterbeschreibung‹ und ›letztem Aufenthaltsort‹, sowie dem Alias RRose Sélavy zu finden ist. Als ›Fahndungsphotographien‹ konterkarieren sie zwar mehr die interpretativen Enthüllungs- und Erfassungsgesten der Kunstwissenschaft als Duchamps Verortung als weißer, (hetero-) normativer Mann. Zugleich weisen sie darauf, dass die Portraitphotographie mit den photographischen Praktiken der Taxonomie und Erfassung des Anderen eine Verbindung aufweist, welche die Möglichkeit eröffnet, dass das eine ins andere umzuschlagen vermag: Die Identifizierung des Konterfeis als dasjenige des ›Künstler-Übervaters‹ Marcel Duchamp benötigt den Abgleich mehrerer Bilder, um ein Original zu identifizieren und erkenntlich zu machen. Ein solches morphologisches Verfahren, das nicht mehr auf andere Künstlerselbstbilder rekurriert, erfordert implizit, dass sich auf das Selbstportrait eine Epistemik richtet, die der Bildgattung des hier alludierten Mugshots folgt, um die Photographie scheinbar in Praktiken zu verwickeln, die man kriminalistischen Erfassungsverfahren unterstellen könnte. Dabei ist es aber 59 Vgl. zu einer solchen Konzeption der Präsenz des Anderen: Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen, a. a. O. Siehe dazu auch: Aufgabe: Aus/Setzung.

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zumindest möglich, Duchamps Position innerhalb der Ordnung des Sichtbaren nach geschlechtlicher und ›rassischer‹ Abweichung unmarkiert zu lassen. So lässt auch die Beschreibung, die diesen ›Mugshots‹ Duchamps beigefügt ist, die ersten Sätze, die zumindest in den USA zur Orientierung konventionell wären, aus. Statt »Gesucht wird ein weißer Mann…« wird eine zum Unendlichen neigende Kette von Pseudonymen (»For Information leeding to the arrest of George W. Welch, alias Bull, alias Pickens etcetry. etcetry.«) sowie Größe und Gewicht aufgezählt. Indem Wanted: $ 2.000 Reward das Künstler-sujet einer Subjektivation nach dem Modell der Delinquenz zuführt, markiert es, wie eine Rezeption vorgehen muss, wenn sie es nicht vermag, Künstlerselbstportraits auf andere Künstlerselbstportraits zu beziehen. Wenn Selbstbilder so nicht mehr offensiv als Diskursivierung des Künstler-Seins zu verorten sind, hat sich die Deutung an einem Körperbild zu orientieren, dem eine konventionelle Symbolik abgeht und das erst einmal überhaupt mit einem (Künstler)Namen versehen sein muss. Dazu schätzt man Größe, Gewicht, Eigentümlichkeiten des Gesichts und Augenfarbe ein, bestimmt Ähnlichkeiten bzw. versucht diese festzustellen. Bei Wanted: $ 2.000 Reward verläuft dies, ohne die Un/Sichtbarkeit der weißen Männlichkeit von Autorschaft zu markieren. Bei den Actresses wird dagegen in voller Weise die Problematisierung der Un/Sichtbarkeit rassisierter und vergeschlechtlichter Differenz verhandelt. Die Evidenz von Differenz wird zum Problem. Die Art, wie hier Zuschreibungen von Körperteilen vorgenommen werden markiert so die unscharfe Polyvalenz der Praktiken der Photographie zwischen biographischem Aufzeichnungsmedium, repräsentativem Portrait und Fahndungsphotographie. Entscheidend ist dabei jedoch, dass schon bei Duchamp auch darauf verwiesen ist, dass sich die Konstitution eines Bildes als Selbstbildnis an Identifizierungen knüpft: Wie anders sollte der Bezug des Portraits auf das Selbst geschehen? Und selbst im Abgleich verschiedener Selbstbilder ohne explizit identifizierende Körperpraxis ist ja eine Kontinuität in diesem Bezug selbst herzustellen, um Differenzen zwischen den Bildbezügen von Portraits herzustellen, die auf jeweilige Individuen verweisen. Doch verfolgt eine Rezeption, die sich darauf richtet, am Selbstportrait des Künstlers als Künstlerindividuum habhaft zu werden, immer noch ein anderes Interesse als diejenige Rezeption der Actresses, die den Künstlerkörper zum Ort einer Produktion von Zeichen ethnischer Differenz macht, die anhand von körperlich bestimmten ›Rassemerkmalen‹ festzustellen seien. Wenn z. B. bei Peter Stohler Japanizität und ›japanische Nase‹ – was auch immer das sein mag (hier orientiert sich ein rassisierter Körper sogar an

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der Fiktion nationaler Homogenität bzw. an nationalen Grenzen 60 ) – sich wechselseitig derart zu vertreten vermögen, entsteht der ungewollte Backlash, dass Ethnizität re-rassisiert wird. Auch wenn (z. B. bei Kolesch und Lehmann oder Schmidt-Linsenhoff) Identität und bildliche Körperdarstellung eher implizit analogisiert werden, ist eine Sichtbarkeit von ›Rasse‹ an einen vorphotographischen Körper geknüpft, um Marken ethnisierer Differenz eine Sichtbarkeit zuzuschreiben. Wenn bei den Actresses diese Wendung des Selbstportraits ins Fahndungsphoto verstärkt auftritt, mag dies daran liegen, dass diese Selbstbilder jenseits der Figurierung eines »Ich ist etwas Anderes« 61 keinen konventionalisierten Bezug zu Künstlerbildern anbieten, sondern zu Star-Imagines,62 die vielleicht genau auf diese Figurierung weisen mögen. In Folge interessiert jedoch, dass und wie mit dieser Wendbarkeit des Selbstportraits diskursive Differenzen in Künstler-Selbstbilder eingezogen werden – wofür vielleicht auch die Absenz dieser Einordnung noch Symptom ist. Es kann anscheinend gar nicht vermieden werden, dass ›Morimura‹ so evident wird, dass ›er selbst‹ (im doppelten Wortsinn – als maskuliner Künstlermythos und als männlicher Körper) eine nicht zu tilgende körperliche Differenz zu den Vor-Bildern europäischer Weiblichkeitsikonen bzw. Stars ausmacht. Da diese Differenz in der Rezeption als problematisch lesbar wird, lässt sich auch lesen, dass und wie ›er‹ gerade nicht einfach (vorab) evident ist: Der vorphotographische Körper Morimuras tritt zunehmend als diskursives Artefakt einer Evidenzproduktion 63 so hervor, dass 60 Dies hat allerdings auch mit einer tatsächlich japaninternen Nationsfiktion zu tun. 61 Vgl. zu dieser Umformulierung von Arthur Rimbauds (»Ich ist ein anderer.« Arthur Rimbaud: Brief an Paul Demeny, 15. Mai 1871) Ich ist etwas anderes. Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, hrsg. v. Armin Zweite, Doris Krystof u. Reinhard Spieler, Ostfildern: DuMont Reiseverlag, 2000. 62 Die tendenzielle Überschneidung der Produktionsweise von Stardom und Künstlertum thematisiert auf semiotischer Ebene auch die Einleitung der Publikation: Was ist ein Künstler? Denn sie zitiert Stephen Lowrys semiologische Differenzierung des Stars und setzt an die Stelle Star, Kino, Filmindustrie die Äquivalente aus dem Kunstsystem, vgl. Sabine Kampmann u. Katharina Sykora: Einleitung. Künstler-Images oder das Schreiben über den Künstler als Camouflage, a. a. O., 9–15, 9 f. 63 Rolf Nohr analysiert vor dem Hintergrund der Feststellung, dass Evidenz das Ergebnis komplexer Herstellungsverfahren ist, »Evidenzgesten«, vgl. Rolf Nohr: Einleitung. Das Augenscheinliche des Augenscheinlichen, in: Evidenz – das sieht man doch, hrsg. v. dems., Münster: LIT, 2004, 8–19; die Herausgeber/innen des Bandes Die Listen der Evidenz untersuchen mit demselben Ausgangspunkt

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er als notwendige Verankerung der Deutung für die kunstwissenschaftliche Fixierung auf das Subjekt der Kunst reflexiv wird. Die abgrenzende Bestimmung von ›Rassen- und Geschlechtsmerkmalen‹ ermöglicht, dass dieses sujet den jeweiligen Status von Autorschaft, Bild und Realität auf klärt. Es stellt die Möglichkeit zur Bestimmung der ›Gattung‹ des Selbstportraits – wie des darin sichtbaren Selbst.64 Dessen Evidenz, so lässt sich die Rezeption lesen, entsteht in der Auslieferung eines Körperbildes an die diskursiven Identifizierungspraktiken der Kritik, die aus dem Selbstportrait ein sujet in jedem Wortsinn herauspräparieren: Gegenstand, Subjekt, Unterworfenes, Stoff, Thema.

b) Fahndungsphotographien

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Obgleich sich Aspekte der euro-amerikanischen Autor-Funktion und auch Teile traditioneller Zuschreibungen, z. B. die Stabilisierung des männlichen Künstlers nach euro-amerikanischem Modell über die Markierung von Differenz (Weiblichkeit, Japanizität) gleichsam als ›postkolonialer Künstlermythos‹ unter umgekehrten Vorzeichen wiederholen sollen, verhandelt diese Diskursivierung von Künstlertum eine Un/Sichtbarkeit Morimuras in den Actresses so, dass die Möglichkeit, auf ›ihn selbst‹ als ethnisch-geschlechtliche ›Gattung‹ verweisen zu können, davon abhängt, dass in den Photographien authentifizierte und naturalisierte vorphotographische Körperteile entgegen aller ›Dementis‹ weiterhin sichtbar sein sollen/müssten. Hierin liegt ein Backlash der Rassisierung, da ethnische Differenz über die Evidenz rassisierter Körperteile und die Differenzierung von vergeschlechtlichten und rassisierten Körpermerkmalen konstituiert wird. Die Kunstkritik entdeckt damit an den Actresses zirkulär, was sie voraussetzt; sie betreibt in gewisser Weise eine petitio principii, für die sie zugleich explizit behauptet, diese Voraussetzung läge gar nicht mehr vor. In diesem Zirkel liegt eine hierarchisierende Diffedie »geheimen Beziehungen und [die] komplexen Wechselwirkungen zwischen Evidenzen und Listen«, vgl. Michael Cuntz, Barbara Nitsche, Isabell Otto, Marc Spaniol: Die Listen der Evidenz. Einleitende Überlegungen, in: Die Listen der Evidenz, hrsg. v. dens., Köln: DuMont, 2005, 9–33, 10. 64 Vgl. zur Überschneidung der Mehrdeutigkeiten von ›Gattung‹ als Gender, Herkunft, Abstammung, Art, Genre, Jacques Derrida: Das Gesetz der Gattung, in: ders.: Gestade, hrsg. v. Peter Engelmann, Wien: Passagen, 1994, 245–299.

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renzierung. Die euro-amerikanischen Vor/Bilder werden als Originale, Inszenierungseffekte und Inhaberinnen ›schönerer Beine‹ und ›europäischer Augenformen‹ als Vertretung von Hegemonie (voraus)gesetzt. Sie werden aber auch als Hegemonie-Effekte für diese Entgegensetzung so konstituiert, dass der Japaner in Frauenkleidung weiter hinter dem Vor-Bild des euro-amerikanischen Idols der Weiblichkeit rangiert. Signifikante Körperteile werden als Gegenstände der Unterscheidung von Fiktion und vorphotographischem Fakt sowie als Gegenstand von Normalisierungen hervorgebracht. Exakt darin werden sie in ihrer Verhandlung als Differenzmarker doppelt reflexiv: Während Morimura mit dem »Plastikpenis« 65 der Black Marilyn (Abb. 45) zeige, was er »unter der Oberfläche« 66 tatsächlich haben soll, verdecken für die Rezeption die Brüste der Red Marilyn (Abb. 43) nichts Derartiges – sie zeigen, »that the artist is not a member of womankind.« 67 Entscheidungsbasis ist ein vorausgesetztes Wissen um die sexuelle Verortung des Künstlers als männlicher Künstler, an das Ideale von biologisch realer körperlicher ›Ausstattung‹ geknüpft sind. Doch ist die »Penis-Attrappe«,68 die auf das Echte des Geschlechts verweisen soll, für die zitierten Rezeptionen keineswegs real, obgleich sie zeige, was sei. Größe (»towering larger than life«), Artifizialität der Stofflichkeit und Grad der Erektion oder Potenz der »rötliche[n], halbwegs aufgerichtete[n] Penis-Attrappe«69 in einem »absurd buschigen Schampelz«70 kennzeichnen sie als abweichende Übertreibung. Um die absurde Größe der ›Attrappe‹ überhaupt mit einer Relation zu versehen, muss sie im unausgesprochenen Abgleich mit einer Normalität diskutiert werden, für deren Konstruktion nicht nur eine angenommene Normalität ›männlicher Ausstattung‹, sondern auch die Stereotypisierung des Japaners als ›feminisiert‹, mit einem kleinen Penis und geringer Körperbehaarung, mitspielen könnte.71 So stützt sich die Evidenz des auktorialen Körpers nicht nur auf die Erkennbarkeit ›asiatischer Augenformen‹ und von »Gesichtszüge[n] und Körperbau« 72, sondern auch auf ihre Normalisierung und auf die männlicher Physiognomien, die sich aus vagen norma65 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 101. 66 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 67 Kaori Chino: A Man Pretending to Be a Woman, a. a. O., 157. 68 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 69 Ebenda, unpaginiert. 70 Ulf Erdmann Ziegler: Braut im Spiegel, a. a. O., 100 f. 71 Paul B. Franklin sieht u. a. eine solche Feminisierung ›des Japaners‹ bei Morimura thematisiert, vgl. Paul B. Franklin: Orienting the Asian Male Body in the Photography of Yasumasa Morimura, a. a. O., 233–247. 72 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert.

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tiven Stereotypisierungen speisen, welche man eigentlich gerade nicht bedienen möchte. Nicht zuletzt bedarf es des Wissens, dass Morimura als asiatischer Mann diese ›Merkmale der Gattung Japaner‹ aufzuweisen habe. Es wäre ein Leichtes, hier von einer rassisierenden Körperkriminalistik zu sprechen oder von einer normativen und hierarchisierenden Einteilung von Körperteilen in normal und abweichend, wie sie in photographischen Erfassungen des Anderen am Werk scheinen. Die inhärente Widerspruchsstruktur selbst derjenigen Interpretationen, die im selben Zug behaupten, dass das Eigentliche nicht zu sehen sei und es zugleich dem Künstler als Eigenschaft zuordnen, indem z. B. dunkle Haut nicht nur als Code einer tradierten, rassisierten Markierung ethnischer Differenz auftritt, sondern zugleich der Identität des Künstlers zugeordnet wird, ohne diese Zuordnung zu problematisieren, könnte man als Hinweis auf die hartnäckige Persistenz der Taxonomien und der Erfassungen der Körper der Anderen verstehen, die sich im 19. Jahrhundert an die Photographie knüpften. Die internen Widersprüche ließen sich dann polemisch als naiver Umgang mit photographischen Realitätseffekten abtun. Jedoch müsste man dazu die Differenzen der jeweiligen epistemischen Strategien von Kunst/Wissenschaft und photographischer Erfassung ignorieren, die in Folge aus ihrer historischen Verwicklung herauszuarbeiten sind. Hier wird deshalb dafür plädiert, diese Widersprüchlichkeiten als Hinweise darauf zu nehmen, dass die Actresses Probleme aufwerfen, die die Widersprüchlichkeit der Rezeption als grundsätzliche, systematische Schwierigkeit zwischen Bildlichkeit und kunst/ wissenschaftlichem Diskurs ausweisen. Morimuras Actresses erzeugen zwar ein Identifizierungsproblem, das über rassisierte und vergeschlechtlichte Zurechnung photographischer Körperteile gelöst werden soll und scheitert. Das eigentliche Problem liegt aber gleichsam vor der diskursiven Verknüpfung von differenter Identität, Künstlertum mit ihren vergeschlechtlichenden, rassisierenden und verethnisierenden Effekte. Es setzt bereits bei der Verknüpfung von Bild/Photographie, Evidenz und Diskurs zur Identifizierung von Körpern an. Die inhärente Inkonsistenz der diskursiven Strategien über Bilder und mit Bildern indizieren ein unfügliches Stören des Bildlichen in diskursiven epistemischen Strategien: Wie können diskursive Kategorien wie ›Rasse‹ und Geschlecht überhaupt sichtbar werden. Wie also wird eine Nase z. B. ›japanisch‹? Und nicht zuletzt – wie sieht ›ein Japaner‹ überhaupt aus? Deshalb sind die Actresses in Konstellation mit der photographischen Produktion einer Sichtbarkeit von Differenz durch die Erfassungsphotographie in der Kriminalistik und in der metrischen Anthropo-

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logie zu diskutieren. Denn diese stellte sich ebenfalls, aber anders als die Rezeption der Actresses die Frage, wie ›rassische‹ Differenz objektiv zu definieren sei und wie man Delinquenz erkennen bzw. wie man der Delinquenten zumindest habhaft zu werden vermag. Wenn nach Allan Sekula im 19. Jahrhundert die Verknüpfung von Photographie und Erfassung die repressive Nachtseite einer Portraitphotographie bildete, in der sich das bürgerliche Subjekt als normales gesellschaftliches Zentrum nobilitierte, würde die Rezeption der Actresses Morimura als zu erfassende Delinquenz behandeln. Zwischen dieser Rezeption und einer Praxis der Aus-Setzung des Selbst in den Actresses fiele die ästhetische Seite des (Selbst)Portraits mit der Selbstbestimmung aus. Es wäre eine repressive Deutung am Werk, die an die Aufgabe der Photographie innerhalb der epistemischen Verfahren von Kriminalistik, physischer Anthropologie und Typenbildung gemahnt. Doch geht es damit nicht um ein Entweder-Oder in einem sich wechselseitig ausschließenden Gegensatz von Portrait und Erfassung, sondern darum, wie sich beides für die Photographie zu einer Duplizität verschlingt. Wenn in Folge den epistemischen Verfahren der Erfassung um 1900 nachgegangen wird, interessieren an ihren medialen und epistemischen Praktiken drei Aspekte: 1. Die durchaus skrupulöse Praxis der Produktion von objektiven ›Rassenbildern‹, 2. ihr Bezug zu Normalität und Normalisierung, 3. die Un/Möglichkeit, die Rassendefinitionen noch in ein ›klares Bild‹ zu gießen.73 Dabei interessiert zuvorderst, dass um 1900 die Photographie zwar sowohl für die Konstitution von Typen als auch für die Erfassung von Individuen eingesetzt wurde. Sie fungierte für beides als ein Medium der Evidenz, das sich als wesentlich sperriger erwies, als dies die hier angeführten Rezeptionen der Actresses unterstellen. Denn die Einteilung in Normalität(en) und Abweichung wie auch die Evidenz der hiermit konstituierten Anderen war bereits zur Zeit der Etablierung des photographischen Archivs von Menschenbildern weder auf der Ebene der epistemischen Verfahren, noch auf der Ebene der Anschaulichkeit eine einfache oder sichere Sache. Der Gebrauch der Photographie bei der Eroberung, Kontrolle und Verwaltung der Anderen in der Diskursgeschichte des Kolonialismus und der Geschichte der Delinquenz zeigt, dass ihre Medialität diesen Bereichen, die sich im 19. Jahrhundert zu objektivieren versuchten und dabei auch den Begriff der Objektivität 73 Dies weist Christine Hanke nach in: Zwischen Auflösung und Fixierung. Zur Konstitution von ›Rasse‹ und ›Geschlecht‹ in der physischen Anthropologie um 1900, Bielefeld: transcript, 2007.

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erst (mit) hervorbrachten, ebenso viele Lösungen versprach, wie sie Probleme aufwarf. Denn auch wenn die Photographie nach Lorrain Daston und Peter Galison als »Wahrzeichen […] der nicht intervenierenden Objektivität« 74 auftrat, stellte sie den Verfahren, die (wie Statistik und Körpervermessungen) zur Erfassung mit ihr verknüpft wurden, große Probleme. Sekula betont deshalb, dass nur eine »gezähmte« Photographie 75 in diese Epistemik eingehen durfte. Zwischen den Actresses und ihrer Rezeption tritt (zumindest teilweise) eine grundsätzliche, systematische Problematik hervor, die bereits die Taxonomien und photographische Erfassung der Anderen umtrieb: das potentielle Auseinandertreten der hierbei involvierten Verfahren, Medialitäten und Materialitäten von Rasterung, Vermessung, Statistik, Beschreibung und Visualiserung(en). Diese Inkompatibilitäten wurden zwar hierbei nicht medienphilosophisch als systematische Probleme reflektiert, jedoch wurden im Drängen auf Objektivität die Eigenlogiken von Medialitäten und Materialitäten skrupulöser gehandhabt als in den Rezeptionen der Actresses. Hier soll also nicht einfach die Kritik an etablierten Verfahren der Differenzproduktion in der Kunst, welche die Rezeption der Actresses zumeist anstrebt, beim naiven performativen Selbstwiderspruch ertappt werden. Vielmehr soll nun aufgezeigt werden, dass das, was als Widerspruch ausgezeichnet und in seinen Effekten kritisiert wurde, eine (auch hier) nicht zu umgehende Schwierigkeit bei der Beschreibung indiziert, die als eine ästhetische Produktivität von Morimuras Actresses aufzunehmen ist, welche ihre Pointe im Hinblick auf Signaturen der Alterität gewinnt. Die Beschäftigung mit der Konstitution von ›Rassetypen‹, der Erfassung der Delinquenz und den Versuchen ihrer Typisierung im 19. Jahrhundert interessiert vor allem deshalb, weil sich hierüber schärfen lässt, dass solche systematischen Schwierigkeiten nicht als einfache Irrläufe von Medien und ihren Versprechen zu identifizieren sind. Sie zeigen vielmehr, dass die Unfüglichkeiten zwischen den divergenten Medialitäten und Materialitäten, die epistemische Praktiken verflechten, so aufscheinen, dass jede Bewältigungsstrategie/Verfugungstechnik sie verschiebt, während sich die Signaturen medialer und materieller Alterität immer anders skandieren. Wie unter anderem Sekula herausstreicht, ließ der Massencharakter der Photographie im 19. Jahrhundert ein immenses Ar74 Lorraine Daston u. Peter Galison: Das Bild der Objektivität, in: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, hrsg. v. Peter Geimer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, 29–99. 75 Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, a. a. O., 269–334

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chiv von Körperbildern entstehen, das ihre Objektivierbarkeit versprach, da man annahm, dass die Photographie, zumindest in ihrer zugerichteten Form, in anderer Weise Messbarkeit, Mathematisierbarkeit, Neutralität und Totalität garantiere als solche Visualisierungen, die mit der Hand, die sie erstellte, subjektive Ungenauigkeit involvierten. Das photographische Archiv hatte als Instanz der inneren Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft Delinquenz und rechtschaffene Bürger identifizierbar und auffindbar zu machen. Innerhalb dieser Bemühungen unterscheidet Sekula zwei grobe Verfahren: 1. Eine (vorwegnehmende) Typisierung von Delinquenz, die er an Francis Galtons Kompositportraits konturiert; 2. Erfassungsmaßnahmen, die helfen sollen, rückfällige Gewohnheitsverbrecher zu stellen, die er an der Bertillonage erläutert. Das Versprechen der »mechanischen Objektivität« 76 der Photographie überführte in Verbindung mit dem neuen Massencharakter der photographischen Portraits die tradierten Bildformen der Typen und des ehrenden Portraits über den umfassenden, archivalischen Charakter angeblich auf eine neue Ebene des Bilderglaubens.77 Dessen Vermittlungsfigur war, so Sekula, jedoch weniger ein naiver photographischer Realismus, als vielmehr die in den 1830er und 1840er auf kommende statistische Methode. Aus ihr bzw. aus der Sozialstatistik, die das Ziel verfolgte den statistischen Durchschnittsmenschen 78 und seine Ränder zu ermitteln, resultierte nach Sekula die Einteilung des Archivs in Ansichten, die der Normalität entsprächen bzw. diese ausbildeten, und in solche, die hiervon abwichen.79 Fast parallel zu dieser Tradition der Portrait- wie Er76 Lorraine Daston und Peter Galison zeigen, wie sich das um 1900 herausbildende Wissenschaftsideal der mechanischen Objektivität um die Kamera herum figurierte. Lorraine Daston und Peter Galison: Das Bild der Objektivität, a. a. O., sowie weiterführend dies.: Objektivität, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007, 121–172. Objektivität musste auch nach Anja Zimmermann im 19. Jahrhundert als Stil mittels einer Ausdifferenzierung von künstlerischen und wissenschaftlichen Verfahren, die Kunst und Wissenschaft in eine diskursive Auseinandersetzung und Beschäftigung verflocht, herausgearbeitet werden. Vgl. Anja Zimmermann: Ästhetik der Objektivität. Genese und Funktion eines wissenschaftlichen und künstlerischen Stils im 19. Jahrhundert, Bielefeld: transcript, 2009. 77 Vgl. dazu a. Susanne Regener: Fotografische Erfassung. Zur Geschichte medialer Konstruktionen des Kriminellen, München: Fink, 1999. 78 Dieser l’homme moyen basierte auf der Kurve der Gauß’schen Normalverteilung und wurde vom belgischen Astronom und Statistiker Alphonse Quételet begründet. Vgl. Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, a. a. O., 290 ff. Zur Statistik in der physischen Anthropologie, vgl. Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 31 ff u. 178 ff. 79 Vgl. Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, a. a. O.

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fassungsphotographie konsolidierte sich die Kunstgeschichte als universitäre Disziplin, in einem geisteswissenschaftlichen Umfeld, das das Problem des Individuums ins Zentrum stellte. Carlo Ginzburg zufolge etablierte die Kunstgeschichte so im 19. Jahrhundert die Signatur als Ort einer Spurenlese, um u. a. Zuschreibungen zu ermöglichen und Künstlergeschichte zu schreiben.80 Dass sich das Individuum per definitionem gegenüber seiner Verallgemeinerung sperrt, stellte (im Gegensatz zu den Erfassungsmaßnahmen) diesen Humanities eine Art glückliches Problem. Denn als »unendliche Quelle von Bedeutungen« 81 lieferte das Individuum der Forschung ebenso viele Anreize wie Möglichkeiten der Deutung, solange man es irgendwie auf mindester Ebene zu identifizieren vermochte. Die Un(er)fasslichkeit des Individuums machte es der geisteswissenschaftlichen Spurensicherung möglich, die Verknappung des Diskurses durch auktoriale resp. auktorial induzierte Polysemie zu kaschieren. Dagegen versuchte die Erfassung, das Individuum als Subjekt über kriminalistische und anthropometrische Praktiken endgültig zu stellen. Statt eine singuläre und damit schwer fassbare Individualität zu zelebrieren, sollten durch Typisierung, Quantifizierung, Normalisierung und Ausgrenzung dem delinquenten Subjekt, das sich als Individuum stets höchst ungünstig seiner Verallgemeinerung entzog, seine sich immer neu eröffnenden Schlupfwege verbarrikadiert werden. Wenn Ginzburg Bertillon und Galton als Teil der Erfassung der Individuen/des Individuellen innerhalb des Paradigmas der Spurensicherung, das im 19. Jahrhundert den (literarischen) Detektiv, die (Kunst)Geschichte, die Medizin, die Psychoanalyse und die Kriminalistik in unterschiedlicher Weise umtrieb, diskutiert, dann weil ihn die Problematik interessiert, dass diese Habhaftmachung des Individuums in immer weiteren Erfassungsgesten letztlich immer nur hinausschob. Mit der hier entwickelten Konzeption von Signaturen der Alterität wäre dieses Problem des Individuums näher durch die Frage nach der unteilbaren und uneinholbaren Singularität des Anderen zu konturieren, die letztlich darin erscheint, dass sie den Prozess umtreibt und durch ihren präsenten Entzug gleichsam gegenzeichnet. Hier soll jedoch, vorläufig, auf die historische Parallele zwischen Spurensi80 Carlo Ginzburg: Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, in: ders.: Spurensicherung. Über verborgenes Gedächtnis, Kunst und soziales Gedächtnis, München: dtv, 1988, 78–125. 81 Foucault Michel: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1030 (Anm. 15: Variante).

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cherung, dem Aufkommen statistischer Verfahren und des photographischen Archivs und einer polyvalenten Produktivität der Unbestimmheit der Kategorien ›Rasse‹ und Geschlecht hingewiesen werden. Wenn Identifizierungspraktiken und ihr Scheitern so mit genuin historisch-geisteswissenschaftlichen Problematiken parallel gehen, mag dies der Kunstgeschichte die Rückseite der Strategie zeigen, den Künstler als Prototyp der Möglichkeiten eines optimierten wie entlastend abweichenden Subjekts zu lancieren. Die Folgende wird sich jedoch allein auf die Rückseite der Körperspur beschränken.

Typisieren Aus der ungeheuren Masse an Körperbildern, die die Photographie hervortrieb, generierte sich, so Sekula, ein photographisches Archiv von Norm und Abweichung. Dass nun gleichsam für jedermann einer nobilitierendes Portrait verfügbar war, stand eine photographische Erfassung gegenüber, mit der in Kriminalistik und physischer Anthropologie ›unehrenvolle‹ Subjekte anvisiert wurden (sei es durch umfassende, quantifizierende Archivierung, sei es durch die Ausbildung von Typen der Delinquenz oder ›Rassetypen‹).Wenn Sekula hierbei Alphonse Quételets »l’homme moyen« 82 (Durchschnittsmensch) als Bezugspunkt der gesellschaftlichen Binnenordnung ausweist, dann besorgte die physische Anthropologie ebenfalls mit statistischen Verfahren eine Ordnung des Außen, eine rassisierte und vergeschlechtlichte Ordnung der Anderen.83 Die Photographie versprach dieser Ordnung als passives Instrument eine »mechanisch-objektive Wiedergabe der Wirklichkeit«.84 Damit verbreitete sie massenhaft Ikonographien des Wilden, denen der Status der Wirklichkeit zugeschrieben wurde. Es lag nahe, diese Photographien als bildliche Expansion der Datensätze der physischen Anthropologie aufzufassen. Der Gedanke der mechanischen Objektivität der Photographie machte es nicht nur möglich, Abzüge als ›Anschauungsmaterial‹ zu verbreiten, es wurde auch (ergänzend) direkt am Bild gemessen. Jedoch wurde die Photographie für diese Praktiken vermehrt als eigenlogisches Forschungsinstrument thematisch, denn als passive und objektive 82 Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, a. a. O., 290. 83 Vgl. dazu u. a. Elizabeth Edwards: Andere ordnen. Fotografie, Anthropologien und Taxonmien, in: Diskurse der Fotografie, a. a. O., 335–355. 84 Michael Wiener: Ikonographie des Wilden. Menschenbilder in Ethnographie und Photographie zwischen 1850 und 1918, München: Trickster, 1990, 35.

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Abbildungsmaschinerie.85 Denn die Metrisierung der Anthropologie machte Standardisierungen der Aufnahmeapparatur und -prozedur erforderlich, um Messdaten herzustellen, die vergleichbar waren. Notwendig waren beispielsweise ein einheitlicher Abstand, einheitliche Brennweiten mit möglichst geringer Verzerrung, die Integration der Abbildung eines Maßstabes, eine starke, gleichmäßige Ausleuchtung, die Standardisierung der Körperhaltungen (z. B. durch Apparaturen),86 jedoch ohne dass eine tatsächliche Vereinheitlichung der Körperablichtungen umgesetzt wurde.87 Ebenso wie die Photographie, die potentiell unendlich divergierende Ansichten desselben Objekts zu bieten hatte, mussten die Menschen vor der Kamera diszipliniert und zum Präparat zugerichtet werden, damit ihre Körper innerhalb der metrisch-statischen Objektivität Gültigkeit erlangen konnten: die lebenden Körper, die ins Visier der anthropologischen Erfassung geraten, […] werden aufgestellt, ihren Körpern wird mit verschiedenen Messinstrumenten zu Leibe gerückt, sie werden mit anthropologisch geschultem Augenschein anvisiert, Augenund Haarfarbtafeln werden an ihre Gesichter angelegt. 88 Die spezifischen Effekte der Photographie, wie perspektivische Verzerrung oder auch das Problem der Maßstabslosigkeit, waren

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85 Vgl. dazu auch Ricabeth Steiger: Fotos schaffen neue Bilder. Über die Nützlichkeit der Fotografie in der Ethnologie, in: Fremden-Bilder, hrsg. v. Martin Brauen, Zürich: Völkerkundemuseum der Universität Zürich (Ethnologische Schriften Zürich, ESZ 1), 1982, 78–104. 86 Dies hing nicht nur mit den teilweise langen Belichtungszeiten zusammen. Denn es wurden auch Apparaturen benutzt, um an den Menschen standardisiert Messdaten abnehmen zu können. 87 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 212 f. Elizabeth Edwards zeigte u. a. eine wechselseitige Stützung der Gebiete Photographie und Anthropologie auf, »sowohl was ihre Praxis als auch was ihre Aneignungsmetaphern betrifft«. Das Ordnen der Anderen bezieht sie zuerst auf eine metrische Anthropologie, die die Körper der Anderen u. a. an Photographien vermisst. Der in Hinblick auf seine Metrisierung abgelichtete Körper wurde durch die Abzüge inklusive der am Körper abgenommenen Messdaten transportabel. Die Photographie versprach Metrisierung, die der Typenbildung nach statistischen Maßgaben diente, und Anschaulichkeit zu verbinden. Sie war aber in der Taxonomie als Behelfsmittel der direkten Körpermessung nachgeordnet. Vgl. Elizabeth Edwards: Andere ordnen, a. a. O., 335–355, 335. Vgl. zur photographischen Erfassung der Delinquenz: Susanne Regener: Fotografische Erfassung, a. a. O., insbes. 160–164 u. 169–294. Die Standardisierungsbestrebungen versuchen nach Allan Sekula einen »ästhetisch neutralen Repräsentationsstandard« zu etablieren. Ders.: Der Körper und das Archiv, a. a. O., 302 f. 88 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 25 f.

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insofern, wenn auch mit dem Ziel ihrer Bändigung, reflektiert. Neben Versuchen der Standardisierung der Aufnahmesituation und -technik sollten in der physischen Anthropologie wie im ›System Bertillon‹ Positionierungsgestelle die Haltung der aufgenommenen Person ›objektivieren‹:89 »Der Aufnahmevorgang war eine technische Einpassung«, schreibt Susanne Regener zu den Justierungsapparaturen Bertillons (Abb. 48–49).90

Abb. 48: Alphonse Bertillon: Vornahme der Messungen. 89 Auch neuere Einführungen zur Anthropometrie fordern die Standardisierung nicht nur der Messwerterhebung, sondern auch der »objektiven Aufstellung des Untersuchungsgegenstandes [sic]«, L. von Károly: Anthropometrie. Grundlagen der Anthopologischen Methoden, Stuttgart: Gustav Fischer Verlag, 1971, 11: »Bei allen Messungen, besonders bei fotografischen Aufnahmen, ist eine einheitliche Ausrichtung des Körpers, Kopfes oder Gesichts unerlässlich. Die Beachtung dieser sog. Normen sichert die einheitliche, auswertbare, miteinander vergleichbare Erfassung.« (ebenda, 15): »Der Proband […] soll als Untersuchungsobjekt auf einer ebenen Platte möglichst gerade, jedoch entspannt stehen. Die Messungen sollen rasch unter aktiver Mitwirkung der Probanden geschehen. Es empfiehlt sich, einen Assistenten zu Hilfe zu nehmen, der die Protokolle ausfüllt und auf die gewünschte Haltung der Probanden achtet.«, ebenda, 19. 90 Susanne Regner: Fotografische Erfassung, a. a. O., 159.

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Abb. 49: Photographische Erfassung im französischen Innenministerium während des II. Weltkriegs (1941).

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Dass zur Produktion von Morimuras Nachstellungen aufwendige Zurichtungen notwendig sind, die durchaus gut (sogar in künstlerischen Arbeiten) dokumentiert sind (Abb. 50), blenden die Rezeptionen, die auf die auktoriale Intelligibilität setzen, aus (während genau die Akribie der Zurichtungen der Aufgenommenen in der physischen Anthropologie und in der Bertillonage sehr thematisch war, da nur sie Objektivität belegte). Viele der vor den Actresses liegenden Nachstellungen von Werken der Kunstgeschichte, in denen der Bildraum plastisch nachgestellt ist, um Morimura darin einzufügen, weisen das Vor-Bild als beschneidende starre Hülle aus. Nur durch dieses Gestell einer unbequemen Hülle hindurch (oder vor ihr) wird eine Sichtbarkeit von Morimuras Körperteilen im Endprodukt verfertigt, indem der Körper gebeugt durch enge Ausschnitte des plastischen Reliefs ›gesteckt‹ und damit arretiert wurde (Abb. 50). Bei Mehrfahraufnahmen Morimuras (etwa bei Portrait (futago), Abb. 42) wie eine Standardisierung der Kameraeinstellung, der Körperposition und des Kameraabstandes notwendig. Nicht zuletzt existieren Photographien Morimuras, die die Prozesse des Abschminkens, Wartens und Herrichtens festhalten. In deren z. B. in M’s Diary publizierten 91 Zusammenschau

91 Vgl. Yasumasa Morimura: Joyūka M no monogatari (Story of M’s Self-portraits), Tokio: Asahi Shinbunsha, 2001.

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geben sie eine permanente Arbeit der Zurichtung, Schminke und Kostümierung preis, die jedoch unvermeidlich selbst wieder nur als photographische Kostümierungen aufzutreten vermag.

Abb. 50: Produktion von Yasumasa Morimura: Daughter of Art History (Princess A) (1990).

In den Diskussionen um die zur Vergleichbarkeit der Daten notwendige Zurichtung der Körper, Knochen und Schädel, Photographien zu Präparaten zeigt sich in der physichen Anthropologie, dass das Verlangen nach objektiver Nicht-Perspektivität, d. h. nach der notwendigen Annahme eines standortlosen, a-subjektiven oder neutralen Produktionsortes, »die Frage der einzunehmenden Perspektive keineswegs verabschiedet«,92 sondern sie vielmehr als das eigentliche Problem markiert. Die divergenten Standards der Positionierung, z. B. eines Schädels zur Kamera, zeigten, dass eine Veränderung seiner Lage zu höchst unterschiedlichen Eindrücken führte und »auch für die Vermessung Konsequenzen nach sich ziehen« 93 konnte. Entsprechend sucht man diese Differenzen durch Standardisierung zu tilgen. Dabei einigte man sich vielfach auf die Positionierung und auf diejenigen Messverfahren, die wiederum versprachen, in Bezug auf die Typenbildung die größten Differenzen hervorzubringen.94 Diese Präferenz markiert »ein Wissen darum, dass die ›Rasse‹-Differenzen selbst Effekte einer bestimmten Orientierung bzw. Anvisierung […] sind«: 95 92 93 94 95

Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 34. Ebenda, 35. Vgl. ebenda, 36. Ebenda.

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Die physisch anthropologischen Positionierungen und Anordnungen von Körpern können vor diesem Hintergrund als Differenz-Erzeugungs-Maschinen begriffen werden, die gezielt zur Identifizierung von ›Rasse‹ und Geschlecht in Anschlag gebracht werden: In der anthropologischen Suche nach Differenz werden Körper derart zurechtgerückt, dass (überhaupt) Differenzen erscheinen.96

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An den Photographien musste so gleichsam eine Ästhetik der Objektivität 97 erst ausgeprägt werden, um der »Wirkmächtigkeit« der physischen Anthropologie als »Herstellung der Evidenz und Selbstverständlichkeit ›rassischer‹ und ›sexueller‹ Evidenzen« 98 entsprechen zu können. Solche Selbstverständlichkeiten erweisen sich bei näherer Betrachtung auch jenseits der Photographie als hochgradig relationaler Natur: Die Durchkreuzung von ›Rasse‹ und ›Geschlecht‹ geriet in der physischen Anthropologie um 1900 zur kritischen Verflechtung. Denn ohne ›Geschlechtsbestimmung‹ konnten keine Merkmale als ›Rassekennzeichen‹ bestimmt werden und umgekehrt; man ging in der Regel davon aus, dass der ›weibliche Typus‹ eine Unterform und Abweichung vom ›Rassetypus‹ darstellte, der insofern als männlich galt.99 Schon im Fehlen solcher Parameter würden Morimuras Actresses einen Störfall physisch-anthropologischer Typisierungspraktiken darstellen. Denn zur Rassenbestimmung müsste ein gleichgeschlechtliches ›Vergleichsexemplar‹ und zur Bestimmung des Geschlechts müsste ein ›gleichrassisches Vergleichsobjekt‹ vorliegen, das jeweils unter exakt denselben, standardisierten Bedingungen aufgenommen wurde. Bzw. der Vergleich müsste potentiell zumindest eine Übereinstimmung im Geschlecht oder in der ›Rasse‹ ergeben. Die stets ungenaue Nachahmung einer Pose der Aufnahme einer (meist) europäischen Schauspielerin durch Morimura mag dieses Verfahren andeuten. Es mag auch den Vergleich und das Hervorbringen größtmöglicher Differenzen herausfordern. Es würde jedoch in keinem Fall den Standards der physischen Anthropologie genügen. Hier erweist sich die physische Anthropologie (in Voraussetzung des ›europäischen Rassetypus‹ als ›Mittlerer Mensch‹) als differente Differenzmaschine. Sie versucht zwar, an ihren Präparaten und

96 97 98 99

Ebenda. Anja Zimmermann: Ästhetik der Objektivität a. a. O. Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 34. Ebenda, 99.

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in der Datenauswertung größtmögliche Differenzen im Sammeln vergleichbarer Daten her vorzubringen. Jedoch verlangt sie nach standardisierten Fixpunkten des Vergleichs. An deren Stelle tritt in der Rezeption der Actresss eine Projektion des Autors mit Evidenzeffekt.

Abb. 51: Zwei Gaußverteilungen unterschiedlicher ›Rassen‹.

287 Abb. 52: Tabellarische Zusammenstellung von Körperbeschreibungen.

Photographien waren zudem keineswegs die einzige oder die privilegierte Form der Visualisierung in den anthropologischen Typisierungsbestrebungen um 1900. Denn im Zuge der Ausprägung einer metrisch-statistischen Objektivität, die neben der physischen Anthropologie auch den Typisierungen von Galtons Kompositportraits (Abb. 54) unterliegt, wurden Tabellen (Abb. 52), Kur ven (Abb. 51),

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Umrisslinien (Abb. 53), Häufungsschemata und Diagramme zum bevorzugten Ort der Visualisierung und Normierung.100 Nur diese schienen die Fülle der Messdaten in einzelnen Visualisierungen von statistischen Verteilungen fassen zu können (nicht ohne, dass auch hier wiederum eine eigene Eigenlogik entstand).101 Hiermit zeigt sich, dass eine angenommene alltägliche Erkenntlichkeit von ›Rassetypen‹ und die in der Anthropologie ›objektiv‹ produzierte Verfassung von ›Rasse‹ so auseinanderdrifteten, dass konkretes Bild und allgemeiner Typus divergent erschienen. Dies führte sowohl zur teilweisen Entwertung der Visualisierung von ›Idealtypen‹, als auch zur Bevorzugung der Beschreibung. So verflochten sich in den physischen Anthropologien verschiedene mediale und ästhetische Strategien, um jeweils die Defizite und Eigenlogiken der anderen zu limitieren, woraus jedoch immer weiter wuchernde Divergenzen zwischen diesen Verfahren hervortraten.

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Abb. 53: Gesichtsdreieck.

Wie sah nun im 19. Jahrhundert ein Japaner aus? 1877 beschließt der Anthropologe Albin Weisbach nach der Vorstellung vergleichbarer ›Daten‹ von Körpermessungen und ihrer tabellarischen Darstellung die Definition des ›Rassetypus‹ des Japaners z. B. so:

100 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., vor allem: 171– 214. 101 Vgl. zur auch 1900 bereits diskutierten Eigenlogik der Darstellungen ebenda, 167–236.

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Unseren Untersuchungen zu Folge sind die Japaner klein, meistens schwarz- seltener dunkelhaarig, haben dunkelbraune Augen und einen lebhaften Puls; ihr dolichocephaler Schädel ist gross, an der Basis breit, das Gesicht gross, sehr lang und schmal, nach unten hin verschmälert, Stirne und Untergesicht mittelhoch, das Kiefergerüst im ganzen aber von sehr bedeutender Höhe; die Nasenwurzel breit, die Nase von mittlerer Länge, Breite und Höhe, der Mund und Unterkiefer klein, die Ohren sehr lang. Ihr Hals ist von mässiger Länge und Dicke, die Schultern sind breit; die obere Brustapertur ist tief, der Brustkasten wenig weit, sehr wenig tief, die Taille dick, weshalb der ganze Rumpf nach abwärts mehr gleichmässig dick bleibt; die Hüften sind schmal und die Darmbeinstachel sehr weit auseinandergerückt. Ihre Arme sind, gleich wie die dünnen Oberarme, lang, die Vorderarme kurz und dick, gegen die Knöchel nur wenig verschmächtigt, die Hände sehr lang und schmal, mit sehr langen Rücken und Fingern versehen; – die Beine dagegen sehr kurz, viel kürzer als die Arme, die Oberschenkel bei sehr geringer Länger sehr dick, die Knie dünn, die Unterschenkel kurz, länger als die Oberschenkel, ihre Waden sehr ausgebildet und ebenso oberhalb der Knöchel sehr stark, daher sie eine sehr wenig ausgesprochene Kegelgestalt besitzen, die Füsse sehr kurz und mässig breit, um den Rist aber sehr stark. Von den Nordchinesen unterschieden sich die Japaner durch folgende körperliche Eigentümlichkeiten: Sie sind viel kleiner, haben einen etwas breiteren, an der Basis aber schmäleren Kopf, ein längeres und schmäleres, nach oben und unten von den Jochbreiten weniger verschmälertes, also mehr gleichbreites Gesicht mit höheren Kiefern und breiterer Nasenwurzel; eine etwas längere, breitere aber mehr niedrige Nase, grössern Mund und längere Ohren. Ihr Hals ist dicker, die obere Brustapertur tiefer, der Brustkasten weiter, die Taille viel dicker, der ganze Rumpf gleichmässig dick; an den Hüften sind sie breiter und ist das Becken zwischen den vordern, obern Darmbeinstacheln weiter offen. Sie haben längere Arme mit längern, mehr dicken Oberarmen, stärkere, mehr kegelförmige Vorderarme, längere und breitere, also im ganzen grössere Hände mit längeren Fingern; – auch

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längere Beine mit dickeren Oberschenkeln, stärkern Knieen und längeren Oberschenkeln und dickere Waden; ihr Fuss ist nur sehr wenig kürzer, aber breiter und am Rist stärker.102 Zwar entwickelt die physische Anthropologie im 19. Jahrhundert Typen, sie entstehen jedoch als Effekte der Datenauswertung und sind als solche weder unbedingt unmittelbar evident, noch bildlich wiederzugeben, noch umstandslos im Alltag zur Identifizierung eines Einzelnen anzuwenden. Eine unmittelbare Evidenz von ›Rasse‹ und Geschlecht ist hier nicht einfach gegeben.103 Zugleich gibt es gleichsam stumme Voraussetzungen, die Zuschreibungen wie kurz, lang, dick, dünn regeln, welche ja auf eine Relation (nämlich zu einem ›mittleren durchschnittlichen Typus‹) weisen. Zudem wird ein ›Vergleichstypus‹ aus der ›asiatischen Rasse‹ herangezogen, um feiner spezifizieren zu können. Die Beschreibung gibt keine festen Werte, sondern Verhältniswerte und Bandbreiten an. Auffällig ist auch, dass so gut wie nichts aus dieser Beschreibung in irgendeiner Weise helfen würde, Morimuras Nase oder Augen als japanisch zu identifizieren. Als Vergleich bietet diese Beschreibung zudem entweder einen unsichtbaren ›europäischen, männlichen Typus‹ an oder die Relation zum ebenfalls männlichen ›chinesischen Typus‹. Weder lässt sich eine solche Typenbildung auf einen Einzelnen identifizierend beziehen, noch ließe sich daraus ein konventionell idealtypisches Typenbild erstellen. Zwar unterstellt die physische Anthropologie die Existenz und Differenz rassischer ›Typen‹. Diese treten jedoch selbst wieder polyvalent auf und beziehen hieraus eine Unschärfe, die Christine Hanke luzide auf die statistischen Verfahren bezogen hat:

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102 Er geht in der Vorstellung verschiedener Rassetypen stets gleich vor. Albin Weisbach: Körpermessungen an verschiedenen Menschenrassen, in: Dr. A. Weisbach: Körpermessungen verschiedener Menschenrassen. Europäischer Rassenwahn und Anthropometrie im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Reinhard Krüger, Berlin: Weidler, 2002 (ursprünglich in: Zeitschrift für Ethnologie (Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte) Bd. 9, 1877 (Supplement), 1–336), 106. 103 Dies obwohl sich gegen die statistisch-metrische Objektivität innerhalb der physischen Anthropologie die Aufwertung des subjektiven Urteils durch Anschauung wandte. Beide Positionen konnten als Verfahren der Objektivität in der physischen Anthropologie Mischformen bilden, z. B. wenn man annahm, das einzelne Menschen bzw. Knochen den Typus in ›Reinform‹ repräsentieren. Vgl. Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 153 ff. Nichtsdestotrotz war einfache Evidenz nicht gegeben.

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Im Rahmen einer statistischen Konzeption wird […] die Grenze zwischen ›typisch‹ bzw. ›normal‹ und ›untypisch‹ nicht qualitativ, sondern in statistischen Konventionen und Praktiken der Normalverteilung begründet. In dieser Konzeption gibt es keine absolute und klare, qualitative Grenzziehung zwischen ›typischen‹ Vertretern einer ›Rasse‹ und abweichenden Personen.104 Trotz der Annahme einer normalen Streuung ›rassischer‹ Körpermerkmale, produziert die Normalverteilung keine scharfe Grenze zwischen ›normal‹ und ›abweichend‹ für einen ›Typus‹ geschweige, denn einen ›Ideal-Typus‹. Da ›Typen‹ aus Häufungen, innerhalb deren selbst wieder Abweichungen bestehen, abgeleitet werden, gibt es nicht nur an den Rändern der Daten-Verteilungen Ausfransungen, Übergänge, Überschneidungen, sondern letztlich kann die Grenze zwischen ›normal‹ und ›abweichend‹ an jedem Punkt der Kurve einer Normalverteilung festgemacht werden/auftreten (Abb. 51). Aus diesem Fließen resultieren: »Physisch-Anthropologische Unschärfen«.105 Wenn sich so in »der Datenauswertung […] statistische Verfahren auf die Verteilung von Werten« 106 richten, lassen sich diese nicht wieder in ›scharfe‹ Photographien bzw. eindeutige Körperbilder gießen.107 Denn der statistisch ermittelte ›Typus‹ beinhaltet »eine Bandbreite an Formen«108, wie es »innerhalb dieser Bandbreite selbst […] wiederum ›Typisches‹ und ›Abweichendes‹« 109 gibt. Deshalb entsteht »für die Beschreibung als Datenerhebungs- aber auch als Auswertungsverfahren eine ähnliche Flexibilität, Heterogenität und Polyvalenz […] wie für die metrisch-objektiven Verfahren«.110 Unmöglich wären hiermit Identifizierungen von Nasen, Augen und Beinen, die wie in den Rezeptionen ›Morimuras‹ nur durch Ansicht von Photographien auf eindeutige Bestimmung zielen, zumal wenn die Körperteile nach ihrer ›Schönheit‹ beurteilt werden.111 Wird in der Rezeption der Actresses aus der Erscheinung die (vorausgesetzte) repräsentative Übereinstimmung eines ein104 Ebenda, 55 105 Ebenda, 52–56 106 Ebenda, 31. 107 Galtons Kompositportraits als Versuch einer Umsetzung der statistischen Methoden verbannen nach Allan Sekula deren Unschärfe, die die Abweichung vom mittleren Wert maß, insofern an den Rand der Bilder, vgl. Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, a. a. O., 314 ff. 108 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 161. 109 Ebenda, 161. 110 Ebenda, 161. 111 Schönheit im naturwissenschaftlichen Bereich würde viel eher eine Klar-

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zelnen auktorialen Körpers mit einem ebenfalls vorausgesetzten Aussehen des ›Typus‹, der wiederum überhaupt erst durch diesen auktorialen Körper als repräsentatives Exemplar konstituiert wird, abgeglichen, so verfährt Epistemik des statistischen Zirkels in der Anthropometrie anders herum. Die Voraussetzung einer Normalverteilung unterstellt Typisches, präjudiziert es aber nicht: Vom Prinzip her werden an zufälligen Stichproben Daten erhoben statt aus einer Gruppe jene auszuwählen, die vorab schon repräsentativ oder ›typisch‹ erscheinen. Aus diesem Grunde eignet der Statistik eine Form der Nachträglichkeit an: Sie setzt ihre Ergebnisse, also etwa ›Typen‹, nicht normativ voraus, sondern stellt sie normalistisch erst her. […] Auf diese Weise abstrahiert die statistische Identifizierung vom Einzelnen. In der Datenauswertung richten sich statistische Verfahren auf die Verteilung von Werten.112 Einerseits ermittelt die Statistik erst im Nachhinein – setzt also axiomatisch keine ›Typen‹ voraus –, andererseits aber liegt ihr immer die Grundannahme einer bestimmten ›normalen‹ Streuung vor allem von ›Naturphänomenen‹ zugrunde.113

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Die ›normale‹ Streuung von Werten lässt sich leichter in Beschreibungen, Diagrammen, Tabellen, Häufungsverteilungen visualisieren als in mimetischen Körperbildern (Abb. 51–53). Befasst sich die physische Anthropologie mit Körpern, die nur als Präparate zugerichtet in sie einzugehen vermögen, dann stellen ihre Objekte nicht bloße Natur dar. Dies könnte man vielleicht mit den Zurichtungen parallelisieren, die an Morimura vor der Aufnahme vorgenommen werden.114 Sieht man von den Differenzen des Zwecks der Zurichtung ab, geben auch die Actresses nur Körper als Amalgame aus Natur und Technik. Da diese Zurichtungen in beiden Fällen im Eigentlichen keine Natur mehr sind, stürzen sie den Referenten in einen steten Entzug, da die Kausalität der Identifizierung verkehrt ist:

heit und Einfachheit der Darstellung meinen und weniger die des ›Objektes‹ der Repräsentation. 112 Ebenda, 31. 113 Ebenda, 55. 114 Vgl. die Abbildungen in Yasumasa Morimura: About My Work, in: Daughter of Art History, a. a. O., 111–123; sowie die Photographien in Yasumasa Morimura: Joyūka M no monogatari (Story of M’s Self-portraits), a. a. O.

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Die von der Anthropologie identifizierten ›Objekte‹ sind nicht vor der Identifizierung bereits da, sondern entstehen erst in einem Zusammenspiel von Schädel, Technik, Abdruckmaterial, Positionierung, Visualisierung, Identifizierung usw. […] Was die Anthropologie sieht, misst, beschreibt, analysiert, abbildet, ist auf diese Weise immer schon durch die ›anthropologische Brille‹ zugerichtet und in den Diskurs eingeführt. In diesem umfangreichen Programm des Rasterns, Vermessens, Beschreibens sowie Typisierens kann der Referent nicht mehr als der Identifizierung vorgängiger gedacht werden.115 Versteht man die Actresses als Produktion eines photographischen Quasi-Präparats, das ähnliche Entzüge evoziert, dann stabilisiert die Rezeption diesen unendlichen Regress durch die Produktion der Referenz rassisierten und vergeschlechtlichten auktorialen Körpers auf einen, der aus aller »Verwirrung« 116 als Exemplar hervortritt, indem er sich einem kennerschaftlichen Blick entbirgt. Auf Basis einer statistischen Auswertung von Messdaten ist der ›Typ‹ in der physischen Anthropologie jedoch weder in einem Körper(bild) zu re-visualisieren noch aus diesem ohne weiteres zu identifizieren. Der ›Typus‹ krankt an chronischer Unschärfe. Trotzdem jedoch gab es auch in der physischen Anthropologie Re-Visualisierungen der Daten durch konkrete ›Körperbilder‹, von Schädelrekonstruktionen bis zu Skulpturen. Und es bestand auch die Vorstellung, dass ein ›Präparat‹ es vermag, einen in den Normalverteilungskurven in unscharfe ›Typenbereiche‹ aufgelösten ›Typus‹ in ›Reinform‹ zu re-präsentieren (dies ungeachtet des Problems, an einer Normalverteilungskurve den Punkt festzulegen, an welchem ›Abweichung‹ oder ›Reinform‹ einsetzen). Es persistierte außerdem parallel zur vermehrten Unanschaulichkeit des ›Typus‹ durch die statistische Wende eine gegenläufige Emphase auf die Interpretation der gesammelten Daten durch eine virtuose, urteilende Anschauung. Der Anthropologe trat hier gleichsam als Kenner auf, der in eingehender Betrachtung des Materials den Typus erkennt. Diese anthropologische Kennerschaft stellte sich bereits im 19. Jahrhundert in eine Linie mit der im Feld der Kunst und seiner Deutung, wobei »der Anthropologe zum Kunstkritiker und sogar selbst zum Künstler wird, der den ›Rassetypus‹ wie ein Kunstwerk aus den ihm vorliegenden Schädeln herausschält«.117 Robert 115 Christine Hanke: Zum epistemischen Status des Körpers, in: dies.: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 21–26, 25 f. 116 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 117 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 155.

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Lehmann-Nitsches Lob der anschauenden Kennerschaft zeigt eine enge Korrespondenz mit der dargestellten Bildepistemik in der Rezeption von Morimuras Actresses auf: [A]us großen Serien springt der gemeinsame Charakter, das gemeinsam Gleiche ins Auge, wenn dieses eben richtig zu sehen versteht; mit dem Blick des Künstlers und Kritikers, mit bloßem Augenschein muß eben die Schädelform aufgefaßt werden, will man das Rassentümliche daran ersehen.118

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Wenn Christine Hanke angesichts der aufkommenden Bevorzugung metrisch-statistischer Verfahren in der physischen Anthropologie, deren Effekte die Verlässlichkeit des Augenscheins desavouiert, anmerkt, dass »die Verbreitung und die Langlebigkeit einer Vorstellung anthropologischer ›Rasse‹-Identifizierung, sie geschehe durch den (geübten) Augenschein, als bemerkenswert her vorgehoben werden«119 muss, dann gilt dies unter anderen Vorzeichen für die Rezeption der Actresses. Um diese Verwunderung, die auch den Ausgangspunkt dieser Analyse darstellt, zu rahmen, ist die Verführungskraft des kennerschaftlichen Blicks heranzuziehen. Kennerschaft verspricht hier wie dort, Probleme des BeDeutens an Präparaten und Visualisierungen auszublenden, indem ein interpretatives Vermögen, das aus Erfahrung schöpft, in eine wissenschaftlich-schöpferische Autorschaft umgemünzt wird. Diese Autorschaft autorisiert sich dadurch, dass sie ihre eigenen Mittel leugnet. Es sind ihre Akte des Be-Deutens, die mit gewaltsamer Fixierung operierend Sinn ins Objekt, in die Dinge resp. ins Andere legt, indem abgrenzend differenziert wird. Dieser Hinweis auf Kennerschaft darf nun nicht wiederum die Divergenzen der jeweiligen epistemischen Verfahren tilgen: Die entscheidende Differenz zwischen den hier verhandelten Verbildlichungsverfahren und den daran angelegten Epistemiken liegt darin, dass die Actresses trotz verschiedener Analogien keine metrisch-statistische Fundierung anbieten: Sie bleiben hier in gewisser Weise bodenloser. 118 Robert Lehmann-Nitsche: Schädeltypen und Rassenschädel, in: Archiv für Anthropologie, (33/1906) (= N. F. 5), 110–115, 114. Auch innerhalb der metrischobjektiven Verfahren und der Statistik spielte so der Augenschein eine Rolle. Dies wurde in den Texten z. B. in der Überführung von Datenanalysen zu Körperbeschreibungen deutlich. Es ging jedoch nicht wie in der Rezeption Morimuras oder in den quantifizierenden Erfassungsverfahren Bertillons um einzelne Körper, sondern um ›Typen‹, die im Kontext der grundsätzlichen Unbestimmtheit der Analysekategorie Rasse um 1900 stets reguläre Abweichungen und Varianzbreiten implizierten, die den jeweiligen ›Typus‹ ausfransen ließen. 119 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 165.

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Elizabeth Edwards bemerkte deshalb zu Recht, dass erst im Übergang von der physischen zur kulturorientierten Anthropologie der Photographie eine Beglaubigungsfunktion für die ›Natur‹ des Abgebildeten zukam. Es war die Hinwendung zur Erforschung kultureller Differenzen in der Kultur-Anthropologie, die das Photographische in eine Naturalisierungsmaschinerie zu wandeln drohte.120 Hier wirkte ein photographischer Realismus, der – so ließe sich sagen – zuließ, die Kultur der Anderen außerhalb von Geschichte zu naturalisieren, um ›kulturelle Differenz‹ im Abzug pragmatisch so zu arretierten, dass ein stabiles Forschungsobjekt sichtbar wurde. Nach Edwards richten sich in den 1990er Jahren künstlerische Verfahren gegen solche Fixierungen, indem sie die Photographie als Täuschungsmittel einsetzten, um die »Effekte der Differenz« 121 im Taxonomischen photographisch zu erforschen. Morimuras Actresses müssten in eine solche Historisierung als Experiment mit den diskursiven Effekten des Taxonomischen eingeordnet werden. Denn zwar liegt ihre besondere Pointe darin, dass diese Selbstportraits innerhalb der Geschichte künstlerischer Selbstportraits anders verortet sind, da sie mehr auf den Künstler als Subjekt der Taxonomie verweisen als auf den Künstler als Subjekt der Kunst. Jedoch tritt die basale Störung des Nexus von unterschiedlichen taxonomischen Körperepistemiken und Photographie nur in der Aussetzung an Rezeptionen hervor, die den brüchigen Paradoxien der Verbindung von Typus, Individuum und photographischer Evidenz in Bezug auf Rasse und Geschlecht nicht (mehr) zu entgehen vermögen.

Identifizieren Insofern die Rezeption der Actresses nicht nur implizit die Hervorbringung eines ›Typus‹ betreibt, deren ›Epistemik‹ ebenso hinter der Verhandlung von Objektivität in den Verfahren in der physischen Anthropologie wie hinter ihrer Problematisierung der Photographie zurückbleibt, interessiert in Folge, wie sich diese Epistemik zu denjenigen Identifizierungs- und Erfassungsmaßnahmen um 1900 verhält, welche Sekula als Gegenstück zur Typisierung lanciert und an der Bertillonage festmacht. Die sich ab 1879 in Paris etablierende anthropometrische Methode Alphonse Bertillons verband ja ebenfalls die Photographie mit Verfahren der Vermessung, Archivierung und Beschreibung. Sie zielte auf die Erfassung rück120 Elizabeth Edwards: Andere ordnen, a. a. O., 351. 121 Ebenda, 353.

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fällig gewordener Straftäter/innen, also auf einzelne Personen, die beim Erstdelikt erfasst worden waren. Im Gegensatz zum qualifizierenden Verfahren der Typisierung im Stile Galtons, die noch zu konturieren sein wird, war das Vorgehen der Bertillonage quantifizierend.122 Ihr erstes Ziel war, in der Unmenge an Daten Ausschlüsse vornehmen zu können. Die Beweiskraft von Photographien entstand dabei nur über den Weg einer komplizierten Identifizierungskette, die über diverse mediale, epistemische und ästhetische Strategien lief. Die photographischen Aufnahmen unterstanden hierbei ebenfalls einer Standardisierung, um die Vergleichbarkeit zwischen der Aufnahme der Erstverhaftung und der der Folgeverhaftung zu verbürgen. Nur am Ende einer Kette von verschiedenen Identifizierungsverfahren vermochten die Photographien es, Identitäten zu visualisieren. Die Bertillonage bezog ihre Dringlichkeit u. a. aus dem massiven Verlust von Geburtsurkunden durch einen Großbrand. Da die Geburtsdaten einiger Jahrgänge fehlten, konnten Bürger/innen entsprechenden Alters mit ihrem Namen ihre bürgerliche Identität nach Belieben ändern.123 Die Physiognomie der Personen versprach deshalb gegenüber ihren Namen halbwegs stabile Identifizierungen. Doch die Unmenge an Photographien von Verhafteten machte den langwierigen Abgleich unzähliger Aufnahmen erforderlich, was die zeitliche Ökonomie der Ermittlung störte. Um das Auffinden des jeweiligen photographischen ›Beweises‹ zu erleichtern, wurden die Körper über ihre Ablichtung hinaus anthropometrisch erfasst, um die Lichtbilder über Körperteilmaße, die zudem im Gegensatz zu Bildern den Vorteil aufwiesen, telegraf isch übermittelt werden zu können, im Archiv zu indizieren. Die Aufnahmen der Verhafteten (en face und en profil ) wurden mit den Daten der anthropometrischen Vermessung auf Karteikarten festgehalten, die wiederum nach den Körpermaßen geordnet auffindbar wurden (Abb. 55).124 296

122 Sekula versteht dies als neutraleren Zugriff. Vgl. Allan Sekula: Der Körper und das Archiv, a. a. O. 123 Ebenda u. Carlo Ginzburg: Spurensicherung, a. a. O. 124 Da die meisten Personen, die der Bertillonage unterzogen wurden, dies nicht freiwillig taten, bilde ich hier die ›Erfassung‹ Galtons ab, der sich freiwillig der Prozedur unterzog.

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Juristisch bestand das Problem, dass diese Identifizierungskette genau genommen lediglich negative Beweiskraft besaß. Sie ermöglichte nur Ausschlüsse, keine positiven Identifizierungen. Unsicher blieb so: ob zwei identische Datenserien sich auf ein und dasselbe Individuum bezogen. Man hatte – mit der Methode der Quantifizierung – die unausrottbare Fähigkeit des Individuums, sich zu entziehen, endlich besiegt, und nun kam sie durch die Hintertür wieder herein.125

297

Abb. 54: Francis Galton: Inquiries into Human Faculty and its Development, London: Macmillan 1893, Frontispiz.

125 Carlo Ginzburg: Spurensicherung, a. a. O., 111.

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Abb. 55: Bertillonage von Fancis Galton, entstanden anlässlich seines Besuchs in Bertillons Labor.

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Die Bertillonage war deshalb gezwungen, in die »Identität der Person trotz der bedeutenden Unähnlichkeit der Bilder« 126 (Abb. 56) eigens zu versichern bzw. in dieses Problem der Un/Ähnlichkeit einzuüben.127 Wie Uli Richtmeyer gegen Allan Sekulas starke Entgegensetzung von Galton (Typisierung) und Bertillon (Identifizierung) einwendet, handelt es sich auch bei der Bertillonage um ein Kompositbild, das lediglich anders interpretiert und zusammengestellt ist: Der Unterschied zu Galtons Verfahren ist dabei keineswegs so gross, wie es in Alan Sekulas profunder Untersuchung zum 126 Alphonse Bertillon: Identität der Person trotz bedeutender Unähnlichkeit der Bilder, in: ders.: Das anthropometrische Signalement, 2. vermehrte Auflage mit einem Album, hrsg. v. Ernst von Sury, Bern u. Leipzig: Siebert, 1985, Tafel 59a. 127 Dasselbe gilt für das umgekehrte Phänomen. Auch die »Nicht-Identität der Person trotz Ähnlichkeit der Bilder« wurde thematisiert, vgl. ebenda, Tafel 60a u. 60b.

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Körper und Archiv den Anschein hat. Denn eigentlich wollte auch Bertillon ein Kompositbild erzeugen, allerdings sollte es erst in der Imagination des Kriminalbeamten entstehen, der die Karteikartenbilder kennt, weil er sie mit einem eigens entwickelten Vokabular detailliert beschreiben kann (portrait parlé) und ebenfalls in der Lage ist, im Strassenbild solche Photographien flüchtigen Verbrechern zuzuordnen.128 Demnach könnte man alle bisherigen epistemischen Verfahren als Herstellung von Kompositbildern bezeichnen, denn sie stellen nur jeweils anders epistemische, mediale und ästhetische Verfahren zusammen. Die Jeweiligkeit der Zusammenstellung ist jedoch genau Thema, wenn es um Unfüglichkeiten geht, die auf Signaturen der Alterität weisen. Zum Ausgleich der photographischen Unähnlichkeit schlug Bertillon vor, das visuelle Identifizierungsverfahren »mit dem sogenannten ›gesprochenen Portrait‹, […] zu verbinden, um so eine exakte Identifizierung zu ermöglichen.« 129 Mittels einer »verbalen, analytischen Beschreibung der persönlichen Kennzeichen (Nase, Augen, Ohren und so weiter), die insgesamt das Bild des einzelnen ergeben müßten,« 130 sollten die Probleme, die die Photographie für die Identifikation aufwarf, gelöst werden. Dies führte jedoch nur zur fortgesetzten zirkulären Legitimation von Daten und Verfahren, in der das eine die Begründung aus dem anderen und aus einer willkürlichen Benennung bezog. Denn woher sollte das Vokabular der Beschreibung kommen, wenn nicht aus der Quantifizierung von Körperdaten und aus Bildern und Messungen? Deshalb »verschlimmerte« laut Carlo Ginzburg das »gesprochene Portrait […] alles noch mehr. Wie sollte man bei der Personenbeschreibung eine höckrig gebogene Nase von einer gebogenen Höckernase unterscheiden? Oder die Farbabstufungen eines blaugrünen Auges klassifizieren?« 131 Der fortwährende Regress, auf den die Notwendigkeit zur Ergänzung der Verfahren weist, resultiert nicht

128 Uli Richtmeyer: Zur Logik der Phantomgesichter. Methodische Aporien und philosophische Konsequenzen ikonischer Kompositionalität, in: Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik, 01: Der Anfang. Aporien der Bildkritik, hrsg. v. Iris Laner u. Sophie Schweinfurth (März/2011), 117–138, http://rheinsprung11.unibas. ch/ausgabe-01/pdf-download.html (zul. ges. 2. 2. 2013), 123. Die durchgängige Vermeidung des scharfen ›S‹ verdankt sich der Eigenart des Weblayouts und wird hier wie im Folgenden nicht weiter kommentiert werden. 129 Carlo Ginzburg: Spurensicherung, a. a. O., 111. 130 Ebenda. 131 Ebenda.

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nur – wie Ginzburg insinuiert – aus dem Problem des Individuums. Vielmehr ist diese Praxis der kompensatorischen Häufung von Sicherungsverfahren von der zunehmende Gewahrung den Auseinandertretens medialer, epistemischer und ästhetischer Strategien angetrieben. Diese Strategien waren so in den Identifizierungspraktiken stets thematisch. Auch hier tritt hervor und wird praktisch reflektiert, dass Visualisierungen, statistische Verfahren und sprachliche Beschreibungen trotz ihrer Verquickung in unterschiedlichen Registern operieren. Ihre je spezifischen Medialitäten und Materialitäten implizieren nicht allein Un/Übersetzbarkeiten, sondern sie führen auch zu spezifischen Wucherungen und Unschärfen, welche die wissenschaftlichen Versuche der Fixierung der wissenschaftsdiskursiven Effekte ›Rasse‹ und Geschlecht insofern reflexiv markieren,132 als diese zumindest gezwungen sind, darauf mit Bewältigungsstrategien zu reagieren.

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Abb. 56: »Identität der Person trotz der bedeutenden Unähnlichkeit der Bilder«.

Die Versuche von Typisierung und Identifikation im 19. Jahrhundert differenzierten so die Erkenntnisverfahren, Diskursivität und Probleme der darin wirkenden medialen Spezifika aus. In den epistemischen Praktiken des Archivs, der Taxonomie, Typisierung und Spurensicherung ist eine Polyvalenz von Verfahren und Effekten auszumachen, die darauf zu reagieren scheint, dass sich die diver-

132 Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 52 ff.

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genten Medialitäten, die involviert wurden, keineswegs bruchlos den Ansprüchen des Diskurses fügten. Die Herstellung von intelligibler Sichtbarkeit erwies sich vielmehr als unfüglich. Sie wurde als schwierige und keineswegs bruchfreie Verfugung unterschiedlicher Praktiken und Medialitäten zum Problem.133 Anders ausgedrückt: Die neuen Weisen der Objektivierung im 19. Jahrhundert haben den Komplex Identität(en)/Subjekt/Differenz/Individualität keineswegs als unproblematische Objektivitäten hervorgebracht. Vielmehr hat man es mit einer skrupulösen Verhandlung zu tun, die sich sogar an demjenigen Medium (der Photographie) rieb, das als Idealtyp mechanischer Objektivität lanciert wurde. Der Zusammenschluss vielfältiger Verfahren der Objektivierung um 1900 reagierte so darauf, dass Evidenz, Anschaulichkeit und Sichtbarkeit (auch jenseits des Bildes) problematisch wurden. Diese Skrupulosität fällt in der Rezeption von Morimuras Actresses insofern aus, als die Divergenzen von Ästhetik, Epistemik, Sprache und Bild durch die Projektion einer auktorialen Identität im Bild gekittet werden.134 Sichtbarkeit wird für Rezeption der Actresses deshalb auch genau dort zum Problem, wo sie auf hört, die Verfertigung von Evidenz als Problem zu thematisieren. Genau dort also, wo in der Rezeption die Behandlung der Fraglichkeit von Evidenz gleichsam aussetzt, tritt die Verfugung von medialen, ästhetischen und epistemischen Strategien, die bereits in sich divergent sind, im Differieren von auktorialer Signatur und Signatur der Alterität als unfüglich hervor: Attrappe, Plastikbrüste, Penisattrappe, Nase, Augen, Beine – nichts passt.

301 133 Katharina Sykora hat auf das vergleichend morphologische Element des Umgangs Bertillons mit Photographien hingewiesen. Auch hierin zeigt sich bereits eine Problematisierung des Photographischen, nämlich in der Lücke zwischen den Bildern. Vgl. Katharina Sykora: Die Tode der Fotografie, Bd. 1: Totenfotografie und ihr sozialer Gebrauch, München: Fink, 2009, 443. 134 Fast könnte man hier von einer signatura rerum sprechen, die allerdings nicht die göttliche Ordnung, sondern die auktoriale Fügung artikuliert. Vgl. hierzu Giorgio Agamben: Signatura rerum, a. a. O., 41–99, insbes. 80. Agamben behandelt Paracelsus’ Signaturenlehre leider ausschließlich unter Foucault’schen Vorzeichen und geht nur in einer Andeutung auf die Umformung des Gebrauchs der Signatur im 19. Jahrhundert ein, ebenda, 84–87.

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Irren des Be-Deutens

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In der Rezeption der Actresses problematisiert so eine Duplizität des auktorialen Körpers, die als diskursiv konstituierter Referenzpunkt und als Körperbild thematisch wird, die Divergenz unterschiedlicher medialer, ästhetischer und epistemischer Strategien. Wo die Rezeption einen auktorialen Körper als vorphotographische Differenz zu den euro-amerikanischen Weiblichkeitseffekten der Serie und zu ihren Vor-Bildern herauspräpariert, ist dieser Körper ein Effekt eines zirkulär präjudizierten Wissens um die ›Gattung‹ des Autors. Seine Identifizierung liefert dem kunst/wissenschaftlichen Diskurs die Einheit von Intention und Werk sowie die Abgrenzung von falsch/echt, Original/Kopie, männlich/weiblich, euro-amerikanisch/asiatisch und normal/abweichend. Ohne diesen auktorialen Körper, der als auktoriale Signatur auftritt, wäre nämlich jedes Interesse für signifikante Körperteile bereits bei der Be-Zeichnung zu einem unendlichen Lavieren und zu einem fortlaufenden Scheitern gezwungen. Wie visuelle Marken der Actresses als Hinweis auf Morimuras Körper nehmen? Wie sie überhaupt be-zeichnen? – Selbst das Wort ›Bein‹ wäre ja schon zu viel. Die auktoriale (Körper)Signatur ermöglicht, von diesem basalen Problem, das das (Körper)Bild stellt, absehen zu können. Die identifizierte Figur des Autors verkittet die Divergenzen zwischen visuellen, textuellen, ästhetischen und epistemischen Verfahren. So erscheint die auktoriale Signatur als hochproduktiv im Dienst an der Verknappung des Sinns (alle Rezeptionen vermögen es z. B. allein eine Differenz von Ost und West zu verhandeln). Doch wird ›er‹ (Morimura) als diskursiver Effekt zugleich lesbar, reflexiv und damit verwirrend. Denn seine Evidenz gerät paradoxal an die Grenze. Das Wissen um die ›Gattung des Autors‹ ist nämlich weder in den einzelnen Texten, noch in der Zusammenschau der Rezeption eindeutig. Wenn Avgikos meint: »Morimura seems to have only one thing in mind – showing and confirming ›his‹ masculinity«, so dass die vorgebliche Verunsicherung von Geschlecht und Schaulust endet, »once we remember there’s a real penis«,135 dann ist diese Männlichkeit schlecht abgesichert. Denn selbst Avgikos kann sie nur als Erinnerung an einen realen/ echten Penis zwischen ihren Beinen (»there’s a real penis lurking between her legs« 136 ) herauf beschwören. Dagegen tritt an anderen Orten der Serie (und der Rezeption) dieses (dasselbe?) Männ135 Jan Avgikos: Yasumasa Morimura. Luhring Augustine, a. a. O., 91, meine Hervorhebung. 136 Ebenda, meine Hervorhebung.

2. UN /SICHTBARE SUJETS

lichkeitsattribut wiederum als »Attrappe« 137 auf. Wenn die Rezeption vornehmlich Arbeiten aus der Serie der Actresses diskutiert, in denen nackte Körperteile (oder ihre Nachstellung) zu sehen sind, fokussiert sie selektiv auf ›nackte Tatsachen‹, die sie als Attrappen oder signifikante, auktoriale Körperteile zu decouvrieren sucht. Dabei ist das Interesse vollständig auf die ›Figur des Autors‹ beschränkt. Nicht zum Problem wird für die Rezeption, dass die Marilyn Monroe der Red Marilyn (Abb. 43) z. B. dieselben ›Brüste‹ aufzuweisen scheint wie einige andere Verbildlichungen dieser und anderer Serien Morimuras. Keine Rezeption verwundert, dass diese ›Brüste‹ sowohl als »perfect breasts« 138 als auch als schlechte Attrappen gesehen/beschrieben werden. Dass solche gleich mehrfach unfügliche Un/Ähnlichkeiten übersehbar sind, mag eine quasi statistische oder typisierende Annäherung an euro-amerikanische Brustformen und Umfänge alludieren, doch selbst diese Anspielung muss an der Heterogenität des Bildmaterials scheitern. Und selbst mit dieser Lesart greift an den ›Brüsten‹ letztlich nur wiederum eine projektive, nur anders ausgerichtete, Behandlung der Sichtbarkeit der Actresses. Da die Actresses für die Rezeption ausschließlich (und keineswegs eindeutig) darüber signifikant zu werden vermögen, dass ein intelligibler auktorialer Körpers ins Bild projiziert wird, weist der Rückgriff auf ein präjudiertes Wissen um den Autor (ebenso wie um Typenbilder oder durchschnittliche Brustumfänge) darauf, dass das Bild gerade nicht auf eine Weise evident ist, die solche diskursiven Einordnungen aus sich selbst heraus erlauben würde. Aus der Perspektive des Diskursiven ist es eine unfügliche Unverfügbarkeit oder Alterität. Die Projektion eines intelligiblen auktorialen Körpers von Morimura, der als auktoriale Signatur lesbar sei, verweist somit (negativ) auf ein Erscheinen von Alterität. Ihr Ohne-Sinn soll durch die Intelligibilisierung der ›Differenz des Autors‹ getilgt werden. Die Alterität Morimuras und die Alterität des Bildlichen werden gleichermaßen zum Unterworfenen der Wissensbestrebungen der Rezeption. Eine festlegende und abgrenzende Be-Zeichnung und Differenzierung von Körperteilen nach ›Rasse‹ und Geschlecht scheint unausweichlich, um vom Sichtbaren ausgehend ›Identität‹ sprachlich zu verhandeln (die Herkunft von Diskriminierung aus dem lateinischen discriminare: trennen, absondern, auslesen und discrimen: Unterschied ist hier instruktiv für einen instrumentellen Zugriff des diskursiven Wissens auf den Anderen). Dabei ist eine Austauschbarkeit von Sichtbarkeit und Be-Zeichnung, bzw. eine ungebrochene Vermitt137 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 138 Jan Avgikos: Yasumasa Morimura. Luhring Augustine, a. a. O., 91.

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lung zwischen Bild und Wort unterstellt, die annimmt, dass Bilder allein nach dem Modell des Zeichens konturiert seien. In dieser Bedeutungsarbeit, die analog zur Sprache konzipiert ist, scheint es notwendig, dass einige dieser arbiträren Zeichen, wenngleich als eigentlich rein konventionell bzw. arbiträr aufgefasst, zugleich doch überraschend substantielle Merkmale darstellen: Augen, Beine, Nase und: ein grundsätzlich unsichtbarer Penis, der selbst in Analysen, die kritisch mit Kastrationsangst umgehen, so sehr als ›real‹ vorhanden gedacht wird, dass ›er‹ es keineswegs vermag, in seinem Status als gefährdet zu erscheinen. Doch ist ›er‹ einfach evident? Zeigt sich im Umkreisen, im immer wieder Anheben, im Spiel von Entzug und Authentifizierung, im offenkundig projektiven Gestus der Zuschreibung, in der hochgradig unterschiedlichen Auslegung signifikanter Körperteile nicht eine grundsätzliche Schwierigkeit des Be-Zeichnens? Denn diese mühevollen (und mühevoll zu lesenden) Bewegungen erweisen sich als eine sprachliche Arbeit, in denen die Mühe schon darauf weist, dass dasjenige, was einfach im Bild zu sehen/erkennen sein soll (Geschlechterdifferenzen, die Ethnizität von Hauttönen, die Zugehörigkeit von Armen, die Authentizität von Attrappen und dem, was sie zu ersetzen, verbergen oder vorzutäuschen scheinen), keineswegs so schlicht sichtbar ist. Die Annahme einer evidenten Signifikanz des Selbstportraits, das als Gattung dazu verpflichtet scheint, durch den Körper so zu bedeuten, dass ein auktoriales KörperBild die auktoriale Signatur verkörpere, erweist sich selbst im forcierten Körperbezug als problematischer, schwer zu sichernder Diskurseffekt. Die Actresses entziehen sich dem Verlangen nach Evidenz derart, dass die differente ›Gattung‹ des Autors kritisch wird. Als in die Krise geratene Zentrierung wühlt sie das Problem der Gattung im vollen Wortsinne von Art, Geschlecht und Genre auf.139 Wo die Rezeption einen auktorialen Körper als authentifizierte Differenz zum euro-amerikanischen Weiblichkeitseffekt der Serie und ihren Vor-Bildern herauszupräparieren sucht, tritt ein zirkulärer Regress der Begründung hervor: Ein präjudiziertes Wissen um die ›Gattung‹ des Autors begründet eine »Autor-Funktion«,140 die nicht nur die diskursiven Verhandlungen von Ethnizität, Geschlecht, ›Rassemerkmalen‹, Selbstportrait, Autorschaft begrenzt, sondern die als auktoriale Signatur auch deren Ersichtlichkeit dadurch begründet, dass die ›Gattung‹ des Autors nach diesen diskursiven Parametern sichtbar sei. In den vielfachen Entzügen im Diskursiven, die an den Actresses bisher 139 Vgl. dazu Jacques Derrida: Das Gesetz der Gattung, a. a. O. 140 Michel Foucault: Was ist ein Autor? (Vortrag, 22. 2. 1969), a. a. O., 1015.

2. UN /SICHTBARE SUJETS

verfolgt wurden, scheint Alterität insofern als etwas anderes denn als die ethnisisiert und geschlechtlich abgegrenzte Differenz des Künstlers auf. ›Er‹ wird dabei jedoch weniger als ein gemachter Mann reflexiv, d. h. als eine soziale Konstruktion im Sinne Connells.141 Vielmehr erscheint ›er‹ als Effekt einer sprachlichen Bedeutungsarbeit am Bild, in der dessen Alterität zunehmend kritisch hervortritt. Im Widerstreit mit dem Bild werden diskursive Aspekte sozialer Konstruktionen wiederholt und in Wiederholung sedimentiert, um einen sozial intelligiblen Bild/Körper zu (re)produzieren, der sich fortlaufend im Bild entzieht. Die Rezeption sowie Morimuras Actresses weisen somit auf das Problem des unterscheidenden, diskretierenden Be-Deutens im und am Bild, das es in ein diskursiv unproblematisches Bild-Zeichen überführen soll.142 Indem dieser Übergang problematisch wird, artikuliert sich eine Alterität zwischen Bild und sprachlichem Diskurs: Das Bild zeigt keine diskreten Differenzen, sondern kontinuierlich verräumlichte Differenzen. Sobald man Körperteile identifiziert, hat man schon Formen so abgegrenzt, dass dies der sprachlichen Benennbarbeit folgt. Das Bild kann folglich Oppositionen und Hierarchien unterlaufen, welche die Sprache nicht vermeiden kann, da sie notwendig diskret und hierarchisch operiert. Insofern die Selbstportraits mit europäischasiatischenasiatischeneuropäischenasiatischen 143 Körperteilen operieren müssen, die im Bild nicht diskret und hierarchisiert sind, ist die Irre, in die die Rezeptionen laufen, unvermeidlich. Die Irre artikuliert ebenso eine Not der Be-Zeichnung wie auch die Nötigung dazu, d. h. die Nötigung zur erratischen unmöglichen Suche nach Worten. Be-Nennung stellt dabei sowohl für den an die sprachlichen Operationen der Rezeption ausgelieferten Morimura als auch für die Rezeption selbst einen unvermeidlichen Fluch dar. Die Divergenzen medialer und epistemischer Strategien sind mit der Photographie noch einmal speziell gewendet. Hier überführt ein Erscheinen von Alterität die diskursiven Verhandlungen der Signifikanz des auktorialen Körpers in Ver/Handlungen und in Fehl/Akte des Photographischen, die sich zudem jeweils wiederum fortlaufend verfehlen. 141 Vgl. Robert Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit, Opladen: Leske + Budrich, 2000. 142 Es ist jedoch anzuzweifeln, dass Bilder in ihrem sozialen Gebrauch als Zeichen vollständig aufgehen, bzw. dass sie, da sie so gebraucht werden können, Zeichen seien; vgl. dazu Lambert Wiesing: Artifizielle Präsenz, a. a. O., 37–80. 143 Wiederum drückt sich in dieser Wendung die Unmöglichkeit aus, sprachlich nicht zu hierarchisieren und diskrete Einheiten dessen zu produzieren, was im Bild als eins erscheint.

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3. Fehl/Akte

Wenn das Selbstportrait also zwischen Selbst-Befragung und Inszenierung von Autorschaft traditionell die Frage nach Identität stellt,1 findet die Verhandlung dieser Frage vornehmlich auf einer symbolisch-diskursiven, sprachlichen Ebene statt. Dies reibt sich an den Realitäten, Praktiken und Strategien von Photographie und Bildlichkeit. Die diskursive Unbestimmtheit des Bildlichen vermag es, in der Reflexion des Selbstportraits die beschreibenden, benennenden und differenzierenden Möglichkeiten der Kunst/ Kritik dort reflexiv werden zu lassen, wo sie diese ver-leugnen. Denn während die Kritik ›Gattung‹2 des Autors über die Differenzierung eines vorphotographischen Körpers der ›Maskeraden‹ der Actresses habhaft zu werden versucht, konstituiert sie ihn überhaupt erst als auktorialen Körper, an dem sich das gesamte Gleiten der geschlechtlichen und rassisierenden Zuordnung von Körperteilen in seltsamer Weise mit eindeutiger Bedeutung und Zuschreibung versehen verankern lässt, wobei, wie gezeigt, Konventionen der euro-amerikanischen Bedeutung des Autor/Künstlers und seiner Funktion für die Stabilisierung von Diskursen weiterlaufen. Das Bildliche der Actresses ist diskursiv nur funktionalisierbar, wenn man sie als Suchbild gebraucht, das es erlaubt, durch den abgrenzenden Abgleich von Differenzen zwischen einem einzelnen Körperbild und seiner Serialisierung den Künstler (tradiert als Prototyp/ideales Individuum) als Exemplar männlicher Japanizität heraus zu präparieren. Es werden hier jedoch nicht schlicht Schlüsse von »Bild[ern] einer Physiognomie« auf ein Original gezogen.3 1 Vgl. dazu: Katharina Sykora: Das Kleid des Geschlechts, a. a. O. 2 Vgl. zur Polyvalenz von ›Gattung‹ Jacques Derrida: Das Gesetz der Gattung, a. a. O. 3 Mit dem Hinweis auf die Zulässigkeit von Schlüssen wendet Ludwig Wittgenstein die These von der vollkommenen Unkenntlichkeit von Portraits ab: »Nun könnte man aber so sagen: Das Gesicht eines Menschen ist durchaus nicht immer die selbe Gestalt. Es ändert sich von Minute zu Minute; manchmal

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›Schlüsse‹ würden nämlich implizieren, dass auch Fehlschlüsse, d. h. ein durch Bezug fehlkonstituiertes Original, möglich wären. Schlüsse hätten sich als Schlüsse auszuweisen und wären somit als Konstitutionen einer idealtypischen Fiktion des Originals bemerkbar. Dagegen dient das ›Original‹/der Künstler der Rezeption als grundlegender Bezugspunkt, um überhaupt Schlüsse aus Bildern, bei denen anerkannt wird, dass sie das ›Original‹ verschleiern, ziehen zu können. Deshalb stellt Morimuras serielle Präsentation von Maskeraden dem Vergleichs-Prozess der Rezeption den Ausgang zu einem Kreislauf von sowohl stabilisierenden als auch destabilisierenden Wiederholungen eines in/intelligiblen auktorialen Körpers.4 Die Figur(ierung) des Autors zum geschlechtlich und ethnisch fixierten auktorialen Körper vollzieht deshalb nicht einfach nur eine diskursive Re-Produktion von Autorschaft und Biologismen. Sie übersetzt ein bildliches Zeigen in diskrete sprachliche Differenzen und Bedeutungen, in ein Sagen. Die Sperre der aisthetischen Medialität des Bildlichen gegen die diskursiven epistemischen Strategien der Kunstwissenschaft erzeugt jedoch exakt dort Brüche, wo eine lesbare Signatur des auktorialen Körpers zwischen Bildlichkeit und Diskurs, zwischen Zeigen und Sagen, zwischen sich zeigender Aisthesis und be-deutender Evidenz vermitteln soll.5 Denn diese Signatur steht nicht einfach auf der Seite des Diskursiven. Insofern versucht diese Unterscheidung von Sagen und Zeigen nicht,

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wenig, manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Dennoch ist es möglich, das Bild seiner Physiognomie zu zeichnen. Freilich, ein Bild, auf dem das Gesicht lächelt, zeigt nicht, wie es weinend aussieht. Aber es lässt darauf immerhin Schlüsse zu.« Ludwig Wittgenstein: Zettel, in: Werkausgabe in 8 Bänden, Bd. 8: Bemerkungen über die Farben, Über Gewißheit, Zettel, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984, 394. Ähnlich diskutiert Ernst Gombrich die Ähnlichkeit von Portraits und die Verständlichkeit von Gemütsbewegungen im Bild. Vgl. ders.: Maske und Gesicht, in: ders., Julian Hochberg u. Max Black: Kunst, Wahrnehmung, Wirklichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, 10–60, 29 ff. Dass und wie schwierig es dennoch ist, Schlüsse zu ziehen, war Thema in Un/ Sichtbare sujets. 4 Was sich so als Form stabilisierender Konstruktion von Gender und Race im Gestus der Dekonstruktion ausweist, zeigt, dass Repräsentation auch im Bereich solcher Dekonstruktionen nicht vollständig zu umgehen ist. Indem sie sich auch hier fortlaufend vollzieht, wird Dekonstruktion zur unendlichen Aufgabe. Insofern hat auch Morimura in immer neuen Selbstportraits einer Feststellung des auktorialen Körpers entgegen zu arbeiten. 5 Vgl. zur Unterscheidung diskursiver und aisthetischer Medien: Dieter Mersch: Bild und Blick. Zur Medialität des Visuellen, in: Media Synaesthetics. Konturen einer physiologischen Medienästhetik, hrsg. v. Christian Filk, Michael Lommel u. Mike Sandbothe, Köln: Herbert von Halem Verlag, 2004, 95–122, 111.

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wiederum eine monolithische Differenz von Sprache und Bild zu zementieren. Auch der Sprache eignet ein Zeigen, als Schrift muss sie ja gelesen werden, und ein Sich-Zeigen ihrer Performativität, welche als Vorzug des Darstellens nicht in Aussagen/Repräsentationen aufgeht.6 Hingewiesen sei demnach lediglich darauf, dass eine Divergenz unterschiedlicher Medialitäten und Materialitäten jeder Form medialen Darstellens inhärent ist.7 Dass so Darstellung in sich uneins ist, unterläuft den Gedanken, dass Repräsentation monokausal und vollständig sein könnte. Dennoch interessiert die Duplizität von Zeigen und Sich Zeigen, die das Bildliche kennzeichnet hier im Einzelnen.8 Es ist also die Figurierung des Autors in der auktorialen Signatur, die in der Rezeption das Bildliche diskursiv produktiv machen soll, indem der Bezug auf einen präjudizierten auktorialen Körper die fortlaufend offene Bedeutung des Zeigens des Bildes gleichsam verhaftet. Dies scheitert jedoch daran, auch im Sichtbaren ›seiner‹ diskursiv intelligiblen Evidenz habhaft zu werden. Denn diese liegt keineswegs schlicht vor, sondern muss mühevoll, in schwierigen und teils selbstwidersprüchlichen Akten hergestellt werden, die das Sichtbare be-deuten. Diese Akte fallen hinter die Problematisierung der Photographie für die Diskursivierung von rassisierten und vergeschlechtlichten Körperdifferenzen innerhalb der Gründungsszene von Typen und Erfassungsmaßnahmen um 1900 gleichsam zurück, da sie hierfür ein Evidenzversprechen des Photographischen in Dienst nehmen. Evidenz, was hier diskursive Intelligibilität meint,9 entsteht erst in der Auslieferung eines Bildes an die diskursiven Identifizierungspraktiken einer Rezeption, die sich das Bildliche, den Körper sowie den Anderen in jedem Wortsinn zum sujet macht: Gegenstand, Subjekt, Unterworfenen, Stoff, Thema. Die diskursive Verhandlung einer auktorialen Körpersignatur lässt sich jedoch auch als Evidenz verfehlende Ver/Handlung lesen, die daran scheitert, zwischen photographischem Bild und Diskursivierung eine fugenfreie Bindung herzustellen. Der Herstellung einer Evidenz der auktorialen Signatur widersteht ihr sujet jedoch in paradoxer Un/Sichtbarkeit, die die diskursive Kohärenz schon in sich verstört. Unfügliche Alterität: Identität wird im Bild gerade nicht als bedeutungsvolle Differenz intelligibel. Viel6 Wiewohl beides nur in der Duplizität von Sagen und Zeigen gegeben sein kann. 7 Vgl. Dieter Mersch: Einleitung. Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O. 8 Vgl. zur Entwicklung des Bildlichen aus der Duplizität von Zeigen und Sich-Zeigen, ebenda. 9 Das Bild ist ja evident – im Sinne von sichtbar –, nur gibt diese Evidenz nichts, was diskursiv zur Identifizierung des Bildsujets dienen könnte.

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mehr stürzt das, was das Bild zeigt, den Diskurs in ein unendliches Lavieren. In diesem passiven Widerstand zeigt sich die Alterität des Bildlichen der Actresses. Das Lavieren gibt so zu lesen, dass der diskursive auktoriale Körper Teil der epistemischen Strategie der auktorialen Signatur ist. So eröffnet sich bereits in der schriftlichen différance der Bahnen des Unterzeichnens und Gegenzeichnens zwischen Morimura und der Kritik ein stetes Scheitern an der Schließung des Sinns.10 ›Er‹ tritt somit als Material und sujet der Serie weniger ›naturalisiert‹ denn reflexiv hervor: Hier signiert gleichsam ein bereits im Diskursiven der Rezeption unfüglicher Kritik/Körper. Es ist jedoch nicht allein die Eigenlogik der Schrift, die diesen Körper kritisch werden lässt. Denn er zersetzt sich darüber hinaus weiter durch die Unfüglichkeit zwischen dem Zeigen des photographischen Bilds und seiner Versprachlichung zum Zeichen. Diese Unfüglichkeit liegt vor der schriftlichen différance der Rezeption, sie verweist auf die Eigenlogiken des Zeigens des Bildlichen und auf die aisthetische Performativität im Sich Zeigen der Serie der Actresses. In der Rezeption der Actresses wird durch die Verhandlung von ›Rasse‹ und ›Geschlecht‹ die Photographie paradox zwischen Körper-Inszenierung, Transparenz, Sichtbarkeit und Zeichen situiert. Die dem unterliegende Identifizierungspraxis behandelt die Photographien zugleich vornehmlich als kriminalistisch zu entschlüsselnde repräsentierende, zeichenhafte und transparente Spur des Körpers. Selbst wenn die Argumentation über die Inszeniertheit der Photographien und über den photographischen Körper als Simulakrum die arbiträre Zeichenhaftigkeit von Geschlecht und Ethnizität herausstellen möchte, sollen die Photographien den auktorialen Körper als vorphotographischen Körper transparent wiedergeben oder (durch gleichfalls ›durchschaubare‹ Schminke oder Attrappen) maskieren. Versteht man mit Philippe Dubois das semiotische Dispositiv der Photographie als Mischung der Zeichentypen Index, Symbol und Ikon, dann strebt die Rezeption an, an den Actresses symbolische (konventionelle) Beziehungen (nämlich signifikante Kör perteile) an ikonischen (Ähnlichkeits-) Beziehungen dingfest zu machen und durch die Indexikalität der Photographie zu beglaubigen. Ein konventioneller Sinn von Geschlecht und Ethnizität wird über die Ähnlichkeit einzelner Bildelemente (wie Penis oder Attrappe respektive ›japanische‹ oder ›europäische‹ »Augen- und Nasen-

10 Vgl. Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, a. a. O.; u. ders.: Limited Inc a b c, a. a. O., bes. 53–67.

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form«11) festgestellt, damit sich im auktorialen Körper als Referenten einer quasi natürlichen, indexikalischen Einschreibung ein Sinn und eine Ersichtlichkeit von vor/photographischer Realität stützend verbinden können. Diese Praxis lässt sich weder durch das Photographische, das Bildliche noch durch die einzelnen Photographien der Actresses begründen. Vielmehr zeigt sich hier eine soziale Pragmatik der Bedeutungszuweisung an Photographien, deren »Gesten und Prozesse« nach Dubois »zutiefst kulturell und vollständig von persönlichen und sozialen menschlichen Entscheidungen und Optionen abhängig« sind.12 Diese Gesten und Prozesse der sozialen Sinnbildung treten nämlich lediglich »vor und nach diesem Moment der natürlichen Einschreibung der Welt auf die empfindliche Fläche (dem Moment der automatischen Übertragung von Äußerlichkeiten)« ein, ohne diesen Moment einholen zu können.13 Im Moment der Aufnahme seien diese Praktiken dagegen ausgesetzt. Das bedeutet jedoch auch weiterhin, dass sich die Medialität der Photographie, die hier als Kreuzung von Bildlichkeit, Technik und Praxis aufgefasst wäre, dieser Praxis der Referenzproduktion so verschließt, wie die Blende bei der Aufnahme (in analoger Photographie). Man könnte demnach annehmen, dass sich die Rezeption Zurecht auf den auktorialen Körper als vorphotographische Inszenierung und vorphotographischen Fakt richtet, da dieser von Morimura vor der Einschreibung durch die Herstellung eines ikonischen und symbolischen Bezugs hervorgebracht sei. Aufnahme, Entwicklung und Abzug geht schließlich ein auf diese Weise inszenatorisches Moment voraus, dem eine auktoriale Geste der Auswahl und Gruppierung in der Serie folgt.14 Wenn man sich jedoch so nur auf signifikante Körperteile richtet, statt auf die Praktiken, während, vor und nach der Aufnahme, impliziert man, dass die Photographien sowohl die inszenierten als auch die authentischen Körperteile ›Morimuras‹ inklusive ihrer intendierten Setzung durchschaubar wiedergäbe. Die Frage nach der Rolle von Bildern oder Photographien für die Konstruktion von ›Ethnizität‹

11 Peter Stohler: Ein Japaner in westlichen Frauenrollen, a. a. O., unpaginiert. 12 Philippe Dubois: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv, Amsterdam u. Dresden: Verlag der Kunst, 1998, 88. 13 Ebd. 14 Katharina Sykora hat deshalb dafür plädiert, dass solche Inszenierungen trotz der Unfüglichkeit der photographischen Aufnahme als Selbstportraits autorisiert seien; vgl. dies.: Das Kleid des Geschlechts, a. a. O., 123 f. Dies trifft zwar auf der Ebene des Diskursiven zu, jedoch nicht für die damit verflochtenen Störungen und Unfüglichkeiten.

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und ›Geschlecht‹ fände damit die Antwort, dass sie nichts tun, da sie passive Medien der Transparenz seien und alle Prozesse der Sinnkonstruktion sozusagen neben ihnen stattfänden. Doch wenn konventionalisierte Praktiken von »Medien […] sich in ihrer Funktionalität als ebenso produktiv und formierend [erweisen] wie sie gleichzeitig durch ihre Materialität begrenzt werden«,15 dann ist auch zu zeigen, wie genau in den Praktiken von Medien eine Unfüglichkeit des Medialen und Materiellen ihre Funktionalisierung zugleich begrenzt. Ansonsten würde man Medialität auf ihre diskursive Funktionalisierung, z. B. hinsichtlich von bedeutsamen Evidenzen von Ethnizität und Geschlecht, reduzieren bzw. ein allumfassendes Modell des Diskursiven behaupten. Es ist demnach nicht die Unverfügbarkeit des auktorialen Individuums, das hier den Diskurs in eine unbequeme Irre gehen lässt. Unbequem ist diese Irre, da sie vor der diskursiven Instrumentalisierung des Individuellen, des Stils, der auktorialen Handschrift/ Signatur des Künstlers als unerschöpf lich polyvalente Quelle der Bedeutung liegt und insofern auch nicht darin aufzugehen vermag. Diese Irre tritt bereits auf, sobald versucht wird, eine für diese Diskursivierung notwendige differenzierende Distinktion der ethnisierten und geschlechtlichen Identität einer Physiognomie am Bild festzumachen. Hier artikulieren sich die Medialität und Materialität des Bildlichen als Alteritäten. Wenn nun hiermit, nach einer Kritik am Begriff der Materie, die Frage nach der Materialität gestellt wird, dann, weil diese Begriffe nicht dasselbe bezeichnen. Materie bezieht sich auf die Effekte einer diskursiven Performanz, die man als Diskurs verfolgen und benennen kann. Materialität bezieht sich auf denjenigen Rest dieser Prozesse und konventioneller Praktiken, der sich immer wieder im Auftreten von Alterität zeigt. Peter Geimer fasst so die Materialität des Photographischen als »Rauschen«, das sich der Bedeutung sperrt.16 Materialität wie Medialität erscheinen als unfügliche Alteritäten, die niemals positiv bestimmbar sind. Sie vermögen insofern nur negativ aufzutreten: im Entzug, in Unfäl15 Dieter Mersch: Einleitung: Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O., 12. 16 Peter Geimer: Fotografie als Fakt und Fetisch. Eine Konfrontation von Natur und Latour, in: Ganz normale Bilder. Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Sichtbarkeit, hrsg. v. David Gugerli u. Barbara Orland, Zürich: Chronos 2002, 183–194. Materialität zeigt sich z. B. »in Gestalt von Schlieren und Schleiern, Flecken, Punkten und Unschärfen, Verfälschungen von Farbe und Perspektive, fotografischen Platten, die im Entwicklerbad zu leuchten beginnen, Negativen, die sich plötzlich ins Positive verkehren«. Peter Geimer: Was ist kein Bild? Zur ›Störung der Verweisung‹, in: Ordnungen der Sichtbarkeit, a. a. O., 313–341, 316.

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len und Störungen. Sie sind demnach beweglich, singulär und spezif isch. Sie erscheinen oder zeigen sich. Sie sind in diesem Sinne jenseits einer sprachlichen Bestimmung performativ, nämlich als Ereignis der Aisthesis, das auch für diesen Text nur in seinem Entzug zu haben ist.17 Die medienreflexive Produktion solcher Ereignisse ist – so Dieter Mersch – das Metier der Kunst,18 ohne dass das Ereignis jedoch auktorial verfügt werden kann. Das Ereignis, Erscheinen der Alterität, kann nur riskiert werden. Dies geschieht durch die Herstellung von Möglichkeiten, innerhalb deren sich mediale und materiale Strategien in ihren keineswegs notwendig diskursiven oder zeichenhaften Eigenlogiken zu zeigen vermögen. Jede Setzung von Kunst ist deshalb an diese unterschiedlichen Eigenlogiken und diskursiven Praktiken ausgeliefert. Kunst kann sich nur als Aus/Setzung an diese verselbstständigen. Die Risiken oder Chancen der Actresses liegen somit in denjenigen Unverfügbarkeiten, die die Praktiken und Strategien photographischer Bilder bieten. Morimura, dessen Vorgehen und Äußerungen hiermit in die Reihe der sozialen Praktiken der Photographie vor und nach der photographischen, bedeutungslosen Einschreibung in den Bildträger eingereiht werden, sieht in seinen Photographien vor allem das Verhältnis von Sehen und Gesehen-werden verkehrt und thematisiert,19 da er sich im Selbstportrait zwischen dem Bildkonstrukteur, der durch den Sucher blickt, und dem angeblickten Objekt vor der Kamera als »seen-position« 20 situiert, um mit allen Konsequenzen zum angesehenen Objekt zu werden. Diese Konzeption des photographischen Selbstportraits schließt an die oben entwickelte Konzeption der Signatur als Aus/Setzung statt als kompetente Selbstsetzung an, wobei zu vermeiden ist, wieder ein auktoriales Modell zu bedienen, indem man nun die gesamte Verwirrung der Rezeption einem auktorialem Plan zurechnet. Vielmehr zeigt diese Parallele maximal, dass es ein Bewusstsein des Künstlers dafür gibt, dass er zwar eine Rezeption anstößt, diese jedoch nicht zu steuern vermag. Die Signatur als Aus/Setzung verfügt demnach nicht Rezeption und Bedeutung, sie riskiert sie. Die unterschiedlichen Bereiche, in die die Actresses eingesetzt wurden, weisen so vielleicht auf eine besondere experimentelle Risikobereitschaft zwischen Herrenmagazin, Museum, Portrait, 17 Vgl. dazu: Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 394–402. 18 Dieter Mersch: Einleitung. Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O., 48 f. 19 »I wanted to actually show […] a sexually grey area […]. These grey areas are not just within the sexual sphere. They are to be found in the gaps between all sorts of different fixed domains – adult and child, present and past, Western and non-Western.« Yasumasa Morimura: About My Work, a. a. O., 120. 20 Ebenda.

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japanischen oder euro-amerikanischen Betrachtungen, Postkolonialismus, Exotismus und (mehr oder minder dekonstruktiver) Kunst/Kritik – vielleicht jedoch nur auf einen status quo postkolonialer Kunst. Während die Actresses so vielleicht gleichsam als globalisierte Installationskunst 21 unterschiedliche institutionelle Rahmungen markieren, kreist die jeweils angesetzte, evozierte Kritik stets genau da, wo sie am Bild zu identifizieren versucht, um die Frage der »grey areas« 22, von denen Morimura sagt, dass er sie tatsächlich zeigen möchte. Der Plural der Grauzonen bestimmte sich demnach aus den möglichen unterschiedlichen Kontexten – und ihrer Differentialität. Hierbei verflechten sich unterschiedliche Praktiken der Aufgabe oder Delegierung von Autorität und Kontrolle, auch beim Photographieren. Morimura kann bei der Aufnahme seiner Selbstportraits nicht zugleich vor und hinter der Kamera sein, so dass ein Helfer den Auslöser (das Instrument, das die photographische Fixierung zum Objekt initiiert) betätigt. Seine Evidenz ist schließlich an die Kritik abgegeben. Morimuras »wonderfully pliable physiognomy«,23 die einige Kommentare rühmen, entsteht bereits in einem seiner Kontrolle entzogenen artistischen Akt zwischen Inszenierung und Indexikalität. Diesen Akt geben die Actresses nicht wieder, sie bilden ihn nicht ab oder repräsentieren ihn, sondern sie überführen ihn paradoxerweise in eine allgemeine Unsichtbarkeit, die auch den Helfer am Auslöser betrifft. Nach Dubois’ Relektüre des Indexes in Der Fotografische Akt ist die Photographie (oder genauer der photographische Akt) im innersten Kern als Bild blind und als Index dumm. Sie ist blind, insofern die Photographierenden das Bild im Moment der Aufnahme nicht sehen können, da sich die Blende schließt; als Index dumm ist sie, weil ihre Indexikalität keinen weiteren Aufschluss über den Referenten zulässt, als dass es seine Singularität und Existenz im Moment der Aufnahme bezeugt, ohne sie mit bedeutsamer Evidenz auszustatten.24 Als photographische Bilder, deren Bildlichkeit kein Vorher und Nachher, keine Kausalität, keine Verneinung und keine diskreten Unterschiede kennt,25 erzeugen die Actresses eine Spannung zwischen der blind-dummen Photographie, ihrer Bildlichkeit und ihrer Indienstnahme für Stereotypisie21 Vgl. zur Installationskunst als den institutionellen Rahmen markierende performative Ästhetik, Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, a. a. O. 22 Yasumasa Morimura: About My Work, a. a. O., 120. 23 Peter Plagens u. Kay Itoi: The Great Impersonator, in: Newsweek, 6. April 1992, 62–63. 24 Philippe Dubois, Der fotografische Akt, a. a. O., 75–88. 25 Dieter Mersch: Einleitung: Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O., 34.

3. FEHL /A KTE

rungen in Bilddiskursen.26 Die Dummheit der Photographie im Index, der nicht weiß, was er bedeutet, und als Bild, das auf Blindheit beruht, ist gegen die Diskursivierung der Actresses in sozialen Praktiken der Bedeutungszuweisung, sprich: gegen die Überführung in ein Zeichen, ausgespielt. Die Kritik verirrt sich in der sprachlichen Konstruktion der Differenzen von Ethnizitäten und Geschlechtern, da die Actresses mit ihnen semantisch aufgeladen sind, ohne dass diese Differenzen hier entschieden wären. Das Bildliche zeichnet eine grundsätzlich affirmative Struktur.27 Im Gegensatz zur diskreten Sprache, die auf ausschließenden Differenzen beruht, welche zudem hierarchisiert sind, kennt das Bild nur einschließende Differenzierungen. Im Bild kann so ein Auge zugleich als ›asiatisch‹ und ›europäisch‹ auftreten, ohne dass sich dies in diskrete Elemente zerlegen ließe, die auf Eigentümlichkeiten oder an Über- und Unterordnungen gebunden sind. Denn selbst wenn man das Bild als Symbolsystem auffasst, erweist sich das Bild als syntaktisch dicht.28 D. h. bildliche Differenzierungen liegen noch vor jeder diskreten Bestimmung oder Be-Nennung, z. B. als ›japanisches Auge‹ – in den Zwischenräumlichkeiten von Farben, Abgrenzungen, Kontrasten. Schon die schiere Größe der hier behandelten Photographien Morimuras lässt in der visuellen Erfahrung jedes Detail, jede Pore, jede Farbveränderung gleitend zwischen den Un/Möglichkeiten des Wiedererkennens, Oberflächenfaszination, photographischer Materialität und Farbsensation so oszillieren, dass exakt dies eine Faktizität des Bildlichen jenseits diskursiver Logik markiert. Im Gegensatz zum sprachlichen Zeichen, das immer eins im Gegensatz zum anderen meint, sind Bilder jenseits ihrer Diskursivierung gnadenlos inklusiv, hier geht immer ›beides‹ und mehr. Die Logik des Bildlichen entspricht weder dem klassisch logischen Satz der Identität noch dem des tertium non datur.29 Eine Logik des Bildlichen unterläuft damit diejenige Form der Negation, die das Denken des Denkens in der europäischen 315 26 Dieser Terminus kittet die produktive Unfüglichkeit zwischen Bild und Diskurs auf eine Weise, dass das Bild bzw. die in jeder kulturellen Praxis verwickelten divergenten medialen Praktiken nur weiter dem Diskursiven untergeordnet sind, vgl.: Anästhetik der Be-Stimmung von Differenz. 27 Vgl. Dieter Mersch: Blick und Entzug. Zur ›Logik‹ ikonischer Strukturen, in: Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, hrsg. v. Gottfried Boehm, Gabriele Brandstetter u. Achatz von Müller, München: Fink, 2007, 55–69. 28 Vgl. Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt am Main, 1995, 232–235. 29 Martina Heßler u. Dieter Mersch: Bildlogik oder Was heißt visuelles Denken? in: Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft, hrsg. v. dens., Bielefeld: transcript, 2009, 8–62, 10 u. ff.

C

VER /HANDLUNGEN VON SIGNIFIKANZ

Philosophiegeschichte beherrscht hat, weshalb das Bild vielfach als irrational diskreditiert wurde.30 In diesem Zusammenhang auf eine Bildlogik zu verweisen, ist insofern notwendig, um herauszustreichen, dass das Bild hiermit nicht wieder in den Bereich des Irrationalen verbannt werden soll, dem es philosophiegeschichtlich gerade durch seine Sperrigkeit für klassische Logik zugerechnet wurde. Ein irrationales Moment kommt, jedoch auch nur in einem sehr speziellen Sinne, dem Ereignis seines Sich Zeigens zu, das sich als Aura, Widerfahrnis, Präsenz, Aisthesis, Alterität der Repräsentation versperrt, der es eine unmögliche Möglichkeit darstellt. Zugleich könnte genau darin sein Sinn liegen,31 denn es nötigt als Aussetzen von Bedeutung zur Antwort, eröffnet Sprache und Sprechen als Responsitiviät, die auf Exteriorität beruht.32 In den Actresses und ihrer Rezeption oszilliert so unablässig eine Spannung zwischen unverfügbarer Indexikalität, Blindheit, Bildlichkeit und ihrer diskursiven Instrumentalisierung. Wenn die Photographie trotz aller vorbereiteten artistischen und ästhetischen Konstruktionen von der Unverfügbarkeit über die Einschreibung in die Platte gekennzeichnet ist und sich diese Einschreibung weder mit Sinn aufladen, noch mit dem Photo kommunizieren, noch an ihm kriminalistisch aufspüren lässt, so sind die Actresses gezeichnet von den Duplizitäten eines photographischen Fehl/Akts zwischen den divergierenden Praktiken von Photographie und Diskurs einerseits, und zwischen einer Kunst, die ästhetisch operiert und einer Kunst/Wissenschaft, die funktionierende Diskurse hervorzubringen hat, andererseits. Da diskursive, mediale und ästhetische Strategien 33 sich verfehlen, kann ein Ereignis der Alterität widerfahren. Indem die Actresses sich zeigen, werden sie als ohne-sinniges Ereignis der Faktizität eines Scheiterns von Evidenz durch Sichtbarkeit reflexiv. Sie dementieren damit ihre Funktionalität als photographisches Zeichen und geben sich als Rätsel der bildlichen Faktizität des Scheiterns diskursiver Evidenz: 316 30 Vgl. ebenda. 31 Vgl. Dieter Mersch: Ereignis und Aura, a. a. O. Mersch hebt in dieser Ästhetik des Performativen neben der Umwendung eines Primats der Bedeutung/ Repräsentation und der werkhaften Geschlossenheit von Kunst zu einer performativen Ereignisästhetik auch die Umwendung auf das Sinnliche als Gewahrung vor dem Sinn hervor. 32 Dieter Mersch: Performativität und Responsivität, in: ders.: Posthermeneutik, a. a. O. 33 Strategien implizieren hier keinen Strategen, der sie einzusetzen und zu lenken vermag. Sie verweisen vielmehr auf mediale und ästhetische Eigenlogiken, in die Akteure verwickelt sein können.

3. FEHL /A KTE

Folglich kann man sagen, daß das Foto nicht erklärt, nicht interpretiert und nicht kommentiert. Es ist stumm, nackt, platt und dumpf. […] Es führt uns schlicht einfach und brutal Zeichen vor Augen, die semantisch leer oder blank sind. Es bleibt im wesentlichen rätselhaft.34 Ist es das Bild als semantisch leeres Zeichen, das zu stereotypen Bestimmungen nicht nur herausfordert, sondern auch die Indienstnahme und stete Neubestimmung von Bildern für Stereotypisierungen überhaupt erst ermöglicht,35 so liegt der Fehlschluss vielleicht in der fortgesetzten, ausschließlichen Bestimmung des Photographischen/Bildes als Zeichen. Statt als kritisch-stereotype Evidenz von Geschlecht und Ethnizität verharren die Actresses im rätselhaften Sich Zeigen, 36 das die Kunstwissenschaft in den Ver/ Handlungen von Signifikanz weiter dazu herausfordert, die Kunst/ Wissenschaft vor die Kunstwissenschaft zu stellen. Weder lässt sich der gezeigte Körper nämlich in signifikante Unterschiede überführen, noch ist dasjenige, was sich in den Actresses als Bildlichkeit zeigt, eine auktoriale Signatur oder Körperschrift. Die Actresses vollziehen, so gesehen, nicht mehr und nicht weniger als ihr Sich-Zeigen. Als Vollzug der Dar-Stellung, Gewahrung oder Setzung, sperren sie sich dem, was sie als Gegenstand ins Bild setzen und be-zeichnen.37 Da mit der Aus/Setzung der Actresses in und an diese Unfüglichkeiten der Bildproduzent Morimura unweigerlich seiner gewaltsamen subjektivierenden Be-Zeichnung zum ethnisierten und rassisierten Körper ausgesetzt ist, ist die Frage nach einer ethischen Aufgabe der Aus/Setzung aufgeworfen.

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34 Philippe Dubois, Der fotografische Akt, a. a. O., 87. 35 Vgl. zum Stereotyp Homi K. Bhabha: The Location of Culture, a. a. O., 70. 36 Vgl. zu dieser Konzeption des Zeigens Dieter Mersch: Was sich zeigt, a. a. O., 357–423. 37 Ebenda, sowie ders.: Einleitung. Wort, Bild, Ton, Zahl, a. a. O., u. ders.: Bild und Blick. Zur Medialität des Visuellen, a. a. O.

Aufgabe: Aus/Setzung Alles aber zeigt sich um der Gerechtigkeit willen.1

Signaturen vollziehen sich also in differentiellen Aus/Setzungen. Als Aspekt der Bildpraxis zeichnet Signaturen eine duplizitäre Struktur. Einerseits dient sie als epistemische Figur der auktorialen Signatur, die das Bild an den Namen, den Autor und Sinn knüpft, zur be-stimmenden Bändigung der Alterität des Bildlichen, des Ästhetischen und des Anderen. Andererseits zeichnen sich in ihr genau diese Alteritäten ein, insofern signiert sie. In diesen Signaturen der Alterität präsentiert sich der Entzug der Intelligibilität des auktorialen Anderen mit dem Erscheinen von medialen und materiellen Alteritäten so, dass ohne-sinniges Anderes gewahr wird. Die Gabe dieses singulären Ereignisses entzieht sich der Intelligibilität. Da die auktoriale Signatur im Scheitern ihrer Schließung diesem Entzug ausgesetzt ist, bricht das Vorhaben, sie als intentionale, kompetente Selbstsetzung in stabile Bedeutung zu überführen, daran, dass in ihr eine unfügliche Alterität gegenzeichnet, auf der die Konstitution des Auktorialen gründen muss. Was bedeutet dieses Signieren der Alterität, die als vielfache Differentialität zwischen epistemischen und ästhetischen Strategien und zwischen Medialitäten und Materialitäten erscheint, für die Frage nach den Anderen? Wie können diese sich geben, wenn sich ihre Intelligibilität in der Signatur durch das Andere derart verstellt zeigt? Was aber, wenn genau dieser Entzug des Anderen es überhaupt nur vermöchte, die Anderen als Andere zu geben? Wenn die Begrenzung des Sinns von künstlerischen Arbeiten durch die auktoriale Signatur nur auf Kosten der Aus/Setzung des Anderen (im doppelten Wortsinn) an diese epistemische Strategie ablaufen kann, welche wiederum an Signaturen der Alterität ausgesetzt wäre, in denen Sinn/Intelligibilität aussetzt, dann wirft dieser Zusammenhang von Ökonomie, Interpretation und Gabe die Frage nach der Form einer differentiellen Ethik der Gabe auf. Diesen Konnex eröffnet auch Viktoria Schmidt-Linsenhoff in ihrer Ästhetik der Differenz, wenn sie im Anschluss an den Titel einer Installation Georges Adéagbos eine Rezeption fordert, die einer »von Marcel Mauss beschriebene[n] Logik der Gabe« 2 folgt. Diese Logik bedeute, dass jede Gabe »eine Verpflichtung zur Gegengabe impliziert«,3 die »mit der Zirkulation von Dingen soziale Beziehungen gestaltet, die sich von denen einer kapitalistischen Warengesellschaft unterscheiden«.4 Doch das westliche Publikum 1 Emmanuel Lévinas: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, Freiburg u. München: Karl Alber, 1998, 354. 2 Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz, Bd. 1: Texte, a. a. O., 358. 3 Ebenda, meine Hervorhebung. 4 Ebenda.

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AUFGABE: AUS/SETZUNG

würde dagegen »die fremde Gabe« 5 der Kunst Adéagbos lediglich konsumieren, »ohne die Verpflichtung zu einer Gegengabe auch nur in Betracht zu ziehen«.6 Gegen diese ›Konsumlogik‹ plädiert sie für diese ›Logik der Gabe‹: Wenn wir dagegen Georges Adéagbos Installationen als eine Gabe verstehen, so wäre die Anerkennung der sozialen Wirklichkeit und der kulturellen Produktivität der Stadt, in der der Künstler lebt, eine Gegengabe der Kunstkritik. Sie könnte eine transkulturelle Beziehung stiften und dem internationalen Publikum erlauben, internationale Kunst nicht nur in der Logik westlicher Märkte und Kunstbegriffe, sondern im Sinne einer postkolonialen Ästhetik der Differenz zu rezipieren.7

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Diese Logik der Gegengabe verweist auf die letzte Frage, die der Songtext von Blume der Einstürzenden Neubauten aufwirft: »Hast Du meinen Namen gesagt?«, fragt eine weibliche Stimme in einer anderen Sprache als der jeweilige Liedtext (in der englischen Version geschieht dies auf Libanesisch, in der japanischen auf Deutsch und in der französischen auf Englisch). Was drückt diese Frage aus? Es ist unklar, ob sie aus Angst oder aus dem Begehren heraus, dass der Name gesagt wird/wurde, gestellt ist. Sie markiert einen Rückzug, denn das Lied und damit auch die Stimme enden hier. Dreht sich das ganze Verbot, den Namen auszusprechen, darum, dass er umso mehr oder umso weniger zu sagen ist? Kann man diesen Namen sagen? Kennt man ihn (wie der Liedtext dem angesungenen ›Du‹ unterstellt)? Wenn es ein Begehren gibt, dass der Name (Marker der Identität) ausgesprochen wird, können die Hörer/innen von Blume ihn kennen (was die Voraussetzung dafür wäre, ihn überhaupt zurückgeben zu können)? Die Allianz, die der Liedtext mit der Bitte, den Namen nicht zu sagen, einfordert, ist eine mesalliance. Denn die Erfüllung der Bitte (die eine Gabe wäre) hängt an einem Namen, den man nicht kennt, ob man ihn sagt oder nicht. Nichts versichert, dass eine solche Gegengabe angemessen wäre. Sagt man einen Namen, widerspricht man der Bitte und es ist es unmöglich zu wissen, ob man damit richtig liegt. Sagt man keinen, widerspricht man vielleicht der letzten Bitte im Lied. Eine Symmetrie von Gabe und Gegengabe ist strukturell vereitelt. Die Gabe als Versprechen einer reziproken Beziehung zum Anderen wird an die grundsätzlich ungleichzeitige Asymmetrie zum Ande5 Ebenda, 359. 6 Ebenda, meine Hervorhebung. 7 Ebenda.

ren verwiesen. Offenbart Blume, das den Namen auch als malediction bezeichnet, so nicht für die Ethik der Gabe eine grundsätzlich aporetische Struktur? Wie wiedergeben? Ist die Reziprozität der Gabe möglich? Derrida hat die Logik der Gegengabe als eurozentristische und kapitalistische Tauschlogik kritisiert und herausgestellt, dass aus einer Logik keine Ethik der Gabe zu verfertigen ist: Gabe gibt es nur, wenn es keine Reziprozität gibt, keine Rückkehr, keinen Tausch, weder Gegengabe noch Schuld. Wenn der andere mir das, was ich ihm gebe, zurückgibt oder es mir schuldet, das heißt mir zurückgeben muß, wird es keine Gabe gegeben haben, ob diese Gabe nun unmittelbar erfolgt oder vorprogrammiert ist im komplexen Kalkül eines lang befristeten Aufschubs [différance].8 Das gilt auch umgekehrt: Wer etwas gibt, um etwas zu bekommen, gibt weniger als dass er verpflichtet. Das Denken einer Verpflichtung zur Reziprozität der Gabe folgt einer Verpflichtung des Subjekts zur Restitution, die einer Subjektlogik zuarbeitet,9 die der »Vorherrschaft von Berechnung, Vergeltung und Nutzenkalkül der ökonomischen Subjektstruktur geschuldet« 10 ist. Dagegen seien für eine Ethik der Gabe »Bedingungen irreziproken Gebens aufzufinden, um die Gabe der Ökonomie, dem Tausch und der Verschuldung zu entziehen«,11 z. B. durch »Gaben, die dem Subjekt zuvorkommen oder dieses überschreiten«.12 Will man die Gabe nicht ausgehend vom Subjekt, das gegeben habe, in eine endliche Verteilungsgerechtigkeit überführen, die ein Aneignungsverhältnis dem Anderen gegenüber darstellt, ist die Aufgabe einer unendlichen Gerechtigkeit zu verfolgen: unendlich ist diese Gerechtigkeit, weil sie sich nicht reduzieren, auf etwas zurückführen läßt, irreduktibel ist sie, weil sie dem 323 8 Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit Geben I, a. a. O., 22 f. Vgl. zur Anökonomie der Gabe in der Ethnographie Iris Därmann: Fremde Monde der Vernunft. Die ethnologische Provokation der Philosophie, München: Fink, 2005, insbes. 692–720. 9 Derridas Text Restitutionen lässt sich von hier aus als Kritik an einer rückerstattenden Deutungsgabe an den Künstler in der Kunstwissenschaft lesen, die durch die Identifizierungslogik der Produktion einer Signatur als verschobene Sichtbarkeit des Künstlers im Bild (namentlich van Goghs in Schuhen) verläuft. Vgl.: Jacques Derrida: Restitutionen, a. a. O. 10 Kathrin Busch: Geschicktes Geben. Aporien der Gabe bei Jacques Derrida, München: Fink, 2004, 8. 11 Ebenda. 12 Ebenda.

AUFGABE: AUS/SETZUNG

Anderen gebührt, dem Anderen sich verdankt […]. In meinen Augen ist diese ›Idee der Gerechtigkeit‹ aufgrund ihres bejahenden Wesens irreduktibel, aufgrund ihrer Forderung nach einer Gabe ohne Austausch, ohne Zirkulation, ohne Rekognition, ohne ökonomischen Kreis, ohne Kalkül und ohne Regel, ohne Vernunft oder ohne Rationalität im Sinne des ordnenden, regelnden, regulierenden Beherrschens.13 Diese unendliche Gerechtigkeit einer Ethik der Gabe versucht, mit der asymmetrischen Beziehung zum Anderen, d. h. mit dessen Zuvorkommen (vor dem Subjekt, dem Ich, dem Sinn), ein Umgehen zu finden, ohne es durch eine Logik der Gabe in eine Symmetrie zu verwandeln, die das Andere in Sinn ummünzt und es sich so aneignet (was die andere Seite dieser Asymmetrie wäre). Die Konzeption des Anderen in der Ethik der Gabe knüpft an Emmanuel Lévinas’ Denken des Anderen an.14 Sie bringt in das Projekt der Dekonstruktion unausgesprochen den Anspruch eines anderen Denkens der Präsenz (des Anderen) ein, als es die dekonstruktive Kritik an der Präsenzmetaphysik vertritt. Es geht damit um die Präsenz des Antlitz’ des Anderen als Eröffnung einer »Neuheit […] des absolut Verschiedenen«,15 d. h. eines »Anderen, nicht Repräsentierbaren, nicht Faßbaren, das heißt eines Unendlichen, das mich vorlädt – indem es die Repräsentation […] zerreißt – um im Antlitz des Anderen […] auf mich […] zu deuten«.16 Das

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13 Jacques Derrida: Gesetzeskraft, a. a. O., 51 f. 14 Jedoch nicht auf der Ebene des Werks, vgl. Kathrin Busch: Geschicktes Geben, a. a. O., 9. Auch wenn Derrida in Grammatologie Lévinas’ Denken des Anderen kritisiert, schließt er später beinahe emphatisch an es an: »Angesichts eines Denkens wie dem von Levinas habe ich niemals einen Einwand. Ich bin bereit, alles zu unterschreiben, was er sagt. Das bedeutet nicht, daß ich die gleiche Sache in der gleichen Weise denke, doch die Unterschiede sind da sehr schwierig zu bestimmen«, Jacques Derrida: Quéstions, in: ders. u. Pierre-Jean Labarriere: Altérites, Paris 1986, 29–33 u. 70–91, 74, zit. n. Simon Chritchley: Überlegungen zu einer Ethik der Dekonstruktion, in: Einsätze des Denkens, hrsg. v. Hans-Dieter Gondek u. Bernhard Waldenfels, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, 308–344, 308. 15 Emmanuel Lévinas: Das nicht-intentionale Bewußtsein, in: ders.: Zwischen uns. Versuche über das Denken des Anderen, München: Hanser, 1995, 154–166, 161. 16 Ebenda. Lévinas’ Kritik am Bild im Kontext des Antlitzes des Anderen ist in vielerlei Hinsicht dadurch begründet, dass er das Sichtbare zu eng mit Repräsentation und dem Vorstellungsbild identifiziert. Das reflektiert Lévinas durchaus selbst, z. B. in: Bilderverbot und ›Menschenrechte‹, in: Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische, Berlin: diaphanes, 2007, 115– 123, 116. Dazu sollte man auch die Passagen zur modernen Kunst in Vom Sein

Sich-Geben des Anderen verlangt die Aus/Setzung des Sinns wie ein Ausgesetztsein an den Anderen, der selbst in seiner Verletzlichkeit erscheint: Das »Ausgesetztsein des Anderen mir gegenüber« 17 ist »ein Sich-Schenken, ein Sich-Geben, eine Gegebenheit« 18 als »reine Verletzlichkeit« 19 vor dem Subjekt, dem Ich, dem Sinn. Es ist Ereignis, »in dem, im Herzen des erhellten Phänomens selber, ein Mehr an Sinn erscheint«,20 das sich als ohne-sinnige Ex-sistenz,21 die sich nicht inhaltlich ausbuchstabieren lässt, zeigt: »So ist das Andere mir präsent. Und dieses ›Präsentsein‹ oder diese Präsenz vor dem Ich des Ich des ›Ich denke‹ ist gleich dem Sein.« 22 Wenn für die Ethik der Gabe das Werk eine Gabe ist, dann als Medium dieser Asymmetrie. Deshalb betont Kathrin Busch, »daß es der hervorgebrachten Werke notwendigerweise bedarf, um die asymmetrische Beziehung zum Anderen zu wahren.« 23 Werke agieren somit nicht als Bedeutungsträger, sondern als: äußere Instanzen, welche dem Aneignungsbestreben des Subjekts entgegenwirken und einer Assimilierung des Heterogenen oder Fremden einen Widerstand entgegensetzen. Um der Gabe als irreziproker Relation zum Anderen Rechnung zu tragen, ist eine Subversion des Subjekts durch Werke vonnöten, die sich dem Unvorhergesehenen, Unvermuteten und Unwillkürlichen verschreiben.24

zu Seienden lesen. Vgl. ders.: Vom Sein zu Seienden, Freiburg u. München: Karl Alber, 1997, 66–69. Das Bild kann bei Lévinas jenseits von Repräsentation eine Alterität darstellen. Vgl. a. Pascal Delhom: Emmanuel Lévinas, in: Bildtheorien aus Frankreich. Ein Handbuch, hrsg. v. Kathrin Busch u. Iris Därmann, München: Fink, 2011, 205–216, insbes. 206 f. 17 Emmanuel Lévinas: Diachronie und Repräsentation, in: ders.: Zwischen uns, a. a. O., 194–217, 195. 18 Ebenda, 195. 19 Ebenda, 204. 20 Emmanuel Lévinas: Das nicht-intentionale Bewußtsein, a. a. O., 164. 21 Dieter Mersch verwendet ›Ex-sistenz‹ »in der wörtlichen Bedeutung von ekstasis, der Hervortretung, die nicht auf die Funktionen der Signifikation, der Bezeichnung oder Unterscheidung und damit auf eine ›Spur‹ rückgeführt werden kann. Es trägt das Bezeichenbare wie das Sagbare und das Verstehbare allererst aus, ohne jeweils mitgemeint zu sein.« Vgl. Dieter Mersch: Gibt es Verstehen?, a. a. O., 182. 22 Emmanuel Lévinas: Diachronie und Repräsentation, a. a. O., 194–217, 195, meine Hervorhebung. 23 Kathrin Busch: Geschicktes Geben, a. a. O., 9. 24 Ebenda.

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AUFGABE: AUS/SETZUNG

›Werk‹ tritt somit nicht als geschlossene Selbigkeit sich äußernder Intentionen oder Umstände auf. Es ereignet sich als singulärer Widerstand: das werk fordert uns heraus, das ereignis zu denken. es wettet, daß wir die Chance und den zufall nicht begreifen, sie nicht ins augenmerk oder in die hand nehmen, sie nicht einem antiziptionshorizont einschreiben können. dadurch zumindest sind sie werke und werden, jedem rezeptionsprogramm zum trotz, ereignis. die werke über-fallen uns […].25

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Werke sind folglich Vollzüge ex-sistierender Dinge, die sich jeweils, singulär und ereignishaft als ohne-sinnige Alterität präsentieren, indem sie uns angehen: »die werke über-fallen uns«.26 Diese Ereignisse kommen dem Subjekt zuvor (auch dem setzenden Subjekt). Es ist an sie und mit ihnen ausgesetzt. Das Ereignis/Werk geht dem Subjekt voraus, und es geht im nachträglichen, deutenden Verhalten mit diesem nicht auf. ›Werk‹ vermag sich letztlich lediglich prozessual zu zeigen, d. h. es tritt performativ in Erscheinung und ist zugleich ein Verharren, ein Widerstand gegen seine Aneignung. Als Ort des Erscheinens des Anderen erfordert es eine Ethizität, da es sich immer wieder, »Jedes-Mal-ein-einziges-Mal«,27 mit dem Aus/Setzen des Sinns wie mit der Aus/Setzung in Sichtbarkeit exponiert. Mit diesem Werk ist dann auch der/die Andere, dessen/ deren Name an es geknüpft ist, aus/gesetzt. Ausgehend von einem solchen unfasslichen Anderen 28 entwickelt das dekonstruktive Lektüreverfahren (neben dem unvermeidlichen, feststellenden Theoretisieren und Benennen des Anderen, das stets eine Verfehlung sein muss) »Verfahren der Alteration, um die Verpflichtung gegenüber dem Anderen […] zu performieren. Die der Dekonstruktion innewohnende Ethik besteht gerade darin, die Andersheit […] dergestalt zu wahren, sie immer anders sich ereignen zu lassen.« 29 Wobei dies zugleich die Risiken wie die 25 Jacques Derrida: Meine Chancen. Rendez-vous mit einigen epikuräischen Stereophonien, Berlin: Brinkmann & Bose, 1994, fol. 13a. 26 Ebenda. 27 Jacques Derrida: Schibboleth. Für Paul Celan, Graz u. Wien: Passagen, 1986, 27. 28 Dieser Begriff der Alterität unterläuft die Unterscheidung von vertikaler (inhärenter) und horizontaler (eine Schwelle von Innen und Außen überschreitender) Fremdheit, durch den Hinweis auf eine grundsätzliche Exteriorität, da das Erscheinen der Alterität auch diesen Bestimmungen vorausgeht. Vgl. zur Unterscheidung von horizontaler und vertikaler Fremdheit: Yoshiro Nakamura: Xenosophie, a. a. O., 18 f. 29 Kathrin Busch: Geschicktes Geben, a. a. O., 285.

Chance der Dekonstruktion umschreibt. Denn auch sie kann sich nicht anders vollziehen als in einer auktorialen Aus/Setzung an den Anderen, die selbst nicht der Bürde der Autorschaft/der auktorialen Signatur entgeht. Weder ist hier ein Ereignis zu reproduzieren, noch ein Neues sicher zu verfügen.30 Mehr als die Problematik von Ereignis und Signatur im Entzug zu performieren ist nicht möglich. Jedoch eröffnet die Dekonstruktion exakt im Verfahren eines selbst sich aus/setzenden Schreibens, das mit Medialitäten und Materialitäten (auch in ihrer Absenz) spielt, auch die Möglichkeit eines aisthetischen Lesens, das nicht einfach in die Pflicht der reziproken Sinnwiedergabe setzt, sondern einiges am Sinn aussetzen lässt. Aisthesis meint hier die »Anrührung durch eine Alterität, auf die es, gewahrend, zu antworten gilt.« 31 Zu dieser Antwort bedarf es etwas, was auch eine unmögliche Möglichkeit darstellt, nämlich eine Ethik der Passibilität oder eine Aus/Setzung des intentionalen Bewusstseins: ohne Intention, ohne In-den-Blick-nehmen, ohne die schützende Maske der Person, die sich im Spiegel der Welt, selbstsicher posierend, betrachtet. Ohne Namen, ohne Situation, ohne Titel. Präsenz, die präsenzscheu ist, von allen Attributen entblößt, nackt.32 Diese Aus/Setzung ist unmöglich, da man sie nicht intentional herbeiführen kann, nicht nur, da es sich sonst um eine interdictio in adjecto handeln würde, sondern da es dazu der Anrührung durch das Andere bedarf. Die Ethizität, die hier verlangt wäre und die eine wirklich radikale Dezentrierung des Subjekts (Spivak) wäre, ist nicht aktiv herbeizuführen. Sie könnte nur durch eine gewisse Grundhaltung eine Öffnung auf ein nicht-identifiziertes Anderes zulassen, um im Wissen um die Verspätung dieses Aktes ausgehend von dieser Anrührung durch Alterität zu schreiben, ohne zu versuchen, sie ins Eigene einzuholen. Denn wenn der/die Andere nur mittels des Zulassens unfüglicher Alterität als Zerrüttung präjudierten Sinns hervorzublitzen vermag, dann sind die Chancen des Anderen die Möglichkeitsbedingungen der Chancen der Anderen. Beide können in einer Aufgabe der Aus/Setzung nur ›sein gelassen werden‹.33 30 Wie auch die Rezeptionen Derridas zu zeigen mögen, die in der Dekonstruktion meinen, nur Derridada lesen zu können. Vgl. Eckhard Schumacher: Die Ironie der Unverständlichkeit, a. a. O., 278–311. 31 Dieter Mersch: Ereignis und Aura, a. a. O., 10. 32 Emmanuel Lévinas: Das nicht-intentionale Bewußtsein, a. a. O., 165. 33 Vgl. zum Sein-Lassen Alexander Garçía Düttmann: Von der Übersetzbarkeit, a. a. O., 146.

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Literatur

A History of Modern Japanese Aesthetics, hrsg. v. Michael F. Marra, Honolulu: University of Hawaii Press, 2001. Adorno, Theodor Wiesengrund: Die Aktualität der Philosophie, in: ders.: Gesammelte Schriften Bd. 1. Philosophische Frühschriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Mitwirkung v. Gretel Adorno, Susan Buck-Morss u. Klaus Schultz, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, 325–344. — Gesammelte Schriften Bd. 1. Philosophische Frühschriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Mitwirkung v. Gretel Adorno, Susan BuckMorss u. Klaus Schultz, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990. — Metaphysik. Begriff und Probleme, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. Ästhetik und Rhetorik. Lektüren zu Paul de Man, hrsg. v. Karl Heinz Bohrer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993. Agamben, Giorgio: Signatura rerum. Zur Methode, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009. Ahrendt, Hannah: Vita activa oder vom tätigen Leben, München: Piper, 1981. Angewandte Photographie in Wissenschaft und Technik, hrsg. v. K. W. Wolf-Czapek, Berlin: Union Deutsche Verlagsgesellschaft, 1911. anonym: Editorial, in: artforum, Jg. 32, Nr. 5 (Januar 1994), 71. anonym: Gaining Face. Japan’s Artists Emerge, in: Artnews (März 1990), 142–147. Arndt, Andreas: Subjektivität und Autorschaft, in: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaften, Nr. 16 (2002), Berlin u. New York: de Gruyter, 1–13. Arp, Hans: Unsern täglich Traum. Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914–1954, Zürich: Arche, 1995. art. Das Kunstmagazin, (2/1998). Ästhetik Erfahrung. Interventionen 13, hrsg. v. Jörg Huber, Zürich, Wien u. New York: Edition Voldemeer u. Springer, 2004. Aufbrüche. Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Stills aus: Die Einstürzenden Neubauten: Blume (English | 30 Version), Musikvideo, R: John Hillcoat, 1993, Mute and Rough Trade Records. Abb. 31: artforum, Jg. 32, Nr. 5 (Januar 1994) (fotografiert von Mira Fliescher). Abb. 32: Yasumasa Morimura: Mother (Judith I) (1991), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 33: Yasumasa Morimura: Mother (Judith II) (1991), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 34: Mira Fliescher: Schemaskizze zur unveröffentlichten Version von Yasumasa Morimura: Mother (Judith III) (1991). Abb. 35: Yasumasa Morimura: Mother (Judith III/IV) (1991), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb: 36: anonym: »Der Fotograf Morimura vor seinem Selbstportrait als ›Olympia‹ von Manet« (o. J.), in: art. Das Kunstmagazin (2/1998), 50. Abb. 37: Mira Fliescher: Schemaskizze zur unveröffentlichten Version von Yasumasa Morimura: Mother (Judith III) (1991). Abb. 38: Robert Lembke in den Kulissen von Was bin ich?, picture alliance/dpa. Abb. 39: Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, in: ders.: Limited Inc., Wien: Passagen, 2001, 15–45, 45 (fotografiert von Mira Fliescher). Abb. 40: Jacques Derrida: Limited Inc., a. a. O. (fotografiert von Mira Fliescher). Abb. 41: Yasumasa Morimura: Self-portrait (Actress)/White Marilyn 2 (1996), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 42: Yasumasa Morimura: Portrait (Futago) (1988), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York.

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Abb. 43: Yasumasa Morimura: Self-Portrait (Actress)/After Red Marilyn (1996), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 44: Yasumasa Morimura: Self-Portait (Actress)/After Sylvia Kristel 1 (1996), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 45: Yasumasa Morimura: Self-Portrait (Actress)/After Black Marilyn (1996), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 46: Yasumasa Morimura: Bodegón (Pears With Noses) (1992), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 47: Yasumasa Morimura: Doublonnage (Marcel) (1988), courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York. Abb. 48: Alphonse Bertillon: Vornahme der Messungen, in: ders.: Das anthropometrische Signalement, 2. vermehrte Auf lage mit einem Album, hrsg. v. Ernst von Sury, Bern u. Leipzig: Siebert, 1985, Frontispiz. Abb. 49: Photographische Erfassung im französischen Innenministerium während des II. Weltkriegs (1941), Französisches Nationalarchiv, in: Daniel Nethery: France’s First Facebooks, in: Inside Story. Current Affairs From Australia and Beyond, 31. 5. 2012, http://inside.org.au/france-firstfacebooks/ (zul. ges. 2. 2. 2013). Abb. 50: Kazuo Fukunawa: Produktion von Yasumasa Morimura: Daughter of Art History (Princess A) (1990), in: Daughter of Art History, a. a. O., 120 (fig. 12). Abb. 51: Zwei Gaußverteilungen unterschiedlicher ›Rassen‹, in: Stanislaw Poniatowski: Über den Einfluß der Beobachtungsfehler auf die anthropologischen Indices, in: Archiv für Anthropologie 38 (= N. F. 10), 249–279, 274, in: Christine Hanke: Zwischen Auf lösung und Fixierung. Zur Konstitution von ›Rasse‹ und ›Geschlecht‹ in der physischen Anthropologie um 1900, Bielefeld: transcript, 2007, 179 (Abb. 26). Abb. 52: Wilhelm Volz: Zur somatischen Anthropologie der Battaker in Nord-Sumatra, in: Archiv für Anthropologie (26/1899), 717–732, 720 (Ausschnitt, Detail), in: Christine Hanke: Zwischen Auf lösung und Fixierung, a. a. O., 174. Abb. 53: A[dolf] Lüthy: Die vertikale Gesichtsprofilierung und das Problem der Schädelhorizontalen, in: Archiv für Anthropologie (39/1912 = N. F. 11), 26, in: Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung, a. a. O., 196. Abb. 54: Francis Galton: Inquiries into Human Faculty and its Development, London: Macmillan 1893, Frontispiz.

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 55: »Francis Galton, aged 71, photographed as a criminal on his visit to Bertillon’s Criminal Identification Laboratory in Paris«, 1893, in: The Life, Letters, and Labors of Francis Galton, hrsg. v. Karl Pearson, Bd. 2: Researches of the Middle Life, Cambridge: Cambridge University Press, 1924, 383, plate LII. Abb. 56: »Identität der Person trotz der bedeutenden Unähnlichkeit der Bilder«, in: Alphons[e] Bertillon: Das anthropometrische Signalement, a. a. O., Tafel 59a.

Trotz aller Bemühungen zur Klärung der Urheberrechte sind Einzelfälle ohne Ergebnis geblieben. Bitte machen Sie gegebenenfalls Mitteilung.

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