Seelsorge interkulturell: Pastoralpsychologische Beiträge [1 ed.] 9783666702648, 9783525702642

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Seelsorge interkulturell: Pastoralpsychologische Beiträge [1 ed.]
 9783666702648, 9783525702642

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Klaus Kießling / Jakob Mertesacker (Hg.)

Seelsorge interkulturell Pastoralpsychologische Beiträge

Klaus Kießling/Jakob Mertesacker (Hg.)

Seelsorge interkulturell Pastoralpsychologische Beiträge

Mit 1 Abbildung und 1 Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Michael D Brown – Shutterstock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-70264-8

Inhalt

Seelsorge interkulturell – eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Klaus Kießling und Jakob Mertesacker Seelsorge interkulturell – aus der Perspektive eines Bischofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Bischof Franz-Josef Bode Seelsorge interkulturell – aus der Perspektive eines Pastoral­theologen . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Ottmar Fuchs Unter fremdem Anspruch. Seelensorge interkulturell – aus der Perspektive eines Pastoralpsychologen . . . . . . . . . . . . . . 51 Klaus Kießling Intrapersonelle Interkulturalität und Toleranz . . . . . . . . . . . . . . 87 Jakob Mertesacker Fremde sind wir vor dir, Gott! Pastoralpsychologische Impulse zu einem heilsamen Umgang mit der Angst vor Fremdem . . . 101 Rebecca Marie Hafner Interkulturelle Vielfalt als Chance für kreative Prozesse in der Pastoral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Martin Kempen Gerechtigkeit, Gleichheit und Differenz in der interkulturellen spirituellen Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Ulrike Elsdörfer Kulturelle Unterschiede und Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Peter Claver Narh

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Inhalt

International, multikulturell und interkulturell – ein Beitrag zur »Heilung der Völker« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Agnes Lanfermann Kann das Festmahl stattfinden? Migration und Flucht als ekklesiologische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Tobias Keßler Widerstand und Exil – Erfahrungen verfolgter Autorinnen und Autoren als Anhaltspunkte für interkulturelle Seelsorge . . . . . . 173 Lisa Straßberger Karl Frielingsdorf (1933–2017) – Würdigung eines Pioniers der Pastoralpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Klaus Kießling Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Seelsorge interkulturell – eine Einführung Klaus Kießling und Jakob Mertesacker

Seelsorge gilt mit Recht als Herzstück der Pastoral – einer Pastoral, die sich im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils als kreative Konfrontation des Evangeliums mit unserer Gegenwart versteht. Pastoral lässt an Hirten, an bäuerliches Leben denken, an bib­lische Kultur, an Agrikultur – und nicht etwa an heutige Kulturwelten. Die Konfrontation des Evangeliums mit unserer Gegenwart geht also von allem Anfang an mit fremden, wenn nicht befremdlichen Ansprüchen einher. Seelsorge ist konzeptionell eine interkulturelle Qualität eigen, noch bevor Fragen einer interkulturellen Seelsorge laut werden, sei es aufgrund muslimischer Patientinnen und Patienten in katholischen oder evangelischen Krankenhäusern, sei es aufgrund ausländischer Priester in Deutschland, sei es aufgrund vielfältiger Migrations- und Fluchtbewegungen. »Seelsorge interkulturell« lässt programmatisch anklingen, dass es nicht allein um Gestalten interkultureller Seelsorge geht, sondern um eine Interkulturalität, wie sie zum Selbstverständnis jeder Seelsorge gehört. Seelsorge interkulturell war darum auch der Titel eines Studientags, den wir aus Anlass des 25-jährigen Bestehens unseres Frankfurter Instituts für Pastoralpsychologie und Spiritualität am 28. Oktober 2016 an der Hochschule Sankt Georgen veranstalteten. Die drei Vorträge, die zu diesem Jubiläum im Plenum gehalten und zur Diskussion gestellt wurden, bieten Perspektiven eines Bischofs, eines Pastoraltheologen und eines Pastoralpsychologen. Im weiteren Gang dieses Buches folgen acht weitere Beiträge pastoralpsychologisch kompetenter Autorinnen und Autoren, die zu diesen Themen am Institut geforscht haben oder derzeit damit befasst sind. Die Reihung resultiert aus dem jeweiligen Fokus der Aufsätze, die mit vorrangig individueller Ausrichtung einsetzen, sich dann Gruppenprozessen widmen und schließlich weltkirchliche und globale Vorgänge thematisieren. Nachfolgend skizzieren wir die Inhalte der in diesem Band versammelten Texte.

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Klaus Kießling und Jakob Mertesacker

Bischof Franz-Josef Bode umreißt zunächst sein biblisch geprägtes Verständnis von Seelsorge, bevor er Fragen der Multi-, Inter- und Transkulturalität angeht. Seelsorge »interkulturell« nennen und leben zu können, setzt für den von Papst Franziskus inspirierten Bischof voraus, dass sich möglichst viele Frauen und Männer befähigen lassen, anderen Menschen in ihren Kulturen zu begegnen: »Es ist eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf, eine Kirche der Beteiligung aufzubauen, die mit der Vielfalt ihrer Gaben Humanisierung und Evangelisierung vor Ekklesialisierung und Sakramentalisierung fördert.« Ottmar Fuchs widmet sich Seelsorge interkulturell unter pastoraltheologischer Perspektive, indem er der Frage nachgeht, wie sich Seelsorge und Interkulturalität gegenseitig entdecken und erschließen können. Anderes und Fremdes, andere und Fremde verlangen nach Empathie und Solidarität, aber auch Unverstandenes und Unverstandene haben ein Recht auf Anerkennung. »Verstehen« versteht sich also nicht als Bedingung für Anerkennung, vielmehr verdient Unverstandenes Schutz, allemal in einer Seelsorge, die nicht auf Zugriff setzt – weder auf einen verstehenden noch auf einen verständnislosen –, sondern auf einen Gott verweist, der Menschen nicht annimmt und liebt, wenn und weil sie sich verändert haben, sondern sie so bedingungslos annimmt und liebt, dass sie sich verändern können und Wandlung geschieht. Seelsorge erweist sich so als ein Anders-Ort – auch zugunsten interreligiös und interkulturell teilnahmeoffener Rituale, wie Ottmar Fuchs ausführt. Klaus Kießling treibt das Selbstverständnis einer Seelsorge um, die in pastoralpsychologischer Perspektive konzeptionell auf Interkulturalität setzt. Er geht in sieben Schritten vor: »Bist du so fremd?«, fragt er mit Kleopas, der sich damit an jenen Dritten wendet, welcher sich den beiden Jüngern zugesellt (1), bevor er den Begriffen der »Sorge«, der »Seele« und der »Seelsorge« nachgeht (2) und mit Bernhard Waldenfels das Attribut »interkulturell« bedenkt (3). In die Mitte nimmt er eine Kultur der Gastfreundschaft, die Seelsorge ermöglicht (4). Wiederum philosophisch geprägt folgen Fragen nach seelsorglichem Verstehen und Nichtverstehen (5), bevor die Seele von

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Seelsorge aufscheinen kann (6) und schließlich nochmals die unter fremdem Anspruch stehenden Emmausjünger ins Bild rücken (7). Jakob Mertesacker macht intrapersonelle Interkulturalität und Toleranz zum Thema. Er unterscheidet zunächst geschlossene – und darum klar gegeneinander abgrenzbare – von offenen Kulturen, also von veränderbaren Sinn- und Orientierungssystemen, bevor er die Trias von Inter-, Multi- und Transkulturalität aufgreift. Schließlich zielt er darauf, dass nicht nur kollektive, sondern auch individuelle Identitätskonstruktionen kulturelle Hybride ausbilden. Was hält eine solche Identität zusammen, wie spielen Fremdheit und Vertrautheit zusammen? Wenn auch der Kirche in ihrer Existenz als pilgerndes Volk Gottes ein Fremdlingsdasein eigen ist, erweist sich auch ihre Seelsorge notwendigerweise als interkulturell. Rebecca Marie Hafner fragt nach dem und den Fremden, dem Fremden in mir und den Fremden aus anderen Kulturen und Religionen. Fremdheit spielt mit Angst und Ängsten zusammen, die sich psychologisch und psychotherapeutisch, aber auch philosophisch sowie theologisch und seelsorglich angehen lassen. Wer eigene Hoffnung schöpft oder in eigener Hoffnungslosigkeit jene Hoffnung verspürt, die andere stellvertretend hegen, vermag damit eigene Angst zwar nicht zu überwinden, aber womöglich zu verwinden – in und dank Begegnungen, in denen sich zwischenmenschliche Liebe zu den Nächsten als primärer Akt der Gottesliebe zeigt. Inwiefern birgt kulturelle Vielfalt in Kirche und Gesellschaft, insbesondere in Pastoralteams nicht nur Konfliktpotenzial und kommunikative Herausforderungen, sondern – bei glückendem Diversity Management – auch Chancen dafür, dass Neues in die Welt kommt? Und was trägt dazu Claus Otto Scharmer mit seiner »Theorie U« bei? Martin Kempen stellt sich diesen Fragen, würdigt die Theorie U kritisch und entwickelt daraus pastoralpsychologische Impulse, die in einer innovationsfreundlichen Teamkultur zu kreativen Lernprozessen anstiften können. Mit interkultureller spiritueller Beratung, mit Indigenous Counselling und Interfaith Spiritual Care setzt sich Ulrike Elsdörfer in internationalen pastoralpsychologischen Zusammenhängen auseinander. Sie macht deutlich, dass mit dem Anspruch von compassion Fragen nach Gerechtigkeit laut werden, sich aber zugleich die Aufgabe stellt,

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Klaus Kießling und Jakob Mertesacker

interkulturelle Seelsorge auch als kulturelle Selbstsorge aufzufassen, mit der Beraterinnen und Berater angesichts begrenzter Möglichkeiten im Kampf gegen grenzenlose Not und Ungerechtigkeit grassierender compassion fatigue vorzubeugen suchen. Wie entstehen interkulturelle Konflikte? Wie können wir ihnen vorbeugen – und wie mit ihnen umgehen, wenn sie erst einmal entstanden sind? Peter Claver Narh ist als gebürtiger Ghanaer, der Mitglied einer deutschen Ordensprovinz ist, im interkulturellen Zusammenleben sehr erfahren und benennt Kulturstandards, anhand derer er den Deutschen, wie er sie kennt, einen Spiegel vorhält und kulturspezifische Kommunikationsstile skizziert. So lassen sich Unterschiede aufdecken, die Unterschiede machen. So lassen sich auch Ethnozentrismen als solche entlarven, denen nicht nur die jeweils anderen erliegen. So lassen sich gesprächsweise immer wieder Brücken bauen, die Unverstandenes vielleicht nicht nachvollziehbar, aber erträglich werden und alle Beteiligten an Kultursensibilität gewinnen lassen. Agnes Lanfermann zielt auf einen Beitrag zur »Heilung der Völker« (Offb 22,2). Die biblische Überlieferung zeigt den Menschgewordenen sowohl unterwegs zu Marginalisierten seiner eigenen Kultur als auch unterwegs zu Menschen aus fremden Kulturen; Solidarität und Interkulturalität sind bei Jesus miteinander verwoben. Wenn mit Gottes Menschwerdung unsere Menschwerdung beginnt, kommt es in interkulturellen Auseinandersetzungen auf einen Konfliktstil an, der die Hoffnung nährt, dass wechselseitige Wandlung geschehen mag und Menschen aneinander Mensch werden können. Kann das Festmahl stattfinden? Der Leidensdruck Migrierter und Geflüchteter resultiert daraus, dass sie sich als Ausgegrenzte wahrnehmen. Tobias Keßler setzt diese Diagnose einem exegetischen Experiment aus, indem er das Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen (Lk 15,11–32) als Gleichnis vom ohnmächtigen Vater versteht, der seinen Erstgeborenen nicht zum Einlenken zwingen kann. Dieser hält die Argumente der Etablierten und Eingesessenen bereit, um sich und ihre Interessen strategisch vor denen zu schützen, die sich zu ihnen bewegen, auch wenn es um Schwestern und Brüder geht. Die Haltung des entgegenkommenden Vaters hingegen

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lässt sich als Kritik am dominierenden System und in diesem Sinne als Vorbild für eine Kirche auslegen, die den Weg zum gemeinsamen Festmahl freimacht. Lisa Straßberger lässt politisch verfolgte Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil zu Wort kommen, die Menschen in ihrem Leid und in ihrem Aufbegehren dagegen zeigen, aber auch Menschen in ihrer Mitleidenschaft und ihrer compassion. Diese literarischen Zeugnisse bilden eine Quelle der Inspiration für eine kultursensible Seelsorge: Ihre Trägerinnen und Träger lassen sich berühren, sie solidarisieren sich – von Amts wegen oder anonym – mit Geflüchteten, Suchenden und Leidenden, und sie zeigen Mut, politischen Mut und womöglich wider alle Hoffnung Mut zur Hoffnung auf Gottes Liebe und Gerechtigkeit. Den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die mit ihrer Präsenz und ihrer Mitwirkung zum Gelingen unseres Studientags »Seelsorge interkulturell« beigetragen haben, danken wir für ihre vielfältigen Resonanzen, die uns motivierten, diese Veröffentlichung auf den Weg zu bringen, der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie (DGfP) und ihrem wissenschaftlichen Beirat für einen Druckkostenzuschuss. Diesen Band verstehen wir im Gedenken an Karl Frielingsdorf, den Gründungsdirektor unseres Instituts. Unser Buch schließt darum mit einer Würdigung dieses Pioniers der Pastoralpsychologie.

Seelsorge interkulturell – aus der Perspektive eines Bischofs Bischof Franz-Josef Bode

Über die Einladung zur Feier dieses schönen Jubiläums in diesem illustren Kreis habe ich mich sehr gefreut, zumal ich meine Dankbarkeit und Wertschätzung gegenüber diesem Institut ausdrücken möchte, das nun genauso lange existiert, wie ich selbst Bischof bin. Schon in meiner Zeit als Begleiter der Priesteramtskandidaten von Paderborn habe ich Professor Dr. Karl Frielingsdorf SJ bei einem Kurs für Personen in der Priesterausbildung kennen- und schätzen gelernt. Die Transaktionsanalyse spielte damals eine besondere Rolle. Auch ging es um das persönliche Gottesbild und um echte Persönlichkeitsbildung. Sowohl das Studium in Paderborn bei Professor Dr. Josef Schwermer als Pastoralpsychologen als auch der Kontakt zu Eugen Drewermann als Präfekten hatten mich erkennen lassen, wie wesentlich für eine existenzielle Seelsorge die Vertiefung in die eigene Lebens- und Glaubensgeschichte ist, vor allem in die eigene Psyche, wenn es darum gehen soll, die innere Wahrheit der Menschen, denen wir begegnen, wirklich wahr-zu-nehmen. Bekannt ist der erste Satz der Pastoralkonstitution »Gaudium et spes«: »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.« (GS 1; Rahner u. Vorgrimler, 2008, S. 449) Weit weniger geläufig ist dagegen der zweite Satz, der lautet: »Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren [der Christen] Herzen seinen Widerhall fände« (… quod in corde eorum non resonet) (GS 1, Rahner u. Vorgrimler, 2008, S. 449). Schon hier geht es um die dialogische Struktur der Seelsorge: Nicht nur meine Botschaft hat Resonanz beim anderen zu finden, sondern ebenso hat seine Botschaft, seine Wirklichkeit, seine Lebenswelt Resonanz zu finden in meinem Herzen, sodass wir uns gemeinsam einen Raum eröffnen, in dem der Geist Gottes Resonanz findet. Umso dankbarer war ich für alle Anregungen jenes

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Bischof Franz-Josef Bode

Kurses in Nußdorf am Attersee, aus dem ich viel für meinen weiteren Weg mitgenommen habe. Also Dank und Wertschätzung für die vielen Jahre guter Arbeit dieses Instituts. Im Folgenden möchte ich als »Pastoral-Bischof« aus dem, was ich im Leben aus Theologie, Praxis und Spiritualität erfahren habe, das Meine einbringen. Sie werden spüren, dass von verschiedenen Seiten unterschiedliche Aspekte ineinandergreifen. Mein Verständnis von Seelsorge ist bereits ein wenig durchgeklungen. Weder in der Verkündigung noch in der Pastoral überhaupt und erst recht nicht in der Seelsorge am einzelnen Menschen kann es nur um die Weitergabe eines depositum fidei gehen – möglichst in Wahrheit, Ethik und Moral genau und korrekt. Vielmehr geht es zuerst um eine dialogische Kommunikation, die die Lebenserfahrungen und das Lebenswissen von unterschiedlichen Menschen miteinander ins Spiel bringt. Sie treten in einen echten Dialog ein, um so einen Raum zu öffnen, in dem ein Dritter, der Geist Gottes selbst, wirken kann. Es geht also nicht darum, sich nur gegenseitig anzuschauen, sondern gemeinsam in eine Richtung zu schauen. Dabei leiten mich vor allem zwei Szenen aus dem Neuen Testament: die Berufung der ersten Jünger im Johannesevangelium (Joh 1,35 ff.) und die Emmausgeschichte im Lukasevangelium (Lk 24,13 ff.). Diese kleine Begegnung in Johannes 1 (»Was sucht ihr?« – »Wo wohnst du?« – »Kommt und seht!«) ist der Beginn eines großen Abenteuers, wie Papst Johannes Paul II. es einmal formuliert hat. Sie ist ein zutiefst personales Geschehen: horchen auf die Suche von Menschen; Gegenfragen zulassen oder gar hervorlocken; Neugier wecken; Sehnsüchte wahrnehmen und eine Einladung aussprechen (oder besser selbst eine Einladung sein): Lass dich auf Erfahrungen ein, die neu und anders sind. Jesu Wohnung war es, bei den Menschen zu sein: »[…] der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann« (Mt 8,201). Er ist bei den Menschen und für sie da. Sein Lebensstil, seine Authentizität, seine Identität wird die Jünger zum Bleiben veranlasst haben. 1 Sofern nicht anders gekennzeichnet, folgen die Bibelzitate der Einheitsübersetzung (2016).

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Ähnliches gilt für Lukas (24,13–35) in der Emmausgeschichte (und später in dem Bericht über Philippus und dem Äthiopier in der Apostelgeschichte 8,26–39): sich den Suchenden, Fragenden, Enttäuschten zugesellen; ihre inneren Bewegungen wahrnehmen; dabei einen Moment stehenbleiben und innehalten; wieder weitergehen; sie ins Gespräch bringen über ihre eigenen Worte hinaus; sich dem Leid und der Dunkelheit stellen und Schritt für Schritt das Geheimnis des Lebens tiefer erfassen. Auf dem Weg nach Emmaus bleibt es nicht bei einer Diskussion über etwas, sondern die beiden Jünger laden den Fremden ein mit einem Wort, das zur Gebetsformel werden konnte: »Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt!« (Lk 25,29) Und er lässt sich darauf ein, mit ihnen einzutreten. Das ist ein Grundzug jeder Pastoral, in die Lebenswelt (mit) einzutreten. »Heimsuchung« meint ja nichts anderes, als das Heim, die Lebenswelt des anderen aufzusuchen. Jesus lässt ihnen am Zeichen des Brotbrechens die Augen aufgehen. Sie erkennen: Im Zerbrechen, in den Bruchstellen ihres Lebens ist er da. Jesus macht sich überflüssig, und sie können nicht mehr schweigen wegen ihres brennenden Herzens. Das alles ist bereitet und grundgelegt in Exodus 3, in der Gottesoffenbarung im brennenden Dornbusch und der Sendung des Moses. Die Stichworte dort lauten: sehen, hören, kennen, herabsteigen, hinaufführen. In der Emmausgeschichte ist verdichtet, was Papst Paul VI. uns vor 50 Jahren in seinem Schreiben »Evangelii nuntiandi« aufgezeigt hat als Dimensionen der Evangelisierung, die ebenso für die Seelsorge in einem eigenen Sinn gelten: Lebenszeugnis (Leben), ausdrückliches Wort, Zustimmung des Herzens, konkrete Gemeinschaft, wirksame Zeichen, neuer persönlicher, existenzieller Aufbruch. Letztlich leitet sich mein Verständnis von Seelsorge ab von der schöpferischen, erlösenden und befreienden Tat des dreifaltigen Gottes selbst. Seelsorge, Pastoral, Spiritualität, in welcher Kultur auch immer, bleiben Zeugnis des immer größeren, schöpferischen Gottes, des Vaters, der größer ist als unser Herz (Dynamik des Komparativs!). Sie bleiben Zeugnis Gottes, des Sohnes, der ins immer Kleinere geht, bis in die tiefsten Abgründe des Menschen, bis in ihren Tod, was nicht nur physisch zu verstehen ist; Zeugnis einer alles durch-

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dringenden Liebe im Heiligen Geist, für den Einheit und Vielheit eins sind, da er der Grund der Verschiedenheit der Gaben und Möglichkeiten ist und ebenso der Grund der Einheit in Liebe und Gemeinschaft (Kreuz-Zeichen). Dieser Glaube entspricht zutiefst dem Menschen, was ein Text von Andreas Knapp (2009, S. 9) so ausdrückt: »der eine ein dreifaltiger wunsch nur macht frei einmal ganz ich selber sein eins mit mir einmal mich ganz loslassen in schwerelosem Vertrauen einmal ich und du im wir vereint darin den Einen berühren dreifaltig und einmalig zugleich« Wer von inter-kultureller Seelsorge sprechen will, kann die Vielheit, die Vielfalt und Pluralität nur wirklich annehmen, wenn er aus einem Gottesbild lebt, das Vielheit und Einheit in sich selbst enthält und eben diese Verbindung auch für seine Kirche und seine Botschaft an die Menschen will. Ich verstehe »interkulturell« auf drei verschiedenen Ebenen: (1) zwischen den Kulturen. Gemeint sind die Lebenswelten von Einzelnen, die sie in sich tragen und um sich herum erfahren; Prä-

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gungen, die ihr Leben zu einer »Geschichte« machen von sehr verschiedenen, zum Teil disparaten und spannungsvollen Erfahrungen (biografisch/persönlich). (2) zwischen den Kulturen in unserer derzeitigen pluralen Lebenswelt; in Milieus, Sozial- und Lebensräumen; in segmentierten Lebensbereichen; in der Buntheit der Lebensstile und Lebensformen, die heute zerreißend und bereichernd zugleich erfahren werden (sozial). (3) zwischen den Kulturen, die uns gerade in den letzten Jahren durch jede Form der Migration besonders herausfordernd begegnen (inter-kulturell). Es ist tatsächlich eine neue tiefe Herausforderung, auf die Vielortigkeit und Vielgestaltigkeit des Lebens in Pastoral und Seelsorge vielortig und vielgestaltig zu antworten und dabei den roten Faden nicht zu verlieren, den die Menschen als Orientierung oder zum Aufatmen in der ganzen Hektik und Betriebsamkeit suchen. Weder Enge und Fundamentalismus – heute oft die große Versuchung – noch ein Zerfließen in Beliebigkeit können unsere Antwort sein, weil sie den Menschen in ihrer Sehnsucht (1) nach gelingendem Leben, (2) nach gelingenden Beziehungen, (3) nach gelingender Zukunft und (4) nach Sinn, letztlich nach Gott, nicht gerecht werden. Diese vier Grundsehnsüchte sind allen Menschen gleich, welcher Kultur auch immer. Darauf antwortet eine existenzielle Pastoral. Ich bin davon überzeugt, dass die heutige Herausforderung der Pastoral, in weiten Räumen zu denken, durchaus zu einer Chance für eine interkulturelle Seelsorge (im obigen dreifachen Sinn) werden kann, es aber oft nicht wird. Das ist nämlich nur möglich, wenn der Weite der pastoralen Räume auch eine Nähe zu den Menschen vor Ort und eine Tiefe entspricht, verwurzelt in unserem trinitarischen Taufglauben. Was ich mit der positiven Weite meine, ist das Verständnis der Kirche als ein Netzwerk mit sehr verschiedenen Knotenpunkten, das eine Vielgestaltigkeit und Vielortigkeit der Pastoral zulässt und nicht in falsche Zentralismen verfällt, was einer aufgeblasenen Pfarrei alten Typs entspräche. Pastoral als Gesamtgefüge und Seelsorge als Begleitung werden weiter in territorialen Räumen geschehen, schon wegen des Prinzips der Zugehörigkeit, aber weit darüber hinaus in

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kategorialen Feldern, in personalen Gruppen und Gemeinschaften, in lokal sich einfindenden Gruppen, in temporal mit uns gehenden Suchbewegungen, in den großen diakonalen Feldern (nicht nur organisiert, sondern immer auch in einer unmittelbaren, barmherzigen Zuwendung zu den Menschen), in medialen Verbindungsformen, in dieser neuen sozialen Kultur und in globalen Verbindungen, also den großen Treffen und Events wie Katholikentage, Kirchentage, Weltgebetstreffen oder Weltjugendtage. Auch diese möchte ich nicht gern abtun, weil sie kulturelle Verbindungen und Begegnungen schaffen und letztlich dazu führen, dass Kirche und Glaube aus sich herausgehen (e-venire). Das ist alles nicht immer ideal, aber vital. In dieser Vielgestaltigkeit und Vielortigkeit finden auch der Dialog der Kulturen und die Bemühung um Integration einen besseren Platz, weil sie nicht nur auf ein enges Gemeindebild fixiert sind, sondern auf eine Netzwerkbildung zurückgreifen können. Und wenn wir nun wirklich die Chance einer Kirche der Betei­ ligung ergreifen (participatio actuosa im Vollsinn, nicht nur liturgisch, sondern auch pastoral), in der Getaufte, Gefirmte, Beauftragte, Gesendete und Geweihte sich in ihrem gemeinsamen Kirche-Sein, aber auch in ihrem gemeinsamen Kirche-Werden verstehen und in der Männer und Frauen, Alte und Junge, gewohnte und neue Christinnen und Christen (»Juden und Heiden«) sich einlassen auf die Herausforderungen der jetzigen Zeit und der jeweiligen Menschen verschiedener Herkunft, wenn wir diese Chance ergreifen, dann ist etwas möglich, was dem pfingstlichen Ursprung der Kirche entspricht. Die zentrale Herausforderung unserer Zeit ist doch die Sorge um das gemeinsame Haus der Schöpfung und der Menschheitsfamilie, wie Papst Franziskus uns aufzeigt, die sich den Zeichen der Zeit stellt mit ihrer Individualisierung, Pluralisierung, Säkularisierung, Interreligiosität und Intersäkularität. Dabei sind Multikulturalität, Interkulturalität und Transkultu­ ralität zu unterscheiden: ȤȤ Multikulturalität bezieht sich auf die sozialen Strukturen einer Organisation oder Gesellschaft. Im Sinne der Multikulturalität wird davon ausgegangen, dass es nicht zur Verschmelzung der verschiedenen Kulturen kommt, sondern dass sie nebeneinander bestehen.

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ȤȤ Unter Interkulturalität versteht man das Aufeinandertreffen von zwei oder mehr Kulturen, bei dem es trotz kultureller Unterschiede zur gegenseitigen Beeinflussung und Bereicherung kommt. ȤȤ Der Begriff der Transkulturalität geht im Gegensatz zur Interkulturalität und Multikulturalität davon aus, dass Kulturen nicht homogene, klar voneinander abgrenzbare Einheiten sind, sondern, besonders infolge der Globalisierung, zunehmend vernetzt und vermischt werden. Die Transkulturalität umschreibt genau diesen Aspekt der Entwicklung von klar abgrenzbaren Einzelkulturen zu einer Globalkultur. Papst Franziskus animiert uns doch zu einer solchen Kirche in ihrer Mission, Pastoral, Seelsorge und Spiritualität. Er betont, dass jede und jeder eine Mission ist, sie nicht nur hat, sondern selbst ist. »Ich bin eine Mission auf dieser Erde«, sagt er: »und ihretwegen bin ich auf dieser Welt. Man muss erkennen, dass man selbst ›gebrandmarkt‹ ist für diese Mission, Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien« (Evangelii Gaudium [EG] 273; Papst Franziskus, 2013, S. 184). Er stellt die großen Dialoge heraus, die doch inter-kulturelle Seelsorge erst ermöglichen: der Dialog zwischen Glaube, Vernunft und den Wissenschaften (EG 242–243; Papst Franziskus, 2013, S. 164 f.), der ökumenische Dialog (EG 244–246; Papst Franziskus, 2013, S. 166), die Beziehungen zum Judentum (EG 247–249; Papst Franziskus, 2013, S. 167 f.), der interreligiöse Dialog (EG 250–254; Papst Franziskus, 2013, S. 169 ff.) und der soziale Dialog in einem Kontext religiöser Freiheit (EG 255–258; Papst Franziskus, 2013, S. 172 ff.). Ebenso sind die Grundprinzipien noch nicht ausgeschöpft für Pastoral und Seelsorge, die der Papst in einem philosophisch anmutenden Kapitel von »Evangelii gaudium« darstellt: Die Zeit ist mehr wert als der Raum; Prozesshaftigkeit (EG 222–225; Papst Franziskus, 2013, S. 154 ff.); die Einheit wiegt mehr als der Konflikt (EG 226–230; Papst Franziskus, 2013, S. 156 ff.); die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee (EG 231–233; Papst Franziskus, 2013, S. 158 ff.);

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das Ganze ist dem Teil übergeordnet (EG 234–237; Papst Franziskus, 2013, S. 160 ff.). Das umzusetzen, ist nur möglich, wenn Kirche und Seelsorge viele Gesichter haben, ebenso die Leitung und die Struktur. Vonnöten ist eine charismen- und ressourcenorientierte Pastoral und zugleich eine individuelle Seelsorge, um den Menschen in ihren »Kulturen«, das heißt in ihren Lebenswelten, Lebenslagen, Lebensstilen und Lebensformen, begegnen zu können. Das setzt das Teilen von Verantwortung voraus und das »Mit-teilen« persönlicher Erfahrungen mit Gott und den Menschen. Dazu gilt es möglichst viele zu befähigen: zum Mitteilen und Teilen, zum Zeugnis und zur Verantwortung. Es ist eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf, eine Kirche der Beteiligung aufzubauen, die mit der Vielfalt ihrer Gaben Humanisierung und Evangelisierung vor Ekklesialisierung und Sakramentalisierung fördert. Jetzt gibt es noch viele Gesendete und Geweihte, also hauptamtlich Wirkende, und jetzt gibt es noch viele Getaufte und Gefirmte, die zu verschiedenen Beauftragungen bereit sind, wenn wir ihnen den Raum und die Möglichkeiten eröffnen, aus ihren eigenen Kulturen mit den verschiedenen Kulturen (im weiten Sinn) in Dialog zu treten. Dazu brauchen etwa unsere Sakramente – die sieben großen Zeichen – ein weiteres Umfeld von Sakramentalien, Riten, Gesten und Gebräuchen, die den jeweiligen Situationen und Gewohnheiten der Menschen gerecht werden. Dazu brauchen wir auch eine Sprache, die mehr Lebenserfahrung atmet, ohne zu banalisieren. Dazu brauchen wir mehr eine Pastoral der Unterscheidung, die aus dem Schwarz-Weiß- und Alles-oder-nichts-Denken herausführt in eine differenzierte, »an-spruchs-volle« Seelsorge, wozu uns der Papst in seinem Schreiben »Amoris laetitia« (Papst Franziskus, 2016) besonders motiviert. Im Bistum Osnabrück vergewissern wir uns alle fünf Jahre in einem »Pastoralen Zukunftsgespräch« der aktuellen Herausforderungen. Wir gehen dabei einen stets gemeinsam angelegten Weg in den Planungen für die pastoralen Strukturen und Formen, der die Verschiedenheit der »pastoral-kulturellen« Räume unseres Bistums berücksichtigt. Wir suchen nach der Balance von Weite, Nähe und Tiefe und der Balance von Ökonomie, Ökologie und Öku-

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mene (nach einem »Haus« des familiären Miteinanders). Wir haben die Grundworte des kirchlichen Dialogprozesses der vergangenen Jahre in Deutschland aufgegriffen – Kommunikation, Compassion und Partizipation – und begonnen, sie unter dem Leitmotiv »Kirche der Beteiligung« neu umzusetzen durch erweiterte Beauftragungen von Laien etwa zum Beerdigungsdienst, durch die Bildung von Gemeindeteams vor Ort, durch neue Leitungsmodelle und die Einsetzung von pastoralen Koordinatoren und anderem mehr – und auch durch ein Jahr der Entschleunigung und Reduzierung von Vorgängen auf allen Ebenen unter dem Leitwort »[…] damit [sie] zu Atem kommen« (Ex 23,12), um zu einer tieferen Gründung im Wesentlichen zu finden. Das kann zu einer »Befreiung der Priester zur Seelsorge«, zu einer Beteiligung zwischen hauptamtlicher Profession und ehrenamtlicher Lebenskompetenz führen und zur Einbeziehung der Beratung in die Pastoral (beispielsweise in »Häusern für Kinder und Familien« statt der klassischen Kindergärten; gerade da findet sich ein wesentliches Feld interkultureller Einübung). Was die drei Ebenen der inter-kulturellen Seelsorge betrifft – (1) persönliche Erfahrungsvielfalt und Leben in verschiedenen Kontexten und Kulturen, (2) Pluralität der Milieus und Lebensräume von Menschen bis in ihre schulische Wahrnehmung, in Kunst und Kultur und (3) die Multikulturalität der Menschen, die unsere Migrationskirchen ausmachen (in Bremen bei 122 Nationalitäten 50 Taufen von Migrantinnen und Migranten) –, so lernen wir erst schrittweise, die damit verbundenen Herausforderungen als positive Möglichkeit, als Chance oder gar als Bereicherung zu begreifen. Unsere Drei-Religionen-Schule (das ist eine katholische Grundschule mit christlichem, jüdischem und muslimischem Unterricht und der gemeinsamen Feier der Feste) ist ein spannender Versuch, schon Kinder in eine Interreligiosität einzuüben. Ebenso gibt es eine jüdische Gruppe in einem katholischen Kindergarten. Unabhängig davon: Was die weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich für unsere Pastoral und Seelsorge bedeutet, auch die zunehmende Digitalisierung der Wirklichkeit und der Umgang mit virtuellen Kulturen (und vielleicht auch Unkulturen), das ist noch kaum wirklich erkannt.

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Herausforderungen, Chancen, Möglichkeiten: Wir sind berufen, sie zu gestalten und zu nutzen in einer Weise des Aufeinander-­ Zugehens, des Miteinander-Gehens, des In-Beziehung-Tretens mit anderen, die dem Geist Christi entspricht. Lassen Sie mich schließen mit einem weiteren Wort von Papst Franziskus: »[D]ie wirklich gesund und nicht krank machende Weise, mit anderen in Beziehung zu treten, [ist] eine mystische, kontemplative Brüderlichkeit […], die die heilige Größe des Nächsten zu sehen weiß; die in jedem Menschen Gott zu entdecken weiß; die die Lästigkeiten des Zusammenlebens zu ertragen weiß, indem sie sich an die Liebe Gottes klammert; die das Herz für die göttliche Liebe zu öffnen versteht, um das Glück der anderen zu suchen, wie es ihr guter himmlischer Vater sucht. Gerade in dieser Zeit und auch dort, wo sie eine ›kleine Herde‹ sind (Lk 12,32), sind die Jünger des Herrn berufen, als eine Gemeinschaft zu leben, die Salz der Erde und Licht der Welt ist« (EG 92; Papst Franziskus, 2013, S. 71)  – miteinander für alle. Interkulturell kann Seelsorge nur sein im wirklich ganzheitlichen »Inter-esse« unter den Menschen und im Vertrauen auf einen Gott, der für alle (!) da ist. Solche Seelsorge ist dann im Vollsinn »katholisch« zu nennen: ganzheitlich für alle und mit allen für alle.

Seelsorge interkulturell – aus der Perspektive eines Pastoraltheologen Ottmar Fuchs

1 Hinführung 1.1  Seelsorge als interkulturelles Unternehmen Zwei Begriffe, zwei Wirklichkeiten werden in diesem Titel lakonisch kurz zusammengebracht: Seelsorge und interkulturelle Kompetenz oder besser interkulturelle Haltung1. Auf den ersten Blick erscheint der Begriff »Seelsorge« etwas spezifisch Kirchliches zu sein. Doch war Seelsorge immer auch so etwas wie eine Verbindung zwischen innen und außen, denn gerade die Seelsorge kam auch mit Menschen in Kontakt, die entweder fernstehend waren (wie etwa in der Kasualpastoral) oder aus anderen Kulturen und Ländern kamen. Der gemeinsame christliche Glaube war dann geradezu die Ermöglichung interkultureller Offenheit, etwa wenn es in den 60er-Jahren um die Offenheit von deutschen Katholikinnen und Katholiken für zugereiste italienische und spanische Katholikinnen und Katholiken ging (Fuchs, 1988). Viele Seelsorgebereiche befinden sich längst in der Überbrückung zwischen innen und außen: die Tourismusseelsorge, die Gefängnisseelsorge, die Krankenhausseelsorge, die Telefonseelsorge, die Betriebs- und Arbeiterseelsorge und vieles andere mehr. Eine zumindest potenziell interkulturelle Qualität liegt in der »Natur« der Seelsorge selbst. Heute ist es spannend, wie muslimische Verantwortliche und Institutionen, angeregt durch die Seelsorgepraxis und Seelsorge1 Der Begriff der Haltung beinhaltet nicht nur die Fertigkeit und die Fähigkeit, auf Bestimmtes angemessen zu reagieren, sondern auch die Offenheit dafür, sich auf Felder zu begeben, wofür man noch keine oder wenige Kompetenzen erworben hat oder wofür erworbene Kompetenzen nicht sehr förderlich sind. Der Kompetenzbegriff darf in seiner curricularen Verengung nicht die Offenheit für das Überraschende und Unplanbare schmälern, er erscheint demgegenüber zu fertig, zu machbar, zu asymmetrisch, zu machtförmig, wenn er nicht mit einer ganz bestimmten gegensteuernden Haltung verbunden ist.

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institutionen im christlichen Bereich, auch im eigenen Bereich ähnliche Seelsorgekompetenzen wahrnehmen und bis hin zur entsprechenden Professionalisierung mitgehen. Dabei lassen sie sich durchaus auf die entsprechenden interdisziplinären Formate (etwa mit Humanwissenschaften) ein.2 Also: Es gibt längst eine interreligiöse und interkulturelle Praxis der christlichen Seelsorge. Dabei lohnt es sich allerdings, nochmals genauer hinzuschauen auf das gegenseitige Verhältnis von christlicher Seelsorge und einer Haltung, die diese Seelsorge als Brücke zu allen Menschen begreift, und zwar aus ihrer eigenen inhaltlichen Identität heraus. Es geht also nicht nur darum, was der interkulturelle Diskurs und was die interkulturellen Praktiken für die Seelsorge austragen, sondern mir geht es im Folgenden vor allem darum, ob und wie die christliche Seelsorge genau in dieser Offenheit ihre eigene Identität realisiert und vertieft. Wie sieht also die gegenseitige Entdeckungsund Erschließungskraft von Seelsorge und Interkulturalität aus? Was trägt die interkulturelle und interreligiöse Herausforderung für die christliche Seelsorge in ihrem eigenen Wesen aus? Dies ist immer die Frage nach den Zeichen der Zeit, nämlich wie die Verhältnisse einer Zeit die Inhalte der Tradition in neuem, manchmal überraschend anderem Licht erscheinen lassen. Hier kann ich selbstverständlich nur einige Aspekte zur Geltung bringen. 1.2 Überblick Meine Basisthese lautet: Die Seelsorge ist in sich selbst eine Begegnung mit dem anderen in anderen Menschen: mit seiner Krankheit, seinem Gefangensein, seiner Anonymität (am Telefon), seiner anderen Situation und seinem anderen Charakter. Oft spielt auch Interkulturelles und Interreligiöses mit. Denn die Subkulturen 2 Vgl. die Fachtagung »Islamische und christliche Seelsorge. Begegnung und Beziehung in sozialen und religiösen Räumen« am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück am 20. März 2018. In solcher Kooperation entsteht so etwas wie eine interreligiöse und auch interkulturelle Seelsorgewissenschaft mit der entsprechenden Ausbildung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern in beiden religiösen Bereichen wie auch in ihren Überlappungen in den Institutionen, in denen diese Seelsorge beansprucht wird, wie etwa in Krankenhäusern, Gefängnissen u. ä.

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und Subreligionen, in denen die Menschen in unserer »Kultur« leben, sind immens und sich gegenseitig oft sehr fremd. Diese Erfahrung interpersonaler und interkultureller Akzeptanz und Anerkennung in der Seelsorge ist der »Indikativ«, ist der Zuspruch, der den Anspruch für die Beteiligten aus sich heraustreibt, diese Erfahrung auch auf andere zu übertragen und ihnen zugutekommen zu lassen. Dies ist Seelsorge, dazu öffnet Seelsorge: nicht in der Wenn-Dann-Struktur, sondern in der Gabe-Struktur von Empfangen und Geben. Bei aller diakonischen bzw. therapeutischen Vorsicht: Seelsorge ist kein Bestätigungsunternehmen, sondern hat auch prophetische Qualität – im Sinne der sozialkritischen (Amos) wie auch der gotteskritischen (Hosea) Prophetie. Wenn es möglich ist, dann liegt in der Seelsorge auch die Verantwortung, sie als einen Raum zu begreifen, aus dem heraus Veränderung und Umkehr möglich sind. Nicht im Sinne von Postulaten und Moralisierungen, sondern dass aus der Gnade, wie sie hoffentlich in der Seelsorge erfahren wird, auch das entsprechende Verhalten anderen gegenüber möglich wird. Sicher, man kommt oft nicht darüber hinaus, in der wie immer gearteten »Therapie« zu verharren, um den Menschen nicht zu überfordern und die gute Wirkung nicht vorschnell in Gefahr zu bringen. Aber es ist wichtig, dass die Dynamik auf die prophetische Dimension der Seelsorge offengehalten wird. Es geht nicht nur um Wohlfühlstrategie, sondern auch um die Weitergabe des Wohlfühlens. Dazu gehört auch die Ermöglichung von Schulderfahrung, was nicht bedeutet, dass Schuld oder Sünde induziert werden müssten oder dürften, sondern dass reales böses Handeln und Leidzufügen als Schuld erkannt werden, im Horizont der Rechtfertigung Gottes dann als eine Schuld, die von Gott her niemals mit Wertschätzungsund Liebesentzug bestraft wird. Der Zuspruchanteil ist bedingungslos und wird nicht an die Bedingung gebunden, dass er zum Solidarerfolg führt. Wenn das klar ist, ist dennoch der Blick offen zu halten für den entsprechenden Anspruch, etwa von Sühne, der dann auf seine Weise eine Lebenshilfe sein kann. Dies gilt auch insofern, als die Seelsorge die kritische Kraft, die in ihr zur Sprache kommt, für möglicherweise ganz andere Bereiche aufsucht, eine Bedeutung, die weit über die Seelsorgeinstitution hinaus Geltung zu beanspruchen vermag (Fuchs, 1993a,

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S. 102–144). Die Seelsorge ist also nicht fertig, wenn sie geholfen hat, sondern wird dies als eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit erfahren, wenn sie damit nicht in den Bereich der Weitergabe von Solidarität weiterkommt. Interkulturell offene Haltung lebt von der fruchtbaren Spannung zwischen Profilklarheit und reziproker Kommunikation, zwischen Ich-Stärke und Solidaritätskraft, zwischen Charisma und Hingabe. Worin besteht diese hochflexible und sensible »Identität« christlicher Seelsorge? Davon einen Begriff und eine Spiritualität zu »haben«, dazu mögen die folgenden Gedanken eine Hilfe sein.

2  Herausforderungen vom interkulturellen Bereich her 2.1 Gegenseitigkeit Von der interkulturell sensiblen Wende in der Ethnologieforschung ist für die Seelsorge manches zu bestätigen, was letztere weitgehend bereits beherzigt hat (Nauer, 2001, 2007). Joachim Matthes (1967) hat in seiner Einführung in die Religionssoziologie den bisherigen kulturellen Ethnozentrismus seiner Disziplin bloßgestellt. Die Unterscheidungen zwischen rational und mystisch, profan und sakral, natürlich und übernatürlich, zwischen handeln und glauben beziehen sich auf Unterscheidungen, die in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt wurden. Denn darin war »der politische Anspruch des Bürgertums enthalten, sich von klerikalen Bevormundungen zu befreien« (Kippenberg, 1987, S. 39). So wird das Erklärungsmodell der Religion, wie es in der aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft entstanden ist, auch zur Beschreibung der sogenannten primitiven Religionen und Gesellschaften herangezogen. »So verdanken sich Beschreibung und Erklärung der Religion in primitiven Gesellschaften der bürgerlichen Sicht der Religion.« (Kippenberg, 1987, S. 39) Hans G. Kippenberg fragt mit Recht hinsichtlich der Unterscheidung von Gesellschaft und Religion, ob man mit dem dahinterstehenden Emanzipations- und Aufklärungsmodell nicht genau an den Beobachtungen vorbeigeht, die ebenfalls das Emanzipatorische in anderen Kulturen zu entdecken vermögen: So erscheinen zunehmend die Resultate der ethnozentrischen Ethnologieforschung als Ergebnisse ihrer eigenen Prämissen. Aus diesen Prämissen

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herausfallende Wirklichkeitsanteile können nicht gesehen werden. Was die von der Wissenschaft beobachteten Menschen selbst über ihre Rituale denken, bleibt für die Interpretation relativ unerheblich, sind sie doch von vornherein als primitiv oder in falschem Bewusstsein eingestuft. Dies hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich geändert. Der »Actor«-Standpunkt (also das Bewusstsein derer, die untersucht werden) hat nicht nur irgendeinen additiven Stellenwert, sondern gewinnt zentrale methodische Bedeutung. Der Standpunkt des forschenden Menschen wird nicht gleichgültig, verliert aber sein hermeneutisches Monopol und muss sich durch die intersubjektive Evidenz kritisieren und einholen lassen. Man wird sich zunehmend einig, dass für das Verstehen »primitiver« Völker »deren Vorstellungen im Kontext ihrer Handlungen zu interpretieren [sind] und umgekehrt« (Kippenberg, 1987, S. 43). Alles läuft auf die »Forderung hinaus, das hermeneutische Verhältnis zwischen den Selbstbeschreibungen primitiver Völker und unseren Handlungsbeschreibungen zu untersuchen« (S. 433). Genau dies erfordert eine spezifische Begegnungskultur der Forschenden im partiellen Miterleben der teilnehmenden Beobachtung (Malinowski, 1975). Der oder die Forschende hat keinen Vogelblick, sondern ist selbst involviert. Der wichtigste Fortschritt dieses Vorgangs besteht darin, dass die Beziehung zu den untersuchten Menschen eine neue Qualität bekommt (Fuchs, 2006). Ihr Handeln ist nicht mehr (nur) Objekt der Forschung, sondern sie werden selbst als Subjekte ihrer Handlungen und damit der Forschung einbezogen und ernst genommen. Und auch die kontingenten Voraussetzungen der Forschenden und ihre Kontexte kommen mit ins Spiel. Dann erst spiegelt sich die Ethik der reziproken Anerkennung und des gleichstufigen Existenzrechts der Kulturen im methodischen Zugriff selbst (Geertz, 1987). Sensibilität verbindet sich mit analytischer Genauigkeit und konzeptioneller Kreativität. Manchmal wünscht man, dass sich so eine Wende auch in anderen Systemen ereignete: in der Medizin, in der Psychiatrie, in mancher Consultingpraxis, in Politik und Wirtschaft und besonders in 3 Zur Öffnung für den Actor-Standpunkt s. Kippenberg, 1987, S. 14 f.

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den Kirchen. Die christliche Seelsorge steht hier in der Praxis wie in der Reflexion ziemlich gut da, manchmal auch im Kontrast zu den Feldern, in denen sie tätig ist. Grundlegend ist die ethische Einstellung, dass das Fremde zwar bis zu einem gewissen Grad beschreib- und erzählbar ist, aber oft schon nicht bis zu diesem Grad und schon gar nicht über diesen Grad hinaus interpretativ aufgelöst werden kann; dass es dann also wissenschaftlicher ist, Unverständliches unverständlich zu lassen, als mit Gewalt reduktionistische Kategorien einzuführen, die umso weniger ermöglichen, als sie erzwingen wollen. Dann verbietet sich die Möglichkeit, Unverstandenes in die Restkategorie des Konfusen, Irrationalen und Pseudorationalen abzudrängen, weil man nicht mehr die eigene Rationalität zum Maßstab der Rationalität überhaupt erhebt. Dies wäre Kolonialisierung im Verstehen, mit der Eroberungsmentalität, alles dem eigenen Verstehenszugriff unterwerfen zu können (Kippenberg, 1987). Die Frage, »nach welchem Vorbild die Rationalität dessen, was uns als irrational erscheint, zu konstruieren sei« (Kippenberg, 1987, S. 42), kann da nicht mehr leicht und vor allem nicht mehr einbahnig beantwortet werden. Je mehr man zu verstehen versucht, desto mehr werden dann auch die eigenen Normen der Rationalität aufzusprengen sein (Kippenberg, 1987). »In einer globalisierten Welt werden nie alle alles verstehen können, egal wie viele Dialogbemühungen es gibt. Das Verstehen kann also letztlich nicht die Bedingung der Anerkennung eines friedlichen Miteinanders sein. Auch was nicht verstanden wird, darf in seiner Existenz nicht gefährdet sein. Die Anerkennung der Anderen als Andere gilt es einzuüben!« (Bechmann, 2009, S. 347) 2.2  Exposure-Erfahrung Für den interkulturellen und interreligiösen Bereich bedeutet dies: dass wir oft sozialpolitisch keine Zeit haben, erst einmal die andere Seite gründlich in ihrer Geschichte und in ihrer Gegebenheit kennenzulernen und zu verstehen, sondern dass jetzt das Verhalten unbedingt zu verändern ist, damit für benachteiligte Seiten eine Hilfe für das Leben erfahren wird. Verstehen ist wichtig und

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notwendig und erleichtert Solidarität, darf aber nicht zur Bedingung der letzteren werden. Diese Einsicht erschließt auch ein Wesensmerkmal der Seelsorge: Die Restkategorie des Geheimnisses gehört zum Grenzbewusstsein jeder Begegnung und Methode, nämlich mit dem Unverstandenen der anderen Wirklichkeit ihr Geheimnis zu lassen. Und vor allem das eigene Verstehen nicht zur Bedingung der Anerkennung zu machen. Verstehen gilt dann nicht als Maßstab der Kritik, sondern die Kritik des Verstehens gilt als Maßstab dafür, Unverstandenes zu schützen. Es geht um die Qualität einer unzugriffigen Seelsorge, ohne den Zugriff, Recht haben zu wollen und die Situation und die Kommunikation »von oben« oder »von außen« bewältigen zu müssen oder zu können. Es gibt keinen archimedischen Punkt, mit dem gekreuzigten Gott im Rücken schon gleich gar nicht. Seelsorge ist oft für die Beteiligten eine Exposure-Erfahrung. »Ein Exposure ist eine selbstgewählte Ausgrenzung aus der normalen Lebenswelt mit dem Ziel, sich neuen Erfahrungen auszusetzen, die den Alltag unterbrechen und den eigenen Horizont erweitern« (Bauer, 2012, S. 20) –   besser verändern. Es handelt sich um einen »freiwilligen Ausschluss aus den gewohnten Kontinuen aus Raum, Zeit und Beziehungen«, um eine »erfahrungsbezogene Alltagsüberschreitung« (Bauer, 2012, S. 20).4 Simone Weil hat 1934 in ihrem persönlichen Fabrikerfahrungstagebuch genau diesen Wechsel von der einen in die andere Welt hinein eindrucksvoll beschrieben (Bauer, 2012, S. 25 ff.). »Aus meinem Experiment habe ich […] zwei Lehren gezogen. Die erste, am bittersten und am überraschendsten, ist, dass die Unterdrückung […] nicht Revolte hervorruft, sondern […] Unterwerfung […]. Die zweite Lehre ist, dass die Menschheit in zwei Kategorien eingeteilt wird: wertvolle und wertlose Leute. Gehört man zur letzten Kategorie, findet man es schließlich ganz natürlich, wertlos zu sein.« (Weil, 1978, S. 154) 4 Die Pastoral des Zweiten Vatikanums lässt sich als eine Exposure-Prozedur präzisieren.

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Und: »In diesen Monaten der Sklaverei habe ich viel gelitten, aber um nichts auf der Welt wünschte ich, sie nicht durchstanden zu haben. Sie erlaubten mir, mich selbst zu prüfen und mit der Hand all das zu berühren, was ich mir nur hatte vorstellen können. Ich gehe jetzt anders daraus hervor, als ich hineinging« (Weil, 1978, S. 27). Die Seelsorge geht davon aus, dass es zunächst im guten Sinn des Wortes eine vorhersehbare seelsorgliche Betreuung gibt, dass aber der Begegnungsprozess für eine Dynamik offen ist, in der immer mehr ein partnerschaftliches Verhältnis mit jeweils gleichwichtigen Eigenanteilen möglich und überhaupt das Ende offen ist. Sodass in der Seelsorge die Betroffenen selbst etwas zu sagen haben (vgl. Mt 10,15), gerade aus ihrer besonderen Situation heraus, ein Wort, das zum Wahrnehmungs-, dann auch zum Ortswechsel drängt. Damit unterläuft die Seelsorge andersgeartete Systeme, wie etwa das medizinische System, in dem der Mensch mit seiner Krankheit zum Patienten wird, dessen Krankheit weitgehend von anderen definiert wird, und zwar als Defizienzmodus seiner Existenz, der zu beheben ist. Dass gerade kranke und behinderte Menschen für die menschliche Existenz eine Auskunftskraft haben, kommt hier weniger zum Vorschein. Seelsorge ereignet sich nicht als einseitiger Sieger­diskurs, in dem von einer Seite die Antwort kommt. Vielmehr geht es hier auch um die Akzeptanz des oder der anderen, wenn man nicht viel versteht und keine Antworten hat, wenn man Einfluss verliert. Wenn man nichts mehr sagen, sondern nur noch die Hand halten kann. Es geht überhaupt um die vorgängige Bedeutung solch praktisch werdender Haltungen für die Möglichkeit neuer Haltungen. Wie mir vor Jahren erzählt wurde: Eine muslimische und eine christliche Familie wohnen in Nachbarschaft zueinander, gehen gut miteinander um, in Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Bis eines Tages die muslimische Frau zur christlichen Nachbarin sagt: »Ich kann es nicht mehr aushalten, glauben zu müssen, dass ihr nicht in den Himmel kommt.« Reziproke Lebenssorge geht nicht nur dem Verstehen voraus, sondern verändert es auch.

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2.3 Lebenssorge 1970 ist der Salesianerpater Rudolf Lunkenbein in Merúri bei den Bororo-Indios im Amazonasgebiet des Mato Grosso. Er hat den Auftrag, diesem Stamm das Evangelium zu verkünden. Schon bald merkt er aber: Der ganze Stamm ist vom Aussterben bedroht. Und dies ist kein Naturereignis, sondern ein von Menschen verschuldetes Geschehen. Dahinter steht die Auseinandersetzung mit den weißen Großgrundbesitzern und Siedlern, die immer weiter in das Gebiet der Indios eingedrungen sind und kurz davor stehen, alles unter sich zu verteilen. Weil die Indios in dieser Auseinandersetzung immer mehr ihre Lebensgrundlage, den Regenwald, verloren haben, haben sie resigniert. Ab Mitte der 1960er-Jahre bauen sie keine neuen Hütten mehr; auch haben sie damit aufgehört, ihre eigene Sprache zu pflegen. Die Frauen trinken die empfängnisverhütende Kraft einer Waldpflanze. Sechs Jahre lang kommen keine Kinder mehr zur Welt. Der ganze Stamm hat sich zum Sterben gelegt.

»Zunächst einmal gilt es, diesen Menschen auf den Weg zurück ins Leben zu helfen […]; ihnen klarzumachen, was in ihnen steckt, welche Kräfte sie einfach brachliegen ließen. Welch großartige Traditionen sie einfach verkommen ließen. Ich habe mich für sie eingesetzt, ihre Rechte für sie verteidigt.« (Röhrig, 1978, S. 14) Die Indios müssen nicht anders werden oder anderswohin gehen, um leben und überleben zu dürfen. Ihr Lebensrecht ist bedingungslos. Kein Sosein kann ihr Dasein in Gefahr bringen. Seelsorge gibt es nicht ohne die Leibsorge. Und genau darin liegt ihre wesentliche, aus ihr selbst kommende interkulturelle Kraft, denn zum Leibrecht gehört das Recht auf einen eigenen sozialen Leib, auf eine eigene kulturelle Identität. Vor diesem Hintergrund versteht man, wie glücklich Pater Lunkenbein über die erste Taufe bei den Bororo-Indios ist, nicht nur, weil hier wieder gefeiert wird, dass Kinder in die Gnade Gottes hinein geboren werden, sondern weil sie überhaupt geboren werden. Mit Pater Lunkenbein wachsen bei den Indios wieder Selbstvertrauen, Lebensmut und Hoffnung. In diese Erfahrung hinein kann dann

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auch das Evangelium Platz greifen: das Vertrauen auf einen Gott des Lebens, der mit Barmherzigkeit und Gerechtigkeit kommt. Denn gerade so ist ihnen der Pater begegnet. Das Vertrauen in das Leben, das Pater Lunkenbein den Indios wieder vermitteln kann, wird zur Basis des Gottvertrauens. Lunkenbein bedroht nicht das Leben der Indios, damit sie sich zum Glauben bekehren, sondern er schützt und schätzt ihr Leben, damit sie in einer solchen Begegnung an einen Gott zu glauben vermögen, der auch ihr Leben und Überleben will. So sagt er: »Denn im Einsatz für das Leben wird Gottes Liebe und Lebenswille bei den Indianern sichtbar.« (Röhrig, 1978, S. 29) Deutlich genug erkennt Lunkenbein: Missionarische Seelsorge ist keine Mitgliederwerbung, sondern interkulturelles Teilnahmegeschehen. Wie ist dies erfahrbar? Wie entstehen eine solche Einstellung und Haltung?

3 Übertragungen 3.1  Erinnerung an meinen Großvater Mein Großvater, Kleinbauer auf einem fränkischen Dorf, hat, als im Nachbardorf jüdische Familien von den Nazis deportiert wurden, im geschützten Kreis seiner Familie gesagt: »Wenn ich als Jude geboren wäre, wäre ich auch ein Jude.« Damit hat er die Ebenbürtigkeit aller Geborenen behauptet. Denn, das hätte er dazusagen können: »Ich hätte dann doch das gleiche Recht zu leben und gut zu leben wie jetzt, auf der anderen Seite derer, die nicht abgeholt wurden.« Ein starkes Wort der Empathie, der Wahrnehmung von Gerechtigkeit, der antirassistischen Einsicht, dass mit der Geburt allein bereits die Ebenbürtigkeit aller Menschen gegeben ist und dass man sich letztere nicht erleisten muss. Und dass man sie auch nicht verlieren kann und darf. Ein starkes Wort, das alle Differenz durch die gemeinsame Geburt unterläuft, ohne die Differenzen zu verkleinern. Mögen sich die Menschen in ihrem Sosein unterscheiden und darin auch gegensätzlich sein, sie verlieren niemals ihr Recht auf ihr Dasein. Der Großvater übertrug das eigene Geburtsrecht auf alle anderen, im Gegensatz zu denen, die es den anderen absprachen und nur für sich beanspruchten.

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3.2  Übertragbarkeit auf andere Eine Nächstenliebe über die Liebe hinaus, die vital (in Freundschaft, in der Liebe, Kindern gegenüber usw.) geschenkt ist, ist normalerweise etwas »so Schweres und so gar nicht Selbstverständliches, dass sehr Viele nie über klägliche Versuche hinauskommen« (Coudenhove, 1933, S. 76). So ist es dann ein Ereignis der Selbstzucht, der Askese, auch der Pflichterfüllung, über die geschenkte Liebe hinaus Liebe zu geben, gütig zu sein, wo sich diese Güte nicht vital einstellt. Schauen wir kurz auf die Heilige Elisabeth. Elisabeth ist fähig zu einem vitalen Leben. So kann sie ausgelassen feiern, sodass ihr Verhalten »bei festlichen Mahlzeiten zu den Anstößigkeiten ihrer Lebensführung am Hofe gehört hatte« (­Leppin, 2007, S. 454). Sie ist fähig zu einer intensiven Gattenliebe. Die Geschichten, die ihre Beziehung zu ihrem Mann betreffen, machen dies sehr deutlich. Es ist eine sinnliche, in die leibliche Zärtlichkeit hineingehende Liebe. Diese vitalen Bereiche der Liebe »erster Ordnung« werden für Elisabeth zum Erfahrungsort, um die gleiche Vitalität und Unendlichkeit auch in die Liebe »zweiter Ordnung« den Kranken und Armen gegenüber zu übertragen, ohne dabei die Vitalität der ersteren zu verlieren (Fuchs, 2011a). Irgendwie gewinnt Elisabeth die zweite Empathiefähigkeit zu einer Liebe völlig fremden bedrängten Menschen gegenüber. Diese Transformation beginnt nicht erst mit dem Tod ihres Gatten Ludwig, sondern bereits parallel mit dieser Liebe. So legt sie, als Ludwig auf einem seiner Waffengänge ist, einen Aussätzigen in das Bett ihres Gatten, berührt und pflegt ihn. Hier verdichtet sich genau dieser Zusammenhang: In das gleiche Bett, wo sie die Liebe mit ihrem Gatten lebt, legt sie den Aussätzigen und zeigt darin, dass zwar mit anderer, aber mit gleicher Liebesintensität dieser im Mittelpunkt ihrer leiblichen Hingabe steht. Alban Stolz (1923, S. 69) erzählt die Legende so, dass der heimkehrende Landgraf, als er den Vorhang vom Bett zurückzieht, tatsächlich den Gekreuzigten in seinem Bett sieht. Im Wunder kommt der geglaubte »Hintergrund« zum Vorschein. Zwei Übertragungen sind hier im Spiel und verstärken sich gegenseitig: die Übertragung von der primären auf die sekundäre Liebe und die Übertragung der Christusliebe auf die Armen-

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begegnung (nach Mt 25). Und dies nicht nur auf dem Hintergrund des Vorbildes Jesu, sondern in einer intensiven Beziehung mit ihm. Die körperliche Liebkosung gilt nun nicht mehr dem schönen Leib ihres Gatten, sondern dem geschundenen Leib des fremden Leidenden. Die Erotik bekommt ein anderes Vorzeichen: Wenn darunter körperliche Anziehungskraft zu verstehen ist, dann gewinnt nun der verfallende Köper eine geradezu vitale Anziehungskraft für Elisabeth. Die fernere Nächstenliebe ist nicht mehr (nur) Pflicht und Askese, sondern Freude und Lust. Ihre Seelsorge ist also durch und durch diakonisch und überschreitet gerade darin die kulturellen und sozialen Grenzen zwischen Reich und Arm, zwischen Adel und Volk, auch zwischen Freund und Feind. Etwa wenn sie sich weigert, an Speise und Trank etwas von dem zu nehmen, was von Feinden geraubt wurde (Maresch, 1932). 3.3  »Draußen zu Hause«? In der eigenen Herkunft von der Volksfrömmigkeit (hier der fränkischen) geprägt (Bucher u. Krockauer, 2010, S. 149–165), hatte ich bei meinem ersten Besuch eines Hindu-Tempels im indischen Pune das unmittelbare Gefühl, irgendwie zu Hause zu sein. Ich konnte ganz leicht die Empathie, die ich für die Heiligenstatuen und -bilder, für die vielen Kerzen und die entsprechenden Gerüche aus meiner Kindheit in mir hatte, auf diesen Ort »übertragen«. Sie konnte darin aufleben: in dieser Umgebung von vielen verschiedenen Figuren in allen Größen, mit den vielen Kerzen, mit dem Rauchwerk, mit der Frömmigkeit der Gläubigen, wie sie ihrer Verehrung und ihrer Sehnsucht Ausdruck geben. Vor allem die im Hinduismus sehr beliebte Ausdrucksfigur des Göttlichen im elefantenköpfigen Ganesh (Keilhauer u. Keilhauer, 1990) hatte es mir angetan, wahrscheinlich weil ich vor etwas mehr als dreißig Jahren von einer Freundin ein wunderschönes Ganesh-Poster von ihrer Indienreise bekommen habe, mit der Bemerkung, er möge mich immer mit seiner Weisheit beschenken. Im Nachhinein kam mir Hermann Hesse in den Sinn. In seiner Vorstufe zum »Kurzgefassten Lebenslauf« und dem auto­biografischen Märchen »Kindheit des Zauberers« (Hesse, 1974), mit dem Titel »Der Zauberer«, beschreibt er aus seinem Kontext heraus eine ähnliche Erfahrung:

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»Zum Glück wurde ich […] auch vom Gotte Pan, welcher in der Gestalt einer kleinen tanzenden indischen Götzenfigur im Glasschrank meines Großvaters stand [, erzogen]. Diese Gottheit hat sich meiner Jugendjahre angenommen und mich, lange schon ehe ich lesen und schreiben konnte, […] so erfüllt, dass ich später jede Begegnung mit indischen und chinesischen Weisen als eine Heimkehr empfand.« (Hesse, 2003, S. 235) Hinsichtlich der interreligiösen Erfahrungsfelder werden diejenigen, die diese Art von Volksfrömmigkeit im eigenen Bereich vermissen müssen oder gar verachten, Empathieprobleme haben bzw. Ähn­ liches umso stärker in anderen Religionen belächeln. Dann kann es keine entsprechende »Transformation der Gefühle« in den fremden Bereich hinein geben (Perler, 2011). Dabei geht es nicht um diffuse Bauchgefühle, sondern um kognitiv aufgeladene Emotionen mit einer ganz bestimmten Haltungsrichtung, die zugleich körperlich verankert ist. Eigene Erfahrungen des Vertrauens lösen ein analoges Gefühl für das Fremde aus. Was ein Mensch erfahren und gedacht hat, fühlt er dann auch: Empathie als ein Sich-ein- und Mit-Fühlen.6 Bleiben wir einen Augenblick bei der Vertrauensfrage!

4  Ressource des Gottesglaubens 4.1  Gott als Gnade Der Satz aus dem Jesajabuch »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.« (Jes 7,9) hat seine eigene Tiefe. Wie dieser Satz bereits für das Kind gilt, das nicht leben kann, wenn es nicht auf seine Umwelt vertraut, so ist dies ein Erfahrungsbild auch für Gottvertrauen. Interessanterweise gibt es in der hebräischen Sprache, also in der Sprache des 5 Hesse ahnt hier, dass es vor Jahrtausenden im indischen Bereich eine Gottesdarstellung gab, die jenem Pan ähnelte, den die westliche Kultur aus der griechischen Mythologie kennt, dem tiermenschlichen Wald- und Hirtengott, dem Sohn des Hermes. Gegenseitige Einflussnahmen sind wahrscheinlich. Krishna und Shiva haben ähnliche Musikinstrumente, die Querflöte bzw. die Laute (Shearer, 2002). 6 Ähnlich wie Goethes Anverwandlung muslimischer Poesie in »West-östlicher Divan« (Fuchs, 2011b, S. 118–140).

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Alten Testamentes, ein Wort (batah), das beides bedeutet: »prall werden« (bezogen auf das Baby, das sich vollgetrunken hat) und »vertrauen«. Diese Einsicht hebt der Kolosserbrief (Kol 3,12–21) in die Gottesbeziehung hinein: Ihr seid von Gott geliebt und könnt deshalb einander lieben und vergeben. So gehören Menschenliebe und Gottesliebe zusammen, so erschließen und treiben sie sich gegenseitig. Menschen können nicht mehr Ängste und Unsicherheiten aushalten oder bewältigen, als ihnen Vertrauen geschenkt wird und sie Vertrauen schenken können. Noch bevor also davon die Rede ist, dass Menschen solidarisch sein müssen, damit die Welt überleben kann, ist danach zu fragen, woher die Menschen die Kraft dazu bekommen. Etwa wenn sie in Familie und Gemeinde ein Menschen- und Gottvertrauen erfahren, das es ihnen ermöglicht, auch anderen Menschen zu vertrauen und sie zu lieben. Ohne durch Vertrauen ermöglichte Identitätssicherheit gibt es keine Entgrenzungskompetenz. Für letztere benötigen wir eine Gottesseelsorge, die nicht noch zusätzlich Angst und Druck verbreitet, sondern Gott als die unendliche Quelle von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit erfahren lässt, der die Menschen nicht klein haben will, sondern sie stärkt, der sie nicht unterdrückt, sondern als Sünder und Sünderinnen, noch bevor sie sich verändert haben, unendlich liebt, damit sie sich verändern können. Angesichts vieler Situationen im Kleinen wie im Großen zeigt sich hier eine Gnadenquelle, die die Menschen für eine Solidarisierung über den Eigennutz hinaus öffnet. Je nach Situation und Möglichkeit der Menschen eröffnen sich dann im Gnadenraum des christlichen Glaubens Tatbereitschaften, die nicht nur Konflikte, sondern auch die eigene Ohnmacht riskieren und dennoch nicht in Verzweiflung oder Gewalttätigkeit absinken. Dann können Menschen das Charisma entwickeln, nicht nur die Dazugehörigen, sondern auch die »anderen« in den Radius ihrer Solidarität aufzunehmen. Und sie können ihr Leben verändern, weil es aus dieser Beziehung heraus ihr eigenes Anliegen wird: wie es schon zwischen den Menschen erfahrbar ist, wenn sie in Familie und Freundschaft einander zugetan sind und zueinander sagen: »Für

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dich bin ich da, ohne Wenn und Aber!«, wenn sie also füreinander Verantwortung übernehmen, nicht weil es von außen gefordert wäre, sondern weil diese Verantwortung unmittelbar aus einer Beziehung heraus wächst, die als Geschenk, als Gnade erlebt wird. Die Seelsorge steht in dieser Ermöglichungsverantwortung. 4.2  Politischer Horizont Theodor W. Adorno präzisiert das Problem mit der »Liebe«: »Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zu wenig geliebt, weil jeder zu wenig lieben kann.« Diese Liebe kann man nicht verordnend predigen, denn sie setzt »bereits eine andere Charakterstruktur voraus als die, welche man verändern will« (Adorno, 1969, S. 98). Aufforderungen helfen hier nichts.

»Die Aufforderung, den Kindern mehr Wärme zu geben, dreht die Wärme künstlich an und negiert sie dadurch […]. Der Zuspruch zur Liebe – womöglich in der imperativischen Form, dass man es soll – ist selber Bestandteil der Ideologie, welche die Kälte verewigt. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt.« (Adorno, 1969, S. 99) Adorno ahnt, dass es einer der entscheidenden und »großen […] Impulse des Christentums [war], die alles durchdringende Kälte zu tilgen. Aber dieser Versuch scheiterte; wohl darum, weil er nicht an die gesellschaftliche Ordnung rührte, welche die Kälte produziert und reproduziert.« (Adorno, 1969, S. 99) Theologisch gesprochen: Die Botschaft von der universalen und unbegrenzten Liebe Gottes, die immer zuerst gibt, um zu ermöglichen, und die nicht erst geschenkt wird, wenn Bedingungen erfüllt werden, hat also zu wenig das reale Leben der Menschen getragen, erreicht und verändert. Weil diese Liebe durch Jahrhunderte hindurch immer wieder zu sehr mit allzu menschlichen und unmenschlichen Bedingungen verbunden wurde. In der Seelsorge geht es um eine spirituelle Basis, die von sozialpolitischer und globalpolitischer Brisanz ist. Wir brauchen dring-

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lichst vorstellungsfähige Orte des Unvorstellbaren, in denen die Gabe jenseits des Seins das Leben als Kraftquelle einer über den Eigennutz hinausgehenden Solidarität berührt. Wir benötigen Solidaritätsbilder und Solidaritätsdiskurse, in denen die unmögliche Möglichkeit, über die eigenen Kreise und über den Eigennutz hinaus den Kindern der Welt genauso viel Solidarität zu geben wie den eigenen, zum praktischen Begehren und zur diskursiven Rechenschaftsverantwortung wird (Fuchs, 2004). Wer jetzt nicht teilen will, tötet jetzt schon und muss später in den Verteilungskriegen millionenfach töten. Horst-Eberhard Richters (1993) Titel »Wer nicht leiden will, muss hassen!« hat in akuter Weise weltweite Bedeutung erreicht: Wer nicht teilen will, muss verletzen, benachteiligen und schließlich vernichten. Doch mit wem nicht uneigennützig geteilt wurde, der oder die kann nicht teilen. Wer nicht Liebe erfährt, kann nicht lieben. Als unerschöpfliche Gnade vermittelt könnte der »unmögliche« religiöse Glaube die Ressource des Geliebtseins steigern. Es gibt nur ein »Kraut«, das der Angst gegenüber gewachsen ist, nämlich ein zur Empathie befähigendes Vertrauen. Es ist die Dankbarkeit, in vielem eben nicht zu kurz gekommen zu sein. Wenn das gegenseitige Dasein gesichert ist, wenn wechselseitig Wohlergehen ermöglicht wird, dann ist auch eine Kritik möglich, die aber nicht das gleichstufige Existenzrecht der anderen tangiert. 4.3  Seelsorge im Horizont der Rechtfertigungsgnade Eine Replik auf das Lutherjahr, das damit nicht erledigt ist: ­Martin Luther hat in vielerlei Hinsicht Glaube und Kirche als etwas erlebt, das ständig fordert, Lasten auferlegt, und das alles mit Gott als Legitimationsgrundlage: dass es Gott so will (vgl. Lk 11,43–52). Für den jungen Luther ist es gerade diese Seite der Frömmigkeit, die er nicht nur erlebt, sondern die er selbst in sich bestätigt und verschärft. Denn er will sich unterwerfen, er versucht, die Gebote zu erfüllen. Gegen sein marterndes Sündenbewusstsein kämpft er durch häufige Bußübungen und Beichten an. Gnadenlos gegen sich selbst will er Gottes Gnade durch seine spirituellen Leistungen erwerben und erzwingen. Je weniger dies gelingt, desto mehr schiebt sich die Schraube tiefer mit der immer wieder einbrechenden, quälenden Frage, ob denn die

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religiösen Übungen genug waren. Immer wieder stößt seine Heilsangst die Tür zum Zweifel auf: wieder nicht genug? Hinter allem steht die Grundfrage: Wie gewinne ich einen gnädigen Gott? Luther kann noch rechtzeitig aus dieser letztlich alles zerstörenden Dynamik aussteigen. Es kommt zur Wende. Beim Studium der Paulusbriefe fällt es wie Schuppen von seinen Augen: Man kann sich die Liebe Gottes nicht verdienen, und man braucht dies auch gar nicht, weil sie längst durch Jesus Christus »verdient« ist. Hier schlägt das Herz der Reformation. Hier bringt Luther den Kern der christlichen Botschaft zum Vorschein. Er entdeckt auf schmerzlichem Weg und darum umso erlösender etwas, was leicht vergessen werden kann und was alle angeht. Luther erfährt die beglückende Einsicht: Nichts, gar nichts muss ich tun, damit mich Gott liebt. Er liebt mich unbedingt, ohne Bedingungen, und zwar als Sünder, noch bevor ich mich verändert habe. Nicht ein Wenn-Dann, sondern ein OhneWenn-und-Aber bestimmt diese Beziehung. Was für eine Befreiung: Gott ist nicht eine Belastung, sondern eine Entlastung im Leben, er fordert nicht erst, sondern er schenkt. Seine Gnade ist voraussetzungslos. Und darin liebt er das Gegenteil seiner selbst, nämlich die sündigen Menschen. Diese Anerkennung und Liebe umfasst die Menschen nicht ausschließlich, sondern einschließlich ihrer dunklen Schattenseiten. Denn was nicht angenommen ist, ist auch nicht erlöst. Luther erkennt: Es ist ein Wahn, sich Gottes Liebe erwirtschaften zu wollen. Gott liebt bedingungslos, jeden Augenblick neu. So findet Luther den gnädigen Gott. Und diese Erfahrung erfasst ihn so sehr, dass sich dabei auch seine Psyche verändert. Die zwanghaften Ketten fallen ab, und er fühlt sich als Freigelassener. Das ist die evangelische Grunderfahrung, die auch viele Gläubige, viele Heilige und nicht zuletzt auch Theologien in den Kirchen geprägt hat und prägt. Wenn weder Umkehr noch gute Werke »eine Bedingung der Gerechtigkeit des Menschen vor Gott« (Pannenberg, 1998, S. 4) sind, wenn Gott also die sündigen Menschen als solche rechtfertigt, dann rechtfertigt er nicht die Sünde. Gott heißt nicht das Böse gut, vielmehr hasst er die Sünde, weil sie immer Zerstörung und Tod um sich verbreitet. Gerade deshalb will Gott aber auch die Zerstörung und die Vernichtung der Sünder und Sünderinnen nicht. Jede das Leben

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einschränkende oder Leben zerstörende Strafe verschärft immer nur das Problem sowohl des Leidens und des Todes als auch der darin gesteigerten Unmöglichkeit der Menschen, sich für die Liebe und für die Gerechtigkeit zu öffnen. Rechtfertigende Gnade Gottes bedeutet also nicht, dass Gott zu uns sagte: Du bist eigentlich kein Sünder bzw. keine Sünderin. Die Täter werden nicht verharmlost und auch nicht therapeutisiert. Um der Leiden willen, bewirkt vom Bösen und der Gewalttätigkeit der Menschen, darf dies niemals geschehen. Es wäre die schlimmste Missachtung der Opfer. Die Sünde wird offengelegt in all ihren verschleierten Verästelungen und in ihrer offensichtlichen Monstrosität. So erkennt Luther: Sünder sind wir alle, das ist wahr! Aber dieser Schuldspruch wird nicht zum Straf- oder gar Todesurteil. Dies ist die rettende Paradoxie: Gott verurteilt um der Liebe willen und bestraft niemals mit Liebesentzug. 4.4  Schuldwahrnehmung ohne Selbstwertverlust Nicht dass man sich vor Gott selbstherrlich, als ob man keine Sünde hätte, hinstellen könnte wie jener Pharisäer im Tempel, sondern dass man sich vor Gott hinstellt wie jener Zöllner, der sich seiner Sündhaftigkeit bewusst ist und sich gerade deshalb nicht vor Gott zu verstecken braucht (vgl. Lk 18,11.13). Dahinter steht kein pessimistisches, sondern ein realistisches Menschenbild. Wer das furchtbare Elend sieht, das sich Menschen antun, in Vergangenheit und Gegenwart, kann nicht mehr davon sprechen, dass die Menschen doch eigentlich nicht so schlimm seien. Sie sind schlimm genug und können überall schlimm werden, wenn sich die Verhältnisse entsprechend verändern und die Lizenz zur Schädigung und zur Vernichtung von Menschen oder Menschengruppen ausgegeben wird. Wer sich Gottes Gnade aussetzt, entdeckt vielmehr auf dem Hintergrund der unverdienten und umfassenden Rechtfertigung der Existenz, also des Lebens jetzt und über den Tod hinaus, umso intensiver, dass er oder sie im Bösen, in der Schädigung vieler Menschen verhaftet ist und dass es die rechtfertigende Gnade Gottes nicht ohne den Schuldspruch Gottes gegenüber den Menschen gibt. Genau dies gibt den Menschen die Möglichkeit, sich vor Gott und vor sich selbst nicht mehr verstecken zu müssen, wie es Adam und Eva nach dem Sündenfall tun (vgl. Gen 3,8). Gott kennt die

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Menschen und erkennt sie als sündig, aber nicht nur verurteilend, sondern auch frei- und gerechtsprechend. Ihr Gutsein ist nicht die Bedingung seiner Gnade, aber die Gnade ist die Bedingung für ihr Gutwerden. Wer dagegen immer gut dastehen muss, um Achtung und Selbstwert zu erfahren, wer die abgrundtiefe Anfälligkeit für Missgunst nicht wahr-haben darf, bei dem und bei der wachsen unter der Decke umso größere Aggressionen heran, die dann in bestimmten kritischen Augenblicken umso unkontrollierter und zerstörerischer hervorbrechen. Und dies alles gilt von einzelnen Menschen (und ihrem Egoismus) genauso wie von Gruppen (und ihren Ausgrenzungen) und Völkern (und ihren Chauvinismen). Wer die eigenen dunklen Seiten verdrängen muss, muss sie in die anderen hineinverlegen und dort zerstören. Wer groß dastehen will, muss die anderen klein machen. Wer die eigenen Grenzen und Schwächen verheimlichen muss, muss dies meist auf Kosten der anderen tun, und er tut dies mit entsprechenden Selbstrechtfertigungen. Und so steigert man sich in die Hölle der Selbstrechtfertigungen hinein, immer auf Kosten derer, denen dabei Recht entzogen wird. Selbstrechtfertigung und Entsolidarisierung sind die zwei Seiten derselben Medaille. Jürgen Habermas hat in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche mit aller Vorsicht, aber nachdrücklich formuliert: »Als sich Sünde in Schuld verwandelte, ging etwas verloren. Denn mit dem Wunsch nach Verzeihung verbindet sich immer noch der unsentimentale Wunsch, das anderen zugefügte Leid ungeschehen zu machen.« (2001, S. 18) Der gottbezogene Sündenbegriff verschärft die zwischenmenschliche Schuld bei gleichzeitiger Annahme des schuldigen Menschen. In dieser Annahme, in der nach Paulus der sündige Mensch »gerecht gesprochen« wird, bekommt er diesen Zuspruch umsonst. Auf diesem Hintergrund ist tatsächlich etwas verloren gegangen, als sich die Sünde in Schuld verwandelte, nämlich die aus dem Glauben heraus mögliche Dialektik zu leben, sich der Schuld der Menschen und der eigenen Schuld zu stellen, sie nicht verdrängen oder in Selbstrechtfertigung ersticken oder bagatellisieren zu müssen, bei gleich-

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zeitiger Befähigung aus einer ganz bestimmten Gottesbeziehung heraus, nicht in Verzweiflung zu stürzen, sondern sich aus dem unbedingten Geschenk der eigenen Existenz und ihrer göttlichen Annahme heraus permanent auf den Weg der Umkehr zu begeben, in der Hoffnung, mit Gottes Hilfe durch das eigene Leben in dieser Begrenzung etwas gut- bzw. wiedergutzumachen. Bedingung für die Anerkennung des beschriebenen theologischen Zusammenhangs ist also die strikte Bindung der Sündensensibilität an die Leidempfindlichkeit. Die Verkündigung also, dass wir alle Sünder sind, die Jahrhunderte lang Gläubige als Selbstverkleinerung erfahren haben und worauf viele heute so reagieren, dass sie eine solche Diffamierung des Menschen nicht mehr hören können, hat den anderen Anteil der christlichen Botschaft zumindest teilweise unterschlagen. Nämlich dass diese Zuschreibung zwar realistisch ist, aber zugleich so erfolgt, dass wir darin kein Gramm an Wertschätzung verlieren und nicht damit alleingelassen werden, sondern in der beschriebenen Weise bedingungslos von Gott angenommen und für ein immer wieder neu angefangenes Leben im Geiste Gottes freigesetzt sind. Diese von Gott gegebene Charismen- und Ich-Stärke, die nichts Martia­ lisches an sich hat, sondern den Menschen im Anblick seiner Schwächen von Gott her »groß« sein lässt, ermöglicht Entgrenzung. Von daher kommen Kraft und Halt für die nötige Zivilcourage. Kleingehaltene Menschen benötigen dagegen kollektive oder identifikative Größen, um sich groß erfahren zu können, mit nach außen hin degradierenden Ab- und Ausgrenzungen. Genau hier hat die Seelsorge ihre große Verantwortung. Hier tun sich mögliche Verbindungen zwischen der Therapie von Schuld, verletzbaren Menschen und einem entsprechend realisierten Bußsakrament auf. In etlichen Gesprächen mit durchaus glaubensfernen Therapeutinnen und Therapeuten wurde von daher die theologische Seite massiv darauf aufmerksam gemacht, dass es gerade das ist, was nicht wenige Klientinnen und Klienten irgendwann einmal in der Therapie hören möchten, was aber in keiner Therapie gesagt werden kann, nämlich der Satz: Deine Schuld ist dir vergeben! (Lutterbach, 2015) Weil niemals ein Mensch restlos dafür einstehen kann, was ein anderer verbricht oder an Leid verursacht

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hat. Denn wenn auch jemand jemandem für etwas, was ihm oder ihr angetan wurde, vergeben kann, kann er dies schwerlich stellvertretend für andere tun. Er würde damit »fremdes Leid auf sein Gewissen nehmen« (Wiesenthal, 1984, S. 73; Werner, 2015). Genau hier ist die Bußseelsorge gefragt als der Ort, als das Geschehen, wo von Gott, nur von Gott Vergebung zugesprochen werden kann, weil er selbst in Christus für Versöhnung und Sühne und restlose Wiedergutmachung einsteht (Fuchs, 2018, S. 44–101).

5  Stärkung für kontrafaktische Gotteshoffnung 5.1  Widerstand gegen Gott Es ist nicht selten ein Problem in der Pastoral, dass Menschen erfahren, wie wenig das gepredigte Wort in den Kirchen, wie wenig Begegnungen mit Seelsorgern und Seelsorgerinnen das Niveau ihrer eigenen Erfahrungen und Brüche erreicht, aber auch nicht die Tiefen und Untiefen Gottes. Und die Glaubenssprache wird dann schnell, so »wahr« sie in ihrer Semantik sein mag, zum rigiden, beliebig wiederholbaren, erfahrungsentfernten und langweiligen Klischee (Bonse, 2008). Die Diarrhö dieser Sprache wirkt obstipativ, d. h. verstopfend. Hans Scholl hat am 17. August 1942 an der Ostfront in seinem Russlandtagebuch im Abschnitt »Über Schwermut« geschrieben:

»Es zieht mich manchmal schmerzlich hin zu einem Priester, aber ich bin misstrauisch gegen die meisten Theologen, sie könnten mich enttäuschen, weil ich jedes Wort, das aus ihrem Munde kommt, schon vorher gewusst hatte.« (Siefken, 1989, S. 15) Diese Erfahrung ist kontraeffektiv zum Glaubensinhalt selbst: Ein die Welt liebender Gott gibt sich dafür her, die Welt und die Menschheit und die menschliche Seele bis auf den tiefsten Grund ihrer Existenz so anzunehmen, dass sich deren Existenz in ihm selbst widerspiegelt, oder besser: auf allen Ebenen in Gott selbst vitalste Resonanz erfährt, bis hin zur Anklage Gottes durch Christus selbst. Sodass die Menschen sich als zerbrochene, als solche, die nicht nur gut sind, sondern auch abgrundtief böse, als von Gott und in ihm substanziell geliebt erfahren können.

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Vieles in meiner theologischen und pastoralen Ausbildung Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre war darauf angelegt, Gott und den Glauben zu »verteidigen«. Diese Haltung der Apologie und Defensive reichte bis in seelsorgliche Begegnungen hinein, wo Menschen mit schlimmen Erfahrungen konfrontiert wurden und wo ich mich unter dem Druck fühlte, ich müsste mich anstelle von Gott und zu seinen Gunsten antwortgebend verhalten. Erst nach einiger Zeit setzte sich die befreiende Haltung durch, dass ich zuerst auf der Seite der Leidenden (und nicht auf der Seite Gottes) zu stehen und mit ihnen die Unergründlichkeit des Geschehens Gott gegenüber mitzuvertreten habe. Entschuldigungen hat Gott nicht verdient. Hiobs Freunde haben nicht Recht. So mickrig ist der allmächtige Gott nicht, dass er unsere Verteidigung bräuchte; er kann schon selbst die Verantwortung wahrnehmen, Antwort zu geben. Die Gläubigen sind dafür verantwortlich, dass Gott gewürdigt wird, zur Verantwortung gezogen zu werden. Solche Seelsorge sediert und beschwichtigt nicht, sondern wiegelt auf: Empört euch! (Hessel, 2011) Dies geschieht im Horizont der Doxologie, denn nur ein Gott, der als solcher anerkannt wird, nämlich als allmächtiger, und nur ein Gott, der als Liebe geglaubt wird, kann Adressat der Anklage sein. Ein Gott, der weder allmächtig noch gut wäre, könnte niemals zur Verantwortung gezogen werden. Auch ein satanischer Gott käme niemals in diese Verlegenheit. Wer Gott entschuldigt, nimmt weder den Menschen noch Gott noch ihren salvatorischen Kontakt ernst. Gott ist zur Verantwortung zu ziehen (vgl. Ps 22), bis in das Gericht hinein, in dem Christus vom Kreuz her dieses Warum mit der ganzen Menschheit in Gott gegen Gott anführt (Fuchs, 2014). So geht es nicht nur darum, dass die Seelsorge das »Loslassenkönnen« der Betroffenen mit ermöglicht, sondern dass die Seelsorge auch zum Ort der Klage werden darf, zum Ort des Widerstandes gegen das Leid, gegen das Sterbenmüssen und in diesem Zusammenhang dann auch gegen Gott. Ernst Engelke (2012) hat in seinen Erfahrungen und Publikationen auf diese notwendige Unterstützung des Widerstandes durch die Angehörigen hingewiesen. Damit gibt er der Krankenpastoral die ungewöhnliche Verantwortung, wie die Spiritualität der Klage und Anklage Gottes in dieser Pastoral vorkommen darf und wie sie zumindest eine Fassung der liturgischen

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Vorlagen mitbestimmen sollte. Nicht zuletzt im Kontext biblischer Klagegebete (Fuchs, 1982) hat der Mensch das Recht, destruktiven Erfahrungen der göttlichen Macht Widerstand entgegenzusetzen. Es ist die im Glauben selbst geschenkte Copingstrategie im Umgang mit einer Wirklichkeit, die man nicht beeinflussen kann. Die Warum- oder Wozufrage des Psalms 22 bleibt unbeantwortet. Diese Paradoxie kann nur in der Doxologie aufgehoben werden, in der Gott immer größer gedacht und angebetet wird, als diese und die eigenen Widersprüche, Zweifel und Verzweiflungen es »eigentlich« zulassen. Darin besteht die prinzipielle Hilflosigkeit des Glaubens, seine Schwäche im Verteidigungsfall, also sein substanzieller Apologiemangel. Niemand braucht Gott zu rechtfertigen: Dies führt immer zum Recht-haben-Wollen und unterwirft den Glauben einem Siegerdiskurs. Eine Seelsorge, die sich dafür öffnet, wird kaum unangefochten oder unschuldig bleiben, einschließlich der Gefahr eines darin schmerzlich erlebbaren Scheiterns, das einmal mit der Situation und mit den anderen Menschen, aber auch mit den eigenen Ambivalenzen zu tun hat. Die Seelsorge geht nicht einfach in einer gelingenden Beziehung auf, sondern kann ihr ganz anderer, auch sperriger Bestandteil sein, vielleicht sogar einer, der eine überraschende Kraft hat, gerade auch dann, wenn es um Inhalte geht, die in dieser Seelsorgebeziehung zunächst nicht gesucht sind. Aber das kann immer nur nicht-dirigistisch, vorsichtig und neue Möglichkeiten eröffnend geschehen. Es geht nicht darum, Gott in eine Beziehung »hineinzupumpen«, aber auch nicht darum, mit großer Ängstlichkeit Gott herauszuhalten und ihm überhaupt keine Interventionskraft zuzutrauen. Je mehr ein Seelsorgegespräch jene Transzendenz berührt, in der Menschen einen Halt jenseits von sich selbst, nämlich in Gott finden, kann sich das Geschenk der Gnade erschließen. Diese Gnade kann dank jenes Halts außerhalb unserer selbst den Selbsterhalt relativieren. Sie lässt damit auch die Kraft zufließen, von diesem Halt her sich zugunsten anderer zu verausgaben und auferlegtes Leid oder riskiertes und angenommenes Leid in der Nähe des Kreuzes und damit Christi selbst, und darin aber auch des Auferstandenen, der die Wundmale am eigenen Leib trägt, zu sehen. Wo die Seelsorge derart zur Spiritualitätssorge wird, ermöglicht sie

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den lebenslangen Weg von der Selbst- zur Fürsorge, von der Egozur Pro-Existenz. 5.2  Paradoxiesensible und doxologieoffene Seelsorge Nicht Theodizee, die es nicht gibt, sondern die Doxologie rettet den religiösen Glauben (Fuchs, 2016). Denn die Theodizee verfängt Gott in Rechtfertigungsnetzen von Menschen, die haben wollen, dass Gott Recht hat, weil sie selbst Recht haben wollen. Dahinter steht die Kategorie des Siegens. Die Doxologie verzichtet auf diesseitige Erklärungssiege, sie lässt Gott frei. Derart ist Gott ein Nicht-Begriff in der Hinsicht, dass auf ihn kein Zugriff möglich ist. Es geht um die Spiritualität, über die Freude und Klage hinweg und durch sie hindurch Gott Gott sein zu lassen, und damit um einen doxologieoffenen Glauben. Sie verweigert die Zustimmung zum Negativen und hofft auf eine Erlösung, die gleichwohl nur Gott geben kann. Die Doxologie trägt Dank, aber auch Ärger und Schmerz dorthin, wo sie herkommen: in einen Gott hinein, dem zugetraut wird, die Unverzeihlichkeit bis auf ihren Grund wahrzunehmen, auf sich zu beziehen und darüber hinaus und darin ein unendlich guter Gott zu sein. Christlicher Glaube verkündet diesen Gott, der derart in die tiefsten Tiefen und Untiefen menschlichen Lebens reicht und darin substanziell solidarisch ist. Die Klage ist schmerzhafter und die Ergebung ist glücklicher Ausdruck der Nichtverzweckbarkeit Gottes für eigenes oder fremdes Wohlergehen. Der »Talisman-liebe« Gott stirbt in ihr. Akteurinnen und Akteure der Seelsorge sind aus dieser Perspektive tatsächlich Agentinnen und Agenten der Unmöglichkeit, der Sinn-Losigkeit (Vogd, 2014; Kießling, 2014), der Unverzweckbarkeit, die aus einem Erfahrungsraum des Nicht-Wissens herauskommt, der nicht berechnet, weil seine tiefste Wurzel eine bedingungslose Akzeptanz von Liebe und Offenheit und Freiheit ist. Religionen können Herkunftsorte, Einübungsorte für diese Haltung sein, wenn sie sich nicht verabsolutieren, wenn sie durchlässig sind für die ewige Unergründlichkeit des Gottes, an den sie glauben, insofern dieser Gott alles noch einmal transzendiert und überholt, auch die je eigene Offenbarungs- und Wunschsemantik im Sinne einer Transparenzfähigkeit für unabschließbare Transzendenz.

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»Mystagogisch ist Seelsorge also immer dann, wenn nicht etwas von außen an Menschen herangetragen wird, sondern wenn diese dazu ermutigt werden, die Spur des geheimnisvollen Gottes in ihrem eigenen Leben aufzunehmen.« (Nauer, 2007, S. 153) Begegnungen mit dem französischen Philosophen Jean-Luc Marion vertiefen hier auf ihre Weise, was das Vierte Laterankonzil herausgestellt hat, nämlich dass alles, was Menschen in Bezug auf Gott sagen, ersehnen und wie sie handeln, Gott unähnlicher ist als ähnlich. Im Christentum gibt es also in der eigenen Dogmatik Aussagen, die diese Entgrenzung Gottes gegenüber aller Wirklichkeit thematisieren (Denzinger u. Hünermann, 1991, S. 361 f.). So ist in der christlichen Wahrheitssemantik selbst der Überstieg über sie hinaus, geradezu in negativer Dialektik zu sich selbst, angelegt. So tut sich hinter der Offenbarungssemantik die ganze unendliche Weite Gottes auf, wobei erstere in ihrer Botschaft die inhaltliche Richtung dieser Unerschöpflichkeit anzeigt. Nach Jean-Luc Marion setzt ein Gott, der diesen Namen verdient, alle diesseitigen Unterscheidungen außer Kraft, auch die Unterscheidung zwischen Sein und Nichtsein. »Denn Gott an sich geht über die Existenz hinaus.« (Marion, 2012, S. 19) Bei Gott geht es eben nicht um das faktisch Mögliche, wie es im Diesseits gedacht und erlebt werden kann und wie es im Diesseits, im jeweiligen Tod, um seine diesseitige Möglichkeit gebracht wird, sondern die kürzeste »Definition« Gottes findet Marion im eschatologischen Text Markus 10,27, und er hätte auch an den geburtlichen Text Lukas 1,37 erinnern können: »Denn für Gott ist nichts unmöglich.« Gott ist aus unserer Perspektive so unmöglich, dass er sich gerade durch diese einzigartige Unmöglichkeit auszeichnet: »Die Möglichkeit der Unmöglichkeit.« (Marion, 2012, S. 19) Erst mit diesem Denken wird die unüberschreitbare Grenze ins Jenseits des Seins berührt. »Es erweist sich daher als unmöglich zu sagen ›Gott ist unmöglich‹, denn gerade die Unmöglichkeit, ihn zu begreifen […], kennzeichnet Gott ausdrücklich, genau und grundlegend.« Und weiter: »Würde Gott für uns begreiflich und möglich, ohne damit unserer Endlichkeit zu widersprechen, so würde gerade dies unbegreiflich und absurd erscheinen.« (Marion, 2012, S. 19)

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5.3  Unmöglicher Glaube Für viele Menschen ist der Glaube tatsächlich nicht normal, sondern etwas durchaus Unmögliches. Auch die Menschen, die nicht glauben können, gehören zum Seelsorgebereich, in vielen Institutionen, wo Seelsorge tätig ist, aber auch theologisch: Sie sind die Künderinnen und Künder der Unmöglichkeit Gottes in dieser Welt, letztlich einer Doxologie, die Gott nochmals größer sein lässt als die eigenen Unmöglichkeiten, zu glauben und zu hoffen, größer sein lässt als das eigene Leid und Elend, auch und gerade darin, dass man dieses Größersein für unmöglich hält. Es ist also wichtig, dass die Seelsorge dieses Gott-größer-seinLassen als das eigene Glück und die eigene Not offen lässt, sodass sich die Beteiligten gemeinsam dem unergründlichen und auch schwierigen Geheimnis Gottes zuwenden. In der Hoffnung auf die Gegebenheit Gottes vor aller korrelativen Erfahrung. Es ist die große Gegebenheit, die Dietrich Bonhoeffer unübertroffen einfach und tief formuliert hat: nämlich von guten Mächten wunderbar geborgen zu sein, unerschöpflich, auch wenn sie nicht erfahrbar sind, weil sich keine Wunder ereignen. Seelsorge wird so zum spirituellen Erfahrungsraum eines »nutzlosen« Gottes, nutzlos in dem Sinn, dass er in keinem Erfahrungs-, Interessen- und Intentionenbezug aufgeht (Bechmann, 2007, S. 60), und diese Dynamik des Größer-sein-Lassens reicht ewig unabgeschlossen in die Ewigkeit hinein. Derart ist der Raum des Glaubens eine Heterotopie im Sinne von Michel Foucault, ein Anders-Ort in der Welt, wo »ganz andere Gesetzmäßigkeiten, Visionen, Ordnungen der Dinge herrschen« (Sander, 2006, S. 34) – nämlich die unmöglichsten. Hier offenbart die Seelsorge ihre sakramentale Qualität: wie im Ritual, so in der Seelsorge die Vorgegebenheit eines rettenden Gottes auch gegen den Augenschein erfahrbar werden zu lassen (Fuchs, 2015, S. 20–48). Seelsorge ist also nicht primär ein kirchliches Integrationsunternehmen, sondern ist immer zuerst eine Selbstverausgabung kirchlicher Ressourcen für die Menschen, wer immer sie sind, wo immer sie herkommen und wo immer sie danach wieder weggehen, auch zugunsten interreligiös und interkulturell teilnahmeoffener und niederschwelliger (auch sakramentaler) Rituale.

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Theologisch handelt es sich in dieser absolut negierten Bedin­ gungs­haftigkeit, in dieser durch nichts (sei es durch Denkschlüssigkeit, sei es durch Ethik, sei es durch Spiritualität usw.) erleistbaren und erleistnotwendigen Unbedingtheit im Gottesverhältnis um reine Gnade, reine Gegebenheit vor aller Gegebenheit. Wo der Tod alle menschlichen Bedingungsleistungen zerbricht, ist der radikale Ort der, an dem sich diese Gegebenheit des Unmöglichen als rettende Möglichkeit erweist. Diese radikal neue Geburt ist bereits in der diesseitigen Geburt unter den Bedingungen dieser Welt antizipiert und entschieden, sofern man die absolute Differenz zwischen Welt und Gott als unendlichen »Raum« unerschöpflicher Liebe begreift, die mit Geburt und Schöpfung ihren Anfang gibt. Christliche Seelsorge befindet sich in dieser Dynamik, in diesem »Geist« unbedingter Gabe, bei aller Einschärfung notwendiger Solidarität, immer auch darüber hinaus, und letztlich nicht davon abhängig. Nur solche Liebe hilft auf.

Unter fremdem Anspruch. Seelensorge interkulturell – aus der Perspektive eines Pastoralpsychologen Klaus Kießling 1  »Bist du so fremd?« »Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?« (Lk 24,18) So fremd, dass du in uns Befremden auslöst? So fremd, dass du als Einziger nicht um unsere Seelenfinsternis weißt? Diese Szene zeigt, wie zwei Menschen Jerusalem, den Ort ihres größten Schmerzes, fluchtartig hinter sich lassen, unterwegs auf einen Dritten treffen, einen Fremden, der sie anspricht, und wie sie auf diese Weise unter fremden Anspruch geraten, zunächst ohne ihren Willen, wenn nicht gar gegen ihren Willen. Unter fremdem Anspruch steht auch dieser Beitrag. Und wie die beiden auf ihrem Weg nach Emmaus Zeit und Raum brauchen, um diesem fremden Anspruch nach Kräften nachzukommen, so nehme nun ich die Rolle des Kleopas ein, der zu schildern sucht, was ihn umtreibt – in sieben Schritten, und doch sind die Gedanken, die ich mit den Leserinnen und Lesern teile, keineswegs fertig. Zu den pastoralpsychologischen Herzensanliegen gehört die Seelsorge, darum steht sie auch im Titel dieses Bandes. Sie steht da nicht allein, sondern in Beziehung – als »Seelsorge interkulturell«; nicht schlicht als interkulturelle Seelsorge, die Interkulturalität als eine von vielleicht unzählig vielen Spielarten von Seelsorge versteht, sondern beziehungsreich als Seelsorge interkulturell. Was mich umtreibt, ist die Frage nach dem Selbstverständnis einer Seelsorge, die in ihren pastoralpsychologischen Perspektiven konzeptionell auf Interkulturalität setzt und unter fremdem Anspruch steht. Aber kann es die Eigenart von Seelsorge sein, unter fremdem Anspruch zu stehen?

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2  Seelensorge als »Stimmung des Gemüthes« 2.1 Seelensorge Einsetzen möchte ich mit der »Seelensorge«. Die Wortwahl mag befremdlich klingen, sie stammt aus der Geburtsstunde der Pastoraltheologie und den Vorlesungen, die Johann Michael Sailer in den Jahren 1788 und 1789 veröffentlichte. Dort schreibt er:

»Seelensorge überhaupt ist die entscheidende Stimmung des Gemüthes für die ewigen Angelegenheiten des Menschen. Seelensorge ist aber dreyfach, denn das Wort, Seelensorge, bezeichnet 1) die persönliche, die Selbst-Pflicht eines jeden Menschen, für seine Seele (für Religion, Tugend, Weisheit, Seligkeit) zu sorgen. ›Jeder sey sein Selbst-Seelsorger!‹ Das Wort, Seelensorge, bezeichnet 2) die gemeinsame, die Nächstenpflicht eines jeden, für das unsterbliche Heil anderer zu sorgen. ›Jeder sey des andern Seelsorger!‹ Das Wort, Seelensorge, bezeichnet 3) die Amtspflicht der öffentlichen Personen, die von der Kirche bevollmächtiget und angewiesen sind, für das unsterbliche Heil ihrer Menschen in einem bestimmten Kreise zu sorgen. ›Jeder Geistliche sey Seelensorger in seinem Kreise!‹ Diese Seelensorge ist es, die als Kirchenamt hier in Betracht kommen kann.« (Sailer, 1812, S. 9) Über die genannte Amtspflicht des Seelsorgers hinaus macht Karl Rahner die »Weihe des Laien zur Seelsorge« (1936/1964) stark, und dies schon vor vielen Jahrzehnten; er sieht diese Weihe in der Taufe grundgelegt: »Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger.« (S. 323) Allerdings steht im seit dem Jahr 1983 geltenden Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici [CIC], 1983/1984), dass zur Wahrnehmung der Seelsorge in vollem Umfang die Priesterweihe erforderlich sei: »Ein Amt, das in vollem Umfang der Seelsorge dient, zu deren Wahrnehmung die Priesterweihe erforderlich ist, kann jeman-

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dem, der die Priesterweihe noch nicht empfangen hat, nicht gültig übertragen werden.« (can. 150 CIC) Wenn can. 150 in diesem Sinne alle Frauen und die meisten Männer nur in eingeschränktem Maße mit dem kirchlichen Auftrag der Seelsorge betraut, wo bleibt dann der nötige Ernst für die ebenfalls kirchenrechtlich verankerte Einsicht, dass »das Heil der Seelen […] in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muß« (can. 1752 CIC)? Und auch die Frage nach der Stimmung bleibt: Seelensorge als »Stimmung des Gemüthes für die ewigen Angelegenheiten des Menschen« (Sailer, 1812, S. 9)? Seelensorge als Stimmung? »Stimmung« klingt vielleicht nach guter oder schlechter Laune, nach womöglich willkürlich anmutenden Färbungen und Tönungen, die kommen und gehen, aber lässt eine Stimmung an »die ewigen Angelegenheiten des Menschen« denken? Doch manche Stimmungsmache kommt machtvoll daher und wirkt bedrohlich effektiv: Stimmungen lassen sich also nicht kleinreden, jedoch klar abgrenzen gegen Gefühle. Ein Gefühl richtet sich auf ein Gegenüber oder einen Sachverhalt, etwa meine Freude über das Interesse anderer an diesem Buch. Meine Stimmung hingegen bekundet, wie mir gleichsam im Ganzen zumute ist. Auf dem Boden einer Stimmung wachsen nur bestimmte, eben von dieser Stimmung gestimmte Gefühle: Wem im Ganzen bedrückt zumute ist, der oder die kann sich über nichts so recht freuen. Stimmungen lassen sich also nicht als bloße Begleiterscheinungen menschlicher Wahrnehmung abtun, vielmehr erschließen sie unser menschliches Dasein als Ganzes (Ciompi, 1998). Unsere Stimmung kann bewirken, dass uns die ganze Welt finster vorkommt – der oft belächelte Weltschmerz bringt diese Finsternis treffend zum Ausdruck –, sie kann aber auch bewirken, dass eine oder einer ausruft: »Ich könnte die ganze Welt umarmen!« Was auch immer Menschen wahrnehmen, nehmen sie in einer bestimmten Stimmung wahr. Auch jene »Stimmung des Gemüthes«, in der uns besonders schwer zumute ist, die Schwermut richtet sich auf kein konkretes Ereignis, sie wirkt gleichsam grundlos, abgründig und unterscheidet sich dadurch von allem begründeten Leid, wie der darin erfahrene dänische Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard schreibt:

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»Es ist etwas Unerklärliches in der Schwermut. Wer Kummer und Sorge hat, weiß, was ihm Kummer und Sorge verursacht. Fragt man den Schwermütigen, was ihn so schwermütig mache, was so schwer auf ihm laste, so wird er antworten: das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. Das macht den Schwermütigen immer so unendlich schwermütig. Seine Antwort ist übrigens ganz richtig; denn sobald er sich in seiner Schwermut versteht, ist sie gehoben, während der Kummer mit der Erkenntnis seiner Ursache nicht gehoben ist.« (1843/1913, S. 159) Wie ein Mensch gestimmt ist, bestimmt und verstimmt ihn buchstäblich in jeder Beziehung, die Stimmung dringt in jede Faser seines Lebens ein. Aber sobald er sich in seiner Schwermut versteht, ist sie gehoben. Wie glückt dieses Verstehen, wie glückt Seelensorge als »Stimmung des Gemüthes« (Sailer, 1812, S. 9), eines »Gemüthes«, das Stimmungsschwankungen ausgesetzt ist? Und um welche Seelen, um welche Sorgen geht es in der Seelensorge? 2.2  Sorge und Seele Beide Begriffe wirken einigermaßen aus der Zeit gefallen, vielleicht mehr noch die Seele als die Sorge. Die Sorge taucht auf in der Volksfürsorge, in der Daseinsvorsorge, in der Krebsnachsorge. Einen prominenten Platz nimmt sie aber auch bei Martin Heidegger ein. In »Sein und Zeit« (1927/1986) geht es ihm bei der Sorge um die Bedürftigkeit menschlichen Daseins darum, Dasein als Sorge und das »Mitdasein« (S. 117) mit anderen als Fürsorge zu konturieren. In der Fürsorge für andere lassen sich zwei Modi unterscheiden, die einspringende und die vorausspringende Fürsorge (S. 122). Schließlich macht es einen Unterschied, ob ich für eine Person einspringe, also an ihre Stelle trete, weil sie diese nicht – jedenfalls derzeit nicht – ausfüllen kann, oder ob ich ihr vorausspringe, sodass sie weiterhin ihren Platz einnimmt und mir und meinen Hinweisen folgt. Einspringen oder Vorausspringen resultieren aus der jeweiligen Bedürftigkeit, und diese Bilder stehen für sich, auch wenn Martin Heidegger diese Auslegung womöglich für ein anthropologisches Missverständnis seines Denkens halten mag.

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Und die Seele? Die Psychologie in traditionell metaphysischem Gepräge versteht unter der Seele eine dem Menschen eigene Substanz, die sich im Wechsel der Lebensvorgänge durchhält, eine unstoffliche Substanz, die das Gemütsleben hervorbringt und trägt sowie den Organismus belebt. Eine wissenschaftliche Psychologie im heutigen Sinne hingegen erfährt erste Anstöße von René Descartes (Kießling, 1998a), und seit der Lösung der Psychologie aus den Armen ihrer philosophischen Mutter verliert sich die Seele in ihrem herkömmlichen Gefüge, auch wenn erst mit dem Pädagogen Friedrich Albert Lange im Jahr 1866 die Rede von einer »Psychologie ohne Seele« aufkommt (Kießling, 2000, S. 369; Fahrenberg, 2016) – zugunsten einer physiologisch basierten Wissenschaft. Eine empirisch arbeitende Psychologie widmet sich der Beobachtung von Prozessen, die als Funktionen des Psychischen gelten, und der Operationalisierung des Psychischen mittels empirischer Indikatoren. Heute spielen in der Psychologie zwar weiterhin nicht beobachtbare theoretische Konstrukte eine wichtige Rolle, doch deren Qualität bleibt hypothetisch und verlangt nach empirischer Verankerung. Heute lassen psychologische Lexika das Stichwort »Seele« gern aus. Im Zuge dieser Selbstidentifikation der Psychologie spielt die Frage, inwieweit psychische Prozesse kulturell variieren, eine nachrangige Rolle. Die Vorstellung von einem Substrat, das sich wie ein Fels in der Brandung der Wechselfälle des Lebens als stabil erweist, wirkt offenbar noch nach; und solange Psychologie mit Ethnologie wenig vernetzt ist, setzt sie auf kulturell invariante Universalien. Die Annahme, dass wir zwar kulturell verschiedenen Reizen ausgesetzt sind, diese aber überall auf der Welt gleich verarbeiten, führt auch dazu, sich in der Forschung mit selektiv eingeschränkten Stichproben zu begnügen, mitunter sogar ausschließlich mit Studierenden der eigenen Hochschule, denn wozu in die Ferne schweifen, wenn es um die Entdeckung universaler Gesetzmäßigkeiten geht? Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Wahre liegt so nah? Auf diese Weise stammen zentrale empirische Einsichten aus »Western, Educated, Industrialized, Rich, and Democratic societies« (Bender u. Beller, 2013, S. 16), abgekürzt aus der Gruppe der WEIRD people. »Weird« bedeutet im Englischen allerdings »seltsam«, »fremd«, und dies wirft die Frage auf, als wie stabil und universal gültig sich Effekte erweisen, die bei WEIRD people auftreten.

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Ein Beispiel aus der Wahrnehmungspsychologie (Bender u. Beller, 2013, S. 17): Die Müller-Lyer-Täuschung konfrontiert mit zwei Linien (Abb. 1), und wir neigen dazu, die obere der beiden waagrecht dargebotenen Linien für länger als die untere zu halten, und zwar in einer Größenordnung von 10–30 %. Die beiden Linien sind aber exakt gleich lang. Diese optische Täuschung gilt als sehr robust.

Abb. 1: Müller-Lyer-Täuschung

Doch schon vor 50 Jahren wurde sie infrage gestellt – durch eine Untersuchung an 16 unterschiedlichen Kulturen. Dabei tun sich signifikante Unterschiede auf: Mit Abstand am anfälligsten für diese Täuschung sind WEIRD people, in diesem Fall Angehörige einer US-amerikanischen Hochschule, während die San im südwestlichen Afrika, die als Wildbeuter in der Kalahari leben, sich praktisch immun gegen diese Täuschung zeigen. Hinweise auf diese Befunde tauchen noch heute in kaum einem Lehrbuch auf. Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens geht dahin, dass bei der Abschätzung der Länge der beiden Linien der imaginierte Raum zur Geltung kommt, der zu beiden Seiten der Linien abgegrenzt sein mag. Der Täuschung sitzen diejenigen auf, in deren Welt Gebäude mit solchen Kanten und Ecken überhaupt vorkommen (Bender u. Beller, 2013, S. 18). Doch auch wenn die Seele von psychischen Prozessen abgelöst zu werden scheint, leben klassische Konzepte der Philosophie- und der Psychologiegeschichte neu auf, erweist sich die Seele also doch als unsterblich: allen voran bei Sigmund Freud, der auf Platon zurückgreift, indem er von Platon mythologisch unterlegte denkende,

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mutartige und begehrende Funktionen der Seele aufnimmt und an die Entdeckung des Unbewussten durch Gottfried Wilhelm Leibniz anknüpft; auch in der Diskussion um umstrittene, aber offensichtlich wissenschaftlich unentbehrliche Begriffe wie »Ich«, »Selbst«, »Subjekt«, »Identität«; sodann als neurophysiologische Steuerungsfunktion und als Person, welche den Leib- und Weltbezug psychischen Lebens mit einbezieht (Kießling, 2000) – bis hin zu personzentrierter Psychotherapie und Beratung, die in der Seelsorge ihre ganz eigene Rolle spielt. Auch der traditionelle Begriff der Seele bleibt bedeutsam, sei es als Abgrenzung zum Leib, sei es als Bezeichnung für den Menschen als Ganzen. Pastoralpsychologisch steht die Seele heute nicht für ein so oder so fixiertes Zentrum, sondern für kulturbedingte Selbstkonzepte. Diese Selbstkonzepte kennzeichnen die durch Erfahrung geprägte Weise, wie eine Person sich in ihrer Welt wahrnimmt, also in ihren Charakteristika und Fähigkeiten, in ihren Beziehungen zu ihrer Mitund Umwelt, sowie ihre Ziele und Ideale. Ein Selbstkonzept unterliegt fortwährenden Veränderungen, an ihm vollzieht sich der Prozess seelischen Wachsens. 2.3  Sorge, Seele, Seelsorge »Seelsorge« (Kunz, 2016), wenngleich kein biblischer Begriff (Leuzinger-Bohleber u. Hauschildt, 2016, S. 32, unter Verweis auf die Bergpredigt [Mt 6,25.33]: »Kümmert euch nicht um eure Seele, sondern um das Reich Gottes!«), anderswo bekannt als cura animarum oder als pastoral care, umfasst als Sorge um Mitmenschen Leib- und Seelsorge. Seelsorge lässt an eine »gute Seele« denken, an die »Seele von einem Menschen«, an diejenige, die sich mutterseelenallein fühlt, und an die Zahl der Seelen, die zu einer Gemeinde gehören. Und wer von einer Idee beseelt ist, kommt immer noch weiter als der, der bloß beleibt ist! Seelsorge versteht sich, wenn ich an die Pioniere der Pastoralpsychologie denke, als Gespräch, als Anstiftung zur Selbstsorge, wie sie schon bei Johann Michael Sailer anklingt, als begleitete Auseinandersetzung mit dem je eigenen Selbstkonzept. Seelsorge lebt bis heute in großer Offenheit für alle Suchenden und Leidenden jedweder Kultur, in großer Offenheit für alle Themen, also auch

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für »die ewigen Angelegenheiten des Menschen« (1812, S. 9), in großer Offenheit auch dafür, worin ein Seelsorgegespräch mündet: in ein Folgegespräch, in gemeinsames Schweigen, in ein Gebet. Gesellschaftliche Formatierungen hält sich Seelsorge weitgehend vom Leib, identifizierbar bleibt sie als kirchliches Angebot – nicht allein der Amtsträger, sondern der Getauften. Aber auch in anderen Gesellschaften, in nicht christlich geprägten und schamanischen Kulturen (Barth, 2016) finden sich Adressen, die in existenzieller Not aufgesucht werden können. Werner Vogd, der sich ausdrücklich als Nichtchrist zu erkennen gibt, formuliert als seinen »soziologischen Befund, dass menschliche Gesellschaften die Rolle des Seelsorgers brauchen. Dass man gleichsam zufällig und in einer unverbindlichen Situation einem Fremden begegnet, dem man sein Herz anschlussfrei ausschütten kann und der einem dabei zudem noch mitfühlend begegnet, ohne Eigeninteressen zu verfolgen, stellt eine solch unwahrscheinliche Gelegenheit dar, dass für diese Funktion innerhalb der modernen Gesellschaft – aber auch schon in den archaischen Gesellschaften – Sonderrollen generiert werden müssen.« (2014, S. 144) Dass Seelsorger doch Eigeninteressen verfolgt haben, auch gewaltsam, wissen wir allerspätestens seit dem Auffliegen kirchlicher Schweigekartelle im Jahr 2010 (Pörksen, 2016). Dies muss hier gesagt sein, auch wenn der soziologische Befund einleuchtet. Wenn Seelsorge aber »die ewigen Angelegenheiten des Menschen« (Sailer, 1812, S. 9) angeht, also wohl um Fragen kreist, die nach Antworten verlangen, welche wir gar nicht geben können, wie können wir dann jene Antwortlosigkeit ertragen, die zu widerfahrener Sinn- und Hoffnungslosigkeit noch hinzutritt? In der Geistlichen Begleitung (Kießling, 2010) in der Auseinandersetzung mit spirituellem Schmerz, in der Klinik in der Konfrontation mit schwerer Krankheit und Tod? Im Gefängnis im Umgang mit Schuld, die kein Mensch vergeben kann, und mit Strafgefangenen (Krauß, 2013), wenn deutlich wird, wie sich das gesellschaftliche und multikulturelle Leben außerhalb der Mauern innerhalb derselben zuspitzt und interkulturelle Fragen nicht allein zwischen in- und ausländischen Mit-

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bürgerinnen und Mitbürgern aufkommen, sondern Jugendszenen innerhalb eines Stadtteils mit ihren Subkulturen für einen clash of clans sorgen? In weltkirchlichem Einsatz für eine diakonische Kultur (Kießling, 1998b), für Solidarität (Fuchs, 2013 u. 2016a) und compasión (Schmiedt Streck, 2002; Kießling, 2012a) mit denen, deren Lebenslage zum Himmel schreit, sowie gegen Armut und Gewalt (Weiß, 2002a)? In der Gemeinde im Umgang mit dem Scheitern von Lebensentwürfen, in der Schule in der Heilung unheilbarer Tragödien, etwa elternloser Flüchtlingskinder (Valentin, 2016), und in der Psychiatrie (Hézser, 2002), zumal in der Migrationspsychiatrie (Aslani, 2014), in einer Seelsorge bei Seelenfinsternis (Kießling, 2002), einem Stimmungsbild also, das oft jene Menschen überfällt, die sich selbst mit höchsten Ansprüchen konfrontieren, einen schier unendlichen Perfektionismus pflegen und darum in ihrem Selbstkonzept unter der klaffenden Diskrepanz leiden, die sich zwischen ihren – womöglich religiös aufgeladenen – Idealen und jener düsteren Welt auftut, wie sie sie erleben? Wenn schon die »Grenzen der Seele […] niemand ermessen kann« (Waldenfels, 2016, S. 16), wie dann die Grenzen einer Seelenfinsternis? 2.4  Seelsorge in kultureller Lagerung Seelsorge lebt in einer kulturellen Lagerung, welche eine Seele kaum mehr kennt, und zugleich gilt Seelsorge mit Recht als Herzstück der Pastoral – einer Pastoral, die sich im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils (Bucher, 2016) als kreative Konfrontation des Evangeliums mit unserer Gegenwart versteht. Pastoral lässt an Hirten, an bäuerliches Leben denken, an biblische Kultur, an Agrikultur – und nicht etwa an Frankfurter Kulturwelten. Die Konfrontation des Evangeliums mit unserer Gegenwart geht also von allem Anfang an mit fremden, wenn nicht befremdlichen Ansprüchen einher. Seelsorge ist konzeptionell eine interkulturelle Qualität eigen, noch bevor Fragen einer interkulturellen Seelsorge laut werden, sei es aufgrund muslimischer Patientinnen in katholischen oder evangelischen Krankenhäusern, sei es aufgrund ausländischer Priester in Deutschland, sei es aufgrund vielfältiger Migrations- und Fluchtbewegungen (Rat der Religionen, 2012; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2016a

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u. 2016b). Pastoralpsychologisches Engagement zeigen in diesen Zusammenhängen insbesondere SIPCC (Society for Intercultural Pastoral Care and Counselling) und ICPCC (International Council on Pastoral Care and Counselling). Dieser Beitrag widmet sich einer Interkulturalität, die zum Selbstverständnis jeder Seelsorge gehört (Weyel, 2013). Kultur umfasst, was uns zu Menschen macht, sie umfasst Gefundenes und Erfundenes (Greverus, 2007). Was ich kultiviere, bewohne ich, mache ich urbar, schütze und ehre ich aber auch, sei es im Ackerbau, sei es in der Kultivierung des Intellekts, sei es im religiösen Kult (Herbrik, 2013, S. 57). Mit Clifford Geertz zielt Kultur auf Bedeutungsgewebe, in die wir verstrickt sind und die wir selbst gesponnen haben, auf »ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln« (1987, S. 46). Geertz schafft einen interpretativen ethnologischen Zugang zu mehr oder weniger fremden Kulturen, zu ihren allemal begrenzten Bedeutungsrahmen und ihren unabschließbaren Sinnhorizonten: In teilnehmender Beobachtung lässt sich Beobachtetes auf seine Bedeutung hin entschlüsseln, auch lassen sich sogenannte »dichte Beschreibungen« (thick descriptions) entwickeln. Religion versteht Geertz als kulturelles System, als »Symbolsystem, das darauf zielt, […] starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen« (1987, S. 48). Auch hier spielen Stimmungen offenbar eine entscheidende Rolle. In diesem Sinne begegne ich unterschiedlichen Kulturen in allen seelsorglichen Einsatzfeldern, mit denen ich vertraut bin: ȤȤ Ich denke an eine von HIV/AIDS aufs Entsetzlichste bedrohte Welt, wie ich sie im südlichen Afrika kennengelernt habe, an Mädchen, die deshalb als Vollwaisen aufwachsen und auch noch für ihre jüngeren Geschwister Sorge tragen.

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ȤȤ Ich denke an Straßenkinder in Sankt Petersburg, die für schulische Bildung gewonnen werden sollen, aber bei unseren nächtlichen Einsätzen zunächst in ihren Verstecken bleiben, weil sie uns für die russische Miliz halten, erst allmählich Vertrauen fassen, als sie meinen Namen mit dem Nikolaus in Verbindung setzen, und mir in Straßenschächten unterirdisch verlaufende Rohre zeigen, an denen sie sich in Winternächten bei klirrender Kälte wärmen, weil ihnen nach Hause zu gehen noch unerträglicher wäre. ȤȤ Ich denke an seelisch schwerbeschädigte Menschen, die ich in der Heimat begleite und die Gefahr laufen, an einer Kluft zugrunde zu gehen, die sich zwischen ihr leidvolles Dasein und ihre Hoffnungen schiebt – so schmerzlich, dass sie diese Kluft kaum zu überbrücken vermögen. 2.5 Seelsorgekultur Mit »Seelsorge interkulturell« geht die Frage nach eigener Seelsorgekultur (Federschmidt, 2002; Hauschildt, 2002) einher, nach einer Kultursensibilität für Religionen und Spiritualitäten, für Nationalitäten, Geschlechter, sexuelle Ausrichtungen und Lebensformen, für heimliche und unheimliche Leitkulturen (Jessen, 2016), für Machtfragen (Poling, 2002; Weiß, 2002b) und Sprachen, wenn Sprachgrenzen oft Kulturgrenzen bilden, eine Sprache aber auch unterschiedliche Kulturen beherbergt: In meinem Spanisch-Lehrbuch endet jede Lektion mit einer Seite unter der Überschrift »Entre culturas«, weil etwa in Barcelona anderes gilt als in Havanna. Damit erfolgt der Übergang vom einen zum anderen Stichwort, von der Seelensorge und der Seelsorgekultur zur Interkulturalität.

3 Interkulturalität Das Attribut »interkulturell« nimmt Bernhard Waldenfels (1990, 1999a, 2012 u. 2016; Gmainer-Pranzl, 2014) auf – als in phänomenologischer Tradition verwurzelter Philosoph, dessen Denken mich vor dem Hintergrund sowohl aktuellen gesellschaftlichen und politi­ schen Ringens als auch pastoralpsychologischer Anliegen bewegt.

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3.1  Fremde und Fremdes Das Attribut »interkulturell« beim Wort nehmend, muss ich mir zunächst eingestehen, dass ich als Europäer meiner Kultur so wenig entfliehen kann wie meinem Leib und meiner Sprache. Ich jage also keinem interkulturellen Esperanto nach, und doch bleibt, wenn sich ein Weg überhaupt auftut, allenfalls ein schmaler Grat, und Gefahr droht auf beiden Seiten: einerseits diejenige, alles Fremde zu vereinnahmen, und andererseits diejenige, auf alles Fremde, Neue und darum Interessante zu fliegen und ihm den Vorzug vor dem allzu vertrauten Eigenen zu geben. Wir bewegen uns – interkulturell – in einer Zwischensphäre, die sich weder der einen noch der anderen Seite zuschlagen lässt, die weder auf Eigenes noch auf Fremdes zurückgeführt und auch nicht in ein Ganzes integriert und harmonisiert werden kann und will, wenn ich nicht doch eine universale Ordnung im Hinterkopf oder eine Leitkultur in der Hinterhand mitbringe. Was sich dazwischen abspielt, gehört weder dem einen noch der anderen, weder jedem und jeder Einzelnen noch allen zusammen. Diese Zwischensphäre bildet ein Niemandsland, eine Grenzlandschaft, die heimische und fremde Welten verbindet und trennt. Dabei bietet Fremdes eine nuancenreiche Vielfalt: mit dem Fremdling, dem Fremdeln, der Entfremdung zwischen Menschen bis zum Fremdgehen, mit Verfremdung – etwa in Literatur und Musik – und allerlei Befremdlichem. Im akademischen Jargon wirkt ein Satz wie »Ihre Reaktion finde ich recht befremdlich« schon fast wie das Zerreißen des Tischtuches in der Kommunikation zwischen beiden Beteiligten. Ich kenne Fremdes, das außerhalb meiner eigenen Sphäre vorkommt, anderswo verortet ist und anderswo herkommt. Die Unterscheidung von Innen und Außen verweist auf verschiedene Orte und eine Topografie des Fremden. Ich kenne aber auch Fremdes, das anderen gehört, im Gegensatz zu Eigenem, etwa zum eigenen Bett, auf das sich Menschen freuen, wenn sie eine Weile unter fremden Sternen gelebt haben und in die Heimat zurückkehren, oder zum eigenen Auto: Im Schwäbischen ist es bekannt als »Heilig’s Blechle«, das für andere unantastbar sein soll, und wenn es einen Kratzer abbekommt, kratzt dies den Fahrer persönlich. In dieser

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Unterscheidung von Eigenem und Fremdem geht es also um Besitz. Schließlich kenne ich Fremdes von anderer Art, das fremdartig, unheimlich, seltsam, strange anmutet, im Gegensatz zu Vertrautem. Vertrautes mag mir selbstverständlich sein, doch wie verständlich ist oder wird mir Fremdes? In der Unterscheidung von Fremdem und Vertrautem geht es um eine Weise des Verstehens (Sundermeier, 1996; Sparn, 1998; Gärtner, 2015). Alle drei Varianten des Fremden – das anderswo verortet ist, das mir nicht gehört, mit dem ich nicht vertraut bin – spielen dabei zusammen: Das Haus meines Nachbarn – an einem Ort außerhalb meines eigenen Grundstücks und nicht mein Eigenheim – kann mir gleichwohl vertraut sein. Die Bedeutungsfäden laufen vielfach hinüber und herüber. »Hinsichtlich der Frage nach dem Fremden kommt für Waldenfels allerdings dem Aspekt des Ortes der Charakter eines Leitfadens zu. Es ist die Ferne, die dem Fremden seine Eigenständigkeit garantiert.« (Feiter, 2010, S. 244) Dabei sind »andere« und »Fremde« nicht synonym zu verstehen. Der eine und die andere, die sich im Gespräch voneinander abgrenzen, müssen sich nicht entfremden und einander nicht ausgrenzen. Wer von seinem alter ego, von seinem anderen Ich spricht, wird diesen Titel allenfalls einer Vertrauensperson verleihen. So gilt in der Leitung einer Diözese der Generalvikar als alter ego des Bischofs. Die Sprache, die Erfahrung, das Handeln, das Leben des einen und des anderen, der einen und der anderen nehmen Gestalt an innerhalb einer ihnen mehr oder weniger vertrauten Ordnung, die sich freilich in Grenzen hält. Der eine und die andere bewegen sich innerhalb dieser Ordnung, das Fremde aber scheint an ihren Grenzen auf, und an der Grenze entscheiden sich In- und Exklusionen (Merle, 2013, S. 16 f.; Wahl, 2016). Kulturellen Differenzen werde ich nicht gerecht, indem ich diese in eine Ordnung einzufassen suche. Denn zwischen Kulturen verläuft eine Schwelle (Waldenfels, 1987, S. 28–31, u. 1999b). Schwellen verbinden, indem sie trennen, etwa zwischen Jugend und Alter, zwischen Leben und Tod, und sie kennen keinen Vermittler, der auf bei-

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den Seiten der Schwelle zugleich Fuß fassen könnte. Das Absonderliche des Fremden hat nichts zu tun mit dem bloß Besonderen, das sich innerhalb einer Ordnung ausweist. Fremdes zeichnet sich durch seine außerordentliche Fremdheit aus, es bedroht die je eigene Ordnung, die darum ihre Bollwerke auffährt gegen alles Fremde, das sich ausweisen muss wie ein Eindringling. Fremdes zeichnet sich dadurch aus, dass es sich meinem Zugriff entzieht. Ich meine, an Unantastbares und Unfassbares zu rühren, das mir doch unzugänglich bleibt. Es mag mich ein fremder Blick aus nicht auszulotender Ferne treffen, bevor ich mich dessen versehe – ein fremder Blick aus einer Gruppe von Menschen, denen ich nicht zugehöre. Zu dieser Unzugänglichkeit und dieser Nichtzugehörigkeit gesellt sich eine Unverständlichkeit, die sich etwa als Pause im Gespräch artikuliert. Fremderfahrungen erweisen sich als paradox: Worauf ich mich beziehe, entzieht sich, jeder Zugang bleibt im Unzugänglichen, jede Zugehörigkeit im Nichtzugehörigen, jede Verständlichkeit im Unverständlichen. Die Fremderfahrung erweist sich als sich selbst widerstrebende Erfahrung; hier geht es nicht um ungelebte Möglichkeiten, sondern um gelebte Unmöglichkeiten. Hier geht es nicht um nur mir Fremdes, also relativ Fremdes, das in einem vorläufigen Stand der Aneignung darauf wartet, bis ich damit vertraut bin. Zwischen Personen und zwischen Kulturen geht es auch nicht um absolut Fremdes, etwa um eine Sprache, die mir so fremd vorkommt, dass ich sie noch nicht einmal als Sprache wahrnehme. Hier geht es um radikal Fremdes, um jene Fremdheit, die weder auf Eigenes zurückgeführt noch einem Ganzen eingeordnet werden kann. Dabei bleibt jede Ordnung vom Schatten des Außerordentlichen umgeben. Und doch setzt die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem, eigenem und fremdem Leib, Muttersprache und Fremdsprache, eigener und fremder Kultur voraus, dass beides bei aller Absonderung ineinander verflochten und verwickelt ist. Am Anfang steht nicht nur die Differenz, sondern auch die Mischung, die jedes familiäre, nationale, kulturelle Reinheitsideal als bloßes Phantasma entlarvt. Auch Kulturen sind miteinander verwandt, mehr oder weniger, und eingelassen in ein Netz von Lebenswelten.

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Sind die Mitglieder einer fremden Kultur uns fremd – oder wir ihnen? Auch Sankt Georgen, das Leben auf dem Campus dieser Hochschule, zumal hinter noch immer nicht abgebauten Mauern, bildet einen Mikrokosmos, eine eigene Kultur. Als einstmals einziger Nichtjesuit im Lehrkörper kam ich mir nicht absolut fremd vor, auch nicht radikal fremd, aber relativ fremd – in mir unbekanntem Gelände. Doch »tröste dich«, sagte mir seinerzeit mein Kollege Medard Kehl: »Neuland entsteht beiden Seiten!« Genau diese Einsicht verhindert, dass eine Leitkultur machtvoll aufmarschiert und alles Fremde niedertritt. 3.2  Heimliches und Unheimliches Ist Eigenes mit Fremdem verflochten, so dringt Fremdes, dringen Fremde nicht nur an den Außengrenzen des eigenen Grundstücks oder des Heimatlandes heran und herein, vielmehr beginnt Fremdes dann auch in uns selbst. Und wenn Fremdes in uns selbst beginnt, so sind wir niemals völlig bei uns: Ich bin leiblich in eine Welt hineingeboren, habe meine Sprache von anderen übernommen, kenne sie buchstäblich vom Hörensagen, von meiner Mutter, als Muttersprache. Ich trage einen Namen, den andere mir gegeben haben und in dem weit entfernte Geschichten anklingen. Ist sich also jeder selbst der Fernste? Niemandem sind seine Gefühle, Antriebe und Sprache ganz zugänglich, niemand ist seiner Kultur ganz zugehörig, niemand lebt vollkommen kongruent. Darin sehe ich jedoch keinen Mangel, eben weil ich nicht davon ausgehe, dass ich nur aus dem bestehe, was ich selbst aus mir gemacht habe. Ich erinnere mich daran, wie unser Erstgeborener als Frühchen zur Welt kam – so früh, dass meine Frau und ich seinen Namen noch nicht gefunden hatten, er anders als alle anderen Neugeborenen mit leerem Namensschild in seinem Bettchen lag, bis wir unsere Erfahrung ins Wort brachten: Seht, ein Sohn, in biblischer Sprache: Ruben! Dabei erfahre ich nicht nur Fremdes, vielmehr gipfelt die Begegnung mit Fremdem in einem Fremdwerden der Erfahrung selbst, die ich mache, aber eher durchmache als herstelle: Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus, sonst könnte er sich das Fremde und Unheimliche vom Leibe halten, sich in eine Trutzburg flüchten – gleichsam als Flüchtling vor Flüchtlingen, die Ordnungen

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nur von außen und nicht von innen bedrohen. Doch das Unheimliche nistet sich durchaus im eigenen Heim ein, es haust auch innerhalb der eigenen vier Wände. »Heimlich« ist in seiner Bedeutung ambivalent: Es meint zum einen das Heimische, Vertraute, Behagliche und zum anderen das Geheime, Versteckte, Undurchdringliche, Hinterlistige, ja das Unheimliche. Das Unheimliche nistet bereits im Heimlichen, im Heimischen. Für Sigmund Freud ist das Unheimliche »jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht« (1919/1994, S. 244). Das Unheimliche ist dem Seelenleben ursprünglich Vertrautes, das dem Menschen durch den Prozess der Verdrängung entfremdet wurde und plötzlich wieder zum Leben durchbricht, uns beunruhigen, auch in Angst versetzen kann. Freuds Beitrag »Das Unheimliche« aus dem Jahr 1919 trägt im Französischen den Titel »L’ inquiétante étrangeté«, meint also beunruhigende Fremdheit, die zwar auf Altbekanntes zurückgeht, aber nicht als bekannt und schon gar nicht als vertraut in Erscheinung tritt, sondern als beunruhigend fremd. Die Verschränkung von Eigenem und Fremdem lässt zu, dass eine oder einer mit mehr oder weniger eigener Stimme spricht, niemals aber mit völlig eigener Stimme, die in den eigenen Ohren sowieso fremd klingt. Es liegt eine Vielstimmigkeit in jeder Stimme, und unser eigener Leib, der uns in einer Welt wohnen lässt, lässt uns Fremdes im Eigenen und Eigenes im Fremden finden. 3.3  Fremdes und sein Stachel Eigenes und Fremdes fügen sich nicht in eine Gesamtordnung ein. Der fremde Anspruch, der uns in der Fremderfahrung trifft, kommt von anderswoher (Waldenfels, 2002, S. 188; Kirchhoff, 2007, S. 71). Er kennt kein Hoheitsgebiet mit vorgegebenen Regeln. Fremdheit als Unzugänglichkeit, als Nichtzugehörigkeit und als Nichtverständlichkeit sprengt alle Vermittlungs- und Aneignungsversuche: Im Fremden bin ich außer mir und außerhalb bestehender Ordnungen. Fremd ist, was sich genau nicht einbeziehen lässt und sich jeder Inklusion widersetzt. Eine Politik, die dem Fremden Raum lässt, verleiht dem Politischen ein Moment des Apolitischen – nicht des Unpolitischen, son-

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dern ein Moment, das sich im Bereich des Politischen dem ordnenden Zugriff entzieht, ein Moment, das jeder Totalisierung widersteht und jede Ein- und Ausgrenzung aufsprengt, ein Moment mit eminent politischem Effekt – zugunsten einer Ordnung, die porös bliebe und nicht dicht macht, weil sie gerade dann nicht ganz dicht wäre. Fremdes macht sich als Beunruhigung, Störung und Verstörung bemerkbar und nimmt in Verwunderung und Beängstigung verschiedene affektive Tönungen und Stimmungen an (Storch u. Tschacher, 2016); es bildet einen Anfang, dessen wir nicht Herr sind, und führt zu der Einsicht, dass niemand je völlig bei sich selbst und in seiner Welt zu Hause ist. Wer aber führt ein interkulturelles Gespräch, wenn kein gemeinsamer Boden, kein Hoheitsgebiet Regeln setzt, die es erlauben, jemanden als jemanden anzusprechen? Allemal kommt ein Drittes ins Spiel, das sich weder auf die eine noch auf die andere noch auf beide Seiten zurückführen lässt. Der Dritte kann sich am Gespräch beteiligen und intervenieren; er kann als Zeuge auftreten; er kann beobachten und Vorgänge registrieren, schlichten und dolmetschen. Teilnehmende Beobachtung in Ethnologie und empirischer Pastoralpsychologie steht für einen methodischen Zugang zu interkulturell Fremdem. Fremdes lebt in der religiösen Erfahrung und in der Kunst, in der Politik und in der Liebe – und in der Seelsorge: Die Auseinandersetzung mit der Frage, wozu ich im Leben berufen bin, mag in große Unruhe versetzen, aber auch die Konfrontation mit einem Trauma und seiner Wiederkehr wirken bedrängend, herandrängend von allen Seiten, von innen und außen, verstimmend und verstummend. Fremdes, dem ich seinen Stachel nicht raube, lässt mich außer mich geraten; ich kann es weder herstellen noch abstellen; es widerfährt mir – mit all der Ambivalenz, die darin liegt: Es trifft mich und lässt mich leiden und bewahrt mich vor einer harmlosen Deutung des Fremden, vor seiner Verteufelung wie vor seiner vorschnellen Heiligsprechung. »Fremd ist etwas, von dem wir ausgehen, bevor wir darauf zugehen […]. So wie es ein Lernen durch Leiden gibt, nicht aber ein Erlernen des Leidens, so gibt es ein Lernen durch Fremdes,

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nicht aber ein Erlernen des Fremden.« (Waldenfels, 2012, S. 303 f., 2006 u. 2015) 3.4  Fremdes als Pathos Was mir widerfährt und mich trifft, dazu muss ich mich verhalten. Wovon ich getroffen bin, wandelt sich; es wird zu dem, worauf ich antworte – redend, handelnd, abwehrend oder begrüßend. Ich sage, was ich leide, und dieses Sagen beginnt nicht bei mir, es geht ein auf Fremdes, das sich mir entzieht. Die Instanz, die in der Moderne Subjekt heißt, erscheint mit Bernhard Waldenfels als Pathos, nicht pathetisch, sondern pathisch, als eine Instanz, die Erfahrungen unterworfen ist, diese »leidlich« erträgt und in diesem unüblichen Sinne Subjekt ist. Das Pathische widerfährt mir, und zur Vorgängigkeit des Pathischen gesellt sich die Nachträglichkeit jeder Antwort. Die zeitliche Verschiebung, die daraus erwächst, täuscht nicht darüber hinweg, dass beides zusammengehört, aber über einen Spalt, eine Kluft hinweg, die sich nicht schließt, sondern nach erfinderischen Antworten verlangt. Im Trauma etwa wird die Fixierung auf das Widerfahrene zur Antwortblockade, oft über Jahrzehnte hinweg, bis sich erste stammelnde Antworten finden. Alles Antworten erfolgt unausweichlich, nachträglich und asymmetrisch (Feiter, 2010, S. 292 ff.): Denn der fremde Anspruch und meine eigenen Ansprüche stehen einander nicht gleichberechtigt gegenüber, der fremde Anspruch kommt über mich. Dieser Anspruch und meine Antwort konvergieren auch nicht auf ein Gemeinsames hin, der Unterschied zwischen Eigenem und Fremdem hebt sich nicht auf. Indem ich antworte, beobachte ich nicht etwa Fremdes und Eigenes mit den Augen eines Dritten, vergleiche ich nicht das eine mit dem anderen, rechne ich nicht das eine gegen das andere auf. Vielmehr bleibt der fremde Anspruch jedem Vergleich entrückt: »Wer vergleicht, antwortet nicht, und wer antwortet, vergleicht nicht.« (Waldenfels, 2008, S. 94) Aus dem Hin und Her von Aneignung und Enteignung, von Vereinnahmung des Fremden und Auslieferung an das Fremde finden wir heraus, wenn das Fremde als Pathos kommt, als Getroffensein von etwas, das sich niemals dingfest und sinnfest machen lässt, das allenfalls Sinn hervorruft, ohne selbst schon sinnhaft zu sein –

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persönlich nicht und interkulturell nicht. Der Mensch, wie er leibt und lebt, ist eben Leib, jener angeborene Komplex (Merleau-Ponty, 1966/1974, S. 109), der seinen Blick auf die Geburt des Sinnes aus dem Pathischen lenkt. Das Gespräch, das wir sind, kommt aus der Ferne, aus der Fremde. In dem Anspruch, den ich vernehme, erhebt sich ein Anspruch, der mir etwas abverlangt. Dieser Anspruch kommt jedem moralischen oder rechtlich verbürgten Anspruch zuvor. Er geht unter die Haut, lässt mich leibhaftig aufmerken, affiziert mich, geht mich an. Meine Antwort bedeutet den Verzicht auf ein erstes Wort – und somit auch auf ein letztes Wort. Und sie erfolgt auf dem schmalen Grat zwischen Hörigkeit und Beliebigkeit: Wir erfinden, was wir antworten, nicht aber das, worauf wir antworten und was unserem Reden und Tun Gewicht verleiht. Ich antworte nicht von mir aus, sondern von anderswoher. Mein Sagen und Sehen ist unablässig in jenes Gesagte und Gesehene verstrickt, das es übersteigt und verfremdet. Das »Trans« der Transzendenz hat in dieser zeitlichen Verschiebung seinen Zeit-Ort. Diese überspringen zu wollen, hätte etwas »Veloziferisches«, wie Johann Wolfgang von Goethe formuliert, wenn er wortschöpferisch »Eile« (velocitas) und »Luzifer« miteinander verschränkt (Osten, 2003, S. 29). Fremde Ansprüche erfordern eine Sprache, die weder in der ersten Person auf subjektive Akte noch in der dritten Person auf objektiv Registrierbares abstellt, eine Sprache, in der das, was mich angeht und mir widerfährt, dem Ich vorausgeht und diesem wie eine untilgbare Spur eingeschrieben ist.

4  Kultur der Gastfreundschaft 4.1  Christliche Theologie als Annahme des Fremden Eine besondere Geste im Umgang mit Fremden liegt in der Kultur der Gastfreundschaft. Fremde und Fremder stehen oft synonym für Gäste. So sprechen wir etwa von Fremdenzimmern, die in einem Gasthof verfügbar sind, und vom Fremdenverkehr, der eintritt, wenn Urlaubsgäste kommen. In vielen Städten arbeiten Fremdenführerinnen und Fremdenführer, die Gäste mit Sehenswürdigkeiten des Ortes bekannt machen, und Menschen, die ins Nachkriegs-

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deutschland kamen, heißen Gastarbeiter. Drückt das unseren Vorsatz aus, dass wir mit ihnen so einladend umgehen wollen – wie mit Gästen –, oder kündigt dieses Wort an, dass sie irgendwann wieder gehen müssen – wie Gäste? Auch Religions- und Kirchengeschichte zeigen eine zwiespältige Rolle von Religion und Kirchen im Umgang mit Fremden. Denn zum einen »sind es gerade Religionen, die Fremde produzieren, weil derjenige, der nicht zur eigenen Religion gehört, oft als um so fremder gilt« (Fuchs, 1993b, S. 64). Zum anderen lebt aber auch eine religiös motivierte Gastfreundschaft, die Fremde unter den Schutz Gottes stellt. Diese Gastfreundschaft findet viele biblische Belege und Hochschätzung, etwa in der Genesis (18,1 ff.): Drei Männer besuchen Abraham, der ihnen mit Saras Hilfe Gastfreundschaft gewährt. Dabei wird Abraham die Verheißung eines Sohnes zuteil, und »Sara hörte am Eingang des Zeltes hinter seinem Rücken zu« (Gen 18,10); in der Weltgerichtsrede: »[…] ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen« (Mt 25,35; unter umgekehrtem Vorzeichen Mt 25,43); auf dem Weg zweier Jünger nach Emmaus, die den Auferstandenen einladen: »Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt! Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.« (Lk 24,29); oder in Hebr 13,2 auf, wie ich finde, besonders schöne Weise: »Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!« Auch das Christsein selbst trägt als paroikia den Würdenamen des Fremdlingsdaseins. Das griechische Wort für Pfarrei bedeutet zunächst »Aufenthalt in der Fremde«. Christliche Theologie begegnet dem Fremden auf vielfältigen Wegen, auf eine besondere Weise aber »in ihrem eigenen Zentrum: in jenem Begriff, der sie zuletzt alleine definiert und in dem sie ihr Spezifikum besitzt: dem Gottesbegriff« (Bucher, 1988, S. 303). Das Wort »Gott«, so Karl Rahner, »ist ja selbst das letzte Wort vor dem anbetend verstummenden Schweigen gegenüber dem unsagbaren Geheimnis« (Rahner, 1976, S. 60 f.). »Es ist die Öffnung in das unbegreifliche Geheimnis« (S. 60) – ein »Wortereignis« (S. 59), das »uns, ein Moment der Welt, zwingen will, vor das Ganze der Welt und unser selbst zu kommen, ohne daß wir das Ganze sein oder beherrschen könnten« (S. 60). Darin ist der Gottesbegriff

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»das prinzipiell Fremde als das konkret Zugesagte. […] christliche Theologie kann zum Fremden nicht erst sekundär eine Beziehung entwickeln, überhaupt also erst von außen ihr Verhältnis zum Fremden nachträglich bestimmen wollen, sie ist vielmehr Annahme des Fremden in ihrem eigenen Wesen. Sie verrät also nicht nur das Fremde oder den Fremden, sondern sich selbst, wo sie dies in ihrer verbalen oder non-verbalen Praxis leugnet.« (Bucher, 1988, S. 304) 4.2  Gastfreundschaft als Ermöglichung von Seelsorge Vielleicht nehmen wir einen uns fremden Menschen als Gast an. Wir laden uns mehr oder weniger fremde Menschen in unser Haus ein, manche kommen auch ungefragt, womöglich auf Herbergssuche, nicht nur an Weihnachten. Wer Fremde einlässt und Gastfreundschaft denen gewährt, die sonst mutterseelenallein wären, sorgt sich um deren Leib und Seele. Aber holt Seelsorge Suchende in ihr Haus, holt sie sie heim – oder macht sich Seelsorge auf in das Haus, die Welt, die Lebenswelt, die Kultur, die Kulturen anderer? Ich jedenfalls erlebe mich in der Seelsorge vorrangig nicht als Gastgeber, sondern als Gast. Aber als Gast weile ich nur dann in fremdem Hause, wenn der Gastgeber, die Gastgeberin mir Gastfreundschaft gewährt. Das Beziehungsangebot der Seelsorge ist das eine, das in der Seelsorge ebenso unerlässliche Beziehungsangebot der Gastfreundschaft gegenüber Fremden das andere, und beide trauen sich, beide schenken Vertrauen. Und nicht trotz, sondern dank ihres Einander-fremd-Seins können sich die Einzelnen in ein Gespräch einlassen. Beide werden aneinander anders, sie verändern sich durch einander – aber eben nur dann, wenn ein suchender Mensch eine Seelsorgerin in seine Welt einlässt, wenn ein suchender Mensch seiner Seelsorgerin Gastfreundschaft gewährt. Als Gast wohne ich nicht in der Welt meines Gegenübers, der Gast wohnt vielmehr als Fremder auf der Schwelle, er ist weder völlig drinnen noch völlig draußen. Die Figur des Gastes »tritt auf als Vorgestalt einer radikalen Fremdheit, indem sie die Grenzen der vorgegebenen Ordnung überschreitet« (Waldenfels, 2012, S. 309). Gastgeber sind nicht mehr ganz Herren im eigenen Haus, wenn der Gast über die Schwelle tritt – über jene Schwelle, die Eigenes von

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Fremdem trennt. Denn was dem Gastgeber eigen ist, wird durch den Fremden, durch seinen Anspruch infrage gestellt. Im Französischen heißt es: »L’ hôte est chez soi chez l’autre.« L’ hôte ist der Gast, aber auch der Gastgeber. Der Gast ist beim anderen bei sich, und auch der Gastgeber ist beim anderen bei sich. »Es scheint so, daß sich im Gast, der von draußen kommt, das Fremde par excellence verkörpert. Das Lateinische geht noch einen Schritt weiter. Hier gibt es nicht nur eine sprachliche Verwandtschaft zwischen hostis und hospes, die beide sowohl für den Fremden/die Fremde wie auch […] für Gast und Gastgeber stehen; denn darüber hinaus reicht die Bedeutung von hostis bis hin zur Bezeichnung des Feindes oder des Gegners.« (Waldenfels, 2012, S. 305) 4.3  Das Unbehagen in der Kultur Wie Menschen auf kulturelle Fremdheit reagieren (Kayales, 2015), hängt stark davon ab, welche Formen der Identifikation Einzelne oder eine Gruppe erlebt haben. Von Kindesbeinen an nehmen wir herrschende Denk- und Wertemuster an  – auch in Gestalt von Selbstunterdrückung, wenn die erlernten Muster eigenen Strebungen zuwiderlaufen. Da diese Prozesse unbewusst ablaufen, haben wir keine Ahnung, wie fremdbestimmt wir sind und wie sehr wir eigene Strebungen verdrängen, um einer Ordnung zu genügen und so den Vorteil der Zugehörigkeit, der Sicherheit und der Geborgenheit zu erlangen. Die Konfrontation mit kulturell Fremdem rührt an eigener Erfahrung der Identifikation mit machtvoll Erlebtem. Wer viele eigene Strebungen unterdrückt hat, wer den Schmerz und die Demütigung früherer Zeiten im Leibe spürt, mag in diesem »Unbehagen in der Kultur« (Freud, 1930 [1929]/1997) umso härter und aggressiver auch anderen abverlangen, sich ebenfalls anzupassen – oder hinter der Grenze zu bleiben. Damit versuche ich mich nicht an Massendiagnosen, die ihrerseits ausgrenzend wirken, aber an einem Fremdverstehen, weil ich mich etwa darüber wundere, in welcher Heftigkeit manche Menschen mit eigener Migrationserfahrung fremdenfeindliche Parolen von sich geben und für geschlossene Gesellschaften eintreten. Die Fremdheit, die uns im

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anderen begegnet, hinterlässt offenbar umso tiefere Spuren in uns, je mehr dieses Fremde an verkannte, verdrängte, geopferte Eigenheiten rührt, die uns nunmehr selbst eigenartig fremd wurden. Dabei stehen Fremdenfeindlichkeit und Feindschaft für mehr und anderes als fehlendes Verstehen und mangelnde Anerkennung (Waldenfels, 2012, S. 314). Feindschaft steht für jene Fremdheit, die ich mir angstvoll ausgetrieben und Verdrängungsprozessen überlassen habe, um nicht von Dritten ausgegrenzt zu werden, und in diesem Sinne steht sie für eine verweigerte Gastfreundschaft, verweigert denen gegenüber, die für jenes Fremde und Unerwünschte stehen, das ich mir womöglich selbst versagt habe oder versagen musste, um dazugehören zu können, und die ich darum buchstäblich nicht riechen kann. Und bei aller Freude über klare kirchliche Stellungnahmen und religiös motiviertes Engagement im Umgang mit uns kulturell Fremden, auch über den politischen Mut, der damit einhergeht, bleibt – jedenfalls bei mir – ein Erstaunen darüber, wie ängstlich die kirchliche Diskussion um Genderfragen läuft. Woran können wir so sicher festmachen, ob wir gerade einen Anschlag auf die Schöpfungsordnung abwehren müssen – oder ob wir bloß miterleben, wie eine menschengemachte, also selbstgestrickte Ordnung ins Wanken gerät? 4.4  Nicht einmal »Herr im eigenen Hause« Personzentrierte Seelsorge setzt auf eine Kultur der Wertschätzung, auf einen würdigen und ebenbürtigen Umgang, auf Offenheit und Interesse (Nees, 2016). Sie setzt auf Empathie für die Welt meines Gegenübers, ohne dass ich mich darin verliere, sondern indem ich mir selbst treu bleibe, kongruent, stimmig. Auf diese Weise mögen Suchende Mut fassen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, mit Inkongruenzen in ihrem Selbstkonzept, mit Fremdem und Fremdgewordenem in ihrer eigenen Welt. Hier greife ich das Bild auf, das Sigmund Freud zeichnet, wenn er die Macht des Unbewussten im Seelenleben hervorheben und »dem Ich nachweisen will, daß es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause« (1917 [1916–17]/1994, S. 284). Das Motiv des Hauses als Bild für einen suchenden und leidenden Menschen ist ein sehr sprechendes. Eine Begegnung kommt nur zustande, wenn nicht nur

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der Gast, sondern auch der Hausbesitzer Beziehung anbietet und eine Willkommenskultur (Ulrich, 2016) pflegt. Der Seelsorger wird hereingebeten, wenn er respektvoll und wertschätzend anklopft. Im Haus verhält sich dieser Gast jedoch anders als der Hausbesitzer. Er betritt nur Räume, in die ihm Einlass gewährt wird. Er überschreitet die ihm als Gast gesetzten Grenzen lediglich dann, wenn ihm etwa der Geruch von Angebranntem in die Nase steigt, er einen Brandherd oder anderes Bedrohliche ausmachen kann – und Krisenintervention nottut. Zudem ist er bereit, mit dem Hausbewohner auf dessen Wunsch hin bis dahin verbarrikadierte Zimmer aufzuschließen und diesen empathisch in Räume zu begleiten, in die der Bewohner allein nicht zu gehen wagt – vielleicht auch zu den Leichen im Keller dieses Hauses, wie wir im Deutschen formulieren, oder zum Skelett im Schrank, wie es die finnische Sprache ausdrückt. Der Gast fühlt sich während seines Aufenthaltes vielleicht wie zu Hause, und doch sieht er das Haus als Gast mit anderen Augen als der Gastgeber, was keinem von beiden zum Mangel gereicht, vielmehr für letzteren zum Geschenk eines kongruenten Gastes werden kann – in einem Haus, das er wieder verlässt, weil es nicht sein eigenes ist und er anderswo wohnt. Dank der Haltung des Seelsorgers, der sich wie ein Gast in meinem Haus bewegt, lerne ich mich mit meiner eigenen Welt wertschätzend und empathisch auseinanderzusetzen, gerade dann, wenn ich mich darin selbst nicht auskenne, wie aus dem Häuschen bin und mir fremd vorkomme und nicht weiß, wie ich auf fremde Ansprüche, woher sie auch kommen und wie auch immer sie sich Gehör verschaffen, antworten kann. An der Beziehung zu meinem Gast wächst meine Beziehung zu mir selbst, und so kann es gelingen, dass sich Inkongruenzen überbrücken lassen.

5 Empathie und Interpathie, Verstehen und Nichtverstehen 5.1  Verstehen in Ordnung(en) Empathie und Verstehen gelten der Kultur des Hauses, das ich als Seelsorger, als Fremder aufsuche. Empathie und Verstehen sind auf Sinnhaftes gerichtet, nur Verstandenes erweist sich als sinnvoll

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(Merle, 2013, S. 28) – demjenigen, der als Gast verstanden hat. Dabei basieren alle Versuche, in die Fremde und in der Fremde mitzugehen, auf Akten der Selbstauslegung (S. 29): Wie und was ich als Gast verstehe, mag abweichen von dem, wie und was der Hausbesitzer versteht. Was ich als Gast verstehe, wird auf die Probe gestellt, indem der Gast dem Hausbesitzer zur Verfügung stellt, was er verstanden hat. So mag sich im Haus ein Raum öffnen, in dem der Hausbesitzer sich dank der Anreize, die der Fremde setzt, mit seinem inneren Ausland konstruktiv auseinandersetzen und selbst Empathie mit dem ihm fremden oder jedenfalls fremd gewordenen Haus entwickeln kann. Als Gast ist mir dieses Haus nur in beschränktem Maße zugänglich, gehöre ich nur bedingt dorthin, ist es mir relativ fremd. Diese relative, also vorläufige und vorübergehende Fremdheit kann aber weichen – im Verstehen und im Vertrauen. Und was im Verstehen seinen Sinn offenbart, fügt sich in die sichtbare oder unsichtbare Ordnung dieses Hauses ein. Es fügt sich ein in Horizonte vielleicht traditioneller Vertrautheit, sodass Eigenes mit Fremdem verschmilzt (Li, 2016). Relative Fremdheit bleibt überwindlich, mir Fremdes muss mir nicht fremd bleiben, es wird mir vertraut, durch den Hausbesitzer anvertraut, indem ich es mir aneigne und darin jene Ordnung wiedererkenne, mit der ich schon vorab übereingekommen bin. Verstehen richtet sich an einer solchen Hausordnung aus, es partizipiert am Sinn dieser Ordnung. Diese Teilhabe erweist sich als vorgängiges Einverständnis mit dieser Ordnung, als Einverständnis, das sich verändern und vertiefen, aber nicht aufheben lässt und das es braucht, damit wir überhaupt uneins sein und uns gegeneinander abgrenzen können (Waldenfels, 1999c, S. 67–87). Im Rahmen dieser Ordnung kann der Haussegen einmal schief hängen und mag es Missverständnisse geben, die sich im Nachhinein beheben lassen wie eine optische Täuschung, der Menschen je nach kultureller Prägung mehr oder weniger, ganz oder gar nicht erliegen. Es geschieht aber auch Unverständliches, das sich – anders als bloß Missverständliches – eben nicht verständlich machen lässt. Dann steht Verständlichkeit überhaupt auf dem Spiel – und nicht nur eine ihrer Varianten: Wir geraten ins Stocken, kommen nicht weiter, Zugänge sind versperrt. Wir sehen und sehen nicht, wir hören

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und hören nicht. Und anstatt Fremdes zu verstehen, bleibt nur, das Fremde auszuhalten und in seiner Ferne zu ertragen – vor jedem Versuch zu verstehen (Rohr, 2005). 5.2  Verstehen in Grenzen Beim Erlernen einer Fremdsprache stoße ich auf noch nicht oder nicht mehr Verständliches, auf Grenzen, die sich zwar nicht tilgen, aber doch verschieben lassen, und alles geht gut, auch in zwischenmenschlichen Begegnungen, solange ich die Grenze nicht von der falschen Seite aus anschaue. Immer gehen Grenzen mit, gleich dem mitwandernden Schatten auf sonnigen Wegen. Eigenes ist in Fremdes eingewoben, eigene Kultur in fremde Kultur. Grenzen des Könnens tun sich auf, des Nichtgelernten, jedoch Erlernbaren, aber eine Sprache lebt auch als Lebensform: So entstehen Grenzen des Ethos, wenn Fremdes Formen des Ungewohnten und Unvertrauten annimmt, dessen Aneignung nicht nur unsere Kompetenzen erweitert, sondern uns selbst verändert, und schließlich stoßen wir auf Grenzen der Existenz, die uns mit dem Fremden als einem »Außer-Ordentlichen« konfrontieren – allemal mit Geburt und Tod, aber auch mit Traumata, die sich in unsere leibliche Existenz einbohren, und mit ekstatischem Außer-sich-Sein. Auch außer sich zu geraten bedeutet nicht, dass wir uns selbst verlieren, sondern dass wir anderswo beginnen (Waldenfels, 2012, S. 298; Pfeiffer, 1993). Fremdes steht dann nicht für das in einer verständlichen Welt noch nicht Verständliche, Fremdes zeigt sich dann vielmehr als

»Ort der Unruhe, von dem unser Verstehen jeweils schon unwiderruflich ausgegangen ist, bevor das Projekt des Verstehens einsetzt und bevor das Fremde selbst benannt und beredet wird. Dieser Zeit-Raum des Fremden zersprengt jeden Sinnhorizont und zerreißt jedes Textgewebe.« (Waldenfels, 1999c, S. 84) Fremdes entzieht sich dem Verstehen. Vielmehr kommt eine fremde Stimmung, eine fremde Stimme ins Spiel, und die Fremdheit dieser Stimme rührt nicht daher, dass ich sie nicht verstehe, sondern beruht darauf, dass sie anderswoher kommt, dass sie mich herausfordert, meine Ordnungen infrage stellt, einen Anspruch erhebt, sodass es

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mir die Stimme verschlägt, sodass mir Hören und Sehen vergehen, einen Anspruch, der mich überfällt und dem ich kaum standzuhalten weiß. Dieser kommt mir so fremd vor, so ungehörig, dass ich ihn nicht als mir zugehörig wahrnehme. Doch die Breschen, an denen das Fremde eindringt, lassen sich nicht schließen, außer wir schließen die Augen. Ein solcher fremder Anspruch trifft auf kein vorgängiges Einverständnis. Ein solcher fremder Anspruch »hat in der Tat keinen Sinn, und er unterliegt keiner Regel […]. Das Antworten, das auf den fremden Anspruch eingeht, beschränkt sich weder darauf, daß ich die fremde Äußerung verstehe, noch darauf, daß ich mich mit einem Anderen verständige.« (Waldenfels, 1999c, S. 85 f.) Dieser fremde Anspruch geht buchstäblich nicht in Ordnung, vielmehr sprengt er jede Ordnung. »Jede Aneignung, ohne die es kein Eigenes gäbe, setzt etwas voraus, das sich gleich unserer Geburt einer Aneignung und Bemächtigung entzieht.« (S. 87) Dabei ist das Fremde mit Bernhard Waldenfels »dasjenige, das sich dem Verstehen widersetzt und das nur zur Sprache kommen kann in der Antwort, in der sich dasjenige, woran sie anknüpft, gleichwohl entzieht« (Feiter, 2010, S. 242), in vertrauteren Worten: »Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn; und er entschwand ihren Blicken.« (Lk 24,31) »Für das ordentliche, normale Antworten gilt, daß es Sinn hat und bestimmten Regeln folgt. Doch das gleiche gilt nicht für ein Antworten auf ungeahnte Ansprüche, das eine bestehende Ordnung durchbricht und die Bedingungen des Verstehens und der Verständigung mit verändert.« (Waldenfels, 2016, S. 67) Verstehen darf also nicht einer Wut des Verstehens anheimfallen, die allem Unverstandenen den Kampf ansagt und mit gewaltsamer Aneignung droht, Fremdem keinen Raum gewährt und imperialistisch daherkommt. Vielmehr geht es um das Eingeständnis eigener, wenn auch verschiebbarer, Grenzen des Verstehens, der Empathie

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und der Interpathie – als Empathie gegenüber dem kulturell Fremden (Schneider-Harpprecht, 2002; Hézser, 2002; Schneider-­Harpprecht u. Hézser, 2002, S. 280) –, um eine Freigabe des Fremden zwischen Aneignung und Enteignung, um eine Freigabe des Fremden, das »in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt« (Adorno, 1966/1990, S. 192) und bleiben darf – und keiner subtilen Bewertung und machtvollen Annexion zum Opfer fällt, aber auch keiner Exotisierung.

6 Seelensorge als »Stimmung des Gemüthes für die ewigen Angelegenheiten des Menschen« 6.1  Seelsorgekultur unter fremdem Anspruch Dem radikal Fremden komme ich nur nahe, indem ich seine Ferne ertrage – eine Ferne, die keinen Mangel aufweist, sondern einen Anspruch bezeugt, den Anspruch des Fremden als eines Fremden, das sich nicht auf einen Fremdkörper zusammenstauchen lässt, der entweder einer Assimilation anheimfällt oder abgestoßen wird.

»Der Gesichtspunkt des Fremden in seiner Fremdheit und Andersheit entpuppt sich [vielmehr] als ein Gesichtspunkt besonderer Art. Er ist nicht mehr der Gesichtspunkt des Ganzen, unter dem das Fremde absorbiert würde, er ist auch nicht der Gesichtspunkt eines formell Allgemeinen, unter dem das Fremde neutralisiert würde, er ist erst recht kein bloßer Gesichtspunkt unter anderen, der Fremdes von sich abstößt. Er ist im strengen Sinne überhaupt kein Gesichtspunkt, der etwas zugänglich macht, sondern ein Ort, an dem man auf einen Anspruch oder eine Herausforderung des Fremden antwortet. Denn wäre das Fremde selbst ein Etwas oder ein Jemand, so wäre es bereits ein Substrat mehr oder weniger vertrauter Bestimmungen. Das Fremde selbst ist kein Was, es ist das Worauf einer Antwort« (Waldenfels, 1999a, S. 179 f.). Mit Bernhard Waldenfels verwandelt sich die Phänomenologie in eine Hyper-Phänomenologie, in seiner Theorie der Responsivität nennt er Modi hyperbolischer Erfahrung. Hyperbolisches lässt sich

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wie folgt umschreiben: »Etwas zeigt sich als mehr und als anders, als es ist.« (Waldenfels, 2012, S. 9) Hyperphänomene überqueren Schwellen des Fremden, freilich ohne diese zu überwinden, und sie tauchen in vielerlei Gestalt auf – als Unendliches, das uns Menschen heimsucht, die wir allemal unendlich weit hinter uns selbst zurückbleiben und unendlich weit über uns hinausgehen; als Unmögliches, das in der Zweideutigkeit der Vorsilbe »Un-« zum einen auf Negatives, auf eben nicht Mögliches, und zum anderen auf Überbietendes, gleichsam Übermögliches verweist, wie auch eine Unmenge oder eine Unzahl gerade nicht nichts, sondern besonders viel ist; als Unsichtbares, das sich unserem Blick entzieht, uns womöglich anzieht und auf den Blick wartet, der es aufdeckt; als Unvergessliches, das insofern gar kein Gegenstück kennt, als wir einen Gegenstand oder ein Ereignis, das vergessen werden darf, niemals mit dem Attribut »vergesslich« versehen, sondern ausschließlich Menschen, die leicht dies und jenes vergessen. In der offenen Form der Gastfreundschaft gibt der Gastgeber, was er nicht hat, »da das Eigene und das Eigentum durch den fremden Anspruch in Frage gestellt werden« (Waldenfels, 2012, S. 309). Als Unendliches, Unmögliches, Unsichtbares und Unvergessliches sprengen diese Phänomene den Rahmen unserer Erfahrung, und sie knüpfen soziale Fäden in Formen des Gebens und der Gastlichkeit, auch in Figuren der Stellvertretung, wie wir sie in Theologie und Seelsorge traditionsreich kennen: in der Fürsprache für andere, die weder dem Sprechen mit anderen noch dem Sprechen über andere gleichkommt (Waldenfels, 2012, S. 234–254). In der Fremdheit des Religiösen erreicht die Transzendenz schließlich ein eigenes Gewicht. Das Überschüssige und Fremde, das Charakteristische solcher Widerfahrnisse, die vielleicht religiös anmuten, verliert sich jedoch, wenn ich es vorweg als »religiös« definiere und festklopfe. In diesem Sinne gibt es keine religiösen Phänomene, keine religiösen Erfahrungen, aber es gibt ein Getroffensein, ein Angesprochensein, das sich in der Antwort des Getroffenen oder der Angesprochenen als religiös erweist – oder auch nicht. Kulturelle Selbstverortungs- und Identitätsfindungsprozesse, auch migrationsbedingte, resultieren nicht aus vermeintlich homogenen Kulturen, auch die Unterscheidung von Gläubigen und Ungläubigen

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erweist sich als Missachtung beiden gegenüber  – und als Missachtung einer Seelsorgekultur und eines religiösen Lebens, »das die Grauzonen erhält, das auch den halbentschiedenen und viertelgläubigen Kulturreligiösen […] einen Raum gibt und das den Vorhof zum Tempel nicht zum Schutz des Allerheiligsten verschließt« (Specker, 2016, S. 3). Vielmehr werden kulturelle Versatzstücke aus unterschiedlichen Kontexten auf je eigene Weise zusammengesetzt. Solche Mischungen und Prozesse kultureller Verflüssigung, solche Hybridisierung trifft nicht nur Eigenes, sondern auch Fremdes, weil andere sich kaum noch auf eine fremde Lebenswelt – gleichsam in Reinkultur – festlegen lassen. Kulturelle Hybridisierung schließt Eigenes und Fremdes ein (Simojoki, 2013), und diese hybride Präsenz des Fremden im Eigenen verlangt in der Seelsorge – gewiss nicht nur dort, dort aber ganz gewiss – Aufmerksamkeit auch für das Eigene. Aber was sind nun unsere eigenen Angelegenheiten, »die ewigen Angelegenheiten des Menschen« (Sailer, 1812, S. 9), um die es in der Seelsorge geht? Auf welchen fremden Anspruch sind wir zur Antwort herausgefordert, was verlangt uns die Annahme des Fremden ab? 6.2  Die ewigen Angelegenheiten des Menschen Allen, die leben, ist der Tod verhängt. Schon bei Hiob (3,1 ff.) stellt sich die Frage, ob nicht vielleicht geboren zu werden das eigentliche Unglück sei. Doch bevor ein Mensch sich dazu verhalten kann, findet er sich in einem Leben wieder, in dem irgendwann der Tod sich ankündigt, der Mensch ganz auf sich zurückfällt, »plötzlich einsam wird, […] alles ›fraglich‹ wird, […] die Stille dröhnt, eindringlicher als der übliche Alltagslärm« (Rahner, 1970, S. 168). Der Frage nach der Zumutbarkeit des Lebens muss ich mich spätestens dann stellen, wenn ich mich dazu entscheide, neues Leben zu wollen, schließlich begebe ich mich damit in eine Schuld dem neuen Leben gegenüber. Unser Zweitgeborener schenkte uns die Erfahrung »Gott hat gehört«, in biblischer Sprache: Simon. Simon hat diesen Schuldzusammenhang früh erkannt, nämlich schon in der Zeit, als er noch dabei

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war, das Sprechen zu lernen. Immer wenn es um Fragen der Verantwortung ging, pflegte er seine Mama anzuschauen und zu sagen: »Du hast mich gebohrt.« Meine Frau und ich versuchen nach Kräften, unsere Kinder dafür zu gewinnen, dass sie zu diesem Leben Ja sagen können, das sie nicht selbst gewählt haben und das schon darum unter fremdem Anspruch steht. Gilt aber das, was hier gilt, nicht auch für die Seelsorge? Müssen wir nicht alles versuchen, um ein nachträgliches Ja eines Menschen zu seiner Geburt zu ermöglichen? Sonst bleibt nur die Verzweiflung darüber, dass dieses Leben alles ist – und das Problem der Geburt. Denn nur wer geboren wird, vermag mit dem Tod, der ihm verhängt ist, zu hadern. Wie kann denn Sinn, Lebenssinn entstehen, wenn alles darauf zuläuft, einmal nicht mehr zu sein? Sind wir uns nicht selbst eine Überforderung? Ist da eine Lösung in Sicht, Erlösung gar? Kinder mögen ihre Eltern fragen, warum sie ihnen diese Existenz zugemutet haben. Und warum hat Gott uns Menschen diese Existenz zugemutet? Und wenn er uns das Leben geschenkt hat, müssen wir das Geschenk dann auch annehmen? Was, wenn ich es nicht oder nicht mehr als Geschenk empfinde, sondern als reine Belastung? Wer verantwortet diesen Konflikt dann? Verantwortet Gott diesen Konflikt – oder gar niemand? Wem liegt an meinem Seelenfrieden? Gespräche über Abgründiges und Nichtverstehbares fordern uns Seelsorgerinnen und Seelsorger zur Selbsterkundung (Sehrig, 2016, S. 146) heraus – an den eigenen Grenzen des Akzeptieren- und Verstehenkönnens und mit Fragen, die keinen Frieden lassen. Was vermag Seelsorge? Kann sie »Seelenfrieden«? Kann sie, wenn der fremde Gott in unsere eigene Welt tritt und Mensch wird, wenn mit Gottes Menschwerdung unsere Menschwerdung beginnt, dazu beitragen, dass Menschen aneinander Mensch werden, einander Fremde miteinander solidarisch werden? Solidarität gewinnt mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Bedeutung (GS 4, 32, 90; Rahner u. Vorgrimler, 2008, S. 451 f., S. 478 f., S. 549), und zwar als Kategorie der Erlösung: Der Gedanke der Genugtuung Gottes durch Jesu Tod am Kreuz tritt zurück hinter eine Neubegründung von Solidarität durch die Menschwerdung Gottes. Am Kreuz offenbart sich Jesus – doch wer nimmt Jesus als Sohn Gottes wahr und verlautbart diese Offenbarung? Es ist der

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römische Hauptmann, der heidnische Fremde (Mt 27,54; Mk 15,39; Lk 23,47). Offenbarung kommt aus der Fremde, sie durchkreuzt die Erwartungen derer, die dem Gekreuzigten nahe waren. Das Kreuz ist der Untergang falscher Gotteserwartungen (Sander, 2012, S. 649). Und wenn der Gekreuzigte in das Reich des Todes hinabsteigt, so tritt er in seinem Tod und durch seine Auferstehung in die Solidarität mit den Toten und ihrem Leid ein; so begründet er Solidarität unter den Menschen über den Tod hinaus – und eröffnet die Vision einer Weltgemeinschaft, die auf göttliche Solidarität setzt. Und wenn Solidarität der biblischen Idee der Stellvertretung verpflichtet ist, dann will Solidarität demjenigen, dem sie gilt, dessen Platz nicht wegnehmen, sondern ihm den Raum für dessen eigenes Dasein schaffen. Stellvertretung meint einen Einsatz, der das Gegenüber nicht ersetzt, sondern freisetzt. 6.3  Solidarität als Seele der Seelsorge Ich denke erneut an eine von HIV/AIDS aufs Entsetzlichste bedrohte Welt, in der Vollwaisen aufwachsen, deren älteste Schwester nicht nur für ihre jüngeren Geschwister Sorge trägt, sondern auch schutzlos der Gefahr ausgesetzt ist, vergewaltigt und geschwängert zu werden. Zugleich lebt ein Gottesdienst in Soweto in mir fort, die Kraft der Frauenstimmen, der Tanz in der Liturgie und die starken Zeichen von Lebensfreude und Gottvertrauen. Doch wie finden diese Hoffnung und jene Hoffnungslosigkeit zueinander? Wer hofft für diejenigen, denen die Kluft zwischen beiden Seiten unüberwindlich erscheint, die diese Inkongruenz zu zerreißen droht, denen jede Hoffnung abgeht? Ich denke erneut an russische Straßenkinder, die mir in Straßenschächten unterirdisch verlaufende Rohre zeigten, an denen sie sich in Winternächten bei klirrender Kälte wärmen, weil ihnen nach Hause gehen noch unerträglicher wäre. Wer ermöglicht ihnen, dass sie zu ihrer Geburt nachträglich Ja sagen können, dass sie auf traumatische Widerfahrnisse in der eigenen Familie, auf Verdrängtes, das wieder herandrängt, auf fremde Ansprüche antworten können, ohne daran zu zerbrechen? Wer wird ihnen zum Nikolaus? Ich denke an diejenigen, die ich zu Hause begleite: Menschen, die nicht Ja sagen können zu ihrer Geburt, weil niemand zu ihnen

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Ja gesagt hat; Menschen, die sich in ihrer unantastbaren Würde angetastet fühlen, von fremder Hand gepeinigt, die sie noch immer spüren und die sie nicht loslässt. Sie fühlen sich enteignet, unwürdig, in ihrer Würde verraten. Wie kann ich sie wertschätzen, wenn sie meine Liebe und meine Solidarität nicht zu verdienen glauben? Wie kann ich als Seelsorger die Unantastbarkeit ihrer Würde und ihre Unersetzlichkeit bezeugen? Wem bin denn ich unersetzlich? Doch einzig denen, die mich lieben – solange sie mich lieben. Und zu einem Unersetzlichen werde ich nicht aus mir selbst, sondern indem ich angewiesen bleibe auf andere. Unersetzlich bin ich denen, die ihre Hoffnung auf mich setzen und für mich eintreten, ohne aus mir eine Null zu machen. Wer an meiner Stelle glaubt, hofft und liebt, weil und solange ich nicht glauben, nicht hoffen, nicht lieben kann, hebt mich nicht auf, sodass es auf mich nicht mehr ankäme. Er springt nicht so für mich ein, dass ich meinen Platz räumen muss, vielmehr springt er voraus (­Heidegger, 1927/1986, S. 122). Wer an meiner Stelle glaubt, hofft und liebt, läuft vielmehr vor, und ich folge nach, andere folgen nach, weil einer sich nach ihnen umsieht und sie ansieht. Dieser eine verleiht ihnen durch sein Ansehen Ansehen, und er leidet mit denen und an denen, die nicht nachkommen. In seiner Liebe erzwingt er nichts, aber er hofft alles. Er lässt denen, die er solidarisch vertritt, die Zeit, an ihre Stelle zurückzukehren. Er zwingt sie nicht dazu, er hofft für sie. Liebe ist als Hoffnung Stellvertretung. Der Stellvertreter macht sich abhängig, er weiß, dass er nicht machen kann, was und worauf er hofft, aber genau in dieser Ohnmacht ist er zur Liebe befreit. 6.4  Das Hohelied der Liebe als das Hohelied der Endlichkeit In diesem Hohelied der Liebe, in diesem Beitrag zur wechselseitigen Menschwerdung einander Fremder in Solidarität liegt für mich die Seele der Seelsorge. Seelsorge bei Seelenfinsternis etwa gestaltet sich, wenn sie glückt, als ein Prozess, der zu einer Umstimmung führen mag, die ein Mensch gerade darum zulassen kann, weil der Seelsorger ihn in seiner Finsternis ganz sachte behelligt, ihm diese Umstimmung aber nicht aufzwingt oder abringt. Ich erinnere an Kierkegaard (1843/1913, S. 159): Sobald ein Mensch sich in seiner Stimmung ver-

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steht, ist sie gehoben. Diese Umstimmung, diese spürbare Wandlung kann gleichsam eine Einstimmung in das Hohelied der Liebe sein, eine Einstimmung in das Antwortenmüssen auf jene fremden Ansprüche, die uns lebenslang begleiten, von der Geburt bis zum Tod. Diese Einstimmung richtet sich darauf, dass wir ein nachträgliches Ja zu unserem endlichen Leben sagen, ein kulturell so oder so gestimmtes Ja zu jenem Geschenk, in aller Endlichkeit unendlich geliebt zu sein. Seelsorge lässt sich umschreiben als eine solche Umstimmung, als eine Einstimmung in das Hohelied der Endlichkeit – mit den Worten von Johann Michael Sailer: »Seelensorge überhaupt ist die entscheidende Stimmung des Gemüthes für die ewigen Angelegenheiten des Menschen.« (1812, S. 9) Und die menschliche Endlichkeit – von Anfang bis Ende, von der Geburt bis zum Tod unter fremdem Anspruch stehend – gehört ganz gewiss zu jenen ewigen Angelegenheiten!

7  Nochmals: »Bist du so fremd?« »Glücklich der Jünger, dessen Meister der Sterblichkeit ihren Sinn verliehen hat.« (Steiner, 2003, S. 69) Mit diesen Worten George Steiners komme ich auf den Anfang zurück. »Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?« (Lk 24,18) Die beiden Jünger, wie mit Blindheit geschlagen, weil ihnen Hören und Sehen vergangen ist, sprechen den Fremden an. In der Fremde und in der Begegnung mit diesem Fremden wickeln sich ihre eigenen Geschichten aus. Und dann lassen sie sich auch durch den Fremden ansprechen: »Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?« (Lk 24,17) »Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Christus das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen?« (Lk 24,25 f.) Doch sie verstehen ihn nicht. Es braucht lange Zeit und einen langen Weg, bis sie ihn in ihr Haus einlassen und ihn erkennen. Ihr Gast offenbart sich ihnen als der Auferstandene – und seinerseits als Gastgeber: So »nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn; und er entschwand ihren Blicken.« (Lk 24,30 f.) Der fremde Auferstandene

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zeigt sich den Jüngern als Gastgeber, bevor er sich ihnen wieder entzieht. Eucharistisch verwandelt erschließt sich ihnen der Sinn des zunächst Sinn- und Hoffnungslosen, umgestimmt können sie einstimmen und dem Widerfahrenen zustimmen, können sie auf fremden Anspruch antworten. Als Zeugen seiner Realpräsenz werden sie anderen Menschen präsent. Sie geben im Paradox des Gebens (Feiter, 2010, S. 297 ff.; Waldenfels, 2017, S. 290), was sie nicht haben, sie geben Kunde von dem Dritten, der sich entzogen hat, sie handeln nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, sondern aus einer Notwendigkeit heraus: »Brannte uns nicht das Herz in der Brust?« (Lk 24,32) Die Liebe Christi drängt sie (2 Kor 5,14). Sie finden endlich ihre Antwort, sie werden initiativ und kreativ: Unter fremdem Anspruch stimmen sie sich und andere auf das Hohelied der Endlichkeit ein.

Intrapersonelle Interkulturalität und Toleranz Jakob Mertesacker

»Interkulturell« zu denken, bedarf einer Reflexion über die Bedeutung und Tragweite des Begriffes der »Interkulturalität«. Meine These wird sein, dass wir als biopsychosozial verankerte Individuen gar nicht anders können, als Interkulturalität interkulturell zu denken. Um diese auf den ersten Blick tautologisch wirkende Aussage aufzuklären, ist es notwendig, einen Blick in die Diskurse um den Begriff der Interkulturalität zu werfen und verschiedene Bezugsebenen dessen, was interkulturell sein kann, zu unterscheiden. Der positiv getönte Begriff der Interkulturalität wird – so scheint mir – nicht immer deckungsgleich verwendet. Damit verliert der Begriff an Schärfe, und es kann zu Missverständnissen kommen, wenn Personen mit unterschiedlichem Kenntnisstand oder unterschiedlichem (kulturellen) Hintergrund sich über »Interkulturalität« verständigen. Diese Verständigung ist dann zwar vielleicht in einem speziellen Sinne interkulturell, aber nicht unbedingt effizient. Unterschiedliche Verwendungen eines Begriffes sind nicht »falsch«, aber es kann sein, dass die Kommunikation abbricht und nur ein Rauschen eintritt.

1 Kultur Um den Begriff der Interkulturalität fassen zu können, ist zunächst eine Differenzierung den Begriff der Kultur betreffend notwendig. Dabei sind ganz grundlegend (1) Theorien der geschlossenen Kulturen von (2) Theorien der offenen Kulturen zu unterscheiden: (1) Ein geschlossener Kulturbegriff geht von abgrenzbaren Kulturen aus, die eine gewisse innere Homogenität aufweisen und nach außen abgrenzbar sind – zum Beispiel eine »abendländische« oder eine »buddhistische« Kultur (Yousefi u. Braun, 2011). Kultur ist dabei sehr breit zu fassen und reicht »von Verhaltenskodizes über Mentali-

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täten und Lebensformen bis hin zu institutionellen Traditionen und Werkbeständen« (Schwemmer, 2010, S. 1335). Alle diese möglichen Ausprägungen des Kulturellen werden innerhalb eines »Kulturkreises« als maximal ähnlich und nach außen als maximal unähnlich angenommen. Kultur wird dabei häufig normativ verstanden, als Konzept, das eine mehr oder weniger geschlossene Menge akzeptierter (und nicht akzeptierter) Lebensentwürfe enthält. (2) Ein offener Kulturbegriff behandelt Kulturen als veränderbare Sinnund Orientierungssysteme, die Beziehungen innerhalb und außerhalb einer Gruppe strukturieren und einen Rahmen für soziale und institutionelle Organisation bilden (Yousefi u. Braun, 2011). Ein offener Kulturbegriff ermöglicht Dynamiken und Durchlässigkeiten und wird so dem Phänomen von gewachsenen Kulturen eher gerecht. Dieter Senghaas beschreibt am Beispiel der »europäischen« Kultur, dass diese keineswegs ein monolithischer Block ist und auch die »europä­ ischen Werte« erst Ergebnis eines jahrhundertelangen Aushandlungsprozesses sind. Er vermutet, dass erst die innere politische Heterogenität und Kleinstaatlichkeit Europas dazu führen konnte, dass sich das herausgebildet hat, was heute als »europäisch« bezeichnet wird: »Ohne die heftigen intellektuellen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Kulturbereichen im Hinblick auf Grundpositionen – als Streit von sich befehdenden Denkschulen wahrgenommen – wären die originären Kulturzeugnisse, die zum Kristallisationspunkt späterer Prozesse wurden, vielleicht von nur lokaler Bedeutung geblieben oder gar in Vergessenheit geraten.« (­Senghaas, 1998, S. 10) Senghaas unterstellt, dass die Entwicklung zu einem homogen erscheinenden Konzept keineswegs vorhersehbar war, sondern Wandlungen und Umbrüche in nicht linearer und nicht vorhersehbarer Weise zu dem Stand führten, der nun als Kultur sichtbar ist. Dabei neigt ein geschlossener Kulturbegriff eher dazu, in Kultur eine ontologische oder normative Kategorie zu lesen, während offene Kulturbegriffe Kultur häufig zunächst als ein Phänomen sehen. Dieser offene Kulturbegriff wird der Realität deutlich besser gerecht

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als ein geschlossener Kulturbegriff. Yousefi und Braun (2011) fassen zusammen, wie Kultur als offener Begriff definiert werden könnte: »Kultur ist ein offenes und dynamisch veränderbares Sinn- und Orientierungssystem, das –– sich entwicklungsgeschichtlich vor allem durch Religion und Wissenschaft sowie im Medium der Kunst ausprägt; –– es uns ermöglicht, eigenes Verhalten so zu planen, dass es von anderen Angehörigen unserer Kultur verstanden und interpretiert werden kann; –– uns zugleich die Möglichkeit einräumt, das Verhalten anderer Menschen, welcher Herkunft und Hautfarbe auch immer, einzuschätzen und entsprechend zu bewerten; –– kollektive Identitäten, vornehmlich durch Ausbildung kultureller Traditionen, konstruiert.« (S. 12) Diese Definition von Kultur beinhaltet zwei Momente, die ich im folgenden Text aufgreifen und vertiefen möchte. Dies ist einerseits die Konstruktion von Identitäten und andererseits das Phänomen des Eigenen beziehungsweise Fremden. Zuvor ist jedoch wichtig, die Austauschprozesse und Entwicklungsdynamiken von Kulturen noch etwas zu vertiefen. Mit der Idee von offenen Kulturen ist verbunden, dass sich möglicherweise einzelne Elemente zwischen Kulturen ähnlicher sind als bestimmte Elemente innerhalb einer Kultur. Zum Beispiel kann eine religiöse Frömmigkeitspraxis auf der phänomenalen Ebene hoch ähnlich in verschiedenen Religionen vorkommen. Senghaas (1998) bringt die Herausbildung gemeinsamer Werte bei bleibenden Ungleichheiten auf gesellschaftlicher Ebene in den Rahmen eines »Modernisierungsprozesses«, den Europa in den vergangenen Jahrhunderten durchlaufen hat. Dies lässt sich jedoch universalisieren: »Gesellschaften, die Modernisierungsschüben ausgesetzt sind, geraten in diesem Prozeß mit sich selbst in Konflikt, denn je mehr Modernisierung voranschreitet, um so weniger lassen sich alte und neue Parteiungen – ihre Identitäten und Interessen – auf einen Nenner bringen, schon gar nicht auf einen althergebrachten. […] Eine solche Ordnung zu finden (wenn nicht gar zu erfinden),

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gehört zu den großen Kulturaufgaben, wo immer Modernisierung stattfindet und Pluralität entsteht. Da traditionale Kulturen diese moderne Pluralität nicht kennen, richtet sich diese Kulturaufgabe immer auch wider die eigene Tradition.« (Senghaas, 1998, S. 21) In diesem Zusammenhang spricht Senghaas von »Zivilisierung wider Willen« – so der Titel seines Buches. Angesichts dieser Unausweichlichkeit sieht er die Notwendigkeit, eine interkulturelle Philosophie zu entwickeln, da traditionelle Philosophien als Teil der herkömmlichen Gesellschaft zwar an dem Modernisierungsprozess beteiligt sind, jedoch nur eine interkulturelle Philosophie in der Lage sei, »sich der Welt zu stellen, so wie sie ist. Diese Welt hat sich aber, gemessen an jener Zeit, als die traditionale Philosophie entstand, völlig gewandelt.« (S. 47) Die Chance, die er für Gesellschaften in diesem Prozess sieht, besteht »darin, daß alle Kulturen mehr als je in der Vergangenheit wirklich mit sich selbst in Konflikt geraten und darüber selbstreflexiv werden« (S. 48). Senghaas beschreibt in seinem Buch die Interkulturalität von Gesellschaften und dem, was in klassischer Diktion »Kulturräume« heißt. Soziologisch betrachtet, handelt es sich also um die Makroebene von Interkulturalität. Nicht weniger spielen sich Prozesse der Interkulturalität auf der Meso- und Mikroebene, also im Bereich von Gruppen und im Bereich des Individuums ab. Diese unterschiedlichen Ebenen machen es notwendig, Interkulturalität aus dem Standpunkt verschiedener Disziplinen und im Gespräch zwischen diesen Disziplinen zu betrachten (Yousefi u. Braun, 2011). Im Folgenden wird (auch aufgrund meiner eigenen Profession) eine psychologisch-psychoanalytische Perspektive im Mittelpunkt stehen und demnach primär die Mikroebene betrachtet werden, die jedoch aufgrund der biopsychosozialen Konstitution des Menschen niemals isoliert in Erscheinung tritt.

2 Interkulturalität – Multikulturalität – Transkulturalität Nachdem ich kurz umrissen habe, wie ich im Folgenden »Kultur« verstehen möchte, gehe ich noch einmal auf eine Begriffstrias ein,

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die eine Rolle spielt, sobald Kultur im Plural gedacht wird. In einem Aufsatz von 1999 führt der deutsche Philosoph Wolfgang Welsch das Konzept der Transkulturalität ein, das er von Interkulturalität und Multikulturalität abgrenzt. Ich beschränke mich bei der Vorstellung des Konzeptes auf diesen Autor. Auch Welsch hält das klassische Konzept klar umrissener und geschlossener Kulturen für inadäquat – und zwar aus dem einfachen Grund, der bereits genannt wurde: »[…] it cannot cope with the inner complexity of modern cul­tures.« (Welsch, 1999, S. 195) Das klassische Konzept, das er vor allem bei Herder sieht, beinhalte ein Moment der »inner homogenization and outer separation at the same time. Put harshly: It tends – as a consequence of its very conception – to a sort of cultural racism.« (Welsch, 1999, S. 195) Somit sei das klassische Konzept deskriptiv untauglich und normativ gefährlich (Welsch, 1999). Er zeigt drei Alternativen auf, wie der Situation entkommen werden kann. 2.1 Interkulturalität Das Konzept der Interkulturalität – so Welsch – sei der Versuch, mit dem Problem umzugehen, das entsteht, wenn Kulturen konfligierend aufeinandertreffen. Welsch sieht das Hauptproblem dieses Konzeptes darin, dass der klassische (also geschlossene) Kulturbegriff beibehalten wird: Kulturen werden als Inseln oder geschlossene Kugeln gesehen. »For just this reason, it is unable to arrive at any solution, since intercultural problems stem from the island-premiss.« (Welsch, 1999, S. 196) Die klassische Kulturkonzeption von Kulturen als isolierte Kugeln schafft also erst die Problematik, die mit dem Konzept der Interkulturalität gelöst werden soll. Diese Ansätze der Interkulturalität sind lediglich »kosmetisch« (S. 196). 2.2 Multikulturalität Welsch sieht das Konzept der Multikulturalität »surprisingly similar« (Welsch, 1999, S. 196) zum Konzept der Interkulturalität: Es sei vielmehr der Gegenstand der Betrachtung, der variiere. Multikulturalität betrachte, wie verschiedene Kulturen innerhalb einer Gesellschaft zusammenleben. Auch hier bleibe aber der herkömmliche Kulturbegriff bestehen – mit dem Unterschied, dass Kugeln nun in einer

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Parallelexistenz innerhalb derselben Gesamtgesellschaft existieren. Multikulturalität in diesem Sinne heuchle Toleranz und Verstehen, aber letztlich sehe das Konzept geschlossener Kulturen nicht vor, wie eine jeweilige Kultur überschritten werden kann. Multikulturalität akzeptiere solche Kulturgrenzen, fördere sie aber auch. Damit ist zwar eine Öffnung im Vergleich zu einer homogenisierten Einheitskultur erreicht, aber gleichzeitig zeige das Konzept eine Tendenz in Richtung einer Ghettoisierung (Welsch, 1999). Die Aussage, »sollen sie doch machen, was sie wollen, solange sie mich in Ruhe lassen«, zeugt eben nicht von Weltoffenheit und Toleranz. 2.3 Transkulturalität Mit dem Konzept der Transkulturalität überschreite Welsch – so er selbst – die Grenzen des geschlossenen Kulturbegriffs: »[…] a new form, which is to be called transcultural insofar that it passes through classical cultural boundaries.« (Welsch, 1999, S. 197) Die innere Differenzierung und zunehmende Komplexität bedingt, dass sich kulturelle Sphären durchdringen und in vermehrter Zahl neu auseinander hervorgehen. Weiterhin sind Kulturen wie nie zuvor miteinander verknüpft und stehen in Austausch miteinander. Globale Strukturen gehen über Kulturgrenzen hinweg und stellen unterschiedliche Kulturen vor dieselben Probleme. Den dritten Aspekt auf der Makroebene bezeichnet Welsch als Hybridisierung. »For every culture, all other cultures have tendencially come to be inner-­content or satellites.« (S. 198) In nahezu jeder Kultur, jedem Land finden sich Personen aus anderen Kulturen. Die Möglichkeit des medialen Austauschs ermöglicht in großem Umfang Kenntnisse des anderen, was letztlich zu Akkommodations- und Assimilationsprozessen im kulturellen Austausch führt. Welschs Konzept der Transkulturalität hat die Idee zum Kern, dass keine geschlossenen Kulturräume, die gegeneinander abgrenzbar sind, angenommen werden. Problematisch ist, dass Welsch – zumindest in diesem ersten Aufsatz zum Thema  – dazu neigt, einen Schritt zu weit zu gehen und Kulturen überhaupt abzulehnen. Zur Kritik an Welsch ist es meines Erachtens sinnvoll, sich die angedeutete Unterscheidung zwischen einem ontologischen Kulturbegriff und einem phänomenologischen Kulturbegriff noch einmal

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ins Bewusstsein zu rufen. Der ontologische Status von Kulturen ist unklar. Abgrenzbare, homogene Einheiten, bei denen maximale Ähnlichkeit nach innen und maximale Unähnlichkeit nach außen vorliegt, existieren sicher nicht im Falle von Kulturen. Es scheint eher so, als seien Kulturen ein emergentes Phänomen, das mit eigener Regelhaftigkeit über den es konstituierenden Einheiten erscheint. Denn das Phänomen der Fremdheit existiert ohne Frage und richtet sich nicht nur auf einzelne Personen oder auf einzelne Elemente und Verhaltensweisen von Gruppen, sondern auch auf einheitlich wirkende Konglomerate – eben auf Kulturen: »Eigenwelt und Fremdwelt« (Waldenfels, 1999a, S. 110) bleiben als Wahrnehmungen erhalten. Die Phänomenologie ist der Überzeugung, ein Ort jenseits von Kulturen könne nicht existieren (Waldenfels, 2016). Da dies an dieser Stelle nicht abschließend diskutiert werden kann, möchte ich aus pragmatischen Gründen den Begriff »Interkulturalität« beibehalten. Außerdem scheint er mir der Wahrnehmung, nicht jenseits, sondern zwischen den Kulturen – mit allen ihren Konflikten – zu leben, eher gerecht zu werden. Worin Welsch jedoch sicher recht hat, ist, dass nicht nur unsere Kultur, sondern vor allem wir selbst »cultural hybrids« (1999, S. 199) sind. Unsere Persönlichkeit ist ein Konglomerat aus unterschiedlichen Einflüssen unterschiedlicher Kulturen und Bestandteil aktiver Auseinandersetzung mit verschiedenen Einflüssen. Es bleibt die Frage, was eine solche hybride Identität im Innersten zusammenhält. Wie wird die »multiphrene« Grundsituation, das Einstürmen der unüberschaubaren Vielfalt von »Wünschen, Optionen, Gelegenheiten, Verpflichtungen und Werten« (Gergen, 1994, S. 36) bewältigt? Und wie wird dabei das Phänomen, eine Einheit zu sein, erzeugt und aufrechterhalten?

3  Persönlichkeit und Identität Zunächst ist das Verhältnis von Persönlichkeit und Identität zu bestimmen. Während personale Identität im philosophischen Sinne zumeist die diachrone Selbigkeit der Person bezeichnet, meint Identität im psychologischen oder soziologischen Sinne zumeist den Inhalt dessen, was eine Person über sich erzählt. Insofern ist Identi-

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tät ein Konstrukt, in das verschiedene Inhalte aufgenommen und zu einem kohärenten Ganzen verknüpft werden. In der Psychologie sind zwei Autoren maßgeblich mit dem Konzept der narrativen Identität verknüpft. Im englischsprachigen Raum ist dies der Persönlichkeitspsychologe Dan McAdams, der in seinem Text »What do we know when we know a person« (1995) drei Ebenen der Persönlichkeit beschreibt. Die erste Ebene ist die Ebene der Traits, also der überdauernden, unbedingten Persönlichkeitszüge. Die berühmten Big Five1 sind auf dieser ersten Ebene zu finden. Die zweite Ebene sind Wünsche und Bedürfnisse, Motivationen und Ziele, also gewissermaßen bedingte Eigenschaften. Die dritte Ebene ist das, was M ­ c­Adams Identität nennt. Es handelt sich um eine Erzählung, die all das enthält, was eine Person meint, wenn sie von sich selbst spricht. Diese Identität konstituiert sich in narrativen Prozessen. Ein persönlicher »Mythos« gibt den Erzählungen einen einheitlichen Rahmen und eine Bedeutung. Er macht das Wofür der Erzählung aus und stiftet Kohärenz: Hier wird auch die subjektive Selbigkeit meiner Person mit einbezogen: »Contemporary adults create identity in their lives to the extent that the self can be told in a coherent, followable, and vivifying narrative that integrates the person into society in a productive and generative way and provides the person with a purposeful self-history that explains how the self of yesterday became the self of today and will become the anticipated self of tomorrow.« (McAdams, 1995, S. 382) Eine solche Identität entsteht immer auch in Austauschprozessen mit der Umwelt, welche Bedingungen stellt und Wachstumschancen liefert. In einem wechselseitigen Prozess des schon Entwickelten und der Umweltbedingungen wird diese eigene Erzählung weitergeschrieben und zu der Erzählung passende Kulturumwelten aus1 Gemeint sind die fünf Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit, die sich in einer Vielzahl von Studien als kulturübergreifend erwiesen haben, s. Costa und McCrae (1992).

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gewählt. Dies wird vor allem bei dem deutschen Hauptvertreter der narrativen Identität, Heiner Keupp (2013), deutlich. Er betont, dass Identitäten stets in einer »alltäglichen Identitätsarbeit« konstruiert werden müssen. Das Subjekt ist dabei kein geschlossenes System, sondern steht als offenes System in ständiger Wechselbeziehung mit der Umwelt. Diese Umwelt zeichnet sich durch »zunehmende Mobilität, Pluralität, Ambiguität, Offenheit und Fragmentierung gesellschaftlicher Organisation« (Keupp, 2013, S. 61 f.) aus. Damit wird bezüglich der Identität die Frage gestellt, in welcher Weise Kohärenz erzeugt werden kann, und somit die Frage der Bewältigung der gegebenen »Multiphrenie« in einer multioptionalen und multikulturellen Gesellschaft thematisiert. Keupp (2013) geht von einer bleibenden, grundlegenden Bedeutung der Kohärenz für den Zusammenhalt der Identität und für grundlegende Funktionen des psychischen Wohlbefindens aus. Das wichtigste Phänomen gegenwärtiger Kohärenzbildung ist, dass traditionsreiche, große »Meta-Erzählungen« nicht mehr zur Verfügung stehen – in der Moderne ist eine Individualisierung und reflexive, je neue Aktualisierung von Kohärenz notwendig (Keupp, 2013).

4  Fremdheit und Vertrautheit Selbst wenn auf der Mikroebene verschiedene Kulturen immer schon integriert sind und sich damit Identität transkulturell im Sinne Welschs darstellt, bleiben die Phänomene von Fremdheit und Vertrautheit ein Faktum der menschlichen Existenz. Wie Welsch (1999) betont, zielt seine Idee der Transkulturalität weder auf Uniformität noch auf Partikularität ab. Damit konstruiert sich Identität aber eben in diesem Wechselspiel von Fremdheit und Vertrautheit. Das Ergebnis einer erfolgreichen Identitätskonstruktion hängt von der Fähigkeit ab, mit Fremdheit kreativ umgehen zu können. Etwas pauschalisiert fordert das Fremde (die fremde Kultur, aber auch jedes Gegenüber) mich in meiner Person und meinen Idealen heraus. Der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Alexander ­Mitscherlich sieht bei Nietzsche diesen Zusammenhang erkannt, wenn auch in seiner negativen Form:

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»Wer ganz tief und stark sein eigenes Ideal fördert, kann gar nicht an andere glauben, ohne sie abschätzig zu beurteilen – Ideale geringerer Wesen, als er ist. […] Somit ist Toleranz, historischer Sinn, sogenannte Gerechtigkeit ein Beweis des Mißtrauens gegen ein eigenes Ideal, oder das Fehlen desselben.« (Nietzsche, 1931, zit. nach Mitscherlich, 1964/1983, S. 263). Diesen Angriff auf die eigenen Ideale und das eigene Selbst abzuwehren ist nach Mitscherlich der Gehalt der ungehinderten Triebbedürfnisse. Intoleranz, also das ungehemmte Durchsetzen der eigenen Vorstellungen und Ideale auf der Basis der Triebenergien – so Mitscherlichs These –, ist die ursprünglich menschliche Reaktion dem Fremden gegenüber (Mitscherlich, 1964/1983). Er verweist auf Freud und dessen Aussage, wir stammten von einer langen Reihe von Mördern ab. Toleranz hingegen bliebe eine Leistung, die erlernt werden müsse (Mitscherlich, 1974/1983). Erst eine Reflexion der eigenen Ideale, der eigenen Kultur und der eigenen Person kann offenbaren, dass »dieses Misstrauen doch nur der Ausdruck des Scharfsinnes [ist], der mich einer Ungleichgewichtigkeit, einer ungerechtfertigten Abwertung des fremden und einer Überschätzung des eigenen Wesens ansichtig werden läßt.« (Mitscherlich, 1964/1983, S. 263 f.) Ein positiver Zweifel an meinen Idealen schützt mich vor Überheblichkeit und dem Gedanken, mein Ideal sei ein statisches System, das denen der anderen überlegen sei. »[N]icht gerät in Zweifel, daß ich meinen Idealen mit Liebe anhängen darf, sondern daß ich sie hegen könnte, weil sie mich privilegieren.« (S. 264) Ein zweiter Punkt bedarf der Reflexion: Mein Streben nach Kohärenz in meiner Identität kann zu einer Ignoranz der Genese und Abwehr der Vorstellung von der Fragilität meiner Identität führen, denn: »Innere Alternativen bedrängen uns. Mehrere Vorbilder haben ihre Erinnerungsspur in uns hinterlassen, mehrere innere Stimmen wollen zugleich gehört werden.« (S. 264) Die zur Stabilisierung der eigenen Identität notwendige Überzeugung, aus einem Guss zu sein, verselbstständigt sich und führt zur Abwehr dieser angeeigneten

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Anteile. Auch hier ist es eine Leistung, sich der Fremdheit der eigenen Anteile bewusst zu werden. Julia Kristeva sieht hier den Knackpunkt zu tolerantem Verhalten: »Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität, der Raum, der unsere Bleibe zunichte macht, die Zeit, in der das Einverständnis und die Sympathie zugrunde gehen. Wenn wir ihn in uns erkennen, verhindern wir, daß wir ihn selbst verabscheuen.« (2013, S. 11) Bei Mitscherlich wird dies alles unter »Einfühlung« verhandelt. Die Reflexion und Relativierung meiner Überlegenheit geht mit der Vorstellung einher, dass auch der andere Bedürfnisse hat, »die ich von ihm bei mir auch geachtet zu sehen wünsche« (Mitscherlich, 1964/1983, S. 265). Der »untereinander kreishaft verbundene[n] Trias Triebbedürfnis – Reflexion – Einfühlung« (S. 266) steht also in den Triebbedürfnissen letztlich ein Antagonist der Toleranz entgegen: »Toleranz hat ältere Feinde; nicht nur in der Intoleranz der anderen, sondern ebenso im ungeschlichteten Haß wegen der Verzichte, die wir selbst nicht verzeihen können und die wir in starre Selbstgewißheit verwandeln.« (S. 268) Der pessimistische Blick Mitscherlichs ist ohne Frage dem Hintergrund eines von in seinem Sinne intoleranten Parteien geführten West-Ost-Konfliktes geschuldet. Seine Überlegungen legen einen Fokus auf die Fremdheit des Gegenübers. Zarte Anklänge, dass beim anderen nicht nur Fremdheit, sondern auch Vertrautheit zu finden ist, habe ich gezeigt: Einfühlung setzt voraus, dass ich den anderen als Mensch als mir ähnlich erkenne. Dies sieht Mitscherlich jedoch nur im »besten Fall« gegeben. Die bei »vielen Menschen« nie überschrittene, »infantile Stufe des Lernens sozialer Regeln« funktioniere auf Abschreckung und Angst vor Bestrafung: »Der Egoismus ist nur in Situationen, die ihm Gefahr bringen, gezügelt.« (S. 265) Gleichwohl gibt es auch Situationen, in denen Toleranz, als Verrat tituliert, mehr oder weniger subtil sozial

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geächtet ist. Auch hier zeigt sich, dass die Zusammenhänge zu komplex sind, als dass man unter Realbedingungen auf die Vernünftigkeit aller Beteiligten setzen kann. Gerade der Punkt, dass Mitscherlich allein rationale Begründungen nicht zulässt, zeigt die Nützlichkeit für kulturelle Diskussionen. Ohne den Begriff des »Habitus« weiter zu thematisieren, bedingt die biopsychosoziale Verfasstheit des Menschen in seiner Kultur, dass sein Verhalten und seine Einstellungen nicht allein rational begründbar – und noch weniger beeinflussbar – sind. Damit ist aber gleichzeitig Schwierigkeit und Aufgabe von interkultureller Kommunikation benannt: Selbst wenn Individuen ihre kulturelle Hybridität intellektuell einsehen, ist damit noch nicht gesagt, dass sie sich als solche Hybriden verstehen und begreifen. Intrapsychische und soziale Widerstände – psychodynamisch als gegengerichtete Triebe gedeutet – stehen der einfachen Umsetzung entgegen. Es bedarf offensichtlich eines stabilen psychischen Fundamentes, eines sozioemotionalen archimedischen Punktes, der mir die Bewältigung meiner Hybridität in einer hybriden Gesellschaft ermöglicht. Im bereits zitierten späteren Aufsatz (Erstveröffentlichung 1974) sagt Mitscherlich, »daß nur der fähig ist, Toleranz durchzuhalten, der in der Lage ist – wo man ihn dazu zwingt –, seinen materiellen oder geistigen Besitz zu verteidigen. […] Besitz vermittelt ein Stück unersetzbarer Wirklichkeitserfahrung. Nur von diesem legitimen Besitz sprechen wir.« (1974/1983, S. 453 f.) Ein persönlicher Mythos, eine Kernidentität, die ich ­konkurrenz- und neidfrei als meine begreifen kann und die nicht durch das Fremde bedroht wird, wird zur Voraussetzung für eine transkulturelle Identität. Mitscherlich spricht von einer gewaltlosen »Aneignung durch Arbeit«: »[…] nur der, dem die eigene Leistung verteidigenswert ist, wird ernsthaftes Verständnis für die Lebenswelt der anderen aufbringen. Toleranz ist also kein schlaffes Hinnehmen, feiges Koexistieren. Sie ist nur möglich, wo die kreativen Leistungen anderer meine Leistungskraft herausfordern.« (S. 454)

Intrapersonelle Interkulturalität und Toleranz99

Meines Erachtens muss Mitscherlich damit in fundamentaler und herausragender Weise das meinen, was in späterer Terminologie »Identitätsarbeit« (s. o.) heißt.

5  Die kollektive Identität des frühen Christentums Julia Kristeva, oben bereits erwähnt, zeigt in ihrem kleinen Band »Fremde sind wir uns selbst« eine Literaturgeschichte der Fremdheit in psychoanalytischer Deutung. Unter der Situation der Frühkirche stellt sie Paulus als genialen Psychologen vor, dem es gelingt, die Fremdheits- und Andersartigkeitserfahrungen der frühen Christinnen und Christen in einer neuen Form der kollektiven Identität, nämlich der Zugehörigkeit zur Ecclesia, aufzufangen (Kristeva, 2013). In der hochzeitlichen, also erotischen Identifizierung Christi mit dieser Kirche und leiblichen Teilhabe in Eucharistie und Kommunion sieht sie ein Moment, das Fremdheit überwinden kann und einen sicheren, gemeinsamen Identifikationspunkt stiftet: »Anders und besser als die rechtlichen Lösungen, die sich an seine Neurose wenden, oder als das orientalische Eintauchen in den Schoß der Muttergöttin, trägt die paulinische Kirche der seelischen Spaltung des Fremden Rechnung; sie betrachtet seine Zerrissenheit weniger als eine zwischen zwei Ländern als eine zwischen zwei seelischen Ordnungen im Inneren der – nicht möglichen – Einheit seiner selbst. Die Fremden können eine Identität nur wiederfinden, wenn sie sich als zugehörig zur selben Heterogenität erkennen, die sie in sich selbst spaltet, zur selben lrrwanderung zwischen Fleisch und Geist, Leben und Tod. Aber ist es das nicht, was die Auferstehung Christi, seine Verklärung und unsere Eucharistie ihrer persönlichen Erfahrung aufdrängt?« (S. 90 f.) Das nach Kristeva Entscheidende an ekklesialer Gemeinschaft ist, dass sie die innere Spaltung durch den Glauben an Eucharistie und Auferstehung zum Verbindenden wandelt und so über die »Psychose« der Fremdheit »triumphiert« – ohne dabei die Heterogenität der Herkunftskulturen und unterschiedlichen Begabungen zu ignorieren: Ekklesia ist

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Jakob Mertesacker

»nicht das arithmetische Konglomerat mehr oder weniger unvereinbarer Einheiten (Jude, Grieche, Barbar, Sklave, Freier etc.), es ist eine neue, einer Logik der Subjektivität folgende Gemeinschaft, die sich unaufhörlich auflöst und neu zusammenfügt, die Wandlung selbst ist gerade die ›neue Kreatur‹« (S. 91). Christus selbst wird damit zum archimedischen Identifikationspunkt. Teilhabe an ihm ist der »Schatz im Himmel«, der ureigene, nicht durch Neid und Konkurrenz bedrohte Besitz. Folgt man also Kristeva, so ist der Kirche eine spezifische Interkulturalität eingeschrieben. Die Existenz als pilgerndes Gottesvolk macht diese dauerhafte Fremdheit und das eigene Schon und NochNicht der christlichen Existenz deutlich (Kristeva, 2013). Nimmt sich Kirche in diesem fundamentalen Fremdsein ernst, schließlich ist auch das Haupt der Kirche ohne Ort, an den es sein Haupt niederlegen kann, so müssen Seelsorge und Kirche notwendigerweise ein interkulturelles Moment aufweisen.

6 Konsequenzen Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass wir als Menschen immer in verschiedenen Kulturen beheimatet sind, die nicht als abgeschlossene Sphären, sondern als offene und dynamische Systeme zu denken sind. Als Individuen befinden wir uns in mehreren solcher Systeme mehr oder weniger stark verankert und empfinden ihnen gegenüber Fremdheit und Vertrautheit in unterschiedlich starkem Ausmaß. Unsere kollektive wie individuelle Identität umfasst diese verschiedenen Kulturzugehörigkeiten, und so stehen wir je zwischen den Kulturen und sind in unterschiedlichem Ausmaß Teil dieser Kulturen. Die kreative Nutzung von Vertrautheit und Fremdheit ist die Aufgabe, die mit der Gestaltung und Konstruktion unserer Identität verbunden ist. Gleichwohl betonen die herangezogenen Autoren, dass »Heimat« zum schöpferischen Umgang mit Fremde notwendig ist. Das trivial wirkende Ergebnis der Überlegungen in Bezug auf »Seelsorge interkulturell« ist daher, dass sich die interkulturelle Qualität von Seelsorge auch und vor allem in der beheimatenden Qualität von Seelsorge zeigt.

Fremde sind wir vor dir, Gott! Pastoralpsychologische Impulse zu einem heilsamen Umgang mit der Angst vor Fremdem Rebecca Marie Hafner

»Fremd bin ich bei dir, fremd, wie alle meine Vorfahren Fremde waren.« So übersetzt die Bibel in gerechter Sprache (2006) Psalm 39,13.1 Die Fremdheit der Menschen vor Gott, die vielleicht auch einen Hinweis auf die eigene Fremdheit des Menschen vor sich selbst offenbaren mag, ist in der Bibel ebenso präsent wie das Verhalten gegenüber fremden Menschen, beispielsweise Deuteronomium 10,18–19, Levitikus 19 und Lukas 10,25–37 (Heimbach-Steins, 2016). Wenn ich daran denke, wie manche Reaktionen der Menschen unserer Zeit auf Fremde sind, wird mir klar, dass es gar nicht so einfach ist, ein passendes Verhalten für den Umgang mit Fremdheit zu finden, und dass die Bibel an dieser Stelle vielleicht einige hilfreiche Impulse liefern kann. Mich bewegt, was hinter Abwehrmechanismen gegen Fremde und Fremdes liegt und wie die Angst vor fremden Menschen mit der Angst vor eigenen fremdartigen Persönlichkeitsanteilen zusammenhängt. Wie und warum die Seelsorge helfen kann, sich mit der Angst auseinanderzusetzen, und zugleich das Bereichernde in der Begegnung mit Fremdem und Fremden sichtbar werden kann, dazu sollen in diesem Artikel einige Impulse gegeben werden. Einleitend möchte ich deshalb zunächst einen kurzen Überblick darüber geben, wie ich Seelsorge und ihre Aufgabe in diesem 1 Ich habe die Übersetzung der »Bibel in gerechter Sprache« (Bail et al., 2006) gewählt, weil es mir besonders wichtig ist, gerade bei der Beschäftigung mit den Themen »Angst« und »Fremdheit« auch auf Gerechtigkeit zu achten. Bereits der erste Satz dieses Artikels würde in anderen Bibelübersetzungen die Hälfte der Menschheit ausschließen, weil nur die Väter, nicht aber die Mütter als Fremde vor Gott erwähnt werden. Und auch in den Bezeichnungen für Gott, der/die/das Ganz-Andere, ist meiner Ansicht nach die »Bibel in gerechter Sprache« offener für die verschiedenen Ansichten unterschiedlicher Menschen.

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Zusammenhang verstehe. Da Fremdheit oft mit Angst verbunden ist, werde ich darauffolgend diese beiden Aspekte in den Blick nehmen. Welcher Umgang mit Angst aus psychologischer Sicht sinnvoll und welches Verständnis von Angst dabei hilfreich sein kann, wird anschließend erläutert. Zum Abschluss möchte ich darauf eingehen, welche Hoffnung Seelsorge neben die Angst stellen kann, bevor ein kurzes Fazit den Beitrag abrundet.

1 Ein multidimensionales Seelsorgekonzept als Voraussetzung Für Doris Nauer (2001) erfordert die Pluralität der Postmoderne ein multidimensionales Seelsorgekonzept, das verschiedene Perspektiven nebeneinanderstehen lassen kann. Dies sieht sie besonders im trinitarischen Gottesbild legitimiert, das es ebenfalls erlaubt, eines und vieles gemeinsam zu denken. Hierzu passt ein Menschenbild, das den Menschen als fragmenthaft sieht, in dem es verschiedene Elemente nebeneinander gibt und das ein Stück weit immer Geheimnis bleibt. Dabei werden die Menschen als von Gott gewollt gesehen, in allen Ambivalenzen von schuldig und zugleich geliebt, von Ebenbild Gottes und zugleich Staub. In all dieser Gebrochenheit hat Seelsorge dabei zum Ziel, ein Stück Leben in Fülle zu ermöglichen. Die Seelsorgerin2 und der Adressat der Seelsorge stehen hierbei auf gleicher Ebene. Die Seelsorgerin versteht sich selbst als ebenso fragmenthaften Menschen wie der Adressat der Seelsorge. Und sie erlebt sich zugleich von der Gnade Gottes getragen und immer auf der Suche nach Gott. Zwischen beiden gibt es Verbindendes, und es bleibt Fremdes. Genau auf dieser Ebene wird Begegnung möglich (Nauer, 2001 u. 2007). Die verbindende Menschlichkeit ermöglicht dem Seelsorger ein Verständnis für die Gefühlslagen der Adressatin der Seelsorge, denn auch er kennt diese. Das konkrete Erleben von 2 Um möglichst geschlechtergerecht zu schreiben, verwende ich in diesem Artikel meistens den Plural. Wenn dies nicht möglich ist, nenne ich beide Geschlechter. Zur besseren Lesbarkeit verwende ich an einigen Stellen in möglichst ausgeglichener Form abwechselnd nur jeweils ein Geschlecht. Hierbei sind stets ausdrücklich Männer und Frauen gemeint.

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Hoffnung ermöglicht dem Seelsorger eine stellvertretende Hoffnung, die der Adressatin hilft, selbst wieder hoffen zu können (Kießling 2012a u. 2012b).

2  Fremdheit und Angst Niemand ist je irgendwo ganz zu Hause, weder an einem konkreten Ort noch in sich selbst, so beschreibt es der Philosoph Bernhard Waldenfels (1999a). Etwas von uns selbst bleibt uns immer verborgen. Als ein Beispiel nennt er, dass sich niemand an die eigene Geburt erinnern kann, und doch müssen alle davon ausgehen, dass sie geboren wurden. Es gibt also eine eigene Vergangenheit, die niemals Gegenwart war, und damit eine bleibende Fremdheit (Waldenfels, 1999a). Für Christoph Schneider (2016) ist Fremdheit eine Eigenschaft der Beziehung zwischen zwei Personen. Auch die Beziehung eines Menschen zu sich selbst kann Fremdheit an sich haben, wenn Anteile der eigenen Persönlichkeit als fremd erlebt werden (Schneider, 2016). Waldenfels (1999a) sieht dabei auch einen Zusammenhang zwischen Fremdheit und Feindschaft. Wer sich selbst als vollkommen ansieht, muss davon ausgehen, dass er der anderen nicht bedarf, und wird deshalb alles Fremde als feindlich abwehren. Nur wer auch das eigene Gebrochene anerkennen kann, kann sich auf andere einlassen und in ihnen die eigene Gebrochenheit wiederentdecken (Waldenfels, 1999a). Wenn die Begegnung mit Fremdem Angst hervorruft, bezieht sich diese Angst oft auf etwas eigenes inneres Fremdes, das nach außen getragen und dort bekämpft wird. Ein solcher Abwehrmechanismus wird »Projektion« genannt. Ein innerer Konflikt, mit dem kein passender Umgang gefunden wird, wird nach außen gebracht. Diese dunklen Seiten, die nicht akzeptiert werden wollen, werden auch Schatten genannt. Wird der Schatten nach außen projiziert, ist die Angst nicht mehr diffus im Inneren, sondern als Furcht im Außen greifbar. An diesem Punkt hat ein Mensch die Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, wenn die Angst noch nicht zu groß ist. Ist dies jedoch der Fall, schützen Menschen sich und meiden die Angst machenden Situationen. Es entsteht eine Spaltung. Man selbst ist gut, die Außenwelt böse. Als Folge wird der eigene Schatten auf

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andere Menschen projiziert. Hier kann zum Beispiel Fremdenangst entstehen oder sich verstärken. Weil die diffuse Angst im Inneren nicht weiter ausgehalten werden kann, muss sie konkretisiert werden (Kast, 2014). Dies geschieht ebenso auf der Ebene der Gesellschaft. Da die große Angst, zum Beispiel vor dem Tod, nicht besiegt werden kann, werden kleinere Ängste geschaffen, die bewältigt werden können. So erklärt sich eine Angst vor der Hölle, der man durch Gottes Hilfe entgehen kann, während man dem Tod hilflos ausgeliefert ist. Und so erklären sich in der Geschichte auch die Angst vor Hexen oder Juden, die als Gruppe die Konkretisierung einer dahinterliegenden diffusen Angst vor dem Unbekannten erfahren (Henze, 2013). Gegen die eigene Angst helfen auch Projektionen nur vorübergehend. Die Angst vor dem ursprünglichen Auslöser ist zwar verschwunden, dafür wurde sie ersetzt durch Angst vor demjenigen, auf den projiziert wurde. Diese Angst wird schnell größer, als die ursprüngliche Angst je war, und schwieriger zu bewältigen. Und sie führt mitunter häufiger zu Gewalt (Kast, 2014). »Was mich verfolgt, das will eigentlich zu mir, […] weil es schon einmal zu mir gehört hat« (S. 66). Der Dialog mit dem Unbekannten, Angstmachenden, auf das ich projiziert habe, führt zu Kontakt mit den eigenen abgespaltenen Seiten. Indem ich die anderen besser kennenlerne, muss ich irgendwann zwangsläufig meine Ansichten korrigieren und kann mich mit meinen eigenen Projektionen konfrontieren. Dies wird in der Therapie genutzt (Kast, 2014).

3 Umgang mit und Verständnis von Angst aus psychologischer und therapeutischer Sicht Der Begriff »Angst« lässt sich nur schwer definieren, da uns die Angst in vielerlei Facetten begegnet. Jede und jeder von uns kennt das Gefühl der Angst und könnte wohl eine eigene Definition geben. Angst ist zuallererst ein subjektives Geschehen (Floßdorf, 1999). Prinzipiell muss jede Form von Angst als real angenommen werden, weil sie auch so empfunden wird. Angst ist niemals grundlos, selbst wenn sie von außen betrachtet so erscheinen mag. Nicht die

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Angst an sich ist das Problem, sondern der dahinterliegende Konflikt, der sie auslöst. Der Konflikt besteht oft darin, dass die betroffene Person zwischen zwei Alternativen zu wählen hat, die beide als gleich gefährlich empfunden werden. Meist ist dieser Konflikt aber zunächst weder diesem Menschen noch Außenstehenden ersichtlich. Die Angst zeigt in adäquater Weise, dass etwas nicht stimmt, die Ursache dahinter muss entschlüsselt werden (Mentzos, 2011). Für Stavros Mentzos (2011) ist das Ziel einer Therapie, die wegen Ängsten begonnen wird, die Dynamik, die hinter einer Angstreaktion liegt, zu verändern. Patientinnen und Patienten fühlen sich so nicht als »gestört« wahrgenommen, sondern als Menschen, die in einem Konflikt gefangen sind. Kommt ihnen eine solche einfühlsame und respektvolle Haltung von Therapeutin oder Therapeut entgegen, verspricht die Behandlung Erfolg (Mentzos, 2011). Ich halte ein solches Verständnis für hilfreich, weil es die Angst entdämonisiert. Wenn Angst nicht als »falsch«, sondern als adäquat angesehen wird, fällt es leichter, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sich zum Beispiel in der Psychotherapie der eigenen Angst zu stellen, braucht die Hilfe anderer Menschen, weshalb ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zwischen Therapeutin oder Therapeut und Klientinnen und Klienten von entscheidender Bedeutung ist, unabhängig davon, wie zentral diese Beziehung im Konzept der Therapie vorkommt. Wichtig bleibt außerdem festzuhalten, dass die Angst niemals ganz überwunden werden kann, weil sie zum menschlichen Leben dazugehört. Möglich ist jedoch, einen neuen, positiveren und lebensförderlichen Umgang zu finden (Mentzos, 2011). Verena Kast (2014) sieht das therapeutische Arbeiten als Hilfe zu Selbstfindung, Entwicklung und Identität. Sie fragt vor allem danach, was die Angst uns sagen möchte. Angst tritt häufig in Übergangsphasen auf. Wenn etwas Neues in unser Leben eintritt, können wir dem entweder Raum geben oder nicht. Kann Altes nicht losgelassen werden und gelingt das Einlassen auf Neues nicht, kann eine Entfremdung von uns selbst geschehen. Oft tauchen in diesen Phasen auch Konflikte und Lebensthemen aus der Vergangenheit wieder auf. Die Identität ist instabil. Das Fremde in uns und der verdrängte Schatten kommen an die Oberfläche. In solchen Angstsituationen suchen die meisten Menschen nach Sicherheit. Diese finden sie oft

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in anderen Menschen, von denen sie denken, dass sie der Situation gewachsen sind. Hier besteht die Gefahr, ideologische Systeme zu übernehmen, weil sie meist nicht so komplex wie die tatsächliche Wirklichkeit sind. Einfache Lösungen sind in der Hilflosigkeit von Angstsituationen besonders attraktiv. Auf diese Weise kann Fremdenangst entstehen und verstärkt werden. Therapie kann dazu verhelfen, eine sicherere Identität zu entwickeln. Dies meint keine unveränderlich stabile, sondern eine flexible Identität, die darauf vertraut, dass sie auch nach instabilen Phasen immer wieder neu gewonnen werden kann. Dazu ist eine Haltung der Offenheit gegenüber dem Fremden in der eigenen Psyche notwendig. Der Schatten muss akzeptiert werden. Im aktiven Aushalten der Angst wird ein neues Selbsterleben möglich, und alte Konflikte können bearbeitet werden. So geben Umbruchsituationen zugleich die große Chance, viel mehr zu bearbeiten als nur die aktuelle Situation. Die Angst kann so auf positive Weise befragt werden, was sie mir sagen möchte, wo ich gerade die Möglichkeit habe, etwas Neues an mir zu entdecken und vielleicht zu verändern oder zu integrieren. Dem nicht nachzugehen, kann ein Verlust sein. Mitmenschliche Beziehungen können helfen, sich der Angst zu stellen, und sie haben ihre Grenzen. Das bewusste Aushalten von Einsamkeit konfrontiert auf eigene Weise mit dem eigentlichen Sein. Es kann die Erfahrung schaffen, dass man selbst auch unabhängig von anderen jemand ist. Dies kann zu Selbstvertrauen und Selbststand führen. Verena Kast ermutigt also zum Aushalten von Angst, zu einer »Tapferkeit vor der Angst« (Kast, 2014, S. 214). Angst ist ein normaler Bestandteil des menschlichen Lebens. Sie will immer etwas sagen. Und wir sind der Angst nicht einfach ausgeliefert. Wir haben die Fähigkeit, uns ihr zu stellen. Und wir haben auch viele andere Gefühle und Emotionen als Ressource: Freude, Mut und Hoffnung. In der Geschichte der Menschheit haben viele Menschen, besonders in Kunst und Literatur, immer wieder eine Hoffnung neben die Angst gestellt und aufgezeigt, wie sich das Leben trotz der Angst gestalten lässt (Kast, 2014).

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4  Das Potenzial von Hoffnung in Seelsorge Glaube und Hoffnung müssen sich immer wieder der Angst stellen. Das dürfen Theologie und Seelsorge nicht vergessen. Dennoch ist es ihre Aufgabe, durch eine »Haltung zur Hoffnung auf die unbedingte Liebe Gottes« (Lubberich, 2014, S. 253) zu verweisen. Glaube und Hoffnung auf die Liebe Gottes reichen dabei allein nicht aus. Die Liebe muss auch erfahren werden. Diese Erfahrung in der zwischenmenschlichen Begegnung muss in gleicher Weise auf etwas Letztem gründen. Nur im Zusammenspiel beider Aspekte ist es möglich, sich der existenziellen Angst zu stellen. Der Mensch bleibt aufgrund seiner Endlichkeit verwundbar. In der Begegnung mit anderen Menschen wird er sich dieser Verwundbarkeit bewusst und kann sie im gegenseitigen Vertrauen in den Hintergrund treten lassen, weil er sich selbst als vertrauenswürdig erlebt. Seelsorge kann die Angst nicht überwinden. Aber sie kann den Menschen beistehen, sie ernst nehmen und mit ihrer Angst nicht alleinlassen. Im Vertrauen eines anderen Menschen wird Hoffnung auf die Liebe Gottes vermittelt. Die Hoffnung steht dann neben der Angst (Lubberich, 2014). Angst stellt die Frage nach Gott und die Frage nach Sinn, wenn sie nicht bei der Leere, dem Nichts bleiben möchte. Sie fragt danach, ob es eine begründete Hoffnung neben der Angst gibt. Eine Antwort kann in der Verheißung Gottes und im Mitleiden Jesu gefunden werden. Die Selbstmitteilung Gottes ist Liebe. Hier trifft göttliche Freiheit auf menschliche Freiheit. Die Menschen sehen ihre Möglichkeit zur Transzendenz und bleiben doch zugleich verwiesen auf Liebe und Zuneigung. Der Blick ins Nichts wird gespiegelt in der Liebe Gottes und wird so zur Hoffnung. Aber unsere Hoffnung gründet auf etwas Unverfügbarem. Gott bleibt Geheimnis, aber nicht der gänzlich Ferne. Die Gottesliebe kann in Nächstenliebe vermittelt werden. In vielen biblischen Beispielen ruft Gott die Menschen dazu auf, aus Sicherheiten aufzubrechen und Neues zu wagen, Freiheit zu erlangen (Lubberich, 2014). Die Glaubensexistenz zeigt sich so als »Existenz im Aufbruch« (Lubberich, 2014, S. 150). Exemplarisch wird dies deutlich an Mose, der aufbrechen soll, um das Volk Israel aus Ägypten zu befreien. Ihm offenbart sich Gott als unverfügbar und

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zugleich nah – in einem Phänomen, das außerhalb der Zeit stehen muss, einem Dornbusch, der brennt und nicht verbrennt (Ex 3,14). Allein durch diese Art der Offenbarung wird etwas von der Freiheit und Entzogenheit Gottes deutlich. Und zugleich sagt Gott seine helfende Nähe zu. Er tritt in Beziehung und zeigt sich als der Gott, der auch der Gott der Vorfahren Moses ist. In aller Unverfügbarkeit bleibt Gott dem Volk Israel treu und erfüllt die Verheißungen, die er schon den Erzeltern gegeben hat. Für das Volk Israel ist der Auszug aus Ägypten ein zentraler Akt der Befreiung, der zugleich mit der Erfahrung von Angst und Hoffnung einhergeht. Im Grenzbereich und der Übergangszeit der Wüste wird das Volk Israel ganz neu mit der eigenen Fremdheit und der Suche nach Identität konfrontiert. Der als fremd erlebte Gott schließt am Ort des Übergangs einen Bund mit dem wandernden Volk. Der Ort des Mangels wird zugleich als Ort der Nähe Gottes erlebt. Weil das Volk Israel ganz zentral Befreiung aus der Fremde erlebt hat, stehen auch alle ethischen Vorschriften unter dem Vorzeichen von Befreiung, was besonders die Einleitung der Zehn Gebote sehr deutlich macht (Ex 20,2). Die gemeinsame Erfahrung der Fremdheit verbindet auch mit den Fremden in Israel, und so ist die Fremdenliebe fest in den Gesetzen Israels verhaftet (Dtn 10,18–19 u. Lev 19; Dohmen, 2015; Heimbach-Steins, 2016; Lubberich, 2014). Ohne die lebendige Erfahrung von Hoffnung ist es kaum möglich, sich mit der eigenen Angst auseinanderzusetzen. Dabei ist Hoffnung nicht das Gegenteil von Angst. Das Gegenteil wäre Gleichgültigkeit. Hoffnung steht neben der Angst, denn ohne Angst gäbe es keine Hoffnung. Angst darf deshalb von Theologie und Seelsorge niemals kleingeredet werden, sondern muss immer ernst genommen werden. Seelsorge hat die Möglichkeit, ein Hoffnungspotenzial in den Menschen zu wecken, das nicht nur aus uns selbst entsteht, und diese Hoffnung neben die Angst zu stellen. Hoffnung beruht dabei auf dem Vertrauen in die Güte und Liebe Gottes. Diese Perspektive der Hoffnung zu vermitteln, ist wichtige Aufgabe der Seelsorge (Lubberich, 2014). Eine Hoffnung, die neben der Angst steht, kann diese nicht überwinden, dennoch meint Christoph Lubberich (2014), dass es mög-

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lich ist, sie zu verwinden. Es ist möglich, über eine konkrete Angst hinwegzukommen. Und sie bleibt immer Teil der eigenen Geschichte. Ängste werden weiterhin zum Leben dazu gehören. Aufgrund der Freiheit des Menschen und der Freiheit Gottes kann es nur Hoffnung geben – und kein sicheres Wissen. Die christliche Hoffnung ist dabei keine rein jenseitige Hoffnung. Die Menschen sollen ja nicht nur auf das Leben nach dem Tod vertröstet werden, sondern im Hier und Jetzt gut leben. Dabei erkennt die Hoffnung an, dass es etwas gibt, was verzweifeln lässt. Weil es daneben aber auch etwas gibt, das trägt, kann die Hoffnung dazu ermutigen, sich mit der Verzweiflung auseinanderzusetzen. Lubberich (2014) sieht die Hoffnung als Grenzeigenschaft an. Die christliche Hoffnung ist kein Wunschdenken. Sie bezieht sich auf einen Gott, der sich im Leben der Menschen tatsächlich erfahren lässt, wenn auch nur vermittelt – und zu hoffen, bleibt trotz allem ein Wagnis. Die Liebe Gottes zeigt sich oft anders als erwartet; sie ist ein Geschenk, Gnade, die in Freiheit angenommen werden kann oder nicht. Die grundlegende Sehnsucht des Menschen nach Anerkennung und Liebe ist zugleich eine Erfahrung seiner Endlichkeit und Abhängigkeit. Die Menschen sind angewiesen auf nicht planbare und nicht einklagbare Begegnungen der Liebe, da echte Liebe immer nur frei geschenkt sein kann. Diese völlige Liebe ist irdisch schwer umzusetzen, weshalb diese Erfahrung entweder in Verzweiflung stürzen kann, in das Nichts des Abgrunds, sie kann verleugnet werden, oder aber ihr wird die Hoffnung auf tatsächliche Erfüllung in der unendlichen Liebe Gottes entgegengestellt (Lubberich, 2014). Freiheit kann erst in Begegnung erlebt werden. In der Kontaktaufnahme mit fremder Freiheit wird der Mensch sich seiner eigenen Freiheit bewusst und kann sich selbst verwirklichen. In der Freiheit der anderen begegnet dem einzelnen Menschen zugleich die Möglichkeit des Scheiterns, was Angst hervorruft – Angst, zum Objekt zu werden oder nur in seiner Möglichkeit, nicht aber in seinem tatsächlichen Sein gesehen zu werden. Und die gleiche Gefahr besteht umgekehrt in Bezug auf die anderen. Erst wenn beide sich als unendlich-endlich anerkennen, kann Begegnung gelingen. Zwischenmenschliche Begegnungen können bei der Verwindung von Angst helfen. Die Gottesliebe wird in der Nächstenliebe erfahr-

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bar. Und jede liebende Begegnung bedarf zugleich der Liebe Gottes. In der Menschwerdung Gottes liegt die Grundlegung dafür, dass die Liebe des Menschen als Abbild der Liebe Gottes gesehen werden kann. Gottes Antwort auf Angst, Leid und Tod ist, dass er es selbst erlebt hat und somit Solidarität zeigt bzw. in Beziehung auch im und mit dem Leiden und den Leidenden geht. Gott zeigt sich im Mitmenschen. Wer gering vom Menschen denkt, denkt zugleich gering von Gott. Auch Jesus konnte die Liebe Gottes nur durch Akte der Nächstenliebe aufzeigen. Seine Liebe ist Selbstmitteilung Gottes. Menschliche Liebe ist immer begrenzt, und doch ist sie die Möglichkeit, Gottes Liebe zu erfahren. So ist Hoffnung nur im Zusammenspiel von Gottes- und Nächstenliebe begründet und tragfähig (­Lubberich, 2014; Fuchs, 2012). Seelsorge ist somit eine »Fortsetzung des Beziehungsangebotes Gottes an die Menschen, weil Gott gerade in und durch die zwischenmenschliche Begegnung für Menschen konkret erfahrbar wird« (Nauer, 2001, S. 159).

5 Fazit Psalm 39 spricht von der Erfahrung bleibender Fremdheit vor Gott, wie sie Menschen vieler Generationen gemacht haben. Glauben, Vertrauen und Hoffen behalten immer den Aspekt des Nichtwissens. Immer dann, wenn wir denken, wir hätten Gott nun erkannt, zeigt sich, dass er oder sie noch ganz andere, verborgene Seiten hat. So ging es den Menschen, von denen die Bibel berichtet, und so geht es uns heute. Genauso wird es niemals gelingen, einen anderen Menschen vollständig zu kennen, auch nicht uns selbst. Das bleibend Fremde in Beziehungen ist sogar enorm wichtig. Wir werden niemals eine volle Bestätigung unseres Selbst erhalten. Nur so bleiben wir wandelbar und unsere Beziehungen fruchtbar (Kießling, 2012b; Schneider, 2016). Waldenfels (1999a) schreibt: »Wo neuartige Gedanken entstehen, gehören sie weder mir noch dem Anderen. Sie entstehen zwischen uns. Ohne dieses Zwischen gäbe es keine Inter-subjektivität und Inter-kulturalität, die ihren Namen verdient. Es bliebe bei der bloßen Erweiterung oder Ver-

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vielfältigung des Eigenen, das Fremde wäre immer schon zum Schweigen gebracht.« (S. 53) Auch wenn sich die Menschen ein Leben lang danach sehnen, Gott zu erkennen, so ist es doch auch gerade die bleibende Differenz, die die Menschen zu freien Menschen macht. Sie dürfen in dieser Freiheit leben und sind so geliebt von Gott in aller Unterschiedlichkeit. Und erst in der Differenz voneinander und von Gott ist es überhaupt möglich, als ein Ich zu existieren, das immer nur am Du zum Ich werden kann (Buber, 1995; Nagel, 2000). In Jesus zeigt sich die Liebe Gottes konkret erfahrbar, das begründet die Hoffnung. Zugleich kann in jedem Menschen die Liebe Gottes aufscheinen. So kann die Begegnung mit Menschen anderer Kulturen und Religionen zeigen, welche anderen Aspekte von Gott es noch gibt, wie Gott auf andere, unterschiedliche Weise erlebt werden kann. Wenn es nur einen Gott gibt, dann ist in jeder Religion und in jedem Menschen das Wirken Gottes erkennbar, wie auch das Zweite Vatikanische Konzil besonders in den Dokumenten »Nostra aetate« und »Gaudium et spes« betont (Rahner u. Vorgrimler, 2008). Die Begegnung mit anderen Menschen kann also das eigene Bild von Gott erweitern. Es ist das Wesen der Liebe, über Grenzen zu gehen. Das hat sich in seiner höchsten Form in der Menschwerdung, der radikalen Grenzüberschreitung Gottes gezeigt, und es kann sich erweisen, wenn auch wir zu Grenzgängern werden (Heimbach-Steins, 2016; Zulehner, 2016). Für eine gelingende Selbsterkenntnis sieht Schneider (2016) die Erfahrung von Fremdheit gegenüber sich selbst als notwendig an. Weil den Menschen immer etwas an sich selbst fremd bleiben wird, erfahren sie stets ein Stück Nicht-Identität und behalten so gleichzeitig die Fähigkeit zur Wandlung. Das bleibend Fremde kann zugleich der Stachel sein, der nicht erlaubt, sich auszuruhen. So können die Fremden in der Gesellschaft Chance sein und als kreatives Potenzial wahrgenommen werden, die Veränderungen anstoßen, wo sie notwendig sind, und so zu Erneuerung führen. Kultur hat sich immer da herausgebildet, wo sich Eigenes mit Fremdem verbunden hat und Neues entstanden ist (Schneider, 2016).

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Paul Michael Zulehner (2016) sieht die beste Möglichkeit, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren, darin, im kulturellen Dialog eine neue Kultur aus den Anteilen aller zu entwickeln. Integration ist immer etwas, was beide Seiten verändert. Im Miteinander fremder Kulturen muss sich die Vielfalt nicht auflösen, sondern etwas Drittes kann entstehen (Zulehner, 2016). So kann auch die gemeinsame Fremdheit vor Gott als Verbindendes angesehen werden. Jeder Mensch erlebt Fremdes in sich selbst. Das verbindet. Wir bleiben Fremde und haben doch in dieser Fremdheit etwas universal Gemeinsames (Schneider, 2016). Diese Erkenntnis allein vermag vielleicht nicht von der bleibenden Angst vor Fremdem zu heilen, aber sie kann ermutigen, die Begegnung mit dem Fremden zu wagen. Vielleicht erkenne ich mich dann plötzlich im anderen wieder oder bekomme durch die andere eine Ahnung von Gott, die mir auf andere Weise niemals möglich gewesen wäre. Zu solchen bereichernden Begegnungen zu ermutigen, ist Aufgabe von Kirche und Seelsorge (Zulehner, 2016)!

Interkulturelle Vielfalt als Chance für kreative Prozesse in der Pastoral Martin Kempen

Laut Statistischem Bundesamt (2018) lebten im Jahr 2017 rund 10,6 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der ausländischen Bevölkerung ist so hoch wie nie zuvor. Eine ähnliche Tendenz findet sich bei der Anzahl ausländischer Priester in den deutschen Diözesen: Mit 2483 ausländischen Priestern (davon 1195 Weltpriester und 1288 Ordenspriester) ist auch in dieser Personengruppe ein neuer Höchststand erreicht (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2017). Allein der Blick auf diese verschiedenen Zahlen zeigt, wie bedeutend die kulturelle Vielfalt für die Pastoral ist, und zwar sowohl hinsichtlich des seelsorglichen Engagements in der Pastoral als auch in Bezug auf die zunehmende interkulturelle Zusammenarbeit in den pastoralen Teams vor Ort. Letzterem Aspekt möchte der vorliegende Beitrag die Aufmerksamkeit widmen, indem erstens die kulturelle Vielfalt in Teams bezüglich ihres kreativen Potenzials betrachtet wird und zweitens die »Theorie U« als Metamodell zur Gestaltung von kreativen Prozessen vorgestellt und aus pastoralpsychologischer Perspektive kritisch gewürdigt wird, um schließlich drittens mit einigen praktischen Implikationen für die pastorale Praxis zu enden.

1  Kulturelle Vielfalt und Kreativität Kulturelle Vielfalt in Arbeitsteams ist bereits in vielen pastoralen Räumen der katholischen Kirche in Deutschland Realität. Nicht nur aktuelle Beiträge in den Medien zeugen von der Brisanz dieses Themas, sondern auch eine 2011 erschienene Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zur Situation ausländischer Priester in Deutschland (Gabriel, Leibold u. Achtermann, 2011). Sie belegt zahlreiche Herausforderungen, die von den Differenzen zwischen den durchschnittlich vorhandenen Kommunikations- und Leitungs-

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kompetenzen einerseits und den heutigen Anforderungen in der Seelsorge und Pastoral andererseits über eine unklare Motivlage der beteiligten Akteure bis hin zu kaum geklärten Rahmenbedingungen eines systematischen und längerfristigen Einsatzes ausländischer Priester reichen. Darüber hinaus erkennt die Studie aber auch Chancen für eine Stärkung des weltkirchlichen Bewusstseins in Deutschland. So gibt es viele ausländische Priester, »die hohe sprachliche Fähigkeiten mitbringen, sich auf die Situation der Gläubigen in den Gemeinden ausgezeichnet einzulassen verstehen und gewissermaßen der Weltkirche vor Ort ein Gesicht zu geben vermögen« (Gabriel et al., 2011, S. 315 f.). Kulturelle Vielfalt ist eine Tatsache geworden, nicht nur innerhalb der Ortskirche in Deutschland, sondern insbesondere auch in nahezu allen Unternehmen. Die entsprechende Literatur beschäftigt sich vornehmlich mit der Frage, wie die personelle Vielfalt und insbesondere ihr aktives Management zu einer positiven Entwicklung in Organisationen beitragen können. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist, dass Interkulturalität sich dann positiv auswirken kann, wenn im Unternehmen ein Klima des Miteinanders vorherrscht, das gemeinsames Lernen mit und an den kulturellen Unterschieden fördert (Kochan et al., 2003; Thomas u. Ely, 1996). Eine zentrale Rolle spielen dabei die unterschiedlichen Wertvorstellungen in den jeweiligen Kulturen, die maßgeblich das Miteinander in einem Team prägen (Wiener, 1988). Es lassen sich zahlreiche Ansätze zur Beschreibung kultureller Wertvorstellungen finden (Hall, 1976; Trompenaars, 1993; Kluckhohn u. Strodtbeck, 1961), doch kein Ansatz wird mehr rezipiert als Hofstedes Kulturmodell (Kirkman, Lowe u. Gibson, 2006), weshalb dessen fünf Wertedimensionen im Folgenden kurz vorgestellt werden (Hofstede, 2001). 1. Machtdistanz bezeichnet das Maß, in welchem die Mitglieder einer Gesellschaft oder einer Organisation Hierarchien und eine ungleiche Machtverteilung akzeptieren. Eine niedrige Machtdistanz geht einher mit einem demokratischen Führungsstil, wo Entscheidungen konsensorientiert gefällt werden, Partizipation erwünscht ist und Unabhängigkeit einen hohen Stellenwert hat.

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Eine hohe Machtdistanz steht einem autoritären Führungsstil nah. Unsicherheitsvermeidung entspricht dem Grad, in welchem Menschen das Bedürfnis nach Sicherheit in ungewissen Situationen haben. Eine schwach ausgeprägte Unsicherheitsvermeidung akzeptiert unklare Situationen. Mitglieder einer solchen Gesellschaft zeigen sich risikofreudig, akzeptieren andere Meinungen und zeigen sich aufgeschlossen für Neues. Sie versuchen Konflikte konstruktiv zu lösen und haben ein hohes Toleranzpotenzial. Kulturen mit einer stark ausgeprägten Unsicherheitsvermeidung hingegen haben das Bedürfnis, unklare Situationen zu kontrollieren und die Zukunft zu planen. Der Wunsch nach Sicherheit und Vorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse ist stark ausgeprägt. Die Dimension Individualismus vs. Kollektivismus bezieht sich auf die Frage, ob Eigenverantwortung und Selbstständigkeit als bedeutsamer erlebt werden als die identitätsstiftende Gruppenzugehörigkeit, die Schutz bietet und zu Loyalität verpflichtet. Diese Dimension Hofstedes wird in Forschung und Praxis am häufigsten beachtet. Kurzfristige vs. langfristige Orientierung: Aktivitäten und Wertvorstellungen langfristig ausgerichteter Kulturen orientieren sich an zwischenmenschlichen Beziehungen, Beharrlichkeit und Anpassungsfähigkeit. Bei Kulturen mit einer kurzfristigen Orientierung stehen Freiheit, die eigene Leistung und selbstständiges Denken im Vordergrund. Die Unterscheidung zwischen Maskulinität und Feminität bezieht sich auf geschlechtsspezifische Zuschreibungen. In maskulinen Kulturen zählen eher Leistung, Ehrgeiz und Konkurrenz, wohingegen in femininen Kulturen Fürsorglichkeit, Kooperation und Gleichberechtigung die dominanten Werte sind. Diese Dimension betrifft nicht nur das Ausmaß der Werte, sondern auch die Abgrenzung zwischen den Geschlechterrollen. In maskulinen Kulturen unterscheiden sich die Rollen von Frauen und Männern stärker.

Unterschiede in der individuellen Ausprägung dieser kulturellen Dimensionen bei einzelnen Teammitgliedern haben unmittelbare

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Auswirkungen auf die Zusammenarbeit im Team. Angesichts dieses Forschungsgegenstandes verwundert es nicht, wenn zahlreiche Studien zu uneindeutigen und widersprüchlichen Erkenntnissen kommen, ob Vorteile oder Nachteile multikultureller Teams überwiegen (Gelfand, Erez u. Aycan, 2007; Joshi u. Roh, 2009). Dies betrifft auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den kulturellen Dimensionen Hofstedes einerseits und ihrem kreativen Potenzial andererseits. Einigkeit besteht weitestgehend darin, dass eine niedrige Machtdistanz kreative Prozesse fördert und Innovation ermöglicht (Shane, 1992 u. 1993; Rinne, Steel u. Fairweather, 2012; Bouncken, Brem u. Kraus, 2016).1 Ist in einer Arbeitskultur eine hohe Machtdistanz vorherrschend, so wird von den Mitarbeitenden erwartet, dass sie das tun, was ihnen ihr Vorgesetzter anordnet. Die Möglichkeiten, sich selbstständig Gedanken zu machen und der eigenen Fantasie freien Raum zu lassen, sind eingeschränkt. Auch vermuten Rinne et al. (2012) eine geringe Motivation der Angestellten, kreativ und innovativ zu sein, wenn aufgrund der hohen Machtdistanz Anerkennung und Wertschätzung einer neuen Idee von Angestellten verwehrt bleiben. Kontrollsysteme in Kulturen mit hoher Machtdistanz schränken Kreativität und Innovation ein, wohingegen Vertrauen als Basis von Kulturen mit niedriger Machtdistanz diese fördert (Shane, 1992). Eigenverantwortlichkeit, Unabhängigkeit und Freiheit bilden hohe Werte in individualistischen Kulturen. Sie erlauben, Gedanken frei zu äußern, wohingegen in kollektivistischen Kulturen eine direkte Konfrontation um der Harmonie willen vermieden wird (Hofstede, Hofstede u. Minkov, 2010). Die genannten individualistischen Werte fördern das kreative Potenzial von Mitarbeitenden (Goncalo u. Staw, 2006) und ermöglichen ihnen, innovativ zu sein (Shane, 1992 u. 1993; Rinne et al., 2012). Zugleich belegen Bouncken et al. (2016) einen möglichen Vertrauensverlust in einem hetero1 Die beiden Begriffe »Kreativität« und »Innovation« sind eng miteinander verwoben und doch voneinander zu unterscheiden. Während Kreativität die Entstehung einer neuen Idee bezeichnet, bezieht sich Innovation auf die Einführung und Implementierung dieser neuen Idee in die Praxis (Bouncken et al., 2016).

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genen Team mit individualistischen und kollektivistischen Werten zugleich. Geschieht dies, ist die psychologische Sicherheit nicht mehr gewährleistet, was sich wiederum negativ auf Kreativität und Innovation auswirkt (West, 2002; Edmondson, 1996 u. 1999). Ein niedriges Maß an Unsicherheitsvermeidung beziehungsweise die Fähigkeit, unsichere Situationen aushalten zu können, ermöglicht Kreativität und Innovation (Shane 1993; Bouncken et al. 2016). Rinne et al. (2012) hingegen sprechen unsicherheitsvermeidenden Kulturen eine größere Kompetenz zu, wenn es darum geht, innovative Ideen in die Praxis umzusetzen, insofern hier ein detailliertes Planen und eine kontrollierte Vorgehensweise von Vorteil sein können. Auch in Bezug auf die Wertedimension der Langzeitorientierung konnten Prim et al. (2017) einen positiven Effekt bezüglich nachhaltiger Innovationen nachweisen. Bezüglich Hofstedes kultureller Dimension Maskulinität vs. Feminität konnte jedoch keine der genannten Studien einen positiven oder negativen Effekt auf Innovation feststellen (Shane, 1993; Bouncken et al., 2016). Dieser Überblick verweist auf das kreative Potenzial multikultureller Arbeitsteams, welche über ein breites Spektrum an Perspektiven und Informationen verfügen, wodurch Kreativität und Innovationsfähigkeit gestärkt werden (Stahl, Maznevski, Voigt u. ­Jonsen, 2010). Gleichzeitig können unterschiedliches Erfahrungswissen und divergente kulturelle Wertvorstellungen auch Konfliktpotenzial und Kommunikationsprobleme in sich bergen, insofern sich leicht Subgruppen mit ähnlichen Wertvorstellungen bilden können, die eine gemeinsame Kommunikation im Team erschweren können (Stahl et  al., 2010). Um Kreativität in multikulturellen Arbeitsteams zu ermöglichen, braucht es aktives Diversity Management, das die Chancen einer solchen Zusammenarbeit eröffnet und gleichzeitig die Risiken eines Konflikts vermindert. Es reicht dabei nicht aus, in die interkulturelle Kompetenz einzelner Mitglieder eines Arbeitsteams zu investieren und sie zu ermutigen, voneinander zu lernen (Deardorff, 2006; Kempen u. Engel, 2017), sondern es bedarf vor allem einer aktiven Gestaltung des Kontextes, in dem solches Lernen stattfindet. »It is the combination of individual disposition and team learning that yields the stronger association with creativity« (Hirst, Knippenberg u. Zhou, 2009). Ein sol-

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cher Kontext stellt das Teamklima dar, das sich auf die sozial geteilte Wahrnehmung von Merkmalen der unmittelbaren Arbeitsumgebung bezieht (Anderson u. West, 1998). Ein kreativitätsförderndes Teamklima basiert nach Anderson und West (1998) auf vier Dimensionen: 1. Vision: Eine übergeordnete, erreichbare Vision, die von allen geteilt und wertgeschätzt wird, kann eine motivierende Kraft entfalten und Orientierung bieten. 2. Aufgabenorientierung: Sie zeichnet sich durch das Bemühen um eine hohe Qualität bei der gemeinsamen Zielerreichung aus und setzt ein hohes Maß an Teamreflexion und gegenseitigem Feedback voraus. 3. Partizipative Sicherheit: Dahinter steckt die Annahme, dass neue Ideen dann entstehen können, wenn unterschiedliche Personen ihr individuelles Wissen teilen, miteinander agieren und in Entscheidungsprozessen mit einbezogen werden. Ein solches Vorgehen basiert darauf, dass Teammitglieder das Wagnis eingehen können, auch ungewöhnliche Ideen zu teilen, weil sie das Miteinander im Team als nicht bedrohlich erleben. Edmondson (1999) spricht diesbezüglich von der psychologischen Sicherheit, das heißt, es besteht eine gemeinsame unausgesprochene Gewissheit unter den Teammitgliedern, dass das Team sicher ist, um zwischenmenschliche Risiken eingehen zu können (Edmondson, 1999). Es beschreibt ein Klima, das von Vertrauen und gegenseitigem Respekt getragen ist, das allen ermöglicht, ganz sie selbst sein zu dürfen (Edmondson, 1999). 4. Unterstützung für Innovationen: Diese Dimension basiert auf der Bereitschaft von Seiten der Teammitglieder, der Leitungsebene sowie des organisationalen Umfeldes, kreative Prozesse zu gestalten und Innovationen umzusetzen. Ein Diversity Management, das Kreativität und Innovation fördern möchte, achtet auf eine hohe Ausprägung dieser vier Dimensionen. Sie stellen den Kontext dar, in dem die einzelnen Mitarbeitenden voneinander und miteinander lernen können (Hirst et al., 2009). Neben diesen förderlichen Rahmenbedingungen für Kreativität in multikulturellen Teams stellt sich darüber hinaus die Frage, wie sich ein kreativer Prozess vollziehen kann und welche Bedeutung

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diesem Prozess in der Pastoral zukommt. Hierzu bietet das Phasenmodell der »Theorie U« von Scharmer (2009) wertvolle Impulse.

2 Die Theorie U aus pastoralpsychologischer Perspektive Scharmer (2009) propagiert mit seiner Theorie U ein Lernen aus der entstehenden Zukunft. Ein solches Lernen verlangt die Bereitschaft, eigene Denkmuster und Kategorien des Urteilens loszulassen, Unsicherheiten auszuhalten und das Risiko einer ungewissen Situation zu wagen. Ein kreativer Prozess bedarf nach Scharmer (2009) einer Aufmerksamkeit gegenüber Daten, Zahlen und Fakten (open mind), eines empathischen Sich-Einfühlens in die Welt des oder der anderen (open heart) und einer Form der tiefsten Präsenz allem und allen gegenüber, die alles Wollen loslässt (open will) und alte Denk- und Handlungsmuster (downloading) aufbrechen kann. Dem grafischen Verlauf des Buchstabens »U« folgend definiert Scharmer (2009) einzelne Prozessschritte eines Lernens aus der entstehenden Zukunft. In einem ersten Schritt seeing gilt es, auf der Basis einer konkreten Fragestellung alle zur Verfügung stehenden Informationen zu sammeln, ohne sie zu deuten oder zu bewerten (open mind). Über das kognitive Verstehen hinausgehend folgt die emotionale Annäherung an die Fragestellung (open heart), in der die einzelne Person sich nicht mehr als unbeteiligter Beobachter von außen der Problemstellung nähert, sondern darin aufgeht und sich als ein Teil des Systems fühlt (sensing). Schließlich, am Boden des »U«, ist die höchste Form der Achtsamkeit im presencing erreicht. Diese Wortneuschöpfung aus presence und sensing beinhaltet alle zuvor genannten Aspekte und reicht noch darüber hinaus, sodass alles angesammelte Wissen losgelassen wird und in der inneren Leere die Person mit ihrem wahren Selbst in Berührung kommen kann. Gedanken, Impulse und sich entwickelnde Ideen werden in einem nächsten Schritt, dem crystallizing, festgehalten und anschließend in einem geschützten Rahmen experimentell in der Praxis erprobt. In dieser Phase des prototyping gilt es, möglichst früh Fehler zu machen, um daraus zu lernen. Erste innovative Antworten auf die Fragestellung zu Beginn des kreativen Prozesses werden dadurch deutlich

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und können schließlich im finalen Schritt des performing ausgeführt und implementiert werden. Die Theorie U erfreut sich in der Praxis großer Beliebtheit (Pichler, 2016; Pakleppa, Schwinge u. Köster-Ehling, 2018). Ihre häufige praktische Anwendung steht jedoch konträr zu kritischen Anfragen aus sozialwissenschaftlicher und auch aus theologischer Perspektive. Exemplarisch möchte ich hier auf drei Kritikpunkte näher eingehen – auch und gerade deshalb, um die bleibend wertvollen Impulse der Theorie U im Anschluss entsprechend zu würdigen. (1) Zwar eröffnet die Theorie U mit ihrem achtsamkeitsorientierten Zugang neue Möglichkeiten in der Gestaltung und Erforschung von Veränderungsprozessen, doch fehlt ihr eine profunde wissenschaftstheoretische Verankerung. Scharmers synkretistische Vorgehensweise in der theoretischen Fundierung seines Denkmodells bedient sich in eklektischer Art einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen aus philosophischen und religiösen Traditionen und anderer Wissenschaften und erstellt daraus ein neues Welt- und Menschenbild (Kempen, 2016). Als Kernstück dieses Welt- und Menschenbildes lässt sich Scharmers sogenannte Feldstruktur bezeichnen, in der er die oben genannten Ebenen der Aufmerksamkeit systematisch strukturiert, ergänzt und vertieft. Scharmer muss sich anfragen lassen, inwieweit dieses Denkmodell transparent und offen gegenüber kritischen Einwänden von außen ist, möchte er seinem eigenen Anspruch gerecht werden, alte Denk- und Handlungsmuster (down­ loading) aufzubrechen und Neues zu ermöglichen (Kempen, 2016). Kühl hat diesbezüglich Zweifel und bezeichnet die Theorie U als eine Managementmode, die sich in ihrem »Ansatz […] selbst gegen Kritik immunisiert« (Kühl, 2015, S. 190). Es gibt erste interdisziplinäre Ansätze, die theoretische Fundierung der Theorie U anzugehen (Gunnlaugson, Baron u. Cayer, 2014; Kempen, 2016), doch besteht hierin noch weiterer Bedarf. (2) Die Theorie U erkennt im Lernen aus der entstehenden Zukunft den Schlüsselbegriff zur Gestaltung kreativer Veränderungsprozesse. Dieser Lernprozess bezieht sich bei Scharmer vorrangig auf die individuelle Erfahrung des Einzelnen, der sich in der Phase der höchsten

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Aufmerksamkeit (presencing) für neue Gedanken und Ideen öffnet und so zur sogenannten Landebahn einer möglichen Zukunft wird (Scharmer, 2009). Ihre Schwäche offenbart die Theorie U in ihrem Anspruch der Übertragung auf kollektive Lernprozesse in Teams und Organisationen bis hin zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die einer anderen Systemlogik unterworfen sind als intraindividuelle Lernprozesse (Kühl, 2015 u. 2016). Deshalb ist eine Organisation mit lernenden Mitarbeitenden selbst noch keine lernende Organisation (Pichler, 2016). Das Phasenmodell der Theorie U mag zwar den kreativen Lernprozess Einzelner fördern, übersieht aber die Bedeutung des Kontextes, die dieser für eben einen solchen Lernprozess hat. (3) Scharmer (2009) bezeichnet presencing als eine soziale Technologie, die ein Lernen aus der entstehenden Zukunft ermöglicht. Scharmer selbst verweist auf den etymologischen Ursprung des Technologiebegriffes bei Aristoteles. Aristoteles verwendet diesen Begriff »als eine praktische Fertigkeit, Dinge hervorzubringen oder Ergebnisse zu erzeugen, wobei sie ein Wissen der Gesetzmäßigkeiten einschließt, von denen Gebrauch gemacht wird« (Wolf, 2007, S. 25). Dies erhärtet den Verdacht, es handele sich bei der Theorie U um ein Phasenmodell, das Schritt für Schritt abgearbeitet werden müsse, um einen kreativen Prozess in Gang zu setzen. Kühl kommt gar zu dem Urteil, »dass es sich bei der Theorie U letztlich um eine esoterische Variante klassischen zweckrationalen Denkens handelt« (Kühl, 2015, S. 198, u. 2016, S. 28) und »dass sich dahinter letztlich nichts anderes als eine sprachlich verkomplizierte Steuerungsphantasie versteckt« (Kühl, 2015, S. 200, u. 2016, S. 28). Dieser Eindruck verstärkt sich nicht zuletzt in Scharmers Beschreibung des presencing mit den Worten Bubers. So zitiert Scharmer (2009) aus Bubers »Ich und Du«: »Der freie Mensch […] muss seinen kleinen Willen, den unfreien, von Dingen und Trieben regierten, seinem großen opfern, der vom Bestimmtsein weg und auf die Bestimmung hingeht« (Buber, 1995, S. 57). Indem aber Scharmer in seiner Rezeption Bubers dessen Transzendenzbezug entfernt und gleichzeitig den großen Willen des Menschen mit der Zukunft identifiziert, passiert genau das, wovor Buber – und letztlich auch Scharmer selbst – warnen möchte: Der große Wille des Menschen, der eigentlich darin besteht, immer wie-

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der neu auf seine Bestimmung zuzugehen, enttarnt sich als Willkür, das heißt als Machtstreben des Menschen, in der Es-Welt die Welt der Gegenstände zu beherrschen und zu bestimmen (Kempen, 2016). Die Welt eines willkürlichen Menschen beschreibt Buber als eine Welt des Zwecksetzens und Mittelersinnens (Buber, 1995), was der bereits genannten Kritik von Kühl (2015, 2016) an der Theorie U als einer zweckrationalen Steuerungsfantasie entspricht. Buber stellt der Es-Welt die Ich-Du-Welt gegenüber, die sich durch die Dialektik von Schicksal und Freiheit charakterisieren lässt (Buber, 1995). Wird diese transzendentale Haltung Bubers in die Theorie U re-integriert, so ändert sich auch das Verständnis eines Lernens aus der entstehenden Zukunft. Sie entzieht sich jeglicher Machbarkeitsfantasie des Menschen und bleibt in der lebendigen Schwebe von Schicksal und Freiheit, Aktion und Passion, Kategorialität und Transzendentalität das je größere Geheimnis göttlicher Gnade (Kempen, 2016). Unter Berücksichtigung dieser kritischen Einwände liefert die Theorie U wertvolle Impulse, an denen sich ein kreativer Lernprozess orientieren kann, der Neues in die Welt bringt. Ihre Wirkung können die einzelnen kreativitätsfördernden Prozessschritte allerdings erst vor dem Hintergrund einer innovationsfreundlichen Organisations- bzw. Teamkultur entfalten. Dieser Kontext erhält in multikulturellen Pastoralteams eine besondere Bedeutung, insofern er mit darüber entscheidet, ob das Zusammentreffen kultureller Wertedimensionen kreative Lernprozesse in der Weltkirche vor Ort unterstützt oder erschwert. Insofern folgen im abschließenden dritten Kapitel praktische Implikationen zur Gestaltung kreativer Prozesse in multikulturellen Teams.

3 Impulse zur Gestaltung kreativer Prozesse in multikulturellen Teams Angesichts der vielen interkulturellen Arbeitsteams in der Pastoral vor Ort besteht für die Kirche in ihrem Selbstvollzug die Möglichkeit, das zu aktualisieren, was sie potenziell schon immer ist: eine weltkirchliche Lern- und Lehrgemeinschaft. Die Kirche hat die Möglich-

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keit und letztlich auch die Aufgabe in ihrer komplexen Wirklichkeit als Lern- und Lehrgemeinschaft, alles wahrhaft Menschliche in ihrem Herzen aufzunehmen (GS 1; Rahner u. Vorgrimler, 2008, S. 449) und kreativ mit dem Evangelium in Verbindung zu bringen, um das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zu offenbaren und zu verwirklichen (GS 45; Rahner u. Vorgrimler, 2008, S. 495 f.). Ein solches Unternehmen lässt sich nicht herstellen, sondern bedarf wie beschrieben der lebendigen Schwebe von Aktion und Passion, Freiheit und Schicksal, Kategorialität und Transzendentalität, um die Zukunft spielerisch zu gestalten (Kempen, 2016). Die Gestaltung kreativer Prozesse in multikulturellen Teams bedarf unter dieser Voraussetzung der aktiven Beteiligung aller – in je unterschiedlichem Ausmaß. Dies betrifft neben den organisationalen Rahmenbedingungen auch die Leitungs- und Teamebene und nicht zuletzt das Engagement eines und einer jeden Einzelnen. Diesbezüglich möchte ich auf der Basis der bisherigen Überlegungen zur Theorie U und eines kreativitäts- und innovationsfreundlichen Teamklimas folgende acht praktischen Implikationen für ein multikulturelles Pastoralteam an das Ende dieses Beitrags stellen: 1. Es bedarf einer gemeinsamen Vision von Pastoral in der Welt von heute, die Orientierung bietet und eine motivierende Kraft entfalten kann. 2. Die gemeinsame Sorge um die Qualität von Pastoral und Seelsorge begründet die Notwendigkeit zu kreativen Auf- und Ausbrüchen aus sich nicht mehr bewährenden Denk- und Handlungsmustern. 3. Dazu braucht es die aufrichtige Bereitschaft zur Unterstützung von kreativen Prozessen in Wort und Tat von allen Teammitgliedern, der Leitung sowie des organisationalen Umfeldes. 4. Vor dem Hintergrund multikultureller Teams erhält die psychologische Sicherheit besondere Bedeutung. Sie ermöglicht nicht nur Mitarbeitenden mit hoher Machtdistanz, in einem vertrauensvollen Miteinander den Mut zu haben, eigene Ideen, ihr Wissen und die persönlichen Erfahrungen frei zu äußern. Ähnliches gilt für Personen, die kollektivistische Werte verinnerlicht haben. Ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit eröffnet ihnen die Möglichkeit, eigenverantwortlich, unabhängig und frei

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von unausgesprochenen Erwartungen anderer und sozialer Normen zu agieren. Personen mit großer Unsicherheitsvermeidung können hingegen dieser Unsicherheit leichter begegnen, wenn sie sich ihrer psychologischen Sicherheit im Arbeitsteam gewiss sind. Die psychologische Sicherheit bedarf eines hohen Maßes an Kommunikation und gegenseitigem Feedback, wodurch ein Miteinander- und Voneinander-Lernen als Weltkirche vor Ort ermöglicht wird. Hierzu können interkulturelle Trainings einen wertvollen Beitrag leisten (Landis, Bennett u. Bennett, 2004). Die Leitungsperson muss die Vielfalt ihres multikulturellen Teams wertschätzen können und mögliche Herausforderungen im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wertvorstellungen kennen, um deren Möglichkeiten einer gemeinsam lernenden Pastoral zu fordern und zu fördern. Dies verlangt insbesondere einen vertrauensvollen, unterstützenden und partizipativen Führungsstil. Die einzelnen Phasen der Theorie U können unter diesen Rahmenbedingungen die Wahrscheinlichkeit kreativer Ideen und deren erfolgreiche Umsetzung in die pastorale Praxis erhöhen. Insbesondere in der Phase des presencing kann die lebendige Schwebe von Aktion und Passion, Freiheit und Schicksal, Kategorialität und Transzendentalität zum Ausdruck kommen, indem sich der kleine Wille des Menschen dem je größeren Geheimnis göttlicher Gnade öffnet, dadurch jedes zweckrationale Denken durchbricht und ein Lernen aus der entstehenden Zukunft ermöglicht.

Auf der Basis dieser praktischen Implikationen erfährt sich Kirche in ihrer Vielfalt ganz konkret und immer wieder neu als eine weltkirchliche Lerngemeinschaft in der Welt von heute. Letztlich ist sie dadurch eine katholische, das heißt allumfassende Kirche, mit all ihren Unterschieden – und nicht trotz dieser.

Gerechtigkeit, Gleichheit und Differenz in der interkulturellen spirituellen Beratung Ulrike Elsdörfer

1  »Compassion for one another in the Global Village« »Compassion for one another in the Global Village« (­Elsdörfer u. Ito, 2016) ist der Titel einer Publikation, die anlässlich des 10. Kongresses des »International Council on Pastoral Care and Counselling« (ICPCC) im Oktober 2015 in San Francisco herausgegeben wurde. Pastoralpsychologinnen und Pastoralpsychologen beschreiben Methoden der spirituellen Beratung im interkulturellen, meist urbanen Kontext weltweit. Wesentliche Ergebnisse dieses Bandes werden hier vorgestellt und von weiteren Ansätzen zur interkulturellen Beratung begleitet. Es werden Zugänge zur Theorie der interkulturellen Beratung gegeben und Voraussetzungen betrachtet, die Kulturen weltweit vorgeben, um in ihnen Beratung und gegenseitige Lebenshilfe zu bieten. Eine Voraussetzung liegt in der Frage: Was ist eigentlich cura animarum? Der lateinische Begriff, der im christlichen Verständnis als »Seelsorge« übersetzt wird, suggeriert die Möglichkeit, die Seele als eine Qualität im Menschen separat benennen und adressieren zu können. Dies ist bereits eine Voraussetzung, die nicht in jeder Kultur existiert. Auf Gemeinschaft bezogene indigene kulturelle Traditionen (Maori in Neuseeland oder Umbanda, eine afrobrasilianische kulturelle Tradition) wie auch einzelne Hochreligionen (besonders der Islam) und deren Gesellschaften betonen die einzelne Seele wenig. Wenn die Gemeinschaft zusammenhält, wenn sie ihre verschiedenen Pflichten erfüllt (auch die kultischen), dann ist individuelle Betreuung des Einzelnen geradezu obsolet. Seelsorge, wie sie im christlichen Kontext eine Tradition als »Seelenführung« hat, ist zum Beispiel im Islam wenig verbreitet. Nur in den Sufi-Orden sucht man Wege der Annäherung an Gott jenseits der kultischen Gemeinde um die Moschee, aber auch hier spielen vor allem Ritual und Rat eine Rolle, weniger die individuelle

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Introspektion. Einzelne kulturelle Traditionen legen ihren Schwerpunkt auf die immer wiederkehrende gleiche Form eines Rituals oder Erlebens (Buddhismus: Meditation) oder auf das Nachempfinden (etwa durch Tanz oder Theater) einer mythischen Urgeschichte (japanischer Shinto). Gleiche Formen binden an gleiches Erleben und schaffen Identität für eine Gemeinschaft oder eine Kultur. Formen der Vergesellschaftung von kulturellen Werten finden sich besonders in indigenen oder abgeschlossenen kulturellen Traditionen, von denen es immer weniger auf der Welt gibt. Wo Menschen mit unterschiedlichen Traditionen und aus unterschiedlichen Kulturen zusammenleben, müssen notwendige Formen gefunden werden, auf die sich alle einigen können. Das ist zum einen die politische Form der Demokratie, zum anderen – in Bezug auf kulturelle Eigenheiten – eine Bereitschaft zur gegenseitigen Toleranz sowie zum gegenseitigen Wahrnehmen und Akzeptieren. Für das Verstehen des einzelnen Menschen und seiner Bedürfnisse in einer Beratungssituation, in einer speziellen Notlage, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Es ist davon auszugehen, dass grundsätzliche Bedürfnisse von Menschen nach Nahrung, Kleidung, Gesundheit, nach persönlicher Achtung und Akzeptanz in allen Kulturen in der gleichen Weise existieren. So wäre ein generalisierender Zugang in der Beratung möglich, der die Gemeinsamkeiten im positiven Verstärken herausarbeitet. Die Handlungsfähigkeit wird durch das Betonen von gangbaren Wegen erreicht, die zwischen den Traditionen und Prägungen zu finden sind. Agreement ist eine wichtige Funktion. Man kann aber auch annehmen, dass durch Eruieren der verschiedenen kulturellen Schichten in einer Person sowie durch ihre aktuelle individuelle Prägung ein jeweils eigener kultureller Kosmos gegeben ist, der sich im Hören und Wahrnehmen von verschiedenen Schichten (layers) der Identität eines Ratsuchenden erst langsam erschließt. Der gangbare Weg im Sinne eines für alle verbindlichen Grundkatalogs tritt zurück hinter dem Erscheinungsbild der jeweiligen Kultur (der lächelnde asiatische Mensch, der dennoch sehr besorgt sein kann, dies aber nicht erkennen lässt). Zur kulturellen Persönlichkeit kommt die soziale Persönlichkeit (wobei keine trennscharfe Definition zwischen beiden möglich ist),

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die ebenso ihre eigenen Schichten, Einstellungen, Vorprägungen und Grenzen aufweist. Interkulturelle Beratung geschieht unter einer großen Herausforderung. »Das Fremde« in der Denk- und Lebensart des anderen wird zur Infragestellung für Beraterin und Ratsuchenden. Es muss herausgefunden werden, was jeweils gemeint ist, auch wenn ähnliche oder gleiche Begriffe gelegentlich leichtes Übereinkommen suggerieren. Differenz muss erkannt und ausgehalten werden im Interesse einer gelingenden Beratung. Dieser Prozess ist anstrengend, gelegentlich überfordernd für die Beraterin oder den Berater. »Interkulturelle Seelsorge« ist zugleich »kulturelle Selbstsorge« – insofern Beraterinnen und Berater ihre Herausforderung wahrnehmen können und ihre Grenzen positiv setzen müssen. Nur dann werden sie fähig zu einer angemessenen und lang anhaltenden Kommunikation mit Ratsuchenden sowie zu einer hilfreichen Begleitung.

2 Traditionelle spirituelle Begleitung in gemeinschaftsorientierten Kulturen Die brasilianische Umbanda-Gemeinde trifft sich zur Beratung. Menschen, die durch die Gottheit dazu in langer geheimer Vorbereitung initiiert sind, geben Hilfestellungen. Ratsuchende knien vor ihnen. Sie wandern von einem zum anderen, wenn nötig. Das Ritual geschieht in der Gruppe. Die Gruppe gibt die Form vor, hat aber keine eigenständige Bedeutung. Die Arbeitsmethode in modernen westlichen Beratungsformen ist dagegen in der Regel auf die Begegnung zwischen zwei Personen im geschützten Raum bezogen, oder sie geschieht in einer miteinander agierenden Gruppe, auch in Kontexten von Ausbildungen. Die neuseeländische Maori-Gemeinde trifft sich in der Marae, einem spirituellen Gemeinschaftsraum. In der Marae werden alle Fragen der Gemeinschaft von allen beraten. Der Häuptling trifft Entscheidungen. Sie auszuführen, ist Sache der Gemeinschaft. Seelsorge geschieht in erfüllter gemeinsamer Aufgabe. Separierung wird nicht geduldet und ist ein Verstoß gegen die religiöse Ordnung. Spiritualität ist getragen von Ritualen für das Gemeinschaftserleben.

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Dieses Prozedere gilt nicht nur für regionale und indigene Religionen, sondern auch für die Weltreligion Islam in ihrer grundlegenden Konzeption (rituelles Gebet, Waschungen, Fasten, Pilgern und rituelle Feste). Die christliche Tradition kannte und kennt ähnliche gemeinschaftliche Rituale (Liturgie im Gottesdienst), aber sie kennt auch das Seelsorgegespräch und die Einzelbeichte mit persönlicher Begegnung zweier Menschen und mit einer Schweigeverpflichtung für den Beratenden. Spiritualität wächst in rezipierter Tradition. Gemeinschaftliche Identität wird in Erinnerung und Ritual kreiert. Sie beruft sich auf ein grundlegendes Symbol (Totem). Spiritualität wächst in angewandter Zeremonie. Der Tanz der japanischen Geisha etwa symbolisiert den Sieg des Guten über den Dämon. Im Grundsätzlichen immer gleiche Rituale, die in der Regel von dazu designierten Personen vollzogen werden, garantieren den Zusammenhalt der gesamten Gemeinschaft unter der gleichen Deutung. Dies gilt in abgewandelter Form für Meditationsübungen im Buddhismus. Sie sind auf die wiederkehrende Rezeption von gleichen Inhalten und deren Vertiefung hin angelegt. Im Buddhismus spielt das Gehen – zeremoniell oder zur Meditation – eine Rolle: Bettelnde Mönche verlassen jeden Morgen das Kloster und gehen durch den Ort, um Almosen zu erbitten. Christliche Pendants dazu sind Pilgerschaft und Prozessionen. Wesentliche Elemente, in denen Religionen sich darstellen, kommen in den oben genannten Beispielen vor: die Gemeinschaft (Gruppe), das gemeinsame Haus und das gemeinsame Ritual, der Tanz als Ausdruck der Verbindung mit der spirituellen Welt, das Gehen.

3  Globale Gerechtigkeit und Gleichheit Moderne globale Lebensweisen ähneln sich weltweit. Traditionelle religiöse Zeremonien verlieren dabei an Bedeutung. Sie zu verstehen, wird für die einzelnen modernen Menschen schwerer. Sie verlieren den Bezug zu ihren Wurzeln und zu den Inhalten von Ritualen. Gleichzeitig gibt es aber trotzdem eine nicht auf den ersten Blick feststellbare Differenz in der Gestaltung von Lebensvollzügen, und es

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gibt Elemente von tradierten Prägungen, meist verstanden als »Folklore« oder »Ethno-Kultur«. Menschen suchen nach psychologischer Begleitung für unübersichtliche und schwierige Lebenssituationen. Sie nutzen dazu den Markt psychotherapeutischer Angebote. Einigen bietet dieser Markt nicht das, was sie suchen. Seien es in christlicher Tradition aufgewachsene Europäer, Australier oder Amerikaner, seien es Menschen aus indigenen Kulturen, die aufgrund ihrer Lebensweise (Migration) ihren Wurzeln entwachsen sind: Diese Menschen suchen Beratung und Begleitung in den Zwischenräumen ihres Lebens. Wie diesen Zwischenräumen nachgespürt werden kann, wie Menschen dort adäquat Hilfe finden können, das soll nun erörtert werden. 3.1  Indigenous Counselling Um den Übergang von traditionsorientierten und gemeinschaftsorientierten Lebensformen zur urbanen und globalen Lebenswelt zu erleichtern, wird in Südostasien der Weg des Indigenous Counselling beschritten. Es geht hier um das Arbeiten mit und das Stehenlassen von indigenen Traditionen, ohne zu werten und westliche Standards erzwingen zu wollen. So kann den Menschen beratend in ihrem kulturellen Kontext begegnet werden. Hierzu nimmt die malaysische Supervisorin Sow Chin Wong Stellung:

»Trainee ›B‹ grew up in a family where she was the eldest child and as a girl in a traditional ›old school‹ Chinese family she had to take on the role of a pseudomother to look after all her younger siblings. […] she was already in her 60s, but she appeared to be relating in a childish manner. It was as if a child existed in an elderly body. It took ›B‹ several months to get to and to understand the core of her problem; and she had since been liberated from her past.« (Wong, 2016, S. 135) 3.2  General Theory of Interfaith Counselling Der japanische Pastoralpsychologe Takaaki David Ito (2016) ist der Ansicht, dass es in modernen, urbanen Kontexten eine »generelle Theorie« von Interfaith Spiritual Care geben kann. Der moderne Mensch, ob er in Tokio oder New York, in London oder Johannes-

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burg lebt, weist verschiedene kulturelle Schichten in seiner Persönlichkeit auf. Ein Teilbereich seiner Prägung wurzelt in seiner religiösen und kulturellen Tradition. Diese Prägung ist unterschiedlich, je nachdem, wo er lebt und wie er dort verwurzelt oder ob er zugezogen ist. Die positive oder negative Erfahrung mit Religion kommt dazu, die Sensibilität und Offenheit für Spiritualität sind verschieden. All diese Faktoren müssen gemeinsam betrachtet werden in der Begegnung von spirituellem Berater oder spiritueller Beraterin einerseits und hilfesuchender Person im urbanen Raum andererseits. Daher lässt sich ein Katalog von Zugängen zur Persönlichkeit eines Menschen erarbeiten, der sorgsam in der Praxis der Begegnung als Hintergrundwissen parat sein kann und muss. Die Differenz, die eine Begegnung immer begleitet, will verstanden und ausgehalten werden. Spirituelle Beratung ist dynamisch und produktiv und auf Lösungen hin ausgerichtet. Die Spiritualität wird in der Begegnung gelebt. Sie ist ein »dritter Raum der Begegnung« zwischen zwei Personen, zwischen Ratsuchenden und Ratgebenden. 3.3  Wake up Das »Urban CPE Consortium« in Chicago bildet Beraterinnen und Berater in »Clinical Pastoral Education« (CPE) aus, die Kriterien für das Erkennen und Bearbeiten religiöser layers entwickelt haben und adäquat einsetzen können. Sie sollen engagiert und befähigt sein, kritische Fragen in Bezug auf Gerechtigkeit nicht außer Acht zu lassen. Beratung ist hier individuell, geschieht aber für viele im Kontext prekärer Lebenslagen. Es gibt beschreibbare Dynamiken sozialer Realität und die daraus resultierenden Krisen. Zur beratenden Identität gehören Schulungen und Fähigkeiten, die nötig sind, um auf soziale Aspekte und soziale Gerechtigkeit bezogene Beratung durchzuführen. Die Gefahren, Herausforderungen und Perspektiven einer auf soziale Gerechtigkeit zielenden Beratung werden von der amerikanischen Ordensschwester Barbara Sheehan (2016), CPE-Supervisorin und Leiterin des »Urban CPE Consortium« in Chicago, beschrieben. Sie hat das Programm Wake up ins Leben gerufen, das auf die Notlagen der Menschen in ihrer Region antwortet.

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3.4  In Search of a Family Der südafrikanische Pastoralpsychologe Llewellyn McMaster (2010) beschäftigt sich mit der Situation entwurzelter Jugendlicher in den Townships. Er möchte christliche Gemeinden ermutigen, diesen Jugendlichen ein familiäres soziales Umfeld zu bieten, das sie einbindet und sozial fordert und fördert. Seine Formel lautet In Search of a Family.

»Gangsterism unterscheidet sich von den Gang-Subkulturen in den USA dahingehend, dass er eine spezifische sozio-politische Grundlage hat. Ein wesentlicher Faktor, der in aller Literatur über die Cape Flats hervorgehoben wird, ist die Herleitung der Wohnorte aus den erzwungenen Umsiedlungen aus District Six1. So wirkt sich bis jetzt das Ergebnis des Group Areas Act von 19502 der Nationalen Partei aus, wenn heute in den Cape Flats Gangs entstanden sind« (McMaster, 2010, S. 14). McMaster (2010) gibt einen Überblick über globale Entwicklungen und globale Phänomene, die dazu beitragen, gangsterism in vielen Kontexten entstehen zu lassen (Elsdörfer, 2011). Südafrika ist durch seine vielfältigen Gewalterfahrungen, durch Kolonisation, durch Kriege zwischen den verschiedenen mächtigen Nationen und durch die spätere rassistische Politik besonders anfällig für derartige Herausforderungen. Menschen, die in vielen Jahrhunderten ihrer Kultur ein beständiges Gemeinschaftsleben mit festen Regeln entwickelt hatten – die indigenen Kulturen in Südafrika –, mussten sich immer wieder gefallen lassen, dass auf ihre Ansprüche und ihre Lebensformen seitens der jeweiligen Machthabenden kein Wert gelegt wurde. Eroberer aller Art gingen mit den Ansprüchen und Lebensformen aus indigener Tradition verantwortungslos um. Dies rächt sich bis heute. Und es kann nur aufgefangen werden, wenn auch heute noch klar darauf geachtet wird, inwieweit die 1 Dabei handelt es sich um einen gemischt-kulturellen Stadtteil von Kapstadt, der vor der Politik der Apartheid-Ära der schwarzen sowie weißen Bevölkerung als Wohnort zur Verfügung stand. 2 Dieses Gesetz schrieb die räumliche Trennung der Rassen in Südafrika vor.

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Menschen in den Townships ihre Kultur noch erhalten können. Sie reproduzieren noch immer Reste dessen, was zu ihren Traditionen gehörte, um in ihrer eigenen korporativen Identität zu überleben und Sicherheiten und Orientierungen zu entwickeln. So bietet die Gang-Kultur in vielen Regionen der Welt einen Ersatz für traditionelle Initiationsriten. Am Ende der Kindheit, mit dem Eintritt in die Pubertät, muss ein Übergang stehen, gibt es psychologische Ablösungsvorgänge von Eltern und Geschwistern, von der gesamten sozialisierenden Großfamilie  – nur, wenn er oder sie seinen oder ihren eigenen Weg geht, seine oder ihre eigenen Herausforderungen annimmt, wird der oder die Jugendliche selbstständig. Und in vielen Kulturen braucht dieser Übergang Zeit, Passagerituale sowie Passagebegleiterinnen und -begleiter, die neue Orientierungen geben und den Übergang zu gestalten helfen. Wo Bildungsinstitutionen gar nicht vorhanden sind oder dies nicht leisten können, wo materieller Druck und schlechte soziale Bedingungen herrschen, finden sich Gruppen Gleichaltriger zusammen, um in einer Mischung aus Realitätswahrnehmung, Realitätsflucht und Fantasiewelt ihre Gruppenidentität zu entwickeln. Mit einer ausführlichen entwicklungspsychologischen Analyse führt Llewellyn McMaster (2010) zu der Frage, was die Kirchen als Gemeinschaften der Menschen vor Ort tun können, um die Sehnsüchte in der Adoleszenz und ihre oft fehlgeleitete aktuelle Repräsentanz in den Townships zu einer größeren Kongruenz zu bringen. Pastoraltheologie wird in ihren Ansätzen, die oft im westlichen Kontext liegen, auf ihre Brauchbarkeit für die Situation der Menschen in den Cape Flats untersucht. Die Gemeinden, die den Herausforderungen von Jugend- und Bandenkriminalität begegnen wollen, brauchen Sachkenntnis und eine leidenschaftliche Haltung, einen Willen, den Jugendlichen in der Begegnung Orientierung zu geben. Es wird ein Weg der Beziehung (a relational approach in caregiving) angestrebt. Damit ist ein wesentlicher Ansatz der Pastoralpsychologie aufgenommen, zugleich aber wird der besonderen kulturellen Prägung afrikanischer Tradition Rechnung getragen: Alles Leben ist Leben in Beziehung.

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4  Globale Differenz: Care at the »in-between« Zum interkulturellen Kontext gehört die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu sehen und zu setzen und damit sorgsam umzugehen. Beratung bleibt Begegnung und Wagnis, geschieht in Zwischenräumen und hat Grenzen. Dies beschreibt der südafrikanische Pastoralpsychologe Vhumani Magezi (2016). »Care at the in-between« – so stellt sich die Praxis von spiritueller Beratung in der Gegenwart dar. Menschen finden sich in all ihren inneren und äußeren Migrations­bewegungen weltweit gefangen im in-between: ȤȤ zwischen zwei Orten: der geografischen Heimat und Familie und dem Ort, an dem man leben muss, wenn man arbeiten will; ȤȤ zwischen dem Heimatland/der Heimatregion, die man wegen eines Krieges verlassen musste, und dem neuen Aufnahmeland, also der neuen Region, in der man fremd ist; ȤȤ zwischen alten Traditionen aus indigener Kultur und moderner Technik; ȤȤ in Patchwork-Familien; ȤȤ zwischen Gesundheit und Freiheit einerseits sowie Krankheit und Abhängigkeit andererseits; ȤȤ zwischen Mensch und Natur. »The above observations challenge pastoral care to provide effective care at the in-between of people’s lives. Pastoral care at the in-between of people’s lives can be both a metaphor for ministry as well as denote space and context of pastoral care provision. As a metaphor for ministry, it refers to the nature of pastoral care practice. This implies that the pastoral care provider provides care at an in-between of many issues that affect people’s lives. And a care provider or counsellor has to make sense of this complexity and facilitate coping and meaning […]. At the same time, care at the in-between denotes state of global temporariness, a flux space where people have no fixed positions. It refers to people who have moved from their familiar environments, community or country to new environments in search of happiness or better life (professional migrants) or those displaced by conflicts (refugees). This in-between therefore describes

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Ulrike Elsdörfer

a space of confusion, anxiety, temporariness, combination of loss and gain. It challenges one to ask identity questions namely, what does it mean to have a home from your home or family? It challenges one to cultivate ›new muscles‹ for coping in life.« (Magezi, 2016, S. 70) So ist in Magezis Sicht spirituelle Beratung ein provider von links – es werden Vernetzungen vorgenommen von alten zu neuen Erfahrungen und damit zu veränderten Selbstwahrnehmungen. Der Berater oder die Beraterin begleitet den Klienten oder die Klientin, und Klientin oder Klient »verlinken« ihre gegenwärtige depravierte Situation im Krankenhaus oder im Gefängnis mit dem bereits vergessenen Impuls der Wiederherstellung, der Dankbarkeit für das Leben, das noch immer da ist und das für die Zukunft eine neue Form finden muss. Solche Links können überall hergestellt werden, wo in Begegnungen Hoffnungen und neue Perspektiven wachsen. »Notwithstanding the current contribution of pastoral care, there is growing concern that pastoral care should become more public to engage in public matters […]. Pastoral care should engage in public matters rather than only focus on intra-psychic matters that narrowly focus on Christians.« (Magezi, 2016, S. 73) Deshalb sollte spirituelle Beratung eine öffentliche Rolle anstreben, die Verstehensangebote sollten bekannt und verständlich sein für die Menschen, die in in-between-spaces leben. »Pastoral care within this situation involves establishing an operative ecclesiology where the care ministry will be located. Pastoral care intervention should be both preventive and mitigation focused.« (Magezi, 2016, S. 73) Spirituelle Beratung begleitet spirituelle Prozesse in der Interaktion und in der persönlichen Beziehung zwischen einzelnen Menschen, die miteinander eine gemeinsame Ebene des Erlebens finden wollen und können.

Gerechtigkeit, Gleichheit und Differenz135

5 Caring for the self of the Caregiver – compassion fatigue Einige interkulturell engagierte Pastoralpsychologinnen und -psycho­ logen erkennen die Gefahr, die für Beraterinnen und Berater im interkulturellen und sozialen Sektor in der Überforderung liegt. Es ist schwer bis unmöglich, alle helfenden Beziehungen anzubieten, die unter besonders prekären sozialen Bedingungen nötig sind. Es ist schwierig, alle layers für das Verstehen der beteiligten Personen zu kennen, zu beachten und anzuwenden. Zu jeder Beratung gehört eigene Erfahrung, die im interkulturellen Sektor notwendigerweise begrenzt ist und lebenslang begrenzt bleibt. Zudem gibt es weltweit sicher auch Beratung, die nicht immer angemessen vorgeht und nicht immer hilft. Ständige Begleiter sind compassion fatigue und eine inflation of compassion. Beide werden in der südafrikanischen pastoralpsychologischen Szene (Louw, 2016; Marsay, 2016) am stärksten reflektiert, sie werden aber auch für das Indigenous Counselling in Asien, das Beratung sehr oft als Krisenhilfe nach Tsunamis oder Bürgerkriegen anbietet, als second trauma benannt.

Kulturelle Unterschiede und Konflikte Peter Claver Narh

Wie entstehen zwischenmenschliche interkulturelle Konflikte? Wie kann man diesen vorbeugen und wie bereits entstandenen Konflikten begegnen?

1  Kultur und Interkulturalität Vor der Auseinandersetzung mit den gestellten Fragen beschäftige ich mich im ersten Kapitel kurz mit dem Begriff »Kultur« und definiere »Interkulturalität« in Abgrenzung zu anderen Begriffen. 1.1  Was ist Kultur? Der Begriff »Kultur« ist komplex und findet deshalb keine einheitliche Auslegung. Obwohl es viele verschiedene Definitionen gibt, gibt es doch bestimmte gemeinsame Elemente, die in diesen unterschiedlichen Definitionen vorkommen. Je nach theoretischem Hintergrund betonen unterschiedliche Definitionen die folgenden Elemente von Kultur: Kultur als System von Werten, Normen und Praktiken; Kultur als Geflecht von Institutionen und Regeln; Kultur als Summe des Wissens über Techniken und Strategien zur Lösung bestimmter Alltagsprobleme (Fetchenhauer, 2011). 1.2  Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität Interkulturalität wird oft mit den Begriffen »Multikulturalität« und »Transkulturalität« in Verbindung gebracht und manchmal sogar damit verwechselt. Obwohl alle drei Begriffe inhaltlich auf Kultur basieren und Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschreiben, unterscheiden sie sich doch voneinander. Während sich Multikulturalität klar von Interkulturalität und Transkulturalität absetzt, überlappen sich die Definitionen der beiden letzten Begriffe (Vanderheiden u. Mayer, 2014). Multikulturalität

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Peter Claver Narh

»beschreibt Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens als eine Koexistenz nationalstaatlicher und kultureller Gruppen. Kulturelle Vielfalt in nationalstaatlichen Gesellschaften wird anerkannt. Die einzelnen Gruppen werden als eigenständige, gleichberechtigte Teile der Gesellschaft verstanden. Ein Assimilationsdruck wird nicht angestrebt. Das Modell der multikulturellen Gesellschaft beschreibt vor allem Phänomene des Nebeneinanders« (Troalic, 2012, S. 22). Bei der Multikulturalität liegt der Schwerpunkt auf dem Nebeneinander und folglich dem Streben nach Möglichkeiten der Toleranz, der Verständigung, der Akzeptanz und der Konfliktvermeidung zwischen den kulturellen Gruppen. Multikulturalitätsansätze unterstützen den Wunsch nach kultureller Vielfalt und versuchen, Verständnis zwischen den Gruppen zu schaffen (Vanderheiden u. Mayer, 2014). Es wird hier nicht nach einem Miteinander gestrebt. »Die kulturellen Gruppen begegnen sich mit Toleranz und Respekt, ohne aber in einen Interaktions- oder Austauschprozess miteinander zu treten« (Troalic, 2012, S. 22 f.). Interkulturalität: Es lässt sich nicht nachweisen, wer den Begriff »interkulturell« erfunden hat. Er kann jedoch einem nationalen »Bureau of Intercultural Education« in den Vereinigten Staaten zugeordnet werden, welches zwischen den Jahren 1924 und 1945 die bisherigen Akkulturationspolitiken der Angleichung und der Verschmelzung ablösen sollte (Demorgon u. Kordes, 2006). Interkulturalität bezeichnet unter anderem Begegnung und Austausch zwischen Kulturen – bei Bewahrung der eigenen kulturellen Identität. Interkulturalität nimmt die kulturelle Vielfalt der Menschen wahr und würdigt sie. Sie erkennt, dass Menschen in vieler Hinsicht gleich sind, und arbeitet deshalb daran, rassistische, sexistische und andere menschenverachtende Einstellungen zu überwinden. Sie deckt auf, wie sehr Menschen und Kulturen Einfluss aufeinander nehmen, und fordert dazu auf, den eigenen Lebensstil kritisch zu hinterfragen. Interkulturalität sieht jeden einzelnen Menschen als unverwechselbare Person mit ihrer eigenen Würde an (Weiß, 2002a). Interkulturalität überschreitet die Grenzen von Kulturen und richtet dabei auch besondere Aufmerksamkeit auf die

Kulturelle Unterschiede und Konflikte139

vielfältigen kulturellen Formationen innerhalb einer Kultur (Vander­ heiden u. Mayer, 2014). »[…] interculturalism involves a conscious capacity to ›mediate‹ between two or more cultures, to observe similarities and conflicts, to generate a relationship between oneself and others, and to accept the role of a mediator« (Hager, 2011, S. 113). Das »Inter« im Begriff »Interkulturalität« verweist auf eine besondere Form von Beziehungen und Interaktionen, die auf der Ebene der Gruppenphänomene die Entwicklung einer neuen Kultur bezeichnet. Interkulturalität eröffnet letztlich neue Wahrnehmungsmöglichkeiten, indem sie das Augenmerk auf den Raum zwischen den Kulturen legt (Vanderheiden u. Mayer, 2014). In diesem »Dazwischen« soll eine Neugestaltung möglich sein. Hier geht es nicht nur um Differenzen und Gemeinsamkeiten, sondern vor allem auch um Überlagerungen, wechselseitige Abhängigkeiten und gegenseitige Durchdringungen von Grenzen und Kontakten (Bender-Junker, 2006). »Transkulturalität«, ein Begriff, der in den 1990er-Jahren im deutschsprachigen Raum von dem Philosophen Wolfgang Welsch eingeführt wurde (Vanderheiden u. Mayer, 2014; Welsch, 2017), versucht die Begriffe der Multi- und Interkulturalität zu erweitern. Transkulturalität »als solche bedeutet, dass die Begegnung zweier unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher Kulturkreise/Kulturen als Konsequenz zu einer Verwischung der Grenzen, möglicherweise aber auch zu einer Aufhebung dieser Grenzen führen kann«  – so die Definition auf Wikipedia (Zugriff am 03.06.2018). Obwohl Interkulturalität und Transkulturalität sich nicht scharf trennen lassen, gibt es wohl doch einen wichtigen Unterschied: »Mit Interkulturalität wird stärker die Beziehung zwischen zwei unterschiedlichen Positionen und Perspektiven betont, während mit Transkulturalität mehr auf das Gemeinsame abgehoben wird, und zwar sowohl auf die Gemeinsamkeiten, die ›jenseits‹ kul-

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tureller Unterschiede vorhanden sind, als auch auf solche, die als Produkt der interkulturellen Interaktion entstehen« (Troalic, 2012, S. 25). Transkulturalität hebt die Gemeinsamkeiten von Kulturen hervor, und die Unterscheidung zwischen »Eigenem« und »Fremdem« ist oft nicht oder kaum mehr möglich (Vanderheiden u. Mayer, 2014). Vor diesem Hintergrund rede ich hier von Interkulturalität.

2 Kulturstandards Kultur spielt eine wichtige Rolle in der Interkulturalität, weil unser ganzes Verhalten von ihr geprägt wird. Kultur ist somit fundamental in unserem Leben, sodass Geert Hofstede sie in Analogie zum Computer »software of the mind« nennt (Hofstede, Hofstede u. M ­ inkov, 2010). Auch Diana de Vallescar Palanca (2008) vergleicht Kultur mit der Blackbox eines Flugzeugs und meint damit, dass wir, wenn es Missverständnisse oder Unverständnisse gibt, die sich in Spannungen, Konflikten oder Gewalt entladen können, umgehend versuchen müssen, die Blackbox zu lokalisieren, die uns dann hilft, die Ursachen dieser Missverständnisse oder Unverständnisse herauszufinden. Dies macht es notwendig, Kulturunterschiede (»Kulturstandards«) wahrzunehmen. Alle Kulturen haben ihre Standards. Diese bieten den Mitgliedern einer Kultur Orientierung für das eigene Verhalten und ermöglichen ihnen, zu entscheiden, welches Verhalten als normal, typisch oder noch akzeptabel anzusehen bzw. welches abzulehnen ist. Sie bestehen aus einer zentralen Norm und einem Toleranzbereich. Die Norm gibt den Idealwert an, und der Toleranzbereich umfasst die noch akzeptablen Abweichungen vom Normwert. Alexander Thomas sieht Kulturstandards als die zentralen Kennzeichen einer Kultur, die als Orientierungssystem des Wahrnehmens, Denkens und Handelns dienen (Thomas, Kammhuber u. Schroll-Machl, 2007). Die folgenden Kulturstandards verdeutlichen dies.

Kulturelle Unterschiede und Konflikte141

2.1 Sachorientierung Deutsche sind sachorientiert. In der beruflichen Zusammenarbeit unter Deutschen sind die Sachen, um die es geht, die Rollen und die Fachkompetenz der Beteiligten ausschlaggebend. Die Motivation zum gemeinsamen Tun entspringt der Sachlage. In geschäftlichen Besprechungen kommt man »zur Sache« und »bleibt bei der Sache« (vgl. Thomas et al., 2007). Die Sachebene ist wichtig. Das heißt, es ist für die Deutschen besonders charakteristisch, sich im Berufsleben vorwiegend als zielorientierte, ihrer Sache verpflichtete Funktionsträger zu definieren und auch ihre Geschäftspartner so wahrzunehmen (Schroll-Machl, 2016).

»Ein ›sachliches‹ Verhalten, das heißt die weitgehende Kontrolle von Emotionen, ist es, was Deutsche als professionell schätzen: Man zeigt sich zielorientiert und argumentiert mit Fakten […]. Die Sache ist der Dreh- und Angelpunkt des Tuns und bestimmt auch den Kommunikationsstil« (Thomas et al., 2007, S. 74). Persönliche Empfindlichkeiten sind hintanzustellen. Dies gilt nicht nur für das Arbeitsleben, vielmehr genießen auch in der Alltagskommunikation des öffentlichen Raumes Sachthemen Priorität vor persönlichen Angelegenheiten und der Schilderung persönlicher Lebensumstände (Thomas et al., 2007). In anderen Kulturen dagegen spielt auch die persönliche Empfindlichkeit eine maßgebliche Rolle. Interkulturelle Konflikte können schnell entstehen, wenn mit diesen Unterschieden nicht gut umgegangen wird. Menschen aus sachorientierten Kulturen könnten als arrogant und unflexibel betrachtet werden, während diese die anderen möglicherweise für unseriös halten. 2.2 Zeitplanung In Deutschland werden Strukturen und Regeln geschätzt, was einen starken Einfluss auf die Zeit hat.

»In Deutschland werden Termine genau geplant und es wird erwartet, dass zeitliche Vorgaben eingehalten werden. Pünktlichkeit und Termintreue sind keineswegs nur eine Frage der Höf-

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lichkeit, sondern zeitliche Zuverlässigkeit ist für den Aufbau von Vertrauen und ein positives Image, in dem man als verlässlich, interessiert und professionell erscheint, unabdingbar« (SchrollMachl, 2016, S. 27). Sowohl berufliche als auch private Termine und Zeitpläne sind verbindlich, denn sonst gerät ein ganzes System aus den Fugen (­Thomas et al., 2007). Das ist nicht in allen Kulturen der Fall. Dieses kulturell geprägte Phänomen kann zu Konflikten führen, wenn man es außer Acht lässt. 2.3  Internalisiertes Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein Deutsche haben eine starke Identifikation mit ihrer eigenen beruflichen Tätigkeit. Sie nehmen deshalb ihre Arbeit, Rolle, Aufgabe und ihre damit verbundene Verantwortung sehr ernst. Sie möchten das, was sie machen, gut machen, und sie sind konzentriert bei der Sache (Thomas et al., 2007).

»Die Pflicht ist – zumindest beruflich – wichtiger als das Vergnügen: Ob jemand Lust hat oder nicht, ob er gerade von Problemen heimgesucht ist, die ihm viel Energie abverlangen, ob es ihm sehr viel Mühe abverlangt oder Spaß macht, spielt eine untergeordnete Rolle: Er hat Selbstdisziplin aufzubringen, sein Bestes zu geben« (Thomas et al., 2007, S. 79). Da dies nicht in jeder Kultur der Fall ist, ist es im Zusammenleben und in der Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturen wichtig, für jede Vorgabe deren Hintergründe und Zusammenhänge, in denen sie steht und zu sehen ist, ausgiebig zu erläutern. Sonst könnte eine Norm leicht als willkürlich betrachtet und daher dann nicht eingehalten werden. Das heißt, dass es nicht ausreicht, das Wie eines Prozesses zu erklären, sondern entscheidend ist auch das Warum (Schroll-Machl, 2016).

Kulturelle Unterschiede und Konflikte143

2.4  Trennung von Privat- und Berufsleben »Deutsche nehmen eine strikte Trennung der verschiedenen Bereiche ihres Lebens vor. Sie differenzieren ihr Verhalten sowohl deutlich danach, in welcher Sphäre sie mit einer anderen Person zu tun haben, wie auch danach, wie nahe sie einer anderen Person stehen« (Thomas et al., 2007, S. 79).

In einigen anderen Kulturen wirken das Persönliche und das Emotionale sympathisch und die Person daher glaubwürdiger. Diese Unterschiede sind deshalb im Auge zu behalten, um Konflikte zu vermeiden. 2.5 Kommunikationsstil Deutsche kommunizieren meistens sehr direkt und explizit. In ihren Aussagen ist so gut wie nichts zwischen den Zeilen versteckt. Was ihnen wichtig ist, wird mit eindeutigen Worten formuliert, und Sachverhalte werden ungeschminkt offen benannt. Meistens braucht man keine zusätzlichen Informationen zu erfragen, um Botschaften zu entschlüsseln. Aus diesem Grund bevorzugt der Deutsche schriftliche Kommunikation. Denn er meint ja, was er sagt und schreibt, sodass Nonverbales nicht hinzugenommen werden muss, um ihn zu verstehen. Menschen anderer Kulturen sind weniger direkt und explizit in ihrer Kommunikation. In ihr wird vieles (speziell Konfliktbehaftetes, aber auch anderweitig für sie Problematisches) gar nicht geäußert oder nur angedeutet oder in nichtsprachliche Signale verpackt (Schroll-Machl, 2007). Ein Wissen über die unterschiedlichen kulturellen Vorgehensweisen ist eine wichtige Basis, um Konflikten vorzubeugen. Konflikte zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen entstehen großenteils aus Missverständnissen. Um diese zu vermeiden, ist es notwendig, die folgenden Punkte in der Kommunikation zu beachten. 2.5.1  Anrede und Augenkontakt in Begegnungen

In bestimmten Kulturen, wie zum Beispiel in Deutschland, ist es üblich, dass man formelle und höfliche Formen der Sprache bevorzugt, auch wenn man mit Personen spricht, die man kennt und mit

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denen man jahrelang eng zusammenarbeitet (Queis, 2009). In vielen anderen Kulturen kann man andere beispielsweise problemlos mit dem Vornamen anreden, ohne dass es respektlos ist. In Deutschland sieht das anders aus. Vor diesem Hintergrund ist von großer Bedeutung, sich bei interkultureller Begegnung dieser Unterschiede bewusst zu werden und sie gegebenenfalls anzusprechen, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Auch beim Thema »Augenkontakt« gibt es kulturspezifische Unterschiede. In westlichen Kulturen ist es ein Zeichen der Aufmerksamkeit und Höflichkeit, Augenkontakt zu halten, wenn man miteinander spricht. Wer einen Blickkontakt vermeidet, gilt als unsicher oder hat vielleicht etwas zu verbergen. Dagegen wird in afrikanischen und asiatischen Kulturen Blickkontakt als aggressiv und respektlos angesehen. Ganz besonders im Gespräch mit Autoritäten, z. B. mit Eltern, Lehrenden oder Dozierenden, ist es schicklich, den Kopf zu senken und die Augen niederzuschlagen oder manchmal sogar den Kopf ein bisschen wegzudrehen, um direkten Augenkontakt zu vermeiden. Dies gilt als ein Zeichen für Respekt und Bescheidenheit (Queis, 2009). Das ist ebenfalls ein Bereich, der zu Konflikten führen kann, wenn man diese Unterschiede nicht kennt oder nicht ernst nimmt. 2.5.2  Redefluss und Pausen im Gespräch

In Gesprächssituationen merken die Teilnehmenden des Gesprächs normalerweise an der Länge einer Pause, ob ein Redner oder eine Rednerin fertig ist und ob nun sein oder ihr Gegenüber das Wort ergreifen kann. Das Timing dieser Pausen kann jedoch in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sein. Beispielsweise machen Menschen aus Südeuropa nur ganz kurze Pausen zwischen ihren Gesprächsbeiträgen – die Redner wechseln sich auf diese Weise rasch ab, und wenn der eine Redner seiner Vorrednerin ins Wort fällt, dann wird das als Sympathie und gegenseitiges Verstehen akzeptiert (Queis, 2009). Unter Menschen aus skandinavischen Ländern dagegen sind die Pausen deutlich länger, »da die Teilnehmer den Vorredner ausreden lassen und erst einmal sorgfältig darüber nachdenken, was sie erwidern wollen. Dem anderen ins Wort zu fallen gilt als unhöflich« (Queis, 2009, S. 86). Um interkulturelle Konflikte

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zu vermeiden, ist es hilfreich, sich diese Unterschiede bewusst zu machen und sie gegebenenfalls zu thematisieren. 2.5.3 Ja-/Nein-Antworten

Die Worte »Ja« und »Nein« haben unterschiedliche Bedeutungen in verschiedenen Kulturen. In Deutschland werden beide Antworten wörtlich verstanden, und der Gesprächspartner weiß, woran er ist. Asiaten sagen dagegen oft nur »Ja«, um zu bekunden, dass sie hören und verstehen, aber nicht unbedingt zustimmen. In vielen asiatischen Ländern wird selten das Wort »Nein« in den Mund genommen, weil eine derartige direkte Ablehnung als Beleidigung oder Gesichtsverlust empfunden wird. Statt das Wort »Nein« zu verwenden, bevorzugen viele Asiaten vage Formulierungen, die weitere Möglichkeiten offenlassen: »vielleicht«, »ich bin nicht sicher« oder »das ist sehr schwierig« (vgl. Queis, 2009). Missverständnisse und Konflikte wegen dieser Antworten sind mir aus eigener Erfahrung in meiner Ordensgemeinschaft bekannt. Ein Beispiel: Ein deutscher Mitbruder, Mitte 40, bat einen jungen indonesischen Mitbruder, einen Studenten Mitte 20, um Hilfe. Dieser sollte ihm am Nachmittag helfen, einen Saal für ein Programm zu bestuhlen. Der Deutsche erklärte ihm alles und sagte: »Also dann bis 15 Uhr!« Der Indonesier antwortete: »Vielleicht.« Der Deutsche hatte sich bei dieser Antwort nichts gedacht und wartete um 15 Uhr vergeblich auf den jungen indonesischen Mitbruder. Der Deutsche war so enttäuscht und sogar ärgerlich, dass er alle Indonesier als unzuverlässig abstempelte. Es gab weitere solche Fälle in der Gemeinschaft, bis der Umstand thematisiert wurde. Erst dann wurde allen deutlich, dass es beispielsweise in Indonesien unhöflich ist, direkt Nein zu sagen, vor allem im Umgang mit älteren Menschen und Autoritäten. »Ein direktes ›Nein‹ gilt in Asien als negative Kritik an der Person, die nicht von der Sache getrennt wird« (Queis, 2009, S. 87). Dementsprechend kann man einen Asiaten sehr schnell kränken, wenn seiner Meinung öffentlich widersprochen wird. Das kann zu Konflikten führen.

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2.5.4 Kritik

In der Ausübung von Kritik gibt es ebenfalls gewaltige Unterschiede zwischen Kulturen. In Deutschland wird z. B. Kritik direkt und meist sachlich geübt. In manchen asiatischen Kulturen hingegen wird Kritik indirekt und zwischen den Zeilen geübt. Hierin liegt wiederum ein Konfliktpotenzial, denn wenn ein Deutscher beispielsweise einen Asiaten direkt kritisiert, könnte der Asiate sich persönlich angegriffen fühlen. Dann bewegt sich der Konflikt sofort von der Sachebene auf die Beziehungsebene. Umgekehrt kann es sein, dass ein Asiat versucht, etwas, was ihm nicht gefällt, zu kritisieren, und dies bei einem Deutschen nicht ankommt, weil es nicht direkt geäußert wird. Der Asiate würde sich nicht ernst genommen fühlen, was eine solche Situation wiederum konfliktanfällig macht.

3 Ethnozentrismus Bisweilen stellen Menschen sich und ihre Kultur über andere Kulturen, die sie für weniger attraktiv oder gar für minderwertig halten. Was Ethnozentrismus gefährlich macht, ist der Umstand, dass die meisten Menschen bewusst davon ausgehen, dass sie solche Neigungen nicht haben. Ethnozentrismus ist jedoch eine unbewusste Tendenz, »eine weitverbreitete und tief im Menschen verankerte Grundeinstellung« (Maletzke, 1996, S. 26), weil unsere Kulturen uns beigebracht haben, »wie die Welt angeblich wirklich ist«, und wir dies glauben. Das kann dazu führen, dass wir Menschen anderer Kulturen und das, was sie tun, als seltsam oder falsch betrachten (Cooper, Calloway-Thomas u. Simonds, 2007). Ethnozentrismus hindert uns daran, vorhandene Unterschiede zu entdecken, und legt uns nahe, nur die Sichtweisen der eigenen Kultur einzunehmen (Europäisches Modularprogramm für Interkulturelles Lernen in der Lehreraus- und -fortbildung, 2006). Dies führt unweigerlich zu Konflikten und Spannungsfeldern. Um interkulturelle Konflikte zu vermeiden, ist es wichtig, sich diese unbewussten ethnozentrischen Neigungen bewusst zu machen und alle Kulturen gleichermaßen zu respektieren. Nur dann ist ein positiver Umgang mit Ethnozentrismus möglich. In diesem Zusammenhang ist das Wissen um die Unterschiedlichkeit von Kulturen von großer Bedeutung.

Kulturelle Unterschiede und Konflikte147

4 Kollektivistische Kulturen vs. individualistische Kulturen »In kollektiven Gesellschaften definieren sich die Menschen als Teil der Gruppe und stellen Gruppenziele über individuelle. In individualistischen Gesellschaften betrachten sich die Menschen als gesonderte Einheiten und sind hauptsächlich an ihren eigenen persönlichen Bedürfnissen interessiert« (Berk, 2005, S. 86). Länder, die ein hohes Maß an Individualismus kennen, sind u. a. die angelsächsischen und skandinavischen Länder oder auch die Niederlande. Laut Fetchenhauer (2011) finden sich kollektivistische Länder vor allem in Asien und Südamerika. Viele afrikanische Länder können ebenfalls zu den kollektivistischen Ländern zählen. In Tabelle 1 werden die Unterschiede zwischen individualistischen und kollektivistischen Kulturen deutlich. Tab. 1: Vergleich von individualistischen und kollektivistischen Kulturen (angelehnt an Fetchenhauer, 2011) Individualistische Kulturen

Kollektivistische Kulturen

Sozialer Status sollte nach Leistung beurteilt werden. Wer viel leistet, soll nicht durch seine Herkunft daran gehindert werden, gesellschaftlich aufzusteigen.

Menschen akzeptieren Hierarchien und Statusunterschiede, auch wenn diese nicht durch aktuelle Leistung, sondern durch Tradition und Alter bestimmt sind. Berufliche und soziale Mobilität sind niedrig.

Auch wenn Harmonie wichtig ist, werden vor allem bei Sachdiskussionen Ehrlichkeit und Geradlinigkeit geschätzt. Hierbei spielen Statusunterschiede nur eine geringe Rolle.

Im alltäglichen sozialen Miteinander sind direkte Auseinandersetzungen zu vermeiden, vor allem dann, wenn sie zum Gesichtsverlust eines oder einer der Beteiligten führen würden.

Zumindest als ethisches Ideal gilt, dass alle Menschen gleich zu behandeln sind und dabei nicht zwischen Ingroup (Eigengruppe) und Outgroup (Fremdgruppe) zu differenzieren ist.

Bei der Aufteilung der Ressourcen wird deutlich zwischen Ingroup und Outgroup unterschieden. Menschen der Eigengruppe erhalten eine bevorzugte Behandlung, und vor allem Verwandte werden aktiv in ihrer Laufbahn unterstützt.

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Individualistische Kulturen

Kollektivistische Kulturen

Das moralische Verhalten orientiert sich an eigenen, weniger an durch das Kollektiv vorgegebenen Leitbildern. Unmoralisches Verhalten führt zu Gefühlen von Schuld und individueller Verantwortung.

Verfehlungen und unmoralisches Handeln führen zu einem Gesichtsverlust vor der Gruppe und zu Schamgefühlen sowohl beim Täter als auch bei den Mitgliedern seiner Arbeitsgruppe und seiner Familie.

Da diese prägenden Unterschiede sich automatisch im interkulturellen Zusammenleben zeigen, ist es hilfreich, sie an geeigneter Stelle zu thematisieren, um Konflikten vorzubeugen.

5 Fazit In der Begegnung von Kulturen ist es wichtig, im Dialog zu bleiben und immer wieder nachzufragen. Respekt den Menschen und ihren Kulturen gegenüber schafft eine gute Basis für diesen Dialog. Es ist ebenfalls ratsam, zu versuchen, die anderen und ihre Kultur zu verstehen. Denn »das Geheimnis des Erfolges ist, den Standpunkt des anderen zu verstehen« (Henry Ford). Ferner ist es von großer Bedeutung, die Fähigkeit zu haben oder zu entwickeln, die eigenen kulturellen Werte und Praktiken zu hinterfragen. Denn aus der »Unfähigkeit, kulturelle Praktiken und Werte zu hinterfragen, erwächst offenbar dann ein hohes Konfliktpotential, wenn Angehörige verschiedener Kulturen miteinander leben und auskommen müssen« (Fetchenhauer, 2011, S. 217).

International, multikulturell und interkulturell – ein Beitrag zur »Heilung der Völker« Agnes Lanfermann

»Die Schönheit der Welt liegt in der Verschiedenheit ihrer Menschen.« So stand es groß geschrieben in Sunyani in Ghana, Westafrika, wo sich eine Gruppe mit 18 Teilnehmerinnen aus Äthiopien, Deutschland, Ghana, Indien, Kenia, Nigeria, Pakistan, Schweiz und Uganda zu einem dreiwöchigen Workshop zum Thema »Interkulturalität« trafen. Alle brachten Erfahrungen aus ihrer internationalen und multikulturellen Umgebung mit. Somit waren die Teilnehmerinnen schon darauf vorbereitet, dass ein Leben »Seite an Seite von Kulturen in der globalen Welt« enorme Herausforderungen bereithält und bedeutende Chancen freilegt für persönliches und gemeinsames Wachstum. Ziel des Workshops war es, gemeinsam Schritte auf dem Weg von einer kulturellen Identität als Einzelne sowie multikulturellen Identität als Gruppe hin zu einer interkulturellen Identität als Einzelne und Gruppe zu gehen, um mit einem Zuwachs an interkultureller Kompetenz zur Heilung und Einheit der Völker, Rassen und Kulturen in der Welt beizutragen. Das Tempo der Gruppe war geprägt von dem afrikanischen Sprichwort: »Wenn Du schnell gehen willst, geh allein. Wenn Du weit gehen willst, geh zusammen.«

1 Grundlagen Für jede Kultur gilt, dass sie erlernt wird, dynamisch ist und sich fortwährend weiterentwickelt in Anpassung am Kontext. Grundlagenwissen ist erforderlich. 1.1  Kulturen sind wie Eisberge Ein häufig verwendetes Bild zur Beschreibung von Kultur ist der Eisberg (Katan, 1999, S. 171) mit seiner sichtbaren Bergerhöhung über der Wasseroberfläche und einem weit ausladenden Berg unterhalb

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Agnes Lanfermann

der Wasseroberfläche. Das Sichtbare des Eisbergs, ca. 10 %, zeigt sich in Sprache, Nahrungsmitteln, Begrüßung, Kunst, Musik, Kleidung, Ritualen. Menschen können all dies sehen, schmecken, berühren, hören und unterscheiden, was zu welcher Kultur gehört. Das Unsichtbare des Eisberges, ca. 90 %, beinhaltet Weltsicht, Religion, spirituelle Überzeugungen, Weisen zu entscheiden, wie Respekt vor Autoritäten gelebt und Beziehung zur Macht (in Nähe und Distanz) gestaltet wird, Konzepte von Zeit und Raum, Konzepte von Gerechtigkeit (beispielsweise das Verständnis von Lügen und Stehlen), Statusdenken, Weisen des Umgangs mit Gefühlen (direkt oder zurückhaltend) (Hall, 1976). Im Laufe der Zeit wird durch Erfahrung auch das bislang Unsichtbare sichtbarer. 1.2 Multikulturalität Multikulturalität betont die Verschiedenheit in Ethnie, Kultur, Sprache, Religion und erkennt den Wert jeder Kultur in einer Gesellschaft an. Multikulturelles Lernen will Werte in ihrer Verschiedenheit akzeptieren, nicht nur tolerieren. Multikulturelle Lebensstile können eine Herausforderung sein für die Menschen im Umfeld, weil alles so anders ist als in einer Monokultur. Gleichzeitig geben multikulturelle Gruppen, wenn sie zusammenleben und -arbeiten, Zeugnis davon, dass es möglich ist, mit verschiedenen Menschen aus verschiedenen Ethnien zusammenzuleben. Dieses Zeugnis kann in Gegenden wichtig werden, wo verschiedene Bevölkerungsgruppen und Kulturen miteinander verfeindet sind. 1.3 Transkulturalität Transkulturalität geht über die Grenzen von Kulturen hinaus. Eine Person, die fest in Kultur A verwurzelt ist, entscheidet sich, über ihre kulturellen Grenzen hinaus für eine längere Zeit (mehrere Jahre) in Kultur B zu leben. Wenn sie offen dafür ist, durch das Teilen von Leben in und mit der neuen Kultur verändert zu werden, wird diese Person auf Dauer ihre Kultur A nicht mehr als ihr alleiniges »Zuhause« erleben, da sie auch in Kultur B »zu Hause« ist. Manche, zum Beispiel zurückgekehrte Missionare oder Missionarinnen aus anderen Ländern sagen, dass sie ihr »Herz« in Kultur B »gelassen« oder »verloren« haben.

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Jedoch wird ein Mensch aus Kultur A nicht ein Mensch aus Kultur B. Selbst wenn es gelingt, die Gastsprache zu erlernen und den Kulturcode zu knacken, bleibt der transkulturelle Mensch dennoch ein Außenseiter, denn ein Erwachsener kann nicht einfach in eine neue Kultur assimiliert und ein echter Insider werden (Murray, 2013). Viel hängt von der Reaktion der Menschen in Kultur B ab, wie sie auf die Person eingehen und sie annehmen. 1.4 Interkulturalität Interkulturalität baut auf gegenseitige Bereicherung, Wertschätzung und Zusammenarbeit, die für alle Beteiligten zu einem »Mehr« an Transformation führen kann. Der Prozess der Gegenseitigkeit eröffnet einen inneren Raum zwischen den Kulturen zur Gestaltung einer neuen »Kultur«, einer »Inter-Kultur« für die, die hier zusammenleben, arbeiten, denken, planen und bauen. Interkulturelle Kommunikation nimmt die lokalen Sub-Kulturen ernst und erkennt verschiedene »kulturelle Identitäten« innerhalb einer nationalen politischen Identität, da Menschen mit der gleichen nationalen oder kontinentalen Identität verschiedenen Kulturen angehören. So wird ein Inder oder eine Ghanaerin auch in der Herkunftskultur wertgeschätzt, die vielfältig ist in Sprache, Kleidung, Essen, Religion, Tradition, Riten. Kulturen sind nicht an nationale Grenzen gebunden. So leben Menschen aus der Punjabi-Kultur sowohl in Indien als auch in Pakistan. Im Sinne des Evangeliums ist Interkulturalität eine Frage von Gerechtigkeit, von echten Beziehungen mit Ausrichtung auf ein Mehr an Leben, Liebe, Frieden für alle. Dies schließt eine Sensibilisierung für Situationen ein, in denen sich Menschen aus Kultur A verletzt fühlen, wenn Mitglieder aus Kultur B Aspekte von Kultur A bewerten, belächeln, kritisieren und umgekehrt. Verletzungen geschehen aufgrund von Unwissen, mangelnder Erfahrung, Ignoranz und Dominanz, häufig unbewusst. 1.5  Interkulturelles Lernen Interkulturelles Lernen bedeutet, zunächst dem positiven Charakter anderer Kulturen zu trauen und zu wünschen, von ihnen bereichert zu werden. Wir müssen die anderen Kulturen willkommen heißen

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und ihnen (unser) uneingeschränktes Vertrauen geben. Um die Kultur einer anderen Person verstehen und respektieren zu können, ist es notwendig, die Identität einer anderen Person zu bestätigen und ihre eigene Würde anzuerkennen. Dann werden gegenseitiger Respekt und Verständnis wachsen, ebenso Vertrauen und Offenheit für interkulturelle Kommunikation. Dabei geht es nicht nur darum, die gesprochene Sprache der anderen kennenzulernen, sondern auch die unterschiedlichen kulturellen Zeichen und Symbole, die Bedeutung vermitteln. So meint ein Kopfschütteln nicht in allen Kulturen dasselbe, es kann sowohl Ja als auch Nein bedeuten. Wichtig ist es, immer mehr zu lernen, miteinander offen über kulturelle Barrieren, Missverständnisse und schwierige Erfahrungen zu sprechen, um den kulturellen Horizont zu weiten und im Wandlungsprozess eigene Fixierungen loszulassen. Dies bleibt eine nie endende Aufgabe. 1.6  Spiritualität: Lernen am Beispiel Jesu Auch Jesus musste lernen, nicht nur die Leute seiner eigenen Herkunftskultur einzubeziehen, sondern sich Menschen anderer Kulturen und Spiritualitätskonzepte zuzuwenden und auf sie einzugehen, zum Beispiel auf die kanaanäische Frau im Markusevangelium (Mk 7,24–30). Auf seinem Weg, immer mehr »Mensch« zu werden, Gottes unbedingte Liebe allen zuteilwerden zu lassen, vollzog Jesus eine »doppelte Bewegung«. Er bewegte sich sowohl in Richtung der Menschen am Rande seiner eigenen Kultur, und er ging auf Menschen außerhalb seiner Kultur zu. Bei Jesus sind Interkulturalität und die Verbundenheit mit Menschen »am Rande« einer Kultur eng miteinander verknüpft (Murray, 2013). In Matthäus 25 identifiziert sich Jesus zugleich mit den fremden, obdachlosen, kranken, nackten Menschen. Letztlich geht der Weg der Interkulturalität den Weg der Kenosis, wie im Philipperhymnus beschrieben: »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er […] wurde […] den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen« (Phil 2,6–8a). Interkulturalität zu leben, bedeutet, die eigene Kultur als die allein maßgebende zu verlassen – wissend um die kulturellen Wurzeln –, um dann zu lernen, mich mit Werten von mehr als einer Kultur und

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letztlich mit der gesamten Menschheit zu identifizieren. Es bedeutet, Mensch den Menschen zu werden, Bruder und Schwester der gesamten Schöpfung zu sein. Auf diesem Weg wird auch der Status der Marginalität spürbar. Viele kennen diese Erfahrung, zwischen zwei oder mehr Welten zu stehen mit dem Gefühl, allein, isoliert, ruhelos und nirgends wirklich zu Hause zu sein (Phan, 1999). Diese Erfahrung kommt in Bereichen auf, die nicht der Heimatkultur entsprechen, im Bereich von Sprache, politischen Ansichten, sozialem Verhalten, religiösen Vorstellungen. Es ist die gemeinsame Erfahrung von Personen oder Gruppen, die auf der Grenze leben, am Rande einer Kultur. Wohltuend und heilsam ist es, Verständnis für diese oft schmerzlichen Erfahrungen zu wecken. Christliche Spiritualität orientiert sich dabei an Jesus, der außerhalb des Stadttores ging und das Nichtverstanden-Sein ertrug, um den Teufelskreis der Exklusion und der Weitergabe von Ignoranz bis hin zu falscher Kritik, Verunglimpfung und Verleumdung von Fremden zu durchbrechen. »Deshalb hat auch Jesus, um durch sein eigenes Blut das Volk zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten. Lasst uns also zu ihm vor das Lager hinausziehen und seine Schmach tragen!« (Hebr 13,12 f.)

2 Dynamiken »Bitte, schließe die Tür«, sagt eine Teilnehmerin am Workshop aus der Schweiz zu einer Frau aus Indien: »Ich will mich jetzt zurückziehen und reflektieren. Dafür muss ich allein sein.« Etwas verdutzt schließt die Inderin die Tür. Ihr ist es unverständlich, Türen in einem Haus zu schließen, das allen gehört. Außerdem ist sie gewohnt, dass es sich besser zusammen denkt als allein. Für die Inderin ist es nicht wichtig, was eine Einzelne meint, sondern wie die Gruppe etwas versteht. Sie wird sich dem anschließen. Auf Nachfrage äußerte sich die Inderin, dass sie sich von der Schweizerin ausgeschlossen fühle. Die Schweizerin fühlte schon beim bloßen Gedanken, ihre Zimmertür offen zu lassen, Unbehagen und Unverständnis. Sie sah ihre Privatsphäre gefährdet, die sie zum persönlichen Nachdenken braucht. Missverständnisse und Unbehagen entstehen, wenn Grundwissen in anderen kulturellen Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Ritua-

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len fehlt, wenn Körper- und Symbolsprache nur in der eigenen Sprache verstanden und gesprochen werden und wenn Geduld fehlt, um nachzufragen, oder die Demut, wirklich anderes an sich heranzulassen und neue Erfahrungen zu machen, zum Beispiel die Tür des eigenen Raums offen zu lassen. Kulturelle Unterschiede betreffen alle Lebensbereiche und gehen ins Detail des Alltags. Kulturelles Wissen für das Leben in einer anderen Alltagskultur vermindert die Angst, sich frei in der »Fremde« zu bewegen oder sich einer Gruppe mit Personen aus verschiedenen Kulturen anzuschließen. 2.1  Kulturelle Merkmale Patricia Murray (2013) hat kulturelle Merkmale zusammengestellt, die in Kulturen unterschiedliche Bedeutungen haben und in verschiedenen Kontexten zu beachten sind: ȤȤ Kommunikation: Wer sind wir? Kulturen gewichten Körpersprache, Stille, Gesichtsausdruck verschieden, kommunizieren verschieden, wie sie sich in Beziehung zu anderen verstehen (Hall, 1976). In Einzel- oder Ich-Kulturen definieren Menschen sich selbst als »Ich bin Ich«. In »Wir«- oder Kollektiv-Kulturen sagen sie »Ich bin ›Wir‹« (Hofstede, 2001). ȤȤ Verteilung von Macht und Leitung: Wer ist verantwortlich? Kulturen denken verschieden von »gleich« oder »ungleich« gegenüber Machtinstanzen. ȤȤ Umgang mit unsicheren oder unbekannten Situationen: Wie mit Unsicherheit umgehen? Kulturen gehen verschieden mit Unsicherheit um und weisen eine hohe oder niedrige Unsicherheitsvermeidung auf. ȤȤ Tun und Machen oder »Sein«: Beides wird unterschiedlich bewertet, und entsprechend werden Kulturen eher »männlich« oder »weiblich« genannte Eigenschaften fördern. ȤȤ Zeitorientierung: Kulturen orientieren sich zeitlich eher kurzfristig oder langfristig. ȤȤ Zeitausrichtung: Kulturen verstehen Leben eher linear oder zyklisch. ȤȤ Raumorientierung: Kulturen erleben nah/eng oder fern/weit unterschiedlich.

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ȤȤ Bildung: Kulturen haben unterschiedliche Lern- und Formationskonzepte, die Unterschiedliches betonen: Existenzielles oder Professionelles, Verhalten oder Sozialisierung. 2.2  Interkultureller Umgang mit Konflikten Wo immer Menschen zusammenkommen, gibt es Konflikte, gerade auch dann, wenn unterschiedliche Denk- und Wertesysteme aufeinanderprallen. Jede Kultur hat einen ausgeprägten und nach innen hin verständlichen Glauben, eine eigene Bedeutung von Leitung und Begleitung von Prozessen, von Gemeinschaft, und jede Kultur weiß diese Werte zu fördern (Chin, 2003, S. 16). Auch gibt es starke emotionale Bindungen an die eigenen kulturellen Positionen, was einen gemeinsamen Weg erschweren kann, wenn die Offenheit für eine andere Position eingeschränkt ist. Ebenso sind die Umgangsweisen mit Konflikten, die Lösungsstile von Schwierigkeiten und die Beilegung von Streitigkeiten kulturell verschieden. Stile im Umgang mit Konflikten werden früh erlernt und bleiben prägend. Ihre Verschiedenheit kennenzulernen, den eigenen Stil sowie denjenigen der anderen näher bestimmen zu können, kann neue Wege zu einer Lösung in Situationen von Nichtübereinstimmung oder Schwierigkeiten bahnen. Ein Beispiel: Ein junger Mann aus dem javanischen Kulturkreis in Indonesien war eingesetzt als pädagogischer Mitarbeiter im Internat einer Jungenschule. Dort kam es zu einem lautstarken und handfesten Konflikt zwischen den Schülern der Oberstufe. Der junge Mann beobachtete das eskalierende Gerangel und wusste zunächst nicht, was er tun sollte, um die Jugendlichen zu beruhigen und sie zu motivieren, sich angemessen zu verhalten. Inmitten des Lärms holte er sich dann einen Stuhl, setzte sich darauf und saß da etwa zwanzig Minuten lang, wortlos und ohne jede Regung von Emotion. Er hatte erwartet, die Schüler würden sofort aufhören, wenn sie sein Verhalten sehen. Doch es war nicht so. Seine Botschaft kam bei den Schülern nicht an. Sie trieben es noch wilder und lachten den Mann aus Indonesien aus. Dieser war verzweifelt und bangte um seine Autorität und Stellung. Dann stand er auf und holte den Internatsleiter.

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Dieser kam herein, stellte sich in die Mitte des Raumes und teilte mit lauter Stimme und sehr bestimmt in knappen Worten seine Erwartung an die sofortige Beendigung des Krawalls mit. Plötzlich waren alle still und folgten den Anweisungen des Internatsleiters. Auf dem interkulturellen Weg ist es also notwendig, das kulturelle Selbstverständnis des eigenen Kommunikations- und Konfliktlösungsansatzes zu kennen und zu wissen, wie Menschen mit anderen Stilen sich verhalten. 2.3  Das Interkulturelle Konfliktstilinventar (ICSI) Das »Intercultural Conflict Style Inventory«, ICSI, (Hammer, 2009a) basiert auf unserer »bevorzugten« Haltung in Stress. Es stellt die Frage: Was würden wir tun, damit wir keine negativen Konsequenzen fürchten müssen? Es geht also nicht darum »Was sollten wir tun?«, sondern »Wie können wir uns verhalten, damit es uns selbst im Stress noch gut geht?« Der kulturell erlernte Konfliktstil enthält Muster von spezifischen Einstellungen, Wissen und Verhalten, interpretativen Rahmenbedingungen und Strategien für die Definition und Reaktion auf Konflikte. Auf dem Weg des interkulturellen Lernens können die erlernten Muster im Umgang mit Stress und Angst in Konfliktsituationen verändert und kulturell ansprechende Strategien gelernt werden, um anderen Eigenes zu vermitteln und in Konfliktsituationen verhandeln zu können. Die von Mitchell Hammer entwickelte Theorie der Interkulturellen Konfliktstile (ICS) (Hammer, 2009b) ist kulturübergreifend. Sie basiert auf interkulturellen Forschungen über Kommunikations- und Konfliktlösungsstile. Die Hauptidee der Theorie ist, dass alle Konfliktstile zu einem von vier Grundstilen zur Lösung bei Meinungsverschiedenheiten gehören: Diskussion, Engagement, Anpassung oder dynamischer Stil. Zu unterscheiden sind dabei der Ausdruck von Uneinigkeit (direkt oder indirekt) und der Ausdruck von Emotionen (expressiv oder zurückhaltend). 2.3.1  Direkte und indirekte Kulturstrategien

Direkte Kulturstrategien konzentrieren die Aufmerksamkeit auf eine explizite präzise Sprache, um Probleme oder Meinungsverschieden-

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heiten verständlich zu machen. Eigene Sorgen und Perspektiven werden ins Wort gehoben, ebenso Missverständnisse. Wichtig ist, die Botschaft so verständlich zu machen, dass auch Menschen mit anderen Vorstellungen sie verstehen (Jandt, 2001, S. 220). Sie wird direkt von Angesicht zu Angesicht gesagt: »Sag es der Person selbst.« Der Prozess der Konfliktlösung gilt als endgültig eingeleitet, wenn die streitenden Parteien in der Lage sind, ihre Meinungsverschiedenheiten direkt anzusprechen. Überzeugend wirken die Logik der Argumente und überprüfbare, objektive Tatsachen. Das Ende wird bestimmt durch einen »lösungsorientierten« Ansatz von Empfehlungen für Schritte auf dem Weg zu einer Lösung und die Vereinbarung, dass diese auch gegangen werden. Indirekte Kulturstrategien finden ihre Bedeutung außerhalb des gesprochenen Wortes. Eine Diskussion der Meinungsverschiedenheiten geht über Mimik, Gesten, Gesichtsausdruck und Verhalten: »Dein Gesicht sagt mir, was du brauchst. Du brauchst nichts mehr zu sagen«; oder sie wird in der Person internalisiert: »Wenn du kommst, weiß ich genau, was es bedeutet.« Verbale und schriftliche Kommunikation gelten weniger. Der Kontext enthält die notwendigen Informationen. Die anderen wissen, wenn sie etwas stört oder wenn sie etwas brauchen. Sie werden es nicht direkt sagen. Auch wenn sie viele Informationen anbieten, so wird das zentrale Mosaiksteinchen nicht benannt. Aufgabe ist es, dieses letzte Stück des Puzzles zu finden und zu erkennen, was tatsächlich kommuniziert wurde (Hall, 1976, S. 9). Wichtig ist die Wiederherstellung der Beziehung. 2.3.2  Emotional zurückhaltende und ausdrucksvolle Strategien

Zurückhaltende Strategien verkleiden die Emotionen in minimal nonverbale, stimmliche Emotionen und erlauben damit die Fokussierung auf die Aufgaben und auf produktive Arbeitsbeziehungen. Humor zur Regelung von Spannungen ist nicht angebracht aus Sorge, emotional zu sein oder die Gefühle anderer zu verletzen. Hier ist emotionale Zurückhaltung wichtig für eine Deeskalation in Konflikten und für die Glaubwürdigkeit, da Vertrauen v. a. bei emotionaler Kontrolle entwickelt wird.

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Emotional ausdrucksvolle Strategien tragen die Emotionen offen nach außen, sowohl in nonverbalen als auch in stimmlichen Ausdrücken. Durch die »Externalisierung« der Gefühle wird eine Fokussierung auf die Erfüllung der Aufgaben und auf produktive Arbeitsbeziehungen möglich. Humor hilft zur Regelung von Spannungen. Die emotionalen Informationen werden für die Glaubwürdigkeit und Deeskalation im Konflikt benötigt, und Vertrauen wird durch emotionales Engagement entwickelt. 2.4  Interkultureller Konfliktstil Um einen interkulturellen Konfliktstil zu erlernen, ist ein Perspektivwechsel notwendig, der die eigene kulturelle Perspektive verschiebt. Dazu gehören das Wissen und Bewusstsein der eigenen und fremden kulturell bevorzugten Konfliktstile, das Wissen in Bezug auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Erfahrungen, Wahrnehmungen, Werte, Überzeugungen, Verhalten und Praktiken im Umgang mit Meinungsverschiedenheiten, Problemen und Konflikten. Wissen und Bewusstsein helfen, die Interpretationsfähigkeit zu erhöhen. So kann Wertschätzung wachsen, Wertung vermindert und Verhalten verändert werden. Es kann zu einer größeren Anpassung oder zum Brückenverhalten zwischen verschiedenen Konfliktstilen kommen. Dieser Lernweg braucht Zeit, Geduld, Frustrationstoleranz und Hoffnung, dass Wachstum möglich ist. Eine Begleitung ist hilfreich, um den Blick offen zu halten für die Vielfalt und hierin nicht Bedrohung, sondern Reichtum zu sehen und Potenzial, um neue Weisen der Konfliktlösung zu entwickeln.

3  Unbedingte Liebe und Vergebung Welche Ressourcen helfen auf dem Weg der Interkulturalität? Auf dem Workshop in Ghana benannten die Teilnehmerinnen folgende Erfahrungen und Verhaltensweisen: ȤȤ Meist betrachten wir Realitäten und auch Beziehungen, wie wir sie nutzen können, um unsere eigenen Ziele zu erreichen, anstatt sie als »Schätze« mit großem Potenzial zu sehen.

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ȤȤ Gier und Machtstreben in uns und um uns herum werten andere Kulturen ab, trennen sie und schließen aus. ȤȤ Wir wollen eine »Mystik der offenen Augen« (Metz, 2013) leben, die mit allen Sinnen die Realität der Kulturen zu erfassen sucht und mit einem langen liebenden Blick und geduldig hörendem Ohr den Schatz wahrzunehmen lernt. ȤȤ Auch dann, wenn nichts danach aussieht, dass es gut wird, wollen wir den Blick, das Ohr, das Herz nicht abwenden von der Realität. Manchmal ist es dann so, dass nach langer Zeit sozusagen ein »Wunder« geschieht und der Schatz unverhofft aufleuchtet. ȤȤ Wir lernen die Kulturen zu sehen, wie Gott sie sieht, sodass sie zu Wachstum kommen, sowohl durch Versagen als auch durch Erfolg. ȤȤ Wir lernen die Menschen zu lieben, nicht für das, was sie versprechen und was sie zur Gesellschaft, Welt oder Kirche beitragen, sondern als die, die sie im Verhältnis zu Gott sind  – geliebte Töchter und Söhne Gottes, Schwestern und Brüder Jesu (Zechmeister, 2013). ȤȤ Wir teilen in der physischen Nähe zu anderen Kulturen und zum Anders- und Fremdsein Leben und Nöte, lernen andere Sprachen, suchen Freundschaft und genießen sie. ȤȤ In allem lernen wir die Sehnsucht kennen. Wir vernehmen ihr Echo im Herzen und tun das, was zu einem »Mehr« an Leben führt und anderen erlaubt, die zu sein, die sie sind. ȤȤ Wir üben Achtsamkeit für Einstellungen und Verhaltensweisen, dass sie gewaltfrei sind und bleiben, und für die gesprochene und nonverbale Sprache, dass sie Sprache der Liebe ist und fähig, den Graben der Trennung zu überwinden. ȤȤ Wir wollen Seite an Seite gehen und bereit sein, einander geschwisterlich zu begleiten, die Einzigartigkeit jeder Geschichte zu achten, Vielfalt und Verschiedenheit zu bestaunen und dem gemeinsamen Boden zu trauen. ȤȤ Wir verabschieden uns von dominanten, kulturell einseitig geprägten Interpretationen von Leben und Spiritualität und lassen uns in der Begegnung gegenseitig wandeln. ȤȤ Wir vollziehen regelmäßige Rituale auf dem Weg von Heilung, Vergebung und Versöhnung, um im Geist der Barmherzigkeit immer wieder neu anzufangen und »Mensch« zu werden.

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ȤȤ Wir vergewissern uns in der Hoffnung und vertrauen darauf, dass die göttliche Geistkraft alle, die sich auf den Weg eines interkulturellen Lernens einlassen, zu den »Orten« leiten wird, die Leben für alle, Frieden und gerechte Beziehungen bereithalten. Im Workshop war klar: Jede Teilnehmerin erbringt einen spezifischen Beitrag auf dem Weg und zum Ganzen. Jede Einzelne braucht die eigene Zeit und den Raum, den eigenen Beitrag einzubringen. Wenn im Rahmen von Interkulturalität globale Solidarität, Transformation von Kultur und Gesellschaft sowie interreligiöser und interkultureller Dialog wachsen, dann ist dies ein Zeichen von Hoffnung und trägt zur Heilung der Völker bei.

Kann das Festmahl stattfinden? Migration und Flucht als ekklesiologische Herausforderung Tobias Keßler

Migration und Flucht sind keine neuen Phänomene in der Geschichte der Menschheit. Neu sind jedoch die Ausmaße, die sie in der Moderne angenommen haben. Bei der Erforschung dieser Phänomene wird häufig die Frage aufgeworfen, wie beide – Flucht und Migration – sich zueinander verhalten. Ist es etwa sinnvoll, den Begriff »Migration« nur für die sogenannte Arbeitsmigration zu verwenden und ihn auf diese Weise von »Flucht« zu unterscheiden? Oder ist »Migration« als eine umfassende Kategorie für menschliche Mobilität zu verstehen, unter die dann der Tatbestand der Flucht ebenso fällt wie zum Beispiel der internationale Tourismus? Persönlich plädiere ich für einen flexiblen Umgang mit den genannten Begriffen, denn gerade die undogmatische Herangehensweise erlaubt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Fokus immer wieder zu verändern und damit je neue Dimensionen von Migration und Flucht sowie von deren Verquickung sichtbar zu machen. Der vorliegende Beitrag nimmt die Beziehung zwischen Staatsbürgern und Neuankömmlingen in Deutschland in den Blick. Er schließt an meine Dissertation zum Verhältnis von einheimischen und zugewanderten Katholikinnen und Katholiken an (Keßler, 2018) und beruht auf der Diagnose, dass der bleibende Leidensdruck der Migrierten und Geflüchteten wesentlich aus der Wahrnehmung resultiert, sich dauerhaft ausgegrenzt zu sehen. Die aufwändige Inszenierung der Integrationsanstrengungen ändert nur wenig an diesem Befund. Ausgehend von dieser Diagnose frage ich nach der angemessenen Verortung und Haltung der Kirche angesichts der mit Migration und Flucht einhergehenden Herausforderungen. Die Antwort besteht in einem exegetischen Experiment, das die ekklesiologischen Implikationen aufzeigt, die zutage treten, wenn man das Gleichnis vom Vater und den beiden Söhnen (Lk 15,11–32) zu den genann-

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ten Herausforderungen und den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen in Beziehung setzt.

1 Dazugehören Die Überschreitung der physischen Grenzen eines Aufnahmelandes durch Zuwanderer und Flüchtende im Kontext internationaler Migra­tion bedingt die Errichtung neuer, sichtbarer und unsichtbarer Barrieren, die die realen Teilnahmechancen der Neuankömmlinge nachhaltig einschränken. Dazu zählen rechtliche Unterscheidungen ebenso wie wohlfeile, pauschalisierende Fremdzuschreibungen. Die Wirksamkeit dieser Mechanismen wird durch die bestehende Machtasymmetrie sichergestellt. Migrierte und Geflüchtete sind von derartigen Ausgrenzungstendenzen gleichermaßen betroffen. Bezeichnend für diesen Zusammenhang erscheint mir das Zitat einer Geflüchteten aus Eritrea: »Du beginnst als Flüchtling und, wenn du nicht zufällig einen blauen Pass hast, dann bist du eines jeden Opfer: das Opfer deiner Regierung, einer Rebellenorganisation oder sonst einer Gruppe, das Opfer der internationalen Politik […]. Dann, irgendwann, wirst du vielleicht Migrant, mit Dokumenten und ein paar Rechten, vielleicht mit dem internationalen Gesetz auf deiner Seite, vielleicht aber auch nicht. […] Für mich fängt Gerechtigkeit an, wenn du endlich Staatsbürger am neuen Ort bist, mit allen Rechten. Doch auch dann magst du zwar das Recht auf deiner Seite haben, doch die Diskriminierung wird weitergehen. Du wirst der Ausländer bleiben. Und das bedeutet erneut ungerechte Behandlung, auch unter besten politischen Voraussetzungen.« (Fröchtling 2016, S. 3 [Übersetzung und Hervorhebungen durch T. K.]) Das hier beschriebene Problem der Ausgrenzung wird von Migrier­ ten und Geflüchteten immer wieder thematisiert. So antwortet eine Geflüchtete aus Zimbabwe auf die Frage, was Gerechtigkeit für sie bedeute:

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»Als Migrantinnen und Migranten fühlen wir uns schlecht, weil wir nicht dazugehören, weil wir nicht als gleichwertiger Teil des Ganzen betrachtet werden. Ich will vielleicht so sagen: Gerechtigkeit ist Zugehörigkeit, Gerechtigkeit bedeutet Rechte zu haben und Zugang, Gerechtigkeit ist Partizipation, ist Heimat.« (Fröchtling 2016, S. 5 [Übersetzung durch T. K.]) Oder mit den Worten einer Philippina, um ein drittes Beispiel zu nennen: »Jesus war ja schließlich auch Migrant. Und das zu wissen ist ganz wichtig für mich, denn ich weiß, dass Jesus mich versteht, weil er selbst nie wirklich dazugehörte, anders war, ausgeschlossen […], den Mächtigen ein Dorn im Auge. Dieser Jesus, der versteht mich, und er hilft mir, dass ich mich nicht mit Ungerechtigkeit abfinde, weil er Leben für alle gewollt hat.« (Fröchtling 2013, S. 22 [Hervorhebung durch T. K.]) Mithilfe eines Textes von Detlev Dormeyer (2008) lege ich im Folgenden zunächst das Fundament für mein Interpretationsexperiment, das, wie erwähnt, in dem Versuch besteht, die lukanische Parabel mit der Diagnose fehlender Zugehörigkeit von Zuwanderern und Geflüchteten in einen Dialog zu bringen. Wesentlich für den Erfolg dieses Unterfangens ist die Wechselwirkung zwischen diagnostizierter Realität und Gleichnis. Unter dem Titel »Das Gleichnis vom ohnmächtigen Vater« gelange ich so zu einer kontextsensiblen und, wie ich hoffe, verstörend-heilsamen Auslegung der genannten Perikope, bei der es einerseits darum geht, am Beispiel der Haltung des älteren Sohnes die Argumente der Etablierten als strategische Konstrukte der Ausgrenzung zu entlarven, mit denen sie ihre eigenen Interessen zu schützen trachten, und bei der andererseits das Verhalten des Vaters als Kritik am herrschenden System interpretiert und als Vorbild für die Kirche herausgestellt wird.

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2 Zu den Auslegungsmöglichkeiten von Lukas 15,11–32 In einem Beitrag unter dem Titel »Das Gleichnis von den zwei Brüdern (dem verlorenen und dem daheimgebliebenen Sohn) und dem gütigen Vater (Lk 15,11–32). Narrative Erzähltextanalyse und grenzüberschreitende Auslegungsmöglichkeiten« plädiert der Bibelwissenschaftler Detlev Dormeyer (2008) unter Bezug auf eine Interpretation dieser Perikope durch Joseph Ratzinger (2007) für den Rekurs auf biblische Gleichnisse als Orientierungsinstanzen für zeitgenössische Fragen. Die erste Grenzüberschreitung, die hierfür erforderlich ist, betrifft zunächst die exegetische Methode. Ungeachtet der Verdienste der historisch-kritischen Herangehensweise gilt es, den Bedeutungsgehalt der biblischen Texte für die Fragen und Herausforderungen unserer Zeit aufzuzeigen, denn: »Ein Text übt seinen Einfluß solange aus, als die realen Leser (z. B. wir, am Ende des 20. Jahrhunderts) sich mit dem impliziten Leser identifizieren können. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Exegese, diese Identifikation zu erleichtern« (Päpstliche Bibelkommission, 1993, S. 40). Das Instrument für eine solche Transferleistung identifiziert Dormeyer in der Methode der narrativen Erzähltextanalyse. Mit Ratzinger konstatiert der Autor, dass die Unterscheidung von Gleichnissen in Parabeln und Beispielerzählungen unzureichend sei. Allerdings erfordere die grenzüberschreitende Auslegung eine narrative Feinanalyse, die er bei Ratzinger vermisse. Aus diesem Grund unterbreitet Dormeyer dann selbst einen Vorschlag für eine derartige Analyse. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass es sich bei Lk 15,11–32 um eine »›doppelgipflige‹ Parabel« (2008, S. 39) handle. Den ersten Gipfel stellt die Rückkehr des sogenannten verlorenen Sohnes dar, der zweite Gipfel besteht im Dialog zwischen dem Vater und dem älteren Sohn. Angesichts der Deutungsoffenheit der Gleichnisse, die in deren narrativer Natur grundgelegt sei, betrachtet Dormeyer den traditionellen Titel »Gleichnis vom verlorenen Sohn« als ebenso zutreffend wie die Titel »Gleichnis vom liebenden Vater«

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beziehungsweise »Gleichnis von den zwei Brüdern«. Aufgabe der Hörerin und des Hörers sei es, das geschilderte Ereignis in eine theologische Sachhälfte zu übertragen (S. 39–40). Wenn ich Dormeyer richtig verstehe, dann liegt gerade hierin ein wichtiger Spielraum für kontextsensible und somit je unterschiedliche Ausdeutungen solcher Texte, die dennoch keineswegs beliebig sind. Die daraus resultierenden Lesarten sind zwar vom Autor des jeweiligen Gleichnisses nicht unmittelbar intendiert, weil sich ihm viele Fragen, die uns heute beschäftigen, noch gar nicht gestellt haben. Dennoch ist die Möglichkeit solcher Übertragungen in den Gleichnissen selbst bereits angelegt. Den erwähnten Spielraum mache ich mir zunutze, wenn ich im Folgenden eine Auslegung der lukanischen Parabel vorschlage, deren Anwendungskontext in den ekklesiologischen Herausforderungen durch Migration und Flucht besteht und die sich gerade angesichts der fehlenden Inklusion der Betroffenen als bedeutsam erweist. Wenngleich bei Dormeyer selbst die Frage nach der Rolle von Gleichnissen im christlich-islamischen Dialog im Vordergrund steht, so arbeitet er bei seiner Analyse interessanterweise dennoch zahlreiche Details heraus, die auch für die vorliegende Thematik aufschlussreich sind und auf die ich bei meinen Ausführungen daher immer wieder rekurriere.

3  Das Gleichnis vom ohnmächtigen Vater 3.1 Die Identifikation des irdischen mit dem himmlischen Vater Die Hauptakteure der Erzählung in Lukas 15,11–32 sind der Vater und seine beiden Söhne. Die Identifikation des irdischen Vaters aus dem Gleichnis mit dem himmlischen Vater Jesu erachtet Dormeyer aus verschiedenen Gründen als legitim. Tatsächlich entspricht die Anrede »Vater« dem Vater-Gebet Jesu in Lukas 11,2–4. Die intendierte Gleichsetzung wird zusätzlich bestätigt durch das Schuldbekenntnis des jüngeren Sohnes: »Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt« (Lk 15,21). Schließlich wird die Identifikation auch durch das außergewöhnliche Handeln des Vaters untermauert, wenn dieser dem rückkehrenden Sohn entgegeneilt und ihn zudem erneut mit allen Ehren ausstattet (Lk 15,20.22). Im

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Erbarmen als der Übersteigung des gesellschaftlich genormten, gesetzlichen Vater-Verhaltens sieht Dormeyer einen Verweis auf Gott selbst (2008, S. 43). Für den vorliegenden Zusammenhang erlaubt diese Einsicht eine erste ekklesiologische Schlussfolgerung: In ihrer Gott-Ebenbildlichkeit ist die Kirche gerufen, ihr Handeln am Vorbild des Vaters in der Parabel auszurichten. 3.2  Der Etablierte und der Außenseiter Während sich der ältere Sohn als Unschuldslamm und Opfer inszeniert (Lk 15,29), ist uns der jüngere Sohn als Sünder bekannt. Nicht nur aufgrund der räumlichen Distanz (fernes Land) erscheint er als ein verlorener Sohn, sondern mehr noch aufgrund der vermeintlich so großen Schuld, die er auf sich geladen hat. Zum einen wird ihm ein zügelloses Leben zur Last gelegt, mit dem er sein Vermögen verschleudert habe (Lk 15,13). Zum anderen liegt das größere Hindernis für seine erneute Eingliederung jedoch in der kultischen Unreinheit, die mit dem Hüten der unreinen Schweine einhergeht. »Die Unreinheit der Schweine verunreinigt den jüdischen Hirten, sodass er sich im Zustande kultischer Sünde befindet« (Dormeyer, 2008, S. 42). Vor diesem Hintergrund scheint es auf den ersten Blick äußerst unpassend, Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete mit dieser Figur zu identifizieren. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass der Vorwurf des Verschwendens dem Argument des älteren Bruders entspricht, der in der Sache eindeutig befangen erscheint, wenn er dem Vater vorhält: »Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.« (Lk 15,30) Der etablierte Stubenhocker verstößt seinen Bruder regelrecht (»dein Sohn« anstatt »mein Bruder«). Zudem verdreht er die Tatsachen: Während der Erzähler in Vers 13 feststellt, dass der jüngere Sohn sein Vermögen verschleudert habe, suggeriert der ältere Sohn in seiner Stellungnahme, der jüngere habe das Vermögen des Vaters (»dein Vermögen«) durchgebracht. Dormeyer hält fest: »Die autonome Verfügung über einen Bereich des eigenen Handlungsspielraums (Erbe) ist theologisch legitim« (2008, S. 45). Doch damit nicht genug: Der ältere Sohn scheint mehr zu wissen als der Erzähler selbst, wenn er plötzlich die »Dirnen« in seine

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Argumentation einschleust, um seinen Bruder beim Vater zu verunglimpfen. Dieses Verhalten erinnert unweigerlich an die vielen pauschalen Vorurteile gegenüber Geflüchteten und Zuwanderern, die darauf zielen, diese undifferenziert zu diskreditieren, anstatt ihnen als Schwestern und Brüder zu begegnen und somit als Menschen, die unabhängig von ihrem Schicksal dieselbe Würde besitzen. Außerdem verweist Dormeyer darauf, dass es in der Fremde viele Möglichkeiten des Misserfolgs gab. Trotz des anderen Fokus seiner Untersuchung schlägt der Autor damit selbst einen Bogen von den Erlebnissen des jüngeren Sohnes zur Situation unzähliger Menschen, deren Leben von Migration und Flucht geprägt ist. Ohne das Argument weiter auszuführen, hält er fest, dass das Leben in der Fremde zahlreiche Risiken mit sich bringt. Eben diesen Punkt gilt es, den Sesshaften vor Augen zu führen, wenn diese ihre Definitionshoheit dazu nutzen, die mit den Flucht- und Migrationserfahrungen einhergehenden Risiken und Verluste kleinzureden, um sich selbst nicht bewegen und verändern zu müssen. Mit der Hungersnot wird im Gleichnis schließlich noch ein Faktor benannt, der jenseits des Einflussbereichs des jüngeren Sohnes liegt. Betrachtet man den Vermögensverlust des jüngeren Sohnes vor diesem Hintergrund, dann wird plötzlich fraglich, ob bzw. inwieweit er selbst tatsächlich Schuld am Scheitern seiner Expedition trägt. Übrig bleibt die kultische Unreinheit des jüngeren Sohnes aufgrund des Kontakts mit den Schweinen. Für den Vater jedenfalls scheint auch dieses Problem kein Hindernis darzustellen. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass er dem vermeintlich Unreinen spontan entgegeneilt und diesen küsst, sondern auch daran, dass er ihn selbstverständlich als Sohn willkommen heißt und ihn mit allen vormaligen Ehren ausstattet. Es ist nicht auszuschließen, dass gerade dieses Vorgehen des Vaters beim älteren Sohn eine Sorge um die Schmälerung seines eigenen Erbes auslöst. Die Zuschreibung von Unreinheit erweist sich in dieser Situation als willkommene Strategie, um mögliche weiterreichende Ansprüche vonseiten des jüngeren Bruders bereits im Keim zu ersticken. Reflektiert diese Haltung aber nicht viel vom gängigen Narrativ des Fremden als Nutznießer des Sozialstaats und Trittbrettfahrer unseres Wohlstands? Spiegelt das Gebaren dieses Duckmäusers nicht zahlreiche

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negative Zuschreibungen gegenüber den Fremden im Namen der geschriebenen und ungeschriebenen Normen einer etablierten Mehrheitsgesellschaft, die ihre selbstgeschaffenen Regeln als naturgegeben inszeniert, um die vermeintlich Zuwiderhandelnden aus ihrer Mitte zu verbannen? Wirken die anfängliche soziale Unterschichtung, die teils mangelnde sprachliche Kompetenz der Zuwandernden sowie ihr abweichendes äußeres Erscheinungsbild nicht als der kultischen Unreinheit vergleichbare Motive, anhand derer ihnen die Zugehörigkeit zur auserlesenen Schar der Etablierten abgesprochen wird? Und ist nicht vielleicht das Handeln des Vaters vornehmlich als Kritik am herrschenden System zu begreifen? In dieser Auslegungsperspektive entspricht das Schuldbekenntnis des jüngeren Sohnes, auf das der Vater bezeichnenderweise mit keiner Silbe eingeht, der verhängnisvollen Übernahme einer tendenziösen Fremdzuschreibung, aus der ihn die therapeutische Geste des Vaters befreit und erlöst, indem sie ihm seine Würde zurückgibt. Gerade hier liegt eine wichtige Aufgabe für die Migrantenseelsorge, die darin besteht, das häufig aufgrund der erfahrenen Diskriminierungen verletzte Selbstbewusstsein der Migrierten und Geflüchteten wieder zu stärken, um auch von ihrer Seite her den Weg zu einer Begegnung auf Augenhöhe zu ebnen. Dormeyer entgeht nicht, dass der jüngere Sohn nicht trotz, sondern gerade aufgrund des Erlebten reift und versteht, was es heißt, frei zu sein und Sohn zu sein. Damit wird Letzterer zu Recht zum Vorbild für den etablierten, sesshaften Bruder, so Dormeyer (2008, S. 47) im Anschluss an Ratzinger (2007). Auch in diesem Punkt zeigt sich eine interessante Parallele zum Verhältnis zwischen etablierten Staatsbürgern einerseits und Zuwanderern und Geflüchteten andererseits. So versteht etwa der Psychotherapeut Wielant Machleidt (2009) Migration als dritte Individuation neben den beiden klassischen Individuationsphasen von Geburt und Adoleszenz. Damit unterstreicht er den mit Migration einhergehenden menschlichen Reifungsprozess, den die Sesshaften so nicht durchlaufen. Die Herausforderung, die sich dem älteren Bruder mit der Rückkehr des jüngeren stellt, beschreibt Dormeyer folgendermaßen: »Die Erlebnisse des jüngeren Bruders in der Fremde machen dem älteren Bruder die Begrenztheit und Einlinigkeit seines Handelns

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sichtbar. Diese Verunsicherung nahm er aber bisher nicht zur Korrektur seines bisherigen Umgangs mit dem Erbe an, sondern verdrängte sie, was ihm durch das Scheitern des Bruders außerordentlich erleichtert wurde, durch die jetzt festliche Aufnahme aber verunmöglicht wird. Der Vater stellt den Vorwurf daher in diesem Punkt sogleich richtig. Da der ältere Bruder gemeinsam mit dem Vater über sein Erbe verfügt, hätte er jederzeit daraus ein Festmahl geben können. Auch er war also zu Hause in die Alternative gestellt, sein jetziges und künftiges Erbe zu verschleudern, zu bewahren oder in neuer Weise zu verwalten. Im Grunde ist auch er im Umgang mit dem Erbe gescheitert, sonst würde er nicht die Freude über die Rückkehr und das Wohlbefinden des jüngeren Bruders ablehnen. Der Schlussappell eröffnet dem älteren Bruder die Möglichkeit, seinerseits sich von der Liebe des Vaters einen neuen Anfang schenken zu lassen, von dem Wagemut des jüngeren Bruders zu lernen und den Rollenwechsel vom Gegner zum Helfer zu vollziehen.« (2008, S. 44) Übertragen auf das hier behandelte Szenario bedeutet dies: Die etablierten Segmente in Kirche und Gesellschaft sind aufgefordert, ihre äußere und innere Sesshaftigkeit durch die Präsenz der Migrierten und Geflüchteten hinterfragen zu lassen. Wird diese Sesshaftigkeit nicht erst dadurch möglich, dass andere sich bewegen? Und haben nicht am Ende jene, die sich in ihren Wanderbewegungen den Risiken des Lebens mutig stellen, den Sesshaften etwas voraus? Wäre es heilsökonomisch betrachtet nicht lohnenswert, sich dem in die Präsenz der Zuwanderer eingeschriebenen Appell zur Veränderung zu stellen, anstatt ihn mit unlauteren Mitteln zurückzuweisen und zu verdrängen? Ist es nicht leichter, die eigenen Schwächen einzugestehen und am Festmahl teilzunehmen, anstatt in der Rolle der Spielverderber zu verharren? 3.3  Die Ohnmacht des Vaters Am Verhalten des Vaters in der Parabel, über das sich uns ja die Haltung des himmlischen Vaters erschließt, lassen sich die Verortung und der Auftrag der Kirche ablesen – und im konkreten Fall ihre Sendung angesichts der Herausforderungen durch Migration und Flucht.

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Zunächst fällt auf, dass der Vater den heimkehrenden Sohn nicht etwa an der Tür empfängt, sondern ihm vielmehr entgegeneilt. Indem er alles stehen und liegen lässt und hinausgeht, vollzieht er den Aufbruch seines Sohnes symbolisch nach: Er geht mit, er holt ihn dort ab, wo er ist. Und er holt ihn so ab, wie er ist. In diesem Zustand umarmt und küsst er ihn. Im Heraustreten und Hinausgehen verändert er sich selbst und wird seinem Sohn ein wenig ähnlich. Er zeigt nicht die geringste Angst vor der vermeintlichen Unreinheit des Ankommenden. Und all das geschieht, ohne dass der Vater auch nur einen Augenblick zögert. Für die Kirche impliziert diese Haltung die Notwendigkeit, sich in den Debatten um Zuwanderung und Integration eindeutig und mutig zu positionieren, auch wenn dies ihrem gesellschaftlichen Ansehen möglicherweise abträglich ist und sie darüber hinaus die Erwartungen einiger ihrer Mitglieder, die die Vorbehalte des älteren Bruders uneingeschränkt teilen, enttäuschen muss. Den Umstand, dass der Vater den Sohn neu einkleidet, ihn mit allen Ehren der Sohnschaft bedenkt und ihn damit dem älteren Bruder gleichstellt, erachte ich als richtungsweisend hinsichtlich des kirchlichen Verständnisses von Zugehörigkeit und »Integration« (zur Frage nach der Eignung des Integrationsbegriffs: Keßler, 2018, S. 23–129). Ohne eine – wenigstens perspektivisch – gleichberechtigte Partizipation aller Beteiligten wird die Kirche dem Anspruch ihrer Sendung nicht gerecht. Das Schlachten des Mastkalbs ist Ausdruck einer wahrhaft grenzenlosen Freude und steht mit Blick auf den vorliegenden Kontext für ein universales Beziehungsangebot, das den Rahmen der karitativen Zuwendung ebenso sprengt wie das Festhalten an nationalen, ethnischen oder kulturellen Grenzziehungen. Es handelt sich somit um ein ambitioniertes Projekt mit offenem Ausgang, das den Vater in eine prekäre Lage bringt, in der er das Ruder nicht mehr in den eigenen Händen hält. Der Vater behandelt beide Söhne gleich, er geht beiden entgegen. Doch beim älteren Sohn stößt seine einladende Geste auf Widerstand. Auf sanfte, aber bestimmte Weise versucht der Vater seinen Erstgeborenen umzustimmen. Er beginnt damit, diesem seine privilegierte Situation ins Bewusstsein zu rufen: »Mein Kind, du bist immer bei mir und alles was mein ist, ist dein.« (Lk 15,31)

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Die Aufkündigung der Bruderbande seitens des älteren Sohnes aber weist er eindeutig zurück (Lk 15,32). Übertragen auf den hier behandelten Kontext bedeutet dies: Die etablierten Sektoren in Kirche und Gesellschaft übersehen allzu leicht die bestehende und anhaltende Asymmetrie zwischen sich selbst und den Neuankömmlingen. Die Perspektivendivergenz zwischen dem älteren und dem jüngeren Sohn und damit idealtypisch zwischen Einheimischen und Zuwanderern hat ihren wesentlichen Grund darin, dass die jeweiligen Etablierten das, was sie haben, im Modus der Selbstverständlichkeit zu besitzen glauben. Sie betrachten ihren Besitz als ihren Verdienst und somit als etwas, das ihnen unterhinterfragt zusteht. Mithilfe ihrer Definitionshoheit, die ihnen gleichfalls selbstverständlich erscheint, diskreditieren sie jene, die oftmals vergleichbare oder gar größere Verdienste aufweisen könnten, wenn sie eine entsprechende Durchsetzungskraft hätten. Das Handeln des Vaters in der Parabel impliziert eine klare Kritik an den bestehenden Verhältnissen, die sich unschwer auf die Beziehungsdynamik zwischen Etablierten und Außenseitern in Kirche und Gesellschaft übertragen lässt. So gilt es auch hier ganz im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses als einer wahrhaft katholischen, allumfassenden Gemeinschaft, die je anderen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem rechtlichen Status und ihrer Religion als Schwestern und Brüder zu erkennen und sich entsprechend zu ihnen in Beziehung zu setzen. Bezeichnend erscheint mir schließlich die Choreografie der Akteure in der Parabel: Während der jüngere Sohn am Ende der Erzählung wieder im Haus ist, steht der ältere Bruder draußen. Diese Verortung ist aber keineswegs eine unumgängliche Konsequenz der Ankunft des Wanderers, wie uns das etwa die Anhänger der P ­ EGIDA-Bewegung mit ihren Horrorszenarien glauben machen wollen. Bei der Außenposition des älteren Bruders handelt es sich vielmehr um ein theologisches Abseits, in das er sich selbst katapultiert hat. Der Vater kommt auch ihm entgegen. Und doch war die innere Distanz zwischen den beiden nie so groß wie in diesem Moment. Zugleich ist der Vater ohnmächtig. Er kann seinen Sohn nicht zum Einlenken zwingen, das würde dem Verständnis seiner Vaterrolle widersprechen. Und doch steht der Vater in seiner Ohnmacht nicht unnütz herum, ganz im Gegenteil: Er steht ganz klar und

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bewusst für eine Option. Er lässt sich nicht vereinnahmen von den Argumenten des älteren Sohnes. Und dennoch: Nur wenn dieser den Jüngeren als seinen Bruder anerkennt, kann das Festmahl stattfinden. Will die Kirche angesichts der Herausforderungen durch Migration und Flucht ihrer Rolle gerecht werden, muss sie den Mut aufbringen, die prekäre Lage des Vaters zu teilen. Sie muss bei allen Beteiligten die Hoffnung aufrechterhalten, dass die bestehenden Hürden überwindbar sind und das Festmahl entgegen allem Anschein stattfinden kann. Vor allem aber ist es ihre Aufgabe, sich auf allen Seiten dafür einzusetzen, dass die jeweils anderen als ebenbürtige Schwestern und Brüder anerkannt werden. Dazu wird es zuweilen notwendig sein, sich selbst ins kirchliche und gesellschaftliche Abseits zu begeben, um nicht mit dem etablierten älteren Bruder im theologischen Abseits zu landen.

Widerstand und Exil – Erfahrungen verfolgter Autorinnen und Autoren als Anhaltspunkte für interkulturelle Seelsorge Lisa Straßberger 1 Vorab »Der Flüchtling ist meist Objekt. Ein Problem, das gelöst werden muss. Eine Zahl. Ein Kostenpunkt. Ein Punkt. Nie ein Komma. Weil er nicht mehr wegzudenken ist, muss er Ding bleiben. Es gibt ein Leben nach der Flucht. Doch die Flucht wirkt fort, ein Leben lang. Unabhängig von den jeweiligen Prägungen, von Schuld, Bewusstsein, Absicht, Sehnsucht. Der Geflüchtete ist eine eigene Kategorie Mensch.« (Trojanow, 2017, S. 9) Der Autor Ilija Trojanow widmet sein Buch »Nach der Flucht« seinen Eltern, »die mich mit der Flucht beschenkten« (Trojanow, 2017, S. 6). Unter den Geflüchteten, die in Deutschland Fuß gefasst haben, sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in ihren literarischen Texten und Essays präzise Einblicke geben in die gesellschaftliche Situation, die sie zum Widerstand und ins Exil drängte. Weil sie sich selbst gerade unter dem Eindruck zunehmender Bedrohung als Sprachrohr zahlloser unterdrückter Menschen verstehen, können ihre Zeugnisse exemplarisch gelesen werden. In dieser reflektierten Perspektive erscheinen auch die gewalttätigen Verfolger in hellem, hartem Licht. Literarische Texte verweigern sich der Verallgemeinerung. Sie halten am einzelnen Schicksal und der unverwechselbaren Geschichte fest. Gerade dadurch können sie Anhaltspunkte sein für eine praktische Theologie, die sich in interkulturellen Kontexten verortet und dort zu seelsorglichem und politischem Handeln drängt, das den Einzelnen mit seiner Lebenserfahrung, seiner Last und seinen Entfaltungsmöglichkeiten wahrnimmt.

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2 Zivilcourage Politisch verfolgte Autorinnen und Autoren haben der Demokratie einen unschätzbar großen Dienst erwiesen. Sie haben öffentlich und gegen die herrschende Meinung Kritik geäußert an Verhältnissen, die ihnen unhaltbar erschienen. Sie sind dadurch ein unabsehbar großes Risiko für sich und ihre Familien eingegangen. Sie wurden verfolgt, am Publizieren gehindert, verhört, verhaftet. Mit ihrem Mut, nicht still zu halten, sondern das für wahr Gehaltene gewaltlos zu vertreten, sind sie ein Vorbild für konkrete demokratische Vollzüge. Die türkische Physikerin, Journalistin und Autorin Aslı Erdoğan hat kurz nach ihrer Entlassung aus dem türkischen Gefängnis ihren ungebrochenen Glauben an die Veränderungskraft des Wortes formuliert – in einem noch nach Worten ringenden Dankschreiben an Jennifer Clement, Vertreterin des Internationalen PEN, der sich für die Freilassung der Autorin eingesetzt hatte. Sie schrieb: »Your solidarity was my only hope and still is the only light while I am trying to grope my way back to life which the tyrants have mercilessly robbed away. Simply because I had tried to be the voice of the victim […]: But I am proudly confident in the power and the immortality of ›words‹ and I know that no tyranny can steel them from us, those who hang onto words, only words.« (Erdoğan, 2016) Mit dieser Überzeugung ist sie ein Vorbild auch für Christinnen und Christen, deren Glauben auf der Wirkmacht des Wortes gründet. Ihre Solidarität mit den leidenden Menschen fügt sich hier nahtlos ein, genauso wie die internationale Verbundenheit der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die gemäß der Resolutionen des Internationalen PEN auf die Überwindung von Hass, Unterdrückung und Lüge zielt und die unterschiedlichen Nationen, Kulturen, Religionen und Überzeugungen im Respekt vor der Schönheit und Wahrheit des Wortes und der Kunst zu verbinden trachtet in »unhampered transmission of thought within each nation and between all nations« (PEN, 2016). Gewaltlos gelebte Zivilcourage, den Glauben an die verändernde Kraft des Wortes und eine diesen Werten verpflichtete Solidarität –

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das bringen viele politisch verfolgte Autorinnen und Autoren mit ins Exil. Das haben sie zu geben. Das kann ihnen niemand nehmen. Das verdient uneingeschränkte Wertschätzung, die auch diejenigen einschließt, für die sie sich einsetzen – in ihren Heimatländern oder hier unter den Geflüchteten.

3  Der Stein des Anstoßes »Freiheit und Frieden zu verteidigen, ist weder ein Verbrechen noch eine Heldentat, sondern unsere Pflicht. Es geht weniger darum, sie zu verteidigen, als vielmehr diesen Begriffen ihre verlorene Bedeutung wiederzugeben. Ihre Heiligkeit. So weit wir das können. An einem Verbrechen nicht Mittäterin zu sein, ist, mehr als ein Recht oder eine Pflicht, unser eigentlicher Daseinsgrund. Und das wäre dann unser Stein […] das wäre unser Schicksal.« (Erdoğan, 2017, S. 66) Aslı Erdoğan benennt die Verfolgung und Ermordung der armenischen Bevölkerung in der Türkei am Beginn des 20. Jahrhunderts – konkret im Andenken an ein Volk, »das hier Tausende von Jahren gelebt hatte« (Erdoğan, 2017, S. 49). Sie beschreibt auch den Schrecken, der sich ein Jahrhundert später, in der Nacht des 15. Juli 2016, rund um den Taksim-Platz in Istanbul ereignete (Erdoğan, 2017, S. 29–39). Sie schließt in ihren Texten alle ein, deren Heimatstadt durch Bürgerkrieg und Terroranschläge verheert wurde, und auch die unerträglich vielen Studierenden, die sich in diesen Tagen in türkischen Gefängnissen befinden, Abertausende, sie spricht von einer ganzen Generation. »Wie ein Gespenst gleite ich über die Straßen, auf denen ich herkam, die gleichen Boulevards, die wohlvertrauten Straßen, sie sind nur irgendwie länger oder kürzer geworden, haben sich verformt. Sie scheinen mich auch nicht mehr zu erkennen, sie wollen diese neue Last nicht tragen, diese Erschöpfung […]. Es ist, als müsse ich jeden meiner Schritte aus festem, klebrigen Matsch herausziehen.« (Erdoğan, 2017, S. 36)

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Die Journalistin ergreift Partei für die leidende kurdische Bevölkerung, die dem Kriegsverbrechen in Cizre im Winter 2015/2016 zum Opfer gefallen ist. Zerfetzte Menschenleiber, zerfetzte Menschenseelen, »zerschossen und verschlossen aus Hass und Machtgeilheit« (Erdoğan, 2017, S. 61). Sie schweigt sich darüber nicht aus, obwohl sie weiß, »jede Person, die sich heute zur kurdischen Frage äußert, erleidet den gesellschaftlichen Tod. Ihr wird schlagartig vor Augen gestellt, dass Titel, Ansehen, Identität und dergleichen weniger Bestand haben als ein Atemzug.« (Erdoğan, 2017, S. 53 f.). »Compassion« sei für sie eine Grundhaltung geworden, sagt Aslı Erdoğan bei einer Lesung im Frankfurter Haus am Dom am 8. Mai 2018, und die Matthäus-Passion von J. S. Bach ein Weg aus der inneren Verfinsterung nach der Haftentlassung.1 »Wenn wir in der ›Geschichte‹ nur die Spuren vergangener Größe suchen, mangelt es uns auf entsetzliche Weise an Mitgefühl dafür, was Menschen erlebt und erlitten haben […]. Vor lauter Bestreben, Aussagen nicht nach ihrer Beweisbarkeit zu beurteilen, sondern ausschließlich nach ihrem Urheber (›Ist er für oder gegen uns?‹), bleibt eine Frage auf der Strecke, und zwar die nach der WAHRHEIT.« (Erdoğan, 2017, S. 48)

4  Wahrheit und Angst Vor 85 Jahren brannten in Deutschland Bücher, die der Gesinnung der Nationalsozialisten nicht entsprachen. Die Praxis, erst die Meinungsfreiheit, dann die Menschen mit anderen Überzeugungen zu beseitigen, ist weltweit verbreitet. Die türkischen »Samstagsmütter« protestieren in einer Allianz gegen das Verschwindenlassen (Klippenstein, 2010; Erdoğan, 2017, S. 165–169) unter enormer Gefahr gegen diesen Mantel des Schweigens, der sich über 1 Ausstrahlung in hr2-kultur am 27. Mai 2018.

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Verhöre und Folter breitet. Enoh Meyomesse aus Kamerun berichtet davon. Der Dichter und Präsidentschaftskandidat von 2011 wurde verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Durch den massiven Einsatz des PEN-Zentrums kam er frei. Er lebt seit drei Jahren im Exil in Deutschland. In sein litaneiartiges Gedicht »Ich komme zu dir Deutschland« fügt er mehrfach den kaum abgewandelten Kehrvers über sein Verhör ein: »Er hat mich befragt / wo hast du deine waffen versteckt / deine freunde haben schon alles gestanden / wo hast du’s versteckt« (Meyomesse, 2017, S. 47–49). Und die Antwort in monotonem Rhythmus: »Ich habe nichts / ich habe nichts / ich habe nichts« (Meyomesse, 2017, S. 49). Man darf vieles sagen und vieles kritisieren – Korruption, soziale Missstände –, sagt Enoh Meyomesse im Gespräch im Haus am Dom am 8. Mai über sein Heimatland, solange es nicht den Präsidenten betrifft und sein Umfeld. Da verläuft die rote Linie, hinter der Gefängnis und Folter warten. Für Aslı Erdoğan sind hier die Parallelen zur Türkei offensichtlich. Bei den Exil-Autoren lesen wir von den Abgründen einer zerstörten Kommunikation. »Ich bin verrückt und habe mich daran gewöhnt. Ich mag es, Dinge, die ich nicht getan habe, von mir zu weisen. Und Dinge, die ich getan habe, erst recht von mir zu weisen.« (Bùi, 2017, S. 71) Der vietnamesische Blogger Bùi lebt seit 2013 in Deutschland. Er gibt seiner Darstellung der Verhöre eine satirische Note, deren Absurdität erst am Ende des Essays unterhöhlt wird von einer kleinen, alltäglichen, zärtlichen Szene: Bùi mit seinem kleinen Sohn, auf dem Weg zur Schule, zwei Sätze zum Abschied: »Wenn du mich am Nachmittag abholst, denk bitte daran, das Geld für unseren Ausflug zu bezahlen, ja? Auf Wiedersehen, Vater.« (Bùi, 2017, S. 83) Ein harmloser, alltäglicher Satz, der von der Wucht des zuvor beschriebenen Verhörs mit seinem unkalkulierbaren Ausgang beinahe zerdrückt wird. Die Angst, die im Widerstand gegen die Staatsmacht trotzig unterdrückt wird, zeigt sich körperlich. »Unwillkürlich fuhr ich mit der Hand hoch, um mich zu kratzen. Auf die Buchseite rieselten Haare herab. Bei jedem Kratzen fielen mir weitere Haare aus.« (Bùi, 2017, S. 82) Maynat Kurbanova recherchierte über sogenannte »Säuberungen« russischer Soldaten in Tschetschenien. In ihren Erinnerungen findet sich eine ähnliche Szene wie bei Bùi – nachts wach mit der

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Erinnerung an die Verfolger, vor sich das schlafende Kind. Aber die Schlinge hat sich schon weiter zugezogen, die Häscher schleichen ums Haus, eine Ölberg-Szene: »[…] jetzt bloß nicht einschlafen, dich bloß nicht schlafend erwischen lassen, sondern am besten in Klamotten, mit dem Pass greifbar in der Tasche, irgendwo in den eigenen vier Wänden hocken, und wenn der Schlaf dich doch einholt, dann am besten im Sitzen, auf dem Sessel, auf dem Stuhl, am Boden oder am Tische, egal, Hauptsache, nicht entspannen, bereit sein, wissen, dass sie wahrscheinlich heute um deine Seele kommen.« (Kurbanova, 2017, S. 23) In solchen Situationen extremer Ausgesetztheit beschreiben die Autorinnen und Autoren im reflektierten Rückblick Strategien, die ihnen geholfen haben, das Gleichgewicht zu behalten. Angst zu haben, schreibt Maynat Kurbanova, »das widerlichste und heimtückischste aller Gefühle« (Kurbanova, 2017, S. 24), sei normal, man dürfe sie nur nicht verbreiten, sonst werde sie zur giftigen Seuche. »Das, was ich damals verspürte, war Todesangst. Und ich behielt sie für mich.« (Kurbanova, 2017, S. 24)

5 »Umgeben von den Meinen« Die tunesische Dichterin Najet Adouani setzte sich für die Liberalisierung und Frauenrechte in ihrem Heimatland ein und geriet so auf die »schwarze Liste« der Salafisten. Sie floh 2012 nach Deutschland, ohne ihre drei Söhne. Wie der Syrer Yamen Hussein (2017a, 2017c) setzt auch sie in mehreren Gedichten Mutter und Großmutter ins Bild – ein Motiv intensivster Würdigung und Sehnsucht, das den Fachbegriff »Familiennachzug« aufsprengt (Adouani, 2017a). Husseins Widmung des Gedichts »Kauthar« fasst die Situation der Mutter in drei kurze, dichte Zeilen: »Meiner Mutter, die weder ihren Geburtstag noch Hochzeitstag kennt, die gegen Krebs und Trennungsschmerz ankämpft, die ihre Mutter pflegt und meine zurückgelassene Welt bewacht.«

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»Kauthar […] Uns trennen Massen an Soldaten und Fliegenschwärme auf den Gesichtern der Toten. Die Soldaten zwischen uns sind eine Todeslinie, scharf wie eine Messerklinge im Leib. […] Wir beide wissen, dass die Katastrophe unermesslich ist, und versichern uns gegenseitig zum Trost, dass wir uns irgendwann wiedersehen. Ich will nicht eines Tages nur noch Gast in deinem Haus sein. […] Ich werde mich bis zum Äußersten anstrengen, mich nicht brechen zu lassen. […] Weil du weder deinen Geburts- noch deinen Hochzeitstag kennst und dich mit dem Muttertag begnügst, hänge ich wie jeden Tag auch morgen meine Seele als Amulett für dich hin, für deinen Widerstandsgeist und deinen Edelmut.« (Hussein, 2017c, S. 41 f.) Der syrische Dichter beschreibt die Rastlosigkeit des Wartens im Exil – »kein Vor und Zurück, keine frohe Botschaft, keine Aussicht« (Hussein, 2017b, S. 35) – als dicken Schleim in der Kehle der Welt. Abgeschnitten »von den Meinen« misslingt im Gedicht von Najet Adouani die Selbstvergewisserung der Geflohenen. »Aufgeschobener Tod Das Meer soll sich nicht teilen auf meinen Befehl. Ich will weder Jesus’ Hand noch Moses’ Stab. Mein Wunder sähe so aus: Ich wandle friedlich durch meine Stadt, umgeben von den Meinen. Aber die Wege vor mir gleichen sich, führen alle in den aufgeschobenen Tod oder auf den Friedhof. Ich bin ohnmächtig,

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habe keine Entscheidungskraft, kann die Zukunft nicht planen, weder die nahe noch die ferne. Ich weiß nicht mehr, wo das Sein stattfindet, im Kopf, im Herzen oder gänzlich außerhalb des Körpers. Ich kann keine Grenze mehr ausmachen zwischen mir und der Außenwelt. Wenn der Schmerz größer ist als das Wort, flüchte ich ins Schweigen, es ist vertraut und alles, was mir geblieben ist, nachdem man die Möwe, die mir gleicht, getötet hat. Berlin, 30. Mai 2016« (Adouani, 2017b, S. 117) Im Gefühl der Absonderung, auch im Überleben, wo so viele Nahestehende gestorben sind, lagert Verzweiflung. Jovan Nikolić, Roma-Schriftsteller mit serbischen Wurzeln, lebt seit dem Jugoslawienkrieg der 1990er-Jahre in Deutschland. Er porträtiert eine Gestalt in einem »Asylantenheim« in Eisenhüttenstadt: »[…] die Gestalt eines dunkelhäutigen Mannes, der seit dem frühen Morgen am Rand eines riesigen und beunruhigenden, hässlichen Betonwürfels sitzt. Den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, mit seinem ganzen Rumpf nach unten hängend und mit den Handflächen seiner ausgestreckten Arme gegen die Knie drückend, starrt er irgendwo in den Boden zwischen seinen Füßen. […] Er war wie ein Denkmal, gewidmet dem Verhängnis Millionen namenloser, ›nicht dokumentierter‹ Menschen, Asylanten, Emigranten und Apatriden, die entlang der Längen- und Breitengrade umherirren, auf der Flucht vor Kriegen, Diktaturen, Hunger, eine Handvoll Gnade von den Verwaltungen jener Länder

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erbittend, in die sie sich für kurze Zeit einzuschiffen vermögen. Ohne zu begreifen, dass sie nur den Käfig gewechselt haben.« (Nikolić, 2017, S. 256) In seinem Gedicht »Gelübde«, das er am 8. Mai im Haus am Dom las, antwortet das lyrische Ich auf die Grausamkeit der Welt mit dem Gedanken, das geliebte Kind in einem Käfig zu einer Bestie zu erziehen, bis es die Hand seines Ernährers abbeißt, erst dann wäre es reif, um in der Welt zu überleben (Nikolić, o. J.). Aslı Erdoğan singt stattdessen ein Klagelied in biblischen Dimensionen. Der Grundton ist das universelle Ausmaß der Entfremdung, verursacht durch grauenvolle Gewalttaten einzelner Verbrecher. Im Gespräch will sie weniger von Gott reden als vom Motiv des Gottesknechts, wie es in ihrem demnächst auf Deutsch erscheinenden Roman »Steinhaus« zu finden ist: einer, der mit entstelltem Gesicht, changierend zwischen Mensch und Engel, eintritt in das Räderwerk der Gewalt. Worte, Bedeutungen, Identität sind für sie in bewusster Wahrnehmung des Schreckens womöglich im suchenden Ausgriff auf ein anderes, Transzendentes aufrechtzuerhalten. Wollten wir stattdessen den Schrecken ausblenden, verlören wir unseren Daseinsgrund. »Wenn das, was in den Kellern eingesperrt und zum Schweigen gebracht wurde, weit mehr ist als unsere persönlichen, begrenzten, einmaligen Lebensläufe. Wenn das, was wir das ›Leben‹ nennen, dem wir einen Sinn geben oder das uns einen Sinn gibt, in diesen Kellern eingesperrt und mit Benzin übergossen und verbrannt wurde. […] Wenn wir keinen einzigen Schrei mehr hören, geschweige denn ausstoßen können. Dann ist selbst dieses Schweigen nicht mehr unser Eigenes.« (Erdoğan, 2017, S. 65) Aus den Erfahrungen mit dem Tod »vor der Zeit«, dem Tod als Folge von Unterdrückung, Ausgrenzung, Folter, Mord entwickelt Jürgen Kroth eine Frage, die ins Herz interkultureller Seelsorge zielt – nicht die im europäischen und nordamerikanischen Raum virulente Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz Gottes, sondern die auch biblisch zu verortende Frage nach wahrem Gott und Götzen der Unterdrückung mitsamt dem jeweils anvisierten Reich. Den

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inkompatiblen Unterschied zwischen Ideologie und »Reich Gottes« kennzeichnet er so: Ein ideologisches System »produziert Tod im Namen des Lebens; es beansprucht das Leben zu sichern, aber natürlich nicht das Leben aller, sondern nur bestimmter Subjekte, während anderen eben genau dieser Subjektanspruch genommen wird. Diese sind die notwendigen Opfer, damit die anderen leben können.« (Kroth, 2018, S. 251) Solche Ideologien verortet Kroth vor allem in ökonomischen Zusammenhängen. In unserem Zusammenhang gerät somit die Situation sogenannter »Wirtschaftsflüchtlinge« in den Blick, die bisher eher ausgeblendet war. Gegen die Aporien einer jenseitsorientierten Theologie wie eines idealistisch inspirierten Fortschrittsdenkens versucht Kroth, eine Sakramententheologie zu entwickeln, die die Binnendifferenzierung in Systematische Theologie und Pastoraltheologie überwindet zugunsten einer fundamentalen Praktischen Theologie (Kroth, 2018, S. 257). Darin realisieren die Sakramente den Schrei nach Rettung, zugleich »die Möglichkeit und Notwendigkeit der Rettung aus allen Situationen, die solche Schreie provozieren. Ein Sakrament ist damit zugleich aisthetisch, indem es die Wahrnehmung dessen, was ist, schärft; es ist aber in seiner Verwiesenheit auf das Reich Gottes zugleich die Qualifizierung dessen, was ist, als nichtidentisch und ist darin auch Ausdruck der Hoffnung, es möge anders werden – und dies nicht allein in der Zukunft, sondern es möge auch in der Vergangenheit gewendet werden. Damit sind die Sakramente im strengen Sinne theologisch begründet, denn sie weisen auf etwas hin, was sich der letztlichen Verfügbarkeit des Menschen entzieht und insofern transzendent ist, da Gott allein in der Lage ist, das, was im Sakrament aufleuchtet, ins Recht zu setzen; sie sind zugleich aber auch die Vermittlung in Geschichte hinein, sind daher geschichtlich wahrnehmbares Handeln Gottes selbst, in dem Bewusstsein, dass dies letztlich von Gott bestätigt werden muss.« (Kroth, 2018, S. 263 f.)

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»Sakrament sub contrario«, führt Kroth weiter aus, sind aus dieser Perspektive auch die Armen, Entrechteten, Marginalisierten, die Opfer der Geschichte, die Toten und Besiegten, die exemplarisch in den Texten der hier zitierten verfolgten Schriftsteller und Schriftstellerinnen präsent sind, was »eine tiefere Erörterung der Subjekte der Kirche unter den veränderten Bedingungen einer postmodern plural gewordenen Gesellschaft« (Kroth, 2018, S. 265) nötig macht. Der das eigene Leben gefährdende und umstürzende Einsatz der verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftsteller ist an eine solche Theologie unmittelbar anschlussfähig: Ein Denken, »das als Eingedenken fremden Leids mit den Katastrophen sich nicht abfindet, sondern praktisch eingreifen möchte, kann auf eine Struktur rekurrieren, die Widerstandspotentiale schon von Anfang an tradiert: Die Erzählung.« (Kroth, 2018, S. 267) In seinen Texten bricht Enoh Meyomesse das Schweigen mit Musik und Gesang, Tanz und Stimme, Vers und Rhythmus. Sein Buch »Darmstadt. Eine afrikanische Liebeserklärung« besingt die Hoffnung und Dankbarkeit, die sich auf Deutschland richtet, das Land, das ihm ein Leben in Freiheit ermöglicht. Das Land hat in diesen Texten immer wieder personale Züge, ist Adressatin einer ungewohnten, vorauseilenden Heimatliebe – nach der Litanei des Schmerzes sprudelt ein Liebeslied auf Freiheit und Frieden. Seine Hymne auf den Darmstädter Luisenplatz ist berührend enthusiastisch, geschrieben im Hochsicherheitsgefängnis nach vier Jahren Haft, als sich seine Entlassung und Ausreise nach Darmstadt abzeichnete. Auf die Frage, ob sich so hochgespannte Erwartungen erfüllt hätten, antwortet Meyomesse am 8. Mai im Haus am Dom mit einem Lächeln und einem schlichten Ja. »Hier ist die Freiheit.« Dieses bewusste Leben in Freiheit strahlt in seinem Vortrag der Gedichte wie eine glückliche Liebesbeziehung aus und verändert auch seine Umgebung: »[…] ich bringe dir auch / MEINE / GANZE / HERZENSWÄRME« (Meyomesse, 2015, S. 35–41).

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6 Berührung »Die Berührung erzeugt eine Sinnfülle schon dadurch, dass sie die Sinnlichkeit aktiviert, die das Ich mit Anderen und aller Welt verbindet […]. Und nicht nur sinnlich, sondern auch geistig und seelisch stellt Berührung Beziehung und Zusammenhänge aller Art her, sodass ein Mensch sich in ein Netz eingeflochten sehen kann und nicht mehr metaphysisch einsam fühlen muss, bis hin zur Einbettung in eine Dimension, die aus subjektiver Sicht die Frage nach dem Sinn umfassend beantwortet.« (Schmid, 2017, S. 255 f.) Die Bereitschaft zu berühren und sich berühren zu lassen vom anderen, vom Fremden erscheint als Grundvollzug interkulturell ausgerichteten seelsorglichen Handelns. Selbstverständlich ist sie nicht. »Ich weiß die leute […] ch weiß die leute werden mich anschauen ich weiß die leute werden mich erblicken Ich weiß die leute die leute die leute werden sich ärgern

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och ich werde ihnen sagen MEINE FREUNDE OH MEINE FREUNDE ich bin aus meinem land geflohen denn die wollten mich umbringen ich habe nicht nur das tamtam ich habe nicht nur die marimba ich habe nicht nur die glöckchen am schienbein ich hab auch meinen füller ich hab auch mein wörterbuch

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ich hab auch meinen Laptop um euch zu schreiben NEGER GEDICHTE« (Meyomesse, 2015, S. 43–45) Das lyrische Liebeswerben, konkret umgesetzt in Rhythmus und Tanz in den Straßen von Darmstadt, erwartet keine Dienstleistung, sondern eine gemeinsame Bewegung, eine Berührung. Das Gegenbild ist Jovan Nikolićs schon erwähnte Skulptur der Apathie im Asylantenheim von Eisenhüttenstadt. Ilija Trojanows Notizen setzen hier an. Sie zeigen, dass solche Berührungen nicht dadurch zustande kommen, dass Menschen mit vergleichbaren Schicksalen in gemeinsamen Auffanglagern oder Wohnungen untergebracht werden. Dort ist eher Distanzierung zu erwarten. Und so steht Schmids seelsorgliches Leitmotiv der Berührung, wie es etwa in der Sixtinischen Kapelle ausgemalt ist, Trojanows Bild von der Vertreibung aus dem Paradies entgegen.

7 Bewegung »LXXII Unbekannten aus seinem Herkunftsland vertraut er nur sein Misstrauen an. Er weiß nicht, auf welcher Seite sie standen, als die Fronten noch klar gezogen waren. Die Gründe für die Flucht, die Wege der Flucht werden noch Jahre und Jahrzehnte später nicht offen ausgesprochen. Es herrscht eine Inflation fingierter Biographien. Landsleute umtanzen einander: Wie fühlst du dich hier? Seit wann bist du hier? Wen kennst du hier? Die Fragen ändern sich je nach politischer Lage.« (Trojanow, 2017, S. 50 f.) Für Jürgen Kroth ist es nicht mehr möglich, die Abgründe, Risse und Konflikte der Welt »begrifflich zu glätten, sie in eine vorab ermittelte Sinnstruktur zu integrieren, losgelöst von ihnen eine Letztbegründung zu suchen. Es ist nunmehr geboten, sich den Widersprüchen praktisch zu

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stellen, in ihnen Handlungsperspektiven zu entwickeln, Hoffnungspotentiale freizulegen und Solidarisierungsmöglichkeiten zu verdeutlichen – dies alles aber auf der Basis jener Gottesrede, in der gleichfalls die Widersprüche dieser Welt nicht einfach aufgehoben, sondern abgebildet sind.« (Kroth, 2018, S. 201) Anschlussfähig an die Grunderfahrung des Exils als dem Vermissen von Heimat kann von Gott in den »Kategorien des Vermissens« (Kroth, 2018, S. 204) gesprochen werden. Dieser Ausdruck negativer Theologie birgt in sich keine vage, sondern eine bestimmte Hoffnung entlang der im Gottesnamen JHWH grundgelegten Zeitstruktur: »Ich werde der sein, als der ich mich erweisen werde« (Ex 3,14, Übersetzung nach Luther 2017). Sehnsucht und Hoffnung werden als Möglichkeiten der radikalen Veränderung des Bestehenden erfasst. »Insofern bleibt gerade unter eschatologischen Bedingungen der Gottesgedanke die Bedingung der Möglichkeit, die Welt, wie sie ist, wahrzunehmen und zugleich an der Möglichkeit festzuhalten, dass das, was ist, nicht alles sei.« (Kroth, 2018, S. 205). »LXXXVIII Kaum ist er erwachsen geworden, meldet sich die Vertreibung aus dem Paradies penetrant zu Wort. Die Familie ist geflohen, weil das Paradies kein Paradies mehr war. Was läge näher, als für die Wiederherstellung des Paradieses zu kämpfen? Er ist im Alter des Übermuts. […] LXXXIX Er demonstriert mit den Älteren auf der Straße gegen den Diktator des Höllenlandes. Limousinen fahren vor. Leichenzug!, schreit er. Meuchelmörder!, schreien sie im Chor. Das wird weder gern gesehen noch gehört. Sie drängen nach vorn, ihre Rufe werden lauter. Schleich’ dich, sagt ein Polizist. […]

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XC Seine Wut vergeht langsam wie ein Ausschlag. […] Er verkrallt sich in seine Absonderung. Kann sich nicht bewegen. Weiß nicht, worauf er wartet. Stößt auf ein Wort: Niemandsland. Schlägt seine Zelte dort auf. Mästet seinen Selbstschmerz. Sucht nach Schuldigen in jedem Gesicht, das ihm über den ziellosen Weg läuft.« (Trojanow, 2017, S. 60–62) Indem der Gottesgedanke apokalyptisch entfaltet wird und die Katastrophen dieser Welt und individueller Schicksale nicht »in einen höheren Prozess hinein aufzuheben sucht«, ist Hoffnung »eben nicht vages Schweifen, nicht schwärmerisches Träumen, sondern waches Tun, ist Praxis des noch Ausstehenden in der Hoffnung, es werde Wirklichkeit.« (Kroth, 2018, S. 206 f.) Kroths Ansatz ist geprägt von dem Bemühen, in einer von Wertschätzung der Welt gegenüber geprägten Theologie das Unheil in der Welt nicht in einem transzendentaltheologischen Begriff von göttlicher Gnade aufzulösen. Christliche Gottesrede und christliche Sakramente können demnach weder bloßes Hereinbrechen des Heils in eine prinzipiell heillose Welt noch die Repräsentation des schon je gegebenen Heils sein. »Sakramente sind reale Antizipationen, Sichtbarmachungen der Möglichkeit, Ausblicke auf Befreiung, Erlösung und Rettung in einer Situation, die gerade dies noch vermissen lässt. Sie sind insofern vorweggenommene Hoffnung im Modus des Vermissens.« (Kroth, 2018, S. 244) Kroth unterstreicht die eschatologische Zeitstruktur auch im Sakrament, wo das im Symbol angesprochene Heil schon leibhaft gegenwärtig, aber noch nicht vollendet ist und gerade dadurch Hoffnung wider alle Hoffnung ermöglicht. Daraus entsteht für den Glaubenden der Antrieb, das Leiden von Menschen zu wenden, gleichgültig, wie es entstanden ist und wen es getroffen hat. Die von Aslı Erdoğan konsequent und mit eigenem Leiden verbundene Solidarisierung mit den Leidenden in ihrer Umgebung ist ein Symbol für das Wirken des Heilshandelns Gottes über religiöse und kulturelle Unterschiede hinweg.

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»XCI […] Alles, woran es ihm mangelt, hat einen Urgrund: das verschlossene Paradies. Die reine Heimat ist seine Weltformel. […] XCIX Heimat ist das, was in einem nicht sterben kann. Eine Illusion, die auch dann nicht verschwindet, wenn man nicht mehr an sie glaubt.« (Trojanow, 2017, S. 62–67)

Die exemplarischen Berichte der hier zitierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil haben durch die religiösen und kulturellen Unterschiede hindurch den Menschen in seinem Leid, seinem Aufbegehren gegen das Leid, seinem nahezu unerschöpflichen Potenzial zur Solidarisierung, zu Mitmenschlichkeit, konkretem Mitleid und konkreter Mitliebe gezeigt. Entsprechend ist eine für unterschiedliche Kulturen sensible Seelsorge mit der Erfahrung beschenkt, in der in Religionen und Kulturen unterschiedlichen konkreten Gestalt den leidenden und liebessehnsüchtigen Menschen zu erkennen, dessen Fremdheit in diesem Anschauen nicht mehr undurchdringlich ist, sondern aus christlicher Erfahrung heraus zugänglich wird. Es ist das Privileg und die Aufgabe einer solchen amtlichen wie anonymen Seelsorge, das Schicksal des Einzelnen gegenüber der mit Daten und Fakten legitimierten Sachlage zu behaupten, an sein Leid zu erinnern, ohne es verstehen und erklären zu müssen, auf Abbruch des Leidens im Bewusstsein der eigenen immer begrenzten Spielräume politisch zu dringen und auf die Möglichkeit einer gerechten Welt glaubend zu hoffen. »Wer sein Heimatland liebt, ist ein zarter Anfänger; wem jeder Fleck so viel bedeutet wie der heimische, ist stark; vollkommen ist aber jener, dem die ganze Welt ein fremdes Land ist.« (Hugo von St. Viktor, zit. nach Trojanow, 2017, S. 215)

Karl Frielingsdorf (1933–2017) – Würdigung eines Pioniers der Pastoralpsychologie Klaus Kießling

Karl Frielingsdorf, mein geschätzter Vorgänger in der Leitung des Frankfurter Instituts für Pastoralpsychologie und Spiritualität, geboren im Jahr 1933 in Düren, wurde Jesuit, nach Gottes Willen fragend und danach suchend, sich in Gottes Willen einzuschwingen, geprägt von der Überzeugung »Es gibt keine Zufälle«, geprägt auch von dem scholastischen Satz: »Gratia supponit naturam et eam non destruit, sed perficit« – Gnade setzt natürliche Bedingungen voraus und zerstört diese nicht, sondern vollendet sie. Seine Qualifikationsarbeiten galten katechetischen Schriften der Aufklärungszeit und der Gruppendynamik. Sehr bekannt sind seine Werke »Dämonische Gottesbilder« und »Vom Überleben zum Leben« sowie seine eigens entwickelte pastoraltherapeutische Arbeit, legendär seine Kurse im süditalienischen Positano. Karl Frielingsdorf war ein Pionier der Pastoralpsychologie, Mitbegründer der DGfP und lange Jahre im Vorstand tätig, seit 1974 Professor in Sankt Georgen, wo er im Jahr 1991 sein Institut gründete und es bis 2004 leitete. Bis zu seinem Lebensende war er ein gefragter geistlicher und therapeutischer Begleiter und ein Autor, der schwer krank noch wenige Tage vor seinem Tod an einem neuen Buch arbeitete, erschienen unter dem Titel »Mein Lebensglück finden«. Unsere letzte gemeinsame Veranstaltung galt dem 25-jährigen Institutsjubiläum, das ihm zu seinem Abschiedsfest wurde, wie er jedes Mal formulierte, wenn wir einander in den Monaten danach auf den letzten Etappen seiner irdischen Pilgerreise begegneten. Auch im Angesicht des Todes blieb ihm seine Überzeugung »Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang«, blieb ihm sein rheinischer Humor, blieb ihm seine eiserne Disziplin, auch unter Schmerzen fortschreitender Leukämie. Seine eigene Beerdigung vorbereitend und nichts dem Zufall überlassend, den es nicht gibt, sagte er: »Ich will auf meiner Beerdi-

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gung keinen Satz hören, der mir missfällt.« Und er hinterließ einen Brief an seine Nächsten, der einige Monate nach seinem Tod versandt werden sollte und in dem er seine Überzeugung unterstrich: »Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang.« Karl Frielingsdorf wählte eine andere Lebensform als ich, er lebte seine ganz eigenen Überzeugungen, und so verschieden wir waren, so dankbar bin ich auch, dass sich zwischen uns ein vertrauensvolles Miteinander entwickelte: keine Selbstverständlichkeit unter Professoren, die sich mitunter gar nicht vorstellen können, dass nach ihnen überhaupt noch Gutes kommt – und nicht nur die akademische Sintflut. Karl Frielingsdorf starb im Jahr 2017 am Hochfest der Himmelfahrt Christi, und seine Beerdigung fiel auf den Tag, an dem das Tagesevangelium von der Begegnung Jesu mit Simon Petrus erzählt, Karl Frielingsdorfs biblische Lieblingsszene. Es gibt keine Zufälle. Gratia supponit naturam – möge sein Leben in der Gnade Gottes seine Vollendung finden.

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Autorinnen und Autoren

Bode, Franz-Josef, Jg. 1951, Dr. theol., Bischof der Diözese Osnabrück, Vorsitzender der Pastoralkommission und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Große Domsfreiheit 8, 49074 Osnabrück, [email protected] Elsdörfer, Ulrike, Jg. 1953, Dr. phil., evangelische Theologin, Religionswissenschaftlerin und Ethnologin, Supervisorin (DGfP), 2011– 2017 Geschäftsführerin von ICPCC (International Council on Pastoral Care and Counselling), Wiesengrundstraße 6, 61462 Königstein im Taunus, [email protected] Fuchs, Ottmar, Jg. 1945, Prof. Dr. theol. habil., Emeritus für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eber­ hard-­Karls-Universität Tübingen, Schönleite 3, 96215 Lichtenfels, [email protected] Hafner, Rebecca Marie, Jg. 1991, Mag. theol., Missionsärztliche Schwester (MMS), Pastoralassistentin, Kurfürstenplatz 29, 60486 Frankfurt am Main, [email protected] Kempen, Martin, Jg. 1982, Dr. theol., Dipl. Päd., Pastoralpsychologe in der Diözese Würzburg, Domerschulstraße 18, 97070 Würzburg, [email protected] Keßler, Tobias, Jg. 1966, Dr. theol., Mitglied der Kongregation der Scalabrini-Missionare (CS), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltkirche und Mission, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, Offenbacher Landstraße 224, 60599 Frankfurt am Main, [email protected]

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Autorinnen und Autoren

Kießling, Klaus, Jg. 1962, Prof. Dr. theol. habil. Dr. phil.-hist. Dr. h. c., Dipl. Psych., Lehrsupervisor (DGfP), Ständiger Diakon, Leiter des In­stituts für Pastoralpsychologie und Spiritualität sowie des Seminars für Religionspädagogik, Katechetik und Didaktik, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, Offenbacher Landstraße 224, 60599 Frankfurt am Main, kiessling@sankt-­georgen.de Lanfermann, Agnes, Jg. 1955, Lic. theol., Missionsärztliche Schwester (MMS), Ordensreferentin in der Diözese Limburg, Missionsärzt­ liche Schwestern, Hammarskjöldring 127, 60439 Frankfurt am Main, [email protected] Mertesacker, Jakob, Jg. 1989, Dipl. Theol., Psychologe M. Sc., Psychoanalytiker in Ausbildung (DPV), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pastoralpsychologie und Spiritualität, Philosophisch-­ Theologische Hochschule Sankt Georgen, Offenbacher Landstraße 224, 60599 Frankfurt am Main, mertesacker@sankt-­georgen.de Narh, Peter Claver, Jg. 1978, Dr. theol., Steyler Missionar (SVD), Supervisor M. A. (DGSv), Begleiter der Neumissionare der Steyler Missionare in Deutschland und Direktor des OTP (Overseas Training Program) der Steyler Missionare in Deutschland, Arnold-­ Janssen-Straße 30, 53757 St. Augustin, [email protected] Straßberger, Lisa, Jg. 1965, Dr. theol., Studienleiterin für Literatur in der Katholischen Akademie Rabanus Maurus, Haus am Dom, Domplatz 3, 60311 Frankfurt am Main, l.strassberger@­bistumlimburg.­de