Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin [1 ed.] 9783428516230, 9783428116232

Internationale Organisationen sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Verfasstheit der Staatengemeinschaft geworde

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Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin [1 ed.]
 9783428516230, 9783428116232

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Schriften zum Völkerrecht Band 158

Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin

Von

Jurij Daniel Aston

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JURIJ DANIEL ASTON

Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin

Schriften zum Völkerrecht Band 158

Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin

Von

Jurij Daniel Aston

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-11623-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Internationale Organisationen sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Verfasstheit der Staatengemeinschaft geworden. Doch ihre Gesetzgebungskompetenzen blieben, zumindest auf universeller Ebene, lange Zeit auf technische Zuständigkeitsbereiche bestimmter VN-Sonderorganisationen beschränkt. Dies änderte sich grundlegend am 28. September 2001, als der Sicherheitsrat mit Resolution 1373 losgelöst von den Anschlägen in den Vereinigten Staaten ein Regelwerk verabschiedete, das sich wie eine Querschnittskonvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus liest, zu deren Verabschiedung es bis heute nicht gekommen ist. Dieser generell-abstrakte Charakter macht Resolution 1373 zu einem echten legislativen Akt, der in der Beschlusspraxis des Rates ohne Präzedenzfall ist und nunmehr am 28. April 2004 mit Resolution 1540 Fortsetzung im Bereich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen gefunden hat. Der Sicherheitsrat ist auf diese Weise zu einem Ersatzgesetzgeber der internationalen Gemeinschaft geworden in einem Normbereich, der von fundamentalem Interesse für die Staatengemeinschaft ist. Aber auch in der Praxis der VN-Sonderorganisationen hat es in jüngster Zeit Entwicklungen gegeben, die zur Herausbildung zum Teil sehr innovativer Rechtsetzungsmechanismen geführt haben, deren Ausgestaltung in dem Maß variiert, wie der einzelne mitgliedstaatliche Wille bei der satzungsmäßig vorgesehenen Rechtsbindung noch geschützt wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dieser Thematik einschließlich ihrer Bedeutung für das allgemeine Völkerrecht. Sie wurde im Sommersemester 2004 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Mai 2004 berücksichtigt werden. Herr Prof. Dr. Dr. Rudolf Dolzer hat die Arbeit mit großem Engagement betreut und das Erstgutachten gefertigt. Er hat mir eine sehr interessante und lehrreiche Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonner Institut für Völkerrecht ermöglicht und war stets in ganz besonderer Weise um die Förderung meines Werdegangs bemüht. Herr Prof. Dr. Matthias Herdegen hat die Zweitberichterstattung übernommen und im Laufe meines Studiums viele meiner Vorhaben freundlich unterstützt. Die hervorragende Betreuung durch Herrn Prof. Dr. Pierre-Marie Dupuy während meines Forschungsjahres am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz hat ganz wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Die Förderung durch den DAAD hat diesen Forschungsaufenthalt ermöglicht. Grundlegende Anregungen zur Arbeit stammen von Herrn Prof. Dr. Christian Tomuschat, der meinen Werdegang über lange Jahre unterstützt hat. Herr Prof. Dr.

8

Vorwort

Günther Handl hat die Arbeit während meines Studienjahres an der Tulane Law School in New Orleans in ihren Anfängen begleitet. Die Fulbright-Kommission hat dieses Jahr großzügig gefördert. Der Verlag Duncker & Humblot war so freundlich, die Arbeit in die Schriftenreihe „Schriften zum Völkerrecht“ aufzunehmen. Frau Regine Schädlich hat die Drucklegung sachkundig betreut. Große Unterstützung habe ich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bonner Instituts für Völkerrecht erfahren, allen voran Frau Helga Drossard, Frau Doris Gassen, Frau Marianne Lehrmann und Herrn Felix Bloch. Daneben haben Frau Dr. Barbara Goy, Frau Dr. Annika Heilmann, Frau Dr. Astrid Ronneberg, Herr Frank Bauer und Herr Mark Noethen wertvolle Korrekturarbeiten geleistet. Meine Frau Hyun-Ji hat mir mit viel Liebe und Geduld zur Seite gestanden. Das Buch widme ich meinen Eltern in tiefer Dankbarkeit für die Unterstützung in all den Jahren. Ihnen allen danke ich herzlich. Kairo, im Juli 2004

Jurij Aston

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Teil 1 Was heißt Sekundärgesetzgebung?

32

1. Kapitel: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

2. Kapitel: Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Teil 2 Erscheinungsformen 3. Kapitel: Die Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 63

4. Kapitel: Sonderorganisationen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5. Kapitel: Fallgruppenbildung: Der Begriff der Sekundärgesetzgebung „revisited“ . . . 166 Teil 3 Zur Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das allgemeine Völkerrecht

180

6. Kapitel: Der Beitrag der Sekundärgesetzgebung zur Entwicklung einer institutionellen Gemeinschaftsdisziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 7. Kapitel: Das Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip . . . . . . . 195 8. Kapitel: Die Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre . . . 215

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Teil 1 Was heißt Sekundärgesetzgebung?

32

1. Kapitel Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

33

A. Der Begriff der Gesetzgebung im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

B. Übertragung auf das Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

I. Verwendung des Begriffs ohne Parallelen zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . . .

37

II. Begriffliche Kohärenz mit dem nationalen Recht durch Beschränkung auf institutionelle Völkerrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

C. Der Zusatz „sekundär“: Anleihe aus dem Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

2. Kapitel Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes

50

A. Einseitiger Rechtsakt einer internationalen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

B. Geltungskraft im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

C. Abstrakt-genereller Normgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

D. Ergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

12

Inhaltsverzeichnis

Teil 2 Erscheinungsformen

62

3. Kapitel Die Vereinten Nationen

63

A. Der Sicherheitsrat: Neuer Ersatzgesetzgeber der Staatengemeinschaft . . . . . . . .

64

I. Allgemeines zur bisherigen Beschlusspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

II. Resolution 1373 (2001): Legislativer Präzedenzbeschluss im Bereich der Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

1. Zur Bedeutung von Resolution 1373 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

a) Das bestehende Regelwerk zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

b) Legislativer Eingriff des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

c) Vergleich mit der bisherigen Beschlusspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

2. Die Feststellung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden nach Art. 39 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

a) Zur autoritativen Interpretation von Kapitel VII durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Internationaler Terrorismus und der Friedensbegriff des Art. 39 . . . .

87

c) Der Begriff der Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

3. Der Erlass generell-abstrakter Regeln nach Art. 41 UN-Charta . . . . . . . . . .

94

a) Art. 41 UN-Charta als offene Ermächtigungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

b) Systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

c) Lehren aus der Errichtung der Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

aa) Das Urteil des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadicˇ . . . . . . . . . . .

97

bb) Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

cc) Reaktionen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 dd) Schlussfolgerungen für das Verständnis von Art. 41 UN-Charta

101

d) Übertragung auf den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Inhaltsverzeichnis

13

III. Resolution 1540 (2004) als Fortsetzung im Bereich der Proliferation von Massenvernichtungswaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Proliferation von Massenvernichtungswaffen als allgemeine Gefahr für den Weltfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Das beschlossene Regelwerk zur Proliferationsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . 108 4. Vereinbarkeit mit Kapitel VII UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats auf der Grundlage legislativer Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Einzelstaatliche Durchsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Resolutionen 1373 und 1540 als PräzedenzfäLle für andere Bereiche? . . . 116 B. Resolutionen der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Die Frage der Rechtsverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Rechtsbindung durch formlosen zwischenstaatlichen Konsens . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Geltungsgrund bei zwischenstaatlichem Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

4. Kapitel Sonderorganisationen der Vereinten Nationen

125

A. Das Modell des Weltpostvereins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Institutioneller Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Sekundärgesetzgebungsakte des Weltpostvereins nach Art. 22 UPU und Teilung der Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Rechtsakte des Kongresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Die allgemeinen Vollzugsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Die Allgemeine Postkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Die Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

14

Inhaltsverzeichnis 2. Rechtsakte des Postvollzugsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Die Briefpost- und Paketpostvollzugsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Die Vereinbarungsvollzugsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Die Praxis des Weltpostvereins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

B. Das Modell der Weltzivilluftfahrtorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Luftverkehrsvorschriften nach Art. 37 i.V.m. 54 ICAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Schutz der Mehrheit nach Art. 90 S. 2 ICAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Herausoptieren einzelner Staaten nach Art. 38 ICAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 IV. Ausschluss des Herausoptierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Ausschluss bei Ablauf der Notifizierungsfrist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Ausschluss bei Vorschriften für den Luftraum über der Hohen See . . . . . . . 137 V. Die Praxis der ICAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 C. Das Modell der Internationalen Arbeitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Annahme internationaler Konventionen nach Art. 19 Abs. 1 ILO . . . . . . . . . . . . 139 II. Erfordernis der gesonderten Zustimmung nach Art. 19 Abs. 5 ILO . . . . . . . . . . 140 III. Die Praxis der ILO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 D. Die Weltgesundheitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Erlass von Rechtsverordnungen nach Art. 21 WHO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Annahme internationaler Konventionen nach Art. 20 WHO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Die Praxis der WHO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 E. Die Welternährungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Konventionen der Staatenkonferenz nach Art. XIV Abs. 1 FAO . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Rechtsakte des Exekutivrats nach Art. XIV Abs. 2 FAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Die Praxis der FAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Inhaltsverzeichnis

15

F. Die Weltkulturorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 G. Die Weltmeteorologieorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 H. Die Internationale Fernmeldeunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Grundsatzdokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Aufbau der ITU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Rechtsetzung in der ITU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Anpassung der Primärverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Standardisierung im Bereich des Fernmeldewesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Anpassung der Vollzugsordnungen für internationale Fernmeldedienste und für den Funkdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Die Praxis der ITU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I.

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Rechtsakte der IMO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Empfehlungen zur Annahme von Vorschriften und Richtlinien . . . . . . . . . . 155 2. Ausarbeitung internationaler Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Schwächen des Verfahrens der positiven Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Die neue Praxis der stillschweigenden Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Bewertung der neuen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Rechtsetzung durch Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Mindest- und Höchststandards in der Seerechtskonvention 1982 . . . . . . . . . 160 2. Normausfüllungsbefugnis der IMO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Verweis auf internationale Regeln und Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Das Erfordernis „allgemein anerkannter“ Regeln und Normen . . . . . . 164

16

Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel Fallgruppenbildung: Der Begriff der Sekundärgesetzgebung „revisited“

166

A. Unmittelbar verbindliche Außenrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Wesensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Zuordnung der Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 III. Verbindliche Außenrechtsetzung und der Begriff der Sekundärgesetzgebung

168

B. Das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung („Opting-out“) . . . . . . . . . . . . . 169 I. Wesensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Zuordnung der Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. „Opting-out“ und der Begriff der Sekundärgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 C. Das Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung („Contracting-in“) . . . . . . . . . . . 172 I. Wesensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Zuordnung der Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. „Contracting-in“ und der Begriff der Sekundärgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 D. Rechtsetzung durch Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Wesensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Zuordnung der Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Rechtsetzung durch Verweisung und der Begriff der Sekundärgesetzgebung

176

E. Exkurs: Der Sonderfall der supranationalen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Inhaltsverzeichnis

17

Teil 3 Zur Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das allgemeine Völkerrecht

180

6. Kapitel Der Beitrag der Sekundärgesetzgebung zur Entwicklung einer institutionellen Gemeinschaftsdisziplin

180

A. Die Institutionalisierung der internationalen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Die Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für die Integrationskraft einer internationalen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Determinanten der Integrationskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Das Integrationsmodell nach Eric Stein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Normativ-institutionelle Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Sozio-empirische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Vorschlag eines modifizierten Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Zuordnung der Sekundärgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Die Fallgruppen der Erscheinungsformen „revisited“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Relativierung des Befundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Exkurs: Das Beispiel der Europäischen Gemeinschaften als Entwicklungsstufe höchster Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 C. Die Herausbildung dynamisch-sektoraler Rechtsregime durch Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

7. Kapitel Das Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

195

A. Bedeutung der Zustimmung zum Gründungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2 Aston

18

Inhaltsverzeichnis

B. Einordnung der Sekundärgesetzgebung in die allgemeine Frage der Rechtsbindung eines Staates wider Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Exkurs: Konturen einer verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin . . . . . . . . . . 200 II. Verknüpfung und Unterscheidung von institutioneller und verfassungsartiger Gemeinschaftsdisziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Auswirkungen der Unterscheidung auf den Rechtsbindungstest im Streitfall

210

1. Rechtsbindung in der institutionellen Gemeinschaftsdisziplin . . . . . . . . . . . . 211 2. Rechtsbindung in der verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin . . . . . . . . 213 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

8. Kapitel Die Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre

215

A. Was ist eine Rechtsquelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 B. Art. 38 IGH-Statut: Numerus clausus der Völkerrechtsquellen? . . . . . . . . . . . . . . . 218 C. Die Sekundärgesetzgebung als Quelle des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 D. Das Paradoxon des Konsensualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Abkürzungsverzeichnis a. a.A. a. E. AFDI AIDI AJIL Anm. APD APEC ASEAN ASIL Proc. AT AU Aufl. AustralianYbIL AVR BAFA Bd. BDGV Begr. BGB BGBl. BlDIP BT BT-Drucks. BVerfGE BYIL ColJTL CYIL Doc. EA ebda. ECOSOC ECOWAS ed. 2*

auch anderer Ansicht am Ende Annuaire Français de Droit International Annuaire de l’Institut de Droit International American Journal of International Law Anmerkung Archives de Philosophie du Droit Asia-Pacific Economic Cooperation Association of Southeast Asian Nations Proceedings of the American Society of International Law Allgemeiner Teil African Union Auflage Australian Yearbook of International Law Archiv des Völkerrechts Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Begründer Bürgerliches Gesetzbuch (der BRD) Bundesgesetzblatt Blätter für deutsche und internationale Politik Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law Columbia Journal of Transnational Law Canadian Yearbook of International Law Document Europa-Archiv ebenda Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen Economic Community of West African States edition

20 EFTA EJIL EMRK EPIL et al. ETS EuGH EuGRZ EWR f. FAO FAS FAZ ff. Fn. FR FS FTAA GA GASP GATT GCC GG GUS GV GYIL HADDEX HarvILJ Herv. Herv. d. Verf. HRQu Hrsg. HS ICAO ICC ICJ ICLQ ICTY i.E. IGH ILawy ILC

Abkürzungsverzeichnis European Free Trade Association European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law et alii European Treaty Series Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäischer Wirtschaftsraum folgende Food and Agricultural Organization Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote Frankfurter Rundschau Festschrift Free Trade Area of the Americas General Assembly (der UN) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (der EU) General Agreement on Tariffs and Trade Gulf Cooperation Council Grundgesetz (der BRD) Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Generalversammlung (der UN) German Yearbook of International Law Handbuch der deutschen Exportkontrolle Harvard International Law Journal Hervorhebung Hervorhebung durch Verfasser Human Rights Quarterly Herausgeber Halbsatz International Civil Aviation Organization International Criminal Court International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia im Ergebnis Internationaler Gerichtshof The International Lawyer International Law Commission

Abkürzungsverzeichnis ILM ILO ILP IMO IndJIL insbes. IntRel IowaLR IPBPR IStGH ITU IWF JBStVw JDI KSZE lit. LJIL Mercosur MPYbUNLaw m. w. N. NAFTA NATO NILR NJust NJW No. NwJIntLBus NYIL OAS OAU OECD OEEC OIC OPEC OSZE PCIJ RdC Res. RevEspDI RevICJur RevICR

21

International Legal Materials International Labour Organization International Law and Politics International Maritime Organization Indian Journal of International Law insbesondere International Relations Iowa Law Review Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Strafgerichtshof International Telecommunications Union Internationaler Währungsfonds Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft Journal du droit international Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa litera Leyden Journal of International Law Mercado Commún del Cono Sur Max Planck Yearbook of United Nations Law mit weiteren Nachweisen North American Free Trade Agreement North Atlantic Treaty Organization Netherlands International Law Review Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Number Northwestern Journal of International Law & Business Netherlands Yearbook of International Law Organization of American States Organization of African Unity Organization for Economic Co-operation and Development Organization for European Economic Cooperation Organization of the Islamic Conference Organization of the Petroleum Exporting Countries Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Permanent Court of International Justice Recueil des Cours. Collected Courses of the Hague Academy of International Law Resolution Revista Española de Derecho Internacional Revue of the International Commission of Jurists Revue internationale de la Croix-Rouge

22 RGDIP RGG RIAA RivDI Rn. Rs. S. s. SchwJBIR SchwZIER Slg. Sp. SR StIGH st. Rspr. SZ UNCIO UNCTAD UNDP U.N. Doc. UNEP UNESCO UNIDO UNO UNTS UNYB UPU VanderbiltJTL Verf. vgl. VN Vol. VVDStRL VwGO VwVfG WEU WHO WIPO WMO WTO

Abkürzungsverzeichnis Revue générale de droit international public Religion in Geschichte und Gegenwart Reports of International Arbitral Awards Rivista di diritto internazionale Randnummer Rechtssache Seite siehe Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht (Revue suisse de droit international et de droit européen) Sammlung Spalte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Ständiger Internationaler Gerichtshof ständige Rechtsprechung Süddeutsche Zeitung Documents of the United Nations Conference on International Organization United Nations Conference on Trade and Development United Nations Development Programme United Nations Document United Nations Environment Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Industrial Development Organization United Nations Organization United Nations Treaty Series Yearbook of the United Nations Universal Postal Union Vanderbilt Journal of Transnational Law Verfasser(in) vergleiche Vereinte Nationen (auch Zeitschrift) Volume Veröffentlichungen der Vereinigungen der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung (der BRD) Verwaltungsverfahrensgesetz (der BRD) Westeuropäische Union World Health Organization World Intellectual Property Organization World Meteorological Organization World Trade Organization

Abkürzungsverzeichnis WVÜ YaleJIL ZaöRV z. B. ZLWR

Wiener Vertragsrechtsübereinkommen Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht

23

Einleitung Der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten ist nach wie vor das fundamentale Ordnungsprinzip in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Art. 2 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet die Organisation und ihre Mitglieder, bei der Verfolgung der in Art. 1 niedergelegten Ziele nach seiner Maßgabe zu handeln. Die Souveränität ist dabei Kennzeichen der Staatlichkeit. Nach innen bedeutet sie Verfassungsautonomie, welche völkerrechtlich durch den Grundsatz der Nicht-Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten abgesichert wird.1 Nach außen ist sie Völkerrechtsunmittelbarkeit, was bedeutet, dass ein Staat keinem fremden Willen untergeordnet ist.2 Das Völkerrecht bildet deshalb zuvorderst eine zwischenstaatliche Rechtsordnung3, und zwar in einem doppelten Sinne: Die Staaten sind Normadressaten und Normerzeuger zugleich.4 Es ist dies der zentrale Unterschied zu den nationalen Rechtsordnungen, die auf einer zentralisierten Rechtsetzung durch staatliche Organe beruhen.5 Dementsprechend herrscht in der Völkerrechtslehre weiterhin eine positivistische Sichtweise vor, welche die normative Geltung des Völkerrechts an die Zustimmung der Staaten rückkoppelt. Kern dieser Konzeption ist das so genannte Konsensualprinzip, wonach ein Staat nicht gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann.6 Diese voluntaristische Konzeption Vgl. Art. 2 Abs. 7 UN-Charta. Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101 (106). 3 s. aber auch: Aston, in: EJIL 12 (2001), 943 ff. 4 Vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut. 5 Herdegen, Völkerrecht, § 3, Rn. 4. 6 In der englischen Fachsprache wird dieses Prinzip gemeinhin als „consent-principle“ bezeichnet (s. z. B.: Handl, in: Ringbom, Competing Norms, 217 (220); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (210). Im Französischen ist die Terminologie uneinheitlich. Teils wird der Begriff „principe du consentement“, teils der des „consensualisme“ (s. z. B.: R.-J. Dupuy, La Communauté internationale, S. 83) verwandt. Eine exakte Übersetzung ins Deutsche fällt schwer. Die Mehrheit im deutschsprachigen Schrifttum bevorzugt augenscheinlich den Begriff „Konsensprinzip“, was unter anderem mit der klanglichen Nähe zu seinem englischen Pendant zu erklären sein könnte (vgl. etwa: Herdegen, Völkerrecht, § 3, Rn. 4; Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 230; Riedel, in: Stober [Hrsg.], FS Roellecke, 245 [265]). Doch dieser Begriff trifft die Sache nicht genau, denn der Begriff „Konsens“ suggeriert eine Übereinstimmung Mehrerer, um die es hier aber nicht geht. Eher geht es um eine einseitige Zustimmung, also um ein Konsentieren. Der Begriff „Konsensualprinzip“ scheint deshalb gegenüber dem des „Konsensprinzips“ vorzugswürdig (vgl. etwa: Tomuschat, in: BDGV 28 (1988), 9 [10]). Zu unterscheiden ist dieses Prinzip im Übrigen von dem so genannten Konsensusverfahren als ein Verfahren der Annahme eines multilateral verhandelten Textes ohne 1 2

26

Einleitung

des Völkerrechts hat in einem oft zitierten Diktum der „Lotus“-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahre 1927, dem „navire amiral du positivisme classique“ (Pierre-Marie Dupuy7), prägnanten Ausdruck gefunden: „International law governs relations between independent States. The rules of law binding upon States therefore emanate from their own free will as expressed in conventions or by usages generally accepted as expressing principles of law ( . . . ).“8

Das vom Gerichtshof vertretene Völkerrechtsverständnis entsprach in jeder Hinsicht dem Zeitgeist, wie die Lehrbücher der Epoche belegen. In der systematischen Darstellung des Völkerrechts von Franz von Liszt aus dem Jahr 1925 etwa ist nachzulesen: „Die verbindende Kraft schöpfen die völkerrechtlichen Normen mithin aus dem sich selbst bindenden Willen der Staaten, nicht aus dem Willen einer diesen übergeordneten Macht. Das Völkerrecht ist Vertrag, nicht Gesetz, aber gerade als Vertrag positives Recht.“9

Entsprechend waren auch die internationalen Kongresse und Konferenzen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vom Prinzip der Einstimmigkeit geprägt. Es wäre keinem Diplomaten in den Sinn gekommen, diesen Modus der Entscheidungsfindung zu hinterfragen. „No will, no law!“, diese Maxime war Ausdruck des Gefühls souveräner Gleichheit im Konzert der absoluten europäischen Mächte. Für einen etwaigen Gemeinschaftssinn war hier kein Raum.10 Doch vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte ein Prozess ein, durch den sich das Völkerrecht von dieser „westfälischen“ Ordnung der bloßen Koexistenz souveräner Staaten allmählich zu einem Recht der Kooperation entwickelte11, in dem nicht mehr allein die Interessen einzelner Staaten im Vordergrund stehen, sondern zunehmend auch Gemeinschaftsinteressen Berücksichtigung finden.12 So bildeten sich zum einen bestimmte elementare Werte der Völkergemeinschaft heraus, wie etwa das Gewaltverbot, der Schutz der fundamentalen Menschenrechte oder die Idee des gemeinsamen Erbes der Menschheit, um nur einige zu nennen.13 Diese Entwicklung ging zum anderen einher mit einer kontinuförmliche Abstimmung (vgl. dazu: Suy, in: EPIL 1, 759 ff.; ausführlich: Zemanek, in: Macdonald / Johnston, The Structure and Process of International Law, 857 ff.). 7 Droit international public, Rn. 365. 8 The Case of the S. S. Lotus (Frankreich . / . Türkei), Entscheidung des StIGH vom 7. September 1927, PCIJ, Series A, Nr. 10, S. 18; eine Zusammenfassung der Entscheidung findet sich bei: Herndl, in: EPIL 3, 263 ff. (m. w. N.); dazu zuletzt in anderem Zusammenhang: Schultz, in: ZaöRV 62 (2002), 703 (insbes. 730 ff.). 9 von Liszt, Völkerrecht, S. 9. 10 Dazu: Zemanek, in: Macdonald / Johnston, Structure and Process of International Law, 857 (866). 11 Friedmann, The Changing Structure of International Law, der diese Terminologie geprägt hat; zuletzt: Kadelbach, in: ZaöRV 64 (2004), 1 ff. 12 Grundlegend zuletzt: Paulus, Die internationale Gemeinschaft. 13 Kadelbach, in: ZaöRV 64 (2004), 1 (10 f.).

Einleitung

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ierlichen Verdichtung der internationalen Beziehungen durch internationale Organisationen, Institutionen, Staatenkonferenzen und Programme, die zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Verfasstheit der Staatengemeinschaft geworden sind.14 Mohammed Bedjaoui hat diese Entwicklung wie folgt veranschaulicht: „(T)he fact of contemporary international society is markedly altered. Despite the still modest breakthrough of ,supra-nationalism‘, the progress made in terms of the institutionalization, not to say integration and ,globalization‘, of international society is undeniable. ( . . . ) The resolutely positivist, voluntarist approach of international law still current at the beginning of the century – and which the Permanent Court did not fail to endorse in the aforementioned judgment15 – has been replaced by an objective conception of international law, a law more readily seeking to reflect a collective juridical conscience and respond to the social necessities of States organized as a community“.16

Es ist allerdings zu weitgehend, jedenfalls aber zu früh, von einer prinzipiellen Ablösung der voluntaristischen durch eine objektivistische Konzeption des Völkerrechts zu sprechen, wie Bedjaoui dies tut.17 Der in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta niedergelegte Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten ist, wie gesagt, nach wie vor der dominierende Faktor in den internationalen Beziehungen. In der Beobachtung der sozialen Realitäten aber ist Bedjaoui zuzustimmen: Die Fortschritte im Bereich der Institutionalisierung, Globalisierung und Integration sind unübersehbar und damit nimmt gleichzeitig das Bedürfnis nach beschleunigter Rechtsetzung sowie nach Regeln universeller Geltung zu, an die sich alle Akteure zu halten haben. Entstanden ist auf diese Weise ein Spannungsfeld zwischen nationalstaatlichen Belangen einerseits und der Verfolgung gemeinsamer Interessen andererseits.18 Dieses Spannungsfeld kann dazu führen, dass das Beharren auf der Suprematie des staatlichen Willens den veränderten Bedürfnissen einer sich zunehmend als Gemeinschaft begreifenden Staatenwelt im Einzelfall nicht mehr Rechnung trägt. Damit stellt sich die Frage nach einer möglicherweise notwendigen Relativierung des völkerrechtlichen Konsensualprinzips. Vor diesem Hintergrund wird im modernen völkerrechtlichen Schrifttum zunehmend diskutiert, dabei häufig auch im weiteren Kontext einer allgemeinen Debatte über die Verfasstheit oder Verfassung der Staatengemeinschaft, ob und unter welchen Umständen ein Staat zum Vorteil einer Staatenmehrheit gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann.19 Dabei sind 14 Hans Huber spricht hierbei in Ablehnung des Begriffs der „Vergemeinschaftung“ von „funktionaler Integration“, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (17); ebenso: Sattler, Das Prinzip ,funktionale Integration‘, (Zusammenfassung seiner Position auf S. 215 – 224). 15 Gemeint ist die eingangs zitierte Lotus-Entscheidung. 16 Separates Votum zum Gutachten des IGH in Sachen Legality of the threat or use of nuclear weapons vom 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, 268 (270 f., § 13). 17 Zu Recht: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 431. 18 Kadelbach, in: ZaöRV 64 (2004), 1 (11). 19 Grundlegend: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 ff.; s. ferner: ders., in: RdC 281 (1999), 9 ff.; Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 ff.; Frowein, in: RdC 248 (1994 – IV)

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zwei Fallgestaltungen auseinander zu halten. Eine Rechtsbindung wider Willen gelingt rechtstechnisch zum einen über das in Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens20 kodifizierte Konzept des zwingenden Rechts (ius cogens) in Bezug auf solche Normen, deren Beachtung im fundamentalen Interesse der Staatengemeinschaft ist, und die aus diesem Grund als so elementar angesehen werden, dass eine Abweichung von ihnen nicht oder nicht mehr geduldet wird. Hier geht es also um eine verfassungsähnliche materiell-rechtliche Bindung an die Grundaxiome zwischenstaatlichen Zusammenlebens. Warum das Bedürfnis nach einer solchen höherrangigen Normenkategorie besteht, wird bei Jonathan Charney deutlich: „The international community of the late twentieth century faces an expanding need to develop universal norms to address global concerns. ( . . . ) To resolve such problems, it may be necessary to establish new rules that are binding on all subjects of international law regardless of the attitude of any particular state. For unless all states are bound, an exempted recalcitrant state could act as a spoiler for the entire international community. ( . . . ) Complete autonomy may have been acceptable in the past when no state could take actions that would threaten the international community as a whole. Today, the enormous destructive potential of some activities and the precarious condition of some objects of international concern make full autonomy undesirable, if not potentially catastrophic.“21

Eine wesentliche Abschwächung des Konsensualprinzips im Völkerrecht ist zweitens aber auch dann zu beobachten, wenn eine internationale Organisation über eine eigene Normsetzungsbefugnis verfügt und die Beschlussfassung dabei durch Mehrheitsentscheid erfolgt: „Im Augenblick der Majorisierung vollzieht sich der Übergang vom Vertrag zum Gesetz. Die satzungsmäßige Einführung des Majoritätsbeschlusses ist ein Anzeichen der rechtlichen Verfestigung und Verselbständigung des internationalen Gemeinschaftsorgans und leitet damit zu einer verfassungsmäßigen, gesetzesartigen Bindung über.“22

Dabei ist diese Bindung nicht in einem originär materiell-rechtlichen Sinne zu verstehen, wie in der ersten Konstellation, sondern als eine vom Gründungsvertrag der jeweiligen internationalen Organisation abgeleitete Bindung an das von dieser produzierte Folgerecht. Auf den ersten Blick lässt sich deshalb zwar die Geltung des völkerrechtlichen Konsensualprinzips aufrecht erhalten, kann der Geltungsgrund der sekundären Norm doch auf die zuvor erteilte Zustimmung zum primären Gründungsvertrag zurückgeführt werden. Diese Zustimmung kann jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, auf den zweiten Blick – und je länger sie zurück liegt – zur puren Fiktion verblassen, wenn nämlich die handelnden Organe der betreffen347 ff.; ders., in: BDGV 39 (2000), 427 ff.; P.-M. Dupuy, in: RdC 297 (2002), 9 (207 ff.); Fassbender, UN Security Council Reform. 20 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23. 5. 1969 (8 ILM [1969], 679; BGBl. 1985 II, 926). 21 Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 (529 f.). 22 Schulz, Entwicklungsformen internationaler Gesetzgebung, S. 72.

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den Organisation durch ihre Beschlusspraxis das Recht der Gründungsverträge bis an die Grenzen der Vertragsänderung oder darüber hinaus fortbilden.23 Die dynamische Interpretation des VII. Kapitels der UN-Charta durch den UN-Sicherheitsrat ist hierfür das prominenteste Beispiel.24 Diese Form der institutionalisierten Rechtsetzung durch internationale Organisationen hat einen bedeutenden Beitrag zu der oben beschriebenen Vergemeinschaftung der internationalen Politik geleistet25 und sie gewinnt zunehmend an Bedeutung in einer Zeit, da die herkömmlichen Instrumente wie der völkerrechtliche Vertrag, ganz zu schweigen vom Völkergewohnheitsrecht, häufig nicht mehr Schritt halten können mit den sich beschleunigenden Entwicklungen und der Vernetzung der sozialen Realitäten. „At the universal level, rule-making powers of international organizations are still exceptional. It is here that the needs for a rapid and effective rule-making mechanisms are growing almost every day.“26

Tatsächlich hat es in der jüngsten Zeit bedeutende Entwicklungen in der Praxis sowohl der Vereinten Nationen als auch ihrer Sonderorganisationen gegeben, die von den bisher erschienenen, zumeist älteren Untersuchungen zur Rechtsetzungstätigkeit internationaler Organisationen naturgemäß nicht berücksichtigt werden.27 In besonderem Maße beachtenswert ist, dass sich die Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen seit kurzem nicht mehr nur auf technische Bereiche beschränkt, sondern Politikfelder anbelangt, die von zentraler Bedeutung für die internationale Gemeinschaft sind. Davon zeugt insbesondere die jüngste Praxis des Sicherheitsrats, der in seiner Resolution 1373 vom 28. September 2001 erstmals in seiner Geschichte zu der Auffassung gelangt ist, ein abstraktes Phänomen – der internationale Terrorismus – bedrohe als solches den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, um sodann losgelöst von den Anschlägen in den Vereinigten Staaten ein detailliertes Regelwerk zur Terrorismusbekämpfung zu beschließen, das sich wie eine Querschnittskonvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus liest, zu deren Verabschiedung es bis heute nicht gekommen ist.28 Dieser generell-abstrakte Charakter macht Resolution 1373 zu einem echten legislativen Akt, der in der Beschlusspraxis des Rates ohne Präzedenzfall ist und nunmehr am 28. April 2004 mit Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (327). Herdegen, Völkerrecht, § 3, Rn. 9. 25 Vgl.: Frowein, in: ZaöRV 36 (1976), 147 (148). 26 Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (325). 27 Vgl.: Detter, Law Making; Yemin, Legislative Powers; Saba, in: RdC 111 (1964 – I), 603 ff.; Schulz, Entwicklungsformen internationaler Gesetzgebung; Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 ff.; Scheuner, in: v. d. Heydte / Seidl-Hohenveldern / Verosta / Zemanek, FS Verdross, 229 ff.; Schachter, in: Jasentuliyana, Perspectives on International Law, 119 ff. 28 s. dazu bereits: Aston, in: ZaöRV 62 (2002), 257 ff. 23 24

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Resolution 1540 Fortsetzung im Bereich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen gefunden hat. Diese neue Vorgehensweise wirft eine Reihe völkerrechtlicher Fragen auf. Wo sind die Grenzen der Befugnisse des Rates? Wie ist die Inanspruchnahme legislativer Kompetenzen in Einklang zu bringen mit der Feststellung des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien, der Sicherheitsrat sei kein Legislativorgan der Staatengemeinschaft? 29 Welche Bedeutung hat es für das allgemeine Völkerrecht, wenn der Sicherheitsrat auf diese Weise als Ersatzgesetzgeber der internationalen Gemeinschaft agiert? Aber auch die Gesetzgebungspraxis der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen hat sich in jüngster Zeit fortentwickelt und zur Herausbildung zum Teil sehr innovativer Rechtsetzungsmechanismen geführt, deren Ausgestaltung in dem Maß variiert, wie die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten bei der satzungsmäßig vorgesehenen Rechtsbindung noch geschützt wird. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dieser Rechtsetzungstätigkeit internationaler Organisationen einschließlich ihrer Bedeutung für das allgemeine Völkerrecht. Ziel ist zum einen, einen Überblick über den aktuellen Stand der Sekundärgesetzgebung universeller internationaler Organisationen zu geben, und zum anderen einen Ausschnitt der Frage zu behandeln, wann ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann. Die Darstellung gliedert sich dabei in drei Teile. Zunächst ist darzulegen, was unter dem Begriff der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zu verstehen ist. Insbesondere müssen die Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes bestimmt werden, um die Sekundärgesetzgebung von den übrigen rechtsrelevanten Tätigkeiten internationaler Organisationen wie auch von den sonstigen Formen der völkerrechtlichen Normenproduktion abzugrenzen (Teil 1). Auf der Grundlage der erarbeiteten Definition ist sodann zu untersuchen, welche internationalen Organisationen über Sekundärgesetzgebungskompetenzen verfügen beziehungsweise solche beanspruchen, was die Behandlung der damit verbundenen Rechtsfragen einschließt. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass ein einheitliches Rechtsetzungsmodell nicht existiert, sondern vielmehr, je nach Ausgestaltung des Schutzes des einzelstaatlichen Willens, zwischen verschiedenen Erscheinungsformen zu unterscheiden ist. Die Darstellung soll sich deshalb nicht in einem empirischen Überblick erschöpfen, sondern in einen Vorschlag einer Fallgruppenbildung münden, mithilfe derer die unterschiedlichen Erscheinungsformen kategorisiert werden können (2. Teil). Schließlich sind die Ergebnisse aus dem zweiten Teil der Arbeit zu bewerten und der Bogen zu der Ausgangsfrage der Arbeit zu spannen, wann ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann. Im Rahmen der Bewertung wird auch ein vergleichender Blick auf regionale Organisationen und dabei insbesondere auf die 29 Vgl.: The Prosecutor v. Dusko Tadic, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), abgedruckt in: 35 ILM (1996), 32 (46 f., § 43).

Einleitung

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Europäischen Gemeinschaften zu richten sein, die im Übrigen nicht Gegenstand der Untersuchung sind (3. Teil). In einer abschließenden Betrachtung soll der Blick in die Zukunft der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen gerichtet werden.

Teil 1

Was heißt Sekundärgesetzgebung? Die rechtsrelevanten Tätigkeiten internationaler Organisationen sind ausgesprochen vielfältig. Der folgende, bewusst unstrukturierte Überblick soll diese Vielfalt verdeutlichen: Internationale Organisation können Staatenkonferenzen zur Ausarbeitung internationaler Abkommen einberufen, eigene Entwürfe ausarbeiten und vorlegen, Empfehlungen abgeben, selbst Abkommen mit anderen Völkerrechtssubjekten oder aber Vereinbarungen mit privaten Rechtspersonen schließen, Resolutionen oder Entschließungen verabschieden, Entscheidungen treffen, ihre Satzungen ändern, organisationsinterne Verfahrensregeln schaffen, Unterorgane bilden, ihr Budget regeln, über die Aufnahme neuer Mitglieder entscheiden, Verfahrensordnungen und sonstige Regularien erlassen, Streitschlichtung betreiben, vermitteln, rechtsprechend oder schiedsrichterlich tätig werden, Berichte erstellen und so fort. Innerhalb dieser Vielzahl von Erscheinungsformen muss die für die Zwecke der vorliegenden Studie allein relevante Gesetzgebungstätigkeit internationaler Organisationen isoliert werden. Eine solche Abgrenzung erfordert eine trennscharfe Definition des Begriffs der Sekundärgesetzgebung, deren Erarbeitung jedoch dadurch erschwert wird, dass im Zusammenhang mit der Rechtsetzungstätigkeit internationaler Organisationen im deutschen wie auch im ausländischen Schrifttum Begriffe kursieren, die höchst kontrovers diskutiert und unterschiedlich verwendet werden. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen rein semantischen Disput. Vielmehr verbergen sich hinter der unterschiedlichen Verwendung der Begrifflichkeiten häufig auch gegensätzliche konzeptionelle Ansätze. Mit dieser begrifflichen Kontroverse ist sich zunächst zu befassen und klarzustellen, wie der Begriff der Gesetzgebung im völkerrechtlichen Kontext zu verstehen ist. Um die Gründungsverträge einer internationalen Organisation von dem auf der Grundlage dieser Verträge produzierten Folgerecht abzugrenzen, ist zudem eine Anleihe bei dem im Europarecht entwickelten Begriff der „sekundären“ Gesetzgebung zu machen (1. Kapitel). Sodann muss herausgearbeitet werden, welche Definitionsmerkmale einen Sekundärgesetzgebungsakt im Recht der internationalen Organisationen ausmachen. Diese Definition soll dazu dienen, die Sekundärgesetzgebung von anderen rechtsrelevanten Handlungsformen internationaler Organisationen wie auch von sonstiger Normproduktion im Völkerrecht abzugrenzen. Sie ermöglicht gleichzeitig die notwendige Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes (2. Kapitel).

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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1. Kapitel

Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht Die im Schrifttum zu verzeichnende Uneinigkeit über die Verwendung des Begriffs der Gesetzgebung im internationalen Kontext liegt vor allem darin begründet, dass es sich bei diesem Begriff um eine den staatsrechtlichen Ordnungen entstammende Kategorie handelt, der Völkerrechtsordnung aber ein zentrales Gesetzgebungsorgan wie auch ein festgelegtes förmliches Gesetzgebungsverfahren fremd ist.1 Normproduktion funktioniert im Völkerrecht wesentlich anders als in nationalen Rechtssystemen. Der völkerrechtliche Rechtsquellenkanon des Art. 38 IGH-Statut manifestiert dies. Im Hinblick auf diese grundlegenden Fragen besteht auch Einigkeit im Schrifttum. Allein werden hieraus höchst unterschiedliche Konsequenzen für die Verwendung des Begriffs der Gesetzgebung im internationalen Kontext gezogen. Dem Problem soll sich in drei Schritten genähert werden. Zunächst ist zu skizzieren, wie der Begriff der Gesetzgebung im nationalen Kontext, dem er entstammt, verstanden wird. Sodann ist sich der Frage seiner Übertragbarkeit auf das Völkerrecht zuzuwenden und für ein bestimmtes Verständnis des Begriffs der Gesetzgebung im völkerrechtlichen Kontext zu plädieren. Schließlich ist zu untersuchen, inwieweit der im Europarecht entwickelte Begriff der „sekundären“ Gesetzgebung für das Recht der internationalen Organisationen fruchtbar gemacht werden kann.

A. Der Begriff der Gesetzgebung im nationalen Recht Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet Gesetz eine abstrakte und generelle Anordnung für menschliches Verhalten (einen Imperativ) oder die Erklärung menschlichen Denkens sowie von Naturvorgängen.2 Das Wort „Gesetz“ wird also nicht nur im Rechtsbereich, sondern mit eigenem Sinngehalt auch in anderen Kontexten verwendet. Entsprechend ist vorab zwischen einem rechtlichen und einem außerrechtlichen Gesetzesbegriff zu unterscheiden. Dem außerrechtlichen Gesetzesbegriff ist zum einen das naturwissenschaftliche Gesetz zuzuordnen. Es bezieht sich auf Tatsachen und stellt dabei fest, was ist. Dabei bringt es eine physische oder psychische Seins- oder Geschehensnotwendigkeit, insbesondere die Verknüpfung von Ursache und Wirkung, auf eine mehr oder minder kurze Formel, wie zum Beispiel das „Gesetz“ der Schwerkraft oder der

1 Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (200); vgl. bereits: Lauterpacht, in: BYIL 11 (1930), 134 (insbes. 134 – 138). 2 s.: Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 320.

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Satz des Thales. Anders als das juristische Gesetz bezieht sich das naturwissenschaftliche Gesetz also nicht auf das Sollen, sondern auf das Sein.3 Ein weiteres Beispiel für einen außerrechtlichen Gesetzesbegriff ist das so genannte Sittengesetz. Zwar fordert es, wie das juristische Gesetz auch, ein bestimmtes Verhalten und stellt insoweit einen Sollenssatz dar. Es ist jedoch allein dem Bereich von Ethik und Moral zugehörig und kann als solches nicht zwangsweise durchgesetzt werden. In Ermangelung dieses Rechtsdurchsetzungsanspruchs dient es damit, anders als das juristische Gesetz, nicht der Herstellung und Erhaltung der äußeren Ordnung menschlichen Zusammenlebens.4 Der hier allein interessierende rechtliche Gesetzesbegriff wiederum ist mehrdeutig und umstritten. Zwar war dem antiken und insbesondere römischen Recht die „lex“ als Teil der Rechtsordnung bekannt, der deutsche Ausdruck „Gesetz“ aber wurde erst im Mittelhochdeutschen als Festsetzung von Vorschriften eingeführt und ist als Äußerung der Staatsgewalt letztlich erst seit dem Beginn des absolutistischen Zeitalters geläufig.5 Lag im absoluten Staat des 17. und 18. Jahrhunderts die Gesetzgebung exklusiv beim jeweiligen Monarchen, so bestimmten die Verfassungen des 19. Jahrhunderts, dass die Gesetze zwar weiterhin vom Monarchen, aber mit Zustimmung der Volksvertretung zu erlassen seien.6 Damit stellte sich die Frage, welche Vorschriften als Gesetze der Zustimmung der Volksvertretung bedurften, und welche als Verordnungen weiterhin allein vom Monarchen dekretiert werden konnten. Der Gesetzesbegriff des 19. Jahrhunderts begründete also die Zuständigkeit der Volksvertretung und war damit zugleich kompetenzbegründend. Um den Gesetzesbegriff zu definieren, wurde teilweise an den Eingriff in Freiheit und Eigentum, teilweise an die sozialen Schrankenbestimmungen und teilweise an den generell-abstrakten Regelungsgehalt angeknüpft.7 Da der Gesetzesbegriff somit auch ein Kompetenzbegriff war, wurde die Gesetzesform aber auch für andere Hoheitsakte vorgeschrieben, um die Zuständigkeit der Volksvertretung zu begründen. Das bekannteste, auch heute noch bestehende Beispiel ist der Haushaltsplan, der zwar keinen der oben genannten Kriterien eines Gesetzes unterfiel, gleichwohl aber durch Gesetz festgestellt werden musste.8 Dies führte zu dem bis heute verwendeten dualistischen Gesetzesbegriff, dessen Schöpfung auf einen der maßgeblichen Staatsrechtslehrer des 19. Jahrhunderts, Paul Laband, zurückgeht. Anhand des preußischen Budgetkonflikts unterschied Maurer, Staatsrecht I, S. 538 f.; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 320 Zur Unterscheidung zwischen Gesetz im rechtlichen und außerrechtlichen Sinn: Maurer, Staatsrecht I, S. 538 f.; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 320. 5 Stern, Staatsrecht II, S. 560. 6 s. etwa: § 2 Nr. 1 Verf. Nassau v. 1814; § 65 Verf. Baden v. 1818; Tit. VII § 2 Verf. Bayern v. 1818; § 88 Verf. Württemberg v. 1819; § 72 Verf. Hessen-Darmstadt v. 1820. 7 Vgl.: Maurer, Staatsrecht I, S. 540. 8 s. etwa: Klein, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts II, S. 353. 3 4

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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Laband zwischen dem Gesetz im materiellen und im formellen Sinn.9 Der materielle Gesetzesbegriff knüpft an den Inhalt des Gesetzes an. Danach wird inhaltlich unter Gesetz jeder Rechtssatz verstanden. Gesetz, Rechtssatz und Rechtsnorm sind danach synonym gebrauchte Begriffe für abstrakt-generelle Anordnungen (Imperative), die menschliches Verhalten regeln.10 Anders ausgedrückt: Als Gesetz im materiellen Sinn wird jede Rechtsnorm verstanden, also jede hoheitliche Anordnung, die für eine unbestimmte Vielzahl von Personen allgemein verbindliche Regelungen enthält. Der formelle oder förmliche Gesetzesbegriff knüpft demgegenüber nicht an den Norminhalt, sondern an die Form an. Ohne Rücksicht auf den Inhalt ist demnach das Gesetz im formellen Sinn jeder Beschluss der zur Gesetzgebung berufenen Organe, der im verfassungsmäßig vorgesehenen förmlichen Gesetzgebungsverfahren ergeht, ordnungsgemäß ausgefertigt und verkündet wird.11 Da aber zum einen der Inhalt – insbesondere die allgemeinverbindliche Rechtsnorm – auch in anderer Form als der des förmlichen Gesetzes, namentlich als Rechtsverordnung oder Satzung ergehen kann, zum anderen aber nicht jedes förmliche Gesetz einen generell-abstrakten Normgehalt hat, können die beiden Begriffe zwar deckungsgleich sein (häufig sind sie es auch), müssen dies aber nicht.12 Vielmehr sind drei Fallgruppen denkbar, und zwar erstens Gesetze im formellen und materiellen Sinn (also formelle Gesetze mit materiell-gesetzlichem Inhalt), zweitens Gesetze im nur formellen Sinn (z. B. der Haushaltsplan13 oder das Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertrag14) und drittens Gesetze im nur materiellen Sinn (Rechtsverordnungen und Satzungen). Formeller und materieller Gesetzesbegriff verhalten sich also nicht wie Gattung und Art, sondern wie zwei sich „schneidende Kreise“.15 Ungeachtet der vielfältigen Kritik an der Unterscheidung zwischen Gesetz im formellen und materiellen Sinn16, auf die für die Zwecke der vorliegenden UnterLaband, Das Budgetrecht. Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, S. 141. 11 Zu beiden Begriffen: Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, S. 141; Stern, Staatsrecht II, S. 564 f.; Maurer, Staatsrecht I, S. 540 f.; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 321 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 502 ff.; Creifelds / Kauffmann, Rechtswörterbuch, Stichwort „Gesetz“. 12 Klein, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts II, S. 353; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 502. 13 Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. 14 Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG (soweit es keine allgemein-verbindlichen Regeln enthält). 15 Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, S. 141, dabei das von Albert Haenel geprägte Bild benutzend. 16 s. etwa: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 502 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 560 ff., jeweils m. w. N., die einen formellen Gesetzesbegriff unter Anknüpfung an die parlamentarische Autorität vertreten; abgeschwächte Kritik bei Ossenbühl, demzufolge dem Gesetzesbegriff zwar keine „kompetenzschneidende Kraft“, dafür aber eine „Verständigungsfunktion“ zukommt (in: Erichsen / Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, S. 142). 9

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

suchung nicht näher eingegangen werden muss, beherrscht der dualistische Gesetzesbegriff nach wie vor die deutsche Staats- und Verwaltungsrechtslehre.17 Auch dem Grundgesetz liegt er zu Grunde18, wie das Bundesverfassungsgericht frühzeitig festgestellt hat.19 Auch in der angelsächsischen Staatsrechtslehre wird vor ähnlichem Hintergrund um den formellen und materiellen Gesetzesbegriff gestritten.20 Im Übrigen besteht in der Terminologie des Common Law das Problem, dass das Wort „law“ sowohl mit Gesetz als auch mit Recht übersetzt werden kann.21 „Law“ als das Recht im Allgemeinen wird vom Standardwörterbuch der englischen Rechtsterminologie entsprechend weit definiert als „that which is laid down, ordained, or established ( . . . ) in its generic sense, a body of rules of action or conduct prescribed by controlling authority, and having binding legal force.“22 Das Verständnis von „law“ als Recht im Allgemeinen setzt sich fort im Bereich der Rechtsquellen, wo es wegen der unterschiedlichen Rechtstradition des Common Law heißt: „With reference to its origin, ,law‘ is derived either from judicial precedents, from legislation, or from custom“.23 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist jedoch nicht das Recht im Allgemeinen, sondern ausschließlich dasjenige Recht, welches einer wie auch immer gearteten förmlichen Gesetzgebung durch internationale Organisationen entstammt. Es geht also einzig um Gesetzgebung („legislation“), die definiert wird als „the act of giving or enacting laws; preparation and enactment of laws; the making of laws via legislation, in contrast to court-made laws; laws enacted by lawmaking body“.24 Die Definition zeigt, dass auch in der angelsächsischen Rechtsterminologie dem Begriff der Gesetzgebung ein Element des förmlichen Beschlussverfahrens durch ein zur Gesetzgebung berufenes Organ („in contrast to court-made laws“) immanent ist. Im Standardwörterbuch der französischen Rechtsterminologie wird der Begriff „loi“ definiert als „prescription émanant de l’autorité souveraine ( . . . ) qui règle, 17 Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1716; Maurer, Staatsrecht I, S. 541; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 320 f.; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, S. 141; dies räumen auch Hesse (Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 502) und Stern (Staatsrecht II, S. 566) ein. 18 s. z. B.: Art. 2 Abs. 2 GG (Gesetz = förmliches Gesetz); Art. 3 Abs. 1 GG (Gesetz = materielles Gesetz); Art. 100 Abs. 1 GG (Gesetz = förmliches [nachkonstitutionelles] Gesetz). 19 „Der Sprachgebrauch des Grundgesetzes bei der Verwendung des Wortes ,Gesetz‘ ist nicht einheitlich. Der Begriff wird bald in formellem, bald in materiellem Sinne verwandt.“ (BverfGE 1, 184 [189]). 20 s. beispielhaft: Miers / Page, Legislation, S. 2 ff. 21 Romain / Byrd / Thielecke, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache II, Stichworte „Gesetz“ und „Recht“. 22 Black’s Law Dictionary, Stichwort „law“, Sp. 1. 23 Ebda., Sp. 2. 24 Ebda., Stichwort „legislation“.

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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ordonne, permet ou défend; règle sociale obligatoire, établie en permancence par l’autorité publique et sanctionnée par la force“.25 Unter Gesetzgebung („législation“) wird verstanden der „acte de légiférer et droit de faire des lois“.26 Die gesetzgeberische Handlung ist demnach der „acte législatif“.27 Der materielle Gesetzesbegriff ist in der französischen Staats- und Verwaltungsrechtsterminologie jedoch von nur begrenztem Stellenwert. So heißt es in einem Standardlehrbuch des Verwaltungsrechts: „La distinction la plus importante est entre les décisions réglementaires, qui posent une règle générale, et les décisions non réglementaires, qui statuent soit pour une personne nommément désignée (actes individuels, par exemple nomination d’un fonctionnaire), soit pour un cas d’espèce (actes particuliers, par exemple déclaration d’utilité publique, ou dissolution d’un conseil municipal). On met parfois en relief le caractère de généralité commun au règlement et à la loi pour définir le règlement comme ,une loi matérielle‘. La remarque n’a qu’un intérêt limité, car le droit français, contrairement à certains droits étrangers, voit dans le règlement un acte administratif soumis au même régime que l’acte non réglementaire.“ 28

B. Übertragung auf das Völkerrecht Der Begriff der Gesetzgebung wird zunehmend auch im Völkerrechtx verwendet. Dies geschieht jedoch mit einer beachtenswerten Uneinheitlichkeit. Dabei kann nicht recht von einem Disput in der Literatur gesprochen werden, da nicht Wenige im Schrifttum den Begriff verwenden, ohne sich mit der Problematik seiner Übertragung in den internationalen Kontext näher zu befassen. Im Groben lassen sich zwei Gruppen von Autoren unterscheiden.

I. Verwendung des Begriffs ohne Parallelen zum nationalen Recht Eine erste Gruppe von Autoren verwendet den Begriff der Gesetzgebung im völkerrechtlichen Bereich, um Normsetzungsprozesse zu beschreiben, die mit nationaler Gesetzgebung nichts gemein haben. Hier werden die verschiedenartigsten Phänomene mit dem Begriff der internationalen Gesetzgebung in Verbindung gebracht, und die Vermutung drängt sich auf, dass dies zum Teil auch unbedacht geschieht.29

Piccard / Thilo / Steiner, Dictionnaire juridique Teil 1, Stichwort „loi“, Sp. 1 f. Ebda., Stichwort „législation“. 27 Ebda., Stichwort „législatif“. 28 Rivero / Waline, Droit administratif, Rn. 94 ; s. a.: Chapus, Droit administratif général, Rn. 699. 29 s.: Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (10). 25 26

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

So identifiziert eine weitverbreitete, insbesondere in der älteren Literatur anzutreffende Ansicht den Terminus der internationalen Gesetzgebung mit den großen multilateralen Vertragswerken, den „law-making treaties“.30 Die neunbändige Textsammlung multilateraler Vertragsinstrumente von Manley O. Hudson beispielsweise trägt den Titel „International Legislation“.31 Warum Hudson diesen Titel wählte, wird in den einleitenden Worten zu dem Kompendium deutlich. Dort heißt es: „The term international legislation would seem to describe quite usefully both the process and the product of the conscious effort to make additions to, or changes in, the law of nations. ( . . . ) The term ,international legislation‘ seems to describe, more accurately than any other, the contributions of international conferences at which states enact a law which is to govern their relations.“32

Hintergrund dieser Auffassung ist im Wesentlichen, dass solche „law-making treaties“ – auch wenn es sich bei ihnen rechtlich um Verträge handelt – für materielle Gesetze typische generell-abstrakte Regelungen treffen und auf diese Weise den fehlenden internationalen Gesetzgeber ersetzen.33 Georges Scelle geht sogar soweit zu sagen, derartige „traités-lois“ entbehrten im Gegensatz zu den „traitéscontrats“ jeglichen Vertragscharakters, „( . . . ) dans un traité-loi il ne peut y avoir ni parties, ni tiers, mais seulement des législateurs.“34.

Einen anderen Ansatz wiederum wählen jene Autoren, die das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht als Fall internationaler Gesetzgebung bezeichnen. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass eine einmal herausgebildete gewohnheitsrechtliche Regel auch für neu entstehende Staaten gelte, die dieser Regel nicht zugestimmt hätten. Damit würden die das allgemeine Völkerrecht durch Herausbildung von Gewohnheitsrecht gestaltenden Staaten zu Gesetzgebungsorganen der Staatengemeinschaft. 35 Eine weitere Ansicht bezieht den Begriff der „international legislation“ augenscheinlich auf Verfahren zur Änderung bereits bestehenden Rechts, auf Verfahren zur Revision von Verträgen oder auf „peaceful change“ im Allgemeinen.36 Auch

30 Hudson, in: AJIL 22 (1928), 330 (339 ff.); McNair, in: BYIL 11 (1930), 100 (115 f.); ders., in: IowaLR 19 (1934 – 35), 177 (178); Oppenheim, The Future of International Law, S. 23 f.; wohl auch: Khol, in: FS Verdross, 167 ff. 31 Hudson, International Legislation. A Collection of the Texts of Multipartite International Instruments of General Interest, Vol. I – IX. 32 Ebda., S. xiii f. 33 Dazu: Schulz, „Entwicklungsformen internationaler Gesetzgebung, S. 7. 34 Scelles, Précis de Droit II, S. 346; dazu: Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (9 f.). 35 Ross, Constitution of the United Nations, S. 31. 36 Brierly, The Law of Nations, S. 96 ff.; s. a.: Friedmann, The Changing Structure of International Law, S. 124.

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die völkerrechtliche Rechtsprechungstätigkeit wird zuweilen unter dem Stichwort der internationalen Gesetzgebung behandelt im Sinne einer Schaffung von Präjudizien für ein zukünftiges Gewohnheitsrecht. Sir Hersch Lauterpacht spricht hier von einer „judicial legislation“.37

II. Begriffliche Kohärenz mit dem nationalen Recht durch Beschränkung auf institutionelle Völkerrechtsetzung Gegen ein derart weites Verständnis des Begriffs der internationalen Gesetzgebung, wie es den vorgenannten Ansichten zu Grunde liegt, wendet sich insbesondere das jüngere völkerrechtliche Schrifttum. Gefordert wird von dieser Gruppe von Autoren die Beschränkung auf die verbindliche Rechtsetzung in dem institutionalisierten Rahmen internationaler Organisationen mit der Begründung, nur diese weise die notwendigen strukturellen und verfahrensmäßigen Parallelen zur nationalen Gesetzgebung auf.38 So heißt es bei Krzysztof Skubiszewski, der sich ausführlich mit dem Thema befasst hat: „In logic, the notion of international legislation should mean such law-making among States or inter-governmental organizations which in its basic features remains identical with legislation in a State.“39

Innerhalb dieser Meinung wird zum Teil auch auf die Bedeutung der Möglichkeit des Mehrheitsbeschlusses abgestellt. Georg Schulz beispielsweise definiert den Begriff der internationalen Gesetzgebung als „eine (die) Staaten bindende Normsetzung völkerrechtlicher Provenienz durch ein besonderes und ständiges Gesetzgebungsorgan auf der Grundlage des Mehrheitsentscheids“.40

Ähnliches ist bei Hans Kelsen nachzulesen: „(I)f the norm is adopted by a majority-vote decision of an organ, composed of representatives of all parties to the treaty establishing the organ, and especially by the majority-vote decision of an organ composed only of representatives of some of the parties to this treaty, the creation of the norm assumes the character of legislation.“41

37 Lauterpacht, in: BYIL 11 (1930), 134 (144); s. ferner: ders., The Development of International Law by the International Court, S. 29, wo er dem Rechtsgutachten des IGH in Sachen Reparations for Injuries Suffered in the Service of the UN vom 11. April 1949 einen „quasi-legislative character“ zuspricht; vgl. auch: Sauer, System des Völkerrechts, S. 308. 38 Erler, in: CYIL 2 (1964), 153 (156); Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1255); ders., in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 ff.; Schulz, Erscheinungsformen internationaler Gesetzgebung, S. 8 ff. 39 Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1255). 40 Schulz, Erscheinungsformen internationaler Gesetzgebung, S. 8. 41 Kelsen, Principles of International Law, S. 366.

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Teilweise wird hier auch argumentiert, einstimmig verabschiedete Rechtsetzungsakte seien vertragsmäßige Vereinbarungen, die lediglich in einem besonderen organisationsinternen Verfahren getroffen wurden. Hans Huber hat unter Hinweis auf das Beispiel der Beschlüsse der OECD darauf hingewiesen, dass sich unter dem Einstimmigkeitsprinzip Vertrag und Beschluss sehr nahe kämen. Auch in solchen Fällen, in denen sich internationale Organisationen auf die Förderung und Vorbereitung rechtsetzender Verträge verlegten, sei der Unterschied zwischen Vertrag und Beschluss deshalb nur ein bedingter, weil der Vertrag nur der Ausgang sei, in den Beschlussfassungen einmündeten.42 Um die bestehenden Unterschiede zur nationalen Gesetzgebung deutlich zu machen, sprechen schließlich manche Autoren auch von „Quasi-Legislative“43, ein Begriff, dessen Schöpfung Georg Dahm44 zugeschrieben wird.45 Andere wiederum verzichten ganz auf den Terminus der Gesetzgebung oder der Legislative und sprechen stattdessen von „internem Staatengemeinschaftsrecht“, um das Phänomen der Rechtsetzung durch internationale Organisationen zu kennzeichnen.46

III. Stellungnahme Sämtliche Überlegungen zur Übertragbarkeit des Gesetzesbegriffs auf das Völkerrecht haben von vorneherein zu berücksichtigen, dass es eine Gewaltenteilung insbesondere zwischen exekutiver und legislativer Gewalt auf völkerrechtlicher Ebene nicht gibt. Zu Recht führt etwa die Berufungskammer des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadicˇ aus: „It is clear that the legislative, executive and judicial division of powers which is largely followed in most municipal systems does not apply to the international setting nor, more specifically, to the setting of an international organization such as the United Nations. ( . . . ) There is, however, no legislature in the technical sense of the term, in the United Nations system and, more generally, no Parliament in the world community. That is to say, there exists no corporate organ formally empowered to enact laws directly binding on international legal subjects.“47

Fraglich ist deshalb, ob das Fehlen einer Gewaltenteilung auf internationaler Ebene dazu führt, dass der Begriff der Gesetzgebung von vorneherein ungeeignet Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (19 f.). Vgl. z. B.: Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 ff.; Saba, in: RdC 111 (1964 – I), 603 ff.; Falk, in: AJIL 60 (1966), 782 ff. 44 s.: Dahm, Völkerrecht III, S. 173. 45 So: Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (9). 46 So: Zemanek, Vertragsrecht der Internationalen Organisationen, S. 4; Scheuner, in: FS Verdross, 229 (230). 47 The Prosecutor v. Dusko Tadicˇ, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), abgedruckt in: 35 ILM (1996), 32 (46 f., § 43). 42 43

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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für das Völkerrecht ist und deshalb keinen Eingang in seine Terminologie finden sollte. Dieser Schluss wäre aber nur dann zwingend, wenn der Begriff der Gesetzgebung untrennbar mit einer Trennung der Gewalten verbunden wäre, diese gleichsam logisch voraussetzte. Dem ist aber nicht so, wie etwa die vorkonstitutionelle Staatsrechtslehre zeigt, als alle staatliche Macht einschließlich der gesetzgebenden Gewalt in der Person des Monarchen vereint war.48 Da also das Fehlen einer Gewaltenteilung auf internationaler Ebene die Verwendung des Begriffs der Gesetzgebung im Völkerrecht nicht a priori ausschließt, muss die Frage vielmehr lauten, ob es sinnvoll ist, den Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht zu verwenden und, wenn ja, wie sich dabei das Fehlen der Gewaltenteilung auswirkt. Sämtliche derjenigen Auffassungen, die den Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht außerhalb des Bereichs der institutionellen Rechtsetzung durch internationale Organisationen verwenden wollen, begegnen Bedenken, auf die hinzuweisen wohl Krzysztof Skubiszewskis Verdienst ist.49 Zuallererst ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Gesetzgebung, wie gezeigt, dem nationalen Recht entstammt und insofern bereits mit bestimmten Wesensmerkmalen belegt ist. Insbesondere erfordert der Begriff ein mehr oder minder permanentes Organ, das zur Normsetzung durch die jeweilige Verfassung berufen ist und hierbei einem gewissen verfahrensmäßigen Ablauf folgt. Verwendet man nun den Terminus der Gesetzgebung im internationalen Kontext, so gebietet es eine gewisse begriffliche Stringenz (Skubiszewski spricht von Logik50), dass er in Bezug auf solche Situationen verwendet wird, die der nationalen Gesetzgebung vergleichbare strukturelle und verfahrensmäßige Wesenszüge aufweisen. Diese Vergleichbarkeit fehlt jedoch gänzlich im völkerrechtlichen Vertrags-, Gewohnheits- wie auch im Richterrecht, weshalb diese nicht als völkerrechtliche Gesetzgebung bezeichnet werden können. Wie bereits gezeigt, unterfällt diese Art der Normenproduktion auch in der angelsächsischen Rechtsterminologie nicht dem Begriff der „legislation“. Weiterhin ist zu bedenken, dass nicht allein das Ergebnis der Normproduktion das entscheidene Kriterium sein kann, denn dieses Ergebnis (das geschaffene Recht) ist zunächst überall gleich – ob Vertragsrecht, Gewohnheitsrecht oder Außenrecht einer internationalen Organisation – unabhängig davon, welche Methode zu seinem Zustandekommen benutzt wurde. Vielmehr ist maßgeblich auch auf die Art und Weise der Normproduktion – den Normentstehungsprozess – abzustellen, wenn eine bestimmte Methode der Normsetzung charakterisiert werden soll. Dies zu verkennen ist insbesondere der Ansicht vorzuwerfen, die die Schaffung von „law-making treaties“ als internationale Gesetzgebung ansieht.51 Stern, Staatsrecht II, S. 560 f.; Maurer, Staatsrecht I, S. 539. Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 ff.; ders., in: EPIL 2, 1255 (198 – 201); ähnlich: Erler, in: CYIL 2 (1964), 153 (155 f.). 50 Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1255). 51 So zu Recht: Skubiszewski, ebda. 48 49

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Man mag mit Lord McNair – einem Vertreter dieser Ansicht, der die Schwächen des so verwandten Begriffs offensichtlich sah – den Begriff „international legislation“ überhaupt nur als eine Metapher, als einen übertragenen Ausdruck bezeichnen, als eine durch Vergleichung gemachte Anleihe beim Verfassungsrecht der Staaten.52 Eine solche Bildersprache ist einer klaren begrifflichen Abgrenzung jedoch nicht förderlich und erscheint nun, da sich auf völkerrechtlicher Ebene in Ansätzen eine verfahrensmäßig der nationalen Gesetzgebung vergleichbare Form der Rechtsetzung herausbildet, auch nicht mehr notwendig. Beschreibt also der Begriff der Gesetzgebung in den nationalen Rechtsordnungen vor allem einen bestimmten verfahrensmäßigen Ablauf der Normentstehung, so ist nicht einzusehen, bei der Übertragung des Begriffs auf das Völkerrecht nicht auch maßgeblich auf den Normentstehungsprozess abzustellen. Hinzu kommt, dass die Unterscheidung zwischen Staatenverträgen und Beschlüssen internationaler Organisationen von erheblicher praktischer Bedeutung ist.53 Sie bestimmt insbesondere das auf den Rechtstext anwendbare Recht, denn gemäß seinen Artikeln 1 und 2 lit. a) ist das Wiener Vertragsrechtsübereinkommen von 196954 nur auf internationale Übereinkünfte zwischen Staaten anwendbar. Hierunter fallen gemäß Artikel 5 der Konvention die Gründungsverträge internationaler Organisationen sowie jeder im Rahmen einer internationalen Organisation angenommene Vertrag, unbeschadet aller einschlägigen Vorschriften der Organisation. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass die Konvention nicht auf unilaterale Beschlüsse internationaler Organisationen anwendbar ist, denn gemäß Artikel 2 lit. a) bedeutet „Vertrag“ im Sinne der Konvention – und damit auch im Sinne von Artikel 5 – eine zwischenstaatliche Übereinkunft. Ein Beschluss einer internationalen Organisation ist aber keine zwischenstaatliche Übereinkunft in diesem Sinne.55 Praktische Auswirkungen kann dies bei so wichtigen Fragen wie derjenigen des Zustandekommens, Suspendierens und Beendigens des Beschlusses einer internationalen Organisation oder aber der Zulässigkeit einzelstaatlicher Vorbehalte haben. Auch ist die Unterscheidung zwischen Vertrag und Beschluss für die Frage der Zurechnung des Rechtsaktes und damit für die Frage einer möglichen völkerrechtlichen Haftung für begangenes Unrecht bedeutsam.56 Aus diesen Gründen ist derjenigen Ansicht der Vorzug zu geben, die den Begriff der internationalen Gesetzgebung auf die verbindliche Rechtsetzung in dem institutionalisierten Rahmen internationaler Organisationen beschränken will.57 McNair, in: IowaLR 19 (1934 – 35), 177 (178). Ebenso: Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1260 f.); ausführlicher: ders., in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 ff. 54 BGBl. 1985-II, 927; 1155 UNTS, 331. 55 So zu Recht: Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1260). 56 Vgl. zur Haftung internationaler Organisationen: Herdegen, Völkerrecht, § 10, Rn. 19 f.; grundlegend: Hartwig, Haftung der Mitgliedstaaten für internationale Organisationen, S. 45 ff. 57 Ungeachtet des Umstandes, dass es manchen Autoren nicht gelingt, die erarbeitete Definition im Verlaufe der eigenen Untersuchung konsequent durchzuhalten, so beispielsweise 52 53

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Bedenken bestehen indes gegenüber der oben erläuterten Ansicht jener Autoren, die nur dann von einem Akt internationaler Gesetzgebung sprechen wollen, wenn der Beschluss des handelnden Organs durch Mehrheitsentscheid gefasst wurde oder hätte gefasst werden können, und die deshalb einstimmig gefasste Beschlüsse einem völkerrechtlichen Vertrag gleichsetzen. Zuzugeben ist zwar, dass die Möglichkeit des Mehrheitsentscheids von besonderer Bedeutung ist, denn dort erweist sich der große Unterschied zur herkömmlichen, auf dem Konsensualprinzip beruhenden sonstigen Völkerrechtsetzung. Allerdings kann hieraus nicht gefolgert werden, dass der Mehrheitsentscheid damit auch conditio sine qua non für das Vorliegen eines eigenen Gesetzgebungsaktes einer internationalen Organisation ist.58 Eine Parallele zum Europarecht mag dies verdeutlichen. Zahlreiche der den Europäischen Gemeinschaften zukommenden Rechtsetzungskompetenzen unterliegen dem Einstimmigkeitsgebot, ohne dass dies dazu führen würde, nicht mehr die EG sondern die einzelnen Mitgliedstaaten als Autoren des Aktes anzusehen. Zudem gibt es keinen Anhaltspunkt in den oben zitierten Vorschriften des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens, dass das Übereinkommen auf einstimmig gefasste Beschlüsse internationaler Organisationen gleich einem völkerrechtlichen Vertrag Anwendung findet. Zu konzedieren ist freilich, dass der Mehrheitsentscheid die Qualtitätsänderung der Abstimmung im Hinblick auf die Souveränität der Mitgliedstaaten deutlicher zu Tage treten lässt und deshalb von besonderem Interesse ist.59 Zudem stellt er, wie noch zu zeigen sein wird, das gängige Beschlussverfahren im Rahmen der Rechtsetzung internationaler Organisationen dar, weshalb die Frage mit Blick auf die Praxis häufig eine rein theoretische bleibt und entsprechend in der Regel letztlich nicht entschieden werden muss. Bei alledem werden die wesensmäßigen Unterschiede zwischen herkömmlicher nationaler Gesetzgebung und der Rechtsetzung durch internationale Organisationen nicht verkannt. Im Schrifttum ist zu Recht auf die Gefahren der Übertragung staatlicher Organisationsprinzipien auf das Rechtsgebiet der internationalen Organisationen hingewiesen worden.60 Matthias Herdegen etwa weist zutreffend darauf hin, dass das konstitutionelle Denken mit seinen begrifflichen Anleihen beim nationalen Verfassungsrecht überzogene Erwartungen wecken kann, die dann zuweilen nicht einzulösen sind.61 So kann selbst auf EU-Ebene trotz der Existenz Georg Schulz, der sich von seiner oben zitierten, streng an der nationalen Gesetzgebung ausgelegten Definition im Laufe seiner Arbeit löst (diesen Vorwurf erhebt auch: Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 [199, vgl. dort Anm. 6]). 58 So zu Recht: Steiger, in: Der Staat 41 (2002), 331 (354); Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1260). 59 Steiger, in: Der Staat 41 (2002), 331 (354). 60 Vgl.: Herdegen, Völkerrecht, § 5, Rn. 7; Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (22 ff.); Scheuner, in: FS Verdross, 229 (232). 61 Ebda.

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

des Europäischen Parlaments nur sehr eingeschränkt von Gewaltenteilung die Rede sein. Das staatliche Parlament als gesetzgebende Gewalt gründet sich ferner nach der konstitutionellen Idee stark auf die direkte Wahl der Abgeordneten durch das Volk und wird auf diese Weise zu dessen Repräsentationsorgan. Diese fundamentalen Eigenschaften der Gesetzgebung fehlen jedoch im Bereich der internationalen Organisationen. Zudem ist die Rechtsetzungstätigkeit einer internationalen Organisation ihrem Wesen nach vorwiegend Regierungs- und Verwaltungssache, denn sie hängt eng mit der Funktion der Regierungen als Führung des Staates und mit dem spezifischen Fachwissen der Verwaltung zusammen. Diese wesensmäßigen Unterschiede bewirken, dass es im Völkerrecht, anders als im nationalen Recht, keinen rein formellen Gesetzesbegriff geben kann, der allein an das handelnde Organ beziehungsweise an die parlamentarische Autorität anknüpft. Hieraus folgt andererseits jedoch nicht, dass deshalb der Begriff der Gesetzgebung für den internationalen Kontext ungeeignet wäre. Er ist im Gegenteil hilfreich, um diese Form der institutionalisierten Rechtsetzung von der sonstigen Normproduktion im Völkerrecht abzugrenzen und hierbei gleichzeitig die bestehenden Parallelen zur nationalen Gesetzgebung deutlich zu machen. Vergleichbar der nationalen Gesetzgebung werden auch bei der institutionellen Rechtsetzung internationaler Organisationen die zugehörigen Rechtssubjekte durch den Beschluss eines zentralen Beschlussorgans – womöglich gegen ihren Willen – gebunden. Der Unterschied, dass es sich hier bei den Normadressaten in der Regel um Staaten und nicht, wie im nationalen Kontext, um Bürger oder sonstige der jeweiligen nationalen Rechtsordnung unterfallende Rechtssubjekte handelt, ist demgegenüber zweitrangig, weil Staaten ebenfalls Rechtssubjekte einer bestimmten Rechtsordnung sind, namentlich der Völkerrechtsordnung. Fraglich ist allein, ob zur besseren Kennzeichnung der geschilderten Unterschiede zwischen nationaler und völkerrechtlicher Gesetzgebung der bereits angesprochene Begriff der „Quasi“-Legislative für den Bereich des Völkerrechts fruchtbar gemacht werden kann, wie er von einigen Autoren verwendet wird. Das Präfix „quasi“ ist jedoch nicht trennscharf. So erschließt sich nicht unmittelbar, ob die Legislative deshalb nur als „quasi“ bezeichnet wird, weil das gesetzte Recht – anders als das nationale Recht – nicht unmittelbar verbindlich wird oder aber es vielleicht doch unmittelbar verbindlich wird, aber wegen der Wesensverschiedenheit der Rechtsetzung im Vergleich zum nationalen Recht nur eine „Quasi-Gesetzgebung“ darstellt. Letzteres hatte etwa Georg Dahm vor Augen, als er diesen Begriff verwandte.62 Andererseits taucht der Begriff der Quasi-Legislative aber auch dort auf, wo die Rechtsetzungsbefugnis der UN-Generalversammlung diskutiert wird.63 Bekanntlich dreht sich die Diskussion hier jedoch nicht um die Wesensverschiedenheit zwischen internationaler und nationaler Gesetzgebung, sondern um die Frage, ob (bestimmte) Resolutionen der Generalversammlung als 62 63

Dahm, Völkerrecht III, S. 173. s. z. B.: Falk, in: AJIL 60 (1966), 782 ff. (dazu: Onuf, in: AJIL 64 [1970], 354 ff.).

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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bindendes Recht angesehen werden können. Der Begriff der „Quasi-Legislative“ wurde eingeführt, um in diesem Streit eine Mittelposition deutlich zu machen.64 Als „compétences quasi-législatives“ wurden im Übrigen auch solche Befugnisse internationaler Organisationen bezeichnet, die sich auf eine bloße Beteiligung am Normsetzungsprozess beschränken (zum Beispiel auf das Ausarbeiten von Konventionen), nicht aber solche, die eine eigene echte Rechtsetzungsbefugnis darstellen.65 Diese begriffliche Ambivalenz wird insgesamt deutlich in der Analyse Hans Hubers, der sagt: „Die Quasilegislative ist denn auch beileibe keine gesetzgebende Körperschaft, obschon Zusammenhänge mit Organen internationaler Organisationen bestehen. Sie ist vielmehr nur eine anonymische Zusammenfassung von Phänomenen.“66

Bleibt man der geschilderten Unterschiede zwischen nationaler und internationaler Rechtsetzung gewahr, so besteht auch keine Notwendigkeit, auf den Begriff der Gesetzgebung im internationalen Kontext gänzlich zu verzichten. Insbesondere der angesprochene Alternativbegriff des „internen Staatengemeinschaftsrechts“ eignet sich wenig zur Klarstellung. Zutreffend ist zwar, dass das von internationalen Organisationen gesetzte Recht jedenfalls im Grundsatz nur die Mitglieder dieser Organisation bindet, insofern also „organisationsintern“wirkt, wenn man es so bezeichnen will. Gleichwohl ist der Begriff nicht frei von doch gewichtigen Ungewissheiten. Es ist bereits fraglich, ob der Begriff „Staatengemeinschaft“ sinnvoll gewählt ist, denn der Begriff der internationalen Staatengemeinschaft ist mittlerweile anderweitig besetzt und wird nicht kongruent mit dem der internationalen Organisation gebraucht. Das wahre Problem betrifft jedoch das Adjektiv „intern“, welches (entgegen der Intention der es verwendenden Autoren) nahelegt, dass hiermit allein dasjenige Recht gemeint ist, das das Innenverhältnis der jeweiligen Organisation regelt (also das Verhältnis der Organe zueinander, Verfahrensfragen, Budgetfragen und dergleichen). Dieses Recht wird gemeinhin als „Innenrecht“ einer internationalen Organisation in Abgrenzung zu dem von ihr mit Außenwirkung gesetzten Recht. Eine begriffliche Konfusion zwischen „Innenrecht“ und „internem“ Recht wäre vorprogrammiert. Aus diesen Gründen ist der Begriff des internen Staatengemeinschaftsrechts nicht zu befürworten und bei dem der Gesetzgebung zu verbleiben. Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass sich der Begriff der Gesetzgebung auch für den völkerrechtlichen Kontext eignet, dabei aber auf die Rechtsetzungstätigkeit internationaler Organisationen beschränkt bleiben muss. Insoweit ist dem völkerrechtlichen Gesetzgebungsbegriff ein formelles Kriterium immanent, das an das handelnde Organ anknüpft.

64 65 66

Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (13). Saba, in: RdC 111 (1964 – I), 603 (617 ff.); Erler, in: CYIL 2 (1964), 153 (156 f.). Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (9).

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Die fehlende Gewaltenteilung auf internationaler Ebene führt aber dazu, dass dieses formale Element allein nicht ausreichend sein kann. Anderenfalls wäre jede Rechtshandlung des Organs einer internationalen Organisation, ob exekutiver, legislativer oder judikativer Natur, fälschlicherweise dem Bereich der Gesetzgebung zuzuordnen, was sowohl dem juristischen als auch dem allgemeinen Sprachgebrauch widersprechen würde. Der völkerrechtliche Begriff der Gesetzgebung kann demnach, anders als im Staatsrecht, wo dies möglich ist und auch vertreten wird, kein rein formeller sein, sondern muss zusätzliche materielle Kriterien enthalten, die es ermöglichen, die gesetzgeberische Tätigkeit einer internationalen Organisation von ihren vielfältigen sonstigen rechtsrelevanten Tätigkeiten, wie wir sie eingangs dieses Kapitels exemplarisch genannt haben, inhaltlich zu unterscheiden. Welches diese Kriterien sind, wird Gegenstand des zweiten Kapitels sein. C. Der Zusatz „sekundär“: Anleihe aus dem Europarecht Bevor wir uns aber diesen inhaltlichen Kriterien zuwenden, ist für einen Augenblick noch bei der Frage der Begrifflichkeiten zu verbleiben. Die vorstehende Analyse hat ergeben, dass sich der Begriff der Gesetzgebung auch für den internationalen Kontext eignet, so er auf die institutionelle Rechtsetzung durch internationale Organisationen begrenzt wird. Darüber hinaus besteht jedoch das Bedürfnis nach einem begrifflichen Zusatz, der die Unterscheidung zwischen dem Gründungsvertrag der internationalen Organisation und dem aus einer dort festgeschriebenen Kompetenz heraus gesetzten „einfachen“ Recht dieser Organisation, um das es in der vorliegenden Studie allein geht, deutlicher zu Tage treten lässt, als dies der Begriff der Gesetzgebung allein vermag. Eben dieses Bedürfnis nach einer Unterscheidung zwischen dem Gründungsvertrag und der hieraus abgeleiteten Kompetenz zur verbindlichen Außenrechtsetzung hat in der europarechtlichen Lehre zur Unterscheidung zwischen dem sogenannten primärem und dem sekundärem Gemeinschaftsrecht geführt.67 Der EG-Vertrag verleiht den zuständigen Organen der Europäischen Gemeinschaften die Rechtsmacht, Rechtsakte mit jeweils unterschiedlicher Rechtswirkung in Form von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen zu erlassen, aber auch unverbindliche Empfehlungen und Stellungnahmen abzugeben. Dies ergibt sich aus dem Katalog des Art. 249 EG. Gemäß Art. 5 Abs. 1 EG bedürfen die Gemeinschaftsorgane hierzu grundsätzlich einer ausdrücklichen oder auslegungsmäßig nachweisbaren Rechtsgrundlage im primären Recht (Prinzip der begrenzten oder enumerativen Einzelermächtigung). Freilich findet dieser Grundsatz eine Relativierung durch die Ergänzungsklausel des Art. 308 EG, durch die Lehre der „implied powers“ sowie durch den Grundsatz des „effet utile“.68 In der gefestigten europarechtlichen Ter67 68

Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (11). s.: Breitenmoser, Praxis des Europarechts, S. 69.

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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minologie wird dieses von den Organen der Gemeinschaften nach Maßgabe des vertraglichen (primären) Gemeinschaftsrechts geschaffene oder abgeleitete Folgerecht als „sekundäres“ Recht bezeichnet.69 Der anfängliche Versuch, mit dieser Bezeichnung das Recht der Europäischen Gemeinschaften insgesamt von dem der Mitgliedstaaten abzugrenzen, wurde hingegen frühzeitig aufgegeben.70 Eben diese Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Recht ist auch im jüngeren völkerrechtlichen Schrifttum zum Recht der internationalen Organisationen zunehmend anzutreffen.71 Diese Übernahme der europarechtlichen Terminologie ist zu befürworten, weil im Völkerrecht gleichermaßen das Bedürfnis besteht, zwischen dem Gründungsvertrag einer internationalen Organisation einerseits und dem auf dessen Grundlage produzierten Folgerecht andererseits zu unterscheiden und diese Unterscheidung auch sprachlich deutlich zu machen. Ein Blick in die Wörterbücher zeigt, dass es im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ist, hier das Begriffspaar „primär / sekundär“ zu verwenden.72 69 Vgl.: Herdegen, Europarecht, Rn. 175; Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, zu Art. 249, Rn. 9; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Kommentar EUV / EGV, zu Art. 249, Rn. 8; Bleckmann, Europarecht, Rn. 525 ff.; Breitenmoser, Praxis des Europarechts, S. 66 ff.; Beutler / Bieber / Pipkorn / Streil, Die Europäische Gemeinschaft, S. 171 ff.; Kapteyn / VerLoren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, S. 317; Creifelds / Kauffmann, Rechtswörterbuch, Stichwort „Gemeinschaftsrecht, europäisches“; ein Teil der Autoren bevorzugt den Begriff des „abgeleiteten“ Rechts, vgl.: Beutler / Bieber / Pipkorn / Streil, Die Europäische Gemeinschaft, S. 172. 70 Vgl.: Bleckmann, Europarecht, Rn. 525. 71 Vgl.: Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1502; Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (11); Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 401 (§ 625); Vignes, in: Macdonald / Johnston, The Structure and Process of International Law, 809 (830); Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (15 f.). 72 Der Begriff „sekundär“ hat im 18. Jahrhundert seinen Weg aus der französischen Sprache in den allgemeinen deutschen und englischen Sprachgebrauch gefunden. Im Deutschen hieß es deshalb zunächst „secondär“ in Anlehnung an das Französische „secondaire“. Später erfolgte eine Anpassung der Schreibweise an das lateinische Ausgangswort „secundarius“ (der zweite in der Ordnung). Im Englischen heisst es seit jeher „secondary“ (vgl. zu alledem: Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch [Buchstaben M – Z], Stichwort „sekundär“; Hermann, Herkunftswörterbuch, Stichwort „sekundär“). Die modernen deutschsprachigen Wörterbücher definieren „sekundär“ unter anderem als „zur zweiten Ordnung gehörend“, „in zweiter Linie (in Betracht) kommend (oder stehend)“, „nachträglich hinzu kommend“, „nicht ursprünglich“, „zweiten Grades“, „abgeleitet“ (vgl.: Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch [Buchstaben M – Z]; Hermann, Herkunftswörterbuch.; Brockhaus – Enzyklopädie, Bd. 20; Duden, Band 1; J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 10. Band, 1. Abteilung, jeweils unter dem Stichwort „sekundär“). In einem Wörterbuch der Synonyme und Antonyme wird demgegenüber „primär“ gleichgesetzt mit „ursprünglich“, „originär“, „grundlegend“, „prinzipiell“, „erstrangig“ (vgl.: E. und H. Bulitta, Wörterbuch der Synonyme und Antonyme, Stichwort „sekundär“). Die Lektüre der französisch- und englischsprachigen Wörterbücher ergibt übereinstimmende Ergebnisse. Im Französischen wird „secondaire“ unter anderem definiert als „qui vient en second rang dans le temps (se dit d’une processus qui est intervenu historiquement ou se développe normalement après un autre)“, „qui dérive d’un autre phénomène ou dépend d’un autre objet“ (vgl.: Grand Larousse de la langue française, Bd. 6, Stichwort „secondaire“). Die englischsprachigen Wörterbücher definieren „secondary“ unter anderem

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Problematisch erscheint dies jedoch für den Sprachgebrauch in der Rechtstheorie, wo das Begriffspaar primärer / sekundärer Normen bereits anderweitig besetzt ist. Nachdem in der klassischen Rechtstheorie zunächst diejenigen Normen als „primär“ bezeichnet wurden, die normieren, was man zu tun oder zu lassen hat, und als „sekundär“ diejenigen, die eine Sanktion für den Fall der Verletzung der primären Regeln vorsehen73, hat sich später eine andere, auf H. L. A. Hart zurückgehende Konzeption weitestgehend durchgesetzt.74 Bekanntlich unterscheidet Hart drei Typen sekundären Rechts, welche die drei grundlegende Defizite der „primary rules“ zu heilen bezwecken.75 Diese Defizite sieht Hart darin, dass das System der primären Rechtsregeln unsicher, statisch und ineffizient ist.76 Um diese Defizite zu heilen, bedürfe ein Rechtssystem zum einen Regeln zur Identifizierung von Normativität („rules of recognition“)77, zur Modifizierung des Rechts („rules of change“)78 sowie zu dessen Durchsetzung („rules of adjudication“)79. Diese sekundären Regeln unterscheiden sich nach Hart von den primären zum einen in ihrer Funktion, die Defizite jener zu beseitigen, zum anderen ihres Inhaltes nach, indem sie anders als jene keine Rechtspflichten statuieren. Die europarechtliche Doktrin erscheint mit dieser Konzeption nicht vereinbar, nicht zuletzt da sekundäres Gemeinschaftsrecht regelmäßig materielle Rechtspflichten enthält, die in der Konzeption Harts der Kategorie primärer Normen zuzuordnen wären. Etwas anderes könnte allenfalls für den vereinfachenden Ansatz Norberto Bobbios gelten.80 Bobbio identifiziert und reduziert die Notwendigkeit, bestimmte als „coming after that which is first in a series of processes, events, stages“, „belonging to the second order in a series related by successive derivation, causation, or dependence“, „derived from or dependent on (something considered primary or original)“, „based on“, „derivative“, „having only a derived authority“ (vgl.: The Oxford English Dictionary“, Vol. XIV; The Webster’s Dictionary; Black’s Law Dictionary, jeweils unter dem Stichwort „secondary“). 73 Dazu: Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, S. 51 ff. (m. w. N.); Bobbio, Essais de théorie du droit, S. 159 ff. 74 Vgl. z. B. bei Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 (531 sowie 533 ff.); Charney / Danilenko, in: Damrosch / Danilenko / Müllerson, Beyond Confrontation, 23 (52); Tomuschat, in: RdC 281 (1999), 9 (87). 75 Hart, The Concept of Law, S. 79 ff.; s. ferner: Bayles, Hart’s Legal Philosophy, S. 57 ff.; Onuf, in: ders., Law-Making in the International Community, 1 (10 ff.). 76 Hart, ebda., S. 92 – 94 (dazu: Bayles, ebda., S. 61). 77 Hart, ebda., S. 94 f. (dazu: Bayles, ebda.). 78 Hart, ebda., S. 95 f. (dazu: Bayles, ebda., S. 62 f.). 79 Hart, ebda., S. 96 f. (dazu: Bayles, ebda., S. 63 f.). 80 In seinen „Nouvelles réflexions sur les normes primaires et secondaires“ (Kapitel 3 in den „Essais de théorie du droit“, S. 159 – 173; „nouvelles“, da die Untersuchung an die Überlegungen Harts anschließen, vgl. die Anmerkung Bobbios, ebda., S. 159 unten) arbeitet Bobbio heraus, dass die Benennung einer Normenkategorie als „sekundär“ bislang in drei verschiedenen Kontexten als notwendig erachtet wurde, und zwar zum einen in einem zeitlichen Zusammenhang einer Normenabfolge („rapport chronologique“), zum zweiten in einem funktionellen Zusammenhang der Bedeutung der Normen zueinander („rapport fonctionnel“) und zum dritten in einem hierarchischen Zusammenhang der Position der Normen zueinander

1. Kap.: Der Begriff der Gesetzgebung im Völkerrecht

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Normen durch ihre Klassifizierung als sekundär von anderen primären Normen abzugrenzen, auf zwei Situationen, derjenigen der Sanktionsnormen und derjenigen der Normen über die Produktion von Normen.81 In beiden Situationen, so Bobbio, gehe es letztlich darum, eine Norm eines bestimmten Normensystems je nach ihrem Verhältnis zu einer anderen Norm des Systems zu definieren („définie selon le rapport qu’elle a avec une autre norme du système“).82 Was in diesen Situationen die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Normen ausmache, sei die Existenz von Normen, deren Existenzberechtigung sich davon ableitete, dass sie auf andere Normen Bezug nähmen („normes dont l’existence est justifiée parce qu’elles se réfèrent à d’autres normes“).83 Zumindest in der Ausgangsposition stimmt diese Konzeption mit der europarechtlichen überein, denn auch bei der Abgrenzung von primären und sekundären Rechtsnormen im Europarecht geht es um Normen über die Produktion von Rechtsnormen (also der zweiten von Bobbio identifizierten Situation, in welcher eine Abgrenzung notwendig wird). Ferner gründet auch im Gemeinschaftsrecht die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Normen auf der Existenz von Normen, deren Existenzberechtigung sich aus anderen Normen ableitet. („rapport de position“ oder „hiérarchique“) (ebda., S. 159 – 162 und S. 165 unten). Bobbio argumentiert sodann, die bisherigen Theorien hätten es nicht geschafft, diese drei Kontexte stringent zu erfassen, weshalb es zu begrifflicher Konfusion komme. Was in einem Kontext als primär erscheine, sei im anderen als sekundär zu bewerten, und umgekehrt (ebda., S. 162 ff.). So würde die Unterscheidung der klassischen allgemeinen Rechtstheorie nach primären Verhaltens- und sekundären Sanktionsnormen den Kontext der Chronologie eröffnen (ebda., S. 160). Diese Chronologie entspreche aber nicht unbedingt der Bedeutung der Normen zueinander, denn die zeitlich nachfolgende Norm könne funktionell durchaus wichtiger sein als die zeitlich vorangehende, weshalb der funktionelle Kontext nicht stringent behandelt würde. Bei Hans Kelsen hingegen sei es genau umgekehrt. Ihmzufolge gründe die Unterscheidung zwischen „primärer“ und „sekundärer“ Norm auf einer Differenzierung nach Wichtigkeit der Norm. Damit werde der funktionelle Kontext eröffnet. Da für Kelsen aber die Sanktionsnorm, die sich an den Richter oder die Verwaltung richte, wichtiger sei als diejenige, die dem Einzelnen Verhaltensregeln auferlege, werde bei Kelsen die nach der klassischen Theorie sekundäre Norm zur primären Norm und die primäre zur sekundären Norm (ebda., S. 160). Auch die Theorie Harts führe letztlich nicht zu einer stringenten Erfassung der Kontexte. Wenn sich nach Hart die sekundären Normen von den primären zum einen in ihrer Funktion unterschieden, die Defizite jener zu beseitigen, zum anderen ihres Inhaltes nach, indem sie anders als jene keine Rechtspflichten statuierten, so werde zwar der chronologische wie auch der funktionelle Kontext stringent behandelt. Dies gelte jedoch nicht für den dritten, den hierarchischen Kontext. Sekundärregeln zur Identifzierung von Normativität und zur Modifizierung des Rechts seien häufig höher positioniert auf der hierarchischen Leiter eines Normensystems im Vergleich zu den bei Hart primären Verhaltensregeln, so beispielsweise im jeweiligen nationalen Verfassungsrecht (ebda., S. 163). Die in der Hierarchie der Rechtsquellen höher angesiedelten Normen würden dort deshalb als primär bezeichnet, weil sie von den untergeordneten sekundären Normen nicht modifiziert werden könnten (ebda., S. 161, mit Verweis auf Amato, Rapporti fra norme primarie e norme secundarie, Mailand 1962, S. 1). 81 Bobbio, Essais de théorie du droit, S. 164. 82 Ebda., S. 165. 83 Ebda. 4 Aston

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Das Problem muss für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht weiter vertieft werden. Wird aber, wie vorliegend, die Übernahme des Begriffs der sekundären Gesetzgebung in das Recht der internationalen Organisationen befürwortet, so erscheint es geboten, hierbei auf die divergierende Verwendung des Wortes „sekundär“ in der Rechtstheorie hinzuweisen. Was im Kontext des Rechts der Europäischen Gemeinschaften und der internationalen Organisationen sekundäres Recht ist, wäre in der herrschenden Konzeption nach Hart in der Regel dem primären Recht zuzuordnen, und was bei Hart sekundäres Recht etwa in Form der „rules of recognition“ ist, wäre im Recht der Europäischen Gemeinschaften in den primären Gründungsverträgen zu suchen. Ausschlaggebend ist allerdings, dass sich der Begriff der sekundären Gesetzgebung im Europarecht durchgesetzt hat. Seine Übernahme in das Recht der internationalen Organisationen ist aus den genannten Gründen zu befürworten, zumal seine Verwendung im vorliegenden Kontext im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch steht. Dies gilt ungeachtet der divergierenden Terminologie in der Rechtstheorie, auf die hinzuweisen jedoch geboten ist. 2. Kapitel

Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes Bis hierhin haben wir gesehen, dass dem völkerrechtlichen Gesetzgebungsbegriff ein formelles Kriterium, das an das handelnde Organ anknüpft, immanent ist. Dieses Kriterium kann jedoch im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten, weshalb es der näheren Bestimmung bedarf. Zudem ist mit dem Vorstehenden noch nicht beantwortet, was die an den Inhalt des Rechtsakts anknüpfenden materiellen Wesensmerkmale eines sekundären Gesetzgebungsaktes einer internationalen Organisation sind, wann also ein Rechtsakt vorliegt, der in den Untersuchungsbereich der vorliegenden Studie fällt. Diesen Fragen ist sich im Folgenden zuzuwenden und damit gleichzeitig auch die notwendige Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist hierbei die Andersartigkeit und Vielgestaltigkeit des völkerrechtlichen Systems der internationalen Organisationen. Im Grundsatz muss jegliche Rechtsetzungskompetenz einer internationalen Organisation, die auf eine Bindungswirkung im Außenverhältnis zielt, auf eine Rechtsgrundlage in der Satzung zurückführbar sein.84 Problematisch ist aber, dass nicht jede Satzung einer internationalen Organisation die Rechtsetzungskompetenzen der jeweiligen Organisation so eindeutig festlegt wie etwa der EG-Vertrag in seinem Art. 245 dies tut. Ob ein Sekundärgesetzgebungsakt einer internationalen Organisation vorliegt, kann deshalb häufig nur im Einzelfall vor dem Hintergrund einer klaren Definition gefunden werden. 84

Vgl.: Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1260).

2. Kap.: Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes

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Bei der Suche nach einer solchen Definition muss vorab zwischen der Form oder Bezeichnung eines Aktes einer internationalen Organisation einerseits und seinem Inhalt andererseits unterschieden werden. Für die Frage, ob ein Gesetzgebungsakt vorliegt, kann die Form oder Bezeichnung eines Aktes zwar ein gewisses Indiz sein, entscheidend ist letztlich jedoch sein materieller Gehalt.85 Im Folgenden sollen drei Merkmale vorgeschlagen werden, mit Hilfe derer sich ein Sekundärgesetzgebungsakt einer internationalen Organisation definieren lässt. Das erste Merkmal bezieht sich auf das die Norm produzierende Organ und damit auf das bereits beschriebene formelle Element des völkerrechtlichen Gesetzgebungsbegriffs, das zweite auf den Geltungsanspruch der produzierten Norm und das dritte und letzte auf den materiellen Gehalt dieser Norm.

A. Einseitiger Rechtsakt einer internationalen Organisation Wie im ersten Kapitel gezeigt, setzt das Vorliegen eines völkerrechtlichen Gesetzgebungsaktes voraus, dass es sich bei der handelnden Entität um eine internationale Organisation handelt. Das Standardlehrbuch zum Recht der internationalen Organisationen definiert in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung die internationale Organisation als ein auf Dauer angelegtes, auf einer völkerrechtlichen Willenseinigung zwischen zwei oder mehreren Staaten gründendes Gebilde, deren Partner auf der Basis der Gleichheit der Mitglieder (widerruflich) auf die Ausübung souveräner Rechte verzichten und dabei gemeinsame (völkerrechtlich erlaubte) Ziele verfolgen, wobei dieses Gebilde mit mindestens einem eigenen Organ ausgestattet sein muss, welches einen von den Mitgliedstaaten unterscheidbaren, auf die Erreichung des gemeinsamen Ziels gerichteten Willen bilden und vertreten kann, wodurch die Mitglieder es diesem Gebilde ermöglichen, in eigenem Namen Träger von Rechten und Pflichten auf dem Gebiet des Völkerrechts und des innerstaatlichen Rechts zu sein.86

85 St. Rspr. des EuGH, vgl. aus früher Zeit: Conféderation nationale des producteurs de fruits et légumes v. Council of the European Economic Community, Entscheidung des EuGH v. 14. 12. 1962, Joint cases 16 / 62 und 17 / 62, E.C.R. 1962, 471 (478); Ähnliches klingt auch in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs an, vgl.: Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Gutachten des IGH vom 21. Juni 1971, ICJ Reports 1971, 14 (50, § 105). 86 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0105; ähnlich: Bindschedler, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 70 (70); ders., in: EPIL 2, 1289 (1289 f.). Georg Schulz definiert eine internationale Organisation hingegen ohne Bezug auf die Notwendigkeit des Vorhandenseins eigener Organe, was jedoch wohl in dem von ihm genannten Erfordernis einer autonom organisierten Staatenverbindung enthalten sein dürfte (vgl.: Schulz, Entwicklungsformen internationaler Gesetzgebung, S. 7, dort Anm. 1).

4*

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

Die Subsumtion unter die vorstehende Definition kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Wie der Fall des Ostseerates zeigt, der im Jahr 1992 durch einfache Erklärung der Außenminister gegründet wurde, bedarf es beispielsweise nicht immer eines völkerrechtlichen Vertrages zur Errichtung einer internationalen Organisation.87 Für die Zwecke der vorliegenden Studie muss dies jedoch nicht weiter vertieft werden, da sämtliche der zu untersuchenden Organisationen unstrittig die obigen Kriterien einer internationalen Organisation erfüllen. Von einem Gesetzgebungsakt einer internationalen Organisation kann aber nur gesprochen werden, wenn die internationale Organisation selbst Autor dieser Norm ist. Der Rechtsetzungsakt muss folglich ein einseitiger Akt der Organisation sein. Das Wort „einseitig“ hat hierbei zweierlei Bedeutung. Es bedeutet zum einen, dass der Akt der Organisation selbst als eigener Akt rechtlich zuzurechnen ist und nicht etwa denjenigen Staaten, welche die Organisation oder das handelnde Organ ausmachen. Damit grenzt das Merkmal der Einseitigkeit den Rechtsetzungsakt einer internationalen Organisation von einem bi- oder multilateralen Akt ab, der den an seiner Entstehung beteiligten einzelnen Staaten zuzurechnen ist. „Einseitig“ bedeutet zum anderen, dass es sich um ein von der Organisation autonom gesetztes Recht handeln muss, also nicht um ein Recht, dass die Organisation im Wege eines Abkommens mit einem Dritten (einer anderen Völkerrechtsperson oder einer Person des Privatrechts) schafft. Die letzte der beiden oben getroffenen Unterscheidungen bereitet in ihrer Anwendung auf die Praxis wenig Schwierigkeiten, denn sie richtet sich allein danach, ob die internationale Organisation einen Vertrag mit einem Dritten eingegangen ist oder aber einseitig gehandelt hat. Etwas anderes gilt jedoch für die Frage, wann ein Rechtsakt einer Organisation beziehungsweise dem handelnden Organ und wann den dabei stets auch selbst handelnden Mitgliedstaaten zuzurechnen ist. Eine Abgrenzung ist bereits deshalb nicht leicht zu treffen, weil sowohl Organe einer internationalen Organisation als auch internationale Konferenzen von Staatenvertretern bestückt werden, die als solche auch ihre Stimme erheben und abgeben. Noch schwieriger wird es, wenn es sich bei der Konferenz um eine ständige Konferenz handelt, die durch das Merkmal der Permanenz Züge einer eigenen internationalen Organisation (in der Regel mit eigenem Sekretariat) erhält. Damit stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien ein Rechtsakt zuzurechnen ist. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist es hilfreich, sich die Unterscheidung zwischen multilateralem Vertrag und einseitigem Rechtsakt vor Augen zu führen. Der Abschluss eines multilateralen Vertragswerks verlangt nach der (reziproken) Zustimmung jedes einzelnen Staates im Nachgang der Paraphierung des Vertrages. Eine solche Zustimmung kann insbesondere durch Unterzeichnung, Ratifizierung, Beitritt, Akzeptierung oder Bestätigung erfolgen. Wenn eine der87 Hierauf weisen Seidl-Hohenveldern und Loibl zu Recht hin, Recht der internationalen Organisationen, Rn. 0105; anders noch: Bindschedler, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 70 (70).

2. Kap.: Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes

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artige einzelstaatliche Zustimmung Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit des Rechtstextes ist, so leitet sich dessen Rechtswirksamkeit von dem Willen der einzelnen Staaten ab und ihrem Recht zu kontrahieren. Ist derartiges hingegen nicht erforderlich, so handelt es sich um einen Akt, der dem Organ als solchem und damit der internationalen Organisation zuzurechnen ist.88 Der Geltungsgrund der Norm ist dann in einem einzigen Willensakt des zuständigen Organs der internationalen Organisation zu sehen. Dies setzt wiederum voraus, dass das Gremium eine von der Gesamtheit der dort vertretenen Staaten separate Identität mit einem eigenen Willensbildungsprozess besitzt. Eine solche separate Identität des handelnden Organs kann beispielsweise nicht bei internationalen Staatenkonferenzen angenommen werden, selbst wenn diese auf permanenter Basis tagen. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass es im Laufe der Zeit zu einer genügenden Verselbständigung der ständigen Konferenz kommen kann, so dass diese den Charakter eines Organs erwirbt und Rechtsakte ihr selbst zugerechnet werden. Die Trennlinien zwischen einer internationalen Organisation und einer Staatenkonferenz verblassen jedoch dann, wenn eine Staatenkonferenz von einer internationalen Organisation einberufen, vorbereitet und abgehalten wird. Prominentes Beispiel sind die in jüngerer Zeit von den Vereinten Nationen vermehrt organisierten Weltkonferenzen. Doch auch hier bewährt sich das oben erläuterte Abgrenzungskriterium, nämlich die Frage nach der Notwendigkeit der einzelstaatlichen Zustimmung zu den jeweiligen Rechtstexten. Auch wenn es sich bei diesen Konferenzen um UN-Konferenzen handelte, so sind die verabschiedeten Texte wegen des Erfordernisses der einzelstaatlichen Zustimmung nicht den UN, sondern den teilnehmenden Staaten zuzurechnen. In der Praxis begegnet man häufig der Bezeichnung einer Konvention mit dem Präfix der Organisation, die sie ausgearbeitet hat (zum Beispiel „UN-Seerechtskonvention“ oder „UN-Kinderrechtskonvention“). Das ändert rechtlich aber nichts daran, dass sie nicht dieser Organisation zuzurechnen ist, wenn zu ihrer Rechtswirksamkeit noch ein Akt der Zustimmung des Adressaten erforderlich ist.89 Für das Merkmal der Einseitigkeit des Rechtsaktes ist weiterhin unerheblich, ob ein einziges oder mehrere Organe derselben internationalen Organisation an dem Rechtsetzungsverfahren beteiligt sind. Autor des Rechtsaktes ist stets die interna-

88 Daran ändert sich auch dann nichts, wenn es – wie in der heutigen Praxis üblich – nicht mehr zu einem Austausch der Ratifizierungsurkunden oder anderer Urkunden über die Zustimmung zwischen den Staaten kommt. Das Verwahren solcher Urkunden beim Depositar vermag den reziproken Charakter der Zustimmungen nicht zu verändern. 89 In der Presse geht hier einiges durcheinander, vgl. beispielsweise bei Axel Schnorbus, „Risiko auf hoher See“, in: FAZ vom 7. Dezember 2002, S. 1 (Leitkommentar), wo es heißt: „Vor zehn Jahren hatte die Internationale Meeresorganisation (IMO), eine Unterabteilung der UN, die Marpol (Maritime Pollution) erlassen.“ Abgesehen davon, dass die IMO keine Unterabteilung, sondern eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist, handelt es sich bei Marpol nicht um einen Rechtsakt, der von der IMO „erlassen“ wird, sondern um eine internationale Konvention, die von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss.

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

tionale Organisation als Ganzes. Hier gilt der Grundsatz von der Einheit der handelnden Körperschaft. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt wurde90, ist es mit Blick auf die Souveränität der Mitgliedstaaten zwar von Interesse, für die Frage des Vorliegens eines Sekundärgesetzgebungsaktes aber ebenfalls unmaßgeblich, ob der Rechtsakt durch einstimmigen Beschluss oder im Wege des Mehrheitsentscheids verabschiedet wird. In beiden Fällen handelt es sich um einen einseitigen Rechtsakt der handelnden Organisation, weshalb auch auf einen einstimmig verabschiedeten Sekundärgesetzgebungsakt aus den dargelegten Gründen das Wiener Vertragsrechtsübereinkommen keine unmittelbare Anwendung findet. V. D. Degan allerdings hat sich dagegen ausgesprochen, Rechtsetzungsakte internationaler Organisationen, die sich an ihre Mitgliedstaaten richten, als einseitig („unilateral“) zu bezeichnen.91 Er begründet dies im Wesentlichen damit, es sei der Bezug zu einer souveränen Entität, der einen einseitigen Akt ausmache. Einer internationalen Organisation fehle es jedoch an der notwendigen Souveränität hinsichtlich ihrer Mitglieder, da diese die Organisation gerade ausmachten und selbst an den Entscheidungsprozessen teilnähmen. Degan akzeptiert daher nur dann die Bezeichnung eines Rechtsaktes als einseitig, wenn sich dieser an ein Nichtmitglied der Organisation richtet. Diese Bedenken Degans greifen nicht durch. Zutreffend ist zwar, dass der Begriff des einseitigen oder unilateralen Handelns auch und in erster Linie im Kontext staatlichen Handelns gebraucht wird. Der Umkehrschluss, dass deshalb eine internationale Organisation – obwohl in der Regel eigenständiges Subjekt des Völkerrechts mit eigener Identität und autonomem Willensbildungsprozess – nicht einseitig handeln kann, ist jedoch nicht überzeugend. Vor allem ist nicht einzusehen, warum ein eigenständiges Subjekt des Völkerrechts nur dann einseitig oder unilateral soll handeln können, wenn es eine umfassende Souveränität gleich derjenigen von Staaten besitzt. Diese Verknüpfung von Souveränität und Befugnis zur einseitigen Rechtsetzung durch Beschluss erscheint nicht einleuchtend. Selbst der EG fehlt weiterhin eine solche umfassende staatliche Souveränität, ohne dass Zweifel an ihrer Kompetenz bestünden, eigenständig gegenüber ihren Mitgliedstaaten verbindliches Recht zu setzen. Vor diesem Hintergrund vermag auch die Abgrenzung, nur solche Rechtsakte internationaler Organisationen als einseitige Rechtsakte anzusehen, die sich an Nicht-Mitglieder richten, nicht zu überzeugen. Die Bezeichnung aller übrigen Gesetzgebungsakte einer internationalen Organisation etwa als mehrseitige Rechtsakte würde zudem die für die Frage der Anwendbarkeit des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens wichtige Abgrenzung zwischen vertraglichen Übereinkommen von Staaten und einseitigen Beschlüssen internationaler Organisatio90 91

s. oben, 1. Kapitel, B. II. Degan, Sources of International Law, § 57 (S. 275 – 78).

2. Kap.: Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes

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nen erheblich erschweren, denn sie würde suggerieren, dass auf Rechtsetzungsbeschlüsse einer internationalen Organisation das Wiener Übereinkommen Anwendung findet. Dies ist jedoch, wie gezeigt, nicht der Fall. Maßgebliches Kriterium muss stattdessen sein, ob eine internationale Organisation durch Beschluss Recht setzen kann oder nicht. Wenn ja, so dient der Begriff der Einseitigkeit des Rechtsaktes einzig und allein der notwendigen und im Übrigen schlichten rechtstechnischen Abgrenzung zwischen einseitigen und mehrseitigen Rechtsakten, ganz gleich, ob von Staaten oder internationalen Organisationen, nicht aber als ein eigenständiges Rechtskonzept, als welches Degan ihn offenbar behandelt.92 In diesem Sinne wird der Begriff auch im Schrifttum ganz überwiegend verwandt.93 Ein anderes Problem ist vielmehr, dass dem Begriff der Einseitigkeit bzw. dem des Unilateralismus häufig eine negative Konnotation zu eigen ist. So heißt es etwa bei Antonio Brotóns: „El unilateralismo es un término que ( . . . ) tiene una carga intrínsecamente negativa. Cuando hablamos de unilateralismo no nos estamos refiriendo a la opción de una acción indiviual – o grupal – en ejercicio de un derecho o facultad que, tratándose de una gran potencia o una alianza, podría interpretarse como la asunción legítima de liderazgo sobre los demás; nos estamos refiriendo al ejercicio del poder en contravención de las normas.“94

Unilaterales Handeln wird im politischen Sprachgebrauch also oft mit Eigenmacht, Alleingang, Nichtabstimmung mit anderen Staaten, ja sogar mit Missachtung des Rechts in Verbindung gebracht, zuweilen auch im Zusammenhang mit dem Zurückhalten von Beitragszahlungen an internationale Organisationen.95 Hieran ist grundsätzlich nichts auszusetzen, denn hier eignet sich das Adjektiv „unilateral“, um deutlich zu machen, dass ein Staat einseitig vorgeht. Im Übrigen ist hierbei jedoch ein negativer Beigeschmack auch nicht zwingend. Das Völkerrecht kennt einseitige Rechtsakte von Staaten, beispielsweise die Anerkennung eines Staates, ohne dass diese eine negative Implikation hätten. Auch diese werden als unilaterale Rechtsakte bezeichnet, um ihre einseitige Autorenschaft deutlich zu machen. Wird das Merkmal der Einseitigkeit, wie vorliegend, zum Zweck der Abgrenzung zwischen einseitigen und mehrseitigen Rechtsakten allein in einem rechtstechnischen Sinne und damit gänzlich wertneutral gebraucht, so sollten gegen die Verwendung des Begriffs in diesem Kontext keine Bedenken bestehen. 92 Ebda., S. 277, wo er schreibt: „(A)ll acts of international organizations addressed to their member-States should be excluded from the concept of unilateral acts in international law“ (Herv. d. Verf.). 93 Vgl.: Yemin, Legislative Powers, S. 7 – 14; Carreau, Droit International, Rn. 589 ff.; Detter, Law-Making, S. 17. 94 Brotóns, in: RevEspDI 51 (1999), 1 (14). 95 Vgl. etwa: P.-M. Dupuy, in: EJIL 11 (2000), 19 ff.; Reisman, in: EJIL 11 (2000), 3 ff.; Chinkin, in: EJIL 11 (2000), 31 ff.; Jäger, in: BlDIP 7 / 2001, 837 ff.

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

B. Geltungskraft im Außenverhältnis Das zweite Element eines Sekundärgesetzgebungsaktes bezieht sich auf seine Geltungskraft. Nur derjenige Akt einer internationalen Organisation kann als Gesetzgebungsakt bezeichnet werden, der Recht setzt. Jede Rechtsordnung enthält Regeln, die beanspruchen, dass sich diejenigen, an die sie sich richten, ihnen gemäß verhalten. Kennzeichnend für eine Regel ist somit ihr Geltungsanspruch, ihr rechtsverbindlicher Charakter. Eine Rechtsnorm hat die sprachliche Form eines Satzes, sie ist also ein Rechtssatz. Ein solcher Rechtssatz ist wegen des ihm zukommenden normativen Gehalts von einem Aussagesatz zu unterscheiden, der eine Tatsachenbehauptung oder eine Feststellung enthält. Anders als letzterer ist ein Rechtssatz deshalb nicht wahr oder falsch. Man kann nur fragen, ob er gültig ist. Ist er dies, so ist er Bestandteil der Rechtsordnung.96 Ein Rechtssatz unterscheidet sich in einem weiteren entscheidenden Punkt von einem Aussagesatz. Der Rechtssatz enthält in seiner Grundstruktur einen Tatbestand und eine Rechtsfolge. Mit Hilfe seines Tatbestandes ordnet er einen bestimmten Sachverhalt einer Rechtsfolge zu. Für die Zwecke der vorliegenden Studie kann der Streit offengelassen werden, ob jeder Rechtssatz stets zu einer allgemeineren Klasse von Gebotssätzen (oder Imperativen) gehört, wie dies die Anhänger der sogenannten Imperativen-Theorie vertreten97, oder ob ein solcher lediglich als Geltungsanordnung aufzufassen ist.98 Wichtig ist stattdessen, dass ein Regelwerk oder Gesetz zumeist aus einer Vielzahl von Sätzen besteht, die jedoch nicht alle vollständige Rechtssätze sind oder sein müssen. So kann ein Rechtssatz ein in einem anderen Rechtssatz verwandtes Tatbestandsmerkmal näher umschreiben oder spezialisieren (erläuternder Rechtssatz), einen anderen Rechtssatz wieder einschränken durch Herausnehmen bestimmter Fallgruppen (einschränkender Rechtssatz) oder hinsichtlich eines Teils seines Tatbestandes oder seiner Rechtsfolge auf einen anderen Rechtssatz verweisen (verweisender Rechtssatz).99 Gleichwohl sind sie Rechtssätze, wenngleich unvollständige, da sie am Geltungssinn des Gesetzes teilnehmen. Der Umstand, dass einer Rechtsnorm ein unmittelbarer Geltungsanspruch immanent ist, unterscheidet die echte Rechtsetzung von bloßen Empfehlungen oder sonstigen unverbindlichen Rechtsakten internationaler Organisationen. Letztere können zwar zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht führen, doch ist in einem solchen Fall der (regelmäßig erst später entstehende) Geltungsanspruch Larenz, Methodenlehre, S. 232 f. So beispielsweise: Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 22 ff. sowie S. 202 (dort Anm. 9 a). 98 So insbesondere: Larenz, Methodenlehre, S. 235 ff.; dazu auch: Yemin, Legislative Powers, S. 5. 99 Ausführlich: Larenz, Methodenlehre, S. 239 ff. 96 97

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nicht in dem Sekundärrechtsakt selbst, sondern gemäß Artikel 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut in der von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragenen Staatenpraxis zu suchen, die durch den an sich unverbindlichen Rechtsakt einer internationalen Organisation lediglich indiziert werden kann. Die diesbezüglich übliche Terminologie des „soft law“ ist deshalb insofern etwas irreführend, als durch den Begriff „law“ ein Geltungsanspruch suggeriert wird, der dem verabschiedeten Grundsatz oder Prinzip so nicht zukommt. Dabei soll die zum Teil ganz erhebliche Bedeutung des Beitrags internationaler Organisationen zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht keinesfalls verkannt werden. Dennoch ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung wegen der Andersartigkeit der Problematik auf die aus sich heraus verbindliche Rechtsetzung internationaler Organisationen zu beschränken. Der Geltungsanspruch eines Gesetzgebungsaktes einer internationalen Organisation kann sich zudem auf den organisationsinternen oder aber auf den organisationsexternen Bereich beziehen. Ersterer Bereich ist beispielsweise betroffen, wenn das zuständige Organ einer Organisation Verfahrensregeln trifft, ein Beamtenstatut erlässt, über das Budget befindet oder das Verhältnis zu einem anderen Organ derselben Organisation regelt. Allerdings sind die meisten Organisationen schon aus Praktikabilitätsgründen mit derartigen Kompetenzen zur eigenverantwortlichen Regelung ihrer organisationsinternen Angelegenheiten ausgestattet. Jedenfalls aber gehören solche Kompetenzen nach ganz herrschender Ansicht zu den „implied powers“ einer jeden Organisation, nach Ansicht mancher Autoren sind sie auch gewohnheitsrechtlich begründbar.100 Die Souveränität der Mitgliedstaaten ist aber nur betroffen, wenn eine internationale Organisation Befugnisse zur Rechtsetzung im Außenverhältnis hat. Eben wegen der damit verbundenen Einschränkung der Souveränität der Mitgliedstaaten kann eine solche Rechtsetzungskompetenz im Übrigen auch niemals impliziert sein.101 Aus diesen Gründen befasst sich die vorliegende Untersuchung allein mit den Außenrechtsetzungskompetenzen internationaler Organisationen.

C. Abstrakt-genereller Normgehalt Die beiden bisher erarbeiteten Kriterien allein genügen jedoch nicht, einen Sekundärgesetzgebungsakt einer internationalen Organisation zu definieren. Sie würden bedeuten, dass ein solcher stets dann vorläge, wenn eine internationale Organisation bzw. eines ihrer Organe einen verbindlichen Rechtsakt erließe. Sämtliche Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta etwa wären auf diese Weise als Gesetzgebungsakte zu qualifizieren. Ein solcher Schluss verbietet sich bereits deshalb, weil – es wurde bereits mehrfach angesprochen – eine Gewaltenteilung, wie wir sie auf nationaler Ebene ken100 101

Vgl.: Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1259). Skubiszewski, in: FS Rosenne, 855 (858).

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung?

nen, auf internationaler Ebene nicht anzutreffen ist und deshalb, wie später anhand des Beispiels des Sicherheitsrats noch zu zeigen sein wird, ein und dasselbe Organ in aller Regel sowohl exekutive als auch legislative Funktionen wahrnimmt. Aus diesem Grund kann für die Frage, ob ein Gesetzgebungsakt vorliegt, nicht allein auf das handelnde Organ abgestellt werden. Ein solcher, rein formeller Gesetzesbegriff, wie er teilweise in der staatsrechtlichen Literatur verwendet wird102, ist für das Völkerrecht nicht ausreichend. Damit aber stellt sich die Frage nach einem zusätzlichen Abgrenzungskriterium. Da, wie erläutert, auch auf die äußere Form des Rechtsaktes nicht abgestellt werden kann, muss sich dieses Kriterium an dem Inhalt des produzierten Rechtsakts orientieren, also materieller Natur sein. Es liegt auf der Hand, sich hierbei an dem Begriff der Gesetzgebung im materiellen Sinn zu orientieren, wie er aus dem Staatsrecht bekannt und an anderer Stelle bereits erläutert worden ist.103 Wie dort gezeigt wurde, knüpft der materielle Gesetzesbegriff an die Existenz einer Rechtsnorm an. Wesensmerkmal eines Gesetzgebungsaktes im materiellen Sinne ist demzufolge sein generell-abstrakter Norminhalt, also sein Anspruch, nicht nur für einen bestimmten Fall zu gelten, sondern für einen unbestimmten Adressatenkreis innerhalb seines räumlichen und zeitlichen Geltungsbereiches für alle Fälle der geregelten Art. Diese Eigenschaft grenzt die Rechtsnorm von sonstigen hoheitlichen Handlungsformen mit Regelungsgehalt ab. Der Autor einer rechtsverbindlichen Anordnung kann – dies ist im Grundsatz in allen Rechtsordnungen gleich104 – aus einer Kombination von vier verschiedenen Kriterien wählen, die sich wiederum in zwei Kategorien einteilen lassen. Die erste Kategorie betrifft den Regelungsgehalt der Anordnung, der entweder konkret oder abstrakt sein kann. Konkret ist der Regelungsgehalt, wenn er sich auf einen bestimmten Einzelfall bezieht, abstrakt hingegen, wenn er eine unbestimmte Anzahl hypothetischer Fälle regelt. Die zweite Kategorie betrifft den Adressatenkreis der Anordnung, der entweder individuell oder generell sein kann. Individuell ist die Anordnung, wenn sie sich an einen bestimmten Adressaten richtet, generell hingegen, wenn sie einen unbestimmten Adressatenkreis hat. Eine rechtsverbindliche Anordnung hat aber nur dann den Charakter einer Rechtsnorm und erfüllt den materiellen Gesetzesbegriff, wenn sie an eine unbestimmte Anzahl hypothetischer Fälle („immer wenn“) für einen unbestimmten Kreis von Normadressaten („alle“) eine bestimmte Rechtsfolge knüpft.105 Dies schließt freilich nicht aus, dass die betreffende Rechtsnorm oder Vgl. oben, 1. Kapitel, A. Oben, 1. Kapitel, A. 104 s. beispielhaft: Kopp / Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Anhang zu § 42, Rn. 49 ff.; Kopp / Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, zu § 35, Rn. 71 ff.; Maurer, Verwaltungsrecht AT, S. 192 ff.; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 321 f.; Miers / Page, Legislation, S. 1 ff.; Chapus, Droit administratif, Rn. 697 ff.; Rivero / Waline, Droit administratif, Rn. 92 ff. 102 103

2. Kap.: Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes

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das Gesetz in Reaktion auf eine bestimmte Situation zweckbestimmt erlassen wird.106 Rechtsnormen sind also keine kategorischen Aussagen über Rechte und Pflichten, sondern hypothetischer Natur.107 Hierin unterscheiden sie sich von Hoheitsakten, die geltendes Recht auf den Einzelfall anwenden. Nicht unter den Begriff der Gesetzgebung, weil das Gesetz nicht „gebend“, sondern es anwendend oder vollziehend, fallen deshalb sämtliche vollziehenden und rechtsprechenden Hoheitsakte staatlicher Organe.108 Es besteht kein Anlass, von dieser Terminologie im Völkerrecht abzuweichen und einen anderen (materiellen) Gesetzesbegriff zu Grunde zu legen. Im Gegenteil, eine soweit als möglich übereinstimmende Terminologie ist wünschenswert, nicht zuletzt um einer begrifflichen Konfusion vorzubeugen.109 Auch der Europäische Gerichtshof hat den generell-abstrakten Gehalt eines Gesetzgebungsaktes der Gemeinschaften hervorgehoben: „The essential characteristics of a Decision arise from the limitation of the persons to whom it is addressed, whereas a Regulation, being essentially of a legislative nature, is applicable not to a limited number of persons, defined or identifiable, but to categories of persons viewed abstractly and in their entirety. (. . . ) It is possible for a Decision also to have a very wide field of application. However, a measure which is applicable to objectively determined situations and which involves immediate legal consequences in all Member States for categories of persons viewed in a general and abstract manner cannot be considered as constituting a Decision (. . . ).“110

Aus den vorstehenden Gründen ist es nicht überzeugend, allein aus der Rechtsverbindlichkeit einer Resolution auf die Existenz einer Rechtsnorm schließen zu wollen, wie es jene Autoren tun, die von einer Resolution bereits dann als „lawmaking act“ sprechen, sobald eine solche mit rechtsverbindlicher Wirkung verabschiedet worden ist.111 Krzysztof Skubiszewski hat deshalb Recht, wenn er schreibt: „That a law-making resolution lays down general and abstract rules of conduct is an obvious requirement (. . . ). Hence, the binding resolutions of international organizations must

105 Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, S. 321 f.; Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1717; Miers / Page, Legislation, S. 2; Chapus, Droit administratif, Rn. 699; Rivero / Waline, Droit administratif, Rn. 94. 106 s.: Maurer, Staatsrecht I, S. 542. 107 Yemin, Legislative Powers, S. 5. 108 Miers / Page, Legislation, S. 1. 109 Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (202). 110 Conféderation nationale des producteurs de fruits et légumes v. Council of the European Economic Community, Entscheidung des EuGH v. 14. 12. 1962, Joint cases 16 / 62 und 17 / 62, E.C.R. 1962, 471 (478 – 479). 111 Vgl. z. B.: Dahm, Völkerrecht I, S. 26 f.; differenzierend: Jaenicke, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 766 (772).

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Teil 1: Was heißt Sekundärgesetzgebung? be divided, for our purposes, into those which create law and those which are executive in character (. . . ).“112

Drittes Definitionsmerkmal eines Sekundärgesetzgebungsaktes ist somit dessen generell-abstrakter Regelungsgehalt. Dabei führt die fehlende Trennung von gesetzgebender und vollziehender Gewalt auf internationaler Ebene dazu, dass der Begriff auch solche Rechtsakte umfasst, die ihrem Regelungsgegenstand oder ihrer Natur nach im nationalen Recht – je nach der staatsrechtlichen Verfasstheit – eher als behördliche Rechtsverordnung oder Satzung ergehen würden. Dies wirft insoweit aber keine weiteren Probleme auf113, zumal diese hoheitlichen Handlungsformen in der staatsrechtlichen Begrifflichkeit ebenfalls dem materiellen Gesetzesbegriff unterfallen.114

D. Ergebnis zu Teil 1 Der Begriff der Gesetzgebung ist zuvorderst ein Begriff des Staats- und Verfassungsrechts. Gleichwohl eignet er sich auch im internationalen Kontext, um die legislative Tätigkeit einer internationalen Organisation von ihren sonstigen rechtsrelevanten Handlungsformen, aber auch von sonstiger völkerrechtlicher Normenproduktion abzugrenzen. Um eine weitestmögliche Stringenz mit dem staatsrechtlichen Begriff der Gesetzgebung zu gewährleisten, sollte der völkerrechtliche Gesetzgebungsbegriff dabei gleichzeitig auf diese Form der institutionellen Völkerrechtsetzung beschränkt bleiben und entgegen Teilen des Schrifttums nicht auch zur Kennzeichnung anderer völkerrechtlicher Normproduktion wie Vertrag oder Gewohnheitsrecht herangezogen werden. Der durch eine Anleihe an der herrschenden europarechtlichen Terminologie gewonnene begriffliche Zusatz „sekundär“ ermöglicht die notwendige Unterscheidung zwischen dem Gründungsvertragswerk einer internationalen Organisation und dem von dieser Organisation auf der Grundlage dieses primären Vertrages gesetzten Folgerecht. Das andersartige Verständnis von „sekundär“ in der Rechtstheorie ist insoweit unschädlich, ein Hinweis hierauf jedoch geboten. Bei der Übertragung des Gesetzgebungsbegriffs auf die völkerrechtliche Ebene ist jedoch zu beachten, dass eine Gewaltenteilung, wie wir sie auf nationaler Ebene kennen, nicht existiert. Dies führt dazu, dass ein rein formaler Gesetzgebungsbegriff, der allein auf das handelnde Organ und die äußere Form des Rechtsaktes abhebt, für das Völkerrecht unzureichend ist. Aus diesem Grund soll hier ein völkerrechtlicher Gesetzgebungsbegriff vertreten werden, der sowohl formelle als Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (202). So auch: Yemin, Legislative Powers, S. 7 sowie S. 19 f. 114 Stern, Staatsrecht II, S. 576; Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1717; Miers / Page, Legislation, S. 5. 112 113

2. Kap.: Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes

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auch materielle Elemente vereint und sich in drei Definitionsmerkmalen niederschlägt. Das formale Element stellt dabei auf das handelnde Organ ab: Nur ein einseitiger Rechtsakt einer internationalen Organisation kann als internationaler Gesetzgebungsakt qualifiziert werden. Damit fallen mehrseitige Völkerrechtsakte (auch solche unter Beteiligung einer internationalen Organisation) wie insbesondere der völkerrechtliche Vertrag, aber auch sonstige außerhalb des Rahmens einer internationalen Organisation entstandenen Völkerrechtsnormen wie insbesondere das Völkergewohnheitsrecht aus dem Definitionsbereich eines Gesetzgebungsaktes heraus. Das zweite Definitionsmerkmal stellt auf den Geltungsanspruch des Rechtsaktes ab. Nur derjenige Rechtsakt unterfällt dem Begriff der Gesetzgebung, der Rechtsverbindlichkeit im Außenverhältnis der Organisation beansprucht. Durch dieses Merkmal grenzt sich der Sekundärgesetzgebungsakt einer internationalen Organisation zum einen von unverbindlichen Beschlüssen ab, insbesondere von der bloßen Empfehlung, zum anderen von solchen (durchaus rechtsverbindlichen) Entscheidungen, die sich allein auf das Innenverhältnis der Organisation beziehen. Das dritte und letzte Element bezieht sich auf den Inhalt des Rechtsaktes. In Fortführung des staatsrechtlichen materiellen Gesetzesbegriffs, von dem abzuweichen kein Anlass besteht, kann von einem Gesetzgebungsakt nur gesprochen werden, wenn sein Inhalt generell-abstrakter Natur ist, er also für einen unbestimmten Adressatenkreis für alle Fälle der geregelten Art gilt. Dieses dritte Merkmal grenzt den Sekundärgesetzgebungsakt insbesondere von solchen Beschlüssen (womöglich gar desselben Organs) ab, die ihrem Inhalt nach vollziehender oder rechtsprechender Natur sind. Damit lässt sich abschließend eine Definition formulieren, welche die Grundlage für die weitere Untersuchung bilden soll: Ein Sekundärgesetzgebungsakt liegt vor, wenn eine internationale Organisation in Ausübung einer ihr durch den Gründungsvertrag verliehenen Rechtsmacht durch einseitigen Akt eines oder mehrerer ihrer Organe, die eine von den Mitgliedstaaten unterscheidbare Identität besitzen, Rechtsnormen mit im Außenverhältnis der Organisation rechtsverbindlicher Wirkung erlässt, die generell-abstrakter Natur sind und damit für einen unbestimmten Adressatenkreis für alle Fälle der geregelten Art gelten.

Teil 2

Erscheinungsformen Auf der Grundlage der vorstehend erarbeiteten Definition soll in dem nun folgenden Teil untersucht werden, welche internationalen Organisationen mit Befugnissen zur Sekundärgesetzgebung ausgestattet sind. Dabei ist die Untersuchung nicht auf solche Fallbeispiele beschränkt, die im Ergebnis zu einer Bejahung solcher Kompetenzen führen. Erst die Auseinandersetzung mit Grenzfällen und Negativbeispielen verleiht der erarbeiteten Definition, die bislang noch abstrakt im Raum steht, die nötige Substanz und komplettiert den empirischen Überblick. Andererseits können sinnvollerweise nur solche Organisationen in die Auswahl der Untersuchung kommen, hinsichtlich derer das Bestehen von Sekundärgesetzgebungsbefugnissen ernsthaft in Betracht kommt. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Auswahl der zu untersuchenden Fälle. Viele der gegenwärtig existierenden Organisationen haben ihren Ursprung in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs, als versucht wurde, durch den nachhaltigen Aufbau internationaler Institutionen die Epoche des unsicheren Gleichgewichts der Mächte, nationale Autarkien und den Protektionismus der Vorkriegszeit durch ein globales System der internationalen Kooperation und Normsetzung zu ersetzen.1 Im Zentrum dieses internationalen „institution building“ stand die Gründung der Organisation der Vereinten Nationen als Mittelpunkt der Koordinierung und Entscheidung grundlegender politischer und sicherheitspolitischer Fragen unter besonderer Einbindung der siegreichen Mächte des Zweiten Weltkriegs. Von den Gründungsmitgliedern ursprünglich nicht mit legislativen Kompetenzen ausgestattet, hat es in der jüngsten Praxis der Vereinten Nationen eine Entwicklung gegeben, die für das Thema der vorliegenden Studie von herausragender Bedeutung ist (3. Kapitel). Um diese Organisation herum entstand zudem ein Netz universeller internationaler Organisationen mit ratione materiae begrenzten Zuständigkeitsbereichen, deren Spezialisierung alle wichtigen Politikfelder einschließlich Gesundheit, Ernährung, Handel, Arbeit, Bildung und Kultur, Entwicklungsfinanzierung, Schifffahrt, Telekommunikation, Postwesen und Meteorologie abdeckten. Aufgrund dieser Spezialisierung werden sie als Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, im Englischen treffender als „specialized agencies“ bezeichnet. Es ist zu unter1

Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 (496).

3. Kap.: Die Vereinten Nationen

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suchen, welche von diesen Organisationen Sekundärgesetzgebungskompetenzen besitzen (4. Kapitel). Die Darstellung soll sich schließlich nicht in einem empirischen Überblick erschöpfen, sondern auf der Grundlage des erzielten Befundes in einen Vorschlag einer Fallgruppenbildung münden, mithilfe derer die unterschiedlichen Erscheinungsformen internationaler Sekundärgesetzgebung kategorisiert werden können, auch um im dritten Teil der Arbeit eine differenzierte Bewertung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck ist zu dem im ersten Teil der Studie erarbeiteten Begriff der Sekundärgesetzgebung zurückzukehren und zu untersuchen, welche der im zweiten Teil untersuchten Erscheinungsformen unter seine Definitionsmerkmale subsumiert werden können und welche hiervon abzugrenzen sind (5. Kapitel).

3. Kapitel

Die Vereinten Nationen Innerhalb der Organisation der Vereinten Nationen kommen allein zwei Hauptorgane in Betracht, die mit Kompetenzen zur verbindlichen Außenrechtsetzung ausgestattet sein könnten. Dies ist zum einen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der das zentrale Organ zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und damit der fundamentalen Interessen der Staatengemeinschaft ist. Sein entsprechender Kompetenzbereich ist mit den Stärken der Rechtsverbindlichkeit seiner Maßnahmen und der Zwangsgewalt des Kapitels VII der Charta gesegnet. Die für den Gegenstand der Untersuchung zentrale Frage ist jedoch, ob seine Befugnisse soweit reichen, gleich einem Legislativorgan der Staatengemeinschaft allgemeine Normen des Völkerrechts zu beschließen. Bislang hatte der Rat, wie noch zu zeigen sein wird, solche Kompetenzen nicht beansprucht, weshalb die Frage lange Zeit eine theoretische blieb. Dies änderte sich grundlegend unmittelbar im Anschluss an die tragischen Ereignisse vom 11. September 2001, als es im Bereich der Terrorismusbekämpfung mit Verabschiedung von Resolution 13732 erstmals zu einem Beschluss kam, der auf Grund seines generell-abstrakten Charakters alle Merkmale eines echten legislativen Aktes trägt. Diese neue Praxis des Rates hat unlängst im April 2004 – und damit unmittelbar bei Abschluss des Manuskripts der vorliegenden Arbeit – mit Verabschiedung von Resolution 15403 Fortsetzung im Bereich der Proliferation von Massenvernichtungswaffen gefunden. Die hier zunächst nur kurz angerissene Entwicklung in der Beschlusspraxis des Rates ist von überragender Bedeutung für die vorliegende Studie. Ihr gilt deshalb der Schwerpunkt der Untersuchung.

2 3

U.N. Doc. S / RES / 1373 (2001) vom 28. 9. 2001. U.N. Doc. S / RES / 1540 (2004) vom 28. 4. 2001.

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Teil 2: Erscheinungsformen

Eine Untersuchung des Phänomens der Rechtsetzung internationaler Organisationen kommt ferner angesichts der nach wie vor anhaltenden Debatte nicht ohne Rekurs auf die Frage der Rechtsetzungsbefugnis der UN-Vollversammlung aus. Die herrschende Meinung zu dieser Frage ist kein Geheimnis, sie bedarf jedoch einiger klarstellender Bemerkungen in der gebotenen Kürze.

A. Der Sicherheitsrat: Neuer Ersatzgesetzgeber der Staatengemeinschaft Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat gemäß Art. 24 Abs. 1 UN-Charta zur Aufgabe, über die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu wachen. Dementsprechend ist die Zuständigkeit des Sicherheitsrats im Unterschied zur Generalversammlung ratione materiae beschränkt, und zwar auf das Gebiet des internationalen Friedens und der Sicherheit. Freilich hat der Sicherheitsrat die Konturen dieses Begriffs und damit seine Kompetenzen durch eine extensive Interpretation von Art. 39 UN-Charta kontinuierlich ausgeweitet. Anders als bei der Generalversammlung stellt sich das Problem der Rechtsverbindlichkeit seiner Maßnahmen wegen der ausdrücklichen Normierung in der Charta nicht. Sie ergibt sich unmittelbar aus Art. 25 bzw. 48 und 49 der UN-Charta.4 Diese textliche Festlegung lässt keinen Platz für eine weitere Auslegung. In dieser Festlegung der Bindungswirkung der Beschlüsse des Rats ist wohl eine der deutlichsten Manifestationen einer Durchbrechung des völkerrechtlichen Konsensualprinzips zu finden. Nicht nur kann der entgegenstehende Wille einer Minderheit im Rat selbst überwunden werden, da der Sicherheitsrat durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss von neun Ja-Stimmen entscheiden kann (in Sachfragen freilich gemäß Art. 27 Abs. 3 UN-Charta qualifiziert durch das Vetorecht der gemäß Art. 23 UN-Charta vorgesehenen fünf ständigen Mitglieder). Das fünfzehn Staaten umfassende Organ entscheidet darüber hinaus mit bindender Wirkung für alle anderen Mitglieder der Vereinten Nationen und kann auf diese Weise auch deren entgegenstehenden Willen überwinden. Jochen Frowein erblickt in diesem Umstand den Beweis für den verfassungsartigen Charakter der Charta der Vereinten Nationen.5 Darüber hinaus nimmt der Sicherheitsrat für sich in Anspruch, mit bindender Wirkung sogar für Nicht-Mitglieder der Organisation zu entscheiden.6 Letzteres

4 Auf das (umstrittene) Verhältnis dieser Normen zueinander muss für die Zwecke der vorliegenden Studie nicht näher eingegangen werden. 5 Frowein, in: RdC 248 (1994-IV), 345 (355 ff.); sich ihm anschließend: Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (262). 6 Dazu: Schindler, „Kollektive Sicherheit der Vereinten Nationen und dauernde Neutralität der Schweiz“, in: SchwZIER 2 (1992), 435 (458 ff.); kritisch: Thürer, AVR 30 (1992), 63 (82).

3. Kap.: Die Vereinten Nationen

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stellt eine klare Durchbrechung der Regel pacta tertiis nec prosunt nec nocent dar.7 Hierzu hat Christian Tomuschat ausgeführt: „Vom Souveränitätsdogma her gesehen handelt es sich hier um einen unerklärlichen Bruch in der Rechtskonstruktion. Nur wenn man die UNO-Charta über die Kategorie des normalen völkerrechtlichen Vertrages hinaushebt und sie als eine Weltverfassung qualifiziert, die jedenfalls mit ihren Grundprinzipien unabhängig von der Zustimmung des einzelnen Staates kraft des Willens der internationalen Gemeinschaft ,in ihrer Gesamtheit‘ gilt, läßt sich eine gewisse Rechtfertigung finden, die allerdings revolutionäre Züge aufweist, weil sie an Art. 2 Abs. 1 der UNO-Charta als einem Grundpfeiler der heutigen Staatenwelt rüttelt.“8

Kommt den Beschlüssen des Sicherheitsrats damit umfassende Bindungswirkung sowie zweifelsohne auch die Eigenschaft eines einseitigen Rechtsaktes zu, so bleibt fraglich, ob diese gemäß des in Teil 1 der Studie entwickelten Gesetzgebungsbegriffs auch abstrakt-genereller Natur sein können, also Rechtsetzungsakte enthalten können, die losgelöst von einem konkreten Fall Geltung für eine Vielzahl hypothetischer Fälle beanspruchen.

I. Allgemeines zur bisherigen Beschlusspraxis Die bis vor kurzem gültige Praxis des Sicherheitsrats gibt hiervon kein Zeugnis, weshalb die Frage lange Zeit eine theoretische blieb. Die vom Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII der Charta getroffenen Zwangsmaßnahmen richteten sich bislang entweder an bestimmte Adressaten oder aber an einen unbestimmten Adressatenkreis, wobei sie jedoch dann niemals Verhaltensregeln enthielten, die Geltung für eine unbestimmte Anzahl von Fällen beanspruchten. Sie waren stets auf eine konkrete Situation (beispielsweise in einem bestimmten Land) bezogen und hatten als solchen vollziehenden Charakter.9 Dies gilt auch für jene Beschlüsse, durch welche der Sicherheitsrat zur Bekämpfung einer Aggression die Staaten verpflichtet, den Wirtschafts- und Reiseverkehr mit dem Aggressor einzustellen oder die Lieferung von Waffen in ein Kampfgebiet untersagt. Entgegen anderslautender Ansicht in der Literatur kann in solchen Embargomaßnahmen kein Fall einer internationalen Gesetzgebung erblickt werden10, legt man die im ersten Teil der Arbeit entwickelten Definitionsmerkmale 7 Grundlegend zu diesem Prinzip: Island of Palmas Case (Niederlande / U.S.A.), Schiedsspruch von Max Huber vom 4. April 1928, in: RIAA II, 829 (850 sowie 870). 8 Tomuschat, AVR 33 (1995), 1 (17); s. ferner: ders., in: BDGV 28 (1988), 9 (14 – 16); ders., in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (252 ff., insbes. 256); ähnlich, wenngleich mit differenzierendem Ansatz: Carreau, Droit International, S. 243 (insbes. §§ 620 und 625). 9 Krzysztof Skubiszewski hat diesen häufig verkannten Umstand mehrfach herausgestrichen, vgl.: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (202); ders., in: EPIL 2, 1255 (1260). 10 s. aber: Tomuschat, AVR 33 (1995), 1 (12).

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eines Sekundärgesetzgebungsaktes an den Begriff des Embargos an, wie ihn etwa das Handbuch der deutschen Exportkontrolle definiert: „Embargos im engeren Sinn sind internationale Wirtschaftssanktionen im Rahmen politischer Bemühungen, Kriege oder andere Konflikte zu beenden. Darunter fallen insbesondere die von den Vereinten Nationen oder anderen internationalen Organisationen beschlossenen Beschränkungen im Außenwirtschaftsverkehr gegenüber einem bestimmten Land.“11

Ebenso heißt es in den Embargo-Merkblättern des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA): „Embargos sind Beschränkungen der Freiheit im Außenwirtschaftsverkehr, d. h. sie beinhalten grundsätzliche Verbote von Handlungen und Rechtsgeschäften im Außenwirtschaftsverkehr gegenüber einem Zielland.“12

Diese Definitionen zeigen, dass sich internationale Embargobeschlüsse zwar an eine unbestimmte Anzahl von Adressaten richten und somit generellen Charakter haben.13 Jedoch fehlt ihnen der abstrakte Regelungsgehalt, denn die Verhängung eines Embargos oder sonstiger Sanktionen regelt den Außenverkehr gegenüber einem bestimmten Zielland und betrifft folglich nicht eine unbestimmte Anzahl hypothetischer Fälle, sondern einen Einzelfall. Dies manifestiert sich auch darin, dass die beschlossenen Maßnahmen aufgehoben werden, wenn sich der Fall erledigt.14 Zuzugeben ist, dass der Sicherheitsrat insbesondere im Falle des Irak nach der Befreiung Kuwaits im Jahre 1991 außerordentlich weit gegangen ist und seine unilateral beschlossenen Maßnahmen ihrem Inhalt nach den Charakter eines umfassenden Friedensvertrages mit dem Land trugen.15 So unterwarf der Sicherheitsrat den Irak durch Resolution 687 (1991)16 einem internationalen Überwachungssystem, das unter anderem die Zerstörung von Massenvernichtungswaffen, die Bestätigung der irakischen Verpflichtung zur Beachtung der eingegangenen Abrüstungsverträge, die Bestimmung der Grenze mit Kuwait sowie die Verpflichtung zum Bundesausfuhramt (Hrsg.), HADDEX, Bd. 1, Rn. 75 (Herv. d. Verf.). Merkblatt 214, Stand: 20. November 2001, S. 5 (Herv. d. Verf.). 13 Unerheblich ist hierbei, dass sich die Anzahl der Staaten als Normadressaten zahlenmäßig leicht bestimmen ließe. 14 Vgl. aus jüngster Zeit: Resolution 1372 vom 28. September 2001 (U.N. Doc. S / RES / 1372 [2001]), durch welche die gegen den Sudan beschlossenen Sanktionen aus den Resolutionen 1054 (1996) und 1070 (1996) unter Würdigung der Bemühungen des Landes im Kampf gegen den Terrorismus beendet wurden (was sich bei Fortschreiten der Krise in Darfur aber wieder ändern könnte); s. ferner: Resolution 1388 vom 15. Januar 2002 (U.N. Doc. S / RES / 1388 [2002]), durch welche die Sanktionen gegen die Ariana Afghan Airlines aus den Resolutionen 1267 (1999) und 1333 (2000) bedingt durch das Ende der Herrschaft der Taliban aufgehoben wurden. 15 Vgl.: Fassbender, in: EJIL 13 (2002), 272 (279). 16 U.N. Doc. S / RES / 687 (1991) vom 3. April 1991. 11 12

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Ersatz der angerichteten Kriegsschäden, abzuwickeln über die UN Compensation Commission, umfasste. Doch auch hier fehlt letztlich der von der konkreten Situation (im Irak) losgelöste Regelungsgehalt, ohne den im Lichte der erarbeiteten Definition nicht von einem echten Sekundärgesetzgebungsakt gesprochen werden kann. Vielmehr hatte Resolution 687 zum Ziel, internationale Verpflichtungen des Irak, deren Verletzung der Sicherheitsrat festgestellt hatte, durchzusetzen.17 Auf der anderen Seite gibt es durchaus Beispiele, in denen der Sicherheitsrat sich mit einer allgemeinen Thematik losgelöst von einem aktuellen Konflikt befasst hat. Dies ist vor allem in jüngerer Zeit zunehmend geschehen, wo der Rat sich etwa mit humanitären Fragen18, mit dem Schutz von Kindern19 und Zivilisten20, der Rolle der Frau mit Bezug zu Frieden und Sicherheit21 und auch mit dem internationalen Terrorismus22 befasst hat. Gleichwohl fehlt es im operativen Teil all dieser Resolutionen an rechtsverbindlichen Anordnungen, weshalb auch diese keine Fälle echter Sekundärgesetzgebung darstellen.23 Selbiges gilt schließlich auch für die Errichtung der beiden Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda durch die Sicherheitsratsresolutionen 827 (1993)24 beziehungsweise 955 (1994)25. Zwar besteht hinsichtlich der Errichtung rechtsprechender Organe die Besonderheit, dass die Kompetenz hierzu im nationalen Kontext traditionell der legislativen Gewalt zugewiesen ist,26 ein Grundsatz, der auch in nahezu allen grundlegenden internationalen Menschenrechtsdokumenten Niederschlag gefunden hat, wonach jedermann das Recht auf ein Verfahren vor einem durch Gesetz geschaffenen Rechtsprechungsorgan hat.27 Doch ist, wie die Entscheidung des Jugoslawien-Tribunals im 17 s.: Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (275); zu einer kritischen Bewertung der Resolution gelangt Graefrath, in: ZaöRV 55 (1995), 1 (Zusammenfassung seiner Position auf S. 65 – 68). 18 Vgl. etwa das Presidential Statement 2000 / 7 vom 9 März 2000. 19 Vgl. etwa SR-Res. 1261 vom 25. August 1999 (U.N. Doc. S / Res / 1261 [1999]); SRRes. 1265 vom 17. September 1999 (U.N. Doc. S / Res / 1265 [1999]); SR-Res. 1296 vom 19. April 2000 (U.N. Doc. S / Res.1296 [2000]); SR-Res. 1314 vom 11. August 2000 (U.N. Doc. S / Res. / 1314 [2000]). 20 Vgl. etwa: SR-Res. 1265 und 1296 (ebda.). 21 Vgl. etwa: SR-Res. 1325 vom 31. Oktober 2000 (U.N. Doc. S / Res / 1325 [2000]). 22 Vgl. etwa: SR-Res. 1269 vom 19. Oktober 1999 (U.N. Doc. S / Res / 1269[1999]). 23 Darauf weist zu Recht hin: Szasz, in: AJIL 96 (2002), 901 (902). 24 U.N. Doc. S / RES / 827 (1993) (Annahme des Statuts) vom 25. Mai 1993 (der Text des Statuts findet sich im Bericht des UN-Generalsekretärs [U.N. Doc. S / 25704], abgedruckt in: 32 ILM [1993], 1192). Die Entscheidung über die Errichtung des Tribunals erfolgte in Resolution 808 vom 22. Februar 1993 (U.N. Doc. S / RES / 808 [1993]). 25 U.N. Doc. S / RES / 955 (1994) vom 8. November 1994. 26 Tomuschat, in: RdC 281 (1999), 9 (344). 27 „Established by law“, vgl.: Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 – II, 1534; UNTS 999, S. 171); Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Fassung vom 30. Juni 1998

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Fall Tadicˇ selbst ausgeführt hat, dieser Gewaltenteilungsgrundsatz auf internationaler Ebene in dieser Form nicht anwendbar28, weshalb es nicht richtig ist zu schlussfolgern, dass dasjenige, was im nationalen Recht der gesetzgebenden Gewalt vorbehalten ist, auch auf internationaler Ebene ein Gesetzgebungsakt sein muss. Entscheidend ist vielmehr entsprechend des im ersten Teil der Studie entwickelten Begriffs der völkerrechtlichen Sekundärgesetzgebung29, dass der Sicherheitsrat im Zuge der Errichtung der beiden Kriegsverbrechertribunale kein neues materielles Recht geschaffen hat, weshalb die beiden Resolution 827 und 955 ungeachtet ihrer nicht zu bestreitenden Bedeutung nicht als Fälle echter Sekundärgesetzgebung angesehen werden können.30 Bei alledem wird nicht verkannt, dass auch solche Beschlüsse des Sicherheitsrats, die ausschließlich exekutiver Natur sind, zur Fortentwicklung des Völkerrechts beitragen können, beispielsweise hinsichtlich des Verständnisses des völkerrechtlichen Gewaltverbots oder des Selbstverteidigungsrechts.31 Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie selbst nicht unmittelbar gesetzgebender Natur sind und deshalb nicht dem Gegenstand der vorliegenden Untersuchung unterfallen. II. Resolution 1373 (2001): Legislativer Präzedenzbeschluss im Bereich der Terrorismusbekämpfung32 Im Anschluss an die Terrorakte vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten hat diese Beschlusspraxis des Sicherheitsrats jedoch eine bedeutende Fortentwicklung erfahren. Als der Rat am Tag nach den Anschlägen unter dem Eindruck der Ereignisse zusammentrat, klassifizierte er diese in seiner Resolution 1368 zum einen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und erkannte zum anderen das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UNCharta an.33 Diese Feststellung wiederholte er wenig später in seiner Resolution 1373 vom 28. September 2001. Wegen des unmittelbaren Bezuges zu der anschließenden amerikanischen Militäroperation in Afghanistan konzentrierte sich die völkerrechtliche Debatte zunächst im Wesentlichen auf diese beiden Punkte.34 (BGBl. 2002 – II, 1055; ursprüngliche Fassung in: UNTS 213, S. 221); Art. 8 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969 (9 ILM [1970], 673); vgl. dagegen allein Art. 7 der Afrikanischen Menschenrechtscharta (Banjul-Charta) vom 27. Juni 1981 (21 ILM [1982], 58). 28 The Prosecutor v. Dusko Tadicˇ, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), in: 35 ILM (1996), 32 (46 f., § 43). 29 s. oben, 1. Kapitel, B. III. sowie 2. Kapitel, C. 30 Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (276 f.). 31 Eitel, in: MPYbUNLaw 4 (2000), 52 (60 ff.). 32 Die folgenden Ausführungen wurden in Teilen vorab veröffentlicht in: ZaöRV 62 (2002), 257 ff. 33 U.N. Doc. S / RES / 1368 (2001) vom 12. 9. 2001.

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Dabei geriet ein weiterer Aspekt zunächst etwas aus dem Blickwinkel, dem unter Umständen noch größere Bedeutung nicht nur für die zukünftige Praxis des Sicherheitsrats, sondern auch für das allgemeine Völkerrecht zukommen könnte. So ist der Rat in Resolution 1373 über die konkrete Situation hinausgegangen, als er feststellte, „such acts, like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security“.35 Damit ist der Rat, wie noch zu zeigen sein wird, erstmalig in seiner Geschichte zu der Auffassung gelangt, dass ein abstraktes Phänomen – dasjenige des Terrorismus – als solches den Weltfrieden und die internationale Sicherheit im Sinne des Art. 39 UN-Charta bedroht. Folgerichtig findet sich sodann im operativen Teil der Resolution ein detailliertes Regelwerk zur allgemeinen Bekämpfung des Terrorismus, das in Ermangelung jeglicher geografischer und zeitlicher Begrenzung Geltung über den konkreten Fall der terroristischen Anschläge gegen die Vereinigten Staaten hinaus beansprucht.36 Dieser ausdrücklich auf der Grundlage des Kapitels VII verabschiedete Maßnahmenkatalog liest sich wie eine Querschnittskonvention zur Bekämpfung des Terrorismus, zu deren Verabschiedung es bis zum heutigen Tag nicht gekommen ist. Er enthält, wie noch zu zeigen sein wird, zahlreiche Verpflichtungen, die sich in verschiedenen Konventionen wiederfinden, welche entweder in Ermangelung einer hinreichenden Anzahl von Ratifikationen noch nicht in Kraft getreten waren oder zwar in Kraft waren, dabei jedoch nur eine begrenzte Mitgliederzahl aufwiesen. Den zentralen Vorschriften dieser Konventionen hat der Sicherheitsrat damit im Wege eines unilateralen Beschlusses eine auf Art. 25 UN-Charta gründende allgemeine Rechtsverbindlichkeit verliehen, deren Einhaltung er zudem durch einen eigens dafür eingerichteten Ausschuss, dem Counter-Terrorism Committee (CTC), überwacht.37 Das beschlossene Regelwerk macht Resolution 1373 wegen seines generell-abstrakten Charakters zu einem echten legislativen Akt des Sicherheitsrats.38 Diese Vorgehensweise ist in der Praxis des Rates ohne Präzedenzfall und wirft nicht zuletzt deshalb eine Reihe völkerrechtlicher Fragen auf. Das zentrale Problem drängt sich auf: Steht die neue gesetzgeberische Praxis, soweit sie Gegenstand der Untersuchung ist, im Einklang mit geltendem Völkerrecht? Wie ist die Inanspruchnahme legislativer Kompetenzen in Einklang zu bringen mit der Feststellung des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien, der Sicher34 Zustimmend: Frowein, in: ZaöRV 62 (2002), 879 (885 ff.); Murphy, in: HarvILJ 43 (2002), 41 (51); kritisch: Drumbl, in: HRQu 24 (2002), 323 (332); Krajewski, in: AVR 40 (2002), 183 (207); für die Anerkennung eines Selbstverteidigungsrechtes außerhalb von Art. 51 der UN-Charta: Heintschel v. Heinegg / Gries, in: AVR 40 (2002), 145 (155 f.) 35 Res. 1373, Präambel, Abs. 3 (Herv. d. Verf.). 36 Vgl. Res. 1373, Ziff. 1 und 2. 37 Dazu: Williams, in: VN 6 / 2002, 213 ff.; Stromseth, in: ASIL Proc. 97 (2003), 41 ff.; Pleuger, in: VN 6 / 2003, 209 (211). 38 s.: Sandoz, in: SchwZIER 12 (2002), 319 (329 f.); Condorelli, in: RGDIP 105 (2001), 829 (834 f.); Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (171 f.)

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heitsrat sei kein Legislativorgan der Staatengemeinschaft?39 Ist Resolution 1373 deshalb ein von der Charta der Vereinten Nationen nicht mehr gedeckter Rechtsakt ultra vires? In drei Schritten soll sich den oben aufgeworfenen Fragen angenähert werden. Zunächst ist in die allgemeine Problematik einzuführen und Hintergründe und Ausmaß der neuen legislativen Praxis des Sicherheitsrats darzustellen. Sodann ist zu untersuchen, ob der Sicherheitsrat bei der Klassifizierung des internationalen Terrorismus als abstrakte Gefahr für den Weltfrieden innerhalb seiner Befugnisse aus Art. 39 UN-Charta handelte. In diesem Zusammenhang wird erstmals auch zu klären sein, welchen rechtlichen Beschränkungen der Sicherheitsrat bei Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta überhaupt unterliegt. Schließlich ist zu prüfen, ob Kapitel VII auf der Rechtsfolgenseite eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Erlass legislativer Beschlüsse nach dem Vorbild von Resolution 1373 vorsieht.

1. Zur Bedeutung von Resolution 1373 Vor dem 11. September 2001 war das Phänomen des Terrorismus alles andere als unbekannt und ebenso wenig mangelte es an einem detaillierten völkerrechtlichen Regelwerk zu seiner Bekämpfung. Gleichwohl sah sich der Sicherheitsrat veranlasst, im Wege einer Art Notstandsgesetzgebung in das bestehende Regime einzugreifen. Der Rat hat damit ein neues Kapitel in seiner Beschlusspraxis aufgeschlagen. a) Das bestehende Regelwerk zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus Das Phänomen des Terrorismus in seinen unterschiedlichen Facetten reicht weit zurück in die Geschichte der Menschheit.40 Der Begriff entstammt der Epoche der Französischen Revolution und wurde zur Bezeichnung des Jakobinischen Terreur geprägt, der als moderner Prototyp des Regierungs- bzw. des staatlichen Terrorismus gelten kann. Die historischen Wurzeln des nichtstaatlichen Terrorismus reichen gar bis in die Antike, als das Attentat ein populäres Instrument zur Herbeiführung politischen Machtwechsels war.41 Nachdem das Unterfangen einer allgemeinen Konvention zur Verhinderung und Bestrafung des Terrorismus unter der Ägide des Völkerbundes gescheitert war und 39 The Prosecutor v. Dusko Tadicˇ, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), 35 ILM (1996), 32 ff. (§ 43). 40 Vgl. auch: Frowein, in: ZaöRV 62 (2002), 879 (880 f.). 41 s.: Friedlander, in: EPIL 4, 845 (845).

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die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges schließlich alle weiteren Bemühungen in dieser Richtung erstickt hatten, begann erst im Zuge der Dekolonialisierung wieder eine Debatte über Mittel und Wege der Bekämpfung des Terrorismus, welcher durch die Befreiungskämpfe gegen ehemalige Kolonialmächte eine neue Frequenz erhalten hatte.42 Ausgangsproblem aller Versuche der Kodifizierung war jedoch das Unvermögen, sich auf eine für alle Seiten akzeptable Definition dessen zu einigen, was unter Terrorismus zu verstehen sei.43 Insbesondere konnte die Frage der Einbeziehung des staatlichen Terrorismus ebenso wenig gelöst werden wie das Problem der Bewertung des gewaltsamen Befreiungskampfes, der von den einen als legitimes, da einzig verbleibendes politisches Mittel im Kampf gegen Unterdrückung, von den anderen aber als nicht hinnehmbares kriminelles Unrecht angesehen wurde, dem es mit aller Härte auch des Völkerrechts zu wehren galt.44 Damit fehlte es aber bereits am kleinsten gemeinsamen Nenner, ohne den die Ausarbeitung einer allgemeinen Anti-Terror-Konvention nicht gelingen konnte.45 Andererseits konnten die immer zahlreicher werdenden Auswüchse des Terrorismus völkerrechtlich nicht unbeantwortet bleiben, so dass man sich – häufig auch veranlasst durch konkrete terroristische Vorkommnisse46 – zu einer pragmatisch ausgerichteten Politik der kleinen Schritte genötigt sah, die darin bestand, den jeweiligen Erscheinungsformen des Terrorismus zu begegnen.47 Auf diese Weise kam es bis zum heutigen Tage neben zahlreichen Entschließungen der Generalversammlung48 zu insgesamt zehn (zählt man die Zusatzprotokolle gesondert, dann sind es zwölf) globalen49 sowie sieben regionalen Übereinkommen50, die sich als Anti-Terrorismus-Konventionen im weiteren Sinne bezeichnen lassen. Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (536). Ausführlich: Hugues, in: JDI 129 (2002), 753 ff.; dagegen definierten zahlreiche Staaten den Begriff für die Zwecke ihrer nationalen Gesetzgebung (vgl. Aust, in: MPYbUNL 5 (2001), 285 (289). 44 Vgl.: Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (536). 45 Vgl. aber: Friedlander, in: EPIL 4, 845 (846). 46 So ist beispielsweise die Initiative zur Verabschiedung der International Convention against the Taking of Hostages vom 17. Dezember 1979 (UNTS 1316, S. 205) unter dem Eindruck der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München entstanden, vgl.: Kausch, in: VN 3 / 1980, 77 (77 f.); am 10. März 1988 reagierte die Staatengemeinschaft auf das Attentat palästinensischer Terroristen auf das Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro“ mit der Verabschiedung der Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation (27 I.L.M. [1988], 668) samt des ergänzenden Protocol for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Fixed Platforms located on the Continental Shelf (27 I.L.M. [1988], 685), vgl.: Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (537). 47 Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (168 f.). 48 Vgl. den Überblick bei: Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (538); vgl. auch Grundsatz 1 (9) der GV-Res. 2625 (XXV) (Friendly Relations Declaration) vom 24. Oktober 1970. 49 In chronologischer Reihenfolge: Convention on Offences and Certain Other Acts Committed on Board Aircraft vom 14. September 1963 (UNTS 704, S. 219; BGBl. 1969 II, 122); Convention for the Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft vom 16. Dezember 1970 (UNTS 860, S. 105; BGBl. 1972 II, 1506)); Convention for the Suppression of Unlawful Acts 42 43

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Teil 2: Erscheinungsformen

Kernelemente dieser Übereinkommen sind die Verpflichtungen der Vertragsstaaten zur angemessenen Strafbewehrung und effektiven Verfolgung der nach der jeweiligen Konvention verbotenen Handlungen und gegebenenfalls zur Auslieferung der Begehung solcher Handlungen verdächtiger Personen (aut dedere aut judicare), das Verbot der Ermöglichung oder Gewährung von Unterschlupf zugunsten solcher Personen und schließlich die Pflicht zwischenstaatlicher Kooperation und wechselseitiger Gewährung von Rechtshilfe. Innerhalb des so entstandenen Rechtsregimes ist das Abkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aus dem Jahr 1999 hervorzuheben.51 Zum einen orientiert sich das Übereinkommen erstmalig nicht an einer bestimmten terroristischen Begehungsform, sondern zielt auf die Bekämpfung der im Hintergrund stehenden Netzwerke ab.52 Diese Zielsetzung erforderte zum anderen, den Begriff des Terrorismus zu umschreiben, da die Finanzierung als solche unrechtsneutral und deshalb – anders als das Legen von Bomben oder das Entführen von Flugzeugen – nur mit Bezug zu einer als terroristisch zu definierenden Aktivität als verboten gelten konnte und sollte. So heißt es in Art. 2 Ziff. 1 lit. b) des Übereinkommens: against the Safety of Civil Aviation vom 23. September 1971 (I.L.M. 10 [1971], 1151; BGBl. 1977 II, 1230) samt des ergänzenden Protocol on the Suppression of Unlawful Acts of Violence at Airports Serving International Civil Aviation vom 24. Februar 1988 (I.L.M. 27 [1988], 627; BGBl. 1993 II, 876 und 1994 II, 620 [Berichtigung]); Convention on the Prevention and Punishment of Crimes against Internationally Protected Persons, including Diplomatic Agents vom 14. Dezember 1973 (UNTS 1035, S. 607; BGBl. 1976 II, 1746); International Convention against the Taking of Hostages vom 17. Dezember 1979 (UNTS 1316, 205; BGBl. 1980 II, 1362); Convention on the Physical Protection of Nuclear Material vom 3. März 1980 (UNTS 1456, 101; BGBl. 1990 II, 327); Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation vom 10. März 1988 (UNTS 1678, 22; BGBl. 1990 II, 496) samt des Protocol for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Fixed Platforms Located on the Continental Shelf vom selben Tag (UNTS 1678, 304; BGBl. 1992 II, 508); Convention on the Marking of Plastic Explosives for the Purpose of Detection vom 1. März 1991 (I.L.M. 30 [1990], 726; BGBl. 1998 II, 2302); International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings vom 15. Dezember 1997 (I.L.M. 37 [1998’], 249; von der BRD bislang nur gezeichnet, nicht aber ratifiziert); International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism vom 9. Dezember 1999 (I.L.M. 39 [2000], 270; von der BRD bislang nur gezeichnet, nicht aber ratifiziert). 50 In chronologischer Reihenfolge: OAS Convention to Prevent and Punish Acts of Terrorism Taking the Form of Crimes against Persons and Related Extortion that are of International Significance vom 2. Februar 1971 (I.L.M. 10 [1971], 255; European Convention on the Suppression of Terrorism vom 27. Januar 1977 (ETS No. 90); SAARC Regional Convention on Suppression of Terrorism vom 4. November 1987; Arab Convention on the Suppression of Terrorism vom 22. April 1998; Treaty on Cooperation among States Members of the Commonwealth of Independent States in Combating Terrorism vom 4. Juni 1999; Convention of the Organization of the Islamic Conference on Combating International Terrorism vom 1. Juli 1999; OAU Convention on the Prevention and Combating of Terrorism vom 1. Juli 1999. 51 I.L.M. 39 (2000), 270. 52 Vgl.: Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (169 f.); Lavalle, in: ZaöRV 60 (2000), 491 (492).

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„Any other act intended to cause death or serious bodily injury to a civilian, or to any other person not taking an active part in the hostitilies in a situation of armed conflict, when the purpose of such act, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a government or an international organization to do or to abstain from doing any act.“

Dabei reicht der Anwendungsbereich des Finanzierungübereinkommens weiter, als es sein Name vermuten ließe. Nach der Legaldefinition in Art. 1 Ziff. 1 umfasst der für das Abkommen zentrale Begriff der „funds“ Vermögensgegenstände nicht nur materieller, sondern auch immaterieller Art.53 Damit dient das Übereinkommen nicht nur der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus im engeren Sinne, sondern jeglicher materiellen Unterstützung.54 Wie nicht nur die Anschläge des 11. September bewiesen, letztlich aber vor Augen geführt haben, war das beschriebene vertragliche Regime zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu schwach, um der zunehmenden Bedrohung durch international operierende Terrorgruppen Herr zu werden. Diese Schwächen sind nicht allein auf den Umstand zurückzuführen, dass es an einem echten Querschnittsübereinkommen mangelte, das geeignet gewesen wäre, den internationalen Terrorismus umfassend und unabhängig von seinen konkreten Erscheinungsformen zu bekämpfen.55 Hinzu tritt, dass das bestehende Regelwerk keine allgemeine Rechtsverbindlichkeit erlangt hatte. Evident ist dies bezüglich der einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung, galt aber angesichts des teilweise sehr niedrigen Ratifikationsstandes auch für viele der übrigen, insbesondere jüngeren Anti-Terrorismus-Konventionen.56 Dies gilt namentlich für zwei der wohl wichtigsten Anti-Terrorismus-Konventionen. So hatten am Tag der Verabschiedung von Resolution 1373 lediglich 27 Staaten das Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge ratifiziert, das damit nur eben den zu seinem In-Kraft53 Anthony Aust nennt als mögliche Beispiele Diamanten und Ländereien (vgl. in: MPYbUNL 5 (2001), 285 [287]). 54 Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (170). 55 Dazu bereits oben, a); vgl. allein das Anti-Finanzierungsabkommen. 56 Ratifikationsstand am 28. 9. 2001, dem Tag der Verabschiedung von Resolution 1373: Convention on Offences and Certain Other Acts Committed on Board Aircraft: 171 Ratifikationen; Convention for the Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft: 174 Ratifikationen; Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Civil Aviation: 175 Ratifikationen; Protocol on the Suppression of Unlawful Acts of Violence at Airports Serving International Civil Aviation: 107 Ratifikationen; Convention on the Prevention and Punishment of Crimes against Internationally Protected Persons, including Diplomatic Agents: 107 Ratifikationen; International Convention against the Taking of Hostages: 96 Ratifikationen; Convention on the Physical Protection of Nuclear Material: 68 Ratifikationen; Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation: 52 Ratifikationen; Protocol for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Fixed Platforms Located on the Continental Shelf: 48 Ratifikationen; Convention on the Marking of Plastic Explosives for the Purpose of Detection: 67 Ratifikationen; International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings: 27 Ratifikationen; International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism: 4 Ratifikationen (damit nicht in Kraft).

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Teil 2: Erscheinungsformen

Treten nach seinem Art. 22 Abs. 1 erforderlichen Ratifikationsstand von 22 Staaten erreicht hatte, während das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus mit einem Ratifikationsstand von nur vier Staaten nicht einmal in Kraft getreten war.57 Hinzu trat, dass sich jene Staaten, die der aktiven oder passiven Unterstützung terroristischer Aktivitäten bezichtigt wurden, aus naheliegenden Gründen dem vertraglichen Regime zur Bekämpfung des Terrorismus nicht unterworfen hatten.58 Ganz abgesehen davon fehlte es insgesamt an einem effektiven Mechanismus zur Überwachung der Einhaltung der vertraglich übernommenen Pflichten. Diese Schwächen des vertraglichen Regimes wurden auch nicht etwa durch Regeln des Völkergewohnheitsrechts aufgefangen. Zwar wurde die Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Verpflichtung zur Strafverfolgung oder Auslieferung von Terroristen (aut dedere aut judicare) unter Hinweis auf entsprechende völkerrechtliche Konventionen, Beschlüsse der UN-Generalversammlung und Entscheidungen des Sicherheitsrats im Einzelfall diskutiert.59 Doch ist zumindest zweifelhaft, ob angesichts des oben angesprochenen, teilweise sehr geringen Ratifikationsstands der einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen ein solcher Rückschluss zulässig ist, zumal noch 1992 die Mehrheit der Richter des IGH im Fall Lockerbie60 die Auffassung vertraten, es sei das souveräne Recht eines jeden Staates, einem Auslieferungsgesuch nicht Folge zu leisten. So lag es auch, vorbehaltlich einer anderslautenden vertraglichen Verpflichtung, bis zur Verabschiedung von Resolution 1373 durch den Sicherheitsrat grundsätzlich im Ermessen eines jeden Staates, das Sammeln und Bereitstellen von Geldern oder anderen Hilfen für terroristische Organisationen auf ihrem Staatsgebiet zu unterbinden, die Konten solcher Organisationen zu sperren oder deren Vermögenswerte einzufrieren oder zu konfiszieren, mit anderen Staaten Informationen auszutauschen oder in sonstiger Weise im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu kooperieren oder Ermittlungen fremder Behörden auf seinem Gebiet zuzulassen.61 57 Dagegen ist seit dem 11. September 2001 ein durch die Ereignisse bedingter Anstieg der Anzahl der Ratifikationen zu beobachten. So kam es allein innerhalb der folgenden sechs Monate zu weiteren 27 Ratifizierungen des Übereinkommens gegen terroristische Bombenanschläge und zu weiteren 20 Ratifizierungen des Anti-Finanzierungsübereinkommens, das damit am 10. April 2002 gemäß seines Art. 26 Abs. 1 in Kraft getreten ist. 58 Darunter die vom amerikanischen Präsidenten George W. Bush später pauschal als „Achse des Bösen“ bezeichneten Staaten Irak, Iran und Nord-Korea, aber auch Afghanistan, Libanon, Somalia oder Syrien (anders dagegen Libyen und der Sudan, die das Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge ratifiziert hatten und wie auch Somalia mittlerweile das Anti-Finanzierungsübereinkommen unterzeichnet haben. 59 Dazu zuletzt: Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101 (116 ff.). 60 Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyen . / . Vereinigtes Königreich), Provisional Measures, ICJ Reports 1992, 3. 61 Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101 (107).

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Letztlich erwies sich die staatliche Souveränität als Schutzschild für den internationalen Terrorismus. b) Legislativer Eingriff des Sicherheitsrats In dieses Regime zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus hat der Sicherheitsrat durch Resolution 1373 legislativ eingegriffen. Die auf Initiative der Vereinigten Staaten beschlossene Resolution enthält in den Ziffern 1 und 2 ihres operativen Teils einen Katalog von Pflichten, denen die Staaten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus nachzukommen haben. Der Verweis des Rates auf Kapitel VII der Charta als Rechtsgrundlage seines Handelns wie auch die gewählte Formulierung „all States shall“62 lassen keinen Raum für Zweifel an der Rechtsverbindlichkeit des beschlossenen Regelwerks. Ziffer 1 des operativen Teils von Resolution 1373 enthält zunächst jene Pflichten, die auch den Kernbestand des Anti-Finanzierungsabkommens ausmachen, wenngleich beide im Detail nicht immer kongruent sind. So werden die Staaten in umfassender Weise verpflichtet, das Bereitstellen oder Sammeln von Geldmitteln zu terroristischen Zwecken unter Strafe zu stellen63, solche Geldmittel oder andere wirtschaftliche Ressourcen unverzüglich einzufrieren64 und es ihren Staatsangehörigen zu verbieten, derartige Mittel solchen Personen oder Personengruppen direkt oder indirekt zur Verfügung zu stellen, die in die Begehung terroristischer Akte involviert sind.65 In besonderem Maße beachtenswert im Rahmen von

In der französischen Fassung „tous les Etats doivent“. Resolution 1373, Ziff. 1 lit. b). Eine entsprechende Verpflichtung findet sich in Art. 4 i.V.m Art. 2 (1) des Anti-Finanzierungsübereinkommens. Unklar ist jedoch, ob unter den Begriff „funds“ in Ziff. 1, lit. b) von Resolution 1373 auch immaterielle Vermögensgegenstände zu subsumieren sind. Ein Vergleich mit der Definition dieses Begriffs in Art. 1 des Anti-Finanzierungsübereinkommens könnte dies nahelegen (dazu bereits oben, a.). Dagegen spricht jedoch ein systematischer Vergleich mit Ziff. 1 lit. c) der Resolution, in dem von „funds and other financial assets“ die Rede ist (Herv. d. Verf.) (so im Ergebnis auch: Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 [171]). Der Zusatz „and other“ fehlt jedoch wiederum in lit. d), wo es heißt „funds, financial assets or economic resources“, weshalb die Unklarheit letztlich bestehen bleibt. 64 Resolution 1373, Ziff. 1 lit. c). Eine entsprechende Vorschrift findet sich in Art. 8 i.V.m. Art. 2 (1) des Anti-Finanzierungsübereinkommens. Unklar ist hier, ob das in Resolution 1373 enthaltene Gebot des Einfrierens auch Erlöse („proceeds“) aus den unter Strafe zu stellenden Handlungen erfasst. Zweifel könnten hieran bestehen, weil Art. 8 des Anti-Finanzierungsübereinkommens diese ausdrücklich neben den „funds“ erwähnt, die im Übrigen in Art. 1 des Übereinkommens eine gesonderte Definition erfahren, eine entsprechende Regelung in Ziff. 1 lit. c) von Resolution 1373 jedoch fehlt. 65 Resolution 1373, Ziff. 1 lit. d). Eine in etwa vergleichbare Verpflichtung findet sich in Art. 18 Ziff. 1 lit. a) i.V.m. Art. 2 (1) des Anti-Finanzierungsübereinkommens, wobei Resolution 1373 hier weiter gefasst zu sein scheint. Während gemäß Art. 2 (1) des Anti-Finanzierungsübereinkommens nur dann ein Verstoß im Sinne des Übereinkommens vorliegt, wenn die betreffende Person Mittel zur Verfügung stellt „with the intention that they should be 62 63

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Teil 2: Erscheinungsformen

Ziffer 1 ist deren Buchstabe (a), durch den die Staaten allgemein verpflichtet werden, die Finanzierung terroristischer Akte zu unterbinden.66 Eine solche Generalklausel, deren Tatbestand geeignet scheint, alle übrigen Fälle mit Bezug zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten aufzufangen, findet sich im Anti-Finanzierungsübereinkommen nicht. Folglich geht Resolution 1373 hier sogar über die bestehenden völkerrechtsvertraglichen Regelungen hinaus. Letzteres gilt in noch höherem Maß für Ziffer 2 des operativen Teils von Resolution 1373. Hiernach wird den Staaten auferlegt, sich jeglicher Form der aktiven oder passiven Unterstützung terroristischer Personen oder Personenvereinigungen sowie der Bereitstellung sicherer Rückzugsgebiete zu Gunsten ihrer zu enthalten67, die notwendigen Schritte zur Verhinderung terroristischer Akte zu ergreifen68, sicherzustellen, dass das eigene Territorium nicht zur Planung oder Begehung grenzüberschreitender terroristischer Akte genutzt wird69, die Begehung terroristischer Akte unter angemessene Strafe zu stellen sowie der Begehung solcher Akte verdächtige Personen gerichtlich zu verfolgen70, ferner bei der Verfolgung derartiger Akte einander effektive Rechtshilfe zu leisten71 und schließlich grenzüberschreitende Bewegungen von Terroristen durch effektive Grenzkontrollen zu verhindern72. Schließlich setzte der Sicherheitsrat einen besonderen Ausschuss ein, um die ordnungsgemäße Implementierung der in Resolution 1373 beschlossenen Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu überwachen.73 used or in the knowledge that they are to be used“, einen terroristischen Akt zu begehen, so genügt es nach Ziff. 1 lit. d) von Resolution 1373, wenn diese Mittel einer Person, die in terroristische Akte involviert sind, lediglich zu Gute kommen („for the benefit of persons“); letztlich bestehen aber auch hier Unklarheiten, da der Wortlaut von Ziff. 1 lit. b) der Resolution, wonach die Staaten zur Strafbewehrung terroristischer Akte verpflichtet sind, wiederum insoweit fast identisch mit Art. 2 (1) des Anti-Finanzierungsübereinkommens ist. 66 Ziffer 1, lit. a) lautet: „(a)ll States shall prevent and suppress the financing of terrorist acts“. 67 Resolution 1373, Ziff. 1 lit. a) und c) („safe haven“). 68 Ebda., Ziff. 1 lit. b); zu den notwendigen Schritten wird beispielhaft die Gewährleistung frühzeitiger Warnung anderer Staaten durch Informationsaustausch genannt. 69 Ebda., Ziff. 1 lit. d). 70 Ebda., Ziff. 1 lit. e); beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass eine Verpflichtung zur Auslieferung im Falle der Nichtverfolgung des terroristischen Aktes, also das Prinzip aut judicare aut dedere, hier nicht statuiert wird. 71 Ebda., Ziff. 1 lit. f), insbesondere bei der Beweisgewinnung. 72 Ebda., Ziff. 1 lit. g). 73 Resolution 1373, Ziff. 6. Dem Ausschuss gehören sämtliche Mitglieder des Rates an. Erstmalig in seiner Geschichte bestimmte der Rat einen Vertreter der fünf ständigen Mitglieder – den Ständigen Vertreter des Vereinigten Königreichs bei den Vereinten Nationen, Sir Jeremy Greenstock – zum Vorsitzenden eines seiner Ausschüsse. Um eine effektive Kontrolle der Durchführung der Resolution 1373 zu ermöglichen, sind sämtliche Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gemäß Ziff. 6 der Resolution gehalten, dem Ausschuss binnen 90 Tagen nach Verabschiedung der Resolution über die von ihnen zu ihrer Implementierung ergriffenen Maßnahmen zu berichten.

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Dieser in Ziffer 2 des operativen Teils von Resolution 1373 enthaltene Pflichtenkatalog greift in manchen Punkten auf bestehendes völkerrechtliches Regelwerk zurück74, geht in anderen jedoch ganz erheblich über dieses hinaus insoweit, als er – anders als die einschlägigen Konventionen – nicht an bestimmte Erscheinungsformen des Terrorismus anknüpft, sondern hiervon gänzlich unabhängig die vorgenannten Pflichten normiert, Pflichten, die zum Kernbestand einer allgemeinen Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus gehören würden. Der Sicherheitsrat hat auf diese Weise in das bestehende, im Wesentlichen auf völkerrechtlichen Verträgen gründende Regime zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus im Wege eines alle Mitgliedstaaten bindenden Beschlusses eingegriffen. Auch wenn der Sicherheitsrat die bestehenden internationalen Konventionen nicht hat beiseite schieben wollen75, Resolution 1373 würde gemäß Art. 103 UN-Charta im Konfliktfalle Vorrang genießen.76 Die Gründe, die den Rat hierzu bewegt haben, sind mannigfaltig. Auslöser waren ohne Zweifel die Vorfälle des 11. September 2001 samt der hiervon ausgehenden Welle der Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Ausschlaggebend speziell für den Beschluss eines umfangreichen Maßnahmenkatalogs war letztlich aber die Erkenntnis, dass das bestehende Regelwerk offensichtlich nicht ausreichte, derartige Anschläge zu verhindern.77 Diese Schwächen hat der Sicherheitsrat im Wege seiner Resolution 1373 mit einem Schlag erheblich minimiert. Auch 74 Vgl. beispielsweise Ziff. 2 lit. a) der Resolution und Grundsatz 1, Absatz 9 der Erklärung über freundschaftliche Beziehungen von 1970; Ziff. 2 lit. b) der Resolution und Art. 15 des Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge; Ziff. 2 lit. e) der Resolution und Art. 4 des Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge wie auch Art. 2 des Übereinkommens zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen; Art. 3 des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt, sowie Art. 5 des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt; vgl. ferner Ziff. 2 lit. f) der Resolution und Art. 12 des Anti-Finanzierungsübereinkommens. 75 Vgl. die Anhörung von mehr als 40 Staaten im Sicherheitsrat vom 18. Januar 2002, wo der Ausschussvorsitzende Greenstock mit den Worten zitiert wird: „Resolution 1373 (2001) was the primary guide for the Committee, but the Committee was also conscious of the 12 international Conventions on the subject, and none of them referred to State terrorism, which was not an international legal concept. If States abused their power, they should be judged against international conventions dealing with war crimes, international human rights and international humanitarian law.“ (U.N. Doc. SC / 7276 vom 18. 1. 2002). 76 Wie der Internationale Gerichtshof entschieden hat, gilt Art. 103 UN-Charta auch für die Pflichten der Mitgliedstaaten aus Beschlüssen des Sicherheitsrats, vgl.: Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising From the Aerial Incident at Lockerbie (Libyen . / . Großbritannien), Order of 14 April 1992, ICJ Rep. 1992, 3 (15, § 39); s. ferner: Kolb, in: ZaöRV 64 (2004), 21 ff. 77 Zwar liegen keine Protokolle über die Verhandlungen von Resolution 1373 aus dem Vorfeld der Verabschiedung vor, da diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgten. Aufschluss gibt jedoch die oben erwähnte umfangreiche Anhörung des Sicherheitsrats vom 18. 1. 2002.

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Teil 2: Erscheinungsformen

wenn der Rat darauf verzichtete, den umstrittenen Begriff des Terrorismus selbst zu definieren, überwand er die Politik der kleinen Schritte, indem er echte Querschnittsregeln unter Vermeidung jeglicher Anknüpfung an konkrete Erscheinungsformen des Terrorismus aufstellte, heilte die Schwäche des geringen Ratifikationsstandes mittels der nach Art. 25 UN-Charta bestehenden umfassenden Bindung aller Staaten, die zudem gemäß Art. 103 UN-Charta Vorrang vor allen sonstigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hat78, und überstellte schließlich die Kontrolle über die Durchführung der beschlossenen Maßnahmen in seinen mit den Stärken des Kapitels VII der Charta gesegneten Verantwortungsbereich. Es kann bezweifelt werden, ob sich die Mitglieder des Rates der Tragweite ihres Handelns und der völkerrechtlichen Implikationen im Vorfeld bewusst waren.79 Die Frist zwischen Vorlage des Entwurfs und Verabschiedung der Resolution betrug einen Tag80 und die Sitzung selbst dauerte fünf Minuten.81 c) Vergleich mit der bisherigen Beschlusspraxis Fraglich ist, wie das Vorgehen des Sicherheitsrates mit Blick auf seine eingangs82 geschilderte bisherige Beschlusspraxis zu werten ist. Zuweilen ist zu lesen, die Klassifizierung des Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sei ein Novum in der Geschichte der Vereinten Nationen.83 Hierbei ist allerdings eine differenzierte Betrachtungsweise geboten. Zutreffend ist, dass der Sicherheitsrat in seinen Resolutionen 1368 und 1373 erstmals einen Anschlag nicht-staatlicher Subjekte als bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta gewertet hat.84 Unzutreffend ist jedoch die Annahme, der Rat habe 78 Der nach ganz überwiegender Ansicht Anwendung auch auf bindende Sekundärrechtsakte des Sicherheitsrates Anwendung findet, s.: Bernhardt, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 103, Rn. 30. 79 So auch: Szasz, in: AJIL 96 (2002), 901 (905); anders dagegen in der späteren Anhörung des Sicherheitsrats, in welcher beispielsweise der russische Vertreter mit den Worten zitiert wird: „Council resolution 1373 (2001) was undoubtedly a major historic document. Far from being only a declaratory appeal, it had obligated all States to lead a decisive struggle against terrorism, for as long as it took, and by all necessary means (U.N. Doc. SC / 7276 vom 18. Januar 2002). 80 Nach vorheriger Absprache der Vereinigten Staaten mit den übrigen ständigen Ratsmitgliedern, vgl.: Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (171). 81 s.: Brotóns, RevEspDI 53 (2001), 125 (161). 82 Oben, I. 83 s. z. B.: „Resolution 1368 soll Unterstützung decken“, in: FAZ vom 7. Januar 2001, S. 4. 84 Dies zwar nicht expressis verbis, doch ist diese Wertung in der ausdrücklichen Anerkennung des Rechts auf Selbstverteidigung implizit enthalten, da Art. 51 UN-Charta einen bewaffneten Angriff tatbestandlich voraussetzt. Inkonsequent ist insoweit jedoch, dass der Rat in beiden Resolutionen hinsichtlich Art. 39 UN-Charta nicht mehr von einem bewaffnetem Angriff, sondern von einer Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit spricht. Diese und andere Widersprüchlickeiten sind Ausdruck davon, dass der Rat offen-

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erstmalig die Voraussetzungen des Art. 39 UN-Charta auf der Grundlage terroristischer Akte als gegeben angesehen. Bereits in den siebziger Jahren verurteilte der Sicherheitsrat mehrfach die Begehung terroristischer Akte und verlieh seiner Sorge über deren Zunahme Ausdruck, ohne freilich hierbei konkrete Feststellungen zu Art. 39 der Charta zu treffen.85 Einen Schritt weiter ging der Rat in seiner Handhabung des Attentats auf ein amerikanisches Flugzeug über der schottischen Ortschaft Lockerbie im Jahr 1992. Nachdem er Libyen vergeblich aufgefordert hatte, die beiden der Begehung des Bombenanschlags verdächtigen Staatsangehörigen auszuliefern86, wertete der Sicherheitsrat die Nichtbefolgung seines zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus getroffenen Beschlusses als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit und verhängte Zwangsmaßnahmen gegen das Land auf der Grundlage von Kapitel VII.87 Schließlich gibt es aus der Zeit vor dem 11. September 2001 eine in der öffentlichen Debatte zuweilen vergessene Sicherheitsratspraxis zu Afghanistan selbst. Bereits 1998 hatte der Rat das de-facto-Regime der Taliban aufgefordert, internationalen Terroristen weder Zuflucht noch Ausbildung zu gewähren und bei der strafrechtlichen Verfolgung Verdächtiger zu kooperieren.88 Ein knappes Jahr später verhängte der Rat ein Luftverkehrs-, Finanz- und Waffenembargo mit der Begründung, die Nichtbefolgung dieser Anordnungen erfülle den Tatbestand der Friedensbedrohung gemäß Art. 39 UN-Charta.89 Das wirkliche Novum von Resolution 1373 ist vielmehr der Umstand, dass der Sicherheitsrat ein Phänomen als solches als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationalen Sicherheit klassifiziert. Eine vergleichbare Praxis zu Art. 39 UN-Charta gab es bis dahin auch außerhalb der Terrorismusbekämpfung nicht. Ebensowenig kann die jüngste Praxis als bloße Fortsetzung der extensiven Interpretation von Art. 39 UN-Charta aufgefasst werden, wie sie der Rat vor allem zu Somalia90 und Haiti91 entwickelt hat. Bei aller Großzügigkeit der Auslegung des nach Art. 39 UN-Charta erforderlichen internationalen Bezuges der Vorkommnisse orientierte sich der Rat in diesen Fällen stets an einem konkreten Gefahrenbegriff. Dagegen wertete der Rat in Resolution 1373 das Phänomen des Terrorismus losgelöst von jedem konkreten Bezug als Friedensbedrohung und legte damit erstmals sichtlich zwischen dem Wunsch, die Dinge in seiner Verantwortung zu belassen, und der Einsicht, sich nicht gegen unilaterales Handeln der Vereinigten Staaten sperren zu können, hin und her gerissen war (Cassese, in: EJIL 12 [2001], 993 [996]). 85 Vgl.: Bailey, in: IntRel 11 (1992 / 93), 533. 86 Resolution 731 (1992) vom 21. Januar 1992 (U.N. Doc. S / RES / 731 [1992]). 87 Resolution 748 vom 31. März 1992 (U.N. Doc. S / RES / 748 [1992]). 88 Resolution 1214 vom 8. Dezember 1998 (U.N. Doc. S / RES / 1214 [1998]). 89 Resolution 1267 vom 15. Oktober 1999 (U.N. Doc. S / RES / 1267 [1999], Präambel, Absatz 8, sowie Resolution 1333 vom 19. Dezember 2000 (U.N. Doc. S / RES / 1333 [2000]), Präambel, Absatz 14. 90 Resolution 794 vom 3. Dezember 1992 (U.N. Doc. S / RES / 792 [1992]). 91 Resolution 940 vom 31. Juli 1994 (U.N. Doc. S / RES / 940 [1994]).

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Teil 2: Erscheinungsformen

ein abstraktes Gefahrenverständnis bei der Auslegung von Art. 39 UN-Charta zu Grunde. Dieses neue Verständnis des Gefahrenbegriffs bedeutet nicht nur einen qualitativen Sprung auf der Tatbestandsebene des Art. 39 UN-Charta, sondern hat auch auf der Rechtsfolgenseite zu Maßnahmen des Sicherheitsrats geführt, die aufgrund ihres echten legislativen Charakters ohne Präzedenzfall sind. Wie bereits gezeigt wurde92, richteten sich die vom Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII UNCharta getroffenen Zwangsmaßnahmen bislang entweder an einen bestimmten Adressaten93 oder aber, wie im Fall der Verhängung eines Embargos, an einen unbestimmten Adressatenkreis, wobei sie dann jedoch niemals Verpflichtungen enthielten, die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen Geltung beanspruchten.94 Etwas anderes gilt für den in Resolution 1373 beschlossenen Regelkatalog. Gleich einer internationalen Konvention bindet er alle Staaten hinsichtlich der beschlossenen Maßnahmen ohne jeden länderspezifischen, zeitlichen oder sonstigen Bezug und erledigt sich folglich nicht etwa durch Beseitigung des auslösenden Problems in Afghanistan.95 Ebenso wenig wird der Sicherheitsrat die beschlossenen Maßnahmen aufheben, solange das Problem des internationalen Terrorismus als solches fortbesteht, und etwas anderes ist nicht abzusehen. Damit hat der Sicherheitsrat erstmals einen Beschluss gefasst, der aufgrund seiner abstrakt-generellen Natur die Merkmale eines echten legislativen Aktes trägt.96

2. Die Feststellung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden nach Art. 39 UN-Charta Der Sicherheitsrat hat in Resolution 1373 ausdrücklich eine Friedensbedrohung im Sinne von Art. 39 UN-Charta festgestellt sowie auf Kapitel VII der Charta als Rechtsgrundlage seines Handelns verwiesen. Wegen des engen funktionalen Zusammenhangs ist zu fordern, dass die auf der Rechtsfolgenseite beschlossenen Maßnahmen der Art der festgestellten Friedensbedrohung entsprechen. Der SicherOben, I. Beispielsweise an die Taliban, sich den Terrorismus fördernder Handlungen zu enthalten, vgl.: Resolution 1214 vom 8. Dezember 1998, U.N. Doc. S / RES / 1214 (1998). 94 Beispielsweise das hiernach verhängte und alle übrigen Staaten bindende Embargo gegen Afghanistan, vgl.: Resolution 1267 vom 15. Oktober 1999, U.N. Doc. S / RES / 1267 (1999) sowie Resolution 1333 vom 19. Dezember 2000, U.N. Doc. S / RES / 1333 (2000). 95 Vgl.: Condorelli, in: RGDIP 105 (2001), 829 (834): Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (171 f.); Dicke, in: VN 5 / 2001, 163. 96 Diese Erkenntnis beginnt sich nunmehr auch in der Literatur durchzusetzen, dazu: Aston, in: ZaöRV 62 (2002), 257 ff.; vgl. ferner: Condorelli, in: RGDIP 105 (2001), 829 (834 f.); Brotóns, in: RevEspDI 53 (2001), 125 (160 ff.); Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (171 f.); Dicke, in: VN 5 / 2001, 163; Sandoz, in: SchwZIER 12 (2002), 319 (330); Szasz, in: AJIL 96 (2002), 901; Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101 (118 ff.); Stromseth, in: ASIL Proc. 97 (2003), 41 (41 und 43). 92 93

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heitsrat hat deshalb zu Recht die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 39 UN-Charta nicht auf die Ereignisse des 11. September 2001 beschränkt, sondern den internationalen Terrorismus als solchen als Friedensbedrohung klassifiziert. Auf diese Weise hat er sichergestellt, dass die generell-abstrakten Regeln auf der Rechtsfolgenseite der Art der festgestellten Friedensbedrohung entsprachen.97 Eine andere Frage ist, ob er zu einer solchen abstrakten Feststellung überhaupt befugt war. Das Problem stellt sich jedoch nur dann, wenn der Entscheidungsspielraum des Sicherheitsrats bei der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 39 UN-Charta überhaupt rechtlich begrenzt ist. Dies ist vorab zu klären. Hiervon ausgehend ist sodann zu prüfen, ob die Feststellung in Resolution 1373 im konkreten Fall von Art. 39 UN-Charta gedeckt ist. Entsprechend des Tatbestands dieser Norm ist zu differenzieren: Zum einen müsste der internationale Terrorismus vom Begriff der Friedensbedrohung im Sinne von Art. 39 UN-Charta thematisch erfasst sein. Zum anderen müsste dem Begriff der Bedrohung auch eine abstrakte Dimension immanent sein, die es dem Sicherheitsrat erlaubt, ein Phänomen als allgemeine Bedrohung für den Weltfrieden einzustufen. a) Zur autoritativen Interpretation von Kapitel VII durch den Sicherheitsrat „Um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten“, so heißt es in Art. 24 Abs. 1 UN-Charta, haben die Mitglieder der Vereinten Nationen die Wahrung des Weltfriedens in die „Hauptverantwortung“ des Sicherheitsrats gelegt. Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm ergibt, vertrauten die Gründungsmitglieder auf die politischen „Checks and Balances“, die den Entscheidungsprozess des Sicherheitsrats besonders im Hinblick auf das Vetorecht der ständigen Mitglieder ausmachen, um ein hohes Maß an Effektivität, Unverzüglichkeit und Aussicht auf eine politisch angemessene, aber auch von der Gesamtheit der wichtigsten Akteure getragenen Reaktion zu erreichen.98 Dem ist bezüglich der Einschätzungsprärogative des Sicherheitsrats gegenüber anderen Organen der Vereinten Nationen Rechnung zu tragen.99 Es besteht deshalb Einigkeit, dass dem Sicherheitsrat bei der tatsächlichen und rechtlichen Bewertung der Ereignisse im Hinblick auf Art. 39 UN-Charta ein erheblicher tatsächlicher und rechtlicher Bewertungsspielraum zukommt, der von vornherein nur einer eingeschränkten Rechtskontrolle durch Dritte unterliegen kann.

97

Zu dieser spiegelbildlichen Beziehung: Herdegen, in: FS Bernhardt, 103 (103 sowie

107). 98 Vgl.: Delbrück, in: Simma, UN-Charta, zu Art. 24, Rn. 1 ff.; Herdegen, in: VanderbiltJTL 27 (1994), 135 (154). 99 Vgl.: Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (16 f.).

6 Aston

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Teil 2: Erscheinungsformen

Entgegen einer gewichtigen Ansicht in der Literatur100 kann hieraus jedoch nicht geschlossen werden, der Sicherheitsrat unterliege hierbei sogar keinerlei rechtlichen Grenzen.101 Zutreffend ist zwar, dass sich aus Art. 25 UN-Charta, in dem sich die Mitgliedstaaten zur Befolgung der Beschlüsse des Sicherheitsrat verpflichten, kein Argument für die Rechtsbindung des Sicherheitsrats herleiten lässt, da sich die Worte „in accordance with the Charter“ systematisch eher auf die Befolgung der Entscheidungen durch die Mitgliedstaaten als auf die Entscheidungen des Rates beziehen dürften, wenngleich dies freilich bestritten ist.102 Gleichwohl ist zu bedenken, dass Art. 39 UN-Charta den Anwendungsbereich für Maßnahmen des Sicherheitsrats eröffnet, die für alle Staaten rechtsverbindlich sind. Dagegen haben die übrigen Organe, insbesondere die Generalversammlung und der Wirtschafts- und Sozialrat, keine Befugnis zum Erlass von im Außenverhältnis rechtsverbindlichen Beschlüssen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Diese Entscheidung, von den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen zur Wahrung ihrer Souveränität bewusst getroffen, würde umgangen, könnte der Sicherheitsrat auf sämtlichen Politikfeldern mit dem rechtsverbindlichen Instrumentarium von Kapitel VII und damit gegen den souveränen Willen der einzelnen Staaten Recht setzen. Zudem darf der Sicherheitsrat gemäß Art. 24 Abs. 2 Satz 1 UN-Charta von seinen Befugnissen nur im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der 100 Jonathan, in: Cot / Pellet, Charte des Nations Unies, S. 651; Reisman, in: AJIL 87 (1993), 83 (93 f.); Lapidoth, in: AVR 30 (1992), 114 (115); Rambaud, in: RGDIP 80 (1976), 835 (846); Bindschedler, in: RdC 108 (1963 – I), 307 (386); Kelsen, Law of the United Nations, S. 294 f.; wohl auch: Fenwick, in: AJIL 61 (1967), 753 (755). 101 So zu Recht: Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (269 ff.); Bothe, in: R.-J. Dupuy, Développement du rôle du Conseil de Sécurité, 67 (70); Graefrath, in: EJIL 4 (1993), 184 (186 f. und 205); Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 207; Fraas, Sicherheitsrat und IGH, S. 74; Herbst, Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 292 ff.; Zemanek, in: Yapko / Boumedra, FS Bedjaoui, 629 ff.; Elaraby, in: FS Eitel, 41 (67); auch Matthias Herdegen weist darauf hin, dass Kelsens quasi-absolutistisches Verständnis der Rolle des Sicherheitsrats kaum mehr haltbar sei; vgl. Herdegen, in: VanderbiltJTL 27 (1994), 135 (156); Martti Koskenniemi fragt in diesem Zusammenhang: „Is it in the position of the Hobbesian sovereign, for whom there can happen no breach of Covenant between himself and his subjects because there is no such Covenant at all?“, in: „The Police in the Temple – Order, Justice and the UN: A Dialectical View“, in: EJIL 6 (1995), 325 (326). 102 Zu den Unklarheiten vgl.: Delbrück, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 24, Rn. 17 f.; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 129; Dicke / Rengeling, Sicherung des Weltfriedens durch die Vereinten Nationen, S. 68 f.; vgl. auch die (freilich nicht verbindliche) deutsche Übersetzung von Art. 25: „Die Mitglieder der Vereinten Nationen kommen überein, die Beschlüsse des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzuführen.“ So heißt es auch im Lockerbie-Beschluss des IGH: „Whereas both Libya and the United Kingdom, as members of the United Nations, are obliged to carry out the decisions of the Security Council in accordance with Article 25 of the Charter ( . . . )“ (Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyen . / . Vereinigtes Königreich), Provisional Measures, ICJ Reports 1992, 3 (15, § 34).

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Charta Gebrauch machen.103 Das siebte Kapitel der Charta ist hiervon gemäß Art. 24 Abs. 2 S. 2 UN-Charta nicht ausgenommen. Einer dieser Grundsätze, auf dem die Vereinten Nationen gemäß Art. 2 Abs. 1 UN-Charta basieren, ist derjenige der souveränen Gleichheit der Staaten. Die Annahme einer Delegation unbegrenzter Machtbefugnisse an den Sicherheitsrat durch die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wäre damit schwerlich vereinbar.104 Zwar wird gemäß Art. 2 Abs. 7 Halbsatz 2 das an die Vereinten Nationen gerichtete Interventionsverbot systematisch durch Kapitel VII der Charta eingeschränkt. Dieses Spannungsverhältnis kann aber nicht völlig einseitig zu Gunsten der Annahme eines rechtlich unbegrenzten Handlungsspielraums des Sicherheitsrats aufgelöst werden.105 Diese Ansicht wird gestützt durch das Urteil der Berufungskammer des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien im Fall Tadicˇ106, dem das Ruanda-Tribunal im Fall Kanyabashi gefolgt ist107. Die Richter entschieden sich gegen den „Gang in die Arbeitslosigkeit“ und erklärten die Errichtung des Jugoslawien-Tribunals durch den Sicherheitsrat für völkerrechtskonform. Begründet wurde dies jedoch nicht etwa mit einem unbegrenzten Handlungsspielraum des Sicherheitsrates. Die Kammer äußerte im Fall Tadicˇ im Gegenteil die Auffassung, das Ermessen des Sicherheitsrates im Rahmen von Art. 39 UN-Charta sei zwar weit, stoße jedoch auf Grenzen.108 Bemerkenswert ist auch, wie dezidiert sich die Berufungskammer auf der Rechtsfolgenseite mit der Frage auseinander setzte, ob Art. 41 UN-Charta eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Errichtung des Tri103 Kaum mit dem Wortlaut und der Praxis des Rates vereinbar und damit zu Recht von der Literatur kritisert worden ist die kunstfertige Unterscheidung des IGH in seinem Namibia-Gutachten, wo es heißt: „The reference in paragraph 2 of this Article [24] to specific powers of the Security Council under certain chapters of the Charter does not exclude the existence of general powers to discharge the responsibilities conferred in paragraph 1.“ (Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia [South West Africa]) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), advisory opinion of 21 June 1971, ICJ Rep. 1971, 16 (52, § 110), vgl. dazu: Frowein, in: Simma, UNCharta, zu Art. 39, Rn. 28; ders., in: ZaöRV 36 (1976), 147 (164 f.); Bothe, in: R.-J. Dupuy, Développement du rôle du Conseil de Sécurité, 67 (71); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (333). 104 Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (270). 105 Vgl.: Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (271); s. a.: P.-M. Dupuy, in: RGDIP 97 (1993), 617 (623 f.). 106 The Prosecutor v. Dusko Tadicˇ, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), in: 35 ILM (1996), 32 ff. 107 The Prosecutor v. Joseph Kanyabashi, Urteil vom 18. Juni 1997, Case No. ICTR-96-15-T (Trial Chamber, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction). 108 Tadicˇ-Urteil, 35 ILM (1996), 32 ff. (42, § 28). Da die offene militärische Auseinandersetzung im ehemaligen Jugoslawien keinen Zweifel an der Friedensbedrohung ließ, musste die Kammer sich aber nicht eingehender mit Art. 39 UN-Charta beschäftigen (vgl. ebda., 42 f., §§ 28 – 30).

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bunals bot.109 Dies hätte sie nicht getan, wäre sie von einem rechtlich unbeschränkten Handlungsspielraum des Rates ausgegangen. Aus der bisherigen Zurückhaltung des Internationalen Gerichtshofs in dieser Frage ist nichts Gegenteiliges herzuleiten. Im System der Rechtskontrolle der Vereinten Nationen ist eine auf primären Rechtsschutz zielende Anfechtungsklage eines Staates gegen eine Rechtshandlung des Sicherheitsrats nicht zulässig. Dort, wo eine inzidente Rechtskontrolle möglich gewesen wäre, sah der Gerichtshof aufgrund des besonderen Verfahrensstadiums allein keine Veranlassung, dies zu tun.110 Es wäre deshalb verfehlt, allein aus der Zurückhaltung des Gerichtshofs den Schluss zu ziehen, er ginge von einem unbegrenzten Handlungsspielraum des Sicherheitsrats aus. Die Frage der rechtlichen Grenzen und die Frage der Möglichkeit ihrer gerichtlichen Überprüfbarkeit sind im Übrigen zwei verschiedene Dinge.111 Schließlich gibt auch die Praxis Hinweise darauf, dass die Staaten – einschließlich der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats – nicht von einem rechtlich unbegrenzten Handlungsspielraum des Sicherheitsrats im Bereich von Kapitel VII ausgehen, wie etwa die UN-interne Debatte über die Errichtung des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien zeigt.112 Ist aus diesen Gründen davon auszugehen, dass der Sicherheitsrat bei seinen Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta trotz eines ganz erheblichen Ermessensspielraums nicht über dem Recht steht113, so ist damit jedoch noch nicht beantwortet, worin genau die rechtlichen Grenzen seines Handelns bestehen. Im Schrifttum findet sich zuweilen der bloße Hinweis auf den weiten Ermessensspielraum des Rates einerseits und das Erfordernis der Beachtung der Ziele und Grundsätze der

Tadicˇ-Urteil , ebda., S. 44 ff., §§ 32 ff. Unter Hinweis auf das Verfahrensstadium des einstweiligen Rechtsschutzes vermied es der Gerichtshof insbesondere in den Sachen Lockerbie und Bosnien-Herzegowina, die streitgegenständlichen Sicherheitsratsresolutionen auf ihre Rechtsmäßigkeit hin zu überprüfen, vgl. Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyen . / . Vereinigtes Königreich), Provisional Measures, ICJ Reports 1992, 3 (15, § 40); Case Concering Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnien-Herzegowina . / . Jugoslawien [Serbien und Montenegro]), order of 8 April 1993, ICJ Reports 1992, 3 (18 f., §§ 33 – 35)). 111 So zutreffend: Dicke / Rengeling, Sicherung des Weltfriedens, S. 69; Bothe, in: R.-J. Dupuy, Développement du rôle du Conseil de Sécurité, 67 (70). 112 Vgl. z. B. die Erklärung des chinesischen Delegierten LI Zhaoxing, in: Provisional Verbatim Record of the 3217th Meeting vom 25. Mai 1993 (U.N. Doc. S / PV.3217) oder dieErklärung des brasilianischen Delgierten Sardenberg, in: Provisional Verbatim Record of the 3175th Meeting (ebda.); wie sich aus dem „Statement of the Delegation of Mexico on the Occasion of the Election of Judges of the International Tribunal for the Former Yugoslavia“ vom 14. 3. 2001, das dem Autor vorliegt, ergibt, weigert sich Mexiko weiterhin unter Hinweis auf die mangelnde Rechtmäßigkeit der Errichtung des Tribunals, an den Wahlen der Richter durch die Generalversammlung teilzunehmen (ohne dabei jedoch seine Beitragszahlung einzustellen). 113 So i. E. auch: Elaraby, in: FS Eitel, 41 (67). 109 110

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Charta andererseits.114 Damit ist jedoch nichts gewonnen. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Beschlusses des Sicherheitsrats kann methodisch nicht von der Einhaltung der Ziele und Grundsätze der Charta oder von einem generell weiten Ermessensspielraum ausgehen, sondern muss im Einklang mit Art. 31 ff. der Wiener Vertragsrechtskonvention den Normtext der Ermächtigungsgrundlage zum Ausgangspunkt einer den anerkannten Regeln folgenden Auslegung haben. Im Rahmen einer solchen Auslegung sind dann aber zwei Aspekte ganz maßgeblich zu berücksichtigen. Dies ist erstens der Umstand, dass der Sicherheitsrat als Adressat der Ermächtigungsnormen des VII. Kapitels der Charta und als dasjenige Organ, dem die Mitgliedstaaten gemäß Art. 24 Abs. 1 der Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen haben, über eine Befugnis zur autoritativen Konkretisierung des VII. Kapitels verfügt.115 Diese Konkretisierungsbefugnis bezieht sich vor allem auf den offenen Tatbestand der Friedensbedrohung in Art. 39 UN-Charta. Gekoppelt mit dem weitreichenden Handlungsermessen aus Art. 41 und 42 UN-Charta erwächst hieraus eine besondere Dynamik für die Machtbefugnisse des Rates. Dabei teilt sich diese Konkretisierungsbefugnis in zwei Komponenten, und zwar in eine normbezogene oder interpretative Konkretisierungsbefugnis hinsichtlich der Tatbestandselemente der Ermächtigungsnormen, die zu einem Auslegungsvorrang des Rates führt, und in eine sachverhaltsbezogene Konkretisierungs- oder Einschätzungsprärogative, bei der es um die Würdigung eines unter Umständen komplexen tatsächlichen Geschehens im Hinblick auf Unsicherheiten bei der Tatsachenfeststellung oder bei Zukunftsprognosen geht. Bei der sachverhaltsbezogenen Konkretisierungsbefugnis steht vor allem das umstrittene Verhältnis zwischen dem Rat und dem Internationalen Gerichtshof im Vordergrund. Auch kann sie Bedeutung erlangen für bereits getroffene Maßnahmen des Rates. Dagegen wirft die normbezogene Konkretisierungsbefugnis weitaus schwierigere Fragen der Einordnung zwischen herkömmlich Methoden der Vertragsauslegung, wie sie oben angeklungen sind, einerseits und der Rechtsfortbildung durch politische Organe andererseits auf.116 Dieser letzte Aspekt der Rechtsfortbildung durch politische Organe leitet unmittelbar über zu dem zweiten wichtigen Aspekt, der bei der Auslegung des VII. Kapitels der Charta zu beachten ist. Ob man die Charta der UN als Verfassung (der Staatengemeinschaft) bezeichnen mag oder nicht117, sie weist zweifellos CharakDazu: Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 186 ff. Eingehend dazu: Herdegen, in: FS Bernhardt, 103 ff.; Malone, in: ILP 35 (2003), 487 ff. 116 Herdegen, in: FS Bernhardt, 103 (109); s. a.: Eitel, in: MPYbUNLaw 4 (2000), 52 (60 ff.). 117 s. Franck, in: FS Tono Eitel, 95 ff.; Tomuschat in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (252 ff.); Frowein, in: RdC 248 (1994 – IV), 345 (355 ff.); Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (262); P.-M. Dupuy, in: RdC 297 (2002), 9 (215 ff.) m. w. N. 114 115

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tereigenschaften auf, die sie in die Nähe einer Verfassung im herkömmlichen Sinn bringen, die sie jedenfalls aber gegenüber allen sonstigen völkerrechtlichen Vertragswerken einzigartig erscheinen lässt und hervorhebt. Dieser verfassungsähnliche Charakter führt dazu, dass die Charta nicht als toter Text, sondern als lebendes Dokument verstanden werden muss, oder, wie Thomas Franck es ausdrückt, als „living tree“.118 Für die Auslegung der Ermächtigungsnormen in Kapitel VII bedeutet dies wiederum, dass die nachfolgende Akzeptanz einer Rechtshandlung des Sicherheitsrats durch die UN-Mitgliedstaaten insbesondere dann wichtige Bedeutung erlangt, wenn in dem beschriebenen Prozess zwischen Vertragsauslegung und Rechtsfortbildung die Grenze zur Rechtsfortbildung durch den Rat überschritten wird. In einem solchen Fall der nachträglichen Akzeptanz durch die Mitgliedstaaten lässt sich die dynamische Konkretisierung durch den Rat mit der nachfolgenden Praxis der Vertragsstaaten im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) der Wiener Vertragsrechtskonvention gleichsetzen und ist entsprechend bei der Auslegung zu berücksichtigen.119 Da diese Grenze zwischen Vertragsauslegung und Rechtsfortbildung aber fließend ist, lässt sich sagen, dass die Bedeutung der nachfolgenden Akzeptanz der Mitgliedstaaten umso größer wird, je weiter sich der Rat bei der Normkonkretisierung vom Wortlaut der Ermächtigungsnorm entfernt. Dabei ist jedoch die mangelnde repräsentative Zusammensetzung des Rates gemäß Art. 23 UN-Charta mit seinen nur 15 von derzeit 191 UN-Mitgliedern zu berücksichtigen ebenso wie der Umstand, dass gemäß Art. 27 Abs. 3 UN-Charta Entscheidungen in der Sache bereits mit einer Mehrheit von neun Staaten getroffen werden können. Aus diesem Grund sind Rückschlüsse von einer Entscheidung des Rates auf den Konsens der übrigen Mitglieder nur mit Vorsicht zu ziehen. Andererseits darf man keine zu hohen Anforderungen an diese Akzeptanz stellen, insbesondere ist eine auch stillschweigende Zustimmung grundsätzlich ausreichend. Aufschlussreich ist im Übrigen auch das Abstimmungsergebnis im Rat selbst. War die Verabschiedung ratsintern umstritten, so kann auch die Befolgung der Resolution durch die übrigen Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres als nachträglich Akzeptanz der Vorgehensweise des Rates gewertet werden, da die Mitgliedstaaten gemäß Art. 25 beziehungsweise 48 UN-Charta einer Rechtspflicht zur Befolgung der verbindlichen Entscheidungen des Sicherheitsrats unterliegen, hinter die ihre womöglich abweichende Rechtsauffassung zurückzutreten hat.120 Erging der Beschluss dagegen einstimmig und regte sich im Anschluss keine grundsätzliche Opposition unter den übrigen Mitgliedstaaten, so kann dies als starkes Indiz für 118 Franck, in: FS Tono Eitel, 95 (102); ihm folgend: Malone, in: ILP 35 (2003), 487 ff.; s. ferner: Fassbender, in: ColJTL 36 (1998), 529 (594 f.); Schrijvers, in: NILR 47 (2001), 271 (285) 119 Herdegen, in: FS Bernhardt, 103 (112); s. ferner mit Bezug auf Art. 39 UN-Charta: Ipsen, in: UN 2 / 1992, 41 (42). 120 Herdegen, in: FS Bernhardt, 103 (113).

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einen Konsens im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens gewertet werden. b) Internationaler Terrorismus und der Friedensbegriff des Art. 39 Der Begriff des internationalen Friedens in Art. 39 UN-Charta ist zentral für die Begrenzung der sachlichen Zuständigkeit des Sicherheitsrats.121 Es ist daher wesentlich für die Rechtmäßigkeit von Resolution 1373, soweit sie Gegenstand der Untersuchung ist, dass der Friedensbegriff dieser Vorschrift den internationalen Terrorismus thematisch erfasst. Nur in diesem Fall hätte sich der Rat mit diesem Phänomen als solchem nach Kapitel VII befassen dürfen. Es ist allerdings unklar, welcher Friedensbegriff Art. 39 UN-Charta zu Grunde liegt. Hierunter zu subsumieren ist jedenfalls die Abwesenheit bewaffneter Gewalt in den internationalen Beziehungen.122 Es fragt sich aber, ob Art. 39 UN-Charta neben diesem sogenannten engen (oder negativen) Friedensbegriff auch einen weiten (oder positiven) Friedensbegriff birgt, der auf die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen, sozio-kulturellen, humanitären und ökologischen Voraussetzungen für das konfliktfreie Zusammenleben der Völker abstellt.123 Anders ausgedrückt lautet die Frage, ob Art. 39 UN-Charta allein eine „dimension sécuritaire“ oder aber auch eine „dimension structurelle“ hat.124 In die Richtung einer auch ordnungspolitischen Dimension scheint die Abschlusserklärung des Präsidenten des erstmals auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs tagenden Sicherheitsrats vom 31. 1. 1992 zu deuten, wo es heißt: „Die Abwesenheit von Krieg und militärischen Konflikten zwischen den Staaten garantiert für sich allein noch nicht den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die nichtmilitärischen Ursachen von Instabilität im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich sind zu Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit geworden.“125

Es ist aber fraglich, ob mit dieser Erklärung tatsächlich eine Stellungnahme zur Reichweite der Kompetenzen des Sicherheitsrates und damit zum Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta beabsichtigt war. Der weitere Teil der Erklärung spricht doch erheblich dafür, dass es sich eher um einen an die Vereinten Nationen insgesamt gerichteten politischen Appell gehandelt hat.126 So heißt es dort im Folgenden: So zu Recht: Szasz, in: AJIL 96 (2002), 901 (904). Frowein / Krisch, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 39, Rn. 6; Herdegen, in: FS Bernhardt, 103 (113). 123 Vgl. hierzu: Randelzhofer, in: Delbrück, Völkerrecht und Kriegsverhütung, S. 13 ff. 124 P.-M. Dupuy, in: RGDIP 97 (1993), 617 (623). 125 U.N. Doc. S / 23500, deutsche Übersetzung in: VN 2 / 1992, 66. 126 So auch: Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 225; Ipsen, in: VN 2 / 1992, 41 (42). 121 122

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Teil 2: Erscheinungsformen „Die Mitglieder der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit müssen der Lösung dieser Angelegenheiten höchste Priorität beimessen und dabei unter Einschaltung der zuständigen Gremien vorgehen.“127

Gegen eine zu weite Auslegung des Friedensbegriffs sprechen ähnliche Argumente, wie sie bereits zu Gunsten der Annahme eines äußeren rechtlichen Rahmens der Einschätzungsprärogative des Sicherheitsrats nach Art. 39 UN-Charta vorgebracht wurden.128 Sie würde insbesondere dazu führen, dass der Sicherheitsrat alle denkbaren Hintergrundursachen bewaffneter Gewalt (Armut, Unterdrückung, Begrenztheit natürlicher Ressourcen und so fort), deren Bekämpfung in den Zuständigkeitsbereich anderer Organe der Vereinten Nationen fallen, regeln könnte. Zu diesem Zweck könnte er auf der Grundlage von Kapitel VII rechtsverbindliche Beschlüsse treffen, wie sie für die übrigen Organe nicht vorgesehen sind. Würde er zudem die in Resolution 1373 begonnene Praxis echter legislativer Maßnahmen auch auf diese Bereiche übertragen können, so wäre er der allzuständige Weltgesetzgeber, der er wegen seiner begrenzten Mitgliederzahl und des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten aus Art. 2 Abs. 1 UN-Charta nicht sein kann.129 Die Frage kann an dieser Stelle jedoch letztlich offenbleiben. Zunächst kann es keinen Zweifel daran geben, dass die Ereignisse von New York, Washington D.C. und Pennsylvania die tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 39 UN-Charta erfüllen. Selbst bei einem engen Verständnis des Begriffs des Friedens im Sinne einer bloßen Abwesenheit bewaffneter Gewalt haben sie den Weltfrieden nicht nur bedroht, ihn als bewaffneten Angriff im Sinne auch des Art. 51 UN-Charta130 gar gebrochen. Die Flugzeuge sind als Waffen zweckentfremdet worden mit Folgen, die einem schweren bewaffneten Angriff konventioneller Art mindestens gleichkamen. Auch an der internationalen Dimension der Friedensbedrohung kann nicht gezweifelt werden. Unerheblich ist hierbei, dass der Anschlag allem Anschein nach auf das Konto nicht-staatlicher Akteure geht131, zumal sich der Angriff gezielt gegen einen Staat richtete und einen bewaffneten zwischenstaatlichen Konflikt erheblichen Ausmaßes nach sich zog. Unklar bleibt allein, warum der SicherU.N. Doc. S / 23500. Vgl. oben, 2. 129 Wie hier im Ergebnis auch die überwiegende Meinung im Schrifttum; vgl.: Frowein, in: Simma, UN-Charta, zu Art. 39, Rn. 6; Bothe, in: R.-J. Dupuy, Développement du rôle du Conseil de Sécurité, 67 (72); Randelzhofer, in: Delbrück, Völkerrecht und Kriegsverhütung, 13 (33 und 36); Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 22 ff.; wohl auch: P.-M. Dupuy, in: RGDIP 97 (1993), 617 (623 f.); vgl. aber auch: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (336). 130 Vgl.: Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (540); Bruha / Bortfeld, in: VN 5 / 2001, 161 (162 ff.). 131 Insbesondere kann dem nicht die anderslautende Aggressionsdefinition (GV-Res. 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974) entgegengehalten werden, vgl. mit zutreffender Begründung: Bruha / Bortfeld, ebda., S. 165. 127 128

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heitsrat einerseits und wohl zu Recht das Selbstverteidigungsrecht anerkennt, andererseits aber nur von einer Friedensbedrohung und nicht von einem bewaffnetem Angriff spricht, obwohl dieser gemäß Art. 51 UN-Charta Voraussetzung für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ist. Hierdurch hat er das diffizile System von Gewalt und zulässiger Gegengewalt von Kapitel VII durcheinander gebracht und deshalb berechtigte Kritik hervorgerufen.132 Auch die zweite, von den konkreten Ereignissen völlig losgelöste Feststellung des Sicherheitsrats, „any act of terrorism“ bedrohe den Weltfrieden, steht noch im Einklang mit einem eng verstandenen Begriff des Friedens. Der maßgebliche Gesichtspunkt ist hierbei, dass der Rat gerade nicht allgemeine politische, wirtschaftliche oder sozio-kulturelle Ursachen des Terrorismus als Friedensbedrohung eingestuft hat, um sich zu ihrer Bekämpfung den Maßnahmenkanon des siebten Kapitels zu erschließen.133 Wenn der Sicherheitsrat in Resolution 1373 insbesondere die Finanzierung terroristischer Aktivitäten bekämpfen will, so macht er nicht allgemeine wirtschaftliche Prozesse zum Gegenstand seiner Resolution, sondern allein solche, die in direktem Bezug zum Terrorismus stehen. Anderenfalls wäre der oben beschriebene Konfliktfall mit den Zuständigkeiten anderer Organe der Vereinten Nationen eingetreten und der Sicherheitsrat hätte sich zum Garanten eines positiven Friedens aufgeschwungen, der er aus den oben erläuterten Gründen nicht ist. Statt dessen aber beschränkt sich die Feststellung der Friedensbedrohung durch den Sicherheitsrat auf ein Symptom, das – anders als seine Wurzeln – per definitionem (so man im Zusammenhang mit dem Terrorismus von Definition sprechen kann) eine Ausübung bewaffneter Gewalt darstellt.134 Selbst wenn man den Begriff des Friedens eng im Sinne einer bloßen Abwesenheit bewaffneter Gewalt versteht, so fällt aus diesen Gründen auch die Abwesenheit terroristischer Anschläge hierunter. c) Der Begriff der Friedensbedrohung Damit ist jedoch noch nicht gesagt, ob der Sicherheitsrat auch befugt war, den internationalen Terrorismus als solchen als Bedrohung des Weltfriedens einzuordnen, um damit den Grundstein für die präventive Bekämpfung dieses Phänomens zu legen. Die Antwort auf diese Frage hängt zunächst davon ab, gegen welche Arten von Störungen der Sicherheitsrat einzuschreiten ermächtigt ist. Zu unter132 Vgl.: Cassese, in: EJIL 12 (2001), 993 (996); Bruha / Bortfeld, ebda., S. 163 f. Zu beachten ist freilich, dass die pauschale Feststellung der Friedensbedrohung in der Praxis des Rates üblich ist, selbst im Fall der irakischen Invasion in Kuwait, die zweifelsohne eine „armed aggression“ darstellte (vgl. SR-Res. 660 vom 2. August 1990, U.N. Doc. S / Res / 660 [1990]). 133 Die Anti-Terror-Kampagne wurde ja auch mit dem Argument kritisiert, sie lasse diese Dinge außer Acht und greife deshalb zu kurz. 134 Vgl. die von Christian Tomuschat zusammengestellten Tatbestandsmerkmale eines terroristischen Aktes, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (538).

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scheiden ist zwischen repressiven und präventiven Befugnissen. Der Wortlaut von Art. 39 UN-Charta ist insoweit eindeutig, als er den Sicherheitsrat nicht nur im Falle eines Bruchs des Weltfriedens, sondern auch bereits im Falle der bloßen Bedrohung zum Einschreiten ermächtigt. Der Sicherheitsrat hat deshalb zweifelsohne auch präventive Befugnisse, die einem Einschreiten gegen eine Bedrohung des Friedens immanent sind.135 Es fragt sich aber, ob diese präventiven Befugnisse so weit reichen, dass der Sicherheitsrat losgelöst von jeglicher konkreter Situation eine Friedensbedrohung allein auf der Grundlage eines bestimmten Phänomens feststellen darf. Die Antwort hängt davon ab, wie der Begriff der Bedrohung des Art. 39 UN-Charta auszulegen ist. Soweit ersichtlich haben sich vor dem 28. September 2001, dem Tag der Verabschiedung von Resolution 1373, nur wenige Autoren mit der vorliegenden Problematik befasst, da die Praxis des Sicherheitsrats hierzu zuvor ja auch keinen Anlass gegeben hatte.136 Seither sind die Beiträge im Schrifttum zwar erkennbar zahlreicher geworden, es ist aber wohl noch zu früh zu sagen, welche Meinung das Schrifttum einnehmen wird, auch wenn sich derzeit wohl eine Mehrheit herausbildet, die das abstrakte Gefahrenverständnis des Sicherheitsrats stützt.137 Auch in der Literatur, die sich allgemein mit Art. 39 UN-Charta befasst, ist das Verständnis des Tatsbestandsmerkmals der Friedensbedrohung umstritten. Ein Teil der Autoren will den Begriff der Friedensbedrohung generell auf konkrete Gefahren begrenzen und nur den unmittelbar bevorstehenden Bruch des Friedens als eine Bedrohung auffassen.138 Da es noch wesentlicher Zwischenschritte der Planung und Ausführung bedarf, bis sich der Terrorismus als abstraktes Phänomen in konkreten Anschlägen manifestiert, kann von einer unmittelbaren Bedrohung im Sinne dieser Auffassung wohl nicht mehr gesprochen werden. Die Befürworter dieses engen Gefahrenbegriffs müssten daher wohl zu dem Schluss gelangen, dass die Feststellung des Sicherheitsrates in Resolution 1373 nicht mehr vom Tatbestand des Art. 39 UN-Charta gedeckt sei.

Frowein / Krisch, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 39, Rn. 6. Für die Zulässigkeit, ein Phänomen per se als Bedrohung des Weltfriedens zu klassifizieren: Tomuschat, in: RdC 241 (1993-IV), 195 (344 ff.); ferner: Müller, in: EA 47 (1992), 51 (54), wobei unklar ist, ob dies nur de lege ferenda gelten soll; skeptisch dagegen: Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (277 f.); eine allgemeine Rechtsetzungskompetenz des Rates ablehndend: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 298 ff. sowie 344. 137 Befürwortend: Aston, in: ZaöRV 62 (2002), 257 (269 ff.); Szasz, in: AJIL 96 (2002), 901 ff.; Cassese, in: EJIL 12 (2001), 993 (999); Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (537, dort Fn. 17); mit Zweifeln: Condorelli, in: RGDIP 105 (2001), 829 (834 f.); Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (171 f.). 138 Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung, S. 64; wohl auch: Randelzhofer, in: Delbrück, Völkerrecht und Kriegsverhütung, 13 (36). 135 136

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Die Mehrheit im Schrifttum will den Begriff der Bedrohung hingegen nicht auf bloße Grenzfälle zum Bruch des Friedens begrenzen. Unter Hinweis auf die bisherige Praxis und das Erfordernis einer effektiven Wahrnehmung seiner Verantwortung zur Wahrung des Weltfriedens wird dem Sicherheitsrat ein höheres Maß präventiver Befugnisse zugebilligt.139 Es ist aber unklar, ob diese Autoren zu dem Ergebnis gelangen würden, dass diese Befugnisse auch die Rechtsmacht zur Bekämpfung bloßer Phänomene umfassen, die allein ihrem Wesen nach – also abstrakt – in nicht absehbarer Zeit zu einem Bruch des Friedens führen könnten. Eine Aussage hierzu ist deshalb schwierig zu treffen, weil die Autoren vor dem Hintergrund der bisherigen Sicherheitsratspraxis in aller Regel von bereits konkretisierten zwischenstaatlichen Streitigkeiten ausgehen, eine Prämisse, die im Rahmen der Bekämpfung einer abstrakten Situation naturgemäß unzutreffend ist. Gegen ein abstraktes Verständnis des Begriffs der Friedensbedrohung in Art. 39 UN-Charta könnte sprechen, dass die Gründer der Vereinten Nationen ein solches, soweit ersichtlich, nicht vor Augen hatten. Entsprechend ist der Katalog zulässiger Maßnahmen der Art. 40 bis 42 UN-Charta in erster Linie auf konkrete Gefahrensituationen zugeschnitten. Ferner zeigt ein systematischer Vergleich mit Kapitel VI, dessen Anwendungsbereich eine Situation voraussetzt, deren bloße Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens zu gefährden, dass die präventive Dimension des Begriffs der Friedensbedrohung in Art. 39 UN-Charta jedenfalls nicht grenzenlos sein kann.140 In diesem Sinne lehnte der Sicherheitsrat im Jahr 1946 die Annahme eines auf polnischer Initiative beruhenden Resolutionsentwurfs ab, wonach die bloße Existenz des Franco-Regimes in Spanien als Bedrohung des Weltfriedens erklärt werden sollte. Der eigens eingerichtete Unterausschuss kam in seinem Bericht an den Rat zu dem Ergebnis, Art. 39 UN-Charta erfasse nur unmittelbar bevorstehende Friedensbedrohungen, weshalb die „spanische Frage“ lediglich als eine Situation im Sinne von Kapitel VI der Charta zu behandeln sei.141 Doch dies allein kann nicht entscheidend sein. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der genetischen Auslegung gemäß Art. 32 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens um einen nur subsidiären Auslegungskanon handelt. Auch ist Art. 41, der die Rechtsgrundlage für nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen bildet, nicht abschließend und lässt mithin keinen Rückschluss auf die Interpretation von Art. 39 UN-Charta zu.

139 Vgl.: Frowein, in: Simma, UN-Charta, zu Art. 39, Rn. 23; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats , S. 237 (m. w. N.). 140 Dazu: Herbst, Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 331; Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 233 ff. Allerdings ist fraglich, ob Kapitel VI der Charta im vorliegenden Zusammenhang angesichts des Fehlens einer konkreten Streitigkeit sinnvoller Weise zur Anwendung gelangen könnte. 141 Report of the Sub-Committee on the Spanish Question, U.N. Doc. S / 75, vom 1. Juni 1946, S. 11 ff. (insbes. 12).

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Den Sicherheitsrat in ein zu enges Korsett des Begriffs der Friedensbedrohung zu zwängen, würde zudem der gebotenen objektiv-teleologischen Betrachtungsweise seiner Befugnisse nicht gerecht. Art. 1 Abs. 1 der Charta erhebt zum Ziel kollektiver Maßnahmen, „Bedrohungen des Friedens zu verhüten“, und Art. 24 Abs. 1 wie auch Art. 39 selbst sprechen von der Aufgabe des Rates zur Wahrung des Weltfriedens. Die Charta birgt folglich eine präventive Dimension der Friedenssicherung142, der eine Auslegung des Begriffs der Friedensbedrohung nicht gerecht würde, die den Sicherheitsrat auf die Rolle einer von Konflikt zu Konflikt eilenden Feuerwehr beschränken würde. Dabei wird nicht verkannt, dass sich mit diesem Argument natürlich vieles begründen lässt. Doch ist zu berücksichtigen, dass anderenfalls nicht nur, aber gerade auch im Bereich des verdeckt operierenden internationalen Terrorismus der Sicherheitsrat seine Aufgabe der Friedenssicherung nicht mehr effektiv wahrnehmen könnte. Ein terroristischer Akt bahnt sich nicht an, wie ein zwischenstaatlicher Konflikt dies tut, auch weil es an offenen und rationalen Handlungsmechanismen fehlt. Es ist zu fragen, ob der Sicherheitsrat auch nach den Ereignissen des 11. September die Hände in den Schoß hätte legen sollen, nur weil der nächste terroristische Akt mangels frühzeitiger Erkennbarkeit nicht unmittelbar genug bevorstand. Zu berücksichtigen ist zudem, was an anderer Stelle zur Frage des rechtlichen Handlungsrahmens des Sicherheitsrats bei Maßnahmen nach Kapitel VII bereits ausgeführt wurde143: Die Charta der Vereinten Nationen ist auf Grund ihres verfassungsähnlichen Charakters ein in besonderem Maße lebendiges Dokument, das der dynamischen Interpretation zugänglich ist.144 So ist es etwa mit Blick auf Art. 39 UN-Charta angesichts des steten gesellschaftlichen und technologischen Fortschritts ausgeschlossen, Art und Weise einer möglichen Friedensbedrohung ein für allemal festzulegen. Dies vermochten die Gründer der Vereinten Nationen ebenso wenig wie wir dies heute können. Der Tatbestand der Friedensbedrohung ist deshalb ein normativ-offener Begriff145 und als Adressat der Ermächtigungsnormen aus Kapitel VII der Charta genießt der Sicherheitsrat hier einen aus Art. 24 Abs. 1 UN-Charta ableitbaren Interpretationsvorrang.146 Es ist nicht ersichtlich, dass der Sicherheitsrat in Resolution 1373 die Grenzen dieser Normkonkretisierungsbefugnis überschritten hat. Hiergegen spricht auch die Reaktion der übrigen UN-Mitgliedstaaten. Abgesehen davon, dass sich alle 15 Mitglieder des Rates bei der Beschlussfassung einig waren, belegt die umfangreiche Anhörung im Sicherheitsrat vom 18. Januar 2002, an der sich auch zahlreiche Frowein / Krisch, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 39, Rn. 6. Oben, 2. 144 Vgl.: Fassbender, in: ColJTL 36 (1998), 529 (594 f.); Schrijvers, in: NILR 47 (2001), 271 (285). 145 Vgl.: Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 246. 146 Ausführlich dazu bereits oben, 2.a) 142 143

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Nichtmitglieder des Rates beteiligten 147, ebenso wie spätere Resolutionen der Generalversammlung148 die allgemeine Akzeptanz von Resolution 1373 und der darin getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Bewertung des Sicherheitsrats.149 Ein weiteres Indiz für das Einverständnis der Mitgliedstaaten mit Resolution 1373 ist außerdem die insgesamt sehr gute Kooperation mit dem durch Resolution 1373 eingesetzten Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus150, der hierdurch unter seinem ersten, mehr auf Kooperation denn auf Konfrontation bedachten Vorsitzenden Sir Jeremy Greenstock, eine weithin als erfolgreich gewürdigte Arbeit leisten konnte.151 Eine bedeutende Erneuerung der Akzeptanz von Resolution 1373 hat es ferner unlängst durch Resolution 1456 vom 20. Januar 2003 gegeben, in welcher der Sicherheitsrat, einstimmig und auf der Ebene der Außenminister tagend, alle Mitgliedstaaten aufforderte, die Verpflichtungen aus Resolution 1373 zu erfüllen.152 Schließlich ist auf die später noch eingehender zu behandelnde Resolution 1540 des Sicherheitsrats vom 28. April 2004 zu verweisen.153 Einstimmig trifft der Rat hier die Feststellung, dass wieder ein abstraktes Phänomen – diesmal die Proliferation von Massenvernichtungswaffen – eine allgemeine Bedrohung für den Weltfrieden im Sinne des Art. 39 UN-Charta darstellt154, um wie zuvor in Resolution 1373 auf der Rechtsfolgenseite einen allgemeinverbindlichen Regelkatalog zu ihrer Bekämpfung zu beschließen. Resolution 1540 kann deshalb als Bestätigung der in Resolution 1373 zu Grunde gelegten Lesart von Art. 39 UNCharta durch den in der Zwischenzeit auf 10 Sitzen veränderten Sicherheitsrat gewertet werden.155 Eine andere Frage ist, ob vor diesem Hintergrund bereits von einem generellen, also von Resolution 1373 losgelösten Konsens unter den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens bezüglich der neuen Lesart des Art. 39 UN-Charta gesprochen werden kann. Deutete in Bezug U.N. Doc. SC / 7276 v. 18. 1. 2003. Vgl. etwa Resolution 56 / 88 der Generalversammlung vom 24. Januar 2002 (U.N. Doc. A / RES / 56 / 88). 149 s. a. die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag vom 12. September 2001 zum Terrorakt in den USA, Plenarprotokoll 14 / 186 vom 12. September 2001. 150 Bis Januar 2003 hatten mit Ausnahme von 13 Staaten sämtliche der 191 UN-Mitglieder ihrer Berichtspflicht aus Resolution 1373 genügt, wie sich aus Resolution 1467 (2003) des Sicherheitsrats vom 20. Januar 2003 (U.N. Doc. S / RES / 1456), Ziff. 4 i) des operativen Teils ergibt. 151 Stromseth, in: ASIL Proc. 97 (2003), 41 (43); Williams, in: VN 6 / 2002, 213 ff.; Pleuger, in: VN 6 / 2002, 209 (211). 152 U.N. Doc. S / RES / 1456, Ziff. 1 des operativen Teils. 153 U.N. Doc. S / RES / 1540 (2004). 154 Ebda., Abs. 1 und 9 der Präambel. 155 Wegen der gemäß Art. 23 Abs. 2 UN-Charta auf 2 Jahre begrenzten rotierenden Mitgliedschaft der nicht-ständigen Mitglieder des Rates. 147 148

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auf Resolution 1373 zunächst alles auf einen solchen generellen Konsens hin, so ist in der offenen Debatte unter allen Mitgliedstaaten, die der Sicherheitsrat im Vorfeld der Verabschiedung von Resolution 1540 durchführte und auf die später noch näher einzugehen sein wird, nun doch seitens einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten Kritik an der fortgesetzten legislativen Praxis des Sicherheitsrats laut geworden.156 Einerseits bezog sich diese Kritik zwar nicht ausdrücklich auf das vom Sicherheitsrat erneut in Art. 39 UN-Charta zu Grunde gelegte abstrakte Gefahrenverständnis, sondern eher auf das geplante legislative Vorgehen als solches. Andererseits spricht der enge funktionale Zusammenhang von Art. 39 und 41 UN-Charta (Feststellung einer allgemeinen Bedrohung für den Frieden als Voraussetzung für generell-abstrakte Maßnahmen) dafür, dass beides nicht völlig losgelöst voneinander betrachtet werden kann. Aus diesem Grund liegt die Annahme näher, dass sich die Kritik der betreffenden Mitgliedstaaten auf das in Resolution 1540 geplante Vorgehen des Rates insgesamt und somit auch auf das neue Verständnis von Art. 39 UN-Charta beziehen sollte. Andererseits ist bemerkenswert, dass Ratsmitglieder wie Pakistan, die im Vorfeld von Resolution 1540 am deutlichsten Kritik übten, diese Resolution bei der Abstimmung im Rat dann doch mittrugen. Beachtenswert ist auch, dass in der Debatte im Vorfeld von Resolution 1540 trotz der ganz grundlegend geäußerten Bedenken keine neue Debatte auch zu Resolution 1373 eröffnet wurde. Die Staaten haben sich mit Resolution 1373 also ganz offensichtlich abgefunden und akzeptieren sie als geltendes Recht. Es scheint vor dem Hintergrund der jüngsten Kritik seitens einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten aber noch zu früh, von einem generell auf Art. 39 UN-Charta bezogenen Konsens im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens zu sprechen. Ein solcher Konsens hätte das bereits erzielte Auslegungsergebnis zwar erhärten können. Der Umstand, dass er derzeit noch nicht nachgewiesen werden kann, ändert jedoch nichts an der hier aus den vorgenannten Gründen vertretenen Auffassung, dass der Sicherheitsrat bei seiner in Resolution 1373 getroffenen Feststellung, der internationale Terrorismus bedrohe als solcher den Weltfrieden und die internationale Sicherheit im Sinne von Art. 39 UN-Charta, die Grenzen seines ihm bei Maßnahmen nach dem VII. Kapitel der Charta zukommenden vorrangigen Interpretationsspielraums nicht überschritten hat.

3. Der Erlass generell-abstrakter Regeln nach Art. 41 UN-Charta Mit der Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 39 UN-Charta ist jedoch noch nicht beantwortet, ob Kapitel VII der Charta auch eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass legislativer Maßnahmen der in Resolution 156 Vgl. Press Release SC / 8070 v. 22. April 2004, dort die Stellungnahmen der Vertreter von Ägypten, Indien, Indonesien, Iran, Mexiko, Namibia, Nepal, Pakistan und Südafrika.

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1373 beschlossenen Art bietet. Art. 39 UN-Charta eröffnet allein den Anwendungsbereich des siebenten Kapitels, ohne Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen auf der Rechtsfolgenseite zu sein. Da es sich bei den in Resolution 1373 beschlossenen allgemeinverbindlichen Regeln zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus um eine zwingende Maßnahme unter Ausschluss von Waffengewalt handelt, kommt als Rechtsgrundlage allein Art. 41 UN-Charta in Betracht. a) Art. 41 UN-Charta als offene Ermächtigungsnorm Auf den ersten Blick könnte der Wortlaut von Art. 41 gegen die Zulässigkeit legislativer Maßnahmen des Sicherheitsrats sprechen. Gemäß Satz 1 dieser Norm kann der Sicherheitsrat beschließen, welche Maßnahmen unter Ausschluss von Waffengewalt zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen. Nach Satz 2 können diese Maßnahmen die Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, der Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen und den Abbruch diplomatischer Beziehungen einschließen. Der Erlass generell-abstrakter Regeln findet sich in diesem Katalog nicht wieder. Zu beachten ist aber, dass es sich bei Satz 2 nicht um einen „Numerus clausus“ zulässiger Maßnahmen, sondern um einen nicht-abschließenden Regelbeispielkatalog handelt. Die Beschlüsse des Rates nach Art. 41 können die oben genannten Maßnahmen vorsehen („may include“), sie können gemäß der allgemeinen Handlungsermächtigung in Satz 1 aber auch anderer Natur sein. Der Erlass generell-abstrakter Regeln zur Bekämpfung eines als allgemeine Gefahr für den Weltfrieden erkannten Phänomens ist daher mit dem offenen Wortlaut der allgemeinen Handlungsermächtigung des Art. 41 S. 1 UN-Charta durchaus vereinbar. b) Systematische Erwägungen Gegen die Annahme allgemeiner gesetzgeberischer Befugnisse des Sicherheitsrats könnte dagegen ein systematischer Vergleich mit den Zuständigkeitsbereichen anderer Organe der Vereinten Nationen sprechen. Dieser Vergleich ergibt, dass nicht der Sicherheitsrat, sondern die Generalversammlung gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. a) UN-Charta für die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und seine Kodifizierung zuständig ist. Der Generalversammlung ist aber von den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen bewusst die Rechtsmacht vorenthalten worden, das Völkerrecht unmittelbar rechtsverbindlich zu kodifizieren, was sich darin zeigt, dass ihre Beschlüsse keinen bindenden, sondern ausschließlich empfehlenden Charakter haben, wie sich aus dem IV. Kapitel der Charta ergibt. Vor diesem Hintergrund kann der Sicherheitsrat jedenfalls nicht das allgemeine Gesetzgebungsorgan der Staatengemeinschaft sein157, zumal auch die Zusammensetzung und das gesamte Beschlussverfahren des Rates, der auch unter Ausschluss der Öffentlich-

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keit und auch der Nicht-Mitglieder tagen kann, auf ein schnelles Handeln, aber sicherlich nicht auf Gesetzgebung ausgelegt ist.158. Mit diesen allgemeinen Erwägungen ist jedoch noch nicht beantwortet, ob es dem Sicherheitsrat damit auch im Anwendungsbereich von Kapitel VII der Charta verwehrt ist, im Einzelfall und gestützt auf Art. 41 S. 1 UN-Charta legislative Maßnahmen zu beschließen, um damit einer zuvor gemäß Art. 39 UN-Charta festgestellten allgemeinen oder abstrakten Gefahr für den Weltfrieden wirksam zu begegnen. c) Lehren aus der Errichtung der Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda Erhellend für diese Frage ist die Errichtung der beiden Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda durch Resolutionen 827 aus 1994159 beziehungsweise 955 aus 1994.160 Zwar schuf der Rat im Zuge der Einrichtung dieser Tribunale kein neues materielles Recht, weshalb diese – wie an anderer Stelle bereits erläutert161 – nicht dem Gegenstand der vorliegenden Studie unterfallen. Doch ist es zu dem im Völkerrecht äußerst seltenen Fall gekommen, dass die Rechtmäßigkeit einer Sicherheitsratsresolution von einem internationalen Gericht (freilich inzident) überprüft worden ist.162 Insbesondere das Jugoslawien-Tribunal hat sich in seiner Entscheidung im Fall Tadicˇ163 dezidiert mit Art. 41 157 So auch das Jugoslawien-Tribunal in: The Prosecutor v. Dusko Tadicˇ, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), in: 35 ILM (1996), 32 (46 f., § 43). 158 Vgl.: Simma, in: RdC 250 (1994-VI), 217 (268); grundlegend: Aust, in: R.-J. Dupuy, Le développement du rôle du Conseil de Securité“, 365 ff. 159 U.N. Doc. S / RES / 827 (1993) (Annahme des Statuts) vom 25. Mai 1993 (der Text des Statuts findet sich im Bericht des UN-Generalsekretärs [U.N. Doc. S / 25704], abgedruckt in: 32 ILM [1993], 1192). Die Entscheidung über die Errichtung des Tribunals erfolgte in Resolution 808 vom 22. Februar 1993 (U.N. Doc. S / RES / 808 [1993]). 160 U.N. Doc. S / RES / 955 (1994) vom 8. November 1994. Die Errichtung des Kriegsverbrechertribunals für Sierra Leone ist vorliegend dagegen nicht von Interesse. Zwar war der Sicherheitsrat im Vorfeld maßgeblich beteiligt (vgl. McDonald, in: RevICR 84 [2002], 121 [122 – 124]; „UN-Tribunal für Sierra Leone geplant“, in: FAZ vom 26. Juli 2001, S. 6), die Errichtung selbst erfolgte jedoch nicht durch einen Beschluss des Rates, sondern durch eine Vereinbarung zwischen den UN und der Regierung von Sierra Leone (s.: Mundis, in: ILawy 35 [2001], 631 [631 f.]; zu den Gründen: McDonald, in: RevICR 84 (2002], 121 [124]). 161 s. oben, I. 162 Dies ist beachtlich angesichts des Umstandes, dass im Rechtsschutzsystem der UN eine auf primären Rechtsschutz zielende Anfechtungsklage gegen Rechtsakte der Generalversammlung oder des Sicherheitsrats nicht vorgesehen ist, vgl. unter Einbeziehung des Lockerbie-Urteils des IGH: Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (16 f.). 163 The Prosecutor v. Dusko Tadicˇ, Urteil vom 2. Oktober 1995, Case No. IT-94-1-AR72 (Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction), in: 35 ILM (1996), 32 ff. (im Folgenden „Tadicˇ-Urteil“).

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UN-Charta und der darin enthaltenen Handlungsermächtigung für den Sicherheitsrat auseinander gesetzt. Die Ausführungen des Tribunals geben wichtige Einblicke in das herrschende Verständnis von Art. 41 UN-Charta und ermöglichen damit Rückschlüsse auch auf die hier zu diskutierende Frage nach den legislative Kompetenzen des Sicherheitsrats unter Art. 41 UN-Charta. aa) Das Urteil des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadicˇ Sowohl das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien als auch das Tribunal für Ruanda haben über die Frage der Rechtmäßigkeit der Errichtung des jeweiligen Tribunals geurteilt. Die Berufungskammer des Jugoslawien-Tribunals hat im Fall Tadicˇ die Errichtung des Tribunals durch den Sicherheitsrat einstimmig für völkerrechtskonform erklärt.164 Das Ruanda-Tribunal ist dieser Ansicht in seinem erstinstanzlichen Urteil im Fall Kanyabashi gefolgt165, führt insoweit aber keine neuen Gesichtspunkte an.166 Entgegen der Rechtsansicht der ersten Instanz167 hat die Berufungskammer des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadicˇ sich für zuständig erklärt, über die Rechtmäßigkeit der Einrichtung des Tribunals zu urteilen168, und auch den Einwand der mangelnden Justitiabilität einer politischen Frage zurückgewiesen.169 Sodann setzt sie sich ausführlich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Errichtung des Tribunals auseinander. Die Kammer bejaht die in Art. 39 UN-Charta normierten Voraussetzungen zur Ergreifung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII170 und weist sodann den Einwand der Verteidigung zurück, der Sicherheitsrat – der sich ohne Rekurs auf einen bestimmten Art. nur allgemein auf Kapitel VII berufen hatte171 – Tadicˇ-Urteil, ebda. , S. 73, § 146. The Prosecutor v. Joseph Kanyabashi, Urteil vom 18. Juni 1997, Case No. ICTR-96-5-T (Trial Chamber, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction. 166 Dazu ausführlich: Morris / Scharf, International Criminal Tribunal for Ruanda I, S. 99 ff. 167 The Prosecutor v. Tadicˇ, erstinstanzliches Urteil vom 10. August 1995, Case No. IT-94-1-T (Trial Chamber, Decision on the Defence Motion: Jurisdiction of the Tribunal). 168 Wobei die Berufungskammer sich bei dieser Rechtsansicht nicht nur gegen die erste Instanz stellte, sondern auch gegen die Meinung zahlreicher Staaten und Autoren. Sie unterschied den von ihr zu entscheidenden Fall von den dicta des Internationalen Gerichtshof mit der Begründung, letztere bezögen sich allein auf Fälle von „primary jurisdiction“, wohingegen es in ihrem Fall um „incidental jurisdiction“ ginge. Dieser Teil der Entscheidung erging mit 4:1 Stimmen (vgl. Tadicˇ-Urteil, 35 ILM (1996), 32 ff. [73, § 146]). Zu dem Verhältnis zwischen der Jurisdiktion des Tribunals und derjenigen des Internationalen Gerichtshofs, vgl.: Bassiouni / Manikas, Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 247. 169 Tadicˇ-Urteil, 35 ILM (1996), 32 (41, §§ 23 – 25). 170 Ebda., S. 42 f., §§ 28 – 30. 171 Vgl.: SR-Res. 808 (U.N. Doc. S / RES / 808 [1993]) und SR-Res. 827 (U.N. Doc. S / RES / 827 [1993]). 164 165

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habe ein Straftribunal nicht errichten können, weil eine solche Maßnahme nicht in Kapitel VII vorgesehen sei.172 Die Kammer sieht die Errichtung des Tribunals vielmehr als eine Maßnahme unter Ausschluss von Waffengewalt im Sinne des Art. 41 UN-Charta an. Es schade nicht, dass unter den dort aufgeführten Maßnahmen die Errichtung eines Tribunals nicht genannt sei, da es sich hierbei lediglich um einen nicht abschließenden Katalog von Beispielsfällen handle, die Maßnahmen anderer Art nicht ausschlössen.173 Auch das Vorbringen der Verteidigung, der Sicherheitsrat könne kein rechtsprechendes Unterorgan schaffen, weil er selbst keine Rechtsprechungskompetenz habe, fand nicht das Gehör der Kammer. Der Sicherheitsrat habe ein solches Tribunal im Zuge der Wahrnehmung seiner Kompetenzen zur Wiederherstellung des Friedens im ehemaligen Jugoslawien geschaffen. Die Kammer verweist hierbei auch auf die bereits Rechtsprechung des IGH im Falle des UN-Verwaltungsgerichts.174 Auch der Generalversammlung stünden keine Rechtsprechungsbefugnisse zu, sie habe aber mit der Errichtung des Verwaltungsgerichts von ihrer Kompetenz zur Regelung des internen Dienstrechts in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht, wie der Gerichtshof in seinem Gutachten ausgeführt habe.175 Sodann weist die Kammer das Argument der Verteidigung zurück, die Errichtung des Tribunals sei ungeeignet zum Zwecke der Wiederherstellung des Friedens im ehemaligen Jugoslawien.176 Es handle sich bei der Einschätzung der Geeignetheit der Mittel um eine politische Bewertung höchst komplexer und dynamischer Sachverhalte. Dem Sicherheitsrat komme hier ein sehr weiter Ermessenspielraum zu, der nur einer stark beschränkten richterlichen Kontrolle unterliege. Insbesondere sei auch eine ex post facto Überprüfung hinsichtlich des Erfolges der Maßnahmen durch das Gericht ausgeschlossen.177 Schließlich stellt die Kammer fest, die Errichtung des Tribunals durch den Sicherheitsrat stehe nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, wonach Gerichte durch Gesetz errichtet sein müssen („established by law“).178 Sie akzeptiert zwar den Grundsatz als ein allgemeines Prinzip des nationalen Rechts, der Niederschlag auch in den allermeisten Menschenrechtskonventionen gefunden habe.179 „Established by law“ könne dort als „established by a legislature“ begriffen werden. Im nationalen Kontext sei dies der Fall, um zu garantieren, dass die Ausübung rechtsprechender Gewalt nicht eine Sache administrativer Willkür, sondern gesetzgebeTadicˇ-Urteil, 35 ILM (1996), 32 (44 f., §§ 32 – 36). Ebda., S. 44 f. (§ 35). 174 Effect of Awards of Compensation Made by the United Nations Administrative Tribunal, Gutachten des IGH vom 13. Juli 1954, ICJ Reports 1954, 47 ff. 175 Tadicˇ-Urteil, 35 ILM (1996), 32 (45, § 38). 176 Ebda., S. 45, § 39 f. 177 Ebda., S. 45, § 39. 178 Ebda., S. 46 – 48, §§ 41 – 48. 179 Ebda., S. 46, § 42; vgl. dazu bereits oben, I. 172 173

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rischer Entscheidung sei. Die Kammer hält ein solches Verständnis aber nicht für auf den internationalen Bereich übertragbar: „It is clear that the legislative, executive and judicial division of powers which is largely followed in most municipal systems does not apply to the international setting nor, more specifically, to the setting of an international organization such as the United Nations. ( . . . ) Consequently the separation of powers element of the requirement that a tribunal be ,established by law‘ finds no application in an international law setting. The aforementioned principle can only impose an obligation on States concerning the functioning of their own national systems“180

Die Kammer folgt auch dem Argument der Verteidigung nicht, die Vereinten Nationen hätten ein derartiges Tribunal aus eben diesem Grund nicht errichten können, und trifft hierbei eine für das Verständnis von Art. 41 UN-Charta ausgesprochen wichtige Feststellung, denn sie erhellt den engen funktionalen Zusammenhang zwischen Art. 39 und 41 der Charta: „It does not follow from the fact that the United Nations has no legislature that the Security Council is not empowered to set up this International Tribunal if it is acting pursuant to an authority found within its constitution, the United Nations Charter. As set out above (paras. 28 – 40) we are of the view that the Security Council was endowed with the power to create this International Tribunal as a measure under Chapter VII in the light of its determination that there exists a threat to the peace.“ 181

Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auch auf die breite Zustimmung, die das Jugoslawien-Tribunal von Seiten der Generalversammlung erhalten hat.182 Letztlich will die Kammer das Erfordernis „established by law“ so verstanden wissen, dass die Errichtung wie auch das Verfahren des Tribunals rechtsstaatlichen Grundsätzen (guarantee of fairness, justice and even-handedness) zu folgen habe, wie sie auch in den einschlägigen internationalen Dokumenten Niederschlag gefunden hätten. Sämtliche dieser Grundsätze sieht die Kammer durch das Statut wie auch durch die Verfahrensregeln des Tribunals gewahrt.183 bb) Staatenpraxis Die Errichtung des Tribunals für das ehemalige Jugoslawien ist in der Staatengemeinschaft ganz überwiegend mit Zustimmung aufgenommen worden. InsEbda., S. 46 f. (§ 43), vgl. bereits oben, Teil 1, 1. Kapitel, B. III. Ebda., S. 47, § 44. 182 Ebda. 183 Ebda., S. 47 (§ 45). Der Präsident des Tribunals, Claude Jorda, etwa sicherte dem am 28. Juni 2001 an das Tribunal ausgelieferten ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic ein Prozess nach „höchsten internationalen Standards“ zu (vgl.: „Auf Milosevic wartet ein Prozeß ,nach höchsten internationalen Standards‘“, in: FAZ vom 30. Juni 2001, S. 1 f.). 180 181

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besondere hat die Generalversammlung in verschiedenen Resolutionen nicht nur selbst – durch Wahl der Richter sowie Annahme des Budgets des Gerichts – daran aktiv teilgenommen. Sie hat darüber hinaus verschiedentlich ihre Zufriedenheit mit der Tätigkeit des Tribunals zum Ausdruck gebracht und dieses zur Fortsetzung seiner Aktivitäten aufgerufen.184 Entsprechend zeigte sich ein relativ hoher Grad an Bereitschaft der Staaten, mit dem neuen Tribunal zu kooperieren und der Begehung von Kriegsverbrechen Angeklagte auszuliefern.185 Die Vereinigten Staaten etwa machten ihre wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung von der Bereitschaft Belgrads abhängig, alle wegen Kriegsverbrechen angeklagten Personen an das Tribunal in Den Haag auszuliefern. Dies hat die amerikanische Regierung zuletzt am 15. Juni 2002 noch einmal bekräftigt.186 Im Übrigen hat sich nur sehr verhaltene Opposition gebildet. China etwa machte geltend, ein solches Tribunal hätte eher durch völkerrechtlichen Vertrag errichtet werden sollen, stimmte im Sicherheitsrat aber unter Hinweis auf die besonderen Umstände gleichwohl für die Resolution.187 Ähnlich verhielt sich das damalige nicht-ständige Mitglied Brasilien.188 Vereinzelt hat es Kritik auch von Staaten gegeben, die in dem fraglichen Zeitraum nicht Mitglieder des Sicherheitsrats waren.189

184 Vgl.: GV-Res. 48 / 88 (U.N. Doc. A / 48 / 88) sowie GV-Res. 48 / 143 (U.N. Doc. A / 48 / 143), beide vom 20. Dezember 1993; GV-Res. 49 / 10 vom 8. November 1994 (U.N. Doc. A / 49 / 10); GV-Res. 49 / 205 vom 23. Dezember 1994 (U.N. Doc. A / 49 / 205). 185 Arangio-Ruiz, in: RivDI 83 (2000), 609 (722); Simma, in: RdC 250 (1994-VI), 217 (276); s. ferner: „UN-Tribunal bestätigt Strafen wegen Vergewaltigungen“, in: FAZ vom 13. Juni 2002, S. 1; „Auf Milosevic wartet ein Prozeß ,nach höchsten internationalen Standards‘“, in: FAZ vom 30. Juni 2001, S. 1 f.; „Vor internationalen Richtern“, in: FAZ vom 2. Juli 2001, S. 12 (von Christian Tomuschat); „Kroatischer General Ademi stellt sich. Anklage wegen Mord und Vertreibung vor dem Tribunal in Den Haag“, in: FAZ vom 26. Juli 2001, S. 6; „Bosnien liefert Ex-Offiziere an Den Haag aus“, in: SZ vom 4. / 5. August 2001, S. 7; „Der Name des Verbrechens. Völkermord: Vom Begriff zum Fall des Radislav Krstic“, in: FAZ vom 7. August 2001, S. 42. 186 s.: FAS vom 16. Juni 2002, S. 7. 187 Vgl. die Erklärung des chinesischen Delegierten LI Zhaoxing, Provisional Verbatim Record of the 3217th Meeting vom 25. Mai 1993 (U.N. Doc. S / PV.3217); s. zuvor bereits die Erklärung des chinesischen Delegierten CHEN Jian, Provisional Verbatim Record of the 3175th Meeting vom 22. Februar 1993 (U.N. Doc. S / PV.3175). 188 Vgl. die Erklärung des brasiliansischen Delegierten Sardenberg, Provisional Verbatim Record of the 3175th Meeting (ebda.). 189 Vgl. etwa das „Statement of the Delegation of Mexico on the Occasion of the Election of Judges of the International Tribunal for the Former Yugoslavia“ vom 14. März 2001, das dem Autor vorliegt, wo es heißt: „Once again, the delegation of Mexico will not participate in the election of judges who will serve in the international Tribunal for the former Yugslavia. (. . . ) Mexico holds that, in establishing this tribunal, the Security Council went beyond its powers, inasmuch as an explicit provision giving the Council the authority to create jurisdictional organs of this nature is nowhere to be found in the Charter of the United Nations.“ [dazu bereits oben, 2. a)].

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cc) Reaktionen in der Literatur Auch Teile des Schrifttums, das insbesondere zum Jugoslawien-Tribunal reichhaltig vorhanden ist190, haben die Errichtung der beiden Tribunale kritisiert.191 So ist etwa Gaetano Arangio-Ruiz der Auffassung, diese könnten nicht als „peace enforcement measures“ gewertet werden und ließen sich deshalb nicht unter Kapitel VII subsumieren.192 Anderenfalls, so heißt es bei Gaetano-Ruiz: „anything could be validly decided by the Council by simply evoking Chaper VII; it would be too easy, that way, to attain the ,paradise‘ of a fully-fledged (although hardly lawful) world order and world government“.193

Die ganz überwiegende Mehrheit der Autoren hat sich jedoch für die Rechtmäßigkeit der Errichtung der beiden Tribunale ausgesprochen194, auch wenn dabei zuweilen vorsichtige Töne mitschwingen. So ist Bruno Simma beispielsweise der Ansicht: „In my view, these regulatory activities of the Security Council are justified in both cases by the unique character of the situations with which the Council and its offspring, the tribunals, are to cope, and by the broad meaning of the concept of ,peace‘ utilized in Article 39 of the Charter. (. . . ) international peace and security can only be restored if the factors which led to the Article 39 situations are redressed as thoroughly as possible.“195

dd) Schlussfolgerungen für das Verständnis von Art. 41 UN-Charta Die Errichtung der beiden Kriegsverbrechertribunale ist als solche nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Doch die Entscheidung des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadicˇ gibt wichtigen Aufschluss über das Verständnis von Art. 41 UN190 Einen Überblick geben: Arangio-Ruiz, in: RivDI 83 (2000), 609 (722, dort in Fn. 208); Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (276, dort in Fn. 148). 191 Zemanek, in: Yapko / Boumedra, FS Bedjaoui, 629 (insbes. S. 635 – 40); Graefrath, in: NJust 47 (1993), 433 ff. 192 Arangio-Ruiz, in: RivDI 83 (2000), 609 (722 ff.) 193 Ebda., S. 724, dort in Fn. 214. 194 s.: Morris / Scharf, International Criminal Tribunal for Ruanda I, S. 75 – 115; Weckel, in: AFDI 39 (1993), 232 (insbes. 238 – 241); Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (276 f.); Shraga / Zacklin, in: EJIL 5 (1994), 360 (Zusammenfassung auf S. 380); Tomuschat, in: Clark / Sann, Prosecution of International Crimes, 17 (insbes. 26 f.); ders., in: RevICJur 50 (1994), 56 ff..; O’Brien, in: AJIL 87 (1993), 639 (insbes. 639 – 644); Pellet, in: RGDIP 98 (1994), 7 (25 – 32); zustimmend wohl auch: P.-M. Dupuy, in: RGDIP 97 (1993), 617 (622); Frowein / Krisch, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 41, Rn. 19; s. a. die Würdigung des Beitrages des Jugoslawien-Tribunals zur Verteidigung der Grundwerte menschlichen Zusammenlebens bei: Tavernier, in: Tomuschat, Kosovo and the International Community, 157 (insbes. 178 f.) 195 Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (276), s. a.: Alvarez, in: EJIL 7 (1996), 245 (264), bei dem Zweifel an der formal-juristischen Legitimation hinter der überwältigenden Akzeptanz, welche die beiden Tribunale erfahren haben, zurückstehen.

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Teil 2: Erscheinungsformen

Charta, wie es in Rechtsprechung, Staatenpraxis und dem überwiegenden Teil des Schrifttums vorherrscht, und kann daher für die hier zu diskutierende Frage nach den legislativen Kompetenzen des Sicherheitsrat nach Art. 41 UN-Charta fruchtbar gemacht werden. Folgendes ist hieraus festzuhalten: Erstens ist der Sicherheitsrat auf Grund der offenen Handlungsermächtigung in Art. 41 S. 1 UN-Charta nicht daran gehindert, solche Maßnahmen zu treffen, die in Art. 41 S. 2 UN-Charta nicht ausdrücklich genannt sind.196 In Verbindung mit dem engen funktionalen Zusammenhang zwischen Art. 39 und 41 UN-Charta folgt hieraus zweitens, dass der Sicherheitsrat über einen ausgesprochen weiten Ermessensspielraum verfügt, solche Maßnahmen zu beschließen, welche der zuvor im Einklang mit Art. 39 UN-Charta als Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit erkannten Situation nach seiner Einschätzung in geeigneter Weise begegnen. Daraus folgt drittens, dass der Rat einer ex-post-facto-Überprüfung der Zweckmäßigkeit seines Handelns durch Dritte grundsätzlich nicht unterliegt. Viertens hindert der Umstand, selbst nicht über rechtsprechende Gewalt zu verfügen, den Sicherheitsrat nicht daran, ein rechtsprechendes Unterorgan zu errichten, wenn er in Ausübung seines Ermessensspielraums zu der Auffassung gelangt, hierdurch der als Friedensgefährdung gemäß Art. 39 UN-Charta erkannten Situation am effektivsten zu begegnen. Ebenso ist es mangels Anwendbarkeit des Gewaltenteilungsprinzips auf internationaler Ebene unschädlich, dass die Errichtung von Gerichten in den nationalen Rechtsordnungen traditionell der legislativen Gewalt vorbehalten ist.197 d) Übertragung auf den Untersuchungsgegenstand Der vom Jugoslawien-Tribunal besonders herausgestellte enge funktionale Zusammenhang zwischen Art. 39 und 41 UN-Charta ist auch für den vorliegenden Vgl. dazu bereits oben, a). Allerdings ist fraglich, wenngleich hier nicht von weiterer Relevanz, ob das von der Kammer bevorzugte Verständnis von „established by law“, wonach Errichtung und Funktionsweise des Tribunals die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien gewährleisten muss, gefolgt werden kann. Dass solche Verfahrensgarantien gewährleistet werden müssen, steht außer Zweifel. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob das Erfordernis „established by law“ kurzerhand mit diesem Erfordernis gleichgesetzt werden kann. Bereits der Wortlaut scheint hier über Gebühr strapaziert. Dagegen spricht im Übrigen, dass die einschlägigen Menschenrechtskonventionen deutlich zwischen rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien einerseits und dem Erfordernis eines auf dem Gesetz beruhenden Gerichts andererseits unterscheiden, vgl. Art. 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 – II, 1534; UNTS 999, S. 171); Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Fassung vom 30. Juni 1998 (BGBl. 2002 – II, 1055; UNTS 213, S. 221); Art. 8 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969 (9 ILM [1970], 673). Es fällt deshalb schwer, beide Erfordernisse miteinander gleich zu setzen. 196 197

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Untersuchungsgegenstand – also die Frage nach den legislativen Kompetenzen des Sicherheitsrats – von großer Bedeutung. Wenn der Sicherheitsrat wie im vorliegenden Fall zur Feststellung einer allgemeinen, also von einer konkreten Situation losgelösten Gefahr für den Weltfrieden nach Art. 39 UN-Charta befugt war, so spricht dieser Zusammenhang zwischen Art. 39 und Art. 41 UN-Charta in Verbindung mit der offenen Handlungsermächtigung aus Art. 41 S. 1 UN-Charta dafür, dass der Rat diese allgemeine Gefahr dann auch durch den Erlass allgemeinverbindlicher Verhaltensregeln bekämpfen kann, wie er es in Resolution 1373 getan hat. Alles andere würde zu einer systemwidrigen Inkonkordanz zwischen der Art der nach Art. 39 UN-Charta festgestellten Friedensbedrohung und der Natur der Art. 41 UN-Charta beschlossenen Maßnahmen führen. Wenn ferner der Mangel an rechtsprechender Gewalt den Sicherheitsrat nicht daran gehindert hat, im Anwendungsbereich von Kapitel VII der Charta anlässlich der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda zwei Rechtsprechungsorgane in rechtmäßiger Weise zu errichten, so erlaubt dies den Schluss, dass der Mangel an originärer legislativer Gewalt ihn ebenso wenig daran hindern kann, im Anwendungsbereich des VII. Kapitels im Einzelfall auch Beschlüsse gesetzgeberischer Natur zu treffen, um damit eine zuvor im Einklang mit Art. 39 UN-Charta festgestellte abstrakte – also von einem konkreten Fall losgelöste – Gefahr für den Weltfrieden zu bekämpfen. Konsequenz dessen ist, dass die generelle Zuständigkeit für die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und seine Kodifizierung weiterhin bei der Generalversammlung verbleibt, während dem Sicherheitsrat aus Art. 39 i.V.m. 41 S. 1 UNCharta im Einzelfall eine Art Notfall- oder Ersatzgesetzgebungskompetenz im Anwendungsbereich des VII. Kapitels der Charta zukommt. Auf der Grundlage dieser Befugnis kann er ein Phänomen wie den internationalen Terrorismus, das er im Einklang mit Art. 39 UN-Charta losgelöst von einer konkreten Gefahrensituation als allgemeine Bedrohung für den Weltfrieden klassifiziert hat, durch den Erlass allgemeiner Verhaltensregeln bekämpfen, wenn er etwa erkennt, dass das bestehende, auf Verträgen oder Gewohnheitsrecht beruhende Regelwerk nicht ausreicht, der Gefahr wirksam zu begegnen. Die weiter oben angestellten systematischen Erwägungen zur allgemeinen Kompetenzverteilung zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung198 greifen damit letztlich nicht durch. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass der Sicherheitsrat in Resolution 1373 bei der Wahl seiner Maßnahmen den ihm in Art. 41 UN-Charta zukommenden Ermessensvorrang überschritten hat. Insbesondere für eine Unzweckmäßigkeit seines Vorgehens gibt es keinerlei Anhaltspunkte, zumal die in Resolution 1373 enthaltenen Verpflichtungen ganz überwiegend existierenden internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus entstammen. Die Einstimmigkeit der Beschlussfassung im Rat, die anschließende große Akzeptanz der Staatengemeinschaft sowie die nachfolgende Beschlusspraxis innerhalb der Vereinten 198

Oben, b).

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Nationen199 zeigen, dass auch die ganz überwiegende Mehrheit der UN-Mitglieder nicht von einer Kompetenzüberschreitung des Rates durch Resolution 1373 ausgegangen ist. Zwar kann angesichts der Kritik, die nunmehr im Vorfeld der Verabschiedung von Resolution 1540 von Seiten einiger Mitgliedstaaten an der anhaltenden legislativen Beschlusspraxis des Rates geübt wurde200, derzeit noch nicht auf einen entsprechenden generellen, also von Resolution 1373 losgelösten Konsens der UN-Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens geschlossen werden.201 Dies ist für die Frage der Rechtmäßigkeit von Resolution 1373 aber letztlich unerheblich, auch wenn ein solcher Konsens das Auslegungsergebnis noch einmal hätte erhärten können. Damit lässt sich zusammenfassen: Da die Abwesenheit terroristischer Gewalt auch dem eng verstandenen (oder negativen) Friedensbegriff in Art. 39 UN-Charta unterfällt, da ferner dem Konzept der Friedenssicherung in Art. 39 UN-Charta eine präventive Dimension immanent und der Begriff der Friedensbedrohung in Art. 39 UN-Charta einer dynamischen Interpretation zugänglich ist, war der Sicherheitsrat befugt, in Ausübung seiner Normkonkretisierungsbefugnis auch ein abstraktes Gefahrenverständnis in Art. 39 UN-Charta zu Grunde zu legen und gemäß der offenen Handlungsermächtigung in Art. 41 S. 1 UN-Charta allgemeinverbindliche Verhaltensregeln zur allgemeinen Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erlassen. Resolution 1373 hält aus diesen Gründen einer rechtlichen Überprüfung stand.

III. Resolution 1540 (2004) als Fortsetzung im Bereich der Proliferation von Massenvernichtungswaffen Die mit Resolution 1373 begonnene legislative Praxis des Sicherheitsrates hat nunmehr am 28. April 2004 mit der Verabschiedung von Resolution 1540 Fortsetzung im Bereich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen gefunden.202 Die auf Initiative der Vereinigten Staaten verabschiedete Resolution zielt auf die akute Gefahr ab, dass solche Waffen in die Hände terroristischer Vereinigungen gelangen können in der Erkenntnis, dass dieser Gefahr durch die bestehenden multilateralen Verträge nicht effektiv begegnet wird. Es besteht insoweit auch ein enger sachlicher Zusammenhang mit Resolution 1373, auf die in Resolution 1540 im Übrigen ausdrücklich Bezug genommen wird.203

199 200 201 202 203

Dazu ebenfalls bereits oben, 2. c). s. Press Release SC / 8070 v. 22. April 2004 (vgl. dazu bereits oben, 2. c). Vgl. bereits oben, 2. c). U.N. Doc. S / RES / 1540 (2004) v. 28. 4. 2004. Ebda., Abs. 8 der Präambel.

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Ähnlich wie in Resolution 1373 stellt der Rat in Resolution 1540 fest, dass ein abstraktes Phänomen – diesmal die Proliferation von atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie das illegale Handeln mit diesen Waffen oder waffenfähigem Material – als solche den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedroht.204 Und ebenfalls vergleichbar mit Resolution 1373 findet sich im operativen Teil der Resolution ein auf der Grundlage des VII. Kapitels der Charta erlassenes detailliertes und allgemeinverbindliches Regelwerk zu seiner Bekämpfung.205

1. Entstehungsgeschichte Bereits im Februar 2004 hatte US-Präsident George W. Bush die Staaten öffentlich dazu aufgerufen, Gesetze und internationale Kontrollen gegen die Proliferation zu stärken, und den Sicherheitsrat aufgefordert, eine entsprechende Resolution zu verabschieden.206 Anders als bei Resolution 1373 fanden sodann im Vorfeld von Resolution 1540 auf Wunsch zahlreicher Staaten und auf Initiative der deutschen Ratspräsidentschaft mehrere Treffen mit UN-Mitgliedern statt, in denen die geplante Sicherheitsratsresolution erörtert wurden, darunter insbesondere eine umfangreiche Aussprache am 22. April 2004.207 In dieser Aussprache äußerten eine Reihe von Staaten – unter ihnen auch nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrates – Kritik an der geplanten Vorgehensweise des Rates. Diese Kritik lässt sich unterteilen in allgemeine Bedenken hinsichtlich der fortdauernden legislativen Beschlusspraxis des Rates einerseits und speziell auf den damals noch im Entwurfsstadium befindlichen Resolutionstext andererseits. Während viele Staaten, unter ihnen die Miteinbringer der Resolution, das geplante Vorgehen des Rates guthießen, zweifelten eine Reihe von Ländern ganz generell an der legislativen Kompetenz des Rates.208 So wird der ägyptische UNBotschafter Aboul Gheit mit den Worten zitiert: „There was a growing trend to give the Council new legislative authority. When the Charter had determined the role of the Council to maintain international peace and security and compliance of States with international law, it had not given the organ the authority to legislate, but to protect the Charter and compliance with it.“209

Res. 1540, Abs. 1 und 9 der Präambel. Resolution 1540 wurde just zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts für die vorliegende Studie verabschiedet, weshalb nur noch in Kürze auf sie eingegangen werden kann. Etwaige später erscheinende Literatur kann dabei nicht mehr berücksichtigt werden. 206 Vgl.: „Bushs neue Rüstungskontrolle“, in: FAZ v. 17. 2. 2004, S. 10 207 s. Press Release SC / 8070 v. 28. April 2004. 208 Vgl. die Stellungnahmen der Vertreter von Ägypten, Indien, Indonesien, Iran, Mexiko, Namibia, Nepal, Pakistan und Südafrika, ebda. 209 Ebda. 204 205

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Andere unter den Bedenkenträgern wiesen auf die mangelnde Repräsentativität des Sicherheitsrats hin210, andere wiederum mahnten, die neue legislative Praxis Rates könne die Balance zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung unterminieren.211 Andere Staaten wiesen darauf hin, die bestehenden Lücken im Nichtweiterverbreitungsregime könnten durch Vertragsverhandlungen geschlossen werden.212 Als bedenklich wurden auch die weitreichenden Implikationen der geplanten Legislativmaßnahmen für den nationalen Gesetzgeber gewertet, der diesen womöglich dann nicht folgen wolle.213 Andere Staaten wiederum hätten Art. 25 UN-Charta als Ermächtigungsgrundlage für ausreichend befunden214, ganz offensichtlich um nicht möglichen Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII zur Durchsetzung der Resolution ausgesetzt zu sein.215 Ein Staat war gar der Auffassung, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bedrohe den Weltfrieden überhaupt nicht, blieb mit dieser Einschätzung indes allein.216 Auch vor der Gefahr, dass eine solche Resolution unilaterale Zwangsmaßnahmen einzelner Staaten hervorrufen könnte, wurde gewarnt.217 Ein Staat kündigte gar an, man werde keine durch den Sicherheitsrat auferlegten Verpflichtungen aus Verträgen akzeptieren, die man nicht unterzeichnet habe.218 Zu Tage trat bei der Aussprache auch eine generelle Furcht vor einem „Leviathan“ in Gestalt des Sicherheitsrats.219 Mit speziellem Bezug zum Regelungsgegenstand der Resolution wurde vor allem kritisiert, es fehle der enge Bezug zur Abrüstungsproblematik, die der eigentliche Grund des Übels sei. Ohne Existenz dieser Waffen könnten sie auch nicht weiterverbreitet werden.220 Kritisiert wurde auch, dass der geplante Entwurf nur die Gefahr durch nicht-staatliche Akteure, nicht aber die von den Staaten selbst ausgehenden Gefahren der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zum Gegenstand habe.221 In diesem Zusammenhang wurde auch der Vorwurf des „double standard“ insbesondere der amerikanischen Politik erhoben.222 Die Mehrheit der Staaten teilte diese Bedenken allerdings nicht. Unter den Befürwortern wurde insbesondere auf die Dringlichkeit der Gefährdung durch Erklärung des indonesischen Vertreters, ebda. Erklärung des indischen Vertreters, ebda. 212 Erklärung des namibischen Vertreters, ebda. 213 Erklärungen der Vertreter Südafrikas und Pakistans, ebda. 214 Erklärungen der Vertreter Algeriens, Brasiliens, Malaysias und Pakistans, ebda. 215 Erklärung des französischen Vertreters, ebda. 216 Erklärung des pakistanischen Vertreters. 217 Erklärungen der Vertreter Indiens, Indonesiens und Pakistans, ebda. 218 Erklärung des indischen Vertreters, ebda. 219 „The Council should work within its mandate and should resist the temptation to play world legislature, world administration and world court bundled into one.“ (Erklärung des nepalesischen Vertreters, ebda). 220 Erklärungen der Vertreter von Algerien, Indien, Iran, Neuseeland und Südafrika, ebda. 221 Erklärung des südafrikanischen Vertreters, ebda. 222 Erklärungen der Vertreter von Kuba und Syrien, ebda. 210 211

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Massenvernichtungswaffen hingewiesen, die mühsame Vertragsverhandlungen nicht zuließe.223 Auch sei nicht nachvollziehbar, warum Resolution 1373 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf Basis des VII. Kapitels, die geplante Resolution zur Proliferation von Massenvernichtungswaffen hingegen außerhalb dieses Kapitels erlassen werden sollte.224 Kapitel VII sei auch deshalb wichtig, um die Entschlossenheit des Rates zu untermauern.225 Mit dieser Resolution sei außerdem noch nichts über die Art und Weise der Durchsetzung gesagt.226 Manche unter den befürwortenden Staaten nahmen auch eine vermittelnde Position ein und betonten, sie wollten eine legislative Rolle des Rates auf Ausnahmesituationen wie die vorliegende beschränken.227 Ein Staat forderte auch, der Sicherheitsrat müsse zumindest Einstimmigkeit erzielen, da er für die internationale Gemeinschaft handle.228 Einige Staaten schlugen in diesem Zusammenhang sogar vor, der Resolution eine Klausel beizufügen, wonach die beschlossenen Verpflichtungen automatisch durch ein entsprechendes multilaterales Vertragswerk ersetzt würden, sollte es zu einem solchen kommen.229 Der Sicherheitsrat berücksichtigte in Resolution 1540 einige der speziell auf die Regelungsmaterie vorgetragenen Bedenken, insbesondere machte er den Bezug zu bestehenden Abrüstungsverträgen noch deutlicher und rief die Staaten auf, diesen beizutreten und den Verpflichtungen hieraus nachzukommen. Doch die grundlegende Kritik einiger Staaten vermochten ihn nicht von dem Resolutionsprojekt insgesamt abzubringen. Bemerkenswert ist, dass der Rat wieder einstimmig handelte und selbst solche Ratsmitglieder, die – wie etwa Pakistan – in der Aussprache zuvor am deutlichsten Kritik am geplanten Vorgehen des Rates insgesamt geübt hatten, sechs Tage später bei der Abstimmung dann doch für die Resolution votierten.230

223 Vgl. u. a. die Erklärungen der Vertreter von Australien, Chile, Frankreich, Irland (im Namen der EU), Israel, Jordanien, Kanada, Rumänien, Russland, Singapur und den USA, ebda. 224 Vgl. etwa die Erklärungen der Vertreter von Chile, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, Spanien und den USA, ebda. 225 Vgl. u. a. die Erklärungen der Vertreter von Frankreich, Neuseeland, Spanien und den USA, ebda. 226 Vgl. etwa die Erklärungen der Vertreter von Deutschland und den USA, ebda. 227 Vgl. die Erklärungen der Vertreter von Mexiko, der Schweiz und Südkorea, ebda. 228 Erklärung des spanischen Vertreters, ebda. 229 Erklärungen der Vertreter von Namibia, Nigeria und Kuwait, ebda. 230 Die Hintergründe für diesen Positionswechsel gehen aus den verfügbaren Dokumenten nicht hervor. In der Erklärung nach der Stimmabgabe wiederholte der pakistanische Vertreter vielmehr seine Zweifel an der Legislativekompetenz des Rates und den Vorwurf der ungerechtfertigten Bevorzugung der fünf ständigen Mitglieder, die auf Grund ihres Vetorrechts gegenüber einer zwangsweisen Durchsetzung der Resolution immun seien (vgl. Press Release SC / 8076 v. 28. 4. 2004).

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2. Proliferation von Massenvernichtungswaffen als allgemeine Gefahr für den Weltfrieden Die Präambel von Resolution 1540 beginnt mit der von jeder konkreten Situation losgelösten Feststellung, die Proliferation von atomaren, chemischen und biologischen Waffen und deren Trägersystemen („means of delivery“231) bedeute eine Gefahr für den Frieden und die internationale Sicherheit. Im weiteren Verlauf der Präambel findet sich zudem die wiederum allgemeine Feststellung, die vom illegalen Handel mit diesen Waffen, mit Trägersystemen und mit verwandtem Material („related materials“232) ausgehende Gefahr, die dem Problem der Proliferation eine neue Dimension hinzufüge, stelle ebenfalls eine Bedrohung für den Weltfrieden dar.233 Entsprechend gängiger Praxis findet sich ein ausdrücklicher Verweis auf Art. 39 UN-Charta nicht, doch besteht wegen der späteren ausdrücklichen Bezugnahme auf Kapitel VII als Ermächtigungsgrundlage kein Zweifel, dass es um die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm geht. Aus der übrigen Präambel, insbesondere aus ihrem 8. Absatz und der dortigen Bezugnahme auf Resolution 1267 und 1373, geht zudem eindeutig die Zielrichtung von Resolution 1540 hervor zu verhindern, dass derartige Waffen, Trägersystem und waffenfähiges Material in die Hände terroristischer Vereinigungen („non-state actors“234) gelangen. Auch im vorletzten Absatz der Präambel wird noch einmal deutlich, dass es bei Resolution 1540 um eine weitere Maßnahme im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus geht.

3. Das beschlossene Regelwerk zur Proliferationsbekämpfung Im operativen Teil der Resolution findet sich sodann ein Katalog allgemeiner Verhaltenspflichten zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, der – wie in Resolution 1373 – Geltung losgelöst von jeder konkreten Situation beansprucht. Hierin wird den Staaten jede Form von Unterstützung zu Gunsten nicht-staatlicher Vereinigungen untersagt, welche die Entwicklung, den Erwerb, die Produktion, den Besitz, den Transport, die Weitergabe oder den Gebrauch von atomaren, chemischen oder biologischen Waffen oder ihrer Träger231 „Means of delivery“ werden in einer Fußnote (beschränkt auf den Anwendungsbereich von Res. 1540) definiert als „missiles, rockets and other unmanned systems capable of delivering nuclear, chemical, or biological weapons, that are specially designed for such use.“ 232 „Related materials“ werden ebenda definiert als „materials, equipment and technology covered by relevant multilateral treaties and arrangements, or included on national control lists, which could be used for the design, development, production or use of nuclear, chemical and biological weapons and their means of delivery.“ 233 Res. 1540, Abs. 9 der Präambel. 234 Ein „non-state actor“ wird (ebenfalls beschränkt auf den Anwendungsbereich von Res. 1540) definiert als „indiviual or entity, not acting under the lawful authority of any State in conducting activities which come within the scope of this resolution“ (ebda., Fußnote).

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systeme anstreben.235 Außerdem werden die Staaten verpflichtet, Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, die diese Bestrebungen nicht-staatlicher Vereinigungen und die Beihilfe hierzu einschließlich ihrer Finanzierung unterbinden.236 Auch werden die Staaten verpflichtet, wirksame innerstaatliche Kontrollen einzurichten, um die Proliferation dieser Waffen und ihrer Trägersysteme einschließlich waffenfähigen Materials zu verhindern.237 Zu diesem Zweck wird den Staaten auferlegt, wirksame Maßnahmen zur Erfassung und Sicherung solcher Materialien sowie zu deren physischem Schutz zu ergreifen, ferner wirksame Grenzkontrollen und Rechtsvollzugsmechanismen einzurichten und dabei gegebenenfalls grenzüberschreitend zu kooperieren, um den illegalen Handeln zu unterbinden, und schließlich ein wirksames Exportkontrollregime einschließlich Endabnehmerkontrollen einzurichten, das nicht nur die grenzübergreifende Verbringung solcher Waffen, sondern auch deren Finanzierung unterbindet und Verstöße mit Strafe bewehrt und zivilrechtlich sanktioniert.238 Dieser Pflichtenkatalog ähnelt seiner Natur nach dem in Resolution 1373 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beschlossenen Regelwerk. Der ausdrückliche Verweis auf Kapitel VII als Rechtsgrundlage und die Formulierung der Verhaltenspflichten („all States shall“) lassen auch in Resolution 1540 keinen Zweifel daran, dass die beschlossenen legislativen Maßnahmen die Staaten unmittelbar rechtlich binden. Im weiteren Verlauf des operativen Teils von Resolution 1540 findet sich außerdem der Aufruf an die Staaten, das existierende multilaterale vertragliche Regime zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, zu denen Resolution 1540 ausdrücklich nicht in Konflikt treten soll239, zu stärken, den Verpflichtungen hieraus nachzukommen und mit Einrichtungen wie der Internationalen Atomenergiebehörde zusammenzuarbeiten. 240 Der Sicherheitsrat erkennt ferner an, dass manche Staaten der Hilfe benötigen, die Verpflichtungen aus Res. 1540 zu implementieren. 241 Schließlich kündigt der Rat an, die Implementierung von Resolution 1540 durch die Mitgliedstaaten genau zu überwachen.242 Zu diesem Zweck wird – wiederum ähnlich wie in Resolution 1373 – ein aus allen Mitgliedern des Sicherheitsrats bestehender Überwachungsausschuss eingerichtet, an den die Mitgliedstaaten binnen sechs Monaten zu berichten haben.243 Bemerkenswert ist, dass 235 236 237 238 239 240 241 242 243

Res. 1540, Ziff. 1. Ebda., Ziff. 2. Ebda., Ziff. 3. Ebda., Ziff. 3 (a) – (d). Ebda., Ziff. 5. Ebda., Ziff. 8. Ebda., Ziff. 7. Ebda., Ziff. 11. Ebda., Ziff. 4.

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dieser Ausschuss – anders als das unter Resolution 1373 eingerichtete Counter Terrorism Committee – zunächst auf zwei Jahre begrenzt ist. Wichtig ist aber auch zu sehen, was durch Resolution 1540 nicht geregelt wird. Anders als bei Resolution 1373, welche die zentralen Bestimmungen der bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus in sich vereint244, ging es dem Sicherheitsrat bei Resolution 1540 nicht darum, in vergleichbarer Weise die zentralen Vorschriften der bestehenden Verträge über atomare, biologische und chemische Waffen zu rezepieren, also etwa die an die Staaten gerichteten Verbote der Entwicklung, Herstellung, Vorhaltung oder sonstigen Beschaffung biologischer oder chemischer Waffen gemäß der jeweiligen Art. 1 des Biowaffen-245beziehungsweise des Chemiewaffenübereinkommens246 oder das an Nichtkernwaffenstaaten gerichtete Verbot der Herstellung, der Annahme oder des Erwerbs von Kernwaffen aus Art. II des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen247. Vielmehr beabsichtigte der Rat mit Resolution 1540, Rechtslücken zu schließen, die daraus resultierten, dass nichtstaatliche Akteure von diesen Verträgen nicht erfasst werden.248 Aus diesem Grund gibt es wegen der Ähnlichkeit der Regelungsmaterie zwar Überschneidungen zwischen Resolution 1540 und etwa Art. I und III des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, oder auch mit Art. III und IV des Biowaffenübereinkommens sowie mit Art. I Abs. 1 lit. a) und Art. VII Abs. 1 und 2 des Chemiewaffenübereinkommens. Doch der eigentliche Regelungsgegenstand von Resolution 1540 ist ein anderer, und zwar die Gefahr, dass solche Massenvernichtungswaffen auf Grund einer unkontrollierten Weiterverbreitung in die Hände terroristischer Vereinigungen gelangen könnten. Insoweit hat Resolution 1540 einen ganz klaren Bezug zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus und schreibt damit fort, was mit Resolution 1373 begonnen, aber noch nicht abschließend erfasst wurde.

Vgl. oben, II. 1. b). Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10. April 1972 (ILM 11 [1972], 309; BGBl. 1983 – II, 133). 246 Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen vom 13. Januar 1993 (ILM 32 [1993], 803; BGBl. 1994-II, 807). 247 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen v. 1. Juli 1968 (UNTS 729, 161; BGBl. 1974 II, 786). 248 Vgl. die Erklärung des amerikanischen UN-Botschafters John Negroponte: „The real aim of this resolution is to deal with non-state actors. It’s a serious gap in the international regime and it’s one that needs to be dealt with on an urgent basis.“ (zitiert nach Egyptian Gazette v. 4. 4. 2004, S. 1). 244 245

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4. Vereinbarkeit mit Kapitel VII UN-Charta Nach der Art der (abstrakt) festgestellten Friedensbedrohung und der Natur der im operativen Teil beschlossenen legislativen Maßnahmen ähnelt Resolution 1540 sehr stark der bereits ausführlich diskutierten Resolution 1373.249 Die dort gemachten Ausführungen gelten deshalb weitestgehend entsprechend auch für Resolution 1540, weshalb hier auf sie verwiesen werden kann. Aus den dort genannten Gründen ist der Sicherheitsrat nach Art. 39 UN-Charta grundsätzlich befugt, eine abstrakte Gefahr für den Weltfrieden festzustellen und diese auf der Grundlage von Art. 41 UN-Charta durch generell-abstrakte, also alle Staaten losgelöst von einer konkreten Gefahrensituation bindende Verhaltensregeln zu bekämpfen, wie er dies auch in Resolution 1540 getan hat. Gesondert zu prüfen ist deshalb vorliegend allein die Frage, ob die Abwesenheit der Proliferation von Massenvernichtungswaffen – wie zuvor bei Resolution 1373 die Abwesenheit terroristischer Anschläge – unter den eng zu verstehenden negativen Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta fällt und diesen Frieden auch bedroht.250 Daran kann es aber keinen Zweifel geben. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen hängt thematisch unmittelbar mit dem Einsatz bewaffneter Gewalt zusammen und betrifft nicht etwa entferntere Hintergrundursachen.251 Dass ihr Einsatz oder die Drohung damit den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in grundlegender Weise gefährden würden, muss nicht näher kommentiert werden. Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass das Problem der Proliferation von Massenvernichtungswaffen eine der größten Herausforderungen für die internationale Sicherheit des 21. Jahrhunderts ist.252 Es ließe sich auch nicht etwa argumentieren, die bloße Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen oder der Handel damit bewirke selbst noch nicht den Einsatz von Waffengewalt und stelle deshalb lediglich eine Vorstufe zur Friedensgefährdung dar. Eine solche Auffassung wäre mit der bereits erläuterten präventiven Dimension der von Art. 39 UN-Charta bezweckten Friedenssicherung unvereinbar und würde verkennen, dass das Verhindern der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oftmals die letzte Möglichkeit für die Staatengemeinschaft sein wird, ihren Einsatz durch terroristische Vereinigungen oder die den Weltfrieden ebenfalls gefährdende Drohung damit zu unterbinden. Ab diesem Zeitpunkt wäre die Staatengemeinschaft im Übrigen auch erpressbar. Der Sicherheitsrat kann deshalb nicht warten, bis solche Waffen in terroristische Hände gelangt sind, um erst dann auf der Grundlage von Kapitel VII aktiv zu werden. Auf diese Weise würde Vgl. oben, II. 2. und 3. Ausführlich zum Friedensbegriff in Art. 39 UN-Charta bereits oben, II. 2. b). 251 Dazu bereits: Aston, in: ZaöRV 62 (2002), 257 (288). 252 Vgl.: Ghatate, in: IndJIL 42 (2002), 194 (196); Udo Ulfkotte, „Interesse an Massenvernichtungswaffen. Bemühungen und Experimente von Al Qaida“, in: FAZ vom 11. Juni 2002, S. 2. 249 250

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er seiner Verantwortung für die Friedenssicherung aus Art. 24 UN-Charta nicht gerecht werden können. Insoweit gelten die zu Resolution 1373 gemachten Ausführungen entsprechend.253 Zu beachten ist auch der bereits mehrfach herausgestrichene enge thematische Bezug zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, um den es bei Resolution 1540 letztlich geht. Wenn der Sicherheitsrat aus den dargelegten Gründen befugt war, in Resolution 1373 den internationalen Terrorismus als allgemeine Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gemäß Art. 39 UN-Charta zu klassifizieren und Vorstufen wie seine Finanzierung oder sonstige materielle Unterstützung zu verbieten, so muss dies erst recht für die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an terroristische Vereinigungen gelten, die eine noch viel konkretere Gefahr als beispielsweise die „bloße“ Finanzierung darstellt. Aus diesen Gründen und vor dem Hintergrund der zu Resolution 1373 gemachten Ausführungen ist nicht erkennbar, dass der Sicherheitsrat in Resolution 1540 die Grenzen des ihm bei Maßnahmen nach Kapitel VII zukommenden Interpretationsvorrangs überschritten hat. Der Umstand, dass angesichts der im Vorfeld von Resolution 1540 laut gewordenen Kritik an der fortgesetzten legislativen Beschlusspraxis des Rates von einem Konsens unter den UN-Mitgliedern im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens derzeit noch nicht gesprochen werden kann, ist insoweit unschädlich. Auch Resolution 1540 hält damit einer rechtlichen Überprüfung stand.

IV. Perspektiven Mit Blick auf die nahe und ferne Zukunft stellen sich drei Fragen besonders dringlich. Fraglich ist zum einen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Sicherheitsrat gegen einzelne Staaten Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII zur Durchsetzung der in Resolutionen 1373 und 1540 enthaltenen Pflichtenkataloge ergreifen könnte. In besonderer Anbetracht der gegenwärtigen politischen Lage ist ferner problematisch, ob auch einzelne Staaten Zwangsmaßnahmen unter Hinweis auf Resolution 1373 oder 1540 rechtfertigen könnten. Schließlich ist zu klären, inwieweit die beiden Resolutionen als Präzedenzfälle für andere Bereiche als den der Terrorismusbekämpfung oder der Proliferation von Massenvernichtungswaffen dienen könnten. Denkbar ist, dass der Rat zukünftig in entsprechender Weise auch andere fundamentale Interessen der internationalen Gemeinschaft schützt und etwa im Bereich des Umweltschutzes den Gefahrenbegriff auf eine abstrakte Ebene verlagert. Der Rat könnte aber theoretisch auch auf den schon erlassenen Resolutionen aufbauen und beispielsweise das Produzieren, Beschaffen und Halten biologischer oder chemischer Waffen auch durch Staaten per se als Bedrohung des Weltfriedens klassifizieren und mit einem entsprechenden Verbot belegen, ohne den Einsatz die253

Ausführlich zum Begriff der Friedensbedrohung bereits oben, II. 2. c).

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ser Waffen oder die Drohung damit abzuwarten.254 Fraglich ist, wo bei alledem die rechtlichen Grenzen sind. 1. Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats auf der Grundlage legislativer Beschlüsse Fraglich ist, wie der Sicherheitsrat auf der Grundlage von Resolution 1373 oder 1540 reagieren könnte, sollte ein Staat gegen die dort beschlossenen Verhaltensregeln verstoßen. Im Rahmen dieser Problematik sind zwei Fallgestaltungen auseinander zu halten. Denkbar ist mit Blick auf Resolution 1373 zum einen, dass ein anderer Staat als das damals von dem Regime der Taliban beherrschte Afghanistan mittelbar oder unmittelbar in die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt war. Grundsätzlich ist die wenigstens implizite vorausgehende Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 39 UN-Charta Voraussetzung dafür, dass der Sicherheitsrat Maßnahmen auf der Grundlage von Kapitel VII UN-Charta ergreifen darf.255 Der Sicherheitsrat hat diese Anschläge aber bereits in Resolution 1373 als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit klassifiziert. Folglich müsste er dies theoretisch nicht noch einmal tun, wollte er im Hinblick auf die Ereignisse vom 11. September 2001 nunmehr selbst Maßnahmen gegen diesen Staat auf der Grundlage von Kapitel VII ergreifen. Dieses Szenario erscheint aber umso unwahrscheinlicher, je länger die Anschläge in den Vereinigten Staaten zurückliegen. Anders erweist sich dagegen die Beurteilung eines zweiten Szenarios. Die Frage ist, wie der Sicherheitsrat auf der Grundlage von Resolution 1373 reagieren könnte, wenn ein Staat gegen die dort beschlossenen Verhaltensregeln verstieße, ohne dass hierbei ein Bezug zu den Ereignissen des 11. September 2001 bestünde. Luigi Condorelli hat erwogen, die Rechtswirkung der in Resolution 1373 enthaltenen allgemeinen Verhaltensregeln auf die aktuelle Situation zu beschränken, „c’est-à-dire par rapport aux activités et aux réseaux terroristes qui sont derrière les événements du 11 septembre, alors qu’à l’avenir, concernant d’autres situations, les prescriptions établies par la Résolution ne seraient applicables en tant que telles qu’après l’établissement par le Conseil qu’il y a bien en l’espèce une nouvelle menace contre la paix engendrée par un nouveau cas de terrorisme international.“256

Zutreffend ist hieran, dass eine erneute Feststellung der Friedensbedrohung entsprechend der sonstigen Praxis des Sicherheitsrats erforderlich wäre, denn die abstrakte Feststellung in Resolution 1373 hat allein das Tor zu den dort beschlossenen 254 So bereits: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (344); s. ferner: Müller, in: EA 47 (1992), 51 (54). 255 Dazu bereits oben, II. 2. b). 256 Condorelli, in: RGDIP 105 (2001), 829 (835).

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legislativen Maßnahmen eröffnet. Sie berechtigt gerade wegen ihrer abstrakten Natur nicht unmittelbar auch zu Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat, der diesen Verhaltensregeln ohne jeden Bezug zu den Ereignissen vom 11. September 2001 zuwider handelt. Soweit Condorelli allerdings annimmt, diese Regeln seien auf solche Fälle gar nicht anwendbar, kann dem nicht zugestimmt werden. Wie er selbst zutreffend erkennt257, ist es gerade das Besondere an der Resolution, aufgrund ihres generell-abstrakten Charakters Geltung über den konkreten Fall hinaus zu beanspruchen. Es ist nicht ersichtlich, wie dem zuwider eine nur auf die Ereignisse des 11. September 2001 beschränkte Geltung begründet werden könnte. Es wäre deshalb erforderlich, aber nach der Logik von Resolution 1373 und im Lichte seiner sonstigen Praxis258 auch hinreichend, wenn der Sicherheitsrat feststellte, dass die Nichtumsetzung von Resolution 1373 den Weltfrieden bedrohe, um auf dieser Grundlage Maßnahmen gegen den betreffenden Staat nach Kapitel VII zu beschließen. Der Rat müsste folglich keinen „nouveau cas de terrorisme“ abwarten, sollte sich erweisen, dass ein Staat in Widerspruch zu den Verhaltensregeln von Resolution 1373 in terroristische Aktivitäten verwickelt ist. Entsprechendes gilt auch für Resolution 1540. Bei alledem tritt allerdings ein bekanntes Problem auf, das – wie bereits erläutert259 – dem völkerrechtsvertraglichen Regime immanent ist und auch vom Sicherheitsrat in Resolution 1373 nicht gelöst wurde. Gemeint ist das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition des Begriffs des internationalen Terrorismus, und es erscheint wenig wahrscheinlich, dass hier in absehbarer Zeit ein politischer Konsens erzielt werden kann.260 In Anbetracht dieser Rechtsunsicherheit und des Vetorechts der fünf ständigen Mitglieder bergen zukünftige, auf der Grundlage von Resolution 1373 oder 1540 getroffene Maßnahmen in besonderem Maße die Gefahr der politischen Willkür.261

Ebda., S. 834. Vgl. beispielsweise Resolutionen 731 (1992) und 748 (1992) im Fall Lockerbie, dazu bereits oben, II. 1. c). 259 Oben, II. 1. a). 260 Vgl.: Williams, in: VN 6 / 2001, 209 (213); dazu bereits oben, 1. a); der fehlende politische Konsens war auch mitverantwortlich dafür, dass der Tatbestand des Terrorismus keinen Eingang in das Statut des neuen internationalen Strafgerichtshofs fand, vgl.: Finke / Wandscher, in: VN 5 / 2001, 168 (172). 261 s.: Hugues, in: JDI 129 (2002), 753 (769); bereits in der Anhörung des Sicherheitsrats vom 18. Januar 2002 kam es wieder zu einer erheblichen Politisierung der Debatte (vgl. U.N. Doc. SC / 7276 v. 18. 1. 2002, dort die Erklärungen des syrischen, des indischen, des pakistanischen und des israelischen Vertreters sowie diejenige des Ständigen Beobachters Palästinas). 257 258

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2. Einzelstaatliche Durchsetzung? Es ist einzelnen Staaten im Grundsatz verwehrt, ohne ein entsprechendes Mandat des Sicherheitsrats unilaterale Zwangsmaßnahmen gegen andere Staaten zur Durchsetzung einer Sicherheitsratsresolution zu ergreifen. Denkbar wäre es zwar, solchen Staaten, die gegen die in Resolution 1373 statuierten Verhaltensregeln zur Bekämpfung des Terrorismus verstoßen, mit Gegenmaßnahmen (Repressalien) zu begegnen, doch dürfen diese nach ganz überwiegender und zutreffender Ansicht keine militärische Gewalt einschließen.262 Sollte sich herausstellen, dass noch andere Staaten mittelbar oder unmittelbar in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt waren, so wäre zu diskutieren, ob ein militärischer Schlag der Vereinigten Staaten noch von dem in Resolution 1368 anerkannten und in Resolution 1373 wiederholten Recht auf Selbstverteidigung gedeckt wäre.263 Je länger diese Ereignisse zurückliegen, desto schwieriger dürfte es jedoch werden, einen solchen Fall zu argumentieren. Maßnahmen bewaffneter Gewalt gegen solche Staaten, die mit den Ereignissen des 11. September 2001 in keiner Verbindung stehen, wären wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 4 UN-Charta jedenfalls völkerrechtswidrig, es sei denn, es entstünde abermals eine Situation im Sinne des Art. 51 UN-Charta. Es kann trotz der abstrakt gehaltenen Bestätigung des Selbstverteidigungsrechts in Resolution 1368 und 1373 und dem Hinweis auf die Notwendigkeit, die durch den internationalen Terrorismus verursachten Gefahren mit allen Mitteln zu bekämpfen264, nicht von einem Blankoscheck des Sicherheitsrats ausgegangen werden.265 Der Rat anerkennt das Selbstverteidigungsrecht ausdrücklich „in accordance with the Charter“266, im Übrigen könnte er die Grenzen des Art. 51 UN-Charta nicht eigenhändig erweitern. Das neue, in Resolution 1373 enthaltene allgemeinverbindliche Regelwerk zur Bekämpfung des Terrorismus ändert hieran nichts. Weder Resolution 1373 noch 1540 legitimieren mithin die unilaterale Anwendung von Gewalt von einzelnen Staaten zu ihrer Durchsetzung. Allein der Sicherheitsrat hat die Rechtsmacht, die darin enthaltenen Regelwerke – notfalls mit Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII – durchzusetzen.267 Wer einen Feldzug

262 Partsch, in: EPIL 4, 200 (202); vgl. auch Prinzip 1 der Friendly Relations Declaration, Anhang zu GV-Res. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970. 263 Vgl. in Bezug auf das Taliban-Regime bzw. Al Qaida: Bruha / Bortfeld, in: VN 5 / 2001, 161 (162 ff.); Tomuschat, in: EuGRZ 28 (2001), 535 (538 ff.) 264 „Reaffirming the need to combat by all means ( . . . )“ (Absatz 5 der Präambel) (Herv. d. Verf.). 265 In diese Richtung aber: Williams, in: VN 6 / 2001, 209 (210). 266 Resolution 1368, Präambel, Absatz 3; in Resolution 1373 heißt es „as recognized by the Charter“ (Absatz 4 der Präambel). 267 So auch die Erklärungen nach der Stimmabgabe der Vertreter von Deutschland und den Philippinen (Press Release SC / 8076 v. 28. 4. 2004) sowie bei der vorangegangenen offe-

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gegen den internationalen Terrorismus unter Einbeziehung militärischer Gewalt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Weltsicherheitsrats plant, mag in den in Resolution 1373 oder 1540 enthaltenen Wertungen eine moralische Legitimation suchen, eine völkerrechtliche Rechtfertigung wird er dort nicht finden können.268

3. Resolutionen 1373 und 1540 als Präzedenzfälle für andere Bereiche? Christian Tomuschat hat das neue Gefahrenverständnis von Art. 39 UN-Charta, zu dem der Sicherheitsrat in Resolution 1373 und später in 1540 gelangt ist, antizipiert, freilich ohne voraussehen zu können, dass es eines Tages seinen Ausgang im Bereich der Terrorismusbekämpfung nehmen würde. So heißt es in seiner Haager Vorlesung von 1993: „The Security Council could venture to develop a subject-matter-specific understanding of Article 39, determining, for instance, that certain types of armaments – like the production and stockpiling of biological weapons – constitute per se a threat to international peace and security. ( . . . ) (T)he Security Council may act not only as an executive agency that enforces the provisions of the Charter in individual cases, it also has the power to issue ,secondary legislation‘ with a view to preventing concrete, actual threats from arising. The main fields of application of this power can be arms regulation and disarmament as well as protection of the environment.“269

Akzeptiert man die in Resolution 1373 und 1540 enthaltene neue Lesart des Sicherheitsrats von Art. 39 UN-Charta, wie wir dies vorliegend getan haben, so spricht tatsächlich zunächst nichts dagegen, diese auch auf andere Bereiche zu übertragen, denn das bestehende internationale Vertragswerk zur Terrorismusbekämpfung ist nicht das einzige Regime, das erhebliche Defizite aufweist. Gleichwohl erscheint eine Differenzierung geboten. Denkbar ist durchaus eine Fortsetzung der neuen legislativen Beschlusspraxis des Rates im Bereich der Waffenregulierung und hierbei insbesondere der Massenvernichtungswaffen, da hier ein unmittelbarer Bezug zur „Abwesenheit bewaffneter Gewalt“ im Sinne des oben erläuterten engen Friedensbegriffs besteht.270 Theoretisch hindert den Sicherheitsrat nichts daran, zentralen Bestimmungen wie etwa den jeweiligen Art. 1 der Biooder der Chemiewaffenkonvention271 im Wege eines unilateralen Beschlusses zu umfassender Rechtsverbindlichkeit zu verhelfen, sollte er zu der Auffassung gelannen Aussprache im Sicherheitsrat die Erklärungen des Vertreters der Schweiz (Press Release SC / 8070 v. 22. 4. 2004). 268 Ähnlich zu Recht: Frowein, in: ZaöRV 62 (2002), 879 (885 ff.). 269 Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (344 f.); vgl. bereits: ders., in: BDGV 28 (1988), 9 (42). 270 So auch: Szasz, in: AJIL 96 (2002), 901 (904). 271 Dazu bereits oben, III. 2.

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gen, das existierende vertragliche und gewohnheitsrechtliche Regime reiche zur Bekämpfung der von diesen Waffen ausgehenden Gefahren nicht mehr aus. Dies wäre ein durchaus bedeutender Schritt, bedenkt man, dass das geltende Völkergewohnheitsrecht im Bereich der Massenvernichtungswaffen jedenfalls bislang allein an der konkreten Störung ansetzt, ohne sich zur Stufe präventiver Gefahrenabwehr hochentwickelt zu haben.272 Problematischer erscheint dagegen ein entsprechendes Vorgehen des Sicherheitsrates im Bereich des Umweltschutzes. Damit wäre ein Politikfeld tangiert, welches – wie andere politische, ökonomische, humanitäre und sozio-kulturelle Ursachen bewaffneter Gewalt – außerhalb des negativen oder engen Friedensbegriff des Art. 39 UN-Charta läge. Wie an anderer Stelle erläutert wurde273, hat der Sicherheitsrat nicht das Mandat, diese gleich einem Weltgesetzgeber zu regeln. Zur Begrenzung der sachlichen Zuständigkeit des Sicherheitsrats im Hinblick auf Kapitel VII der Charta ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem konkreten Regelungsgegenstand und der Bedrohung des Weltfriedens im Sinne der Abwesenheit bewaffneter Gewalt zu fordern. Umweltschädigenden Handlungen fehlt dieser unmittelbare Bezug im Grundsatz jedoch, so gravierend sie sein mögen und so wünschenswert ihre Bekämpfung erscheinen mag. Nur im Fall eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen einer umweltschädigenden Handlung und einer Bedrohung für den Frieden durch bewaffnete Gewalt wäre ein Vorgehen des Sicherheitsrats, das die umweltmäßigen Ursachen zum Gegenstand hat, ausnahmsweise denkbar. In Anbetracht zunehmend knapperer natürlicher Ressourcen und Lebensräume ist eine solche Fallgestaltung freilich nicht ausgeschlossen.274 Der Frieden im Sinne von Art. 39 UN-Charta ist, wie gezeigt, ein für zukünftige Entwicklungen offener Begriff. Letztlich erscheint es wegen des engen funktionalen Zusammenhangs von Art. 39 und 41 UN-Charta sinnvoller, eine Begrenzung der Kompetenzen des Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta über Art. 39 und nicht über Art. 41 UNCharta zu suchen, und zwar durch eine Begrenzung des dortigen Friedensbegriffs. Auf diese Weise würde auch ein abstraktes Gefahrenverständnis innerhalb des Art. 39 UN-Charta, wie es in Resolution 1373 erstmals zu Grunde gelegt wurde, den Sicherheitsrat nicht zu einem allzuständigen Garanten des „positiven“ Weltfriedens machen, der sämtliche Hintergrundursachen bewaffneter Konflikte bekämpft. Eine fortdauernde legislative Praxis des Sicherheitsrats kann für die UN-Mitgliedstaaten aber auch verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, insbesondere wenn es – wie etwa im Fall der Bundesrepublik Deutschland275 – an einer allTomuschat, in: BDGV 28 (1988), 9 (33). Oben, II. 2. b). 274 Ähnlich auch: Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats, S. 253, der im Übrigen einen engen Friedensbegriff vertritt (vgl. ebda., S. 224 ff.). 275 Vgl. allein das Außenwirtschaftsgesetz vom 28. April 1961. 272 273

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gemeinen Verordnungsermächtigung zur Umsetzung von Resolutionen der Vereinten Nationen fehlt. Da einerseits eine Sicherheitsratsresolution nicht der Ratifizierung durch den nationalen Gesetzgeber bedarf, dieser andererseits aber auch nicht an die Resolutionen des Sicherheitsrats gebunden ist, können Probleme bei der zeitnahen Verpflichtung der Staaten aus Art. 25 UN-Charta entstehen, zumal sich der Gesetzgeber theoretisch auch weigern könnte, Gesetze nach Maßgabe der betreffenden Sicherheitsratsresolution zu beschließen. Denkbar ist zwar, eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Umsetzung von Sicherheitsratsresolutionen aus der Zustimmung zur UN-Charta abzuleiten. Doch auch bei einer solchen Verpflichtung wäre der Gesetzgeber an die verfassungsmäßige innerstaatliche Ordnung gebunden276, so dass hier ein Konflikt zwischen der völkerrechtlichen Verpflichtung aus einer Sicherheitsratsresolution und der innerstaatlichen Ordnung auftreten kann.277 Unabhängig von diesen theoretischen Erwägungen ist offen, wie sich die mit Resolution 1373 begonnene und mit Resolution 1540 fortgesetzte legislative Praxis in der Zukunft tatsächlich fortentwickeln wird. Bei Resolution 1373 waren die Staaten angesichts des unmittelbar fortwirkenden Eindrucks des 11. September jedenfalls eher bereit, eine Resolution des Sicherheitsrats mit echtem gesetzgeberischen Charakter zu akzeptieren. Es deutete nach 2001 deshalb zunächst alles darauf hin, dass sich ein entsprechender Konsens unter den UN-Mitgliedern im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens würde entwickeln können. Im Vorfeld von Resolution 1540 hat die breite Mitgliedschaft der UN darauf gedrungen, frühzeitig in die Beschlussfassung eingebunden zu werden. Daraufhin fanden auf Initiative der deutschen Ratspräsidentschaft im April 2004 mehrere Treffen mit Nichtmitgliedern des Rates statt, was die Akzeptanz der Resolution sicherlich gesteigert hat. Doch seit der Debatte im Vorfeld von Resolution 1540 ist auch klar, dass längst nicht alle Staaten ohne weiteres gewillt sind, eine fortgesetzte legislative Beschlusspraxis des Rates zu akzeptieren. Auch wenn der Rat sich letztlich über die grundlegenden Bedenken dieser Staaten hinwegsetzte und Resolution 1540 gleichwohl verabschiedete, kann von einem Konsens im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens jedenfalls derzeit noch nicht gesprochen werden.278 All dies ändert aber nichts daran, dass Resolutionen 1373 und 1540 Präzedenzfallcharakter in der Beschlusspraxis des Rates haben. Es dürfte mit fortschreitender Zeit und zunehmender Akzeptanz dieser beiden Resolutionen schwieriger für einzelne Staaten werden, eine legislative Kompetenz des Rates generell in Abrede zu stellen. Viele Staaten dürften deshalb versucht sein, eine solche Kompetenz zumindest auf Ausnahmesituationen zu beschränken, um nicht fortlaufend ohne ihre Zustimmung im Wege eines Sicherheitsratsbeschlusses an Normen des Völker276 277 278

Im Falle Deutschlands etwa gemäß Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG. Ausführlich: Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101 (121 ff.). Hierzu bereits oben unter II. 2. c) und 3. d) sowie ausführlich unter III. 1.

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rechts gebunden zu werden.279 Wenn sie dies dann im Einzelfall nicht verhindern können, werden sie jedenfalls Einfluss auf die Beschlussfassung im Rat zu nehmen versuchen und zu diesem Zweck auf eine frühzeitige Einbeziehung dringen, wie es nunmehr im Vorfeld von Resolution 1540 geschehen ist.

B. Resolutionen der Generalversammlung Eine Untersuchung des Phänomens der Rechtsetzung internationaler Organisationen kommt nicht ohne Rekurs auf die Kompetenzen der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus, auch wenn zu diesem Problemkreis bereits umfangreiche Literatur existiert.280 Immer wieder sollte der Generalversammlung eine echte Rechtsetzungskompetenz zuerkannt werden, eine Sichtweise, die insbesondere in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nach der Majorisierung der Generalversammlung durch die Entwicklungsländer im Zuge der Entkolonialisierung Konjunktur hatte. Natürlich ist es verlockend, der Generalversammlung eine solche Kompetenz zuzuschreiben, sind in ihr doch alle Staaten vertreten281 und hat sie eine (freilich auf den Zuständigkeitsbereich der UN beschränkte) umfassende Zuständigkeit ratione materiae.282 Sie wäre deshalb als Gesetzgeber der Staatengemeinschaft geradezu prädestiniert. So ist beispielsweise bei dem ehemaligen Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs, Taslim Olawale Elias, nachzulesen, Staaten, die einer Resolution der Generalversammlung zugestimmt hätten, seien an diese gebunden, da sie einen entsprechenden Willen manifestiert hätten. Jene Staaten, die sich der Stimme enthielten, seien gebunden, weil sie es versäumt hätten, einen entgegenstehenden Willen zu manifestieren. Überstimmte Staaten schließlich seien ebenfalls gebunden, da sie sich nach demokratischen Prinzipien dem Willen der Mehrheit zu beugen hätten.283 Ferner erscheint eine Auseinandersetzung mit dem Prob279 Vgl. auch die Debatte im Vorfeld von Resolution 1540 (Press Release SC / 8070 v. 22. 4. 2004), dort z. B. die Stellungnahmen der Vertreter von Namibia, Nigeria, Kuwait, Südkorea und der Schweiz. 280 Vgl.: Arangio-Ruiz, in: 137 RdC (1972 – III), 419 (431 – 518); ders., The UN Declaration on Friendly Relations; Asamoah, The Legal Significance of the Declarations of the General Assembly; Castañeda, Legal Effect of United Nations; Higgins, Development of International Law through the Political Organs of the United Nations; McDougal / Lasswell / Reisman, in: Falk / Black, The Future of the International Legal Order I, 73 ff.; Seidl-Hohenveldern, in: RdC 163 (1979 – II), 165 ff.; Sørensen, in: RdC 101 (1960 – III), 1 (91 – 108); Tunkin, in: RdC 119 (1966 – III), 1 (32 – 37); zu einer Diskussion aus jüngerer Zeit vgl.: Hailbronner / Klein, in: Simma, UN Charter, zu Art. 10, Rn. 38 ff. 281 Art. 9 Abs. 1 UN-Charta. 282 Art. 10 UN-Charta. 283 Africa and the Development of International Law, 1. Auflage, Leyden 1972, S. 74 f.; diese Ansicht wird in der zweiten Auflage des Buches von 1988 beibehalten, vgl. dort S. 73.

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lem auch deshalb angebracht, weil die herrschende Meinung einiger klarstellender Bemerkungen bedarf. Zu Recht wird die Frage deshalb auch von der jüngeren Literatur weiterhin diskutiert.284 Resolutionen der Generalversammlung erfüllen ohne weiteres das Merkmal der Unilateralität, da sie zu ihrer Rechtsgeltung grundsätzlich nicht eines gesonderten Zustimmungsaktes ihrer Mitgliedstaaten bedürfen. In Ermangelung dieser Notwendigkeit sind sie unmittelbar der Generalversammlung als deren Autor zuzurechnen. Auch können Resolutionen der Generalversammlung durchaus abstrakt-generellen Charakters sein, was – wie im vorangegangenen Kapitel erarbeitet – ebenfalls ein Definitionsmerkmal echter Rechtsetzung ist. Häufig trägt eine solche Resolution dann eine besondere Bezeichnung wie „Deklaration“, „Charta“ oder „Erklärung“, um den Anspruch deutlich zu machen, dass hier politische oder rechtliche Grundsätze von besonderer Wichtigkeit zum Ausdruck gebracht werden sollen.285 Die entscheidende Frage ist somit die der Rechtsbindungswirkung der Resolutionen, ohne die von einem Gesetzgebungsakt nicht gesprochen werden kann. Die Antwort hierauf ist durch Auslegung der Primärnorm zu ermitteln, aus der die Generalversammlung die Kompetenz zur Verabschiedung von Resolutionen ableitet. Sollte sich eine Rechtsverbindlichkeit nicht aus der Charta ableiten lassen, so bleibt fraglich, ob eine solche stattdessen durch formlosen zwischenstaatlichen Konsens herbeigeführt werden kann. Selbst wenn dies im Grundsatz möglich sein sollte, bleibt fraglich, ob derart rechtsverbindlich gewordene Resolutionen der Generalversammlung als Beispiele echter Sekundärgesetzgebung angesehen werden könnten.

I. Die Frage der Rechtsverbindlichkeit Die Primärnorm, aus der die Generalversammlung eine Rechtsetzungsbefugnis ableiten könnte, ist die Charta der Vereinten Nationen. Fraglich ist, ob eine Auslegung der Charta ergibt, dass Resolutionen der Generalversammlung rechtsverbindlich sein können. 284 Vgl. z. B.: Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (262 – 263); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (330 – 333); ders., in: 281 RdC (1999), 9 (342 – 343); einen systematischen Überblick über die Argumente liefern: Hailbronner / Klein, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 10, Rn. 43 ff. 285 Hier sind insbesondere zu nennen: Res. 217 (III) (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) vom 10. Dezember 1948; Res. 1514 (XV) (Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples) vom 14. Dezember 1960; Res. 1803 (XVII) (Declaration on Permanent Sovereignty over Natural Resources) vom 14. Dezember 1962; Res. 1962 (XVIII) (Declaration of Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space) vom 13. Dezember 1963; Res. 2625 (XXV) (Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in Accordance with the Charter Of the United Nations) vom 24. Oktober 1970; Res. 3281 (XXIX) (Charter of Economic Rights and Duties of States) vom 12. Dezember 1974; Res. A / 37 / 10 (Manila Declaration on the Peaceful Settlement of International Disputes) vom 15. November 1982.

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Eine am Wortlaut ausgerichtete Auslegung der Kompetenznorm lässt den Schluss auf eine Befugnis zur verbindlichen Außenrechtssetzung nicht zu. Gemäß Art. 10, 1. Halbsatz der Charta kann sich die Generalversammlung mit jeder Angelegenheit befassen, die in den Zuständigkeitsbereich der Vereinten Nationen fällt, nach Art. 11 Abs. 1 auch mit den allgemeinen Grundsätzen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Es verbietet sich jedoch, von diesen Aufgaben auf bestimmte Befugnisse zu schließen, zumal diese in den genannten Bereichen eine ausdrückliche Regelung erfahren haben. Nach Art. 10, 2. Halbsatz sowie Art. 11 Abs. 1 der Charta ist die Generalversammlung lediglich zur Abgabe von Empfehlungen befugt. Einer Empfehlung („recommendation“ im englischen und französischen Sprachgebrauch) kommt jedoch weder nach allgemeinem noch nach juristischem Sprachgebrauch ein verbindlicher Charakter zu. Eine systematische Auslegung von Art. 10 im Kontext anderer Kompetenznormen der Charta erhärtet das Auslegungsergebnis. Die Charta unterscheidet eindeutig zwischen Empfehlungs- und Beschlusskompetenz. Stets dort, wo die Generalversammlung zur Vornahme rechtsverbindlicher Entscheidungen befugt ist, spricht die Charta von Beschlüssen, nicht jedoch von Empfehlungen. Diese Beschlusskompetenz betrifft jedoch ausschließlich Fragen technischer oder organisatorischer Art, die sich auf das Innenverhältnis der Organisation beschränken.286 Das Auslegungsergebnis lässt sich ferner im Wege der genetischen Auslegung bestätigen. Es ist bekannt, dass auf der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco ein Antrag der philippinischen Regierung, der Generalversammlung eine Kompetenz zur verbindlichen Außenrechtsetzung zu verleihen, auf eindeutige Ablehnung gestoßen ist.287 Ferner hat der internationale Gerichtshof in den South West Africa Cases im Zuge der Zurückweisung der Klagen von Äthiopien und Liberia gegen Südafrika das Fehlen einer Rechtsetzungskompetenz der Generalversammlung bestätigt.288 Gleiches klingt fünf Jahre später im NamibiaGutachten des Gerichtshofs an.289 Eine Bindungswirkung lässt sich ferner nicht herleiten, indem man der Generalversammlung das Recht zur authentischen und verbindlichen Interpretation der Charta zuerkennt. Zwar hat der IGH festgehalten, jedes Organ der Vereinten Nationen habe seine Kompetenzvorschriften zunächst selbst auszulegen.290 Doch hie286 Haushalt (Art. 17); Änderung der Charta (Art. 108, 109); Wahl von Mitgliedern in Ausschüsse und Organe (Art. 23, 61, 97); Aufnahme, Ausschluss und Suspendierung von Mitgliedern (Art. 4 – 6). 287 Vgl.: Doc. 2 G / 14 (k) vom 5. Mai 1945, abgedruckt in: UNCIO, Vol. 3, 535 (536 f.) (Vorschlag der philippinischen Delegation); Doc. 507 II / 2 / 22 vom 23. Mai 1945, abgedruckt in: ebda., Vol. 9, 69 f. (70) (Ablehnung des Vorschlags bei einem Abstimmungsergebnis von 1 zu 26 Stimmen). 288 Urteil des IGH vom 18. Juli 1966, ICJ Reports 1966, 6 (50 f., § 98). 289 Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Aftica in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Gutachten des IGH vom 21. Juni 1971, ICJ Reports 1971, 16 ff.

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Teil 2: Erscheinungsformen

raus ist keine Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten zu folgern.291 Eine entsprechende Kompetenz ist der Generalversammlung im Übrigen auf der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen ausdrücklich durch Nichtberücksichtigung einer entsprechenden belgischen Initiative versagt worden.292 Eine andere Lesart der Befugnisse der Generalversammlung würde nicht zuletzt auch aus dem Blickwinkel demokratischer Legitimität erheblichen Bedenken begegnen. Bekanntlich findet gemäß Art. 18 Abs. 1 UN-Charta eine Stimmengewichtung nach Einwohnerzahl in der Generalversammlung nicht statt. China, der mit derzeit knapp 1,25 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste Staat der Erde, hat ebenso eine Stimme wie der bevölkerungsärmste Inselstaat Nauru mit derzeit gerade einmal elftausend Einwohnern.293 113.636 chinesischer Bürger hätten damit denselben Einfluss wie ein einziger Bürger der Republik Nauru. Nun sind Ungleichgewichte der Stimmen im Verhältnis zur Einwohnerzahl des jeweiligen Staates eine bekanntes Phänomen selbst dort, wo eine Stimmengewichtung stattfindet. So fällt beispielsweise im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften zum Schutze von Minderheiten der Quotient des Stimmrechts eines Staates pro Einwohner umso höher aus, je weniger Einwohner dieser Staat zählt. Allerdings erreicht ein derartiges Ungleichgewicht bei weitem nicht die Ausmaße wie in dem geschilderten Fall von China und Nauru.294 Aus diesen Gründen lehnt die heute ganz überwiegende Meinung im Grundsatz eine Rechtsbindungswirkung von Resolutionen der Generalversammlung zu Recht ab.295

290 Vgl.: Certain Expenses of the United Nations, Gutachten des IGH vom 20. Juli 1962, 150 (168). 291 Hailbronner / Klein in: Simma, UN-Charter, zu Art. 10, Rn. 46. 292 Vgl.: Doc. 2 G / 7 (k) (1) vom 4. Mai 1945, abgedruckt in: UNCIO, Vol. 3, 335 (339). 293 Vgl.: Baratta (Hrsg.), Fischer Weltalmanach 2001, S. 163 sowie 563. 294 Ähnlich: Simma, in: RdC 250 (1994 – I), 217 (263); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (333); ders., in: RdC 281 (1999), 9 (343). 295 s. beispielsweise den Bericht von Krzysztof Skubiszewski mit dem Titel „The elaboration of general multilateral conventions and of non-contractual instruments having a normative function or objective“ an das Institut de Droit International, abgedruckt in: Annuaire de l’Institut de Droit International 61 – 1 (1985), 85. Die Schlussfolgerungen Skubiszewskis wurden vom Institut de Droit International angenommen (s. Resolution vom 17. September 1987, abgedruckt in: Annuaire de l’Institut de Droit International 62 – II (1987), 274 (276); vgl. ferner: Hailbronner / Klein, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 10, Rn. 47; Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (262 f.); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (331 f.); ders., in: RdC 281 (1999), 9 (342 f.); ders. in: AVR 33 (1995), 1 (12); Frowein, in: ZaöRV 36 (1976), 147 (149 f.); ders., in: FS Doehring, 219 (223); Yemin, Legislative Powers, S. 23 f.; Bowett, The Law of International Institutions, S. 47.

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II. Rechtsbindung durch formlosen zwischenstaatlichen Konsens Unter ganz bestimmten Voraussetzungen, die im Einzelnen umstritten sind, erkennt die überwiegende Meinung im Schrifttum jedoch bestimmten Resolutionen der Generalversammlung ausnahmsweise unmittelbare Rechtsverbindlichkeit zu.296 Eine Erweiterung der Zuständigkeit der Generalversammlung sei nicht nur durch eine Änderung der UN-Charta nach deren Art. 108 und 109 möglich, sondern auch im Wege einer Rechtsfortbildung durch „formlosen, zwischenstaatlichen Konsens“. Ein solcher Konsens bilde die ursprüngliche Quelle des Völkerrechts, die den nicht-abschließenden Katalog des Art. 38 IGH-Statut überlagere.297 An einen solchen Konsens sind freilich hohe Anforderungen zu stellen, wobei Einzelheiten hier umstritten sind. Um ein Leerlaufen der Art. 108 und 109 der Charta zu verhindern, fordert eine Ansicht eine Zweidrittelmehrheit einschließlich der Zustimmung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und zudem, dass die Staaten den Inhalt der Resolution als bindendes Völkerrecht anerkennen, was durch inhaltlich übereinstimmende Erklärungen, konkludente Handlungen oder widerspruchslose Hinnahme entsprechender Rechtsbehauptungen anderer Staaten geschehen könne.298 Einer anderen Ansicht zufolge ist eine Resolution der Generalversammlung dann als Rechtsquelle sui generis anzusehen, wenn bei ihrer Verabschiedung ein hoher Grad an Zustimmung erreicht wurde, eine ausreichende Überzeugung der Staaten bezüglich ihrer Rechtsverbindlichkeit gegeben ist, die sprachliche Fassung ihre rechtsverbindliche Natur wiedergibt und eine Durchsetzung innerhalb eines (allerdings nicht zu lang zu bemessenden) nachfolgenden Zeitraumes erreicht wird.299 Beide Ansichten fordern zusätzlich, dass die in ihren Interessen besonders betroffenen Staaten der Resolution zugestimmt haben müssen. Nicht zuletzt auf Grund dieses qualitativen Elements erfüllen die wenigstens Resolutionen die Voraussetzungen für eine dergestalt konstruierte Rechtsverbindlichkeit. Prominentes Beispiel ist hier die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten von 1974, da die in erster Linie von ihrem Inhalt betroffenen westlichen Industriestaaten ihre Zustimmung zu der Resolution verweigerten. Allenfalls ließe sich eine Rechtsverbindlichkeit der Declaration of Legal (sic!) Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space aus dem 296 Simma, in: Bernhardt et al., Die Bedeutung der Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen II, 45 ff.; Bernhardt, in: ZaöRV 36 (1976), 50 (72 f.); Tomuschat, in: ZaöRV 36 (1976), 444 ff.; Hailbronner / Klein, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 10, Rn. 54 ff.; kritischer dagegen: Schachter, in: Macdonald / Johnston, Structure and Process of International Law, 745 (791). 297 Simma, in: Bernhardt et al., Die Bedeutung der Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen II, 45 (59); Tomuschat, in: ZaöRV 36 (1976), 444 (485). 298 Simma, ebda. 299 Vgl.: Hailbronner / Klein, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 10, Rn. 56.

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Teil 2: Erscheinungsformen

Jahr 1963 konstatieren, da diese einstimmig angenommen wurde und die besonders betroffenen Staaten Sowjetunion und USA übereinstimmend ihren Willen zum Ausdruck brachten, den Inhalt der Resolution als rechtsverbindlich anzuerkennen.

III. Geltungsgrund bei zwischenstaatlichem Konsens Gleichwohl bedarf es wegen des Ausgangspunktes der vorliegenden Untersuchung – der Überwindung des einzelstaatlichen Willens in einem institutionellen Rahmen – einer wichtigen Klarstellung. Eine Resolution, die den von den beiden Ansichten entwickelten Test der Rechtsverbindlichkeit besteht, schöpft ihre Kraft der Rechtsverbindlichkeit nicht aus dem Primärrecht der Vereinten Nationen, da diese gerade keine solche Rechtsverbindlichkeit vorsieht. Ihre normative Kraft leitet sich vielmehr aus einem entsprechenden überstaatlichen Konsens ab. Diese Herleitung von Rechtsverbindlichkeit ist qualitativ jedoch etwas anderes als eine (denkbare) perpetuierte Grundlage der Rechtsverbindlichkeit im Primärvertrag, zumal ein solcher Konsens stets nur einzelfallbezogen ist. Anders ausgedrückt, eine solche Resolution ist nie aus sich heraus rechtsverbindlich, sondern bedarf stets eines zusätzlichen qualitativen Elements.300 Sie leitet sich folglich nicht aus einer Primärnorm ab, sondern aus einem zwischenstaatlichen Konsens. Diese Unterscheidung ist auch von erheblicher praktischer Bedeutung. In einem institutionellen System, in dem ein Organ zu echter Rechtsetzung im Wege des Mehrheitsbeschlusses berufen ist, könnte ein entgegenstehender Wille eines besonders betroffenen Staates überwunden werden, bei der Ableitung aus einem zwischenstaatlichen Konsens jedoch nicht. Eine Rechtsverbindlichkeit der Resolutionen der Generalversammlung lässt sich damit unter keinem Gesichtspunkt aus der Charta als Primärnorm ableiten. Zwar kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Resolutionen der Generalversammlung von überragender Bedeutung für die Fortentwicklung des Völkerrechts sind, da sie als Plenarorgan der Weltorganisation eine Plattform für die Verkündung des Willens der Staatengemeinschaft und der opinio iuris darstellt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass ihre Resolutionen keine echten Rechtsetzungsakte sind, auch jene nicht, denen die Staatengemeinschaft durch übergreifenden Konsens Rechtsverbindlichkeit zuerkennt.

300 Ähnlich: Detter, Law-Making, S. 211 – 213; weniger ausführlich, i. E. aber ebenso: Yemin, Legislative Powers, S. 24.

4. Kap.: Sonderorganisationen der Vereinten Nationen

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4. Kapitel

Sonderorganisationen der Vereinten Nationen Neben den Vereinten Nationen gibt es eine Vielzahl weiterer internationaler Organisationen, deren Bedeutung – wie in der Einleitung zu diesem Teil der Untersuchung erläutert – je nach Zuständigkeitsbereich, Kompetenzen und Mitgliedern ganz erheblich variiert. Doch nur ein begrenzter Teil von ihnen ist durch die Gründungsmitglieder mit Kompetenzen zur Sekundärgesetzgebung versehen worden. Auffällig ist, dass jene der hier interessierenden universellen Organisationen, denen eine solche Rechtsetzungskompetenz zugedacht worden ist, de facto regelmäßig auch den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen genießen, auch wenn de iure das eine weder Voraussetzung noch Folge des anderen ist. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Überschrift zu dem nun folgenden Abschnitt. Eine internationale Organisation erlangt den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC), die von der Generalversammlung bestätigt werden muss. Die Rechtsgrundlage für derartige Vereinbarungen findet sich in Art. 57 und Art. 63 UN-Charta. Der Status der Sonderorganisation führt nicht etwa zu einem Verlust der autonomen Stellung der betreffenden Organisation. Gemäß Art. 63 Abs. 2 UN-Charta kommt es aber zu einer Formalisierung der Beziehungen mit den Vereinten Nationen, die sich insbesondere darin ausdrückt, dass der ECOSOC die Aktivitäten der Sonderorganisationen durch Konsultationen und Empfehlungen – auch an die Generalversammlung und die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen – koordinieren kann. Er bildet die Grundlage für eine partnerschaftliche Kooperation mit den Sonderorganisationen oder Programmen der Vereinten Nationen. Derzeit haben vierzehn internationale Organisationen den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen.301 Eine Reihe dieser Sonderorganisationen, 301 Dies sind die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltbankgruppe (bestehend aus der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung [IBRD], der Internationalen Entwicklungsorganisation [IDA], der Internationalen Finanzkorporation [IFC], der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur [MIGA] und dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten [ICSID]), ferner der Internationale Währungsfonds (IWF), die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), die Internationale Fernmeldeunion (ITU), der Weltpostverein (UPU), die Weltorganisation für Meteorologie (WMO), die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), der Internationale Agrarentwicklungsfonds (IFAD) und schließlich die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO), vgl. die Übersicht in: Hauptabteilung Presse und Information der Vereinten Nationen (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, U.N. Doc. DPI / 2079 / Add.1,

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Teil 2: Erscheinungsformen

jedoch nicht alle, haben auf der Grundlage ihrer Satzung die Rechtsmacht, sekundäres Recht im Außenverhältnis zu produzieren. Ein einheitliches Rechtsetzungsmodell existiert hierbei gleichwohl nicht. Vielmehr lassen sich verschiedene Erscheinungsformen unterscheiden, die im Folgenden anhand des Weltpostvereins, der Weltzivilluftfahrtorganisation und der internationalen Arbeitsorganisation darzustellen sind, da deren Satzungen insoweit Modellcharakter haben. Die übrigen Sonderorganisationen, die in den Bereich des Untersuchungsgegenstandes fallen, lassen sich in der Regel einem dieser drei Modelle zuordnen und können deshalb teilweise etwas knapper dargestellt werden. Gleichwohl weisen sie häufig interessante Besonderheiten in Theorie und Praxis auf. A. Das Modell des Weltpostvereins Der Weltpostverein trägt einen irreführenden Namen. Er ist kein privatrechtlich organisierter Verein, sondern erfüllt alle Kriterien einer zwischenstaatlichen internationalen Organisation. Als eine solche ist er nach der Internationalen Telekommunikationsunion die zweitälteste. Er wurde im Jahr 1874 auf Initiative des Deutschen Heinrich von Stephan zunächst als „Allgemeiner Postverein“ (General Postal Union) gegründet, nach stetig wachsender Anzahl seiner Mitglieder dann bereits im Jahr 1878 in „Weltpostverein“ (Universal Postal Union) umgetauft.302 Seit 1948 genießt die in Bern beheimatete Organisation den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen.303 Mit derzeit 190 Mitgliedern304 ist sie eine universelle internationale Organisation. Die wesentlichen Aufgaben des Weltpostvereins liegen darin, die Entwicklung eines globalen und effizienten postalischen Netzes durch Standardisierung und Koordinierung zu fördern. Über die langen Jahre seines Bestehens hinweg hat der Weltpostverein strukturelle Veränderungen durchlaufen, die ihn von dem klassischen tripoden Aufbau einer internationalen Organisation (Plenum, Exekutivrat, Sekretariat) entfernt haben. Dabei ist auch das System der Sekundärgesetzgebung komplizierter geworden, insbesondere da es zu einem Splitting der Zuständigkeiten gekommen ist und sich zudem die normativen Grundlagen in verschiedenen Rechtstexten des Weltpostvereins befinden.

deutsche Übersetzung: Informationszentrum der Vereinten Nationen (UNIC) Bonn, Januar 2002. 302 s.: Universal Postal Union (Hrsg.), Constitution with Commentary, Historical Outline, S. IX. 303 Vgl.: (Stand: Mai 2004). 304 Vgl.: (Stand: Mai 2004).

4. Kap.: Sonderorganisationen der Vereinten Nationen

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I. Institutioneller Aufbau Lange Zeit bestand die Besonderheit des Weltpostvereins darin, dass er sich stets anlässlich der etwa alle fünf Jahre tagenden Mitgliedstaatenkonferenz (des Kongresses) rechtlich neu erfand, indem die zugrundeliegende Konvention jeweils durch eine neue ersetzt wurde.305 Dies änderte sich erst durch den Kongress von Wien im Jahr 1964, als dieser dem Weltpostverein mit der Satzung (Constitution) vom 10. Juli 1964306 eine permanente Rechtsgrundlage gab.307 Auf dieser Verfassung gründet auch der aktuelle Aufbau der Organisation, wobei später die Bezeichnung der Organe sowie die Zuständigkeiten noch einmal geändert wurden. Gemäß Art. 13 dieser Satzung, die seit 1964 durch sechs Zusatzprotokolle modifiziert worden ist308, verfügt der Weltorgan mit dem Kongress (Congress), dem Verwaltungsrat (Council of Administration), dem Postvollzugsrat (Postal Operations Council) und einem Sekretariat (International Bureau) über vier Hauptorgane. Doch nur die drei letztgenannten sind ständige Organe des Vereins, vgl. Art. 13 Abs. 2 UPU e contrario. Der alle Mitgliedstaaten umfassende Kongress ist zwar das höchste Organ, doch tagt er nicht ständig, sondern nur etwa alle fünf Jahre, dies auch an jeweils an unterschiedlichen Orten. Der Kongress verfügt originär über alle Zuständigkeiten im Bereich des Mandats des Weltpostvereins inklusive der Sekundärgesetzgebungskompetenzen.309 Hieraus entstand aber das Problem, dass nach Ende eines Kongresses ein Zeitraum von regelmäßig fünf Jahren abzuwarten war, ehe der Weltpostverein durch seinen Kongress wieder legislativ tätig werden konnte. Dies wiederum wurde als unzufriedenstellend empfunden, wenn Normänderungen geboten erschienen, um mit häufig eintretenden neuen Entwicklungen im technischen Bereich Schritt zu halten. Um diese Zeiträume der legislativen Lähmung zu überwinden, kam es durch den Kongress von Seoul im Jahr 1994 zu einer partiellen Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an den ständig tagenden Postvollzugsrat310, der gemäß Art. 104 der allgemeinen Vollzugsregeln (General Regulations)311 mit 40 Mitgliedern ein Organ begrenzter Mitgliedschaft ist und vom Kongress gewählt wird.

305 s.: UPU (Hrsg.), Constitution with Commentary, Kommentar 14.1 zu Art. 14 der Satzung, S. A.14. 306 Text der Satzung in der Fassung vom 10. Juli 1964 in: BGBl. 1965 – II, 1633. 307 UPU (Hrsg.), Constitution with Commentary, Kommentar 22.1 zu Art. 22 der Satzung, S. A.19. 308 s.: (Stand: Mai 2004). 309 Vgl.: UPU (Hrsg.), Constitution with Commentary, Kommentar 14.1 zu Art. 14 der Satzung, S. A.14. 310 Vgl.: ebda., Historical Outline, S. X f.; s. a. Art. 13 Abs. 2 der Satzung. 311 Ebda., S. B.12.

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Teil 2: Erscheinungsformen

II. Sekundärgesetzgebungsakte des Weltpostvereins nach Art. 22 UPU und Teilung der Zuständigkeiten Art. 22 UPU unterscheidet zwischen insgesamt sechs Arten von Rechtsakten des Weltpostvereins. Hierbei ist entsprechend des vorstehend Gesagten zwischen der Zuständigkeit des Kongresses und des Vollzugsrats zu unterschieden.

1. Rechtsakte des Kongresses Nach Art. 22 UPU i.V.m. dem Prinzip der originären Zuständigkeit hat der Kongress des Weltpostvereins die Kompetenz, Rechtsakte unterschiedlicher Natur zu erlassen. Zunächst bildet die Satzung gemäß ihres Art. 22 Abs. 1 das grundlegende Rechtsinstrument des Weltpostvereins. Allein der Kongress kann sie ändern, was im Wege der Zusatzprotokolle geschieht und – wie bereits dargelegt – seit 1964 sechs Mal vorgekommen ist, wozu gemäß Art. 30 Abs. 1 UPU eine 2 / 3-Mehrheit der Mitgliedstaaten erforderlich ist. Nach Art. 30 Abs. 2 UPU bindet eine Änderung die Mitgliedstaaten jedoch erst im Falle der Ratifizierung, weshalb diese nicht unter den Begriff der Sekundärgesetzgebung subsumiert werden kann. Etwas anderes gilt jedoch für die folgenden Rechtsakte. a) Die allgemeinen Vollzugsregeln Der normative Gehalt der Satzung des Weltpostvereins beschränkt sich auf grundlegende Fragen. Den sonstigen Rechtsakten des Weltpostvereins kommt deshalb erhebliche Bedeutung zu.312 Dies gilt insbesondere für die allgemeinen Vollzugsregeln (General Regulations), die gemäß Art. 22 Abs. 2 UPU diejenigen Regeln enthalten, die die Umsetzung der Satzung und das Funktionieren des Weltpostvereins sicherstellen sollen. Die Zuständigkeit für den Erlass dieser Vorschriften ist nicht gemäß Art. 22 Abs. 5 UPU auf den Postvollzugsrat delegiert worden und somit wegen des Prinzips der originären Zuständigkeit des Kongresses bei diesem verblieben. Dieser entscheidet mit einfacher Mehrheit, wobei mindestens zwei Drittel aller Mitglieder bei der Abstimmung zugegen sein müssen.313 Gemäß Art. 22 Abs. 2 S. 2 UPU sind diese Allgemeinen Vollzugsregeln unmittelbar rechtsverbindlich für alle Staaten. Ein zusätzlicher Akt der Zustimmung ist nicht vorgesehen. Die frühere Praxis der zusätzlichen Ratifizierung hatte dazu geführt, dass viele Staaten den Rechtsakt noch gar nicht ratifiziert hatten, als dieser bereits in Kraft trat, ihn aber gleichwohl in die Praxis umsetzten. Um Rechtskonflikte zu umgehen, wurde daraufhin das Konstrukt der stillschweigenden Ratifizie312 313

Ebda., Kommentar 22.1 zu Art. 22, S. A.19. s.: ebda., Kommentar 31.1 zu Art. 31, S. A.25.

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rung eingeführt, das Anwendung fand, wenn ein Staat trotz mangelnder Ratifizierung den betreffenden Rechtsakt in der Praxis befolgte. Dieses Konstrukts bedarf es seit der erst kürzlich erfolgten Einführung von Art. 22 Abs. 2 S. 2 in die Satzung nicht mehr.314 Jeder Mitgliedstaat ist an die Allgemeinen Vollzugsregeln unmittelbar gebunden. Dies gilt auch für den bei der Abstimmung überstimmten Staat. b) Die Allgemeine Postkonvention Dasselbe gilt auch für die Allgemeine Postkonvention (Universal Postal Convention), die nicht mit der Satzung des Weltpostvereins zu verwechseln ist. In ihr sind die grundlegenden gemeinsamen Regeln über den postalischen Verkehr von Briefen und Paketen geregelt. Die Zuständigkeit zur Änderung dieser Regeln ist ebenfalls beim Kongress verblieben, der auch hier mit einfacher Mehrheit entscheidet, wobei – anders als bei den allgemeinen Vollzugsregeln – hierfür ein Quorum von nur der Hälfte der Mitgliedstaaten im Kongress erforderlich ist.315 Auch die Konvention und etwaige Änderungen – wie zuletzt diejenige des Pekinger Kongresses von 1999 – sind gemäß Art. 22 Abs. 3 S. 2 UPU unmittelbar rechtsverbindlich, ohne dass es einer Ratifizierung noch bedürfte. Die Bezeichnung „Konvention“ ist deshalb irreführend, suggeriert sie doch fälschlicherweise ein solches Erfordernis. Die Terminologie erklärt sich aber dadurch, dass nach der Einfügung von Art. 22 Abs. 3 S. 2 UPU die Bezeichnung beibehalten werden sollte, um den rechtsverbindlichen Charakter dieses Instruments in Abgrenzung zu den sogleich zu besprechenden Vereinbarungen deutlich zu machen.316 c) Die Vereinbarungen Gemäß Art. 22 Abs. 4 UPU enthalten die Vereinbarungen (Agreements) Vorschriften über den postalischen Verkehr mit Ausnahme derjenigen über den Briefund Paketverkehr. Die Zuständigkeit zum Erlass dieser Vereinbarungen ist ebenfalls beim Kongress verblieben, der mit einfacher Mehrheit und einfachem Quorum wie bei der Allgemeinen Postkonvention entscheidet.317 Als jüngstes Beispiel einer solchen Vereinbarung kann das Postal Payment Services Agreement des Pekinger Kongresses von 1999 angeführt werden.318 Anders als bei den allgemeinen Vollzugsregeln oder der Konvention bindet eine solche Vereinbarung jedoch nur denjenigen Staat, der dieser Vereinbarung beigetreten ist, vgl. Art. 22 Abs. 4 S. 2 UPU, so dass sie nicht dem Begriff der Sekundärgesetzgebung unterfällt.

314 315 316 317 318

Vgl.: ebda., Kommentar 25 zu Art. 25, S. A.22. Vgl.: ebda., Kommentar 31.1 zu Art. 31, S. A.25. Vgl.: ebda., Kommentar 22.2 zu Art. 22, S. A.19. Vgl.: ebda., Kommentar 31.1 zu Art. 31, S. A.25. Vgl.: ebda., Historical Outline, S. XI.

9 Aston

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Teil 2: Erscheinungsformen

2. Rechtsakte des Postvollzugsrats Die oben beschriebene Aufhebung des Konsensualprinzips findet angesichts der begrenzten Anzahl der Mitglieder des Postvollzugsrats eine noch deutlichere Manifestation in den Bereichen, in denen dieser anstelle des Kongresses zum Erlass sekundärer Normen befugt ist. Bezüglich zweierlei Kategorien von Vorschriften gilt gemäß Art. 22 Abs. 5 UPU die originäre Rechtsetzungskompetenz des Kongresses als auf den Postvollzugsrat delegiert. a) Die Briefpost- und die Paketpostvollzugsordnungen Gemäß Art. 22 Abs. 3 UPU dienen die Vorschriften über die Briefpost und diejenigen über die Paketpost (Letter Post Regulations und Parcel Post Regulations) der Spezifizierung und Implementierung der grundlegenden Bestimmungen der Allgemeinen Postkonvention. Der Vollzugsrat entscheidet gemäß Art. 64 Abs. 2 der Allgemeinen Postkonvention mit einfacher Mehrheit, wenn der Änderungsvorschlag während eines ordentlichen Kongresses eingebracht wurde. Die Delegation der Abänderungsbefugnis auf den Vollzugsrat ermöglicht aber eine Anpassung auch in den Intervallen zwischen den Kongressen, wobei in diesem Fall die Anforderungen an eine Änderung gemäß Art. 64 Abs. 3 der Allgemeinen Postkonvention319 höher sind, es insbesondere einer 2 / 3-Mehrheit der Mitglieder des Vollzugsrates bedarf. Bemerkenswert ist, dass die Delegation der Rechtsetzungskompetenz vom Kongress an den Vollzugsrat nichts an dem Umstand ändert, dass diese Vollzugsregeln mit Verabschiedung unmittelbar rechtsverbindlich für sämtliche Mitgliedstaaten werden, vgl. Art. 22 Abs. 3 S. 2 UPU, also auch diejenigen Staaten binden, die in Ermangelung der Mitgliedschaft im Vollzugsrat gar nicht an der Abstimmung haben teilnehmen können. b) Die Vereinbarungsvollzugsordnungen Schließlich hat der Vollzugsrat nach Art. 22 Abs. 4 UPU die Befugnis, spezifizierende Vorschriften über die vom Kongress beschlossenen Vereinbarungen zu erlassen. Während die Staaten den Vereinbarungen (Agreements) beitreten müssen, ist unklar ist, ob sie, nachdem sie beigetreten sind, auch den Vollzugsordnungen (Agreement Regulations) zustimmen müssen, um an diese rechtlich gebunden zu sein. Der Wortlaut des Art. 22 Abs. 4 UPU scheint zunächst für das Erfordernis einer gesonderten Zustimmung zu sprechen, wo es heißt:

319

Ebda.

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„The Agreements of the Union, and their Regulations, shall regulate the services other than those of the letter post and postal parcels between those member countries which are parties to them. They shall be binding on those countries only.“

Aus dem Umstand, dass Satz 1 der Vorschrift von den Vereinbarungen einerseits und den Vollzugsordnungen andererseits spricht und Satz 2 die inter partes beschränkte Bindungswirkung durch das „they“ auf beide bezieht, könnte man ein Zustimmungsbedürfnis folgern. Doch dieser Schluss ist nicht zwingend. Satz 2 kann auch so verstanden werden, dass weder die Vereinbarungen noch die Vollzugsordnungen diejenigen Staaten binden, die den Vereinbarungen nicht beigetreten sind, weshalb es „they“ heißt. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass die Staaten auch den jeweiligen Vollzugsordnungen zustimmen müssen, wenn sie einmal Mitglied des entsprechenden Vereinbarungen sind, auf die sich die Vollzugsordnungen beziehen. Ein Vergleich mit Art. 22 Abs. 3, wo die spezifierenden Regulations ebenfalls unmittelbar verbindlich werden, liegt vielmehr den Schluss nahe, dass es einer gesonderten Zustimmung der Parteien der betreffenden Vereinbarung nicht bedarf, damit eine Vereinbarungsvollzugsordnung für sie in Kraft tritt.

III. Die Praxis des Weltpostvereins Die vorstehende Erörterung hat ergeben, dass zum einen der Kongress des Weltpostvereins seit dem Kongress von Seoul im Jahr 1994 Änderungen der allgemeinen Vollzugsregeln und der Postkonvention beschließen und zum anderen der Postvollzugsrat Änderungen der Briefpost- und Paketpostvollzugsordnungen sowie der Vereinbarungsvollzugsordnungen durch Mehrheitsentscheid mit unmittelbarer Bindungswirkung vornehmen kann, ohne dass es einer gesonderten Zustimmung der Mitgliedstaaten bedarf oder diese der Rechtsbindungswirkung im Einzelfall entgehen könnten. Der Weltpostverein steht folglich Modell für eine Sekundärgesetzgebung in reiner Form. Die von Jochen Erler im Jahr 1969 getroffene Feststellung, die regulatorischen Akte des Weltpostvereins seien keine echten Rechtsetzungsakte320, trifft deshalb nicht mehr zu. Die Möglichkeit der unmittelbar verbindlichen Außenrechtsetzung spielt in der Praxis des Weltpostvereins eine große Rolle, denn sie ermöglicht eine zügige und einheitliche Anpassung der einschlägigen Regelwerke an die sich auch im Bereich des Postwesens und der Logistik stetig wandelnden Gegebenheiten. Welche Bedeutung dieser Art der Rechtsetzung innerhalb des Weltpostvereins beigemessen wird, ist unlängst deutlich geworden, als die Mitgliedstaaten durch die beschriebene Satzungsänderung die Möglichkeit der unmittelbar verbindlichen Außenrechtsetzung noch einmal erweitert haben.

320

9*

Erler, in: CYIL 2 (1964), 153 (158 f.).

132

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Freilich ist zu berücksichtigen, dass die Satzung des Weltpostvereins nur einen begrenzten Kanon sekundärer Rechtsakte vorsieht. Wichtiger noch beschränkt sich der Zuständigkeitsbereich des Weltpostvereins auf technische Bereiche des Postwesens, die nicht der politischen Kontroverse unterliegen. Vor diesem Hintergrund ist auch erklärbar, dass die Mitgliedstaaten sich einem Rechtsetzungsmechanismus unterworfen haben, der sie im Einzelfall auch gegen ihren Willen an einen Sekundärgesetzgebungsakt des Weltpostvereins bindet. Dies ist in anderen Sonderorganisationen mit politischem Mandat in dieser Form nicht anzutreffen.

B. Das Modell der Weltzivilluftfahrtorganisation Ein im Bereich der UN-Sonderorganisationen weitaus häufiger anzutreffendes Rechtsetzungsmodell sieht dagegen einen der Verabschiedung einer Sekundärnorm nachgeschalteten Schutz des einzelstaatlichen Willens vor. Hiernach wird das durch die jeweilige internationale Organisation gesetzte Außenrecht nach Ablauf einer bestimmten Frist im Grundsatz verbindlich, wobei sich aber ein einzelner Staat durch eine einseitige, auf den jeweiligen Rechtsakt bezogene Erklärung der Rechtsbindung entziehen kann. Macht ein Staat von dieser Möglichkeit des Herausoptierens („opting-out“) nicht innerhalb der hierfür festgelegten Frist Gebrauch, so wird sein Schweigen mit Ablauf dieser Frist als Zustimmung zu dem Rechtsakt gewertet. Macht er hingegen von dieser Möglichkeit Gebrauch, so berührt dies nicht die Rechtsbindung der übrigen Staaten. Dieses Rechtsetzungsmodell der stillschweigenden Zustimmung hat das Licht der Welt in der Konvention von Chicago aus dem Jahr 1944 erblickt, durch welche die Weltzivilluftfahrtorganisation (ICAO) mit Sitz in Montreal geschaffen wurde.321 Die ICAO ist mit derzeit 188 Mitgliedern eine internationale Organisation universellen Charakters und seit 1947 Sonderorganisation der Vereinten Nationen.322 Die Arbeiten der ICAO sind derzeit geprägt von dem Thema Umweltschutz und (nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder verstärkt) demjenigen der Luftverkehrssicherheit.323 Da die Satzung der ICAO Modellcharakter hat, soll das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung samt der damit verbundenen Rechtsfragen an ihrem Beispiel erläutert werden. Hierzu ist zunächst ein Blick auf die Ermächtigungsgrundlage und die Zuständigkeiten zum Erlass sekundärer Rechtsakte innerhalb der ICAO zu werfen. Nach Verabschiedung eines derartigen Rechtsaktes greifen sodann zwei Mechanismen zum Schutz der Mitgliedstaaten. Zum einen kann eine 321 15 UNTS (1948), S. 295, unterzeichnet am 7. Dezember 1944, in Kraft getreten am 4. April 1947; bis dahin waren die wesentlichen Aufgaben der Koordinierung von der Provisional International Civil Aviation Organization (PICAO) wahrgenommen worden. 322 Vgl. unter (Stand: Mai 2004). 323 Vgl.: Münz, in: ZLWR 51 (2002), 1.

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Mehrheit das Inkrafttreten des Sekundärrechtsaktes nachträglich noch verhindern. Geschieht dies nicht, so können die Staaten die Bindungswirkung durch eine entsprechende Erklärung im Einzelfall für sich ausschließen. Fraglich ist aber, ob dieses Herausoptieren einzelner Staaten im Einzelfall nicht womöglich ausgeschlossen ist. Schließlich ist zu untersuchen, wie das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung in der Praxis der ICAO zu bewerten ist.

I. Luftverkehrsvorschriften nach Art. 37 i.V.m. 54 ICAO Die Weltzivilluftfahrtorganisation verfügt neben der Versammlung324 (Assembly) und dem Sekretariat über einen Rat (Council). Dieser Rat umfasst 33 Mitgliedstaaten325, die von der Versammlung für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt werden.326 Gemäß Art. 37 in Verbindung mit Art. 54 lit. l) ICAO kann der Rat international standards and recommended practices für die zivile Luftfahrt verabschieden. Diese werden entsprechend Art. 54 lit. l) regelmäßig als Annex zur ICAO-Konvention designiert. Steht der grundsätzlich rechtsverbindliche Charakter der internationalen Standards außer Zweifel327, so ist fraglich, welche Rechtswirkung die „recommended practices“ haben. Die Satzung der ICAO ist hier auf den ersten Blick nicht ganz eindeutig. So heißt es in Art. 90 lit. a) S. 1. und 2 ICAO „( . . . ) the Annexes described in Article 54 ( . . . ) shall become effective within three months ( . . . )“.328 Da auch die recommended practices Teil dieser Annexe sind, werden sie folglich gleich den internationalen Standards unter den Voraussetzungen des Art. 90 lit. a) ICAO „effective“. Daraus könnte man schließen, dass auch diese mit Ablauf der 3-Monats-Frist rechtsverbindlich würden. Ein solches Verständnis erscheint allerdings fragwürdig. Es würde die eindeutige Unterscheidung zwischen internationalen Standards und (rechtlich unverbindlichen) Empfehlungen, die Art. 54 lit. l) ICAO zu Grunde liegt, aufheben. Hierzu besteht kein Anlass. Art. 90 ICAO ist vielmehr so zu verstehen, dass die Empfehlungen nach Ablauf von drei Monaten nunmehr als verabschiedet gelten und die Staaten eingeladen sind, sich nach ihnen zu richten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie bloße Empfehlungen bleiben.329 Hinsichtlich der rechtsverbindlichen internationalen Standards sind für die Frage der Überwindung eines entgegenstehenden einzelstaatlichen Willens zwei Dinge erheblich: Zum einen handelt es sich bei dem ICAO-Rat nicht um ein Plenarorgan 324 325 326 327 328 329

Gemäß Art. 48 lit. b) ICAO das Plenarorgan der Organisation. Vgl. Art. 50 lit. a) ICAO. Vgl. Art. 49 lit. b) ICAO. Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (211). Herv. d. Verf. Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (211).

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der Organisation. Zum anderen ist nach Art. 90 lit. a) der Konvention eine 2 / 3-Mehrheit der Mitglieder für die Verabschiedung der Standards und Empfehlungen hinreichend (aber auch erforderlich). Das bedeutet im Grundsatz, dass zwei Drittel der Ratsmitglieder nicht nur mit Wirkung für die übrigen Ratsmitglieder, sondern sogar für die übrigen Mitglieder der ICAO, die nicht im Rat vertreten sind, internationale Standards und Empfehlungen verabschieden können. Rein rechnerisch können also 22 Staaten mit Wirkung für die übrigen 163 entscheiden. Zum Schutze des souveränen Willens der übrigen Mitgliedstaaten greifen jedoch sodann zwei Mechanismen. II. Schutz der Mehrheit nach Art. 90 S. 2 ICAO Erstens kann gemäß Art. 90 S. 2 ICAO eine Mehrheit der Gesamtheit der Mitgliedstaaten von ICAO das Inkrafttreten der Luftverkehrsvorschriften insgesamt verhindern, indem sie binnen einer Frist von drei Monaten nach Vorlage der Vorschriften oder nach Ablauf einer anderen vom Rat festgelegten Frist dem Rat ihre Ablehnung mitteilen. Hier kann also nicht ein einzelner Staat, wohl aber eine Staatenmehrheit das Inkrafttreten mit Wirkung für alle Staaten verhindern. In der bisherigen Praxis der ICAO ist es zu einer derartigen Ablehnung allerdings noch nie gekommen. Dies verwundert nicht angesichts des Umstandes, dass für die vorangehende Verabschiedung der Richtlinien immerhin 2 / 3 der Mitglieder des Rates zugestimmt haben müssen.

III. Herausoptieren einzelner Staaten nach Art. 38 ICAO Hat die verabschiedete Richtlinie diese Hürde genommen, die in der Praxis der ICAO allerdings keine solche darstellt, so greift der zweite und wichtigere Mechanismus, der zum Schutze des Willens des einzelnen ICAO-Mitgliedstaates besteht. So regelt Art. 38 ICAO, dass „(a)ny State which finds it impracticable to comply in all respects with any such international standard or procedure, or to bring its own regulations or practices into full acord with any international standard or procedure after amendment of the latter, or which deems it necessary to adopt regulations or practices differing in any particular respect from those established by an international standard, shall give immediate notification to the International Civil Aviation Organization of the differences between its own practice and that established by the international standard. In the case of amendments to international standards, any State which does not make the appropriate amendments to its own regulations or practices shall give notice to the Council within sixty days of the adoption of the amendment to the international standard, or indicate the action which it proposes to take. ( . . . ).“

Ein Mitgliedstaat kann folglich durch einseitige Notifizierung der Bindungswirkung einer vom Rat der ICAO verabschiedeten Luftverkehrsvorschrift oder einer

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Änderung derselben insoweit entgehen, als er die Befolgung für nicht praktikabel („impracticable“) ansieht. Zu beachten ist, dass es nicht um ein Alles oder Nichts geht dergestalt, dass ein Staat den Regelungsinhalt eines solchen Rechtsaktes etwa nur in Gänze akzeptieren oder ablehnen könnte. Vielmehr ist der vorzitierte Art. 38 ICAO insoweit eindeutig, als er bei entsprechender Notifizierung die Nichtbefolgung auch nur einzelner Bestimmungen der betreffenden Luftverkehrsverordnung zulässt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob ein Staat die Geltung einer Luftverkehrsvorschrift des Rates auch in toto für sich ausschließen könnte. Die Worte „to comply in all respects“ und „differing in any particular respect“330 könnten zu dem Schluss verleiten, der Ausschluss nur eines Teils der Regelungen, nicht aber ihrer Gesamtheit sei zulässig. Aus drei Gründen kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden. Zum einen ist diese Lesart nicht zwingend, denn die Wortwahl könnte auch deshalb so gewählt sein, um die Zulässigkeit eines nur partiellen Ausschlusses deutlich zu machen, ohne diejenige eines kompletten Ausschlusses verwehren zu wollen. Zum zweiten ist das Herausoptieren durch Notifizierung, wie es in Art. 38 ICAO vorgesehen ist, ein rein formales Verfahren, das insbesondere keinem Genehmigungsvorbehalt oder einer ähnlichen materiellen Zulässigkeitsprüfung durch Organe der ICAO unterliegt. Vor diesem Hintergrund bliebe drittens völlig unklar und damit unpraktikabel, wo die Grenzen zwischen einem zulässigen und einem unzulässigen Herausoptieren anzusiedeln wären.

IV. Ausschluss des Herausoptierens Ist den Staaten damit ein Herausoptieren zwar nicht im Hinblick auf die Reichweite des Ausschlusses der Rechtsbindungswirkung verwehrt, so könnte diese Option dennoch aus anderen Gründen im Einzelfall unzulässig sein. Wie oben dargelegt, sieht Art. 38 ICAO eine Frist vor, binnen derer die Notifizierung zu erfolgen hat. Denkbar ist, dass ein Herausoptieren nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen ist. Zum anderen ist fraglich, ob ein Herausoptieren auch hinsichtlich solcher Luftverkehrsvorschriften möglich ist, die für den hoheitsfreien Luftraum über der Hohen See gelten.

1. Ausschluss bei Ablauf der Notifizierungsfrist? Wie oben gezeigt, sieht Art. 38 ICAO vor, dass ein Staat einer neu verabschiedeten Richtlinie „unverzüglich“ widersprechen muss (Satz 1), der Änderung bestehender Richtlinien hingegen binnen 60 Tagen (Satz 2). Fraglich ist, welche Rechtsfolge der Ablauf dieser Fristen nach sich zieht. Denkbar ist, dass ein Staat nach Fristablauf der Bindungswirkung nicht mehr entgehen kann. Dann müsste es sich 330

Herv. d. Verf.

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bei den in Art. 38 ICAO normierten Notifizierungsfristen um echte Ausschlussfristen handeln. Der Wortlaut („shall“) könnte auf eine echte Rechtspflicht zur fristgemäßen Notifizierung und damit auf einen Ausschluss des „Opting-out“ im Falle des Fristablaufs hindeuten. Die herrschende Meinung im Schrifttum sieht hierin gleichwohl und auch zu Recht keine echten Ausschlussfristen.331 Der Mechanismus des Herausoptierens, wie ihn die ICAO-Satzung vorsieht, ist vielmehr so zu verstehen, dass ein Staat im Falle der Verabschiedung einer neuen Richtlinie drei Monate Zeit hat, die Organisation von seinem „disapproval“ zu unterrichten. Dies ergibt sich aus Art. 90 ICAO. Hat er dies nicht getan, so tritt die Richtlinie zunächst für ihn in Kraft. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, zu jeder Zeit prüfen zu dürfen, ob er die Befolgung der Richtlinie (weiterhin) als praktikabel erachtet. Will er hiernach von der Richtlinie abweichen, so greift die Frist der Unverzüglichkeit der Notifizierung des Art. 38 S. 1 ICAO. Die Bedeutung des Art. 38 S. 2 ICAO beschränkt sich darauf, dass den Mitgliedstaaten im Falle der Änderung einer bestehenden Richtlinie eine kürzere Frist von 60 Tagen zur Notifzierung, gerechnet ab Vorlage der Richtlinienänderung, zugemutet wird. Auch hier gilt im Übrigen, dass ein Staat, der eine solche Mitteilung zunächst unterlässt und seine nationale Gesetzgebung an der geänderten Richtlinie ausrichtet, nicht darin gehindert ist, in Zukunft – unter Beachtung der Notifizierungspflicht des Art. 38 S. 1 ICAO – hiervon wieder abzuweichen. Zuzugeben ist allerdings, dass es in bezug auf Art. 90 ICAO, der sich ausdrücklich auch auf Änderungen bestehender Richtlinien („amendments“) bezieht, zu dem unstimmigen Ergebnis kommt, dass diese erst mit Ablauf von drei Monaten nach ihrer Verabschiedung in Kraft treten (wie erstmals beschlossene Richtlinien auch), die Frist nach Art. 38 S. 2 ICAO aber nur 60 Tage gilt. Entgegen der herrschenden Auffassung ist Ingrid Detter dagegen der Ansicht, die Praxis der ICAO zeige, alle Richtlinien indizierten eine zeitliche Begrenzung für Reservierungen.332 Allerdings bietet sie für diese Behauptung keinerlei Belege.333

2. Ausschluss bei Vorschriften für den Luftraum über der Hohen See Ergibt sich daher kein Ausschluss des Herausoptierens aus Gründen einer Verfristung, so könnte ein solcher für bestimmte Geltungsbereiche internatio331 Hailbronner, in: EPIL 2, 1070 (1072); Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (213); Schulz, Entwicklungsformen internationaler Gesetzgebung, S. 110; ausführlich, auch unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Norm: Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 78 f. (s. dort auch Anm. 64). 332 Detter, Law-Making, S. 252. 333 Ablehnend diesbezüglich deshalb auch zu Recht: Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 78 f., Anm. 67.

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naler Luftverkehrsrichtlinien gelten. In Art. 12 S. 2 und 3 der Konvention heißt es: „Each contracting State undertakes to keep its own regulations in these respects uniform, to the greatest possible extent, with those established from time to time under this Convention. Over the high seas, the rules in force shall be those established under this Convention.“

Art. 12 trifft folglich eine wesentliche Unterscheidung. Ein Staat ist einerseits verpflichtet, seine nationalen Regeln denjenigen, die unter der Konvention verabschiedet worden sind, anzupassen. Dies gilt jedoch nur „to the greatest possible extent“, weshalb auch die Möglichkeit des Herausoptierens in Art. 38 der Konvention vorgesehen ist. Dagegen sollen andererseits über der Hohen See „the rules in force established under this Convention“ gelten. Diese systematische Unterscheidung legt den Schluss nahe, dass über der Hohen See die von der ICAO verabschiedeten Standards unmittelbar für jeden Mitgliedstaat gelten, ohne dass ein Herausoptieren möglich ist. Zwar richtet sich die Normierung internationaler Standards nach Kapitel VI der Konvention. Zudem findet sich in Art. 38, der die Möglichkeit des Herausoptierens regelt, kein Hinweis auf eine Ausnahme von dieser Möglichkeit.334 Gleichwohl ist Art. 12 der Konvention als lex specialis für den Bereich über der Hohen See anzusehen. Eine andere Lesart würde im Übrigen die oben erläuterte klare systematische Unterscheidung, die diese Norm trifft, sinnlos werden lassen. Es ist nicht anzunehmen, dass die Verfasser der Konvention dies bezwecken wollten.335 Aus diesen Gründen ist die Möglichkeit des Herausoptierens für den Bereich über der Hohen See auszuschließen. Fraglich ist allerdings, ob sich dies auch auf das durch den Rat der ICAO gesetzte Folgrecht bezieht oder aber lediglich auf das durch die ICAO-Konvention bereits selbst geschaffene Recht. Die Antwort hängt davon ab, wie die Formulierung in Art. 12 ICAO „rules established under this Convention“ zu verstehen ist. Die amtliche Überschrift dieses Artikels lautet „rules of the air“. In der Konvention selbst finden sich allerdings keine solchen Regeln über Flug und Manöver. Vielmehr ermächtigt erst Art. 37 lit. c) der Konvention den ICAO-Rat, entsprechende „rules of the air“ zu erlassen. Die Worte „rules established under this Convention“ in Art. 12 der Konvention können deshalb nur so verstanden werden, dass sie nicht auf das Primärrecht der Konvention, sondern auf durch den Rat gesetztes Sekundärrecht verweisen.336 Von der ihm gemäß Art. 12 ICAO zustehenden Sekundärge334 Hierauf weist Krzystof Skubiszewski hin, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (213), weshalb er auch an anderer Stelle sagt, die Frage im Ganzen sei „debatable“, in: EPIL 2, 1255 (1258). 335 Dieses Argument anerkennt letztlich wohl auch Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (213). 336 So auch: Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 80. Buergenthal dürfte auch darin zuzustimmen sein, dass sich der Verweis in Art. 12 der Konvention nicht auch auf „recom-

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setzgebungskompetenz hat der ICAO-Rat im Jahr 1948 Gebrauch gemacht, als er den Annex 2 zur Konvention („rules of the air“) verabschiedete.337 Damit kann der Rat der ICAO unmittelbar rechtsverbindliche internationale Standards für den Bereich über der Hohen See normieren, ohne dass sich einzelne Mitglieder gemäß Art. 38 der Konvention der Rechtsbindung entziehen können.338

V. Die Praxis der ICAO Die ICAO hat demnach unbedingte Rechtsetzungsgewalt im Bereich der Luftverkehrsregeln für den Luftraum über der hohen See. Die Bedeutung dieses Befundes ist jedoch insoweit zu relativieren, als es sich bei diesem Geltungsbereich um einen hoheitsfreien Raum handelt und deshalb kein unmittelbarer Konflikt mit der territorialen Souveränität der Staaten besteht. Dort, wo ein Konflikt besteht, kann der betreffende Staat der Rechtsbindung entgehen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Staaten in der Praxis nicht nach Gutdünken von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich der Bindungswirkung zu entziehen, denn sie liefen anderenfalls Gefahr, von der Teilnahme am zivilen Luftverkehr ganz oder teilweise ausgeschlossen zu werden. So eröffnen Art. 39 und 40 ICAO die Möglichkeit für jeden Staat, in einem fremden Staat registrierte Flugzeuge, die den von der ICAO gesetzten internationalen Standards nicht genügen, von der Teilnahme am Verkehr in ihrem Luftraum auszuschließen. Ein Staat hat also die Wahl, seine Position im Wettbewerb der zivilen Luftfahrt zu gefährden, oder aber sich einer technischen Regelung zu unterwerfen, die ihm unliebsam erscheinen mag. Häufig wird er letzteres in Kauf nehmen, um ersteres zu verhindern. Die Praxis belegt dies. Bis zum heutigen Tag hat der Rat der ICAO 18 Luftverkehrsvorschriften verabschiedet und als Annex zur Konvention von Chicago designiert. Sowohl Zurückweisungen durch Herausoptieren als auch sonstige Vorbehalte sind selten und betreffen dann zumeist auch keine grundlegenden Vorschriften.339

mended practices“ bezieht (ebda., S. 80 f.). Anderslautenden Stimmen in der Literatur ist entgegenzuhalten, dass empfohlene Praktiken per definitionem nicht rechtsverbindlich sein können, da sie sonst nicht empfohlen, sondern verordnet wären. Auch ist nicht einzusehen, inwieweit Art. 12 der Konvention diesen zur Rechtsverbindlichkeit verhelfen könnte. Der Wortlaut („rules“) legt vielmehr eine Beschränkung auf rechtsverbindliche internationale Standards nahe. 337 Vgl.: Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 81 f. 338 Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum, vgl. z. B.: Buergenthal, ebda., S. 80 – 85; Menkiewicz, in: FS Meyer, 82 (93); Abeyratne, in: ZLWR 41 (1992), 387 (390); Erler, in: CYIL 2 (1964), 153 (160 f.); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (347); Hailbronner, in: EPIL 2, 1070 (1072). 339 Vgl.: Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1258); ausführlicher: ders., in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (214).

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C. Das Modell der Internationalen Arbeitsorganisation In gewisser Weise eine Umkehrung des „opting-out“ findet sich in einer dritten Erscheinungsform internationaler Sekundärgesetzgebung, welche innerhalb der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen anzutreffen ist und als „contractingin“ oder „opting-in“ bezeichnet wird. Die erste internationale Organisation, in deren Satzung diese Art der Rechtsetzung normiert wurde, ist die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Ihre Satzung hatte insoweit Modellcharakter und soll zur Illustration dieser Form der Rechtsetzung und der mit ihr verbundenen Rechtsfragen dienen. Die ILO gehört mit zu den ältesten der bestehenden internationalen Organisationen. Gegründet im Jahr 1919 durch die Friedenskonferenz von Paris und Versailles erlangte sie im Jahre 1946 als erste internationale Organisation den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen.340 Sie ist in Genf beheimatet und ist mit derzeit 175 Mitgliedstaaten eine internationale Organisation universeller Natur.

I. Annahme internationaler Konventionen nach Art. 19 Abs. 1 ILO Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Satzung der ILO341 ist das Plenarorgan der Organisation die sogenannte Staatenkonferenz, deren tripartite Zusammensetzung der jeweiligen Staatendelegationen aus Vertretern der Regierung (zwei Delegierte) sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft (jeweils ein Delegierter bzw. eine Delegierte) eine bekannte Besonderheit im Bereich der internationalen Organisationen darstellt. In Art. 19 Abs. 1 der Satzung heißt es: „When the Conference has decided on the adoption of proposals with regard to an item on the agenda, it will rest with the Conference to determine whether these proposals should take the form (a) of an international Convention, or (b) of a Recommendation ( . . . ).“

Fraglich ist, welche Rechtsnatur die auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassenen Beschlüsse der Staatenkonferenz der ILO haben. Der Wortlaut der Norm scheint zunächst eindeutig, da Vorschläge („proposals“) sowohl nach dem allgemeinen als auch nach dem juristischen Sprachgebrauch nicht rechtsverbindlich sind. Dies gilt zweifelsohne dann, wenn die Staatenkonferenz gemäß Art. 19 Abs. 1, 2. Var. ILO entscheidet, dass diese Vorschläge lediglich den Charakter einer Empfehlung haben sollen. Fraglich ist hingegen, ob etwas anderes gilt, wenn die Staatenkonferenz gemäß Art. 19 Abs. 1, 1. Var. ILO den beschlossenen Text als internationale Konvention verabschiedet, wofür gemäß Art. 19 Abs. 2 ILO eine 2 / 3-Mehrheit erforderlich, aber auch hinreichend ist. 340 341

Vgl.: (Stand: Mai 2004). Text der Satzung in der Fassung vom 25. Juni 1953 (BGBl. 1957 – II, 317).

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II. Erfordernis der gesonderten Zustimmung nach Art. 19 Abs. 5 ILO Die Antwort auf diese Frage gibt Art. 19 Abs. 5 ILO. Dort heißt es zunächst in Buchstabe b): „In the case of a Convention ( . . . ) each of the Members undertakes that it will, within the period of one year ( . . . ) and in no case later than 18 months from the closing of the session of the Conference, bring the Convention before the authority or authorities within whose competence the matter lies, for the enactment of legislation or other action.“

Buchstabe e) desselben Absatzes lautet sodann: „(I)f the Member does not obtain the consent of the authority or authorities ( . . . ) no further obligation shall rest upon the Member except that it shall report to the Director-General of the International Labour Office, at appropriate intervals as requested by the Governing Body, the position of its law and practice in regard to the matters dealt with in the Convention ( . . . ).“

Der Beschluss einer internationalen Konvention führt demnach nicht unmittelbar zu einer Verpflichtung in der Sache, sondern zu einer rein verfahrensmäßigen Pflicht der Mitgliedstaaten, den Text den zuständigen innerstaatlichen Organen zur Zustimmung vorzulegen und dem Generaldirektor der Organisation in regelmäßigen Abständen Bericht über den Stand der Dinge zu erstatten, sollte diese Zustimmung nicht erlangt worden sein. Eine Rechtsbindungswirkung in der Sache tritt folglich – anders als bei dem Modell des „opting-out“ – nicht ab initio ein, sondern erst dann und dies auch nur für den betreffenden Mitgliedstaat, wenn dieser Staat sich nach Abschluss des Rechtsetzungsverfahrens innerhalb der ILO und unabhängig davon, ob er in diesem Verfahren dem Text bereits zugestimmt hatte, im Wege der einzelstaatlichen Ratifizierung dem jeweiligen Regelwerk unterwirft. Um die Umkehrung der Technik des „opting-out“ deutlich zu machen, wird dieses Rechtsetzungsmodell teilweise als „opting-in“, teilweise aber auch als „contracting-in“ bezeichnet, worauf an späterer Stelle noch zurückzukommen ist. Das Rechtsetzungsverfahren innerhalb der ILO ähnelt folglich demjenigen eines auf konventionellem Wege ausgehandelten völkerrechtlichen Vertrages mit der Besonderheit, dass die Ausarbeitung des Vertrages innerhalb eines permanenten Organs einer internationalen Organisation stattfindet. Das Erfordernis der gesonderten einzelstaatlichen Zustimmung wirft die Frage auf, ob diese Art der völkerrechtlichen Normenproduktion dem im ersten Teil erarbeiteten Begriff der Sekundärgesetzgebung noch genügt, was im Rahmen der Einordnung der Fallgruppen zu diskutieren sein wird. III. Die Praxis der ILO Art. 19 der Satzung hat in der Praxis der ILO überragende Bedeutung erlangt. Bislang hat die Staatenkonferenz 185 internationale Konventionen auf der Grund-

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lage dieser Ermächtigungsnorm beschlossen, zuletzt im Jahr 2003 die Seafarers’ Identity Documents Convention (Revised). Bis April 2004 standen insgesamt 7.206 Ratifikationen hinsichtlich sämtlicher ILO-Konventionen zu Buche, wobei auch die grundlegenden Konventionen durchweg einen hohen Ratifikationsstand aufweisen.342 Das in der Satzung der ILO vorgesehene Rechtsetzungsmodell ist vor dem Hintergrund dieser Zahlen zweifelsohne als erfolgreich zu bezeichnen. Dieser Erfolg hat bereits frühzeitig besondere Anerkennung gefunden, als der ILO im Jahr 1969 anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens zur Würdigung ihrer Leistungen auf dem Gebiet der Förderung sozialer Gerechtigkeit in der Welt der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Auch für die Zukunft wird der Organisation eine wichtige Bedeutung beigemessen.343

D. Die Weltgesundheitsorganisation Anhand der Satzungen der bis hierhin erörterten Organisationen des Weltpostvereins, der ICAO und der ILO konnten die drei verschiedenen Rechtsetzungsverfahren dargestellt werden, die herkömmlich im Bereich der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen anzutreffen sind. Die Satzungen der übrigen zu untersuchenden Organisationen folgen in der Regel einem der drei Modelle. Gleichwohl gibt es zahlreiche Besonderheiten, die im Folgenden der Erörterung bedürfen. Zu beginnen ist mit der 1946 gegründeten Weltgesundheitsorganisation mit Sitz in Genf, die unter den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen über das mit Abstand größte Budget verfügt.344 Mit gegenwärtig 192 Mitgliedstaaten ist auch sie eine Organisation universellen Charakters.345 Die Organisationsstruktur der WHO reflektiert den klassischen tripoden Aufbau einer internationalen Organisation. Neben dem Exekutivboard mit begrenzter Mitgliedschaft und einem Sekretariat verfügt die WHO über eine Vollversammlung, die als einziges Organ der Organisation zur Sekundärrechtsetzung befugt ist. Die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation – und dies ist eine Besonderheit im Vergleich zu den übrigen Sonderorganisationen – kann auf zwei verschiedenen Wegen sekundäres Recht mit Wirkung im Außenverhältnis der Organisation produzieren.

342 Vgl.: (Stand: Mai 2004). 343 Maupain, in: RdC 278 (1999), 205 ff.; Charnovitz, in: MPYbUNLaw 4 (2000), 147 ff.; ein kurzer Überblick findet sich bei: Peruzzo, in: NJW 34 (1981), 496 (insbes. 497). 344 Laut World Health Report der WHO von 1999 zu jener Zeit über 850 Mio. US $ für zwei Haushaltsjahre. 345 Vgl.: (Stand: Mai 2004).

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I. Erlass von Rechtsverordnungen nach Art. 21 WHO Die WHO-Vollversammlung hat zum einen gemäß Art. 21 der WHO-Satzung346 die Rechtsmacht, Verordnungen insbesondere zu diagnostischen Verfahren, Medikamenten, Seuchenbekämpfung und zu Fragen der Sicherheit, Produktbezeichnung und Werbung pharmazeutischer Produkte zu erlassen. Wichtig für den Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist, dass die Vollversammlung ihre Beschlüsse gemäß Art. 60 lit. a) WHO mit 2 / 3-Mehrheit fasst und damit die übrigen Mitglieder jedenfalls im Grundsatz gegen deren Willen binden kann. Wie im Fall der ICAO kann jedoch auch hier ein Mitgliedstaat durch Herausoptieren nach Art. 22 WHO die Bindungswirkung ganz oder teilweise („rejection or reservations“) ausschließen, indem er eine entsprechende Notifizierung an den Generaldirektor des Sekretariats richtet. II. Annahme internationaler Konventionen nach Art. 20 WHO Die Satzung der WHO sieht zum anderen in ihrem Art. 19 vor, dass die Vollversammlung der Organisation innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit 2 / 3-Mehrheit internationale Konventionen verabschieden kann. Diese werden jedoch nicht unmittelbar rechtsverbindlich für die Mitgliedstaaten. Wie im Fall der ILO müssen die Mitgliedstaaten der WHO vielmehr gemäß Art. 20 WHO der von der Vollversammlung verabschiedeten Konvention gesondert beitreten und unterliegen im Übrigen nur einer verfahrensmäßigen Pflicht zur Vorlage bei den zuständigen nationalen Instanzen und einer Berichtspflicht gegenüber der WHO über den entsprechenden Stand der Dinge. III. Die Praxis der WHO Wie gesehen vereinigt die Satzung der Weltgesundheitsorganisation zwei verschiedene Sekundärrechtsetzungsmechanismen, die aus den Satzungen der ICAO sowie der ILO bekannt sind. Die WHO hat gemäß ihrer Satzung also durchaus das Potenzial zu einer breiten Rechtsetzungstätigkeit. Die Praxis sieht allerdings anders aus. So hat die WHO bislang lediglich zweimal von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 21 WHO Gebrauch gemacht, um rechtsverbindliche Verordnungen im Gesundheitsbereich zu erlassen, neben der Verordnung zur Vereinheitlichung der statistischen Klassifizierung von Morbiditäts- und Mortalitätsraten von 1967 freilich die wichtige internationale Gesund346 Satzung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946 (14 UNTS [1948], S. 185; BGBl. 1974 – II, 43).

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heitsverordnung aus dem Jahr 1969347. Bei der Verabschiedung der internationalen Gesundheitsverordnung kam es zu der Besonderheit, dass sich die Vollversammlung das Recht vorbehielt, die seitens der Staaten geltend gemachte Vorbehalte mit einfacher Mehrheit zurückzuweisen. Ein Staat konnte die Richtlinie also in toto ablehnen, nicht aber nach Belieben Vorbehalte anbringen.348 Dies war von erheblicher praktischer Bedeutung. Im Falle der Gesundheitsverordnung kam es zu 73 notifizierten Vorbehalten, von denen die Versammlung 38 ablehnte. Die meisten Staaten zogen daraufhin ihre Vorbehalte zurück.349. Im Anschluss an eine entsprechende Initiative der Vollversammlung aus dem Jahr 1995 wird die Verordnung derzeit erneut überarbeitet.350 Ferner hat die Vollversammlung der WHO bis zum heutigen Tag nur eine einzige Konvention gemäß der in Art. 19 der Satzung vorgesehenen Ermächtigungsgrundlage verabschiedet, und zwar die internationale Rahmenkonvention über Tabakkontrolle.351 Erst seit Mai 1996, genau ein halbes Jahrhundert nach Gründung der Organisation, wurde an ihr überhaupt gearbeitet. Die Verabschiedung der Tabakrahmenkonvention am 21. Mai 2003 bedeutet freilich einen bedeutenden Schritt auf dem Gebiet der internationalen Gesundheitspolitik.352 Ihre Wichtigkeit wurde auch dadurch sichtbar, dass der Internetauftritt der WHO lange Zeit ganz im Zeichen dieses Vorhabens stand.353 Die Konvention sieht einen diversifizierten Mechanismus von Kerntext und Zusatzprotokollen vor, der unterschiedliche Zeitpläne der Implementierung ermöglichen soll. Sie hatte im April 2004 allerdings noch nicht die für ihr Inkrafttreten gemäß Art. 36 Abs. 1 der Konvention notwendige Anzahl von 40 Ratifikationen erreicht. Im Übrigen aber zeugt die Praxis von einer eindeutigen Präferenz der WHO, ihr Mandat anstelle einer Inanspruchnahme der in ihrer Satzung vorgesehenen Rechtsetzungskompetenzen im Wege von Konsensentscheidungen und rechtlich unverbindlichen Empfehlungen und Richtlinien zu verfolgen.354 Im Schrifttum werden vielfältige Gründe für diese Zurückhaltung vorgebracht. So wird auf die Schwierigkeiten, technische Standards im Einklang mit den medizinischen und naturwissenschaftlichen Fortschritten zu formalisieren, auf eine erhebliche Divergenz des jeweiligen technologischen Entwicklungsstands der Mitgliedstaaten, auf das Fehlen einer Garantie der Reziprozität der Anwendung der zu beschließenden RechtsVgl.: Vignes / Schlenzka, in: EPIL, 1494 (1496). Vgl.: White, The law of international organisations, S. 95. 349 Dazu ausführlich: Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (217 f.). 350 s.: Vignes / Schlenzka, in: EPIL, 1494, Addendum 1999 von Roland Bank, 1498. 351 WHO Doc. WHA56.1 vom 21. 5. 2003. 352 s. bereits: Vignes / Schlenzka, in: EPIL, 1494, Addendum 1999 von Roland Bank, 1498. 353 . 354 s.: Vignes / Schlenzka, in: EPIL, 1494 (1496); Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 (499). Dies gilt insbesondere im wichtigen Bereich der Seuchenbekämpfung, in dem aber auch andere Organisationen wie insbesondere die Weltbank aktiv sind. 347 348

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regeln, auf Kostengesichtspunkte, auf die Zurückhaltung der WHO, wissenschaftlichen Fortschritt offiziell festzulegen, insgesamt auf eine gewisse konservative Politik innerhalb der WHO, aber auch auf die Bevorzugung unverbindlicher Instrumentarien seitens der nationalen Regierungen verwiesen.355 Diese oder verwandte Gesichtspunkte lassen sich auch zur Erklärung der Praxis anderer Organisationen heranziehen, die wie die WHO auf solchen Feldern tätig sind, die einen direkten oder indirekten Bezug zu Technik und zu den Naturwissenschaften aufweisen. Der Fall der WHO zeigt besonders illustrativ, wie das tatsächliche Ausmaß der Rechtsetzungstätigkeit einer internationalen Organisation von vielfältigen externen Faktoren beeinflusst wird und zu einer Divergenz mit dem in der Satzung angelegten Rechtsetzungspotenzial führen kann. Ob mit der Tabakrahmenkonvention eine neue Entwicklung hinsichtlich Art. 19 der Satzung im Entstehen begriffen ist, kann nicht vorhergesehen werden. Dies wird wesentlich auch von Erfolg und Akzeptanz der Tabakrahmenkonvention abhängen.

E. Die Welternährungsorganisation Das Rechtsetzungsmodell der ILO hat ferner Nachahmung in der Satzung der Welternährungsorganisation (FAO) gefunden. Die FAO wurde 1945 mit dem Mandat gegründet, das Niveau der landwirtschaftlichen Versorgung und damit den allgemeinen Lebensstandard zu heben, die landwirtschaftliche Produktivität und Qualität zu erhöhen und auch die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung verbessern zu helfen.356 Der in Rom beheimateten Sonderorganisation gehören derzeit 187 Mitgliedstaaten an.357 Der Zuständigkeitsbereich der FAO erstreckt sich auf die Landwirtschafts-, Wald-, Fischerei- und Landentwicklungspolitik.

I. Konventionen der Staatenkonferenz nach Art. XIV Abs. 1 FAO Auch die FAO verfügt über den klassischen tripoden Aufbau einer internationalen Organisation mit einer Staatenkonferenz, in der sämtliche Mitgliedstaaten einen Sitz haben, einem Exekutivrat mit begrenzter Mitgliedschaft sowie einem Sekretariat. Gemäß Art. XIV Abs. 1 FAO hat die Staatenkonferenz, das oberste Organ der FAO, die Rechtsmacht, internationale Konventionen und Vereinbarungen im Bereich von Ernährung und Landwirtschaft zu verabschieden, und kann hierbei mit 2 / 3-Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden. Die Rechtswirkungen dergestalt verabschiedeter FAO-Konventionen unterscheidet sich jedoch nicht von herkömmlichen völkerrechtlichen Verträgen insoweit, als für ihr In-Kraft-Treten 355 Vgl.: Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 (499); Fidler, in: VanderbiltJTL 31 (1998), 1079 (1099 f.); Beigbeder / Nashat / Orsini / Tiercy, The World Health Organization, S. 84 f. 356 s. Präambel der Satzung vom 16. Oktober 1945 (BGBl. 1971 – II, 1033). 357 Vgl. (Stand: Mai 2004).

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gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten deren Ratifizierung erforderlich ist, vgl. Art. XIV Abs. 4 FAO. Es handelt sich daher wie im Falle der ILO-Konventionen nicht um unmittelbar rechtsverbindliches Außenrecht der Organisation.

II. Rechtsakte des Exekutivrats nach Art. XIV Abs. 2 FAO Bemerkenswert ist, dass auch der 49 Mitglieder umfassende Exekutivrat gemäß Art. XIV Abs. 2 FAO mit einer zuvor von der Staatenkonferenz festgelegten Mehrheit der Stimmen Vereinbarungen, die von partikulärem Interesse für Mitgliedstaaten bestimmter geographischer Provenienz sind (Buchstabe a), oder ergänzende Konventionen oder Vereinbarungen, die der Implementierung solcher von der Staatenkonferenz beschlossener Konventionen dienen (Buchstabe b), beschließen kann. Doch auch diese müssen nach Art. XIV Abs. 4 FAO den Mitgliedstaaten zur individuellen Zustimmung vorgelegt werden. Ein Beispiel für die Rechtsetzungstätigkeit des Exekutivrats bildet das Agreement for the Establishment of a General Fisheries Commission for the Mediterranean von 1949, das von dem Rat in seiner 113. Sitzung im November 1997 geändert wurde.358

III. Die Praxis der FAO Die Anzahl der auf der Grundlage von Art. XIV der Satzung der FAO sowohl von der Staatenkonferenz als auch dem Exekutivrat verabschiedeten Konventionen und Vereinbarungen beläuft sich derzeit auf insgesamt sechzehn derartiger Rechtstexte. Im Vergleich zur ILO nimmt sich dies bescheiden aus, doch kann allein deshalb – auch angesichts jüngerer positiverer Entwicklungen innerhalb der FAO – nicht von einem Misserfolg dieses Rechtsetzungsmodells gesprochen werden. Auffällig an der Statistik ist, dass es zwischen den Jahren 1973 und 1993 nicht zu einer einzigen Konvention gekommen ist, in diesem Zeitraum also eine beachtliche Lücke klafft. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur, doch dürfte eine lang anhaltende politische Orientierungslosigkeit in dem genannten Zeitraum mitverantwortlich gewesen sein für die legislative Untätigkeit innerhalb der FAO.359 Dies bestätigt die bereits im Zusammenhang mit der WHO gemachte Beobachtung, dass der Erfolg eines Rechtsetzungsmodells von einer Vielzahl externer Faktoren beeinflusst wird und etwaige Misserfolge deshalb nicht unbedingt auf technische Schwächen eines satzungsmäßig vorgesehenen Rechtsetzungsverfahrens zurückzuführen sind. Unter ihrem derzeitigen, seit 1994 amtierenden und 2000 wiedergewählten Generalsekretär, dem Sengalesen Jacques Diouf, hat sich die beschriebene Entwicklung innerhalb der FAO jedoch geändert. Während des ersten Welternährungs358 359

Vgl.: , (Stand: Juni 2002). Vgl.: Tobias Piller, „Hunger hat mit Politik zu tun“, in: FAZ vom 14. Juni 2002, S. 1.

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gipfels 1996 gab er der Organisation einen klaren Auftrag, die Zahl der Unterernährten bis zum Jahr 2015 zu halbieren.360 Auch wenn die FAO zwischenzeitlich einräumte, dass dieses Ziel bis 2015 wohl nicht zu erreichen sein wird361, hat sie sich zu dieser Zielsetzung während des zweiten Welternährungsgipfels 2002 in Rom erneut bekannt.362 Tatsächlich ist unverkennbar, dass die Organisation in den letzten Jahren wieder eine aktivere Rolle spielt. So hat sie allein zwischen 1999 und 2001 in jedem Jahr eine Konvention bzw. Vereinbarung auf der Grundlage von Art. XIV FAO beschlossen, darunter zuletzt die bedeutende internationale Konvention über genetische pflanzliche Ressourcen für Nahrung und Landwirtschaft von 2001.363 Mit ihrem so genannten Strategic Framework for FAO 2000 – 2015364 verfolgt sie zudem das Ziel, die FAO zu dezentralisieren, Prioritäten zu setzen und damit die Arbeit der Organisation insgesamt zu straffen und effektiver zu gestalten. Es ist allerdings noch zu früh und angesichts des häufig hochpolitischen Charakters der Materie kaum möglich, bereits von einer wirklichen Trendwende in der Praxis der FAO zu Art. XIV der Satzung zu sprechen. Die Anzeichen für eine solche sind allerdings vorhanden.

F. Die Weltkulturorganisation Ein der Satzung von ILO, WHO und FAO vergleichbares Rechtsetzungsverfahren findet sich ferner in der Satzung der Weltkulturorganisation (UNESCO). Die UNESCO mit Sitz in Paris wurde im Jahr 1945 mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit der Staaten auf dem Gebiet der Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturpolitik zu fördern.365 Mit 190 Mitgliedstaaten (einschließlich wieder der zwischenzeitlich ausgetretenen Vereinigten Staaten) ist auch sie eine UN-Sonderorganisation universellen Charakters.366 Wie die FAO verfügt die UNESCO über den klassischen tripoden Aufbau einer internationalen Organisation. Neben dem Exekutivrat mit begrenzter Mitgliedschaft und dem Sekretariat ist die Staatenkonferenz das oberste BeschlussfassungsPiller, ebda. „FAO: Bis 2015 ist die Halbierung der Zahl der Unterernährten nicht zu erreichen“, in: FAZ vom 11. Juni 2002, S. 2. 362 s. Declaration of the World Summit: Five Years Later, Abs. 1 der Präambel (abrufbar unter ). 363 International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture; vgl. zuvor das Agreement for the Establishment of the Regional Commission for Fisheries (RECOFI) von 1999 und das Agreement for the Establishment of a Commission for Controlling the Desert Locust in the Western Region von 2000. 364 Abrufbar unter . 365 Art. 1 Abs. 1 der Satzung der UNESCO vom 16. November 1945 (4 UNTS [1947], 275; BGBl. 1971 – II, 471). 366 s.: (Stand: Mai 2004). 360 361

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organ, in welchem alle Mitgliedstaaten gemäß Art. IV A. 1. UNESCO Sitz und Stimme haben. Neben anderen Aufgaben, die in Art. IV B UNESCO niedergelegt sind, kann die Staatenkonferenz gemäß Art IV B 4. UNESCO – ähnlich der Befugnisse der Staatenkonferenzen von ILO und FAO – neben bloßen Empfehlungen auch internationale Abkommen verabschieden, wozu eine 2 / 3-Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Doch auch hier beschränkt sich die Rechtswirkung derart beschlossener Abkommen auf eine rein verfahrensmäßige Pflicht der Mitgliedstaaten, diese den zuständigen nationalen Instanzen binnen Jahresfrist zur Ratifizierung vorzulegen und der Staatenkonferenz in regelmäßigen Abständen über den Stand der Dinge zu berichten, vgl. Art. IV B. 4. und 6. UNESCO. Bis April 2004 hatte die Staatenkonferenz auf diese Weise 26 internationale Abkommen allein oder in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen beschlossen367, darunter zuletzt die Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage vom 17. Oktober 2003. G. Die Weltmeteorologieorganisation Die Satzung der 1946 gegründeten Weltmeteorologieorganisation (WMO) sieht einen Rechtsetzungsmechanismus vor, der demjenigen der Weltzivilluftfahrtorganisation ähnelt.368 Die WMO mit Sitz in Genf hat seit 1951 den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen und ist mit gegenwärtig 187 Mitgliedstaaten eine Organisation universellen Charakters.369 Gemäß Art. 7 lit. d) WMO kann der alle Mitglieder umfassende Kongress der WMO Beschlüsse über die Standardisierung vor allem der Wetterbeobachtung erlassen. Gemäß Art. 10 lit. b) WMO ist hierzu eine 2 / 3-Mehrheit der anwesenden abstimmenden Mitglieder notwendig und hinreichend. Auch hier kann also im Grundsatz eine Staatenminderheit gegen ihren Willen an die Beschlüsse des Kongresses gebunden werden. Allerdings sieht die Satzung der WMO wie diejenige der ICAO einen Mechanismus vor, der im Ergebnis auf die Möglichkeit des „opting-out“ einzelner Staaten hinausläuft. So sind die Beschlüsse der WMO von den Mitgliedstaaten lediglich „nach besten Kräften“ durchzuführen, und sehen sie sich hierzu nicht in der Lage, so haben sie dem Generalsekretär der Organisation gemäß Art. 8 lit. b) WMO unter Benennung der Gründe Mitteilung zu machen. Der Kongress der WMO hat von dieser Rechtsetzungsbefugnis vielfachen Gebrauch gemacht.370 Die technischen Regulierungen gliedern sich hierbei in drei Vgl. die Übersicht unter: (Stand: Mai 2004). Satzung vom 11. Oktober 1947 (77 UNTS [1950 – 51], 143; BGBl. 1970 – II, 18). 369 Vgl.: (Stand: Mai 2004). 370 s. Publikation Nr. 49 der WMO (Technical Regulations), Loseblattsammlung, Vol. I (General meteorological standards and recommended practices), Genf 1988; Vol. II (Meteorological service for international air navigation), Genf 2004; Vol. III (Hydrology), Genf 1988. 367 368

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Kategorien, und zwar die allgemeinen meteorologischen Standards, insbesondere der Wetterbeobachtung, ferner die Richtlinien für meteorologische Dienste im Zusammenhang mit der Luftfahrt, die die WMO in Zusammenarbeit mit der ICAO erlassen hat, sowie schließlich Vorschriften für hydrologische Fragen. Freilich hat die WMO aufgrund des hohen Grades ihrer Spezialisierung auf ein besonderes technisches Feld eine nur sehr begrenzte politische Bedeutung. Gleichwohl kommt ihr auf dem Gebiet der Meteorologie eine wichtige Standardisierungs- und Koordinierungsfunktion zu. Dieser Aufgabe kommt sie zum einen durch eine Vielzahl verschiedener Programme, teilweise in Kooperation mit anderen Sonderorganisationen und Programmen der Vereinten Nationen,371 und zum anderen durch eine rege Rechtsetzungstätigkeit gemäß des beschriebenen Modells nach. H. Die Internationale Fernmeldeunion Erhebliche Besonderheiten gegenüber den bisher diskutierten Beispielsfällen weisen die Internationale Fernmeldeunion und die Internationalen Seeschifffahrtsorganisation auf, die zum Abschluss des Abschnitts über die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen zu untersuchen sind. Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) mit Sitz in Genf372 und gegenwärtig 189 Mitgliedern373 ist die älteste internationale Organisation universeller Natur. Sie geht zurück auf den 1865 in Paris geschlossenen „Welt-Telegraphenvertrag“, durch den 20 europäischen Staaten – darunter sieben deutsche – die „Internationale Telegraphenunion“ gründeten, welche 1932 durch die Konferenz von Madrid ihren jetzigen, in der deutschen Sprache etwas antiquiert anmutenden Namen erhielt. Seit dem 1. 1. 1949 ist die ITU Sonderorganisation der Vereinten Nationen.374 Wie kurze Zeit später bei der Gründung der Weltpostunion war der Auslöser für diese bis dahin einmalige Gründung einer universellen internationalen Organisation keine politische Idee, sondern die von der Erfindung des Telegraphen durch Samuel Morse ausgehende Entwicklung auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologie und das damit einhergehende Bedürfnis der Abstimmung technologischer Standards.375 Noch heute ist es oberster Zweck der Organisation, die „internationale Zusammenarbeit zwischen allen ihren Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Verbesserung und den zweckmäßigen Einsatz der Fernmeldeeinrichtungen aller Art zu erhalten und auszubauen“376, wobei das Recht eines jeden Staates, sein s.: Peeters, in: EPIL 4, 1509 (1510). Bis 1948 war die Organisation in Bern beheimatet, bevor sie nach Genf umzog. 373 s. (Stand: Mai 2004). 374 s. zur historischen Entwicklung: Hausmann, in: UN 2 / 79, 57; Noll, in: EPIL 2, 1379 (1380). 375 s. (Stand: Mai 2004). 376 Art. 1 Abs. 1 lit. a) der Konstitution vom 22. Dezember 1992 (BGBl. 1996 – II, 1306, 1410), in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2001 (BGBl. 2001 – II, 1121). 371 372

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Fernmeldewesen zu regeln, unangetastet bleibt.377 Diesem Mandat kommt die Organisation unter anderem durch Empfehlungen auf dem Gebiet der Standardisierung und – für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung relevant – durch den Erlass von Vorschriften nach.378 Aufbau und die Funktionsweise der Fernmeldeunion sind verhältnismäßig kompliziert. Sie müssen deshalb etwas eingehender dargestellt werden, weil das Rechtsetzungsverfahren anderenfalls nicht verständlich würde. Die Unübersichtlichkeit wird durch den Umstand verstärkt, dass sich die grundlegenden Bestimmungen zu den Organen der Union (auch ihre Aufgabenzuteilung) auf zwei Rechtstexte – die Konstitution379 und die Konvention380 – verteilen, vgl. exemplarisch Art. 10 Abs. 2 der Konstitution und Art. 4 Abs. 11 der Konvention zu den Aufgaben des ITU-Rates. Diese Rechtstexte enthalten zudem ausgesprochen detaillierte Verfahrensregelungen, vgl. beispielsweise Kapitel II der Konvention, und zudem auch Bestimmungen materiell-rechtlicher Natur, vgl. Kap. VI und VII der Konstitution und Kap. V der Konvention. Zwar fand durch die Konferenz von Genf im Jahr 1992 und nochmalige Änderungen in den Jahren 1994 und 1998 eine grundlegende Restrukturierung der ITU statt.381 Hierdurch hat sich an der komplizierten Struktur allerdings nichts Wesentliches geändert. Wohl aber ist damit der überwiegende Teil der einschlägigen Literatur inaktuell geworden.382

I. Grundsatzdokumente Art. 4 der Satzung (Konstitution) listet die Grundsatzdokumente der Union auf. Das grundlegende Dokument ist danach die Konstitution, deren Bestimmungen durch die Konvention der Internationalen Fernmeldeunion ergänzt werden. Die Bestimmungen der Konstitution und der Konvention werden wiederum durch die Vollzugsordnungen ergänzt.383 Die grundlegende Reform der Struktur der ITU durch die Konferenz von Genf im Jahr 1992 hat zu einer Reduzierung der Anzahl dieser Vollzugsordnungen geführt. Existierten vormals drei Vollzugsordnungen sowie eine Zusatzvollzugsordnung384, so sind diese nunmehr in zwei Vollzugsordnungen zusammengefasst, diejenige für internationale Fernmeldedienste und diejenige für den Funkdienst.385 Diese Vollzugsordnungen sind gemäß Art. 4 Abs. 3 Präambel der Konstitution, ebda. Vgl.: Art. 1 Abs. 2 lit. c) und h) der Konstitution, ebda. 379 Text ebda. 380 Text in: BGBl. 2001 – II, 1162. 381 Vgl. nunmehr: BGBl. 2001 – II, 1121. 382 Vgl. beispielsweise die Literaturhinweise bei Noll, in: EPIL 2, 1379 (1384 f.) und diejenigen im Addendum 1992 von Nolte (ebda., 1385). 383 Art. 4 Abs. 3 der Konstitution. 384 Vgl. Art. 82 des Internationalen Fernmeldevertrags vom 25. Oktober 1973, in: BGBl. 1976 – II, 1089. 377 378

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2. HS. der Konstitution für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Gemäß Art. 54 schließt die Ratifikation der Konstitution und der Konvention die Anerkennung der Verbindlichkeit der zum Zeitpunkt des Beitritts beschlossenen Vollzugsordnungen ein.386

II. Aufbau der ITU Art. 7 der Konstitution regelt den grundlegenden Aufbau der Union. Hiernach umfasst diese zunächst die Konferenz der Regierungsbevollmächtigten als oberstes Organ, die gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 alle vier Jahre einberufen wird. Daneben handelt der Rat als Beauftragter der Regierungsbevollmächtigten mit derzeit 46 Mitgliedstaaten387, was insbesondere in den Intervallen zwischen der Abhaltung der Konferenz von erheblicher praktischer Relevanz ist. Allerdings kommen dem Rat keine legislativen Befugnisse zu.388 Wie üblich verfügt die ITU daneben über ein Generalsekretariat. Die ITU handelt zudem durch eine Reihe weltweiter und regionaler Konferenzen. Doch diese sind nicht gleichgeordnet und verfügen darüber hinaus auch über sehr unterschiedliche Kompetenzen. Herausgehoben ist gemäß 7 lit. d) der Konstitution die weltweite Konferenz für internationale Fernmeldedienste.389 Die übrigen Konferenzen – wie auch sonstige Unterorgane der ITU – gliedern sich in drei verschiedene Sektoren, und zwar den Sektor für das Funkwesen, den Sektor für die Standardisierung im Fernmeldewesen und den hiervon zu unterscheidenden Sektor für die Entwicklung des Fernmeldewesens.390 Diese Sektoren zeichnen sich durch Art. 4 Abs. 3 a. E. der Konstitution. Eine zunächst überflüssig erscheinende Regelung, denn wenn Art. 4 Abs. 3, 2. HS der Konstitution die Verbindlichkeit vorschreibt und ein Staat der Konstitution beitritt, wird er über eben jene Vorschrift an die Vollzugsordnungen gebunden. Klarstellende Bedeutung erlangt Art. 54 der Konstitution gleichwohl für den Fall, dass eine Vollzugsordnung vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung der Konstitution durch den betreffenden Staat zwar angenommen, jedoch noch nicht in Kraft getreten ist. 387 Auch beim Versuch der Bestimmung der Mitgliederzahl erweist sich das System der Rechtstexte der ITU einmal mehr als unübersichtlich. Die Konstitution regelt nur einen Teilausschnitt der Wahl in dieses Gremium (vgl. Art. 10 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 lit. a). In der Konvention wiederum findet sich nur die Regelung, dass die Zahl der Mitglieder des Rates 25% der Gesamtzahl der Mitgliedstaaten nicht überschreiten darf und im Übrigen alle vier Jahre von der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten festgelegt wird. Die letzte Konferenz hat die Anzahl der Mitglieder auf 46 festgelegt, vgl.: (Stand: Mai 2004). 388 Vgl. Art. 10 Abs. 4 der Konstitution bzw. Art. 4 Abs. 11 der Konvention. 389 Begriffe wie „internationaler Fernmeldedienst“, „Rundfunkdienst“ und andere technische Bezeichnungen werden in der Anlage zur Konstitution („Definition einiger in dieser Konstitution, in der Konvention und in den Vollzugsordnungen der Internationalen Fernmeldeunion verwendeten Begriffe“) definiert, vgl.: BGBl. 2001 – II, 1159 – 1161. 390 Vgl. Art. 7 lit. d) – f) der Konstitution. 385 386

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eine bemerkenswerte Besonderheit aus, denn in ihnen sind nicht nur die Mitgliedstaaten vertreten, sondern gemäß Art. 19 der Konvention auch private Rechtsträger unterschiedlichster Art.391 Freilich genießen diese Sektormitglieder kein Stimmrecht, doch sind sie am Willensbildungsprozess in den Sektoren nachhaltig beteiligt, vgl. Art. 3 der Konstitution. Hierdurch findet in der Praxis der ITU eine einzigartige Kooperation zwischen Regierungen und sonstigen „Stakeholders“ statt. III. Rechtsetzung in der ITU Innerhalb dieses Aufbaus sind die Rechtsetzungsbefugnisse unterschiedlich verteilt. Dabei hängt diese Verteilung davon ab, um welchen Rechtstext es geht. 1. Anpassung der Primärverträge Die Konferenz der Regierungsbevollmächtigten entscheidet gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. i) der Konstitution über die Änderung der Konstitution oder der Konvention. Auch wenn die Konferenz durch Mehrheitsentscheid beschließt, und zwar mit 2 / 3-Mehrheit bei einer Änderung der Konstitution392 und einfacher Mehrheit bei einer Änderung der Konvention.393, so gelten diese Änderungen wie in einem sonst üblichen Vertragsanpassungsverfahren aber nur zwischen den Mitgliedstaaten, die ihnen durch Ratifikation oder durch sonstigen Akt zugestimmt haben. Diese Rechtsakte bleiben deshalb außerhalb des Definitionsbereichs eines Sekundärgesetzgebungsaktes. Ein Verfahren etwa der stillschweigenden Zustimmung mit Möglichkeit des Herausoptierens ist nicht vorgesehen. 2. Standardisierung im Bereich des Fernmeldewesens Dasselbe gilt für die Normenproduktion auf dem wichtigen Gebiet der Standardisierung des Fernmeldewesens. Die weltweite Konferenz im Rahmen dieses Sektors hat lediglich die Befugnis, ihr Mandat durch Empfehlungen auszuüben.394

391 Gemäß Art. 19 Abs. 1 sind dies anerkannte Betriebsunternehmen, wissenschaftliche Institutionen und industrielle Unternehmen (die in der Anlage zur Konvention definiert werden, vgl. BGBl. 2001 – II, 1207), ferner von den betreffenden Mitgliedstaaten genehmigte Finanzierungs- und Entwicklungseinrichtungen, andere von diesen genehmigte Rechtsträger, die mit Fragen des Fernmeldewesens befasst sind, und schließlich auch regionale und andere internationale Fernmelde-, Standardisierungs-, Finanzierungs- und Entwicklungsorganisationen. 392 Vgl. Art. 55 Abs. 4 der Konstitution. 393 Vgl. Art. 42 Abs. 4 der Konvention. 394 Vgl. Art. 17 Abs. 1 (1) und Art. 18 Abs. 1 der Konstitution i.V.m. Art. 13 Abs. 2 der Konvention.

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Diese sind rechtlich unverbindlich und entziehen sich damit ebenfalls dem Definitionsbereich der Sekundärgesetzgebung.

3. Anpassung der Vollzugsordnungen für internationale Fernmeldedienste und für den Funkdienst Von dem Verfahren der Anpassung der primären Verträge der ITU ist dasjenige der Anpassung der Vollzugsordnungen zu unterscheiden, deren Wesen oben bereits erläutert wurde. Anders als bei jenem ist nicht die Konferenz der Regierungsbevollmächtigten zuständig. Im Übrigen hängt die Zuständigkeitsverteilung auch hier davon ab, um welchen Rechtstext es geht, wobei das Änderungsverfahren selbst wiederum identisch ist. Zur Anpassung der Vollzugsordnung für internationale Fernmeldedienste ist gemäß Art. 25 der Konstitution die keinem der drei Sektoren zugehörige Weltweite Konferenz für internationale Fernmeldedienste zuständig. Geht es hingegen um die Vollzugsordnung für den Funkdienst, so liegt gemäß Art. 13 Abs. 1 der Konstitution die Zuständigkeit bei der Weltweiten Funkkonferenz, die gemäß Art. 12 Abs. 2 lit. a) der Konstitution Bestandteil des Sektors für das Funkwesen ist. Trotz der geteilten Zuständigkeiten folgt eine etwaige Revision beider Vollzugsordnungen einem einheitlichen Verfahren. Dieses in Art. 54 der Konstitution normierte Verfahren ist verhältnismäßig kompliziert. Grundsätzlich gilt, dass jede teilweise oder vollständige Revision durch die oben genannten Konferenzen nur für diejenigen Staaten in Kraft tritt, die dem Generalsekretär der Organisation vor dem von der Konferenz festgelegten Tag des Inkrafttretens notifiziert haben, dass sie die Verbindlichkeit der Revision anerkennen.395 Damit tragen die Änderungen der Vollzugsordnungen dem ersten Anschein nach den Charakter einer herkömmlichen völkerrechtlichen Vereinbarung und nicht eines echten Sekundärgesetzgebungsakts. Allerdings sieht die ITU-Konstitution drei Besonderheiten vor. Zunächst bedarf es keiner Mindestzahl von Zustimmungen, bis eine Änderung der Vollzugsordnungen in Kraft treten kann. Ferner gilt gemäß Art. 54 Abs. 3–penter der Konstitution eine Revision der Vollzugsordnungen vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vorläufig auch für jene Mitgliedstaaten, die diese zwar unterzeichnet, jedoch dem Generalsekretär nicht ihre Entscheidung hinsichtlich der Anerkennung der Verbindlichkeit notifiziert haben. Ein Staat kann diese vorläufige Bindungswirkung zwar durch einen entsprechenden, bei der Unterzeichnung der Revision anzubringenden Vorbehalt für sich ausschließen.396 Auch endet die vorläufige Wirkung mit dem Zeit395 Art. 54 Abs. 2–bis, S. 2 der Konstitution. Dies geschieht gemäß Abs. 3–bis durch Hinterlegung einer Ratifikations- oder sonstigen Zustimmungsurkunde oder durch Notifizierung an den Generalsekretär. 396 Vgl. Art. 3-penter S. 2 der Konstitution.

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punkt der Notifizierung des Staates an den Generalsekretär hinsichtlich seiner Entscheidung über die Anerkennung der Verbindlichkeit der Revision nach Art. 54 Abs. 4 der Konstitution. Wenn aber drittens ein Staat diese Notifizierung nicht innerhalb von 36 Monaten nach Inkrafttreten der Revision vornimmt, so wird er gemäß Art. 54 Abs. 5–bis der Konstitution behandelt, als habe er die Revision als für sich verbindlich anerkannt. In diesem Fall wird also Schweigen als Zustimmung im Rechtssinn fingiert. IV. Die Praxis der ITU Von den verschiedenen Rechtsakten der Internationalen Fernmeldeunion sind allein die beiden Vollzugsordnungen samt des für sie vorgesehenen Revisionsverfahrens von Bedeutung für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. In der Praxis haben diese allerdings ganz erhebliche Bedeutung für die internationalen Fernmeldedienste und für den Funkdienst, denn sie ergänzen und konkretisieren die nur sehr grundlegenden Vorschriften der Konstitution397 und der Konvention398 in diesen beiden wichtigsten Zuständigkeitsbereichen der Union. Das Verfahren zur Revision dieser Regelwerke hat sich in der Praxis insbesondere deshalb bewährt, weil es einen vernünftigen Ausgleich schafft zwischen dem Bedürfnis nach einer kontinuierlichen und zeitnahen Anpassung der Vollzugsordnungen an die technologischen Entwicklungen einerseits und der Berücksichtigung des einzelstaatlichen Willens andererseits. Während letzteres insbesondere durch die Möglichkeit des Herausoptierens geschieht, wird dem Bedürfnis nach einer beschleunigten Anpassung insbesondere durch drei Vorkehrungen Rechnung getragen. Diese Vorkehrungen sind wie gezeigt erstens der Verzicht auf eine Mindestzahl von Ratifikationen zwecks Inkrafttreten der Änderungen399, zweitens das vorläufige Inkrafttreten der Revisionen für alle unterzeichnenden Mitgliedstaaten und drittens die Fiktion einer durch Schweigen erteilten Zustimmung nach Ablauf von drei Jahren. Diese Besonderheiten machen das Verfahren der Revision der ITUVollzugsordnungen zu einer Mixtur aus einem Verfahren der positiven (oder ausdrücklichen) Zustimmung mit Elementen der stillschweigenden Zustimmung, was im Ganzen betrachtet in dieser Form einzigartig in der Praxis der Sonderorganisationen ist.

I. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation wurde durch den 1958 in Kraft getretenen Gründungsvertrag von Genf400 als Inter-Governmental Maritime ConVgl. dort Kap. VI für den Fernmeldedienst und Kap. VII für den Funkdienst. Vgl. dort Kap. V für den Fernmeldedienst. 399 Was bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation lange Zeit ein Problem war, dazu sogleich. 397 398

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sultative Organization (IMCO) geschaffen und im Jahr 1982 in International Maritime Organization (IMO) umbenannt.401 Die Organisation vereint derzeit 164 Mitgliedstaaten402 und mit diesen fast 100% der Weltbruttoregistertonnen. Die in London beheimatete IMO ist die einzige Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz im Vereinigten Königreich. Mit einem Stab von 300 Mitarbeitern ist sie gleichzeitig die kleinste aller Sonderorganisationen. Hauptanliegen der Gründungsmitglieder war es, die Sicherheit der Schifffahrt auf den Meeren zu fördern. Mittlerweile gehört aber auch der maritime Umweltschutz zu den obersten Prioritäten der Organisationen.403 Hinsichtlich des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung ist das Beispiel der IMO in zweierlei Hinsicht von besonderem Interesse. Zum einen hat es eine Reform des Verfahrens zur Änderung von IMO-Konventionen gegeben, die besonders gut illustriert, welche Wertschätzung das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung in der Praxis der internationalen Organisationen mittlerweile erlangt hat. Zum anderen ist es durch die Seerechtskonvention von 1982 zu einer neuartigen Verweisungstechnik gekommen, welche die von der IMO verabschiedeten Standards und Empfehlungen dem Definitionsbereich echter Sekundärgesetzgebungsakte annähern. I. Rechtsakte der IMO Die IMO besitzt zunächst den klassischen tripoden Aufbau einer internationalen Organisation mit zwei Hauptorganen und einem Sekretariat. Das höchste Gremium ist die Versammlung (Assembly), in der sämtliche Mitgliedstaaten mit einer Stimme vertreten sind.404 Eine Stimmengewichtung etwa nach Anteil an den Weltbruttoregistertonnen findet folglich nicht statt. Daneben verfügt die IMO über einen Rat (Council) mit einer begrenzten Mitgliedschaft von nunmehr 40 Staaten405, der im Wesentlichen exekutive Aufgaben hat. Überdies gibt es vier Aus400 Satzung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation vom 6. März 1948 (289 UNTS [1958], 48; BGBl. 1965 – II, 313). 401 Satzung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation in der Neufassung des Übereinkommens vom 29. Januar 1986 (BGBl. 1986-II, 423); die Umbenennung erfolgte im Wesentlichen, weil der Name als zu lang und damit unpraktisch empfunden worden war und im Übrigen das Wort „consultative“ (beratend) den Eindruck vermittelt hatte, in der Organisation würde nur geredet, nicht aber gehandelt und entschieden (vgl.: „IMO 1948 – 1998: a process of change“, in: Focus on IMO, Ausgabe September 1998, 1 (6). Auch der frühere Art. 2 der Satzung („The functions of the Organization shall be consultative and advisory“) wurde gestrichen. 402 Übersicht der Mitgliedstaaten unter: (Stand: Mai 2004). 403 Vgl. Art. 1 IMO. 404 Art. 13 i.V.m. 53 lit. a) IMO. 405 Vor der entsprechenden Änderung der IMO-Konvention durch die Vollversammlung im November 1993 waren es 32 Staaten.

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schüsse, die bei der Ausarbeitung von Rechtsakten der IMO wichtige Vorarbeit leisten, darunter der im Bereich der Sekundärrechtsetzung bedeutsame Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt und als höchstes technisches Gremium der Schiffssicherheitsausschuss (Maritime Safety Committee), in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind.406 Im Laufe ihrer im Vergleich zu anderen Sonderorganisationen etwas jüngeren Geschichte hat die IMO eine beachtliche Rechtsetzungsaktivität in ihrem Zuständigkeitsbereich entwickelt.

1. Empfehlungen zur Annahme von Vorschriften und Richtlinien Von großer Bedeutung für die Harmonisierung technischer Standards sind die Vorschriften und Richtlinien, die den Mitgliedstaaten von der Vollversammlung der IMO zur Annahme empfohlen werden. Nach Art. 15 lit. j) der Satzung gehört zu den Aufgaben der Vollversammlung „( . . . ) to recommend to Members for adoption regulations and guidelines concerning maritime safety and the prevention and control of marine pollution from ships or amendments to such regulations and guidelines which have been referred to it.“

Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um rechtlich unverbindliche Empfehlungen, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift unzweideutig ergibt.407 Dies bedeutet freilich nicht, dass derartige Empfehlungen bedeutungslos sind. Die Vollversammlung der IMO blickt auf mehr als 800 beschlossene Richtlinien im Bereich der maritimen Sicherheit, des maritimen Umweltschutzes und verwandter Sachgebiete.408 Trotz ihres rechtlich unverbindlichen Charakters werden diese Empfehlungen von den Staaten weitestgehend akzeptiert und in nationales Recht umgesetzt, was zu einer wichtigen Vereinheitlichung der verschiedenen nationalen Regelungen führt.409 Die erhebliche praktische Relevanz der von der Vollversammlung beschlossenen Empfehlungen ändert jedoch nichts daran, dass es sich um rechtlich unverbindliche Instrumentarien handelt, weshalb sie für sich betrachtet außerhalb des Definitionsbereichs eines Sekundärgesetzgebungsakts bleiben.

2. Ausarbeitung internationaler Konventionen Eine weitere wesentliche Aufgabe der IMO-Vollversammlung besteht in der Vorbereitung und Ausarbeitung internationaler Konventionen, die in den sachlis.: „Basic facts about IMO “, in: Focus on IMO, Ausgabe März 2000, 1 (2). Anders als bei der ICAO bietet die Satzung der IMO keinen Grund zu Zweifeln (zur ICAO vgl. o., B. I.). 408 s. (Stand: August 2003); vgl. auch die Auflistung in: „Basic facts about IMO“, in: Focus on IMO, Ausgabe März 2000, 1 (23, Annex 4). 409 s.: Henry, The Carriage of Dangerous Goods by Sea, S. 80 – 85 (insbes. 82 f.). 406 407

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Teil 2: Erscheinungsformen

chen Zuständigkeitsbereich der Organisation fallen. Das Verfahren läuft dabei im Wesentlichen dergestalt ab, dass sich die Vollversammlung und der Vollzugsrat gemäß Art. 15 lit. l) IMO nach vorbereitenden Arbeiten in den zuständigen Komitees auf einen Vertragsentwurf einigen und eine internationale Staatenkonferenz zur abschließenden Verhandlung und Verabschiedung einberufen wird. Dabei werden jedoch nicht nur Mitglieder der IMO, sondern sämtliche Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu dieser Konferenz eingeladen. Es handelt sich deshalb bei diesen Konferenzen um multilaterale Konferenzen im klassischen Sinne. Auch hier tritt nach dem bekannten Modell des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge die jeweilige Konvention erst dann in Kraft, wenn eine bestimmte Anzahl von Ratifikationen beim Depositar eingegangen sind, und dies auch nur mit Wirkung für die ratifizierenden Staaten. Anders als die WHO kann die IMO auf eine erfolgreiche Konventionspraxis verweisen. So sind unter ihrer Ägide mehr als vierzig Konventionen und Protokolle verabschiedet worden410, die zudem in der Regel einen hohen Ratifikationsstand aufweisen.411 Die verbreitete Akzeptanz lässt sich darauf zurückführen, dass die verabschiedeten Normen zumeist als sinnvolle und praktisch handhabbare Standards angesehen werden, die zudem in aller Regel im Konsensverfahren und nur selten im Wege der kontroversen förmlichen Abstimmung verabschiedet werden. Hinzu tritt, dass es für viele Eigner international verkehrender Schiffe fundamental wichtig ist, den in anderen Ländern verpflichtenden Standards zu genügen, anderenfalls sie dort häufig nicht operieren könnten. Aus diesem Grunde haben IMO-Konventionen oder auch völkerrechtlich zunächst unverbindliche Kodizes häufig weitaus größere Bedeutung, als die Statistiken vermuten lassen. So wurden beispielsweise in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die meisten Tanker bereits nach Maßgabe der International Convention for the Prevention of Pollution from Ships (MARPOL) von 1973 gebaut, ohne dass diese in Kraft getreten war.412 410 s.: (Stand: 5. August 2003); vgl. auch die Auflistung in: „Basic facts about IMO“, in: Focus on IMO, Ausgabe März 2000, 1 (23, Annex 4). 411 Einschließlich der wichtigsten IMO-Konventionen, vgl. den Stand im Dezember 2002: Load Lines Convention von 1966 mit 151 Vertragsstaaten (98% der Weltbruttoregistertonnen); International Convention on Tonnage Measurement of Ships von 1969 mit 141 Vertragsstaaten (98% der Weltbruttoregistertonnen); Convention on the International Regulations for Preventing Collissions at Sea von 1972 mit 146 Vertragsstaaten (97% der Weltbruttoregistertonnen); International Convention for the Prevention of Pollution from Ships (Marpol) von 1973 (modifiziert durch ein Protokoll von 1978), Annex I und II mit 128 Mitgliedstaaten (97% der Weltbruttoregistertonnen), Annex III mit 113 Mitgliedstaaten (93% der Weltbruttoregistertonnen), Annex IV mit 98 Mitgliedstaaten (54% der Weltbruttoregistertonnen) und Annex V mit 117 Mitgliedstaaten (95% der Weltbruttoregistertonnen); Safety of Life at SeaConvention von 1974 mit 152 Vertragsstaaten, 98% der Weltbruttoregistertonnen; International Convention on Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers von 1978 mit 147 Vertragsstaaten (98% der Weltbruttoregistertonnen) (Quelle: Lloyd’s Register of Shipping World Fleet Statistics as at December 2002). 412 Vgl.: (Stand: August 2002).

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3. Vertragsanpassung Von den beiden vorgenannten Instrumentarien ist schließlich ein drittes Rechtsetzungsverfahren zu unterscheiden, das zum Zwecke der Anpassung bereits existierender IMO-Konventionen Anwendung findet. In diesem Bereich spielt der Schiffssicherheitsausschuss eine bedeutende Rolle, denn zahlreiche IMO-Konventionen haben diesem Komitee die Hauptverantwortung zur Ausarbeitung der Vertragsänderungen übertragen.413 Die maßgeblich von diesem Komitee ausgehende Rechtsetzungstätigkeit fällt aufgrund eines grundlegenden Politikwechsels in den 60er und 70er-Jahren in den Bereich des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes. So hat es aufgrund entsprechender negativer Erfahrungen eine deutliche Abkehr von dem zunächst praktizierten sogenannten positive amendment procedure gegeben, das zunehmend durch das Verfahren der tacit acceptance ersetzt wurde. Wie es zu dieser wichtigen Reform kam, ist im Folgenden zu erläutern. a) Schwächen des Verfahrens der positiven Zustimmung Besonders im Bereich der technischen IMO-Konventionen bestand und besteht nach wie vor eine fortwährende Notwendigkeit der Anpassung an die sich stetig wandelnden technischen Gegebenheiten im Bereich der Seeschifffahrt und des Umweltschutzes. Viele der Konventionen enthalten Annexe technischer Natur, für die dieser Änderungsbedarf insbesondere gilt. Das Problem, dem die IMO jedoch lange Zeit ausgesetzt war, lag darin, dass die bereits existierenden Konventionen ein Vertragsanpassungsverfahren vorsahen, das dazu führte, dass eine beschlossene Änderung erst nach langen Jahren, meistens jedoch nie in Kraft trat. Im Fall der International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS) von 1960, die letztlich auch Auslöser für eine spätere Reform war, trat das Problem besonders zu Tage. So sah Art. IX SOLAS unter anderem vor, dass eine Vertragsanpassung erst dann in Kraft treten konnte, wenn zwei Drittel der Vertragsstaaten und zwei Drittel auch der Mitglieder des Schiffssicherheitsausschusses ausdrücklich zugestimmt hatten.414 Dies schien zunächst keine hohe Hürde angesichts des Umstandes, dass die SOLAS-Konvention von 1960 anfänglich nur fünfzehn Vertragsstaaten hatte. Doch bereits Ende 1960 hatten 80 Staaten diese Konvention ratifiziert und entsprechend stieg die für eine Änderung erforderliche Mehrheit in absoluten Zahlen.415 413 Art. 28 lit. b) der IMO-Satzung trifft die hierfür notwendige satzungsmäßige Vorkehrung: „The Maritime Safety Committee shall provide machinery for performing any duties ( . . . ) which may be assigned to it by or under any other international instrument and accepted by the Organizations“. 414 „IMO 1948 – 1998: a process of change“, in: Focus on IMO, Ausgabe September 1998, 1 (9); Okere, in: ICLQ 30 (1981), 513 (535). 415 „IMO 1948 – 98“, ebda., S. 9.

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Zudem zeigte die Praxis, dass die Staaten sich weitaus mehr Zeit für die Akzeptanz einer Änderung als für die Ratifikation der ursprünglichen Konvention nahmen.416 Dies hatte beispielsweise für die wichtige SOLAS-Konvention zur Folge, dass diese 1965 in Kraft getretene Konvention zwischen 1966 und 1973 sechsmal geändert wurde, ohne dass eine einzige Änderung jemals in Kraft trat. Zahlreiche andere Konventionen mit gleichen oder ähnlichen Bedingungen einer Vertragsänderung teilten dieses Schicksal.417 b) Die neue Praxis der stillschweigenden Zustimmung Die hierdurch drohende Lähmung der IMO in dem wichtigen Bereich technischer Standards wurde alsbald erkannt. Auf Initiative des Vollzugsrats der IMO wurde von der Vollversammlung im Oktober 1969 eine vergleichende Studie in Auftrag gegeben.418 Diese kam 1971 zu dem Ergebnis, dass sich die von der ICAO, der WHO, der WMO und auch der ITU praktizierten Vertragsanpassungsverfahren weitaus effektiver gestalteten und diese Organisationen in die Lage versetzten, die unter ihrer Ägide stehenden vertraglichen Regime kontinuierlich und zeitnah an die sich ändernden Realitäten anzupassen. Die Erkenntnisse aus dieser Studie führten dazu, dass in vielen – wenngleich nicht allen – seither verabschiedeten technischen IMO-Konventionen das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung zur Änderung des Vertrages oder seiner Anhänge festgeschrieben wurde, das in seiner Ausgestaltung von Konvention zu Konvention leicht variiert419. Gemeinsam ist allen Verfahren jedoch die Umkehrung des Erfordernisses der positiven Zustimmung dergestalt, dass eine Änderung im Grundsatz für alle Mitglieder binnen einer bestimmten Frist in Kraft tritt, es sei denn, dass eine Mindestzahl von regelmäßig einem Drittel von ihnen der Änderung widersprochen hat. Nimmt ein Änderungsvorschlag diese Hürde, so tritt er in Kraft für all jene Staaten, die ihren Widerspruch nicht notifziert haben. Auch hier wird Schweigen damit als Zustimmung gewertet.420 Gleichwohl gestaltete sich die Umsetzung aufgrund einer Reihe ungeklärter Rechtsfragen anfangs als schwierig. So war zum Zeitpunkt der Konferenz über die Revision der Convention on the International Regulations for Preventing Collisions at Sea (COLREG) im Oktober 1972 weiterhin unklar, ob Vertragsänderungen von einem IMO-Organ wie dem Schiffssicherheitsausschuss ausgearbeitet werden sollten oder aber von den Vertragsparteien selbst. Diese Frage war zu jener Zeit von erheblicher Bedeutung, denn viele der Vertragsstaaten einer IMO-Konvention Ebda. s.: (Stand: Mai 2004). 418 Vgl. „IMO 1948 – 1998: a process of change“, in: Focus on IMO, Ausgabe September 1998, 1 (9). 419 Vgl. die Auflistung in: „IMO 1948 – 98“, ebda., S. 14 – 16 (Annex 1). 420 Okere, in: ICLQ 30 (1981), 513 (536). 416 417

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waren (noch) nicht Mitglied der Organisation und wären dann vom Änderungsverfahren zunächst ausgeschlossen gewesen. Im Fall der COLREG-Konvention wurde das Problem dergestalt gelöst, dass Änderungen zunächst vom Schiffssicherheitsausschuss mit 2 / 3-Mehrheit beschlossen und dann mindestens sechs Monate vor Befassung der Vollversammlung an alle Vertragsstaaten und IMO-Mitglieder kommuniziert werden mussten, vgl. Art. VI der Konvention. Stimmte auch die Vollversammlung mit 2 / 3-Mehrheit zu, so traten die Änderungen in Kraft, wenn nicht binnen einer von der Vollversammlung bestimmten Frist mindestens ein Drittel der Vertragsparteien ihren Widerspruch notifizierten. Trat dieser Fall nicht ein, so galt gemäß Art. IV Abs. 4 COLREG die Änderung mit ihrem Inkrafttreten für alle Vertragsstaaten mit Ausnahme derer, die zuvor widersprochen haben, und ersetzte sämtliche der geänderten Vorschriften aus dem Vertrag.421 Eine ausgesprochen pragmatische Lösung wurde hingegen in der im Dezember 1972 von der Vollversammlung verabschiedeten International Convention for Safe Containers gefunden. Während für die Ergänzung der Bestimmungen der Konvention selbst das Verfahren der positiven Zustimmung beibehalten wurde, sieht Art. XI das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung für etwaige Änderungen der technischen Zusätze zu dieser Konvention vor, mit der Besonderheit, dass alle Vertragsstaaten – auch jene, die nicht Mitglied der IMO sind – an dem Änderungsverfahren innerhalb des Schiffssicherheitsausschusses und dies sogar mit Stimmrecht teilnehmen durften.422 Soweit ersichtlich ist dieser Lösungsweg später nicht noch einmal gegangen worden, zumal sich das Problem der Beteiligung von Nicht-Mitgliedern mit der Zeit deutlich abmilderte, da die Beitritte zur IMO immer zahlreicher wurden. c) Bewertung der neuen Praxis Das Beispiel der IMO illustriert in besonders geeigneter Weise, welche Wertschätzung das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung in der Praxis der internationalen Organisationen mittlerweile erlangt hat. Stellte in den Anfängen der IMO noch die positive amendment procedure die gängige Methode der Anpassung sämtlicher IMO-Konventionen dar, so haben negative Erfahrungen mit dieser stark konsensual geprägten Form der Vertragsanpassung zu einer Reform des Anpassungsverfahrens und zu einer deutlichen Hinwendung zur tacit acceptance amendment procedure in den neueren Konventionen der IMO geführt. Bemerkenswert ist, dass diese Reform auf der Grundlage einer vergleichenden Studie der Rechtsetzungsverfahren von ILO, WHO, WMO und ITU – also der zuvor diskutiereten Organisationen – erfolgte. Die IMO selbst spricht von einem dramatischen Erfolg: 421 Vgl. hierzu: „IMO 1948 – 1998: a process of change“, in: Focus on IMO, Ausgabe September 1998, 1 (11). 422 „IMO 1948 – 1998“, ebda., S. 12.

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Teil 2: Erscheinungsformen

„Without tacit acceptance, IMO’s ability to set safety and environmental standards for world shipping would have been seriously weakened. Without tacit acceptance, in fact, IMO might no longer exist.“423

Der Erfolg der Abkehr vom Verfahren der positiven Zustimmung und die Hinwendung zu demjenigen der stillschweigenden Zustimmung lässt sich wiederum am Beispiel der SOLAS-Konvention illustrieren. Im Jahr 1974 gelang es, mit der SOLAS-Konvention von 1960 und der Load Lines-Konvention von 1966 zwei Verträge, die bis dato die postive amendment procedure vorsahen, in eine einheitliche Konvention zu fassen und für etwaige Anpassungen, insbesondere ihrer technischen Zusätze, das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung festzuschreiben.424 Die spätere Praxis belegt den Erfolg dieser Neufassung. Bereits am 1. September 1984 traten die nur drei Jahre zuvor beschlossenen Änderungen zu SOLAS in Kraft.425 Ohne das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung hätte auch die siebente Änderung von SOLAS wohl das Schicksal der sechs Änderungen zuvor erlitten. Sie wäre bis heute nicht in Kraft getreten.

II. Rechtsetzung durch Verweisung Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation ist darüber hinaus in einer zweiten Hinsicht von Bedeutung für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Wie gesehen, entbehren die von der IMO verabschiedeten Standards und Empfehlungen im Grundsatz der Rechtsverbindlichkeit, weshalb sie dem Begriff der Sekundärgesetzgebung nicht unterfallen. Allerdings ist es mit Inkrafttreten der Seerechtskonvention von 1982426 zu einer neuartigen Verweisungstechnik gekommen, aufgrund derer diese in den Definitionsbereich eines Sekundärgesetzgebungsaktes rücken.

1. Mindest- und Höchststandards in der Seerechtskonvention 1982 In Art. 21 Abs. 2 UNCLOS 1982 heißt es bezüglich der Gesetze und sonstigen Vorschriften, die ein Küstenstaat hinsichtlich der friedlichen Durchfahrt durch sein Küstenmeer erlassen darf: „Diese Gesetze und sonstigen Vorschriften dürfen sich nicht auf den Entwurf, den Bau, die Bemannung oder die Ausrüstung von fremden Schiffen erststrecken, sofern sie nicht allgemein anerkannten internationalen Regeln oder Normen Wirksamkeit verleihen.“ 423 „IMO 1948 – 1998“, ebda., S. 8 – 12; s. ferner: (Stand: Mai 2004). 424 Vgl.: „IMO 1948 – 1998“, ebda., S. 1 ff. 425 Vgl.: (Stand: Mai 2004). 426 UN Convention on the Law of the Sea vom 10. Dezember 1982 (21 I.L.M. [1982], 1261, BGBl. 1994 – II, 1799), im Folgenden „UNCLOS 1982“.

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Art. 21 Abs. 2 UNCLOS 1982 verbietet somit jene nationale Gesetzgebung, die über allgemein anerkannte internationale Regeln oder Normen („règles ou normes internationales généralement acceptées“ / „generally accepted international rules or standards“) hinausgeht, setzt der nationalen Gesetzgebung also einen maximalen Rahmen. Umgekehrt ist dies bei Art. 211 Abs. 2 UNCLOS 1982. Hier werden die Staaten verpflichtet, Gesetze und sonstige Vorschriften zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Verschmutzung der Meeresumwelt durch Schiffe, die ihre Flagge führen oder in ihr Schiffsregister eingetragen sind, zu erlassen. Diese Gesetze und Vorschriften „( . . . ) dürfen nicht weniger wirkungsvoll sein als die allgemein anerkannten internationalen Regeln und Normen, die im Rahmen der zuständigen internationalen Organisation oder einer allgemeinen diplomatischen Konferenz aufgestellt worden sind“.

Hiernach müssen innerstaatliche Rechtsvorschriften zum Schutz der maritimen Umwelt mindestens solchen allgemein anerkannten internationalen Normen entsprechen, wie sie im Rahmen der zuständigen Organisation oder einer allgemeinen diplomatischen Konferenz aufgestellt worden sind („établies par l’intermédiaire de l’Organisation compétente“ / „established through the competent international organizations or general diplomatic conference“). Art. 211 setzt der nationalen Gesetzgebung also einen minimalen Rahmen. Vorschriften dieser Art, die die Seerechtskonvention von 1958427 noch nicht kannte, finden sich an zahlreichen Stellen der Konvention von 1982. Sie lassen sie sich allesamt in eine der beiden oben genannten Normkategorien einordnen.428 Die zuständige Organisation im Sinne des Art. 211 Abs. 2 sowie der übrigen vergleichbaren Vorschriften von UNCLOS 1982 ist zweifelsohne die Internationale Seeschifffahrtsorganisation.429 Hieraus folgt, dass die Vertragsstaaten der Seerechtskonvention im Geltungsbereich der jeweils verweisenden Norm die von der IMO verabschiedeten Regeln und Normen zwingend zu beachten haben, sofern sie allgemein anerkannt sind. Oben hatten wir aber gesehen, dass eben diese Regeln und Normen, die hier gemeint sind, nach der Satzung der IMO gerade unverbindlich sein sollen. Es scheint hernach ein Widerspruch zu bestehen, der die Frage aufwirft, ob die von der IMO aufgestellten und an sich unverbindlichen Regeln und Normen durch die Verweisungstechnik der Seerechtskonvention innerhalb des Anwendungsbereich der Verweisungsnormen letztlich doch verbindlichen Charakter erhalten und damit über den Umweg der Seerechtskonvention den Charakter echter Sekundärgesetzgebungsakte annehmen.

450 UNTS (1963), S. 82 Eine Auflistung findet sich bei: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (349, dort Fn. 359). 429 Hierüber besteht Einigkeit, vgl.: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (349, m. w. N.), der auf die entsprechende Rechtsauffassung der IMO selbst verweist. 427 428

11 Aston

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Teil 2: Erscheinungsformen

2. Normausfüllungsbefugnis der IMO Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie der Verweis auf „internationale Regeln und Normen, die im Rahmen der zuständigen internationalen Organisation oder einer allgemeinen diplomatischen Konferenz aufgestellt worden sind“, zu verstehen ist und zum anderen davon, was das Erfordernis zu bedeuten hat, dass diese „allgemein anerkannt“ sein müssen. a) Verweis auf internationale Regeln und Normen Im Schrifttum besteht Uneinigkeit, wie der Verweis auf internationale Regeln und Normen zu verstehen ist. Die bestehenden Unklarheiten sind nicht zuletzt auf die Kontroverse zurückzuführen, die bei der Ausarbeitung der Seerechtskonvention zwischen den Delegationen hinsichtlich der Frage bestand, wie die Verweisung richtigerweise zu verstehen sei.430 Auffällig ist, dass diejenigen Normen, die einen Maximalstandard festschreiben, wie es Art. 21 UNCLOS 1982 tut, allein auf die allgemein anerkannten internationalen Regeln und Normen verweisen, während diejenigen, die einen Minimalstandard normieren, wie es Art. 211 UNCLOS tut, darüber hinaus auf die zuständige internationale Organisation beziehungsweise auf eine allgemeine diplomatische Konferenz verweisen. Denkbar ist zunächst, dass Art. 21 Abs. 2 und 211 Abs. 2 sowie die übrigen Verweisungsnormen der Seerechtskonvention auf solche internationalen Regeln und Normen verweisen, die durch völkerrechtlichen Vertrag zu Stande gekommen sind. Bereits die textliche Fassung der Verweisungsnormen spricht jedoch gegen eine solche Betrachtungsweise, denn wäre ein solches Verständnis gewollt gewesen, so hätte man dies ohne weiteres und unter Verzicht auf die vorhandene komplizierte Fassung zum Ausdruck bringen können. Ein solches Verständnis würde im Übrigen auch keinen Sinn ergeben. Zum einen sind die in völkerrechtlichen Verträgen vereinbarten Regeln ohne weiteres verbindlich. Es wäre sinnlos, hierauf in der Seerechtskonvention gesondert zu verweisen. Zudem wäre es seltsam zu normieren, eine zuständige internationale Organisation oder allgemeine diplomatische Konferenz sei befugt, verbindliche vertragliche Bestimmungen aufzustellen, wo völkerrechtliche Verträge ihre Rechtsverbindlichkeit doch erst aus der Zustimmung der Vertragsstaaten schöpfen.431 Ferner könnte auf solche internationalen Regeln und Normen verwiesen sein, die im Wege des Völkergewohnheitsrechts bindende Kraft erlangt haben. Zu diesem Ergebnis ist beispielsweise van Reenen in seiner Untersuchung zur Verweisungstechnik der Seerechtskonvention gelangt.432 Dem kann jedoch ebenfalls nicht gefolgt werden. Hinsichtlich derjenigen Normen, die wie Art. 211 UNCLOS Min430 431 432

Vgl.: van Reenen, in: NYIL 12 (1981), 3 (8 – 12). Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (350). van Reenen, in: NYIL 12 (1981), 3 (8 – 12).

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deststandards normieren, widerspricht bereits die textliche Fassung einem solchen Verständnis, denn völkergewohnheitsrechtliche Regeln werden nicht durch internationale Organisationen „aufgestellt“. Eher noch wäre dies denkbar hinsichtlich derjenigen Verweisungsnormen wie Art. 21 UNCLOS, die maximale Standards festschreiben, bei denen nicht auf die zuständige internationale Organisation verwiesen wird. Doch ein Vergleich mit Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut zeigt, dass es sich nicht um einen Verweis auf Völkergewohnheitsrecht handeln kann. In keiner der einschlägigen Normen der Seerechtskonvention findet sich ein Hinweis darauf, dass die internationalen Regeln und Normen, auf die verwiesen wird, den Test einer gewissen zeitlichen Geltungsdauer bestanden haben müssen, wie dies für Normen des Gewohnheitsrechts üblich ist. Im Gegensatz zu Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut fehlt folglich das Erfordernis einer als Recht anerkannten „Übung“, also das sogenannte materielle oder objektive Element des Völkergewohnheitsrechts. Diese Feststellung lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass man – wie van Reenen es tut – die Verweisungstechnik so begreift, dass sie sich auf „rules of customary law based on treaty rules, as well as those based on non-binding decisions of the competent international organization“ bezieht.433 Ein solches Verständnis würde im Übrigen auch hier keinen Sinn machen. Die Verweisungstechnik ist in der Seerechtskonvention stets dort anzutreffen, wo es um hochtechnische Vorgänge geht, die der Normierung durch Völkergewohnheitsrecht nicht zugänglich sind. Zu Recht wird die Frage gestellt, wie sich ein gewohnheitsrechtlicher Satz herausbilden soll, wonach eine Schiffswand ein Zehntel Inch dicker oder dünner zu sein hat.434 Schließlich würde eine solche Lesart den Sinn und Zweck der verweisenden Normen gefährden, eine beschleunigte Anpassung an technische Erkenntnisse und Entwicklungen zu ermöglichen. Diese Anpassung lässt sich nur durch einen rational-institutionalisierten Normsetzungsprozess bewirken, wie ihn die Satzung der IMO vorsieht, nicht aber durch eine sich langsam herausbildende Gewohnheit.435 Damit bleibt nur noch eine Interpretation übrig, die der Verweisungsnorm Sinn verleiht und im Übrigen auch deren Wortlaut entspricht: Art. 211 Abs. 2 wie auch die verwandten Normen der Seerechtskonvention verweisen auf die von der zuständigen internationalen Organisation oder einer allgemeinen diplomatischen Konferenz aufgestellten Regeln und Normen, wobei unerheblich ist, dass diese für sich genommen keinen rechtsverbindlichen Charakter haben. Sie werden im jeweiligen Geltungsbereich der verweisenden Norm unter den Schirm der Seerechtskonvention genommen und damit insoweit rechtsverbindlich.436 Dasselbe gilt letztlich auch für diejenigen Normen, die wie Art. 21 UNCLOS maximale Standards normieren. Der Umstand, dass ein ausdrücklicher Verweis auf die zuständige interna433 434 435 436

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Ebda., S. 12. Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (350). Tomuschat, ebda., S. 349 f. Tomuschat, ebda.; Kiss / Shelton, International Environmental Law, S. 170.

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Teil 2: Erscheinungsformen

tionale Organisation fehlt, ist unschädlich, denn internationale Regeln oder Normen, die sich auf den Entwurf, den Bau, die Bemannung oder die Ausrüstung von Schiffen erstrecken, wie es zum Beispiel in Art. 21 UNCLOS heißt, gehen eben häufig auf Beschlüsse der IMO zurück und nicht etwa auf eine von der entsprechenden Rechtsüberzeugung getragenen langjährigen Übung. Diese Beschlüsse binden die Vertragsstaaten der Seerechtskonvention deshalb auch im Bereich derjenigen Normen, bei denen ein ausdrücklicher Verweis auf die zuständige internationale Organisation fehlt. Dies gilt freilich nicht pauschal für jede der von der IMO verabschiedeten internationalen Regeln und Normen. Sämtliche der in der Seerechtskonvention enthaltenen Verweisungsnormen sehen ein Korrektiv dergestalt vor, dass die betreffenden internationalen Regeln und Normen allgemein anerkannt sein müssen. b) Das Erfordernis „allgemein anerkannter“ Regeln und Normen In der Literatur ist umstritten, wann eine internationale Regel oder Norm als „allgemein anerkannt“ gelten kann. Gennadii Danilenko vertritt die Auffassung, dieses Erfordernis sei nur dann erfüllt, wenn sämtliche Staaten der betreffenden Norm zugestimmt hätten. Insbesondere sei der einzelne Staat nur dann gebunden, wenn er selbst der in Frage stehenden Norm zugestimmt habe. Unter Hinweis auf die vorbereitenden Arbeiten zur Seerechtskonvention unterstreicht er den Umstand, dass zahlreiche Staaten Vorbehalte angemeldet hätten, nur an solche Vorschriften gebunden sein zu wollen, denen sie zugestimmt hätten. Sodann führt er aus: „(I)t appears that there is no general agreement among states which would allow for the imposition upon contracting parties of a new broad convention of those rules which had not been accepted by them prior to the ratification of this convention. It follows that there is no such thing as legislation by reference or shortcuts towards generally binding rules through the technique of incorporation.“437

Der Standpunkt Danilenkos hat den Vorzug, dass er zu einer gewissen Rechtssicherheit insoweit führt, als eine ausnahmslose Zustimmung der betroffenen Staaten ein praktikables Kriterium darstellt. Dies allein kann jedoch nicht ausschlaggebend sein. Gegen die Auffassung Danilenkos spricht insbesondere der Vergleich der textlichen Fassung mit anderen Normen des Völkerrechts. Die wohl prominenteste Norm, in welcher der Ausdruck „allgemein anerkannt“ verwendet wird, ist Art. 38 Abs. 1 lit. b) des IGH-Statuts. Es besteht Einigkeit, dass das Völkergewohnheitsrecht „als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“ keine universelle Akzeptanz verlangt.438 Eine ausnahmslose Akzeptanz zu verlangen würde ferner die Vorzüge der Verweisungstechnik, aus denen sich ihr Sinn und 437 438

Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 69 – 74 (Zitat auf S. 74). Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (351).

4. Kap.: Sonderorganisationen der Vereinten Nationen

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Zweck ableiten lassen, namentlich eine beschleunigte Anpassung an den Fortschritt auf technischem Gebiet zu ermöglichen, gefährden. Ferner kann der Hinweis auf die vorbereitenden Arbeiten zur Seerechtskonvention nicht genügen, um das oben unter Verwendung primärer Auslegungsmethoden gefundene Ergebnis zu erschüttern, denn bei der Berücksichtigung der travaux préparatoires handelt es sich gemäß Art. 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention lediglich um einen subsidiären Auslegungskanon.439 Dies gilt umsomehr, als die vorbereitenden Arbeiten keinen eindeutigen Befund zulassen, wie sich aus der Analyse Danilenkos selbst ergibt. Die überwiegende Ansicht verlangt aus diesen Gründen zu Recht keine ausnahmslose Zustimmung zu den in Frage stehenden Standards und deshalb auch nicht, dass der einzelne Staat der Norm zugestimmt haben muss, um rechtlich gebunden zu sein.440 Auf der anderen Seite ist zuzugeben, dass es weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck der Verweisungsnormen vereinbar sein würde, das Merkmal „allgemein anerkannt“ bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn die IMO durch einfache Mehrheit ihrer Mitglieder beschlösse, neue Standards zu setzen oder bestehende anzupassen. Die Verweisungstechnik in der Seerechtskonvention kann nicht dazu führen, dass die IMO unilateral ihren Rechtsetzungswillen gegenüber einer substanziellen Minderheit mit Rechtsbindungswirkung durchsetzen könnte. Wenn allerdings die internationale Gemeinschaft – durch IMO handelnd – mit einer breiten Mehrheit zu dem Ergebnis gelangt, dass die bestehenden Standards an neue Entwicklungen angepasst werden müssen, so kann ein einzelner Staat, der Mitglied der Seerechtskonvention ist, sich einer Anpassung seiner nationalen Regeln nicht unter Berufung auf seine staatliche Souveränität verweigern. Ein solcher Staat würde über die Verweisungsnormen der Seerechtskonvention gegen seinen Willen gebunden. Dies führt zu dem paradox anmutenden Ergebnis, dass ein Staat, der nicht Mitglied der IMO, wohl aber der Seerechtskonvention ist, an eine IMO-Regel rechtlich gebunden werden könnte, wohingegen ein Mitgliedstaat der IMO nicht gebunden würde, so er nicht Vertragsstaat der Seerechtskonvention ist. Letztlich ist dies aber nur scheinbar widersprüchlich, da sich ein Staat, der der Seerechtskonvention beitritt, willentlich dem Verweisungsmechanismus der genannten Normen unterwirft. Ihm steht es frei, der IMO beizutreten und auf deren Beschlüsse einzuwirken. Insgesamt hat die hier vertretene Lösung den Nachteil, dass sie zu einer Rechtsunsicherheit führen kann, da das so verstandene Tatbestandsmerkmal „allgemein anerkannt“ kein quantifizierbares Kriterium darstellt und deshalb nicht immer So auch: Tomuschat, ebda., S. 349. Vgl.: Tomuschat, ebda., S. 351; Birnie / Boyle, International Law and the Environment, S. 256; Jaenicke, in: EPIL 3, 150 (166); Treves, in: FS Ago II, 473 (475); (unklar hingegen: ders., in: R.-J. Dupuy / Vignes [Hrsg.], Handbook on the New Law of the Sea II, S. 876 f.); Kiss / Shelton, International Environmental Law, S. 170; Vignes, in: AFDI 25 (1979), 712 (716 – 18); a.A.: van Reenen, in: NYIL 12 (1981), 3 (12); wohl auch: Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, S. 638 f. 439 440

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Teil 2: Erscheinungsformen

trennscharf ist. Die Grenzen sind hier fließend. Diese Rechtsunsicherheit gründet aber im Wortlaut der Verweisungsnormen und kann nicht zu einer Auslegung contra legem führen, zumal eine entsprechende Rechtsunsicherheit dem Völkerrecht nicht fremd sind. Sie besteht in verwandter Form im nach wie vor bedeutenden Bereich des Völkergewohnheitsrechts, wenn es darum geht, die vorherrschende opinio iuris zu ermitteln. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Ein Staat, der der Seerechtskonvention beitritt, akzeptiert die der Konvention immanente Verweisungstechnik und damit die Rechtsmacht der IMO, bestimmte Normen der Konvention kontinuierlich auszufüllen. Unerheblich ist, ob er selbst Mitglied der IMO ist. Eine solche Auslegung der Verweisungsnormen der Seerechtskonvention macht auch unter dem Gesichtspunkt des effet utile Sinn, geht es doch häufig um Standards technischer Natur, die der steten Anpassung an die neuesten Gegebenheiten und Erkenntnisse bedürfen und sich deshalb nicht für eine Festschreibung durch eine internationale Konvention eignen. 5. Kapitel

Fallgruppenbildung: Der Begriff der Sekundärgesetzgebung „revisited“ Das nun folgende, den zweiten Teil abschließende Kapitel dient der Zusammenfassung und Einordnung der in den vorangegangenen beiden Kapiteln erzielten Ergebnisse und stellt gleichzeitig den Bezug zu dem im ersten Teil der Studie erarbeiteten Begriff der Sekundärgesetzgebung her. Die Rechtsetzungsaktivitäten internationaler Organisationen lassen sich – wie dort bereits angeklungen ist – in insgesamt fünf grundlegende Kategorien unterteilen. Dabei dient die Unterscheidung von Fallgruppen nicht akademischer Übung. Vielmehr wird sie für die im dritten Teil der Arbeit vorzunehmende Bewertung relevant. Entsprechend wird dort an verschiedener Stelle auf sie zurückzukommen sein. Auszunehmen sind hierbei die rechtlich unverbindlichen Standards und Empfehlungen internationaler Organisationen. Zwar haben diese unter Umständen ganz erheblichen Einfluss auf die Praxis der Mitgliedstaaten, da sie häufig von diesen als interessengerecht, praxisnah und sinnvoll angesehen werden, sowie auf die Konkretisierung anderer rechtsverbindlicher Normen.441 Gleichwohl erfüllen sie in Ermangelung ihrer Rechtsverbindlichkeit die Kriterien eines Sekundärgesetzgebungsaktes, wie sie im ersten Teil der Studie erarbeitet worden sind, von vornherein nicht. Die Darstellung der jeweiligen Fallgruppe soll im Folgenden stets dreistufig erfolgen. Zunächst sind noch einmal kurz ihre wesentlichen Merkmale zusammen441

Eibe Riedel spricht hier von einer „Zebra-Situation“, in: EJIL 2 (1991), 58 (84).

5. Kap.: Fallgruppenbildung: Der Begriff der Sekundärgesetzgebung „revisited“

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zufassen. Sodann sind die Fallbeispiele aus den ersten beiden Abschnitten zuzuordnen. Schließlich ist unter Anlegung der im ersten Teil der Studie erarbeiteten Definitionsmerkmale zu untersuchen, ob die Fallgruppe im Lichte ihrer Wesensmerkmale unter den Begriff der Sekundärgesetzgebung subsumiert werden kann.

A. Unmittelbar verbindliche Außenrechtsetzung I. Wesensmerkmale Diese Art der Rechtsetzung kennzeichnet sich dadurch, dass die Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation als Normadressaten unmittelbar rechtlich an einen Rechtsetzungsakt der Organisation im Außenverhältnis gebunden werden. Unmittelbar bedeutet hierbei, dass für das Entstehen einer Bindungswirkung kein gesonderter Akt der Zustimmung erforderlich ist (in Abgrenzung zum „contracting-in“) und die Staaten nach Verabschiedung der Rechtsnorm die Bindungswirkung auch nicht im Einzelfall durch eine entsprechende Erklärung für sich ausschließen können (in Abgrenzung zum „opting-out“). Allerdings entfaltet ein solcher Rechtsakt grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung für den Bürger im innerstaatlichen Bereich (in Abgrenzung zum supranationalen Rechtsakt).

II. Zuordnung der Beispielsfälle Lange Zeit beschränkten sich die Beispielsfälle für diese Art der Rechtsetzung auf die hier nicht behandelten Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften und im Bereich universeller internationaler Organisationen auf den Sonderfall der für den Luftraum über der hohen See geltenden Rechtsnormen der ICAO, da für den Bereich dieser Normen ein Herausoptieren der Staaten aus den dargelegten Gründen nicht möglich ist. Hinzu traten später verschiedene Rechtsakte des Weltpostvereins. Das Phänomen der echten Sekundärgesetzgebung universeller Organisationen war somit auf technische Felder nicht politischer Art begrenzt, zumal auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen über eine Kompetenz zur verbindlichen Außenrechtsetzung nicht verfügt. Dieses Bild änderte sich jedoch grundlegend mit Verabschiedung von Resolution 1373 durch den UN-Sicherheitsrat am 28. September 2001 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Diese Resolution ist aus den erläuterten Gründen ohne Einschränkung der Fallgruppe der unmittelbar verbindlichen generell-abstrakten Außenrechtsetzung zuzuordnen. Sie stellt den ersten Präzedenzfall für die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats dar und zeitigt bereits jetzt weitreichende Folgen auf dem Gebiet der derzeit so wichtigen Terrorismusbekämpfung.

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Teil 2: Erscheinungsformen

Nachdem diese neue legislative Beschlusspraxis am 28. April 2004 durch Resolution 1540 ihre Fortsetzung im Bereich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen gefunden hat, kann der Rat nun endgültig denjenigen internationalen Gremien zugerechnet werden, die über echte legislative Kompetenzen verfügen. Da sich die Zuständigkeit des Rates auf das für die internationale Gemeinschaft zentrale Gebiet der internationalen Sicherheit bezieht und der Rat im Übrigen über das Durchsetzungsinstrumentarium des Kapitel VII der Charta verfügt, können bei Fortsetzung dieser Praxis auch in anderen Bereichen die Folgen auf die völkerrechtliche Normenlandschaft sowie auf das virulente Problem der Durchsetzung völkerrechtlicher Normen gar nicht überschätzt werden. Mit Resolution 1373 hat der Sicherheitsrat begonnen, Normdefizite zu beheben in einem Bereich, der von fundamentalem Interesse für die Staatengemeinschaft ist. Mit Resolution 1540 hat er diese Praxis nunmehr fortgesetzt. Es ist keine Übertreibung, vor diesem Hintergrund von einem Quantensprung der Sekundärgesetzgebung zu sprechen. Danach lassen sich nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge folgende Beispielsfälle echter Sekundärgesetzgebung benennen:  Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats zur Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden nach Art. 39 i.V.m 41 UN-Charta;  Die Rechtsakte des Rates der Weltzivilluftfahrtorganisation gemäß Art. 12 S. 3 ICAO für den Luftraum über der hohen See;  Die Allgemeinen Vollzugsregeln des Kongresses des Weltpostvereins gemäß Art. 22 Abs. 2 UPU und (ungeachtet ihres irreführenden Namens) die Allgemeine Postkonvention des Kongresses nach Art. 22 Abs. 3 UPU, ferner die Briefpost- und Paketpostvollzugsordnungen des Postvollzugsrats nach Art. 22 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 UPU sowie schließlich die Vereinbarungsvollzugsordnungen des Postvollzugsrates nach Art. 22 Abs. 4 UPU.

III. Verbindliche Außenrechtsetzung und der Begriff der Sekundärgesetzgebung Die vorstehend genannten Rechtsetzungsakte erfüllen die im ersten Teil der Studie erarbeiteten Definitionsmerkmale eines Sekundärgesetzgebungsaktes ohne Einschränkung. Sie sind unilateral, da sie einseitig von einer internationalen Organisation gesetzt werden, ferner uneingeschränkt rechtsverbindlich und beanspruchen schließlich Geltung gegenüber allen Mitgliedstaaten für eine unbestimmte Anzahl hypothetischer Fälle. Sie sind somit auch generell-abstrakter Natur. Man kann sie deshalb als „echte“ Sekundärgesetzgebungsakte bezeichnen.

5. Kap.: Fallgruppenbildung: Der Begriff der Sekundärgesetzgebung „revisited“

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B. Das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung („Opting-out“) I. Wesensmerkmale Das Rechtsetzungsverfahren der stillschweigenden Zustimmung mit der Möglichkeit des „opting-out“ ähnelt in ihren Merkmalen der vorstehend diskutierten Erscheinungsform. Insbesondere führt auch dieses im Grundsatz zu einer unmittelbaren Rechtsbindungswirkung für die Mitgliedstaaten der jeweiligen Organisation. Gleichwohl besteht die Besonderheit, dass jeder Staat im Wege einer an die Organisation gerichteten Notifizierung die Bindungswirkung im Einzelfall für sich ausschließen kann. Schweigen bedeutet mithin Zustimmung, was in allen Rechtsordnungen – auch in der völkerrechtlichen – die Ausnahme ist.442

II. Zuordnung der Beispielsfälle Das Verfahren der stillschweigenden Zustimmung hat sich als Rechtsetzungsverfahren im Völkerrecht zweifelsohne bewährt. Geeignete Anwendung findet es vor allem im Bereich technischer Vorschriften, bezüglich deren eine besondere Notwendigkeit der Anpassung an die sich stetig wandelnden Realitäten existiert. Es stellt ein Gleichgewicht her zwischen dem Bedürfnis nach fortschreitender Standardisierung und Harmonisierung und damit nach kontinuierlich normativer Integration auf der einen Seite und dem Schutz der einzelstaatlichen Souveränität auf der anderen. Letztere wird dadurch gewährleistet, dass ein Staat der Rechtsbindungswirkung im Einzelfall durch Herausoptieren entgehen kann. Dadurch, dass das Inkrafttreten eines beschlossenen Rechtsetzungsaktes nicht mehr von der gesonderten ausdrücklichen Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der betroffenen Staaten abhängig ist, wird eine erhebliche Beschleunigung der Rechtsetzung erreicht. Es ist einfacher, das Schweigen von zwei Dritteln der Staaten innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen als die ausdrückliche Zustimmung derselben Anzahl von Staaten in unbefristeter Zeit. Die Vorzüge dieses Verfahrens werden besonders deutlich anhand des Fallbeispiels der IMO, deren Mitglieder sich nach einer Studie der Rechtsetzungsverfahren der ICAO, WHO, WMO und auch der ITU bewusst für eine Abkehr von dem zuvor praktizierten Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung und zugunsten der stillschweigenden Zustimmung entschieden haben und dieses nunmehr mit Erfolg praktizieren. Nach dem gegenwärtigen Stand lassen sich als Beispielsfälle benennen:  Rechtsakte des Rates der ICAO gemäß Art. 54 lit. l) ICAO i.V.m. der Möglichkeit des Herausoptierens nach Art. 38 ICAO;

442 Vgl. nur etwa Art. 20 Abs. 5 WVRK bezüglich der Annahme von Vorbehalten zu völkerrechtlichen Verträgen.

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Teil 2: Erscheinungsformen

 Rechtsakte der Vollversammlung der WHO nach Art. 19 WHO i.V.m. der Möglichkeit des Herausoptierens nach Art. 22 WHO;  Rechtsakte des Kongresses der WMO nach Art. 7 lit. d) WMO i.V.m. der Möglichkeit des Herausoptierens nach Art. 8 lit. b) WMO;  Mit zunehmender Häufigkeit die jeweiligen Verfahren zur Änderung von IMOKonventionen durch die Vollversammlung der IMO;  Elemente des Verfahrens der stillschweigenden Zustimmung finden sich ferner in Art. 54 Abs. 3–penter, 4 und 5–bis ITU bei den Anpassungen der Vollzugsordnung für internationale Fernmeldedienste durch die Weltweite Konferenz für internationale Fernmeldedienste gemäß Art. 25 ITU sowie bei den Anpassungen der Vollzugsordnung für den Funkdienst durch die Weltweite Funkkonferenz gemäß Art. 13 Abs. 1 ITU.

III. „Opting-out“ und der Begriff der Sekundärgesetzgebung Fraglich ist, ob die nach den oben beschriebenen Verfahren zu Stande gekommenen Rechtsnormen als Sekundärgesetzgebungsakte der jeweiligen Organisation aufgefasst werden können. Ist ihr abstrakt-genereller Charakter unproblematisch, so stellt sich die Frage, ob sie die Merkmale der Unilateralität und dasjenige der Rechtsverbindlichkeit erfüllen. Anders als bei der noch zu behandelnden Fallgruppe, in der eine Rechtsverbindlichkeit erst durch einen zusätzlichen Akt des „contracting-in“ zu Stande kommt, ist ein solcher Akt im Mechanismus des „opting-out“ nicht erforderlich. In Umkehrung des sonst geltenden Prinzips wird staatliches Stillschweigen vielmehr als Annahme gewertet. Gleichwohl wird in Teilen der Literatur angenommen, es handle sich um völkerrechtliche Verträge, die lediglich in einem besonderen Verfahren abgeschlossen würden.443 Zugunsten einer solchen Annahme könnte man argumentieren, auch das Verfahren des „opting-out“ ändere nichts daran, dass eine Rechtsverbindlichkeit allein im Falle einer (gesonderten) Zustimmung durch die einzelnen Mitgliedstaaten entstünde, nur dass diese bei diesem Verfahren eben durch Schweigen fingiert würde. Gleichwohl kann dem nicht gefolgt werden. Es besteht ein qualitativer Unterschied – auch für das innerstaatliche Staatsorganisationsrecht – zwischen dem Erfordernis einer zusätzlichen Zustimmung oder gar Ratifikation und der Möglichkeit der Rechtswirksamkeit durch bloßen Zeitablauf. Nur im ersten Fall wirkt die Zustimmung konstitutiv, im zweiten Fall ist sie es nicht. Vielmehr ist der Mechanismus hier dergestalt umgekehrt, dass die Nicht-Zustimmung eine grundsätzlich bestehende Rechtsverbindlichkeit beseitigt. Während es sich im ersten Fall um einen (freilich unter Mitwirkung einer internationalen Organisation ausgearbeite443

Vgl.: Huber, in: SchwJBIR 27 (1971), 9 (28 f.).

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ten) völkerrechtlichen Vertrag handelt, der Mitglieder hat und auf den die Regeln über das Recht der völkerrechtlichen Verträge Anwendung finden, handelt es sich im zweiten Fall um einen Rechtstext, dessen Rechtsbindungswirkung allein auf dem Beschluss des zuständigen Organs der Organisation gründet. Ein solcher Rechtsakt ist unmittelbar der betreffenden Organisation zuzurechnen und erfüllt daher das Kriterium der Unilateralität. 444 Aus diesem Grunde ist es auch unpräzise, von „contracting-out“ zu sprechen, wie es zuweilen anzutreffen ist.445 Dieser Begriff suggeriert ein vertragliches Element, das dieser Art der Rechtsetzung – anders als beim „contracting-in“ – nicht zukommt. Es ist deshalb vorzugswürdig, von „opting-out“ zu sprechen.446 Fraglich ist indes, ob ein solcher Rechtsakt auch das dritte Kriterium eines Rechtsetzungsaktes erfüllt. Dann müsste er rechtsverbindlich sein. Das Problem drängt sich auf: Wie kann von einer Rechtsverbindlichkeit gesprochen werden, wenn jeder Staat die Rechtsverbindlichkeit zu jeder Zeit für sich ausschließen kann? Auch wenn ein Staat sich wegen bestehender Sachzwänge häufig daran gehindert sehen wird, von der Möglichkeit des „opting-out“ Gebrauch zu machen, so ist das Bestehen dieser Option rechtstheoretisch doch von großer Bedeutung. Ein Staat kann nicht gegen seinen Willen gebunden werden. Es kann sich deshalb nicht um einen Fall echter Sekundärgesetzgebung handeln. Andererseits bindet der Rechtsakt zunächst all diejenigen Staaten, die von der Möglichkeit des Herausoptierens keinen Gebrauch gemacht haben. Es handelt sich folglich um eine Mischform einer Normenproduktion, die ein Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis nach einem Regelwerk und der Berücksichtigung des einzelstaatlichen Willens schafft. Wegen der fortwährenden Zulässigkeit des Herausoptierens ist bei dieser Art der Rechtsetzung die mitgliedstaatliche Souveränität zwar letztlich noch geschützt. Doch die Praxis zeigt, dass die Staaten hiervon aus den unterschiedlichsten Gründen häufig keinen Gebrauch machen. Zuvor wurde der Begriff der „echten“ Sekundärgesetzgebung vorgeschlagen, um damit die unmittelbar verbindliche Außenrechtsetzung zu kennzeichnen. Um ein kongruentes Begriffspaar zu bilden und den Begriff der „Quasi-Legislative“ zu vermeiden447, aber gleichzeitig auch die Besonderheiten des Verfahrens der stillschweigenden Zustimmung deutlich zu machen, soll diesbezüglich von „unechter“ Sekundärgesetzgebung gesprochen werden. Durch die Verwendung des Substantivs „Sekundärgesetzgebung“ wird deutlich, dass diese Art der Rechtsetzung dieser 444 Ebenso: Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 629, Fn. 14; Skubiszewski, in: BYIL 41 (1965 – 66), 198 (201). 445 Vgl. beispielsweise: Detter, Law Making, S. 228; Vignes / Schlenzka, in: EPIL 4, 1494 (1496). 446 So auch: Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 629, Rn. 14; Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1257). 447 Vgl. aber: Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 629, Rn. 14; Erler, in: CYIL 2 (1964), 153 (156 f.), dazu bereits oben, Teil 1, 1. Kapitel, B. III.

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Teil 2: Erscheinungsformen

Kategorie völkerrechtlicher Normproduktion noch zugerechnet wird. Das Attribut „unecht“ soll dagegen die Besonderheit illustrieren, dass die Staaten die Bindungswirkung im Einzelfall ausschließen können und deshalb das dritte Kriterium eines Sekundärgesetzgebungsaktes – das Element der Rechtsverbindlichkeit – nur eingeschränkt erfüllt wird.

C. Das Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung („Contracting-in“) I. Wesensmerkmale Das Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung stellt in gewisser Weise eine Umkehrung desjenigen der stillschweigenden Zustimmung dar. Der Erlass eines Rechtsaktes durch eine internationale Organisation führt hierbei im Gegensatz zu letzterem Verfahren nicht zu einer unmittelbaren Bindungswirkung im Außenverhältnis. Vielmehr bedarf es hierzu eines zusätzlichen Aktes der Zustimmung eines jeden Mitgliedes der Organisation.

II. Zuordnung der Beispielsfälle Das Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung ist im Bereich der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen stets dort anzutreffen, wo der einzelstaatliche Wille stärker in den Vordergrund gestellt wird. Die vorstehende Untersuchung dieser Organisationen hat ergeben, dass dieses Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung insbesondere bei Organisationen mit politischem Aufgabengebiet anzutreffen ist, hinsichtlich derer die einzelnen Staaten einen stärkeren Schutz ihrer Souveränität begehren. Das zum Verfahren der stillschweigenden Zustimmung Gesagte kann hier allerdings umgekehrt werden: Es ist ungleich schwieriger, binnen unbestimmter Frist die ausdrückliche Zustimmung einer Mindestzahl von Staaten zu erhalten, damit der Rechtstext in Kraft treten kann, als diesen mit sofortiger Wirkung zu beschließen und dessen Verbindlichkeit die einzelnen Staaten nur durch ausdrückliche Ablehnung entgehen können. Diese Nachteile werden jedoch bewusst in Kauf genommen, denn sie wiegen für die Staaten weniger schwer als ein etwaiger Verzicht auf das Erfordernis ihrer individuellen Zustimmung. Für dieses Modell lassen sich auf der Grundlage der vorstehenden Untersuchung die folgenden Beispielsfälle anführen:  Internationale Abkommen der Staatenkonferenz der ILO nach Art. 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 ILO  Internationale Abkommen der Staatenkonferenz der FAO nach Art. XIV Abs. 1 FAO und Rechtsakte des Exekutivrats nach Art. XIV Abs. 2 FAO, jeweils i.V.m. Art. XIV Abs. 4 FAO

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 Internationale Abkommen der Staatenkonferenz der UNESCO gemäß Art. IV B.4 UNESCO  Internationale Abkommen der Vollversammlung der WHO gemäß Art. 19 i.V.m. Art. 20 WHO  Änderungen der Vollzugsordnung für internationale Fernmeldedienste durch die Weltweite Konferenz für internationale Fernmeldedienste gemäß Art. 25 ITU sowie der Vollzugsordnung für den Funkdienst durch die Weltweite Funkkonferenz gemäß Art. 13 Abs. 1 ITU (jeweils aber mit Elementen des Verfahrens der stillschweigenden Zustimmung in Art. 54 Abs. 3penter, 4 und 5bis ITU, vgl. oben448).

III. „Contracting-in“ und der Begriff der Sekundärgesetzgebung Fraglich ist, ob dergestalt verabschiedete Rechtsakte die Kriterien eines Sekundärgesetzgebungsaktes erfüllen, wie sie im ersten Teil der vorliegenden Studie erarbeitet worden sind. Das Erfordernis eines abstrakt-generellen Regelungsgehalts ist dabei ohne weiteres gegeben. Der Regelungsgehalt beispielsweise eines nach Maßgabe der Art. 19 Abs. 1 i.V.m Abs. 5 lit. b) und 3) ILO durch die Staatenkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation als Konvention verabschiedeten Regelwerks richtet sich regelmäßig an eine unbestimmte Anzahl von Normadressaten für eine unbestimmte Anzahl hypothetischer Fälle der geregelten Art. Gleichwohl fehlt es an den beiden übrigen Definitionsmerkmalen eines Sekundärrechtsetzungsaktes. Dies gilt zunächst für das Erfordernis, dass der Akt rechtsverbindlich sein muss. Natürlich ist eine völkerrechtliche Konvention gemäß des völkergewohnheitsrechtlich anerkannten und in der Wiener Vertragsrechtskonvention niedergeschriebenen Grundsatzes „pacta sunt servanda“ rechtsverbindlich für die Vertragsstaaten. Doch dies ist nicht der entscheidende Punkt. Maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob der von dem zuständigen Organ der internationalen Organisation verabschiedete Rechtsakt aus sich heraus rechtsverbindlich ist. Dies unterscheidet den echten Sekundärgesetzgebungsakt von einem innerhalb einer internationalen Organisation ausgearbeiteten und verabschiedeten völkerrechtlichen Abkommen. Zwar entsteht durch die Verabschiedung solcher Rechtstexte, die auf der Grundlage von Ermächtigungsgrundlagen getroffen werden, die einen gesonderten Akt der Zustimmung oder Ratifizierung in Form des „contracting-in“ vorsehen, eine rechtliche Verpflichtung. Doch diese beschränkt sich auf die Verpflichtung zur Vorlage bei den zuständigen nationalen Instanzen einschließlich einer Berichtspflicht. Eine Bindung in der Sache tritt dagegen nicht ein. Nun könnte man argumentieren, 448

Vgl. Abschnitt B. III.

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Teil 2: Erscheinungsformen

dies sei letztlich dem Fall der Rechtsetzung nach dem Modell des „opting-out“ ähnlich, da der Normadressat auch hier nach freiem Ermessen der Rechtsbindung entgehen kann. Subsumiere man diese Erscheinungsform unter den Begriff der Sekundärgesetzgebung, wenngleich als besondere Form hiervon, so müsse das für die hier diskutiere Erscheinungsform ebenso gelten. Tatsächlich will ein Teil der völkerrechtlichen Literatur hierin – mit unterschiedlicher Begründung – einen unilateralen Rechtsakt der jeweiligen Organisation erblicken.449 Zuzugeben ist, dass ein solches Vertragswerk von einer einzigen Entität ausgearbeitet worden ist und deshalb einen Grenzfall darstellt. Diese Ansicht verkennt aber zwei Dinge. Zum einen ist es rechtstechnisch und auch praktisch betrachtet durchaus ein bedeutender Unterschied, ob ein von einer internationalen Organisation verabschiedeter Rechtstext ab initio rechtlich bindend ist (so im Falle des „opting-out“) oder nicht (so im Falle des „contracting-in“). In jenem Fall bedeutet Schweigen Zustimmung, in diesem nicht. Auch einem als internationale Konvention beschlossenem Regelwerk beispielsweise der ILO kommt ohne weiteres keine Rechtsbindungswirkung zu. Der zweite Punkt betrifft die Frage der Zurechnung des Rechtsaktes. Er leitet damit über zu dem dritten Definitionsmerkmal eines Sekundärgesetzgebungsaktes, und zwar dem Erfordernis, dass es sich um einen unilateralen Akt handeln muss. Erlässt beispielsweise die ICAO einen Regelkatalog und entscheidet ein Staat, an diesen gebunden sein zu wollen, so reicht ein schlichtes Untätigbleiben dieses Staates aus. Die von einem solchen Regelkatalog ausgehende Bindungswirkung ist allein auf die ICAO und damit auf einen einzigen Erzeuger der Rechtsbindungswirkung zurückzuführen. Das Schweigen des Staates hat nicht konstitutive Wirkung, sondern das Herausoptieren hat eine die im Grundsatz bestehende Rechtsbindungswirkung ausschließende Wirkung. Im Fall der Rechtsetzung mit Erfordernis des „contracting-in“ ist es genau umgekehrt. Nehmen wir wieder das Beispiel der ILO. Beschließt diese ein Regelwerk als Vorschlag einer internationalen Konvention, so bedarf die Entscheidung der Staaten, an die Norm gebunden sein zu wollen, eines gesonderten Aktes der Unterwerfung unter das Regelwerk. Die Umsetzung dieser Entscheidung hat folglich hinsichtlich der Rechtsbindungswirkung konstitutiven Charakter. Ratifizieren die Staaten nun eine von der ILO ausgearbeitete Konvention, so bleibt es trotz des Umstandes, dass diese innerhalb dieser Organisation ausgehandelt worden ist und zur Kennzeichnung dessen herkömmlich das Präfix „ILO„(-Konvention) verwendet wird, dabei, dass es sich um ein multilaterales Vertragswerk handelt, das entsprechend auch den Vertragsstaaten zugerechnet wird. Diese Unterscheidung ist über bloße Semantik hinaus von Bedeutung. Sie bedeutet im vorliegenden Fall, dass auf ILO-Konventionen (wie auch auf die anderen genannten Beispiele) die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 gemäß ihres Art. 5 Var. 2 Anwendung findet, wohingegen dies bezüglich der Regelwerke 449

Vgl.: Yemin, Legislative Powers, S. 10 f.

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der ICAO (und der anderen genannten Beispiele) grundsätzlich nicht der Fall ist. Dies bedeutet zwar nicht, dass etwa die in Art. 31 ff. WVRK normierten Auslegungsregeln nicht entsprechende Anwendung etwa zwecks Interpretation eines von der ICAO beschlossenen Regelwerks finden könnten. Dies gilt jedoch nicht für eine Reihe weiterer bedeutsamer Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention, etwa für diejenigen über die Unwirksamkeit oder Beendigung internationaler Verträge. Bei alledem wird die Bedeutung des Beitrages der jeweiligen internationalen Organisation für die Ausarbeitung der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden internationalen Verträge in keiner Weise verkannt. Aus der Perspektive des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung betrachtet besteht jedoch kein Unterschied zwischen einem solchen Vertrag, der innerhalb einer Organisation ausgehandelt wurde, und einem im herkömmlichen multilateralen Weg ausgehandelten Vertrag. Beide unterfallen nicht dem Begriff der Sekundärgesetzgebung, wie er im ersten Teil der Studie erarbeitet worden ist.450 Aufgrund des vertraglichen Charakters der Zustimmung ist die Verwendung des Begriffs „contracting“ zur Kennzeichnung dieses Verfahrens – anders als im Bereich des „opting-out“ – zu befürworten. Von „opting-in“ zu reden wäre hier unpräzise. Die Begriffe „contracting-in“ und „opting-out“ sind geeignet, den Unterschied zwischen multilateral und unilateral gesetzter Norm zu illustrieren.

D. Rechtsetzung durch Verweisung I. Wesensmerkmale Eine Besonderheit stellt der in zahlreichen Normen der Seerechtskonvention von 1982 anzutreffende Mechanismus dar, der die an sich unverbindlichen Standards der IMO im Wege der Verweisung für die Vertragsstaaten der Seerechtskonvention in den Grenzen des Anwendungsbereichs der verweisenden Normen rechtsverbindlich macht. Dabei handelt es sich nicht um statische Verweisungen, sondern nach den einschlägigen Verweisungsnormen der Seerechtskonvention gelten stets die jeweils gültigen Standards. Aufgrund der Dynamik dieser Verweisung kommt der IMO damit mittelbar – das heißt über den Mittler der Verweisungen in der Seerechtskonvention – die Rechtsmacht zu, Standards zu setzen oder zu ändern, die in dem Anwendungsbereich der jeweils verweisenden Norm der Seerechtskonvention für die Vertragsstaaten rechtsverbindlich werden.

450

Ähnlich auch: Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 726.

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Teil 2: Erscheinungsformen

II. Zuordnung der Beispielsfälle Soweit ersichtlich ist die Seerechtskonvention von 1982 bislang der einzige Anwendungsfall für ein solches Modell der Rechtsetzung durch Verweisung geblieben. Immerhin sehen eine Vielzahl von Vorschriften dieser Konvention eine derartige Verweisung vor.451

III. Rechtsetzung durch Verweisung und der Begriff der Sekundärgesetzgebung Es fragt sich allerdings, ob die im Wege der Seerechtskonvention verbindlich werdenden Empfehlungen der IMO als echte Sekundärgesetzgebungsakte eingeordnet werden können. Dafür könnte sprechen, dass der Mangel der Rechtsverbindlichkeit der von der IMO verabschiedeten Regeln und Normen durch die Verweisungsnormen der Seerechtskonvention von 1982 unter den dortigen Voraussetzungen geheilt wird. Die IMO kann also durch Verabschiedung internationaler Regeln und Normen letztlich verbindliches Recht schaffen. Dagegen spricht aber, dass sich die Rechtsverbindlichkeit nicht aus der Satzung der IMO, sondern aus einem externen völkerrechtlichen Vertrag ableitet. Diese Unterschiedlichkeit der Geltungsgrundlage ist von erheblicher praktischer Relevanz, die sich insbesondere darin zeigt, dass ein Staat, der zwar Mitglied der IMO ist, nicht aber der Seerechtskonvention, vorbehaltlich einer völkergewohnheitsrechtlichen Verpflichtung durch IMO-Standards rechtlich nicht gebunden werden kann. Die Satzung der IMO sieht eine solche Bindungswirkung nicht vor und dem Verweisungsmechanismus der Seerechtskonvention hat sich der Staat nicht unterworfen.452 Keine Bedenken bestehen hingegen, einen Staat, der Mitglied der Seerechtskonvention aber nicht Mitglied der IMO ist, als an die Standards der IMO gebunden zu betrachten. Ein solcher Staat hat sich freiwillig dem Verweisungsmechanismus der Seerechtskonvention unterworfen und damit hingenommen, dass die zuständige Organisation – bei der er unter Umständen nicht Mitglied ist – Regeln und Normen setzen kann, die für ihn verbindlich werden können. Der in der Literatur geäußerten Ansicht, die dergestalt verbindlich gewordenen Regeln entstammten der Rechtsquelle des völkerrechtlichen Vertrages aus Art. 38 Abs. 1 lit. a) des IGH-Statuts, ist deshalb im Grundsatz zuzustimmen.453 Andererseits ist zu beachten, dass erst der unilateral getroffene Beschluss der zuständigen internationalen Organisation zu einer rechtsverbindlichen Norm führt. Erst das Zusammenspiel von unilateralem Beschluss und völkerrechtlichem Vertrag führt also zu dem gewollten Normergebnis. Hat ein Staat der Seerechtskonvention und 451 452 453

Vgl. die Auflistung bei Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (349, dort Anm. 359). s. a. Vignes, in: AFDI 25 (1979), 712 (717, dort Fn. 6). Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (352).

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damit dem ihr immanenten Verweisungsmechanismus einmal zugestimmt, so unterwirft er sich einer dynamischen Normentwicklung: Art. 21 Abs. 2 und 211 Abs. 2 wie sämtliche der übrigen Verweisungsnormen der Seerechtskonvention verpflichten ihn, den jeweils anerkannten IMO-Standard als rechtsverbindlich zu beachten. Die Seerechtskonvention öffnet also ein dynamisches Fenster insbesondere im Bereich stetig anzupassender technischer Vorschriften. Die IMO hat damit die Rechtsmacht, den Normbestand der Seerechtskonvention rechtsverbindlich auszufüllen – freilich mit der Einschränkung, dass die in Rede stehende IMO-Norm allgemein anerkannt sein muss. Der Gesichtspunkt der Dynamik ist hier von außerordentlicher Bedeutung: Ist ein Staat der Seerechtskonvention einmal beigetreten, so unterwirft er sich für die Zukunft einer dynamischen Normgenese. Dieses Zusammenspiel aus vertraglicher Bindung und unilateraler Normausfüllungsbefugnis der Seeschifffahrtsorganisation führt dazu, dass wie im Fall des „opting-out“ auch hier ein Phänomen vorliegt, das sich der genauen Einordnung entzieht und deshalb von Christian Tomuschat zu Recht als obskur bezeichnet wird.454 Um deutlich zu machen, dass ein Staat nicht gegen seinen Willen gebunden werden kann, hatten wir im Falle des „opting-out“ das Attribut der „unechten“ Sekundärgesetzgebung vorgeschlagen. Dies passt jedoch für den Fall der Rechtsetzung durch Verweisung nicht. Die Besonderheit besteht nicht darin, dass sich ein Staat der Bindungswirkung entziehen kann (das kann er im Ernstfall gerade nicht), sondern darin, dass ein sekundärer Akt einer internationalen Organisation erst durch das „Vehikel“ eines externen völkerrechtlichen Vertrages (unter bestimmten Voraussetzungen) Bindungswirkung erlangt. Es handelt sich also um eine durch einen externen Rechtstext vermittelte Bindungswirkung, also um eine mittelbare Bindungswirkung. Um diese Besonderheit zu kennzeichnen, bietet sich der Begriff der „mittelbaren“ Sekundärgesetzgebung an.

E. Exkurs: Der Sonderfall der supranationalen Gesetzgebung Die weitreichendste Form der verbindlichen Rechtsetzung im Außenverhältnis einer internationalen Organisation ist diejenige, welche die Membran der mitgliedstaatlichen Souveränität durchdringt und unmittelbare Rechtsbindungswirkung in den nationalen Rechtsordnungen entfaltet. Damit diese Rechtsbindungswirkung entstehen kann, ist weder ein weiterer Akt der Zustimmung der Mitgliedstaaten noch eine Umsetzung in das nationale Recht erforderlich. Der Rechtsakt begründet ohne weiteres unmittelbare Rechte und Pflichten für die Bürger der Mitgliedstaaten. Damit ist die Rechtsetzung supranational.

454

Ebda., S. 348.

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Teil 2: Erscheinungsformen

Diejenigen Staaten, die eine Organisation mit derartigen Rechtsetzungskompetenzen gründen oder einer solchen beitreten, übertragen folglich echte Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung, öffnen ihren Hoheitsraum also unmittelbar für Rechtsakte von außen. Die Gründung einer solchen Organisation respektive der Beitritt zu ihr haben deshalb für den betreffenden Staat stets auch weitreichende staatsorganisationsrechtliche Implikationen, denen durch entsprechende verfassungsrechtliche Vorkehrungen Rechnung zu tragen ist.455 Sie führt zu einer neuen Entwicklungsstufe des Rechts der internationalen Organisationen, zu einer Entwicklungsstufe höchster Gemeinschaftsdisziplin, die föderative Züge aufweist. Das Phänomen der supranationalen Rechtsetzung hat Vorläufer im Bereich internationaler Flusskommissionen456, ist darüber hinaus jedoch auf die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften beschränkt geblieben.457 Die der Kategorie der supranationalen Rechtsetzung zuzuordnenden Rechtsakte der EG sind zunächst die Verordnungen, deren unmittelbare Bindungswirkung im innerstaatlichen Recht der Mitglieder ausdrücklich angeordnet ist, vgl. Art. 249 S. 2 EG. Dagegen entfalten Richtlinien der EG gemäß Art. 249 S. 3 EG im Grundsatz nur Bindungswirkung gegenüber den Staaten und lassen diesen Raum zur Umsetzung in das nationale Recht, weshalb sie vorstehend auch der ersten Fallgruppe der unmittelbar verbindlichen Außenrechtsetzung zugeordnet worden sind. Dank richterlicher Rechtsfortbildung durch den EuGH kommt Richtlinien aber ausnahmsweise ebenfalls unmittelbare Wirkung im nationalen Recht zu, wenn die Frist zur Umsetzung in das nationale Recht von dem betreffenden Mitgliedstaat nicht gewahrt wurde und die Richtlinie im Übrigen ihrem Inhalt nach unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewendet werden zu können.458 Abzuwarten bleibt, ob es durch die jüngst erfolgte Gründung der Afrikanischen Union zu einem weiteren, vergleichbar effektiven Mechanismus der supranationalen Sekundärgesetzgebung auf regionaler Ebene kommen wird.459 455 Vgl. im Fall Deutschlands z. B. Art. 23 GG, der im Zuge der Ratifikation des Vertrages von Maastricht neu gefasst wurde. 456 Vgl. etwa für die Zentrale Rheinschifffahrtskommission: Meißner, in: EPIL 4, 237 (241). 457 Zwar haben auch die Vereinten Nationen in verschiedenen Fällen supranationale Hoheitsgewalt ausgeübt, insbesondere bei transitorischer Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen im Innern eines Staates, etwa in Kambodscha, in Bosnien-Herzegowina, in Ostslawonien, im Kosovo, in Ost-Timor oder in Afghanistan (vgl.: Herdegen, Völkerrecht, § 41, Rn. 28). Hierbei sind die UN aber nicht gesetzgebend im Sinne der vorliegenden Studie tätig gewesen. 458 St. Rspr. des EuGH, vgl. EuGH, Rs. 8 / 81, Slg. 1982, 53, Rn. 21 ff. (Becker); Rs. C-188 / 89, Slg. 1990, I-3313, Rn. 16 (Foster . / . British Gas); Rs. C-91 / 92, Slg. 1994, I-3325, Rn. 23 f. (Paola Faccini Dori); vgl. auch: Herdegen, Europarecht, Rn. 183 f.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, EUV / EGV, zu Art. 249, Rn. 69 ff. 459 Am 2. März 2001 beschlossen die Mitgliedstaaten der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) auf ihrem Gipfeltreffen im libyschen Sirte die Gründung einer Afrikanischen Union nach dem Vorbild der Europäischen Union. Am 26. Mai 2001 wurde die im Jahre 1963

5. Kap.: Fallgruppenbildung: Der Begriff der Sekundärgesetzgebung „revisited“

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Diese Regionalorganisationen sind nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Gleichwohl ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass in der Form der supranationalen Rechtsetzung ein weiteres Modell der Sekundärgesetzgebung existiert, dass jedoch auf der Ebene universeller internationaler Organisationen nicht anzutreffen ist. Zu erklären ist dies vor allem mit den beschriebenen weitreichenden politischen und staatsrechtlichen Konsequenzen, die den Beitritt zu einer solchen Organisation zeitigen. Der Zusammenschluss zu einer solchen Organisation supranationalen Charakters verlangt ein Maß an politischer Homogenität, das auf globaler Ebene auf absehbare Zeit nicht zu erreichen ist.

gegründete OAU dann formell in die Staatengemeinschaft der „Afrikanischen Union“ umbenannt. Die AU hat die Strukturen der OAU binnen einer Übergangsfrist von zwei Jahren abgelöst. Hintergrund ist, dass die OAU als Instrument zur Kontrolle der Dekolonisation ausgedient hatte und im Übrigen als politisch wenig einflussreich und ineffizient angesehen wurde. Die AU soll auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten beruhen und in Anlehnung an das Modell der EU über vergleichbare sekundäre Gesetzgebungskompetenzen verfügen (s.: „Afrikanische Union gegründet“, in: FAZ vom 28. Mai 2001, S. 1; „Gipfeltreffen mit Hindernissen. Aus der OAU soll eine Afrikanische Union werden“, in: FAZ vom 9. Juli 2001, S. 6). 12*

Teil 3

Zur Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das allgemeine Völkerrecht In dem nun folgenden dritten und abschließenden Teil der Studie soll die Bedeutung der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen für das allgemeine Völkerrecht vor dem Hintergrund der im zweiten Teil erzielten Ergebnisse bewertet werden. Zu untersuchen ist zunächst, welchen Beitrag die Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zu der seit 1945 verstärkt zu beobachtenden Institutionalisierung der internationalen Beziehungen und zu der damit einhergehenden globalen Integration geleistet hat (6. Kapitel). Sodann ist die Sekundärgesetzgebung in die allgemeine, in der Einleitung bereits angesprochene Frage einzubetten, wann ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann (7. Kapitel). Schließlich ist sich der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre zuzuwenden und zu fragen, ob es sich bei der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen um eine eigene Quelle des Völkerrechts handelt (8. Kapitel).

6. Kapitel

Der Beitrag der Sekundärgesetzgebung zur Entwicklung einer institutionellen Gemeinschaftsdisziplin Im 19. Jahrhundert setzte eine Entwicklung ein, die bis zum heutigen Tage zu einer erheblichen institutionellen Vernetzung der internationalen Beziehungen geführt hat. Diese Institutionalisierung kann als Grundstein der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen angesehen werden. Doch umgekehrt ist es die Sekundärgesetzgebung, welche die Integration ihrerseits wiederum verstärkt. Zu untersuchen ist deshalb, welcher wechselseitige oder dialektische Wirkungszusammenhang zwischen der Sekundärgesetzgebungsbefugnis einer internationalen Organisation und der von einer solchen Organisation ausgehenden Integrationskraft besteht. Zu beobachten ist ferner, dass das Phänomen der Sekundärgesetzgebung im Zuge der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen zu einer Multiplizierung von Völkerrechtsnormen im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen rechtsetzenden Organisation geführt hat. Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen,

6. Kap.: Beitrag zur Entwicklung einer Gemeinschaftsdisziplin

181

welche Auswirkungen die Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen auf die völkerrechtliche Normenlandschaft hat.

A. Die Institutionalisierung der internationalen Beziehungen Im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein verstärktes Bedürfnis nach konzertiertem und international abgestimmten Handeln, das sich zunächst in zahlreichen multilateralen Konferenzen manifestierte. Doch erst die Gründung internationaler Organisationen verlieh der Staatengemeinschaft einen institutionalisierten (also permanenten und strukturierten) Mechanismus zur rationell effizienten Verfolgung des Gemeinschaftsinteresses, des „intérêt général“, und zur Artikulierung einer Art „volonté générale“ der Staatengemeinschaft. 1 Das Bedürfnis nach einem solchen institutionalisierten Mechanismus zeigte sich zunächst in technischen Bereichen wie Telekommunikation, Postwesen, Hygiene und Luftfahrt, was sich in den Gründungen der Internationalen Telegraphenunion im Jahr 1865 (später Internationale Fernmeldeunion), des Weltpostvereins im Jahr 1874, des Internationalen Amtes für öffentliche Hygiene im Jahr 1907 und der Kommission für die Internationale Luftfahrt im Jahr 1919 (später Weltzivilluftfahrtorganisation) manifestierte. Nach Ende des ersten Weltkrieges wurde die Institutionalisierung erstmals auf wichtige politische Felder erstreckt, insbesondere im Wege der Gründung des Völkerbundes und der Internationalen Arbeitsorganisation durch die Versailler und Pariser Friedensverträge. Die Entwicklung des „institution building“ erreichte ihren Höhepunkt dann nach dem zweiten Weltkrieg, vor dessen Hintergrund die Notwendigkeit verstärkter internationaler Zusammenarbeit endgültig erkannt wurde. Von herausragender Bedeutung war hier natürlich die von den Siegermächten des Weltkriegs vorbereitete Gründung der Organisation der Vereinten Nationen im Jahre 1945, aber auch die Schaffung einer Vielzahl von weiteren Organisationen universellen Charakters, die in ihrem Verbund die Familie der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen bilden. Das Bedürfnis nach einer Institutionalisierung der Beziehungen erfasste aber auch die Koordinierung der internationalen Finanzund Währungspolitik, was sich vor allem in der Gründung der Bretton-Woods-Institutionen zeigte, und erfasste schließlich auch den wirtschaftlichen Bereich. So wurde etwa die zur Koordinierung der Marshallplanhilfen geschaffenen OEEC in die OECD umgewandelt und das multilaterale Handelsabkommen GATT im Jahre 1994 durch Schaffung der Welthandelsorganisation (WTO) institutionalisiert. Hinzu kam im Zuge des Ost / West-Konflikts eine Institutionalisierung der militärischer Allianzen in Form der NATO und des mittlerweile aufgelösten Warschauer Pakts.

1

s.: R.-J. Dupuy, Dialectiques du droit international, S. 33 ff. sowie S. 311.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

Auch auf regionaler Ebene kam es zu ganz erheblichen Integrationsbemühungen, als deren Prototypen vielleicht die europäischen Flusskommissionen des frühen 19. Jahrhunderts angesehen werden können. Die vielen Seiten in der Encyclopedia of Public International Law geben Zeugnis davon, wie vielschichtig die Kooperation auf regionaler Ebene ist.2 Die Liste der im Zuge dieser regionalen Integrationsprozesse geschaffenen Organisationen und Verbünde ist lang, doch genügt es vorliegend, nur die prominentesten Beispiele zu nennen. Auf dem europäischen Kontinent waren von herausragender Bedeutung die Gründungen des Europarats, der Europäischen Gemeinschaften, der EFTA als ein von Großbritannien konzipiertes Gegenstück hierzu, und später der Europäischen Union, aber auch die Perpetuierung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Form der OSZE.3 Die Integrationsbemühungen auf den amerikanischen Kontinenten sind mit der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), der NAFTA, dem Mercosur, dem Andenpakt, der CARICOM und seit jüngstem auch mit dem Projekt der Amerikanischen Freihandelszone (FTAA) verbunden. Die Umwandlung der Organisation für die Afrikanische Einheit (OAU) in eine Afrikanische Union (AU) nach dem Vorbild der Europäischen Union zeugt von den fortschreitenden, wenngleich schwierigen Versuchen der Institutionalisierung der Beziehungen der afrikanischen Länder, die zuvor mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) von nur wenig Erfolg gekrönt waren. Auch andere Regionen suchten aus den unterschiedlichsten Interessen ihre Zusammenarbeit zu institutionalisieren, woraus Organisationen wie ASEAN, APEC, Arabische Liga, Golfkooperationsrat und OPEC, aber auch die GUS als Zusammenschluss der ehemaligen Sowjetrepubliken entstanden sind, um nur einige zu nennen.

B. Die Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für die Integrationskraft einer internationalen Organisation Dieser kurze Überblick über die Institutionalisierung der internationalen Beziehungen sollte einen Eindruck über das Ausmaß der Entwicklung geben. Er besagt für sich betrachtet jedoch noch nichts über die von einer internationalen Organisation ausgehende Integrationskraft. Insbesondere ist mit Blick auf den Gegenstand der vorliegenden Studie fraglich, welche Rolle die Sekundärgesetzgebung hierbei spielt. David Held unterscheidet diesbezüglich drei Typen internationaler Organisationen, und zwar erstens so genannte globale Koordinierungsnetzwerke wie die G 7 (oder 8) mit minimaler Institutionalisierung, aber großem Einfluss, zweitens technische Organisationen wie den Weltpostverein, deren Befugnisse weitreichend sein 2 3

EPIL 4, 107 ff. Überblick hierzu bei: Saba, in: RdC 111 (1964 – I), 603 (608 f.).

6. Kap.: Beitrag zur Entwicklung einer Gemeinschaftsdisziplin

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mögen, sich jedoch auf politisch unkontroverse Bereiche beschränken, und schließlich Organisationen wie die Vereinten Nationen, die WTO, IWF und Weltbank, deren Mandat sich auf zentrale politische und wirtschaftspolitische Fragen und damit auf politisch kontroverse Felder erstreckt.4 Diese Unterteilung ist im Grundsatz richtig und insofern hilfreich, als sie einer groben Kategorisierung zuträgt. Gleichwohl trifft sie weiterhin keine hinreichende Aussage zu der Frage, welche Integrationskraft von der jeweiligen internationalen Organisation ganz konkret erreicht wird. Der Umstand allein, dass sich der Zuständigkeitsbereich einer Organisation beispielsweise auf kontroverse politische Felder erstreckt, besagt noch nichts über die Tiefe der hierdurch erreichten Integration. Diese Integrationskraft bestimmt sich vielmehr durch eine Vielzahl weiterer Faktoren oder Determinanten, die in einem ersten Abschnitt zu erarbeiten sind. Sodann ist zu untersuchen, welche Rolle die Sekundärgesetzgebung in diesem Determinantensystem einnimmt, was anhand von Beispielsfällen zu illustrieren ist. I. Determinanten der Integrationskraft Unlängst hat Eric Stein ein System zur Bestimmung der Integrationsdichte einer internationalen Institution erarbeitet.5 Dieses Determinantensystem erweist sich als äußerst hilfreich und soll daher vorliegend im Grundsatz Verwendung finden. Gleichwohl erscheint an einigen wenigen Punkten des Modells Kritik angebracht, vor deren Hintergrund schließlich ein geringfügig modifiziertes System vorzuschlagen und zu verwenden ist. 1. Das Integrationsmodell nach Eric Stein Stein unterscheidet als Ausgangspunkt zwischen so genannten normativ-institutionellen Faktoren auf der einen Seite und sozio-empirischen auf der anderen.6 Diese grundlegende Unterscheidung zwischen solchen Faktoren, die in der Beschaffenheit oder Satzung einer internationalen Organisation angelegt sind, einerseits und der Bedeutung der Tätigkeit dieser Organisation in der Praxis andererseits ist ausgesprochen sinnvoll, denn zwischen beiden können – wie noch zu sehen sein wird – erhebliche Unterschiede liegen. a) Normativ-institutionelle Faktoren Nach Stein bezieht sich die erste Gruppe von Faktoren im Wesentlichen auf die Zuständigkeit, den Aufbau und die Kompetenzen einer Organisation. Zu 4 5 6

Held, Democracy and the Global Order, S. 109 ff. Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 ff. Ebda., S. 494.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

diesen normativ-institutionellen Faktoren, wie Stein sie nennt, gehören ihm zufolge: (1) The field (sector), scope of competence, and resources; (2) The composition of organs (government-appointed representatives of states, appointed or elected individuals) and procedures (voting formula: positive or negative consensus, simple or qualified majority, required abstention, acceptance unless rejected); (3) Whether cooperative and non-rule directed: constituting a forum for exchange of information and views, studies, and assistance; (4) Whether rule oriented: authorized to propose rules and treaties, impose international obligations, and adopt rules without or with „direct effect“ in member states’ legal orders; (5) Whether rule enforcing: providing reports on compliance, monitoring, publicity, dispute settlement (voluntary, obligatory), and adjudication by ad hoc or permanent tribunals. b) Sozio-empirische Faktoren Neben diese erste Gruppe von Faktoren tritt gemäß Stein eine zweite Kategorie, die sich im Wesentlichen mit den sozialen Realitäten befasst. Zu diesen so genannten sozio-empirischen Faktoren zählen: (1) The political, economic, and cultural impact of the measures adopted; (2) A level of common interest sufficient to overcome cultural differences between the component states, or a level of support or acquiescence by individual stakeholders and people in those states sufficient to uphold the transfer of national public power to a given international institution. States with the same or comparable political systems (democratic-undemocratic) are more likely to accept a higher level of integration than states with substantially different systems of governance.

2. Kritik Das von Stein vorgeschlagene Determinantensystem ist äußerst hilfreich. Seine Vorzüge liegen insbesondere darin, dass es sich nicht auf das beschränkt, was auf dem Papier der Satzung steht, sondern durch die Berücksichtigung sozio-empirischer Faktoren sicherstellt, einen Integrationsbefund nicht an den sozialen Realitäten vorbei zu bewirken. Gleichwohl erscheinen an einigen Punkten Modifizierungen angebracht. Zunächst sollte Punkt (2) der normativ-institutionellen Faktoren ausdrücklich die

6. Kap.: Beitrag zur Entwicklung einer Gemeinschaftsdisziplin

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Frage einschließen, ob es innerhalb der betreffenden Organisation ein Organ gibt, das ein eigenständiges, von den Mitgliedstaaten unabhängiges Initiativrecht hat, und im Übrigen ein von diesen unabhängiges Gemeinschaftsinteresse zu formulieren in der Lage ist. Ein solches Organ kann hierdurch leicht zum Motor einer beschleunigten Integration werden, wie das Beispiel der Kommission der Europäischen Gemeinschaft illustriert. Ferner gehören die Punkte (3) und (4) der normativ-institutionellen Faktoren wohl zusammen, denn es kann als ein einziges Kriterium angesehen werden, ob eine Institution kooperations- (also nicht vorschriftsorientiert) oder aber vorschriftsorientiert ist. Eine nur geringfügige, eher erläuternde Korrektur könnte zudem innerhalb von Punkt (5) vorgenommen werden. Zutreffend ist, dass die Frage, ob die jeweilige Organisation über Mechanismen zur Durchsetzung ihrer Rechtsnormen verfügt, ein wichtiger Integrationsfaktor ist. Ein solcher Mechanismus würde aber auch zu einer Steigerung der allgemeinen Rechtssicherheit in dem Zuständigkeitsbereich der Organisation führen, welche ihrerseits wiederum ebenfalls einen nicht zu unterschätzender Faktor der Integration bedeuten kann. Punkt (5) könnte deshalb um diesen Faktor noch ergänzt werden. Ebenfalls im Rahmen der normativ-institutionellen Kategorie ist schließlich eine für die Integrationskraft einer internationalen Organisation doch erhebliche Determinante zu vermissen. Gemeint ist die Frage der Einbindung der Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse, sei es durch eine demokratische Struktur der Organisation, sei es durch eine sonstige Öffnung der Strukturen für nicht-staatliche Akteure. Die Existenz des Europäischen Parlaments beispielsweise, so unzulänglich seine Rolle zuweilen sein mag, ist doch ein ganz erheblicher Faktor im Rahmen der europäischen Integration. Und dort, wo eine solche Volksvertretung fehlt, kann die Einbindung nicht-staatlicher Akteure eine wichtige Rolle spielen, wenn etwa die Zusammenarbeit zwischen einer internationalen Organisation und der Zivilgesellschaft durch Verleihung eines beratenden Status an Nichtregierungsorganisationen institutionalisiert wird.7 Denkbar ist zwar, diesen Faktor in den Punkt (1) bei Stein zu integrieren. Doch letztlich ist die Zusammensetzung der Organe und das Abstimmungsverfahren innerhalb einer Organisation etwas anderes als die Einbindung der Zivilgesellschaft. Deshalb und auch, um der Bedeutung dieses Umstandes für den Integrationslevel einer internationalen Organisation gerecht zu werden, erscheint die Aufnahme eines entsprechenden zusätzlichen Faktors in das Modell geboten. Auch hinsichtlich der Gruppe der sozio-empirischen Faktoren erscheinen leichte Modifikationen angebracht. Insbesondere sollte diese Gruppe um einen an den Anfang zu stellenden Punkt der tatsächlichen Praxis der betreffenden Institution erweitert werden. Das in Teil 2 diskutierte Beispiel der Weltgesundheitsorganisa7

Dazu: Aston, in: EJIL 12 (2001), 943 ff.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

tion, die trotz ihres in der Satzung angelegten Rechtsetzungspotenzials kaum Rechtsetzungsaktivitäten entfaltet hat und daher auch keine integrative Wirkung auf diesem Zuständigkeitsgebiet erzielen konnte, zeigt, dass die Praxis unbedingt berücksichtigt werden muss, um einen genauen Befund zu erzielen. Diese Praxis ließe sich zwar im Stein’schen Modell nötigenfalls in Punkt (1) – den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen – hineinlesen (etwa mit dem Argument, keine Maßnahme habe eben auch keine Auswirkung). Gleichwohl besteht ein Unterschied zwischen überhaupt getroffenen Maßnahmen und deren Auswirkungen in den Mitgliedstaaten. Ferner scheint es, als hätte Stein in Punkt (2) dieser zweiten Kategorie mit der Homogenität der gemeinsamen Interessen der Staaten einerseits und der ausreichenden Unterstützung in den Mitgliedstaaten andererseits zwei Faktoren vereint, die voneinander zu unterscheiden sind, denn ersterer Faktor bezieht sich auf die Interessen der Staaten und zweiterer auf die Unterstützung seitens privater Interessengruppen innerhalb der Staaten. Zur Verbesserung der Übersichtlichkeit des Modells liegt daher eine Trennung der beiden Faktoren nahe. Im Übrigen ist erläuternd auf zwei Dinge hinzuweisen. Zum einen besteht zwischen den beiden Kategorien der Faktoren kein isoliertes und starres Verhältnis. Diese bedingen sich vielmehr im Sinne einer dialektischen Beziehung wechselseitig. So kann es beispielsweise zunächst an einem wirklich homogenen Interesse der Mitgliedstaaten gemäß Punkt (2) der sozio-empirischen Faktoren fehlen, dieses aber im Laufe der Zeit durch normativ-institutionelle Faktoren hergestellt werden – beispielsweise durch eine umfangreiche Sekundärgesetzgebung wie im Bereich der Europäischen Gemeinschaften. Umgekehrt ist aber auch ein gewisses Maß an bereits vorhandener Homogenität Grundvoraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einer Entwicklung im normativ-institutionellen Sinne kommen kann. Ferner ist unbedingt zu gewärtigen, dass es innerhalb der einzelnen Faktoren noch einmal zum Teil bedeutsame Unterschiede gibt. Nehmen wir noch einmal Punkt (4) der normativ-institutionellen Faktoren im Stein’schen Modell als Beispiel. Nehmen wir an, eine Bestandsaufnahme gelangte zu dem Ergebnis, dass eine internationale Organisation „rule oriented“ sei. Nach einem solchen Befund wäre unbedingt noch einmal danach zu trennen, ob die betreffende Organisation den Mitgliedstaaten internationale Regeln und Verträge nur (unverbindlich) zur Annahme vorschlagen kann, oder ob sie aus eigener Rechtsmacht solche Regeln den Staaten unilateral und verbindlich auferlegen kann. Es liegt auf der Hand, welches der beiden denkbaren Rechtsetzungsmodelle zu einer größeren (normativen) Integrationskraft der betreffenden internationalen Organisation führen würde.

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3. Vorschlag eines modifizierten Modells Vor diesem Hintergrund ist ein Determinantensystem vorzuschlagen, dass auf dem von Eric Stein aufbaut, dieses in einzelnen Punkten jedoch modifiziert und – ohne dass dies noch einmal zusätzlich erläutert wird – zum Teil leicht vereinfacht: Normativ-institutionelle Faktoren (1) Zuständigkeitsbereich und Ressourcen der Organisation; (2) Zusammensetzung der Organe, von den Staaten unabhängige Willensbildung, Verfahrensregeln, Abstimmungsregeln (Einstimmigkeits- oder [einfacher oder qualifizierter] Mehrheitsentscheid, positiver oder negativer Konsens, stillschweigende Zustimmung); (3) Rechtsetzungsorientierung (Sekundärgesetzgebungskompetenzen, Befugnis, internationale Regeln und Verträge vorzuschlagen) oder nur Austausch- und Kooperationsorientierung (Forum für den Austausch von Informationen und Meinungen, Studien und gegenseitiger Hilfen); (4) Rechtsdurchsetzung und Rechtssicherheit (Berichtspflicht über Regeleinhaltung, Beobachtung, Öffentlichkeit, Streitbeilegung [freiwillig oder obligatorisch], Rechtsprechung durch ad-hoc- oder ständige Tribunale); (5) Einbindung der Zivilgesellschaft (demokratische Strukturen, Konsultativstatus für nicht-staatliche Akteure). Sozio-empirische Faktoren (1) Die normativ-institutionellen Faktoren in der Praxis der Institution; (2) Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen der beschlossenen Maßnahmen; (3) Homogenität der Mitgliedstaaten (Regierungsformen, Interessen, Werte, Normen); (4) Unterstützung und Zustimmung in den Mitgliedstaaten.

II. Zuordnung der Sekundärgesetzgebung Die Frage ist nunmehr, welche Bedeutung der Faktor Sekundärgesetzgebung für die Bestimmung von einer internationalen Organisation ausgehende Integrationskraft hat. Das vorstehende Integrationsmodell ist deshalb so ausführlich dargestellt und diskutiert worden, weil es eine Einordnung der Sekundärgesetzgebung in die Gesamtheit der Integrationsfaktoren auf plastische Weise ermöglicht und damit hilft, den Gegenstand der vorliegenden Arbeit in die richtige Perspektive zu setzen. Der Faktor Sekundärgesetzgebung spielt in die 2. Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren hinein (Abstimmungsverfahren); er kann ferner politische, wirt-

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schaftliche oder soziale Auswirkungen haben im Sinne der 2. Gruppe der sozioempirischen Faktoren und zu einer normativen Homogenität im Sinne der 3. Gruppe der sozio-empirischen Faktoren führen. Maßgebliche Bedeutung erlangt er jedoch in der 3. Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren bei der Frage, ob die betreffende Organisation rechtsetzungsorientiert ist oder nicht.

1. Die Fallgruppen der Erscheinungsformen „revisited“ Bei dieser Frage der Rechtsetzungsorientierung kehrt die im letzten Abschnitt von Teil 2 vorgenommene Kategorisierung der unterschiedlichen Erscheinungsformen der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen wieder, denn sie gibt wichtigen Aufschluss über die Integrationskraft einer internationalen Organisation. Heinhard Steiger unterscheidet hinsichtlich der Art und Weise des Zusammenwirkens der Staaten in übergreifenden organisatorischen Einheiten zwischen kooperativer und integrativer Überstaatlichkeit und spricht hierbei, in begrifflicher Anleihe vom Jenaer Früh-Neuzeit-Historiker Georg Schmidt und dem Tübinger Philosophen Otfried Höffe von „Komplementarität“. 8 „Kooperative Komplementarität“ verzichte auf der Ebene der Organisation in der Regel auf Regelungs- und Entscheidungsbefugnisse mit Verbindlichkeit, sondern weise ihr nur Kooperationskompetenzen zu.9 „Integrative Komplementarität“ ordne hingegen der Organisation auch Regelungs- und Entscheidungshoheit zu. Es gäbe daher daher eine ganze Skala der Dichte der Komplementaritäten je nach Organisation. Die erste Frage, die sich stellt, ist, ob die zu untersuchende internationale Organisation überhaupt Sekundärgesetzgebungskompetenzen hat. Wenn nein, dann bewegt sie sich im Rahmen bloßer kooperativer Komplementarität, um in der Terminologie von Steiger zu bleiben. Verfügt sie hingegen über Sekundärgesetzgebungskompetenzen, so bewegt sie sich im Rahmen integrativer Komplementarität und in der dritten Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren ist das Kriterium der Rechtsetzungsorientierung zu bejahen. Doch wie in Teil 2 dieser Studie deutlich geworden ist, gibt es höchst unterschiedliche Erscheinungsformen derartiger Rechtsetzungskompetenzen und mit ihnen variiert die erreichte Integrationskraft der jeweiligen Organisation. Die Untersuchung kann deshalb nicht bereits mit dem Befund abgeschlossen werden, die Organisation sei rechtsetzungsorientiert. Vielmehr ist weiter abzugrenzen beispielsweise zwischen einem Sekundärgesetzgebungsakt, der den einzelnen Mitgliedstaat womöglich gegen seinen Willen bindet, und dem Verfahren des „conSteiger, in: Der Staat 41 (2002), 331 (353 f.). Im konkreten Kooperationsfall zwischen Organisation und Staat verdichte dies sich freilich zu einem rechtlichen Komplementärverhältnis. Steiger nennt als Beispiel den IWF und den Staat (ebda., S. 354). 8 9

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tracting-in“, wo dies ausgeschlossen ist. Sieht die Satzung einer internationalen Organisation ersteres vor, so ist der einzelstaatliche Wille einer übergeordneten Gemeinschaftsdisziplin unterworfen. Sieht sie letzteres Verfahren vor, so bleibt der einzelstaatliche Wille maßgebend. Es liegt auf der Hand, dass beide zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Bewertung der von einer internationalen Organisation ausgehenden Integrationskraft führen. Sieht die Satzung dagegen ein Rechtsetzungsmodell mit der Möglichkeit des Herausoptierens vor, so wird hierdurch eine Integrationskraft erreicht, die zwischen den beiden oben genannten Modellen liegt. Legen wir also das im zweiten Teil der Studie erarbeitete Schema als Schablone auf das vorstehend erarbeitete Integrationsmodell und dort auf die dritte Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren, so ergeben die Kategorien supranationale Sekundärgesetzgebung (also mit echter Durchgriffswirkung auf den Bürger), echte Sekundärgesetzgebung (Bindung der Staaten), unechte Sekundärgesetzgebung (Möglichkeit des „opting-out“), mittelbare Sekundärgesetzgebung (durch Verweisung aus einem völkerrechtlichen Vertrag) und „contracting-in“ (also mit dem Erfordernis der gesonderten einzelstaatlichen Ratifikation) eine von Kategorie zu Kategorie schwächer werdende Integrationskraft einer internationalen Organisation. Betrachten wir deshalb eine internationale Organisation vor dem Hintergrund der dritten Gruppe der normativ-institutionellen Integrationsfaktoren, so ist es hilfreich zu wissen, welcher Rechtsetzungskategorie die betreffende Organisation zuzuordnen ist. Die Antwort wäre in Teil 2 dieser Untersuchung zu finden.

2. Relativierung des Befundes Gleichwohl gibt es noch einen zweiten wichtigen Grund, warum das vorstehende Integrationsmodell so ausführlich dargestellt und diskutiert wurde. Dieser besteht darin, dass anhand dieses Modells das Phänomen der Sekundärgesetzgebung in die richtige Perspektive gerückt werden kann. So kann aus dem Modell einerseits abgelesen werden, dass die Sekundärgesetzgebung eine wichtige Determinante zur Bestimmung der von einer internationalen Organisation ausgehenden Integrationskraft ist. Es zeigt andererseits aber auch – und dies relativiert die Aussage – dass die Sekundärgesetzgebung bei weitem nicht der alleinige Bestimmungsfaktor ist. Nehmen wir das Beispiel des Weltpostvereins zur Illustration. Die Untersuchung seiner Rechtsetzungskompetenzen in Teil 2 der Arbeit hat ergeben, dass er in den für das Postwesen wichtigen Bereichen unmittelbar verbindliches Außenrecht setzen kann. Innerhalb der dritten Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren würde der Weltpostverein also hohe „Integrationsnoten“ bekommen. Setzen wir dies aber beispielsweise in den Kontext der zweiten Gruppe der sozio-empirischen Faktoren, so ergibt sich angesichts der letztlich doch geringen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen seiner Maßnahmen, dass die Integrations-

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

kraft des Weltpostvereins erheblich zu relativieren ist, da sich sein Zuständigkeitsbereich auf einen ausgesprochen partikulären und zudem unpolitischen Bereich beschränkt. Nehmen wir umgekehrt das Beispiel der internationalen Arbeitsorganisation. Innerhalb der dritten Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren würde sie weniger gute „Integrationsnoten“ erhalten, denn – wie in Teil 2 der Studie gezeigt – kann die ILO ihre Mitgliedstaaten nicht gegen deren Willen an internationale arbeitsrechtliche Normen binden. Berücksichtigt man jedoch die äußerst umfangreiche Konventionspraxis der ILO und die hiervon ausgehenden erheblichen politischen, wirtschaftlichen und vor allem sozialen Auswirkungen in den Mitgliedstaaten, so ist das Gesamtbild anhand der ersten beiden Gruppen der sozio-empirischen Faktoren in Umkehrung des Beispiels des Weltpostvereins erheblich zugunsten einer höheren Integrationskraft zu korrigieren. 3. Exkurs: Das Beispiel der Europäischen Gemeinschaften als Entwicklungsstufe höchster Integration Wie sämtliche der vorstehend erarbeiteten Faktoren zusammenspielen und zu höchster Integration führen, kann durch einen kurzen Blick auf die Europäischen Gemeinschaften illustriert werden. Da deren Sekundärgesetzgebungskompetenzen der Kategorie der supranationalen Gesetzgebung zuzuordnen sind10, ergibt sich für die zweite Gruppe der normativ-institutionellen Faktoren des oben erarbeiteten Integrationsmodells – also die Frage, ob die Organisation nur kooperations- oder aber vorschriftsorientiert ist – eine „volle Punktzahl“. Die Frage ist aber, was darüber hinaus das Besondere ist, das die Europäischen Gemeinschaften dem Bild der traditionellen internationalen Organisation hat entrücken und zu einem supranationalen Gebilde werden lassen. Worin besteht ihr Modellcharakter? Was hat einen Teil der Lehre dazu bewogen, das Gemeinschaftsrecht als eine vom Völkerrecht abgesonderte Rechtsmasse aufzufassen?11 Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften erstrecken sich ratione materiae weit in die im Rahmen anderer internationaler Organisationen üblicherweise den Staaten vorbehaltenen Bereiche. Sogar die Währungshoheit, klassische Domäne staatlicher Souveränität, ist durch die Einführung einer europäischen Einheitswährung und die Gründung der Europäischen Zentralbank den Mitgliedstaaten entzogen worden. Während die Beschlussfassung in bestimmten Politikbereichen dem Einstimmigkeitserfordernis unterliegt, gilt in den meisten Fällen das Mehrheitsprinzip. Damit kann der einzelne Staat gegen seinen Willen gebunden werden. s. oben, Teil 2, 5. Kapitel, E. Dazu: Zuleeg, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU- / EG-Vertrag, Bd. 1, zu Art. 1, Rn. 42; einen umfassenden Überblick gibt Meng, Das Recht der internationalen Organisationen – eine Entwicklungsstufe des Völkerrechts. 10 11

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Mit der den EG-Organen verliehenen Kompetenz zur Verordnungsgebung überwindet das Europäische Gemeinschaftsrecht die souveräne Membran der Mitgliedstaaten und schafft unmittelbar verbindliches Recht für den einzelnen Bürger. Ohne das Erfordernis eines zusätzlichen Anwendungsbefehls überlagert also das Recht der EG das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Damit bildet es eine dem Bundesrecht in föderal organisierten Staaten vergleichbare autonome Rechtsordnung. Es genießt Anwendungsvorrang sogar vor kollidierendem nationalen Verfassungsrecht. Das völkerrechtliche Prinzip der diplomatischen Repräsentation – das allerdings auch im Völkerrecht nicht mehr in seiner Starrheit gilt12 – wird aufgehoben.13 Diese hierarchische Konstruktion, die dem Recht der übrigen internationalen Organisationen fremd ist, hat die Tür zu einer europäischen Verfassungsdiskussion aufgestoßen14 und zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung durch einen Verfassungskonvent geführt. Zu Recht wird diskutiert, ob die Staatswerdung Europas unausweichlich ist.15 Von fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung des immensen Acquis sekundärer Rechtsakte wie auch für die Herausbildung des Europarechts als Ganzem ist zudem der Umstand, dass die Willensbildung innerhalb der EG neben dem Ministerrat auch solchen Organen übertragen ist (wie insbesondere Kommission und Parlament), die ein europäisches Gemeinschaftsinteresse verfolgen. Damit wird eine Gemeinschaftsdisziplin erreicht, die den nationalstaatlichen Interessen in nicht unerheblichem Maße entrückt ist. In den übrigen internationalen Organisationen ist ein solches von den Mitgliedstaaten autarkes Interesse kaum ausgebildet. Dies liegt in erster Linie am Fehlen der zur Herausbildung eines solchen Interesses notwendigen eigenständigen Organe.16

12 Eine Abkehr von diesem Prinzip ist nicht nur im Bereich des regionalen Menschenrechtsschutzes zu verzeichnen, vgl. etwa die Möglichkeit der vessel release proceedings vor dem neuen Seerechtstribunal oder die Möglichkeit der individuellen Beschwerde vor dem Panel der Weltbank. 13 Was sich auch in der Entwicklung eines europarechtlichen Anwaltsmarktes zeigt, der im völkerrechtlichen Bereich weitaus weniger ausgeprägt ist. 14 Vgl. zuletzt etwa: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht; Grabenwarter, in: VVDStRL 60 (2001), 290 (292 – 295). 15 Dazu: Udo Di Fabio, „Ist die Staatswerdung Europas unausweichlich? Die Spannung zwischen Unionsgewalt und Souveränität der Mitgliedstaaten ist kein Hindernis für die Einheit Europas“, in: FAZ vom 2. Februar 2001, S. 8. 16 Als Versuch, ein eigenes Interesse der Vereinten Nationen zu verfolgen, kann allerdings die jüngste Global Compact Initiative des Generalsekretärs der UN, Kofi Annan, gewertet werden, die dieser erstmals auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos 1999 vorstellte und ein Jahr später in seinem „Millennium-Report“ spezifizierte („We, the Peoples: The Role of the United Nations in the Twenty-First Century“, Bericht des Generalsekretärs vom 27. März 2000, .U.N. Doc. A / 54 / 2000). Im Rahmen dieses Global Compacts versprechen Wirtschaftsunternehmen ohne Einbindung der Mitgliedstaaten unmittelbar der Organisation der Vereinten Nationen gegenüber die Einhaltung bestimmter Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

Auch die sonstigen Befugnisse der EG gegenüber ihren Mitgliedern reichen wesentlich weiter, als dies in anderen internationalen Organisationen der Fall ist. Diese Befugnisse beschränken sich nicht nur auf eine verbindliche Rechtsetzungsund Entscheidungskompetenz, sondern erstrecken sich auf einen effektiven Mechanismus zur Durchsetzung der Befolgung europarechtlicher Normen. Die Kommission als Hüterin der Verträge wie auch der Europäische Gerichtshof wachen über die Einhaltung des Rechts. Die Organe der EG sind im Übrigen mit Hoheitsbefugnissen gegenüber nationalen Behörden und Gerichten wie auch gegenüber den Bürgern der Mitgliedstaaten ausgestattet. Damit kommt es zu einem Über- / Unterordnungsverhältnis auf europäischer Ebene, welches das Bedürfnis nach einem Grundrechtsschutz und effektivem Rechtsschutz aufwirft. Die im Dezember 1999 in Nizza verabschiedete Grundrechtecharta, die nun Teil der neuen europäischen Verfassung werden soll, verdeutlicht dieses Bedürfnis. Die EG sind zudem ausgestattet mit staatsähnlichen Organen. Zu nennen ist zum einen das direkt vom Volk gewählte Parlament, das zunehmende Beteiligungsrechte im Entscheidungsprozess der EG erhalten hat, wenngleich diese noch längst nicht an die Rechte eines nationalen Parlaments heranreichen. Die EG verfügen zum anderen über ein Rechtsprechungsorgan mit obligatorischer Zuständigkeit. Durch seine Rechtsprechung hat der EuGH nicht nur Rechtslücken geschlossen17 und damit zur Schaffung einer homogenen Rechtsordnung beigetragen, sondern neue rechtliche Entwicklungen antizipiert. Die umfassenden rechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten untereinander kommen nicht nur in der obligatorischen Gerichtsbarkeit des EuGH zum Ausdruck, sondern auch im Grundsatz der Gemeinschaftstreue, der dem Prinzip der Bundestreue in einem föderalen Staat entspricht. Sie führen zu einem hohen Maß an Gemeinschaftsdisziplin. Schließlich hat der hohe politische Integrationsgrad zur Herausbildung einer Wertegemeinschaft geführt, die durch externe Umstände – insbesondere durch die im Rahmen des Europarats verabschiedete Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 und die Europäische Sozialcharta von 1961 – begünstigt wurde. Die Gemeinschaft hat diesen Wertekanon unlängst in der bereits angesprochenen Grundrechtecharta niedergeschrieben.18 Die aktuelle Diskussion um den Beitritt der Türkei zeigt, welche Rolle gemeinsame Werte und Traditionen bei einem Projekt wie dem der EU spielen. Nach alledem wird die Antwort auf die oben aufgeworfenen Fragen deutlich. Die Europäischen Gemeinschaften haben deshalb Modellcharakter, weil sie wie keine zweite internationale Organisation die Determinanten des oben erarbeiteten Systems zur Bestimmung der Integrationskraft einer internationalen Organisation erfüllen. Das europäische Beispiel belegt aber auch den an anderer Stelle bereits 17 Zum Beispiel hinsichtlich der bereits geschilderten unmittelbaren Wirkung von Richtlinien. 18 s.: Günther Hirsch, „Eine Bekenntnis zu den Grundwerten. Die Grundrechte-Charta wird der Europäischen Union den Weg weisen“, in: FAZ v. 12. Oktober 2000, S. 11.

6. Kap.: Beitrag zur Entwicklung einer Gemeinschaftsdisziplin

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bemerkten Aspekt, dass die einzelnen Faktoren des Determinantensystems nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern sich wechselseitig bedingen können. Es zeigt, dass ein hoher politischer Integrationsgrad ein Mindestmaß an Homogenität der beteiligten Subjekte und der von ihnen verfolgten Werte erfordert. Das Phänomen der Gemeinschaftsdisziplin kommt ohne ein solches subjektives Moment nicht aus. Homogenität ist aber nicht nur vorrechtliche Voraussetzung einer hohen Integration auf politischem Gebiet, sondern Ursache und Wirkung derselben zugleich. Sie ist Voraussetzung für die Schaffung eines institutionellen Rahmens, wird aber im Laufe der Zeit durch eben diesen Rahmen auch bewirkt. Suchen wir beispielsweise derzeit noch vergeblich nach einem homogenen europäischen demos19 (der bereits begrifflich Voraussetzung für eine funktionierende europäische Demokratie wäre20), so ist keinesfalls ausgeschlossen, dass sich ein solcher im Zuge eines weiteren Integrationsprozesses noch herausbilden könnte.21 Dagegen erfordert eine institutionalisierte Zusammenarbeit auf technischem Gebiet eine solche Homogenität nicht unbedingt. Vielmehr ist gerade die Diversität Auslöser des Bedürfnisses nach einer Homogenisierung der unterschiedlichen technischen Standards. In diesem Umstand kann ein Teil der Erklärung dafür erblickt werden, warum echte Sekundärgesetzgebungskompetenzen vor allem bei solchen Organisationen anzutreffen sind, deren Zuständigkeitsbereich sich auf technische Felder beschränkt. Schließlich gibt das Beispiel des Europäischen Gemeinschaftsrechts Zeugnis von der außerordentlichen Flexibilität des Völkerrechts, sich auf neue Entwicklungen durch Anpassung seiner Strukturen einstellen zu können. Diese Flexibilität hat das Völkerrecht bereits im 19. Jahrhundert erstmals unter Beweis gestellt, als die damals herrschende Kompetenzordnung („law of coexistence“) graduell von einer Kooperationsordnung („law of cooperation“)22 abgelöst beziehungsweise ergänzt wurde. Die Gründung der ersten internationalen Organisationen spielte hier eine 19 Vgl.: Grimm, in: JBStVw 6 (1992 / 93), 13 (16); Weiler, in: FS Everling, 1651 (1662); Weiler / Trachtman, in: NwJIntLBus 1996 / 97, 354 (355). 20 s. etwa: Isensee, in: FS Mikat, 705 (727); vgl. aber auch: Weiler, in: FS Everling, 1651 (1655 ff.). 21 So auch des Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung, wo es heißt: „Demokratie, soll sie nicht lediglich formales Zurechnungsprinzip bleiben, ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig ( . . . ). Dazu gehört auch, dass die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind, und ebenso, dass der wahlberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache kommunizieren kann. Derartige tatsächliche Bedingungen können sich, soweit sie noch nicht bestehen, im Verlauf der Zeit im institutionellen Rahmen der Europäischen Union entwickeln.“ (BVerfGE 89, 155 [189]); vgl. auch: Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 (494 f.). 22 Friedmann, The Changing Structure of International Law, S. 60 ff.; vgl. dazu: Leben, in: EJIL 8 (1997), 399 ff.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

maßgebliche Rolle. Das Völkerrecht war strukturell in der Lage, ein Recht der internationalen Organisationen zu entwickeln, dem sich nunmehr eigene Lehrbücher des Völkerrechts widmen. Auch die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union gründen auf klassischem völkervertraglichem Instrument, doch handelten ihre Organe, als wäre es ein Verfassungstext.23 Das Völkerrecht erlaubte diese Entwicklung nicht nur einer weiteren internationalen, sondern einer supranationalen Organisation mit all den oben geschilderten Merkmalen, die die Besonderheit dieser neuartigen Entität ausmachen. Zu Recht werden die Europäischen Gemeinschaften als eine neue Entwicklungsstufe des Rechts der internationalen Organisationen angesehen24 – eine Entwicklungsstufe höchster institutionalisierter Gemeinschaftsdisziplin.

C. Die Herausbildung dynamisch-sektoraler Rechtsregime durch Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen Die normative Institutionalisierung hat jedoch nicht nur den oben beschriebenen Beitrag zur allgemeinen Integration zwischen den Staaten, sondern auch nachhaltige Auswirkungen auf die Normenlandschaft im Völkerrecht gehabt, indem sie zu einer Dynamisierung und Sektoralisierung dieser Normen geführt hat. Die Gründung einer internationalen Organisation, deren Organe eine eigene Kompetenz zur Rechtsetzung aus dem Gründungsvertrag ableiten können, ermöglicht zum einen die fortlaufende Anpassung des völkerrechtlichen Regelwerks an die sozialen Realitäten innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der betreffenden Organisation. Der Zeitverlust, der regelmäßig durch die aufwendige Einberufung einer internationalen Staatenkonferenz, durch das Warten auf die Herausbildung einer gewohnheitsrechtlichen Norm (das gerade im technischen Bereich vergeblich sein würde) oder durch das Knüpfen eines bilateralen Vertragsnetzes entsteht, wird vermieden zugunsten einer beschleunigten und flexibleren institutionellen Rechtsetzung. Ganz deutlich ist dies im Kontext der Europäischen Gemeinschaften geworden. Das Phänomen der Rechtsetzung internationaler Organisationen hat damit ein dynamisches Element. Die sich dergestalt dynamisch entwickelnden Rechtsordnungen zeichnen sich zweitens durch ihren sektoralen Charakter aus. Zwei Dinge sind hiermit gemeint. Sektoral sind sie einmal insoweit, als die Anwendbarkeit des produzierten Sekundärrechts grundsätzlich ratione personae auf die Mitglieder der betreffenden Organisation begrenzt ist. Evident ist dies bei regionalen Organisationen, es trifft aber auch auf sonstige Organisationen zu. Sektoral sind sie zum anderen auch deshalb, weil sich das produzierte Sekundärrecht ratione materiae auf den ZuständigkeitsWeiler, The Constitution of Europe, S. 221. Vgl.: Meng, Das Recht der internationalen Organisationen – eine Entwicklungsstufe des Völkerrechts; Streinz, Europarecht, Rn. 107 ff. (insbes. 113). 23 24

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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bereich der jeweiligen Organisation beschränkt. Jede Organisation produziert also ein Regelwerk für dasjenige Politikfeld, für das sie zuständig ist. Dies kann Probleme der horizontalen25 und vertikalen26 Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeiten aufwerfen. Die Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen hat auf diese Weise zur Herausbildung partikularer Rechtsordnungen geführt, die vom völkerrechtlichen Entstehungsvorgang stark abgehoben sind.27 Diese Rechtsordnungen lassen sich auf Grund der dargestellten Besonderheiten als „dynamisch-sektorale“ Rechtsregime bezeichnen. Das Recht der Europäischen Gemeinschaften ist ebenso ein solches wie es beispielsweise das im Zuständigkeitsbereich der ICAO geschaffene Regelwerk über die internationale zivile Luftfahrt ist. Zentrales Element der beschleunigten Rechtsetzung ist hierbei das Prinzip der Mehrheitsentscheidung, das es einer Minderheit von Staaten unmöglich macht, den Rechtsetzungsprozess zu hindern. Unterwerfen sich Staaten einem solchen Regime, so verzichten sie insoweit auf den Schutz ihres souveränen Willens im Einzelfall und erhalten als Kompensation für diesen Verzicht das Recht auf Partizipation am Normsetzungsprozess.28

7. Kapitel

Das Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip Kann ein Staat in einem institutionellen Rechtsetzungsmechanismus gegen oder ohne seinen Willen an eine Rechtsnorm gebunden werden kann, so stellt sich die Frage, wie sich dies zu dem nach wie vor herrschenden völkerrechtlichen Konsensualprinzip verhält, das seinen Geltungsgrund im Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten hat, wie er in Art. 2 (1) UN-Charta niedergelegt ist. Diese Frage wurde in der Einleitung bereits aufgeworfen. Auf sie ist an dieser Stelle zurückzukommen.

25 Hiermit ist die Abgrenzung zwischen zwei Organisationen gemeint. Zu welchen Problemen derartige Abgrenzungsprobleme führen können, zeigt etwa die anhaltende Diskussion über die in der WTO getroffenen umweltrelevanten Entscheidungen. 26 Hiermit ist die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen einer Organisation und ihren Mitgliedstaaten (gegebenenfalls sogar den Bundesländern der Mitgliedstaaten) gemeint. Je integrierter die Organisation ist, desto größer werden diese Probleme, die auch aus dem bundesstaatlichen Kontext bekannt sind, wovon etwa die Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union zeugt. 27 Vgl.: Badura, in: VVDStRL 23 (1966), 55 (99). 28 Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (328 f.); s. a.: Fassbender / Bleckmann, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 2 (1), Rn. 50.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

Doch zunächst ist fraglich, ob das Spannungsverhältnis mit dem Konsensualprinzip nicht vielleicht nur ein scheinbares ist und es dadurch aufgelöst werden kann, dass man den Geltungsgrund in der originären Zustimmung zum Gründungsvertrag der betreffenden Organisation sucht. Das Phänomen der Sekundärgesetzgebung ist sodann in die allgemeine Frage einzubetten, wann ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann. Es soll gezeigt werden, dass die Antwort auf diese Frage nicht pauschal gegeben werden kann, sondern im Hinblick auf das Phänomen der Sekundärgesetzgebung eine differenzierte Betrachtungsweise geboten ist. A. Bedeutung der Zustimmung zum Gründungsvertrag Erfolgt ein institutioneller Rechtsetzungsakt gegen den Willen eines Staates, so stellt sich die Frage, wie sich aus dem Blickwinkel des völkerrechtlichen Konsensualprinzips die gleichwohl bestehende Bindungswirkung erklärt. Ein verbreiteter Erklärungsversuch besteht darin, den Geltungsgrund in der originären Zustimmung des betroffenen Staates zur Schaffung des institutionellen Rechtsetzungsmechanismus – regelmäßig der Gründungsvertrag der betreffenden Organisation – zu suchen.29 Es liegt auf der Hand, dass sich ein Staat willentlich dem Rechtsetzungsmechanismus einer internationalen Organisation unterwerfen muss, denn er kann nicht zur Mitgliedschaft gezwungen werden. Auch haben Rechtsetzungsakte einer internationalen Organisation grundsätzlich keine Drittwirkung im Völkerrecht. Wenn der Gründungsvertrag wegen des in Art. 34 – 38 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens normierten pacta-tertiis-Prinzips keine solche Drittwirkung zeitigen kann (gemäß seines Art. 5 ist das Abkommen auch auf Gründungsverträge internationaler Organisationen anwendbar), so gilt dies notwendigerweise auch für das auf der Basis dieses Gründungsvertrages produzierte Folgerecht.30 Der Umstand des Beitritts ist deshalb grundsätzlich conditio sine qua non für eine Bindungswirkung des jeweiligen Staates.31 In der Literatur wird zuweilen darauf hingewiesen, dass die oben erläuterten Grundsätze der Drittwirkung dahin gehend zu relativieren seien, ein Staat sehe sich häufig aus faktischen Gründen gezwungen, einer internationalen Organisation beizutreten, seine Zustimmung entspringe dann nicht wirklich seinem freien Willen.32 Dies trifft sicherlich zu, doch vermag diese Beobachtung allein die oben erläuterte Dazu: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (326). Ausführlich zur Frage der Drittwirkung völkerrechtlicher Verträge: Tomuschat, in: BDGV 28 (1988), 9 ff. 31 s. aber zur Drittwirkung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats oben, Teil 2, 3. Kapitel, A. 32 Vgl.: P.-M. Dupuy, Droit international public, Rn. 135; Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (328). 29 30

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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voluntaristische Konzeption nicht zu erschüttern. Ungeachtet eines möglichen faktischen Zwangs bleibt der Akt der Gründung oder des Beitritts zu einer internationalen Organisation ein willentlicher Akt. Es ist also zwischen Präferenz und rechtsgeschäftlichem Willen zu unterscheiden. Eine Parallele zum bürgerlichen Recht mag dies verdeutlichen. Auch im zivilen Rechtsverkehr besteht häufig ein auf äußeren Umständen gründender Zwang, unerwünschte Rechtsbeziehungen einzugehen. Solange aber der rechtsgeschäftlich geäußerte Wille, die Willenserklärung, nicht durch physischen Zwang oder Drohung zu Stande gekommen33oder eine bestehende Zwangslage in sittenwidriger Weise ausgenutzt worden ist34, bleiben solche äußeren Motive des Vertragsschlusses auf die Rechtsgültigkeit der Willenserklärung ohne Einfluss. Eine entsprechende Regel des Völkerrechts findet sich in Art. 51 und 52 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens. Die Konstruktion einer Blankettzustimmung erscheint vielmehr aus einem anderen Grunde fraglich. Sie würde bedeuten, dem im Einzelfall überstimmten Staat mit dem Argument zu entgegnen, sein Wille stünde der Sekundärnorm gar nicht entgegen, denn er habe ja einmal seine Zustimmung zum Gründungsakt gegeben für alle im Folgenden satzungsgemäß produzierten Sekundärnormen. Etwas überspitzt formuliert hätten die Gründungsmitglieder der UN damit bereits im Jahre 1945 der oben besprochenen,35 knapp 60 Jahren später verabschiedeten Resolution 1373 oder 1540 des Sicherheitsrats zugestimmt, obwohl sie an legislative Kompetenzen des Sicherheitsrats zu diesem Zeitpunkt gar nicht dachten.36 Unterwirft sich deshalb ein Staat einer Organisation, die im Wege von Mehrheitsentscheidungen seinen entgegenstehenden Willen im Einzelfall normativ überwinden kann, so schwindet mit zunehmender Zeit auch die Bedeutung des ursprünglichen Zustimmungsaktes zu dem primären Vertrag, durch den dieser Mechanismus geschaffen wurde: „( . . . ) the more the act of ratification as an actual political decision disappears in the shadows of the past, the less convincing it becomes to trace back the binding force of a resolution adopted against the declared will of the State concerned to the remote act of ratification.“37

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass nachfolgende Regierungen, bedingt durch den Grundsatz des pacta sunt servanda, in jedes Sekundärgesetzgebungssystem „hineingeboren“ werden, welchem sich der betreffende Staat unter einer früheren Regierung unterworfen hat. Die Diskrepanz zwischen der Zustimmung zum primären Vertrag und derjenigen zur konkreten Sekundärnorm besteht bei methodisch korrekter Betrachtung aber 33 34 35 36 37

Im deutschen Recht nach § 123 BGB. Vgl. § 138 BGB. Oben, Teil 2, 3. Kapitel, A. II. und III. Vgl. dazu bereits oben, Teil 2, 3. Kapitel, II. 3. Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (327).

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

schon im Grundsatz, das heißt auch dann, wenn heute die Organisation gegründet und morgen von dieser ein Sekundärrechtsakt verabschiedet wird. Der Hinweis auf den Zeitfaktor ist deshalb eigentlich gar nicht notwendig, er trägt aber zur Verdeutlichung des fiktiven Charakters der ursprünglichen Zustimmung bei. Betrachten wir eine Sekundärnorm und fragen, worin ihr Geltungsgrund gegenüber einem Staat besteht, der ihr nicht zugestimmt hat, so kann die Antwort aus diesen Gründen nicht lauten, weil dieser der Norm zugestimmt hat, denn er hat es ja gerade nicht. Die Norm gilt stattdessen deshalb, weil sie von einem Organ in Übereinstimmung mit der Satzung der Organisation produziert worden ist, dessen Rechtsetzungsgewalt sich dieser Staat unterworfen hat. Das aber ist etwas anderes als ein konkreter, sekundärnormbezogener Wille. Diese Aussage trifft auch auf denjenigen Staat zu, der der Sekundärnorm zugestimmt hat, denn in beiden Fällen ist der Geltungsgrund derselbe. Es wäre trotz allem zu weitgehend, von einem echten Bruch mit dem völkerrechtlichen Konsensualprinzip zu sprechen, denn letztlich handelt es sich bei der Vereinbarung von Sekundärgesetzgebungskompetenzen zu Gunsten einer internationalen Organisation um einen auf das Folgerecht der Organisation bezogenen konsentierten Verzicht auf das Konsensualprinzip durch die Vertragsparteien. Doch mag es aus diesem Grund zwar rechtstheoretisch einleuchtend sein, die Zustimmung zur sekundären Norm aus der vorherigen Zustimmung zum primären Vertrag abzuleiten, so ändert dies nichts daran, dass ein Staat im Einzelfall gegen seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann. Die Konstruktion über die Zustimmung zum primären Vertrag erscheint außerdem umso fiktiver, je länger dieser Zustimmungsakt zurückliegt, je weniger eindeutig die Ermächtigungsgrundlage zur sekundären Gesetzgebung im Gründungsvertrag der Organisation ist und je dynamischer eine Organisation ihren Zuständigkeitsbereich oder die satzungsmäßigen Ermächtigungsgrundlagen fortentwickelt, wie wir dies etwa beim UN-Sicherheitsrat erleben. Es ist diese Diskrepanz zwischen dem ursprünglich konsentierten Satzungstext und der anschließenden Sekundärgesetzgebungspraxis der betreffenden internationalen Organisation, die unter Umständen zu einem ganz erheblichen Spannungsverhältnis mit dem völkerrechtlichen Konsensualprinzip führen, seine Geltung letztlich sogar in Frage stellen kann. Wenn man so will, ist dieses Spannungsverhältnis in der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen angelegt, gerade weil die Gesetzgebung sekundär und damit für zukünftige Entwicklungen offen ist. B. Einordnung der Sekundärgesetzgebung in die allgemeine Frage der Rechtsbindung eines Staates wider Willen Wie in der Einleitung zu dieser Arbeit angesprochen, hat Christian Tomuschat in seiner Haager Vorlesung von 1993 die für das moderne Völkerrecht wichtige Frage

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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gestellt, wann ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann.38 Die Antwort hängt davon ab, so ist im Folgenden zu zeigen, ob es um eine Rechtsbindung durch Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen innerhalb der im ersten Abschnitt dargestellten institutionellen Gemeinschaftsdisziplin geht oder aber um eine Rechtsbindung in einem Bereich, in dem eine derartige Institutionalisierung der Rechtsetzung fehlt, ein Bereich, in dem sich allmählich Konturen einer materiell-rechtlichen verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin herausbilden. In drei Schritten soll dies gezeigt werden. Zunächst ist im Wege eines Exkurses darzustellen, was mit der Rechtsbindung in der als verfassungsartig zu bezeichnenden Gemeinschaftsdisziplin gemeint ist. Sodann sind der Bezug zur Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen herzustellen und die maßgeblichen Unterschiede herauszuarbeiten. Schließlich ist zu zeigen, dass diese Unterschiede zu einem unterschiedlichen Rechtsbindungstest im Streitfall führen, also die Kriterien anbelangen, die erfüllt sein müssen, damit eine Bindung eines Staates gegen dessen Willen bejaht werden kann.

I. Exkurs: Konturen einer verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin In der jüngeren Geschichte des Völkerrechts hat sich ein Normenkanon herausgebildet, dessen Beachtung als so fundamental angesehen wird, dass eine Zuwiderhandlung auch dann nicht mehr geduldet wird, wenn der betreffende Staat die in Frage stehenden Norm zu keiner Zeit für sich anerkannt hat. Eine vor allem im deutschen Schrifttum anzutreffende Strömung spricht im Hinblick auf die besondere Wertigkeit dieser Fundamentalnormen vermehrt von einer Verfassung der internationalen Staatengemeinschaft. 39 Doch mit dieser Bezeichnung allein wird das Konzept nicht umsetzbar. Welche Normen gehören zu diesem besonderen Normenbestand? Wer setzt sie durch im Falle einer Zuwiderhandlung? Werden Verstöße etwa in besonderer Weise sanktioniert? Die Antwort auf diese Fragen wird nur über den Begriff der internationalen Gemeinschaft verständlich, welche sich in der Vergangenheit zu einem Rechtskonzept entwickelt hat und Zuordnungssubjekt dieser fundamentalen Normen ist. Die internationale Gemeinschaft ist deshalb zentraler Topos der gegenwärtigen Verfassungsdiskussion.40 Freilich ist der Begriff der internationalen Gemeinschaft kein Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 ff. Tomuschat, ebda., S. 216 ff.; ders., in: RdC 281 (1999), 9 (88); Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (258 ff.); Frowein, in: RdC 248 (1994 – IV) 347 (355 ff.); ders., in: BDGV 39 (2000), 427 ff.; Fassbender, UN Security Council Reform, S. 89 ff.; vgl. aber auch: Herdegen, in: VanderbiltJTL 27 (1994), 135 (150 ff.); s. ferner: P.-M. Dupuy, in: MPYbUN Law 1 (1997), 1 (19 ff.), der allerdings auf den metaphorischen Charakter der Bezeichnung hinweist (ebda., S. 30). 40 Fassbender, in: Münkler / Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 231 (231 f.). 38 39

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

moderner Begriff.41 Vielmehr reichen seine Wurzeln zurück in die vergangenen Jahrhunderte.42 Aufbauend auf den Lehren Alfred Verdross’43 hat insbesondere Hermann Mosler das Konzept der Völkerrechtsgemeinschaft ganz wesentlich weiterentwickelt. In seinem Buch „The International Society as a Community“ schreibt Mosler: „The constitution of a society, whether it regulates life within a State or the coexistence of a group of States, is the highest law in society. It transforms a society into a community governed by law. It provides for the necessary organisation and for the division of competence of organs established under fixed procedural rules. In spite of the lack of a general constitution for the functioning of the international community there are many constitutional elements of varying form and importance.“44

Mosler zufolge gründet die Völkerrechtsgemeinschaft zum einen auf bestimmten Rechtsvoraussetzungsnormen, also Grundregeln der Rechtserzeugung, die konstitutionelles Element der internationalen Gemeinschaft sind, und zum anderen auf gewissen materiell-rechtlichen Prinzipien, die Ausdruck eines Mindestmaßes gemeinsamer Grundwerte sind.45 Bei Betrachtung der von der Literatur ins Feld geführten historischen Präzedenzfälle fällt auf, dass die Vergemeinschaftung bestimmter Felder stets ein subjektives Moment voraussetzte, nämlich – mit jeweils wechselnder Bedeutung – einen gewissen Grundkonsens der Wertvorstellungen, ein Gefühl von Solidarität oder ein Bedürfnis nach konzertierter Aktion. Letzteres manifestierte sich beispielsweise frühzeitig in der gemeinschaftlichen Bekämpfung der Piraterie, später auch des Drogenhandels. Ein gewisser Wertekonsens dagegen führte zur gemeinsamen Ächtung und Bekämpfung des Sklavenhandels und zur Formulierung eines ersten Staatengemeinschaftsinteresses. 46 Getragen vom Geiste der Aufklärung verkündeten die Vertragsstaaten in der Erklärung über die Abschaffung des Handels mit Schwarzen vom 8. Februar 1815, die Bestandteil der Wiener Kongressakte wurde, dass ein solcher Handel „a été envisagé, par les hommes justes et éclairés de tous les temps, comme répugnant aux principes d’humanité et de morale universelle“. Eine völkerrechtliche Verpflichtung, den Handel mit Sklaven zu untersagen, wurde alsbald durch den Quintupel-Vertrag von 1841 begründet. In der Generalakte der Berliner Konferenz vom 26. Februar 1885, zwanzig Jahre nach dem Sieg der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg, gingen die Vertragsstaaten in 41 s. bereits: Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 3 ff. und S. 38 ff.; ders., in: RdC 30 (1929 – V), 271 (318 ff.); s. ferner: Lachs, in: Mélanges Michel Virally, 349 (349). 42 Umfassend dazu (auch unter soziologischen und ethischen Gesichtspunkten): Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 9 ff. 43 Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft. 44 Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 15 f. 45 s. a.: Mosler., in: RdC 140 (1974 – IV), 1 ff. 46 Hierzu: Frowein, in: FS Doehring, 219 ff.

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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Art. 9 bereits von einem entsprechenden Grundsatz des Völkerrechts aus. Auf diesen völkerrechtlich bedeutsamen, heute zuweilen vergessenen Vorgang, weist Jochen Frowein zu Recht hin.47 R. Macdonald hat herausgearbeitet, dass die Voraussetzung jeder Solidarität ein „sense of community or commonality“, also ein Sinn von Gemeinschaft oder Gemeinsamkeit ist.48 Der Begriff der internationalen Gemeinschaft kommt ohne ein solches subjektives Moment der Gemeinwohlorientierung nicht aus.49 Der Begriff der internationalen Gemeinschaft hat sich seither zu einem Modebegriff entwickelt, der in den unterschiedlichsten Lebenslagen bemüht und beschworen wird.50 Es fällt schwer, ihm Konturen zu verleihen, denn der inflationäre Gebrauch des Begriffs hat seinen Bedeutungsgehalt verwässert. René-Jean Dupuy hat ihn deshalb als einen Begriff „entre le mythe et l’histoire“ bezeichnet.51 Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich um eine akademische Erfindung handelt.52 Vielmehr lässt er sich als rechtserheblicher Begriff in der Staatenpraxis nachweisen und hat Rezeption in Rechtsprechung und Lehre gefunden.53 Um diesen Nachweis zu führen, kann zwischen einem „politisch-rechtfertigenden“ und einem „rechtlich-konzeptionellen“ Bedeutungsgehalt unterschieden werden.54 Diese Unterscheidung schließt jedoch nicht aus, dass Brücken zwischen beiden Kontexten existieren, die das allmähliche Entstehen eines rechtsrelevanten Prinzips aus dem politisch-rechtfertigenden Kontext heraus ermöglichen. Der politisch-rechtfertigende Kontext ist eröffnet, wenn eine internationale Maßnahme oder Forderung durch Berufen auf die internationale Gemeinschaft politisch legitimiert werden soll: In zahlreichen Resolutionen des Sicherheitsrats findet sich der Begriff wieder; interveniert eine Staatenkoalition in einem Drittland, so tut sie dies im Namen der internationalen Gemeinschaft; Entwicklungsländer beschwören die internationale Gemeinschaft, um Entwicklungshilfe einzufordern55 und häufig wird in Abschlussdokumenten von Konferenzen an die Staatengemeinschaft insgesamt appelliert.56 Dieser Gehalt des Begriffs mag poliEbda., S. 220 f. Macdonald, in: FS Lalive, 275 (293). 49 Grundlegend: Fassbender, in: Münkler / Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 231 ff.; vgl. auch: Scheyli, in: AVR 40 (2002), 273 (277 ff.). 50 s.: Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (1); Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 1 f. 51 R.-J. Dupuy, La Communauté internationale entre le mythe et l’histoire, insbes. S. 179 – 182. 52 Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (236). 53 Grundlegend: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 329 – 428. 54 Ähnlich wohl: Scheyli, in: AVR 40 (2002), 273 (283). 55 R.-J. Dupuy spricht hier von einer „exploitation stratégique de la notion“, Dialectiques du droit international, S. 313. Das Wort „nation“ in der Überschrift beruht vermutlich auf einem redaktionellen Versehen; s. ferner: ders., in: RdC 165 (1979 – IV), 9 (223 f.). 56 In Abschlussdokumenten von Weltkonferenzen, in Resolutionen der Generalversammlung und auch des Sicherheitsrates (dazu: Tomuschat, in: AVR 33 [1995], 1 [4 f.]). 47 48

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

tisch bedeutsam sein. Von unmittelbarer rechtlicher Erheblichkeit ist er jedoch nicht.57 Als rechtserhebliches Konzept ist der Begriff der internationalen Gemeinschaft dagegen erstmals im Zusammenhang mit der Entwicklung der Rechtsfigur des ius cogens relevant geworden.58 Gemäß Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens ist ein Vertrag nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Regel des allgemeinen Völkerrechts steht.59 Eine zwingende Regel in diesem Sinne ist eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit (in der englischen Fassung: „international community as a whole“) angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf. Der tautologische Charakter dieser Definition des ius cogens soll hier nicht kommentiert werden. Wichtig ist, dass eine absolute Nichtigkeit normiert wird, die selbst dann gilt, wenn sich die Vertragsstaaten unter voller Achtung Dritter auf die Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses beschränken. Aus der Sicht des nationalen Privatrechts erscheint es als selbstverständlich, dass die private Vertragsautonomie auf äußere Grenzen des Gemeinwohls stößt. Aus völkerrechtlicher Sicht ist dies hingegen ein beachtenswerter Vorgang. Der Vertragsautonomie der Staaten, wie sie aus dem in Art. 2 Abs. 1 UNCharta festgeschriebenen Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten folgt, wird durch die internationale Gemeinschaft Schranken gesetzt. Der internationale Gerichtshof hat es in seinem Nicaragua-Urteil aus dem Jahre 1980 zwar nicht für nötig erachtet, das in Art. 2 Abs. 4 UN-Charta verankerte und gewohnheitsrechtlich anerkannte Gewaltverbot ausdrücklich als zwingendes Recht zu bezeichnen. Gleichwohl hat er die Übereinstimmung der Prozessparteien hinsichtlich dieser Qualifikation besonders hervorgehoben60 und ihr damit rechtliche Bedeutung beigemessen.61 Die Rechtsfigur des ius cogens wird heute als gewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen.62

57 Ähnlich: P.-M. Dupuy, Droit international public, Rn. 405; Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 1.f. 58 s.: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 329 ff.; Fassbender, in: Münkler / Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 231 (242 ff.). 59 Der Begriff der internationalen Gemeinschaft ist dabei erst spät in den Kodifizierungsprozess aufgenommen worden, vgl.: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 337 ff. 60 Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua . / . U.S.A.), Urteil des IGH vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, 14 (100 f., § 190). 61 So: Frowein, in: FS Doehring, 219 (225). 62 Frowein, in: EPIL 3, 65 (66), m. w. N. Die Literatur zu dem Problemkreis des ius cogens ist ausgesprochen zahlreich. Einen umfangreichen Überblick gibt Hannikainen, Peremptory Norms in International Law; für eine rechtstheoretische Erfassung in Bezug auf das Konzept der internationalen Gemeinschaft s.: Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 211 ff.; zum Verhältnis zwischen zwingendem Recht und der Wiener Vertragsrechtskonvention s. ferner: Rozakis, The Concept of Ius cogens in the Law of Treaties.

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die internationale Gemeinschaft in Art. 53 der Vertragsrechtskonvention als aus Staaten bestehend umschrieben wird. Die Konvention über die unter Beteiligung Internationaler Organisationen abgeschlossenen Verträge von 1986 behält diese Qualifikation ausdrücklich bei.63 Dies hat zur Folge, dass Internationale Organisationen nicht an der Entwicklung von zwingendem Völkerrecht teilhaben können.64 Es ist fraglich, ob diese Abstufung angesichts der zunehmenden Institutionalisierung der völkerrechtlichen Rechtsetzung aufrecht zu erhalten sein wird,65 insbesondere wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wie in Resolutionen 1373 und 1540 nunmehr geschehen66, als Ersatzgesetzgeber zur Wahrung der fundamentalen (zwingenden) Interessen der Staatengemeinschaft auftritt. Noch kürzlich schrieb Andreas Paulus: „Es bleibt abzuwarten, wie die Staatengemeinschaft nach Art. 53 handeln kann, zumal es keine kollektive Instanz gibt, die für die internationale Gemeinschaft Recht setzen könnte.“67

Die neue legislative Praxis des Sicherheitsrats könnte eine Antwort auf diese Frage geben, denn im Bereich der Terrorismusbekämpfung und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen war der Rat eben diese kollektive Instanz, die für die internationale Gemeinschaft Recht gesetzt hat. Der Begriff der internationalen Gemeinschaft ist daneben im Recht der Staatenverantwortlichkeit rechtserheblich geworden. In seinem Barcelona-Traction-Urteil aus dem Jahre 1970 (ein Jahr nach Formulierung des oben besprochenen Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens) unterschied der Internationale Gerichtshof im Zuge der Zurückweisung der Klage Belgiens zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen, die gegenüber der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit bestehen – wie etwa Verbot des Völkermordes, der Sklaverei, rassischer Diskriminierung – und solchen Verpflichtungen, die als Ausdruck des Fremdenrechts nur dem Heimatstaat des Betroffenen geschuldet werden.68 Diese Unterscheidung wurde bestätigt in den Nukleartest-Urteilen von 1974 und dem Teheran-Urteil von 1980.69 Eine solche Unterscheidung hat erhebliche Bedeutung für die völkerrechtliche Befugnis, auf Rechtsverletzungen mit Gegenmaßnahmen 63 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen vom 21. März 1986, Text in: BGBl. 1990 – II, 1414. 64 s.: Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (1 f.); Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 344. 65 s. a.: Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 30. 66 Ausführlich dazu oben, Teil 2, 3. Kapitel, II. und III. 67 Die internationale Gemeinschaft, S. 344. 68 Case concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgien . / . Spanien), Urteil des IGH vom 5. Februar 1970, ICJ Reports 1970, 3 (32, § 34). 69 Im Atomtest-Urteil befand der Gerichtshof, Frankreich sei eine Verpflichtung durch „unilateral statements . . . made outside the Court, publicly and erga omnes“ eingegangen (Nuclear Tests Case [Australien v. Frankreich; Neuseeland v. Frankreich], Urteile des IGH vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, 253 [269, § 50]). Im Teheran-Urteil sprach der

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

zu reagieren. Letztere setzen grundsätzlich die Verletzung einer eigenen subjektiven Rechtsposition voraus. Das Konzept der Verpflichtungen erga omnes führt dazu, dass die Missachtung bestimmter fundamentaler Völkerrechtspflichten zu einer Verletzung der Rechtsposition der Gesamtheit der Staaten führt und jeder einzelne Staat, auch der für sich betrachtet nicht betroffene, jedenfalls im Grundsatz Gegenmaßnahmen ergreifen darf.70 Mit Hilfe dieser Konstruktion soll der internationalen Gemeinschaft eine Art subjektive Rechtsposition verliehen werden, zu deren Verteidigung die sie ausmachenden Staaten als Rechtswalter berufen sind. Wie sich diese Unterscheidung in der Praxis auswirkt, hat unlängst Rudolf Dolzer veranschaulicht. In seinen Überlegungen zur völkerrechtlichen Zulässigkeit von Reaktionen auf die am 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten von Amerika verübten terroristischen Anschläge antwortet er auf die Frage, ob das Recht der Sanktionen nur beim einzelnen unmittelbar betroffenen Staat (also den USA) liegt oder der terroristische Akt das Recht auch aller anderen Staaten verletzt:71 „Nach 1945 [hat sich] im Völkerrecht die Überzeugung durchgesetzt, daß bei Verbrechen schwerster Art die Interessen der gesamten Staatengemeinschaft, nicht nur des unmittelbar betroffenen Staates verletzt sind. Somit sind alle Staaten berechtigt, ihrem Interesse an der Bekämpfung der terroristischen Geißel militärischen Nachdruck zu verleihen.“72

Diese mit doch erheblichen Rechtsunsicherheiten verbundene Notwendigkeit, als Rechtswalter für eine andere Entität zu fungieren, besteht aber grundsätzlich nur, solange diese Entität nicht mit eigenen Organen ausgestattet ist, um ihre eigenen Interessen verteidigen und durchsetzen zu können. Bardo Fassbender ist deshalb zwar im Grundsatz zuzustimmen, wenn er sagt: Gerichtshof vom „imperative character of the legal obligation incumbent upon the Iranian Government“ (Case concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran [U.S.A. . / . Iran], Urteil des IGH vom 24. Mai 1980, ICJ Reports 1980, 3 [41, § 88]). Der Gerichtshof lenkt sodann „the attention of the entire international community ( . . . ) to the irreparable harm that may be caused by events of the kind“ und fährt fort, dass „(s)uch events cannot fail to undermine the edifice of law carefully constructed by mankind over a period of centuries, the maintenance of which is vital for the security and well-being of the complex international community of the present day“ (ebda., S. 43, § 92). 70 Vgl.: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 385 f.; Frowein, in: EPIL 3, 758 ff.; grundlegend: ders., in: RdC 248 (1994 – IV), 345 ff.; differenzierend: Gaja, in: Weiler / Cassese / Spinedi, International Crimes of State, 151 (155). Dies hat auch in der Staatenpraxis Niederschlag gefunden. So suspendierten beispielsweise die (an sich nicht betroffenen) Mitgliedstaaten der EG sämtliche Verträge gegenüber dem Iran im Anschluss an die Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran. Die Vereinigten Staaten verhängten verschiedene Embargos gegen die damalige Sowjetunion im Gefolge der Invasion in Afghanistan 1979 (zu beidem s.: Frowein, in: EPIL 3, 758 [758]; ausführlich zur „Iran Hostage“-Affäre: Carter / Trimble, International Law, S. 56 – 75). 71 „Wer strafen will, hat nicht freie Hand“, in: FAZ v. 17. September 2001, S. 54, Sp. 1. 72 Ebda., Sp. 3.

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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„At any rate the category of obligations erga omnes appears to be an interim phenomenon in the process of constitutionalization of the international community – the community has already been recognized as a holder of many rights, without being able to enforce them. In a constitutional community equipped with its own organs, the term obligations erga communitatem is to replace a notion which emphasized the individual states‘ authority to react to a violation of community values.“73

Doch angesichts der nach wie vor schwachen Konturen der internationalen Verfassungsgemeinschaft ist ein Abschied von dieser Behelfskonstruktion derzeit nicht abzusehen, allenfalls in bestimmten Bereichen, wenn etwa der neue Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnimmt oder aber der Sicherheitsrat die von ihm in Resolutionen 1373 und 1540 oder auch zukünftig auf anderen Gebieten verabschiedeten Rechtsnormen zur Bekämpfung allgemeiner Gefahren für den Weltfrieden auf der Grundlage von Kapitel VII durchsetzt. Die beschriebene Unterscheidung zwischen Verpflichtungen, die nur bilateral geschuldet sind, und jenen, die erga omnes bestehen, führte ferner zur Herausbildung einer Unterscheidung zwischen internationalem Delikt und Verbrechen im Recht der Staatenverantwortlichkeit. Gemäß Art. 19 des früheren Entwurfs der Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit74 stellte eine völkerrechtliche Handlung ein internationales Verbrechen dar, wenn sie eine für den Schutz grundlegender Interessen der internationalen Gemeinschaft so wesentliche Verpflichtung verletzte, dass diese Verletzung von der Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit als ein Verbrechen betrachtet wurde. Das eigentliche Problem der Rechtsfolgen war mit dieser Definition allerdings nicht gelöst. So bewegte sich die Diskussion viele Jahre lang zwischen den drei Modellen einer Kriminalisierung (Bestrafung im Gegensatz zu bloßem Schadensersatz), Bilateralisierung (jeder Staat kann das Verbrechen geltend machen und Sanktionen verhängen, um den Staat zu völkerrechtskonformem Verhalten zu bewegen) oder Institutionalisierung (Einschaltung der Vereinten Nationen).75 Mit ihrem Entwurf von 2001 folgt die Völkerrechtskommission nunmehr der bilateralen Lösung76, womit sie das Konzept der völkerrechtlichen Staatsverbrechen schließlich ganz aufgegeben hat.77

Fassbender, UN Security Council Reform, S. 128. s.: ILC-Yearbook 1980 – II, Part 2, S. 30 – 34. 75 s.: Fassbender, in: Münkler / Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 231 (247). 76 So heißt es in Art. 48 (Invocation of responsibility by a State other than an injured State) der Draft articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts: Ziff. 1. “Any State other than an injured State is entitled to invoke the responsibility of another State ( . . . ) if: (a) The obligation breached is owed to a group of States including that State; or (b) The obligation breached is owed to the international community as a whole“. (Report of the International Law Commission on the work of its Fifty-third session, G.A.O.R. Fifty-sixth session, Supplement No. 10 [U.N. Doc. A / 56 / 10]). 77 Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 401; Fassbender, in: Münkler / Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 231 (248 f.). 73 74

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

Der Begriff der internationalen Gemeinschaft ist für sich genommen also kein Rechtskonzept, von dem sich im Sinne einer Begriffsjurisprudenz unmittelbare Rechtsfolgen ableiten lassen.78 Vielmehr haben sich die oben erläuterten Rechtskonzepte entwickelt, die die Existenz einer internationalen Gemeinschaft einerseits voraussetzen, die ihr andererseits als Rechtsentität schwache Konturen verleihen.79 Freilich harren in diesem Zusammenhang noch viele Fragen der Klärung. Dies gilt etwa für das Verhältnis der beschriebenen Konzepte zueinander80 ebenso wie für das Problem des ius standi einzelner Staaten und der actio pro socio oder popularis.81 Die große Frage ist schließlich auch, ob die internationale Gemeinschaft als solche zu einem eigenen Rechtsträger des Völkerrechts geworden ist82 , eine Diskussion, die letztlich als Folge ihrer fehlenden Institutionalisierung zu sehen ist.83 Diese Fragen müssen hier nicht weiter vertieft werden, denn eine Bestandsaufnahme ergibt einen für die Zwecke der vorliegenden Studie ausreichenden Befund: Wenn nach Art. 103 UN-Charta die der Charta entspringenden Verpflichtungen Vorrang vor allen übrigen vertraglichen Pflichten der Mitgliedstaaten haben, oder wenn nach dem Wiener Vertragsrechtsübereinkommen eine vertragliche Bestimmung, die mit zwingendem Recht unvereinbar ist, als nichtig zu betrachten ist, oder wenn ein Völkerrechtsverstoß als besonders gravierend angesehen wird und deshalb andere Rechtsfolgen nach sich zieht, weil er fundamentale Interessen der Staatengemeinschaft verletzt, so führt dies zu einer Normenhierarchie, einer abgestuften (oder relativen) Normativität im Völkerrecht, die der einzelstaatlichen Autonomie Grenzen setzt.84 So heißt es bei Jonathan Charney: 78 Ähnlich: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (236); vgl. aber: Fassbender, UN Security Council Reform, S. 129 ff. 79 Ein weiteres, mit dem Begriff der internationalen Gemeinschaft verwandtes Konzept ist dasjenige des „gemeinsamen Erbes der Menschheit („common heritage of mankind“ oder „patrimoine commun“). Zwar unterscheidet es sich von den oben erläuterten Konzepten insoweit, als ihm mit dem Begriff der Menschheit, der schlicht die Summe aller Lebewesen beinhaltet (Tomuschat, in: AVR 33 [1995], 1 [6]), ein anderer Zurordnungsbegriff als derjenige der internationalen Gemeinschaft zugrunde liegt. Gleichwohl bezweckt auch dieses Rechtskonstrukt die Begrenzung egoistischen Strebens einzelner Staaten durch Schaffung hoheitsfreier Räume. Anwendung hat dieses Konzept im Seerecht, Weltraumrecht und – mit Abstrichen – im Bereich der Antarktis gefunden (s. dazu: Wolfrum, in: EPIL 1, 692 ff.; McDonald, in: FS Bernhardt, 153 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 5, Rn. 13 f.; zur Verteilung staatsfreier Ressourcen: Tomuschat, in: BDGV 28 [1988], 9 [23 ff.]). 80 Vgl.: Gaja, in: Weiler / Cassese / Spinedi, International Crimes of State, 151 (insbes. 159 f.); eine Gesamtkonzeption versucht: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 413 ff. 81 Dazu ausführlich: Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 363. 82 So etwa: Fassbender / Bleckmann, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 2 (1), Rn. 50; Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 329; vgl. dagegen: Herdegen, Völkerrecht, § 5, Rn. 7. 83 Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 430. 84 Zur Entwicklung einer Hierarchie von Normen vgl.: Carreau, Droit international, S. 84 ff.; vgl. ferner: Suy, in: FS Bernhardt, 267 ff.; Tomuschat, in: AVR 33 (1995), 1 (17); Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 11 ff.; Fassbender, UN Security

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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„The credibility, if not the legitimacy, of the argument that states may be bound by rules of international law to which they have not consented (or even objected) may be traced to the radical changes in the international system that were made in response to the tragedies of World War II. The statesmen of that time firmly believed that massive violations of human rights and injuries to nations by powerful outlaw states had to be curbed. The system that evolved as a consequence of the adoption of the United Nations Charter and the conduct of the Nuremberg trials incorporated the principle that univeral rules may be established from which no derogation is permitted. ( . . . ) It clearly placed restrictions on the theoretical autonomy of states under international law.“85

Mögen eine Reihe von Autoren dieser Entwicklung kritisch gegenüber stehen86, von der Hand zu weisen ist sie nicht.87 Es kann dahinstehen, ob die Gesamtheit dieses Normenbestandes als general international law, als universal international law, als droit objectif oder als ordre public der Staatengemeinschaft zu bezeichnen ist.88 Entspringen dieser Quelle die Grundaxiome der zwischenstaatlichen Koexistenz und dies in höherem Range, so liegt es jedenfalls nahe, von einer Art Verfassung der internationalen Gemeinschaft zu sprechen, deren wesentlichen Prinzipien in der UN-Charta enthalten sind. So heißt es bei Pierre-Marie Dupuy: „The Charter of the United Nations is at the same time a political project and a legal commitment for its member states as well as a binding treaty and programme of ambitious Council Reform, S. 89 ff. (insbes. 103 f.); Scheyli, in: AVR 40 (2002), 273 (280 f.); kritisch dagegen: Weiler / Paulus, in: EJIL 8 (1997), 545 (insbes. 564 f.). 85 Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 (543). 86 Vgl. insbes.: Weil, in: RGDIP 86 (1982), 5 ff.; derselbe Aufsatz erschien ein Jahr später leicht modifiziert und in englischer Sprache in: AJIL 77 (1983), 413 ff. Um die einzelnen Konzepte, die soeben behandelt wurden, ging es dabei nur vordergründig. In der Sache stellte Weil vielmehr die Frage nach Funktion und Grundlage des Völkerrechts. „Absent voluntarism“, so schreibt Weil in Verteidigung des „Lotus-Prinzips“, „international law would no longer be performing its functions“ (ebda., S. 420). Der Schlüssel zum Verstandnis der Thesen Weils liegt darin, dass er die Vergemeinschaftung der Staaten als rechtserhebliches Faktum nicht zu akzeptieren bereits ist. Er schreibt stattdessen: „Regret it as one may, the international scene today is still made up of the juxtaposition of equally sovereign states seeking, irrespective of their differences, to ensure their peaceful coexistence and cooperation“ (ebda., S. 441); ihm nahestehend: Combacau, in: APD 31, 85 ff. (zusammenfassend auf S. 105); Arangio-Ruiz, in: RivDI 83 (2000), 609 (684, Fn. 140); Henkin, in: RdC 216 (1989 – IV), 9 (45 ff.); wohl auch: Salcedo, in: EJIL 8 (1997), 583 (584 – 586, vgl. aber auch 586 f.); vgl. bereits: Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, S. 40 ff. 87 Zu Recht sind zahlreiche Autoren den Thesen Weils entgegengetreten, vgl. insbesondere Pellet, in: AustralianYbIL 12 (1992), 22 ff.; s. ferner: Allott, Eunomia. New Order for a New World; Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 ff.; P.-M. Dupuy, Droit international public, Rn. 357 ff. (insbes. Rn. 406); Fastenrath, in: EJIL 4 (1993), 305 (306); Frowein, in: RdC 248 (1994 – IV) 347 (365); ders., in: FS Doehring, 219 (224); Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (233); Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (209); Fassbender / Bleckmann, in: Simma, UN-Charter, zu Art. 2 (1), Rn. 50; Riedel, in: FS Roellecke, 245 (265 ff.); aus der Perspektive der Menschenrechte: Koji, in: EJIL 12 (2001), 917 ff. 88 Dazu zuletzt: Buzzini, in: RGDIP 106 (2002), 581 (582); s. ferner etwa: Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 ff.; P.-M. Dupuy, Droit international public, Rn. 404; Kokott, in: BDGV 38 (1997), 71 ff.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

cooperation. It is at the same time the basic covenant of the international community and the world constitution, already realised and still to come.“89

Dabei ist eine geschriebene Verfassungsurkunde aber nicht conditio sine qua non für die Existenz einer Verfassung, wie das Beispiel Großbritanniens zeigt. Es bestehen deshalb keine Bedenken, von einer Verfassung der internationalen Gemeinschaft zu sprechen, die nicht notwendiger Weise auf das zentrale Dokument der UN-Charta beschränkt sein muss. Zu Grunde gelegt werden sollte deshalb ein „offener“ Verfassungsbegriff90, dessen Normen teils ungeschrieben, teils kodifiziert sind, und letzteres nicht nur in der Charta der Vereinten Nationen, sondern auch in anderen grundlegenden Ordnungsverträgen.91 Dass dieser Normenbestand keine bloße akademische Erfindung ist92, mögen die geschlossenen Reaktionen der Staatengemeinschaft auf die terroristischen Anschläge auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten vom 11. September 2001 verdeutlichen. In der Regierungserklärung, die Bundeskanzler Schröder vor dem Deutschen Bundestag am Tag nach dem Anschlag abgab, heißt es etwa: „Die gestrigen Anschläge in New York und Washington sind nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika; sie sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt, das wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben stellt die Grundregeln unserer Zivilisation in Frage. Sie bedroht unmittelbar die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens in Freiheit und Sicherheit, all das also, was in Generationen aufgebaut wurde. Gemeinsam werden wir diese Werte – sei es in Amerika, sei es in Europa oder wo auch immer in der Welt – nicht zerstören lassen.“93

Die Worte des Bundeskanzlers, die die Ansicht einer überwältigenden Mehrheit der Regierungen widerspiegelten, zeugen davon, dass die Staatengemeinschaft bestimmte Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens als so wichtig erachtet, dass sie eine Abweichung hiervon nicht zu dulden bereit ist und eine Missachtung die Reaktion der Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit herausfordert. Diese Grundwerte sind Verhaltensnormen, sind Leitprinzipien, deren Schutz durch die vorstehend beschriebenen Rechtskonzepte bewirkt wird, und die die Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit „verfassen“. Ist in dieser Verfassung im P.-M. Dupuy, in: MPYbUN Law 1 (1997), 1 (32 f.). Ein solcher an materiellen Gesichtspunkten orientierter offener Verfassungsbegriff wird überwiegend zu Grunde gelegt (vgl.: Scheyli, in: AVR 40 [2002], 273 [275]; Simma, in: RdC 250 [1994 – VI], 217 [262]; Tomuschat, in: RdC 241 [1993 – IV], 195 [217]). Demgegenüber wird teilweise auch ein durch Anknüpfung an die UN-Charta eingeschränkter Verfassungsbegriff verwendet (vgl. etwa: Frowein, in: RdC 248 [1994 – IV], 345 [355 ff.]). Zum Teil wird die UN-Charta auch als die eigentliche Quelle der völkerrechtlichen Verfassungsordung angesehen (vgl. etwa: Fassbender, UN Security Council Reform„ S. 89 ff.). 91 Überzeugend: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (247 f. sowie 268 ff.). 92 Tomuschat, ebda., S. 236. 93 Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder vom 12. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag zum Terrorakt in den USA, Plenarprotokoll 14 / 186 vom 12. 9. 2001. 89 90

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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Einzelfall der souveräne Wille eines Staates dem Willen einer übergeordneten Entität unterworfen, dem der internationalen Gemeinschaft, so kann vor diesem Hintergrund von einer verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin gesprochen werden, deren Konturen sich freilich nur äußerst langsam und schwach herausbilden.

II. Verknüpfung und Unterscheidung von institutioneller und verfassungsartiger Gemeinschaftsdisziplin In dem vorstehenden Exkurs haben wir gesehen, dass ein Staat im Rahmen der verfassungsmäßigen Völkerrechtsordnung gegen seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden werden kann. Aber auch in Bezug auf Normen, die man der Kategorie des „einfachen Rechts“ zuordnen würde, gelingt die normative Überwindung eines entgegenstehenden einzelstaatlichen Willens. Hierin liegt die thematische Verknüpfung zu unserem Thema. Diese Überwindung wird möglich, wenn eine internationale Organisation mit einer eigenen – von den Mitgliedstaaten unabhängigen – Normsetzungsbefugnis ausgestattet wird und die Beschlussfassung nach dem Mehrheitsprinzip erfolgt. Wir haben diesbezüglich von einer institutionellen Gemeinschaftsdisziplin gesprochen, weil hier einzelne Staaten zum Vorteil des gesamten Interesses diszipliniert werden. Die verfassungsartige und die institutionelle Gemeinschaftsdisziplin haben also gemeinsam, dass sie die normative Überwindung eines entgegenstehenden einzelstaatlichen Willens ermöglichen. Gleichwohl bestehen bedeutende Unterschiede zwischen diesen beiden Formen der Gemeinschaftsdisziplin. Während sich die verfassungsartige Gemeinschaftsdisziplin durch einen allgemein anwendbaren Normenbestand auszeichnet, hat die einfach-rechtliche zur Herausbildung verschiedener dynamisch-sektoraler Rechtsregime mit ganz anderen Charaktereigenschaften geführt. Während es in dieser um Normen des einfachen Rechts geht, die auch schlichter technischer Natur sein können, bilden sich in jener die Grundaxiome des Zusammenlebens der Staaten heraus. Ist diese im Grundsatz ratione personae auf die Mitglieder der betreffenden Organisation begrenzt, so richtet sich jene an die Gesamtheit der Staaten. Besteht diese aus verschiedenen, ratione materiae begrenzten Partikularrechtsordnungen, gibt es in jener einen einheitlichen und universal gültigen Normenbestand. Erfolgt in dieser die Normsetzung im Wege eines institutionell-formaliserten und deshalb beschleunigten Verfahrens, geschieht dies in jener durch einen ungeregelten und daher langsamen Prozess der Entwicklung eines grundsätzlichen Wertekonsenses. Verzichten die Staaten in dieser willentlich auf das völkerrechtliche Konsensualprinzip, so wird in jener mit diesem Prinzip gegen ihren Willen gebrochen. Führt in dieser die Formalisierung des Rechtsetzungsverfahrens zu einem bedeutenden Maß an Rechtssicherheit, so herrscht in jener wegen der Unklarheit des Normenbestandes eine latente Rechtsunsicherheit.

14 Aston

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

Vor dem Hintergrund dieser Unterschiede wird deutlich, warum die neue, mit Resolutionen 1373 und 1540 begonnene legislative Beschlusspraxis des UN-Sicherheitsrats so bedeutsam ist. Erstmals bezieht sich ein echter Sekundärgesetzgebungsakt einer internationalen Organisation auf die Wahrung der fundamentalen Interessen der Staatengemeinschaft und nivelliert damit die vorgenannten Unterschiede zwischen institutioneller und verfassungsartiger Gemeinschaftsdisziplin.

III. Auswirkungen der Unterscheidung auf den Rechtsbindungstest im Streitfall In einer „Claim / Conflict“ – Situation94 wird derjenige Staat, dem eine völkerrechtliche Norm ungünstig ist, versuchen zu belegen, dass er an diese nicht gebunden ist. Im Lichte des völkerrechtlichen Konsensualprinzips ist hierfür zunächst maßgeblich, ob er die von der Gegenseite ins Feld geführte Norm als für sich gültig akzeptiert hat. Ist dies der Fall, so wird er gebunden sein, regelmäßig auf der Grundlage einer der in Art. 38 IGH-Statut normierten Rechtsquellen. Ist dies nicht der Fall, so stellt sich die Frage, ob er nicht gleichwohl – trotz fehlender Zustimmung – gebunden ist. Die Annahme einer solchen Bindung ist aber als Ausnahme zur Regel des völkerrechtlichen Konsensualprinzips rechtfertigungsbedürftig. Fragen wir nun, wann ein Staat dergestalt gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden sein kann, so sind die vorstehend erarbeiteten Unterschiede zwischen der verfassungsartigen und der institutionellen Gemeinschaftsdisziplin zu berücksichtigen. Unter dem Begriff der Gemeinschaftsdisziplin haben wir den Zustand verstanden, in dem der einzelstaatliche Wille im Einzelfall dem aggregierten Willen der Mitglieder der Gemeinschaft unterworfen ist. Die Unterschiede erfordern, zwischen der Identifizierung völkerrechtlicher Normativität innerhalb und derjenigen außerhalb eines institutionalisierten Rechtsregimes zu differenzieren.

1. Rechtsbindung in der institutionellen Gemeinschaftsdisziplin Ein Staat kann sich durch willentlichen Akt – regelmäßig durch völkerrechtlichen Vertrag – einem bestimmten Rechtsregime anschließen. Zu einem solchen Regime gehören stets (vertragliche) Primärnormen und gegebenenfalls auch innerhalb dieses Regimes produzierte Sekundärnormen. Kommt es innerhalb eines solchen Regimes zu einem Streitfall, in dem fraglich ist, ob ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm dieses Regimes gebunden ist, so folgt der Test der Bindungswirkung stark formalisierten Kriterien. Da die Rechtsetzung internationaler Organisationen gesetzgeberische Züge aufweist, können bei der Entwicklung 94

Zu diesem Ausdruck s.: Elias / Lim, The Paradox of Consensualism, S. 272.

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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des anzuwendenden Gültigkeitstests Anleihen von dem aus dem nationalen Verfassungs- und Verwaltungsrecht bekannten Institut der Normenkontrolle gemacht werden. Der Gültigkeitstest einer Sekundärrechtsnorm könnte demnach wie folgt aussehen: Ist der betreffende Staat Mitglied der betreffenden Organisation? Diese Vorfrage versteht sich von selbst. Ist ein Staat nicht Mitglied der betreffenden Organisation, so kann wegen des pacta-tertiis-Prinzips grundsätzlich auch keine Bindungswirkung gegen den Willen des betroffenen Staates konstruiert werden.95 Die Prüfung ist an dieser Stelle bereits zu Ende. Handelt es sich um eine primäre oder eine sekundäre Rechtsnorm? Ist die in Frage stehende Norm bereits Teil des primären Vertragsrechts einer Organisation, so ist der betreffende Staat ohne weiteres an diese gebunden, denn er hat ihre Rechtsbindungswirkung durch Ratifikation für sich anerkannt. Ist sie hingegen sekundär, also von einem Organ der internationalen Organisation auf der Grundlage des Primärvertrages gesetzt, so bedarf es der weiteren Überprüfung der Gültigkeit der Norm gegenüber dem betroffenen Staat. Ist die Sekundärnorm formell rechtmäßig? Die in Frage stehende Sekundärnorm könnte bereits aus formellen Gründen unwirksam sein, insbesondere wenn die Organisation bzw. das handelnde Organ ultra vires gehandelt hat. Kriterien hierfür wären etwa:  Sachliche Zuständigkeit der internationalen Organisation für den geregelten Bereich?  Funktionelle Zuständigkeit des handelnden Organs / der handelnden Organe?  Beachtung des richtigen Verfahrens?  Beachtung etwaiger Formvorschriften?

Ist die Sekundärnorm materiell rechtmäßig? Die Sekundärnorm könnte auch aus folgenden materiellen Gründen entweder unwirksam oder deren Anwendung ausgeschlossen sein:  Verstoß gegen materielles Recht des primären Vertrages?  Verstoß gegen sonstiges höherrangiges Recht (zB UN-Charta, vgl. Art. 103)?  Verstoß gegen zwingendes Recht (ius cogens)?

Besteht eine Rechtsbindung im Einzelfall? Sind die vorstehenden Kriterien positiv beantwortet worden, so bedeutet dies jedoch noch nicht, dass der Staat an die betreffende Norm tatsächlich auch gebun95 s. allein zur Drittwirkung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats oben, Teil 2, 3. Kapitel, A.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

den ist. Dies hängt vielmehr davon ab, welche Form der Sekundärgesetzgebung die Satzung der Organisation vorsieht. An dieser Stelle würde die im 5. Kapitel vorgenommene Kategorisierung der Erscheinungsformen internationaler Sekundärgesetzgebung wieder relevant. Die Antwort auf die Frage hängt nämlich davon ab, welcher Erscheinungsform der Rechtsetzungsmechanismus zuzuordnen ist:  Sieht die Satzung das Erfordernis des „contracting-in“ vor, so wäre der betreffende Staat nur gebunden, wenn er diese gesonderte Zustimmung gegeben hat. Hier zeigt sich einmal mehr die vertragliche Prägung dieser Art der Sekundärgesetzgebung.  Hat die Organsiation hingegen echte Sekundärgesetzgebungskompetenzen, so wäre der Staat ohne weiteres an die produzierte Rechtsnorm gebunden.  Zu prüfen wäre dann jedoch, ob die Möglichkeit des „opting-out“ in der Satzung vorgesehen ist. Wenn ja, so wäre weiter zu prüfen, ob der betreffende Staat eine form- und fristgerechte Notifizierung vorgenommen hat, um die Verbindlichkeit der Norm für sich auszuschließen.  Funktioniert die Rechtsetzung schließlich im Wege der Verweisung, so wäre zu prüfen, ob der betreffende Staat Partei der verweisenden Konvention ist und die besonderen Tatbestandsvoraussetzungen der verweisenden Norm gegeben sind.  Ist hiernach eine Rechtsbindung im Grundsatz zu bejahen, so bliebe abschließend zu prüfen, ob der betreffende Staat form- und fristgerecht einen zulässigen Vorbehalt angebracht hat, der den umstrittenen Norminhalt erfasst und die Rechtsbindung deshalb insoweit ausschließt.

2. Rechtsbindung in der verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin Ist dagegen die streitgegenständliche Norm nicht Teil eines institutionalisierten Rechtsregimes oder hat sich der betreffende Staat einem solchen Rechtsregime nicht unterworfen, so bleibt die Frage der einzelstaatlichen Zustimmung zu der streitbefangenen Norm von maßgebender Bedeutung. Dieser Grundsatz ist Ausdruck des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten, wie es in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta normiert ist. Die auf dem Konsensualprinzip basierenden formalen Rechtsquellen des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut sowie die des Sekundärrechts würden zu keiner Bindung gegen seinen Willen führen. An eine vertragliche Norm gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. a) IGH-Statut wären wegen des pacta-tertiis-Prinzips nur die Vertragsstaaten gebunden. Einer Bindung durch Gewohnheitsrecht gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. b) könnte der Staat jedenfalls prinzipiell durch entgegenstehende Übung oder Verwahrung entgehen.96 Und an einen Sekundärgesetzgebungsakt wäre der 96 „( . . . ) in principle a dissenting state which indicates its dissent from a practice while the law is still in the process of development is not bound by that rule of law even after it matures.“ (Restatement of the Law, The Foreign Relations of the United States, The American Law Institute, 1987, Kap. 1, S. 26).

7. Kap.: Spannungsverhältnis zum völkerrechtlichen Konsensualprinzip

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Staat nicht gebunden, weil er sich nicht der Rechtsetzungsgewalt der betreffenden internationalen Organisation unterworfen hat. In dem vorstehenden Exkurs97 haben wir gezeigt, dass das starre Festhalten an dem völkerrechtlichen Konsensualprinzip im Lichte der Vielzahl globaler Probleme, die die Interessen jedes Menschen dieser Erde anbetreffen, im Einzelfall nicht mehr zeitgemäß sein kann. Soll ein Staat unter Verweis auf seinen souveränen Willen massive Eingriffe in die Umwelt vornehmen dürfen, Hochrüstung mit Massenvernichtungswaffen betreiben, grundlegende Menschenrechte mit Füßen treten, dem internationalen Terrorismus Vorschub leisten dürfen, kurzum, soll ein Staat unter Berufung auf seine Souveränität Normen missachten dürfen, die dem fundamentalen Interesse der Staatengemeinschaft zu dienen bestimmt sind? Der Test der Rechtsbindungswirkung gegen den Willen eines solchen Staates ist in diesem Bereich ein ganz anderer als in der vorgenannten Kategorie. Entspringen die betreffenden Normen der Charta der Vereinten Nationen, so bestehen wegen des in Art. 103 UN-Charta normierten Geltungsvorrangs keine Probleme. Da es im Übrigen aber an formalisierten Rechtsbindungskriterien fehlt, kann eine entsprechende Verpflichtung nur einer materiellen Quelle des Völkerrechts entspringen. Diese Quelle muss einen höheren Rang als die sonstigen formalen Rechtsquellen einnehmen, denn sonst kann rechtstechnisch die Überwindung des einzelstaatlichen Willens nicht gelingen. Einen höheren Rang kann sie jedoch nur dann haben, wenn ihre Normen die grundlegenden Prinzipien der zwischenstaatlichen Koexistenz normieren. Der Rechtsbindungstest muss diesen Besonderheiten Rechnung tragen. Es muss gezeigt werden, dass die Norm, um die es geht, zu dem unabdingbaren Normenbestand gehört, der die Staatengemeinschaft verfasst. Dies ist dann der Fall, wenn die Norm dem Schutze der fundamentalen Interessen der Staatengemeinschaft dient und deshalb zwingend ist. Wann eine Norm des Völkerrechts zwingend ist, wird freilich in Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens definiert, so dass sich der Rechtsbindungstest letztlich aus dieser Norm selbst ergibt: Ein entgegenstehender einzelstaatlicher Wille ist unerheblich, wenn er sich gegen eine Norm richtet, deren Beachtung im fundamentalen Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzes ist, so dass diese keine Abweichung hiervon duldet. Das Problem bei diesem Test sticht allerdings ins Auge: Was genau sind diese fundamentalen Interessen und wer bestimmt diese? Quis judicabit vor dem Hintergrund einer fehlenden obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit? Letztlich ist dies die Staatengemeinschaft selbst. Und dies wiederum wirft die Frage auf, ob die Überwindung des einzelstaatlichen Willens auf der Grundlage des Rechts oder aber auf der des Pragmatismus und der Stärke erfolgt. „In sum, traditional doctrine maintains that a state must accept or consent to a norm before being bound. However, the numerous legal and practical limitations and exceptions lend 97

Oben, I.

214

Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

support to the view that the international community can develop solutions to grave universal problems which will lead to compliance by all states. Whether this compulsion is based upon law or pragmatism remains unsettled.“98

Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass dem Völkerrecht ein solcher Anachronismus nicht fremd ist. Im Gegenteil, vieles, was heute geltendes Völkerrecht ist, hat sich erst durch Streitfälle entwickeln können, in denen Macht wie auch Pragmatismus stets einen zentralen Platz einnahmen. 3. Zusammenfassung Nach alledem kann festgehalten werden, dass die Frage, wann ein Staat gegen oder ohne seinen Willen an eine Norm des Völkerrechts gebunden ist, nicht pauschal beantwortet werden kann, denn eine solche Bindung kann auf zwei Wegen eintreten. Zum einen gelingt die normative Überwindung des entgegenstehenden Willens eines Staates durch die Einführung einer (materiell-rechtlich zu begreifenden) verfassungsartigen Normenhierarchie. In ihr sind die Interessen des Einzelnen den Interessen einer übergeordneten Entität – der Staatengemeinschaft – unterworfen. Es entsteht eine auf Normen des materiellen Rechts fußende Gemeinschaftsdisziplin. Hierin unterscheidet sich die Gemeinschaft von einer bloßen Gesellschaft, die nicht mehr als den faktischen Kontakt ihrer Mitglieder voraussetzt.99 Es besteht folglich ein enger Zusammenhang zwischen der Bindung eines Staates gegen seinen Willen und dem Konzept der internationalen Gemeinschaft. Doch die internationale Gemeinschaft manifestiert sich konzeptionell auch im Hinblick auf Normen des „einfachen“ Rechts, die im Wege einer institutionalisierten, auf dem Mehrheitsprinzip beruhenden Entscheidung geschaffen werden, also im Wege der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen. Man kann insoweit von einer „institutionellen Gemeinschaftsdisziplin“ sprechen. Es besteht mithin auch zwischen der Bindung eines Staates gegen seinen Willen und dem Phänomen der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen ein enger Zusammenhang. Die beschriebenen Wesensunterschiede zwischen dieser institutionellen und der verfassungsartigen Gemeinschaftsdisziplin müssen bei der Frage nach der Bindung eines Staates gegen oder ohne seinen Willen berücksichtigt werden, denn sie führen zu einem gänzlich unterschiedlichen Rechtsbindungstest in der jeweiligen Kategorie. Vor dem Hintergrund dieser Unterschiede wird einmal mehr die besondere Bedeutung der Resolutionen 1373 und 1540 des UN-Sicherheitsrats deutlich. Erst98

Charney / Danilenko, in: Damrosch / Danilenko / Müllerson, Beyond Confrontation, 23

(53). 99 Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (245); ausführlich: R.-J. Dupuy, La Communauté internationale entre le mythe et l’histoire, S. 14 f.; grundlegend: Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft.

8. Kap.: Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre

215

mals hat der Sicherheitsrat Normen aus einem Bereich, der von fundamentalem Interesse für die Staatengemeinschaft ist – die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen – dem extrem unsicheren Rechtsbindungstest aus Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens enthoben und dem weitaus klareren Rechtsbindungstest der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen unterworfen. Wegen Art. 103 UN-Charta hat er damit letztlich selbst zwingendes Recht geschaffen und die internationale Gemeinschaft, für die er handelte, als Zuordnungssubjekt für diese Normen überflüssig gemacht. Dies ist ein Quantensprung in der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen. 8. Kapitel

Die Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre Wenn die Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation dieser durch den Gründungsvertrag die Rechtsmacht verleihen, durch unilateralen Akt Rechtsnormen mit verbindlicher Wirkung im Außenverhältnis zu produzieren, so wirft dies mit Blick auf die völkerrechtliche Rechtsquellenlehre die Frage auf, ob hierin eine eigenständige Quelle des Völkerrechts zu erblicken ist. Die Antwort hängt zunächst maßgeblich davon ab, was unter dem Begriff der Rechtsquelle zu verstehen ist. Herkömmlich wird auf Art. 38 IGH-Statut als den Katalog der völkerrechtlichen Rechtsquellen verwiesen. Ein Blick in diese Vorschrift zeigt, dass die Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen dort nicht genannt ist. Fraglich ist jedoch, ob dies der Einordnung der Sekundärgesetzgebung in den völkerrechtlichen Rechtsquellenkanon entgegensteht. Wenn gleichwohl, wie zu zeigen ist, die Sekundärgesetzgebung als eigenständige Quelle des Völkerrechts aufzufassen ist, so ist schließlich fraglich, wie sich die im 5. Kapitel vorgenommene Kategorisierung der Erscheinungsformen internationaler Sekundärgesetzgebung in diesem Zusammenhang auswirkt. A. Was ist eine Rechtsquelle? In der zahlreich vorhandenen Literatur zur Rechtsquellenlehre ist seit jeher äußerst umstritten, was unter eine Quelle des Rechts zu verstehen ist. Der Begriff wird zur Beschreibung der unterschiedlichsten Phänomene gebraucht, die von den Grundlagen der Rechtsbindungswirkung des internationalen Rechts bis hin zu den Textdokumenten, die Beweis über die Existenz einer Rechtsregel erbringen sollen, reichen.100 Bereits 1925 schrieb P. E. Corbett in einem Aufsatz: 100

Vgl.: Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 23.

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Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

„We need examine only a very small number of the general works on the law of nations to realize that ,source‘ is used by different writers, sometimes even by the same writer at different times, to express the concepts of cause, origin, basis and evidence. This fluctuation in terms, with the regrettable consequences, has been noted repeatedly.“101

Für das Verständnis ist es zunächst wichtig herauszustreichen, dass es sich bei dem Begriff der Rechtsquelle um eine Metapher handelt.102 Der Begriff der Quelle entstammt dem Bereich der Geowissenschaften und bezeichnet im weiteren Sinne die Stelle, an der flüssige (Wasser, Erdöl) oder gasförmige Stoffe (Fumarolen, Mofetten, Sofataren) aus der Erde treten, im engeren Sinne die natürliche Austrittstelle von Grundwasser (vadoses Wasser) oder – in selteneren Fällen – von Tiefenwasser, das bei vulkanischen Vorgängen frei wurde (juveniles Wasser).103 Der Begriff der Quelle beschreibt also etwas Statisches, einen Ort, an dem ein fester oder flüssiger Stoff das Licht der Welt erblickt. Normbildung im Recht ist jedoch kein statisches Ereignis, sondern ein dynamischer Prozess. Besonders deutlich wird dies bei der Herausbildung von Gewohnheitsrecht, gilt aber auch im Übrigen. Gleichwohl hat man den statischen Begriff der Quelle – auch in anderen als der deutschen Sprache104 – in die juristische Fachsprache übernommen, um den Entstehungsort eines Rechtssatzes des für alle geltenden objektiven Rechts zu beschreiben.105 Für die Einordnung des Phänomens der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen erscheinen eine Reihe von Dingen wichtig. Zunächst beschreibt der Begriff der Rechtsquelle den – auch gedanklichen – Ort, an dem eine Rechtsnorm das Licht der Welt erblickt, also sozio-normative Wirkung zu zeitigen beginnt. Des Weiteren müssen die eine Rechtsordnung ausmachenden Subjekte einig sein darüber, auf welche Weise Normen des Rechts unter sonstigen moralischen oder politischen Normen erkannt und von diesen abgegrenzt werden können. Dies gelingt durch das Konzept der formalen Rechtsquellen.106 Eine Präferenz oder Erwartung muss auf bestimmte formalisierte Weise kanalisiert werden, um als Rechtsnorm zu entstehen und anerkannt zu werden. Es ist die Einführung solcher formalisierter Kriterien („rules of recognition“107, „objective validators“108, „positive law tests“109, wie man sie auch bezeichnen mag), die eine

Corbett, in: BYIL 6 (1925), 20 (20). Buzzini, in: RGDIP 106 (2002), 581 (584). 103 Vgl.: Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 17, Stichwort „Quelle“ (S. 683). 104 „Source of law“ im Englischen, „source de droit“ im Französischen, „fuente de derecho“ im Spanischen und „fonte del diritto“ im Italienischen. 105 Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 18, Stichwort „Rechtsquelle“, S. 155. 106 Ausführlich zu diesem Konzept: Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 16 – 43; kritisch gegenüber dem Konzept der formalen Rechtsquelle dagegen: Buzzini, in: RGDIP 106 (2002), 581 (584 ff.). 107 Vgl.: Hart, The Concept of Law, S. 94. 108 Vgl.: D’Amato, in: Onuf, Law-Making in the Global Community, 83 (98). 101 102

8. Kap.: Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre

217

Abgrenzung der Rechtsnormen von sonstigen Normen möglich macht. Da mehrere als gültig akzeptierte Kanalisierungsverfahren denkbar sind, gibt es nicht lediglich eine einzige formale Rechtsquelle, sondern es entsteht ein Kanon aus mehreren anerkannten Rechtsquellen. Ferner sind formale Rechtsquellen nicht gottgegeben, also nicht Teil der Schöpfung als „Gottes machtvolles Werk von ehedem“110, sondern es findet unter den Lebewesen über sie eine Einigung statt. Wenn man so will, sind sie Teil der Evolution, nicht der Schöpfung. Dies zeigt sich bereits darin, dass ihre Anerkennung ein rechtsgeschichtlich noch relativ junges Phänomen ist: „Prior to the nineteenth century it hardly occurred to anyone to desire an objective test for determining what was the law and what was not the law. The law – whether municipal or international – was rooted in immemorial custom, in natural law, in eternal principles, and in reason. ( . . . ) But legislative reform gave the impetus to a rethinking of validating procedures for the law.“111

B. Art. 38 IGH-Statut: Numerus clausus der Völkerrechtsquellen? Eine derartige „Einigung unter den Lebewesen des Völkerrechts“ finden wir in Art. 38 IGH-Statut, der die vom internationalen Gerichtshof anzuwendenden formalen Rechtsquellen normiert. Wenn es aber mehr als nur eine formale Rechtsquelle gibt und die Anerkennung formaler Rechtsquelle auf einem Einigsein hierüber seitens der beteiligten Rechtssubjekte beruht, so folgt hieraus zwingend, dass diese Subjekte nicht gehindert sein können, sich über die Anerkennung einer neuen formalen Rechtsquelle zu einigen, wenn sie dies für wünschenswert erachten. Anthony D’Amato ist deshalb zuzustimmen, wenn er schreibt: „The sources of international law do not form a closed set, there is nothing to prevent the community of nations from someday recognizing a new authoritative source. The open-endedness of the possible sources or validators of international law does not make it any the less law than Godel’s proof of the open-endedness of any mathematical system of an order of complexity that would include the real numbers has made mathematics any the less mathematical“.112

Art. 38 IGH-Statut mag deshalb die dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Rechtsquellen erschöpfend auflisten (wobei auch das fraglich ist, denn warum sollte die gewohnheitsrechtliche Anerkennung einer neuen Rechtsquelle nicht auch dazu führen, dass der Gerichtshof diese anwenden könnte?). Er mag auch zum 109 Vgl.: Charney / Danilenko, in: Damrosch / Danilenko / Müllerson, Beyond Confrontation, 23 ff. 110 Wright, in: RGG, Stichwort „Schöpfung“, Sp. 1469 (1475). 111 D’Amato, in: Onuf, Law-Making in the Global Community, 83 (98). 112 Ebda., S. 99.

218

Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

Zeitpunkt seiner Vereinbarung nach der Überzeugung der Staaten die zu diesem Zeitpunkt anerkannten Quellen des Völkerrechts erschöpfend wiedergegeben haben (wobei auch das fraglich ist, denn das Sekundärrecht internationaler Organisationen war auch damals kein unbekanntes Phänomen113). Art. 38 IGH-Statut kann aber nicht dazu führen, dass eine andere Quelle des Völkerrechts nicht entstehen kann. Dies klingt auch bei Christoph Schreuer an, wenn er sagt: „At the beginning of our century, this catalogue could still claim to be an exhaustive description of the sources of international law. Today such a restrictive view of the sources of law can hardly cope with new realities of organized international cooperation and communication“.114

Dass Art. 38 nicht erschöpfend sein kann, zeigt auch der Umstand, dass ein völkerrechtlicher Vertrag unter Beteiligung einer internationalen Organisation – ein im Völkerrecht anerkanntes Instrumentarium, wie sich aus dem entsprechenden Wiener Übereinkommen von 1986 ergibt – nicht genannt ist, insbesondere von Art. 38 Abs. 1 lit. (a) nicht erfasst wird.115 Dies macht zwar Sinn, sind doch gemäß Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut internationale Organisationen nicht parteifähig in einem streitigen Verfahren vor dem Gerichtshof, ändert aber nichts an dem Befund als solchem. Der Verweis eines Teils der Literatur auf anderslauternde Äußerungen von Staatenvertretern überzeugt nicht.116 Diese Äußerungen sind aus ihrem Kontext heraus zu verstehen, wurden sie doch in der Debatte um die Frage der Rechtsverbindlichkeit von Resolutionen der UN-Generalversammlungen gemacht. Derartige zweckgebundene Einlassungen sind aber nur sehr beschränkt verallgemeinerungsfähig. Auch die Furcht vor Rechtsunsicherheit und Instabilität der Rechtsordnung ist unbegründet, kommt es doch keinesfalls zu einer Inflation der Rechtsquellen.117 Eine andere Auffassung wäre im Übrigen kaum vereinbar mit dem Grundsatz der Souveränität der Staaten. Diese können als „Herren des positiven Völkerrechts“ (Bruno Simma) nicht daran gehindert sein, sich darauf zu verständigen, Rechtsnormen durch andere geeignete Wege zu produzieren.118 Christian Tomuschat hat dies in seiner Habilitationsschrift zum Verfassungsgewohnheitsrecht wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Dort [im Völkerrecht] ist die Frage der Bindung an ein bestimmtes Verfahren der Rechtserzeugung dem Grundsatz nach bis heute gegenstandslos. ( . . . ) Die übliche Einteilung der 113 s.: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (325), der dies damit begründet, dass niemand zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts (als das Statut des StIGH verfasst wurde, das in Bezug auf Art. 38 des IGH-Statuts beinahe buchstabengetreu übernommen wurde) die Bedeutung der Sekundärrechtsetzung vorhersehen konnte. 114 Schreuer, in: GYIL 20 (1977), 103 (112). 115 Welcher von internationalen Übereinkünften spricht, „in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind“ (Herv. d. Verf.). 116 So beispielsweise: Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 41. 117 Dazu: Danilenko, ebda., S. 39 f. 118 Simma, in: Bernhardt et al., Die Bedeutung der Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen II, 45 (58).

8. Kap.: Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre

219

Rechtsquellen nach Vertrag und Gewohnheitsrecht bedeutet keine Fixierung der Wege der Rechtserzeugung auf diese beiden Modalitäten, sondern beschreibt lediglich empirisch die äußeren Formen, auf die der Rechtswille der Völkergemeinschaft bisher im Wesentlichen beschränkt gewesen ist. Die Förmlichkeiten sind lediglich Indikatoren für die Existenz eines echten Rechtswillens, der jederzeit auch ein anderes Erscheinungsbild annehmen kann und damit jenes Merkmal annehmen kann, wie es dem pouvoir constituant zugeschrieben wird.“119

C. Die Sekundärgesetzgebung als Quelle des Völkerrechts Vor diesem Hintergrund muss das von einer internationalen Organisation geschaffene sekundäre Recht als eigenständige formale Rechtsquelle begriffen werden.120 Die Gründungssatzung einer internationalen Organisation – die Primärnorm – ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Sie hat deshalb ihren Geltungsgrund in der formalen Rechtsquelle der internationalen Übereinkünfte, wie sie in Art. 38 Abs. 1 lit. a) IGH-Statut genannt ist. Wenn wir den Begriff der Rechtsquelle als den Ort begreifen, an dem ein Rechtsatz entsteht, also sozio-normative Wirkung erhält, dann kann dies aber nicht auch für das auf der Grundlage des primären Vertrages geschaffene Sekundärrecht gelten. Allein durch den Gründungsvertrag einer internationalen Organisation erblickt noch keine Sekundärnorm das Licht der Welt. Diese ist erst noch zu schaffen, und es kann noch nicht einmal vorhergesagt werden, mit welchem Inhalt dies geschehen wird. Deren Entstehung mag im Gründungsvertrag angelegt sein, das Licht der Welt erblickt sie jedoch erst mit ihrer Verabschiedung durch das zuständige Organ (ein Vorgang, der häufig erst Jahre später erfolgt). Kommen Staaten überein, eine internationale Organisation zu gründen und mit echten Gesetzgebungskompetenzen zu versehen, so werden sie sich untereinander einig, für den Zuständigkeitsbereich dieser Organisation eine neue Rechtsquelle für ihre Rechtsbeziehungen untereinander zu akzeptieren. Das ist Ausfluss ihrer Souveränität. Hieran könnten sie nur gehindert sein, wenn Art. 38 IGH-Statut erschöpfend wäre und den Charakter von zwingendem Recht hätte, weil eine Abweichung hiervon durch den Gründungsvertrag dann gemäß Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens nichtig wäre. Das aber ist – wie gezeigt – nicht der Fall.121 Die Einigung über die Schaffung dieser neuen Rechtsquelle beruht auf einer anderen Rechtsquelle (dem völkerrechtlichen Vertrag). Das demgemäß zu schaffende Folgerecht beruht hingegen auf der neu geschaffenen Rechtsquelle (dem Sekundärrecht). Es kann aber nicht eine Quelle hinter der Quelle geben, denn hat Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 111 f. So auch: Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (325). 121 Wie auch der oben bereits angesprochene Umstand zeigt, dass die Staaten internationale Übereinkünfte unter Beteiligung von internationalen Organisationen als Quelle des Völkerrechts anerkannt haben, was auch eine „Abweichung“ von Art. 38 IGH-Statut darstellt. 119 120

220

Teil 3: Bedeutung der Sekundärgesetzgebung für das Völkerrecht

eine Rechtsnorm das Licht der Welt einmal erblickt (= Quelle), so kann dies nicht noch einmal geschehen. Das ist auch der Grund, warum auf eine Sekundärrechtsnorm die Regeln über den völkerrechtlichen Vertrag gemäß des Wiener Übereinkommens von 1969 grundsätzlich keine Anwendung finden, worauf bereits an anderer Stelle hingewiesen wurde.122 Günther Jaenicke spricht wegen des abgeleiteten Charakters dieses Rechts (aus dem primären Gründungsvertrag der jeweiligen Organisation) von einer „sekundären“ Quelle des Völkerrechts.123 Ist die Rechtsetzung durch internationale Organisation somit als eigene formale Völkerrechtsquelle anzusehen124, so fragt es sich, ob der Internationale Gerichtshof wegen der aktuellen Fassung des Art. 38 IGH-Statut daran gehindert wäre, dieses anzuwenden. Dies kann im Ergebnis aber nicht angenommen werden. Haben sich die streitenden Parteien durch völkerrechtlichen Vertrag einem institutionellen Rechtsetzungsmechanismus unterworfen und damit für ihre Rechtsverhältnisse untereinander eine neue Rechtsquelle akzeptiert, so hat der internationale Gerichtshof dies gemäß Art. 38 Abs. 1 lit.(a) IGH-Statut als internationale Übereinkunft zu beachten und damit ebenso das Folgerecht, auch wenn dieses einer anderen Rechtsquelle entspringt. Denkbar wäre auch, eine gewohnheitsrechtliche Fortentwicklung des Art. 38 IGH-Statut anzunehmen.

D. Das Paradoxon des Konsensualismus Bei alledem ist aber zu beachten, was das Konzept der formalen Rechtsquellen erklären kann und was nicht: „(T)he concept of formal sources in no way seeks to explain the ultimate reason for the authority of the international legal system as such. It simply proceeds from the fundamental assumption that international law is a system of rules operating as law of the international community. Nor does the doctrine of sources seek to explain all the ways in which states and other international actors create international legal obligations. The concept of sources of law relates to procedures or processes for establishing common rules of conduct constituting positive law. By contrast, the notion of ,sources of obligation‘ concerns processes for creating subjective legal obligations recognized by international law.“125

Kommen die Staaten wie im Fall der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen darin überein, ein bestimmtes formalisiertes Rechtsetzungsverfahren als Quelle rechtlicher Verpflichtung für sich zu akzeptieren, so betrifft dies eben nicht gleichzeitig auch die Frage der Grundlage aller völkerrechtlicher Verpflichtung126, denn:

122 123 124 125

Oben, Teil 1, 1. Kapitel, B. III. sowie Teil 2, 5. Kapitel, C. III. Jaenicke, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 766 (767). So zu Recht auch: Skubiszewski, in: EPIL 2, 1255 (1261). Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 24.

8. Kap.: Sekundärgesetzgebung in der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre

221

„(O)ne must look further into the constitutional foundations for international law and the role of consent. At one level, a state may directly support a positive norm of international law binding upon it. However, there are international procedures under which a state is obliged without its specific consent. Even the most conservative view accepts the proposition that consent to authority given in the past can serve as a basis for legislation binding on the state without more, and perhaps even in the face of contemporary objections. Law may also be binding based upon systematic constitutional structures.“127

Noch deutlicher wird die Unterscheidung zwischen dem Prozess der positiven Rechtsetzung auf der einen Seite und der Grundlage aller völkerrechtlichen Verpflichtung auf der anderen bei Elias und Lim: „(T)here is a difference between the question of the law-making process on the one hand and the question of the basis of international legal obligation on the other. The rules on the creation of rules of international law are consensual, but the reason why law, once created, is binding, is not necessarily to be traced back to sovereign consent.“128

Dieses Paradoxon des Konsensualismus, wie Elias und Lim es in ihrem gleichnamigen Buch nennen, wurde bereits in den weiter oben129 angestellten Überlegungen über die Bedeutung der Zustimmung der Staaten zum primären Gründungsvertrag einer mit Sekundärgesetzgebungskompetenzen ausgestatteten internationalen Organisation deutlich: Es liegt deshalb kein wirklicher Bruch mit dem völkerrechtlichen Konsensualprinzip vor, weil die für das sekundäre Recht beschlossene Ausnahme vom Konsensualprinzip ja ihrerseits von den Vertragsparteien konsentiert ist. Gleichwohl kann, wie gezeigt, bei zunehmender Divergenz zwischen Satzungstext und späterer Beschlusspraxis der Organisation ein ganz erhebliches Spannungsverhältnis zum ursprünglichen einzelstaatlichen Willen auftreten. Diejenigen Staaten, die sich einem auf dem Mehrheitsprinzip beruhenden Rechtsetzungsmechanismus einer internationalen Organisation unterwerfen, schaffen damit eine neue Rechtsquelle, auf Grund derer sie zukünftig gegen ihren Willen gebunden werden, deren dynamische Konkretisierung und Weiterentwicklung durch die Organe der betreffenden internationalen Organisation sie zum Zeitpunkt der Zustimmung zum primären Vertrag aber kaum absehen können.

126 s.: Buzzini, in: RGDIP 106 (2002), 581 (585); zu den verschiedenen Theorien der Grundlage völkerrechtlicher Verpflichtung: Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 (531 f.); Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, S. 34 ff. 127 Charney / Danilenko, in: Damrosch / Danilenko / Müllerson, Beyond Confrontation, 23 (52). 128 Elias / Lim, The Paradox of Consensualism, S. 253; vgl. auch die Besprechung von Thomas Skouteris, in: LJIL 12 (1999), S. 724 ff. 129 Vgl. oben, 7. Kapitel, A.

Schlussbetrachtung Internationale Organisationen sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Verfasstheit der Staatengemeinschaft geworden. Ihre Rechtsetzungskompetenzen aber waren, zumindest auf universeller Ebene, lange Zeit nur rudimentär ausgebildet und auf technische Zuständigkeitsbereiche bestimmter UN-Sonderorganisationen beschränkt. Dieses Bild änderte sich grundlegend am 28. September 2001, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unter dem Eindruck der Ereignisse vom 11. September mit Resolution 1373 erstmals in seiner Geschichte einen echten Gesetzgebungsakt erließ, um eine allgemeine Gefahr für den Weltfrieden – in diesem Fall den internationalen Terrorismus – unabhängig von einem konkreten Vorkommnis zu bekämpfen. Durch diese Vorgehensweise hat der Sicherheitsrat durch einen einzigen Beschluss den zentralen Bestimmungen der bestehenden Übereinkommen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die bis dahin überwiegend einen nur geringen Ratifikationsstand aufwiesen oder noch nicht einmal in Kraft getreten waren, zu einer für sämtliche Staaten geltenden Verbindlichkeit verholfen und zudem die Überwachung ihrer Durchsetzung in seinen mit den Befugnissen des VII. Kapitels der Charta ausgestatteten Machtbereich überstellt. Am 28. April 2004 hat diese neue legislative Beschlusspraxis nunmehr mit Resolution 1540 im Bereich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ihre Fortsetzung gefunden. Hatte der Sicherheitsrat bei Resolution 1373 noch auf Rechtspflichten aus bereits getroffenen internationalen Übereinkünften aufgebaut, die zur fraglichen Zeit allein für viele Staaten noch nicht in Kraft getreten waren, so ist er in Resolution 1540 in gewisser Weise einen Schritt weiter gegangen, indem er Rechtslücken, die in den existierenden Übereinkommen über die Proliferation von Massenvernichtungswaffen mit Blick auf nicht-staatliche Akteure bestanden, durch die Schaffung neuartiger Rechtspflichten geschlossen hat. Der Sicherheitsrat ist auf diese Weise zu einer Art Notstands- oder Ersatzgesetzgeber der internationalen Gemeinschaft im Bereich der Friedenssicherung geworden, also in einem Normbereich, der von fundamentalem Interesse für die Staatengemeinschaft ist. Dies ist auch für das allgemeine Völkerrecht von wichtiger Bedeutung, bedenkt man, dass die internationale Gemeinschaft gemäß Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens herkömmlich das Zuordnungssubjekt fundamentaler Völkerrechtsnormen ist und die Antwort auf die Frage, ob eine Völkerrechtsnorm den Charakter zwingenden Rechts angenommen hat, häufig erhebliche Schwierigkeiten und damit Rechtsunsicherheiten aufwirft. Angesichts der welt-

Schlussbetrachtung

223

politischen Lage wäre durchaus diskussionswürdig, ob bestimmte grundlegende Normen aus dem Bereich der Terrorismusbekämpfung oder der Proliferation von Massenvernichtungswaffen dem Bereich des ius cogens zugeordnet werden könnten. Doch durch Resolutionen 1373 und 1540, die gemäß Art. 103 UN-Charta Vorrang vor jeder anderen vertraglichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten genießen und damit eine ähnliche Wirkung wie Art. 53 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens zeitigen, hat diese Frage nun vorerst erheblich von ihrer praktischen Relevanz verloren. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen völkerrechtlichen Verfassungsdiskussion wird die besondere Bedeutung der neuen gesetzgeberischen Praxis des Sicherheitsrats deutlich. Wenn nämlich dort die Rechtsträgerschaft der internationalen Gemeinschaft als Konsequenz des Fehlens ihrer Institutionalisierung diskutiert wird, so wird dieses Konstrukt jedenfalls im Regelungsbereich von Resolution 1373 und 1540 obsolet. Der Sicherheitsrat hat die internationale Gemeinschaft in diesem Normbereich, der von fundamentalem Interesse für die Staatengemeinschaft ist, als Zuordnungssubjekt dieser Fundamentalnormen überflüssig gemacht, indem er an ihrer Stelle handelte. Ebenfalls bemerkenswert, wenn auch nicht vergleichbar aufsehenerregend, ist die Entwicklung der Sekundärgesetzgebung im Bereich der UN-Sonderorganisationen. Hier haben sich im Laufe der Zeit ausgesprochen differenzierte Rechtsetzungsverfahren herausgebildet, deren Ausgestaltung in dem Maß variiert, wie der einzelne mitgliedstaatliche Wille bei der satzungsmäßig vorgesehenen Rechtsbindung an einen Sekundärrechtsakt noch geschützt wird. Die Skala reicht von der Rechtsetzung mit dem Erfordernis des „Contracting-in“, wo der Schutz des souveränen einzelstaatlichen Willens deutlich im Vordergrund steht, über diejenige mit der Möglichkeit des „Opting-out“, die mittelbare Rechtsetzung durch Verweisung und die unmittelbar verbindliche Außenrechtsetzung bis hin zur supranationalen Gesetzgebung, wo die mitgliedstaatliche Souveränität völlig hinter die übergeordneten Interessen der Organisation zurücktritt. Daneben ist auch die Fortentwicklung der Sekundärgesetzgebung innerhalb bestimmter internationaler Organisationen selbst bemerkenswert. Ein illustratives Beispiel liefert die Internationale Seeschifffahrtsorganisation, die nach einer vergleichenden Studie der Rechtsetzungsverfahren anderer Sonderorganisationen vom bis dahin relativ erfolglos praktizierten Verfahren der ausdrücklichen zu dem der stillschweigenden Zustimmung übergegangen ist, eine strategische Entscheidung, ohne die die Organisation nach eigenem Bekunden heute womöglich gar nicht mehr existieren würde.1 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die Sekundärgesetzgebung universeller internationaler Organisationen in Zukunft entwickeln wird. Bezüglich der auf politisch weniger sensiblen Feldern agierenden UN-Sonderorga1

Dazu ausführlich oben, Teil 2, 4. Kapitel, I. 3.

224

Schlussbetrachtung

nisationen werden die Staaten weitaus eher bereit sein, in eine weitere Beschränkung ihrer Souveränität einzuwilligen, um von den Vorteilen einer harmonisierten und beschleunigten Rechtsetzung zu profitieren. Ungewiss ist dagegen zum jetzigen Zeitpunkt die Zukunft der noch jungen legislativen Beschlusspraxis des Sicherheitsrats. Hatte es nach der Verabschiedung von Resolution 1373 im Herbst 2001 zunächst den Anschein, als würde sich ein Konsens der UN-Mitglieder im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens über die Bejahung legislativer Kompetenzen des Sicherheitsrats herausbilden können, so kann hiervon spätestens seit Frühjahr 2004 vor dem Hintergrund der im Zuge der Verabschiedung von Resolution 1540 geäußerten Bedenken zahlreicher Mitgliedstaaten vorerst nicht mehr gesprochen werden. Sollte der Sicherheitsrat in Zukunft gleichwohl die Rolle des Ersatzgesetzgebers der internationalen Gemeinschaft im Bereich der Friedenssicherung übernehmen, wie er dies in Resolution 1373 und 1540 getan hat, so würde dies nicht nur neues Licht auf die gegenwärtige Diskussion über den verfassungsmäßigen Charakter der Charta werfen2, sondern sich auch die Frage nach einer Reform der Zusammensetzung des Sicherheitsrates mit neuer Dringlichkeit stellen3. Doch die letztlich überraschende Verabschiedung von Resolution 1373 durch den Sicherheitsrat zeigt, dass Prognosen in diesem Bereich nur unter großem Vorbehalt abgegeben werden können. Allenfalls lassen sich bestimmte Faktoren ausmachen, die Einfluss auf die weitere Entwicklung der Sekundärgesetzgebung haben dürften. Ein Teil dieser Faktoren ist der Sekundärgesetzgebung strukturell immanent, ein anderer betrifft die hiervon grundsätzlich unabhängigen politischen Rahmenbedingungen. Die Rahmenbedingungen sprechen auf den ersten Blick dafür, dass es zu einer weiteren Intensivierung der Sekundärgesetzgebung universeller internationaler Organisationen kommen wird. Die herkömmlich als Globalisierung bezeichnete Zunahme der globalen Interdependenz wirtschaftlicher, politischer und sozialer Zusammenhänge fordert per definitionem den Nationalstaat heraus.4 Ausgehend vom Bereich der Mikroökonomie, wo der Begriff erstmals zu Beginn der 90er Jahre zur Beschreibung der auf Grund der Dynamik des internationalen Handels und Kapitalverkehrs zunehmenden wechselseitigen Abhängigkeit der Märkte und Produktion in den einzelnen Ländern verwendet wurde5, hat die Globalisierung nunmehr, maßgeblich bedingt durch die Revolution in der Telekommunikationstechnologie, nahezu sämtliche Bereiche des Lebens erfasst. Im politischen Kontext 2 Grundlegend : Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (216 ff.); Frowein, in: RdC 248 (1994 – IV), 347 ff.; Simma, in: RdC 250 (1994 – VI), 217 (258 ff.); P.-M. Dupuy, in: MPYbUNLaw 1 (1997), 1 ff.; Fassbender, UN Security Council Reform. 3 Dazu zuletzt: Fassbender, in: MPYbUNLaw 7 (2003), 183 (217); Tomuschat, in: Die Friedenswarte 76 (2001), 289 (303); skeptisch: Caron, in: AJIL 87 (1993), 552 (572 ff., 576). 4 Kadelbach, in: ZaöRV 64 (2004), 1 (1). 5 s. den Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, BT-Drucks. 14 / 6910.

Schlussbetrachtung

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bedeutet sie eine Abnahme der Gestaltungsmacht der Staaten unter gleichzeitiger Bedeutungszunahme zivilgesellschaftlicher Akteure, vor allem von global operierenden Nichtregierungsorganisationen und multinationalen Unternehmen.6 „Many diverse and increasingly influential non-state actors“, so schrieb vor diesem Hintergrund der UN-Generalsekretär in seinem vielbeachteten Millennium-Bericht, „have joined with national decision makers to improvise new forms of global governance.“7 Es mag dahinstehen, ob es nicht vielleicht überzogene Erwartungen weckt, bereits von Global Governance zu sprechen. Zutreffend ist aber, dass viele der gegenwärtigen Probleme, die früher ausschließlich mit der nationalstaatlichen Brille gesehen worden wären, aufgrund der zunehmenden internationalen Verflechtung tatsächlich global geworden sind beziehungsweise, wie etwa der Umweltschutz, mittlerweile als globale Herausforderung perzepiert werden. Die Globalisierung verlangt deshalb von den Staaten einen anderen, einen globalen Handlungsrahmen, der sie zu verstärkter Kooperation im Rahmen zwischenstaatlicher internationaler Einrichtungen zwingt. In diesen veränderten Rahmenbedingungen erweisen sich auch bestimmte strukturelle Wesensmerkmale der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen von Vorteil. So führt der beschriebene Prozess der Globalisierung nicht nur zu einer allgemeinen Notwendigkeit verstärkter zwischenstaatlicher Kooperation, sondern mit Blick auf die Zukunft der völkerrechtlichen Normenproduktion wird auch dem Umstand Rechnung getragen werden müssen, dass die herkömmlichen Instrumente wie der völkerrechtliche Vertrag mit seinem Erfordernis der Ratifikation, insbesondere aber das Völkergewohnheitsrecht, häufig nicht mehr werden Schritt halten können mit den sich beschleunigenden Entwicklungen der sozialen Realitäten und der Multiplizierung der Akteure auf internationaler Ebene. Ohne Flexibilisierung und Beschleunigung der internationalen Rechtsetzung wird es nicht gelingen, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Dies wird einen verstärkten Rekurs auf die institutionelle Rechtsetzung im Rahmen internationaler Organisationen notwendig machen, deren Vorteile eben in dieser flexiblen und beschleunigten Rechtsetzung liegen.8 Jonathan Charney hat dies wiefolgt ausgedrückt: „Modern demands that the international legal system deal with technical issues requiring careful coordination gave rise to a more prominent role for treaties and international organizations in international lawmaking. This development was facilitated by the birth of the United Nations system and the revision and strengthening of the international legal system, making it better equipped to address issues of universal concern. As a result of the undeniable evolution of the international lawmaking process, international norms may be created more rapidly than in the past and may be endowed with greater legitmacy.“9 s.: Aston, in: EJIL 12 (2001), 943 (insbes. 957 ff.). „We, the peoples: the role of the United Nations in the twenty-first century“, Report of the Secretary General of 27 March 2000 („Millennium-Report“), U.N. Doc. A / 54 / 2000, 315. 8 Tomuschat, in: RdC 241 (1993 – IV), 195 (325). 6 7

15 Aston

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Schlussbetrachtung

Dies gilt nicht nur für den überwiegend technischen Zuständigkeitsbereich der unterschiedlichen UN-Sonderorganisationen, wo dies unmittelbar einleuchtend ist, sondern nunmehr auch – und dies ist eine der Lehren aus der neuen legislativen Praxis des Sicherheitsrats – für den fundamentalen Normbereich der Friedenssicherung, wo die allgemeine Gefahrenlage angesichts der Schwächen völkerrechtsvertraglicher Regime ein Zuwarten unter Umständen nicht mehr erlaubt. Ein weiterer großer Vorzug der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen ist, dass die Kriterien der Anerkennung völkerrechtlicher Normativität stark formalisiert werden und damit zu einem erheblichen Maß an Rechtssicherheit führen. Hat eine Norm den formalisierten Rechtsetzungsprozess innerhalb einer internationalen Organisation durchlaufen, so ist es ungleich einfacherer, ihren normativen Charakter zu belegen und sie damit von bloßen Erwartungen, also dem Nicht-Recht, abzugrenzen. Die Bedeutung dieses Vorteils gegenüber der traditionellen Normproduktion im Völkerrecht und hier insbesondere gegenüber dem Völkergewohnheitsrecht wird deutlich bei Gennadi Danilenko: „Domestic and international experience demonstrates that a legal system which lacks more or less clear criteria separating its content from politically desirable rules, moral rules or courtesy runs a risk of allowing a high degree of subjectivity in the ascertainment of the applicable rules of conduct. If the formal tests of validity delineating law from non-law are absent or are not sufficiently clear, the subjects of law, law-applying institutions and commentators will tend to invoke in support of their positions the most different rules allegedly constituting ,law‘. The inevitable result of such a trend will be a general decline in the authority and normative power of the law. The law will lose much of its quality as a body of rules having a special binding character, which is lacking in all other social norms.“10

Die Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen als formale Quelle des Völkerrechts hat diese Probleme nicht, da der Gültigkeitstest stark formalisierten und damit vorausschaubaren Kriterien folgt. Der große Vorteil der Sekundärgesetzgebung durch internationale Organisationen ist deshalb neben der Möglichkeit der beschleunigten Rechtsetzung auch die Rechtssicherheit, ohne die eine Rechtsordnung in ihrem Bestand gefährdet ist. Dies alles ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen eine Reihe von Faktoren, die sich als Hemmschuhe einer fortschreitenden normativen Integration erweisen könnten und dazu zwingen, die Zukunft aller Rufe nach einer Weltinnenpolitik zum Trotz in eine realistische Perspektive zu rücken. Auch hier ist zwischen Rahmenbedingungen einerseits und strukturimmanenten Aspekten der Sekundärgesetzgebung andererseits zu unterscheiden. Zunächst ist hinsichtlich der Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, dass die Globalisierung kein unbestrittener Befund ist. Ihr wird vielmehr die These von der 9 10

Charney, in: AJIL 87 (1993), 529 (550). Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 16 f.

Schlussbetrachtung

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Fragmentierung, Renationalisierung und Regionalisierung der internationalen Beziehungen entgegengehalten.11 Auf diesen Disput kann hier nicht näher eingegangen werden. Zutreffend ist aber, dass die Staaten keinesfalls gewillt sind, ohne weiteres auf die Ausübung ihrer Souveränität zu Gunsten einer internationalen Kooperation zu verzichten und sich dabei vorbehaltlos einem fremden Willen unterzuordnen. Im Gegenteil, die Praxis zeigt, dass die Staaten sich in aller Regel nur dann einer übergeordneten Rechtsetzungsgewalt unterwerfen, wenn sie hieraus konkrete Vorteile für sich erwarten können und die damit einhergehende Souveränitätsbeschränkung entsprechend und über das bloße Recht zur Partizipation am Normsetzungsprozess hinaus kompensiert wird. Dies führt zu einem Multilateralismus „à la carte“, der auch den Umfang der Sekundärgesetzgebungskompetenzen universeller internationaler Organisationen ganz wesentlich begrenzt und ihr fragmentarische Erscheinungsbild erklärt. Die gegenwärtige unilateralistisch ausgerichtete Politik der Vereinigten Staaten unter der Administration von Präsident George W. Bush illustriert dies in besonderer Weise. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass es für Staaten nicht ganz ungefährlich ist, sich einem institutionalisierten völkerrechtlichen Rechtsetzungsmechanismus zu unterwerfen. Die dynamische Fortentwicklung der satzungsmäßigen Kompetenznormen durch die Organe der betreffenden Organisation kann zu einer erheblichen Divergenz zwischen Satzungstext und anschließender Beschlusspraxis der Organisation führen, wodurch die Zustimmung zum primären Vertrag und damit das völkerrechtliche Konsensualprinzip als Schutzmantel der staatlichen Souveränität zur bloßen Fiktion verblassen kann.12 Die dynamische Interpretation des VII. Kapitels der Charta durch den Sicherheitsrat, die sich mit Resolutionen 1373 und 1540 nunmehr auch auf den Bereich der echten Sekundärgesetzgebung niedergeschlagen hat, bietet hierfür das prominenteste Beispiel. Das Paradoxe ist, dass darin gleichzeitig aber auch der Vorteil der institutionalisierten Völkerrechtsetzung liegt, denn die dynamische Fortentwicklung des Satzungstextes ermöglicht, wie gezeigt, eine zügige Anpassung des geltenden Rechts an neue Gegebenheiten. Hinsichtlich der allgemeinen Rahmenbedingungen darf ferner nicht außer Acht gelassen werden, dass die institutionelle Integration häufig regional begrenzt bleibt. Woran dies liegt, wird bei Wolfgang Friedmann deutlich: „The building of ,co-operative‘ international law proceeds today on different levels of universality, depending on the extent of the common interests and values that bind the participants. Certain types of the new international law are developing today on the universal level, because they reflect universal interests of mankind. Others, depending on a more closely knit community of values and purposes, proceed on a more restrictive level of international organisation, mostly of regional pattern ( . . . ).“13 11 12 13

15*

Illustrativ: Kadelbach, in: ZaöRV 64 (2004), 1 (8). s.: Herdegen, Völkerrecht, § 3, Rn. 9. Friedmann, The Changing Structure of International Law, S. 62.

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Schlussbetrachtung

Das Erfordernis der Homogenität gemeinsamer Interessen, Zielsetzungen und Werte setzt bereits der regional beschränkten Integration natürliche Grenzen. Angesichts der Diversität der Mitglieder einer Organisation universellen Charakters liegt auf der Hand, dass dies weitaus mehr noch für die Integration auf universeller Ebene gilt.14 Zu diesen „negativen“ Rahmenbedingungen treten eine Reihe von strukturellen Defiziten der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen. Im Vordergrund steht das Problem des der Sekundärgesetzgebung immanenten Demokratiedefizits.15 Die Debatte hierüber hat ihre Ursprünge im Kontext der hochintegrierten Europäischen Gemeinschaften und erfasst nunmehr eine Vielzahl internationaler Institutionen. Das Problem beruht im Wesentlichen auf dem Zusammentreffen zweier gegenläufiger Tendenzen.16 Auf der einen Seite steht die Internationalisierung der Entscheidungsprozesse, die sich in der bereits beschriebenen Vervielfachung der Anzahl internationaler Organisationen niederschlägt. Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz, nationale Sicherheit, Terrorismus, Handel, Entwicklung, Migration und viele mehr werden nunmehr als globale Probleme aufgefasst, denen es im Rahmen regionaler und weltweiter institutionalisierter Kooperation zu begegnen gilt. Auf der anderen Seite hat die Demokratie als staatsrechtliches Konzept trotz vieler Rückschläge und unbefriedigender Situationen einen Siegeszug insbesondere in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts angetreten, der auch rechtlich Niederschlag gefunden hat.17 Die Idee der modernen Demokratie ist jedoch eng mit dem Konzept des Nationalstaats verbunden18 und findet keinen adäquaten Niederschlag im Rahmen der internationalen Organisationen. Mangelnde parlamentarische Kontrolle, Verwischung der Gewaltenteilung, Transparenzdefizit und geografische Entfernung der Entscheidungsprozesse vom Bürger sind die Folge.19 Durch eine bessere Einbindung nicht-staatlicher Akteure können einige dieser Probleme abgemildert werden, endgültig gelöst werden sie hierdurch aber nur schwerlich.20 Damit führen zwei für sich allein betrachtet willkommene Entwicklungen – Integration und Demokratie – in ihrer Parallelität zu einem unwillkommenen Anachronismus, der selbst in einer weit entwickelten Organisation wie der 14 Vgl. etwa zuletzt mit Blick auf die bereits zwischen den Vereinigten Staaten und Europa bestehenden Disparitäten die allerdings streitbaren Thesen von Robert Kagan, in: BlDIP 10 / 2002, 1194 ff. 15 Vgl. zuletzt: Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 (490 [m. w. N.]). 16 Stein, ebda., S. 489 – 494. 17 Vgl. insbes. Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der das Recht auf Nicht-Diskriminierung, freie Wahlen und Teilnahme am öffentlichen Leben festschreibt; s. ferner: Hobe, in: AVR 37 (1999), 253 (274); Franck, in: AJIL 86 (1992), 46 ff.; Fox, in: YaleJIL 17 (1992), 539 ff. 18 Dazu: Stein, in: AJIL 95 (2001), 489 (492). 19 Vgl. im Hinblick auf die Europäische Union etwa: Heitsch, in: Europarecht 36 (2001), 809 ff. 20 Dazu: Aston, in: EJIL 12 (2001), 943 (957 ff.); Reinisch, in: GYIL 44 (2001), 270 ff.

Schlussbetrachtung

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Europäischen Union bis heute nicht befriedigend gelöst werden konnte. Je höher der Grad der Integration, desto größer das Demokratiedefizit. Hinzu treten eine Reihe weiterer Probleme, die bis heute einer Klärung harren. Das völkerrechtliche Konsensualprinzip dient dem Schutz häufig legitimer einzelstaatlicher Interessen. Wenn der einzelstaatliche Wille im Rahmen der Rechtsetzung internationaler Organisationen durch Mehrheitsentscheid aber überwunden werden kann, so werden sonstige Mechanismen zum Rechtsschutz der Mitgliedstaaten notwendig, insbesondere ein zwingender Streitbeilegungsmechanismus innerhalb der Organisation. Doch an einem solchen fehlt es in der Regel, so dass die Gefahr besteht, dass ein Staat, der die Rechtmäßigkeit eines Sekundärrechtsaktes anzweifelt, zu unilateralen Gegenmaßnahmen gezwungen wird, um seine Interessen zu schützen. Natürlich kann ein Staat schlicht die Befolgung oder Umsetzung einer umstrittenen Sekundärnorm verweigern. Zuweilen wird der Staat, der die Gültigkeit einer solchen Norm anzweifelt, aber gar nicht in eine streitige Situation eingebunden sein. Denkbar ist dann, dass er zu alternativen Maßnahmen greift und etwa fällige Budgetzahlungen zurückhält, was eine Reihe bedeutender und weiterhin ungeklärter Rechtsfragen aufwirft.21 Spiegelbildlich stellt sich das Problem, wie eine internationale Organisation die Befolgung ihrer Sekundärnormen durchsetzen kann, wenn sich ein Mitgliedstaat sich dieser widersetzt.22 Für den Bereich des Sicherheitsrats liegt die Antwort in Kapitel VII UN-Charta. Für alle anderen Organisationen kann die Normdurchsetzung aber erhebliche Probleme aufwerfen. Diese Defizite führen zu einer systemimmanenten Schieflage: Während die Normsetzung institutionalisiert wird, bleibt die Frage der Normdurchsetzung und des quis judicabit der klassischen zwischenstaatlichen Funktionsweise des Völkerrechts überlassen.23 Diese Schieflage kann letztlich nur durch Einführung eines zwingenden Streitbeilegungsverfahrens begradigt werden.24 Die Zukunft der Sekundärgesetzgebung universeller internationaler Organisationen wird von dem Zusammenspiel der beschriebenen äußeren Rahmenbedingungen ebenso wie von den der Sekundärgesetzgebung immanenten Wesensmerkmalen abhängen, von denen manche für eine Intensivierung der sekundärgesetzgeberischen Tätigkeit dieser Organisationen in der Zukunft sprechen, andere sich aber als Hindernisse erweisen könnten. Letztlich bewegt sich die Sekundärgesetz21 Vgl. dazu: Zoller, in: AJIL 81 (1987), 610 ff.; Francioni, in: EJIL 11 (2000), 43 ff.; Cárdenas, in: EJIL 11 (2000), 67 ff. 22 Das Funktionieren des Europarechts wäre ohne den Europäischen Gerichtshof nicht denkbar. Die Vorteile einer „Judizialisierung“ zeigen sich aber auch hinsichtlich solcher Rechtsregime, die keine Sekundärgesetzgebung vorsehen. Als Beispiel ist hier der Streitbeilegungsmechanismus der WTO zu nennen. 23 Vgl. etwa für den Bereich der ICAO: Osieke, in: ICLQ 28 (1979), 1 ff., oder für den Bereich der ILO: ders., in: BYIL 48 (1976 – 77), 259 ff. 24 Osieke, in: ICLQu 28 (1979), 1 (25 f.).

230

Schlussbetrachtung

gebung internationaler Organisationen in einem Spannungsfeld von legitimer Wahrung einzelstaatlicher und notwendiger Verfolgung gemeinsamer Interessen, wie es in der internationalen Politik generell zu beobachten ist, in der Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen aber besonders zu Tage tritt. Die Eigenartigkeit dieses Spannungsfelds hat René-Jean Dupuy veranschaulicht: „Sur un plan schématique, l’ordre juridique international est sollicité par deux logiques opposées. L’une, celle de l’ordre relationnel, tend à pérenniser la primauté de la souveraineté de l’Etat. (. . . ) (L)a logique opposée, celle de l’institutionnel, suppose les Etats rassemblés dans une organisation internationale, leur pouvoir conditionné dans des mesures variables par le traité constitutif et les résolutions de celle-ci (. . . ). Ce serait une erreur d’imaginer que le second modèle est appelé à se substituer au premier. En réalité, ils s’entremelent dans une tension dialectique (. . . ). Dialectique ouverte car nul ne peut prévoir le dénouement de cet antagonisme.25

Doch auch wenn niemand den Ausgang vorherzusehen vermag, so steht zu vermuten, dass die Verfolgung gemeinsamer Interessen in dieser Dialektik an Bedeutung gewinnen wird, denn das ist das Wesen der internationalen Gemeinschaft.

25

R.-J. Dupuy, Dialectiques du Droit International, S. 312.

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Personen- und Sachregister acquis communautaire 191 Afrikanische Einheit, Organisation für die siehe OAU Afrikanische Union 182 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 120 Amerikanische Menschenrechtskonvention 102 Andenpakt 182 Annan, Kofi 191, 225 Anti-Proliferationsausschuss siehe Massenvernichtungswaffen, Proliferation von Anti-Terrorismusausschuss siehe Counter Terrorism Committee APEC 182 Arabische Liga 182 Arangio-Ruiz, Gaetano 101 ASEAN 182 Asian Pacific Economic Cooperation siehe APEC Association of South East Asian Nations siehe ASEAN Atomwaffensperrvertrag 110 AU siehe Afrikanische Union aut dedere aut judicare 72, 74 Bedjaoui, Mohammed 27 Beitragszahlungen, Zurückhaltung von 55 Berliner Konferenz, Generalakte der 200 beschleunigte Rechtsetzung 226 Biowaffenübereinkommen 110 Bretton-Woods-Institutionen 181 Brotóns, Antonio 55 Budgetzahlungen, Zurückhalten von 229 Bürgerkrieg, amerikanischer 200 Bush, George W. 74, 227 CARICOM 182 Charney, Jonathan 28, 225 Charta der Vereinten Nationen – als Verfassung 64, 86, 199, 207

– Art. 41 als offene Ermächtigungsnorm 95 – funktionaler Zusammenhang von Art. 39 und 41 99 – Kapitel VII – abstraktes Gefahrenverständnis 79, 80, 116 – dynamische Interpretation 29, 81, 85, 227 Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten 120, 123 Charter of Economic Rights and Duties of States siehe Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten Chemiewaffenübereinkommen 110, 116 Claim-Conflict-Situation 210 Compensation Commission der UN 67 Condorelli, Luigi 113 Corbett, P. E. 215 Counter Terrorism Committee 69, 110 Dahm, Georg 40 D’Amato, Anthony 217 Danilenko, Gennadi 164, 226 Declaration of Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space 120 Declaration on Permanent Sovereignty over Natural Resources 120 Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples 120 Degan, V. D. 54 Dekolonialisierung 71, 119 Demokratiedefizit 228 Demos, europäischer 193 Dolzer, Rudolf 204 Drogenhandel, Bekämpfung des 200 droit objectif 207 Dupuy, Pierre-Marie 26, 207 Dupuy, René-Jean 201, 231

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Personen- und Sachregister

ECOSOC der UN 125 ECOWAS siehe Wirtschaftsgemeinschaft, Westafrikanische effet utile 46 EFTA 182 EG siehe Europäische Gemeinschaften Einheit der handelnden Körperschaft 54 Einzelermächtigung, Prinzip der begrenzten 46 Elias, O. A. 221 Erbe der Menschheit, gemeinsames 26 erga-omnes-Verpflichtungen 204 – 205 Erler, Jochen 131 EU siehe Europäische Union Europa, Staatswerdung 191 Europäische Gemeinschaften 43, 190 – 194, 228 Europäische Menschenrechtskonvention 102, 192 Europäische Sozialcharta 192 Europäische Union 182, 191, 194, 229 Europarat 182 European Free Trade Association siehe EFTA Fassbender, Bardo 204 Flusskommissionen, euopäische 182 Food and Agricultural Organization siehe Sonderorganisationen der VN, FAO Free Trade Area of the Americas siehe FTAA Friedensbedrohung im Sinne von Art. 39 VN-Charta – Begriff der Bedrohung 89 – Begriff des Friedens 87, 117, 116 Friedensverträge von Versailles und Paris 181 Friedmann, Wolfgang 227 Friendly Relations Declaration 120 Frowein, Jochen A. 64, 201 FTAA 182 G 7 182 GATT 181 GCC siehe Golfkooperationsrat Gefahrenabwehr, präventive 90, 117 Gegenmaßnahmen 115 Gemeinschaft, internationale

– – – –

als Rechtsträger des Völkerrechts 206 Entstehung und Konzept 200 – 209 Fundamentalinteressen der 29, 168 Sicherheitsrat als Ersatzgesetzgeber der 30, 64 – 119, 107, 119, 224 Gemeinschaft, Ostafrikanische 182 Gemeinschaft Unabhängiger Staaten siehe GUS Gemeinschaften, Europäische siehe Europäische Gemeinschaften Gemeinschaftsdisziplin – institutionelle 182, 212 – Rechtsbindungstest 211 – 213 – Unterscheidung von institutioneller und verfassungsartiger 209 – 210, 214 – verfassungsartige 200 – 209 – Rechtsbindungstest 213 – 214 Gemeinschaftsinteressen 26, 181, 185, 201 Gemeinwohlorientierung 201 General Agreement on Tariffs and Trade siehe GATT general international law 207 Generalversammlung – Beitrag zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht 124 – Rechtsbindung bei formlosem zwischenstaatlichen Konsens 123 – Rechtswirkung von Beschlüssen 44, 73, 95, 120 – Zuständigkeit für die Kodifizierung des Völkerrechts 95 Gerichte, Grundsatz der Errichtung durch Gesetz 98 Gesellschaft, Abgrenzung zur Gemeinschaft 214 Gesetzesbegriff – formeller siehe Gesetzgebung – materieller siehe Gesetzgebung Gesetzgebung – außerrechtlicher Begriff 33 – Begriff im nationalen Recht 33 – 37 – formeller Gesetzesbegriff 35 – materieller Gesetzesbegriff 35 – Begriff im Völkerrecht 37 – 46 – Begriff in der angelsächsischen Terminologie 36, 41 – Begriff in der französischen Terminologie 36

Personen- und Sachregister – sekundäre siehe Sekundärgesetzgebung Gewaltenteilung 40, 44, 46, 57, 67 Gewaltverbot, völkerrechtliches 26, 68, 115, 203 Global Compact Initiative 191 global governance 225 Globalisierung 27, 224, 225 Golfkooperationsrat 182 Greenstock, Jeremy Sir 93 Grundrechtecharta der EU 192 GUS 182 Hart, H. L. A. 48 Held, David 182 Herdegen, Matthias 43, 82 Höffe, Otfried 188 Huber, Hans 40, 45 Hudson, Manley O. 38 Imperativentheorie 56 implied powers 46, 57 Initiativrecht 185 institution building, internationales 62, 181 Institutionalisierung der internationalen Beziehungen siehe Internationale Beziehungen, Institutionalisierung der Integration 27, 169, 180, 185, 190, 226 Inter-Governmental Maritime Consultative Organization siehe Sonderorganisationen der VN, IMO International Civil Aviation Organization siehe Sonderorganisationen der VN, ICAO International Labour Organization siehe Sonderorganisationen der VN, ILO International Maritime Organization siehe Sonderorganisationen der VN, IMO International Telecommunications Union siehe Sonderorganisationen der VN, ITU Internationale Beziehungen, Institutionalisierung der 27, 181 – 182 Internationale Fernmeldeunion siehe Sonderorganisationen der VN, ITU internationale Gemeinschaft siehe Gemeinschaft, internationale Internationale Organisationen – Definition 51 – Integrationskraft 185, 182 – 194

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Internationale Seeschifffahrtsorganisation siehe Sonderorganisationen der VN, IMO Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 102, 228 Internationales Amt für öffentliche Hygiene 181 Interventionsverbot 25, 83 ius cogens 28, 202 – 204, 211, 213, 219, 222 Jaenicke, Günther 220 Kagan, Robert 228 Kelsen, Hans 39 Kernwaffensperrvertrag siehe Atomwaffensperrvertrag Kommission für internationale Luftfahrt 181 Komplementarität, kooperative und integrative 188 Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa siehe KSZE Konsensualismus, Paradoxon des 221 – 222 Konsensualprinzip – Bedeutung der Zustimmung zum Gründungsvertrag 196 – 199 – Begriff 25 – konsentierter Verzicht auf das 198 – Rechtsbindungstest 210 – 214 – Relativierung 27, 190, 195 – 215 – Spannungsverhältnis zur Sekundärgesetzgebung 195 – 215 KSZE 182 Laband, Paul 34 Lauterpacht, Hersch Sir 39 law of coexistence 193 law of cooperation 193 Lim, C. L. 221 Liszt, Franz von 26 Macdonald, R. 201 Manila Declaration on the Peaceful Settlement of International Disputes 120 Marshallplan 181 Massenvernichtungswaffen, Proliferation von – „1540er Komitee“ 110 – als Gefahr für den Weltfrieden 93, 108, 112, 116 – Bekämpfung der 215

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Personen- und Sachregister

– vertragliches Regime zur Bekämpfung der 109 Massenvernichtungswaffen, Trägersysteme 108 McNair, Lord 42 Mehrheitsbeschluss 28, 64, 190 Mehrheitsentscheid siehe Mehrheitsbeschluss Mehrheitsprinzip siehe Mehrheitsbeschluss Menschenrechtskonvention, Europäische siehe Europäische Menschenrechtskonvention Mercosur 182 mittelbare Sekundärgesetzgebung siehe Sekundärgesetzgebung, Rechtsetzung durch Verweisung Morse, Samuel 148 Mosler, Hermann 200 Multilateralismus „à la carte“ 227 NAFTA 182 NATO 181 NGOs siehe nicht-staatliche Akteure Nicht-Regierungsorganisationen siehe nicht-staatliche Akteure nicht-staatliche Akteure 104, 106, 108, 110, 185, 225, 228 Nizza, EU-Gipfel von 192 Norberto Bobbio 48 Normbefolgung, Verweigerung der 229 Normdurchsetzung 229 Normenhierarchie 77, 207, 212, 213, 215, 223 North American Free Trade Agreement siehe NAFTA North Atlantic Treaty Organization siehe NATO OAS 182 OAU 182 objective validators 216 Objektivismus 27 OECD 40, 181 OEEC 181 ordre public der Staatengemeinschaft 208 Organisation der Amerikanischen Staaten siehe OAS

Organisation für die Afrikanische Einheit siehe OAU Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa siehe OSZE Organization for Economic Cooperation and Development siehe OECD Organization for European Economic Cooperation siehe OEEC Ostseerat 52 OSZE 182 pacta sunt servanda 198 pacta-tertiis-Prinzip 65, 196, 211, 212 Parlament, Europäisches 44 Partikularrechtsordnungen siehe Rechtsregime, dynamisch-sektorale Paulus, Andreas 203 Piraterie, Bekämpfung der 200 positive law tests 216 Positivismus 25 Proliferation siehe Massenvernichtungswaffen, Proliferation von Provisional International Civil Aviation Organization 132 Quasilegislative 44 Quintupel-Vertrag 200 quis judicabit 229 Rechtsetzung, institutionalisierte 29, 44 Rechtsnorm, Eigenschaften einer 58 Rechtsprechung, internationale – EuGH – Becker 178 – Foster v. British Gas 178 – Paola Faccini Dori 178 – Producteurs de fruits et légumes 59 – IGH – Barcelona-Traction-Urteil 204 – Bosnien-Herzegowina-Beschluss 84 – Certain-Expenses-Gutachten 122 – Effect-of-Awards-Gutachten 98 – Lockerbie-Beschluss 74, 77, 82, 84 – Namibia-Gutachten 121 – Nicaragua-Urteil 202 – Nukleartest-Urteile 203 – Südwestafrika-Urteile 83, 121 – Teheran-Urteil 203, 204

Personen- und Sachregister – Jugoslawientribunal – Tadicˇ-Urteil 40, 67, 69, 83, 99 – Ruandatribunal – Kanyabashi-Urteil 83, 97 – StIGH – Lotus-Urteil 26 Rechtsquellen, völkerrechtliche – Art. 38 IGH-Statut 123, 163, 164, 219 – Begriff der Rechtsquelle 216 – 217 – Konzept der formalen Rechtsquelle 217, 221 – Sekundärgesetzgebung als eigene Quelle 219 – 220 Rechtsregime, dynamisch-sektorale 194 – 195, 210 Rechtssatz – einschränkender 56 – erläuternder 56 – Struktur 56 – verweisender 56 Regionalisierung 227 Renationalisierung 227 Repressalien siehe Gegenmaßnahmen rules of recognition 216 Scelle, Georges 38 Schmidt, Georg 188 Schreuer, Christoph 218 Schröder, Gerhard 208 Schulz, Georg 39 Sekundärgesetzgebung – Anleihe aus dem Europarecht 46 – 50 – Contracting-in 172 – 175, 189, 223 – Definition, abschließende 61 – Definitionsmerkmale – allgemein 50 – Autorenschaft 51 – 55 – Geltungskraft 56 – 57 – Normgehalt 57 – 60 – der Begriff „sekundär“ in der Rechtstheorie 48 – 50 – Erscheinungsformen 62 – Opting-out 169 – 172, 189, 223 – Rechtsetzung durch Verweisung 175 – 177, 189, 223 – Rechtssicherheit durch 226 – Supranationale Gesetzgebung 177 – 179, 189, 190, 224

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– Terminologie in der Rechtstheorie 48 – unmittelbar verbindliche Außenrechtsetzung 167 – 168, 189 Selbstverteidigungsrecht, völkerrechtliches 68, 78, 115 Sicherheitsrat – Aufgaben 64 – autoritative Interpretation von Kapitel VII VN-Charta 81 – 87 – Beschlusspraxis, allgemeine 65 – 68, 78 – Durchsetzung von Beschlüssen durch den Sicherheitsrat 113 – Embargobeschlüsse 66, 80 – Ermessensgrenzen 82, 98 – innerstaatliche Umsetzung von Bechlüssen 117 – Kriegsverbrechertribunale – Jugoslawien 30, 67, 96 – Ruanda 67, 96, 97 – Legislativbeschlüsse – Resolution 1373 29, 63, 68 – 104, 105, 108, 109, 111, 167, 168, 197, 222 – Resolution 1540 30, 63, 93, 104 – 112, 168, 197, 222 – Problem der Zusammensetzung 86, 224 – Vetorecht 114 Simma, Bruno 101, 218 Sklavenhandel, Bekämpfung des 200 Skubiszewski, Krzysztof 39, 41, 59, 122 soft law 57 Sonderorganisationen der VN – FAO 125, 144 – 146, 172 – ICAO 125, 132 – 138, 141, 142, 147, 148, 158, 167, 168, 169, 174, 175, 181, 195 – ILO 125, 139 – 141, 142, 144, 145, 146, 147, 159, 172, 173, 174, 181, 190 – IMO 125, 153 – 166, 169, 170, 175, 176, 177, 223 – ITU 125, 153, 158, 159, 169, 170, 173, 181 – Status 125 – UNESCO 125, 146 – 147, 173 – UPU 125 – 132, 141, 168, 181, 182, 189 – Weltbank 183 – WHO 125, 141 – 144, 145, 146, 156, 158, 159, 169, 170, 173, 186 – WMO 125, 147 – 148, 158, 159, 169, 170 – WTO 181, 183

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Personen- und Sachregister

Souveränität 25, 30, 43, 54, 57, 65, 75, 82, 88, 138, 165, 169, 171, 172, 177, 190, 202, 212, 213, 218, 219, 223, 224, 227 Sozialcharta, Europäische siehe Europäische Sozialcharta Spanish Question, Sub-Committee on the 91 Staatengemeinschaftsrecht, internes 40, 45 Staatenkonferenzen, permanente 53 Steiger, Heinhard 188 Stein, Eric 183 – 187 Stephan, Heinrich von 126 Streitbeilegungsmechanismen, Fehlen von 229 Telekommunikationstechnologie, Revolution der 224 Terrorismus – als Gefahr für den Weltfrieden 29, 69, 78, 87 – 94, 103, 112, 222 – Bekämpfung des 69, 115, 215 – Finanzierung des 72 – Geschichte des 70 – Hintergrundursachen 89 – Problem der Definition 71, 114 – Selbstverteidigung gegen den 68, 115 – Souveränität als Schutzschild 75 – vertragliches Regime zur Bekämpfung des 70 – 75 Terrorismus, internationaler siehe Terrorismus Tomuschat, Christian 65, 116, 177, 199, 218 Transparenzdefizit 228 Umweltzerstörung als Gefahr für den Weltfrieden 117 Unilateralismus 55, 227 Union 150 Union, Afrikanische siehe Afrikanische Union Union, Europäische siehe Europäische Union United Nations Educational Scientific and Cultural Organization siehe Sonderorganisationen der VN, UNESCO universal international law 208 Universal Postal Union siehe Sonderorganisationen der VN, UPU Unternehmen, multinationale 226

Verbrechen, internationales 206 Verdross, Alfred 200 Vereinte Nationen, Gründung der 181 Verfassung der EU 192 Verfassungsautonomie 25 Verfassungsbegriff, offener 208 Verfassungskonvent der EU 191 Vertragsautonomie der Staaten 203 Verwaltungsgericht der VN 98 Völkerbund 181 Völkerrechtsunmittelbarkeit 25 Warschauer Pakt 181 Weil, Prosper 207 Welternährungsorganisation siehe Sonderorganisationen der VN, FAO Weltgesundheitsorganisation siehe Sonderorganisationen der VN, WHO Welthandelsorganisation siehe WTO Weltkulturorganisation siehe Sonderorganisationen der VN, UNESCO Weltmeteorologieorganisation siehe Sonderorganisationen der VN, WMO Weltpostverein siehe Sonderorganisationen der VN, UPU Weltzivilluftfahrtorganisation siehe Sonderorganisationen der VN, ICAO Westfälische Ordnung 26 Wiener Kongressakte 201 Wiener Vertragsrechtsübereinkommen – Anwendbarkeit auf Sekundärgesetzgebungsakte 42, 54 – nachfolgende Staatenpraxis 86, 93, 103, 118, 225 – Vertragsschluss unter Zwang oder Drohung 197 Wirtschaftsgemeinschaft, Westafrikanische 182 World Health Organization siehe Sonderorganisationen der VN, WHO World Meteorological Organization siehe Sonderorganisationen der VN, WMO World Trade Organization siehe WTO WTO 181